Protokoll:
6079

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 6

  • date_rangeSitzungsnummer: 79

  • date_rangeDatum: 12. November 1970

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 14:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:03 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 79. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 12. November 1970 Inhalt: Fragestunde (Drucksache VI/1386) Fragen des Abg. Hussing (CDU/CSU) : Betreuung der Gastarbeiter und ihr Verhältnis zu den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland Ahlers, Staatssekretär 4457 B, 4458 D, 4459 A, B Hussing (CDU/CSU) 4458 C, D Dr. Fuchs (CDU/CSU) 4459 A Schmidt (Braunschweig) (SPD) . . 4459 B Frage des Abg. von Bockelberg (CDU/CSU) : Mehrarbeit durch Berichtigung von Umsatzsteuerbescheiden Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 4459 C Fragen des Abg. Dr. Ahrens (SPD) : Verringerung der Gemeindefinanzmasse durch strukturelle Belastungen der Gemeindehaushalte Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär 4460 A, B Dr. Ahrens (SPD) . . . . . . 4460 B Fragen des Abg. Schröder (Wilhelminenhof) (CDU/CSU) : Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EWG durch unterschiedliche Belastungen mit Grundsteuern Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 4460 C, 4461 A, B, C, D, 4462 A Schröder (Wilhelminenhof) (CDU/CSU) 4461 A, B, C Ott (CDU/CSU) . . . . . . . 4461 C Dr. Ahrens (SPD) . . . . . . 4461 D Fragen des Abg. van Delden (CDU/CSU) : Verzicht auf Ausnahmen im EG-Zollpräferenzangebot für Entwicklungsländer Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär . 4462 B, C, D, 4463 A van Delden (CDU/CSU) . . . . 4462 C, D, 4463 A Fragen des Abg. Pohlmann (CDU/CSU) : Schutz der Berufsbezeichnung des staatlich geprüften Technikers — Anerken- II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1970 nung des staatlich geprüften deutschen Technikers im EWG-Raum Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 4463 B, C Pohlmann (CDU/CSU) 4463 C Fragen des Abg. Seiters (CDU/CSU) : Dumpingmethoden durch von Zollpräferenzen der EWG begünstigte Länder auf dem deutschen Markt Seiters (CDU/CSU) . . . 4463 D, 4464 A Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 4463 D, 4464 A, B Dr. Fuchs (CDU/CSU) 4464 B Fragen des Abg. Ott (CDU/CSU) : Auswirkungen der Zollpräferenzen der EWG auf die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär . . 4464 C, D, 4465 A, B Ott (CDU/CSU) . . . 4464 D, 4465 B, C van Delden (CDU/CSU) 4465 A Fragen des Abg. Schmidt (München) (SPD) Ausbildungsförderung der Schüler von Abendgymnasien und Kollegs bei auswärtiger Unterbringung Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 4465 D, 4466 B, C Schmidt (München) (SPD) . . . . 4466 B, C Fragen des Abg. von Alten-Nordheim (CDU/CSU) : Verbreitung pornographischer Erzeugnisse durch ausländische Firmen in der Bundesrepublik Deutschland Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 4466 D, 4467 A, B, C von Alten-Nordheim (CDU/CSU) . 4467 A, C Frage des Abg. Weigl (CDU/CSU) : Förderung des Politischen • Arbeitskreises Oberschulen mit öffentlichen Mitteln Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 4467 D, 4468 A, B Weigl (CDU/CSU) 4468 A, B Hansen (SPD) 4468 B Fragen des Abg. Pfeifer (CDU/CSU) : Förderung der Schüler von Berufsfachschulen Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär 4468 C, D, 4469 A, B Pfeifer (CDU/CSU) . . . 4468 D, 4469 A Frage des Abg. Hansen (SPD) : Schulische Betreuung der Gastarbeiterkinder Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 4469 C Frage des Abg. Breidbach (CDU/CSU) : Projekt des Forschungssatelliten AZUR Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 4469 D, 4470 A Breidbach (CDU/CSU) . . 4469 D, 4470 A Fragen des Abg. Flämig (SPD) : Beteiligung an dem Internationalen Institut für das Management der Technologie Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . 4470 B, C, D Flämig (SPD) 4470 C Fragen des Abg. Lenzer (CDU/CSU) : Unterstützung der Frankfurter Urangesellschaft mbH durch die Bundesregierung bei der Ausbeutung der Uranvorkommen in Namibia — Pressemeldungen betr. Verhandlungen deutscher Firmen über die Anreicherung von Natururan im Lohnverfahren durch die Sowjetunion Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 4470 B, 4471 C Lenzer (CDU/CSU) . . . . . . 4471C Nächste Sitzung 4471 C Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 4473 A Anlagen 2 und 3 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen der Abg. Dr. Gruhl (CDU/CSU) und Biechele (CDU/CSU) betr. Besteuerung der Beamtenpensionen 4473 B Anlage 4 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Dr. Arnold (CDU/CSU) betr. Verbesserung der Lage der Patienten in den Kliniken 4473 D Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1970 4457 79. Sitzung Bonn, den 12. November 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 14.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Beurlaubungen Dr. Achenbach 13. 11. Dr. Aigner * 12. 11. Dr. Arndt (Berlin) 13. 11. Berendt * 12. 11. Blumenfeld 13. 11. Dr. Dollinger 13. 11. Dr. Erhard 12. 11. Faller * 13. 11. Dr. Giulini 13. 11. Dr. Götz 30. 11. Dr. Hallstein 13. 11. Dr. Hein 13. 11. Heyen 31. 12. Dr. Huys 13. 11. Dr. Jaeger 31. 12. Dr. Jungmann 31. 1. 1971 Dr. Kiesinger 13. 11. Dr. Koch * 13. 11. Frau Krappe 14. 11. Dr. Kreile 13. 11. Kriedemann * 13. 11. Lange * 13. 11. Lautenschlager * 12. 11. Matthöfer 13.11. Meister * 13. 11. Dr. Pohle 13. 11. Dr. Schmid (Frankfurt) 13. 11. Schwabe 12. 11. Schulhoff 12. 11. Stein (Honrath) 12. 11. Steiner 13. 11. Anlage 2 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl vom 12. November 1970 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Gruhl (CDU/CSU) (Drucksache VI/1386 Frage A 32) : Wie beurteilt die Bundesregierung die Feststellung in dem von den Herren Prof. Dr. Rupp, Assessor Dr. von Zezschwitz und Assessor Dr. von Olshausen erstatteten Gutachten, wonach die Besteuerung der Beamtenpensionen nicht verfassungskonform ist? Die Anfrage bezieht sich nicht auf die Besteuerung der Beamtenbesoldung schlechthin, sondern auf die der Beamtenpensionen, wie die Bezugnahme auf das von Prof. Dr. Rupp, Dr. von Zezschwitz und Dr. von Olshausen im Auftrag des Bundes der Ruhestandsbeamten und Hinterbliebenen im Juni 1970 erstattete Rechtsgutachten zeigt. Nach geltendem Recht werden die Sozialrenten gemäß § 22 EStG nur mit dem sogen. Ertragsanteil besteuert, der z. B. 20 v. H. beträgt, wenn der Ren- Anlagen zum Stenographischen Bericht tenberechtigte bei Rentenbeginn das 65. Lebensjahr vollendet hat. Demgegenüber werden Beamtenpensionen gemäß § 19 EStG voll unter Abzug eines Freibetrags in Höhe von 25 v. H. der Bezüge, höchstens jedoch insgesamt 2400 DM jährlich besteuert. Die genannten Gutachter halten diese unterschiedliche Behandlung für verfassungswidrig. Im Gegensatz zu dieser Rechtsansicht ist die Rechtsprechung auch des Bundesfinanzhofs bisher davon ausgegangen, daß die geltende Regelung verfassungsrechtlich unbedenklich und auch systematisch geboten sei. Die Bundesregierung teilt die Auffassung der Rechtsprechung. Gleichwohl wird das Problem im Rahmen der Steuerreform umfassend geprüft werden. Die Bundesregierung erwartet dazu jedoch zunächst die Stellungnahme der Steuerreform-Kommission, die Ende dieses Jahres vorliegen soll. Anlage 3 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl vom 12. November 1970 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Biechele (CDU/CSU) (Drucksache VI/1386 Frage A 33) : Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, daß eine Änderung der geltenden Bestimmungen über die Besteuerung der Beamtenpensionen, sofern diese ganz oder teilweise verfassungswidrig sind, nicht bis zur Durchführung der Steuerreform zurückgestellt werden können, da letztere in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden wird und es nicht angeht, die verfassungsmäßigen Rechte der Betroffenen so lange zu mißachten? In der Antwort auf die Mündliche Anfrage des Kollegen Dr. Gruhl wurde soeben ausgeführt, daß die Bundesregierung die derzeitige Regelung der Besteuerung der Beamtenpensionen im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung für verfassungskonform hält. Es kann also keine Rede von einer Mißachtung der verfassungsmäßigen Rechte der Betroffenen sein, wenn die Harmonisierung der Altersbesteuerung erst im Zuge der geplanten Steuerreform erfolgt. Eine sofortige Neuregelung ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten. Sie erscheint auch nicht zweckmäßig, weil es sich um einen vielschichtigen Problemkreis handelt, der zahlreiche andere Teilgebiete des Einkommensteuerrechts berührt. Eine befriedigende Lösung ist nur im Rahmen der allgemeinen Steuerreform möglich. Anlage 4 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Westphal vom 10. November 1970 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Arnold (CDU/CSU) (Drucksache VI/1386 Fragen A 68 und 69): Wie beurteilt die Bundesregierung die Äußerungen des Düsseldorfer Universitätsprofessors Dr. Kuhlendahl, der nach übereinstimmenden Pressemeldungen in einem Vortrag vor deni 4474 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 79. