Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat gegen die nachstehenden Verordnungen keine Bedenken erhoben:
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 137/67/EWG über die Grundregeln für das sogenannte „System von Leit- und Folgeerzeugnissen", das die Festsetzung von Zusatzbeträgen auf dem Schweinefleischsektor ermöglicht
Drucksache VI/1605 -
Verordnung Nr. 2527/70 des Rates vom 15. Dezember
1970 zur Festsetzung der Auslösungspreise für Wein für
den Zeitraum vom 16. Dezember 1970 bis 15. Dezember 1971
Verordnung Nr. 2553i70 des Rates vom 15. Dezember 1970 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1470/70 über die Anwendung von Ausgleichsbeträgen in Belgien und Luxemburg beim Handel mit bestimmten, unter die Verordnung (EWG) Nr. 1059/69 fallenden Waren
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat am 10. Februar 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Martin, Dr. Althammer, Dr. Hubrig und Genossen betr. Ausgaben für Bildung und Wissenschaft 1970 — Drucksache VI/1707 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/1830 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
EWG-Vorlagen
Verordnung des Rates zur Ausdehnung des Anhangs der Verordnung (EWG) Nr. 109/70 des Rates vom 19. 12. 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus Staatshandelsländern auf weitere Einfuhren (4. Erweiterung).
— Drucksache VI/1816 —überwiesen an den Wirtschaftsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates Nr. 152/71 vom 26. Januar 1971 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 750/68 zur Aufstellung allgemeiner Regeln für den Ausgleich der Lagerkosten für Zucker
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Mo-oats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werden
Nach einer Vereinbarung des Ältestenrates soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen. Es erhebt sich kein Widerspruch; die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen.
Ich rufe dann zunächst diese Zusatzpunkte der Tagesordnung auf. Das Haus ist damit einverstanden. Ich rufe zuerst den ersten Zusatzpunkt auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern
— Drucksache VI/1831 —
Als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Dr. Arndt das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat in seiner 75. Sitzung am 4. November 1970 auf Grund des Schriftlichen Berichts des Finanzausschusses das von der Bundesregierung eingebrachte Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern in der Fassung der Bundesregierung angenommen, obwohl der Deutsche Bundesrat beim ersten Durchgang dieses Gesetzes beschlossen hatte zu beantragen, daß die Ergänzungszuweisungen für finanzschwache Länder von, wie die Bundesregierung vorgesehen hatte, 100 Millionen DM auf 300 Millionen DM erhöht wurden. Der Deutsche Bundestag ist also in seiner 75. Sitzung dem Petitum des Bundesrats nicht gefolgt.Der Bundesrat hat daraufhin in seiner 359. Sitzung am 4. Dezember 1970 beschlossen, den Vermittlungsausschuß anzurufen, weil der Deutsche Bundestag dem Petitum des Bundesrates in der eben geschilderten Weise nicht gefolgt ist. Der Vermittlungsausschuß hat gestern über diese Frage beraten und hat dabei mit Mehrheit beschlossen, dem Vermittlungsbegehren des Bundesrates stattzugeben, d. h. die Ergänzungszuweisungen aus dem Bundeshaushalt für die finanzschwachen Länder um 200 Millionen DM auf 300 Millionen DM aufzustocken. Zur Begründung hat die Mehrheit des Vermittlungsausschusses dabei angegeben, daß die finanzschwachen Länder ohne eine derartige Finanz- und Ergänzungszuweisung des Bundes ihren Aufgaben nicht nachkommen könnten, insbesondere nicht die ausreichenden Hilfen für strukturschwache Gebiete zu geben in der Lage seien. Selbst wenn diese 200 Millionen DM zusätzlich vom Bund ausgeschüttet würden, bliebe dennoch die Finanzkraft dieser Länder unterhalb des Bundesdurchschnitts, während auf der anderen Seite die finanzstarken Länder immer noch über dem Bundesdurchschnitt blieben. Auf Grund dieser Überlegungen hat die Mehrheit des
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5908 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Dr. Arndt
Vermittlungsausschusses empfohlen, so zu verfahren, wie der Bundesrat im ersten und im zweiten Durchgang beschlossen hat, nämlich das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern so zu ändern, daß die Ergänzungszuweisungen des Bundes von 100 Millionen DM auf 300 Millionen DM erhöht werden. Der Vermittlungsausschuß hat beiden Häusern empfohlen, in dieser Weise zu beschließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Das Wort hat der Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Für die Fraktion der SPD darf ich folgende Erklärung abgeben.
Bundestag und Bundesrat gingen bei der Finanzrefom im Sommer 1969 davon aus, daß neben der Aufteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern keine Ergänzungszuweisungen des Bundes mehr geleistet werden. Nach unserer Verfassung ist die unterschiedliche Finanzkraft der Länder primär unter den Ländern selbst auszugleichen. Leistungen des Bundes an finanzschwache Länder können nur als Ultima ratio in Betracht kommen. Die Bundesregierung ist trotzdem den finanzschwachen Ländern weit entgegengekommen. Sie hat diesen Ländern in den Jahren 1970 und 1971 jeweils 100 Millionen DM zur Minderung des Steuerkraftunterschieds gewährt. Ohne die finanziellen Sorgen der betreffenden Länder verkennen zu wollen, muß hier festgehalten werden, daß sich durch die Finanzreform die Steuereinnahmen gerade der leistungsschwachen Länder günstig entwickelt haben. Diese Länder werden 1971 im Durchschnitt 23 % mehr Steuern einnehmen als im Jahre 1969. Bei den Ländern insgesamt sind es nur 19 °/o und beim Bund sogar nur 17 °/o.
Des weiteren hat der Bund seine Haushaltsmittel für die Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur seit 1969 um 150 Millionen DM erhöht. Diese Mittel kommen vorwiegend den finanzschwachen Ländern zugute, z. B. erhielt Schleswig-Holstein davon 1970 43 Millionen DM. Hinzu kommen für dieses Land 60 Millionen DM Investitionszulagen und zinsverbilligte Darlehen der Bundesanstalt für Arbeit sowie zinsverbilligte Darlehen aus dem ERP-Sondervermögen. Mit solchen Mitteln wurden bis jetzt z. B. in dem Land Schleswig-Holstein Investitionen in Höhe von 700 Millionen DM gefördert und damit mehr als 8000 Arbeitsplätze geschaffen. Diese Leistungen, meine Damen und Herren, sind ein Beweis dafür, daß der Bund seiner Verantwortung gegenüber den finanzschwachen Ländern gerecht wird. Die Bundesregierung wird diese Förderungen in Zukunft noch wirkungsvoller gestalten.
Es kommt hinzu, daß durch das Zonenrandförderungsgesetz, das dem Bundestag zur Beratung vorliegt, zusätzlich 80 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden. Der größte Teil dieser Mittel fließt in die finanzschwachen Länder, nämlich nach Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein.
Angesichts dieser hohen Leistungen einerseits und der angespannten Haushaltslage des Bundes andererseits kann der Bund in diesem Jahr keine weiteren 200 Millionen DM für die Aufstockung der Ergänzungszuweisungen bezahlen. Wir müssen deswegen den Antrag des Vermittlungsausschusses ablehnen. Meine Damen und Herren, wir können nicht ausgeben, was wir nicht haben. Auch die CDU/CSU sollte sich an diesen Grundsatz halten.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie um Aufmerksamkeit für den Redner bitten.
Der Finanzausschuß des Deutschen Bundestages hat ohne Gegenstimmen, also auch mit den Stimmen der Opposition, der CDU/ CSU, den Antrag des Bundesrates auf Erhöhung der Ergänzungszuweisungen abgelehnt. Damals hat sich keine einzige Landesregierung für die Erhöhung der Ergänzungszuweisungen eingesetzt; auch die Regierung von Schleswig-Holstein hat sich nicht darum bemüht.Im Bundestag wurde das Finanzausgleichsgesetz in dritter Lesung in der Fassung, in der es von der Bundesregierung vorgelegt worden war, einstimmig beschlossen. Es haben alle Abgeordneten von Kiel bis München — auch die der Opposition — zugestimmt. Erst jetzt überlegt es sich ein Teil dieses Hauses anders, weicht von der früheren Haltung ab.Im Haushaltsausschuß wurde nun von der Opposition die Aufstockung der Ergänzungszuweisungen um 200 Millionen DM beantragt. Die Mittel dafür möchte die CDU/CSU zur Hälfte aus dem Devisenausgleich und zur Hälfte aus dem Bundesentschädigungsgesetz nehmen. Diesen Antrag jedoch hält sie dann im Bundestag in der zweiten Lesung des Haushalts nicht mehr aufrecht. Die Opposition hat vielmehr ihre Forderung um 100 Millionen DM zurückgesteckt, weil sie eingestehen mußte, daß der Dekkungsvorschlag nicht ganz seriös war. Heute unterstützt, wie zu vernehmen ist, die CDU/CSU wieder die Erhöhung der Ausgaben für die Ergänzungszuweisungen für den Finanzausgleich um 200 Millionen DM. Sie verrät uns aber nicht, woher das Geld genommen werden soll.Dieses Hin und Her, meine verehrten Damen und Herren, ist der Ausdruck einer inkonsequenten politischen Haltung der Opposition. Das ist mit den Grundsätzen einer soliden Finanzpolitik nicht vereinbar.
Im Bundeshaushalt gibt es keine Reserven in Höre der 200 Millionen DM.
Eine Ausweitung des Haushaltsvolumens kann nur durch zusätzliche Verschuldung des Bundes gedeckt werden. Dem können die Regierungsparteien nicht zustimmen.
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PorznerDie Opposition verlangt hier genau das Gegenteil von dem, was sie bisher vertreten hat.
Die Opposition hat die Bundesregierung wegen der Aufnahme von Krediten heftig kritisiert und unterstützt nun ihrerseits einen Antrag, der zwangsläufig zu einer Erhöhung der Nettoverschuldung führen muß.Meine Damen und Herren, Bundesregierung und Bundesrat werden sich noch in diesem Jahr über die Verteilung der Mehrwertsteuer zwischen Bund und Ländern für die kommenden Jahre verständigen müssen. Im Zusammenhang damit wird die Verbesserung des Länderfinanzausgleichs auf der Tagesordnung stehen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird sich bei diesen Verhandlungen um eine Lösung bemühen, der alle Länder, auch die finanzschwachen Länder, zustimmen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Althammer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU wird dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses auf Erhöhung der Ergänzungszuweisung an die finanzschwachen Länder von 100 Millionen DM auf 300 Millionen DM ihre Zustimmung ) geben.
Unsere Fraktion verhält sich in dieser Frage absolut konsequent; denn sie hat bereits im Haushaltsausschuß einen gleichartigen Antrag gestellt, der vom Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, dem Kollegen Leicht, damals ausführlich begründet worden ist. Wir haben bei dieser Diskussion im Haushaltsausschuß auch einen realistischen Deckungsvorschlag gemacht. Wir bedauern es außerordentlich, daß der Sprecher der SPD soeben wieder die Seriosität dieses Deckungsvorschlags angezweifelt hat. Das erinnert uns sehr lebhaft daran, daß man unsere Kürzungsvorschläge zum Haushalt 1970 ebenfalls als unseriös und unrealisierbar bezeichnet hat, zum Jahresende 1970 dann aber genau die Einsparungen erzielt wurden, die wir damals beantragt hatten.
Die Fraktion der CDU/CSU hat im Plenum dieses Hohen Hauses ihren ursprünglichen Antrag auf eine Erhöhung um 200 Millionen DM nur deshalb halbiert, weil wir die Möglichkeit geben wollten, daß das gesamte Hohe Haus hier wenigstens einen Teil dessen, was notwendig ist, gemeinsam tut. Es ist auch nicht richtig, daß es sich, wie der Sprecher der Sozialdemokratie hier den Eindruck erweckt hat, um eine Absicht lediglich der Opposition in diesem Hause handelt. Ich darf darauf hinweisen, daß der Vermittlungsausschuß mit einer großen Mehrheit diesem Antrag seine Zustimmung gegeben hat.
Es handelt sich um eine Initiative, die vom Bundesrat kommt und die von uns lediglich unterstütz wird.
Im Vermittlungsausschuß hat der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, Kubel,
noch einmal die Gründe überzeugend dafür vorgetragen, warum eine Erhöhung auf 300 Millionen DM notwendig ist.
Ich darf ganz kurz die wesentlichen Punkte dieser Begründung hier noch einmal vortragen.Die Länder können nicht auf den horizontalen Finanzausgleich verwiesen werden. Bereits durch die Tatsache, daß die Bundesregierung in den Jahren 1970 und 1971 je 100 Millionen DM Ergänzungszuweisung bewilligt hat, ergibt sich, daß sie selbst davon ausgeht, daß der horizontale Finanzausgleich nicht funktioniert und nicht das bringt, was die steuerschwachen Länder benötigen. Wenn die Bundesregierung hier auf den Ausgleich unter den Ländern verweist, wäre es konsequent, daß sie eine Änderung des Gesetzes vorschlägt. Da dies nicht erfolgt, muß das Parlament und müßte eigentlich auch die Regierung einen Ausgleich in der Frage der Ergänzungszuweisung finden.Ich darf darauf hinweisen, daß die Bundesregierung bereits auf eine Kleine Anfrage in der Drucksache VI/1016 hierzu folgendes ausgeführt hat:Es ist zu bedenken, daß bei der derzeitigen Regelung die Steuern der leistungsschwachen Länder je Einwohner zwar nominell auf mindestens 95 v. H. der Ausgleichsmeßzahl aufgefüllt werden, daß aber unter voller Einbeziehung der Gemeindesteuern in den Vergleich die Steuereinnahmen je Einwohner dieser Länder 95 v. H. des Länderdurchschnitts nicht erreichen. So werden 1970 (nach der Steuerschätzung vom 6. Mai 1970) die Steuereinnahmen nach Finanzausgleich vonBayern 94,9 v. H.Niedersachsen 91,5 v. H.Rheinland-Pfalz 91,5 v. H.Schleswig-Holstein 91,4 v. H. Saarland 93,8 v. H.des Länderdurchschnitts erreichen.Mit einer derartigen Meßzahl ist. der Ausgleich nicht gewährleistet.Es ist auch nicht befriedigend, wenn auf zusätzliche Leistungen des Bundes verwiesen wird. Hier besteht nämlich ein entscheidender Unterschied. Es geht bei der Ergänzungszuweisung darum, daß auch die steuerschwachen Länder eine eigene Bewegungsfreiheit und einen eigenen Dispositionsspielraum bei ihren Finanzen haben müssen.
Ministerpräsident Kubel hat im Vermittlungsausschuß besonders nachdrücklich darauf hingewiesen,
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Dr. Althammerdaß durch das Entfallen dieser eigenen Finanzmassen gerade bei den jüngeren Politikern eine Verärgerung und eine Unwilligkeit eintreten wird, die das föderative System insgesamt gefährdet und in Frage stellt.
Deshalb geht die CDU/CSU-Fraktion davon aus, daß die Staatsbürger auch in den steuerschwachen Ländern eine Chancengleichheit gegenüber den anderen Bundesländern haben müssen. Wir können es nicht zulassen, daß hier die Ungleichheit der Leistungen und der Entfaltungsmöglichkeiten durch einen nicht vorhandenen vollen Ausgleich zwischen den Ländern erhalten und in die Zukunft fortgeführt wird.Die Fraktion der CDU/CSU bittet deshalb das Hohe Haus, dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen. Wegen der Wichtigkeit der Angelegenheit, wegen der Situation der finanzschwachen Länder und wegen des Interesses unserer Bürger beantragen wir namentliche Abstimmung über den Vorschlag des Vermittlungsausschusses.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist nicht erforderlich, vieles von dem zu wiederholen, was hier ) in der Nacht zum gestrigen Tage über dieses Thema schon anläßlich der Erörterung des Antrags der CDU/CSU zu Einzelplan 60 gesagt worden ist. Ich möchte das nur in einem Punkt tun.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß ich, nachdem Herr Ministerpräsident Lemke hier davon gesprochen hatte, daß er die von ihm beantragte Erhöhung der Ergänzungszuweisung als eine Überbrückungslösung ansieht, ihm entgegengehalten habe, daß ja gerade das Argument der Überbrückungslösung eben auch im Hinblick auf die aktuelle Gestaltung der Einnahmen gesehen werden muß.
Ich darf auch in diesem Zusammenhang noch einmal auf das Ergebnis der Steuereinnahmen im Jahre 1970 und der Steuerschätzung für 1971 verweisen. Ich darf, Herr Kollege Althammer, aus der Ihnen bekannten Drucksache 550 des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren:
Die Länder vereinnahmten im Jahre 1970 an
Steuern einschließlich Gemeindesteuern der
Stadtstaaten 52,284 Milliarden DM, womit das
Vorjahresaufkommen um 3,936 Millionen DM
1,8 % übertroffen wurde. Die Zuwachsrate
der Steuereinnahmen der Länder liegt somit
über der des Bundes von 6,8 %, was auf den
Änderungen durch die Finanzreform beruht;
denn ohne die Steuerneuverteilung nach der
Finanzreform hätte der Bund in 1970 eine
höhere Zuwachsrate als die Länder aufzuweisen.
Das spricht nach meiner Auffassung dafür, daß die von uns überhaupt nicht abgestrittenen Schwierigkeiten der finanzschwachen Länder zu beheben gerade angesichts der aktuellen Steuerentwicklung eine Sache der Länder untereinander und angesichts der Haushaltssituation des Bundes, wie es Kollege Porzner hier dargestellt hat, nicht Sache des Bundes sein kann.
Nun muß man doch noch einmal die Haltung der CDU vollständig sehen. Herr Kollege Althammer, Sie haben nicht widerlegen können, was der Kollege Porzner über das Karussell Ihrer Auffassungen dargelegt hat. Ganz am Anfang stand doch im November — ich konnte das Datum so schnell nicht nachprüfen — die Beratung des Haushaltsausschusses über das Gesetz, über das wir jetzt nach dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses erneut zu beraten haben. Bei dieser Beratung hat es keine Anträge der CDU/CSU zur Änderung des Vorschlages der Bundesregierung gegeben.
— Herr Leicht, als wir im Haushaltsausschuß über das Gesetz berieten, hat es keine Änderung gegeben. Die hat es erst gegeben, als wir über den Haushaltsplan berieten. Es ist allerdings richtig, daß wir damals bei der Beratung des Gesetzes gesagt haben, das geschehe, weil es aus Termingründen einem Vertreter der Länder nicht möglich gewesen war — wir mußten unsere Disposition aus anderen Gründen ändern —, seine Bedenken vorzutragen. Wir sind trotzdem der Meinung, daß den Ländern bei der Beratung des Einzelplans 60 noch einmal Gelegenheit gegeben werden sollte, ihre Stellungnahme darzulegen. Unabhängig davon — im Haushaltsausschuß hat es keine Abstimmung gegeben — ist die Zustimmung des gesamten Haushaltsausschusses festgestellt worden.
Meine Damen und Herren, das Grundproblem, um das es bei der Auseinandersetzung in diesem Hause geht, — —
Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas Ruhe für den Redner.
Das Grundproblem ist, daß es sich an sich hier nicht um eine Frage der parteipolitischen Fronten in diesem Hause und in diesem Lande handeln kann. Daß es nicht so ist, beweist doch auch das Ergebnis der Beratung im Vermittlungsausschuß. Davon sollten Sie von der CDU/CSU sich freimachen, hier im Interesse des Bundes entscheiden und nicht, kurzfristig denkend, darauf sehen, daß zufällig in den nächsten Monaten gerade in finanzschwachen Ländern gewählt wird.
Meine Damen und Herren, werden noch weitere Erklärungen abgegeben? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Es ist namentliche Abstimmung über den Mündlichen Bericht des Ver-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5911
Vizepräsident Dr. Jaegermittlungsausschusses auf Drucksache VI/1831 beantragt worden. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zustimmt, stimmt mit ja, wer ,dagegen stimmt, mit nein, die übrigen stimmen mit Enthaltung. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis der Abstimmung bekannt. Von den uneingeschränkt stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 411 ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 194, mit Nein 215, enthalten haben sich 2. 16 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben 5 gestimmt, mit Nein 10, enthalten hat sich einer. Damit ist der Antrag des Vermittlungsausschusses abgelehnt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 410 und 16 Berliner Abgeordnete;davonJa: 194 und 5 Berliner AbgeordneteNein: 214 und 10 Berliner AbgeordneteEnthalten: 2 und 1 Berliner AbgeordneteJa CDU/CSUDr. Abelein Adornovon Alten-NordheimDr. AlthammerDr. Arnold Dr. BachBaierBalkenhol Dr. BarzelDr. Becher Becker (Pirmasens) BerberichBerdingBergerBewerunge BiecheleDr. BirrenbachDr. von Bismarck BittelmannBlankvon BockelbergDr. BöhmeFrau Brauksiepe Breidbach BremerBremmBrück BurgerDr. Czaja DammDichgansvon Eckardt EhnesEngelsbergerErhard ErnestiErpenbeck Dr. Evers von Fircks Franke
Dr. Franz Dr. Freiwald Dr. Frerichs Dr. FrühDr. Fuchs Dr. GatzenFrau Geisendörfer GeisenhoferGerlach GewandtGierenstein Dr. GiuliniDr. GleissnerGlüsing Dr. GölterGottesleben Frau Griesinger Dr. GruhlFreiherr von und zuGuttenberg Haase Dr. HäfeleHärzschelHäusslerHanzvon HasselDr. Hauser
Dr. HeckHein Frau Dr. HenzeDr. Hermesdorf HöslHorstmeier HortenDr. HubrigHussingDr. HuysFrau Jacobi
Dr. JaegerDr. Jenninger Dr. JobstJostenDr. Jungmann Frau Kalinke KatzerDr. Kempfler KiechleDr. KlepschDr. Kliesing KösterKrampeDr. KraskeDr. KreileFrau Dr. Kuchtner Lampersbach LeichtLensingDr. Lenz LenzerLinkDr. LudaLücke
MajonicaDr. MartinDr. Marx . Dr. MendeDr. MikatMüller Müller (Remscheid)Dr. Müller-HermannMursch Niegel Dr. von NordenskjöldOrgaß OttPetersenPfeifer Picard Dr. PingerDr. PohlePohlmannDr. PrasslerDr. PreißDr. ProbstRainer RaweDr. ReinhardDr. Riedl
Dr. RinscheDr. RitgenDr. Ritz RockRöhner Rösing RollmannRommerskirchenRoser RufRussePrinz zu Sayn-WittgensteinHohensteinSchlee Schedl Dr. Schmid-BurgkDr. h. c. SchmückerDr. Schneider Dr. SchoberFrau Schroeder Dr. Schröder (Düsseldorf) Schröder (Sellstedt) Schröder (Wilhelminenhof) SchulhoffSchulte Dr. Schulze-VorbergSeitersDr. SiemerSolke SpilkerDr. SprungStahlbergDr. Stark
Dr. Starke
Stein
SteinerDr. StoltenbergFrau StommelStorm Strauß StücklenSussetvon ThaddenTobabenFrau TüblerDr. UnlandVarelmannVehar Vogel VogtVolmerWagner
Dr. Wagner
Frau Dr. WalzDr. WarnkeWawrzikWeber WeiglDr. Freiherr von Weizsäcker WindelenWinkelheideWissebachDr. WörnerFrau Dr. WolfBaron von Wrangel ZieglerDr. Zimmermann ZinkBerliner AbgeordneteBendaDr. GradlDr. Kotowski Müller WohlrabeNein SPDDr. Ahrens AnbuhlDr. ApelArendt
Dr. Arndt
BaackBaeuchleBäuerleBarcheDr. Bardens BatzBayDr. BayerlDr. Bechert Becker (Nienberge)Dr. Beermann Bergmannn BerkhanBerlinBiermann BöhmBörnerFrau von BothmerBrandtBrandt
BredlBrünenBuchstallerDr. von BillowDr. Bußmann ColletCramerDr. von DohnanyiDürrEckerland Dr. Ehmke Frau Eilers Dr. Enders EngholmDr. Eppler EstersDr. FarthmannFiebigDr. Fischer FolgerFranke
FrehseeFrau Freyh FritschGeigerGertzenGlombig
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5912 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
GnädingerGrobeckerDr. HaackHaar
Haase HaehserHalfmeier Hansen Hansing HauckDr. Hauff HenkeFrau HerklotzHermsdorf HeroldHirschHöhmann
Hörmann HofmannHornFrau HuberDr. HupkaJahn
Jaschke Junghans Junker KaffkaKahn-AckermannKaterKernKillat-von CorethKoenig KohlbergerKonradDr. KreutzmannKrockert Kulawig LangebeckDr. LauritzenFrau LauterbachLempLemper Lenders Liedtke Löbbert LotzeMaibaum MarquardtMarx
Matthes MatthöferFrau MeermannDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) MetzgerMichels MöhringDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Mölle Müller
Müller
Dr. Müller-EmmertDr. MüthlingNeemannNeumannDr. NöllingOffergeldFrh. Ostman von der Leye PawelczykPeiterPenskyPeters
Porzner Raffert Ravens Dr. ReischlFrau RengerRichter RohdeRosenthalRoßSäcklSanderSaxowskiDr. SchachtschabelDr. Schäfer Frau SchanzenbachScheuDr. SchillerSchiller
Frau SchimschokSchirmer SchlagaDr. Schmid Schmidt (Braunschweig) Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Hamburg)Dr. Schmidt Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeSchoettle SchollmeyerSchonhofenSeibert SeidelFrau SeppiSimonDr. SperlingSpilleckeStaak
Frau StrobelStrohmayrSuckTallertDr. TambléFrau Dr. TimmTönjes Urbaniak VitWalkhoffDr. Weber WehnerWende Wendt Westphal Dr. WichertWienand Wilhelm WischnewskiWittmannWolfWürtzWüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Berliner AbgeordneteDr. Arndt
Bartsch Heyen Frau KrappeLiehrLöffler Mattick Dr. SchellenbergFrau SchleiDr. SeumeFDPFrau Dr. Diemer-Nicolaus DornErtlFrau FunckeGallusGeldnerGenscher GraaffHelmsJungKienbaum KirstKrallLogemann MertesMischnick MoerschOlleschPeters ScheelSchmidt
Spitzmüller WurbsEnthalten CDU/CSUDr. Becker
KrammigBerliner Abgeordnete Frau PieserIch komme nunmehr zum Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung:Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm— Drucksache VI/1832 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäfer
Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer als Berichterstatter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat in seiner 87. Sitzung am 16. Dezember 1970 das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen verabschiedet. Der Bundesrat hat in seiner 361. Sitzung vom 29. Januar 1971 beschlossen, die Einberufung des Vermittlungsausschusses gemäß Art. 77 Abs. 2 GG zu verlangen. Der Vermittlungsausschuß legt Ihnen die Empfehlung vor, die in der Drucksache VI/1832 enthalten ist.Im einzelnen darf ich dazu für den Vermittlungsausschuß folgendes vortragen:Erstens zu § 1. Der Anregung des Bundesrates folgend schlägt der Vermittlungsausschuß vor, den Schutz der Allgemeinheit durch Schaffung von Lärmschutzbereichen über Verkehrsflughäfen und militärische Flughäfen hinaus auf alle anderen Flugplätze auszudehnen, die dem Betrieb von Luftfahrzeugen mit Strahltriebwerken zu dienen bestimmt sind. Es sollen auch alle Flugplätze einbezogen werden, die noch nicht in Betrieb sind, sich aber bereits in der Planung befinden.Zweitens zu § 3. Der Anregung des Bundesrates folgend wird die Bestimmung gestrichen, daß der äquivalente Dauerschallpegel unter Berücksichtigung von Art und Umfang des „innerhalb eines Zeitraumes von 10 Jahren" - diese Worte werden gestrichen — voraussehbaren Flugbetriebs auf der Grundlage des zu erwartenden Ausbaues des Flugplatzes ermittelt wird. Durch die Streichung dieser Worte soll erreicht werden, daß die Gesamtentwicklung des Flugbetriebes berücksichtigt wird, die über den Zeitraum von zehn Jahren hinausgreifen kann; andererseits soll aber auch eine eventuell vorher eintretende Belastung berücksichtigt werden, die im Zuge von Flugplatzneuanlagen in den darauffol-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5913
Dr. Schäfer
genden Jahren heute noch nicht voll voraussehbar abflachen wird. Der Vermittlungsausschuß ging im übrigen davon aus, daß die zuständigen Behörden hier nach pflichtgemäßem Ermessen den voraussehbaren Flugbetrieb und den zu erwartenden Ausbau des Flughafens zu berücksichtigen haben.Drittens zu § 4. Der Bundesrat hatte angeregt, daß die Festsetzung der Lärmschutzbereiche in der Regel durch die Landesregierungen durch Rechtsverordnungen erfolgen sollte; nur bei militärischen Flugplätzen sollte der Bundesminister des Innern im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Verteidigung und im Benehmen mit den Landesregierungen den entsprechenden Lärmschutzbereich festsetzen. Der Vermittlungsausschuß nahm dieses Anrufungsbegehren nicht auf, da er der Auffassung ist, daß die im Gesetz vorgesehene einheitliche Regelung durch den Bundesminister des Innern mit Zustimmung des Bundesrates die Interessen der Länder besser berücksichtige und zu einheitlichen Maßnahmen führe.Viertens zu § 8. Dem Anrufungsbegehren des Bundesrates, in § 8 eine Frist in der Weise einzuführen, daß solche Eigentümer nicht entschädigt werden sollen, die Grundstücke nach dem 1. Januar 1961 erworben haben, folgte der Vermittlungsausschuß nicht. Ausschlaggebend war die Überlegung, daß bei Eingriffen in das Eigentum eine Fristsetzung zu unangemessenen unterschiedlichen Ergebnissen führen würde.Fünftens zu § 9. Demgemäß war auch dem Antrag in § 9, den gleichen Stichtag vorzusehen, nicht zu folgen. Der Vermittlungsausschuß schlägt darüber hinaus vor, § 9 Abs. 1 durch folgenden Satz zu ergänzen:Bei Lärmschutzbereichen, die nach § 1 Satz 3 festgesetzt werden, kann der Anspruch auf Erstattung erst vom Zeitpunkt der Inbetriebnahme des Flugplatzes an geltend gemacht werden.Dem Vorschlag des Bundesrates, dem § 9 einen Abs. 1 a anzufügen, wurde entsprochen.Sechstens zu § 15 Nr. 3 und § 15 Nr. 6. Hier folgte der Vermittlungsausschuß den Anregungen des Bundesrates und der Überlegung, daß es den Ländern überlassen bleiben soll, die zuständigen Behörden zu bestimmen.Siebentes zu ,§ 15 Nr. 6 a. Die Anregung des Bundesrates, in den Beratenden Ausschuß allein die Bundesvereinigung gegen Fluglärm aufzunehmen, wurde im Vermittlungsausschuß angenommen. Es wird damit eine einheitliche Vertretung der vom Fluglärm Geschädigten erreicht, während die bisherige Formulierung dazu geführt hätte, daß jede Vereinigung in den Ausschuß hätte aufgenommen werden müssen.Achtens zu § 15 a. Der Vermittlungsausschuß folgte der Anregung des Bundesrates, daß weitergehende Maßnahmen, die dem Schutz gegen Fluglärm gelten, unberührt bleiben. Um aber sowohl bundes- als auch landesgesetzliche Planungsmaßnahmen und Rechtsvorschriften zu berücksichtigen, schlägt der Ausschuß eine Formulierung vor, diebeides in sich schließt und die in seinem Vorschlag enthalten ist.Der Vermittlungsausschuß schlägt darüber hinaus vor, über den Vorschlag im ganzen abzustimmen.Ich darf Sie namens des Vermittlungsausschusses um Zustimmung bitten.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat der Abgeordnete Konrad.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erkläre ich, daß wir dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache VI/1832 zustimmen werden.
Wir stimmen ihm gern zu.
Die Verbesserungen, die das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm erfahren hat, sind offensichtlich.Der Zweck und Geltungsbereich festlegende § 1 des Gesetzes gestattet nunmehr, Lärmschutzbereiche für alle Flugplätze, die dem Betrieb von Flugzeugen mit Strahltriebwerken dienen können, und für alle Verkehrsflughäfen, die sich in einem bestimmten Endzustand der Planung befinden, festzusetzen. Damit sind praktisch alle Flugplätze, von denen Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen ausgehen oder ausgehen können und vor denen die Allgemeinheit Schutz verdient, erfaßt.Die bedeutendste Verbesserung des Gesetzes, der Wegfall von sechs Wörtern in § 3, ist eine beachtliche und von der betroffenen Bevölkerung sicher dankbar empfundene Veränderung. Anders als im Titel eines heiteren und fast schon vergessenen Romans wird dieses Gesetz bei seiner Anwendung „im halben Dutzend nicht billiger", aber sehr viel wirksamer. Jetzt ist bei der Ermittlung der Lärmbelastung im Lärmschutzbereich außerhalb eines Flugplatzes vom Flugbetrieb auf der Grundlage des zu erwartenden Ausbaues des Flugplatzes auszugehen. Das führt von Anfang an zu klaren Verhältnissen für die Ausdehnung der Schutzzonen.Im Interesse der einheitlichen Gesetzesanwendung begrüßen wir es, daß die Zuständigkeit des Bundesministers des Innern für die Festsetzung der Lärmschutzzonen erhalten geblieben ist. Die Rechte der Länder sind durch das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates gewahrt, und unsere Fraktion kann sich nicht vorstellen, daß das Bundesland, in dem der in das Verfahren einzubeziehende Flugplatz liegt, bei der Festsetzung des Lärmschutzbereiches nicht ausreichend und seinen besonderen Interessen entsprechend beteiligt ist.In der heute zu verabschiedenden Form widerlegt das Gesetz zum Schutz gegen den Fluglärm ver-
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5914 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Konradstärkt die vor der zweiten und dritten Beratung in der Öffentlichkeit noch erhobene Kritik. Sie war schon damals unberechtigt, soweit sie behauptete, daß seit der Beschlußfassung des 5. Bundestages am 26. Juni 1969 keine Verbesserungen am Entwurf vorgenommen worden seien. Jetzt ist einem ernst zu nehmenden Anliegen der Bevölkerung und der Fachwelt dadurch überzeugend Rechnung getragen worden, daß von der Endausbauplanung jedes Flugplatzes auszugehen und dadurch dessen Zubauen für einen weit übersehbaren Zeitraum ausgeschlossen ist.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie doch um Ruhe bitten.
Die Minderung der Lärmeinwirkung bei den Betroffenen durch Beschränkung der Bodennutzung wird dadurch einen beachtlichen, allerdings noch entwicklungsfähigen Stand erreichen.
Über die Bestimmungen des Fluglärmgesetzes hinaus können die Länder im Rahmen der Landesplanung und die Gemeinden, die sich gern auf ihre Bauplanungshoheit berufen, der Bevölkerung in der Umgebung endgültig ausgebauter, zu erweiternder oder geplanter Flugplätze durch praktisch gehandhabten Umweltschutz
entsprechend dem allseits gesteigerten Umweltbewußtsein fürsorgliche Hilfe angedeihen lassen, wozu sie der neue § 15 a berechtigt.
— Das mache ich auch.
Noch einmal soll, wie es schon bei der zweiten und dritten Lesung — —
Herr Abgeordneter, einen Augenblick! Ich bitte doch um Ruhe für den Herrn, der hier eine Erklärung abgibt. Da er eine Erklärung abgibt, darf er ablesen.
Herr Präsident, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie den Wissensstand der unmutigen Kollegen so nachhaltig gefördert haben.
Noch einmal soll, wie es schon bei der zweiten und dritten Lesung von allen Fraktionen dieses Hauses geschehen ist, mit Nachdruck und Befriedigung darauf hingewiesen werden, daß das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm bei gewissen, auch heute noch bestehenden Unzulänglichkeiten einmal das erste Gesetz dieses Bundestages auf dem Gebiete des Umweltschutzes ist und daß es zum anderen einen mutigen Schritt vorwärts auf einem rechtlich schwer zu regelnden Gebiet darstellt. Mit ihm wird
für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland der Empfehlung der Beratenden Versammlung des Europarats Nr. 538 vom 26. September 1968 über die Bekämpfung des Fluglärms eindrucksvoll entsprochen.
Daß das Gesetz in den Beratungen des Bundestages und des Vermittlungsausschusses einmütige Zustimmung fand, berechtigt uns zu der Hoffnung, daß auch weitere gesetzliche Regelungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes schnell und gemeinsam getroffen werden können. — Ich danke Ihnen für die teilweise nur unwillig geschenkte Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gruhl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat es nicht nötig, hier lange Erklärungen abzugeben.
Ich drücke die Freude unserer Fraktion darüber aus, daß es möglich ist, nach langjähriger Arbeit — ich erinnere an die Bemühungen unseres Abgeordneten Dr. Schmidt und später des Prinzen zu Sayn-Wittgenstein und anderer ---
jetzt ein wesentlich verbessertes Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm auch mit Zustimmung des Bundesrates, der unsere Vorlage dankenswerterweise noch in einigen Punkten verbessert hat, zu verabschieden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nivolaus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sie brauchen nicht zu buhen, in Erwartung, daß ich zu lange reden würde. Wir verzichten auf eine weitere Erklärung. Ich möchte für die FDP-Fraktion nur unsere Freude darüber zum Ausdruck bringen, daß im Bundestag ein Gesetz auch einmal einmütig beschlossen wird.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen zur Abstimmung. Nach dem Beschluß des Vermittlungsausschusses ist gemeinsam abzustimmen. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Druckache VI/ 1832 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5915
Vizepräsident Dr. JaegerDann rufe ich den Zusatzpunkt 3 auf:Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz — GVfG)— Drucksache VI/ 1833 —Berichterstatter: Abgeordneter RusseIch erteile dem Abgeordneten Russe als Berichterstatter das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich weiß, daß es bei der Stimmung des Hauses nicht angebracht ist, lange mündliche Ausführungen zu machen.
Ich bin aber verpflichtet, hier wenigstens die unerläßlichen Anmerkungen zu machen. Im übrigen unterstelle ich, daß Sie die Materie hinreichend kennen. Außerdem bin ich davon überzeugt, daß noch eine Debatte über diese Vorlage stattfinden wird.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ist zu sagen, daß der Vermittlungsausschuß getrennte Abstimmung beschlossen hat. Ich sage das insbesondere unter Hinweis auf die § 10 betreffende Nr. 4 in Drucksache VI/ 1833.
Sodann möchte ich Sie auf folgende Änderungen
der Vorlage hinweisen: In der die §§ 8 und 9 betreffenden Nr. 3 heißt es: „§ 9 Abs. 1 wird gestrichen. Die bisherigen Absätze 2 und 3 des § 9 werden § 8 Abs. 2 und 3." Ich muß Ihnen hierzu mitteilen, daß im Hinblick auf diese Beschlußfassung nach der redaktionellen Überprüfung des gesamten Gesetzestextes — gemäß der allgemeinen Übung im Vermittlungsausschuß, daß der Berichterstatter die redaktionelle Überarbeitung mit der Geschäftsführung des Vermittlungsausschusses vorzunehmen gehalten ist —, jetzt folgende Modifizierung eintreten sollte: § 8 bleibt in der ursprünglich vorgesehenen Fassung und § 9 bleibt, lediglich unter Streichung des Abs. 1, ebenfalls in der alten Fassung erhalten. Würde demgegenüber der Vorlage des Vermittlungsausschusses entsprochen, so hätte das die Konsequenz, daß in der vorliegenden Fassung des § 8 im Grundsatz mehr oder weniger dasselbe ausgesagt würde, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Dies erschien uns bei der Überarbeitung nicht sinnvoll. Es handelt sich folglich um eine redaktionelle Angelegenheit, die aber das Verständnis der Vorschriften wesentlich erleichtert. Herr Präsident, meine Damen und Herren, insofern sollte es aber bei der ursprünglichen Fassung der §§ 8 und 9 bleiben, wobei in § 9 lediglich Abs. 1 gestrichen wird.
In Hindeutung auf § 12 darf ich Sie des weiteren wissen lassen, daß, nachdem das Vermittlungsbegehren des Bundesrats vom Vermittlungsausschuß nicht akzeptiert wurde, für die besondere Situation des Landes Berlin, bezogen auf die in diesem Paragraphen angesprochene Zuständigkeit des Bundesinnenministers, eine Sonderregelung aufgenommen werden mußte. Insofern lesen Sie unter Ziff. 6 betreffend § 12 Abs. 4 die dort im einzelnen dargelegte „Berlin-Klausel". Ich verzichte darauf, sie hier zu verlesen.
Ergänzend möchte ich Sie noch davon in Kenntnis setzen, daß im Vermittlungsausschuß zu § 15 Abs. 1 einstimmig beschlossen wurde, dem § 5 a des Bundesfernstraßengesetzes noch folgenden Satz 2 anzufügen:
Im Saarland werden die Straßen, für die das Land auf Grund des § 46 des Saarländischen Straßengesetzes an Stelle von Landkreisen Träger der Baulast ist, den Kreisstraßen gleichgestellt.
Dies mußte in Anlehnung an § 2 Abs. 2 desselben Gesetzes vorgenommen werden, in dem ebenfalls die Sonderbestimmung für das Saarland aufgenommen worden war.
Ich glaube, diese Ausführungen können für die Abstimmung über diese Vorlage gemäß dem Begehren des Bundesrates und dem Beschluß des Vermittlungsausschusses genügen. Ich darf Sie noch einmal bitten, insbesondere im Hinblick auf § 10 des vorliegenden Gesetzes, getrennt abstimmen zu lassen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird der Entscheidung des Vermittlungsausschusses zustimmen. Der Vermittlungsausschuß hat in Anlehnung an die Konzeption, die auch wir in unserem eigenen Gesetzentwurf vorgebracht haben, die beiden derzeitigen Finanzierungstöpfe für die Lösung der Verkehrsprobleme in den Gemeinden zusammengefaßt und sichert durch Gesetz den Gemeinden auf diese Weise ein Mehr an Mitteln für die Lösung der Verkehrsprobleme in einer Größenordnung von etwa 100 bis 120 Millionen DM.Bei der Einführung des Gemeindepfennigs hatte der Deutsche Bundestag in einer Entschließung vom 9. März 1960 den vollen Einsatz dieser Mittel aus dem sogenannten Gemeindepfennig für den kommunalen Straßenbau gefordert. Tatsächlich ist es nie gelungen, diese Mittel aus der 50%igen Zweckbindung herauszubekommen, so daß de facto immer ein Teil des Aufkommens aus dem Gemeindepfennig zweckentfremdet wurde. Bundesregierung und Koalitionsfraktionen glauben nun, durch einen erneuten Entschließungsantrag eine volle Zweckbindung des Gemeindepfennigs erreichen zu können. Nach den bisherigen Erfahrungen scheint die Argumentation des Bundesrates überzeugend. Die volle Zweckbindung kann eindeutig nur in der Weise festgelegt werden, daß der Gemeindepfennig in die Regelung des Gesetzes einbezogen und damit aus der ihn
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5916 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Dr. Müller-Hermannumfassenden Zweckbindung des Mineralölsteueraufkommens befreit wird.Da die Entscheidung des Vermittlungsausschusses unseren Vorstellungen und unserer Konzeption entspricht, wird meine Fraktion dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Koalitionsfraktionen gebe ich zur erneuten Beschlußfassung über das Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden folgende Erklärung ab: Die Koalitionsfraktionen begrüßen, daß die Materie der Bundeszuwendungen für die Gemeinden zur Verbesserung ihrer Verkehrsverhältnisse mit dem vorliegenden Gesetz endlich ihre gesetzliche Regelung erfährt. Dies war angesichts der zunehmenden Verkehrsprobleme im kommunalen Bereich dringend notwendig geworden.
Der Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses, der dem Hohen Hause vorliegt, wird von uns bis auf einen Punkt akzeptiert. Die Koalitionsfraktionen wenden sich aber entschieden gegen die Fassung des § 10 des Einigungsvorschlags. Der Beschluß des Vermittlungsausschusses übernimmt die ursprüngliche Forderung des Bundesrats. Sie bedeutet, daß die Mittel aus der Mineralölsteuererhöhung des Jahres 1966 auf Grund von Art. 8 § 1 des Steueränderungsgesetzes 1966 in Höhe von 3 Pfennig je Liter und der sogenannte Gemeindepfennig auf Grund von Art. 4 Nr. 3 des Straßenbaufinanzierungsgesetzes von 1960 zusammengefaßt und im Verhältnis 60 : 40 für den kommunalen Straßenbau und den öffentlichen Personennahverkehr ausgegeben werden.
Diese Regelung hat aus der Sicht der Koalitionsfraktionen folgende schwerwiegenden Nachteile. 1. Sie bezieht den Gemeindepfennig, der ausdrücklich dem kommunalen Straßenbau dienen soll, in die Investitionsfinanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs ein. 2. Sie erhöht selbst bei einem Aufteilungsverhältnis 60 : 40 die Investitionsmittel für den öffentlichen Personennahverkehr zu Lasten des kommunalen Straßenbaus. 3. Sie zwingt die Bundesregierung abrupt, die volle Zweckbindung des Gemeindepfennigs ohne Rücksicht auf -die Haushaltslage des Bundes zu verwirklichen. 4. Diese Regelung ist politisch inkonsequent, weil sie dem Bund die Verfügungsgewalt über den Gemeindepfennig nehmen will, ihm aber die Aufgaben des § 5 a des Bundesfernstraßengesetzes beläßt, z. B. den Bau und Ausbau von Ortsdurchfahrten und Zubringern zu Bundesfernstraßen, deren Finanzierung damit wesentlich erschwert wird.
Der Bundestag hat am 9. Dezember des letzten Jahres zusammen mit der Verabschiedung dieses Gesetzes einstimmig eine Entschließung gefaßt, die die Bundesregierung auffordert — ich zitiere wörtlich —,
... jeweils im Straßenbauhaushalt für Zuwendungen im Rahmen des § 5 a des Fernstraßengesetzes zu Straßenbaumaßnahmen der Gemeinden und Landkreise Mittel vorzusehen, die dem Aufkommen aus der Mineralölsteuer in Höhe von 1 Pfennig pro Liter Vergaserkraftstoff voll entsprechen.
Das bedeutet aber nichts anderes, als daß auch der Bundestag von der Bundesregierung erwartet, die volle Zweckbindung des Gemeindepfennigs zu verwirklichen.
Wir müssen es jedoch der Bundesregierung überlassen, auf welchem Wege sie dieser Aufforderung nachkommen will. Schließlich hatte der Bundestag während einer Reihe von Jahren hingenommen, daß etwa 30 bis 40 Millionen DM jährlich aus den Einnahmen des Gemeindepfennigs als allgemeine Steuereinnahmen des Bundes verwendet wurden. Der Bundestag hatte sogar am 20. Dezember 1963 der Einbeziehung des Gemeindepfennigs in die begrenzte Zweckbindung ausdrücklich zugestimmt. Dieses schwerwiegende Zugeständnis des Bundestags im Jahre 1963 kann von diesem Hohen Hause auch heute leider nicht übersehen werden.
