Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, der Bundesminister der Finanzen hat unter Bezugnahme auf § 37 Abs. 4 der Haushaltsordnung dem Bundestag Vorlagen zugeleitet, die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichnet sind und die dem Haushaltsausschuß überwiesen werden sollen:
Vorlage des Bundesministers der Finanzen
Betr.: Leistung einer überplanmäßigen Ausgabe bei Kap. 60 05 Tit. 612 11
— Drucksache VI/1458 —
Vorlage des Bundesministers der Finanzen
Betr.: Zustimmung zur Leistung von überplanmäßigen Ausgaben bei Kap. 14 23 Tit. 423 03 — Nachversicherungsbeiträge für ausscheidende Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit — und Kap. 14 23 Tit. 423 16 — Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung
— Drucksache VI/1487 — Vorlage des Bundesministers der Finanzen
Betr.: Einwilligung zur Leistung von überplanmäßigen Ausgaben bei Kap. 14 15 Tit. 553 04/Hj. 1970 — Erhaltung des Fahrzeug- und Kampffahrzeugmaterials der Streitkräfte -
- Drucksache VI/1488 —
Vorlage des Bundesministers der Finanzen
Betr.: Zustimmung zur Leistung einer überplanmäßigen Ausgabe bei Kap. 23 02 Tit. 686 01
— Drucksache VI/1491 —
Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes ergänzt werden. Das Haus ist damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 1. Dezember 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Reinhard, Dr. Ritz, Bewerunge, Niegel, Dr. Ritgen und Genossen betr. Eternormenverordnung — Drucksache VI/1417 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/1510 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
EWG-Vorlagen
Verordnung des Rates zur Änderung des Anhangs I der Verordnung Nr. 865/68 in bezug auf bestimmte Erzeugnisse der Tarifstellen 20.06 II a) und 20.07 A
— Drucksache VI/1437 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für getrocknete Weintrauben der Tarifstelle 08.04 B des Gemeinsamen Zolltarifs, in Umschließungen mit einem Gewicht des Inhalts von 15 kg oder weniger
— Drucksache VI/1438 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung des Artikels der Verordnung Nr. 136/66/EWG betreffend Einfuhr- und Ausfuhrlizenzen für Fette
— Drucksache VI/1444 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Ergänzung der Verordnung Nr. 170/67/EWG über die gemeinsame Handelsregelung für Eieralbumin und Milchalbumin durch die Möglichkeit der Einführung von Vermarktungsnormen
— Drucksache VI/1445 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 1059/69 zur Festlegung der Handelsregelung für bestimmte, aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen hergestellte Waren
— Drucksache VI/1446 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft , Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Bestimmung der Empfänger, der Bedingungen für die Gewährung und der Sätze der Vergütung, die Beamten zum Ausgleich für bestimmte Dienstleistungen besonderer Art gewährt werden kann
— Drucksache VI/1460 —
überwiesen an den Innenausschuß , Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Verlängerung der Verordnung Nr. 414/70 über die Grundregeln für die Maßnahmen zur Steigerung des Butterverbrauchs bei bestimmten Verbrauchergruppen
— Drucksache VI/1467 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Festsetzung der Orientierungspreise für Wein für die Zeit vom 16. Dezember 1970 bis 15. Dezember 1971
— Drucksache VI/1468 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
4642 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1970
Präsident von Hassel
Verordnung des Rates zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Mandarinen
Verordnung des Rates zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Süßorangen
— Drucksache VI/1469 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung; Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Überweisung von Zollvorlagen
Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache VI/1481 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 3. Februar 1971
Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache VI/1482 —
überwiesen en den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 16. Dezember 1970
Wir kommen dann zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
— Drucksache VI/1480 —
Ich rufe zunächst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf, und zwar als erste die Frage 115 des Abgeordneten Engelsberger:
Ist die Erklärung des österreichischen Außenministers Rudolf Kirchschläger am 2. November 1970 vor dem Verein der Auslandspresse in Wien zur Frage der DDR-Anerkennung: „Es wäre nicht sehr schön, wenn Österreich die DDR eine Woche nach Bonn anerkennen würde, aber Österreich wolle auch nicht als erster und einziger westlicher Staat diesen Schritt tun" ein Hinweis dafür, daß die von der Bundesregierung immer wieder verneinte Anerkennung der DDR auch von Staaten unter einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung erwartet wird?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch, bitte!
Herr Abgeordneter, die von Ihnen zitierte Äußerung des österreichischen Außenministers Dr. Kirchschläger ist nach den mir vorliegenden Unterlagen kein Originalzitat, sondern eine Bestätigung der Fragestellung des Chefredakteurs einer Wiener Zeitung. Abgesehen davon fehlt in Ihrer Frage ein wesentlicher Teil des Zitats. Dr. Kirchschläger hat nämlich ergänzend von sich aus hinzugefügt — ich zitiere —:
Was die DDR betrifft, besteht für Österreich als einem mit dem Westen verbundenen Staat keine besondere Interessenlage für eine Anerkennung.
Die in Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, enthaltene Folgerung ist somit nicht zutreffend.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Engelsberger.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß auf Grund der Anerkennung der DDR, die in der Regierungserklärung ausgesprochen worden ist, gerade neutrale Staaten einen gewissen Trend aufweisen, die DDR anzuerkennen? Ähnliche Meldungen, wie ich sie vorhin in der Anfrage bezüglich Österreich zitiert habe, sind ja auch aus Südafrika bekanntgeworden.
Herr Abgeordneter, ich habe hier eine auf ein Zitat des österreichischen Außenministers, nicht aber auf Südafrika bezogene Frage zu beantworten gehabt. Es ist gar keine Frage, daß in der Regierungserklärung eine Feststellung getroffen worden ist, die den Tatsachen entspricht und die den anderen Ländern, von denen Sie sprechen, bekannt ist, daß nämlich auf deutschem Boden zwei Staaten existieren.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Engelsberger.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen Meldungen aus Polen bekannt, wonach dort führende Politiker erklärt haben, der Warschauer Vertrag würde erst sinnvoll, wenn die DDR völkerrechtlich anerkannt werde?
Herr Abgeordneter, ich glaube nicht, daß diese Frage in irgendeinem Zusammenhang mit der gestellten Frage steht. Solche Meldungen sind mir nicht bekannt; sie würden mich aber keineswegs überraschen.
Ich rufe die Frage 116 des Abgeordneten Dr. Geßner auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß dem Präsidium der Deutschen Afrikagesellschaft, deren Etat zum größten Teil aus Mitteln des Auswärtigen Amtes gespeist wird, auf der diesjährigen Generalversammlung deshalb keine Entlastung erteilt wurde, weil keine ausreichende Auskunft über Verbleib und zweckmäßige Verwendung der Etatmittel gegeben werden konnte?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte!
Herr Abgeordneter, dem Präsidium der Deutschen Afrika-Gesellschaft e. V. — abgekürzt DAG; diese Abkürzung wird oft verwechselt — wurde auf der ordentlichen Mitgliederversammlung 1970 am 23./24. Oktober 1970 die Entlastung mit der Begründung verweigert — ich zitiere—, „daß erhobene Vorwürfe zum Arbeitsbericht des Generalsekretärs und zum Finanzbericht nicht entkräftet worden seien". Das ist eine Protokollnotiz über die Sitzung, die auf Seite 2 zu finden ist.
Hinsichtlich des Finanzberichts stellte der neugewählte Generalsekretär der Deutschen Afrika-Gesellschaft in einem das Protokoll ergänzenden Rundschreiben an die Mitglieder der Gesellschaft allerdings fest, dem Bericht habe — ich zitiere wiederum — „eine sehr exakte, auf bester kameralistischer Buchführung basierende schriftliche Aufgliederung" zugrunde gelegen, die in der Sitzung allerdings nicht vorgetragen oder der Versammlung in anderer Form vorgelegt worden sei.
Die Frage des Verbleibs und der zweckmäßigen Verwendung der Etatmittel der Deutschen AfrikaGesellschaft ist auf der Sitzung im einzelnen nicht weiter untersucht worden. Das Auswärtige Amt hat
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Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
das neugewählte Präsidium der Gesellschaft gebeten, seine hierzu bestehenden Beanstandungen zu substantiieren.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Geßner.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstehe, ist die Mitteilung, um die Sie gebeten hatten, bisher noch nicht eingetroffen. Ist das so?
Mir ist bisher nichts von dem Eintreffen dieser Mitteilung bekannt. Das wird sicher eine Weile dauern.
Ich rufe die Frage 117 des Abgeordneten Dr. Geßner auf:
Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung zu ziehen für den Fall, daß die Verwendung öffentlicher Zuschüsse an die Deutsche Afrikagesellschaft nicht ordnungsgemäß nachgewiesen werden kann?
Die Frage 117 darf ich wie folgt beantworten. Sollte sich eine nicht ordnungsgemäße Verwendung von Zuwendungsmitteln ergeben, so würde das Auswärtige Amt, wie das auch die haushaltsrechtlichen Bestimmungen für einen derartigen Fall vorschreiben, die hierfür verantwortlichen Stellen oder Personen ermitteln und die nicht ordnungsgemäß verwendeten Mittel von diesen zurückfordern.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Geßner.
Herr Staatssekretär, verstehe ich Sie richtig, daß Sie möglicherweise auch an eine persönliche Haftbarmachung denken?
Das hängt vom Vereinsrecht ab, Herr Dr. Geßner. Ich gehe davon aus, daß ein Vorstand, der nicht entlastet ist, soweit das Vereinsrecht es vorschreibt, die Haftung übernimmt.
Keine Zusatzfrage? — Dann rufe ich die Frage 118 des Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Teilt die Bundesregierung die Meinung des Warschauer ARD-Korrespondenten Ludwig Zimmerer, daß die Bundesrepublik Deutschland „nach deutscher wie erklärter polnischer Auffassung" nur „im Rahmen der Normalisierung" — und nicht, weil es sich um ehemalige deutsche Staatsangehörige handelt — „das Recht hat", darauf zu pochen, daß die lokalen polnischen Behörden die Auswanderungsanträge jener polnischen Staatsbürger sehr viel zügiger behandeln, die unter die Bestimmungen der Rotkreuzvereinbarungen fallen ?
Herr Präsident, die Antwort lautet wie folgt.
Es kann nicht die Aufgabe der Bundesregierung sein, Äußerungen einzelner Korrespondenten zu kommentieren oder zu interpretieren. Mir scheint aber, daß Herr Zimmerer hier hat sagen wollen — und hierin pflichtet die Bundesregierung ihm auch bei —, daß die Normalisierung der Beziehungen zu Polen der Bundesregierung bessere Möglichkeiten als bisher gibt, sich für die Übersiedlung von Deutschen aus Polen in die Bundesrepublik einzusetzen, und daß die Normalisierung überhaupt günstigere Möglichkeiten für eine positive Erledigung der Aussiedlungswünsche dieser Deutschen schafft. Dies war in der Tat ein wesentliches Anliegen der Bundesregierung bei den deutsch-polnischen Verhandlungen; es war einer der Gründe für diese Verhandlungen und hat unter anderem in der polnischen Information oder Erklärung zu diesem Komplex, die wir mit polnischen Einverständnis hier veröffentlicht haben, seinen Niederschlag gefunden.
Eine Zusatzfrage? Freiherr von Fircks : Zu 118, nein.
Dann rufe ich die Frage 119 des Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des in der Frage 118 genannten Herrn Zimmerer, daß die in den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten seit 1945 und vorher lebenden Deutschen die deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben und als „ehemalige deutsche Staatsangehörige" jetzt nur noch „polnische Staatsbürger" sind?
Die Antwort auf die Frage 119 lautet: Nein, die Bundesregierung teilt diese Auffassung nicht.
Darf ich eben fragen, Herr Kollege Dr. Czaja — ich hatte Sie übersehen —: zur Frage 118? — Wir wollen noch einmal zurück zur Frage 118. Bitte, zu Frage 118!
Ich hatte bereits die Frage 119 beantwortet.
Verzeihung, ich habe es leider übersehen. Er hatte sich gemeldet, und ich möchte dieses Versehen wiedergutmachen.
Bitte schön!
Herr Staatssekretär, bedeutet die soeben gegebene Antwort, daß die Bundesregierung nicht auf dem Standpunkt des Bundesinnenministers steht, wonach es sich um deutsche Staatsangehörige handelt, nachdem Sie nur von Deutschen sprachen, und geht die Bundesregierung bei der Formulierung „Deutsche aus Polen" von dem bisherigen gesetzlich verankerten Begriff „fremdverwaltete deutsche Ostgebiete" ab?
Herr Abgeordneter, ich habe die Frage, die hier schriftlich gestellt
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Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
war, beantwortet. Sie können daraus überhaupt nicht entnehmen, daß zwischen der Bundesregierung und dem Bundesinnenminister in dieser Frage ein Dissens besteht. Der Bundesinnenminister ist für Staatsangehörigkeitsfragen der zuständige Ressortminister, und selbstverständlich sind die Antworten hier abgestimmt. Jedes Hineinlesen, jedes Zwischenden-Zeilen-Lesen, wie es aus Ihrer Frage hervorgeht, ist in diesem Fall völlig unberechtigt. Im Bundesgebiet gelten die bei uns bestehenden Gesetze und werden auf die Bürger angewendet, die wir als deutsche Staatsangehörige ansehen.
Eine Zusatzfrage zur Frage 119, Herr Abgeordneter Freiherr von Fircks.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung im Rahmen der Verhandlungen auch bereit ist, sich dafür einzusetzen, daß die Deutschen, die nach unserer Auffassung deutsche Staatsangehörige sind, wie Sie selber soeben sagten, nicht zum Wehrdienst in der polnischen Armee herangezogen werden?
Ich habe die Frage, offen gestanden, akustisch nicht verstanden.
Ob sich die Bundesregierung im Rahmen der Verhandlungen über die Normalisierung auch dafür einsetzt, daß diese, die nach unserer Gesetzeslage deutsche Staatsangehörige sind, nicht zum polnischen Wehrdienst herangezogen werden. Eine solche Petition ist schon an den Bundestag herangetragen worden.
Herr Abgeordneter, es ist mir, offen gestanden, unmöglich, den Gedankensprung nachzuvollziehen, den Sie soeben gemacht haben. Sie wissen genau, daß die polnische Regierung die Bürger, die in Polen leben, die dort seit vielen Jahren leben und nie in der Bundesrepublik gelebt haben, als polnische Staatsbürger betrachtet.
Umgekehrt ist die Bundesregierung auf Grund der gegebenen Rechts- und Gesetzeslage der Auffassung, daß Bürger, die im Jahre 1937 deutsche Staatsbürger nach unserem Recht gewesen sind, ein Recht darauf haben, im Bundesgebiet als deutsche Staatsbürger behandelt zu werden. Ich weiß aber nicht, wie Sie auf den Gedanken kommen, daß die deutsche Bundesregierung über die Einziehung oder Nichteinziehung zur polnischen Wehrmacht entscheiden könne. Ich darf Sie daran erinnern, daß mit einem Land, mit dem wir seit langem sehr freundschaftliche Beziehungen haben, nämlich mit Frankreich, außerordentlich komplizierte Verhandlungen etwa über die Staatsangehörigkeit durch Geburt im Elsaß im Zusammenhang mit der Frage einer Einziehung zur französischen Wehrmacht bzw. zur Bundeswehr geführt worden sind.