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. November 1970 Pastoralkolleg der Evangelischen Kirche von Westfalen sinngemäß erklärt hat, man könne niemandem raten, am Wochenende krank zu werden, die äußeren Umstände, unter denen Kranke in den Krankenhäusern behandelt werden müßten, seien heute so, daß sie kaum noch verantwortet werden könnten, der Grund liege in den tariflichen Bestimmungen, die den Bediensteten ein größeres Maß an Freizeit zusprächen, ohne daß dafür die Voraussetzungen erfüllt seien, daraus ergäben sich Konsequenzen, von denen selbst Sterbende betroffen seien? Wie kann die Lage für alle Patienten in den Kliniken verbessert werden, und welche besonderen Maßnahmen können getroffen werden, um den akuten Mangel an Ärzten, Schwestern und Pflegepersonal in den Krankenhäusern zu beseitigen? Die Krankenhausversorgung der Bevölkerung wird gegenwärtig durch den Personalmangel insbesondere im pflegerischen Bereich beeinträchtigt. Diese Situation ist nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in allen westlichen Ländern, die einen Arbeitskräftemangel vor allem im Dienstleistungsbereich zu verzeichnen haben, zu beobachten. Der wesentliche Grund für den Personalmangel ist darin zu sehen, daß das Personalangebot nicht im gleichen Umfang gestiegen ist wie die Ansprüche an und die Möglichkeiten der Krankenhausversorgung. Der zwischen den Tarifpartnern abgeschlossene 23. und 24. Änderungstarifvertrag zum BAT vom 21. April bzw. 11. August 1970 hat zu wesentlichen Verbesserungen geführt. Während durch den 23. Änderungstarifvertrag z. B. die Arbeitszeit des Krankenpflegepersonals mit Wirkung vom 1. Januar 1970 stufenweise an die Arbeitszeit der übrigen Angestellten des öffentlichen Dienstes angeglichen wird, sind durch den 24. Änderungstarifvertrag das Vergütungssystem für das Krankenpflegepersonal neu geordnet und die Eingruppierungsmerkmale für diesen Personenkreis verbessert worden. Es ist zu hoffen, daß sich diese Verbesserungen günstig auf das Personalangebot auswirken werden. Der Betrieb und die innerbetriebliche Organisation der Krankenhäuser sind Angelegenheit des Krankenhausträgers. Der Bund hat keine Möglichkeit, in die inneren Angelegenheiten der Krankenhäuser einzugreifen. Nach einer Untersuchung über die Beschäftigungslage und den optimalen Einsatz von Arbeitskräften in Krankenanstalten, die im Auftrag des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung durchgeführt wurde, liegen die wesentlichen Gründe für den Mangel an Pflegepersonal im Krankenhaus in der ungünstigen Dienstzeitregelung, in dem Anfall von Überstunden sowie in der Beschaffenheit des Arbeitsklimas. Die Bundesregierung hält zur Verbesserung der Personalsituation bei den pflegerischen Berufen in den Krankenanstalten u. a. folgende Maßnahmen für erforderlich: — Verstärkte Berücksichtigung der pflegerischen Berufe bei der Berufsberatung, vor allem Verbesserung der individuellen Beratung; — Reform der Ausbildung; — Finanzielle Förderung der Ausbildung und der Ausbildungseinrichtungen; — Weitere Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Aufstiegsmöglichkeiten; — Förderung der Bemühungen um männlichen Berufsnachwuchs; — Förderung von Teilzeitarbeit in den Krankenanstalten; — Förderung des Wiedereintritts von Frauen in das Erwerbsleben; — Fortsetzung der Anwerbung von ausländischem Pflegepersonal; — Kindergärten bei den Krankenhäusern. Auch die beabsichtigten Maßnahmen der Bundesregierung zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser werden zur Entspannung der Situation bei der Krankenhausversorgung beitragen. Demgegenüber ist der Mangel an Krankenhausärzten nicht so groß. Die Zahl der hauptamtlich in Krankenhäusern tätigen Ärzte betrug 1968 30916. Während die Zahl der freipraktizierenden Ärzte seit 1961 konstant bei rd. 50 000 liegt, nahm im gleichen Zeitraum die Zahl der hauptamtlichen Krankenhausärzte um rd. 35 % zu. Es ist damit zu rechnen, daß der punktuell an einzelnen Orten auftretende Mangel an Krankenhausärzten in absehbarer Zeit behoben werden kann.
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607900000
Die Sitzung ist eröffnet.
Wir treten in die Fragestunde — Drucksache VI/ 1386 —
ein. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Ahlers zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 102 des Herrn Abgeordneten Hussing auf:
Inwieweit ist die Meinung der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht München, wonach Gastarbeiter nicht als „Teil der Bevölkerung" anzusehen sind, für die Bundesregierung Anlaß, in Publikationen und Anzeigen eine vermehrte Annahme der Gastarbeiter in sozialer und kultureller Hinsicht durch die Bundesbürger voranzutreiben und ihre Unentbehrlichkeit deutlich zu machen?
Der Herr Abgeordnete ist im Saal. Herr Staatssekretär!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607900100
Herr Präsident, Herr Abgeordneter, wegen des sachlichen Zusammenhangs der beiden Fragen 102 und 103 möchte ich sie gemeinsam beantworten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607900200
Dann rufe ich zusätzlich die Frage 103 des Herrn Abgeordneten Hussing auf:
Welche Geld- und Werbemittel haben die Bundesregierung und Bundesanstalten bisher aufgewandt und eingesetzt, um die Gastarbeiter positiv ins Bewußtsein der Bundesbürger zu bringen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607900300
Die Eingliederung der Gastarbeiter in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben der Bundesrepublik und die Förderung des Verständnisses der Bürger für die ausländischen Arbeitnehmer sind ein ernstes Anliegen der Bundesregierung. Dieses Anliegen ist nicht davon abhängig, wie im Einzelfall Organe der Strafrechtspflege den § 130 StGB auslegen, der unter bestimmten Voraussetzungen u. a. das Aufstacheln „zum Haß gegen Teile der Bevölkerung" ahndet. In Ihrer Anfrage, Herr Abgeordneter, verweisen Sie auf eine Meinung der Staatsanwaltschaft in München. Es handelt sich, wie meine Erkundigungen ergeben haben, um die Beantwortung einer Dienstaufsichtsbeschwerde, in der als Hilfserwägung bemerkt wurde, es sei zweifelhaft — und jetzt zitiere ich wörtlich —, „ob Gruppen von Gastarbeitern, die sich letztlich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, als ,Teil der Bevölkerung', nämlich als inländisches Staatsvolk angesehen werden können". Es ging um die Einstellung eines Verfahrens, weil die Staatsanwaltschaft die wesentlichen Voraussetzungen des Tatbestandes der Volksverhetzung — Aufstachelung zum Haß, Aufforderung zu Gewaltoder Willkürmaßnahmen, Beschimpfung, böswillige Verächtlichmachung oder Verleumdung — nicht als gegeben angesehen hatte.
Ich möchte aber in diesem Zusammenhang auf eine andere richterliche Entscheidung hinweisen, die dieser Meinung der Münchener Staatsanwaltschaft gegenübersteht. Das Oberlandesgericht Celle hat in einer Revisionsentscheidung vom Juli dieses Jahres eindeutig die Auffassung vertreten, die in Deutschland lebenden spanischen Gastarbeiter seien als Teil der inländischen Bevölkerung, die den Rechtsschutz des § 130 genieße, anzusehen. Eine höchstrichterliche Entscheidung in dieser Frage gibt es noch nicht.
Die Bundesregierung ist — um nun zum Kern Ihrer Frage zu kommen — der Auffassung, daß alle Maßnahmen, die zur raschen und reibungslosen Eingliederung und zur Betreuung der ausländischen Arbeitnehmer von staatlicher Seite und von anderen Stellen getroffen werden, die beste Grundlage für ein gutes Verhältnis zwischen Bundesbürgern und Gastarbeitern sind. Der Gastarbeiter, der sich in der Bundesrepublik wohlfühlt und seinem Gastland aufgeschlossen gegenübersteht, wird auch als Arbeitskollege und Nachbar Kontakt zu seinen deutschen Mitbürgern und deren Verständnis finden.
Im einzelnen möchte ich folgendes sagen.
Erstens. Für die Betreuung der ausländischen Arbeitnehmer stehen in diesem Jahre dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 6,7 Millionen DM und der Bundesanstalt für Arbeit 2,8 Millionen DM zur Verfügung. Für 1971 hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung rund 11 Millionen DM angefordert. Im Betrag des Jahres 1971 stehen 560 000 DM für publizistische Maßnahmen, und zwar vorwiegend für Gastarbeiterzeitungen, zur