Die Koalitionsfraktionen stimmen deshalb gegen die Fassung des § 10 des Einigungsvorschlags des Vermittlungsausschusses und wollen die urprüngliche Regelung des Bundestags wiederherstellen.
Wortmeldungen liegen nicht vor; wir kommen zur Abstimmung. Wenn ich der Debatte richtig gefolgt bin, ist nur die Ziffer 4 — § 10 — umstritten, so daß wir die übrigen Punkte zusammengefaßt behandeln können.
Der Herr Berichterstatter hat noch eine Ergänzung; er möge sie vortragen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Sie zu den §§ 8 und 9 meiner vorherigen Einlassung folgen sollten, ergibt sich logischerweise, daß auch zu § 11 eine entsprechende Änderung durch dieses Hohe Haus zu beschließen wäre. Würde die jetzige Vorlage des Vermittlungsausschusses angenommen, wäre das ein Widerspruch zu der Neufassung der §§ 8 und 9.
Haben Sie den Text zu § 11 vorliegen? Sonst kann ich nicht darüber abstimmen lassen.
Herr Präsident, wenn das Haus mit dieser Änderung der §§ 8 und 9 einverstanden ist, kann der Vorschlag des Vermittlungsausschusses zu § 11 Abs. i Satz 2 — Ziffer 5 der Drucksache — als entbehrlich wegfallen. Dies darf ich ausdrücklich ergänzend feststellen.
Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5917
Vizepräsident Dr. JaegerWir kommen zur Abstimmung über die Ziffern 1, 2 und 3 der vom Berichterstatter vorgetragenen Änderung, betreffend die §§ 2, 3, 8 und 9. Wer dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimme. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Wir kommen zu Ziffer 4 betreffend § 10. Wer dem Vorschlag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. Das zweite ist die Mehrheit; der Vorschlag ist abgelehnt.Wir kommen zu Ziffer 5, die auf Grund der Berichtigung des Herrn Berichterstatters und unserer Beschlußfassung für erledigt erklärt wird. Ziffern 6 und 7 betreffen die §§ 12 und 15. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen. Damit ist auch dieser Punkt erledigt.Ich komme nunmehr zu Punkt XII der heutigen Tagesordnung:Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1971 — Drucksachen VI/ 1100, zu VI/ 1100, Ergänzungzu VI/ 1100, VI/1731 bis VI/ 1757 —Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages in zweiter Beratung— Drucksache VI/1823 —Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Strauß. Für ihn sind 60 Minuten Redezeit angemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Publizistik und Wissenschaft der letzten Zeit wird mit immer besorgteren Tönen vor einer Polarisation der politischen Kräfte oder, auf deutsch, vor einem haßerfüllten Gegeneinander der politischen Kräfte in der Bundesrepublik gewarnt. Es war ein Kollege meiner Fraktion, der Kollege Riedel, der vor einigen Tagen bei einer Jugendveranstaltung das Wort von den „Barrieren des Hasses im Deutschen Bundestag" gebraucht hat. Es geht mir hier nicht um Rechthaberei wie zwischen Kindern, wer den Krug zerbrochen habe; aber es geht doch um einige ganz bestimmte Tatbestände, erstens — und ich sage das ohne Aufregung, ohne Polemik und ohne Leidenschaft — um die wachsende Unfähigkeit der politischen Spitze in der Koalition, sachlich scharfe Kritik zu ertragen, und um die wütenden Ausfälle dagegen.
Wenn ich an die Opposition der fünfziger und sechziger Jahre denke nun, ich habe ein gutes Gedächtnis.Es geht zweitens um die in der Sache blödsinnige Verteufelung der 20 Jahre „CDU/CSU-Herrschaft",wie es heißt, als einer Periode der großen Versäumnisse in der Innenpolitik und des Stillstandes in der Außenpolitik. Das ist doch demagogische Phraseologie.
Aber der Grad dieser Verteufelung der 20 Jahre CDU/CSU hat doch erheblich zur Radikalisierung des innenpolitischen Klimas und zur Zerstörung des Augenmaßes für das Mögliche in unserem Land beigetragen.
Ein dritter Tatbestand ist die verschwenderische Verwendung des Begriffs „Reform" auch für Selbstverständlichkeiten,
wobei die Nichterfüllung zu Unrecht erweckter Hoffnungen dann der Opposition in die Schuhe geschoben wird.Viertens nenne ich den geradezu glaubenskämpferischen Fanatismus des Eintretens für eine in den Denkansätzen leider falsche, unter mehrdeutigen Auslegungen leidende, aber fast in den Rang einer Heilslehre der Welt erhobene neue Ostpolitik,
die mit trügerischen Formulierungen wie „den Frieden sicherer machen" aufgeputzt wird, als ob die Frage „Krieg oder Frieden" von der Durchsetzung dieser Ostpolitik, von ihrem Erfolg oder Mißerfolg, abhängen würde.
Man sollte sich doch darüber im klaren sein, daß die Formel „Krieg oder Frieden" im Zusammenhang mit dieser Ostpolitik ein Schlagwort ist, das schließlich auf die Sowjetpropaganda zurückgeht, die es bewußt in Umlauf gesetzt hat.
Der Herr Bundeskanzler hat in der Wirtschaftsdebatte eine Behauptung aufgestellt, die durch Wiederholung auch nicht richtiger wird — und ich bitte Sie, Herr Bundeskanzler, das wirklich einmal zu glauben —, nämlich die, die Opposition habe im Lande immer von Inflation im Sinne eines Währungszerfalls wie nach den beiden Weltkriegen gesprochen. Das stimmt doch nicht! Ich habe doch hier in meiner Rede am 24. September
ganz klar — wie in unzähligen Wahlversammlungen im Herbst letzten Jahres — erklärt, daß das, was sich nach den beiden Weltkriegen zugetragen hat — die galoppierende Inflation —, doch ein Thema ist, das nur — entschuldigen Sie das harte Wort — unter Idioten zur Diskussion stehen könnte. Das, worüber wir uns unterhalten, ist die Frage der schleichenden oder trabenden Inflation. Das ist das Wirtschafts- und Finanzthema der Jahre 1970 und 1971 und wahrscheinlich leider auch noch weiterer Jahre.Herr Bundeskanzler, wenn Sie die Verwendung des Begriffes Inflation so radikal ablehnen, dannStraußerinnern Sie sich doch daran, daß im Zusammenhang mit der Haushaltspolitik Erhards Ihr heutiger Wirtschaftsminister die damalige Ausgabenpolitik, die maßvoller war als die heutige, als eine Inflationsquelle erster Ordnung und Ihr heutiger Finanzminister die gleiche Ausgabenpolitik als einen stärksten Inflationsherd bezeichnet hat. Die Legitimität der Verwendung von Begriffen kann doch nicht jeweils nach politischen Parteien unterschiedlich gewertet werden.
Ich habe in meiner Rede am 24. September letzten Jahres noch eine Reihe weiterer Beispiele für die Krisenhysterie gebracht, die man damals im Jahre 1965/66 betrieben hat: Schnell das Geld ausgeben, bevor es seinen Wert verloren hat usw. Ich komme darauf jetzt nicht mehr zurück. Aber heute ist es, was die Geldwertstabilität angeht, ernster, als es zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen 1949 und 1969 jemals gewesen ist.
Niemand spricht von einer galoppierenden Inflation — ich sage das jetzt noch einmal ausdrücklich — wie nach dem ersten und zweiten Weltkrieg. Aber wir sind durch Fehler und Versäumnisse dieser Regierung in eine Inflation geraten, deren Geschwindigkeit man zwischen schleichend und trabend bezeichnen muß. Es hat doch keinen Sinn, auf das Barometer einzuschlagen, wenn man sich über das Wetter ärgert, und zwar deshalb, weil man gutes Wetter prophezeit und versprochen hat, aber schlechtes eingetreten ist.Ich habe hier eine dpa-Meldung aus Konstanz vom Allensbacher Institut, und sie ist bestimmt nicht von der CDU/CSU gestaltet worden. Da heißt es:Die Preise sind für die Bundesbürger das Ärgernis Nummer 1. 71 % der über 16 Jahre alten Erwachsenen haben sich bei einer Umfrage des Instituts in Allensbach am häufigsten über Waren- und Dienstleistungskosten aufgeregt. Wie das Institut am 4. Februar mitteilte, folgen in der Schimpfliste— ich sage es nur mehr humorvoll —die langhaarigen, arbeitsscheuen jungen Leute, über die sich 50 % der Befragten geärgert haben. Als weitere Ärgernisse wurden genannt die Zunahme der Verbrechen, die hohen Mieten, die radikalen Studenten, die Regierung in Bonn, die verstopften Straßen, die Gastarbeiter, die schlechte Luft in den Städten und die Polizei.So wörtlich in der dpa-Meldung.Aber es sollte doch auch der Regierung zu denken geben, daß eine in einem bestimmt nicht CDU-freundlichen Verlag erscheinende Wirtschaftszeitung, nämlich „Capital", in ihrer letzten Ausgabe mehrseitig die große Überschrift bringt: „Konjunktur — Kompaß für Geldanleger: An der Inflation verdienen". Das ist nur ein Symptom. Das wäre früher fast undenkbar gewesen.Haben nicht wir vor übereilten Steuersenkungszusagen gewarnt, die am 1. Januar 1970 bereits inKraft treten sollten und dann nach den drei Landtagswahlen sang- und klanglos auf unbestimmte Zeit wieder zurückgestellt worden sind?
Wir haben, Herr Bundeskanzler — da komme ich auf Ihren Beitrag in der Wirtschaftsdebatte zurück —, dem Stabilisierungsprogramm vom Juli 1970 nicht zugestimmt, aber doch nicht deshalb, weil wir gegen Stabilisierung wären, sondern deshalb, weil dieses Programm in der Form fragwürdig, im Zeitpunkt zu spät, unwirksam war und wie ein Hohn erscheinen mußte. Es wirkte deshalb wie ein Hohn, weil man zuerst Steuersenkungen versprochen, die Absicht der Steuererhöhung feierlich verneint, den Haushalt der beiden letzten Monate 1969 und den Haushalt 1970, mindestens die erste Hälfte, zu einer Inflationsquelle erster Ordnung oder einem stärksten Inflationsherd gemacht hat, womit ich exakt die Terminologie der dafür verantwortlichen Minister hier wiederhole.
Ich darf hier auf die Rede des Kollegen Leicht verweisen, die er in der zweiten Lesung gehalten hat und deren Argumente ich hier nicht wiederholen will.Das letzte Jahr hat uns die Spitze in der Welt bei der Preissteigerungsrate des Bruttosozialprodukts erbracht. Ich wollte es nicht glauben und habe es gestern noch einmal exakt nachgeprüft. Denn die Zunahme der Verbraucherpreise um 3,8 % oder 4 % ist kein zulänglicher Maßstab, das ist nicht das Entscheidende.
Hier liegen wir sicherlich nicht an der Spitze, sondern in der unteren Hälfte. Aber das ist nicht der Maßstab. Ich möchte sagen, die Preisreform scheint mir die einzige bisher konsequent durchgeführte „Reform" zu sein, die nachhaltig gelungen ist.
Wir haben uns allerdings das Versäumnis zuschulden kommen lassen, diesen „Rekord" 20 Jahre nicht erreicht zu haben. Sonderfall: Korea-Krieg!Es war doch der heutige und damalige Bundeswirtschaftsminister, der im Finanzbericht 1969 den Begriff „Preisstabilität" — ich weiß, er muß weg sein, wie ich ausdrücklich sage, weil er einen ausländischen Gast erwartet, wie er mir vorher mitgeteilt hat — so beschrieben hat, daß der Unterschied zwischen nominalen und realem Bruttosozialprodukt nicht mehr als 1 % betragen dürfte;
das sei für ihn der Maßstab der Stabilität. Wenn ich diesen Maßstab eines Mitglieds der heutigen Regierung, dessen Bewußtseinsmaßstäbe sich doch zwischen der letzten Regierung unter einem anderen Kanzler und der heutigen Regierung unter diesem Kanzler nicht verschoben haben können, zugrunde lege, was sagt dann diese Regierung dazu, daß es im Jahre 1970 statt 1 % nachweislich 7,4 % sind?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5919
StraußDabei halten trotz der bekannten Abschwächungserscheinungen die Preisauftriebstendenzen immer noch an. Siehe die Äußerungen Emmingers nach der letzten Sitzung des Zentralbankrats!Sind denn unsere Hinweise irrig oder demagogisch, daß die Zerstörung der Preisniveaustabilität über kurz oder lang nachteilige Folgen für andere Ziele unserer Wirtschaftspolitik wie Wachstum und Vollbeschäftigung haben muß! Ich meine, nicht kurzfristig, aber langfristig. Oder glaubt man, die Einhaltung dieser Ziele durch verstärkten Einsatz inflationär wirkender Mittel sicherstellen zu können? Gefährlicher Trugschluß! Die Stunde der Wahrheit kommt — in der Finanzpolitik mit unausweichlicher Sicherheit!Geradezu unglaublich, Herr Bundeskanzler — aber ich muß leider sagen: sich würdig an frühere Entgleisungen anschließend —, ist das, was Sie laut dpa in Mainz am 6. Februar 1971 gesagt haben.
Es heißt in der dpa-Meldung, die ich wörtlich zitieren darf:Heftig wandte sich Brandt gegen Behauptungen, mit dem Regierungsantritt der SPD/FDP-Koalition sei die Wirtschaftsordnung geändert worden und nun der Staat für die Preisentwicklung verantwortlich. „Dem ist nicht so", rief der Bundeskanzler unter starkem Beifall aus, „im Gegenteil, an den Quellen, an denen die Preise gemacht werden, sitzen die Herren Strauß, Stoltenberg und Kohl."
Herr Bundeskanzler, ich kann Ihnen hier den Vorwurf nicht ersparen, daß das sicherlich in Ihrer Psychose vor den Landtagswahlen Rheinland-Pfalz auf dem Wege eines sehr starken Lapsus linguae zustande gekommene demagogische Äußerungen sind.
Aber der Bundeskanzler darf sich auch als Parteivorsitzender aus propagandistischen Gründen der Wahlkampfanheizung nicht auf das Niveau eines volkswirtschaftlichen Hilfsschülers herablassen.
Darum darf ich hier noch einige Fragen stellen bzw. Anmerkungen machen.Erstens. Haben Sie damals, in den 20 Jahren Opposition, die jeweilige Bundesregierung für die Preisentwicklung verantwortlich gemacht oder nicht? Jetzt sagen Sie bloß, daß Sie damals gesagt haben: „Die Preisentwicklung hat mit der Politik der Bundesregierung überhaupt nichts zu tun."! Dann muß ich in diesen Jahren in einem Traumtheater gelebt haben, aber nicht im Deutschen Bundestag.Zweitens. Wollten Sie damit sagen, daß vielleicht die Bundesbank, die mit ihrer Bremspolitik lange Zeit von der Bundesregierung alleingelassen worden ist, die Schuld trägt? Was jetzt im Jahreswirtschaftsbericht als Programm zur Stabilisierung nach derAufwertung verkauft wird, war doch ein sehr pannenreiches Unternehmen, dessen einzelne Etappen wir hier erlebt haben. Das ist ein Unternehmen, für das man nicht einmal die berühmte Formulierung Karl Valentins anwenden kann: Möchten hätten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.Drittens. Herr Bundeskanzler, warum beklagt denn der Finanzminister die Mindereinnahmen bei den gewinnabhängigen Steuern,
der Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer in Höhe von insgesamt 6,6 Milliarden DM gegenüber der Schätzung für Bund, Länder und Gemeinden? Haben Sie denn darüber nicht nachgedacht?Mit hat einmal der Herr Bundeswirtschaftsminister in seiner karitativen, altruistischen Nächstenliebe an diesem Platz ein Colloquium privatissime et gratis angeboten. Ich glaube, er sollte seinen Bundeskanzler nunmehr in den Genuß dieser Wohltat kommen lassen.
Warum denn diese radikale Minderung der Steuereinnahmen, so daß die Einnahmen aus diesen Steuern sogar hinter den Einnahmen des .Jahres 1969 zurückbleiben?
Warum denn? Doch deshalb, Herr Bundeskanzler, weil die Preiserhöhungen nicht ausreichen, um die Kostenerhöhungen aufzufangen, und weil die Erträge besorgniserregend zurückgegangen sind! Das ist doch der Grund.
Darf ich Sie auch fragen: Was haben Sie als Chef der Regierung mit der Regierungsgesamtautorität getan-- also es nicht dem Wirtschaftsminister überlassen —, um sowohl durch rechtzeitige Stabilisierungsmaßnahmen als auch durch Einfluß auf die Tarifpartner eine Kostenexplosion zu verhindern? Das sind die Fragen.Siehe „Die Welt", Interview mit Herrn Bundesbankpräsident Klasen, der Ihnen doch meines Wissens politisch nicht fern steht. Da hat „Die Welt" ihn gefragt:Sie sprachen nach der Sitzung des Zentralbankrates von tiefer Sorge über die Entwicklung bei Preisen und Löhnen. Hatten Sie aktuellere Zahlen als die jeweils vier Wochen alten, die die Öffentlichkeit kennt?Die Antwort von Herrn Klasen war:Die Zahlen, die wir haben, sind auch nicht viel neuer. Das Aktuelle waren für uns die Ankündigungen von Preiserhöhungen in der Presse, die Zahlen, mit denen einzelne Gewerkschaften ihre Lohnverhandlungen eröffnen. Darauf versuchten wir in der Bundesbank, uns ein Bild der zukünftigen Entwicklung zu machen. Wir gingen durchaus davon aus, daß Ankündigungen und Forderungen nicht immer mit den endgültigen Preis- und Lohnsteigerungen übereinstim-
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5920 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Straußmen. Wenn man aber auf internationalen Tagungen — so ging es uns auf der letzten Tagung der Bank für internationalen Zahlungsausgleich in Basel — Tabellen vorgelegt bekommt, aus denen klar hervorgeht, daß die Bundesrepublik mit ihrer 14prozentigen Lohnkostensteigerung 1970 an der Spitze aller EWG-Länder liegt, und wenn man aus den aktuellen Diskussionen den Eindruck gewinnt, daß die Beteiligten das nicht als einmaligen Vorgang ansehen, sondern als Dauerzustand anstreben, dann muß man schon von tiefer Sorge über die wirtschaftliche Entwicklung erfüllt sein.So wörtlich Herr Klasen!Wenn wir dasselbe sagen wie der Bundesbankpräsident - was wir letztes Jahr auch mehrmals getan haben —, dann ist das nicht eine demagogische Opposition, die das Ziel oder das Maß des Erlaubten überschreitet, sondern dann entspringt dies der Pflicht der Opposition als einer institutionalisierten Kritik, auf diese Punkte hinzuweisen.
Wenn die Geldwertentwicklung in einem Jahr der CDU/CSU-Herrschaft, wie man immer sagt, so gewesen wäre, wie sie im Jahre 1970 war, dann möchte ich nicht wissen, —
— Nein, die gesamte Geldwertentwicklung. Das Jahr 1966 stimmt nicht, Herr Kirst. Da liegt die Steigerung der Verbraucherpreise bei 3,4 %, aber die der industriellen Erzeugerpreise weit darunter bei 1,7 0/0, die der Baupreise bei 5 % bis 6 %. Das sind ganz andere Zahlen. Aber ich möchte mich nicht in Dialoge einlassen. Wenn wir jemals diesen Rekord erreicht hätten, ich möchte nicht wissen, welche Reden die Herren Schiller, Möller und andere Vertreter der Opposition hier gehalten hätten.
Dann muß ich Sie noch etwas fragen, Herr Bundeskanzler. Die Preissteigerungen betragen im Januar bei Pkws 2 % bis 5 %, bei Möbel und Hausrat 6 % bis 8 %, bei Elektrogeräten 4 % bis 6 %, bei Foto 6 % bis 8 %, bei der Herrenoberbekleidung 8 % und beim Walzstahl 4,7 %. Im übrigen haben wir in Nordrhein-Westfalen vom Dezember auf Januar eine Zuwachsrate von 1,3 % in einem Monat. Glauben Sie, daß diese Preiserhöhungen das Ergebnis eines Komplotts zwischen den Unternehmern einerseits und den genannten Oppositionspolitikern Strauß, Stoltenberg und Barzel andererseits sind?
Das grenzt doch wirklich an Klassenkampfphraseologie.
Sie beklagen sich, daß die Opposition Unruhe und Unsicherheit im Volk und in der Wirtschaft erzeuge. Hier gilt dasselbe, was ich über die Inflationsangstgesagt habe. Verwechseln Sie nicht Ursache und Wirkung!
Beschimpfen Sie nicht das Thermometer wegen der Temperatur!
Der Kollege Schäfer hat in seiner bemerkenswerten Rede die CDU/CSU in Zusammenhang mit unserem Ringen um eine von wirtschaftlicher Vernunft getragene und vom Streben zum sozialen Ausgleich erfüllte Mitbestimmungsformel als eine Unternehmerpartei bezeichnet. Machen Sie sich keine Hoffnung oder Sorge, Herr Kollege Schäfer! Die CDU/CSU ist und bleibt eine Volkspartei,
aber nicht so, wie Herr Apel, Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender, es über die SPD vor wenigen Tagen in einem Interview ausgerechnet in „Konkret" gesagt hat.
Da sagt er:Wir sind eine Volkspartei in der ganzen Schwammigkeit des Begriffes.Wir sind keine Volkspartei in der ganzen Schwammigkeit dieses Begriffes. Wir sind eine echte Volkspartei und brauchen deshalb nicht schwammig zu sein.
Aber ich höre schon die Zwischentöne. Ich bin nicht so primitiv, wie man mich hält.
Das Wort „Unternehmerpartei" sollte so ein bißchen Klassenkampfstimmung ergeben, sollte so eine leicht abwertende Bedeutung haben. Wir sind keine Unternehmerpartei.
Wir sind auch keine Bauern- oder Arbeitnehmerpartei.
Wir lassen uns nicht einem einzelnen Stand zuordnen. Ich sage Ihnen dazu heute noch einiges.Aber wir bekennen uns in Wort und Tat zur sozialen Marktwirtschaft und damit auch zum Unternehmertum.
Ich meine jetzt kein Mitglied dieses Hohen Hauses, das ich namentlich nennen könnte, aber ich meine eine ganz bestimmte schleichende Propaganda in unserem Land, wenn ich folgendes sage: Man erweist höchstens der Deutschen Kommunistischen Partei, aber nicht dem deutschen Arbeiter einen Gefallen, wenn man sich an der Verteufelung des Unternehmers als Profitjäger und Ausbeuter beteiligt.
Man kann die Marktwirtschaft auch gefährden, wenn man ein Klima der Unsicherheit und Unruhe erzeugt. Ich unterstelle der Regierung keine bösen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5921
StraußAbsichten, schon deshalb nicht, weil ich glaube, daß die Regierung selbst nicht weiß, welche Absichten sie schließlich verfolgt.
Ich kenne ihre Leitlinien und Idealziele. Aber sie werden immer sehr vage, unverbindlich und jederzeit reversibel ausgedrückt. Ich glaube auch das Bekenntnis des Bundeskanzlers zur Marktwirtschaft, das er abschließend noch so als Amen zu seiner Rede hier abgegeben hat. Aber mit dem Bekenntnis zur Marktwirtschaft sind solche Äußerungen, wie Sie in Mainz gemacht haben, unvereinbar.
Es gibt keinen Zweifel, daß das Klima der Unsicherheit und Unruhe besteht. Ja, man kann schon von einer gewissen Zukunftsangst reden, die sich im Unternehmertum ausbreitet und die da oder dort Resignation erzeugt. Ich meine damit nicht die Tatsache, daß in einem oder in zwei Jahren die Erträge abnehmen oder stark gesunken sind. Das gehört zum normalen Ablauf der Konjunkturzyklen. Ich meine aber folgendes.Erstens. Es sollte Klarheit geschaffen werden, daß die unternehmerische Entscheidungsfreiheit ihrem Wesen nach heute und morgen erhalten bleibt und der private Unternehmer als solcher nicht in Frage gestellt wird durch falschen Reformfanatismus von Weltverbesserern denen ohne ihre eigene Schuld die leidvollen Erfahrungen der Vergangenheit und der arbeitsreiche, dornige Weg des Aufstiegs aus den Trümmern persönlich unbekannt sind
und die deshalb glauben — Sie wissen genau, wen ich meine —, daß mehr und mehr Staat für den kleinen Mann mehr Gerechtigkeit und Wohlstand bringe. Sie würden davon geheilt werden, wenn sie einige Zeit die Segnungen einer zentralistischen Planwirtschaft am eigenen Leibe gespürt hätten.
Von denen, die unter den Augen einer nach links hin milden Staatsautorität den Umsturz unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung gefahrlos predigen und vorbereiten, will ich in diesem Zusammenhang noch gar nicht reden.Zweitens. Es sollte Klarheit geschaffen werden hinsichtlich der durch Reform- und Umverteilungspläne auf die Wirtschaft zukommenden Belastungen.
Wohin geht die Reise in der Steuer- und Sozialpolitik? Die Wirtschaft braucht nichts mehr als Vertrauen, Kontinuität und langfristige Dispositionsfähigkeit. Wo das im Ungewissen durch widerspruchsvolle Erklärungen bald so, bald so beantwortet wird, kann man nicht die heute in der Wirtschaft unbedingt nötigen langfristigen Investitionsplanungen erwarten.
Es geht dabei nicht um ein halbes Prozent mehroder weniger bei der Steuerlastquote. Es gibt natürlich bestimmte Grenzen. Es kommt auch sehr daraufan, wie diese Steuerlast verteilt wird, wie die Struktur der Steuerlastquote ist.
Da wird der Herr Finanzminister im Zusammenhang mit der deutschen Steuerreform und mit der europäischen Harmonisierung noch gewaltige Probleme bekommen.Drittens. Es sollte Klarheit geschaffen werden, daß die Regierung zur Stabilität zurück will. Denn dauernde Inflation schleichender Art erzeugt wirtschaftliches Fehlverhalten aller Beteiligten. Der Wille zur Stabilität erfordert aber leider die Bereitschaft, sich von Illusionen zu trennen, als ob die Wirtschaft alles verkraften und der Staat alles ermöglichen könne.
Viertens. Es sollte auch einmal ganz deutlich mit Autorität gesagt werden, daß Eigentum und Ertrag Voraussetzungen einer funktionierenden Marktwirtschaft und nicht politische Sünden eines verbrecherischen oder fehlerhaften kapitalistischen Systems sind.
Die Regierung wird vermutlich auf alle Fragen positiv reagieren und wird gegenfragen: Ja, wer zieht denn das in Zweifel? Aber man kann Vertrauen nicht durch Beteuerungen erzeugen, sondern nur durch entsprechendes Handeln mit überzeugenden Ergebnissen.Hier muß ein Vorwurf einmal ganz klar ausgesprochen werden. 20 Jahre CDU/CSU waren nicht eine Periode von 20 Jahren Fehlern und Versäumnissen, wie man in Wahlkampfdemagogie behauptet hat, sondern das war der größte Aufstieg der breiten Massen unseres Volkes vom Punkt Null bis zum Jahre 1969.
Wer diese Periode so bezeichnet, wie es immer wieder geschieht, der erweckt Unzufriedenheit und erzeugt Radikalismus in unserem Lande,
der erweckt den Schein, als ob Dinge gemacht werden könnten, ohne weiteres möglich wären, aber am bösen Willen der CDU/CSU gescheitert wären. Und auch Ihnen werden das Gesetz des Möglichen und das Gesetz des Augenmaßes eines Tages noch ganz teuer zu stehen kommen.
Der Aufstieg jener Jahre war im Vergleich mit jeder Umwelt, auch mit Schweden, wo wir den Vergleich ruhig aushalten können, vorbildlich. Trotzdem gehen das große Unbehagen und die schleichende Unzufriedenheit um. Sie führen zu immer höheren Forderungen. Daran ist diese Regierung und sind ihre Propheten nicht unschuldig, weil sie die Leistungen der Vergangenheit, die ihnen überhaupt erlauben, zu Lasten der Zukunft zu sündigen,
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5922 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Straußschlechtgemacht und Wunschbilder entworfen haben vom großen Wunderland der Bundesrepublik Deutschland, beginnend mit dem Jahre i der Zeitrechnung des neuen Bundeskanzlers Willy Brandt.
Ich darf dazu nur drei Feststellungen treffen.Erstens. Man kann nicht die staatlichen Leistungen auf allen Gebieten individuell und gemeinschaftlich gewaltig steigern. Man kann zweitens nicht die Steuerlastquote dann beibehalten und wirtschaftlich rational verteilen und drittens auch noch gleichzeitig den Geldwert stabil halten. Das ist die Quadratur des Zirkels; das geht nicht auf. Aber dieser Eindruck ist erweckt worden. Der Preis, den wir dann den Parolen der Unzufriedenheit und der Unvernunft zu zahlen haben, ist die Inflation.
Darum gibt es auch heute kein Patentrezept oder Kontrastprogramm, wie es immer wieder verlangt wird. Wir müssen wieder zu den Grundsätzen rationalen Handelns in der Wirtschafts- und Finanz-, aber auch in der Lohn- und Preispolitik zurückkehren.
Das bedeutet eine längere Periode von mindestens zwei Jahren Ernüchterung und dann Abschied von den durch leichtfertige Parolen erweckten Hoffnungen.
Ich will das an einem mit der Haushaltsdebatte in engstem Zusammenhang stehenden Problembereich nachweisen. Wohin führt denn die Finanzpolitik dieser Regierung? Bereits für 1971 bestehen Haushaltsrisiken in Milliardenhöhe. Ich erwähne noch einmal die vom Kollegen Leicht in der zweiten Lesung angeführten Stichworte: Steuerausfälle, Personalkosten, Kostensteigerung bei Investitionen, Bundesbahn, Devisenausgleich. Kann Herr Wehner bei der Haushaltspraxis, die bestehende Haushaltsrisiken einfach als nicht existent behandelt, wirklich behaupten — wie in der „Abendzeitung" am 21. Januar —, die Staatsfinanzen seien in Ordnung, und „wir wissen unser Geld in guten Händen"?
Was verstehen Sie unter „guten Händen", Herr Kollege Wehner?
Dem Herrn Finanzminister könnte es vielleicht gelingen, durch gewisse Operationen — Verlagerung der Bundesverschuldung auf die Bundesbahn oder die Offa — 1971 notdürftig über die Runden zu kommen und das volle Ausmaß der Risiken zu überdecken. Aber die Stunde der Wahrheit wird schneller kommen, als sich manche es träumen lassen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Porzner?
Bitte sehr!
Herr Strauß, Sie reden von den Risiken des Haushalts. Warum haben Sie dann heute für eine Vergrößerung dieses Risikos gestimmt?
Wir haben auch dafür einen Deckungsvorschlag gemacht, wie Kollege Althammer ausgeführt hat.
Sie haben heute keinen Deckungsvorschlag gemacht.
Glauben Sie nur ja nicht, daß ich übertreibe. Nachdem die Regierung sich scheut, hier offen Farbe zu bekennen, der Finanzminister sogar eine Informationssperre verhängt — siehe auch die Abschaffung der monatlichen Finanzberichterstattung —, um das Ausmaß der beileibe nicht von ihm allein, sondern von dieser Regierung in ihrer Gesamtheit heraufbeschworenen Finanzmisere ziffernmäßig bekanntzugeben, habe ich ohne Anspruch auf Vollständigkeit und auch auf letzte Genauigkeit — wir haben ja nicht die großen Apparate — versucht, einmal eigene Rechnungen für das Jahr 1974, das Endjahr der Finanzplanung, aufzustellen. Der Herr Finanzminister hat bereits schüchtern angedeutet, daß man zu viele Illusionen gehabt habe. Der Bundeskanzler hat es bestritten. Er hat allerdings bei der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht gesagt: Wenn ich die Regierungserklärung heute neu vorzulegen hätte, würde ich sie natürlich, gestützt auf die Erfahrung, zu manchen Punkten, was den zeitlichen Ablauf angeht und auch was die finanziellen Möglichkeiten angeht, konkreter und präziser formulieren. — Warum haben Sie nicht die Aussprache über den Jahreswirtschaftsbericht benutzt, um nicht nur die Absicht anzudeuten, sondern sie auch in die Wirklichkeit umzusetzen, d, h. alles klarer und präziser zu formulieren?
Wann wird die Regierung den Mut haben, unserem Volke die volle Wahrheit über die von ihr herbeigeführte Finanzmisere des Bundes zu sagen? Der Finanzminister nähert immer weiter die in der Regierungserklärung hervorgerufenen Illusionen, indem er ängstlich den Schleier des Geheimnisses über die in seinem Hause, wenn ich richtig unterrichtet bin, ständig fortgeschriebene Liste der Risiken zieht. Die Liste der Risiken sollte einmal hier von der Bundesregierung bekanntgegeben werden.Der Bundeskanzler beteiligt sich mit vagen Formulierungen auch an diesem Spiel, wenn er, um nur noch ein Zitat zu bringen, den „Rückgang von der ausschließlich an fiskalischen Bedürfnissen orientierten Finanzpolitik zu einer aufgabenorientierten Finanzpolitik" fordert und ebenso nebulos fortfährt:Ein rein fiskalisch gesehenes, gewissermaßen ideales Haushaltsvolumen nützt uns wenig, wenn damit die Weiterentwicklung unseres Gemeinwesens nicht gefördert und die Mangel-
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Straußerscheinungen mit dem Blick auf das Jahr 1980 wenigstens vorprogrammiert werden.Es gibt doch nicht ein ideales Haushaltsvolumen im Sinne einer Restriktion als einem absoluten Gute höchster Ordnung, aber es gibt ein von Erfahrung und rationalen Zusammenhängen geprägtes Maximum oder Optimum, und es nützt gar nichts, aufgabenorientiert inflationär zu wirtschaften, wenn man dann selbst mit 15 % mehr Geld nur weniger bauen kann, als man vorher ohne die 15 % bauen konnte.
Die Haushaltsrisiken, die für das Jahr 1974 auf Grund des jetzt zur Verfügung stehenden statistischen Materials erkennbar und bezifferbar sind, belaufen sich bereits auf eine Größenordnung von rund 10 Milliarden DM, und zwar zusätzlich zu der Deckungslücke,
die im mittelfristigen Finanzplan mit 9,6 Milliarden DM angegeben ist.Falls Sie das als Schwarzmalerei bezeichnen oder mit der unsubstantiierten Behauptung abtun wollen, daß die maßgeblichen Sprecher der Opposition in Wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen gründlich geirrt hätten, so will ich Ihnen gerne wenigstens einige Stichworte sagen. Die Steuerausfälle werden nach der offiziellen Schätzung für dieses Jahr, das ich genannt habe — ich habe bewußt einmal das letzte Jahr genommen; Sie können es dann proportional auf die anderen .Jahre umrechnen —, diese Steuerausfälle für das Jahr 1974 werden sich gegenüber der Finanzplanung auf mindestens 2 Milliarden DM belaufen; für Länder und Gemeinden ebenfalls 2 Milliarden DM. Diesen Ausfällen stehen andererseits gewaltige Ausgabensteigerungen gegenüber, die Lohnexplosion bei den mit besonders hohen Personalkosten belasteten Länder und Gemeinden sowie die starken Baukostensteigerungen mit durchschnittlich 20 % allein im Jahre 1970. Zwei Drittel der öffentlichen Investitionen, im wesentlichen Bauinvestitionen, sind von Ländern und Gemeinden zu finanzieren. Im Bildungsbereich, beim Umweltschutz, in der Krankenhausfinanzierung tragen doch die Länder und die Gemeinden die Hauptlast, und ihnen entstehen Mehrkosten, da es sich durchweg um Aufgaben handelt, deren Schwerpunkt bei Ländern und Gemeinden liegt. Wenn man den Ländern und Gemeinden bis 1974 nur einen Ausgleich für die Steuerausfälle gibt, die Kostensteigerungen — personell und investiv — nur teilweise berücksichtigt und die finanziellen Konsequenzen der Reformprogramme völlig außer acht läßt, müßte der Bund von seinem Steueranteil, nur um die drei Dinge, Ausgleich für Steuerausfälle, teilweise Berücksichtigung der Mehrkosten und keine Rücksicht auf Reformprogramme, zu nennen, den Ländern und Gemeinden mindestens 3 Milliarden DM überlassen.Ich weiß, wie schwer es der Bundesfinanzminister hat, ich weiß, warum er gesagt hat: Ich kann die Wünsche der Länder nach einem höheren Anteilan der Umsatzsteuer nicht erfüllen. Das weiß ich ganz genau. Sie können aber auch an dem nicht vorbeigehen, was ich hier gesagt habe: Noch nie waren die Gemeinden finanziell in einer so miesen Situation wie der, in die sie heute durch diese inflationäre Politik gekommen sind.
Herr Bundeskanzler, ich habe heute ein wunderbares Bild in der Süddeutschen Zeitung gesehen: Der OB beim Bundeskanzler:Im Mittelpunkt einer Aussprache zwischen Vogel und Brandt stand die Tatsache, daß die Investitionskraft der Städte vor allem als Folge des Ansteigens der Bau- und Personalkosten auf einen so niedrigen Stand gesunken ist, daß die notwendige Fortführung der öffentlichen Investitionen gefährdet erscheint.
Das nach 15 Monaten Reformpolitik!
Der Bundeskanzler betonte,- so heißt es daß die Bundesregierung die Entwicklung der finanziellen Situation der Städte und Gemeinden, vor allem die möglichen Rückwirkungen auf die öffentlichen Investitionen, mit Aufmerksamkeit verfolge.
Er versicherte, die Bundesregierung werde alles ihr Mögliche tun, um Städten und Gemeinden bei der Überwindung dieser Schwierigkeiten zu helfen.
Sagen Sie doch, was möglich ist, Herr Bundeskanzler, nicht nur daß Sie das „mit Aufmerksamkeit verfolgen und alles tun, was möglich ist". Die Gemeinden wären mehr daran interessiert zu wissen, was möglich ist, als zu hören, daß Sie das tun würden, was Sie für möglich halten, aber nicht sagen, was nach Ihrer Meinung möglich ist.
Heute ist es bereits so, daß die Gemeinden trotz der Verbesserung ihrer Finanzlage durch die Gemeindefinanzreform in der Zeit der Großen Koalition um 2,6 Milliarden DM jährlich weniger für Zwecke des Verkehrsausbaus sowie für ihre kulturellen und sozialen Aufgaben aufwenden können als jemals zuvor. Allein den Verbesserungen auf der Einkommensseite in Höhe von 2,6 Milliarden DM durch die damals durchgeführte Gemeindefinanzreform stehen im Jahre 1970 Baukostensteigerungen allein bei den Gemeinden in Höhe von 2,6 Milliarden DM gegenüber. Die Mehrkosten auf der personellen Seite betragen 1,7 Milliarden DM, und genauso hoch ist die Deckungslücke bei den deutschen Gemeinden. Die Finanzlage der Gemeinden ist unerhört schwierig. Dort macht sich schon nach einem Jahr der neuen Regierung die Auffassung breit, daß die Gemeinden unter den so ge-
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Straußlästerten CDU/CSU-Regierungen besser gefahren seien als in den 15 Monaten der neuen Ära.
Ich fahre mit der Projektion fort. Für 1974 sind die personellen Mehrausgaben für den Bund gegenüber der Finanzplanung mit plus 400 Millionen DM sehr niedrig angesetzt. Ein noch höheres Ausgabenrisiko ergibt sich im Bereich der dynamisierten Sozialausgaben, weil die Ausgabenschätzungen noch auf anderen, falschen Lohnerwartungen beruhen. Für 1974 sind 1200 Millionen DM sowie 400 Millionen DM von den Bausparprämien das Minimum.Ein ganz trübes Kapitel sind die Finanzen der Bundesbahn. Der Kanzler und der Verkehrsminister haben seinerzeit eine Befreiung von den Altschulden angekündigt. Die Regierung zwingt aber jetzt die Bundesbahn, durch zusätzliche Schuldenaufnahme ihren Verlust zu decken.
Der Zuschußbedarf für das echte Defizit bei der Bundesbahn — dabei rechne ich die Ausgleichszahlungen, die einkommenswirksamen Leistungen für Sozialtarife, die Leistungen für Kriegslasten usw. nicht mit — ist im Jahre 1971 schon größer, als der Bundesverkehrsminister der letzten Regierung, derselbe wie heute, bei Nichtannahme des Leber-Plans für das Jahr 1972 angedroht hatte. Das ist die Wirklichkeit.
— Für das Jahr 1974 sind Zahlungen des Bundes an die Bahn von insgesamt 4,9 Milliarden DM vorgesehen. Wenn Sie nicht 6 Milliarden DM einsetzen, kommen Sie trotz der geplanten Tariferhöhungen nicht hin.Es geht auch nicht an, ein großartiges Programm für die Krankenhausfinanzierung zu verkünden und dafür nur Zinszuschüsse zu veranschlagen. Der Bundesanteil an der Krankenhausfinanzierung in Höhe von 0,6 Milliarden DM — die Länder rechnen übrigens mit 300 Millionen DM mehr — muß eines Tages voll in den Haushalt eingestellt werden.
Allein die bisher aufgezählten Risiken ergeben schon einen Betrag von beinahe 9 Milliarden DM.Dazu kommen aber weitere Festlegungen der Regierung, z. B. die Erhöhung der Verteidigungsausgaben in den Jahren 1971 bis 1975 für ein European Defence Improvement Program in Höhe von 1,8 Milliarden DM außerhalb des normalen Verteidigungshaushalts. Darin sind die Mittel in Höhe von 400 Millionen DM pro Jahr, die die Wehrstrukturkommission zusätzlich fordert, nicht einbegriffen. Da für das Jahr 1971 keine Mittel eingesetzt sind, müßte für die Jahre 1972 bis 1975 rund eine halbe Milliarde DM im Verteidigungshaushalt für das eingeplant sein, was Herr Schmidt in der NATO-Sitzung versprochen hat.Für die landwirtschaftliche Krankenversicherung sind nach dem vom Kabinett gebilligten Ressortentwurf ab 1974 zusätzliche Aufwendungen in Höhe von 400 Millionen DM notwendig, die in der Finanzplanung nicht vorgesehen sind, für die Zonenrandförderung — wenn man den Begriff überhaupt noch gebrauchen darf — 80 Millionen DM mehr pro Jahr. Der im Regierungsentwurf eines Postverfassungsgesetzes enthaltene Teilverzicht auf die Postablieferung, der natürlich seinen guten Grund hat, bringt Mindereinnahmen von 300 Millionen DM. Damit steigen die Gesamtrisiken wirklich um etwa 10 Milliarden DM.
Es sind zwar Verfügungsmittel in Höhe von 4,2 Mil-harden DM vorgesehen, aber es gibt noch eine Vielzahl weiterer kleiner und kleinster Risiken,
die in der Addition, wenn man noch an die perspektivische Verzerrung denkt — Einnahmen zu hoch, Ausgaben zu niedrig geschätzt, die Erfahrung sämtlicher Finanzplanungen —, auch die Verfügungsmittel aufbrauchen werden.Dicke Brocken fehlen aber noch. Für 1974 stehen keine Mittel mehr für den Aufwertungsausgleich zugunsten der Landwirtschaft zur Verfügung. 1973 sind es noch 780 Millionen DM, 1974 gibt es nichts mehr. Zahlenmäßig zwar nicht bestimmbar, aber im Umfang erheblich ist auch das Risiko für den Devisenausgleich. Dabei will ich das Kapitel eventueller Ausgabenrisiken als Folge der Ostpolitik gar nicht in Ansatz bringen. Kurzum, die Finanzierungslücke, die im Jahre 1974 entsteht, wenn die Regierung nicht ganz gewaltige Abstriche macht, beläuft sich auf 17 bis 18 Milliarden DM.
Dazu kommt noch etwas, was man in konkreten Zahlen noch nicht angeben kann. Ich verfüge ja hier nicht über ausreichende Informationen. Aber ohne Zweifel beabsichtigt man — und die Absicht ist gar nicht schlecht, wie die Absichten ja nie schlecht sind —, auch im Gebiet der Lohn- und Einkommensteuer in der Steuerreform Verbesserungen zu bringen, aber Verbesserungen, deren Gesamtwirkung in der Höhe einer ganzen Anzahl von Milliarden liegt, die man nicht im gleichen Bereich durch Tarifänderungen ausgleichen kann, weshalb man schon auch aus diesem Grunde dann an die Umsatzsteuer wird herangehen müssen in der Hoffnung: ich wollte, es wäre Nacht, oder die Preußen kämen — d. h., ich wollte, es wäre Nacht, oder die Europäer würden uns die Ausrede ermöglichen, die Umsatzsteuer erhöhen zu dürfen.
— Dann sagen Sie mir, wie Sie diese Deckungslücke von 17 bis 18 Milliarden DM plus den Steuerausfall, wenn Sie unter dem Stichwort „soziale Gerechtigkeit" in der Lohn- und Einkommensteuer die geplanten Änderungen durchführen wollen, zu schließen beabsichtigen! Diese Frage dürfen wir doch hier stellen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5925
StraußDann kommt ,die Stunde der Wahrheit, die Stunde der Besinnung; denn diese Finanzpolitik steuert auf einen Punkt zu, an dem sie weder durch erhöhte Kreditaufnahme noch durch Steuererhöhungen in ,der Lage sein wird, die mit bombastischen Ankündigungen versprochenen Reformen zu finanzieren.Vielleicht haben Sie vor kurzem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Artikel aus Stockholm von Claus Gennrich gelesen, daß die schwedische Regierungspartei ihre Wirtschaftspolitik mit ihren inflationären Folgen hat bitter bezahlen müssen. In der Hochkonjunktur habe die Lenkung versagt; dafür würden jetzt die Rufe nach mehr und mehr Sozialisierung vernehmlicher. Wenn man die Marktwirtschaft funktionsunfähig macht, dann ihre Auswüchse beklagt und dann ihre Abschaffung verlangt, so ist das doch der Weg des Unheils, der bei uns nicht gegangen werden darf.
Sozialisierungsideologie kann den Mangel an vernünftiger Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht wettmachen.Wir brauchen eine Regierung ohne Illusionen, die unserem Volke reinen Wein einschenkt, ihm die Wahrheit über die Finanzmisere mitteilt, eine Misere, die ohne Änderung des Kurses in die Finanzkrise hineinsteuern muß. Hier ist es Sache der Regierung, die Vorschläge zu machen, wie die Finanzkrise aufgehalten werden kann, und nicht von uns dann Kontrastprogramme zu verlangen, wenn es zu spät ist. Die Opposition ist bereit, die Regierungsvorschläge positiv zu prüfen und sich auf dem Wege der Rückkehr zur Stabilität — —
— Sie meinen den Juli letzten Jahres, Herr Kollege Schäfer? Hätten Sie, statt Steuersenkungen im Oktober 1969 für den 1. Januar 1970 zu versprechen, es dann aber endlos zurückzustellen, das bereits im Oktober 1969 gemacht, so hätten Sie mich an Ihrer Seite gehabt, weil ich es öffentlich angekündigt habe.