Ich weiß also nicht, was Sie sich, wenn Sie diese Frage stellen, hinsichtlich dessen, wie wir das tun sollten, vorstellen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Czaja.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die Bundesregierung alles unterlassen muß, unterlassen hat und unterlassen wird, was völkerrechtlich als ein Handeln gegen den Rechtsstandpunkt, den der Bundesinnenminister verfassungsrechtlich bezüglich der Wahrung der Rechte deutscher Staatsangehöriger vertritt, angesehen werden könnte, und daß sie alles unterlassen muß, was deren Rechte in irgendeiner Weise gefährden oder mindern könnte, wie es in ähnlicher Weise auch gegenüber Frankreich der Fall gewesen ist?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung und die Mitglieder der Bundesregierung handeln entsprechend der Verpflichtung des Grundgesetzes und ihres Amtseides. Es ist völlig ungerechtfertigt, und zwar auch in Form einer Frage, hier irgendwelche Unterstellungen zu machen.
Ich darf darauf hinweisen, daß sich die Bundesregierung in Gesprächen bemüht hat, gerade für diejenigen Bürger in Polen, die deutsche Volkszugehörige sind, ein Höchstmaß an Freizügigkeit zu erreichen. Ich darf Sie ferner darauf hinweisen, daß, wenn der Standpunkt, den Sie in Ihrer Frage wiederum anklingen lassen, ständig plakativ vertreten worden wäre, in den Gesprächen für diese Bürger überhaupt nichts erreicht worden wäre.
Eine Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete von Fircks.
Herr Staatssekretär, ich möchte in bezug auf meine zweite Frage ein Mißverständnis ausräumen. Ich hatte auch in meiner ersten Frage nicht gefragt, was die Bundesregierung tun könne, sondern ob sie bereit sei, sich im Rahmen der Verhandlungen darum zu bemühen. Dem gilt auch die weitere Frage, nämlich ob die Bundesregierung bereit ist, sich darum zu bemühen, daß auch noch andere vermögensrechtliche Möglichkeiten geschaffen werden, damit die Deutschen bei der Aussiedlung ihr Vermögen mitnehmen können, was ihnen bisher bei der Aussiedlung nicht möglich war.
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat sich selbstverständlich bemüht, und zwar, wie ich meine, mit einigem Erfolg, ein hohes Maß an persönlicher Entscheidungsfreiheit für diese Bürger zu gewinnen. Sie können davon ausgehen, daß jeder weitere Schritt zur Normalisierung der Beziehungen, der z. B. mit einer entsprechenden Behandlung dieses Vertrags
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Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
durch den Bundestag zusammenhängt, diesen Bürgern nützen wird. Die Bundesregierung wird, auch wenn sie das nicht in jeder Phase öffentlich zum Ausdruck bringt, bemüht sein, die Interessen derjenigen Bürger zu wahren und zu schützen, die als deutsche Volkszugehörige ausreisen möchten.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Memmel.
— Ich kann keine Zusatzfrage von Ihnen mehr zulassen. Sie haben nur eine Zusatzfrage je Frage.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Memmel!
Herr Kollege Moersch, glauben Sie nicht, daß das von Ihnen zitierte Beispiel Frankreich ein bißchen weit hergeholt war, da es sich doch hier um das Jus sanguinis bzw. das Jus soli handelt?
Herr Abgeordneter Memmel, ich glaube, daß in der Tat auch die Fragen sehr weit hergeholt waren. Die Antworten mußten deshalb die Absurdität der Fragen klarmachen.
Die Fragen sind beantwortet. Die Frage 120 des Herrn Abgeordneten Dröscher wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Oberbürgermeisters der Stadt Würzburg, wonach die Anwendung von polizeilichen Zwangsmaßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht zu rechtfertigen sei, nachdem das neue Demonstrationsrecht die einstigen Vergehen und Verbrechen zu bloßen Ordnungswidrigkeiten degradiert habe?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dorn.
Herr Kollege Dr. Schneider, die in der Fragestellung wiedergegebene Äußerung des Herrn Oberbürgermeisters der Stadt Würzburg ist mir neu. In einem an den Herrn Bundeskanzler, den Herrn Ministerpräsidenten Goppel, den Herrn Innenminister Dr. Merk und mich gerichteten Fernschreiben hat er nach den Vorfällen in Würzburg anläßlich der Gründungskundgebung der „Aktion Widerstand" am 31. Oktober 1970 erklärt — ich zitiere wörtlich —:
Die Aktion hat im übrigen gezeigt, daß die gesetzlichen Möglichkeiten unseres Versammlungs- und Polizeirechts gegen antidemokratische Gruppen ungenügend sind.
Wenn in dieser Erklärung oder in der mir nicht bekannten Äußerung eine Kritik an dem neuen
Demonstrationsstrafrecht enthalten sein sollte, ist dazu festzustellen, daß die Vorfälle in Würzburg keine Bewährungsprobe für das neue Demonstrationsstrafrecht sein konnten, weil es in erster Linie um Fragen des Vollzugs polizeilicher Bestimmungen und nicht um Strafverfolgungsmaßnahmen ging. Tatbestände wie Körperverletzung, Beleidigung, Aufforderung zur Begehung strafbarer Handlungen und dergleichen, von denen nach den Ereignissen die Rede war, sind durch das Dritte Strafrechtsreformgesetz nicht geändert worden. Die rechtlichen Voraussetzungen für ein Vorgehen wegen des Tatbestand des Auflaufs im früheren § 116 StGB, der unter Beibehaltung des Tatbestands in eine Ordnungswidrigkeit umgewandelt worden ist, lag nicht vor, da die nach altem wie nach neuem Recht erforderliche Aufforderung der Polizei, auseinanderzugehen, nicht ausgesprochen wurde. Die Polizei hat sich den Demonstranten gegenüber offenbar vom Opportunitätsprinzip leiten lassen.
Die Befugnisse der Polizeibehörden zur Anordnung und Durchführung von Zwangsmaßnahmen sind durch die Reform des Demonstrationsstrafrechts und durch den Wegfall des Straftatbestands des Auflaufs nicht geschmälert worden. Die Befugnisse zur Auflösung einer verbotenen oder nicht genehmigten Versammlung ergeben sich aus dem Versammlungsgesetz, das insoweit durch das Dritte Gesetz zur Reform des Strafrechts auch nicht geändert worden ist. Nach der Auflösung einer Versammlung sind die Beteiligten verpflichtet, sich zu entfernen. Kommen sie dieser Verpflichtung trotz dreimaliger Aufforderung nicht nach, so handeln sie nach Art. 2 des Dritten Gesetzes zur Reform des Strafrechts ordnungswidrig. Diese Ordnungswidrigkeit kann nach den Polizeigesetzen der Länder mit Zwangsmitteln unterbunden werden. Nach bayerischem Polizeirecht kommen die Zwangsmittel des Platzverweises, der Festnahme zur Personenfeststellung und des Sicherungsgewahrsams in Frage. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hat dabei für den Einsatz von Zwangsmitteln keine andere Bedeutung als nach dem früher geltenden Recht, da in dem genannten Fall der maßgebliche Zweck des Polizeieinsatzes unverändert darin liegt, die Auflösung der Versammlung durchzusetzen. Solche Entscheidungen erfordern die Bereitschaft des örtlichen Polizeileiters zu politischer Verantwortung. In besonders schwierigen Fällen muß er durch die vorgesetzten Stellen unterstützt werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider.
Herr Staatssekretär, ich beziehe mich in meiner ersten Zusatzfrage wie in meiner Hauptfrage wiederum auf Veröffentlichungen in der „Würzburger Mainpost" vom 3. November 1970 und frage Sie: welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung aus der Erklärung Dr. Zeidlers zu ziehen, der in gleichem Zusammenhang an Bundestag und Bundesregierung die Aufforderung gerichtet hat — ich darf wörtlich zitieren —: „Die Politiker, die an der
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Dr. Schneider
Spitze stehen, müssen jetzt die Konsequenzen ihrer Maßnahmen kapieren."?
Herr Kollege Dr. Schneider, ich kann nur sagen, diese Aufforderung wäre wohl in erster Linie an die örtlich zuständigen Behörden und an den Innenminister des Freistaates Bayern zu richten gewesen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schneider.
Herr Staatssekretär, nachdem offensichtlich ist, daß der Herr Oberbürgermeister von Würzburg auf die Rechtsetzung, auf den Gesetzgeber abgestellt hat, darf ich Sie fragen: ist die Bundesregierung durch die Würzburger Vorfälle, die sich in gleicher Weise ja jeden Tag an einem anderen Ort in unserem. Lande ereignen können, nicht zur Auffassung gelangt, daß Bundestag und Bundesregierung alles in ihrer Macht Stehende tun müßten, um Rechtsunsicherheiten oder juristische Überforderungen im täglichen Polizeidienst durch eindeutige und praxisbezogene Rechtsbestimmungen so weit wie möglich zu verhindern?
Ich kann zu der Unterstellung, die dieser Frage zugrunde liegt, nur sagen: es ist eindeutig festgestellt, daß die Rechtsgrundlagen für das Eingreifen in vollem Umfang vorhanden gewesen sind. Wenn man nicht entsprechend gehandelt hat, liegt das wohl an den dafür verantwortlichen Stellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Memmel.
Herr Kollege Dorn, darf ich mit einem Satz feststellen, daß Sie und Ihr Haus — —
Sie- müssen eine Frage stellen!
— Nein, Sie haben gesagt: „Darf ich mit einem Satz feststellen, ...". Ist das eine Frage?
Herr Präsident, ich möchte keine sprachliche Auseinandersetzung haben. Aber ich frage den Herrn Staatssekretär, ob ich mit einem Satz feststellen darf, daß Sie und Ihr Haus nicht bereit sind, das neugeschaffene Demonstrationsstrafrecht auf Grund der Würzburger Vorfälle zu überprüfen.
Herr Kollege Memmel,
die Bundesregierung ist selbstverständlich bereit, alle Maßnahmen zu ergreifen und alles zu überprüfen, was in diesem Zusammenhang überprüfenswert ist. Nur habe ich durch meine Ausführungen eindeutig dargelegt, daß die Bundesregierung im Zusammenhang mit den Würzburger Vorfällen überhaupt nicht auf überprüfbare Gesetzesnovellen angesprochen ist, sondern daß die Tatbestände so eindeutig sind, daß man sie mit den bestehenden Gesetzen genauso in den Griff bekommen hätte, wie das notwendig wäre.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sieglerschmidt.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß die ständige. Wiederholung von Behauptungen, wie sie hier ausgesprochen worden sind, die auf einer völlig unzulässigen Vermengung von zwei Rechtsgebieten, nämlich des Polizeirechts und des Strafrechts, beruhen, nicht dadurch richtiger werden, daß man sie ständig wieder vorbringt?
Ich stimme mit Ihnen darin überein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Probst.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, ob Ihre Feststellung, daß die örtlich zuständigen Instanzen dafür verantwortlich sind, bedeutet, daß Sie hier dem Oberbürgermeister von Würzburg öffentlich eine Rüge erteilt haben?
Nein, das bedeutet das überhaupt nicht. Ich stelle lediglich auf Grund der mir gestellten Frage fest, nach welchen Kriterien und nach welcher Rechtslage man in Würzburg hätte eingreifen sollen nach dem, was sich abgespielt hat.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, da Sie soeben mitteilen, daß sich der Herr Oberbürgermeister von Würzburg an Ihr Haus gewandt hat, halten Sie diesen Hilferuf eines Oberbürgermeisters einer deutschen Großstadt nach diesen Vorfällen für berechtigt oder für sinnlos, oder wie würden Sie ihn qualifizieren?
Herr Kollege Schulze-Vorberg, der Oberbürgermeister hat sich an unser Haus gewandt, er hat sich an die bayerische Staatsregierung gewandt und hat auf Anforderung die
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Parlamentarischer Staatssekretär Dorn
Tatbestände so geschildert, wie ich sie vorhin er- läutert habe, und diese Tatbestände sind in dieser Frage nicht so enthalten, wie sie Ihrer Fragestellung zugrunde liegen.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Riedl auf:
Ist der Sport in der Bundesrepublik Deutschland durch Doping-Mittel bedroht, und welche konkreten Angaben über die Verwendung soldier Mittel kann die Bundesregierung machen?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Herr Kollege Dr. Riedl, die Sportorganisationen in der Bundesrepublik haben bisher nur in sehr geringem Umfang Doping-Kontrollen durchgeführt. Konkrete Angaben über die Verwendung von Doping-Mitteln sind daher nicht möglich. Anhaltspunkte dafür, daß der Sport in der Bundesrepublik Deutschland durch Doping-Mittel bedroht ist, sind der Bundesregierung nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Riedl.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie auf Grund der Äußerung beispielsweise des Wiener Professors Prokop, der die Zahl der Doping-Toten auf über 100 schätzt, fragen, ob es nicht doch zweckmäßiger wäre, in der Bundesrepublik ein zentrales Doping-Institut einzurichten mit dem Ziel, eine einheitliche Überwachung und Auswertung von Doping-Vorfällen aller Art sicherzustellen.
Ich könnte mir vorstellen, Herr Kollege Dr. Riedl, daß die Möglichkeit besteht, diese Frage im Rahmen der Deutschen Sportkonferenz auch mit den zuständigen Vertretern des deutschen Sports zu erörtern.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Riedl.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht angesichts der Tatsache, daß es in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt nur vier Fachverbände gibt, die in ihren Satzungen ein ausdrückliches Doping-Verbot vorsehen, für notwendig, die übrigen dem Deutschen Sportbund angeschlossenen Fachverbände nachhaltig zu ersuchen, in ihre Satzungen ebenfalls ein solches Doping-Verbot aufzunehmen, zumal da es sich bei diesen Fachverbänden fast ausschließlich um Verbände handelt, die eine öffentliche Unterstützung erhalten?
Diese Frage müßte mit den Fachverbänden besprochen werden. Nur bin ich der Meinung, da die Doping-Vorschriften Bestandteil der internationalen Wettkampfvereinbarungen sind, ist erst einmal zu prüfen, ob es notwendig ist, daß sie
Gegenstand einer Satzungsvorschrift der einzelnen Sportfachverbände sind. Ich meine, nach den internationalen Wettkampfbestimmungen wird das wahrscheinlich ausreichend sein, und die anderen Sportverbände werden sich mit Sicherheit auch an diese Vorschriften halten, obwohl sie nicht in ihrer Satzung stehen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Müller .
Herr Staatssekretär, würden Sie meiner Auffassung beipflichten, daß es in erster Linie eine Aufgabe der sportlichen Selbstverwaltung wäre, diese Fragen zu klären und sie einer Lösung zuzuführen?
Ich bin Ihrer Meinung. Deswegen vorhin auch meine Anmerkung, man sollte das in der Deutschen Sportkonferenz besprechen, wo die Vertreter des Deutschen Sportbundes und seiner Fachverbände Mitglieder sind.
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Dr. Riedl auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß auf Grund der bestehenden Vorschriften die Sportler in der Bundesrepublik Deutschland ausreichend vor Doping-Mitteln geschützt sind, und hält die Bundesregierung insbesondere den Erlaß eines AntiDoping-Gesetzes für erforderlich?
Herr Kollege Dr. Riedl, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die bestehenden strafrechtlichen Bestimmungen über die fahrlässige und die vorsätzliche Körperverletzung und Tötung einen weitgehenden Schutz gegen das Doping bieten, und weitere Maßnahmen von den Sportfachverbänden in deren Statuten geregelt werden könnten. Diese Auffassung entspricht der Haltung des Ministerkomitees des Europarats, das in der Entschließung vom 29. Juni 1967 zunächst Schutzmaßnahmen der Sportorganisationen empfohlen hat.
Der Deutsche Sportbund hat am 26. September 1970 Rahmenrichtlinien zur Bekämpfung des Doping beschlossen. Diese Richtlinien, an deren Vorbereitung die Bundesregierung beteiligt war, bieten eine geeignete Grundlage für ein Vorgehen gegen das Doping nach einheitlichen Grundsätzen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Riedl.