Staatssekretär Ahlers
Verfügung. Für 1971 wird eine Erhöhung des Ansatzes zu diesem Zweck auf 800 000 DM angestrebt, wobei allerdings noch zu klären ist, wie dieses Geld am besten zu dem gewünschten Zweck verwendet werden kann. Die Gastarbeiterzeitungen — das möchte ich in diesem Zusammenhang sagen — haben sich nicht voll bewährt.
Zweitens. In dem Sozialbericht 1970, der im Volltext veröffentlicht und auch in ausgewerteter Form der Öffentlichkeit bekanntgemacht worden ist, hat die Bundesregierung auf die Belastungen hingewiesen, „die sich für die ausländischen Arbeitnehmer in einer ihnen fremden Umwelt und Arbeitsweise, oft genug bei Trennung von der Familie, ergeben". In dem Bericht fährt die Bundesregierung dann fort:
Um so wichtiger erscheinen ihr die Verpflichtungen, die unsere Wirtschaft und Gesellschaft damit eingehen. Volle Eingliederung ins Arbeitsleben ohne Aufgabe der nationalen Eigenart, soziale Sicherung und andere Dienstleistungen einschließlich der Weiterbildung sind selbstverständliche Erfordernisse, von denen sich die Arbeitsmarktpolitik, insbesondere aber die Bundesanstalt für Arbeit leiten lassen müssen.
Ferner hat die Bundesregierung betont, daß die Wohnungsversorgung der Gastarbeiter noch erhebliche Anstrengungen sowie Mithilfe und Verständnis der Öffentlichkeit erfordert.
Drittens. Die Medien der öffentlichen Meinung behandeln die Probleme der Ausländerbeschäftigung durchweg aufmerksam und verantwortungsbewußt. Die Rundfunk- und Fernsehanstalten bieten zahlreiche Sendungen, die sich der Probleme der Gastarbeiter annehmen und die zum Teil sowohl für deutsche als auch für nichtdeutsche Hörer bzw. Zuschauer bestimmt sind.
Viertens. Für das Verhältnis der Bundesbürger zu den Gastarbeitern verweise ich auf die Initiativen der Bundeszentrale für politische Bildung, die generell einen Schwerpunkt ihrer Arbeit in der Bekämpfung von Vorurteilen gegenüber Minderheiten sieht. In diesem Zusammenhang widmet sich die Bundeszentrale auch permanent den Fragen, die sich durch die Anwesenheit der Gastarbeiter in der Bundesrepublik stellen. Schon 1966 erschien ein Magazin unter dem Titel „Fremde, Gäste, Freunde", das sich mit diesem Thema beschäftigte. Im Tagungsbereich werden viele überregionale Veranstaltungen gefördert, in deren Rahmen die gesellschaftlichen Bedingungen der ausländischen Arbeitnehmer eine zentrale Stellung einnehmen. Das Fernsehreferat der Bundeszentrale steht in ständigem Gespräch mit den Fernsehanstalten, um geeignete Produktionen für den nichtgewerblichen Einsatz zu erhalten.
Die Arbeitsgruppe „Pädagogik" der Bundeszentrale behandelt das Thema in ihren „Informationen zur politischen Bildung" und beabsichtigt, sich auch demnächst in einer Broschüre dieser Fragen noch einmal anzunehmen.
Das Thema „Gastarbeiter" war auch Gegenstand der diesjährigen Tagung der Bundeszentrale mit den Landeszentralen, wobei die Frage der Unterrichtung der deutschen Bevölkerung im Vordergrund stand. Ein Großteil der Informationsmaßnahmen dieser Art ist ländergebunden. So unterhält z. B. die Landeszentrale in Düsseldorf ein Referat, das sich speziell mit dieser Thematik befaßt.
Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß bei einer Befragung im Januar/Februar dieses Jahres von über 1500 Gastarbeitern verschiedener Staatsangehörigkeit festgestellt werden konnte, daß über 70 v. H. ihre eigene Situation in Deutschland als gut und sehr gut bewerten; 95% sind mit ihrem Arbeitsplatz zufrieden, 50 % bezeichnen sich als deutschfreundlich und 17 % sogar als besonders deutschfreundlich.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607900400
Herr Staatssekretär, die Richtlinien der Fragestunde sehen eine kurze Beantwortung vor. Aber im Hinblick auf die öffentliche Beunruhigung, die die Meldungen aus München hervorgerufen hatten, liegt es, glaube ich, im wohlverstandenen Interesse der deutschen Öffentlichkeit, daß Sie die Fragen etwas ausführlicher beantwortet haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Hussing.