Diese finanzpolitischen Krisenprobleme sind dank einer regen Regierungspropaganda und der Arbeit ihrer publizistischen Herolde der wenig informierten Öffentlichkeit nur ungefähr bewußt. Aber Unruhe, Unsicherheit, Unbehagen, Zukunftsangst sind weit verbreitet. Das hängt nicht nur damit zusammen, sondern auch mit anderen Dingen, die ich vielleicht nicht angesprochen hätte, Kollege Schäfer, wenn Sie nicht in der letzten Woche so einen etwas holzgeschnitzten Beitrag zur Parteienanalyse geliefert,
die CSU als eine weit rechts stehende Partei bezeichnet und mir eine gefährliche Gratwanderung — mir ist nachträglich noch das Gruseln gekommen —
hart am Rande der Rechtsradikalen unterstellt hätten.Dazu drei Bemerkungen.Erstens. CDU und CSU sind und bleiben Parteien der Mitte, mit scharfer Abgrenzung zu jenem irrationalen und verhängnisvollen Rechtsradikalismus, der mit dem Linksradikalismus mehr gemeinsam hat als mit uns.
Zweitens. CDU und CSU bieten auch denen eine politische Heimat, die ein durch Geschichte gereiftes und durch persönliche Erfahrung geläutertes Nationalbewußtsein haben und ein von obrigkeitsstaatlichem Denken freies, aber die Staatsautorität bejahendes Verhältnis der staatlichen Ordnung demagogi — —
- demokratischer Prägung besitzen.
Drittens. Wenn Herr Kollege Schäfer uns als Rechtsparteien bezeichnet — die CSU noch ein bißchen mehr als die CDU —, so hat das nichts mit unserem politischen Standort zu tun, sondern damit, daß die SPD unter dem Druck der Jungsozialisten ihren Standort nach links verlagert hat und weiterhin verlagern wird.
In dem Fall hat der Beobachter seinen Platz gewechselt und beschimpft diejenigen als weit rechtsstehend, mit denen er früher gemeinsame Auffassungen, jedenfalls dem Wortlaut nach, vertreten hat.
Ich halte diese Rede nicht aus Verteidigungsgründen, sondern aus Gründen der Feststellung von Tatsachen. Haben nicht die Herren Ollenhauer, Brandt und Wehner vor gar nicht so vielen Jahren in einem Aufruf zum Schlesiertreffen die Parole ausgegeben: Verzicht ist Verrat?
Haben sie damit nicht Ihre Ostpolitik von heute damals als Verrat bezeichnet?
Das waren doch Sie selber, nicht wir! Die Antwort, die der heutige Bundeskanzler in einem Interview mit der „Rheinischen Post", das im Bulletin abgedruckt wurde, auf eine an ihn gerichtete Frage gegeben hat, ist für ihn bezeichnend. Die Frage lautete:Herr Bundeskanzler, wenn Hinnahme dessen, was östlich von Oder und Neiße in den letzten 25 Jahren geschehen ist — und es spricht einiges dafür, daß es hingenommen werden muß —: Warum gibt es dann nicht eine Verbindung mit dem Selbstbestimmungsrecht der Deutschen westlich jener beiden Flüsse? Ich denke an das, was Ihr verstorbener Parteifreund Fritz Erler noch kurz vor seinem Tode geschrieben hat, daß
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5926 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Straußdie Polen von zwei völlig widersprüchlichen Voraussetzungen ausgehen, wenn sie die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie fordern, daß sie einmal sagen, es gebe zwei getrennte souveräne deutsche Staaten, und zum anderen, der nicht an sie angrenzende Staat müsse ihre Westgrenze anerkennen. Erler hat damals gesagt, keine deutsche Regierung könne vor einer Friedenskonferenz dies auch nur de facto anerkennen, solange nicht ein Schritt nach vorne getan wird zur Verwirklichung der Selbstbestimmungsrechte.Antwort des Bundeskanzlers:Ich habe ähnlich argumentiert. Insofern ist mirdas alles nicht fremd. Ich habe ähnlich argumentiert und meine Auffassungen stark modifiziert.Es folgen dann noch weitere Äußerungen.Meine Damen und Herren, solche Aussagen erzeugen doch das Klima der Unstabilität, der Unsicherheit und Unruhe. Was damals, vor wenigen Jahren ein heiliges Bekenntnis war — wenn damals jemand etwas anderes gesagt hätte, hätten Sie ihn einen Verräter geheißen —, haben Sie jetzt einfach modifiziert. Was wollen Sie denn noch modifizieren? Mit welchen weiteren Modikationen müssen wir denn noch rechnen? Das ist es doch, was uns beunruhigt. Nichts könnte die Kurzatmigkeit und Hektik dieser Ostpolitik deutlicher kennzeichnen.Oder stimmt es nicht, Herr Wehner, daß Sie sich — allerdings schon vor einiger Zeit — als ein Anhänger der Schumacherschen Politik bezeichnet haben, als Anhänger der Politik eines Mannes, der um jeden Quadratmeter deutschen Boden kämpfen wollte. Sollen wir uns deshalb als Nationalisten beschimpfen lassen oder mit dem Stempel des Rechtsradikalismus diffamieren lassen, nur weil wir heute noch dasselbe sagen, was die SPD-Führung vor wenigen Jahren als selbstverständlich und legitimen Ausdruck deutscher Politik vertreten hat?
In diesem Hause und in der deutschen Öffentlichkeit wirft man uns vor, daß wir in die Politik der fünfziger Jahre zurückfallen wollten. Diese Politik war im übrigen gar nicht so schlecht, wenn man sie mit der heutigen vergleicht.
Die „Prawda" hat am 29. Januar geschrieben, daß die Unionsparteien in der Krise ihrer archaischen Politik verharren wollen. Andererseits hat der Bundesminister Eppler vor einem anderen Forum, in der Columbia University in New York, erklärt, Brandt setze die Politik Adenauers fort.
Drüben ist diese Visitenkarte gut zu gebrauchen.Als die CDU im Wahlkampf 1969 - Herr Bundesminister für Gesamt-, nein es heißt ja jetzt für innerdeutsche Beziehungen, hören Sie jetzt gut zu! — die prinzipielle Einigkeit der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien in der Deutschland-Politik in Frage stellte, mit einem Fragezeichen versah und sich dabei in erster Linie an die Aresse der SPD wandte, schrieb Egon Franke an Kurt Georg Kiesinger ein Telegramm:Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Mit Bestürzung habe ich zur Kenntnis genommen, daß die CDU versucht, die prinzipielle Einigkeit der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien in der Deutschland-Politik in Frage zu stellen.
In der Vergangenheit war es gerade die besondere Stärke unserer deutschen Position, daß die im Bundestag vertretenen Parteien bei allen sonstigen Meinungsverschiedenheiten in dieser Schicksalsfrage unseres Volkes im Grundsatz eine einheitliche Auffassung hatten. Unter Ihrem Vorsitz, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, hat die Bundesregierung noch am 30. Mai eine Grundsatzerklärung zur Außen-und Deutschland-Politik beschlossen. Sie kennen die Wortlautprotokolle der Besprechungen in Moskau, die ich zusammen mit meinen Fraktionskollegen Schmidt und Möller geführt habe. Sie wissen sehr genau, daß wir dort die einheitliche deutsche Meinung vertreten haben. Ich kann nicht umhin, dieser Äußerungen der CDU, deren Vorsitzender Sie zugleich sind, innenpolitisch als Brunnenvergiftung und außenpolitisch als Schaden für unser Volk zu bezeichnen.
Wer die gemeinsame Haltung in der Deutschlandfrage in Zweifel zieht, nutzt dadurch nur dem Gegner der deutschen Frage. Um Schaden von unserem Volke abzuwenden, fordere ich Sie daher in Ihrer Eigenschaft als Bundeskanzler auf, in aller Öffentlichkeit eine Klarstellung vorzunehmen.
Hatte die CDU — die CSU war an dieser Tat nicht beteiligt — nicht recht, als sie der SPD zutraute, die Deutschlandpolitik in absehbarer Zeit zu ändern? Was soll denn dieser Brief des Herrn Franke?
Wer hat denn die damalige Plattform der Gemeinsamkeit verlassen? Sie oder wir? Sie sind doch nicht mehr bereit, den damaligen Beschluß der Bundesregierung und die Erklärung des Bundestages vom Mai 1969 zu wiederholen, auf die sich Herr Franke hier berufen hat. Sie sind deshalb nicht dazu bereit, weil Sie Ihre Position aus falschen Denkansätzen heraus unter selbst gesetztem Zeitzwang und freiwillig gewähltem Erfolgsdruck aufgegeben haben
und deshalb heute laufend der Gefahr sowjetischer Erpressung ausgesetzt sind.Siehe dieses Mysterienspiel mit den Äußerungen sowjetischer Diplomaten! Das ist doch ein Mysterienspiel: Zuerst brachte die Hearst-Presse eine Meldung; natürlich hat die Hearst-Presse das geschrieben, was sie erfahren hat. Dann kam eine leichte Abschwächung. Dann kam wieder das Dementi von der Sowjetbotschaft in Bonn; dann kam
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5927
Straußwieder dieselbe Behauptung von Herrn Lopatin aus Moskau. Dann zog die Regierung in ihrer Verzweiflung zur Widerlegung dieses Eindrucks einen Weihnachtsbrief heraus, der längst vorher geschrieben war.
Ich möchte mich damit nicht mehr im einzelnen befassen. Ich möchte nur folgendes sagen: Sie wissen doch, daß in der letzten Nummer von „Sowjetunion heute", herausgegeben von der Sowjetbotschaft in Bonn, ganz klar behauptet wird, es gebe keinerlei Zusammenhang zwischen einer befriedigenden Berlin-Lösung — dieser Begriff wäre auch noch zu klären, weil die Interessenlage hüben und drüben total verschieden ist — und einer Ratifizierung der Verträge.
Das sagt in dieser Zeitschrift derselbe Botschafter, der offiziell das Interesse Moskaus an der Ratifizierung der Verträge versichert.Ich bestreite gar nicht, Herr Bundeskanzler, daß Herr Bahr, Herr Franke und Sie die Sache Berlins in Moskau vertreten haben. Sie müssen aber auch die unzähligen Äußerungen der Sowjetpropaganda und ihrer Filialen sehen: die bulgarische Nachrichtenagentur, der stellvertretende ungarische Außenminister, Tribuna Ludu, Rudé Právo usw. Einheitlich schallt es aus diesem Propagandawald, niemals sei bei den Verhandlungen in Moskau ein Junktim zwischen der Ratifizierung der Verträge und einer befriedigenden Berlin-Lösung Gegenstand der Diskussion gewesen.
Ich glaube Ihnen, Herr Bundeskanzler, ich gebe Ihnen recht, daß Sie sich der Diskussion gestellt haben, aber Sie haben einen Partner gehabt, den Sie vor Ihrer Unterschrift so hätten festlegen müssen, daß er hernach nicht behaupten kann, das alles stimme nicht!
Es wird doch kein Mensch glauben, daß angesichts der staatlichen Zwangssteuerung von Presse, Rundfunk und Fernsehen in diesem Bereich Presse-, Rundfunk- und Fernsehorgane wider den Willen der sowjetischen Regierung das Junktim leugnen, während die sowjetische Regierung in Übereinstimmung mit dem deutschen Bundeskanzler und seinem Außenminister selbstverständlich nach wie vor an diesem Junktim festhält! Das wird doch kein Mensch glauben. Radio Moskau bringt doch genau das, was die Sowjetregierung als ihren Standpunkt vor der Welt verkündet wissen will.
Lassen Sie mich einen letzten Bereich ansprechen. Herr Kollege Schäfer, Sie meinten, es gebe für die SPD kein Problem mit ihren Jungsozialisten. So haben Sie es wörtlich gesagt.
Sie brauchen sich über rechtsradikale Tendenzen beider CDU/CSU gar keine Sorgen zu machen. Wirbleiben, was wir sind! Aber bei Ihnen hat die große Drift eingesetzt.Ich biete Ihnen ein paar Beispiele dafür; Sie können sich ja hier oder anderswo dazu äußern.
Der Bundesvorsitzende der Jungsozialisten sagte:Diese sozialistische Zielsetzung der Jungsozialisten kann durch parlamentarische Entscheidungen allein nicht erreicht werden.Der Oberbürgermeisterkandidat der SPD für Rosenheim — eine nicht unwesentliche Position — sagte laut Juso-Informationen vom November 1969: „Die personelle Vermögensverteilung kann radikal verändert werden durch die Expropriation der Expropriateure." Der Juso-Unterbezirksvorsitzende Adolf Salzer in Dillenburg, Hessen — hören Sie genau zu, jetzt wird es nämlich ganz ernst —, schreibt:Allmählich muß auch die SPD ihre Positionen gegenüber der SED überprüfen. Die SED stützt sich in ihrem Staat unter den besonderen Bedingungen, die sich auf der Grundlage dieses ersten sozialistischen Staats auf deutschem Boden ergeben haben, auf revolutionäre Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung.Und wo ist das geschrieben worden? In der kommunistischen Zeitung „UZ", dem offiziellen Organ der DKP, im Februar 1970.
Es heißt weiter:Je attraktiver die DDR in wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hinsicht ist, desto größer werden unsere Chancen.Wer sind denn „unsere"?Kundgebung am 8. Mai 1968 in München; Einlader: VVN, Karl-Marx-Gesellschaft, Vietnam-Komitee für Friedens- und Befreiungskampf, ein Sprecher vom SDS, ein weiterer vom SDS, Herr Stöckel von der DKP, Hans Ulrich Spiegel von der SPD, nunmehr Kandidat für den Landesvorsitz der Jungsozialisten in Bayern. 8. Mai 1970 in München: gemeinsame Einladung von DKP und Jungsozialisten „gegen die Komplizenschaft der Bundesregierung mit den Völkermördern in Kambodscha". Das richtet sich gegen die eigene Adresse.Ich könnte Ihnen eine ganze Serie von ähnlichen urkundlich belegten Dokumenten vorlegen. Und da sagen Sie, Herr Schäfer, indem Sie die CSU als weit rechts stehend bezeichnen, daß Sie keine Probleme mit den Jungsozialisten hätten,
Herr Abgeordneter Strauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kahn-Ackermann?
Ich darf den Absatz noch zu Ende bringen.Man trägt das Lenin-Abzeichen, wie der Herr Bleibinhaus, der Oberbürgermeisterkandidat der SPD
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5928 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Straußin Rosenheim. Man trifft sich mit dem Bezirksstadtrat Hoffmann aus Gera, wie der wiedergewählte Vorsitzende der Jungsozialisten in München. 8 Mitglieder der Münchener SPD nehmen vom 26. November bis 30. Novemebr 1970 mit Wissen des Parteivorstands an einer Engels-Feier in der DDR teil. Der Sprecher des Sozialistischen Hochschulbundes, der nach wie vor — oder jetzt wieder — von der SPD finanziert wird, befürwortet eine gemeinsame Front mit der DKP und anderen linksradikalen Gruppen. Dutzende von gemeinsamen Veranstaltungen mit SDAJ und anderen Organisationen kommunistischer Provenienz.Was tut denn die SPD-Führung? Ich behaupte nicht, daß sie für diese Politik ist. Aber sie laviert und manövriert, sie weicht aus. Sie ist zu schwach, sich mit ihren Vorstellungen durchzusetzen, auch innerlich gespalten.Hat nicht Herbert Wehner auf dem Kongreß in Bremen der CDU faschistische Strukturen vorgeworfen?
— „Sehr richtig"? Das ist bezeichnend für Ihre Denkweise. Hat er nicht in derselben Rede den Verteidigungsminister Helmut Schmidt öffentlich gescholten und ihn lästerlicher Reden bezichtigt, die ihm nicht verziehen werden sollten — eine Gehorsamsübung vor den Jungsozialisten —, über die man aber mit ihm reden müsse. „Ja, das tue ich," sagte Herbert Wehner wörtlich, „ich verzeihe ihm manches nicht, aber ich rede mit ihm wenigstens." Derselbe Herbert Wehner hat in Bremen vor demselben Kongreß „HSV" — gemeint war Hermann Schmitt-Vockenhausen — öffentlich bloßgestellt, weil er weiß, daß dieser HSV bei den Jusos, wie man bei uns sagt, im Bierverschiß ist.
Er hat von berechtigten Klagen gegen HSV gesprochen, er hat sie nicht unbeträchtlich genannt und wörtlich hinzugefügt: „Ich sage ihm das auch direkt, und ich habe es ihm gesagt, und da gibt es manches, was nicht wiedergutgemacht werden kann." Es sind doch keine Greuelmärchen, daß es anschließend in einigen SPD-Gremien zu recht deftigen Auseinandersetzungen gekommen ist.Herr Kollege Schäfer, zum Abschluß dieser Dokumentation muß ich Sie an die unglaublichen Vorgänge beim Lehrlingskongreß der Jusos am 28./29. November erinnern. Teilnehmergruppen: Jungsozialisten, Gewerkschaftsjugend, Kommunistischer Jugendverband Deutschland, KPD, Kommunistische Jugend Spartakus und dann noch eine Reihe revolutionärer kommunistischer Gruppen, Trotzkisten, Maoisten usw. Die SDAJ trat nicht geschlossen in Erscheinung, sie war aber durch Mitglieder in verschiedenen Gewerkschaftsgruppen und durch Beobachter vertreten. Ich bin aus Zeitgründen nicht in der Lage, den Ablauf des Kongresses zu schildern.
— Ja, das ist schade. Am zweiten Tag ging dieKonferenz nach wenigen Diskussionsbeiträgen imTumult ohne Abschluß unter. Unter Schwenkenzahlloser roter Fahnen skandierten die Sprechchöre: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!"„Arbeiterverräter!" und sangen die Internationale. — Aber Sie haben ja kein Problem mit den Jusos!
Im Gegensatz zu den Jungdemokraten haben sich die Jungsozialisten in Bonn von diesem Strauß-Guttenberg-Tribunal, von dem Prozeß à la Guinea oder dem maoistischen Volksgericht oder dem Reinigungsprozeß à la Sowjetunion in der Stalin-Zeit distanziert. Aber das ist ein Beispiel für das, was auf uns zukommt,
wenn das so weitergeht. Das ist Terror, der hier versucht wird!
Die Jungsozialisten haben sich davon distanziert, aber teilgenommen haben sie auch, und Konsequenzen sind nicht daraus gezogen worden.Ist jetzt dem Assistenten gekündigt worden? Ich wünsche dem jungen Mann alles Gute. Er ist nur ein Opfer Ihrer Bildungspolitik geworden,
wenn er sagt: das ist das heilige Bündnis zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten.Merken Sie denn nicht, wie sich diese Grenzzone zwischen Ihnen und der DKP immer mehr ausdehnt und daß Sie es nötig haben, sich hier scharf, ein- a deutig und mit Konsequenzen abzusetzen, und zwar so abzusetzen, daß Mißdeutungen und fließende und schwimmende Grenzen nicht mehr möglich sind? Das liegt in Ihrem Interesse und in unserem gemeinsamen Interesse.
Deshalb möchte ich Sie auch warnen — das sei mein letztes Wort —, warnen davor, durch Ausdrücke wie „rechte APO", „Rechtskartell" — was sie, Herr Apel, bei der Debatte in den Mund genommen haben —
einen Spaltungsprozeß zu unterstützen, dessen politische und strategische Architekten in Moskau sitzen.
Während früher alle demokratischen Parteien in diesem Lande unter Beschuß aus dieser Quelle waren, hat man jetzt begonnen, aufzuteilen zwischen guten und schlechten Deutschen.
Die guten Deutschen: das sind die, die für Sicherheit, für Entspannung, für Frieden und deshalb für die Verträge sind. Die schlechten Deutschen sind die, die gegen Entspannung, gegen Frieden, für Krieg und deshalb gegen die Verträge sind.
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StraußUnd da kommen ganz drohende Untertöne von Bundesminister Ehmke, von Herrn Wienand einmal oder auch von Herrn Wehner, drohende Untertöne, daß es hier um Krieg oder Frieden gehe beim Ja oder Nein zu den Verträgen. Ich gebe Ihnen recht, Herr Wehner, wenn Sie vom „Desaster" reden. Ein Desaster besteht darin, daß Sie sich in Ihrer Ostpolitik in eine ausweglose Lage versetzt haben, unter der wir alle leiden!
Herr Abgeordneter Strauß, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Und deshalb sollten Sie sich nicht daran beteiligen, die Demokraten in Deutschland aufzuteilen in die guten, die Sie sind, und das Rechtskartell, dem die CDU und die CSU angehören. Das Wort „Rechtskartell" ist in Moskau erfunden worden,
und Sie sollten sich wirklich hüten, durch Annäherung an die kommunistische Spaltungsphraseologie und -dialektik dieses Ziel zu unterstützen, gleichgültig, ob wir zu diesen Verträgen ja oder nein sagen.
Die Kritik kann man auch nicht mundtot machen, indem man ihre Organe bedroht, wie etwa mit den Drohungen gegen die Springer-Presse, der — auch jetzt wieder im Zusammenhang mit den Veröffentlichungen der Hearst-Presse — einfach Fälschungen vorgeworfen werden. Herr Steffen hat das angedeutet; ebenso kamen andere drohende Äußerungen aus dem Regierungslager, so von Herrn Wischnewski und dem Sprecher der Bundesregierung.
Die Opposition auch in der Publizistik ist heute nötiger denn je, weil unsere Gesellschaft heute des-informierter ist denn je.
Was haben Sie denn gemeint, Herr Bundeskanzler, als Sie die nicht regierungskonformen Presseorgane der „negativen Gleichschaltung" — ein Jargon aus dem Dritten Reich — bezichtigt haben? Ist denn jeder negativ gleichgeschaltet, der Ihre Politik nicht laut lobt und bewundert?
Was wird hier für eine Stimmung, für eine Atmosphäre erzeugt! Hier wird die Vergiftung geschaffen, wird Kritik schon als Majestätsbeleidigung und als Sünde gegen die Nation ausgelegt.
Herr Abgeordneter Strauß, ich muß Sie noch einmal auf den Ablauf der Redezeit aufmerksam machen.
Sie haben eines erreicht: die Russen versuchen durch Wechselbäder, Sie unter Druck zu setzen, wobei die Kaltduschen überwiegen. Der Westen wird trotz aller gegenteiligen Beteuerungen unsicherer und kühler. Unser Volk wird immer unruhiger, weil es ein Gespür dafür hat. Die wirtschaftliche Lage wird verworrener, die finanzielle Stabilität wird geringer,
und auch die innere Sicherheit in unserem Lande wird geringer.
Das ist die Bilanz einer Regierung, die ausgezogen ist, Deutschland zu verändern. Sie hat begonnen, Deutschland zu verändern,
aber nicht zum Guten.
Sie haben gesagt, Herr Wehner, es gehe darum, möglichst viele irreversible, d. h. nicht widerrufbare, Tatbestände zu schaffen. Sie weisen mit Stolz auf diese oder jene soziale Leistung hin, die Ausdruck unserer Wirtschaftskraft ist, eine Selbstverständlichkeit. Die Inflation von Worten und Währung kann nicht über die Gefahren und Rückschläge hinwegtäuschen, die bereits heute, Herr Bundeskanzler, Ihnen — dessen guten Willen wir gar nicht bestreiten — den Charakter des Tragischen verleihen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hermsdorf, Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 45 Minuten erbeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht sollten wir einen Augenblick unterbrechen, bis die Damen und Herren, die erschöpft sind, den Saal verlassen haben.Ich möchte bei meinen Ausführungen die Rede des Kollegen Strauß teilen. Der erste Teil seiner Rede betraf den finanzpolitischen Teil, und der zweite ging die allgemeine Politik und die Außenpolitik an.
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5930 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Hermsdorf
Sie gestatten mir, daß ich für meine Fraktion nur den ersten Teil Ihrer Rede behandle, weil ich der Auffassung bin, daß wir als Fraktion hier auch einmal die Ziele und die Grundlagen dieses Haushalts darzulegen haben.Herr Kollege S t r a u ß, im finanzpolitischen Teil Ihrer Rede haben Sie einen Ausflug in die Finanzplanung bis 1974 und 1975 gemacht, dazu KassandraRufe ausgestoßen und angekündigt, man werde sich an das erinnern müssen, was Sie zum Haushalt 1970 und zum Haushalt 1971 gesagt haben. Wenn man sich aber nun an das erinnert, was Sie im Sommer und im Herbst des vorigen Jahres zu 1970 und 1971 gesagt haben, und es mit dem vergleicht, was Sie heute dazu sagen, stellt man fest, daß von Ihren damaligen Kassandra-Rufen zu diesen beiden Haushalten nichts übrigbleibt.
Ich bin sicher, daß dasselbe für Ihre Kassandra-Rufe zur mittelfristigen Finanzplanung gelten wird.
— Herr Kollege Leicht, ich bitte, nicht gleich beim ersten Satz schon wieder mit Zwischenfragen anzufangen. Lassen Sie mich auch einmal meine Gedanken zu Ende führen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen heute am Ende der Beratung des zweiten Haushalts, der von einem sozialdemokratischen Finanzminister eingebracht worden ist und der von der sozial-liberalen Koalition getragen und gestützt wird. In diesem Haushalt schlagen sich die Ziele und die Auffassungen dieser Regierung nieder. Es lohnt sich deshalb, einmal Bilanz über die Tätigkeit dieser Regierung zu machen. Seit Bildung dieser Regierung im Jahre 1969 ist die noch vor wenigen Jahren völlig eingefrorene deutsche Politik im Innern wie nach außen nun endlich in Bewegung gekommen.
Ich ziehe heute vor diesem Haus eine Bilanz dieser beiden Haushalte, nicht um in der Öffentlichkeit rechthaberisch die Erfolge dieser Politik nachzuweisen, sondern um ganz deutlich zu machen, was diese Regierung bisher geleistet hat und was es noch zu leisten gibt.Im Jahre 1971 werden Bund, Länder und Gemeinden eine expansive Finanzpolitik betreiben, die möglich und notwendig geworden ist, weil die Haushalte 1969 und 1970 restriktiv gefahren wurden. Daß sie restriktiv gefahren wurden, darüber gibt es jetzt keinen Zweifel mehr. Es ist auch klargestellt, daß durch diese restriktive Abwicklung des Haushalts einiges an Problemen zurückgestellt werden mußte, was nun durch den Haushalt 1971 nach vorn gebracht werden wird.Die Kritik, die aus dem Hohen Hause und der Öffentlichkeit an dieser Bundesregierung geübt wird, geht in zwei Hauptrichtungen. Auf der einen Seite wird bemängelt, daß der Bundesregierung die Solidität als Grundlage für die inneren Reformen fehle. Zum anderen wird Kritik geübt, daß sich diese Regierung nicht konjunkturgerecht verhalten habe. Beide Vorwürfe sind, wie man aus heutiger Sicht sagen kann, gegenstandslos und inhaltslos.Ein Hauptansatzpunkt der Kritik an der Finanzpolitik der Bundesregierung war die Steigerungsrate des Haushalts 1970. Im September vorigen Jahres wurden diese Vorwürfe noch von Herrn Strauß und Herrn Stoltenberg in der Haushaltsdebatte erhoben. In dieser Etatberatung sind die Vorwürfe von der Opposition wiederholt worden. Deshalb dazu einige Bemerkungen über den Verlauf des Haushalts 1970.Hier ist der Vorwurf aufgebracht worden, daß im ersten Halbjahr 1970 der Haushalt sozusagen konjunkturprozyklisch gefahren worden sei. Was ist der Tatbestand? Wir haben im ersten Halbjahr Ausgaben in Höhe von 39,5 Milliarden DM bei Einnahmen von 40,5 Milliarden DM. Es ergab sich also ein Finanzierungsüberschuß von knapp i Milliarde DM. Die Ausgabensteigerungsrate lag somit um 1,5 % höher, als es im Soll des Haushalts 1970 vorgesehen war. Die höhere Steigerungsrate im ersten Halbjahr 1970 gegenüber 1969 resultiert vor allem aus ausgabensteigernden Faktoren, die im Haushaltsablauf sichtbar wurden. Einzelne dieser Sonderfaktoren möchte ich des besseren Verständnisses wegen hier aufführen.Erstens, Die Mehrausgaben für Besoldungserhöhung belasten den Haushalt 1970 im ersten Halbjahr zusätzlich mit 700 Millionen DM.Zweitens. Durch Leistungsverbesserungen in der Kriegsopferversorgung wurde der Haushalt mit einem zusätzlichen Betrag von 430 Millionen DM im ersten Halbjahr belastet.Mit der damals von der Koalition beschlossenen verbesserten Leistung für die Besoldung und die Kriegsopferversorgung waren Sie nicht einverstanden. Sie wollten noch mehr. Wie dann die Zuwachsrate der Ausgaben im ersten Halbjahr 1970 ausgesehen hätte, können Sie sich vorstellen.
Drittens. Im ersten Halbjahr wurden 820 Millionen DM als Aufwertungsausgleich an die Landwirtschaft gezahlt.Nach den uns nun vorliegenden Ist-Ergebnissen schließt der Bundeshaushalt 1970 in Einnahmen und Ausgaben mit 87,2 Milliarden DM ohne einen kassenmäßigen Fehlbetrag ab. Das bedeutet gegenüber dem Haushalts-Soll, daß die Ausgaben um rund 1,7 Milliarden DM hinter dem zurückgeblieben sind, was im Soll angesetzt worden war. Damit betrug die Steigerungsrate nicht, wie vorgesehen, 9 v. H., sondern nur noch 7 v. H. Daß das ein Erfolg einer antizyklischen Finanzpolitik ist, wird in diesem Hause niemand bestreiten können.
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Hermsdorf
Stellt man dann die Zuwachsrate der Ausgaben von 7 v. H. dem Zuwachs des Bruttosozialprodukts von 12,4 v. H. gegenüber, so wird deutlich, daß diese Bundesregierung ihrer Verpflichtung entsprechend dem Stabilitätsgesetz und ihrer sich selbst gegebenen Verpflichtung, eine solide Finanzpolitik zu betreiben, voll gerecht wurde.
Sie ist mit ihrer Ausgabenbeschränkung 1970 an die untere vertretbare Grenze gegangen.Daß der Haushalt 1970 mit einem Finanzierungsüberschuß von knapp 1 Milliarde DM abschließen konnte, unterstreicht die konjunkturstabilisierende Politik dieser Bundesregierung zusätzlich.Dieses Bemühen verdient Würdigung und keine harte Kritik, wie Sie sie hier vorgebracht haben.
Allen Unkenrufen zum Trotz hat die Bundesregierung bewiesen, daß sie in der Lage ist, mit schwierigen wirtschaftspolitischen Situationen fertigzuwerden. Die Regierung hat zusammen mit den beiden sie tragenden Fraktionen im Juli 1970 Maßnahmen ergriffen, die sicherlich unpopulär waren und die in weiten Kreisen der Bevölkerung Entrüstung hervorgerufen haben. Sie allerdings, meine Damen und Herren von der Opposition, waren nicht bereit, obwohl Sie es immer wieder gefordert haben, diesen von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen zuzustimmen. Sie enthielten sich der Stimme. Aber Sie hatten die Stirn, diese Maßnahmen der Bundesregierung zu kritisieren. Ich frage Sie heute: Was wollten Sie damals eigentlich? Wollten Sie noch mehr, noch härtere Maßnahmen, um die Konjunktur in den Griff zu bekommen, oder wollten Sie diese Maßnahmen nicht? Eine Antwort darauf sind Sie bis heute schuldig geblieben.
Diese Regierung kann trotz einer wegen der Konjunkturlage restriktiven Ausgabenpolitik auf eine stolze Bilanz 1970 — insbesondere auf gesellschaftspolitischem Gebiet — verweisen. Gestatten Sie mir, daß ich die Schwerpunkte, die wir 1970 gesetzt haben, noch einmal ins Gedächtnis zurückrufe: 1. Aufwertungsausgleich für die Landwirtschaft in Höhe von 0,9 Milliarden DM. 2. Anpassungsregelung in der Kriegsopferversorgung vom 1. Januar 1970 an 0,9 Milliarden DM. 3. Wegfall der Beiträge der Rentner zur Krankenversicherung vom 1. Januar 1970 an 0,1 Milliarden DM für den Bund. 4. Vermögensbildungsgesetz vom 27. Juli 1970 an. 0,06 Milliarden DM. 5. Erhöhung des Kindergeldes 0,14 Milliarden DM. 6. Ausbildungsförderungsgesetz 0,2 Milliarden DM. 7. Steigerung der Ausgaben für Bildung und Wissenschaft 0,7 Milliarden DM. 8. Erhöhung der Verkehrsausgaben, insbesondere zur Verwirklichung des Leber-Plans im Nahverkehr und im kombinierten Güterverkehr, 0,8 Milliarden DM. 9. Verbesserung der Agrarstruktur, nationaler Bereich 0,2 Milliarden DM. 10. Erhöhung der Bezüge im öffentlichen Dienst um 9 v. H. 1,4 Milliarden DM.Meine Damen und Herren, das sind Fakten, das sind Tatbestände, die von niemandem im Hause bestritten werden können. Mit dieser Bilanz .1970 kann diese Regierung bestehen.
Nun kommt der nächste Punkt.
— Sie werden lachen, das habe ich tatsächlich noch vergessen. Das hätte ich auch noch hinzufügen sollen.Nun kommt der nächste Punkt. Am 9. Juli 1970 hat diese Regierung den Haushalt vorgelegt, den wir jetzt abschließen, in einer Größenordnung von 100 Milliarden DM. Mit großer Entrüstung haben Sie dieses Volumen des Haushalts 1971 zurückgewiesen. Sie unterstellten dieser Bundesregierung, daß sie zwar einem Teil der Bürger zusätzlich 10 % zu der Einkommensteuer aufbürde, selbst aber nicht bereit sei, ihre Reformprogramm zu kürzen, und so lieber einen Haushalt mit 100 Milliarden DM vorlege. Meine Damen und Herren von der Opposition, was Ihre damaligen Aussagen wert waren, sehen Sie heute selbst. In der ersten Lesung am 24. September nannte ich damals folgende vier Punkte, die ich im Namen meiner Fraktion vortrug. Ich bitte — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — sie noch einmal in Erinnerung zu rufen:1. Wir billigen die durch den Haushalt dargelegten Zielvorstellungen der Bundesregierung in vollem Umfang und werden alles tun, um sie zu unterstützen.2. Wir halten das Volumen des Haushalts und damit die Zuwachsrate nicht nur für realistisch, sondern auch für notwendig.3. Die restriktive Etatgestaltung in den Jahren 1969 und 1970 und unsere Stabilisierungsmaßnahmen vom Sommer dieses Jahres haben die Voraussetzungen für den Etat des Jahres 1971 geschaffen.4. Wir stehen am Anfang der parlamentarischen Beratung des von der Regierung im Juli beschlossenen Etats. Der Herr Bundesfinanzminister hat klargemacht, daß am Ende der Beratung wie üblich die nochmalige Überprüfung aller Daten stattfinden wird.Meine Damen und Herren, diese Überprüfung hat stattgefunden. Alle vier Punkte können wir heute aufrechterhalten. Und wo sind Sie heute mit Ihren damaligen Vorstellungen zum Haushalt 1971? Nichts ist davon mehr zu spüren.
Die Bundesregierung hat von Anfang an deutlich gemacht — und das zieht sich in einer geraden Linie bis heute durch —, daß der Haushalt 1970 konjunkturgerecht sei — die Zustimmung des Kon junkturrats und des Finanzplanungsrats war vorhanden — und daß man den Haushalt 1971 nicht als einen Haushalt des dritten Quartals 1970 betrachten könne. Dies haben wir auch gesagt. Aber Sie habenHermsdorf
das bestritten und haben so getan, als würde der Haushalt 1971 im dritten Quartal 1970 verabschiedet und schon wirksam. Alles waren für Sie keine Argumente. Ihnen kam es nicht darauf an, was hier sachlich vorgetragen wurde, sondern nur darauf, an allem, was diese Regierung tat, Kritik zu üben.Betrachtet man heute den Haushalt 1971 nach den abschließenden Beratungen im Haushaltsausschuß, so bleibt deutlich, wo diese Bundesregierung ihre Prioritäten gesetzt hat. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, bestreiten zwar noch immer, daß diese Bundesregierung überhaupt Schwerpunkte habe. Aber sehen Sie sich den Haushalt an, und Sie werden sehen, wo die Schwerpunkte liegen.Hier zur Verdeutlichung die Schwerpunkte des Haushalts 1971, die mit denen des Haushalts 1970 verglichen werden müssen: 1. Zweites Wohngeldgesetz: + 0,2 Milliarden DM, 2. Zweites Krankenversicherungsgesetz: + 0,03 Milliarden DM, 3. Verbesserung und Ergänzung sozialer Maßnahmen in der Landwirtschaft: + 0,06 Milliarden DM, 4. Erhöhung der Mittel für Bildung und Wissenschaft: 4- 1,2 Milliarden DM, 5. Verkehrshaushalt: + 1,4 Milliarden DM, 6. langfristiges Wohnungsbauprogramm: + 0,17 Milliarden DM, 7. Verbesserung der öffentlichen Bezüge: + 1,58 Milliarden DM, 8. Zuwachs an Investitionen: + 3,2 Milliarden DM.Meine Damen und Herren, nehmen Sie 1970 und 1971 zusammen, und dann bestreiten Sie noch die Leistungen dieser Regierung! Wer das tut, muß die Zahlen nicht lesen können.
Ich habe deshalb diesen Katalog der Prioritäten so ausführlich dargelegt, damit endlich auch die Opposition erkennt, was diese Bundesregierung will. Auch soll die Öffentlichkeit endlich erfahren, daß diese Bundesregierung nicht nur Ansprüche stellt, sondern ihre Leistungen im Rahmen des Haushalts deutlich auf den Tisch legt. Sie von der Opposition, meine Damen und Herren, können an diesem Katalog kritisieren, was Sie wollen. Aber bitte, dann bringen Sie uns Alternativen und urteilen Sie nicht in pauschaler Kritik, ohne zu nennen, woher und wohin mit den Mitteln gefahren werden soll!
Nun behaupten Sie — das ist vom Kollegen Strauß gemacht worden —, daß dieser Katalog durch die Einnahmeseite in Schwierigkeiten geraten könnte. Gestatten Sie mir deshalb, einiges zur Einnahmeseite zu sagen.Auf der Einnahmeseite des Haushalts 1971 haben sich wesentliche Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf auf Grund der Erwartungen des Arbeitskreises „Steuerschätzungen" beim Bundesfinanzminister vom 10. Dezember und unter Berücksichtigung der Ist-Einnahmen 1970 ergeben. — Hier eine Klammerbemerkung zu Herrn Kollegen Strauß, der die Frage der Gewinnsteuern angesprochen hat. Ich habe bereits in der Debatte der zweiten Lesung dargelegt, daß auch wir mit Bestürzung das Sinken der Gewinnsteuern feststellen. Aber ich habe hinzugefügt — das wird nicht bestritten, und ich hoffe, auch von Ihnen nicht , daß das Sinken der Gewinnsteuern keinesfalls ausschließlich auf das Sinken der Gewinnmarge zurückgeht, sondern daß dabei eine ganze Reihe anderer Faktoren eine Rolle spielen. Dies ist von Ihren Sprechern bestätigt worden. Ich weiß deshalb nicht, warum man heute hier noch einmal in solche Kassandra-Rufe ausbricht.Nun zu den Steuereinnahmen selbst. Die Steuereinnahmen des Bundes, die im Regierungsentwurf mit 92,7 Milliarden DM angegeben waren, verringern sich nach der neuen Schätzung um 1,35 Milliarden DM. Diese Verringerung haben Sie im Einzelplan 60 zur Beschlußfassung vor sich liegen.In der vorigen Woche wurden nun von den Sprechern der Opposition und auch heute von meinem Herrn Vorredner die Schätzungsergebnisse für 1971 als zu optimistisch angesehen, vermutlich gestützt auf die Berechnung des Münchener Ifo-Instituts. Wir haben allerdings weder in der vorigen Woche noch heute feststellen können, daß die Opposition aus ihrer Meinung zahlenmäßige Konsequenzen gezogen, einen entsprechenden Änderungsantrag zur Herabsetzung der Steuereinnahmen ausgearbeitet und hier vorgelegt hätte.Nun hat am Montag dieser Woche der Arbeitskreis „Steuerschätzung", dessen Zusammensetzung Ihnen ja bekannt ist, die Schätzung für 1971 und auch für die Folgejahre noch einmal überprüft. Für 1971 hat er — auch das ist von Ihnen nicht mehr beachtet worden, weil Ihnen das sicher nicht ganz gefällt — an der Zuwachsrate bzw. an der Schätzung festgehalten. Die vom Ifo-Institut empfohlene f Kürzung dieser Ansätze beim Bund um weitere 1,35 Milliarden DM fand keine Mehrheit. Vielmehr hat der Arbeitskreis eine mittlere Linie vertreten; denn sowohl der Sachverständigenrat als auch das Berliner Institut für Wirtschaftsforschung hatten günstigere, d. h. höhere Ergebnisse vorausgesagt.Die Ursache für diese abweichenden Auffassungen liegt in der gesamtwirtschaftlichen Beurteilung. So geht z. B. das Ifo-Institut bei seiner pessimistischen Prognose von anderen Steigerungsraten des Sozialprodukts 1971 und seiner Verteilung aus. Die Mehrheit des Arbeitskreises „Steuerschätzung" hat für die Steuerschätzung im wesentlichen die volkswirtschaftlichen Daten zugrunde gelegt, die auch der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung enthält. Soweit zu den Steuereinnahmen 1971.Nun noch ein Wort zur Steuerzukunft, Herr Kollege Strauß. Die Opposition versucht mit viel Theaterdonner dem deutschen Bürger das Schreckgespenst einer sozial-liberalen Finanzwirtschaft und Nichtrealisierbarkeit des Reformprogramms der Regierung Brandt vorzureden. Bekanntlich hat die Bundesregierung im laufenden Finanzplan schon bis 1974 diese Steuererwartungen eingesetzt. Die sich daraus ergebenden Steueransätze hat der Arbeitskreis beim Bundesfinanzministerium ebenfalls in dieser Woche überprüft, damit die Bundesregierung für die anstehende Vorbereitung zur Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung bis 1975 über neues, objektives Zahlenmaterial verfügen kann.
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Hermsdorf
Der Arbeitskreis hat unter Voraussetzung eines im Jahresdurchschnitt um 6,75 v. H. wachsenden Sozialprodukts die Prognose gestellt, daß bei den Bundessteuern gegenüber den bisherigen Schätzungen Mindereinnahmen zu verzeichnen sein werden. Diese Schätzungsergebnisse sind natürlich zunächst Wasser auf die Mühlen der Opposition.Aber ich kann es der CDU nicht ersparen, ihr ihre falsche und isolierte Betrachtungsweise doch noch einmal klar vor Augen zu führen. Bei der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht in der vorigen Woche hatte die CDU zwar vieles an der Wirtschaftspolitik dieser Regierung zu kritisieren, aber die Daten der Jahresproduktionen hat sie konkret überhaupt nicht angezweifelt. Vermutlich scheut die Opposition auf diesem Felde die Auseinandersetzung mit dem Gemeinschaftsausschuß der deutschen gewerblichen Wirtschaft, der ebenso wie die Bundesregierung und der Deutsche Gewerkschaftsbund beim Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen — dies ist wichtig für die gewinnabhängigen Steuern — einen Zuwachs von 3 bis 4 % erwartet im Gegensatz zum Ifo-Institut, das 0,4 % erwartet. Die Konstruktion der Opposition, die gesamtwirtschaftlichen Daten zu akzeptieren, aber die sich daraus ergebenden Steuererwartungen abzulehnen, dürfte sich bei rationaler Argumentation überhaupt nicht aufrechterhalten lassen.Aber noch aus einem anderen Grunde liegt die Opposition mit ihrer Schwarzmalerei falsch. Bei objektiver und nüchterner Betrachtung ist die Lage weitaus weniger dramatisch, als die Opposition sie hier hochzuspielen versucht. Die Steuerschätzungen für 1972 bis 1975 orientieren sich, wie gesagt, an der gesamtwirtschaftlichen Zielprojektion. Für die Finanzpolitik ist — das gebe ich zu — diese Bindung derzeit unbequem. Dennoch bleibt nicht ausgeschlossen, daß bei der jeweiligen Fortschreibung der Finanzplanungen tatsächlich eine günstigere Einnahmeentwicklung möglich ist. Es ist vereinbart, daß der Arbeitskreis Steuerschätzungen vor der Verabschiedung des Haushalts 1972 durch die Bundesregierung noch einmal zusammentritt und die Steuerschätzungen überprüft. Was wollen Sie eigentlich mehr an Sicherheit von dieser Regierung verlangen, als daß sie, bevor sie den Haushalt verabschiedet, den Arbeitskreis Steuerschätzungen noch einmal zusammenruft?
Herr Abgeordneter Hermsdorf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jenninger?
Bitte!
Herr Kollege Hermsdorf, ist Ihnen entgangen, daß es nicht die Opposition war, sondern der Finanzminister selbst, der in einem Rundfunkinterview gesagt hat: „Wir haben erhebliche" — ich betone: erhebliche —„Finanzlücken für die nächsten Jahre zu erwarten"?
Verzeihung, dies ist zweifellos ein Halbsatz dessen, was er gesagt hat. Sie müßten genauso hinzufügen, was er noch gesagt hat: daß wirklich Risiken vorhanden sind, die aber noch nicht genau berechnet werden können. Dann ist es doch so, Herr Kollege Dr. Jenninger, wenn wir und hier ist meiner Ansicht nach doch der entscheidende Unterschied der Planung, wie wir sie uns alle in diesem Hause vorstellen, zu Planungen der anderen Seite - eine mittelfristige Finanzplanung für vier Jahre vorlegen und sie dann immer um ein Jahr weiterschreiben, dann revidieren wir natürlich auch die Zahlen, die vorher fortgeschrieben worden waren, anhand der neuen volkswirtschaftlichen Tatbestände. So müssen Sie natürlich auch die Äußerungen des Finanzministers in dieser Frage sehen.Meine Damen und Herren, es ist richtig, daß wir die neuen Steuerschätzungen noch einmal zur Verfügung haben werden und dann sehen werden, ob das mit der mittelfristigen Finanzplanung noch in Einklang steht.Aer jetzt muß ich Ihnen doch etwas sagen. Was bisher bis 1974 in der Finanzplanung gestanden hat, trägt ja zum großen Teil, soweit es nicht geändert worden ist, noch die Züge des damaligen Finanzministers, der diese Planung geschrieben hat, nämlich des damaligen Finanzministers Strauß. Und dazu muß ich doch, weil Sie immer wieder auf die Idee kommen, uns sozusagen als eine Steuererhöhungspartei zu bezeichnen, noch einmal in Erinnerung rufen, was in einzelnen Punkten in der damaligen Finanzplanung des Finanzministers Strauß gestanden hat. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren. Sie wissen selbst, Herr Strauß, was jetzt kommt.
