Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Einziger Punkt der Tagesordnung ist die Fragestunde
— Drucksache VI/1525 —
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung ist Herr Bundesminister Professor Ehmke hier.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Ott auf:
Welche Personen, Vereinigungen oder Publikationsmittel hatte der Herr Bundeskanzler gemeint, als er auf dem Schriftstellerkongreß am 21. November 1970 in Stuttgart erklärte, daß „Demagogen bekannter Machart unablässig Verleumdung und Hetze gegen seine Friedenspolitik zu setzen begonnen haben"?
Bitte schön, Herr Minister!
Frau Präsidentin! Ich darf zunächst genau zitieren, was der Herr Bundeskanzler auf dem Schriftstellerkongreß in Stuttgart am 21. November 1970 gesagt hat. Das Zitat lautet:
In diesen Tagen ist es uns gelungen, endlich auch mit Polen, mit dem polnischen Volk ins Verständnis zu kommen. Stück für Stück versuchen wir, Vorurteile und Mißtrauen, die Lasten eines folgenreichen Krieges abzubauen. Sie wissen, gegen welche Widerstände diese Friedenspolitik vorangetragen wurde und wird. Sie werden ermessen können, welche Bewußtseinsveränderungen diese Politik zur Folge hat. Aber Sie werden auch wissen, daß Demagogen bekannter Machart unablässig Verleumdung und Hetze gegen diese notwendige Politik zu setzen begonnen haben. Ich scheue mich nicht, als Politiker, Sie, die Schriftsteller, um Hilfe zu bitten, damit nicht abermals die Vernunft an der Ignoranz scheitert.
Der Herr Bundeskanzler hat damit an die Schriftsteller appelliert, dazu beizutragen, daß die Diskussion um die von ihm für notwendig gehaltene Politik der Verständigung und des Ausgleichs mit den Völkern des Ostens rational geführt wird. Er hat
keineswegs alle Kritiker dieser Politik mit Demagogen gleichgesetzt.
Ich wundere mich daher, daß ein Mitglied der CDU/CSU-Fraktion, die erst vor wenigen Tagen den Ausgleich mit dem polnischen Volk als Ziel auch ihrer Politik bezeichnet hat, sich offensichtlich durch die Worte des Herrn Bundeskanzlers getroffen fühlt. Aber man müßte ja blind sein, sähe man nicht, in welch unverantwortlicher Weise etwa von den Anhängern der sogenannten „Aktion Widerstand" Emotionen angestachelt und Verunglimpfungen über den Herrn Bundeskanzler ausgeschüttet werden. Ich versage es mir, all die Parolen, die bis zur Aufforderung zum Mord gehen, hier zu wiederholen. Alle Parteien dieses Hohen Hauses haben sich hiervon distanziert. Wir sollten als Demokraten keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß wir mit solchen Demagogen nichts gemein haben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, da Sie auf diese bekannten Parolen, die ja von uns abgelehnt werden, hingewiesen haben, frage ich: wann hat der Herr Bundeskanzler oder die Bundesregierung sich davon distanziert, daß die Frau Hildegard HammBrücher als Mitglied der Bundesregierung unter einem Transparent mit der Aufschrift „Liefert Huber an das Messer" gesprochen hat? Dies nur vorweg, da Sie abgewichen sind.
Darf ich eine Zusatzfrage stellen, Frau Präsidentin?
Ja, bitte, stellen Sie eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, würde der Herr Bundeskanzler die Wiedergabe früherer Äußerungen von ihm ebenfalls als Verleumdung und Hetze bekannter Demagogen gegen seine Friedenspolitik bezeichnen, wenn diese seine früheren Äußerungen zur Ostpolitik und zur Oder-Neiße-Linie sich mit seinen heutigen Taten nicht mehr in Übereinstimmung befinden?
Ich bin sehr erstaunt, wie Sie mir überhaupt diese Frage stellen können, Herr Abgeordneter. Es besteht kein Anlaß, aus dem, was der Kanzler auf dem Schriftstellerkongreß gesagt hat, zu dieser selt-
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Bundesminister Dr. Ehmke
samen Schlußfolgerung zu kommen. Selbstverständlich nicht!
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Freiherr von Guttenberg.
Herr Bundesminister, da Sie sagen, Sie wunderten sich, daß diese Frage aus den Reihen der CDU/CSU gestellt wurde, möchte ich Sie fragen, ob Sie es nicht für sehr selbstverständlich halten sollten, daß eine solche Frage von uns gestellt wird, nachdem der Herr Bundeskanzler selbst vor einigen Wochen das Wort von der Volksverhetzung gegen die CDU/CSU gebraucht hat.
Ich glaube, es hat keinen Zweck, einzelne Äußerungen hier gegeneinander aufzurechnen. In dieser Frage, um die es geht, Herr Guttenberg, sollte man doch wohl eher die Äußerungen über die CDU und den Willen der CDU zum Ausgleich mit Polen zitieren, die der Bundeskanzler in Warschau gemacht hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Bundesminister, würden Sie uns in unserem Kampf gegen diese Sorte von Menschen wie „Aktion Widerstand" usw. dadurch unterstützen, daß Sie uns sagen, wen der Herr Bundeskanzler noch gemeint hat, als er in Stuttgart vor den Schriftstellern sprach?
Diesen Typ von Leuten. Ich habe hier dieses Beispiel gegeben, das Ihnen ja ebenso geläufig ist wie mir, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Geßner.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß sich die CSU-Freundeskreise, deren Verbindung zur CSU dieser Tage in einer „Monitor"Sendung von einem führenden Mitglied der CSU-
Freundeskreise bestätigt worden ist, sich eines Vokabulars bedienen, das man durchaus als Demagogie bezeichnen kann?
Ich verfolge das nicht so im einzelnen, daß ich das hier, ohne daß konkrete Beispiele genannt werden, unterstreichen könnte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Walkhoff.
Herr Bundesminister, wie werten Sie die Tatsache, daß einige dieser Demagogen und ihrer Presseorgane — ich denke da an bestimmte versöhnungsfeindliche Veröffentlichungen auch in der Vertriebenenpresse — sogar noch durch öffentliche Mittel, d. h. durch Steuergelder, ausgehalten werden?
Man muß in dieser Frage sorgfältig unterscheiden zwischen der Förderung von Dingen, die uns an sich am Herzen liegen, wie etwa die Hilfe für die Vertriebenen und ihre Verbände und die Unterstützung ihrer Arbeit, und Dingen, die mit diesen Mitteln gemacht werden, die von denen zu verantworten sind, die die Mittel für diesen Zweck gebrauchen. Ich bin der Meinung, man sollte daraus keine generellen Schlußfolgerungen ziehen, sondern sollte das von Fall zu Fall besprechen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Fircks.
Herr Bundesminister, können Sie mir bestätigen, daß auch Ihnen bisher keine versöhnungsfeindlichen Aussagen der Vertriebenenpresse bekanntgeworden sind, sondern daß es sich nur um andere Standpunkte zur Ostpolitik handelt, als sie von der Bundesregierung vertreten werden?
Herr Kollege Fircks, ich fürchte, das würde ich Ihnen nicht bestätigen können. Aber da müßte ich auch erst in meinen Unterlagen nachsehen. Es gibt leider vereinzelt auch aus dem Bereich der Vertriebenen Äußerungen, die über das Maß einer demokratischen Kritik hinausgehen. Aber es hat wirklich keinen Zweck, darauf jetzt einzugehen, denn ich habe die entsprechenden Unterlagen nicht bei mir.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich danke Herrn Bundesminister Professor Ehmke.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung ist Herr Bundesminister Scheel hier.