Dieter Hussing (CDU):
Rede ID: ID0607900500
Herr Staatssekretär, können Sie mir konkret beantworten — auch im Sinn meiner Frage 102 —, in welcher Weise, in welchem Umfang, mit wieviel Publikationen und Anzeigen die Bundesregierung und vielleicht auch Ihr Amt tätig geworden ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607900600
Herr Abgeordneter, die Länge meiner Antwort, die sicher nicht ganz korrekt war, ergab sich daraus, daß die Bereiche des Arbeitsministeriums, des Innenministeriums und unseres Amtes angesprochen waren. Ich muß gestehen, daß das Bundespresseamt selber dem Thema der Aufklärung unserer Bevölkerung, ihrem Verhältnis und ihrer Einstellung zu den Gastarbeitern noch keine große Aufmerksamkeit gewidmet hat, jedenfalls nicht im vergangenen Jahr. Das war, von uns aus gesehen, eine Angelegenheit der Bundeszentrale für politische Bildung. Aber ich bin mit dem Bundesministerium für Arbeit übereingekommen, daß wir im Zuge der Überprüfung der informatorischen Betreuung der Gastarbeiter dieses Problem gemeinsam behandeln wollen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607900700
Eine zweite Zusatzfrage.

Dieter Hussing (CDU):
Rede ID: ID0607900800
Darf ich feststellen, Herr Staatssekretär, daß die Bundesregierung und auch Ihr Haus 1970 in keiner einzigen Publikation, in keiner einzigen Anzeige im Sinne meiner Fragestellung tätig geworden sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607900900
Das ist sicher richtig. Nur würde ich meinen, daß eine Anzeige für diesen begrenzten Zweck wohl kaum das sinnvolle Medium wäre.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607901000
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fuchs.

Dr. Karl Fuchs (CSU):
Rede ID: ID0607901100
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die Bundeszentrale für politische Bildung in diesem Fall doch überfordert ist, weil sie nicht die notwendige Breitenwirkung erreichen kann, die für dieses Problem notwendig ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607901200
Herr Abgeordneter, nur teilweise. Wenn man zu der Auffassung kommen sollte, daß eine richtige Werbeaktion etwa im Sinne einer Anzeige zweckmäßig ist, würde ich Ihnen zustimmen. Wenn man aber auf das Problem einer intensiven Einwirkung auf bestimmte Leitgruppen der Bevölkerung abstellen wollte, wäre die Bundeszentrale für politische Bildung mit ihrem landesmäßigen Unterbau sicher besser geeignet, weil die Bundesregierung, vor allem das Bundespresseamt, einen solchen Unterbau in den Ländern überhaupt nicht hat und auch keine Institutionen, in denen sie derartige Veranstaltungen durchführen könnte.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607901300
Eine letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Schmidt (Braunschweig) .

Walter Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0607901400
Herr Staatssekretär, Ihren sehr interessanten Ausführungen war unter anderem zu entnehmen, daß ein geringer Prozentsatz der hier in der Bundesrepublik beschäftigten Gastarbeiter noch nicht die richtige Einstellung zur Bundesrepublik gefunden hat. Wie gedenken Sie dieses Problem zu lösen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607901500
Herr Abgeordneter, das ist das komplementäre Problem. Ich sagte soeben schon, daß wir mit den Möglichkeiten, die wir durch die Gastarbeiterzeitungen, die wir finanzieren, bisher haben, nicht voll zufrieden sind. Wir haben aber sehr gute Ergebnisse in unserer Zusammenarbeit mit den Rundfunkanstalten, die sich gerade hier besonders positiv hervorgetan haben. Das Bundesministerium für Arbeit und wir, auch zusammen mit dem DGB, sind gerade dabei, zu prüfen, wie wir am besten das uns im nächsten Haushaltsjahr zur Verfügung stehende Geld verwenden können — vermutlich unter Einschränkung der Gastarbeiterzeitungen —, um diese Frage der Gastarbeiter, die sich bei uns entweder nicht wohlfühlen oder uns gegenüber noch eine gewisse Fremdheit behalten haben, anzugehen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607901600
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Finanzen auf. Für die Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Reischl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten von Bockelberg auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Berichtigungen von Umsatzsteuerbescheiden im Anschluß an Betriebsprüfungen etc., die durch unrichtige Steuerberechnung und unrichtigen Steuerausweis in Rechnungen eines Unternehmers an andere Unternehmer bedingt sind, erhebliche Mehrarbeit (Finanzämter und Unternehmungen) verursachen, ohne daß bei kongruentem Vorsteuerabzug ein steuerliches Ergebnis erzielt wird?
Herr Staatssekretär!

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0607901700
Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Berichtigung von Umsatzsteuerbescheiden, die wegen eines zu niedrigen Steuerausweises in den Rechnungen eines Unternehmers an andere Unternehmer im Anschluß an Betriebsprüfungen durchgeführt wird, Arbeitsaufwand verursacht, der sich letztlich häufig nicht in einem höheren Umsatzsteueraufkommen niederschlägt.
Ein Verzicht auf die Durchführung einer Berichtigungsveranlagung in diesen Fällen ist nach den in Betracht kommenden gesetzlichen Vorschriften jedoch nicht möglich. Es wäre aber auch nicht zweckmäßig.
Schon aus grundsätzlichen Erwägungen sollte die jetzige Regelung beibehalten werden. Es entspricht nicht den bewährten Grundsätzen des deutschen Steuerrechts, die Erhebung einer Steuer von den Verhältnissen eines Dritten abhängig zu machen. Darüber hinaus brächte ein Verzicht auf eine Berichtigung der Veranlagung keine Arbeitsentlastung. Er könnte nur auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Rechnungsempfänger ein zum vollen . Vorsteuerabzug berechtigter Unternehmer ist. Diese Voraussetzung müßte also bei den betroffenen Rechnungsempfängern jeweils vor Durchführung bzw. Nichtdurchführung der Berichtigungsveranlagung besonders geprüft werden. Ein erheblicher und bei der jetzigen Personallage unzumutbarer Arbeitsmehraufwand bei der Verwaltung wäre die Folge.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607901800
Keine Zusatzfrage.
Der Herr Abgeordnete Alber hat gebeten, seine Fragen schriftlich zu beantworten. Dem wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens auf:
Trifft es zu, daß die durch die Gemeindefinanzreform erfolgte Vergrößerung der Gemeindefinanzmasse bereits im laufenden Jahr durch strukturelle Belastungen der Gemeindehaushalte, insbesondere durch Steigerung der Personalausgaben und Preissteigerungen, bei den Investitionen voll aufgezehrt worden ist?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0607901900
Ich wäre dankbar, wenn ich beide Fragen im Zusammenhang beantworten dürfte.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607902000
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
auch die Frage 31 des Abgeordneten Dr. Ahrens auf:
Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung aus einer solchen bei Verabschiedung der Gemeindefinanzreform kaum zu erwartenden Entwicklung zu ziehen?
Herr Staatssekretär!