— Verzeihung, Sie werfen uns doch vor auf Grund einiger Erklärungen, daß wir Steuern erhöhen wollen. Sie vielleicht persönlich nicht, aber im allgemeinen.
Deshalb möchte ich hier doch einmal schon wegen des Amüsements zitieren.In der Finanzplanung des Bundes steht in der Textziffer 34, von Ihnen geschrieben, Herr Strauß, daß die Erweiterung der Gesamtausgaben des Bundes von der Finanzierungsseite her voraussetzt, daß ein Absinken der Steuerbelastungsquote ab 1971 vermieden wird. In Textziffer 36 heißt es weiter, daß für das vierte und fünfte Jahr der Steuerschätzungen gewisse Unsicherheiten vorlägen, daß aber eine Überschreitung der derzeitigen Steuerschätzungen um ein bis zwei Milliarden DM nicht völlig außerhalb des Rahmens liege. Genau das ist es, was wir bisher gesagt haben. Dann kommt der entscheidende Satz, den alle diejenigen, die die SPD fälschlicherweise zur Steuererhöhungspartei abstempeln wollen, genau zur Kenntnis nehmen sollten. In der Straußschen Finanzplanung heißt es in Ziffer 36:
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Hermsdorf
Sollte diese Überschreitung der Steuerschätzung nicht erfolgen, werden ab 1971 Einnahmeverbesserungen durch Gesetz notwendig werden, um für das Auslaufen der Heizölsteuer und die Degression der Invistitionssteuer einen Ausgleich zu erhalten.Was anderes kann „Einnahmeverbesserungen durch Gesetz" anderes heißen? Das heißt, daß der damalige Finanzminister Strauß bei einer entsprechenden Entwicklung auch bereit war und sein mußte, ab 1971 durch Gesetz Steuererhöhungen beschließen zu lassen. Das ist der Tatbestand.
Nun noch eins zur Relativierung Ihrer KassandraRufe über Risiken. Auch Sie wissen, Herr Kollege Strauß, daß es natürlich in der mittelfristigen Finanzplanung auch Posten gibt, die für diese Risiken bereitstehen. Sie müssen wissen, daß diese Regierung Vorsorge für heute getroffen hat, aber auch für nicht quantifizierbare Risiken.
— Augenblick, Herr Leicht! Ich weiß, daß Sie das nicht gern hören; Sie können mich aber trotzdem nicht daran hindern, das zu sagen.
An Planungsreserven sind z. B. für 1972 4,2 Milliarden DM in die Finanzplanung eingestellt. Für 1974 sind Reserven in einer Höhe von 11,4 Milliarden DM eingeplant. Sie müssen deswegen doch zugeben, daß sich die Bundesregierung der Risiken, die in einem solchen Haushalt und in einer solchen Planung stecken, bewußt ist und entsprechend vorgesorgt hat. Diese 11,4 Milliarden DM können Sie nicht ohne weiteres vom Tisch wischen.
Herr Abgeordneter Hermsdorf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Bitte schön!
Ich bin froh, daß Sie diese Zahl genannt haben, Herr Hermsdorf. Ist Ihnen aber entgangen, daß auch Herr Strauß in seiner Rede darauf hingewiesen hat, daß im Jahre 1974 Reserven in Höhe von 4,8 Milliarden DM vorhanden sind, daß am Schluß jedoch 17 Milliarden DM offenbleiben?
Herr Kollege Leicht, fassen Sie das jetzt nicht als Polemik auf;
es ist mir wirklich ernst, wenn ich sage: Mir entgeht nichts von dem, was der Kollege Strauß sagt.
Nur ist mir auch nicht entgangen, daß Herr Kollege
Strauß, der zwar die Risiken genannt hat, genauso
wie nach seinen Äußerungen zum Haushalt 1970/71,
als er erklärte: das ist völlig unmöglich, der Haushalt wird nicht respektiv gefahren, das Haushaltsvolumen ist zu groß, eine Bauchlandung gemacht hat. Ich bin sicher, daß er auch hier wieder mit seiner Aufzählung der Risiken und seinen KassandraRufen eine Bauchlandung machen wird. Er wird auch in den kommenden Jahren, wenn er Rückschau hält, feststellen, daß seine „Risiken" mit den Tatbeständen nicht in Einklang stehen.
Das, was wir hier tun, ist eben schlecht. Wir sollten heute über die Jahre 1970 und 1971 reden und sollten uns mit der mittelfristigen Finanzplanung erst dann wieder auseinandersetzen, wenn sie im Juni dieses Jahres von der Regierung fortgeschrieben worden ist.
Es ist Aufgabe der Regierung, die Finanzplanung vorzulegen, und nicht unsere.
Für mich ergibt sich aus diesen Tatbeständen folgendes Fazit. Erstens: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.
Zweitens: Wir reden uns unnötig die Köpfe heiß, wenn wir heute, d. h. vorzeitig, das Geschäft der Bundesregierung besorgen und über die Fortschreibung der Finanzplanung ab 1972 debattieren wollen. Ich habe nicht damit angefangen, Herr Kollege Barzel; es war der Kollege Strauß, der damit begonnen hat.
Drittens. Hier und heute steht der Haushalt 1971 zur Debatte. Wie wir ihn sehen, habe ich mit meinen Ausführungen deutlich zu machen versucht.
Da wir uns aber in diesem Hohen Hause — jetzt wende ich mich besonders an Sie, Herr Kollege Barzel — oft wiederholen müssen und die Opposition — das stimmt doch, Herr Barzel — immer nach Fakten fragt, darf ich die Fakten des Haushalts 1971 abermals aufführen. Ich möchte, um dem Hause eine Menge Arbeit und Zeit zu ersparen, Herr Präsident, zunächst nur die Blöcke nennen und die einzelnen Zahlen, aus denen sich die Blöcke zusammensetzen, jetzt nicht vortragen. Ich möchte aber, damit die Mitglieder dieses Hauses und auch die Öffentlichkeit nicht nur die Blöcke hören, sondern auch sehen, für welche Zwecke die Mittel vorgesehen sind, bitten, auch die einzelnen Zahlen später ins Protokoll aufzunehmen. Das ist sicher möglich.
Herr Kollege, wir werden einen Weg finden, wenn das den Ablauf der dritten Lesung erleichtert.
Bei der Güte des gesamten Präsidiums bin ich davon überzeugt.Ich darf jetzt zu den Blöcken zurückkommen. Das ist hinsichtlich der Fakten der entscheidende Punkt, Herr Barzel.
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Hermsdorf
Im Jahre 1971 geben wir für Bildung und Wissenschaft 1270 Millionen DM mehr aus, davon z. B. rund 50' Millionen DM mehr für die Mitwirkung des Bundes bei der Bildungsplanung, 300 Millionen DM mehr für die Mitwirkung des Bundes insbesondere beim Ausbau und Neubau von Hochschulen, 125 Millionen DM mehr für die allgemeine Wissenschaftsförderung, 370 Millionen DM mehr für die Kernforschung, 175 Millionen DM mehr für die Weltraumforschung, 140 Millionen DM mehr für die Datenverarbeitung.Für den Verkehr geben wir gegenüber 1970 1515 Millionen DM mehr aus, davon z. B. rund 650 Millionen DM mehr für Bundesstraßen und Bundesautobahnen, 640 Millionen DM mehr für die weitere Modernisierung und Rationalisierung der Deutschen Bundesbahn , 65 Millionen DM mehr für die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden, 40 Millionen DM mehr für Investitionen im Wasserstraßenbau, 70 Millionen DM mehr für die Verbesserung der Sicherungseinrichtungen für den Luftverkehr — eine Erhöhung um 100 % — und 30 Millionen DM mehr für den Ausbau der Flughäfen, eine Erhöhung um 90 %.Für den Wohnungsbau stehen 731 Millionen DM mehr zur Verfügung, davon z. B. rund 190 Millionen DM mehr für die erhebliche Verbesserung der Wohngeldregelungen jetzt auch für Sozialhilfeempfänger, 173 Millionen DM mehr für den Bau von 100 000 Wohnungen und die Instandsetzung und Modernisierung von 50 000 Wohnungen im Rahmen des langfristigen Wohnungsbauprogramms — neben dem Haushaltsansatz stehen Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 2170 Millionen DM zur Verfügung —, 250 Millionen DM mehr für Wohnungsbauprämien und 50 Millionen DM mehr für städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen. Neben dem Haushaltsansatz stehen Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 50 Millionen DM zur Verfügung.Für Jugend, Familie und Gesundheit sind 728 Millionen DM Mehrausgaben vorgesehen, davon z. B. rund 345 Millionen DM mehr für Kindergeld, insbesondere durch Anhebung der Einkommensgrenze beim Zweitkindergeld und Erhöhung des Drittkindergeldes, 296 Millionen DM mehr für die Ausbildungsförderung, 40 Millionen DM mehr für den Bundesjugendplan — Studentenwohnheimbau, Zentrale Jugendstätten, Schwerpunktmaßnahmen im Zonenrandgebiet —, 36 Millionen DM mehr für die Hilfe für Behinderte — Beteiligung an der Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind", Baumaßnahmen im Zonenrandgebiet —, 20 Millionen DM mehr für Maßnahmen für die ältere Generation, 18 Millionen DM mehr für die gesundheitliche Forschung und Aufklärung und 13 Millionen DM mehr für Schul-und Kindergärten im Zonenrandgebiet. Hier ist das, was Herr Strauß vorhin ein bißchen ironisch den „300-Millionen-Kredit" nannte, nicht mitgerechnet.Für die Landwirtschaft, und zwar nur für die nationale Agrarpolitik, sind im Jahre 1971 178 Millionen DM mehr vorgesehen, davon z. B. rund 13 Millionen DM mehr für die Flurbereinigung, 10 Millionen DM mehr für den Küstenschutz — daneben stehen Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 20 Millionen DM zur Verfügung —, 10 Millionen DM mehr für die Förderung benachteiligter Gebiete, 5 Millionen DM mehr für den Wirtschaftswegebau, 23 Millionen DM mehr für wasserwirtschaftliche und kulturbautechnische Maßnahmen — Alpenplan, Emsland- und Nordprogramm —, 22 Millionen DM mehr für die Verbesserung der Struktur der Molkereiwirtschaft, 36 Millionen DM mehr für die Altershilfe der Landwirte und 45 Millionen DM mehr für die landwirtschaftliche Unfallversicherung.Für den Verteidigungsbereich sind Mehrausgaben in Höhe von 450 Millionen DM vorgesehen.Meine Damen und Herren, diese Schwerpunkte zeigen die Handschrift dieser Regierung; sie sind und bleiben eindeutig. Aus Ihren Bemerkungen, meine Damen und Herren von der Opposition, während der Haushaltsdebatte ist zu schließen, das Ihnen das zuwenig ist. Ihre Kritik interpretiere ich dahin gehend, daß Sie die Fähigkeiten dieser Regierung hoch genug einschätzen, um in anderhalb Jahren die Versäumnisse der letzten 20 Jahre nachholen zu können.
Sie können von uns nicht erwarten, daß wir die Fähigkeiten der Regierung Brandt-Scheel geringer werten als Sie. Wir sind jedoch bei Betrachtung der ökonomischen und gesellschaftspolitischen Tatbestände realistischer und kommen deshalb zu der Schlußfolgerung, daß nicht innerhalb zweier Etatjahre, sondern am Ende dieser Legislaturperiode das erfüllt sein wird, was wir uns bei der Bildung dieser Regierung vorgenommen haben. Davon sind wir überzeugt, und Sie werden uns daran nicht hindern.
Meine Damen und Herren, Ausführungen werden grundsätzlich nicht zu Protokoll gegeben. Da Herr Kollege Hermsdorf seine angemeldete Redezeit mit zehn Minuten unterschritten hat, werde ich ihm aber gern die Gelegenheit geben, das Protokoll, soweit es Zahlen usw. betrifft, die er hier nicht vorgetragen hat, zu vervollständigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 30 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne Abstimmung darf ich feststellen, daß sich wahrscheinlich die Ausführungen des Kollegen Hermsdorf und meine Ausführungen ergänzen werden. Ich halte es also nicht für zweckmäßig, vieles von dem, was er hier an sachlicher Analyse des Haushalts vorgetragen hat, zu wiederholen. Ich möchte seine Analyse nur ausdrücklich bestätigen.Ich meine, daß der Abschluß der Beratungen über den Bundeshaushalt 1971 uns allen Veranlassung geben sollte, einmal selbstkritisch unsere Arbeit in dieser Legislaturperiode zu überdenken. Es er-hebt
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Kirstsich doch z. B. die Frage - auch wenn wir die Zeitnot dieser Tage sehen —, ob es in den letzten drei Wochen sinnvoll war, zuerst über die Lage der Nation, dann über den Jahreswirtschaftsbericht und dann über den Bundeshaushalt zu debattieren, ob es nicht vielmehr zweckmäßiger gewesen wäre, z. B. weil es sich zeitlich so ergab, diese ersten beiden Themen in die entsprechenden Beratungen des Haushalts einzubeziehen. Das hätte uns sicherlich viele Wiederholungen erspart.Ich darf in dem Zusammenhang ein erstes Mal auf die Rede des Kollegen Strauß eingehen, der, wenn ich das richtig beobachtet habe, uns in diesen drei harten Arbeitswochen nicht immer die Ehre seiner Anwesenheit gegeben hat. Ich glaube, wenn er manche der Debatten, die in diesen Wochen zuvor gewesen sind — in der letzten Januar- und der ersten Februarwoche —, verfolgt hätte, hätte er sich die Mühe erspart, heute hier manches zu wiederholen, was wir im voraus widerlegt haben.
Wir sollten wohl generell feststellen, daß sich in den ersten 15 Monaten dieser Legislaturperiode für unsere Arbeit eine starke Tendenz zum — ich bitte, das in Gänsefüßchen zu setzen — „Redeparlament" gezeigt hat. Wir wissen ja, daß die Wissenschaftler, die sich mit der Parlamentsarbeit befassen, gewisse Typen von Parlamenten entwickeln und darstellen. Ich meine also, daß wir für die ersten 15 Monate der Legislaturperiode diese Tendenz für dieses Haus festzustellen haben. Dabei lassen sich eben Wiederholungen oft nicht vermeiden. Wir sollten uns überlegen — ich sage das selbstkritisch und nach allen Seiten —, ob für uns alle nicht besser als Marathondebatten Zeit zum Nachdenken über unsere gemeinsamen Aufgaben wäre.Ich will damit den Wert der parlamentarischen Auseinandersetzung gar nicht herabmindern. Aber auch das müssen wir in den richtigen Dimensionen sehen, Ich glaube also, wir sollten selbstkritisch feststellen, für diese parlamentarischen Auseinandersetzungen der letzten 15 Monate gilt das Wort: Manchmal wäre weniger mehr gewesen.
Ein weiteres Wort zu den Äußerungen des Kollegen Strauß. Er hat hier im Zitat von den Barrieren des Hasses gesprochen. Herr Kollege Strauß, wenn Sie meine Rede zum Einzelplan 04 gehört hätten,
wüßten Sie, daß ich bei eben dieser Beratung des Einzelplans 04 deutlich aufgezeigt habe, wo diese Barrieren herkommen und wer sie aufgebaut hat.
— Herr Kollege Leicht, ich will das hier jetzt nicht vertiefen, sondern in einem Satz wiederholen, was ich damals gesagt habe — und davon nehme ich kein Wort zurück —: Die Situation in diesem Hause ist dadurch verursacht, daß Sie und Ihnen Nahestehende, noch bevor diese Regierung vereidigt wurde, mit Parolen wie „Diese Regierung bedeutet Ausverkauf und Inflation" ins Land gefallen sind. Bevordas nicht weg ist, sind auch die Barrieren nicht weg.
Niemand in diesem Hause — auch dieses Thema will ich aufnehmen ist empfindlich gegenüber sachlicher Kritik. Kritik darf nicht nur sein, sie muß sein. Aber sie muß wahrhaftig sein. Darauf kommt es an.
Um gleich ein Beispiel zu nennen: Es ist hier davon gesprochen worden, diese Regierung verteufele die Zeit von 1949 bis 1969. Ich werde nachher noch eine Passage bringen, die diesen Vorwurf widerlegt. Ich habe mir zur Vorbereitung auf diese Debatte — an sich nicht im Zusammenhang mit dem eben erwähnten Vorwurf — noch einmal die Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 28. Oktober 1969 angesehen. Wer die einleitenden Sätze dieser Regierungserklärung liest, muß doch feststellen, daß dieser Vorwurf ,der Verteufelung absolut unwahr und erfunden ist. Bitte lesen Sie es nach.
Meine Damen und Herren, das gilt auch für den Vorwurf -- ich habe es eben schon angesprochen; Herr Kollege Strauß hat sich davon zu distanzieren versucht, und wir nehmen das auf — der Inflation und der Inflationspolitik. Ich glaube, ich bin es gewesen, der hier in einer Aktuellen Stunde im März vergangenen Jahres zum erstenmal vor der leichtfertigen Verwendung des Wortes „Inflation", wenn wir in Betracht ziehen, was 1923 und 1948 passiert ist, gewarnt hat.
— Auf diesen Hinweis komme ich nachher auch noch in anderem Zusammenhang zurück. Es steht doch aber fest, daß Sie draußen im Lande — zwar nicht so differenziert, wie es Kollege Strauß hier tut, indem er von galoppierender, schleichender und trabender Inflation spricht — ständig, sozusagen nach der Holzhammermethode, von Inflation sprechen.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat in der zweiten Lesung des Bundeshaushalts 1971 keine überzeugenden Alternativen aufzuzeigen vermocht, und zwar weder für die Haushalts- und Finanzpolitik im allgemeinen noch speziell in den Einzelplänen.
Wenn ich das Fazit aus Ihren Reden, auch aus der letzten Rede von heute morgen, ziehe, kann ich nur sagen: das Motiv der CDU/CSU war doch, in allen Spielarten, variiert nach Einzelplänen, wie es gerade paßte, Verunsicherung und Mißtrauen auszubreiten. Das war das einzige konkret feststellbare Ziel von Ihnen in der Auseinandersetzung hier.
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KirstDemgegenüber leugnen Regierung und Koa333litionsfraktionen keineswegs — ich beziehe mich auf das, was Kollege Hermsdorf hier soeben gesagt hat— die Probleme und Risiken, die sich sowohl kurzfristi3g für den Haushalt 1971 als auch mittelfristig für den Zeitraum der Finanzplanung und darüber hinaus zeigen. Ich meine auch, daß Kollege Strauß— wenn es mir entgangen sein sollte, bitte ich um Entschuldigung — bei seinen Berechnungen für das Jahr 1974 auf die Planungsreserve von 4 Milliarden DM nicht hingewiesen hat.
- Ich habe ja eine Einschränkung gemacht. DasProtokoll wird es ausweisen.Mit Entschiedenheit treten wir alle der immer wiederholten Unterstellung seitens der Opposition entgegen, daß diese Risiken, die wir keinesfalls leugnen, eine Folge der Politik der sozial-liberalen Koalition seien. Das ist eine absolut unbeweisbare und falsche Unterstellung;
denn soweit diese Risiken überhaupt politisch zu verantworten sind, stellen sie weitgehend noch immer eine Erblast dar, die diese Regierung bei ihrem Antritt übernehmen mußte.
Ihr Kollege Lemmrich — ich weiß nicht, ob er da ist — hat, Herr Stücklen, vorgestern in der Beratung des Verkehrshaushalts — ich konnte leider das wörtliche Protokoll noch nicht prüfen, da es heute morgen noch nicht ausgedruckt war, wir haben ja auch bis nachts um ein Uhr getagt; ich meine, das am Radio richtig mitbekommen zu haben — über Preissteigerungen im Straßen- und Brückenbau gesprochen. Wir sind uns zunächst darüber einig, daß er darüber gesprochen hat. Ich meine, er hat Preissteigerungen von etwa 35 % behauptet,
ohne — das scheint mir schon sehr problematisch gewesen zu sein — überhaupt eine zeitliche Bezugsgröße für diese Preissteigerungen anzugeben.Ich habe mir daraufhin noch einmal die Zahl angesehen. Dabei stellte ich interessanterweise fest, daß die Preise für Straßen- und Brückenbauten in der Tat von November 1968 — ich bitte, darauf zu achten: November 1968 — bis November 1970 eine sehr erhebliche Steigerung erfahren haben, zwar nicht so hoch, aber doch in erheblicher Größenordnung. Wenn man genau hinschaut, wird man aber feststellen, daß sich die Preissteigerungen sowohl auf den Zeitraum von November 1968 bis November 1969 als auch auf den Zeitraum von November 1969 bis November 1970 erstreckten. Seit Mai 1970 — in der anderen Sparte seit August 1970 — ist eine erhebliche Abflachung eingetreten. Neuere Zahlen als die vom November haben wir noch nicht. Sie wissen, daß der Baupreisindex immer nur vierteljährlich ermittelt wird. Ich wollte das nur als Beispieldafür anführen, wie schlecht es hier manchmal steht,wenn von Ihnen mit „Argumenten" gearbeitet wird.
Diese Risiken beruhen aber andererseits, insbesondere soweit sie die wirtschaftliche Entwicklung betreffen, auf Faktoren, die — das muß noch einmal deutlich gesagt werden, auch nach den Ausführungen von heute morgen — in unserer Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung politisch, d. h. durch die Regierung oder das Parlament, nicht oder nur sehr wenig zu beeinflussen sind.Diese Feststellung muß immer wiederholt werden. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang, ohne das vorwegzunehmen, auf die Resolution verweisen, die Ihnen die Koalitionsfraktionen vorgelegt haben, in der ganz eindeutig die Verantwortung der autonomen Kräfte der Wirtschaft, der Unternehmer und der Gewerkschaften, festgelegt wird.
— Das ist kein Alibi, Herr Althammer.
Wenn wir das sagen, kommen Sie — auch Kollege Strauß hat das getan — mit der meiner Meinung nach etwas bequemen Methode, zu zitieren, was sozialdemokratische Politiker 1966 gesagt haben. Ich kann und will das hier nicht nachprüfen. Ich möchte nur sagen, wenn sie das damals gesagt haben, dann wirkt Ihre eigene Argumentation dadurch heute auch nicht richtiger. Darauf kommt es nämlich an!
Es kann doch nicht Sinn der parlamentarischen Demokratie sein, daß man mit den Rollen von Regierung und Opposition auch die Argumente wechselt. Denn dann würde doch der Argumentation auf jeder Seite die Überzeugungskraft fehlen.
Ich glaube, selbst wenn in dieser Richtung früher Fehler gemacht worden sind, sollten wir in dieser Hinsicht einen neuen Anfang machen.
— Ganz so schnell nicht, Herr Stücklen, irgendwann einmal.Ich gebe zu, Herr Kollege Stücklen, daß die FDP-Fraktion hier vielleicht in einer besonders guten Lage ist, weil sie in einer solchen wirtschaftspolitischen Situation noch niemals in der Opposition gewesen ist. Aber ich habe Ihnen schon einmal gesagt, und ich wiederhole es, wir werden niemals in einer vergleichbaren wirtschaftlichen Situation wenn wir in der Opposition sein sollten, einer Regierung solche Vorwürfe machen, die absolut unbegründet sind. Sie werden sich, wenn Sie einmal wieder in diese Situation kommen,
nur ungern an das erinnern, was Sie uns hier seit15 Monaten unentwegt an Übermaß, an Übersteige-
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Kirstrung der Möglichkeiten des Staates bieten, in das wirtschaftliche Geschehen einzugreifen. Das sollten Sie dabei gelegentlich bedenken.
Die auch in dieser Haushaltsberatung immer wieder aufgeflammte Diskussion um finanzwirksame materielle Reformen muß sicherlich auf eine reale Basis zurückgeführt werden. Ich meine, daß wir von der Koalition und Regierung diese reale Basis nie verlassen haben. Das ist uns immer nur unterstellt worden. Zunächst einmal ist es Aufgabe der Opposition, den bei ihr vorhandenen Widerspruch aufzulösen, der einfach darin besteht, daß sie ihrerseits ständig auf ihre eigene zwanzigjährige Regierungsleistung pocht und andererseits ständig alles schwarz in schwarz malt. Da klafft doch ein ganz erheblicher Widerspruch. Vorhandene Versäumnisse aus 20 Jahren, die teilweise zwangsläufig gewesen sind — ich habe das hier auch beim Einzelplan 08 oder 04 durchaus eingeräumt —, sind nicht in 15 Monaten zu reparieren.
Wir sollten aber auch — hören Sie gut zu, Herr Leicht — den Mut zu einer gemeinsamen Eröffnungsbilanz unserer Situation aufbringen. Ich meine damit das, was ich vorhin aus den ersten Sätzen der Regierungserklärung des Bundeskanzlers nicht wörtlich zitiert habe, weil ich vergessen hatte, es mitzubringen, eben den Mut zu einer gemeinsamen Eröffnungsbilanz.Dabei sind die Aktiva gewiß die Ergebnisse gemeinsamer Anstrengungen und Leistungen aller —ich unterstreiche: aller — in diesem Staat vom Nullpunkt 1945 an. Das ist wohl auch nie bestritten worden. Bei den Passiva einer solchen Bilanz sollte, um in unserer Bevölkerung die richtigen Maßstäbe zu bewahren — ich möchte das einmal sehr deutlich sagen —, mit dem allseits von Ihnen so leicht gebrauchten Begriff Notstand vorsichtig und verantwortungsbewußt umgegangen werden. Die Bundesrepublik steht zwar auf vielen Gebieten vor großen Aufgaben. Sie ist aber, um das einmal sehr deutlich zu sagen, gewiß kein Entwicklungsland. Bei dem Ausmaß der vor uns liegenden Aufgaben darf nicht übersehen werden, daß auch der Dienstleistungsbetrieb Staat nicht in der Lage ist, maximale Kapazitäten für jede denkbare Spitzenbelastung anzubieten, sondern daß auch er nur optimale Lösungen suchen kann.Ich darf hier nur ein Beispiel bringen. Dinge, die wir als Notstände in Gänsefüßchen charakterisieren, sind doch auch oft Folgen von Wohlstand. Ich darf z. B. an das, was hier gemeinhin als Verkehrsnotstand bezeichnet wird, erinnern. Es stürzt ja täglich viel Material aller Art von Verbänden aller Art und Sonstiges aller Art auf uns ein. Ich glaube, Herr Leicht, wir sollten uns nicht immer nur gegenseitig auseinandersetzen, wir sollten uns auch einmal mit dem auseinandersetzen, was von draußen auf uns zukommt, und dann vielleicht sogar gewisse Gemeinsamkeiten feststellen. Ich meine, daß dieser Verkehrsnotstand — das ist nur ein Beispiel — eine Folge des Wohlstands darstellt, der sich in diesen Motorisierungsziffern ausdrückt, auch des wirtschaftlichen Wachstums, soweit es der Güterverkehr ist. Ich glaube, gerade für Verkehrsfragen muß ja dieser Satz der optimalen Lösungen — —
— Herr Stücklen, wenn Sie zugehört hätten,
könnten Sie nicht behaupten, daß ich das gesagt habe, und das hat auch in diesem Hause oder sonst irgendwo niemand behauptet.
Der Wohlstand ist allerdings auch nicht nur Ihr Verdienst, Herr Stücklen. Wie heißt doch das schöne Wort? „Wenn morgens die Sonne lacht, hat das die CDU gemacht". So war es ja nun auch nicht! Ich habe gesagt, es waren alle Kräfte in diesem Hause, es waren draußen alle gemeinsam, wo immer sie tätig gewesen sind.
Meine Damen und Herren, mit diesen nachdenklichen Worten sollten nun keineswegs die Zukunftsaufgaben verniedlicht und ihre Bedeutung verkleinert werden. Es scheint aber nötig zu sein, der durch die allgemeine Diskussion weit verbreiteten Auffassung entgegenzutreten, wir stünden hier vor in ihrem Ausmaß nicht zu beherrschenden und nicht zu bewältigenden Anstregungen.In diesen Zusammenhang gehört wohl auch noch die erneute Feststellung, die, glaube ich, auch eine Reverenz an den Bürger, den Steuerzahler ist, daß jeder, der über öffentliche Dinge redet, wissen muß, daß die Ausgabe irgendeines Pfennigs für staatliche Leistungen nur dann möglich ist, wenn der Staat zuvor seinen Bürgern die entsprechenden Mittel abgenommen hat. Das sollten alle ständig wissen, und es sollte dabei versucht werden, dem überall verbreiteten Trend, alles vom Staat zu verlangen und selbst möglichst nichts oder wenig für die Gemeinschaft zu leisten, mit großer Entschiedenheit entgegenzutreten.Das ist eine Klarstellung, die für alle Schichten und für alle Gruppen in unserem Staat und in unserem Volk gilt. Da gibt es gar keine Ausnahmen. Und gelegentlich machen wir ja die Erfahrung, daß diejenigen, die am lautesten über die Belastungen seitens des Staates, d. h. über die Steuern jammern, auch diejenigen sind, die am geschicktesten und am entschiedensten ihre Interessen mit dem Ziel, Subventionen usw. zu erhalten, zu vertreten wissen. Das sollten wir dabei auch wissen,
ohne irgendwie die Notwendigkeit staatlicher Maßnahmen und Reformen einzuschränken oder einzugrenzen.Für mich ist in dieser Fragestellung von großem Eindruck immer das Wort geblieben — und es sei in diesem Zusammenhang einmal zitiert —, das der amerikanische Präsident Kennedy bei seiner Amtseinführung vor jetzt etwas mehr als zehn Jahren seinen Bürgern zugerufen hat: Fragt nicht erst, was
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Kirstder Staat für euch leisten kann, sondern sagt zuerst, was ihr selbst zu leisten bereit seid!
— Schön!Meine Damen und Herren, nun noch, bevor ich zum Schluß komme, ein Wort zu einer Äußerung des Kollegen Strauß im Zusammenhang mit der Steuergestaltung. Ich glaube, er hat da die Dinge etwas verkehrt gesehen; ich will dabei auf das Grundsätzliche, was ich zur Steuerlastquote hier schon gesagt habe, jetzt nicht wieder eingehen. Er hat der Regierung doch so ein wenig unterstellt, sie wolle im Rahmen der Steuerreform bei der Einkommen- und Lohnsteuer Entlastungen vornehmen, müsse dafür dann die indirekten Steuern, die Verbrauchsteuern erhöhen und erwarte dafür — der Kollege Strauß hat dabei, glaube ich, das Wort mit den „Preußen über Nacht" zitiert — sozusagen die Assistenz der EWG. Genau umgekehrt wird doch ein Schuh daraus! Darüber müssen wir uns im klaren sein. Weil wir im Rahmen der Steuerharmonisierung auf so exorbitante Mehrwertsteuersätze kommen müssen, ist es überhaupt nur vertretbar, wenn in diesem Bereich eine steuerliche Entlastung erfolgt. So und nicht umgekehrt sieht der Zusammenhang aus.
Meine Damen und Herren, dieser Haushalt ist konjunkturgerecht. Dem ist, glaube ich, heute bisher auch nicht widersprochen worden. Wir haben uns noch in der zweiten Lesung über die Signalwirkung unterhalten, und ich denke, meine Zeit reicht noch, Ihnen in diesem Zusammenhang ein doch sehr interessantes Zitat vorzulesen. Die „Stuttgarter Zeitung", die gewiß auch
durchaus kritische Stimmen zur Konjunkturpolitik veröffentlicht, hat unter der Überschrift „Signale — damals oder jetzt?" am 10. Februar 1971 folgendes geschrieben. Ich möchte es in Auszügen — ohne es durch die Kürzung im Inhalt zu verfälschen; es liegt dies nur im Interesse der Zeit — jetzt zitieren:Zunächst einmal ist es bis heute schwer, den verheerenden Effekt überhaupt schlüssig nachzuweisen. Das Lohn-und-Preis-Karussell begann sich zu drehen, als in Bonn der Regierungswechsel ins Haus stand. Die Verfechter des Eventualhaushaltes hätten plausibel zu machen, daß Lohn- und Preiswelle früher zu Ende gegangen wären, wenn das Kabinett im Juli 1970 einen Kernhaushalt von etwa 96 und einen Eventualhaushalt von etwa 4 Milliarden DM verabschiedet hätte. Der Nachweis steht aus.Gegen Ende heißt es dann:Abgesehen davon, daß niemand klar sagen kann, wo der Auftragseingang heute stünde, wenn von vornherein für 1971 nicht mehr als 7 % Ausgabenzuwachs — und das heißt: kaum Bundesinvestitionen — zur Debatte gestanden hätten, wäre es außerordentlich mißlich für dieInvestitionsstimmung, wenn der Bund heute bewußt mit 4 Milliarden DM Investitionen zurückhalten müßte. Die Freigabe des Eventualhaushalts zu einem späteren Zeitpunkt hätte eine Signalwirkung, ein Kurswechsel der Notenbank die zweite und das Ende des Konjunkturzuschlags die dritte, eigentlich ein bißchen viel für eine Konjunktur, die doch nicht mehr so hektische Sprünge machen sollte. Die im letzten Sommer soviel beschworene verheerende psychologische Wirkung stünde in den nächsten Monaten nun tatsächlich ins Haus. Die Kritiker von damals— zum Teil sitzen sie ja hier —
sollten sich heute selbstkritisch fragen, ob wir nicht besser daran sind mit einem Etat, der von spektakulären Signalwirkungen jetzt frei ist, weil diese, wenn sie je bestanden haben, inzwischen still verdaut sind.Meine Damen und Herren, der Haushalt 1971, der, wie gesagt, konjunkturgerecht ist — darüber sind ja nicht nur die Regierung und die Koalition sich einig, es gibt genug Experten, die uns das bestätigt haben —, setzt deutlicher, als es noch 1970 möglich war, neue Akzente im Sinne der Regierungserklärung. Herr Kollege Hermsdorf hat das hier dankenswerterweise im einzelnen dargelegt. Er verstärkt den Anteil der Investitionen am Gesamtvolumen. Er versetzt Regierung und Parlament in die Lage, wichtige Schritte zur Verwirklichung der gesteckten Ziele zu tun. Die Entscheidung über den Haushalt ist eine Entscheidung auch über die Regierungspolitik. So wie wir dieser Regierungspolitik zustimmen, stimmen wir Freien Demokraten diesem Haushalt 1971 zu.
Meine Damen und Herren, auch der Herr Kollege Kirst hat die angemeldete Redezeit um fünf Minuten unterschritten.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Haushaltsdebatte hat es an sachlichen heftigen Auseinandersetzungen nicht gefehlt. Insgesamt besteht jedoch der Eindruck einer sich verschärfenden Konfrontation. Niemand wird mir auch bestreiten können, daß heute früh in der ersten Rede zur dritten Lesung wieder Schreckgespenster an die Wand gemalt worden sind. Über die Lage in der Bundesrepublik sprechen — das ist der Sinn auch einer Haushaltsdebatte — heißt auch über die Konfrontation sprechen. Die Arbeit, die Politik der Bundesregierung ist teils sachlich gewürdigt, teils scharf kritisiert worden, teils wurde sie in Grund und Boden verdonnert. Hier und da wurde sie in, wie ich meine, unzumutbarer Weise verdächtigt. Darauf werde ich auch eingehen müssen.Wenn man sich als Regierungschef damit auseinandersetzt, führt dies zwangsläufig zu Überlegun-
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Bundeskanzler Brandtgen, die sich auch auf den Zustand der Opposition beziehen. Nicht nur bei uns in der Regierung, sondern auch in breiten Teilen der Öffentlichkeit besteht der Eindruck, meine Damen und Herren: Die Opposition hat die Konfrontation bewußt angesteuert.
Damit wir uns nicht mißverstehen: die Bundesregierung bittet nicht um schonsame Behandlung. Sie bedarf der Kritik, und sie stellt sich der Auseinandersetzung, sie sucht sie. Was mir Sorge macht, meine Damen und Herren, ist nicht der Nachdruck, mit dem die Opposition ihre Sache vertritt, sondern die Methode, nach der sie hier und draußen vielfach argumentiert.Lassen Sie mich drei Fragen aufwerfen. Erstens möchte ich fragen: Was soll eigentlich dabei herauskommen, wenn man im Grunde die wirtschaftliche Zukunft schwarz in schwarz malt, wenn man die finanzielle Solidität des Staates im Grunde nicht nur in Frage stellt, sondern verneint, wenn auf diese Weise Unsicherheit und Mißtrauen im Lande verbreitet werden? Was soll dabei eigentlich herauskommen?
Solche Schwarzmalerei ist sachlich nicht berechtigt, sie schadet unserer Wirtschaft, und sie befindet sich nicht im Einklang mit den wohlverstandenen Interessen unseres Volkes.Herr Kollege Strauß, Sie haben, wie Sie zugeben müßten, den tatsächlichen wirtschaftlichen Ablauf des Jahres 1970 nicht richtig beurteilt gehabt.
Insofern bleibt die Kontinuität gewahrt: Sie werden auch mit den düsteren Perspektiven, die Sie jetzt aufmachen, nicht recht bekommen.
Aber der Weg, der vor uns liegt, kann durch Stimmungsmache und irrationales Verhalten schwieriger gemacht werden, als er sein müßte.
Ich weiß auch, daß in der Wirtschaft wieder schärfer gerechnet werden muß, daß Wirtschaft und Staat gleichermaßen vor der Frage stehen, ihre finanziellen Grundlagen solide zu sichern. Diesen Prozeß des Übergangs, des schärferen Rechnens, fördern wir aber doch nicht, indem wir landauf, landab von Inflation, Stagnation und Rezession reden. Wir fördern ihn, indem wir auf alle Beteiligten so einwirken, daß sie sich vernünftig und verantwortungsbewußt verhalten.
Herr Kollege Strauß, Sie haben mich, was Mainz angeht, nicht richtig zitiert.
Aber eines können Sie doch nicht bestreiten! — Ich komme nachher auf ein anderes Zitat zurück, das Sie dadurch entstellt haben, daß Sie zwei Sätze zitierten und das, was anschließend zum Inhalt gesagt wird, wegließen. Ich werde Ihnen das gleich vorhalten. — Aber, Herr Kollege Strauß, Sie können doch folgendes nicht bestreiten. Man kann nicht zu gleicher Zeit die Marktwirtschaft beschwören und sagen — was ja stimmt —, daß wir alle auf diesem Boden stehen, und dann so tun, als sei Ende 1969 plötzlich eine Neuordnung insoweit eingetreten, als die Regierung und der Staat Preise und Löhne nicht nur beeinflussen, sondern etwa bestimmen könnten. Dieser Eindruck ist heute erweckt worden.
Darauf kam es in diesem Zusammenhang an.Im übrigen beziehe ich mich ausdrücklich auf das, was die Bundesregierung hier im und zum Jahreswirtschaftsbericht gesagt hat. Es ist nicht rationell, wenn wir hier jede Woche Teile derselben Debatte führen.
Deshalb jetzt nur dies: es sollte unser gemeinsames Interesse sein, die Wirtschaft nicht unnötig zu beunruhigen.
Jeder sollte an seinem Platz dahin wirken, daß wir die Ziele des Stabilitätsgesetzes erreichen.
Weiter, meine Damen und Herren, möchte ich fragen: wohin soll es eigentlich führen,
wenn man unsere Außenpolitik so mißdeutet, wie es immer wieder, auch heute früh, wenn auch kurz, geschieht, wenn Sie auch hier Unsicherheit durch die Behauptung verbreiten — die haben Sie allerdings heute nicht gebracht; trotzdem muß ich sie in meine Betrachtungen einbeziehen —, unser Verhältnis zu den westlichen Verbündeten habe sich verschlechtert. Ich muß dem entschieden widersprechen. Herr Kollege Strauß, auch Sie haben dieser Tage wieder von einer Vertrauenskrise zwischen Washington und Bonn gesprochen. Diese Vertrauenskrise gibt es nicht. Man sollte auch insoweit nichts Falsches behaupten und verbreiten.
In diesem Zusammenhang habe ich übrigens eine Anregung an die Adresse des einen und anderen Kollegen aus den Reihen der Union, des einen und anderen, sage ich bewußt einschränkend. Wenn man nach Amerika fährt oder sonst in der Welt herumfährt, sollte man, wie meine Freunde und ich es
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Bundeskanzler Brandtgetan haben, als wir hier in der Opposition waren, draußen die gemeinsamen nationalen Interessen in den Vordergrund rücken
und im Ausland nicht in übertriebenem Maße denStreit führen, den wir zu Hause auszutragen haben.Aber die Sache, meine Damen und Herren, die uns hier miteinander angeht, ist ja in Wirklichkeit viel ernster. Der Bundesregierung wurde beispielsweise in diesem Hause im Verlauf dieser Haushaltsdebatte unterstellt, sie zögere oder wage nicht mehr, sich zu den Grundlagen zu bekennen, die das Fundament unserer Demokratie sind. Dann darf man sich doch nicht wundern.
wenn daraus draußen im Lande das böse Gerede vom Ausverkauf deutscher Interessen wird.
Kräfte, mit denen ganz gewiß kein verantwortlicher Führer oder Vertreter der Union etwas zu tun haben will, finden sich dann doch unter Berufung hierauf zu dem zusammen, was sie in makabrer Weise Widerstand nennen. Das wirkt sich dann unter anderem so aus, daß dem Bundeskanzler und anderen schwarz umrandete Todesurteile wegen angeblichen Volksverrats ins Haus geschickt werden.
— Hören Sie bitte zu!
Ich sage das nicht, um Sie in eine Ecke zu stellen, in die Sie nicht gehören
Ich sage es aus tiefer Sorge,
daß hier ein Ungeist, wenn auch wider Willen, wachgerufen werden könnte, durch den unser Volk schon einmal ins Unheil gestürzt worden ist.
Gewisse Kreise draußen sind doch dabei, mit Schlagworten wie Ausverkauf oder Preisgabe der deutschen Interessen rücksichtslos hausieren zu gehen. Dies ist eine perfide Propaganda, und der wird die Regierung energischer als bisher entgegentreten.
Wir vertreten mit allen Schwächen, die allem Menschlichen innewohnen, nach bestem Wissen und Gewissen die Interessen unseres Volkes, und dieses nationale Interesse gebietet, alles Mögliche zu tun auf dem Weg, den wir von Anfang an offen vor diesem Hause dargelegt haben und von dem wir uns nicht abbringen lassen. — Bitte sehr, Kollege Barzel!
Eine Zwischenfrage.
Herr Bundeskanzler, sind Sie bereit, hier zu erklären, daß dieser Ungeist, von dem Sie sprechen, nicht von der Opposition ausgeht, und dies selber dadurch glaubhaft zu machen, daß Sie sich hier von der Erklärung von Günter Graß und dessen Vorwürfen gegen die Führung der Opposition distanzieren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich weiß nicht, was Günter Graß, der hier selbst nicht zu Wort kommen kann, in dieser Debatte zu suchen hat.
— Nun will ich Ihnen mal etwas sagen. Sie können ruhig dem Bundeskanzler mal eine Weile zuhören. Darauf hat ,er Anspruch, und Ihnen wird es auch nicht schlecht bekommen.
Herr Kollege Barzel, ich habe ausdrücklich gesagt, daß ich niemandem, der bei Ihnen Verantwortung trägt, einen Zusammenhang mit dem unterstelle, von dem ich spreche. Ich habe gesagt: Sie müssen wie wir alle aufpassen — denn ich komme noch auf einen anderen Zusammenhang, von dem Herr Strauß gesprochen hat —, daß Sie nicht Kräfte auslösen und Geister wachrufen, die Sie dann nicht beherrschen können.
Lassen Sie uns hier in sachlicher, auch harter Auseinandersetzung darum streiten, wie wir die Lebensfragen der Nation am besten beantworten. Aber hören Sie bitte nicht nur hier, sondern auch draußen auf, Argumente durch Panikmache zu ersetzen und damit Wirkungen zu erzielen, die Sie ebenso schrekken müssen wie uns.Meine dritte Frage: Wem anders als ganz engen, kurzsichtigen parteipolitischen Interessen soll es eigentlich dienen, wenn man der deutschen Öffentlichkeit und darüber hinaus dem befreundeten Ausland zu suggerieren versucht, die sozial-liberale Koalition gefährde durch das, was man sozialistische Experimente nennt, Sicherheit und Wohlstand der Bundesrepublik Deutschland? Das ist doch purer Unsinn, und Sie wissen, daß das purer Unsinn ist.
Die Wochenzeitung „Publik" hat in diesen Tagen durchaus zutreffend dies ein verschwommenes Spiel mit dem Buhmann Sozialismus genannt. Diese Propaganda und die damit verbundenen Unterstellungen und Phantastereien vergiften die politische Dis-
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5942 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Bundeskanzler Brandtkussion. Die dadurch ausgelösten Wirkungen schaden dem nationalen Interesse. Deshalb sollte man damit Schluß machen und sich nuancierter und anspruchsvoller und damit auch aufrichtiger mit uns auch insoweit auseinandersetzen.
Was sollen die Anspielungen auf fremde Länder? Heute war nur von Schweden die Rede. Sonst hört man das auch noch anders. Was soll die Unterstellung, Sozialdemokraten und Freie Demokraten wollten womöglich weg von der freiheitlichen demokratischen, rechtsstaatlichen, marktwirtschaftlichen Ordnung? Wir sind deutsche Demokraten, die nicht nur auf das Grundgesetz vereidigt sind, sondern die, wenn es sein muß, auch mit dem Leben für es einstehen werden
und die alles daransetzen, es voll freiheitlich und sozial, so wie es der Auftrag ist, zu verwirklichen.Herr Kollege Strauß, was Zitate angeht: da hat vor einigen Jahren zu diesem Thema jemand in der Bundesrepublik geschrieben, die demokratischen Sozialisten hätten, als sie sich von den Kommunisten trennten, einen Gründungsauftrag übernommen und ein Ziel bekannt, dessen Legitimität niemand bestreiten könne, nämlich die Befreiung des Arbeiters vom Proleten. Und dann fuhr der Betreffende wörtlich fort:Die Rettung des Arbeiters vor dem Zugriff des ausbeuterischen Kapitalismus, die Frage der Gesellschaftsordnung, die Frage der Umschichtung unserer Gesellschaft, die Frage menschen-und kulturwürdiger Lebensverhältnisse für alle, dies alles wird eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür sein, daß die kommunistischen Versuche, die freie Welt zu zersetzen, scheitern werden.So Franz Josef Strauß laut Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 17. August 1962.
Herr Kollege Strauß, ich bekenne, daß ich heute manches anders sehe und auch anders sage. Bloß, wenn Sie die „Rheinische Post" zitieren und versuchen, mich hier in einem Gegensatz zu meinem verstorbenen Freund Erler zu bringen, dann bezieht sich darauf mein Hinweis: man kann auch fälschen, wenn man nur einen Satz zitiert.