Ich rufe die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx auf:
Trifft es zu, daß der Bundesaußenminister, wie im Bulletin vom 21. Oktober 1970 behauptet wird, am 17. Oktober 1970 ausgeführt hat: „Es hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Hindernisse gegeben, die einem zügigen Ausbau zur westeuropäischen Integration immer wieder im Wege standen. Es gab künstliche und natürliche Hindernisse. Zu den künstlichen gehörte zweifellos die Deutschland- und Ostpolitik früherer Bundesregierungen. Denn solange die Bundesrepublik Deutschland nicht bereit war, in ihrer Außen- und Ostpolitik vom territorialen Status quo in Europa auszugehen, mußten unsere westlichen Freunde befürchten, bei der Bildung einer politischen Union unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland auch deren besonderes Spannungsverhältnis zu den Staaten Osteuropas mitübernehmen zu müssen und somit ihre eigene Sicherheit zu gefährden."?
Bitte, Herr Minister!
Frau Präsident, darf ich, bevor ich diese Frage beantworte, eine allgemeine Bemerkung machen. Ich möchte die Kollegen um Verständnis dafür bitten,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970 4741
Bundesminister Scheel
daß diese Fragen erst jetzt auf der Tagesordnung sind. Ich wollte sie gerne selbst beantworten, stand in den letzten Wochen aber nicht zur Verfügung. Das nimmt den Fragen teilweise etwas von ihrer Aktualität. Ich bin dankbar dafür, daß wir uns darauf einigen konnten, diese Fragen heute zu behandeln.
Ich komme zu der Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx. Sie ist mit Ja zu beantworten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx.
Frau Präsidentin, darf ich zunächst auch eine Bemerkung machen. Dadurch, daß sich die Termine geändert haben — was wir verstehen —, sind einige der Kollegen, die sich auf Fragen vorbereitet hatten, jetzt nicht da, so daß diese Fragen schriftlich beantwortet werden müssen.
Nun die Zusatzfrage. Herr Bundesaußenminister, darf ich, da Sie die Frage schlicht mit Ja beantwortet haben, davon ausgehen, daß dieser Satz und eine Reihe anderer Sätze Ihrer Parteitagsrede vom 17. Oktober den Versuch machen, ein neues Geschichtsbild zu begründen?
Nein. Sie hatten gefragt, ob ich dies gesagt habe. Darauf lautete die Antwort: ja.
Herr Bundesminister, Sie gehen bitte davon aus, daß ich die Frage so stelle: ob Sie sich auch heute noch mit dem vollen Inhalt dieser Ihrer dort gemachten und von mir zitierten Äußerungen identifizieren —
Natürlich!
— und ob Sie bereit sind, dies ein wenig zu erläutern, weil tatsächlich schleierhaft ist, wie Sie zu diesen Behauptungen kommen.
Selbstverständlich stehe ich zu dem, was ich gesagt habe.
Herr Kollege Dr. Marx, eine Erläuterung zu dem Zitat ist von Ihnen mit der Ursprungsfrage nicht erfragt worden und kann deshalb auch nicht in Zusatzfragen erbeten werden. Die Frage lautet, ob dies so gesagt worden ist. Wir können jetzt keine Erläuterungsdebatte führen.
— Na ja, die Frage war so, wie Herr Dr. Marx sie
gestellt hatte, nicht beantwortet worden, aber sie
kann hier auch nicht so beantwortet werden, denn
das würde den Rahmen der Fragestunde sprengen. Jetzt eine kurze Zusatzfrage, bitte!
Herr Bundesminister, wären Sie dann bereit, zu erläutern, auf Grund welcher Tatsachen und welcher Äußerungen unserer Verbündeten Sie zu den von mir zitierten Äußerungen gekommen sind?
Sie beziehen sich in Ihrer sehr langen Frage auf die Äußerung, daß es nicht nur natürliche, sondern auch künstliche Hindernisse beim Ausbau der europäischen Integration gegeben habe. Ich habe gesagt: „Zu den künstlichen Hindernissen gehörte ... die Deutschland- und Ostpolitik früherer Bundesregierungen." Ich darf dazu gleich sagen, daß ich da Bundesregierungen mit einschließe, denen ich angehört habe.
Ja, ich will Ihnen gern sagen, worauf diese meine Meinung beruht. Das ist eine Wertung, über die man sich unterhalten kann. Ich nehme an, daß Sie eine andere Auffassung haben; aber darüber wollen wir jetzt ja nicht streiten. Ich stehe zu dem, was ich gesagt habe, und weise darauf hin — um nur ein Beispiel zu nennen —, daß schon 1959 der damalige französische Ministerpräsident Debré in der Nationalversammlung erklärt hat, daß eine Grundbedingung für die Einigung der Vier Mächte in der Deutschlandfrage und in der Berlinfrage — um die es ja auch jetzt immer wieder geht — die Bekräftigung oder die Hinnahme des Status quo durch die Bundesrepublik ist. Das ist eine ganz essentielle Auffassung gewesen, die in der Vergangenheit immer wieder in vielfältiger Form in Äußerungen unserer westlichen Verbündeten zum Ausdruck gekommen ist. Auch jetzt können Sie ja in der Zustimmung zu der Haltung der Bundesregierung in den Vertragsverhandlungen erkennen, daß unsere westlichen Verbündeten die Entscheidungen der Bundesregierung als einen Beitrag zu einer positiven europäischen Politik werten. Wenn Sie im Rückkehrschluß das auch noch als Begründung für meine Auffassung hinnehmen wollen, habe ich, glaube ich, schon eine zu lange Erläuterung gegeben, als es in der Fragestunde möglich ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Freiherr von und zu Guttenberg.
Herr Minister, wird Ihre Behauptung, daß der zügige Ausbau der politischen Zusammenarbeit Westeuropas durch die Forderung der Bundesrepublik nach Veränderung des Status quo aufgehalten worden sei, nicht im Grunde bereits dadurch widerlegt, daß sich alle unsere europäischen Partner als Mitglieder der NATO freiwillig an die im Deutschland-Vertrag niedergelegten Ziele der Überwindung eben dieses Status quo der deutschen Teilung gebunden haben?
Unsere Verbündeten sind, wie Sie, Baron Guttenberg, in der
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Bundesminister Scheel
Zwischenzeit sicherlich gemerkt haben, davon überzeugt, daß sich die Politik der Bundesregierung in voller Übereinstimmung mit dem Deutschland-Vertrag befindet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wagner.
Herr Bundesaußenminister, wie vereinbart sich die von Ihnen vorgetragene Auffassung mit der ganz unbezweifelbaren Tatsache, daß frühere Ansätze zu einer politischen Union in Westeuropa keineswegs an dem von Ihnen zitierten besonderen Spannungsverhältnis der Bundesrepublik zu osteuropäischen Staaten, sondern im Gegenteil an inneren Spannungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften, das heißt an Meinungsverschiedenheiten über die Gestaltung ihres internen Verhältnisses gescheitert sind?
Ich habe niemals behauptet, daß die Integration Westeuropas an diesem einen Element gescheitert wäre, sondern ich habe dieses eine Element nur unter anderen aufgezählt; ich habe aber die anderen auch genannt. Natürlich ist die Ursache in diesem Punkt eine andere gewesen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Apel.