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0607902100
Die Gemeindefinanzreform hat zu einer Verstärkung der Gemeindefinanzen geführt, die erheblich über die Beträge hinausgeht, mit denen man bei Verabschiedung des Gesetzes gerechnet hatte. Während z. B. damals für 1970 mit Mehreinnahmen von rund 1,4 Milliarden DM gerechnet wurde, beträgt die nunmehr zu erwartende Verstärkung für 1970 rund 2,6 Milliarden DM und steigt bis 1974 auf 4 Milliarden DM an.
Es ist richtig, daß die Gemeindehaushalte durch Erhöhung der Personalausgaben und durch Preissteigerungen belastet sind. Die Mehrbelastungen werden 1970 etwa die gleiche Größenordnung erreichen wie die Verstärkung der Gemeindefinanzmasse durch die Gemeindefinanzreform für dieses Jahr. Zu ihrer Finanzierung stehen den Gemeinden jedoch außerdem erhebliche Mehreinnahmen aus dem Wachstum der Steuern, aus Zuweisungen und sonstigen laufenden Einnahmen zur Verfügung. Es kann daher nicht die Rechnung aufgemacht werden, daß die Verstärkung der Gemeindefinanzen im Rahmen der Gemeindefinanzreform durch die Mehrbelastungen aufgebraucht ist.
Nach den Schätzungen des Finanzplanungsrates können die Gesamtausgaben der Gemeinden 1970 bei einer vertretbaren Nettoschuldenaufnahme von 2,3 Milliarden DM gegenüber dem Vorjahr um etwa 10 v. H. und die Aufwendungen für Sachinvestitionen um 15 v. H. erhöht werden. Eine weitere Stärkung der gemeindlichen Investitionskraft durch Erhöhung des Gemeindeanteils am Gesamtsteueraufkommen zu Lasten von Bund und Ländern erscheint angesichts der Haushaltsbelastungen von Bund und Ländern zur Zeit nicht möglich.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607902200
Eine Zusatzfrage.

Dr. Karl Ahrens (SPD):
Rede ID: ID0607902300
Herr Staatssekretär, werden die Mehrbelastungen, die Sie soeben skizziert haben, auch von der Steuerreformkommission und vor allem von der Unterkommission „Gemeindesteuern" zugrunde gelegt, insbesondere bei der Frage der Behandlung der eigenen Steuerquellen der Gemeinden, namentlich der Gewerbesteuer?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0607902400
Es ist ganz selbstverständlich, daß die Ergebnisse von der Steuerreformkommission zugrunde gelegt werden müssen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607902500
Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Dr. Gruhl auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Biechele auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Schröder (Wilhelminenhof) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Grundsteuer A für die landwirtschaftlichen Betriebe in Gebieten mit hohen Einheitswerten und hohen Hebesätzen eine echte Wettbewerbsverzerrung gegenüber ähnlich gelagerten Betrieben des EWG-Raumes ist?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0607902600
Ich darf bitten, auch diese beiden Fragen im Zusammenhang zu beantworten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607902700
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 35 des Abgeordneten Schröder (Wilhelminenhof) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, diese Wettbewerbsverzerrung so schnell wie möglich, spätestens jedoch im Zuge der geplanten Steuerreform, zu beseitigen und die Einnahmeausfälle der Gemeinden durch eine entsprechende Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes auszugleichen?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0607902800
Die Höhe der Hebesätze der Grundsteuer wird von den Gemeinden entsprechend ihrem Finanzbedarf bestimmt. In den Agrargemeinden sind deshalb die Hebesätze der Grundsteuer A häufig höher als in anderen Gemeinden.
Eine Wechselbeziehung zwischen der Höhe der Einheitswerte und der Höhe der Hebesätze besteht jedoch auch im Bereich der Landwirtschaft nicht. Hohe Einheitswerte können mit niedrigen Hebesätzen, niedrige Einheitswerte mit hohen Hebesätzen zusammentreffen.
Bei der Hauptfeststellung der Einheitswerte der Betriebe der Land- und Forstwirtschaft auf den 1. Januar 1964 werden die in den Gemeinden unterschiedlichen Hebesätze bei der Ermittlung der Einheitswerte für die einzelnen Betriebe durch Korrekturen neutralisiert. Im Bereich der Landwirtschaft macht die Grundsteuer zwar einen erheblichen Anteil an den Betriebssteuern aus. Die steuerliche Gesamtbelastung ist jedoch geringfügig, gemessen sowohl am Aufwand als auch an den Verkaufserlösen. Unter diesen Umständen können von der grundsteuerlichen Belastung kaum ins Gewicht fallende Wirkungen auf die Wettbewerbslage der Landwirtschaft ausgehen.
Die Frage einer etwaigen Wettbewerbsverzerrung durch die unterschiedliche Steuerbelastung der Landwirtschaft läßt sich im übrigen nicht isoliert für die Grundsteuer allein beantworten. Sie muß vielmehr in Zusammenhang mit der steuerlichen Gesamtbelastung der Landwirtschaft gesehen werden.
Im übrigen ist die Landwirtschaft auch in den anderen EWG-Ländern, insbesondere in Frankreich,



Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl
Italien und in den Niederlanden, in irgendeiner Form mit Grundsteuern oder ähnlichen Realsteuern belastet. Diese Steuern sind zwar anders ausgestaltet und entsprechen im einzelnen hinsichtlich der Steuerobjekte, der Bemessungsgrundlagen und der Steuersätze bzw. der Steuermeßzahlen und der Hebesätze nicht absolut der deutschen Grundsteuer A. Im Ergebnis sind sie jedoch als vergleichbare Steuerbelastungen anzusehen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607902900
Eine Zusatzfrage.

Diedrich Schröder (CDU):
Rede ID: ID0607903000
Herr Staatssekretär, ist Ihnen wirklich nicht bekannt, daß insbesondere in den Marschen, in den Gebieten mit hohen Einheitswerten Grundsteuerbelastungen von 50 bis 60 DM je ha vorkommen und daß dadurch gegenüber den holländischen Nachbarn eine echte Wettbewerbsverzerrung aufgetreten ist, die man praktisch so ausdrücken kann, daß der deutsche Bauer erst einmal 3 Zentner Weizen vorweg produzieren muß, bevor er überhaupt anfängt, mit dem holländischen Nachbarn zu konkurrieren?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0607903100
Diese Tatsache ist mir nicht bekannt. Ich will es aber gern überprüfen lassen, um für das ganze Bundesgebiet einen genauen Überblick zu bekommen.
1, Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.

Diedrich Schröder (CDU):
Rede ID: ID0607903200
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß eine sozialdemokratisch angeführte Regierung vor allem auch die soziale Ungerechtigkeit beseitigen müßte, die sogar auch innerhalb der deutschen Landwirtschaft durch die unterschiedlichen Belastungen immer wieder auftritt, und daß darüber hinaus Ihr Koalitionspartner, der sich so nachdrücklich für die Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen eingesetzt hat, ...

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607903300
Herr Kollege, darf ich Sie einmal unterbrechen. Die Fragen und Zusatzfragen müssen kurz sein.