Herr Staatssekretär, obwohl ich Ihre verhältnismäßig optimistische Auskunft nicht ganz teilen kann — Sie wissen so gut wie ich, daß insbesondere bei der Veranstaltung von Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften die Frage des Doping immer wieder hochkommt —, darf ich Sie fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, in den dem Deutschen Bundestag regelmäßig zu erstattenden Berichten über die Situation des Sports künftig auch über das Doping im allgemeinen und im besonderen zu berichten.
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Die Frage will ich gern prüfen, Herr Kollege Dr. Riedl. Nur, wenn schon, wie Sie bemerkten, die Satzungen und die Wettkampfbestimmungen das nicht ausschließen, wird sich durch einen Bericht an den Bundestag in der Sache mit Sicherheit keine Veränderung ergeben.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Dr. de With auf:
Erwägt die Bundesregierung eine Änderung der Strafvorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes dergestalt, daß die Strafvorschriften, nach denen das unbefugte Einleiten von Stoffen in Gewässer mit Strafe bedroht wird, über den Sonderfall des § 39 hinaus — differenzierender als bisher — um besonders schwere Fälle mit einem Mindeststrafrahmen ergänzt werden, damit insbesondere kommerziell betriebener Eigennutz auf Kosten der Reinhaltung der Gewässer und Handlungen mit besonders schweren Folgen besser erfaßt werden können?
Herr Kollege Dr. de With, im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Justiz beantworte ich die Frage wie folgt.
Wie im Sofortprogramm der Bundesregierung über den Umweltschutz angekündigt, wird mein Haus im Sommer 1971 eine Vierte Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz vorlegen. Ein Schwerpunkt dieser Novelle ist die Reform der Straf- und Bußgeldbestimmungen des Wasserhaushaltsgesetzes. § 39 soll dahingehend ergänzt werden, daß Handlungen mit besonders schweren Folgen in weiterem Umfang als bisher erfaßt werden können. Zu den bisherigen Qualifizierungstatbeständen der Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit anderer sollen u. a. die Tatbestände der Gefährdung der öffentlichen Wasserversorgung und einer staatlich anerkannten Heilquelle treten.
Der Strafrahmen in § 39 des Wasserhaushaltsgesetzes — bei vorsätzlicher Tat bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe und Geldstrafe oder eine dieser Strafen, bei fahrlässiger Tat Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe — erscheint ausreichend. Die bisherigen Erfahrungen geben keinen Anlaß, hier einen Mindeststrafrahmen einzuführen.
Es erscheint nicht zweckmäßig, den Eigennutz oder auch die Gewinnsucht des Täters als straferschwerendes Merkmal in die Strafvorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes einzufügen. Es handelt sich dabei um schwer nachweisbare Tatumstände. Deshalb wurden auch mit den Straftatbeständen des Wirtschaftsstrafgesetzes und des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, die solche subjektiven Voraussetzungen enthalten, keine guten Erfahrungen gemacht.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. de With.
Glauben Sie also nicht, daß besonders durch einen jüngsten Fall eine ausreichende Grundlage dafür gegeben wäre, Gewerbsmäßigkeit nachweisen zu können, was dazu führen könnte, den Begriff der Gewerbsmäßigkeit, die sehr häufig als besonders schwerer Fall angesehen wird, auch hier einzuführen?
Ich glaube nicht, Herr Kollege, daß das ausreichend sein könnte, zumal da wir es hier mit einem noch nicht abgeschlossenen Verfahren zu tun haben und wir das, was sich hier abgespielt hat, noch nicht endgültig werten können.
Die Fragen 9 und 10 des Abgeordneten Sperling werden schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Dr. Gruhl auf:
Wann wird die Bundesregierung die in § 6 des Gesetzes über die Altölbeseitigung von 1966 angekündigte Rechtsverordnung über die Einziehung und Führung des Nachweisbuches erlassen, um eine vollständige, für die Umwelt schadlose Beseitigung der Altöle zu erzwingen?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Dr. Gruhl, die Frage beantworte ich im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft wie folgt. Zur Überwachung des Verbleibs von Altöl, vornehmlich aus Gründen des Gewässerschutzes, sieht § 6 des Altöl-gesetzes vom 23. Dezember 1968 vor, daß wirtschaftliche Unternehmen, bei denen Altöle in einer Menge von jährlich mindestens 500 kg anfallen oder die Altöle in jährlich mindestens dieser Menge übernehmen, ein Nachweisbuch zu führen haben. Diese Nachweispflicht wird jedoch erst zu Beginn des Kalenderjahres wirksam, das der Verkündung der dazu erforderlichen Rechtsverordnung folgt.
Diese Rechtsverordnung ist in Vorbereitung. Sie läßt sich erst auf Grund von Erfahrungen, die die zu- ständigen Landesbehörden und das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft bei der Durchführung der neuen Vorschriften des Altölgesetzes gesammelt haben, adäquat und praxisgerecht ausarbeiten. Nach der noch erforderlichen Abstimmung mit den Beteiligten ist beabsichtigt, die Verordnung im kommenden Jahr zu erlassen, so daß die Nachweispflicht am 1. Januar 1972 in Kraft treten kann.
Voraussetzung für die ordnungsgemäße Überwachung des Verbleibs von Altöl ist allerdings, daß alle Landesregierungen die Überwachungsbehörden bestimmen. Ohne behördliche Kontrolle ist die Beachtung der Nachweispflicht nicht gesichert. In sechs Ländern steht die Bestimmung der Überwachungsbehörden auch jetzt noch aus. Die Rechtsverordnung wird aus diesen Gründen nicht mehr in diesem Jahr erlassen werden können.
Dafür spricht ferner, zunächst noch das vom Bundesminister für Wirtschaft beim Battelle-Institut in Auftrag gegebene Gutachten über die Auswirkungen des Altölgesetzes auf die Altölbeseitigung abzuwarten. Im Rahmen dieses Gutachtens soll u. a. ermittelt werden, in welcher Menge Altöle nicht zu den Altölbeseitigungsunternehmen gelangen. Die Dunkelziffer über Altölmengen, die unkontrolliert verschwinden, wurde in früheren Untersuchungen mit rund 50 000 t pro Jahr angegeben. Demgegenüber ist es erfreulich zu sehen, daß in diesem Jahr dank der
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1970 4649
Parlamentarischer Staatssekretär Dorn
Hilfen auf Grund des Altölgesetzes rund 35 000 t Altöl schadlos verbrannt werden. In früheren Jahren wäre der Verbleib dieser Mengen nicht kontrollierbar gewesen. Das Gutachten wird noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.
Im übrigen wird es auch nicht tunlich sein, wenn zwischen der Verkündung und dem Inkrafttreten der Nachweispflicht nur eine kurze Zeitspanne liegt. Zwischen diesen Daten sollte im Interesse der Wirksamkeit der Vorschriften über das Nachweisbuch ein angemessener Anpassungszeitraum für Kontrollierende und für die zu Kontrollierenden bleiben. Hier spielt nicht zuletzt auch die Überlegung mit, daß die Einführung des Nachweisbuches zum Anlaß genommen werden soll, in einer Werbeaktion alle Ölverbraucher über das Verhältnis Umweltschutz — Mineralöl aufzuklären.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Gruhl.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung keine Möglichkeiten, die Länder zu einem schnelleren Vorgehen in dieser Angelegenheit zu veranlassen?
Wir haben das in den Verhandlungen bisher immer wieder versucht. Ich hoffe, daß es nunmehr Anfang des Jahres gelingen wird, auch die restlichen sechs Länder zu einer Übereinstimmung zu bringen.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Gruhl.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in zahlreichen Fällen Altöl einfach in der Landschaft abgelassen wurde, zum Teil sogar unter mißbräuchlichem Bezug der vorgesehenen Zuschüsse?
Es ist wahrscheinlich so, Herr Kollege; denn sonst würde die Dunkelziffer nicht so groß sein, wie ich es vorhin vorgetragen habe.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Dichgans.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung daran gedacht, das im ganzen offenbar erfolgreiche Denkschema der Altölbeseitigung — Belastung der Neuproduktion, um später die Reste zu beseitigen — auch auf anderen Gebieten, etwa bei Autowracks, anzuwenden?
Herr Kollege Dr. Dichgans, die Bundesregierung wird das bei den Beratungen mit den Ländern mit in die Überlegungen einbeziehen.
Der Sprung vom Altöl zum Autowrack ist in der Tat ein bißchen weit.
Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Müller auf:
Welche Bedeutung mißt die Bundesregierung der öffentlichen Diskussion um die zeitliche Häufung und Überschneidung von Wahlterminen der verschiedenen Parlamente bei?
Herr Kollege Müller, es ist verständlich, wenn in einem Jahr, in dem sechs Landtagswahlen stattfanden, die zeitliche Häufung und Überschneidung von Wahlterminen in der Öffentlichkeit erörtert wird. Die Erwägung, die Wahlen zu den Landtagen und kommunalen Vertretungen an einem einzigen Tage zusammen mit den Bundestagswahlen durchzuführen, erscheint aus staatspolitischen Gründen nicht wünschenswert. Eine derartige Synchronisierung könnte zu einer Verkürzung des Einflusses des Staatsbürgers auf die Staatswillensbildung führen, der diesen Einfluß nach dem Grundgesetz und den Landesverfassungen entsprechend dem Prinzip der repräsentativen Demokratie im wesentlich durch seine Stimmabgabe ausübt.
Näher läge der Gedanke, die Landtagswahlen aller Länder auf einen Tag, etwa in der Mitte der Wahlperiode des Bundestages, zusammenzulegen. Doch würden dann die Landtagswahlen zwangsläufig den Charakter einer zweiten Bundestagswahl annehmen, was weder aus der Sicht des Bundes noch aus der der Länder zu begrüßen wäre.
Es erscheinen aber vor allem die Vorschläge einer Prüfung wert, nach denen entweder die Landtagswahlen in zwei oder drei Gruppen mit je einem einheitlichen Wahltermin zusammengefaßt oder aber die Termine der Landtagswahlen eines jeden Jahres auf einen einzigen Tag zusammengelegt werden sollen. Die Reduzierung auf höchstens einen Landtagswahltermin pro Jahr hätte positive Auswirkungen: Der Charakter der Landtagswahlen als solcher wäre nicht gefährdet. Die Wahlkämpfe würden jeweils nur einige wenige Wochen dauern. Von einem permanenten Wahlkampfklima könnte nicht mehr gesprochen werden. Auch würde die außerordentliche Inanspruchnahme der Bundespolitiker gemindert. Schließlich könnten Wahlkampfkosten der Parteien gesenkt werden.
Dem Bund ist es jedoch nach dem Grundgesetz verwehrt, eine zeitliche Koordinierung der Landtagswahltermine vorzunehmen. Die Koordinierung der Landtagswahltermine könnte nur durch übereinstimmende, zum Teil auch verfassungsändernde Gesetze der Länder erfolgen; zum Teil wären sogar Volksabstimmungen erforderlich. Auch dann könnte das System nur funktionieren, wenn — wie bisher — keine vorzeitigen Landtagsauflösungen stattfinden.
Im übrigen bleibt zu hoffen, daß die Probleme einer zeitlichen Häufung und Überschneidung von Wahlterminen bei einer Neugliederung des Bundesgebietes durch eine Verminderung der Zahl der Länder wenigstens teilweise entfallen können.
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Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Müller .
Herr Staatssekretär, Sie haben sicherlich zu Recht diese Möglichkeiten aufgezeigt, aber ich möchte Sie fragen, wie Sie, ausgehend von der Tatsache, daß es auch Länderparlamente gibt, die ihre Wahlperiode inzwischen auf fünf Jahre verlängert haben, dies in den Zusammenhang mit der Möglichkeit rücken wollen, das auch für den Deutschen Bundestag ins Auge zu fassen.
Diese Frage geht in erster Linie das Parlament selbst an, würde ich sagen, Herr Kollege Müller.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Müller .
Aber man kann doch sicher davon ausgehen, Herr Staatssekretär, daß Sie Überlegungen in dieser Richtung und auch in anderen Richtungen anstellen, weil Sie das nicht nur für wünschenswert, sondern möglicherweise auch für notwendig halten?
In dieser Frage stimme ich mit Ihnen überein. Trotzdem ist das eine Frage, die das Parlament ganz allein von sich aus aufgreifen sollte, wenn sie diskutiert werden müßte.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klepsch.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung eventuell erwägt, die nächste Bundestagswahl nicht 1973, sondern erst 1974 durchzuführen?
Herr Kollege Dr. Klepsch, ich glaube, das ist eine rein rhetorisch gemeinte Frage, die keinen sachlichen Hintergrund hat.
Ich rufe die Fragen des Abgeordneten Dr. Aigner auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen 13 und 14 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Frage 15 des Abgeordneten Wuwer wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Berger auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die durch die Zuschriften auf einen kürzlich in der „Westdeutschen Allgemeinen", Herne, erschienenen Aufruf erneut bestätigte Tatsache, daß die an ehemalige deutsche Soldaten in westlicher Kriegsgefangenschaft für unentgeltliche Arbeitsleistungen ausgehändigten Kreditzertifikate in der Masse aller Fälle nicht zu einer Entschädigung aus den hierfür verfügbaren Kriegsgefangenenzertifikatsmitteln berechtigen, weil die ausgestellten Bescheinigungen bestimmten Formerfordernissen nicht entsprechen?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Herr Kollege Berger, die westlichen Gewahrsamsmächte, USA, Großbritannien und Frankreich haben, allerdings auch nur zum Teil, den ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen für Arbeitsleistungen und für die ihnen bei der Gefangennahme abgenommenen Wertgegenstände Guthabenbescheinigungen, sogenannte Kreditzertifikate, ausgehändigt. Diese wurden von den Westalliierten über die Landeszentralbanken und im Bereich der ehemaligen britischen Besatzungszone über das Finanzamt Hamburg — Abrechnungsstelle für Kriegsgefangenengelder — eingelöst.
Durch die Währungsreform wurde dieses Verfahren geändert. Die Westalliierten beauftragten damals die Länder des Währungsgebiets mit der Einlösung der Zertifikate und überwiesen ihnen hierfür einen Betrag von rund 76 Millionen DM. Zugleich legten sie die Voraussetzungen für die Einlösung und auch für den Umrechnungsschlüssel fest.
Die Bundesregierung hatte und hat auf die Art und Höhe dieser Entschädigung keinen Einfluß.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, bedauern Sie nicht auch, daß — insbesondere auf Grund unzutreffender Pressemitteilungen — immer wieder in dem Kreis der Betroffenen Hoffnungen geweckt werden, die dann nachher nicht erfüllt werden können?
Ich bedauere das mit Ihnen; nur hat die Bundesregierung keinerlei Einfluß auf Pressemitteilungen, Herr Kollege Berger.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Müller .
Herr Staatssekretär, sind die Rückstellungen, die damals bei den Landesregierungen erfolgt sind, inzwischen der Heimkehrerstiftung überwiesen oder in diese eingefügt worden?
Das glaube ich nicht, Herr Kollege Müller . Die Frage ist nur, ob es Rückstellungen bei den Landesregierungen in diesem Umfang gegeben hat. Nach dem, was mir hier vorliegt, sieht es so aus, daß die Gelder damals überwiegend über den Bereich der beiden Ablösungs- und Einlösungsstellen abgefertigt worden sind.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Berger.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1970 4651
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß noch 22 Millionen DM zur Verfügung stehen?
Die Frage kann ich im Augenblick nicht konkret beantworten.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Josten.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, sich dafür einzusetzen, daß die hier zur Diskussion stehenden Mittel dem vorgesehenen Stock der Heimkehrerstiftung bald überwiesen werden?
Herr Präsident, das ist ein Teil der Frage, die der Kollege Berger als Frage Nr. 17 gestellt hat.