Herr Bundesminister, können Sie mir zustimmen, daß insbesondere auch Äußerungen des französischen Staatspräsidenten de Gaulle zur Frage der Oder-Neiße-Linie doch in der Tat auch das Integrationsklima in der EWG nachteilig beeinflußt haben und insofern Ihre Aussage, die in der umstrittenen Rede von Ihnen gemacht wurde, eben doch eine reale Basis hat?
Nein — — Herr Kollege, ich stimme Ihnen zu, daß die unterschiedlichen Auffassungen der Partner in der EWG bei der Diskussion über die politische Einigung Europas natürlich ein Hindernis sein mußten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann.
Herr Minister, wollen Sie den letzten Satz Ihrer Ausführungen tatsächlich aufrechterhalten, daß die frühere Politik die eigene Sicherheit Europas gefährdet hätte? Es geht dabei um die Politik, die Regierungen betrieben haben, von denen Sie selbst sagten, daß Sie ihnen angehörten?
Verehrter Herr Kollege, das habe ich nie gesagt. Sie müssen korrekt zitieren. Der Satz heißt:
Denn solange die Bundesrepublik Deutschland nicht bereit war, in ihrer Außen- und Ostpolitik vom territorialen Status quo in Europa auszugehen, mußten unsere westlichen Freunde befürchten, bei der Bildung einer politischen Union unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland auch deren besonderes Spannungsverhältnis zu den Staaten Osteuropas mitübernehmen zu müssen und somit ihre eigene Sicherheit zu gefährden.
Ja, das ist doch ganz selbstverständlich.
Meine verehrten Herren, wenn sich sechs darüber unterhalten, ob sie eine politische Union bilden, dann werden sie doch nicht zu konkreten Entscheidungen kommen, bevor nicht alle sechs ihre eigenen Fragen geregelt haben.
Das ist wie in der Wirtschaft. Wenn sechs Firmen
etwa daran denken, eine Fusion zu betreiben, dann
werden sie einander mal unter die Lupe nehmen,
und wenn einer von den sechs etwa einen Schwanz von Gerichtsverfahren noch nicht geklärt hat, dann werden ihm die Kollegen sagen: Bring deine Sachen erst einmal in Ordnung, bevor wir mit dir fusionieren. Das ist in der Politik ganz genauso, Herr Kollege, und das ist der Hintergrund dessen, was ich gesagt habe. Ich glaube, hier wird mir jeder im Saale zustimmen, wenn ich das sage.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kliesing.
Herr Minister, rechnen Sie zu diesen „künstlichen Hindernissen" auf dem Wege zur westeuropäischen Integration im Sinne Ihrer Ausführungen auch die frühere Außenpolitik des Außenministers Brandt und die frühere Deutschlandpolitik des Gesamtdeutschen Ministers Wehner?
Scheel: Bundesminister des Auswärtigen: Ich habe sogar gesagt, daß ich die Politik von Regierungen dazu rechne, denen ich selber angehört habe. Mehr kann ich nicht sagen.
Eine Zusatzfrage frage des Herrn Abgeordneten Fellermaier.
Herr Bundesminister, können Sie mir zustimmen, daß Frankreich in der Frage,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970 4743
Fellermaier
die politische Union möglich zu machen, viel freier geworden ist, als die Algerien-Krise bereinigt war, was mit eine der Voraussetzungen für das war, was Frankreich heute ist?
Zweifellos hat Frankreich nach Beendigung der Algerien-Krise Energien frei gehabt, um sich der europäischen Politik stärker als vorher zu widmen. Das ist von demselben Tage an sichtbar geworden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Bundesaußenminister, würden Sie mir zustimmen, wenn ich behaupte, daß ein entscheidender Unterschied zwischen dem Kolonialland Algerien im Verhältnis zu Frankreich und den Gebieten östlich der Oder und Neiße besteht?
Ein solcher Vergleich ist hier wohl auch nicht angestellt worden.
Keine weitere Zusatzfrage.
— Ich habe jetzt abgeschlossen. Es kommen ja aber noch mehr Fragen, bei denen Sie Ihre Zusatzfrage noch unterbringen können.
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf:
Was hat der Bundesaußenminister in seiner beim außerordentlichen Parteitag der FDP gehaltenen und im offiziellen Bulletin der Bundesregierung am 21. Oktober 1970 abgedruckten Rede konkret gemeint, als er, den deutschsowjetischen Vertrag erklärend, behauptete: „Angesichts der gezielten Falschinformationen über das Moskauer Abkommen und der Fehlinterpretationen einzelner Vertragsbestimmungen ..."?
Herr Kollege Reddemann, ich möchte Ihnen nur einige der Falschinformationen und der Fehlinterpretationen nennen. Ich kann naturgemäß nicht alles herausholen, was an Falschinformationen und Fehlinterpretationen über die Verträge verbreitet worden ist. Ich habe mich auf Äußerungen von einigen Kollegen des Bundestages beschränkt. Ich habe nicht auf einen Teil der Presse Bezug genommen, auf manche Presseerzeugnisse, die ja große Teile ihrer Auflagen der Erläuterung und der Interpretation gewidmet haben, nicht immer der wahren Interpretation.
Ich will die von unserem Kollegen Dr. Barzel am 16. August aufgestellte Behauptung erwähnen, daß unsere Ostpolitik die Vorherrschaft der Sowjetunion in Europa stärke. Das ist eine Falschinformation.
Die zweite, die ich erwähne, ist eine von Herrn Kiesinger am 26. August 1970 im Zusammenhang mit einer CDU-Präsidiumssitzung getroffene Feststellung, daß durch den Moskauer Vertrag das Recht der Deutschen auf Selbstbestimmung gefährdet sei und die Politik der Bundesregierung, die diesem Vertrag zugrunde liegt, die Fundamente der westlichen Integrations-Bündnis-Politik bedrohe.
— Aber da steht Herr Kiesinger sicherlich mit seiner Meinung völlig allein. Zumindest die Mitglieder
der westlichen Allianzen sind alle anderer Meinung
Als nächstes die Behauptung des CDU-Generalsekretärs Heck im „Deutschland-Union-Dienst'' vom 31. August 1970, wonach das Moskauer Abkommen keinen vorbehaltlosen Gewaltverzicht der Sowjetunion gegenüber der Bundesrepublik enthalte.
— Da brauchen Sie nur nachzulesen. Ich habe das Exemplar da.
Als nächstes die Äußerung von Herrn Barzel im ZDF vom 9. September 1970:
Wenn wir uns den Vertrag ansehen, vermissen wir jede Gegenleistung. Wir sehen, daß der Weg zur Selbstbestimmung der Deutschen nicht erleichtert, sondern erschwert ist. Wir sehen, daß die Grenzen zementiert werden und nicht durchlässig werden.
Dafür wird Herr Barzel jeden Beweis schuldig bleiben. Wenn er die Zeitungen aufmerksam liest, hat er im Augenblick Gelegenheit, die gegenteilige Bewegung festzustellen.
Ich weiß nicht, meine Kollegen, ob Sie etwas dagegen haben, daß Verhandlungen des Deutschen Roten Kreuzes immerhin mit gewissen ersten positiven Schritten Erfolg gehabt haben.