Diedrich Schröder (CDU):
Rede ID: ID0607903400
Ja, ich hatte gleich zwei Fragezeichen hintereinander. Ich darf den Satz zu Ende bringen: ... sich nun auch nachdrücklich für die Beseitigung der Grundsteuer A einsetzen sollte?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0607903500
Herr Kollege, zunächst darf ich mich mal für den Blumenstrauß bedanken, den Sie unserer Regierung damit überreichen, jedenfalls hinsichtlich ihrer Absichten.
Zu der Frage einer möglichen Beseitigung darf ich sagen, daß das doch wohl kaum in Frage kommen kann. Die Steuerreformkommission prüft augenblicklich eine Neugestaltung der Grundsteuer. Was sie im einzelnen dazu vorschlagen wird, läßt sich im Augenblick noch gar nicht übersehen. Sobald das Gutachten im Februar vorliegt — die Grundsteuer gehört zu dem ersten Teil des Reformvorhabens —, werden wir das überprüfen und natürlich auch in Rechnung stellen, welche Wettbewerbsverzerrungen möglicherweise durch die Gestaltung der Steuer entstehen könnten. Es besteht Einigkeit darüber, daß das Grundsteuergesetz als solches grundlegend reformiert werden muß. Aber im Augenblick hat die Bundesregierung gar keine Handhabe, die Unterschiede auszugleichen, die durch die verschiedenen Hebesätze, die von den Gemeinden autonom festgesetzt sind, entstehen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607903600
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.

Diedrich Schröder (CDU):
Rede ID: ID0607903700
Dann möchte ich nur noch fragen, ob der Bundesregierung bekannt ist, daß jetzt auch der Deutsche Bauernverband die Beseitigung der Grundsteuer A als ein Mittel zur Kostensenkung nachdrücklich gefordert hat.

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0607903800
Das ist mir bekannt, aber das kann alles erst im Rahmen der Steuerreform geprüft werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607903900
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0607904000
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung noch an dem fest, was sie schon in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage mitgeteilt hat, daß nämlich im Zuge der Inkraftsetzung der neuen Einheitswerte für Grundstücke die Hebesätze entsprechend zu überprüfen sind, damit nicht eine etwaige Verdreifachung der Einheitswerte bei gleichbleibenden Hebesätzen zu den hier befürchteten Folgen führen wird?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0607904100
Herr Kollege, daran hält die Bundesregierung selbstverständlich fest. Es handelt sich ja um einen damals einstimmig gefaßten Beschluß des Bundestages, mit dem der Bundesregierung aufgegeben worden ist, diese Frage bei der Neugestaltung der Grundsteuer zu berücksichtigen. Es ist eine Frage der Steuermeßzahlen und der Hebesätze. Beides muß im Rahmen der Grundsteuerreform mit reformiert werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607904200
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens.

Dr. Karl Ahrens (SPD):
Rede ID: ID0607904300
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß das Recht der Gemeinden zur Festsetzung der Hebesätze, das natürlich zu einer unterschiedlichen Belastung der landwirtschaft-



Dr. Ahrens
lichen Betriebe in den jeweiligen Gemeinden führen kann, ein unverzichtbarer Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung ist?

Dr. Gerhard Reischl (SPD):
Rede ID: ID0607904400
Diese Auffassung teile ich selbstverständlich. Nur würde das nicht ausschließen, daß man durch eine andere Gestaltung der Meßzahlen und durch Rahmenvorschriften für die Hebesätze, natürlich ohne Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung, einen Ausgleich dafür schaffen kann, daß um der Gerechtigkeit willen die Einheitswerte erhöht werden müssen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607904500
Herr Abgeordneter Biechele, Sie haben den Aufruf Ihrer Frage nur um wenige Sekunden verpaßt. Aber ich habe leider nach den Bestimmungen über die Fragestunde keine Möglichkeit, sie noch einmal aufzurufen.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen beantwortet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Rosenthal zur Verfügung. Die beiden ersten Fragen werden von dem Abgeordneten Dr. Enders gestellt. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 38 des Abgeordneten van Delden:
War sich die Bundesregierung bei der Zustimmung zu dem von der Europäischen Gemeinschaft hinsichtlich der Zollpräferenzen ausgesprochenen Verzicht auf jegliche textile Ausnahme bewußt, daß ein Teil der dadurch bevorzugten Länder bei Textil und Bekleidung zu den größten, konkurrenzfähigen und billigsten Lieferanten des textilen Weltmarktes gehören, die keine Zollpräferenz benötigen?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607904600
Herr Kollege, die Fragen, die Sie stellen und die Fragen Ihrer Kollegen —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607904700
Einen Moment bitte, Herr Staatssekretär. Ich nehme an, daß Sie die beiden Fragen des Abgeordneten van Delden gemeinsam beantworten wollen.

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607904800
Ja, ich möchte zunächst diese beiden Fragen gemeinsam beantworten. Ich wollte nur vorher darauf aufmerksam machen, daß die anschließenden Fragen der Kollegen Ott und Seiters dasselbe Problem betreffen, so daß wir einen Gesamtkomplex haben.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607904900
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe also ferner die Frage 39 des Abgeordneten van Delden auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß das von der EG entwickelte Zollmodell (Plafond mit Zollfreiheit) unpraktikabel ist, und ist sie bejahendenfalls bereit, darauf hinzuwirken, statt dessen einen stufenweisen Zollabbau vorzusehen?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607905000
Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß der Verzicht auf Ausnahmen im EG-Zollpräferenzangebot für Entwicklungsländer auch Länder begünstigt, die auf einzelnen Gebieten des Textil- und Bekleidungssektors sehr wettbewerbsfähig sind. Trotzdem hält sie das von der EG entwickelte System in seiner Gesamtheit für praktikabel und angebracht, um eine ausreichende Sicherung der heimischen Industrien mit den entwicklungspolitischen Notwendigkeiten zu verbinden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607905100
Zusatzfrage!

Rembert van Delden (CDU):
Rede ID: ID0607905200
Nachdem weder die Euro-Europäische Kommission noch die Bundesregierung bisher die von mir an Hand einer Gegenüberstellung aufgezeigten Fehler des Dokuments 116 des Europäischen Parlaments, welches die Grundlage der Erklärung von Herrn Dahrendorf in Sachen Zollpräferenz bildet, widerlegt hat, frage ich Sie, ob Sie mir zustimmen, daß man angesichts dieser Tatsache der Kommission, aber auch dem Ministerrat als dem Kontrollorgan den Vorwurf einer leichtfertigen Handlungsweise nicht ersparen kann.

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607905300
Nein, Herr Kollege van Delden, ich bin nicht dieser Ansicht.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607905400
Weitere Zusatzfrage.

Rembert van Delden (CDU):
Rede ID: ID0607905500
Herr Staatssekretär, nachdem Sie hinsichtlich der zweiten Frage ebenso wie neulich schon Ihr Herr Minister im Wirtschaftsausschuß die Details, in denen bekanntlich der Teufel steckt, verschwiegen haben und auch das diesbezügliche — —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607905600
Herr Kollege van Delden, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Zusatzfrage auch als Frage und nicht als Wertung stellen würden.

Rembert van Delden (CDU):
Rede ID: ID0607905700
Darf ich Sie dann hinsichtlich meiner zweiten Frage, auf die Sie im Kern nicht eingegangen sind, fragen, ob Sie bereit sind, zu prüfen, ob nicht durch diesen Nullzollplafond den Umgehungsgeschäften, der Zollhinterziehung und schließlich der Korruption Vorschub geleistet wird.