Sie haben zitiert, richtig zitiert:
Ich habe ähnlich argumentiert. Insofern ist mir dies ,alles nicht fremd. Ich habe ähnlich argumentiert und meine Auffassung stark modifiziert.Da machen Sie Schluß. Und jetzt heißt es weiter:
—nein —Das gebe ich offen zu. Sie wissen, wir haben im Vertrag mit der Sowjetunion unseren Standpunkt zur Selbstbestimmung deutlich gemacht und durch unseren Notenwechsel ebenso wie beim Vertrag mit Polen unstreitig kundgetan, daß die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte für Deutschland als Ganzes weiter gelten. Darin liegt ja der Hinweis auf die noch offene friedensvertragliche Regelung.Das heißt: Sie haben mir in der Sache eine Änderung des Standpunktes unterstellen wollen zu einem Komplex, wo diese Änderung des Standpunktes durch Ihre Argumentation nicht nur nicht richtig wiedergegeben, sondern in ihr Gegenteil verkehrt wird, und das kann man nicht durchgehen lassen.
Herr Bundeskanzler, es liegen Wünsche für zwei Zwischenfragen vor, zunächst eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Picard und dann eine des Herrn Abgeordneten Strauß.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr.
Herr Bundeskanzler, würden Sie, da Sie gerade vom richtigen Zitieren und vom falschen Zitieren durch Weglassen sprechen, auch mitteilen, daß in dem Artikel der „Publik" unter der Überschrift „Buhmann Sozialismus" eine sehr ernste Warnung an die SPD enthalten ist, nämlich die Verteufelung der CDU wegen Rechtskartell zu unterlassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe mich auf diesen Zusammenhang überhaupt nicht bezogen,
sondern der Gedanke, den ich wiedergegeben habe,
ist völlig korrekt in dem Artikel enthalten.
Herr Bundeskanzler, da ich Ihre Mainzer Äußerungen im vollen Wortlaut der dpa-Meldung zitiert habe, frage ich Sie: Habe ich falsch zitiert oder ist die dpa-Meldung falsch, wenn Sie sagen, daß ich Ihre Mainzer Äußerungen nicht richtig wiedergegeben hätte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn Sie voll zitiert haben, ist die dpa-Meldung falsch; wenn die dpa-Meldung richtig ist, haben Sie nicht vollständig zitiert. Das werden wir ja klären.
Wir werden uns die Meldung angucken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich Sie noch einmal in dem Zusammenhang fragen: Ist der Satz „Dort, wo
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5943
Straußdie Preise gemacht werden, sind die Herren Strauß,Stoltenberg und Kohl näher dran" von Ihnen gesprochen worden oder ist er nicht gesprochen worden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jawohl, der ist gesprochen worden, und das stimmt.
Noch eine Frage!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Strauß, Sie sind doch sonst so stolz auf Ihre guten Beziehungen zu führenden Kreisen der deutschen Wirtschaft. Ich setze darauf, daß Sie an dieser Front so verantwortlich wirken wie andere an ihrer.
Nebenbei gesagt, ich wundere mich nur über Ihre Vorstellungen von der Preisbildung in der Marktwirtschaft.
Aber ich wollte Sie etwas anderes fragen: Wollen Sie im Ernst bestreiten, daß Sie in zwei Punkten die früher gemeinsame Position der Deutschland- und Ostpolitik eindeutig unter Bruch der Kontinuität verlassen haben, erstens mit der staatsrechtlichen Anerkennung eines zweiten deutschen Staates, begangen vor Ihrer Regierungserklärung und in Ihrer Regierungserklärung wiederholt — genau das Gegenteil dessen, was in der Großen Koalition gemeinsame Politik war —,
wollen Sie zweitens bestreiten, daß der Kollege Erler, der von dem Journalisten zitiert worden ist, gesagt hat, keine deutsche Regierung könne vor einer Friedenskonferenz — er meinte die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Grenze - auch nur de facto anerkennen, solange nicht ein Schritt nach vorne zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes getan werde? Darauf habe ich Ihre entscheidenden Sätze zitiert, was Sie hernach noch an „Escape"-Klausel und Briefwechsel bringen, und gesagt:
„Ich habe ähnlich argumentiert
und meine Auffassung stark modifiziert."
Das ist doch der entscheidende Satz, in dem Sie selbst sagen, daß Sie Ihre Auffassung geändert haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann das nicht für eine Frage, sondern muß es für einen Diskussionsbeitrag halten.
Ich werde zur Außenpolitik zurückkommen. Aber Kollege Strauß, seien Sie vorsichtig mit dem gegenseitigen Vorhalten von Zitaten, zumal wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen sind, aus den Jahren nach und vor 1945. Seien Sie damit vorsichtig!
Meine Überzeugung ist, — —
— Seit 45 zumal, ja.
Meine Überzeugung ist, —
— Nein, jetzt möchte ich fortfahren.
Herr Bundeskanzler, der Herr Abgeordnete Leicht - -
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, ich wünsche keine Zwischenfragen.
Der Herr Bundeskanzler hat die Möglichkeit, keine Zwischenfragen zuzulassen. Ich bitte Sie dann aber auch, das zu respektieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Überzeugung ist, eine Opposition um jeden Preis und die von Ihnen gesuchte zugespitzte, wie ich meine, überspitzte Konfrontation wird der Lage nicht gerecht. Ich übersehe nicht die sachlichen Beiträge in Ihren Reden zur Haushaltsdebatte, aber das waren leider die rühmlichen Ausnahmen. Ich spreche jetzt nicht über Unzulänglichkeiten und Fehler, die uns allen nicht fremd sind. Natürlich ist im Laufe der Monate manches gesagt worden, was besser so nicht gesagt worden wäre, und ich nehme mich dabei nicht aus. Aber, verehrte Kollegen von den Unionsparteien, liegt nicht doch eine der eigentlichen Schwierigkeiten darin, daß Sie oder viele von Ihnen immer noch nicht verwunden haben, daß Sie im Herbst 1969 die Rolle der parlamentarischen Opposition übernehmen mußten?
Ist es nicht so, daß manche von Ihnen immer noch als einen Unglücksfall mißverstehen.
was wir und weite Teile der Bevölkerung als Bewährung für diese Demokratie verstanden haben und verstehen?
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5944 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Bundeskanzler BrandtAuf Grund dieses Mißverständnisses und auf Grund der lange gepflegten Vorstellung, es gebe gewissermaßen eine geborene Staatspartei, fällt es Ihnen doch offenbar immer noch schwer,
die neue Aufgaben- und Rollenverteilung innerlich zu akzeptieren.
Und resultiert nicht auch daraus die Behauptung, eine sozial-liberale Koalition und die von einem Sozialdemokraten geführte Bundesregierung schadeten unserem Volk? Tun Sie das bitte nicht als Polemik ab, sondern nehmen Sie es als etwas,
das mich bewegt und worüber nachzudenken auch für Sie keine Zumutung sein sollte.
Denn der Weg der totalen Ablehnung und der emotionalen Absperrung ist nicht gut,
weder für unser Land und unsere Demokratie noch auch, wie ich meine, für Sie als Opposition.Herr Wörner hat nach seiner schrillen Rede in der vorigen Woche
in einem Rundfunkinterview dem, wie er sagte, falschen Eindruck widersprochen, es gebe zwischen den Parteien keine Gemeinsamkeiten mehr. Er erklärte, auf den Gebieten der Verteidigung, in der Berlin-Frage, in manchen sozialen Bereichen und einigen Problemen von Bildung und Forschung bestehe eine Gemeinsamkeit. Solche Feststellungen haben wir natürlich gerade nach den vorangegangenen Mißklängen sehr aufmerksam registriert. Heute morgen war davon jedoch schon wieder keine Rede mehr, auch nicht mehr die Andeutung einer Rede,
sondern wir haben in der dritten Lesung wieder eine Rede des bloßen Neinsagens mit Anklagen und Verdächtigungen gehört. Ich kann das nur bedauern.
Aber auch noch so starke Übertreibungen können mich nicht davon abhalten, hier festzustellen: die demokratischen Parteien bleiben, ob sie es immer erkennen oder nicht, in den Grundfragen des Staates aufeinander angewiesen, bei aller notwendigen Auseinandersetzung in der Sache.
Dies gilt nicht zuletzt für den Schutz gegen die Feinde der Demokratie.
Dazu gehört die Absicherung gegen Extremisten auf der einen ebenso wie auf der anderen Seite.
Niemand, von welcher Seite auch immer, hat das Recht, eine demokratische Partei mit radikalen Randerscheinungen unserer Gesellschaft gleichzusetzen.
Das kann nur den Extremisten nützen
— nun hören Sie doch mal zu! —, es kann nur den Feinden der Demokratie zugute kommen.
Aber, Herr Strauß, mit den Jusos sollten Sie es sich nicht zu leicht machen.
Wir machen es uns nicht leicht. Wir führen ernste Diskussionen und nehmen dort, wo es erforderlich ist, auch Abgrenzungen und Trennungen vor.
Nur, ein kommunistisches Wochenblatt war bis heute noch kein Beweisstück in diesem Deutschen Bundestag.
Die Tatsache, daß die Kommunisten mit Leuten in Verbindung treten, gibt Ihnen noch nicht das Recht, diese zu zitieren, als stimme das, was die Kommunisten schrieben.
— Nein, ich fahre jetzt fort.
Herr Abgeordneter Strauß, ich rufe Sie zur Ordnung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sage gerade nach den Ausführungen von Herrn Strauß: Die notwendige Abgrenzung und Absicherung darf nie verwechselt werden mit einer globalen Voreingenommenheit gegenüber kritisch, auch sehr kritisch ein-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5945
Bundeskanzler Brandtgestellten Jugendlichen oder gar mit einem SichSperren gegen ein geistiges Ringen mit unbequemen Meinungen.
Meiner Meinung nach sollte nicht unterschätzt werden, daß mancher Kritiker aus den geistigen Schichten und aus den Reihen der jungen Generation die Negation überwunden und sich Aufgaben unseres demokratischen Staates zugewandt hat.
Diese Möglichkeit dürfen wir niemandem versperren.Im übrigen braucht die deutsche Demokratie eine große, staatstragende, die Regeln der parlamentarischen Demokratie achtende konservative Partei. Da gibt es doch keine verschiedenen Meinungen. Aber zum Selbstverständnis und zur Funktionsfähigkeit unserer Demokratie gehört auch, daß eine Partei, wenn sie aus der Regierung in die Opposition überwechsel, ihre neue Rolle konstruktiv begreift, sie ausfüllt, anstatt Kollision um jeden Preis zu suchen.
Dabei verwechseln Sie, wie Herbert Wehner hier neulich richtig gesagt hat,
unausgesetzt Hoffnungen mit Möglichkeiten. Was ist nicht alles vor den Hessen-Wahlen von Ihrer Seite prophezeit worden! Nach den Hessen-Wahlen hieß es dann aus Ihrer Fraktionsführung, es sei doch wohl besser, an den Osterhasen als an den Weihnachtsmann zu glauben. Bald wird man wieder an den Weihnachtsmann glauben müssen.
Für die Bundesregierung darf ich erklären: die von uns eingeleitete Politik der schrittweisen Reformen werden wir entschlossen und konsequent fortsetzen.
Wie immer man das zu kurz Gekommene im vergangenen Jahr beurteilt und erklärt, den meisten im Lande ist heute klar, daß wir unsere Gesellschaft und unseren Staat modernisieren und reformieren müssen.
Mit kleinen Reparaturen hier und da ist es nicht getan. Zum Teil müssen eben bewußt neue Wege gegangen werden. Daß wir als Gesamtheit, als Gesellschaft der Sicherung unserer Zukunft wegen dabei in den kommenden Jahren auch etwas tiefer in die Tasche werden greifen müssen, wird auch von der Union nach ihrem letzten Programm und nach sonstigen Aussagen im Grunde nicht mehr bestritten.
Dabei muß jeder wissen: nur auf dem Hintergrund und mit den Erträgen einer stabilen und sich gesund entfaltenden Volkswirtschaft können wir die notwendigen neuen Aufgaben meistern. Hierzu darf ich noch einmal daran erinnern, daß die Regierung im nächsten Monat, gestützt auf die Große Anfrage der CDU/CSU, ausführlich zu allen Reformen und Maßnahmen dieser Legislaturperiode Stellung nehmen wird.
Man hat gelegentlich so getan, als ob nicht — gestützt auf die Initiative dieser Regierung und dieser Koalition — bereits in den hinter uns liegenden Monaten ein ansehnliches Stück Reformarbeit geleistet und eingeleitet worden wäre.
Die Menschen draußen im Lande wissen das besser, meine Damen und Herren.
Manches wirkt sich im Leben der Bürger schon fühlbar aus.
Ich erinnere nur an die Umstrukturierung und Dynamisierung der Kriegsopferrenten,
an die Abschaffung des Krankenversicherungsbeitrages für Rentner,
an die Verdoppelung der Vermögensbildung für Millionen von Arbeitnehmern und an die Erweiterung der Krankenversicherung für die große Gruppe der Angestellten in unserem Volk.
Über die Probleme der Agrarpolitik und damit über die aktuellen Sorgen der Bauern werden wir in Kürze beraten,
wenn der Agrarbericht 1971 hier zur Debatte steht.
Diese Bundesregierung wird es wie bisher nicht an solchen Initiativen fehlen lassen, die im Rahmen unserer Möglichkeiten
— was heißt da „aha"?; das sind mir schöne Europäer, die da „aha" rufen; das ist nämlich das antieuropäische „Aha" —
den legitimen landwirtschaftlichen Interessen Rechnung tragen.
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5946 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Bundeskanzler Brandt— Herr Barzel, der Bundeskanzler hat Ihre Belehrungen in bezug auf die Art seines Vortrages nicht nötig.
Für dieses Jahr 1971 haben wir eine Anzahl von dringlichen und zugleich realisierbaren Maßnahmen vorbereitet und eingeleitet.
Mit dem neuen Betriebsverfassungsgesetz, das hier gestern eingehend beraten worden ist, wollen wir ein Stück der jetzt möglichen realen Mitbestimmung für die Arbeitnehmer in den Betrieben schaffen bzw. verstärken.
Ich verspreche jetzt nur vom Jahre 1971.
Die Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes
wird nach drei vergeblichen Anläufen in drei Legislaturperioden endlich einige der Voraussetzungen für eine moderne Entwicklung unserer Städte mit besseren Wohnmöglichkeiten in einer menschenwürdigen Umwelt schaffen.
Mit der schrittweisen Öffnung der Rentenversicherung für weitere Bevölkerungsgruppen, insbesondere für die Selbständigen und nicht berufstätige Hausfrauen, wird ein weiterer Schritt in Richtung auf soziale Sicherheit getan werden können.
Die Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung für Landwirte, mithelfende Familienangehörige und Altenteiler
wird unser sozialpolitisches Angebot an die landwirtschaftliche Bevölkerung abrunden.
Und last but not least wird der Ausbau des Bildungswesens durch die Vorlage des Bildungsgesamtplansder Bund-Länder-Kommission fortgesetzt werden.
Dazu gehört natürlich dann auch die parlamentarische Behandlung des Hochschulrahmengesetzes.Auch im Rahmen des Umweltschutzes und der Gesundheitssicherung stehen ganz konkrete Einzelmaßnahmen bevor. Diese Maßnahmen sind nicht immer spektakulär, aber konkret: so die Herabsetzung des Bleigehalts im Benzin
— lachen Sie einmal gegenüber den Menschen, die dieses Problem beschäftigt! —, so die rasche Verabschiedung des Abfallbeseitigungsgesetzes, des Immissionsschutzgesetzes sowie des Fluglärmgesetzes, das heute früh aus dem Vermittlungsausschuß auf uns zukam. Mit dem Gesundheitsbericht wird sich der Bundestag hoffentlich eingehend befassen. Die Bundesregierung hat den gesetzgebenden Körperschaften ihren Entwurf eines Krankenhausfinanzierungsgesetzes unterbreitet. Über dieses Projekt sind sich Bund und Länder noch nicht einig; das weiß hier jeder.
Aber die Richtung ist, denke ich, klar. Die Richtung ist die: Die öffentliche Hand soll die Kosten für die Bereitstellung von modernen Krankenhäusern und ihrer Einrichtung übernehmen, der Patient bzw. seine Krankenkasse sollen für die Pflegekosten aufkommen.Im Rahmen ihres Programms zur Bekämpfung des Rauschmittelmißbrauchs wird die Regierung darauf drängen, daß das Opiumgesetz alsbald verschärft und damit vor allem den Rauschmittelhändlern das Handwerk gelegt wird.
Gestern hat das Kabinett den Entwurf eines neuen, umfassenden Lebensmittelgesetzes beschlossen, das vor allem dem erhöhten Verbraucherschutz dienen wird.Diese Maßnahmen sind so angelegt, daß sie mit den haushaltsmäßigen Möglichkeiten und den konjunkturpolitischen Notwendigkeiten im Einklang stehen.
ich sage noch einmal: Diese Regierung wird stets auf die Solidität unserer Finanzwirtschaft achten.
Wir würden uns jedoch zur Ohnmacht verurteilen, wenn wir uns nicht von dem Grundsatz leiten ließen, daß das Notwendige schließlich auch machbar sein muß.
Dabei mag das eine oder andere länger dauern, als wir es alle wünschen, aber die Geschichte ist nicht in Legislaturperioden eingeteilt.Lassen Sie mich auch dies in allem Freimut sagen: Wir haben uns vorgenommen, auch nach den Wahlen von 1973 unser Programm der inneren Reformen fortzuführen.
Nun noch zu zwei speziellen Fragen, die in der zweiten Lesung des Haushalts eine Rolle gespielt haben und auf die ich in der dritten Lesung als Regierungschef zurückkommen muß, weil sie in der
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5947
Bundeskanzler BrandtÖffentlichkeit so viel Interesse finden. Über die Reform des Eherechts wird teilweise so gesprochen, als läge statt einer Diskussionsgrundlage ein Regierungsentwurf vor.
und als ob Regierung und Koalition weniger ehe-und familienfreundlich wären als andere. Ich muß dem mit allem Nachdruck widersprechen.
In Wirklichkeit sieht es doch so aus, daß der diskutierte Übergang zum Zerrüttungsprinzip ernsthaft nicht umstritten ist. Dem stimmen auch die beiden großen Kirchen zu, deren Meinung uns gerade auf diesem Gebiet besonders wichtig ist und sein muß. Es geht doch darum, das Fundament der Ehe und Familie, ein tragendes Fundament unserer Gesellschaft, neu zu festigen. Darum geht es.
Die Frauen — das möchte ich hier in aller Klarheit sagen sollen nach Abschluß der vor uns liegenden Reformen, ob diese nun etwas mehr Zeit erfordern werden oder nicht,
nicht etwa schlechter, sondern sie sollen besser dastehen als zuvor.
Der Grundsatz, daß der wirtschaftlich Stärkere dem wirtschaftlich Schwächeren zu helfen hat, wird sich ja überhaupt erst mit einer neuen gesetzlichen Regelung verwirklichen lassen.
Im übrigen werden wir uns intensiv bemühen, die unter dem Mantel einer veralteten Ideologie gewachsene Ungleichheit der Frau in Bildung und Ausbildung, im Verdienst und im Steuer- und Sozialrecht nach und nach abzubauen. Wenn es um diese wichtigen Belange der Frauen in unserer modernen Gesellschaft geht, sollten alle um die bestmöglichen Lösungen wetteifern. Das ist jedenfalls sinnvoller als eine Verdächtigung und Verfälschung von Absichten dieser Bundesregierung.
Ein Wort auch zur Reform des Sexualstrafrechts und zur Pornographie.
Ich habe meinen Standpunkt zu diesem Thema schon ,früher öffentlich dargelegt.
Mir ist zutiefst zuwider, was einem auf diesem Gebiet alles zugemutet wird.
Wer sagt, meine Partei oder die von mir geführte Regierung treten für Schweinereien ein, dem kann ich nur hart erwidern, er möge in den Spiegel gukken!
Wir alle wissen, daß die bestehenden Gesetze die Ausbreitung pornographischer Produkte nicht verhindert haben,
Unsere unmittelbare Sorge muß jetzt aber, so meine ich, vor allem darauf gerichtet sein, unsere Jugend besser als bisher zu schützen.
Die Frage, ob man dies bei gleichzeitiger Entkriminalisierung im Erwachsenenbereich erreichen kann, ist vielschichtig und läßt sich gewiß nur nuanciert beantworten. Im ganzen, meine ich, handelt es sich hier um ein Gebiet, wo mit dem gebotenen Ernst zusammengearbeitet werden sollte. Alle sollten der Versuchung widerstehen, aus dieser Problematik parteipolitisches Kapital zu schlagen.
Herr Kollege Strauß, da Sie es durch Ihre Zwischenfrage ausdrücklich noch einmal gewünscht haben, von den Bemerkungen heute früh abgesehen, auch noch ein Wort zur Außenpolitik, obwohl wir gerade eine außen- und deutschlandpolitische Debatte hinter uns haben. Ich habe auch einleitend schon ein paar Bemerkungen gemacht, deshalb jetzt in aller Kürze nur das Folgende. Die äußere Sicherheit unseres Staates liegt dieser Bundesregierung ebenso am Herzen wie das Wohl unserer Bürger im Innern.
Grundlage dafür ist die enge und unauflösliche Gemeinschaft mit unseren Verbündeten und Partnern im Westen.
Darum hat die Vertiefung und Weiterentwicklung der westeuropäischen und atlantischen Zusammenarbeit und Einigung immer die erste Priorität gehabt, wenn ich nach einer Wertskala gefragt wurde und werde. Erst von dieser Grundlage aus können die gemeinsamen Bemühungen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Partner um einen Ausgleich mit den östlichen Partnern mit dem Blick auf eine europäische Friedensordnung zum Erfolg geführt werden.Ich habe das Schlagwort von der deutschen Ostpolitik nicht erfunden. Aber es ist an sich nicht verwunderlich, daß die Bemühungen um unseren spe-
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Bundeskanzler Brandtzifischen, durch andere ermunterten, aber unseren spezifischen Beitrag zum Abbau von Spannungen, zur Normalisierung zwischenstaatlicher Beziehungen, zur Vorbereitung einer europäischen Friedensordnung weltweites Interesse gefunden haben. Ich habe nichts davon abzustreichen, nichts von dem, was wir dazu gesagt haben. Auf unser Wort gegenüber jedem unserer ausländischen Partner ist Verlaß. Das will ich von dieser Stelle aus auch gesagt haben.
Auf der anderen Seite sollte man die Elemente der deutschen Westpolitik — ich benutze diesen Ausdruck jetzt einmal absichtlich, obwohl er im Grunde auch unzulänglich ist, weil er wie der andere Ausdruck von der Gesamtkonzeption ablenkt, die in sich zusammenhängt — betrachten. Man sollte nicht den Eindruck entstehen lassen oder fördern helfen, als ob die deutsche Westpolitik zu kurz komme. Niemand kann ernsthaft bestreiten, daß in .den vergangenen Monaten ganz wesentliche Fortschritte in Richtung sowohl auf den inneren Ausbau als auch auf die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft gemacht worden sind.
Und die Bundesrepublik Deutschland hat dabei durch diese Regierung wichtige Schrittmacherdienste geleistet.
Über die Erweiterung der Gemeinschaft wird nicht mehr gestritten, sondern darüber wird ernsthaft verhandelt.Nach der trotz aller Schwierigkeiten erfolgreichen Ministerratssitzung am Montag und Dienstag in Brüssel hat nun rückwirkend ab 1. Januar 1971 auch jener Prozeß begonnen, der innerhalb eines Jahrzehnts schrittweise zu einer Zusammenlegung der Wirtschafts- und Währungspolitik in der Gemeinschaft führen wird. Das ist — seien wir ehrlich — mehr, als die meisten hier noch vor wenigen Wochen und Monaten für möglich gehalten haben.
Die Gemeinschaft gewinnt eine neue Dimension, die in ihrer Bedeutung nur mit den seinerzeitigen Römischen Verträgen verglichen werden kann. So sieht es aus!
Zum erstenmal gibt es nun auch eine in der Perspektive der Erweiterung organisierte und ausbaufähige politische Zusammenarbeit in Westeuropa. Diesen Hintergrund ebenso wie das, was der Bundesverteidigungsminister hier kürzlich vorgetragen hat, sollte sich jeder immer wieder vergegenwärtigen, der sich ein solides Urteil über die Ausgewogenheit unserer Politik bilden will.Wenn es bei den Bemühungen um eine bessere Regelung der Lage in und um Berlin etwas langsam geht, dann ist das kein Grund zur Nervosität.
Neben anderen Faktoren geht es hier auch um die Sorgfalt und Festigkeit,
mit der die legitimen Berliner Interessen durch uns und unsere Verbündeten vertreten werden.
Gerade hier kann mir keiner etwas vormachen wollen. Ich kenne die Kümmernisse und die Unzulänglichkeiten vergangener Jahre ebensogut wie die heutigen Notwendigkeiten und Möglichkeiten. Im übrigen verweise ich auf die Neun-Punkte-Stellungnahme, die ich am vorigen Sonnabend in Berlin abgegeben habe. Die Bundesregierung wirkt im Rahmen ihrer Möglichkeiten aktiv daran mit, daß es zu einer befriedigenden Berlin-Regelung kommt.Nun hat es jüngst allerlei Aufregung gegeben um Meldungen, die Herr Strauß ein „Mysterienspiel" genannt hat. Ein bekannter deutscher Kommentator in Washington hat das einen „Sturm im Wodkaglas" genannt, Herr Strauß.
Ich halte mich an das, was Regierungen erklärt haben und erklären, und warne davor, daß wir andere mit uns spielen lassen,
daß Sie, gestützt auf das, was — aus welchen Quellen auch immer —
umläuft — ich weiß doch, was schon wieder umläuft, neben den Meldungen von draußen auch gefälschte Dokumente —,
andere durch all dies mit sich spielen lassen, und zwar gegen die Regierung. Ebenso wenig ist die Regierung dumm und ungerecht genug, dem — gestützt auf solche Meldungen — Glauben zu schenken, was über die Bereitschaft von Gesprächspartnern der Union gegenüber Vertretern der Sowjetunion angeblich gesagt worden ist.
Nein, wir dürfen nicht mit uns spielen lassen, wobei die jeweiligen Spieler nicht immer nur im Ausland sitzen; das weiß ich auch.
Ich weiß natürlich, wenn ich das zum Schluß sagen darf, meine Damen und Herren: die Opposition kann ihren Kurs jetzt nicht ändern. Ich weiß, sie wird den Haushalt ablehnen. Das ist auch ein legitimes parlamentarisches Mittel, und es ist auch nicht weiter tragisch, denn unsere Mehrheit ist ja in den Abstimmungen dieser Tage bekanntlich nicht kleiner geworden.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5949
Bundeskanzler BrandtIch werde hier auch durch meine Rede keine Stimmen für die Abstimmung gewinnen können,
aber vielleicht könnten doch einige meiner Hinweise bei den weiteren Überlegungen hier und dort Beachtung finden.Meine Damen und Herren, betrachtet man die Lage der Bundesrepublik Deutschland im Innern und nach außen in Ruhe und mit Objektivität, wie das auch die Mehrheit der Bevölkerung tut,
dann bleibt — mit vollem Respekt — die leider sporadische sachliche Kritik der Opposition gewissenhaft zu überprüfen. Aber die Stimmungsmache gegen die Regierung wird zurückschlagen!
Selbstverständlich ist an unserer Arbeit mancherlei auszusetzen, aber ihr bisheriges Ergebnis kann per Saldo auch vor einer strengen Prüfung bestehen. Wir sind nicht überheblich und bleiben offen für jedes sachlich-kritische Argument. Das ändert nichts an unserer Entschlossenheit, unseren Weg unbeirrt fortzusetzen zum Wohle unseres Volkes, Europas und des Friedens. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der niedersächsische Finanzminister Dr. Heinke gemäß § 47 der Geschäftsordnung.
Dr. Heinke, Minister des Landes Niedersachsen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wenn sich nach den lebhaften und verantwortungsvoll geführten Debatten über die Haushalts- und Finanzpolitik des Bundes, die in diesen Wochen bis in die Nächte hinein Ihre Kraft übermäßig beansprucht haben, und nach der Erörterung der schwerwiegenden und hochpolitischen Fragen an diesem Vormittag noch einmal ein Vertreter der Länder zur dritten Lesung des Bundeshaushalts für zehn Minuten meldet, so bitte ich, nicht die Geduld zu verlieren und diesen Sitzungssaal nicht gleich zu verlassen.
Was es für mich in dieser Stunde zu sagen gibt? Es kann sich nur darum handeln, das von dem Herrn Bundeskanzler als wichtiges Ziel der Regierungspolitik soeben erwähnte Wohl unserer Bürger im Innern nachdrücklich auch aus der Sicht der Länder zu unterstreichen. Ich beabsichtige also nicht, ein Klagelied über die Finanznot der finanzschwachen Länder zu singen, noch dazu, nachdem heute morgen von Ihnen ausführlich über das Petitum des Vermittlungsausschusses gesprochen und abgestimmt wurde. Diese Finanznot, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist Ihnen ohnehin bekannt. Die Abgeordneten dieses Hohen Hauses haben wiederholt, nachdrücklich und einmütig erklärt, daß eine weitere Verbesserung des Finanzausgleichs zugunsten der finanzschwachen Länder notwendig und erstrebenswert ist. Auch die Vertreter der Bundesregierung — hier darf ich dankbar als authentischen Zeugen neben dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Reischl den Herrn Bundesfinanzminister selbst erwähnen — haben keine Zweifel daran gelassen, daß sie die im Entwurf des Länderfinanzausgleichsgesetzes vorgesehene Verstärkung der Finanzkraft der leistungsschwachen Länder für unzureichend halten.
Meinungsverschiedenheiten bestehen heute ja nur noch über den Weg, auf dem in nüchterner Abwägung der finanziellen Möglichkeiten und der politischen Realitäten dieses allseits für notwendig und dringlich gehaltene Anliegen erreicht werden kann. Während sich im Vermittlungsausschuß die klare Mehrheit für die Verstärkung der Ergänzungszuweisung und damit für eine weitere Aktivität des Bundes ausgesprochen hat, haben viele Abgeordnete dieses Hohen Hauses bis in die Abstimmungen der letzten Stunde hinein bekundet, das Ziel der Finanzreform sei insoweit zwar nicht erreicht, es müsse aber von den Ländern selbst erwartet werden, daß sie im Rahmen eines kooperativen Föderalismus die Verantwortung dafür übernähmen, daß die Leistungsfähigkeit aller Bundesländer gewährleistet bleibe; der Bund dürfe die Länder insoweit aus ihrer Verantwortung nicht entlassen. Dies als Zitat aus dem Kurzprotokoll der 21. Sitzung des Finanzausschusses des Bundestages vom 23. September 1970.
Zwischen diesen beiden Ansichten und den daraus zu ziehenden Konsequenzen suchte schließlich der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu Kap. 60 02 Tit. 612 01 des Bundeshaushalts 1971, mit dem die Bundesergänzungszuweisung in diesem Jahr wenigstens um 100 Millionen DM erhöht werden soll, zu vermitteln.
Worum es heute geht, meine Damen und Herren, ist, über dem Streit um Prinzipien, über die Auseinandersetzung, wer den finanzschwachen Patienten zu behandeln hat, nicht diesen Patienten selbst mit seinen Leiden und Problemen zu vergessen.
Denn wenn es wirklich die Länder sind, die sich selbst durch einen besseren horizontalen Finanzausgleich helfen sollen, dann wissen Sie, meine Damen und Herren, spätestens seit Vorlage der Bundesratsdrucksache 1098 aus der Stellungnahme des Bundesrats zum Länderfinanzausgleichsgesetz und aus der Gegenäußerung der Bundesregierung hierzu, daß die Mehrheit der Länder nicht willens oder in der Lage ist, eine solche echte oder fiktive Pflicht angemessen zu erfüllen oder — um mit dem Finanzausschuß des Bundestages zu sprechen — ein solches „kooperatives Verhalten" zu begründen. Wenn es aber die Pflicht des Bundes wäre, hier den Ausgleich mit einem verstärkten vertikalen Finanzausgleich vorzunehmen oder aber mit der Durchsetzung des Verfassungsgebots für einheitliche Le-
Landesminister Dr. Heinke
bensverhältnisse zu sorgen, dann läßt sich die vorhin durchgeführte Abstimmung über das Petitum des Vermittlungsausschusses, etwas für die finanzschwachen Länder zu tun, nur sehr sorgenvoll betrachten.
Stehen wir also wirklich in der Finanzpolitik des Bundes und der Länder vor einem Patt? Und sind wir unschlüssig oder unwillig, das für richtig Erkannte politisch durchzusetzen? Sie wissen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß sich das Land Niedersachsen stets und nicht zuletzt bei den Beratungen über die Finanzreform durch meinen Vorgänger im Amt, den derzeitigen Ministerpräsidenten Kubel, zum Grundsatz bundesstaatlicher Gesamtverantwortung in all jenen Bereichen bekannt hat, die durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt werden können oder die zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit über das Gebiet eines einzelnen Landes hinaus unter übergeordneten Gesichtspunkten gestaltet werden müssen.
Aus letzter Zeit erinnere ich nur an unsere Stellungnahmen und Initiativen im Bundesrat zur Besoldungssituation und zur Besoldungseinheit.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Minister Professor Heinke, warum haben Sie diese Ihre Ausführungen nicht heute bei der Debatte über den Vorschlag des Vermittlungsausschusses gemacht?
Dr. Heinke, Minister des Landes Niedersachsen: Ich bedaure sehr, daß ich bei dieser Gelegenheit nicht die Möglichkeit hatte zu sprechen, da nur kurze Erklärungen abgegeben werden können. Mein Petitum zielt darauf, bei der nüchternen Abwägung der Realitäten zu einem Vorschlag zu kommen, der unser Anliegen dennoch unterstützt. Es geht also nicht um eine Nachlese, die zu spät kommt.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abg. Leicht?
Herr Heinke, ich frage nur, damit Klarheit besteht: Wissen Sie, daß in dieser Frage zur dritten Lesung mittlerweile kein Änderungsantrag mehr vorliegt? Denn andere Leute haben sich gedacht: Wenn die Länder selber hier nicht im richtigen Zeitpunkt auftreten, haben wir es nicht mehr nötig, für sie zu kämpfen.
Dr. Heinke, Minister des Landes Niedersachsen: Herr Abgeordneter Leicht. Das mag sein. Aber ich bin sofort am Ende. Ich werde Ihre Geduld nicht überstrapazieren.
- Ich konnte die Rede nicht früher halten,
weil zum Vermittlungspetitum lediglich Erklärungen abgegeben werden können.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß Ihre jetzigen Ausführungen wenigstens eine höhere Präsenz Ihrer Parteifreunde in diesem Hohen Hause erforderlich machen?
Dr. Heinke, Minister des Landes Niedersachsen: Es steht mir nicht an, über die Präsenz der Abgeordneten zu urteilen.
- Ich werde Ihnen den Ball sofort wieder zuspielen, und ich hoffe, daß Sie das Petitum, das ich am Schluß meiner Rede ausspreche, genauso intensiv unterstützen, wie Sie sich im Augenblick mir gegenüber kritisch verhalten.Aus letzter Zeit erinnere ich nur an unsere Stellungnahmen und Inititativen im Bundesrat zur Besoldungssituation und zur Besoldungseinheit. Wir sind somit aus Sorge urn den Bestand der bundesstaatlichen Ordnung ebenso allen Tendenzen eines separativen Föderalismus entgegengetreten wie auch gegen den Zusammenschluß der Länder als Interessenverband gegenüber dem Bund. Wer die Stellungnahme kennt, die ich im Auftrage meines Landes im Finanzplanungsrat, im Konjunkturrat oder im Wissenschaftsrat für ein gemeinsam abgestimmtes Konzept ohne jede Frontenbildung abgegeben habe, der weiß, daß es hier nicht um irgendein Alibi in irgendeiner Landtagsfraktion geht, sondern, daß mein Land und ich ebenfalls aus verfassungsrechtlichen Gründen stets jedem Versuch entgegengetreten sind, die Ländergesamtheit gleichsam als einen Staatenbund im Bundesstaat zu etablieren.Gerade deshalb treibt mich heute die Sorge zu Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, um eben dieses Bundesstaates willen nochmals die dringliche Bitte vorzutragen:
— Einen Moment. — Überlassen Sie die politische Entscheidung über eines der wichtigsten Gebiete unseres staatlichen Lebens, die Finanzverfassung und den Finanzausgleich innerhalb der Bundesrepublik, nicht einer Ländergemeinschaft, die nach Ausschaltung der übergreifend ordnenden Kraft des Bundes - wie seit eh und je praktiziert — die Minderheit
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5951
Landesminister Dr. Heinkeder Schwachen durch die Mehrheit der Starken in die Ecke manövriert.Bitte!
- Danke.
Meinen Sie ernsthaft, daß Sie Ihrem Anliegen so sehr dienen, nachdem darüber längst abgestimmt worden ist, wenn Sie jetzt durch diese Rede den Zusammenhang der Debatte unterbrechen?
Dr. Heinke, Minister des Landes Niedersachsen: Warten Sie ab! Ich habe nur noch wenige Sätze.
Der Bund ist wahrlich mehr als Zuschauer, Notar oder Schiedsrichter in diesem ungleichen Kampf, wie dies beispielsweise im Finanzausschuß des Bundestages erklärt worden ist, wo wir leider zu spat geladen worden sind, um uns dazu zu äußern. lam obliegt es, die dem Gesetzgeber in Art. 107 GG zugewiesene Funktion zu erfüllen und dabei die in den Artikeln 72 und 106 gewährleistete Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in allen Ländern der Bundesrepublik zu sichern. Anderenfalls blieben alle Bemühungen im Finanzplanungsrat und im Konjunkturrat, zu einer in sich abgestimmten Finanzpolitik und zu einer gemeinsamen mittelfristigen Finanzplanung zu kommen, wirkungslos.
Wenn sich das Hohe Haus deshalb aus grundsätzlichen Erwägungen und im Hinblick auf die in der Tat äußerst schwierige Finanzlage des Bundes nicht in der Lage sieht, den Verfassungsauftrag über die Verstärkung des Ansatzes der Ergänzungszuweisungen zu erfüllen, dann geht unsere Hoffnung und unsere Bitte jetzt dahin, die Bundesregierung möge eine breite Unterstützung aller politischen Kräfte im Bundestag und in den Landtagen dafür finden, noch für 1971 eine Intensivierung des Länderfinanzausgleiches mit einer eigenen Gesetzesinitiative durchzuführen; dies um so mehr,
als dieses Länderfinanzausgleichsgesetz nach unserer Auffassung ohnehin aus verfassungsrechtlichen Gründen novelliert werden muß.
Ich bin aber auch gewiß, daß ein entsprechender Antrag — nun wende ich mich an das Hohe Haus — aus der Mitte des Bundestages in weiten Kreisen der Bevölkerung dankbar und mit großer Erleichterung begrüßt und als ein sichtbares Zeichen politischen Handelns aus dem Geiste bundesstaatlicher Gesamtverantwortung gewertet würde.
Das Wort hat der Abgeordnete Franke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte
gewünscht, daß der Finanzminister des Landes Niedersachsen, der eben gesprochen hat, diese seine Ausführungen heute morgen gemacht hätte, als wir über Drucksache VI/ 1831 abgestimmt haben.
Ich darf mich als Sprecher der christlich-demokratischen und christlich-sozialen Bundestagsfraktion in der Sache ausdrücklich zu Ihrem Petitum bekennen, verehrter Herr Finanzminister Heinke, aber nicht zu dem Verfahren, das Sie heute angewandt haben.
Sie kommen mit Ihrer Rede mindestens um drei Stunden zu spät.
Sie haben fast ausschließlich in die Mitte des Hauses hineinargumentiert, verehrter Herr Professor Heinke. Sie hätten, zu Ihren Genossen gewendet, Ihre Argumente vorbringen und diese auffordern müssen, diesem unserem Anliegen zuzustimmen.
Ich wiederhole: Ich habe den Eindruck, Sie brauchen diese Ihre zu spät gehaltene Rede als Alibi für die Auseinandersetzung im Landtag des Landes Niedersachsen. Dort, kann ich Ihnen sagen, wird Ihnen diese Auseinandersetzung nicht erspart bleiben.
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es bleibt mir in diesem Hause auch nichts erspart.
Ich muß und ich werde hier den Finanzminister von Niedersachsen in Schutz nehmen, und zwar aus folgendem Grund.
— Moment. Der Finanzminister von Niedersachsen hatte sich zu Wort gemeldet, als der Antrag des Vermittlungsausschusses heute morgen hier zur Debatte stand. Es ist ihm von seiten des Präsidiums erklärt worden, daß wir in der Abstimmung seien und daß er dazu nicht reden könne.
Dies ist ihm erklärt worden. Daß er nun versucht, sein Anliegen noch vorzutragen, und daß er darüber hinaus, nachdem die Abstimmung so ausgegangen ist, hier einen neuen Vorschlag präsentiert, das ist sein gutes Recht.
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5952 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Meine Damen und Herren, manchmal empfiehlt sich Rigorismus, aber weniger in Geschäftsordnungsangelegenheiten als in moralischen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten von Wrangel. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 20 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat an dieser Stelle, statt auf die bohrenden Fragen der CDU/CSU zu antworten, das getan, was auch andere vor ihm versuchten, nämlich in ein Ausweichmanöver zu gehen und den Zustand der Opposition zu beschreiben.
Herr Bundeskanzler, es wäre für diese Debatte sicherlich besser gewesen, wenn Sie den Zustand Ihrer Regierung beschrieben hätten.
Denn diese Regierung hat es gerade auch nach Ihrer Rede an klaren Aussagen fehlen lassen.
Herr Bundeskanzler, wo sind denn die Schreckgespenster? Was unser Kollege Franz Josef Strauß hier gesagt hat, sind doch Tatsachen, und Sie waren wieder nicht in der Lage, diese Tatsachen hier zu widerlegen. Was wir erwarten, Herr Bundeskanzler, ist, daß Sie uns sagen, welche Abstriche Sie wann und wo von Ihren Reformprogrammen machen wollen.
Dies zu fragen ist das Recht der Opposition, dies ist die Pflicht der Opposition, und Sie sollten hier nicht in allgemeine Ermahnungen ausweichen, sondern endlich Rede und Antwort stehen.
Herr Bundeskanzler, ein Wort zur Frage der Schwarzmalerei. Wir haben in diesen beiden Wochen in vielen Diskussionsbeiträgen nachgewiesen, daß genau dies, was Sie betreiben, ein Stück Schönfärberei ist, indem Sie nämlich der Bevölkerung Brillen aufsetzen wollen, durch die sich die Welt dann anders darstellt, als sie in Wirklichkeit ist.
Hier ist immer wieder von Demokratieverständnis und Toleranz die Rede. Das, was wir hier erleben — und ich kann hier nicht von der Außenpolitik bis zur Pornographie sprechen; uns steht nicht die Redezeit zur Verfügung, wie das bei der Regierung der Fall ist , habe ich doch den Eindruck, daß zwar gewiß nicht gespreizte Würde, aber gereizte Intoleranz diese Regierung negativ auszeichnet.
Wir erwarten von Ihnen, Herr Bundeskanzler, daß Sie uns die Aufklärung nicht in Raten geben, sondern daß sie nun und schnell erfolgt, damit die Unruhe in der Bevölkerung beseitigt wird, die nicht wir verschuldet haben, sondern die auf Grund dieser
Politik zustande gekommen ist, die Sie hier betreiben.
Deshalb war es auch, Herr Bundeskanzler, keine gute Sache, daß Sie auf die Feststellungen des Kollegen Strauß im Grunde genommen wieder den Versuch machten, abfällig von der CSU zu reden. Wir wissen genau, welche Rolle wir hier zu spielen haben.
Aber Sie sollten aufhören, auch nur zu glauben, daß
man durch die Verteufelung der CSU die Gemeinschaft der CDU/CSU auseinanderdividieren könnte.
Dies wird bestimmt nicht geschehen.
Herr Bundeskanzler, der Herr Kollege Strauß hat einen Ordnungsruf bekommen, weil Sie ihm sagten: Man kann durch Fortlassen fälschen. Aber, Herr Bundeskanzler, hier handelt es sich ja nicht nur um das Zitat, sondern hier geht es darum, daß ein prominenter Funktionär der Jungsozialisten in einer kommunistischen Zeitung ein Interview gibt, in dem die DDR und damit die Diktatur hochgejubelt werden. Das ist doch der Tatbestand,
und der sollte, meine ich, von Ihnen dann auch so hingestellt werden, wie er ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte.
Herr von Wrangel, ist Ihnen bekannt, daß es sich in diesem Fall nicht um einen prominenten Funktionär, sondern um einen völlig unbekannten Mann handelt?
Ich möchte jetzt aus zeitlichen Gründen darauf nicht eingehen. Wer bei den Jungsozialisten prominent oder nicht prominent ist, wissen Sie besser.
Ich will zu einem sehr viel wichtigeren Punkt kommen.Herr Bundeskanzler, Sie haben in einer für die Gemeinsamkeit und für unser Demokratieverständnis entscheidenden Frage gesagt, Herr Graß sei nicht im Raume, er könne sich nicht verteidigen. Aber, Herr Bundeskanzler, sind Sie bereit, es hinzunehmen, daß Günter Graß nach den „Evangelischen Kommentaren" sagt ich zitiere :Der Schriftsteller Günter Graß hat die CDU/ CSU-Spitzenpolitiker Strauß, Barzel, Kiesinger und Heck beschuldigt, sie hätten in der Bundesrepublik eine Atmosphäre geschaffen, die den politischen Mord nicht mehr ausschließe.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5953
Baron von WrangelHerr Bundeskanzler, dies ist ein pseudo-literarischer gemeiner, infamer Amoklauf, und dies ist das Gift, das letzten Endes dazu führen wird, daß diese Demokratie, wenn Sie sich nicht distanzieren, denselben Weg gehen wird, den die Weimarer Republik gegangen ist.
Ich muß auch noch einmal Herrn Steffen erwähnen — das ist nun ein prominenter Sozialdemokrat —, der den physischen Kampf als erlaubtes Mittel hinstellt und Strauß und Springer in den Zusammenhang mit der SS gebracht hat. Herr Bundeskanzler, Herr Steffen ist nicht irgendwer, und wenn Sie davon reden, daß draußen im Lande anders gesprochen wird als hier, so muß ich Ihnen sagen: als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands haben Sie die Pflicht, diese Äußerungen hier und heute in diesem Plenarsaal zurückzuweisen und sich von ihnen zu distanzieren. Das erwarten wir von Ihnen.