Ich würde auch sagen, daß die Frage zu Frage Nr. 17 gehört. Wollen Sie sie so lange zurückstellen? —
Darf ich fragen, ob noch Zusatzfragen zu Frage 16 gestellt werden? - Erledigt.
Dann darf ich die Frage 17 des Abgeordneten Berger aufrufen:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, unter Inanspruchnahme der noch zur Verfügung stehenden Zertifikatsmittel in Höhe von rund 22 Millionen DM die bisher nicht abwicklungsfähigen Ansprüche deutscher Kriegsgefangener durch Einlösung falsch ausgestellter Zertifikate abzugelten?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Der Bundesregierung, Herr Kollege Berger, steht kein Verfügungsrecht über diese Beträge zu. Wenn die Bundesländer bereit sind, diesen Betrag der Heimkehrerstiftung zu überweisen, die ihn im Rahmen ihres Aufgabenbereichs zur wirtschaftlichen und sozialen Förderung ehemaliger Kriegsgefangener mit der Maßgabe verwenden kann, daß sie aus diesem Betrag auch noch die Mittel für die Einlösung künftig präsentierter Kreditzertifikate der westlichen Gewahrsamsmächte bereitstellen muß, hat die Bundesregierung mit Sicherheit dagegen keine Einwendungen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sieht die Bundesregierung keine Möglichkeit, das zumindest anzuregen oder diese Bestrebungen zu unterstützen?
Ich nehme an, daß diese Frage im Rahmen der Heimkehrerstiftung behandelt wird. Gerade heute morgen findet eine Sitzung für diesen Bereich statt. Deswegen kann mein Minister heute morgen auch leider nicht selber in der Fragestunde da sein; er ist Präsident der Heimkehrerstiftung. Infolgedessen kann ich von mir aus im Moment noch nichts über das heutige konkrete Verhandlungsergebnis sagen. Es ist durchaus möglich, daß diese Frage bereits heute entschieden wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Josten.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie meine erste Frage beantwortet haben, darf ich jetzt fragen, ob Sie meine Meinung teilen, daß der Bundestag durch Einrichtung der Heimkehrerstiftung gerade die Möglichkeit geschaffen hat, in besonderen Härtefällen den Heimkehrern zu helfen, und daß daher eine baldige Regelung sehr wünschenswert wäre.
Darüber gibt es keinen Zweifel. Ich nehme an, daß die Bundesregierung und alle Fraktionen dieses Hauses darin übereinstimmen.
Eine Zusatzfrage, derAbeordnete Müller .
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen bereits vor längerer Zeit seine Bereitschaft bekundet haben soll, die dort noch vorhandenen Mittel in die Heimkehrerstiftung einzufügen?
Ja, das hat er von sich aus erklärt.
Ich rufe die Frage Nr. 18 auf. Sie wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Die Fragen 40 und 41 des Herrn Abgeordneten Seiters werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Engelsberger auf:
Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Tatsache, daß sie die Lieferung eines LKW-Werkes durch Daimler-Benz in die Sowjetunion fördert, während die Regierung der Vereinigten Staaten es den amerikanischen Ford-Werken aus strategischen Gründen untersagt hat, ein LKW-Werk in der UdSSR zu errichten?
Der Herr Abgeordnete ist im Saal. Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rosenthal.
Herr Kollege Engelsberger, der Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Engelsberger, der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß die Regierung der USA den Ford-
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Parlamentarischer Staatssekretär Rosenthal
Werken die Errichtung eines Lkw-Werkes in der Sowjetunion untersagt hat. Das stammt aus Pressemeldungen, und diese sind widersprüchlich.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Engelsberger.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, bei Lieferungen von Gütern von hohem strategischem Wert in den Ostblock unsere Verbündeten zu konsultieren, um eine gemeinsame, unsere militärischen Interessen berücksichtigende Haltung zu erreichen?
Herr Präsident, diese Frage weicht nach meiner Meinung von der ursprünglichen Frage ab.
Sie haben recht. Die Frage hat mit der Ursprungsfrage nichts zu tun; ich kann sie nicht zulassen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Werner auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage des letzten OECD-Berichts über den Zusammenhang zwischen Vollbeschäftigung und Inflation?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Werner, die ursprüngliche Formulierung des Sekretariats der OECD, auf die Sie hinweisen, ist allerdings etwas mißverständlich, aber das Sekretariat hat sie selbst korrigiert. Wenn ich in englisch zitieren darf, Herr Präsident: in dem ursprünglichen Text heißt es „unused resources" — das könnte zu der Überlegung, die Sie angestellt haben, führen —, in der korrigierten Version heißt es jedoch „temporary reduction in the rate of activity".
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Werner.
Im Sinne der zurückgezogenen Formulierung würden Sie keinen Zusammenhang zwischen Inflation und Vollbeschäftigung sehen?
Ich habe gesagt, die erste Formulierung ist zumindest unklar, und deshalb wurde sie auch zurückgezogen. Ich darf aber darauf hinweisen, daß das gesamte Papier der Konjunkturpolitik der Bundesregierung eher ein Lob gespendet hat.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Werner.
Es ging mir nicht um die Bundesregierung und deren Politik, sondern nur darum, meine Frage beantwortet zu bekommen, ob die Bundesregierung zwischen Vollbeschäftigung und Inflation einen Zusammenhang sieht.
Da muß ich wiederholen, was wir schon x-mal gesagt haben: Die Bundesregierung hält den Kampf um die Stabilität und um die Vollbeschäftigung für gleich wichtig.
Die Frage 44 des Abgeordneten Dr. Jobst und die Fragen 45 und 46 des Abgeordneten Wagner werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen zum Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Weigl auf:
Auf welche Ursachen ist es zurückzuführen, daß von den rund 3000 über das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr dem Bundesminister für Wirtschaft bzw. dem Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft zugeleiteten Anträgen auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 1 Abs. 4 des Investitionszulagengesetzes bisher nur rund 500 Anträge erledigt wurden?
Der Abgeordnete ist im Saal. Bitte schön, zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Weigl, von 3000 bayerischen Anträgen sind bereits 900 abgewickelt. Da das Investitionszulagengesetz vom 18. August 1969 rückwirkend zum 1. Januar 1969 in Kraft getreten ist, stauen sich nicht nur bei uns rund 2100, sondern auch bei der bayerischen Regierung rund 2500 Anträge. Sowohl das bayerische Staatsministerium als auch das Bundeswirtschaftsministerium bemühen sich, wie die Zahl der bearbeiteten Anträge zeigt, diesen Stau abzubauen.
Eine Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete Weigl.
Herr Staatssekretär, warum werden die Hinweise zum Bescheinigungsverfahren nach § 1 Abs. 4 des Investitionszulagengesetzes nicht veröffentlicht, um die Unruhe in der Wirtschaft zu beseitigen?
Diese Frage kann ich hier nicht beantworten. Darf ich sie Ihnen schriftlich beantworten?
Präsident von Hassel:
Zweite Zusatzfrage, der
Abgeordnete Weigl.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, ob der Begriff „volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig" in dem genannten Gesetz dazu geführt hat, daß Auslegungsschwierigkeiten bestehen und deshalb eine große Zahl der Anträge bisher nicht beschieden werden konnte?
Herr Kollege, das
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Parlamentarischer Staatssekretär Rosenthal
dürfte zutreffen. Jede Prüfung, ob etwas volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig ist oder nicht, ist schwierig. Das gilt aber genauso far die bayerische Staatsregierung, vielleicht sogar noch mehr als für die Anträge beim Bundeswirtschaftsministerium, denn wir verlassen uns zum großen Teil auf die Empfehlungen der Länder.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete von Bockelberg.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß auch in anderen Ländern Anträge in großem Maße mit einem hektographierten Bescheid der Bundesanstalt abgelehnt werden?
Das ist mir im Moment nicht bekannt, aber eine gewisse Rationalisierung ist bei diesen Beantwortungen natürlich unvermeidbar.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, könnten Sie uns mitteilen, ob es branchenbedingte Schwierigkeiten gibt, so daß z. B. bei diesen Förderungsmaßnahmen ganze Branchen ausfallen?
Dies kann ich Ihnen eindeutig mit Nein beantworten.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Unland.
Herr Staatssekretär, finden Sie es angesichts des hohen Staus an unerledigten Anträgen nicht etwas paradox, daß im Haushalt 1971 für das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft nur eine einzige zusätzliche Stelle für die Bearbeitung dieser Fragen beantragt worden ist?
Herr Kollege, wir wären in unserem Hause sicherlich dankbar, wenn wir hier die Möglichkeit zur Besetzung einiger weiterer Stellen bekämen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Höcherl auf. — Der Fragesteller ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Fragen 49 und 50 des Abgeordneten Dr. Müller auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß durch die zum Teil mehr als 100%ige Steigerung der Bankgebühren für Effektengeschäfte die Vermögensbildung für den „kleinen Mann" erheblich erschwert wird?
Hat die Bundesregierung eine Möglichkeit, über die Bankenaufsicht Einfluß zu nehmen?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Zunächst, Herr Kollege Müller, darf ich sagen, daß die Bundesregierung keine Einwirkungsmöglichkeit auf die Gebühren für Effektengeschäfte hat. Weiterhin muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß auch im Bankgewerbe, das sehr lohnintensiv ist, die Kosten gestiegen sind. Ich bin bereit, wenn Sie das wünschen, Ihnen eine Aufstellung über die Entwicklung der Lohn- und Gehaltskosten in den letzten Jahren zu geben. Besonders wichtig ist aber die Feststellung, daß die Mindestgebühren — um diese handelt es sich bei Ihrer Frage — in der Hauptsache nicht die Kleinsparer betreffen, denn die Kleinsparer kaufen in der großen Masse heute noch neue festverzinsliche Papiere, und da entfallen diese Gebühren.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Müller .
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung für sinnvoll, wenn im Rahmen eines Sparvertrages nach dem 624-DMGesetz für den Kauf von sechs Pfandbriefen, also festverzinslichen Papieren, genau wie Sie sie anführten, im Werte von 600 DM insgesamt 60 DM Provision gezahlt werden muß?
Herr Kollege Müller , das hält die Bundesregierung sicher nicht für sinnvoll, sondern das ist ein unmöglicher Zustand, dürfte aber ein Ausnahmefall sein. Es ist aber sicher gut, wenn durch eine solche Frage wie die Ihre solche Ausnahmefälle publiziert werden. Insgesamt sind wir der Ansicht — denn die Gebühren sind ja nicht bei allen Banken und Sparkasseninstituten erhöht worden —, daß hier die Publizität und der Wettbewerb einen sehr positiven Einfluß auf eine möglichst geringe Gebühr, insbesondere für die Kleinsparer, haben können.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Müller.
Herr Staatssekretär, sollte der Trend zu diesen steigenden Gebühren anhalten, wäre dann die Bundesregierung bereit, eventuell die Frage der Erhöhung der Sonderausgaben für Einkünfte aus Kapitalvermögen bei der Einkommensteuer zu überprüfen?
Herr Kollege Müller,
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Parlamentarischer Staatssekretär Rosenthal
das geht jetzt von der ursprünglichen Frage aber sehr weit ab. Wir werden jedoch die von Ihnen geschilderten Ausnahmefälle einmal gründlich überprüfen und sehen, ob es sich hier um mehr als einen Ausnahmefall handelt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Niegel.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen vorhin sowohl bei der Frage von Dr. Müller als auch bei der Frage des Herrn Abgeordneten Weigl davon, daß Sie den beiden Abgeordneten Unterlagen zur Verfügung stellen wollten; Sie könnten das heute nicht beantworten. Da wir an diesen Fragen auch Interesse haben, möchte ich fragen: Wäre es möglich, daß Sie die Unterlagen dem Herrn Bundestagspräsidenten geben, damit sie im Protokoll mit abgedruckt werden?
Aber gern.
Es ist die Frage, ob das überhaupt zulässig ist. Im übrigen, Herr Kollege Niegel, verfahren wir immer so, daß eine Frage die im Augenblick nicht ausreichend beantwortet werden kann, weil die gegenwärtig vorhandene Kenntnis nicht ausreicht, dem betreffenden Fragesteller schriftlich beantwortet wird. Sie müßten sich also bei dem betreffenden Abgeordneten melden und ihn fragen: Können Sie mir das nachher zur Einsicht überlassen? Oder Sie müssen dem Minister sagen: Bitte, schicken Sie es auch mir. Wir können aber nicht sämtliche gewünschten Zusatzantworten hier im Protokoll abdrucken; dann würde das ein ganzes Buch.
Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich darf Ihnen für die Beantwortung danken.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich rufe die Frage 61 des Abgeordneten Härzschel auf:
Wie hoch waren 1969 die Ausgaben für Maßnahmen zur Förderung und Wiederherstellung der Gesundheit nach § 1305 RVO in der Arbeiterrentenversicherung, in der Angestelltenversicherung und je Versicherten in beiden Zweigen?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rohde.
Herr Kollege Härzschel, nach den vorläufigen Ergebnissen für das Jahr 1969 betrugen die Ausgaben nach § 1305 RVO bzw. § 84 AVG — das sind die von Ihnen erfragten gesundheitlichen Maßnahmen — in der Rentenversicherung der Arbeiter 188,2 Millionen DM und in der Rentenversicherung der Angestellten 88 Millionen DM. Daraus ergibt sich durchschnittlich je pflichtversicherten Arbeiter ein Betrag von 15,40 DM und je pflichtversicherten Angestellten ein Betrag von 12,23 DM. Der Berechnung des ProKopf-Betrages liegen die Ergebnisse des Mikrozensus 1969 zugrunde, da von den Versicherungsträgern selbst die Zahl der Versicherten nicht ermittelt werden kann. Zur Berechnung des Pro-KopfBetrages ist nur — darauf darf ich noch hinweisen — die Zahl der Pflichtversicherten zugrunde gelegt worden, da die im Mikrozensus erfaßte Zahl der freiwillig Versicherten unvollständig und nicht verwendbar ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Härzschel.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß mit den Beträgen, die hier ausgewiesen worden sind, alle Wünsche befriedigt worden sind, oder ist Ihnen bekannt, daß z. B. im Bereich der Arbeiterrentenversicherung infolge des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes in dieser Hinsicht Sparmaßnahmen eingeleitet werden mußten?
Herr Kollege, mir ist bekannt, daß das Dritte Rentenversicherungs-Änderungsgesetz auch Auswirkungen auf den Bereich der Ermessensleistungen und der gesundheitlichen Maßnahmen gehabt hat. Aber Sie wissen auch, daß in diesem Jahr die finanzielle Entwicklung bei den Trägern der Rentenversicherung günstiger verlaufen ist, als ursprünglich angenommen worden ist. Es kann damit die Erwartung verbunden werden, daß sich das auch positiv auf den Bereich auswirken wird, auf den sich Ihre Frage bezog.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Härzschel.
Herr Staatssekretär, halten Sie Sparmaßnahmen gerade auf dem Gebiet der Gesundheitsvorsorge für sinnvoll?
Nein, Herr Kollege. Im übrigen bin ich der Meinung, daß wir im Zusammenhang mit dem Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung auch die von Ihnen hier angesprochenen gesundheitlichen Leistungen im weitesten Sinne erörtern werden. Dabei darf ich darauf hinweisen, Herr Kollege, daß es sich hier vielfach um Leistungen handelt, die in das Ermessen der Träger gestellt sind.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Pohlmann auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den auf Grund seiner ungünstigen Arbeitszeitbedingungen in den letzten Jahren mehr und mehr an Angestellten Mangel leidenden Kellner- und Servierberuf attraktiver zu machen, damit dem Gaststättengewerbe in Deutschland wieder zu seinem früheren guten Ruf verholfen wird?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Herr
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1970 4655
Parlamentarischer Staatssekretär Rohde
Kollege Pohlmann, die Frage der Gestaltung der Arbeitszeitbedingungen im Gaststättengewerbe betrifft Aufgaben des Gesetzgebers und der Tarifvertragsparteien.