Wenn Sie das alles nicht wollen, wenn Ihnen das alles zuwenig ist, wenn Ihnen das nicht in den Kram paßt, dann müssen Sie das deutlich sagen, meine Herren.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann.
Herr Minister, könnte es Ihnen gelingen, gelegentlich den Unterschied zwischen Information und Meinung zu verarbeiten?
— Sollte das eine Antwort auf meine Frage sein?
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Ich habe Sie akustisch nicht verstanden.
Ich habe Sie gefragt, ob es Ihnen gelegentlich gelingen könnte, den Unterschied zwischen Information und Meinung herauszuarbeiten, da Sie jetzt in der Hauptsache Meinungen als sogenannte Falschinformationen zitiert haben.
Nein. Hier sind ja Falschinformationen und Fehlinterpretationen. Die hier geäußerte Meinung ist eine Fehlinterpretation dessen, was vorliegt.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann.
Herr Minister, halten Sie es nicht eher für eine Falschinformation, wenn der Staatssekretär des Bundespresse- und Informationsamtes, Ahlers, davon sprach, Herr Bahr habe mit dem sowjetischen Außenminister Gromyko lediglich Gesprächsnotizen angefertigt, während er in Wirklichkeit bereits den Vertrag ausarbeitete?
Herr Kollege Reddemann, diese Frage hängt nun wirklich nicht mit der ursprünglich gestellten Frage zusammen.
— Ich kann Fragen nach den Äußerungen des Herrn Pressesprechers der Bundesregierung nicht zulassen. Sie stehen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der hier gestellten Frage. Es tut mir leid, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach.
Herr Minister, halten Sie es für politisch stilvoll, wenn man in einem Atemzug von Behauptungen, Wertungen spricht und diese gleichzeitig als Falschinformationen deklariert?
Falschinformation und Fehlinterpretation, so habe ich das genannt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Raffert.
Herr Bundesaußenminister, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, ich habe es immer
für eine gezielte Falschinformation gehalten, wenn die Opposition behauptet hat, sie sei über Verlauf und Inhalt der in Moskau geführten Gespräche und Verhandlungen nicht intensiv unterrichtet worden,
nachdem jedesmal zwischen den Gesprächen und vor den Verhandlungen über diese Dinge im Auswärtigen Ausschuß ausführlich berichtet und gesprochen worden ist?
Meine Herren und Damen; wir wollen uns nun wirklich an den Text der Fragestellung halten. Herr Kollege Raffert, ich kann auch diese Frage nicht zulassen. Ich bitte Sie alle wirklich, sich exakt daran zu halten. Es ist unmöglich, in der Fragestunde eine gesamte ostpolitische Debatte zu führen; dann müssen Sie schon eine Aktuelle Stunde beantragen. Aber jetzt können wir uns nur unmittelbar an die Frage selbst halten.
Herr Kollege Ott!
Herr Bundesaußenminister, da Sie vorhin den Eindruck erwecken wollten, daß ein Teil dieses Hauses dagegen wäre, daß das Rote Kreuz über die Rückführung zur Zeit verhandelt: sind Sie bereit, zuzugeben, daß in den letzten zehn Jahren ohne einen Vertrag und ohne Ihre Gespräche in Moskau durch das Rote Kreuz bereits 380 000 Umsiedler zurückgekommen sind?
Herr Kollege Ott, auch diese Frage steht nicht im unmittelbaren Zusammenhang — —
Doch, doch! — Frau Präsidentin, der Herr Außenminister hat unterstellt, daß es in diesem Hause Personen gäbe, die dagegen sind, daß das Rote Kreuz Rückführungen vermittelt. Dagegen muß ich mich verwahren.
Meine Herren und Damen, das ist nicht behauptet worden, sondern hier ist zitiert worden — —
— Meine Herren und Damen, wir können hier so nicht weiter fortfahren. Der Sinn der Fragestunde ist es, konkrete Fragen an die Regierung zu richten, aber nicht, Grundsatzfragen zu erörtern oder außenpolitische Debatten zu führen. Es geht nicht an, jede Äußerung, die mit dem Wort „Fehlinterpretation" gemeint sein könnte, zum Anlaß zu einer umfassenden Diskussion auf „Nebenkriegsschauplätzen" zu nehmen. Das geht einfach nicht. Ich muß Sie bitten — sonst muß ich die Frage hier absetzen —, sich wirklich an den Text der Frage zu halten und nicht
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970 4745
Vizepräsident Frau Funcke
— Er hat lediglich zitiert, welche Fehlinterpretationen — —
— Natürlich hat er Beispiele genannt. Aber wir können jetzt nicht jedes Beispiel zum Inhalt einer neuen Frage machen.
Meine Herren und Damen, ich kann nur noch Fragen zulassen, die exakt zur Ursprungsfrage gehören und nicht zu allen möglichen Erweiterungen der Fragestellung. Sie können ja andere Fragen in der nächsten Woche stellen. Da besteht kein Hindernis.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Apel.
Herr Bundesminister, wie kommt es eigentlich, daß in Ihrem Katalog die eindeutige Falschinformation des Kollegen Dr. Heck fehlt, die darauf hinauslief, die westeuropäische Integration, der „politische Bundesstaat Europa", würde unmöglich werden durch die Formulierungen des Moskauer Vertrages?
Meine Herren und Damen, ich setze die Frage ab.
,,Zum ersten Mal seit der Gründung des Zweiten Deutschen Reiches im Jahre 1871 wird in einem deutschen Staat eine Außenpolitik gemacht, die die Völker Europas in Ost und West gleichermaßen als vernünftig und konstruktiv werten" zu erläutern?
Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, wenn Sie erlauben, möchte ich einen Irrtum aufklären, der hier zur Verwirrung geführt hat, nämlich von Herrn Kollegen Ott. Vielleicht ist die Aufklärung für Herrn Kollegen Ott nützlich. Ich möchte nicht, daß er einen falschen Eindruck gewonnen hat. Ich habe nicht unterstellt, daß die Kollegen des Hauses eine bestimmte Entwicklung nicht wollen, sondern ich habe nur festgestellt: wenn ich das erlebe, kann ich nicht sagen, daß die Grenzen zementiert sind.
Herr Bundesminister, wir sind bei der Frage 8!
Herr Kollege Haase, es bedarf, so glaube ich, eigentlich keiner weiteren Erklärung. Wenn Ihnen, Herr Kollege Haase, ein Zeitabschnitt in den letzten hundert Jahren der deutschen Geschichte bekannt ist, in dem die Völker Europas in Ost und West gleichermaßen die deutsche Außenpolitik als konstruktiv und vernünftig gewertet haben, dann mag das eine vertiefte Kenntnis der Entwicklung bei Ihnen zur Grundlage
haben. Aber mir ist ein solcher Zeitabschnitt — nach
einer Prüfung dieser letzten Jahre — nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesaußenminister, um da etwas nachzuhelfen: glauben Sie denn, daß man mit einer solchen globalen Feststellung beispielsweise dem geschichtlichen Wirken Stresemanns gerecht wird?
Es war ja eine der großen Schwächen der Politik Stresemanns, daß es ihm nicht gelungen ist, das Verhältnis zu Polen zu regeln.
Das war ja die große Schwäche dieser Politik.
Herr Bundesminister, lag das seinerzeit an Stresemann?