Meine Damen und Herren, für uns ist es gar nicht mehr so spannend, ob wir in der einen oder anderen Frage noch eine gemeinsame Haltung haben. Aber um der historischen und politischen Wahrheit willen ist es notwendig, hier festzustellen, daß die Gemeinsamkeit in diesem Hause einseitig aus vordergründigen taktischen Gründen von Herrn Wehner aufgekündigt worden ist und daß die Kooperationsangebote der CDU/CSU, Herr Bundeskanzler, von dieser Regierung nicht angenommen wurden. Wenn Herr Wehner heute meint, Gemeinsamkeit sei nur eine Zauberformel, so glaube ich, daß er solche Worte bereuen wird, weil sie das Verhandlungsgewicht der Bundesrepublik Deutschland im ganzen mindern.
Herr Bundeskanzler, ich möchte nur auf eine weitere Bemerkung eingehen, weil Sie sagten, Abgeordnete der CDU/CSU hielten im Ausland Reden, die den Interessen der Bundesrepublik — ich gebe das jetzt so frei wieder — zuwiderliefen. Herr Bundeskanzler, ich habe — und der Kollege Kiep hat es hier zitiert — nur gehört, daß ein Staatssekretär dieser Regierung im Ausland über die Opposition in diesem Hause hergezogen ist. Den sollten Sie zur Ordnung rufen und nicht uns.
Herr Bundeskanzler, Sie haben hier auch eine Meditation über die Rolle angestellt, die diese Regierung gegenüber dem Parlament spielt. Herr Kollege Strauß hat schon gesagt, dieses Parlament sei die institutionalisierte Kritik. Wer aber so wie Sie, Herr Bundeskanzler, seine eigene Politik mit Moralismen versieht und manchmal so tut, als sei die eigene Politik nahezu mit politischer Moral identisch, der macht auch gleichzeitig den Versuch, die anderen, die ihn kritisieren, in die Ecke der Unmoralischen zu stellen.
Das muß dann zu einem merkwürdigen Staatsverständnis führen, denn dann wird eines Tages nach dem Motto verfahren: Was demokratisch ist, wird nach sozialdemokratischen Grundsätzen gemessen. Diese Art der Maßstäbe können und werden wir uns natürlich nie zu eigen machen.
Dazu gehört noch etwas anderes, Herr Bundeskanzler, wir hören es immer wieder, und Herr Ehmke ist zu oft mit der Äußerung zitiert worden: Wer diesen Verträgen nicht zustimmt, spielt mit dem Krieg. Aber hier ist doch etwas Merkwürdiges eingetreten.
Eine Zwischenfrage, bitte?
Herr Kollege Ehmke, ich darf den Gedanken eben noch zu Ende führen. — Wir hören immer wieder, auch Herr Wehner hat es gesagt, wenn diese Verträge nicht ratifiziert würden, gäbe es ein Desaster: dann seid ihr schuld, daß vielleicht der kalte Krieg oder gar der heiße Krieg ausbricht. Mit dieser Methode kann doch eine Regierung dem Parlament alles diktieren. Dies wäre zum Schluß dann die Abdankung des Parlaments und vielleicht in der Folge
eine Art der sowjetischen Einmischung in die Bundesrepublik Deutschland.
Eine Zwischenfrage, der Abgeordnete Ehmke.
Herr Kollege Wrangel, haben Sie Verständnis dafür, daß ich es als unfair und auch als kennzeichnend für den Stil der Opposition empfinde, den der Bundeskanzler heute gerügt hat, daß mir von Ihrer Seite zum drittenmal ein Zitat unterstellt wird, das es nicht gibt, und dies, obwohl ich schon den Kollegen Marx ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, daß es es nicht gibt? Trotzdem bringt er es, bringt Herr Strauß es, bringen Sie es. Es wäre doch einmal gut, wenn Sie von den Tatsachen Kenntnis nähmen und wenn wir einander kollegial behandelten.
Herr Kollege Ehmke, was wir wiederholt zitiert haben, ist vom Presse- und Informationsamt dieser Regierung so veröffentlicht worden.
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5954 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Eine Zwischentrage des Abgeordneten Marx.
Herr Kollege Marx!
Herr Kollege von Wrangel, wären Sie bereit, den Herrn Kollegen Ehmke noch einmal daran zu erinnern, daß wir hier in der Fragestunde — es war der Kollege zu Guttenberg — dieses Zitat, das von Ihnen etwas verkürzt vorgetragen worden ist, das es aber in einer ausführlichen Darstellung gibt, angesprochen haben und daß es den Teilsatz enthält: ,,... der dann mit dem Kriege spielt"?
Herr Kollege Marx, ich kenne, wie ich schon sagte, die Veröffentlichung des Presseamts. — Sie sind ja der oberste Chef dieses Unternehmens, und dort ist dies so gedruckt worden, Herr Kollege Ehmke. Und wenn Sie es hier dementieren, — —
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ehmke.
Herr Kollege Wrangel, es ist Ihnen sicher bekannt, daß ich nicht der Chef des Presseamtes bin.
Aber ich hatte Sie doch richtig verstanden, daß Sie gesagt haben, ich hätte gesagt: „Wer diese Verträge ablehnt, usw."? Das ist falsch, das ist einfach nicht wahr. Sie können es nicht so billig machen, daß Sie nach Ihrem Belieben den Vorsatz auswechseln und dann den zweiten Satz anhängen. So geht es nun wirklich nicht, und ich bin der Meinung,
wir sollten nach beiden Seiten mit dem Unsinn aufhören.
Herr Kollege Ehmke, den Nachsatz „spielt mit dem Krieg" haben Sie nun einmal gesagt.
Das ist eine an die Adresse der Opposition gerichtete sehr häßliche Feststellung. Ich glaube, ich brauche von dem, was ich hier gesagt habe, nichts zurückzunehmen.
Gestatten Sie eine weitere Frage des Abgeordneten von Guttenberg?
Ja.
Herr Kollege von Wrangel, würden Sie bitte Herrn Minister Ehmke darauf hinweisen, daß sein Zitat,
das hier damals eine Rolle spielte, etwa wörtlich hieß
— etwa wörtlich! —:
Wer glaubt, daß sich in den Oder-Neiße-Gebieten noch etwas ändern ließe, und wer eine solche Hoffnung aufrechterhält, der spielt mit dem Kriege. — Habe ich nicht recht, wenn ich sage, daß dieses Zitat in der Tat bedeutet: Wer diese Verträge — und hier den Warschauer Vertrag — ablehnt, der spielt mit dem Krieg?
Herr Kollege von Guttenberg, ich bin Ihnen für diese Frage dankbar, weil sie sich vollinhaltlich mit dem deckt, was ich vorhin ausgeführt habe.
Meine Damen und Herren, ich glaube, ich kann jetzt mit dem Gedanken fortfahren, den ich aufnahm, als ich von der Rolle des Parlaments sprach. Ich habe - Frau Renger, ich muß das leider sagen - gerade während dieser Debatte manchmal das Gefühl gehabt, daß die Kontrollfunktion nur noch von der Opposition wahrgenommen wird, weil Sie sich als konformistisches gouvernementales Anhängsel der Bundesregierung betrachten.
Dazu gehört z. B. auch, daß wir plötzlich im Fernsehen von Herrn Wehner hören, er sei bis ins Detail informiert.
Wir fragen diese Regierung seit einem Jahr, ob sie uns Einsicht in die Verhandlungsprotokolle gewähren wolle. Sie tut es nicht. Daraus schließen wir — ich weiß nicht, ob Herr Kollege Mischnick, der im Augenblick nicht hier ist, über die gleichen umfassenden Kenntnisse verfügt wie Herr Wehner —, daß es künftig in diesem Hause zwei Klassen von Abgeordneten geben soll, die einen, die Informationen haben, und die anderen, die keine haben. Und in dieser Lage fordern Sie uns auf zu votieren!
Herr Bundeskanzler, auch dazu hätten wir gern einmal ein Wort von Ihnen gehört.
Wegen der fortgeschrittenen Zeit möchte ich mich jetzt einigen außenpolitischen Bemerkungen zuwenden, die Sie gemacht haben. Ich will, weil wir dies oft genug hier erklärt haben, nicht noch einmal sagen, daß niemand Ihnen unredliche Motive unterstellt.
Aber, Herr Bundeskanzler, wir sind besorgt über das hohe Maß an Vertrauensseligkeit, das in Ihrer Politik zum Ausdruck kommt. Das ist doch das Problem. Sie legen Ihrer Politik eine falsche Analyse zugrunde und empfehlen deshalb auch eine falsche
Baron von Wrangel
Therapie. Das ist die Problematik. Lassen Sie mich nur soviel sagen: Dadurch werden doch gerade Wunschträume erzeugt. Diese Wunschträume sind aber die Alpträume für alle Realisten in diesem Lande.
Herr Bundeskanzler, Sie wissen genau, daß wir früher versucht haben — bei dieser Gelegenheit möchte ich es erneut versuchen —, gemeinsam mit Ihnen europäische Politik zu machen. Jeder von Ihnen dürfte noch im Ohr haben, was unser Fraktionsvorsitzender Dr. Barzel nach der Konferenz in Den Haag an dieser Stelle gesagt hat. Dennoch kommen wir auch hier und heute nicht umhin, Sie daran zu erinnern, daß dem Werner-Plan der politische Plan folgen muß.
Nur so kann die Basis für eine europäische Politik, die dann eines Tages auch im Osten effektiv sein kann, gelegt werden.
Herr Bundeskanzler, Sie haben erneut erklärt, daß die Politik nach Osten, die Sie betreiben, erfolgreich sei. Sie nehmen nicht zur Kenntnis, daß -
ich sage es vorsichtig — die Skepsis im Westen immer mehr wächst. Wir mußten gerade in den letzten Tagen feststellen, daß die Haßtiraden an die Adresse der Bundesrepublik immer lauter werden, daß wir statt Entspannung Verhärtung spüren, statt Versöhnung Abgrenzung. Und daß von einem Geist des Gewaltverzichts, wie er nach der Unterzeichnung in Moskau beschworen wurde, nichts, aber auch gar nichts zu spüren ist. Das haben wir auf den Zufahrtswegen nach Berlin erlebt.
Weil Sie die Opposition kritisiert haben, ist es doch wohl auch erlaubt, Herr Bundeskanzler, Sie daran zu erinnern, daß wir Sie beschworen haben — hier im Hause und bei anderen Gelegenheiten —, wenigstens die Unterschrift zurückzustellen, bis eine befriedigende Berlin-Regelung zustande gekommen ist. Sie mußten aus innenpolitischem Zugzwang die Unterschrift leisten und haben sich jetzt selbst in eine schlechte Lage hineinmanövriert.
Ich will zum Schluß noch einmal den Bundeskanzler bitten, sich zu distanzieren von denen in seiner Partei oder in seiner Jugendorganisation, die pausenlos dabei sind — wie in Weimar —, den Radikalen die Munition zu liefern. Herr Bundeskanzler, eines sollten wir doch gemeinsam tun: wir sollten gemeinsam kämpfen gegen die Faschisten, die sich im roten und im braunen Gewand in zunehmendem Maße zu tummeln beginnen. Ihnen werden wir keinen Auftrieb geben. Wir — die CDU/CSU — bekämpfen sie. Tun Sie es auch!
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schäfer. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 30 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr von Wrangel hat
eingangs gemeint, der Herr Bundeskanzler habe nicht Antworten auf die gestellten Fragen gegeben, sondern habe sich seinerseits mit der CDU/CSU beschäftigt. Nun, ich glaube, daß wir das in den letzten beiden Wochen gegenseitig getan haben, und ich bin der Auffassung, daß das legitim und richtig ist und daß wir uns gegenseitig auch unsere Sorgen sagen sollten in kritischer Beobachtung dessen, was möglicherweise bei den anderen vor sich geht.
Ich bin trotzdem etwas überrascht, Herr von Wrangel, daß Sie auf Herrn Steffen zu sprechen kommen; denn ich nehme an, Sie wissen — es steht heute groß in der Zeitung: „Steffen stellt Strafantrag gegen ,Welt-Chefredakteur und CSU" — —
— Das war Ihnen neu? — Nein? Es war Ihnen bekannt?
— Ich kann das gerne vorlesen, wenn es Ihnen Spaß macht. Ich kann das gerne tun, damit es im Protokoll ist.
Wenn Sie wissen, daß hier ein gerichtliches Verfahren im Gange ist, finde ich es merkwürdig, daß Sie in dieser Art der Fragestellung Zweifel in die demokratische Zuverlässigkeit eines maßgeblichen SPD-Politikers setzen. Da haben Sie genau das getan, was Sie glaubten, bei anderen kritisieren zu können.
— Das ist doch so.
— Nein, ich muß jetzt diese Gedanken im Zusammenhang zum Ausdruck bringen, auch angesichts der vorgeschrittenen Zeit.
— Bitte, Herr Vogel, ich antworte Ihnen gerne.
Herr Kollege Schäfer, ist Ihnen bekannt, daß wegen dieses Zitats, das hier vom Kollegen von Wrangel genannt worden ist, kein gerichtliches Verfahren läuft, so daß insofern jedenfalls nicht in ein schwebendes Verfahren eingegriffen ist?
Ich habe es so aufgefaßt, daß sich das auf das ganze bezieht, aus dieser Zeitungsnachricht.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der zweiten und dritten Lesung des Haushalts 1971,
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5956 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Dr. Schäfer
Ich darf Ihnen einmal — so, wie wir Sozialdemokraten es sehen — einen Haupt- und Grundgedanken unserer Politik vortragen, wie er uns auch in Zukunft beschäftigen wird. Ich meine, daß die Sozialdemokraten auf Grund ihrer Geschichte legitimiert sind und sowohl Urteilsvermögen als auch Standvermögen genug mitbringen, um eine Politik zu betreiben, bei der der Mensch im Mittelpunkt aller gezielten Maßnahmen steht. Wir reden insoweit von Reformen. Schon die Tatsache der Ankündigung von Reformen hat viele Teile der Bevölkerung, die bereits resignierend geschwiegen haben, wieder lebendig gemacht und mit der Hoffnung erfüllt, daß dieser Staat ihre Nöte sehe und daß diese Regierung, nachdem auf vielen wichtigen Gebieten lange Jahre nicht gehandelt wurde, sich ihrer Probleme annehme.
Es gibt gar keinen Zweifel darüber, daß dabei natürlich manche falsche Hoffnung entsteht. Wir wissen alle, daß auch nicht jede Novellierung eine große Reform ist.
Wenn manche es trotzdem so hinstellen, so ist das ihre Sache.Der Weg, den die Regierung eingeschlagen hat, ist ein neuer Weg. Es ist der bestmögliche Weg, nämlich der, durch sachliche Berichte die Grundlage dafür zu schaffen, daß sich jeder sachlich informieren kann und daß man in der Öffentlichkeit die angeschnittenen Fragen ausreichend und zuverlässig studieren kann, um sich dann in öffentlicher Debatte — gleichgültig, wo, letztlich aber hier in diesem Hause — schlüssig zu werden, welche Maßnahmen man ergreifen will.
Ich habe manchmal den Eindruck, daß Kollegen aus Ihrer Fraktion sogar von dieser Stelle aus zu Berichten und zu Reformvorschlägen Stellung nehmen, ohne sich die Mühe gemacht zu haben, die Unterlagen zu studieren, die diese Regierung inausreichender und zuverlässiger Weise, ohne Ansehen dessen, was im Endergebnis als politisch richtig angesehen wird, regelmäßig veröffentlicht hat.
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Guttenberg.
Bitte schön, Herr von Guttenberg!
Herr Kollege Schäfer, ist es Ihnen in Ihrem politischen Leben noch nie passiert, daß Sie in einer öffentlichen Versammlung auf die Frage eines Zuhörers ehrlich sagen mußten, daß Sie in einer bestimmten Sache nicht vollständig informiert seien?
Herr Kollege von Guttenberg, dann habe ich so geantwortet, wie Sie es wahrscheinlich auch tun. Ich habe dann gesagt: Ich kann Ihnen jetzt keine zuverlässige Antwort geben. Wenn Sie Wert darauf legen, werde ich Ihnen die Frage schriftlich beantworten. — Herr von Guttenberg, so mißverständlich habe ich mich vorhin doch bestimmt nicht ausgedrückt.
Wer von diesem Platz aus spricht, sollte sich nicht zu Worte melden, wenn er nicht informiert ist.
Es sollte hier niemand über Reformen reden, wenn er zugeben muß, daß er nicht einmal die Vorlagen gelesen hat. Herr von Guttenberg, darüber sind wir uns doch wohl einig. Politik zu machen, ist ein mühsames Geschäft. Es verlangt nächtelanges, ja, wochenlanges Studieren. Man muß sich mit der Materie abquälen, um sie zu erfassen. Ich hoffe, daß wenigstens dies eine kleine Gemeinsamkeit ist.Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten gehen voll Selbstbewußtsein in die nächste Runde. Wir gehen voll eigener innerer Überzeugung und Standfestigkeit in dieses Haushaltsjahr 1971, weil wir wissen, daß wir eine gute und richtige Politik betreiben.
Lassen Sie mich bei der Wirtschaft anfangen, Herr Kollege Strauß. Wir machen keine Politik, wie Sie sie früher einmal — heute haben Sie das abgeschwächt getan — vorgetragen haben, voll wissenschaftlicher Erkenntnisse, bei der Kapital und menschliche und andere Produktivkräfte gleichermaßen eingesetzt werden. Nein, für uns Sozialdemokraten ist ein Punkt nicht disponibel: Es gibt keine Maßnahmen in der Wirtschaftspolitik, bei denen wir bewußt von vornherein Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen.
Es gibt bei uns keine Bremsmaßnahmen, mag sieempfehlen, wer will, und keine Rezessionsempfeh-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5957
Dr. Schäfer
Lungen, die die Gefahr in sich schließen, daß unsere Mitbürger keine gesicherte Existenz haben.Das erste entscheidende Fundament für den Menschen ist, daß er eine gesicherte Existenz hat. Es ist eine der höchsten Verpflichtungen einer Regierung, dafür alles Mögliche zu tun. Wir haben in den 15 Monaten ,der Regierung Brandt strukturell nicht einen Arbeitslosen bekommen. Wir haben jetzt mitten im Winter eine höhere Zahl von freien Arbeitsstellen als früher.
Wir müssen zwei Millionen Gastarbeiter beschäftigen, um den Anforderungen der Wirtschaft zu genügen. Nennen Sie mir einen gleich langen Zeitraum in Ihrer Regierungszeit, in dem Sie über zwei Winter hinweg in dieser Weise die Vollbeschäftigung erreicht und gesichert haben. Das hat Wirtschaftsminister Schiller erreicht.
— Warten Sie nur, Herr Marx. Ich komme gleich darauf zurück.Die Preisstabilität haben wir nicht, so wie wir das wollten, erreicht. Aber beachten Sie bitte, was sich am 14. Dezember letzten Jahres und Anfang dieser Woche in Brüssel abgespielt hat: Diese Regierung trägt mit Erfolg dazu bei, ,daß im EWG-Raum eine Entwicklung in Gang kommt, die die größten Chancen und Wahrscheinlichkeiten schafft, zu einer Preisstabilität zu kommen.
Das ist echte europäische Politik, die Voraussetzungen schafft.Herr Strauß, Sie wissen es doch ganz genau: Keine nationale Regierung ist heute mehr in der Lage, mit eigenen nationalen Maßnahmen die Preisstabilität zu sichern. Keine nationale Regierung kann das allein durchführen. Deshalb sind größere Wirtschaftsräume notwendig und deshalb muß in diesen größeren Wirtschaftsräumen das Erforderliche geschehen. Das hat diese Regierung eingeleitet.
Wir anerkennen das und sind dafür dankbar. Und Sie, Herr Kollege Leicht, und Herr Strauß anerkennen das doch hoffentlich auch. Wir sind doch hoffentlich alle froh, daß diese Regierung es geschafft hat, daß nun der Werner-Plan in die Tat umgesetzt wird.
Ich meine, es würde Ihnen doch sicherlich selber sehr merkwürdig vorkommen, wenn Sie diese Maßnahmen nicht unterstützen würden.Wir wollen mehr Demokratie. Darüber ist gestern hier im Hause gesprochen worden. Wir meinen es mit der Demokratie im Betrieb sehr ernst, dort, wo ,der Mensch einen großen Teil seines Lebens verbringt. Wir wollen keine Etiketten, wie Sie sie jetzt einführen. Herr Ruf, es ist Ihnen doch wahrscheinlich selber peinlich, solche Etiketten in der Mitbestimmung — 7 : 5 — zu vertreten, Lösungen, die keine sind.
Wir versprechen keine Lösungen in solchen Bereichen, in denen wir keine Lösungen bieten können, sondern bloß Scheinetiketten.Bei uns geht es um den Menschen, um das, was durchsetzbar ist.
- Ich sagte, die Generalüberschrift lautet bei uns: Um den Menschen geht's. Wir haben unser Betriebsverfassungsgesetz vorgelegt, ,das wir auch dementsprechend in den Ausschüssen beraten werden.
Ich muß noch zu einigen Punkten etwas sagen, obwohl der Herr Bundeskanzler sie schon angeschnitten hat.Herr Strauß, Sie reden von den Gemeinden, von ihren Sorgen. Ich glaube, uns Sozialdemokraten braucht man nicht in die Probleme der Kommunalpolitik einzuführen. Sie wissen wohl genauso wie ich, daß wir Sozialdemokraten die drängende Kraft waren, um die Finanzverfassungsreform so durchzuführen, daß sie den Gemeinden eine ausreichende Basis gibt.
Wenn wir das nicht gemacht hätten — Herr Strauß, erinnern Sie sich nachträglich —, dann wären die Gemeinden seit zwei Jahren in einer ganz verhängnisvollen Situation. Daß hier noch weiteres geschehen muß, daß hier noch Überlegungen angestellt werden müssen, das wissen wir doch genau wie Sie. Herr Strauß, ist das eine neue Erkenntnis für Sie? Nein, für uns auch nicht. Es ist jetzt eine Situation entstanden, in der wir neue Überlegungen anstellen müssen. Herr Strauß, Sie können sich doch nicht damit begnügen, das festzustellen. Wir auch nicht. Aber Sie können mir nicht widersprechen, daß wir die Gemeindefinanzverfassungsreform gefordert haben und durchgesetzt haben. Ohne sie wäre die Situation ganz fatal geworden.
Die Gemeinden sind für uns ganz entscheidende Zellen. In der Gemeinde wächst der Mensch auf. Deshalb sind es wesentliche, echte Reformen, die wir in den Gemeinden vorhaben, wenn wir das Städtebauförderungsgesetz in Kürze verabschieden, wenn wir heute morgen das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz verabschiedet haben, wenn wir
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5958 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Dr. Schäfer
die Mittel für den sozialen Wohnungsbau nach einer verfehlten Lücke-Politik wieder wesentlich erhöht haben, um dort die Voraussetzungen zu schaffen, wenn wir das Wohngeld erhöht haben, wenn wir hier die Voraussetzungen in den Gemeinden schaffen und wenn wir einen neuen Art. 104 a geschaffen haben, damit der Bund rechtens in der Lage ist, Mittel für Investitionsmaßnahmen an die Gemeinden zu geben, die für den Ausbau und für die Leistungsfähigkeit der Gemeinden entscheidend sind.
— Wenn Sie es jedesmal von neuem hören wollen, Herr Schulze-Vorberg, kann ich es Ihnen jedesmal von neuem sagen: Wenn, was niemand bestreitet, Herr Lücke sich um 1 Million DM verrechnet hat
und wenn Sie ein Gesetz gemacht haben, wonach in zehn Jahren in jedem Jahr 70 Millionen DM weniger verfügbar sind, dann tritt irgendwann dieser Zeitpunkt ein, den Sie beschlossen haben. Wir haben ihn am Anfang der Großen Koalition geändert, und wir haben ihn inzwischen wieder geändert. Vielen Dank, daß Sie mir die Möglichkeit geben, das auch noch einmal klarzustellen.
Meine Damen und Herren, wenn man an die Regierung kommt, übernimmt man eben auch ein schlechtes Erbe auf einzelnen Gebieten.
Wir werden auf dem Gebiet der Gemeinden — —
— Beruhigen Sie sich.
— Sie wollen sich nicht beruhigen, Sie wollen so bleiben? — Im übrigen vielen Dank für Ihre Feststellung, Herrn Lücke betreffend und auch Ihre Fraktion.
— Auch wenn Sie es noch fünfmal wiederholen, wird es dadurch nicht wahr. Sie müssen sich damit einmal beschäftigen.
— Dann haben Sie nicht das richtige Material gehabt.Lassen Sie mich fortfahren. Herr Präsident, ich bitte, das auf meine Zeit nicht anzurechnen, wenn ich durch solche Fragen genötigt werde, Antworten zu geben.
Wir haben die Uhr angehalten.
Vielen Dank! Das klingt wie bei europäischen Verhandlungen, wenn die Uhr angehalten wird.
— Ja, vor allem, wenn ich Ihre Zwischenfragen betrachte; da haben Sie recht.
— Die Ihrer Kollegen, Herr Marx; ich freue mich, daß Sie das mit mir gleich bewerten.Wir werden auf dem Gebiet der Gemeinden auf einem entscheidenden Sektor weiterhelfen, nämlich dem der Krankenhausfinanzierung. Das ist ein entscheidender Punkt. Wir sind der Meinung, daß die öffentliche Hand dem Bürger leistungsfähige Krankenhäuser zur Verfügung halten muß. Wie schwer dieses Problem ist, wissen Sie alle. Daß Sie es nie fertiggebracht haben, es überhaupt auf die Tagesordnung zu bringen, ist doch kennzeichnend. Daß wir heute den Mut haben, dieses schwierige Problem anzupacken, das ist kennzeichnend für uns.
Wir bemühen uns darum, den Menschen zu helfen.Und um wiederum aus dem Bestreben, in den Gemeinden den Menschen zu helfen, nämlich allen gleiche Chancen zu geben, geht es uns darum, das Bildungswesen auszubauen. Wir denken dabei nicht nur an die Hochschulen, sondern wissen, daß das Bildungswesen in der Hauptschule anfängt
und daß die Berufsschulen und die Gymnasien genauso wichtig sind,
daß man sie ausbauen muß, damit wir die entsprechenden Einrichtungen nicht nur in der Kreisstadt, sondern überall haben. Das ist eine Frage der Bildungsplanung. Ich will das hier nur anschneiden; Sie wissen es.Wir haben auf dem Gebiet der Vermögensbildung weitere Aktionen zu erwarten. In Bälde wird ein Vermögensbildungsbericht vorgelegt werden. Ich bin überzeugt, daß dadurch die Möglichkeit geschaffen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5959
Dr. Schäfer
wird, den Arbeitnehmer — gleichgültig, wo er tätig ist — am Wachstum der Wirtschaft tatsächlich zu beteiligen und ihm damit ein echtes Vermögensfundament zur Sicherung seiner persönlichen Freiheit zu geben. Denn hier geht es nicht darum, ein paar Mark zu haben, sondern es geht darum: wer Boden unter den Füßen hat, der ist freier, der ist selbständiger.
Und um diese Frage geht es uns.Da wundert man sich dann, Herr Strauß — aber jetzt ist er weg, der Herr Strauß — —
— Ja, kommen Sie, Herr Strauß, ich muß Ihnen noch etwas vorlesen.
Sie sind, Herr Strauß, im Zitieren ja so tüchtig, daß Sie mich sogar falsch zitiert und dann noch gesagt haben, Sie hätten es wörtlich — wörtlich, haben Sie gesagt! — wiedergegeben. Herr Strauß, es dürfte Ihnen nicht passieren, daß Sie das hier sagen. Ich will es Ihnen nach dem Protokoll vorlesen. Es ist vielleicht nur eine Kleinigkeit, aber sie hat sich genau heute morgen ereignet. So gewissenhaft sind Sie, Herr Strauß, daß Sie gesagt haben:Lassen Sie mich einen letzten Bereich ansprechen. Herr Kollege Schäfer, Sie meinten, es gebe für die SPD kein Problem mit ihren Jungsozialisten So haben Sie es wörtlich gesagt.Nun lese ich Ihnen aus dem Protokoll vor, was ich wirklich gesagt habe:Da haben wir keine Sorge.
Unsere Jugend macht uns keine Sorge. ... Das sage ich als Hochschulprofessor. Die ist lebendig und die wird richtig.Daran, daß wir Probleme mit ihr haben, ist doch gar kein Zweifel!
Und nun zitieren Sie einen Jungsozialisten. Da haben Sie wieder einen Buhmann aufbauen wollen: Jungsozialisten und Eigentum und so. Aber Sie lesen doch den „Münchener Merkur", und da steht die schöne Überschrift: „SPD gegen Eigentumsmißbrauch". Darin sind wir ja wohl einig, nicht? Aber das muß ich Ihnen vorlesen, nachdem Sie vorhin falsch zitiert haben:Die SPD will sich nicht länger als eigentumsfeindliche Partei verdächtigen lassen. Um ihre Einstellung zu diesem Problem zu verdeutlichen, hat der Bezirksvorstand der SPD Südbayern am Mittwoch ein Arbeitspapier „SPD und Eigentum" vorgelegt, das vom Landtagsabgeordneten undbayerischen Jungsozialistenchef Schöfberger ausgearbeitet worden war. Schöfberger übt in diesem Papier auch Kritik an verallgemeinernden und mißverständlichen Äußerungen aus den eigenen Reihen, die dem politischen Gegner haarsträubende Vorwürfe leichtgemacht hätten. Die SPD wolle das Privateigentum nicht zerschlagen, sondern es besonders auch in Händen der Arbeitnehmer und der kleinen Selbständigen fördern, heißt es in dem Papier.
Herr Strauß, nehmen Sie das zur Kenntnis, damit Sie beim nächstenmal richtig zitieren.
Meine Damen und Herren, es geht uns um den Menschen, und damit darf ich nur einmal mehr auf die Fragen der Rechtsreform hinweisen und mich auf das beziehen, was der Herr Bundeskanzler hier gesagt hat: dabei geht es um die Lösung ganz schwieriger menschlicher Probleme. Die, die sich damit befassen, wissen, wie schwierig die menschlichen Probleme bei der derzeit bestehenden Rechtslage sind. Und Sie wissen ganz genau — wenn Sie vielleicht auch wider besseres Wissen etwas anderes behaupten —, daß wir uns darum bemühen, die wirtschaftliche Lage der Frau dabei zu sichern. Das wissen Sie ganz genau, was Sie hoffentlich in der Zukunft daran hindern wird, in der Öffentlichkeit etwas anderes zu behaupten.Ich darf noch zum Umweltschutz etwas sagen. Die Jungsozialisten aus Baden-Württemberg — auch das ist interessant — haben eine hervorragend erarbeitete Broschüre zur Frage des Umweltschutzes herausgegeben. Wenn es Sie interessiert, schicke ich sie Ihnen einmal zu. So nützlich können Jungsozialisten arbeiten! In dieser Broschüre sind wirklich ganz konstruktive Vorschläge.
Die Frage des Umweltschutzes wird uns in Bund und Ländern sehr beschäftigen. Da geht es wiederum um den Menschen. Da geht es darum, den Mut zu haben, die notwendigen Maßnahmen zu beschließen, deren Notwendigkeit sich aus einer überstürzten Entwicklung ergeben hat. Es wird sehr viel Mut dazu gehören — ich hoffe, daß wir uns hier den guten Willen nicht streitig machen —, das Verursachungsprinzip durchzusetzen und den Menschen saubere Luft und sauberes Wasser zu gewährleisten. Für uns Sozialdemokraten ist auch das nichts Neues. 1961 hat der heutige Bundeskanzler schon den blauen Himmel über der Ruhr gefordert.
Sie haben damals gehöhnt und gelacht, weil SieDinge, die den Menschen angehen, nie von vornherein verstehen, weil man Sie erst mit der Nase
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Dr. Schäfer
darauf stoßen muß, weil der Mensch für Sie meistens ein Objekt und nicht das Ziel der Politik ist.
— Herr Marx, da muß ich Ihnen aus Ihrem Gebietjetzt etwas vorlesen: „Frankfurter Allgemeine" - -
— „Frankfurter Rundschau". Ach, Sie wissen schon? Ich will es trotzdem tun.
- Meine Damen und Herren, ich denke, Sie wollensich doch mit bemühen, den Menschen zu helfen. Oder ist Ihnen das unangenehm?
Wir machen auch Außenpolitik mit dem Ziel, den Menschen zu helfen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, Herr Mick!
Herr Kollege Schäfer, sind Sie in der Lage, mir eine Definition für „pharisäisch" zu geben?
Das müssen Sie als bibelgewandter Mann besser wissen. Ich habe den Ausdruck „pharisäisch" nicht verwendet. Wenn Sie ihn verwenden wollen, dann ist das Ihre Sache.
Herr Ruf, stellen Sie sich vor, ich bin so gescheit wie Sie. So gescheit wie ein Spatz sind andere Vögel auch, sagt man bei uns zu Hause.
Meine Damen und Herren, wenn Sie das Bemühen dieser Regierung ansehen, wenn Sie das hartnäckige, mühsame Geschäft dieser Regierung ansehen, die Verhältnisse mit der DDR zu ordnen, die Verhältnisse mit unseren osteuropäischen Nachbarn zu normalisieren, dann wissen Sie alle ganz genau, daß hier nur eine Regierung handeln kann, die politisch in sich fest geschlossen steht, die mit Kommunisten verhandeln kann, die auf dem Boden dieser demokratischen, freiheitlichen Ordnung weiß, was Freiheit und was diese Gesellschaftsordnung bedeuten, und die von dieser Souveränität aus in der Lage ist, hartnäckig zu verhandeln. Lesen Sie die 20 Punkte noch einmal, die der Bundeskanzler in Kassel vorgelegt hat. Durch sie zieht sich wie ein
roter Faden das Bemühen, den Menschen zu helfen, Lösungen mühsam anzustreben.
— Ja, das wird länger dauern. — Dazu bedarf man der Standfestigkeit und keiner lässigen Bewegungen, Herr von Wrangel, sondern dazu muß man hinstehen, und dazu muß man Mut haben.
Meine Damen und Herren, wenn ich in der „Frankfurter Rundschau" lese: „Deutsches Rotes Kreuz: Opposition ohne Interesse — CDU/CSU kümmert sich nicht um deutsche Aussiedler aus Polen", und wenn hier auf eine Pressekonferenz Bezug genommen worden ist, dann wehre ich mich noch dagegen, daß das wahr sein kann, was hier steht; denn ich würde mich für Sie schämen, wenn es so wäre, wie es hier steht.
Eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Schäfer, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, erstens, daß die Überschrift dieses Artikels in der „Frankfurter Rundschau" falsch ist, zweitens, daß der Leiter des Suchdienstes des Roten Kreuzes gegen diese Unterstellung, gegen diese sehr negative und falsche Darstellung bereits protestiert hat, und sind Sie weiterhin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Mitglieder dieser Fraktion immer mit den Vertretern des Roten Kreuzes auch über die dort angesprochenen Fragen in der Diskussion sind und daß wir uns in der Sorge um die Betroffenen von niemandem übertreffen lassen?
Herr Kollege Marx, davon nehme ich gern Kenntnis; denn ich hatte vorhin gesagt: ich wehre mich noch dagegen. zu glauben, daß das wahr ist, was hier steht.
- Damit gebe ich Ihnen ja die Möglichkeit, das inaller Öffentlichkeit klarzustellen. Ist es Ihnen unangenehm, daß Sie es klarstellen können?
— Na also!
Meine Damen und Herren, ich sage noch einmal: Das Bemühen, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, ist eines unserer Hauptanliegen. Lesen Sie in diesem Zusammenhang z. B. einmal das Weißbuch, das der Bundesverteidigungsminister heraus-
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Dr. Schäfer
gegeben hat! Dann sehen Sie das Bemühen dieser Regierung, auch diesen schweren Dienst, der der deutschen männlichen Jugend abverlangt wird, im Rahmen des irgendwie Möglichen zu erleichtern. Sie sehen, wie die Maßnahmen Schritt für Schritt schon im Laufe dieses Jahres durchgeführt werden. Ich hoffe, daß wir wenigstens auf diesem Gebiet Ihre Unterstützung haben.Friedenspolitik ist die oberste Aufgabe, die einer Regierung gestellt ist. Noch leben unsere Menschen in Deutschland in der Sorge, in der Angst — und Sie, meine Damen und Herren, tragen oft dazu bei, daß diese Angst ganz lebendig ist —, daß dieser Frieden nicht gesichert sei. Er ist noch nicht gesichert. Es ist nicht ein Wortspiel, wenn der Bundeskanzler sagt: den Frieden sicherer machen, sondern es ist das ganz innere mühsame Bemühen.
— Nein, Sie stören in vielen Dingen, aber helfen nicht. Das ist das, was wir Ihnen vorwerfen müssen, und das ist das, was das deutsche Volk Ihnen vorwirft: daß Sie in diesen schwierigen Verhandlungen nicht helfend, sondern störend tätig sind.
Das ist die große Aufgabe einer Regierung: Im Innern hat sie die Reformen in Bewegung zu bringen, die Bevölkerung, die beteiligten Menschen daran zu interessieren, die Fragen in offener Aussprache zu diskutieren und in diesem Haushaltsplan bei den Schwerpunkten, die mein Freund Hermsdorf aufgezählt hat, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Aber das ureigenste Gebiet der Regierung, das ihr primär und allein obliegt und wo das Parlament nur unterstützend tätig sein kann, ist die Sicherung des Friedens, der mühsame Prozeß der Befreiung des Menschen von der Angst. Da verdient diese Regierung den Dank und die Anerkennung und eine Vertrauensbasis des ganzen Hauses, um ihre Arbeit fortzusetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Rede des Kollegen Schäfer hat der Bundeskanzler wohl die richtige Antwort gegeben, indem er den Saal verlassen hat.
Es war ihm offenbar peinlich, Ihnen zuzuhören, Herr Schäfer.
— Rufen Sie es ruhig noch ein paarmal, Herr Kollege Schäfer; hier benimmt sich jeder so, wie er will, Herr Prof e s s o r Schäfer.
— Sagen Sie, was Sie wollen! Ich denke, der Präsident hört hier zu, Herr Kollege Schäfer. Ich
möchte Ihnen folgendes sagen: Das sollten Sie - -
Ich rüge diesen Ausdruck und erteile einen Ordnungsruf.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, dann brauche ich zu der ganzen Sache nichts mehr zu sagen und kann mich nun dem Herrn Bundeskanzler zuwenden, der vielleicht doch auf dem Wege ist, hierher zurückzukommen.Ich darf nur eines vorweg sagen, meine Damen und Herren. Herr Kollege Schäfer, eines sollte man nicht sagen. Ich gehe davon aus, daß jedermann in diesem Hause und jeder Demokrat seine Politik in den Dienst des Menschen stellt.
Das haben Sie uns eben bestritten, und dies wird draußen gehört werden. Ich glaube, die Menschen in unserem Lande haben sehr wohl dem zugestimmt, was heute morgen Franz Josef Strauß sagte:
Diese 20 Jahre, für die die Union die politische Führung hatte, sind die längste Zeit der Demokratie in unserer Geschichte, die Zeit des größten sozialen Fortschritts. Dies hat den Menschen genutzt. Was wir nach 15 Monaten dieser Regierung erleben, hat Strauß hier dargetan und darauf Antworten nicht bekommen.
Ich möchte gerne dem Hause, da sich der Bundeskanzler an der Debatte nun offensichtlich nicht beteiligt, doch folgendes sagen. Meine Damen und Herren: Wer die totale Konfrontation will und herbeiführt, der schwächt unser Land. Wer uns diesen Willen unterstellt, wie das der Bundeskanzler eben tat, obwohl er das Gegenteil besser weiß, der redet an den Tatsachen vorbei. Wer dies so tut, wie es der Kanzler tat, aggressiv und vorher aufgeschrieben, der will nicht Gemeinsamkeit, der will hier Risse.
Diese schönen Worte sind durch die Fakten nicht gedeckt. Es gab im Oktober — ich will eine einzige Tatsache zum Beweis in die Debatte einführen wie der Außenminister und andere bestätigen können, mündliche und schriftliche Bemühungen, zwischen Koalition und Opposition eine einmütige Auffassung in der Polen-Frage zu erzielen. In diesem Zusammenhang gibt es einen vertraulichen Schriftwechsel, aus dem ich aus unserem Brief, weil er in unserer Disposition steht, folgendes vorlesen möchte. Dann werde ich Ihnen die Antwort der Regierung sagen. Es heißt:Unsere Bedenken beziehen sich vor allem darauf, daß nach Ihren Vorstellungen— gemeint ist die Bundesregierung —die Grenzfrage im Hinblick auf einen künftigenFriedensvertrag nicht offenbleibt. Wir vermis-
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Dr. Barzelsen den klaren Friedensvertragsvorbehalt. Zu den anderen Fragen, die in unserem Beschluß behandelt sind, müßten Abreden, zumindest verbindliche Absichterklärungen beider Vertragspartner erfolgen. Im Hinblick auf die besondere Bedeutung und die parlamentarische Lage im Deutschen Bundestag bitte ich Sie nochmals, Ihre Position zu überprüfen.Die Antwort der Bundesregierung: Es besteht kein Anlaß, sie zu überprüfen.Hier hätte man miteinander weiter sprechen, miteinander weiter schreiben können und müssen, wenn man Gemeinsamkeit gewollt hätte und nicht das Gegenteil.
Wenn es gewünscht wird, können wir diese Debatte mit anderen Vorgängen, bis in die letzten Tage und Stunden, weiter anreichern. Ich habe nicht die Absicht, dies ohne Not zu tun.Herr Bundeskanzler, nun komme ich auf den Punkt, den ich nur in Ihrer Gegenwart sagen kann. Sie waren so freundlich, mir eine Zwischenfrage zu erlauben, nachdem Sie appelliert hatten, den Ungeist usw. hier nicht ausbrechen zu lassen. Meine Frage hieß:Herr Bundeskanzler, sind Sie bereit, hier zu erklären, daß dieser Ungeist, von dem Sie sprechen, nicht von der Opposition ausgeht, und dies selber dadurch glaubhaft zu machen, daß Sie sich hier von der Erklärung von Günter Graß und dessen Vorwürfen gegen die Führung der Opposition distanzieren?Das ist das Protokoll. Nach dem Protokoll lautet Ihre Antwort:Ich weiß nicht, was Günter Graß, der hier selbst nicht zu Wort kommen kann, in dieser Debatte zu suchen hat.
— Moment, es kann sein, daß der Bundeskanzler — das geht jedem von uns mal so — nicht gegenwärtig hatte, was Graß gesagt hat. Daraufhin ist mein Kollege von Wrangel hier heraufgekommen und hat dieses Zitat, Herr Bundeskanzler, in die Debatte eingeführt und Sie gebeten, doch das vom Tisch zu nehmen, indem Sie in irgendeiner Weise — das hat Sie ja in vergangenen Fällen solcher Art geehrt — einen klaren Trennungsstrich ziehen. Sie haben dies nicht getan, Herr Bundeskanzler. Ich bin im wesentlichen hier heraufgekommen, um Sie noch einmal zu bitten, dies zu tun.
Denn sonst, Herr Bundeskanzler, wird eben draußen im Lande und hier im Hause noch viel schrecklicher geredet, und dann produziert dieses Sich-nichtDistanzieren jene Radikalität, von der Sie heute verbal gesagt haben, daß Sie degegen seien. Tun Sie hier etwas degegen, indem Sie sich distanzieren, Herr Bundeskanzler!
Dann ist von Herrn Steffen die Rede gewesen. Das ist ein Mitglied der sozialdemokratischen Führung.
Herr Bundeskanzler, er hat „physische Gewalt" — ich zitiere nach den „Lübecker Nachrichten" vom 31. Januar 1971 — bei politischen Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen. Er hat sich in einem Aufsatz in der „Nordwoche" dagegen gewehrt, daß es jetzt einen „modernen Faschismus" gebe. Wenn es ihn gäbe, würden wir ihn sicher miteinander bekämpfen; das ist gar keine Frage. Aber wie hat er ihn formuliert? Ich zitiere jetzt Ihren Parteifreund Jochen Steffen:Ihre SS trägt keine schwarzen Uniformen und errichtet keine Konzentrationslager. Ihre SS heißt Strauß und Springer und will deutsche Kapitalherrschaft in der EWG und ungestörte Meinungsmache, beides mit dem Finger am Abzugsbügel atomarer Raketen.
Herr Bundeskanzler, das ist die Sprache, die in diesem Land Verständigung immer schwerer macht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte an dieser Stelle keine Zwischenfrage beantworten.
Es hat dann der Kollege Ehmke bestritten, daß er die Sätze gesagt hat, die in früheren Debatten eine Rolle gespielt haben. Herr Kollege Ehmke, ich habe gleich zwei Unterlagen mitgebracht, einmal den vom Bundespresseamt wie üblich verteilten Text der Fernsehansprache, die Sie gehalten haben, und zweitens denselben Text aus dem Bulletin vom 8. Dezember 1970. Der Text heißt gleichlautend — und das zitiere ich, weil eben Herrn von Guttenberg Unrecht geschehen ist auf seine Zwischenfrage —:
Wer glaubt, die Hoffnung auf eine Änderung bewahren oder gar jungen Menschen beibringen zu sollen, daß sie auf diese Änderung warten sollten, der muß wissen, daß er mit dem Krieg spielt. Wir aber wollen Frieden.
Das ist das korrekte Zitat, Herr Kollege Ehmke, aus beiden Stellen. — Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Barzel, dann werden Sie mir doch sicher zugeben, daß dieses Zitat sehr anders lautet und in einem anderen Zusammenhang steht, als es sowohl Herr Marx als auch Herr Strauß als auch Herr von Wrangel gebracht haben. Die haben mir nämlich unterstellt,
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Bundesminister Dr. Ehmkeich hätte gesagt — das haben Sie sicher gehört -, wer gegen die Verträge sei, spiele mit dem Krieg. Davon habe ich kein Wort gesagt.
Herr Kollege Ehmke, ich verstehe diese Intervention wohl richtig: Sie wollen uns nicht vorwerfen, daß wir mit dem Krieg spielen. Damit ist das vom Tisch.Damit wäre das auch ein gutes Beispiel für den Kollegen Wienand, der auf dem Bogen seiner Partei am 12. Dezember erklärt hat:Wer Widerstand gegen diese Ostpolitik leistet, der will nicht Verständigung, der will nicht Versöhnung, der will nicht Frieden, und wer den Frieden nicht will, der sät den Krieg.Dieser Satz muß vom Tisch, meine Damen und Herren! So kann man nicht miteinander diskutieren.