Soweit es die höchstzulässigen Arbeitszeiten und die Mindestruhezeiten angeht, sind sie auch für die Arbeitnehmer des Gaststättengewerbes in der Arbeitszeitordnung aus dem Jahre 1938 geregelt. Die Verbesserung dieser Regelungen kann nicht isoliert für einen Gewerbezweig gesehen werden, weil auch andere Bereiche — vor allem im Dienstleistungssektor — vor ähnlichen Problemen stehen wie das Gaststättengewerbe.
Beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ist deshalb ein Arbeitskreis zur Novellierung der Arbeitszeitordnung gebildet worden. Er hat die Aufgabe, alle Arbeitszeitvorschriften zu überprüfen und geeignete Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen, und zwar auch für das Gaststättengewerbe. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich dem Ergebnis der Arbeiten dieses Arbeitskreises nicht vorgreifen möchte.
Auch die Tarifvertragsparteien bemühen sich um eine Verbesserung der Löhne, Arbeitszeiten und sonstigen Arbeitsbedingungen im Gaststättengewerbe. In diesem Zusammenhang erscheint ein in jüngster Zeit zu beobachtender Trend erwähnens wert, von dem als nicht mehr zeitgemäß empfundenen Bedienungsgeld zu einem Festlohnsystem zu kommen.
Schließlich darf ich, Herr Kollege, noch darauf hinweisen, daß im Bereich der Berufsbildungsforschung Vorarbeiten aufgenommen worden sind mit dem Ziel, die gastgewerbliche Berufsausbildung neu zu ordnen. Angestrebt wird eine gemeinsame Grundbildungsstufe für alle gastgewerblichen Ausbildungsberufe mit darauf aufbauenden Fach- und Spezialisierungsstufen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pohlmann.
Herr Staatssekretär, können Sie eine Aussage darüber machen, bis wann dieser Arbeitskreis seine Überlegungen abgeschlossen haben wird?
Ich will offen sagen, Herr Kollege, daß im Hinblick auf die Vielschichtigkeit und die Schwierigkeit des Problems der Arbeits- und Ruhezeiten zur Zeit von unserem Haus noch nicht übersehen werden kann, wann der Arbeitskreis seine Arbeiten beenden wird.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Pohlmann.
Herr Staatssekretär, würden Sie eventuell steuerliche Erleichterungen insbesondere für die Samstags- und Sonntagsarbeit für sinnvoll halten?
Herr Kollege, diese Frage hatten Sie mit der mir gestellten Frage verbunden. Es ist ausdrücklich so geregelt worden, daß das Finanzministerium zu der steuerlichen Seite dieser Angelegenheit Stellung nehmen sollte, und von dort ist — wenn ich richtig unterrichtet bin — bereits eine Antwort gegeben worden. Dabei möchte ich es belassen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Josten.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, das Gaststättengewerbe in der Bundesrepublik, welches nach meiner Meinung in der Welt auch heute noch einen guten Ruf hat, dadurch zu unterstützen, daß Sie gemeinsam mit dem Finanzministerium die Überlegungen, die gerade der Kollege Pohlmann angeschnitten hat, bezüglich steuerlicher Vergünstigungen für den Personenkreis, der Samstags- und Sonntagsarbeit leistet, in Erwägung ziehen?
Herr Kollege, im Hinblick auf alle Fragen, bei denen ein Zusammenhang von Arbeits- und Steuerrecht gelteben ist, befinden wir uns, wenn diese Fragen zur Regelung oder Prüfung anstehen, in einem Gespräch und Meinungsaustausch mit dem Finanzministerium.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 63 bis 67 werden auf Wunsch der Abgeordneten schriftlich beantwortet.
Meine Damen und Herren, wir sind damit für heute am Ende der Fragestunde angelangt. Die nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet, soweit sie nicht zurückgezogen sind.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über vordringliche Änderungen auf dem Gebiet des Steuerrechts
— Drucksachen VI/1313, zu VI/1313 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache VI/1504 —
Berichterstatter: Abgeordneter Hermsdorf
b) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache VI/1477 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau
Huber
4656 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1970
Präsident von Hassel
Ich danke zunächst einmal den Berichterstattern für ihre Berichte und frage, ob die Berichte mündlich ergänzt werden sollen. — Das ist nicht der Fall.
Wir treten dann in die zweite Beratung ein. Ich eröffne die Aussprache in zweiter Beratung. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die zweite Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Bitte nehmen Sie die Drucksache VI/1477 zur Hand. Ich rufe die Art. 1, 1 a, 1 b, 2, 3, 4, 5, 6, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Gegenstimme ist es so beschlossen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
— Das Wort wird nicht begehrt. Wir kommen zur Abstimmung in dritter Beratung. Wer dem Gesetzentwurf in seinen Art. 1 bis 6 sowie Einleitung und Überschrift in dritter Beratung zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung ist es einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung
Drucksache VI/715 —
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache VI/1449 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Franz
Weiterhin liegt Ihnen hierzu der Bericht des Haushaltsausschusses auf Drucksache VI/1509 vor.
Ich eröffne die Aussprache in der zweiten Lesung. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte Sie, die Drucksache VI/1449 zur Hand zu nehmen. Wer dem Gesetz in zweiter Lesung in. den Art. 1, 2, 3, 4, der Einleitung und der Überschrift zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht begehrt. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in den Art. 1 bis 4, der Einleitung und der Überschrift zustimmt, den bitte ich, sich vom Sitz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir haben alsdann noch über die Ausschußempfehlung auf Seite 4 der genannten Drucksache abzustimmen. Wer dem Antrag unter Ziffer 2, mit dem Gesetzentwurf die dazu eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären, zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Walz, Dr. Martin, Pfeifer, Dr. Gölter, Dr. Kotowski und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Berufs-/Laufbahnreform
— Drucksache VI/1361 —
Im Ältestenrat wurde vereinbart, daß es dazu eine Begründung und eine Erklärung gibt. — Zur Begründung hat Frau Abgeordnete Dr. Walz das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Auftrag, im Namen der CDU/CSU-Fraktion eine Erklärung abzugeben und Ihnen dabei den Antrag Drucksache VI/1361 betreffend Berufs-/Laufbahnreform vorzutragen.
Der Bildungsbericht der Bundesregierung geht von der Zielvorstellung aus, daß bis 1980 alle Jugendlichen zum Abitur I und 50 % eines jeden Geburtsjahrgangs zum Abitur II zu führen seien, wobei diese Abschlüsse auf integrierten Gesamtschulen erreicht und die Ausbildung auf integrierten Gesamthochschulen fortgesetzt werden sollen.
Allerdings, meine Damen und Herren, hat sich die Bundesregierung hierbei mündlich und schriftlich in erhebliche Widersprüche verwickelt. Der Herr Bundeskanzler sah sich schon, nachdem das Utopische dieser Planung immer sichtbarer wird,
veranlaßt, auf die Langfristigkeit der Reform in seiner Rede hier im Bundestag sehr eindringlich hinzuweisen und der Herr Wissenschaftsminister sprach im Gegensatz zu seinem eigenen Bildungsbericht davon, daß die Erreichung dieses Ziels erst in den achtziger Jahren möglich sein werde. Das beides dürfte nun auch wesentlich realistischer sein als der Bildungsbericht der Bundesregierung, sind doch nicht einmal die Zielvorstellungen der Bundesregierung im Bildungsbericht auch nur abgeklärt. Während sie auf Seite 75 davon spricht, möglichst viele Schüler zum Abitur I zu führen — was die CDU/CSU unterstützt —, heißt es auf Seite 72: „alle Schüler", was wir ohne eine entscheidende Niveausenkung nicht für möglich halten.
Was will die Bundesregierung nun aber wirklich: „möglichst viele" oder „alle"? Je nachdem müssen völlig verschiedene Curricula, Leistungs- und Eignungskurse, angeboten werden. Auch müßte die Bundesregierung klarer sagen, wie sie es mit der Gleichwertigkeit der Abschlüsse von berufsbezogenen und allgemeinbildenden Bildungsgängen hält. Während sie einerseits auf Seite 56 ihres Berichts lapidar diese Gleichwertigkeit fordert, sagt sie andererseits, nämlich auf Seite 75, ganz deutlich:
„Beide Sekundarabschlüsse sind inhaltlich nach dem individuellen Bildungsgang und Leistungs-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1970 4657
Frau Dr. Walz
niveau differenziert." Ich betone das Wort „Niveau". Das heißt ja wohl, sie sind eben nicht gleichartig und dann vermutlich auch nicht gleichwertig. Auch diesen Widerspruch müßte die Bundesregierung vorweg klären, ehe sie in die von uns geforderte Prüfung der Berufs- und Laufbahnstrukturen eintritt. Abgesehen davon bestehen z. B. in der Frage des Berufsgrundschuljahres—nachzulesen Seite 72/73 -
offensichtlich auch noch völlig unausgereifte Vorstellungen; sonst ließe sich das, was hier steht, gar nicht erklären. Auch hier müßte die Bundesregierung noch eine klare Entscheidung treffen.
Wir bejahen mit der Bundesregierung die Aufeinanderbezogenheit von berufsbildendem und all-gemeinbildendem Schulwesen, möchten dazu aber noch eine weitere Kritik gerade auf Grund des Bildungsberichts der Bundesregierung anmelden. Die Bundesregierung hält diese Integration, diese Aufeinanderzuordnung, nur auf integrierten Gesamtschulen und Gesamthochschulen für möglich, da sie nach ihrer Meinung allein die Chancengleichheit gewährleisten. Aber dieselbe Bundesregierung führt in ihrem Bildungsbericht — Seite 141/142 — aus:
Aber noch fehlen für eine umfassende Reform des Bildungswesens hinreichende Planungsinstrumente und eine wirksame Planungsorganisation.
Und weiter heißt es noch pointierter:
Eine auf die Reform des Bildungswesens bezogene Planung setzt voraus, daß neue Modelle für das Bildungswesen durch Versuchsschulen und andere Modelleinrichtungen unter wissenschaftlicher Kontrolle erprobt werden. Die zahlreichen, erst in den vergangenen Jahren begonnenen Schulversuche lassen allerdings bisher nur beschränkte Rückschlüsse auf die allgemeine Durchführbarkeit der dort erprobten Strukturen und Inhalte zu.
Bei solchen Einsichten fragt man sich wirklich, woher die Bundesregierung den Mut nimmt, uns im Schul- und Hochschulwesen nur ein einziges Modell anzubieten, was sie übrigens verfassungsrechtlich vermutlich überhaupt nicht kann. Hier müßte vieles wohl doch noch gründlicher durchdacht werden, ehe man eine solide Ausgangsbasis für neue Berufsfelder und Berufsstrukturen hat und ehe man den jungen Staatsbürgern und deren Eltern Hoffnungen auf Abschlüsse und damit verbundene Berechtigungen macht, Hoffnungen, die man überhaupt nicht oder erst im Laufe von zwei Jahrzehnten erfüllen kann.
Wir sind uns alle in diesem Hause darüber einig, daß unsere jungen Menschen eine modernere, gründlichere und wissenschaftlich fundiertere Ausbildung auf allen Schulstufen bekommen müssen, um sich überhaupt in einer wissenschaftlich-technischen sich immer rascher verändernden Welt behaupten zu können, wobei die neu zu entwickelnden Curricula von den grundsätzlichen Bildungszielen ausgehen sollten, wie sie Herr Kollege Martin in der Bildungsdebatte dargestellt hat.
Daß die Reform des berufsbildenden Schulwesens noch sehr viel dringlicher ist als die des allgemeinbildenden, geht aus dem Bildungsbericht der Bundesregierung hervor, und zwar auch gerade aus seiner Widersprüchlichkeit. Es ist im Interesse der Berufsausbildung insbesondere auch der jungen Menschen dringend erforderlich, hier einen Weg zu finden, die Kompetenzen des Bundes und die der Länder besser zu koordinieren, als das heute der Fall ist. Denn wenn selbst die überarbeiteten Ausbildungsordnungen, die schnellstens auf viel weniger Berufsfelder reduziert werden müßten, in der Mehrzahl nicht auf Grund wissenschaftlicher Untersuchungen aufgestellt wurden und deshalb auch den Veränderungen der Berufswelt, den individuellen Bedürfnissen und den berufspädagogischen Erkenntnissen noch nicht genügend entsprechen, wie soll es dann möglich sein, das Ziel zu erreichen, das ja darin besteht, nicht mehr so sehr bestimmte berufliche Tätigkeiten einzuüben, sondern die systematische Vermittlung theoretischer Grundlagen und ein breites Verständnis für ein Berufsfeld zu schaffen? Hier muß die Berufs- und Berufsbildungsforschung entscheidend ausgebaut, aber auch entsprechend koordiniert werden, damit sie möglichst zügig und ohne Doppelarbeit Ergebnisse erbringen kann. Dazu sollte der Ausschuß der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung im November 1970 eine Vereinbarung ausarbeiten, von der aber noch nichts weiter gehört wurde; ich weiß nicht, ob sie inzwischen vorliegt. Es müssen aber auch Staat, Verwaltung und Wirtschaft bei der Aufstellung neuer Berufsfelder eng zusammenarbeiten, die dann den Abgängern mit Abitur I angeboten werden können.
Wenn wir ein ganzes Volk mit mittlerer Reife werden sollen — das ja offensichtlich das Ziel der Bundesregierung —, muß die Regierung auch rechtzeitig für Berufe und Laufbahnen sorgen, in denen die dann erworbenen Kenntnisse auch wirklich sinnvoll angewandt werden können. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob es dann noch jemanden geben wird, der die einfacheren Tätigkeiten ausüben will. Denn insbesondere auf dem Dienstleistungssektor kann bekanntlich durchaus nicht alles automatisiert werden, sondern es müssen einige Dinge schon noch von Menschen erledigt werden.
Das Abitur II in seiner berufsbezogenen oder hochschulbezogenen Form sollen bis 1980 50 % eines jeden Geburtsjahrganges ablegen, wovon aber die Hälfte — also 25 % der Gesamtzahl — nach dem Bildungsbericht der Bundesregierung auf Berufswege ohne Studium gehen soll. Aber gibt es überhaupt attraktive Berufswege für Abiturienten ohne Studium? Kann man diese Wege überhaupt Abiturienten schmackhaft machen,
die nach der ersten von Bund und Ländern gemeinsam durchgeführten umfassenden Befragung zu 90,5 % gesagt haben, daß sie studieren wollen und jeden anderen Weg nach ihrer langen Ausbildung für vollkommen sinnlos halten?