Ich habe zu dieser Frage überhaupt keine Stellung genommen, sondern ich habe nur zu den Tatsachen in meiner Rede Stellung genommen, aber keinerlei Wertung und keinerlei Ursachen erwähnt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klepsch.
Herr Außenminister, wenn ich dem Gedankengang Ihrer Antwort richtig folge, so würden Sie etwa das Ergebnis der Hitlerschen Außenpolitik, die zu einem Ausgleich mit Polen gelangt ist, im Vergleich zur Stresemannschen Außenpolitik — —
Darf ich meine Frage zu Ende bringen, Frau Präsidentin?
Es gehört zu den Grundsätzen der Fragestunde, daß Wertungen im Rahmen des Erträglichen bleiben.
Ich spreche ja jetzt als Historiker, gnädige Frau.
— — im Vergleich zur Stresemannschen Außenpolitik, in welcher Zeit — ich komme jetzt nämlich auf die Frage des Kollegen Haase zurück — die deutsche Republik nach allen Seiten hin über ein gesichertes außenpolitisches, von allen Völkern akzeptiertes Verhältnis verfügte, sehen?
4746 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970
Ich habe die Frage nicht verstanden, auch den Sinn Ihrer Frage nicht.
Darf ich sie wiederholen. Ich knüpfte an Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Haase bezüglich Stresemann an, zu welcher Zeit das außenpolitische Verhältnis der deutschen Republik zu allen ihren Nachbarn zufriedenstellend geregelt war. Sie haben das verneint. Sie haben das einzig und allein an einem Vertrag mit Polen aufgehängt. Den hat erst später Adolf Hitler erzielt, 1934.
Wenn das Vorhandensein eines Vertrages das Kriterium sein sollte — das war der Sinn meiner Frage —, möchte ich Sie fragen, ob sie unter diesem Gesichtspunkt die Stresemannsche Außenpolitik im Sinne Ihrer Ausführungen als nicht gerechtfertigt ansehen.
Ich habe den Eindruck, Frau Präsidentin, diese Frage kann nur entstehen, wenn man nicht mit der nötigen Objektivität an die Diskussion des Stoffes herangeht.
Ich habe nur festgestellt, daß es in diesen hundert Jahren keinen solchen Zeitabschnitt gegeben hat, und auf den Einwand von Herrn Haase, daß doch Stresemann einen Versuch gemacht habe, habe ich gesagt: ja, einen außerordentlichen bedeutsamen Versuch; aber hier war der Mangel in der Tat, daß es nicht gelungen ist, mit Polen zu einem Ausgleich zu kommen. Das ist ein objektiver, nachlesbarer Tatbestand.
Aber in anderen Zeiten gibt es andere Schwierigkeiten. Meine Feststellung war nur die, daß wir auf einem Wege sind, der zum erstenmal in der Tat in Ost und West gleichermaßen als konstruktiv bewertet wird und der die Zustimmung unserer Nachbarn in Ost und West findet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Freiherr von und zu Guttenberg.
Herr Bundesminister, woher nehmen Sie diese Ihre erstaunliche Sicherheit Ihrer Annahme, daß Adenauers strikte Freiheitspolitik von den Völkern Osteuropas — ich wiederhole: von den V ö l k e r n Osteuropas — geringer gewertet worden sei als der jetzige Annäherungsversuch der Bundesregierung an Moskau?
Ich nehme diese meine Meinung, daß auch in jenem Zeitabschnitt die Völker in Ost und West nicht gleichermaßen die Politik der Bundesrepublik als konstruktiv erachtet haben, natürlich aus der damaligen Situation der Bundesrepublik, die nach einer Seite hin den Versuch der Normalisierung und des Ausgleichs mit den Völkern unternommen hat, nach der anderen Seite aber eben nicht. Das ist doch nun wirklich kein Geheimnis. Ich weiß gar nicht, warum man sich in diesen Fragen ereifern kann, meine verehrten Kollegen.
Das sind doch nüchterne Feststellungen, die wir eigentlich alle mit großer Zustimmung bedenken sollten. Ich habe hier ja auch gar nicht gesagt, daß wir mit dieser Politik schon zu einem erfolgreichen Abschluß gekommen sind. Wir sind ja erst auf einem Wege.
— Die Antwort habe ich gerade gegeben.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Außenminister, würden Sie im Zusammenhang mit Ihrer vorherigen Äußerung über Stresemann zugestehen, daß Stresemann in vollem Ausmaß einen Ausgleich mit dem Osten, allerdings unter Wahrung berechtigter deutscher Interessen und vertraglich für die Deutschen vereinbarter Rechte, wiederholt versucht hat?
Ja. Ich habe auch nie behauptet, daß er das nicht versucht habe. Ich habe nur schlicht gesagt: es ist nicht gelungen.
Ich meine: auf der Wahrung deutscher Interessen bestanden hat!
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing.
Herr Minister, sind Sie tatsächlich so sicher, daß Völker Osteuropas die gegenwärtige Außenpolitik der Bundesregierung als konstruktiv ansehen? Liegt hier nicht vielmehr eine Verwechslung mit den Regierungen des Ostens vor, und sollte es, wenn das der Fall ist, nicht sehr nachdenklich stimmen, wenn diese kommunistischen Regierungen in ihrem Sinne die deutsche Ostpolitik als konstruktiv ansehen?
Herr Kollege, auch diese Frage zeigt etwas von der Verklemmung,
Bundesminister Scheel
die wir im Verhältnis zu Osteuropa immer noch haben. Es kann sogar sein, daß nicht nur Frankreich und die Bundesrepublik, wenn sie gemeinsamer Meinung sind, eine für Europa nützliche Meinung vertreten, sondern daß dies auch dann der Fall ist, wenn die Bundesrepublik und ein osteuropäisches Land über den Nutzen politischer Entwicklungen einer Meinung sind.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx.
Herr Bundesaußenminister, da zu den europäischen Völkern in Ost und West auch das deutsche Volk gehört, möchte ich gern fragen, ob Sie ganz sicher sind, ob jener Teil des deutschen Volkes, der ostwärts des Minengürtels leben muß, Ihre Politik, als, wie sie sagen, vernünftig und konstruktiv wertet im Zusammenhang mit den Zusagen von Kassel und Moskau, daß Sie bereit sind, alle Maßnahmen der Machthaber drüben, die diese in ihrem eigenen Herrschaftsbereich treffen, zu achten.
Ich will bei der Beantwortung dieser Frage ausnahmsweise einmal die Argumentation des Kollegen Kliesing zu Hilfe nehmen. Da die Regierung der DDR offenbar mit der Politik der Bundesregierung nicht einverstanden ist, habe ich um so eher Anlaß, anzunehmen, daß das Volk mit ihr einverstanden ist.
Ich stelle fest, meine Kollegen, Sie lassen diese Art von Argumentation nur in einer Richtung gelten. Ich wollte zeigen: man kann sie in beiden Richtungen anwenden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Mattick.
Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß die Regierung in Moskau und die Ostblock-Regierungen es im Jahre 1955 als einen konstruktiven Beitrag der deutschen Regierung angesehen haben, als wir die diplomatischen Beziehungen mit Moskau aufgenommen haben, und daß Bundeskanzler damals Herr Adenauer war.
Ja, natürlich. Das war auch ein konstruktiver Beitrag.
Herr Breidbach!