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607905800
Herr Kollege van Delden, ich bin durchaus bereit, auf die Teufel im



Parlamentarischer Staatssekretär Rosenthal
Detail einzugehen. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß das Instrumentarium, das hier vorgesehen ist, tatsächlich eine beachtliche Sicherung der heimischen Industrie darstellt, und zwar erstens die Mengenplafonds mit der Berechnung nach dem Grundbetrag der Einfuhren aus den Entwicklungsländern im Jahre 1968 plus dem Zusatzbetrag von 5% der letztjährigen Einfuhren aus Drittländern — das ist die erste Sicherung für unsere heimische Industrie —, zweitens die sogenannte Pufferregelung, wonach ein einzelnes Entwicklungsland in der Regel nicht mehr als 50% der jeweiligen Gesamteinfuhren tätigen kann — auf diesem Gebiet versuchen wir durchzusetzen, daß für einzelne sensible Waren ein geringerer Prozentsatz festgesetzt wird —, drittens Einsatz der Bundesrepublik für einen angemessenen Verteilungsschlüssel innerhalb der EG für die hereinkommenden Einfuhren.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607905900
Herr Kollege, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Rembert van Delden (CDU):
Rede ID: ID0607906000
Darf ich Sie trotzdem bitten, meine zweite Frage noch einmal ernsthaft zu prüfen, ob es nicht besser ist, einen stufenweisen Zollabbau an Stelle dieses Nullzollplafonds, über den wir sicherlich im Wirtschaftsausschuß noch manchmal sprechen werden, anzuwenden.

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607906100
Herr Kollege van Delden, ich will Ihnen hier nichts vormachen: hier sind wir der Ansicht, daß wir dem Instrumentarium, wie es jetzt festgelegt ist, grundsätzlich zustimmen und dabei bleiben wollen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607906200
Herr Kollege, Sie haben eine letzte Zusatzfrage.

(Abg. van Delden: Danke! — Abg. Seiters meldet sich zu einer Zusatzfrage.)

— Herr Kollege Seiters, wenn ich das richtig sehe, haben Sie zum gleichen Problemkreis Fragen und haben dazu vier Zusatzfragen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Zusatzfragen dort stellen würden.
Ich rufe die Fragen des Herrn Abgeordneten Pohlmann auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den zur Zeit unzureichenden Schutz der Berufsbezeichnung des staatlich geprüften Technikers in der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten?
Was hat die Bundesregierung unternommen, um im EWG- und weiteren europäischen Raum eine Anerkennung des staatlich geprüften deutschen Technikers und des damit eng verbundenen Niederlassungsrechtes in den betreffenden Ländern zu erreichen?
Bitte, Herr Staatssekretär, ich nehme an, daß auch diese Fragen im Zusammenhang beantwortet werden.

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607906300
Ja, gerne.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607906400
Herr Fragesteller, Sie sind damit einverstanden?

Eberhard Pohlmann (CDU):
Rede ID: ID0607906500
Ja.

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607906600
Der Schutz der Berufsbezeichnung ist an und für sich Sache der Länder, aber die Bundesregierung wird bei der Neuregelung der Aus- und Fortbildung laut Berufsbildungsgesetz dafür sorgen, daß die anderen Berufe, die bisher, ohne denselben Inhalt und dasselbe Niveau der Technikerausbildung zu haben, die Berufsbezeichnung „Techniker" führen, in Zukunft auch im Zusammenhang mit ihrer Berufbezeichnung — beispielsweise Fernmeldetechniker — auf das Wort „Techniker" verzichten müssen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607906700
Zusatzfragen?

Eberhard Pohlmann (CDU):
Rede ID: ID0607906800
Das war erst die Antwort auf die erste Frage.

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607906900
Zu der zweiten Frage sind wir der Ansicht, daß die eineinhalb Jahre für die Technikerschule genügen. Es ist bekannt, daß die Kommission für die Harmonisierung im Dienstleistungs- und Ausbildungsbereich zwei Jahre Technikerschule vorschlägt. Nachdem sich aber der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuß bereits zu unserem Standpunkt bekannt hat, sind wir verhältnismäßig hoffnungsvoll, diese von Ihnen erfragte Gleichstellung zu erreichen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607907000
Ich rufe nunmehr die Fragen 42 und 43 des Abgeordneten Seiters auf:
War sich die Bundesregierung bewußt, daß hinsichtlich der von der EWG eingeräumten Zollpräferenzen unter den Begünstigten auch Länder sein werden, die mit dumpingartigen Praktiken den deutschen Markt zerrütten, und gedenkt sie, diese Länder oder Artikel auszuklammern?
War sich die Bundesregierung beim Verzicht auf Ausnahmen darüber im klaren, daß dieser Verzicht zur Liquidation einzelner Wirtschaftszweige führen wird, wenn keine spezielle Ausnahmeregelung mit bestimmten Lieferländern zustande kommt?

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID0607907100
Herr Staatssekretär, ich darf an die Beantwortung der Fragen des Herrn Kollegen van Delden anknüpfen und Sie fragen, ob die Bundesregierung bei der Beurteilung der Länder, von denen wir sagen, daß sie mit dumpingartigen Methoden den deutschen Markt zerrütten, sich auf die Bemerkung beschränken will, daß diese Länder besonders wettbewerbsfähig seien.

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607907200
Nein, Herr Kollege, das ist nicht der Fall. Wir werden versuchen, bei solchen Ländern, die Sie meinen, darauf zu dringen, daß der Schlüssel von 50% auf ein geringeres Maß herabgesetzt wird. Wir sind verhältnismäßig hoffnungsvoll, dies auch zu erreichen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607907300
Eine weitere Zusatzfrage.




Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID0607907400
Herr Staatssekretär, darf ich meine Frage 43 hier als Zusatzfrage stellen?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607907500
Ich sehe nicht, daß der Herr Staatssekretär die Frage 43 bereits ausdrücklich beantwortet hat. Ich frage deshalb, ob Sie Herr Staatssekretär diese Frage noch gesondert beantworten wollen.

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607907600
Herr Präsident, ich hätte genau gesagt, daß diese Frage mit der Schilderung des Instrumentariums beantwortet ist. Ich will noch die zusätzliche Auskunft geben: Es sind auch jährliche Überprüfungen dieses Verfahrens möglich.

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID0607907700
Sind Sie denn nicht meiner Meinung, daß der Verzicht auf Ausnahmen zur Liquidation bestimmter Wirtschaftszweige in der Bundesrepublik Deutschland führen müßte?

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607907800
Keineswegs!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607907900
Noch eine Zusatzfrage!

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID0607908000
,Herr Staatssekretär, sind Sie denn meiner Meinung, daß man z. B. die Lage der Textilindustrie auch unter Berücksichtigung der neuesten Konkurrenzangebote aus Staatshandelsländern sehen muß und daß man diese eindeutig manipulierten und marktzerrüttenden Warenangebote auch außerhalb des jetzt neu festgelegten Preisprüfungsverfahrens überprüfen sollte?

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607908100
Herr Kollege, das ist eine völlig neue Frage. Ich würde Sie bitten, sie mir noch einmal zu stellen. Ich kann Ihnen aber schon folgende Auskunft geben: Dieses Zollpräferenzabkommen trifft nicht auf die Osthandelsländer zu. Was die andere Frage betrifft, so bin ich gern bereit, sie zu beantworten, wenn Sie sie noch einmal stellen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607908200
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Fuchs.