Jürgen Eick und die Bildungsmannschaft der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" haben in diesem Jahr in fünf großen Aufsätzen die Chancen der Abiturienten ohne Studium verfolgt. Die Ergebnisse
4658 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1970
Frau Dr. Walz
waren trotz allen ausgestrahlten Optimismus überaus mager. Wenn es dort hieß: Nürnberg — ablehnend, Ettlinger Kreis — zögernd, wenn weiter zu erkennen war, daß von den 3 000 Abiturienten, die direkt in den kaufmännischen Bereich, in dem es für sie die besten Chancen gibt, und zu den Banken gehen, hinterher dann doch noch 70 bis 80 % studieren, so kann daraus geschlossen werden, daß dieser Weg in ganz anderer Weise attraktiv gemacht werden müßte, um von mehr Abiturienten gewählt zu werden, wozu dann Herr Eick, das Industrieinstitut und der Ettlinger Kreis die Wirtschaft auch dringend auffordern, weil sie dadurch ja die nötigen Nachwuchskräfte bekommen könnte. Vorausgehen müßte hier jedoch der öffentliche Dienst. Wenn aber Alexander Schnorbus in der FAZ vom 10. Oktober feststellt, daß die Bundespost jährlich 400 Abiturienten einstelle, von denen überhaupt nur 5 % Chancen hätten, in den höheren Dienst zu kommen, wenn die Bundesbahn jährlich nur 120 Abiturienten braucht, die allerdings bessere Aufstiegschancen haben, und bisher nur die Bundeswehr echte Chancen bietet, obwohl auch dort mehr und mehr ausgebildete Akademiker gebraucht werden, dann sehen die Zukunftsaussichten für die 25%, die nicht studieren sollen, tatsächlich sehr trübe aus, wenn nicht sofort an die Erschließung neuer Laufbahnen und an die Erschließung von Aufstiegschancen gegangen wird, von denen allerdings im neuesten Entwurf einer Laufbahnverordnung des Bundesinnenministers überhaupt noch keine Rede ist. Hier müssen insbesondere die Eingangsvoraussetzungen für die Laufbahnen geändert oder eine Auflösung der Laufbahngrenzen nach individueller Qualifikation erstrebt werden.
Wieweit das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt in Erlangen hier Hilfe leisten will, neue mögliche Berufsfelder für Abiturienten zu entwickeln, erscheint dagegen recht zweifelhaft. Der Leiter erklärte auf Befragen sinngemäß, solche Forschungen seien dort noch nicht in Angriff genommen worden, weil man befürchte, der progressiven Bildungspolitik der Bundesregierung in den Rücken zu fallen. Der Leiter hatte offensichtlich den Bildungsbericht eben dieser Bundesregierung nicht gelesen. In einem Funk- und Fernsehinterview im Südwestfunk hatte er schon vorher ausgeführt, daß das von dieser Regierung angestrebte ständige Wirtschaftswachstum sich eine eigene Nachfrage schaffen werde, und er erwarte durch den Druck von unten einen starken Ausbau der Hochschulkapazitäten, dem man auf keinen Fall Ventile an der falschen Stelle, also durch Sonderlaufbahnen für Abiturienten, schaffen solle. Eine ziemlich merkwürdige Rechnung mit dem Druck von unten, der uns eigentlich heute schon bei dem Numerus clausus genügt.
Was die 25 % Abgänger angeht, die auf die integrierte Gesamthochschule gehen sollen, die es ja in absehbarer Zeit auch nicht gibt, so steht auch ihnen ein ungewisses Schicksal bevor, zumal Bedarfsforschung und Bedarfsprognosen bei uns noch in den Kinderschuhen stecken und immer wieder überholt werden müssen. Mit einer Million Studenten rechnet die Bundesregierung für 1980, von denen
ungefähr 60 % ein Kurzstudium von zwei bis drei Jahren und 40 % ein Langstudium von vier bis sechs Jahren absolvieren sollen, wobei nach der Rechnung des Wissenschaftsrats auch bei zügigstem Ausbau für diese eine Million Studenten ein Viertel an Plätzen fehlen würde.
Aber wer kann uns eigentlich garantieren, daß die Studienzeiten von zwei bis drei Jahren eingehalten werden und daß sich überhaupt 60 % auf ein Kurzstudium einlassen werden? Mit der Lehrerbildung fängt der Kampf um die höheren Semesterzahlen doch nur an. Die Schätzung von 1 1/4 Millionen Studenten für 1980 dürfte deshalb zutreffend sein und damit ein geradezu gigantischer Numerus clausus, der alle bisher erhobenen Proteste weit in den Schatten stellen müßte, insbesondere, wenn Sie bedenken, daß heute 470 000 Studenten studieren, man 1975 mit 210 000 Studenten mehr rechnet, aber bis heute nur 100 000 neue Plätze überhaupt in der Planung sind.
Unser Antrag soll deshalb dazu beitragen, die Lage zu klären, insbesondere aber auch rechtzeitig Arbeitsplätze und Laufbahnen bereitzustellen und zu entwickeln — das müssen wir ja erst hier tun —, die diesem — —
Ich darf Sie nur daran erinnern, Frau Kollegin, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
— — die diesem auf allen Sparten dann hoffentlich besser ausgebildeten Nachwuchs zur Verfügung stehen und ihm die vermehrte Bildungsanstrengung als sinnvoll erscheinen lassen.
Deshalb ersuchen wir die Bundesregierung, so rasch, so gründlich und so aufstiegsorientiert wie nur irgend möglich unseren Antrag zu prüfen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Das Thema ist für unseren heutigen Freitag etwas zu breit. Es wäre sehr reizvoll, jetzt eine Bildungsdebatte zu führen. Sie müßte allerdings dann etwas fundamentaler sein, als sie im Augenblick sein kann.
Frau Kollegin Walz, ich habe ein bißchen den Eindruck: Thema verfehlt. Wir gehen an die Frage der Bildungsreform — d. h. auch in den allgemeinbildenden Schulen — nicht von der Feststellung aus, welche Leute wir in fünf Jahren im Beruf brauchen, sondern davon, welche grundsätzlichen Bildungsanforderungen an einen Mensch gestellt werden, der über das Jahr 2000 hinweg lebt. Nur davon können wir ausgehen.
Eine Vorausschau auf die Berufsstruktur können wir, wenn es gut geht, mit einiger Sicherheit für
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1970 4659
Frau Funcke
fünf Jahre geben. Aber selbst die mutigsten Futurologen werden uns nicht sagen können, welche Berufsstruktur im Jahr 2000 besteht.
Deswegen können wir bei all unseren Bildungsbemühungen in der Schulreform doch nur das tun, daß wir eine breit gefächerte, möglichst vertiefte Bildung anbieten, aus der heraus viele Berufsmöglichkeiten zu entwickeln sind. Wir dürfen nicht einfach sagen: Wir brauchen im Jahre 1980 oder 1990 30 oder 35% Abiturienten I und soundso viel Abiturienten II.
— Doch, Sie haben bei Ihrer Argumentation immer zurückgeschlossen. Sie gingen davon aus, was berufsmäßig erforderlich ist, um von daher kritisch die Bildungsreformvorschläge der Bundesregierung zu beleuchten. Ich meine, das geht nicht. Wir müssen vielmehr feststellen, daß wir eine breit aufgefächerte Vorbildung in den Schulen brauchen, ohne uns auf feste Zahlen für bestimmte Abschlüsse festzulegen. Sie können allenfalls eine vorsichtige Arbeitshypothese und nichts mehr sein. Schon deshalb wird man sich auch über die Vorschläge von Abitur I und II unterhalten müssen. Vielleicht werden wir überhaupt zu einer Form der Schulabschlüsse kommen, die gar nicht fixiert ist, sondern die jeweils von dem einzelnen im Hinblick auf eine spätere berufliche Ausbildung unter Beachtung bestimmter Mindestanforderungen zusammengestellt werden kann und gar nicht einen festen Katalog umfaßt.
Dies alles werden wir überlegen müssen. Aber dem würde doch nur, wie jetzt von der Bundesregierung angedeutet wurde, eine Gesamtschule mit differenzierten Möglichkeiten entsprechen, die eine solche Variationsbreite bietet, und nicht eine Schule, die auf einem festabgegrenzten Schulsystem und den damit gegebenen fixierten Niveau-Abschlüssen beruht.
Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen für die berufliche Struktur ist Ihr Antrag sicherlich nicht falsch. Aber diese Überlegungen dürfen nicht vorrangig Ausgangspunkt und Beratungsmaßstab für die Schulreform sein. Meines Erachtens ist es gerade umgekehrt. Wir müssen eine breit gefächerte Schule anbieten, um von daher alle denkbaren, noch nicht erkennbaren Berufsstrukturen nachher ohne Mühe aufbauen zu können.
Das Wort hat der Abgeordnete Raffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem, was Frau Funcke im Grundsätzlichen gesagt hat, kann ich mich vollinhaltlich anschließen. Ich werde mich also auf einige ergänzende Bemerkungen im Namen der SPD-Fraktion beschränken.
Frau Dr. Walz, auch Ihre mit großem Ernst vorgetragene und sicher gut vorbereitete Begründung
des Antrags hat mich nicht davon abbringen können, daß mein erster Eindruck, den ich hatte, als ich den Antrag las, richtig war. Mein erster Eindruck läßt sich in dem Satz zusammenfassen: Blinder Eifer schadet nur.
Hier haben wir einen der typischen Anträge, die Sie in letzter Zeit zur Bildungspolitik so gern stellen, die von mangelnder bildungspolitischer Phantasie und Unklarheit über das, was kommen wird, zeugen — das können Sie sich gar nicht richtig vorstellen — und die außerdem wenig durchdacht sind. Sie kommen mit Dingen, die längst laufen, und wollen sich auf fahrende Züge setzen. Dies ist ein Beispiel dafür. Nun, gut!
Der Antrag geht im übrigen — das hat auch Ihre Begründung klargemacht — von einer falschen Interpretation des Bildungsberichts aus. Dieser Bildungsbericht ist ja noch kein abgeschlossener Bildungsplan. Er enthält ein Gesprächsangebot mit einem Programm an die Länder und für die Länder. Wir werden den Gesamtbildungsplan im nächsten Jahr haben. Dann können wir über diese Dinge ganz konkret sprechen. Im Augenblick sind solche Aktivitäten, wie Sie sie jetzt verlangen, verfrüht. Die Bund-Länder-Kommission arbeitet ja schon.
Sie haben eine ganze Reihe von Seitenzahlen aus dem Bildungsbericht zitiert. Sie haben eine Seite vergessen, die hier wichtig ist, die Seite 68. Dort wird auf die gesonderte Empfehlung des Bildungsrates zur Neugestaltung der Abschlüsse im Sekundarbereich hingewiesen, der sich der Wissenschaftsrat angeschlossen hat, und dort wird gesagt, daß alsbald ausbildungs- und laufbahnrechtliche Konsequenzen zu ziehen seien. Das macht die Bundesregierung. Ihr Antrag ist schon aus diesem Grunde schlicht überflüssig.
Ich werde übrigens den Verdacht nicht los, Frau Dr. Walz, daß diesem Antrag eine, wie ich finde, ganz gefährliche, weil antiquierte, Auffassung von Bildung zugrunde liegt. Wenn Sie zu diesen Dingen Anträge stellen und sprechen, habe ich immer das Gefühl, daß Sie im Grunde Unruhe schüren wollen.
Aber ja! Hier wird Angst gemacht vor akademischem Proletariat, hier wird Angst gemacht vor einer Gymnasiasten-Schwemme, hier wird Angst gemacht davor, daß vielleicht zu viele zu hoch qualifiziert ausgebildet würden.
Diese Angst machen Sie doch ständig, Herr Klepsch.
— Ich denke gar nicht daran, die Kollegin Walz zu beschimpfen, die ich in vieler Weise schätze. Aber im Zusammenhang mit diesem Antrag muß einmal klargemacht werden, wo die Möbel stehen, Herr Klepsch.
4660 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1970
Raffert
Es haben sich schon einmal Leute geirrt, die gemeint haben, der Bauer oder der Knecht, der den Pflug führt, dürfe nicht klüger sein als der Ochse, der ihn zieht.
Sie haben sich sehr geirrt. Inzwischen wissen wir doch, daß nur diejenigen Landwirte, die gut ausgebildet sind, mit den Problemen fertig werden, die ihnen heute der Markt stellt. In ähnlicher Weise werden sich die irren, die solche Anträge stellen wie diesen. Hier liegt tatsächlich eine antiquierte Auffassung von Bildung vor.
Die Vorstellung von Berufsbildern, die sich aus diesem Antrag ablesen läßt, ist ausgesprochen ständisch, ich möchte fast sagen: zünftlerisch bestimmt.
So enge und spezielle Ausbildungen werden wir künftig gar nicht mehr nötig haben. Wir zielen nicht mehr auf Berufsbilder, sondern auf breite Berufsfelder. Wir wollen weniger spezielle Berufsbilder haben als breit angelegte Möglichkeiten.
Sie haben auf das Erlanger Institut hingewiesen. Sie müssen die Aktivitäten dieses Instituts natürlich im Zusammenhang mit dem Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung sehen, das in Berlin existiert. Gerade das, worauf Sie zielten, wird dort mit erledigt werden. Sie müssen auch daran denken, daß die Bundesanstalt die Berufsberatung in breiter Weise ausbaut und insbesondere auf die Gruppe richtet, von der Sie gesprochen haben.
Es ist übrigens typisch für den Antrag, daß der Ältestenrat wie übrigens auch die Regierung der Auffassung war, daß er im Wirtschaftsausschuß, nicht im Wissenschaftsausschuß, federführend behandelt werden müsse. Die Kollegen, die darüber entschieden haben, haben erkannt, daß Sie die Dinge von der Abnehmerseite und nicht von der Seite der Auszubildenden her sehen, und sie haben den Antrag deswegen in diese Richtung gesandt. Wir wissen im übrigen, daß alle Nachfragemodelle unzuverlässig gewesen sind. Das wissen wir ganz genau, darin sind wir einig. Wir wissen auch, daß wir den Umfang der Anforderungen, die aus der Wirtschaft kommen, nicht zuverlässig feststellen können. Die dazu bisher vorliegenden Studien widersprechen sich. Riese spricht von der Möglichkeit, zu viele qualifizierte Menschen zu bekommen, Widmaier spricht davon, daß ein Fehlbedarf entstehen kann. Das läßt sich also nicht übersehen.
Im übrigen möchte ich hier nur noch auf zwei Punkte hinweisen. Ich könnte viele nennen. Es bleiben eine ganze Reihe von offenen Fragen. Wollen Sie z. B. mit Ihrem Punkt c in dem Antrag auf ein neues Berufsbildungsgesetz hinaus? Das müßte es doch wohl sein, wenn Sie solche Konsequenzen ziehen wollen. Oder ist Ihnen nicht klar, daß der Inhalt des Abiturs II anders aussehen wird und muß als der Inhalt des jetzigen Abiturs? Das ist doch selbstverständlich. Dann werden viele Sorgen, die man sich hier macht, gewiß erledigt sein.
Wir werden diesen Antrag auf seinem langen Marsch durch die Ausschüsse mit der gebotenen Skepsis behandeln.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Meine Damen und Herren, es ist beantragt worden, diesen Antrag an einige Ausschüsse zu überweisen. Ich mache darauf aufmerksam, daß der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates durch ein Druckversehen in der Ihnen vorliegenden Tagesordnung nicht richtig wiedergegeben worden ist. Der Vorschlag des Ältestenrates lautet richtig: Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft — federführend — sowie zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Innenausschuß und den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft. Wer diesem Überweisungsvorschlag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Rollmann, Wohlrabe, Dr. Riedl , Dr. Stark (Nürtingen), Vogel, Erhard (Bad Schwalbach) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Herabsetzung des Volljährigkeitsalters und zur Herabsetzung des Ehemündigkeitsalters des Mannes
— Drucksache VI/1410
Zur Begründung der Abgeordnete Rollmann. Haben Sie eine Redezeit angemeldet? Bisher liegt sie mir nicht vor.
Maximal eine Viertelstunde; das hören wir gern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Ausführung des Berliner Programms der CDU legt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion heute ihren Gesetzentwurf zur Herabsetzung des Volljährigkeitsalters von Mann und Frau und zur Herabsetzung des Ehemündigkeitsalters des Mannes vom 21. auf das 18. Lebensjahr vor.