Herr Minister, woher nehmen Sie den Mut,
in der Weise, wie sie es hier gerade versucht haben, die Zustimmung aller europäischen Völker zu Ihrer Politik global zu reklamieren, nachdem doch gerade die letzten Landtagswahlen den Völkern in Osteuropa gezeigt haben, daß zumindest in der deutschen Bevölkerung Ihre Außenpolitik nicht so getragen wird?
Da muß ich gestehen: dann muß ich das Ergebnis der letzten Landtagswahl offenbar nicht zur Kenntnis bekommen haben. Ich hatte immer gedacht, dieses Ergebnis beweise, daß die Wähler mit der Außenpolitik auf jeden Fall zufrieden sind. Sonst hätten sie ja wohl nicht meiner eigenen Partei ein besonders gutes Ergebnis gebracht.
Herr Ott, bitte!
Vorweg eine Bemerkung, Herr Bundesaußenminister.
Nein, eine Frage bitte, Herr Ott! Andere Kollegen wollen ja auch noch drankommen.
Herr Bundesaußenminister, woher nehmen Sie die Sicherheit Ihrer Aussage, daß die Völker Osteuropas mit dem einverstanden sind, was ihre Regierungen tun? Wann ist darüber durch freie und geheime Wahlen abgestimmt worden?
In Bayern haben Sie 0,5 0/o gewonnen. Das neben bei!
Ich habe schon im Zusammenhang mit der Frage des Herrn Kollegen Kliesing zu Ihrer Frage Stellung genommen. Ich kann das nicht immer wiederholen. Wir wollen das ja auch nicht zu einem psychologischen Problem ausweiten.
Eine letzte Frage des Herrn Abgeordneten Fellermaier. Meine Herren und Damen, die Fragen haben schon wieder nichts mehr mit der Ursprungsfrage zu tun. - Bitte schön!
4748 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970
Herr Bundesaußenminister, es ist doch sicher richtig, daß wir im Interesse einer Verbesserung der Friedenssicherung in der Welt versuchen sollten, mit allen Staaten über diplomatische Beziehungen einen Ausgleich herbeizuführen, ganz gleich, welche Regierungsform diese Staaten besitzen?
Herr Abgeordneter, es ist die Absicht der Außenpolitik der Bundesregierung, neben den Integrationsprozeß, den wir im letzten Jahre, so glaube ich, durch unsere Politik ganz erheblich belebt haben, auch den Versuch zu stellen, zu einer Kooperation zwischen den west- und den osteuropäischen Ländern zu kommen, wobei die Grundlage natürlich die Kenntnis ist, daß die politische und gesellschaftliche Ordnung in diesen beiden Teilen Europas unterschiedlich ist. Wir werden eine dauerhafte Friedensordnung in Europa aber nicht zustande bringen, wenn es uns nicht gelingt, auch zwischen Ländern unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Ordnung ein normales Verhältnis herzustellen.
Ich rufe die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
Wieso formuliert der Bundesaußenminister in seiner Rede vom 17, Oktober 1970: „Die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes werden durch diesen Vertrag nicht berührt", während er laut deutscher Note an die drei alliierten Mächte vom 7. August 1970 dem sowjetischen Außenminister offiziell erklärt hat: „Die Frage der Rechte der Vier Mächte steht in einem Zusammenhang mit dem Vertrag ..."?
Herr Kollege Wohlrabe, die Erklärung der Bundesregierung, die Sie in Ihrer Frage zitieren, ist falsch zitiert.
Das Gegenteil ist gesagt worden.
- Wo befindet sich ein Druckfehler? Jedenfalls
nicht in den Unterlagen, die wir dazu herausgegeben haben.
Offenbar ist der Druckfehler in der Frage des Herrn Kollegen Wohlrabe.
— Es ist kein Druckfehler in den Unterlagen der Bundesregierung.
Bei der Entwicklung Ihrer Frage haben Sie die Unterlagen offenbar falsch gelesen. So ist es.
Nein! Da ich nicht die Druckstelle des Deutschen Bundestages bin und ich
dieser auch einräumen möchte, daß sie einmal einen Fehler macht, bitte ich Sie höflichst, Herr Außenminister, zur Kenntnis zu nehmen, daß es „keinem" statt „einem" heißen muß.
Nein, das kann ja nun gar nicht sein, Herr Abgeordneter, denn wenn es in Ihrer Frage wirklich „keinem" geheißen hätte, wäre die Frage allerdings völlig sinnlos.
Herr Kollege, Sie können eine dritte Frage stellen, wenn Sie zunächst einmal die Frage so stellen, daß wir wissen, was Sie meinen.
Es geht um die Begriffe „Die Rechte ..." bzw. „Die Frage der Rechte .. " und zwar unter dem Gesichtspunkt der Infragestellung.
„Die Rechte und Verantwortlichkeit der Vier Mächte ..." — so haben Sie es gesagt — „werden durch diesen Vertrag nicht berührt" . Die Formulierung „Die Frage der Rechte der Vier Mächte ..." hat, außer in sprachlicher Hinsicht, keine andere Bedeutung.
Kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie die Rechte der Vier Mächte für Berlin und Deutschland als Ganzes in der Interpretation, von der ich ausgehe — so war die zweitletzte Zeile meiner Frage gemeint —, nicht in Frage stellen? Darum ging es.
Es ist so, wie ich es hier gesagt habe: „Die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes werden durch diesen Vertrag nicht berührt." Der Text der Erklärung, von der Sie sprechen, lautet: „Die Frage der Rechte der Vier Mächte steht in keinem Zusammenhang mit dem Vertrag . . .". Das ist dasselbe. Die Rechte der Vier Mächte werden nicht berührt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Raffert.
Herr Bundesaußenminister, sind Sie mit mir der Auffassung, daß, nachdem diese Frage nun das zweite oder dritte Mal in einer Drucksache des Bundestages in dieser Weise ausgedruckt worden ist, für den Kollegen Wohlrabe die Gelegenheit bestanden hätte, diesen Druckfehler bei der Drucksachenstelle inzwischen zu korrigieren?
Herr Kollege Raffert, das ist eine rhetorische Frage. Sie wird nicht beantwortet.
Bitte schön, Herr Kollege Dr. Marx!
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970 4749
Herr Bundesaußenminister, ich muß noch einmal präzise auf den Text zu sprechen kommen. In der Note der Bundesrepublik Deutschland an die drei Alliierten sagen Sie im ersten Teil: „Die Rechte der Vier Mächte ...".
Dann zitieren Sie Ihre Erklärung gegenüber dem sowjetischen Außenminister und dessen Erklärung Ihnen gegenüber; dort steht insgesamt viermal die Formulierung: „Die Frage der Rechte der Vier Mächte ...". In der Note an die westlichen Alliierten haben Sie also demgegenüber den Terminus „Die Frage" weggelassen. Unsere Frage lautet: Was ist der Grund dafür?
Scheel, Bundesminister (des Auswärtigen: Ich habe meine Erklärung in Deutsch abgegeben; der russische Außenminister hat seine Erklärung in Russisch abgegeben, und sie ist anschließend übersetzt worden.
Sie haben beide gesagt: „Die Frage . . ." — —
Ich nicht.
Natürlich, so steht es doch in Ihrer Note.
Der russische Außenminister hat diese Erklärung abgegeben. Ich habe seine Erklärung in der Note wiederholt.
Sie haben diese Erklärung also in Ihrer Note wiederholt, und dort heißt es: „Die Frage der Rechte der Vier Mächte ...", während Sie im oberen Teil der Note sagen: „Die Rechte der Vier Mächte ...".