Das darf nicht sein. Wenn so etwas gesagt wird und man sich hier bei der Feststellung meines Kollegen Wörner erregt, daß man verschweigt, daß anderen Menschenrechte vorenthalten werden, dann, meine Damen Herren, wird hier in der Tat eine höchst merkwürdige Basis in der Führung der Debatte herbeigeführt.Herr Bundeskanzler, finden Sie einen Weg, in irgendeiner Weise das von Steffen und das von Graß vom Tisch zu bringen, nachdem ich eben die Erklärung meines Kollegen Ehmke auch so interpretiert habe.Um auf einen innenpolitischen Punkt zu kommen: Sie haben hier ich fand eigentlich: sehr gut — zu Fragen gesprochen, die mit der Rechtsordnung zusammenhängen, vor allem zu Fragen der Pornographie. Nur kann man hier nicht alles auf einmal machen. Ich möchte ein paar Sätze aus der Begründung der Regierungsvorlage Bundestagsdrucksache VI/1552 — das ist ein Gesetzentwurf der Regierung, der Sie vorsitzen; er ist am 4. Dezember 1970 mit Ihrer Unterschrift dem Hause zugeleitet worden — vorlesen. In der Begründung zu § 184 a heißt es:Pornographische Schriften massiver Art sind bisher überwiegend aus dem Ausland eingeführt worden. Wahrscheinlich werden sie nach dem Inkrafttreten des neuen § 184 in erheblichem Umfang von inländischen Produzenten hergestellt werden. Der größere Umsatz sowie der Wegfall des Einziehungsrisikos und der Transportkosten werden vermutlich zu einem Sinken der Preise führen. Es ist danach zu erwarten, daß das pornographische Material einen größeren Personenkreis erreichen wird als bisher ...Usw., usw.
Herr Bundeskanzler, ich kann verstehen, daß Sie, nachdem Herr Kollege Wehner schon Ihren Justizminister hier öffentlich, wie man volkstümlich sagt, in die Pfanne gehauen hat und nachdem Sie sehen, welche Bewegung in dieser Frage im deutschen Volkentstanden ist, das nicht mehr wahrhaben wollen. Aber dann ziehen Sie doch die Sache zurück! Dann ist doch der Streit beendet.
Herr Bundeskanzler, Sie haben uns in früheren Debatten und dem Kollegen Strauß heute morgen Unrecht getan. Sie haben gefragt das ist eine wichtige Frage, eine Frage, die jeder hier in diesem Hause begreift —: Was soll herauskommen, wenn man die Zukunft der Wirtschaft schwarz in schwarz malt? Nun, da kann man sagen: Was soll herauskommen, wenn man sie rot in rot malt? Gutes kann doch nur herauskommen, wenn man die Wahrheit über die Lage sagt und sie nicht beschönigt.
Der Herr Kollege Strauß hat heute morgen die Wahrheit in den Worten Ihres Freundes Klasen dargestellt. Das ist der Bundesbankpräsident. Der hat eine ernste Sorge; die spricht er aus. Aber wenn wir sie als Opposition aussprechen in diesem Hause, wie es unsere Pflicht ist, dann heißt es, dies sei schwarz in schwarz, eine übertriebene Opposition, es sei Panikmache, und wie die Worte alle heißen. Herr Bundeskanzler, in dem Punkt finden wir uns in einem Satz. Sie haben soeben gesagt: „Die Menschen draußen im Lande wissen es besser". Das ist richtig.
Die Menschen draußen im Lande wissen besser, daß diese Sorge berechtigt ist. Sie haben heute wieder Ihre großen Worte und Ihre großen Ankündigungen gehört. Aber wir haben nicht gehört, wer das bezahlen soll.Wenn ich die großen Worte von heute in Sachen Mitbestimmung mit der kleinen Vorlage von gestern vergleiche, dann habe ich nur eine einzige Hoffnung auf Grund dieser Worte. Die Anregung des Arbeitsministers von gestern abend war anders als die erste Einlassung des ersten Sprechers der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, der gestern morgen hier einfach sagte: Wir machen das mit der Koalition. — Ich gucke Sie an, Herr Kollege Schellenberg. Wir alle wissen ja, wie Sie so etwas können. — Der Bundesarbeitsminister hat gestern abend gesagt, es werde keine Koalitionsguillotine geben. Das finde ich eine sehr gute Bemerkung. Erstens zeigt das, daß es sie sonst gegeben hat, und zweitens zeigt das, daß der Bundesarbeitsminister offensichtlich bereit ist, eine sachliche Aussprache über beide Gesetzentwürfe im zuständigen Ausschuß herbeizuführen und nicht einfach ein Abschmieren des Entwurfs der CDU/CSU, der besser ist.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie irgendein Interesse hätten, sich ausgerechnet mit Tatsachen zu beschäftigen, und nicht glaubten, das, was wir sagen, stimme alles nicht, dann möchte ich Ihnen doch empfehlen, die Londoner „Times" von heute zu lesen. Dort finden Sie eine Darstellung der ökonomischen und finanzpolitischen Situation in unserem Lande, die in den Zahlen völlig mit dem übereinstimmt,
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Dr. Barzelwas die Opposition seit Beginn dieser Debatte durch ihre Sprecher Leicht, Althammer und heute morgen durch den Kollegen Strauß vorgetragen hat. Dort wird völlig klar gesehen, daß hier entweder die Steuern erhöht oder die Programme reduziert werden müssen oder — wahrscheinlich — beides geschehen muß. Meine Damen und Herren, das können Sie heute nachlesen in der Londoner „Times”. Ich will Sie damit nicht langweilen. Da haben Sie hervorragende Mitteilungen über die wirkliche Lage.
Herr Bundeskanzler, ich würde Ihnen wirklich empfehlen, die Sache Steffen und die Sache Günter Graß in geeigneter Weise vom Tisch zu bringen. So können Demokraten nicht miteinander umgehen, daß hier etwas offenbleibt. Herr Bundeskanzler, dieses Haus hier ist ein guter Platz, und diese Opposition hat noch jedem honoriert, wenn er einen honorigen Standpunkt einnimmt.
Das Wort hat der Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich einige Bernerkungen zu Herrn Kollegen Barzel mache, beim Abschluß dieser Haushaltsberatungen zunächst noch einmal die wichtigsten zeitlichen Daten dieses Bundeshaushalts 1971 in Erinnerung rufen.Wenige Wochen nach Verabschiedung des Bundeshaushalts 1970 hat die Bundesregierung am 9. Juli 1970 über den Haushaltsentwurf 1971 und den Finanzplan 1970 bis 1974 beschlossen. Am 23. September 1970 ist der Bundeshaushalt im Deutschen Bundestag eingebracht und gleichzeitig dem Bundesrat zugeleitet worden. In diesem Hohen Haus sind Ende September, Anfang Oktober bei der ersten Beratung die großen Linien des Haushaltsentwurfs und des Finanzplans diskutiert worden. Der Bundesrat hat am 23. Oktober 1970 im ersten Durchgang über die Vorlage beraten. Schließlich haben die Kollegen des Haushaltsausschusses in der Zeit vorn 15. Oktober 1970 bis zum 21. Januar 1971 in wochenlangen anstrengenden Beratungen um die vielen Einzelpositionen dieses Haushalts gerungen.Sie alle, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, haben dann seit der vergangenen Woche bis heute zur dritten Lesung, viele, sehr viele Stunden über den Haushalt beraten. Ich möchte Ihnen allen, ganz besonders aber den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses und seinem Vorsitzenden, dem Herrn Kollegen Leicht, für die aufopferungsvolle Arbeit aufrichtig danken. In diesen Dank schließe ich meine Mitarbeiter im Bundesfinanzministerium ein, die sich in hervorragendem Einsatz um die bestmöglichen Lösungen einer zeitgerechten Haushaltsplanung bemüht haben.
Um den Bundeshaushalt 1971, den dieses Hohe Haus heute verabschieden wird, ist lange und hart gekämpft worden. Ich bitte um Verständnis, daß mir daran liegt, in diesem Schlußstadium noch auf einige wenige finanzwirtschaftliche Fragen zum Bundeshaushalt 1971 einzugehen.Zunächst eine grundsätzliche Bemerkung zu den Entschließungsanträgen, die die Haushaltsführung 1971 betreffen. Die Opposition fordert die Bundesregierung auf, durch geeignete Bewirtschaftungsmaßnahmen sicherzustellen, daß von den Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen des Haushaltsplans 1971 zunächst nur zurückhaltend Gebrauch gemacht wird. Sie verlangt, daß die volle Freigabe erst dann erfolgen solle, wenn das nach den jeweiligen neuesten konjunkturellen Daten unter Beachtung der gleichrangigen Ziele des Stabilitätsgesetzes erforderlich und vertretbar sei.In der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht haben Sie das Gespenst einer Rezession an die Wand gemalt. Jetzt halten Sie es für notwendig, darauf hinzuweisen, daß der Bundeshaushalt 1971 nach seiner ganzen Anlage einen außergewöhnlichen Konjunkturanreiz darstelle, und begründen diese Behauptung mit der Nettokreditaufnahme des Bundes, mit einer voraussichtlichen Ausgabensteigerung von über 15 v. H. und mit zusätzlichen Risiken in Milliardenhöhe. Dieser Antrag, meine Damen und Herren, läßt sich ernsthaft nur dann erörtern, wenn Sie zuvor erklären, daß Sie die Gefahr einer Rezession nicht sehen. Solange dies nicht geschieht, ist mir Ihr Antrag unverständlich, weil er unlogischist.Lassen Sie mich folgendes hinzufügen: Das Abschlußergebnis des Bundeshaushalts 1970 hat gezeigt, daß es der Bundesregierung während des Jahres 1970 ernst damit war, eine konjunkturgerechte Haushaltspolitik zu verfolgen, wie es das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz bietet. Die Bundesregierung wird auch die Haushaltsführung 1971 unter diese Verpflichtung stellen.Darüber hinaus gibt die Bundeshaushaltsordnung dem Bundesfinanzminister die Möglichkeit, im Wege der Betriebsmittelbewirtschaftung und notfalls auch durch Anordnung haushaltswirtschaftlicher Sperren den finanziellen Entwicklungen im Laufe des Haushaltsjahres Rechnung zu tragen. Die Bundesregierung wird — wie es im Schlußsatz des Entschließungsantrags der Koalitionsfraktionen gefordert wird — einen im zeitlichen Ablauf des Jahres konjunkturgerechten Vollzug des Bundeshaushalts 1971 sicherstellen.Meine Damen und Herren, nachdem auch Herr Kollege Strauß die Polemik der Opposition zum Ablauf des Bundeshaushalts 1970 in seiner heutigen Rede fortgesetzt hat, möchte ich nochmals mit aller Deutlichkeit einige Worte zur Klarstellung sagen. Nahezu während des ganzen Jahres 1970 wurde ich von der Opposition in unerfreulichen und unfruchtbaren Auseinandersetzungen beschuldigt, eine expansive Ausgabenpolitik zu betreiben. Hierbei hatte man den Eindruck, daß es der Opposition nicht nur um einen ernsthaften politischen Meinungsaustausch ging — der immer zu begrüßen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5965
Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerist—, sondern ebenso um den Versuch, Unsicherheit in der Wirtschaft und in der Bevölkerung zu verbreiten. Das sage ich hier mit allem Nachdruck auch im Hinblick auf die letzten Ausführungen des Herrn Kollegen Barzel. Wenn in den ersten Monaten des Haushaltsjahres 1970 die Steigerungsraten relativ hoch waren, so hatte das besondere Gründe, auf die ich immer wieder hingewiesen habe. Ich muß zusammenfassend nochmals folgendes feststellen:Erstens: Es ist gelungen, den Ausgabenzuwachs auf 7 v. H. gegenüber einem Haushaltssoll von 9 v. H. zu beschränken. Das Wachstum des Sozialprodukts betrug demgegenüber mehr als 12 v. H.Zweitens: Der Bundeshaushalt 1970 wurde ohne Fehlbetrag abgeschlossen.Drittens: Dieses Ergebnis ist trotz Steuermindereinnahmen in Höhe von 2,8 Milliarden DM zustande gekommen.Viertens: Der Konjunkturausgleichsrücklage sind 1,5 Milliarden DM zugeführt worden.Fünftens: Die Kreditaufnahme zur Haushaltsfinanzierung beschränkte sich auf 243 Millionen DM.Sechstens: Aus dem so gestalteten Haushalt wurden investive Ausgaben in Höhe von 14,3 Milliarden DM geleistet.Siebentens: Der Bund hat kurzfristige Schulden getilgt und dafür langfristige Kredite aufgenommen. Der Konsolidierungseffekt von U-Schätzen und Kassenobligationen zusammen macht 1,2 Milliarden DM aus.Diese Tatsachen, meine Damen und Herren, widerlegen eindeutig die düsteren Prognosen der Opposition zur Haushaltsführung 1970 und beweisen, daß die von Herrn Kollegen Strauß aufgestellte Behauptung, daß auch dieser Haushalt ein Krisenherd gewesen sei, in keiner Weise mit den Realitäten in Zusammenhang gebracht werden kann.Weiter muß ich feststellen, daß Ihre Unkenrufe hinsichtlich des Bundeshaushalts 1970 ebensowenig berechtigt waren, wie es jene düsteren Bilder sind, die Sie bei der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht schwarz und schwärzer an die Wand gemalt haben. Lassen Sie es mich allgemein wie folgt formulieren: Sie haben in den finanzpolitischen Debatten seit dem Regierungswechsel recht weitgehend von düsterer Prophetie gelebt. Das ist sicher Ihre Sache. Uns kommt es auf das Ergebnis an, das jetzt vorliegt. Es spricht nicht für Ihre prophetische Gabe, sondern für unsere Politik.
In seiner letzten Sitzung hat der Arbeitskreis Steuerschätzungen die bisherigen Ansätze für die Steuereinnahmen der Jahre 1972 bis 1974 reduziert.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht?
Nein, ich möchte jetzt zunächst einmal meine Darstellung abschließen.Die Differenz zwischen früherer und jetziger Schätzung beträgt für die Jahre 1972 bis 1974 5,8 Milliarden DM von insgesamt 317 Milliarden DM. Diese beiden Zahlen muß man miteinander vergleichen, wenn man zu einem einwandfreien Schluß kommen Will.Die neuen Schätzungen entsprechen der Größenordnung, mit der wir seit Bekanntwerden der Ist-Ergebnisse 1970 gerechnet haben und mit der bei der neu begonnen Fortschreibung der Finanzplanung des Bundes bis 1975 bereits gearbeitet wird.Die Schätzung für die Jahre 1972 bis 1975 geht entsprechend der gesamtwirtschaftlichen Zielprojektion von einer Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts von jährlich 6,75 v. H. aus; zugrunde liegt also ,der mittelfristige Trend. Vor der Verabschiedung des Entwurfs des Bundeshaushalts 1972 und der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung bis 1975 durch die Bundesregierung wird der Arbeitskreis Steuerschätzungen noch einmal zusammentreten. Die Ergebnisse werden selbstverständlich in unseren neuen Vorlagen berücksichtigt.Herr Kollege Strauß hat vor einigen Tagen erklärt, die gegenwärtig zu verzeichnenden Steuerausfälle seien eine Folge der konjunkturpolitischen Fehler der Bundesregierung. Sie, Herr Kollege Strauß, wissen — Sie haben es auch öffentlich gesagt —, daß 3,5 Milliarden DM vorgezogene Steuerzahlungen in 1969 geleistet worden sind, die in den Folgejahren naturgemäß fehlen müssen. Wenn Sie diese Beträge dem Jahr 1970 hinzurechnen, sieht das Ergebnis für das vergangene Jahr völlig anders aus. Dann aber fällt Ihre Behauptung, die sinkenden Steuereingänge seien die Folge von konjunkturpolitischen Fehlern, in sich zusammen. Aber diesen von Ihnen selbst entwickelten Gedankengang wollen Sie natürlich nicht zu Ende denken.Wir sind im Jahre 1970 sowohl unter konjunkturellen als auch unter haushaltswirtschaftlichen Gesichtspunkten mit der neuen Situation fertig geworden und außerdem in der Verwirklichung unserer Ziele ein beachtliches Stück vorangekommen. Das wird auch für 1971 und die späteren Jahre so sein. Heute ist aber diese Perspektive nicht unser Thema, denn wir sprechen über den Bundeshaushalt 1971, nicht über die fortzuschreibende mittelfristige Finanzplanung und noch weniger über die Haushaltslage 1974.Ich habe bereits in der zweiten Lesung darauf hingewiesen, daß ,die Bundesregierung ihre Auffassungen zum Arbeitsprogramm für innenpolitische Vorhaben im einzelnen dann darstellen wird, wenn die Beantwortung der Großen Anfrage der CDU/ CSU erfolgt. Nach einigen weiteren Bemerkungen habe ich hinzugefügt: „Dabei ist natürlich die Frage der Finanzierung von entscheidender Bedeutung." Mit dieser Feststellung befinde ich mich in voller Übereinstimmung mit der Beurteilung der Lage durch den Herrn Bundeskanzler. Der Herr Bundeskanzler hat im Plenum am 2. Februar folgendes erklärt:Wenn wir ... im nächsten Monat umfassendüber unsere Reformvorhaben berichten und
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5966 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Müllerdiskutieren, dann wird in aller Offenheit darzulegen sein, was in dieser Legislaturperiode durchgeführt werden kann und was eines längeren Zeitraums bedarf ... obwohl die Planungen deswegen nicht auf die lange Bank geschoben werden dürfen.Am 3. Februar hat der Herr Bundeskanzler dasselbe mit folgenden Worten wiederholt:Reformpolitik hat, richtig verstanden, nur dann ihren Sinn, wenn man sozusagen auf breiter Front vorrückt, wobei das Tempo in dem einen oder dem anderen Bereich verschieden sein kann, aber kein Bereich völlig ausgespart bleiben darf. Das ist der Kurs, dem wir folgen.Heute, am 12. Februar, hat der Herr Bundeskanzler ähnliche Bemerkungen gemacht.Trotz dieser seiner Darstellungen am 2. Februar, am 3. Februar und am 12. Februar arbeiten Sie nach wie vor mit Unterstellungen, die in keiner Weise mit dem übereinstimmen, was die Bundesregierung, insbesondere in diesen drei von mir genannten Zitaten des Herrn Bundeskanzlers, erklärt hat. Insbesondere seine Feststellung „Das ist der Kurs, dem wir folgen." möchte ich persönlich unterstreichen.Dieser Kurs paßt Ihnen ebensowenig wie diese Regierung. Darüber brauchen wir gar nicht mehr zu reden. Sie beschäftigen sich ständig und abwehrend mit dem Begriff „innere Reformen", weil Ihnen zur Sache selbst bisher nur sehr wenig eingefallen ist.
Es ist für mich einfach eine unverständliche Unterstellung, wenn Herr Kollege Strauß heute behauptet, wir trieben mit dem Begriff „innere Reformen" eine verschwenderische Verwendung. Herr Kollege Strauß, wenn Sie die Möglichkeit gehabt hätten, der zweiten Lesung des Haushalts hier im Hause beizuwohnen, hätten Sie von jedem Minister, angefangen bei der Kollegin Strobel bis hin zum Arbeitsminister, hören können, welche inneren Reformen wir in Angriff genommen haben und daß in diesen 15 Monaten mehr in Bewegung gekommen ist, als Sie wahrhaben möchten.
Meine Damen und Herren, Sie sind — das werden Sie ja wohl nicht bestreiten — jahrelang nach der Devise „Keine Experimente!" angetreten. Sie haben dabei zuviel an den Tag und zuwenig an die Zukunft gedacht. Das Geld, das in der Kasse war, wurde ausgegeben, manchmal auch mehr. Aber Zielvorstellungen darüber, was dieses Land auf mittlere Sicht braucht, sind in der Bundespolitik erst entwickelt worden, seitdem Sozialdemokraten in der Regierungsverantwortung stehen.
Seit dieser Zeit verändert sich auch das öffentliche Bewußtsein. Die Bürger erkennen mit uns, daß man Zielvorstellungen braucht,
wenn wir politisch nicht von der Hand in den Mund leben wollen.Wer über Zielvorstellungen verfügt, kann überhaupt planen. Und wenn man geplant hat, ist zu überlegen, in welchem Zeitraum Pläne zu finanzieren sind. Diese Überlegung ist nicht einmal, wie Sie irrtümlicherweise immer wieder annehmen, sondern stets von neuem anzustellen. Daß sich dabei Veränderungen ergeben können, ist nichts Unnatürliches.Sie von der Opposition — das zeigen 17 Jahre CDU-geführter Bundespolitik — wollten sich aber das Entwickeln von Zielvorstellungen und die mühsame Arbeit des Planens ersparen. Daran hat sich — obwohl wir in der Großen Koalition in dieser Hinsicht Hoffnung schöpften — offenkundig bis heute nichts geändert: Meine Damen und Herren, das ist der Kernpunkt, in dem sich Ihre Politik von der unseren unterscheidet.Herr von Wrangel meinte, die Regierungskoalition zeige immer wieder eine gereizte Intoleranz. Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich Ihnen den Vorwurf zurückgebe. Ein aufmerksames Studium der Protokolle der Sitzungen des Deutschen Bundestages würde die Richtigkeit dieser meiner Behauptung beweisen.Herr Strauß äußerte, wir könnten eine sachlich scharfe Kritik nicht ertragen. Uns ist an einer sachlich scharfen, zugleich aber konstruktiven Kritik immer gelegen. Aber Sie können und dürfen eben nicht nur kritisieren, sondern Sie müssen daneben auch brauchbare Alternativen vorlegen.
Nur wenn Sie das tun, kann es zu einer fruchtbaren Diskussion kommen.Sie verweisen immer auf die Tatsache, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland, zumindest in Bonn, eine 20jährige Herrschaft der Union gehabt hätten und daß diese Regierung nur darauf aufbauend zu arbeiten in der Lage wäre. Ich finde, das ist eine Selbstüberheblichkeit, die man nur bedauern kann angesichts der Tatsache, daß das, was wir seit 1945 geschaffen haben, nur durch eine großartige Gemeinschaftsleistung des ganzen deutschen Volkes erreicht werden konnte.
Was in diesen 20 Jahren von 1945 bis 1966 erreicht worden ist, wissen wir alle. Wir wissen insbesondere, wem das, was in den ersten Jahren nach 1945 erreicht worden ist, zuzuschreiben ist. Mehr will ich nicht sagen. Ich bitte Sie aber doch, über diese Tatsachen nachzudenken. Ohne den Einsatz
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5967
Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerder Menschen in den Jahren nach 1945 hätten Sie gar nicht die Möglichkeit gehabt, 1949 die Bundesregierung zu übernehmen.
Herr Kollege Barzel hat dem Herrn Bundeskanzler unterstellt, er wolle keine Gemeinsamkeit. Als Mitglied des Kabinetts kann ich nur sagen, ich habe den Eindruck, daß sich der Bundeskanzler, der Herr Bundesaußenminister und die anderen in Frage kommenden Herren des Kabinetts immer wieder darum bemühen, die Führung der Opposition im frühestmöglichen Stadium über wichtige außenpolitische oder innerdeutsche Vorgänge zu unterrichten,
sehr oft sehr viel eher, als das gegenüber den Kabinettsmitgliedern geschieht. Daran nimmt kein Kabinettsmitglied Anstoß, weil uns daran liegt, daß die Opposition in den Schicksalsfragen unseres Volkes früh genug und ausreichend orientiert ist, damit sie in der Lage ist, die richtigen Maßstäbe an unsere Politik anzulegen und mit dazu beizutragen, daß sie sich konstruktiv weiterentwickeln kann.Herr Kollege Barzel hat dann eine Anzahl von Vorgängen angeführt, auf die ich im einzelnen nicht eingehen will. Er hat das verbunden mit der Behauptung, daß der Ungeist nicht von der Opposition ausgehe, und hat den Wunsch geäußert, der Herr Bundeskanzler möge sich von einem hier vorgetragenen — wenn ich das richtig verstanden habe — indirekten Zitat distanzieren. Ich frage das Hohe Haus: Seit wann ist es üblich, daß man sich hier im Hohen Haus mit Äußerungen von Schriftstellern beschäftigt,
etwa in dem Sinne, daß wir die freie Betätigung von Schriftstellern einzuengen wünschen?
Das ist eine „Pinscher"-Mentalität, mit der wir uns nicht identifizieren.
Sie erwarten ferner von dem Herrn Bundeskanzler, daß er sich von einigen hier zitierten Äußerungen des Herrn Steffen, des Landesvorsitzenden der SPD in Schleswig-Holstein, distanziert. Daß das nicht ohne eine sorgfältige Prüfung des hier Vorgetragenen geschehen kann, ist wohl selbstverständlich. Aber ich will hier einmal — ich bin überzeugt davon, daß das die Auffassung der gesamten sozialdemokratischen Fraktion ist — ganz klar folgendes aussprechen: Es gehört zweifellos zur Stärke des Herrn Steffen, des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei in Schleswig-Holstein, daß er niemals aus billigem Opportunismus darauf verzichtet hat, gesellschaftspolitische Perspektiven und Wandlungsprozesse, die er für notwendig hielt, auch beim richtigen Namen zu nennen. Das kann man nur anerkennen.
Das ist bei uns in der Sozialdemokratischen Partei üblich, und davon mögen Sie bitte Kenntnis nehmen.
— Ich habe Ihnen erklärt, was wir über diese Äußerungen des Herrn Steffen zu sagen haben. Wir haben hier keine andere Erklärung abzugeben als die, die ich Ihnen vorgetragen habe.
Ich habe eine grundsätzliche Bemerkung dazu gemacht, wie ich das Auftreten und das Wirken des Landesvorsitzenden der SPD in Schleswig-Holstein sehe, und ich bin davon überzeugt, daß meine Fraktion in dieser Beurteilung mit mir übereinstimmt.
Meine Damen und Herren, es ist sicher in der Debatte der letzten Tage sowohl mit Gründlichkeit und Skepsis vorgegangen worden als auch mit einer manchmal unnötigen Verschärfung der Situation. Aber Sie haben gesehen, daß die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung jeder Debatte zu jedem Einzelplan gewachsen waren, daß wir an Stelle von Unterstellungen Leistungen und Argumente gesetzt haben. Und so wird es auch in den nächsten Jahren bleiben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Althammer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der vorgerückten Zeit verzichtet die Fraktion der CDU/CSU darauf, die Entschließungsanträge im einzelnen zu begründen.
Ich darf für sämtliche Entschließungsanträge der CDU/CSU hiermit den Antrag stellen, diese Anträge an die zuständigen Ausschüsse zu überweisen.
Es gilt eine einzige Ausnahme, bei der, wie ich informiert bin, die Fraktion der SPD eine Abstimmung zur Sache wünscht. Zu diesem einen Antrag wird noch gesprochen werden.
Ich darf namens der Fraktion der CDU/CSU angesichts der Wichtigkeit der Schlußabstimmung des Bundeshaushalts 1971 die namentliche Abstimmung für die dritte Lesung beantragen.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.Meine Damen und Herren, ich darf zuerst einmal festhalten, daß alle Änderungsanträge zurückgezogen sind, so daß die Einzelpläne nicht mehr zur Abstimmung kommen, sondern nur die Entschließungs-
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5968 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Vizepräsident Dr. Jaegeranträge zu den Einzelplänen. Hierüber besteht Einverständnis.Ich rufe den Entschließungsantrag Umdruck 149 1) der Fraktion der CDU/CSU zum Einzelplan 06, Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern, auf. Das Wort wird nicht gewünscht. Der Antrag soll dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. -- Darüber besteht Einverständnis.Ich rufe den Entschließungsantrag Umdruck 140 2) der Fraktion der CDU/CSU auf. Dieser Antrag soll dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. — Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe den Entschließungsantrag Umdruck 157 3) der Fraktion der CDU/CSU auf. Er soll dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe die Entschließungsanträge der Fraktion der CDU/CSU Umdrucke 141 4), 142 5), 143 6) auf. Diese Anträge sollen dem Haushaltsausschuß — federführend — und dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend — überwiesen werden. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 144 7) auf. Dieser Antrag soll an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen federführend — und an den Haushaltsausschuß — mitberatend — überwiesen werden. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion derCDU/CSU Umdruck 158 8) auf. Dieser Antrag wird dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend — und dem Haushaltsausschuß — mitberatend — überwiesen. Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 150 9) auf. Dieser Antrag soll dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit — federführend — und dem auswärtigen Ausschuß — mitberatend — überwiesen werden. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Wir kommen nunmehr zum Haushalt des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen und damit zum Umdruck 151 10). Soll hier die Überweisung an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen erfolgen?
— Zur Geschäftsordnung Herr Hermsdorf, bitte!1) Siehe Anlage 23) Siehe Anlage 33) Siehe Anlage 44) Siehe Anlage 55) Siehe Anlage 66) Siehe Anlage 77) Siehe Anlage 8 8) Siehe Anlage 99) Siehe Anlage 1010) Siehe Anlage 11
Es hat keinen Sinn, diesen Antrag zu überweisen. Das ist ein Appell an die Regierung. Ich bitte, den Antrag anzunehmen.
Gut. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimme. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Antrag ist einstimmig angenommen.Damit, meine Damen und Herren, komme ich zum Haushaltsgesetz. Einzelanträge liegen nicht vor, nur Entschließungsanträge, über die im Anschluß an das Gesetz abgestimmt wird.Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich eröffne die Schlußabstimmung in dritter Lesung über das Haushaltsgesetz 1971.Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Ihre Stimmkarten abzugeben, soweit es noch nicht geschehen ist. Außerdem bitte ich Sie, im Saal zu bleiben. Die Beratung geht auch nach der Schlußabstimmung weiter. Es sind noch Entschließungsanträge zu verabschieden.Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Von den uneingeschränkt stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 426 abgestimmt. Mit Ja haben 223, mit Nein 203 Abgeordnete gestimmt. Keine Enthaltungen. Von den Berliner Abgeordneten haben 18 abgestimmt, davon 11 mit Ja und 7 mit Nein. Die Abstimmung ist positiv ausgegangen; der Gesetzentwurf ist angenommen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 424 und 18 Berliner Abgeordnete; davonJa: 221 und 11 Berliner AbgeordneteNein: 202 und 7 Berliner AbgeordneteEnthalten: keineUngültig: 1 AbgeordneterJa SPDDr. Ahrens AnbuhlDr. ApelArendt
Dr. Arndt
BaackBaeuchle BäuerleBarcheDr. Bardens BatzBayDr. Bayerl
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5969
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5970 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt haben.
Wir fordern Sie heute auf, wiederum den Haushalt so zu fahren, daß die Möglichkeiten des Haushalts, jeweils angepaßt an die neuesten Konjunkturdaten, ausgeschöpft werden. Es wäre gut, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, wenn Sie dem zustimmten. Der Herr Bundesfinanzminister hat am 12. Januar dieses Jahres genau das in einer Stellungnahme in Arnheim zum Ausgang der EWG-Verhandlungen ausgedrückt. Ich möchte Ihnen das wörtliche Zitat ersparen. Es hieß, daß der Haushalt in den ersten Monaten restriktiv gefahren werden muß. Wir verlangen noch nicht einmal das, sondern weniger. Stimmen Sie also diesem Antrag zu!
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrage beider Koalitionsfraktionen möchte ich zu den Ausführungen des Kollegen Leicht folgende Bemerkung machen. Herr Kollege Leicht, es ist nicht richtig, daß Sie uns gezwungen haben, zu dem Resultat des Haushalts 1970 zu kommen. Wir haben bei der Schlußberatung des Haushalts 1970 eine Entschließung vorgelegt und dargestellt, in welcher Weise wir die Regierung auffordern, den Haushalt zu fahren. Das Ergebnis der Haushaltsführung 1970 beweist eindeutig, daß wir das Vertrauen zur Regierung haben können, daß auch der Haushalt 1971 entsprechend der Konjunktur gefahren wird.
Es läßt sich nicht leugnen, daß zwischen Ihrem Entschließungsantrag auf Umdruck 128 und unserem auf Umdruck 148 ein wesentlicher Unterschied ist. ihr Entschließungsantrag enthält ein gewisses Mißtrauen gegen diese Regierung. Wir haben volles Vertrauen zu dieser Regierung und haben in Umdruck 148 dargestellt, welche Auffassung wir haben, wie der Haushalt gefahren werden sollte. Ich bitte deshalb namens der Koalitionsfraktionen, den Umdruck 128 abzulehnen und Umdruck 148 anzunehmen.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich komme zur Sachabstimmung. Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 128 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.Ich komme nunmehr zu Umdruck 145') der Fraktion der CDU/CSU. Wer begründet den Antrag? — Ausschußüberweisung oder Sachabstimmung?
*) Siehe Anlage 13
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5971
Vizepräsident Dr. Jaeger— Haushaltsausschuß offenbar? — Ist das Haus mit der Überweisung an den Haushaltsausschuß einverstanden? — Das ist der Fall.Ich komme zum Umdruck 146 *).
— Auch an den Haushaltsausschuß?
— Herr Abgeordneter Hermsdorf zu Umdruck 146!
Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um die Debatte, die wir über die Offa usw. geführt haben. Wir haben gesagt, daß wir diesen Vorschlag der CDU nicht billigen werden. Es hat ,deshalb keinen Sinn, den Antrag an den Ausschuß zu überweisen. Wir bitten um Ablehnung.
Wenn Sie, Herr Kollege Dr. Althammer, den Antrag auf Ausschußüberweisung aufrechterhalten, muß ich darüber zuerst abstimmen Lassen. Wenn Sie ihn nicht aufrechterhalten, komme ich zur Sachabstimmung.
— Sie stellen also den Antrag auf Überweisung an den Haushaltsausschuß. Wer der Ausschußüberweisung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.
Damit komme ich zur Sachabstimmung. Wer dem Entschließungsantrag selbst zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme zum Antrag Umdruck 147 **). Was wird hier vorgeschlagen?
— An den Haushaltsausschuß überweisen.
— Dann muß ich, wie Sie wissen, zuerst über den Überweisungsantrag abstimmen lassen.
Wer für die Überweisung an den Haushaltsausschuß stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme zur Sachabstimmung über den Entschließungsantrag Umdruck 147. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme zum Antrag Umdruck 148. Was wird beantragt?
— Es wird keine Überweisung beantragt; gleich Sachabstimmung. Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, FDP auf Umdruck 148 ***) zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.
*) Siehe Anlage 14 **) Siehe Anlage 15 ***) Siehe Anlage 16
Meine Damen und Herren, ich komme noch zum zweiten Antrag des Haushaltsausschusses, nämlich die Bundesregierung zu ermächtigen, die Änderung der Ansätze, die sich aus der Anlage zum Mündlichen Bericht ergibt, in den Einzelplänen 14 und 33 vorzunehmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? -Keine Enthaltungen. Es ist einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, der nächste Punkt, in den wir eintreten, ist die Fragestunde. Es liegt aber im allgemeinen Interesse, wenn ich zuerst die persönlichen Erklärungen abgeben lasse, die abgegeben werden sollen. Da ist zuerst eine Erklärung des Abgeordneten Dr. Klepsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Minister der Verteidigung, Helmut Schmidt, hat in der Debatte über den Bericht zur Lage der Nation die Behauptung aufgestellt, der Sprecher der CDU/CSU im Verteidigungsausschuß ziehe die Bundeswehr dauernd durch den Dreck, später berichtigt in „dauernd durch den Kakao". In der 97. Sitzung zur Rede gestellt, hat er diese Behauptung aufrechterhalten und als Beleg dafür allein den folgenden Satz aus einem Interview vorgetragen:
Schließlich brauchen wir keine Ausbildung und Bildungskommission für die Abschaffung der Armee.
Er hat dabei eine ganze Anzahl namentlich von ihm aufgeführter Generale einbezogen. Zweimal in dieser Sitzung hat er, das zweitemal es ausdrücklich betonend, dieses wörtliche Zitat vorgetragen, das zweitemal bei Schluß der Sitzung auch seine Quelle genannt, das „Deutsche Monatsblatt". Da mir in der Kürze der Zeit bei Sitzungsschluß eine Berichtigung nicht mehr möglich war, gebe ich heute gemäß § 36 der Geschäftsordnung folgende Erklärung ab:
Die Behauptung des Herrn Schmidt erhält ihre Grundlage nur dadurch, daß er falsch zitiert. Beide Male hat er beim wörtlichen Zitieren das im Originaltext gegebene Wort „Konzeption" unrichtigerweise durch „Kommission" ersetzt.
Abgesehen davon, daß, im Zusammenhang gelesen, das Zitat im „Deutschen Monatsblatt" die von Herrn Schmidt vorgenommene Interpretation nicht zuläßt, spricht diese Feststellung für sich selbst. Im übrigen verweise ich auf den vollen Text im „Deutschen Monatsblatt" vom Januar 1971, Seite 6.
Angesichts dieses Sachverhalts und der Tragweite der Schlußfolgerung des Herrn Schmidt, zumal er die Zitierung auch an Hand einer Unterlage vortrug, ist ein Irrtum seinerseits nicht mehr in Betracht zu ziehen.
Das Wort zur Abgabe einer persönlichen Erkläung hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
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5972 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe eine Erklärung nach § 35 der Geschäftsordnung ab.
Herr Kollege Ruf hat gestern in einer an mich gerichteten Zwischenfrage bestritten, daß er seinerzeit dem „Volkswirt" im Sinne meiner Darstellung ein Interview gegeben hat. Hierzu erkläre ich:
Ich erhalte meine Behauptung, daß Herr Ruf dem „Volkswirt" gegenüber in einem Informationsgespräch wörtlich erklärt hat: „Die Sozialausschüsse sind eine nicht so gewichtige Gruppe in der Partei", in vollem Umfang aufrecht. Die Äußerung von Herrn Ruf ist im „Volkswirt" Nr. 27 vom 3. Juli 1970 wörtlich als Zitat wiedergegeben. Der „Volkswirt", jetzt „Wirtschaftswoche / Der Volkswirt", hat mir heute bestätigt, daß Herr Ruf die von mir zitierte Erklärung wörtlich abgegeben hat. Der Bonner Korrespondent des Wirtschaftsblattes „Wirtschaftswoche / Der Volkswirt", Herr Jürgen Forster, erklärte mir gegenüber heute in einer schriftlich festgehaltenen Notiz — ich zitiere :
Die von mir im „Volkswirt" vom 3. Juli wiedergegebene Äußerung des Herrn Thomas Ruf bestätige ich. Herr Ruf hat mir gegenüber am 26. Juni 1970 während eines Informationsgesprächs in Gegenwart eines Zeugen wörtlich erklärt: „Die Sozialausschüsse sind eine nicht so gewichtige Gruppe in der Partei." Herr Ruf hat diese Äußerung
— so erklärt der Vertreter des „Volkswirts" — nie dementiert.
Somit weise ich die Zweifel, die Herr Ruf an der Richtigkeit meiner Darlegungen geäußert hat, entschieden zurück.
Das Wort zu einer persönlichen Erklärung hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf erklären, daß wie jeder andere so auch ich natürlich nicht ausschließen kann, gelegentlich einmal irrtümlich falsch zitiert zu haben. Was die heute gehörte Beanstandung angeht, so werde ich mich bemühen — ich habe die Unterlagen nicht zur Hand —, das zu prüfen, und wenn ich mich irgendwo geirrt haben sollte, werde ich nicht anstehen, mich zu korrigieren. Ich will nur sicherheitshalber heute schon sagen, daß das an meiner Beurteilung der Motive und Qualifikation des Urhebers der inkriminierten Äußerungen nichts zu ändern wird vermögen.
Ich bitte Sie um Ruhe für eine bedauerliche Angelegenheit. Die Durchsicht des Protokolls hat einen Zwischenruf ergeben, den ich heute früh als amtierender Präsident nicht gehört habe. Der Abgeordnete Wehner hat
dem Abgeordneten Dr. Gruhl zugerufen: „Sie sind eine Karikatur!" Herr Abgeordneter Wehner, ich rufe Sie zur Ordnung.
Meine Damen und Herren, wir treten ein in die Fragestunde
— Drucksache VI/1807 —
Zunächst werden die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts beantwortet. Ich rufe die Frage 80 des Abgeordneten Dr. Evers auf:
Ich frage die Bundesregierung, ob es in ihrem Sinne ist, daß die der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes für die Förderung von Auslandsgastspielen zur Verfügung stehenden Mittel so sehr mit Schwerpunkt zugunsten der Länder des Ostblocks eingesetzt werden, daß die Kulturkontakte in Richtung EWG zwangsläufig geschwächt werden?
Herr Staatssekretär Moersch, ich darf bitten.
Ich beantworte die Frage wie folgt. Für den Kulturaustausch auf dem Gebiet der darstellenden Kunst gilt das gleiche wie für unsere Politik im allgemeinen, deren Konstante die Bindung zum Westen ist. Die Bestrebungen, den Austausch mit dem Osten zu fördern, soll den Wechselbeziehungen von Auslandsgastspielen mit dem Westen nicht abträglich sein. Allerdings muß festgestellt werden, daß sich der Kulturaustausch mit dem Westen, insbesondere mit den EWG-Ländern — wie Frankreich, Herr Fragesteller —, auch auf kommerzieller Basis so gut eingespielt hat, daß er nur in Ausnahmefällen der staatlichen Hilfe bedarf. Dagegen kann ein Kulturaustausch mit dem Osten wegen der unterschiedlichen Wirtschaft und Struktur nur mit staatlicher Hilfe unsererseits durchgeführt werden. Daraus ergibt sich der Förderungszwang in Richtung Osten um so mehr, als ein erheblicher Nachholbedarf zu decken ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Evers.
Meinen Sie nicht, Herr Staatssekretär, daß man, wenn ein Nachholbedarf im Kulturaustausch mit den östlichen Staaten besteht, ihn nicht durch Kürzung der Zuschußgewährung für den Kulturaustausch mit den westlichen Staaten, sondern durch Aufstockung der Mittel befriedigen sollte?
Herr Abgeordneter, das ist eine Sache, die letztlich der Entscheidung des Hohen Hauses obliegt. Das Auswärtige Amt ist gehalten, mit den Mitteln auszukommen, die im Haushaltsplan vorhanden sind. Es war die Ansicht der Kollegen, die sich speziell mit dieser Materie befassen, daß die jetzt bereitgestellte Summe in der Abstimmung des Gesamtprogramms ausreichen müsse. Das konnte man tun, da man ja nach aller Erfahrung davon ausgehen kann, daß man bei sozusagen gleichwertigen Bedingungen, was die Wechselkurse und die Währungsparitäten betrifft, in Staaten mit ähnlicher Struktur im Grunde genom-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5973
Parlamentarischer Staatssekretär Moerschmen auf eine staatliche Subventionierung des Kulturaustauschs verzichten kann, weil Gastspiele meist so attraktiv sind, daß sie ihre Kosten durch entsprechende Eintrittsgelder hereinspielen. Das ist auch eine sinnvolle Verhaltensweise für einen Staat der nach marktwirtschaftlichen Prinzipien handelt.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Evers.
Heißt das, Herr Staatssekretär, daß Sie gegebenenfalls bereit sind, eine Reduzierung der Kulturbeziehungen zum westlichen Ausland in Kauf zu nehmen, wenn sich dies auf Grund der von Ihnen eben dargelegten haushaltspolitischen Richtlinien ergeben würde?
Herr Abgeordneter, das heißt es nicht. Wenn das zu befürchten wäre, hätte die Bundesregierung sicher in der Etatgestaltung dem Hohen Hause entsprechende Veränderungen vorgeschlagen. Das Hohe Haus hätte, soweit ich die Kollegen aller Fraktionen kenne, das dann sicherlich auch getan, d. h. insbesondere die Kollegen, die sich damit befassen. Ich behaupte, daß es eine Unterstellung ist, anzunehmen, man könne solche Kulturbeziehungen im jetzigen Stadium nur mit staatlicher Förderung aufrechterhalten. Sicherlich ist es für viele Unternehmen bequemer, solche Förderung zu bekommen. Es kann aber nicht der Sinn einer staatlichen Förderung sein, Beziehungen, die sich eingespielt haben, weiterzufördern, sozusagen als eine Tradition, die man auch dann fortsetzt, wenn ihr Sinn bereits entfallen ist.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich komme zur Frage 81 des Abgeordneten Storm:
Ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß cine Förderung des deutschen Schulwesens im Ausland hinsichtlich der Förderung baulicher Maßnahmen, der Ausstattung der Schulen mit Unterrichtsmitteln und der Besetzung von Lehrerstellen verstärkt werden sollte, um einerseits die Betreuung und Erhaltung deutschen Kulturgutes im Ausland und eine Verstärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls der im Ausland lebenden Deutschen mit der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten und andererseits das Deutschlandbild in ausländischen Staaten zu verbessern?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Ich beantworte die Frage mit Ja. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß die Förderung der deutschen Schulen im Ausland gezielter und zugleich rationeller werden muß als bisher. Grundsatzüberlegungen zur Struktur von Auslandsschulen haben ergeben, daß die zweisprachige integrierte Sekundarschule für fremdsprachige Kinder, die ein sprachliches Vorbereitungsjahr einschließt, als ein kulturpolitisch besonders effektives Modell einer Auslandsschule anzusehen ist. Gerade durch diesen Schultyp ist eine intensive Beschäftigung der Schüler mit den Kulturgütern der beiden Länder sichergestellt. Die Vermittlung eines gegenwartsnahen Deutschlandbildes ist hierbei ein Teilziel. Dieser Schultyp, der bisher nur an wenigen Stellen besteht, kommt dem Wunsch der Bundesregierung und der Gastländer entgegen, die soziologische und soziale Repräsentanz zu verbessern, da er ohne Rücksicht auf die Einkommenslage der Eltern eine geeignete Schülerauswahl vornehmen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Storm.
Herr Staatssekretär, ich habe auch nach den Aufwendungen der Bundesregierung gefragt: Liegen Ihnen Vergleichszahlen zur Förderung der Schulen zum Beispiel aus England oder Frankreich vor?
Herr Abgeordneter, nach diesem Vergleich ist in ihrer Frage nicht gefragt worden, wenn ich das recht sehe. Wenn Sie wollen, bin ich gerne bereit, zu versuchen, Ihnen diese Vergleichszahlen zu beschaffen.
Ich darf prinzipiell darauf hinweisen, daß Frankreich eine andere auswärtige Schulpolitik betreibt, als sie die Bundesrepublik ihrer Verfassungsstruktur nach bisher betrieben hat und auch betreiben konnte. Das kommt daher, daß Frankreich in den früheren Überseegebieten ganz andere Interessen zu vertreten hat, daß außerdem die Einrichtung etwa von Schulen für im Ausland tätige Franzosen von der französischen Regierung immer in einer besonderen Weise gepflegt worden ist und daß eben dort die Schwierigkeiten gar nicht bestehen, die wir sowohl als Folge von zwei Weltkriegen als auch wegen der andersgelagerten grundgesetzlichen Regelung der Schulhoheit haben. Ich darf nur daran erinnern, daß es sehr viel mehr Bewerber gibt, die Lehrer an deutschen Schulen im Ausland werden möchten, als es oft den Kultusministerien lieb ist, die ihrerseits über Lehrermangel klagen. Ich darf daran erinnern, daß es viele Kollegen auch in diesem Hause gibt, die meinen, daß die Beseitigung des Lehrermangels im Inland wichtiger sei als die Beschickung der Auslandsschulen mit Lehrern.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Storm.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wieviel deutsche Lehrer sich für den Dienst an Auslandsschulen bewerben und wieviel davon genommen bzw. zurückgestellt werden?