Dieser Gesetzentwurf ist die logische Folge unseres Initiativantrages zur Herabsetzung des Wahlalters, den wir vor einem Jahr gestellt haben und der inzwischen Gesetz geworden ist. Ich habe damals bei der Begründung unseres Antrages gesagt, daß die Neufestsetzung des Wahlalters für dieses Hohe Haus Veranlassung sein sollte, andere Altersgrenzen, z. B. im Zivilrecht, im Familienrecht, im Strafrecht und im Prozeßrecht, zu überprüfen. Diese Überprüfung hat bei den Beratungen über die Herabsetzung des Wahlalters nicht stattgefunden. So haben wir uns denn nun entschlossen, diesen sehr
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1970 4661
Rollmann
konkreten Antrag auf Herabsetzung des Volljährig-
keitsalters und des Ehemündigkeitsalters zu stellen.
So wichtig unsere Initiative zur Herabsetzung des Wahlalters für die Stellung der jungen Generation in unserem demokratischen Staate auch war — inzwischen haben ja nicht nur der Bund, sondern auch alle Länder das Wahlalter herabgesetzt —, dieser Gesetzentwurf zur Herabsetzung des Volljährigkeitsalters, der für fast 2 1/2 Millionen junger Menschen in unserem Lande von Bedeutung ist, ist von ungleich größerer Tragweite für unser ganzes Rechtssystem.
Wenn dieser Entwurf Gesetz wird, endet für unsere jungen Mitbürger die elterliche Gewalt und beginnt die volle Geschäftsfähigkeit nicht mehr mit dem 21., sondern bereits mit dem 18. Lebensjahr. Der junge Mann wird nicht erst mit 21 Jahren, sondern bereits mit 18 Jahren voll ehemündig sein. Unsere 18- bis 21jährigen Mitbürger würden mit der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters auch die volle Testierfähigkeit und die zivilrechtliche Prozeßfähigkeit erlangen. Mit anderen Worten: bei einer Verwirklichung unseres Entwurfs werden in Zukunft bereits unsere 18- bis 21jährigen Mitbürger ohne die Vormundschaft ihrer Eltern voll in eigener Verantwortung ihr Leben gestalten, Verträge schließen und die Ehe eingehen können. So bringt also dieser Gesetzentwurf der jungen Generation in unserem Lande ein Mehr an Freiheit, ein Mehr an Verantwortung. Und so ist dieser Gesetzentwurf — um ein in diesem Jahr vielfach strapaziertes und mißbrauchtes Wort zu benutzen — ein Stück wirklicher Reform, ein Stück Reform unseres Rechtes.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat es sich in ihren Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen mit diesem Entwurf nicht leichtgemacht. Mir persönlich schwebte eine weitergehende Herabsetzung von Altersgrenzen auf das 18. Lebensjahr vor, als es in diesem Entwurf zum Ausdruck kommt. Unsere Fraktion wollte ihre Initiative erst einmal auf jene Altersgrenze beschränken, die dieser Entwurf zum Inhalt hat. Das schließt im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eine Überprüfung und Neuf estsetzung anderer Altersgrenzen nicht aus, sondern fordert sie geradezu heraus.
Dieses Parlament kommt nicht mehr umhin, unter den Gesichtspunkten der Gegenwart und der Zukunft alle Altersgrenzen im deutschen Recht auf ihre fortdauernde Berechtigung zu wägen. Es wäre wünschenswert, wenn die Altersgrenzen in ganz Europa neu gestaltet werden könnten, aber wie anderswo, so läßt Europa auch hier allzulange auf sich warten. So können wir nur hier in unserem Lande vorangehen und damit vielleicht auch dem übrigen Europa einen Anstoß zu einer Reform der rechtlichen Altersgrenzen geben. An unserem Willen zur Gemeinsamkeit wird es dann nicht fehlen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat in ihren Gremien die Argumente sorgfältig erwogen, die für oder gegen dieses oder jenes Volljährigkeitsalter sprechen. Wir haben viele Meinungsäußerungen aus der Bevölkerung, aus der Wissenschaft und aus der jungen Generation selbst bekommen oder herangezogen und bei unseren Beratungen berücksichtigt. Wenn wir uns einstimmig für die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters vom 21. auf das 18. Lebensjahr ausgesprochen haben, dann vornehmlich aus diesen Gründen:
1. Seit 1875 gilt im Deutschen Reich das Volljährigkeitsalter von 21 Jahren. Seitdem haben sich Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Familie in unserem Lande entscheidend gewandelt. Die junge Generation emanzipiert sich zunehmend. Das Volljährigkeitsalter von 21 Jahren wird dieser Emanzipation immer weniger gerecht.
2. Unsere 18- bis 21jährigen Mitbürger bestreiten zu mehr als 70 bis 80 Prozent ihren Lebnsunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit überwiegend selbst und verfügen praktisch frei über ihr Arbeitseinkommen. Sie werden im Berufs- und im Wirtschaftsleben als voll geschäftsfähig angesehen, ohne es rechtlich zu sein.
3. In unserer Lebens- und Rechtsordnung nehmen unsere 18- bis 21jährigen Mitbürger bereits umfangreiche Pflichten wahr, z. B. im Beruf, in der Bundeswehr, bei Wahlen. Sie können zivil- und strafrechtlich voll zur Verantwortung gezogen werden. Es ist nicht mehr einzusehen, warum ihnen nur noch die Volljährigkeit vorenthalten wird und sie nur eine genauso beschränkte Geschäftsfähigkeit haben wie die 7- bis 17jährigen Kinder und Jugendlichen.
4. Wir wissen aus dem Hearing des Innenausschusses des Deutschen Bundestages zur Herabsetzung des Wahlalters, daß der Grad der politischen Reife der 18- bis 21jährigen sich nicht meßbar von dem der 21- bis 23jährigen unterscheidet. Das gleiche dürfen wir auch für ihre Fähigkeit annehmen, als Volljährige ihr Leben in eigener Verantwortung zu gestalten.
5. Bei der Herabsetzung des Wahlalters vom 21. auf das 18. Lebensjahr war doch sicherlich dieses nicht gewollt: der unmündige, der noch nicht volljährige Wähler. Die unausbleibliche Konsequenz der Herabsetzung des Wahlalters ist die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters.
Das sind einige der Gründe, die die CDU/CSU-Bundestagsfraktion veranlaßt haben, diesen Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag einzubringen. Wenn wir auch die Ehemündigkeit des Mannes auf das 18. Lebensjahr herabsetzen wollen, dann vornehmlich aus dem Grunde, daß unserer Auffassung nach Volljährigkeit und Ehemündigkeit zusammengehören und zusammenbleiben müssen. Es ist das Ziel unseres Gesetzentwurfes, zur weiteren Vereinheitlichung der Altersgrenzen beim 18. Lebensjahr beizutragen. Das vollendete 18. Lebensjahr soll nach unserer Auffassung die entscheidende Altersgrenze in unserem Rechtssystem werden.
Die kürzlich erst in unser Grundgesetz eingefügte Bindung des passiven Wahlalters an das Volljährigkeitsalter des BGB sehe ich schon systematisch als einen Fehler an, der schnell wieder korrigiert werden muß. Auf jeden Fall ist es nicht unsere
4662 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1970
Rollmann
Meinung, daß bei einer Herabsetzung des Volljährigkeitsalters auf das 18. Lebensjahr auch das passive Wahlalter bereits mit dem 18. Lebensjahr beginnen soll.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist davon überzeugt, daß sich die heute noch so umstrittene Herabsetzung des Volljährigkeitsalters genauso bewähren wird wie die einstmals so umstrittene Herabsetzung des aktiven Wahlalters. Die Herabsetzung des Wahlalters hat sich bei den letzten Landtagswahlen in der Absage gerade unserer 18- bis 21jährigen Mitbürger an die radikalen Parteien der Rechten und der Linken und in ihrer Stimmabgabe für die demokratischen Parteien der Mitte ausgedrückt.
Unsere Initiative zur Herabsetzung des Volljährigkeitsalters findet die Zustimmung der jungen Generation in unserem Lande. Der Deutsche Bundesjugendring hat sich auf eine Rundfrage des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit gerade erst kürzlich für eine Herabsetzung des Volljährigkeitsalters auf das 18. Lebensjahr ausgesprochen. Unser Gesetzentwurf ist somit ein Stück Rechts- und Jugendpolitik zugleich. Die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters wird nach unserer Überzeugung die Verantwortung unserer jungen Mitbürger für ihr eigenes Leben und für unsere Gesellschaft stärken.
Das Wort hat der Abgeordnete Metzger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rollmann hat bereits darauf hingewiesen, daß wir uns bei der Beratung und bei der Beschlußfassung über die Herabsetzung des Wahlalters darüber im klaren waren, daß wir uns in absehbarer Zeit auch mit dem Problem der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters zu befassen haben. Das wurde besonders deutlich bei dem Hearing, das der Rechtsausschuß und der Innenausschuß Anfang dieses Jahres durchgeführt haben. Das war auch der Grund, Herr Kollege Rollmann, daß wir das passive Wahlalter nicht an eine bestimmte Altersgrenze gekoppelt haben, sondern daß wir es an das Volljährigkeitsalter gebunden haben.
Ich frage mich, warum Ihre Mitglieder im Rechtsausschuß und auch die Vertreter der CDU/CSU-Fraktion im Plenum einer solchen Regelung zugestimmt haben, wenn Sie heute hier erklären, daß diese Regelung überprüft werden müsse.
Wir waren uns aber auch darüber im klaren, daß die unterschiedliche Bedeutung des Problems der Herabsetzung des Wahlalters und der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters hier einer eingehenderen Prüfung bedarf. Das war auch der Grund, aus dem wir die beiden Probleme nicht gemeinsam angesprochen, nicht gemeinsam beraten haben, aus dem wir
dieses zweite Problem für eine umfassendere, eingehendere Beratung zurückgestellt haben.
Wir sind uns auch darüber im klaren, daß die Rechtsfolgen einer Herabsetzung des Volljährigkeitsalters sehr eingehend geprüft werden müssen, daß unter Umständen auch hierzu ein Hearing durchgeführt werden muß.
Bei der Überlegung, ob und in welchem Umfang ein Minderjähriger die volle Geschäftsfähigkeit, die Volljährigkeit erhalten soll, gibt es nach meiner Auffassung zwei mögliche Ausgangspunkte. Nach § 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs erhält der Mensch mit der Vollendung der Geburt die volle Rechtsfähigkeit. Nach der einen Auffassung in unserer Rechtslehre stehen ihm damit gleichzeitig auch alle Rechte zu, die es ihm ermöglichen, frei zu handeln, sich frei zu entscheiden, und in Anlehnung an Art. 2 Abs. 1 GG hat er damit auch die Möglichkeit und das Recht, sich völlig frei zu entfalten. Die Einschränkung dieser umfassenden Rechtsposition erfolgt durch die Rechtsordnung selbst. Diese Rechtsordnung muß dann in den einzelnen Fällen prüfen, ob und warum diese Einschränkung erfolgt. Es geht also, wenn wir uns dieser Auffassung anschließen sollten, um die Frage, ob es stichhaltige Gründe gibt, die Einschränkungen der Geschäftsfähigkeit bis zum 21. Lebensjahr bestehen zu lassen, oder ob es nicht Gründe gibt, die Dauer dieser Einschränkung zurückzuverlegen auf das 18. Lebensjahr.
Es gibt eine zweite Auffassung, und dieser Auffassung entspricht auch unsere gesetzliche Regelung. Nach dieser Auffassung erwirbt der Mensch zwar mit der Vollendung der Geburt die volle Geschäftsfähigkeit, ihm werden aber die einzelnen konkreten Rechte erst mit der fortschreitenden Handlungsfähigkeit, mit der fortschreitenden Einsichtsfähigkeit und auch mit der fortschreitenden Erfahrung zugebilligt. Er wird im Laufe seiner Entwicklung mit diesen Rechten ausgestattet. Hier erhebt sich die Frage: Gibt es stichhaltige Gründe, die Zubilligung der vollen Geschäftsfähigkeit erst mit dem 21. Lebensjahr oder bereits mit der Vollendung des 18. Lebensjahres vorzunehmen?
Ich sagte bereits, daß unser Gesetz die zweite Auffassung stützt und daß nach unserer Rechtsordnung, vor allen Dingen auch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, der Minderjährige mit der Zunahme der Handlungsfähigkeit und auch mit der fortschreitenden Einsichtsfähigkeit in zunehmendem Maße Rechtspositionen verliehen bekommt.
Dafür gibt es eine Reihe Beispiele. Mit dem siebenten Lebensjahr erhält der Minderjährige bereits die beschränkte Geschäftsfähigkeit und auch die beschränkte Deliktsfähigkeit. Mit dem 14. Lebensjahr kann er sich frei entscheiden, welches religiöse Bekenntnis er wählen will. Mit dem 14. Lebensjahr beginnt auch die Straffähigkeit des Menschen, zunächst noch unter dem Jugendrecht. Mit dem 16. Lebensjahr beginnt die Ehemündigkeit der Frau. Auch die beschränkte Testierfähigkeit ist mit dem 16. Lebensjahr gegeben und andere Rechte mehr. Mit dem 18. Lebensjahr hat der Minderjährige bereits die unbeschränkte Deliktsfähigkeit; mit dem 18. Lebens-
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jahr kann er bereits voll in Anspruch genommen werden. Mit dem 18. Lebensjahr beginnt auch die volle Strafmündigkeit. Er hat zwar noch die Möglichkeit, als Heranwachsender bestraft zu werden, aber immerhin ist auch die Möglichkeit gegeben, ihn bereits als Erwachsenen zu behandeln, ihn voll zu bestrafen. Weiterhin haben wir, wie auch hier schon erwähnt worden ist, jetzt festgelegt, daß dem Minderjährigen mit dem 18. Lebensjahr das volle aktive Wahlrecht zusteht.
Hieraus wird ersichtlich, daß das 18. Lebensjahr auch nach unserer bisherigen Rechtsordnung schon eine entscheidende Rolle spielt, also nicht erst nach der Herabsetzung des aktiven Wahlalters. Wir sollten uns überlegen, ob nicht auch bei anderen Sachverhalten eine andere rechtliche Bewertung im Hinblick auf die Minderjährigen möglich ist.
Wir begrüßen es deshalb, daß diese Diskussion jetzt geführt wird. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt auch im Grundsatz der Regelung zu, die jetzt durch den Antrag der CDU/CSU-Fraktion angestrebt wird.
Gleichwohl, meine .sehr geehrten Damen und Herren, möchte ich auf drei mir sehr wichtig erscheinende Probleme hinweisen, die wir im Zusammenhang mit der Beratung dieses Antrags wohl überlegen sollten.
Das erste Problem ist das des Schutzes der Betroffenen, der Menschen zwischen 18 und 21 Jahren, denen nun die Volljährigkeit zuwachsen soll. Wir wissen alle, daß dieser Schutz im Hinblick auf die besondere Bedeutung und auch das besondere Risiko unseres Rechtslebens sehr wohl überlegt werden sollte.
In unserer Rechtsordnung gibt es bereits heute Bestimmungen, die nicht nur den Minderjährigen, sondern auch den Erwachsenen — gerade auch bei Rechtsgeschäften schützen. Ich erinnere an Grundstücksverkehrsgeschäfte, an das Schenkungsversprechen, an das Schuldanerkenntnis, an das Schuldversprechen, an den Ehevertrag oder an das Anerkenntnis der Vaterschaft; das sind alles Rechtsgeschäfte, die unter einen besonderen Schutz dadurch gestellt worden sind, daß an sie besonders strenge Formvorschriften geknüpft worden sind. Hier geht es um den Schutz des Volljährigen. Man will den Volljährigen vor übereilten Rechtshandlungen schützen.
Die Frage ist, ob wir bei denjenigen, die die Volljährigkeit erhalten sollen, bei den 18- bis 21jährigen, über den bereits bestehenden Schutz hinaus unter Umständen noch weitergehende Schutzvorschriften einbauen sollen.