— Verzeihung, Noten muß man genau lesen. Ich möchte wissen, warum Sie den Westmächten gegenüber „Die Rechte der Vier Mächte . . ." und der Sowjetunion gegenüber „Die Frage der Rechte der Vier Mächte . . ." sagen. Um diesen Punkt geht es.
Ich habe den Westmächten in der Note über den Problemkreis der Rechte der Vier Mächte und was damit zusammenhängt mitgeteilt, wie der wörtliche Austausch der Erklärungen gewesen ist. Er ist so gewesen, wie es in der Note steht. Sie können das nachlesen. Es ist keine geheimnisvolle Sache.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe.
Herr Außenminister, darf ich daraus entnehmen, daß Sie in der soeben von dem Kollegen Marx dargelegten sprachlichen Unterschiedlichkeit keinen inhaltlichen Unterschied sehen, d. h. daß nach Ihrer Auffassung die Formulierungen „Die Rechte der Vier Mächte ..." bzw. „Die Frage der Rechte der Vier Mächte . . ." gleich zu beurteilen sind?
Nach meiner Auffassung sind diese Formulierungen inhaltlich gleich zu beurteilen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Reddemann.
Herr Minister, warum ist dann in der sowjetischen Fassung zwar von der „Frage der Rechte der Vier Mächte", aber nicht mit dem Zusatz „in bezug auf Deutschland und Berlin als Ganzes" gesprochen, während das in den Noten der Westmächte enthalten ist?
Dazu müßten Sie einmal die Protokolle der Verhandlungen in diesem Punkte sehen;
dann werden Sie feststellen, daß ein Text einer solchen Note, der nicht etwa zwischen den Westmächten und uns allein vereinbart ist, sondern der auch mit dem Vertragspartner vereinbart ist, auf einem sehr komplizierten Wege zustande kommt.
Frage 10 des Abgeordneten Kiep:
Wie begründet der Bundesaußenminister sein Urteil, das er in seiner Parteitagsrede am 17. Oktober 1970 über frühere Regierungen abgegeben hat, wonach „unsere Freunde im Westen . . . daran gewöhnt waren, daß Bonn lange Zeit hindurch es ängstlich vermied, zur westlichen Entspannungspolitik einen eigenen Beitrag zu liefern"?
Herr Kollege, Sie fragten, wie ich mein Urteil begründe, daß „unsere Freunde im Westen ... daran gewöhnt waren, daß Bonn lange Zeit hindurch es ängstlich vermied, zur westlichen Entspannungspolitik einen eigenen Beitrag zu liefern". Ich habe diese meine Meinung ungewöhnlich zurückhaltend ausgedrückt. Ich will es erläutern, Herr Kiep.
Ich habe dabei z. B. daran gedacht, daß die Bundesrepublik die uns bekannten Bemühungen der Vereinigten Staaten in den Jahren 1961/62, zu einer Regelung mit der Sowjetunion über das Berlin-Problem zu kommen, nicht sehr unterstützt hat. Ich möchte sogar sagen, daß die Bundesrepublik oder
4750 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970
Bundesminister Scheel
einzelne Politiker der Bundesrepublik diese Bemühungen nachhaltig gestört haben.
— Herr Marx, ich werde gleich noch etwas sagen, was Sie wahrscheinlich irritieren wird.
Sie kennen diesen Vorgang, meine verehrten Kollegen, der damals auch in der Presse eine große Rolle gespielt hat, wobei sich die amerikanische Regierung sehr offiziell über gezielte Indiskretionen in dieser Phase beschwert hat.
Das hat dazu geführt, daß in der Regierung, in der ich schon Mitglied war, der damalige Außenminister ein Verfahren eingeleitet hat, um herauszubekommen, wer diese Indiskretion begangen hat. Der Bundesanwalt hat sich der Sache angenommen. Sie werden wissen, daß das Verfahren eingestellt worden ist.
Ich möchte aus meiner Kenntnis der Dinge nur so viel sagen: der Grund für die Einstellung berechtigt mich zu der Feststellung, daß es gezielte Indiskretionen waren.
— Gezielt? Nein, nein, nein, nein!
Gezielte Indiskretionen sind solche, die von politisch verantwortlich Tätigen ausgestreut werden,
und nicht solche, die jemand sich von politisch verantwortlich Seienden beschafft. Das ist etwas anderes.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiep.
Herr Minister, nachdem hier eine Diskussion über eine durch Ihre Äußerung entstandene Legende in Gang ist, möchte ich Sie ganz konkret unter Bezugnahme auf das von Ihnen angeführte Beispiel fragen, ob Sie es als einen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Entspannungspolitik des Westens betrachtet hätten, wenn die Bundesrepublik einer Neutralisierung der Zugangswege nach Berlin und einer Überantwortung der Offenhaltung der Zugangswege an neutrale Staaten wie Österreich und Jugoslawien zugestimmt hätte.
Ich hätte es für einen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland gehalten, wenn sie mit ihren Verbündeten den gleichen Grad an Konsultation begonnen hätte, um zu dem Ergebnis zu kommen, das wir jetzt erreicht haben: nämlich zum erstenmal Verhandlungen, die eine Aussicht auf einen Erfolg bieten. Das hat damals die Bundesregierung im Keime erstickt. Sie hat erst gar nicht den Versuch gemacht, mit ihren Verbündeten in solche Verhandlungen einzutreten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiep.
Herr Bundesaußenminister, obwohl ich jetzt nach einer Reihe von anderen Beispielen fragen könnte, möchte ich meine Frage von vorhin wiederholen: Hätten Sie eine solche Maßnahme der Bundesregierung und eine solche Entscheidung für einen Beitrag zur Entspannungspolitik gehalten?
Herr Kollege, ich kann im Rahmen dieser Fragestunde nicht auf sachliche politische Punkte dieser Art eingehen.
Ich müßte mir zunächst einmal in der Tat den Sachstand vor Augen führen, den Sie jetzt unterstellen; ich habe das jetzt nicht bei mir.
Verehrter Herr Bundesaußenminister, darf ich darauf hinweisen,
daß das, was soeben von Ihnen hier gesagt worden ist, Gegenstand meiner Frage ist und daß nicht ich diesen Tatbestand hier eingeführt habe?
Haben wir uns mißverstanden, Herr Kollege?
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Freiherr von und zu Guttenberg.
Sie können mich nur mißverstanden haben.
Herr von Guttenberg hat das Wort!
Herr Außenminister, nachdem Sie hier in Ihrer Rede gesagt haben, unsere Freunde im Westen seien daran gewöhnt worden, daß Bonn lange Zeit hindurch es ängstlich vermieden habe, zur westlichen Entspannungspolitik einen eigenen Beitrag zu leisten, frage ich Sie, ob Sie es nicht mindestens für möglich halten, daß die vergangenen Bundesregierungen, die zum Teil ja auch von Ihrer Partei mitgetragen waren, nicht eigene Entspannungsschritte abgelehnt haben, sondern sorgsam darauf bedacht waren, daß nicht
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970 4751
Freiherr von und zu Guttenberg
unter der falschen Überschrift der Entspannung in Wahrheit deutsche Positionen gefährdet werden?