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen das, weil es nicht in direktem Zusammenhang mit dieser Frage steht, nicht aus dem Kopf sagen. Es sind jedenfalls mehr Bewerber da, als von den Kultusministerien Stellen freigegeben werden. Das sehe ich z. B. aus meiner täglichen Post, die mir die Kollegen dieses Hohen Hauses zustellen.
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5974 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die vom Fragesteller angeführten Probleme auch Thema der zu bildenden EnqueteKommission für die auswärtige Kulturpolitik sein werden?
Das ist in der Tat richtig. In dieser Richtung sind bereits Erhebungen im Gange. Wir haben diese Untersuchungen längst auf diese Gebiete ausgedehnt.
Die Frage 82 des Abgeordneten Storm:
Welche Maßnahmen sieht die Bundesregierung in diesem Zusammenhang als die notwendigsten an?
Die Antwort lautet: Die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen in Köln bearbeitet zur Zeit ein Reformkonzept, das die Grundlage für Überlegungen bilden soll, die Struktur der Auslandsschulen den deutschen kulturpolitischen Vorstellungen sowie den Interessen des Gastlandes anzupassen.
Neben diesen Arbeiten sieht die Bundesregierung als besonders vordringlich an: erstens die Verbesserung der Vergütung einheimischer, insbesondere
3) deutschsprachiger Lehrer an deutschen Auslandsschulen mit dem Ziel, künftig in größerem Umfang als bisher aus der Bundesrepublik vermittelte Lehrer durch einheimische Lehrer zu ersetzen, zweitens die Förderung aller Einrichtungen zur Aus- und Weiterbildung dieser Lehrer — den drei bestehenden Lehrerseminaren in Chile, Argentinien und Paraguay wird dabei besondere Aufmerksamkeit gewidmet — und drittens die Entwicklung geeigneter Lehr- und Lernmittel für das Fach Deutsch als Fremdsprache. Ein erster Teil ist bei den Schulen bereits in Benutzung.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Storm.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, welche deutschen Verlage oder welche sonstigen Gremien für die Herstellung von Schulbüchern und Lehrmaterial verantwortlich sind?
Verantwortlich ist die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen in Köln in Zusammenarbeit mit der Kultusministerkonferenz und dem Auswärtigen Amt.
Keine Zusatzfrage mehr.
Wir kommen zur Frage 83 des Abgeordneten Niegel:
Betrachtet die Bundesregierung die Äußerung des Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Dr. Sicco Mansholt, auf der „Grünen Woche" in Berlin, der vor extremistischen Kreisen in der Bundesrepublik Deutschland warnte, die sich gegen die Ostpolitik der Bundesregierung Brandt/Scheel wenden und wörtlich sagte: „Diese Agitation erweckt für das Auge und Ohr des Nachbarn böse Erinnerungen. Es scheint hier immer noch Verwegene zu geben, die den Krieg, den Hitler gegen die Alliierten verloren hat, gegen die Regierung Brandt/Scheel gewinnen wollen", als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland?
Herr Präsident, ich möchte, wenn ich die Genehmigung bekomme, die Fragen 83 und 84, die hier gestellt sind, zusammen beantworten, da sie in einem Sachzusammenhang stehen.
Bitte schön! Dann rufe ich noch die Frage 84 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Hat die Bundesregierung entsprechende Schritte gegen diese Äußerung unternommen, bzw. welche beabsichtigt sie zu unternehmen?
Herr Abgeordneter, in der Frage ist die Äußerung des Vizepräsidenten der Europäischen Kommission ungenau und unvollständig zitiert, so daß der Eindruck entsteht, die Warnung richte sich gegen alle, die sich gegen die Ostpolitik der Bundesregierung wenden. In Wirklichkeit hat Vizepräsident Mansholt seiner Sorge darüber Ausdruck gegeben — ich zitiere —, „daß jenseits der demokratischen Parteien sich für das Auge und Ohr des Nachbarn eine Agitation geltend macht, die böse Erinnerungen wachruft". So weit das Zitat.Diese Bemerkungkann nur im Gesamtzusammenhang der Rede richtig gewürdigt werden. Ausgehend von dem dem EWG-Vertrag beigefügten Berlin-Protokoll hat Vizepräsident Mansholt zunächst die Solidarität der Gemeinschaft mit Berlin bekräftigt und dann darauf hingewiesen, daß nicht nur in der Europapolitik, sondern auch im gesamteuropäischen Gefüge vieles in Bewegung geraten sei, was jeden Europäer angehe. Dabei machte er darauf aufmerksam, daß die Tonart der Agitation gewisser extremistischer Kreise die Bereitschaft zur Solidarität im Westen beeinträchtigen könne. Er ließ aber keinen Zweifel daran, daß er nicht -von der demokratischen sachlichen Auseinandersetzung mit der Ostpolitik gesprochen habe, sondern von Auswüchsen außerparlamentarischer Aktionen. Wer die Rede im Gesamtzusammenhang richtig liest, wird diese Bemerkung kaum als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik auffassen können. Herr Mansholt hat übrigens in einer Pressekonferenz ausdrücklich unterstrichen, daß ihm eine solche Einmischung ferngelegen habe.Wenn so auf Sorgen hingewiesen wird, die durch Aktionen extremistischer Kräfte bei uns in europäischen Ländern hervorgerufen werden können, wird es uns nach den geschichtlichen Erfahrungen, die Europa mit derartigen Kräften gemacht hat, schlecht anstehen, dies als unerlaubte Einmischung in innerdeutsche Angelegenheiten zurückzuweisen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5975
Parlamentarischer Staatssekretär MoerschDie Bundesregierung sieht daher keine Veranlassung, die Äußerungen des Vizepräsidenten Mansholt bei der Eröffnung der Grünen Woche als Einmischung in innere Angelegenheiten zu werten. Irgendwelche Schritte wegen dieser Äußerungen werden daher nicht in Erwägung gezogen. Wir haben im Gegenteil Herrn Vizepräsident Mansholt gegen ungerechtfertigte Angriffe in Schutz zu nehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.
Herr Staatssekretär, existieren nicht derartige minimale extremistische Kreise, von denen Herr Mansholt angeblich gesprochen hat, auch in Holland, in Belgien, in Italien und in Frankreich, also in unseren EWG-Partnerländern,
und hätte nicht ein deutscher Kommissar, der in
einem dieser Länder eine solche Äußerung getan
hätte, irgendwelche Konsequenzen ziehen müssen?
Das waren zwei Zusatzfragen.
Zum ersten, Herr Abgeordneter: Herr Mansholt hat das, was ich zitiert habe, nicht angeblich, sondern tatsächlich gesagt. Der Beleg ist vorhanden. Wenn Sie sich auf einen Zeitungsbericht stützen, in dem das nicht korrekt wiedergegeben ist, ist das nicht Herrn Mansholt oder der Bundesregierung anzulasten.
Zum zweiten gibt es überall extremistische Kreise. Das ist bekannt, das ist kein Privileg, das irgendein Land in Europa hätte. Jedes Land muß damit fertig werden. Daß gerade im Zusammenhang mit der Politik und der Sache, die Herr Mansholt vertritt, ein akuter Anlaß bestand, auf diese Fragen einzugehen, ist sicherlich richtig.
Was andere Länder getan hätten, wenn eine Äußerung eines deutschen Kommissars richtig wiedergegeben worden wäre, vermag ich nicht zu sagen, da mir die Fähigkeit der Voraussage fehlt. Ich bin aber ganz sicher, daß das europäische Bewußtsein inzwischen so stark entwickelt ist, daß die Mitglieder der Kommission in der Lage sind, auf die gleiche Art, wie es Herr Mansholt getan hat, in jedem Land, gleichgültig, aus welchem Land sie stammen, ihre Meinung kundzutun.
Sie haben noch zwei, also insgesamt vier Zusatzfragen, weil Sie zwei Hauptfragen hatten.
Jetzt kommt die dritte Zusatzfrage. Bitte sehr!
Wäre es möglich, Herr Staatssekretär, daß ein deutscher Kommissar eine solche Äußerung in einem befreundeten Land getan hätte?
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. Ich glaube, daß eine so potentielle Frage nicht gestellt werden kann, weil es in der Fragestunde ja um die Politik der Bundesregierung geht. Insoweit würde ich diese Frage als nicht möglich betrachten. — Bitte, die nächste Frage!
Herr Staatssekretär, selbst wenn das zuträfe, was Sie nach dem Manuskript zitierten — —
— Es kann ja sein, daß das Manuskript geschrieben war, er aber in seiner Rede weiter ging als das Manuskript. Ich glaube nicht, daß die Zeitungsberichte über die tatsächliche Rede hinausgegangen sind.
Ich möchte bitten, eine kurze Frage zu stellen.
Herr Abgeordneter, ich weise es entschieden zurück, wenn Sie die Berichterstattung des Auswärtigen Amtes, die mir hier vorliegt, in Zweifel ziehen. Ich habe keinen Anlaß, anzunehmen, daß der Beamte, der diesen Bericht aufgenommen hat, dabei seine fünf Sinne nicht ganz beisammen gehabt haben sollte.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, steht es nicht im Einklang mit Bestrebungen zur politischen Einigung Europas, wenn überzeugte Europäer ein aktives Interesse an der Innenpolitik derjenigen Staaten nehmen, mit denen der Zusammenschluß erfolgen soll, und wäre es nicht erfreulich, wenn Sie diesem Interesse auch kritisch Ausdruck gäben?
Herr Abgeordneter, ich bin Ihnen für die Frage dankbar, weil sie mir Gelegenheit gibt, einmal darzulegen, Herr Kollege Niegel, daß der EWG-Vertrag ausdrücklich nur sol-
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5976 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Moerschche Staaten umfaßt, die eine freiheitlich-demokratische Grundordnung haben,
und daß deswegen die EWG-Kommissare implicite auf Grund der Vertragslage ganz besonders der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verbunden sind. Insofern wäre es unter Umständen sogar die Pflicht dieser Kommissare — woher immer sie stammen und wo immer es sei , auf solche extremistische Äußerungen kritisch hinzuweisen, die diese freiheitlich-demokratische Grundordnung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft in Frage stellen können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Gleissner.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht im wahren europäischen Interesse gewesen und im Interesse der Objektivierung der europäischen Freundschaft, wenn man dafür gesorgt hätte, daß solche Äußerungen in einer maßvollen Weise korrigiert werden oder daß eine Gegendarstellung von seiten der Bundesregierung erfolgt, um eben gerade bei uns und im Ausland keine falschen Meinungen aufkommen zu lassen — im Interesse dieser europäischen Freundschaft?
Es ist, Herr Abgeordneter, nicht die Pflicht der Bundesregierung, auf falsche Zitierungen einer Rede Erklärungen abzugeben. Das hat der Urheber zu verantworten, der die falschen Zitierungen vorgenommen hat. Zweitens hat Herr Mansholt in seiner Rede nichts gesagt, was man als Demokrat nicht hinnehmen oder sagen könnte. Ich sehe nicht ein, weshalb wir irgend jemanden zu einer Veränderung seiner Haltung veranlassen sollten, der genau die Haltung eingenommen hat, die im Einklang mit dem Vertrag und unseren Überzeugungen steht.
Eine Zusatzfrage, des Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, haben Sie auf Grund der letzten Zusatzfrage nicht auch den Eindruck, daß die Opposition sich hier zu Unrecht getroffen fühlt, weil sie hier den Adressaten bewußt verwechselt, wie das Herrn Barzel heute morgen auch in bezug auf die Äußerung des Kollegen Wienand schon einmal unterlaufen ist?
Ich glaube, daß diese Frage für den Herrn Staatssekretär sehr schwer zu beantworten ist, da er ja dieses Haus nicht zu zensieren hat. Ich möchte das also auf sich beruhen lassen.
Ich komme zu der Frage 85 des Abgeordneten Dr. Frerichs:
Wie weit sind die Verhandlungen der Regierung der UdSSR mit der Bundesregierung über den Bau einer neuen sowjetrussischen Botschaft in Bonn-Bad Godesberg gediehen?
Herr Abgeordneter, die Antwort lautet: Die Bundesregierung und die Regierung der UdSSR sind in einem Notenwechsel im Herbst 1969 übereingekommen, einander geeignete Grundstücke für die beiderseitigen Botschaften in Moskau und in Bonn zur Verfügung zu stellen. Für den Neubau der Sowjetischen Botschaft in Bonn ist ein Grundstück an der Elisabethstraße in Bonn-Bad Godesberg im Gespräch. Die sowjetische Seite hat ein Modell für die architektonische Gestaltung des Kanzlei- und Residenzgebäudes erarbeitet. Zur Zeit wird geprüft, ob die Bebauung des in Aussicht genommenen Grundstücks in der von der sowjetischen Seite vorgeschlagenen Weise möglich ist. Von dem Ausgang dieser Prüfung hängen die weiteren Verhandlungen ab.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß das Grundstück, das von der Sowjetunion zum Bau ihrer Botschaft und einer Residenz begehrt wird, nicht im Baugebiet, sondern im Landschaftsschutzgebiet liegt?
Herr Abgeordneter, das ist mir bekannt. Mir ist aber auch bekannt, daß Regeln dazu da sind, um Ausnahmen zu machen, und daß schon in vielen Fällen in diesem Gebiet Ausnahmen gemacht worden sind. Das sieht das Bundesbaugesetz sogar vor. Es ist Sache der Entscheidungsgremien, ob sie hier Ausnahmen machen möchten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung ihrerseits alles tun, um den russischen Verhandlungspartner davon zu unterrichten, welcher Weg planungs- und baurechtlich nach den Vorschriften des Bundesbaugesetzes gegangen werden muß, bevor ein solches Grundstück entwidmet und für baureif erklärt werden kann?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung befindet sich hier in einer sehr guten Lage. Es besteht gar kein Anlaß, von der Bundesregierung aus irgend jemanden über
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5977
Parlamentarischer Staatssekretär Moerschbaurechtliche Vorschriften zu unterrichten, weil die Interessenten im Gespräch mit der Stadtverwaltung Bonn so sachkundige Gesprächspartner haben, daß ihnen die Zusammenhänge längst bekannt sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Ostman von der Leye.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, teilen Sie mit mir die Auffassung, daß die Angelegenheit bisher mißverständlich dargestellt worden ist und daß es jetzt darauf ankommt,
daß der Rat der Stadt Bonn beschleunigt prüft, ob das Projekt — etwa nach einem abgeänderten Entwurf — an der jetzt vorgesehenen Stelle überhaupt realisierbar ist oder ob andere Alternativen möglich sind?
Herr Abgeordneter, zunächst weise ich darauf hin, daß in der Tat in der öffentlichen Berichterstattung der Eindruck erweckt worden ist, die Bundesregierung habe sich hier in massiver Weise eingeschaltet oder sie sei in einer möglicherweise unzulässigen Art tätig geworden. Dieser Eindruck ist falsch. Ich teile Ihre Auffassung. Die beschleunigte Prüfung ist das Ziel unserer Bemühungen, gerade um diese Sachfrage zu klären.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans.
Herr Staatssekretär, sehen Sie große Schwierigkeiten, die Planungen der Stadt Bonn und die Wünsche der russischen Botschaft in Einklang zu bringen?
Herr Abgeordneter, das ist eine Frage, die Sie natürlich den Planern der Stadt Bonn stellen müßten. Die Planungen der Stadt Bonn gehören nicht in mein Ressort. Ich kann nur sagen, daß das Landschaftsschutzgebiet ja nicht etwa eine neue Sache ist. Wir haben den Wunsch, daß die sowjetrussische Botschaft einen Bauplatz findet, der ihren Interessen entspricht. Wir haben auch den Wunsch, daß die Entscheidung über einen solchen Bauplatz nicht zu einer Verstimmung auf irgendeiner Seite führt. Die Bundesregierung bietet hier ihre guten Dienste an. Das ist auch ihre Aufgabe. Über alles andere müssen die .Herren entscheiden, die die Befugnis dazu haben.
Dann rufe ich die Frage 86 des Abgeordneten Frerichs auf:
Entspricht es den Tatsachen, daß die Bundesregierung die Planungshoheit der Stadt Bonn einschränken will, wenn diese sich aus Gründen des Landschaftsschutzes und der Erhaltung von Grünzonen im Stadtgebiet gegen Umfang und Gestaltung des russischen Bauvorhabens wendet?
Oder betrachten Sie diese Frage schon als beantwortet?
Die Frage ist noch nicht beantwortet, Herr Präsident. Ich beantworte die Frage mit Nein.
Bitte, Herr Abgeordneter Frerichs!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß insofern doch der Versuch einer Einmischung vorliegt, als man durch Ausnutzung der Ausnahmevorschriften ganz bestimmten Umfanges in die Planungshoheit der Stadt Bonn eingreifen will?
Ich verstehe Ihre Frage nicht, weil Sie in Ihrer Frage möglicherweise etwas unterstellen, was nach meinen Unterlagen nicht stimmt. Sie fragen hier, wenn ich es recht verstehe, wohl mehr als Stadtverordneter von Bonn. Dann kennen Sie die Einzelheiten sicherlich besser als ich.
Entschuldigen Sie, dann habe ich mich geirrt; dann trügt meine Erinnerung. Aber immerhin waren Sie es ja einmal.
Ich glaube, daß hier von keiner Seite der Bundesregierung irgend etwas getan worden ist, was nicht Rechtens wäre. Im Gegenteil! Es ist sogar unsere Pflicht, Gespräche zu führen und von seiten des Auswärtigen Amtes darauf hinzuwirken, daß diese leidige Frage in einer für alle zufriedenstellenden Weise gelöst wird. Sie würden mich als Abgeordneter mit Recht angreifen, wenn es anders wäre.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß dennoch Versuche gemacht worden sind, in die Planungshoheit der Stadt einzugreifen und daß dies enorme Emotionen bei der Bonn-Bad Godesberger Bevölkerung ausgelöst hat?
Herr Abgeordneter, mir ist bekannt, daß Emotionen ausgelöst werden, wenn solche Versuche behauptet werden. Ich bestreite aber, daß es solche Versuche, wie sie hier behauptet werden, gegeben hat. Es sind Gespräche geführt worden, aber es ist überhaupt keine Pression von der Bundesregierung ausgeübt worden. Ich weise die Unterstellungen, die in der Öffentlichkeit aufgetaucht sind, mit Entschiedenheit
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5978 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Moerschzurück. Unsere Beamten wissen genau, was das Gesetz erlaubt und was nicht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans!
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, die Bemühungen der Stadt Bonn zu unterstützen, die darauf abzielen, daß das geplante Botschaftsgebäude auf dem dortigen Hügel nicht zu hoch wird?
Abg. Mattick: Endlich ist die Frage heraus! — Abg. Wehner: Was man alles wissen muß!)
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung unterstützt alles, was alle Beteiligten am Ende zufriedenstellt. Den Entscheidungen der Stadt Bonn kann ich nicht vorgreifen. Wir reden hier über Dinge, die, glaube ich, noch nicht soweit gediehen sind, wie manche annehmen.
— Es wird über das, was Sie sagen, gesprochen. Ich weiß nicht, ob den Interessen der Bevölkerung gedient ist, wenn wir öffentlich Dinge erörtern, die wir aus guten Gründen am besten mit den Betroffenen erörtern sollten. Dieser Versuch wird im Augenblick unternommen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ostman von der Leye.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, könnten Sie Herrn Kollegen Frerichs davon unterrichten, daß es nach dem geltenden Recht jedem Bauwilligen unbenommen ist, beim Regierungspräsidenten einen Ausnahmeantrag zu stellen, und daß der Regierungspräsident darüber entscheiden muß?
Herr Kollege, das ist in der Tat formal richtig. Trotzdem glaube ich, daß in diesem Fall letztlich die Entscheidung der Stadt Bonn ausschlaggebend ist, weil ein Konflikt zwischen dem Regierungspräsidenten und der Stadt Bonn denen zunächst nicht weiterhilft, die möglichst rasch bauen wollen und das auch in unserem Interesse tun sollten. Wir wollen in diesem Fall keine endlosen Verwaltungsstreitigkeiten, sondern wir wollen, daß die Dinge in einer zufriedenstellenden Weise und möglichst rasch geregelt werden.
Mir ist sehr wohl bekannt, daß es nicht nur ausländische Botschaften gibt, die bauen wollten und dann auch irgendwann Ausnahmegenehmigungen bekommen haben, sondern auch sehr achtenswerte Bürger dieser Republik immer wieder von der Möglichkeit, nach der Bundesbauordnung Ausnahmegenehmigungen zu erhalten, Gebrauch machen.
Sie versuchen das und haben damit gelegentlich durchschlagenden Erfolg.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hauser .
Herr Staatssekretär, sehen Sie die Möglichkeit, daß die Bundesregierung der sowjetischen Botschaft, der sie ja offenbar zur Hilfeleistung verpflichtet ist, unter Umständen ein anderes als dieses besonders exponierte und besonders schwierig zu bebauende Grundstück beschafft?
Herr Abgeordneter, ich möchte der Phantasie der Bonner Stadtverwaltung nicht vorgreifen und sie vor allen Dingen nicht durch Antworten vorweg einschränken. Die Bundesregierung hat ihre Vermittlerrolle und ihre guten Dienste angeboten. Die Bundesregierung selbst — das habe ich schon gesagt — kann nur über die Grundstücke verfügen, die ihr gehören. Selbstverständlich ist auch diese Frage in die Prüfung einbezogen worden.
Die Fragen 87 und 88 des Abgeordneten Dr. Häfele sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe die Fragen 89 und 90 des Abgeordneten Engelsberger auf. — Der Fragesteller ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 91 *) des Abgeordneten Dr. Marx auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit, durch Verhandlungen mit der Sowjetunion zu erreichen, daß Deutsche die im sowjetisch verwalteten Teil von Ostpreußen gelegenen Gräber ihrer Angehörigen besuchen dürfen?
Bitte schön!
Herr Abgeordneter, die Antwort lautet: Nein. Ziel der Verhandlungen in Moskau war nicht die Erörterung des Status einzelner Gebiete vor Abschluß eines Friedensvertrages.
Wegen des inneren Zusammenhangs rufe ich dann zunächst die Frage 95 des Abgeordneten Dr. Klepsch auf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach einer Meldung des Tagesspiegels vom 11. September 1970 die Sowjetunion seit 1964 auch ohne Vorliegen eines Gewaltverzichtsvertrags Japanern gestattet, Gräber ihrer Angehörigen auf japanischen Inseln zu besuchen, die seit dem zweiten Weltkrieg von der Sowjetunion besessen werden?*) Durch Versehen wurde als Antwort auf die Frage 91 des Abgeordneten Dr. Marx die Antwort auf die Frage 92 des gleichen Abgeordneten vorgelesen und umgekehrt.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5979
Der Bundesregierung ist die Meldung des „Tagesspiegels" vom 11. September 1970 bekannt. Zum Inhalt der Meldung kann zu meinem Bedauern noch nicht abschließend Stellung genommen werden. Die Bundesregierung ist unter Einschaltung der Deutschen Botschaft in Tokio um Klärung des Sachverhalts bemüht. Sie schlägt daher vor, Ihnen ihre endgültige Antwort in Kürze zuzusenden.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 92 **) des Abgeordneten Dr. Marx auf:
Hat die Bundesregierung während der Gespräche und Verhandlungen von Egon Bahr in Moskau oder während der Verhandlungen des Außenministers oder bei anderer Gelegenheit mit der Sowjetregierung über die aus der Besetzung des nördlichen Ostpreußens und dessen Einverleibung in die UdSSR sich ergebenden Probleme gesprochen oder Vereinbarungen in Aussicht gestellt oder abgeschlossen?
Die Bundesregierung hofft, daß künftig im Zuge der durch den Moskauer Vertrag angestrebten Verbesserung der Beziehungen zur Sowjetunion die von Ihnen angeschnittene Frage behandelt werden und u. a. auch eine Intensivierung des Reiseverkehrs erwirkt werden kann und eventuell die Reisen in dieses Gebiet für diejenigen Bürger der Bundesrepublik Deutschland erleichtert werden, die dort die Gräber von Angehörigen aufsuchen möchten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, da ich nicht nach Reisemöglichkeiten gefragt habe, sondern nach den durch die Einverleibung des nördlichen Ostpreußens entstandenen Problemen, möchte ich gern wissen: Wann, wo und in welcher Weise ist darüber gesprochen oder verhandelt worden?
Diese Fragen haben im Gesamtzusammenhang in der Tat in den Verhandlungen eine Rolle gespielt. Ich darf Ihnen sagen, daß wir in diesem Zusammenhang beispielsweise die verstärkte Einschaltung des Deutschen Roten Kreuzes erwogen haben.
Wie Sie wissen, haben wir für dieses Gebiet ein Repatriierungsabkommen aus dem Jahre 1958. Die hier angeschnittenen humanitären Fragen werden diskutiert. Es sind Gespräche zwischen den Rotkreuz-Gesellschaften vereinbart worden. Sie stehen bevor.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, da das Repatriierungsabkommen
**) Siehe Anmerkung zu Frage 91.
von 1958 zeitlich begrenzt war — das ist jedenfalls von der sowjetischen Seite so interpretiert worden —, frage ich Sie: Haben Sie auf Grund der Gespräche, die Sie geführt haben, die Hoffnung, daß die damals niedergelegten Möglichkeiten jetzt in der Zukunft aufs neue verwirklicht werden, vor allen Dingen bezüglich des hier beschriebenen geographischen Teils?
Ich gehe davon aus, daß diesem Ihrem Wunsch jetzt nach der Unterzeichnung des Vertrages wesentlich leichter entsprochen werden kann als vorher.
Es ist bekannt, daß bei den Gesprächen in Moskau auf diese Frage zunächst einmal keine Antwort gegeben worden ist. Meines Wissens ist aber schon einen Tag nach Abschluß des Vertrages bezüglich der Rotkreuz-Gesellschaften eine positive Antwort eingegangen. Es wurde uns damals gesagt, daß das vor allem eine Sache der hier betroffenen Gesellschaften sei. Das ist dann auch geschehen, obwohl dies in früherer Zeit nicht so leicht gegangen war.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Freiherr von und zu Guttenberg.
Herr Präsident, ich bitte um die Genehmigung, eine Zusatzfrage zu der Antwort des Herrn Staatssekretärs auf die erste Frage des Herrn Dr. Marx stellen zu dürfen. Sie hatten meine Meldung übersehen. Habe ich Ihre Genehmigung?
Sind Sie bereit, das noch zu beantworten, Herr Staatssekretär?
Ja, gerne.
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort auf die Frage des Abgeordneten Dr. Marx entnehmen, daß nach Auffassung der Bundesregierung die endgültige Festlegung der sowjetischen Grenze im Territorium Ostpreußens dem Friedensvertragsvorbehalt für ganz Deutschland unterstellt bleibt?
Herr Abgeordneter, es ist kein Friedensvertrag, den wir geschlossen haben; Sie sagen das in Ihrer Frage selbst. Zum Rechtscharakter der Grenzen hat die Bundesregierung keine Stellung genommen.
Die fortbestehenden Rechte — das darf ich hinzufügen, wenn Sie das meinen — und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes und Berlin werden durch den Moskauer Vertrag nicht berührt.
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5980 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Moersch— Herr Abgeordneter, ich bin nicht in der Lage, darüber weitere Ausführungen zu machen. Ich habe gesagt, es gibt Verantwortlichkeiten der Vier Mächte für Berlin und für Deutschland als Ganzes. Diese Verantwortlichkeiten wären in Friedensvertragsverhandlungen im einzelnen abzulösen.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr!
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob die Deutschen, die noch in dem Gebiet von Nord-Ostpreußen wohnen, von der Deutschen Botschaft in Moskau konsularisch betreut werden, ob sie überhaupt Verbindung zur Deutschen Botschaft in Moskau haben und wie die jetzige Betreuung dieser Menschen von deutscher Seite ist?
Herr Abgeordneter, da die Frage nicht in direktem Zusammenhang mit der gestellten Frage steht, kann ich sie im Augenblick nicht beantworten. Aber ich bin gern bereit, Sie darüber später zu informieren.
Ich rufe die Frage 93 des Abgeordneten Schedl auf. -- Er ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenso seine Frage 94. Das gleiche gilt für die Frage 95 des Abgeordneten Dr. Klepsch und die Fragen 96 und 97 des Abgeordneten Dr. Jahn . Die Antworten auf diese Fragen werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 98 des Abgeordneten Dr. Hermesdorf auf:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, die Deutsche Schule Paris in Saint-Cloud, die zur Zeit eine Schule für deutsche und deutschsprachige Schüler ist, zu einer „Begegnungsschule" auszubauen und damit für eine enge Kontaktnahme deutscher und französischer Jugend nutzbar zu machen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Deutsche Schule Paris nicht auf die Dauer als sogenannte Expertenschule, d. h. als Schule mit innerdeutschen Lehrplänen ausschließlich für Deutsche oder deutschsprache Schüler weiterarbeiten soll, sondern in eine Begegnungsschule umgewandelt werden muß, von der allein eine kulturpolitische Wirkung und Ausstrahlung zu erwarten ist. Nur eine solche Lösung kann auf lange Sicht den finanziellen Aufwand, den die Schule erfordert — etwa 1 Million DM pro Jahr — rechtfertigen. Auf dieser Linie liegt auch ein Antrag des Deutschen Schulvereins Paris. Vor Verwirklichung dieses Vorhabens müssen jedoch noch verschiedene Fragen geklärt werden, insbesondere die Höhe der zusätzlichen finanziellen Belastungen, Raumprobleme, die Anerkennung der Zeugnisse durch Frankreich sowie die Auswahl der französischen Schüler. Die
Deutsche Botschaft in Paris ist Ende vergangenen Jahres mit entsprechenden Weisungen versehen worden. Da die Deutsche Schule in Paris eine von der Kultusministerkonferenz anerkannte deutsche Auslandsschule ist, muß ihre Umwandlung im Einvernehmen mit der Kultusministerkonferenz erfolgen. Es ist beabsichtigt, diese Frage, über die bereits in den letzten Sitzungen des Auslandsschulausschusses der Kultusministerkonferenz wiederholt beraten worden ist, anläßlich der nächsten Sitzung dieses Gremiums im Frühjahr 1971 erneut zu erörtern.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wann ist mit der Umstellung der Schule zu rechnen?
Diese Frage kann ich Ihnen auf Grund der gegebenen Sachlage nicht exakt beantworten. Das müßte nach dieser Entscheidung erst geprüft werden. Die jetzige Initiative, die wir ergriffen haben, ist im übrigen ein Ergebnis der Überlegungen für eine Neukonzeption unserer auswärtigen Kulturpolitik. Wir werden diese Umwandlung selbstverständlich beschleunigen, weil es unserem Interesse entspricht, daß das geschieht.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, besagt Ihre Antwort auch, daß die Bundesregierung bereit ist, die Vorbedingungen zu schaffen, daß die Deutsche Schule in Paris dann zu einem deutsch-französischen Gymnasium mit beiderseits anerkannten Abschlußprüfungen und Zeugnissen, ähnlich dem deutsch-französischen Gymnasium in Saarbrücken, ausgestaltet wird?
Ich glaube, daß ich mit der Antwort auf Ihre Frage das zum Ausdruck gebracht habe, was Sie jetzt wissen wollen. Begegnungsschule sollte auch heißen, daß beide Teile in gleicher Weise behandelt werden. Ich habe deswegen darauf hingewiesen, daß die Frage der Anerkennung der Zeugnisse geklärt werden muß.
Ich könnte Ihnen, Herr Abgeordneter, durchaus noch einige Hinweise über diese Planung geben. Aber ich glaube, es ist im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen ja ausführlich erörtert worden, wie es künftig mit diesen Schulen werden soll. Selbstverständlich legen wir, wenn wir solche gemeinsamen Einrichtungen der Begegnung und solche Schulen schaffen, auf volle Gegenseitigkeit Wert.
Hier liegt ein sachlicher Irrtum Ihrerseits vor. Ich bedauere, daß ich keine weiteren Zusatzfragen mehr stellen kann.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5981
Es mag sein, daß ich Ihre Frage akustisch nicht ganz erfaßt habe; das mögen Sie mir nach dieser harten Woche verzeihen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Herr Staatssekretär Dr. Schäfer steht zur Verfügung. Zuerst rufe ich Frage 27 des Abgeordneten Dr. Gleissner auf:
Warum hat die Bundesregierung die Vergiftung von KfzBenzin mit Bleietraäthyl und Bleieramethyl bis auf weiteres zugelassen, obwohl dadurch zahllose Menschen, insbesondere in den Ballungsräumen, der Vergiftungsgefahr in steigendem Umfang ausgesetzt werden und obwohl nach einer öffentlichen Erklärung einer großen Mineralölfirma es ohne weiteres möglich wäre, andere Zusätze mit gleicher Wirkung zur Steigerung der Klopffestigkeit zu verwenden, wodurch die Massenvergiftung durch Blei vermieden würde?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter Dr. Gleissner, nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verminderung von Luftverunreinigungen durch Otto-Kraftstoffe für Kraftfahrzeugmotoren sollen die Bleizusätze, die den Otto-Kraftstoffen zur Steigerung der Klopffestigkeit beigegeben werden, ab 1. Januar 1972 auf 0,40 g Blei je Liter Benzin und ab 1. Januar 1976 auf 0,15 g Blei je Liter Benzin herabgesetzt werden.
Um hierbei die Klopffestigkeit der Kraftstoffe beizubehalten, sind insbesondere zu der Begrenzung auf 0,15 g Blei je Liter Benzin umfangreiche Investitionen erforderlich, die nur innerhalb der gesetzten Frist geplant und durchgeführt werden können. Bisher entwickelte andere Antiklopfmittel enthalten an Stelle des Bleis andere Metallverbindungen und weisen noch mehr umweltschädigende Wirkungen auf als Bleizusätze.
Aus diesem Grunde enthält der Gesetzentwurf auch ein Verbot des Zusetzens anderer Metallverbindungen zu Otto-Kraftstoffen zur Steigerung der Klopffestigkeit. Dieses Verbot kann nach dem Gesetzentwurf nur im Rahmen einer ausdrücklichen Zulassung durch Rechtsverordnung eingeschränkt werden.
Die Bundesregierung unterstützt in einem langfristigen Forschungsprogramm die Entwicklung von unschädlichen Antiklopfzusätzen. Sie ist aber der Meinung, daß die Ergebnisse dieser Forschungen nicht abgewartet werden können, sondern daß sofortige Maßnahmen gegen die umweltschädigenden Bleizusätze in Otto-Kraftstoffen ergriffen werden müssen. Sie hat daher mit diesem Gesetzentwurf Maßnahmen zur Verminderung der Bleizusätze in Otto-Kraftstoffen vorgesehen, die am technisch äußerst Möglichen ausgerichtet und in ihrer Schärfe auch auf internationaler Ebene richtungweisend sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gleissner.
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen hat die Bundesregierung vorgesehen oder gedenkt sie zu ergreifen, um die EWG-Partner zu einem generellen Verzicht auf Treibstoffverbleiung zu veranlassen, und welche Maßnahmen sind vorgesehen, um den Import von Benzinen, die höher verbleit sind, als wir es vorsehen?
Ich kann Ihnen über die Maßnahmen, die ich Ihnen eben genannt habe und um die es sich im Rahmen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Verminderung von Luftverunreinigungen handelt, hinaus keine Detailangaben machen. Ich bin aber bereit, Herr Abgeordneter Gleissner, Ihnen diese Frage schriftlich zu beantworten.
Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich Frage 28 des Abgeordneten Mursch auf:
Unter Bezugnahme auf Vorkommnisse im Raum um Hamburg frage ich die Bundesregierung, ob sie die gesetzlichen Maßnahmen als ausreichend betrachtet, die verhindern sollen, daß giftige Chemikalien auf Müllabladeplätzen abgeladen oder vergraben werden und hierdurch u. a. eine erhebliche Wasserverseuchungsgefahr hervorgerufen wird?
Bitte sehr!
Die Bundesregierung hat am 30. Dezember 1970 den Entwurf eines Abfallbeseitigungsgesetzes beschlossen, der zur Zeit im Bundesrat beraten wird. Diese gesetzliche Maßnahme wird, sobald sie beschlossen und in Kraft getreten ist, als ausreichend betrachtet, um künftig eine schadlose Beseitigung dieses Sondermülls sicherzustellen.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr!
Mursch (CDU/CSU) : Können Sie mir sagen, Herr Staatssekretär Schäfer, ob hierbei auch die Einschaltung der Wasserwirtschaftsämter vorgesehen ist?
Ich nehme das an.
Mursch (CDU/CSU) : Sie können es nicht sagen?
Ich kann es auswendig nicht sagen.
Eine weitere Zusatzfrage.Mursch (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, wäre es, wenn es zutrifft, daß diese
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5982 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Mursch
giftigen Chemikalien, bei denen ja der Versuch der Ablagerung erhebliche Unruhe in der Bevölkerung geschaffen hat, aus Dänemark stammen und nur nach Deutschland exportiert worden sind, um vernichtet zu werden, nicht möglich gewesen, die Einfuhr nach Deutschland rechtzeitig zu verhindern?
Wenn man davon gewußt hätte, daß in dem betreffenden Fahrzeug, mit dem der Transport über die dänische Grenze nach Deutschland erfolgte, sich diese Giftstoffe befunden haben, hätte man das wohl verhindern können. Aber ich habe nach den Meldungen, die mir über den Vorfall in Hamburg, der Ihrer Frage zugrunde liegt, vorliegen, den Eindruck, daß man das nicht gewußt hat.
Mursch (CDU/CSU) : Nun, es handelte sich um 76 Fässer.
Herr Kollege, Erklärungen können Sie hier nicht abgeben, Sie können nur Fragen stellen. Außerdem haben Sie zwei Zusatzfragen gehabt.
Ich komme deshalb zu Frage 29 des Abgeordneten Mursch:
Welche Kontrollmaßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um derartige Vorkommnisse, die in der Öffentlichkeit große Unruhe hervorgerufen haben, auszuschließen?
Die Frage 29 darf ich wie folgt beantworten. Das von der Zentralstelle für Abfallbeseitigung des Bundesgesundheitsamtes im Auftrag von Bund und Ländern herausgegebene Merkblatt über die geordnete Ablagerung fester und schlammiger Abfälle aus Siedlung und Industrie enthält bereits Angaben, auf welche Weise derartige Vorkommnisse wie bei Hamburg verhindert werden können. Das Abfallbeseitigungsgesetz, von dem ich soeben sprach, und in diesem Zusammenhang zu erlassende Rechtsvorschriften sollen eine ausreichende gesetzliche Kontrolle der schadlosen Beseitigung solcher Abfälle sichern.
Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß das zur Zeit in Vorbereitung befindliche langfristige Umweltschutzprogramm der Bundesregierung, das vermutlich im Mai fertiggestellt sein wird, auch ausführliche Angaben zur befriedigenden Lösung dieser speziellen Frage der Abfallbeseitigung enthalten wird.
Eine Zusatzfrage.
Mursch (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär Schäfer, hat das Merkblatt, von dem Sie sprachen, eine so weitgehende Verbreitung gefunden, daß alle die Stellen, die an diesem in der Nähe von Hamburg geschehenen Skandal beteiligt waren, davon Kenntnis hatten?
Ich möchte es hoffen. Es ist nicht in unserem Bereich, sondern, wie ich schon sagte, von der Zentralstelle für Abfallbeseitigung des Bundesgesundheitsamtes herausgegeben worden. Ich vermag nicht zu übersehen, wie weit dieses Amt das Merkblatt gestreut hat.
Eine zweite Zusatzfrage.
Mursch (CDU/CSU) : Wären Sie bereit, Herr Staatssekretär Schäfer, wegen der unbefriedigenden Antworten, die Sie mir gegeben haben, den ganzen Sachverhalt vom Ministerium aus noch einmal eingehend nachprüfen zu lassen, um eventuell daraus Schlüsse ziehen zu können, wie man in Zukunft solche Vorfälle vermeiden kann?
Wenn ich auch nicht anerkennen kann, daß die Antworten unbefriedigend waren, bin ich doch sehr gern bereit, dem weiter nachzugehen.
Herr Abgeordneter, ich möchte darauf aufmerksam machen: die Qualifikation ist nicht Ihre Sache in der Fragestunde. Eine solche können Sie bei der Haushaltsberatung oder bei anderen Gelegenheiten vornehmen, aber nicht in der Fragestunde.
Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Schröder auf. — Er ist nicht da; dann wird die Frage schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 31 des Abgeordneten Brandt wird sowieso schriftlich beantwortet. Auch diese Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Dr. Enders auf. — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Dr. Schmude auf:
Betrachtet die Bundesregierung die Facharztausbildung eines ausländischen Arztes aus einem Entwicklungsland, der bereits sein Studium und sein ärztliches Examen in der Bundesrepublik Deutschland absolviert hat, als zur ärztlichen Ausbildung gehörig, so daß auch während des dafür benötigten Zeitraums die Aufenthaltserlaubnis zu gewähren ist?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Ich darf diese Frage wie folgt beantworten, Herr Abgeordneter. Die Aufenthaltserlaubnis von Ausländern aus Entwicklungsländern, die sich zum Zwecke der Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, wird grundsätzlich zeitlich so bemessen, daß der Ausländer in seinem Studienfach zu einem entwicklungspolitisch sinnvollen Abschluß gelangen kann. Bei Ausländern
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971 5983
Dr. Schäfer
aus Entwicklungsländern, die an ihre ärztliche Ausbildung eine Facharztausbildung anschließen wollen, ist die Nützlichkeit dieser Fortbildung unter den Gesichtspunkten der Entwicklungshilfe bislang in der Regel bejaht und dementsprechend die Aufenthaltserlaubnis verlängert worden. Neuerdings sind jedoch Zweifel aufgekommen, ob Ärzte mit einer guten ärztlichen Allgemeinausbildung für ihr Heimatland nicht wertvoller als Fachärzte sind. So machen denn auch in zunehmendem Maße Fachärzte aus Entwicklungsländern nach Abschluß ihrer Ausbildung selbst geltend, eine Heimkehr in ihre Heimat sei ihnen nicht zuzumuten, da sie dort keine ihrem Spezialwissen entsprechenden Aufgaben und Einrichtungen vorfänden. Die Bundesregierung prüft daher zur Zeit in Zusammenarbeit mit den Ländern, die übrigens für den Vollzug des Ausländerrechts zuständig sind, wie Sie wissen, wie in Zukunft sichergestellt werden kann, daß nur solche Ärzte eine Fachausbildung erhalten, die sie in ihrer Heimat auch verwerten können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schmude.
Herr Staatssekretär, verstehe ich Ihre Antwort richtig, wenn ich ihr entnehme, daß auch die Auswertung der jüngsten Erfahrungen mit der Notwendigkeit der zusätzlichen Facharztausbildung differenzierend erfolgen soll, differenzierend nach Land und nach Art der Facharztausbildung?
Ja, insoweit haben Sie meine Frage richtig verstanden. Es müssen eben je nach dem Entwicklungsland noch Überlegungen angestellt werden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schmude.
Indem ich vorausschicke, daß vor zwei Tagen die Frau Staatssekretärin aus dem Entwicklungshilfeministerium die jetzt kommende Frage als zu Ihrem Ressort gehörig bezeichnet hat, wiederhole ich diese wie folgt: Ist die Bundesregierung bereit, den bei der Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen zu berücksichtigenden Zweck der Entwicklungshilfe durch allgemeinverbindliche Richtlinien festzulegen, so daß dies nicht der Beurteilung der einzelnen Polizeibehörde überlassen bleibt?
Ich weiß von dieser Frage meiner Kollegin aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit nichts. Aber sie scheint zu beinhalten, daß wir qua Bundesregierung allgemeinverbindliche Vorschriften für die Ausländerbehörden erlassen sollen. In dieser Hinsicht sind wir, was schon aus meiner Hauptantwort hervorging, bei
Überlegungen, die wir selbstverständlich zusammen mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit anstellen müssen.
— Ja, gerade.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Brück.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie, da Sie ja jetzt in bestimmte Prüfungen eingetreten sind, fragen, ob Sie bereit sind, auch einmal zu prüfen, ob nicht vielleicht doch gerade Ärzte, die bei uns ausgebildet worden sind und sich hier jahrelang bewährt haben, deren Gattinnen sogar Ärztinnen sind und hier sehr erfolgreich arbeiten, in größerem Maße eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen können, als das bisher der Fall war?
Herr Abgeordneter, diese Frage prüfen wir sehr. Der Ärztemangel in deutschen Krankenhäusern kann angesichts der katastrophal schlechten ärztlichen Versorgung der Bevölkerung in den Entwicklungsländern aber grundsätzlich kein Gesichtspunkt für ein längeres Verweilen der Ärzte aus diesen Ländern in der Bundesrepublik sein.
Ich darf, um Ihnen zu zeigen, wie sehr die Entwicklungsländer auf die Rückkehr ihrer in der Bundesrepublik Deutschland ausgebildeten Ärzte angewiesen sind, folgende Zahlen nennen. In den meisten Entwicklungssländern kommt ein Arzt auf 25 000 Einwohner. In manchen Regionen liegt das Verhältnis sogar bei 1 : 45 000 und darüber. Im Vergleich dazu darf darauf hingewiesen werden, daß das Verhältnis in der Bundesrepublik 1 : 677 beträgt. Die Rückkehr der 1868 Ärzte aus asiatischen und afrikanischen Entwicklungsländern, die gegenwärtig bei uns tätig sind, würde eine spürbare Verbesserung der ärztlichen Versorgung in diesen Ländern bewirken. So würde z. B. die Heimkehr der bei uns ausgebildeten nur 40 afghanischen Ärzten die ungünstige Relation in ihrem Heimatland von 1 : 48 000 auf 1 : 44 000 verschieben. Ähnliche Beispiele könnte ich aus anderen Entwicklungsländern bringen.
Keine Zusatzfrage.Die Fragen 34 und 35 des Abgeordneten Dr. Hupka und die Fragen 36 und 37 des Abgeordneten Meinike werden auf Bitten der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Dr. Haack auf:Sind neben dem Verfahren gegen den Herausgeber der „National- und Soldatenzeitung" weitere Verfahren auf Aberkennung von Grundrechten nach Artikel 18 des Grundgesetzes anhängig?Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Metadaten/Kopzeile:
5984 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Februar 1971
Ich darf Ihre Frage, Herr Abgeordneter Haack, mit Nein beantworten. Der Antrag der früheren Bundesregierung vom 17. März 1969 gegen den Herausgeber und den Verlag der Deutschen Nationalzeitung gemäß Art. 18 GG ist das einzige anhängige Verfahren dieser Art beim Bundesverfassungsgericht.
Keine Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 3. März 1971, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.