Ich erinnere auch an die Diskussion über das Abzahlungsgesetz, das wir demnächst hier im Bundestag behandeln werden. Auch hier überlegen wir uns, ob wir nicht einen zusätzlichen Schutz einbauen sollen. Hier soll sogar die Möglichkeit gegeben werden, einen bereits abgeschlossenen Vertrag innerhalb einer bestimmten Frist wieder aufzulösen, nämlich dann, wenn dieser Vertrag an der Haustür abgeschlossen worden ist. Auch hier wird die Unerfahrenheit berücksichtigt. Auf Grund dieser Unerfahrenheit wird ein differenzierter Rechtsschutz gewährt.
Bei Rechtshandlungen, die Erwachsene in Vertretung von Minderjährigen vornehmen, sind auch bestimmte Kautelen eingebaut, um den Schutz des Jugendlichen in besonderer Weise zu gewährleisten. Ich erinnere an den § 1643 und an die Bestimmungen der §§ 1821 und 1822 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Auch hier müssen die Inhaber der elterlichen Gewalt — die Eltern selbst oder auch der Vormund — bei bestimmten Rechtsgeschäften die Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes einholen; dadurch soll der Schutz des Minderjährigen in besonderer Weise gewährleistet werden.
Wir sollten uns deshalb sehr wohl überlegen, ob wir nicht bei der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters eine gewisse Differenzierung des Schutzes für die betroffene Gruppe selbst vornehmen.
Es gibt noch ein zweites Problem; auch hierauf hat Herr Kollege Rollmann bereits hingewiesen. Mit dem Eintritt der Volljährigkeit endet die elterliche Gewalt, endet auch das Gewaltverhältnis eines Vormundes. Wir sollten deshalb ruhig die Frage diskutieren, ob die zweifellos vorhandenen Spannungen zwischen der älteren und der jüngeren Generation und gerade auch die Spannungen zwischen den Jugendlichen und den Eltern durch eine solche Maßnahme nicht erhöht werden. Ich will nicht sagen, daß es unbedingt zwingend ist, hier zu einer anderen Lösung zu kommen. Aber zumindest sollten wir im Rahmen der Beratungen auch dieses Problem beachten.
Ein drittes Problem, das nach meiner Auffassung im Zusammenhang mit der Diskussion über die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters bedacht werden muß, ist die Frage des Zusammenhangs der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters und der Bewertung strafbarer Handlungen bei den 18- bis 21jährigen. Ich bin mir darüber im klaren, daß es sich um unterschiedliche Rechtskreise, um unterschiedliche Rechtsprobleme handelt, die nicht notwendigerweise in einem Zusammenhang stehen müssen; aber es bestehen doch Berührungspunkte, deren Wechselwirkungen wir eingehend erörtern sollten.
Wenn wir uns mit der Frage der Herabsetzung des Alters der Ehemündigkeit des Mannes beschäftigen — diese Ehemündigkeit würde dann mit dem Eintritt der Volljährigkeit zusammenfallen; das wurde auch von dem Kollegen Rollmann gefordert —, sollten wir ruhig auch die Frage prüfen, ob es nicht angebracht wäre, die Ehemündigkeit der Frau auf das gleiche Alter festzusetzen, sie eben auch mit der Volljährigkeit zusammenfallen zu lassen. Das würde eine Anhebung des Alters für den Eintritt der Ehemündigkeit bei der Frau bedeuten.
Noch einige Bemerkungen zu dem Verfahren selbst. Herr Kollege Rollmann, Sie haben diese Initiative der CDU/CSU-Fraktion herausgestellt. Diese Initiative ist zweifellos anzuerkennen. Aber immerhin, meine Damen und Herren, hat Ihre Fraktion, die fünf Legislaturperioden lang die Politik in diesem Hause bestimmt und auch die Regierung
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gestellt hat, fünf Legislaturperioden oder 20 Jahre benötigt, um diesen Antrag hier vorzulegen.
Herr Kollege Metzger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rollmann?
Bitte!
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß die Sozialdemokratische Partei auch bereits seit 21 Jahren im Bundestag vertreten ist und hier Anträge stellen konnte?
Natürlich konnte sie Anträge stellen. Wir sollten doch aber nicht übersehen, daß Sie als die Partei, die die Regierung stellte, die Möglichkeit gehabt hätten, einen solchen Gesetzentwurf einzubringen und auch zu verabschieden.
Herr Kollege Rollmann, wir sollten doch auch sehen, daß diese begrüßenswerte Initiative, gesellschaftspolitische Reformen durchzuführen, leider nur auf ganz kleine Bereiche beschränkt ist. Solche Initiativen werden immer nur innerhalb ganz enger Grenzen entwickelt.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, es entbehrt auch nicht einer gewissen Pikanterie, daß bei der Diskussion über die Herabsetzung des Wahlalters und auch bei der Diskussion über die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters — das spielte ja auch bei der ersten Frage eine 'Rolle — eine ganze Reihe Ihrer Fraktionskollegen erhebliche Bedenken geltend machten und sich auch im Ausschuß selbst gegen eine solche Regelung aussprachen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein, ich möchte jetzt zu Ende kommen.
Ich möchte noch auf zwei Tatsachen hinweisen. Diese Bundesregierung hat schon im Herbst des vergangenen Jahres, kurz nach der Bildung der sozial-liberalen Koalition, die Initiative auch in dieser Frage ergriffen. Bundesjustizminister Jahn hat auf einer Sitzung der Beratenden Versammlung des Europarates in Straßburg am 23. Januar 1970 bereits sehr eingehend zu dieser Frage Stellung genommen. Er hat dort ausgeführt,
daß die Bundesregierung beabsichtigt, im Zusammenhang mit der Herabsetzung des aktiven Wahlalters auf 18 Jahre auch die Frage des Volljährigkeitsalters zur Diskussion zu stellen. Er hat dort vor der Beratenden Versammlung allerdings auch ausgeführt, daß die Bundesregierung bisher noch keine Schritte in die Wege geleitet habe, die zu einer Änderung dieser Altersgrenze im nationalen Bereich führen könnten. Minister Jahn sagte dazu:
Sie ist der Auffassung, daß bei der zunehmenden Verflechtung der europäischen Staaten auf allen Gebieten eine möglichst einheitliche Regelung dieser Altersgrenze, wie sie ja auch bisher weitgehend bestand, für das Rechts- und Wirtschaftsleben in Europa von erheblicher praktischer Bedeutung wäre. Die Bundesregierung begrüßt es daher lebhaft, daß auf Grund der von der Beratenden Versammlung ausgesprochenen Empfehlung das Ministerkomitee beschlossen hat, dieses Thema in das Arbeitsgrogramm aufzunehmen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, wir bedauern es etwas, daß Sie mit diesem Gesetzentwurf hier vorgeprellt sind.
und daß es auf diese Weise nicht möglich ist, zu einer einheitlichen Regelung im westeuropäischen Raum zu kommen.
Wir wollen nicht so weit gehen, anzunehmen, daß Sie hier unseren östlichen Nachbarn, die ja auf diesem Gebiet schon wesentlich weiter fortgeschritten sind, eine Vorleistung erbringen wollen.
Ich möchte hier noch auf eine zweite Tatsache hinweisen. Herr Kollege Rollmann, Sie haben bereits erwähnt, daß das Bundesfamilienministerium schon Anfang dieses Jahres eine Befragungsaktion bei den mit Jugendfragen befaßten Behörden und Verbänden durchgeführt hat. Wir werden im Verlauf der Beratungen in den beiden Ausschüssen das Ergebnis dieser Befragungsaktion kennenlernen und uns mit ihm auseinandersetzen.
Abschließend möchte ich noch einmal betonen, daß wir den Gesetzentwurf dem Grundsatz nach befürworten und daß wir der Überweisung des Entwurfs an die zuständigen Ausschüsse, an den Rechtsausschuß und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zustimmen.
Herr Kollege Metzger, das Haus gratuliert Ihnen zu Ihrer Jungfernrede.
Man muß das, glaube ich, extra erwähnen, denn
Sie haben das Rednerpult sehr souverän beherrscht.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese ruhigen Freitagvormittage zeichnen sich — so auch wieder — dadurch aus, daß man nicht so recht sieht, wie die Grenzen im Hause verlaufen. Mittwochs morgens ist das meist ganz anders.
So hat Herr Rollmann soeben für die Fraktion, die, wie eben Herr Metzger schon richtig gesagt hat, bei der kürzlichen Herabsetzung des aktiven Wahlalters doch recht zahlreiche retardierende Kräfte freigesetzt hat, hier etwas besonders Progressives vortragen dürfen. Nämlich den Antrag, nachdem man A gesagt hat, nun auch B zu sagen und — was allerdings weitgehend als sachlogisch anzusehen ist — dem ersten Schritt den zweiten folgen zu lassen und zur Herabsetzung des Volljährigkeitsalters auf 18 Jahre zu kommen.
Daß Sie bei dieser Gelegenheit, Herr Kollege Rollmann, gleich auch noch das Verdienst mit nachziehen wollten, Sie seien in der Frage der Herabsetzung des Wahlalters, von allem anderen abgesehen, die ersten gewesen, muß ich — wen würde das bei der Praktik in diesem Hause verwundern? — doch unter Hinweis auf Debatten in der 5. Legislaturperiode des Bundestages zurückweisen, in denen wir gegen Ihren Widerstand mit diesem Vorschlag nicht durchdringen konnten.
— In der 6. waren Sie die ersten; ja, wenn wir so kompliziert zu zählen anfangen, müssen wir das nach Jahren und Monaten untergliedern. Das würde schrecklich, selbst für die Archivkünstler, die hier gar nicht so selten sind. Ich bin überzeugt, daß diese Unterscheidung doch zu erheblichen Schwierigkeiten führen würde.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klepsch?
Bitte sehr, Herr Klepsch!
Da es in Ihrem Beitrag nur noch um das Erstgeburtsrecht geht, darf ich Sie fragen, ob Ihnen vielleicht bekannt ist, daß der Deutschlandtag der Jungen Union bereits im Jahre 1962 diesen Vorschlag nach einer eingehenden Diskussion gemacht hat
und daß die CDU nach einer eingehenden internen Debatte im Jahre 1968 auf dem Berliner Parteitag den entsprechenden Beschluß gefaßt hat?
Herr Klepsch, ich weiß es jetzt nicht ganz genau; aber wenn der Deutschlandtag der Jungen Union das 1962 vorgeschlagen hat, dann hat die Delegiertenversammlung des Liberalen Studentenbundes das bestimmt schon 1952 getan.
Mit den Jugendorganisationen ist das immer so eine Sache; das wissen Sie doch auch. Bis man sich von da erst einmal hierher durchgearbeitet hat!
Bleiben wir also bei dem, was hier im Hause gewesen ist. Das Wichtige scheint mir zu sein — es ist hier schon angeklungen —: Wir tun einen Schritt, der sich auf viel mehr einzelne Lebensverhältnisse auswirkt, die wir zum Teil jetzt nicht voll übersehen, als das bei der punktuellen, gezielten Maßnahme der Herabsetzung des Wahlalters der Fall war. Herr Kollege Metzger hat auf einige Bedenken in diesem Zusammenhang aufmerksam gemacht. Auch ich glaube, daß den 18- bis 21jährigen hier ganz anders als bei dem vorangegangenen Schritt nicht nur Rechte übertragen werden, sondern in teilweise besorgniserregendem Maße auch Pflichten zuwachsen müssen.
Wenn ich an einige typische Delikte von Heranwachsenden denke, dann fällt mir z. B. der Gebrauchsdiebstahl von Kraftfahrzeugen ein. Ohne weiteren Untersuchungen vorzugreifen, glaube ich sagen zu können, daß eine besondere typische Unbesonnenheit von 18- bis 21jährigen sein dürfte, sich in Abzahlungsverträge gerade über Kraftfahrzeuge zu verstricken, die diese in erheblichem Maß belasten. Mit dieser Frage hat man sich schon in der Vergangenheit, wenn auch mit unbefriedigenden Ergebnissen, befaßt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß das Abzahlungsgesetz durch eine Novelle gerade im Hinblick auf das Rücktrittsrecht des Käufers — also auch des 18- bis 21jährigen — geändert werden soll und daß sowohl der Rechtsausschuß als auch der Wirtschaftsausschuß noch in diesem Jahr darüber beraten?
Ich glaube, dieser Einwand trifft nicht zu. Herr Kollege, mir ist das voll und ganz bekannt, was Sie anschneiden. Ich weiß aber nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß sich das Rücktrittsrecht, das vorgesehen ist und über dessen klare Ausformung noch nichts Endgültiges bekannt ist, keineswegs auf Verträge erstrecken wird, die in den Räumen des Verkäufers abgeschlossen werden. Ich habe eben auf einen Fall angespielt, in dem alterstypisch die Versuchung besteht, sehr schwerwiegende Verträge abzuschließen, ohne dabei die Folgen zu bedenken. Der Kraftfahrzeugkauf auf Raten würde nach den jetzt vorliegenden Novellierungsvorschlägen nicht widerrufbar sein, sofern der Jugendliche nur das Geschäft des Verkäufers zu diesem Zweck aufsucht. Trotzdem habe ich Bedenken, daß solche Verträge leichtfertig abgeschlossen werden könnten. Ihre Frage geht insofern etwas an der Sache vorbei.
Ich wollte nur ein Beispiel für eine Vielzahl von Fällen geben, in denen im Hinblick auf alterstypische Situationen vielleicht doch Schutzvorschriften angebracht wären. Ich meine, gleichgültig, wie wir uns dazu im einzelnen stellen werden, das Entscheidende ist, daß damit, wenn es zu dieser Regelung kommen sollte, genauso wie mit der Herab-
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Kleinert
Setzung des Wahlalters, ein Angebot an den betroffenen Personenkreis gemacht wird und es dann Sache dieses Personenkreises sein wird, was er aus diesem Angebot macht. Die Erfahrungen mit der Herabsetzung des Wahlalters sind vom Ergebnis her, soweit es diejenigen betrifft, die tatsächlich gewählt haben, ermutigend. Sie sind nicht so sehr ermutigend, wenn man, was vielleicht nach dem ersten Versuch noch nicht so recht stichhaltig sein mag, betrachtet, in welchem Umfang von der Möglichkeit Gebrauch gemacht worden ist; denn das haben bedauerlicherweise nur wenige getan.
In diesem Fall besteht für die Betroffenen eine Wahlmöglichkeit nicht mehr, sondern jeder hat sich den Verpflichtungen, die wir ihm mit der Novellierung unter Umständen auferlegen, zu stellen. Wir müssen uns darüber klar sein, daß sich nicht nur der einzelne, dem wir jetzt ungleich viel mehr Zutrauen als vorher entgegenbringen, der Verantwortung zu stellen hat, sondern daß auch wir uns der Verantwortung stellen müssen.
Wir wollen versuchen, das bei unseren Beratungen gebührend zu berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Nach dem Vorschlag des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf an den Rechtsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — mitberatend — überwiesen werden. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe jetzt noch den Zusatzpunkt auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes
— Drucksache VI/1432 —
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt.
Nach dem Vorschlag des Ältestenrates soll der Entwurf an den Verteidigungsausschuß — federführend —, den Innenausschuß — mitberatend —und den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Meine Damen und Herren, damit weicht der Ältestenrat ausnahmsweise, aber einstimmig von der Regel ab, daß derjenige Ausschuß federführend sein soll, der zu dem Ressort korrespondiert. Das wäre in diesem Fall der Innenausschuß. Wir sind uns aber einig darüber, daß hier ausnahmsweise anders verfahren werden soll.
Wer diesem Vorschlag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit beschlossen.
Damit, meine Herren und Damen, sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe das Haus ein auf Mittwoch, den 9. Dezember, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.