Herr Abgeordneter, Sie haben offenbar den Text nicht richtig gelesen. Ich habe gesagt: „ ... unsere Freunde im Westen daran gewöhnt waren"
— das tue ich ja gerade; nicht: „gewöhnt worden waren" —, „daß Bonn lange Zeit hindurch es ängstlich vermied, zur westlichen Entspannungspolitik einen eigenen Beitrag zu leisten." Das ist das, was ich gesagt habe. Der eigene Beitrag fehlt, Herr Abgeordneter.
„ ... zur westlichen Entspannungspolitik einen eigenen Beitrag zu leisten." Wenn Sie mir den nennen würden!
Herr Abgeordneter Dr. Marx!
Herr Bundesaußenminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland, als einziges Land der Welt einen eigenen Entspannungsbeitrag dadurch zu leisten, daß wir auf die Produktion und die Anwendung von A-, B- und C-Waffen verzichtet haben, tatsächlich ein einmaliger Beitrag ist? Oder wollen Sie auch das ableugnen?
Herr Kollege, ich muß wieder das vorlesen, was ich gesagt habe: „ ... daran gewöhnt waren, daß Bonn lange Zeit hindurch" — ich habe ja nicht gesagt: immer — —
— Herr Kollege, ich habe gesagt: „lange Zeit hindurch".
Ich habe ja niemals etwa bestritten,
daß unser Grundgesetz eine erhebliche Leistung für eine internationale Entspannungspolitik an sich ist. Aber ich wiederhole: Unsere Verbündeten im Westen waren daran gewöhnt, daß wir lange Zeit hindurch keine eigenen Beiträge geleistet haben. Jetzt leisten wir eigene Beiträge.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Kliesing.
Herr Minister, betrachten Sie die Friedensnote des damaligen Außenministers Schröder tatsächlich als einen Versuch, es ängstlich zu vermeiden, zur „westlichen Entspannungspolitik einen eigenen Beitrag zu leisten"?
Herr Kollege, es ist bedauerlich, daß wir nicht noch an die anderen Fragen herankommen; dann hätten Sie festgestellt, daß ich dies ausdrücklich erwähnt hätte. Es kommt nämlich in der Beantwortung einer der nächsten Fragen vor.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg.
Herr Bundesaußenminister, glauben Sie, daß es dem Ansehen der Bundesrepublik, dem Sie verpflichtet sind, dient, wenn Sie diese pauschale Verdächtigung gegen die Bundesregierung aussprechen? Hier wurde schon an Herrn Schröder erinnert. Nebenbei bemerkt, Sie hätten dann wohl auch die Amtszeit Ihres Vorgängers, des Außenministers Brandt, einbezogen. Glauben Sie, daß es erträglich ist, wenn Sie hier mit der Andeutung eines Beispiels antworten, das etwa zehn Jahre zurückliegt, dann aber auf die Zusatzfrage zugeben müssen, daß Sie den Fall nicht kennen und die Unterlagen nicht besitzen?
Erst jetzt komme ich darauf; ich konnte vorher gar nicht verstehen, was Herr Kiep gefragt hat. — Diesen Fall kenne ich natürlich sehr wohl. Aber in die Diskussion der politischen Sachfragen möchte ich mit Herrn Kiep jetzt nicht eintreten. Den Fall habe ich hier. Sie können ihn einsehen. Wenn Sie wollen, können Sie von diesen Fällen noch mehr sehen; denn es gibt noch mehr Beispiele, es ist ja nicht das einzige. Ich habe natürlich nur einen Fall genannt.
— Herr Marx, dazu werden Sie bestimmt Gelegenheit haben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Geßner.
Herr Außenminister, ist es richtig, daß es lange Zeit außenpolitisches und militärpolitisches Prinzip der Unionsparteien gewesen ist, daß bei genügender westlicher Stärke die Sowjetunion zu Zugeständnissen in der Deutschlandfrage gezwungen werde, mit der Absicht möglicherweise, keinen eigenen Entspannungsbeitrag zu leisten?
4752 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1970
Ich möchte keine — —
— Nein, das ist ein Geheimdokument.
Das können Sie nur unter den dafür üblichen Bedingungen einsehen, im Amt.
— Meine verehrten Kollegen, ich habe nicht sehr viel Verständnis für den Stil, in dem Sie Fragen dieser Art behandeln.
Ich glaube, Sie sollten zumindest die Haltung von Abgeordneten hier aufbringen können, in diesen Dingen eine Information zu geben unter Umständen, die es mir ermöglichen, sie entgegenzunehmen.
— Meine Kollegen, Sie sollten sich danach erkundigen, unter welchen Umständen Geheimpapiere eingesehen werden können. Die Kollegen, die das noch nicht wissen, sollten sich zumindest bei ihren erfahreneren Kollegen erkundigen, unter welchen ) Umständen man eine geheime Akte einsehen kann.
— Sie können es ja auch sehen, Herr Kollege. Ich spreche von den Umständen, unter denen Sie die Akte einsehen können.
— Meine Kollegen, ich habe es Ihnen, den Abgeordneten, angeboten unter den Umständen, die üblich sind. Dann können Sie jederzeit die Einsicht nehmen. Ich bin nicht ganz sicher, ob Sie darüber am Ende besonders erfreut sein werden.
Ich lasse noch drei Fragen zu, von Kollegen, die ich hier notiert habe. Die Fragestunde ist gleich zu Ende. — Bitte schön, Herr Kollege Wohlrabe!
Herr Kollege Wagner! — Auch nicht mehr. Herr Kollege Ott!
Herr Bundesaußenminister, im Hinblick auf Ihre vorher zitierten Äußerungen, daß Bonn es lange Zeit hindurch ängstlich vermieden habe usw., möchte ich eine Frage an Sie richten. Sie haben doch lange Zeit in der Bundesregierung gesessen und haben das alles mitgetragen, was Sie jetzt beanstanden. Weshalb haben Sie als Minister so lange in einer Regierung gesessen und als Abgeordneter sie unterstützt, mit der Sie nach Ihren heutigen Äußerungen im Gewissen nicht einverstanden sein konnten?
Ich weiß nicht, auf welche Frage Sie sich bezogen haben.
Auf die vorige Frage und auf Ihre Äußerung, nach der unsere Freunde im Westen daran gewöhnt waren, daß Bonn lange Zeit hindurch es ängstlich vermied, zur westlichen Entspannungspolitik einen eigenen Beitrag zu liefern. Das haben Sie gesagt. Ich frage Sie: weshalb haben Sie nicht Konsequenzen gezogen?
Herr Kollege, das kann ich Ihnen sagen. Erstens. Sie werden sich erinnern, daß ich ganz zu Beginn bei der ersten Frage zu den Punkten in der Rede, nach denen Sie gefragt haben, gesagt habe: es bezieht sich auch auf Regierungen, denen ich angehört habe. Das ist ganz selbstverständlich, das ist ja leicht nachzulesen.
Zweitens. Bei dem, was sie in dieser Frage angezogen haben, handelt es sich um Vorgänge, die im Jahre 1961 bis in das Jahr 1962 hinein passiert sind. Es sind Vorgänge, die vor meiner Zeit in der Regierung entstanden sind und die ich bei meinem Eintritt in die Bundesregierung gar nicht gekannt habe, sondern die ich erst viel später kennengelernt habe.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 11 bis 15 sind von den jeweiligen Fragestellern zurückgezogen.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesaußenminister Scheel. Wir sind am Ende der Fragestunde.
Ich berufe das Haus auf Freitag, den 11. Dezember, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.