Dr. Karl Fuchs (CSU):
Rede ID: ID0607908300
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Befürchtung, daß die neue Zollregelung insbesondere Textil- und Bekleidungsbetriebe, die am Rande der EWG liegen und ohnehin wesentlich größere Schwierigkeiten haben, beeinträchtigt?

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607908400
Herr Kollege Fuchs, mir ist klar, daß es um diese Industriezweige in Deutschland geht. Aber ich bin der Ansicht, daß wir gerade diese Industriezweige im Auge gehabt haben, als wir das Instrumentarium zusammenstellten. Bei den weiteren Bemühungen, die wir in den Brüsseler Ausschüssen unternehmen werden, werden wir darauf achten, insbesondere eine Konzentration dieser Einfuhren einseitig auf Deutschland zu vermeiden; denn das ist ja die große Gefahr für diese Industrie.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607908500
Ich rufe die Fragen 44 und 45 des Abgeordneten Ott auf:
Ist der Bundesregierung bei der Zustimmung zu der letztes Fassung der Erklärung der EWG in Sachen Zollpräferenzen bekannt gewesen, daß praktisch alle anderen großen Industrienationen (z. B. USA - Großbritannien - Japan) für die meisten Textil- und Bekleidungspositionen keine Präferenz gewähren, jedoch als einzige die EWG?
Warum hat die Bundesregierung unter diesen Umständen auch für den Textil- und Bekleidungsbereich dem Verzicht auf die Ausnahmen zugestimmt und damit die EG-Textilindustrie einseitig im Vergleich zu derjenigen der anderen Industriestaaten schlechter gestellt, obwohl in allen OECD-Erklärungen als Ziel und Bedingung proklamiert wurde, daß alle Industriestaaten gleiche Lasten übernehmen?

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607908600
Die Antwort auf die Frage 45 lautet: Ja. Dabei möchte ich darauf hinweisen, daß im Falle Japan zumindest eine 50%ige Zollermäßigung gewährt wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607908700
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ott.

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0607908800
Herr Staatssekretär, da Sie vorhin bei der Beantwortung der Frage meines Kollegen van Delden erklärt haben, daß die Entwicklungsländer eine Gelegenheit haben sollten, zu uns zu exportieren, frage ich Sie: Weshalb sind dann andere Industrienationen — wie die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Japan, Skandinavien, Österreich und die Schweiz — nicht dazu übergegangen, in einem solchen Ausmaß Zollpräferenzen einzuführen wie die Bundesrepublik, wobei bei uns das Schwergewicht der Einfuhren in der EWG liegt?

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607908900
Herr Kollege Ott, wir müssen diese Frage global betrachten. Global gesehen sind die Angebote, die ,die OECD-Länder den Entwicklungsländern gemacht haben, untereinander gleichwertig. Wir sind etwas nachgiebiger auf der einen Seite und dafür auch etwas härter auf der anderen Seite. Wir wollen ja in diesem Raum die Agrardebatte nicht wiederholen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607909000
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ott.

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0607909100
Herr Staatssekretär, sind Informationen richtig, wonach in Ihrem Hause vermutet wird, daß auf Grund dieser Zollpräferenzen im Laufe der Zeit ein Teil unserer Textilindustrie damit rechnen muß unterzugehen, weil es mit Rücksicht auf den Osthandel, auf politische Beziehungen zum Osten und aus anderen Gründen als gerechtfertigt angesehen wird?




Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607909200
Diese Frage kann ich Ihnen guten Gewissens mit Nein beantworten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607909300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten van Delden.

Rembert van Delden (CDU):
Rede ID: ID0607909400
Herr Staatssekretär, sind Sie sich darüber im klaren, daß sich die IG Textil, die den zuständigen Arbeitnehmerbereich betreut und deren Ansichten sonst naturgemäß nicht immer mit den Ansichten der Textilbetriebe übereinstimmen, in diesem Fall, in all diesen Fragenkomplexen, die hier angeschnitten worden sind, in völliger Übereinstimmung mit der Textilindustrie befindet?

Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607909500
Herr Kollege van Delden, aus meiner früheren Tätigkeit als Leiter eines Unternehmens weiß ich, daß in solchen Fragen die Interessen der Unternehmer und der zuständigen Gewerkschaften oft konform sind. Es ist aber die Aufgabe des Wirtschaftsministeriums, für das Wohl des Ganzen zu sorgen, was nicht unbedingt bedeutet, daß man jedem Wunsch von jeder Seite nachgeben kann. Ich hoffe aber, daß Sie den langen Antworten, die ich Ihnen und Ihren Kollegen gegeben habe, entnommen haben, daß uns die Gefahr einer zu schnellen und zu harten Bedrohung der Textilindustrie voll bewußt war und bleiben wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607909600
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0607909700
Herr Staatssekretär, da Sie vorher bei der Beantwortung der Frage des Herrn Kollegen van Delden erklärt haben, daß im Interesse des Ganzen nicht auf einzelne Branchen Rücksicht genommen werden kann,

(Abg. Wehner: Das hat er ja wohl nicht erklärt!)

frage ich Sie: Halten Sie es für richtig, daß ausgerechnet ein großer Teil dieser Außenhandelspolitik auf dem Rücken der deutschen Textilindustrie und damit auf dem Rücken der deutschen Textilarbeiter ausgetragen wird?

(Abg. Wehner: Unerhört!)


Prof. Philip Rosenthal (SPD):
Rede ID: ID0607909800
Herr Ott, ich will jetzt nicht böse werden, aber Sie unterstellen mir Antworten, die ich keineswegs gegeben habe.

(Zustimmung bei der SPD.)

Ich habe gesagt, daß wir uns dessen wohl bewußt sind, daß die Textilindustrie ein besonderes Interesse hat, im Rahmen dieser Überlegungen, die allgemeine Überlegungen der Entwicklungspolitik sind, geschützt zu werden. Das habe ich ganz deutlich in dieser Form gesagt. Sie können es im Protokoll nachlesen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607909900
Eine letzte Zusatztrage des Herrn Abgeordneten Ott.

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0607910000
Herr Staatssekretär, wie stellen Sie sich den Schutz der Textilindustrie vor, wenn aus Staatshandelsländern zu Dumpingpreisen importiert wird und wenn auch ein verhältnismäßig hoher Anteil des Imports bestimmter Warengruppen aus anderen Niedrigpreisländern zu erwarten ist?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607910100
Herr Kollege Ott, ich lasse diese Zusatzfrage nicht zu, weil sie in keinem mittelbaren und unmittelbaren Zusammenhang mit Ihrer Frage 45 steht.
Ott ((CDU/CSU) : Das ist Ansichtssache. Ich war der Meinung, daß es dazugehört.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607910200
Herr Abgeordneter Ott, darüber entscheidet der amtierende Präsident.

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0607910300
Das ist mir bekannt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607910400
Dem Herrn Abgeordneten Dr. Enders muß ich leider dasselbe wie dem Herrn Kollegen Biechele erklären: Sie haben den Aufruf Ihrer Fragen um wenige Minuten verpaßt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nunmehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Ich rufe zunächst die Frage 66 des Herrn Abgeordneten Schmidt (München) auf:
Ist es richtig, daß die Schüler von Abendgymnasien und Kollegs, die keine Eltern mehr haben und auch nicht verheiratet sind, die verheiratet sind und am Ausbildungsort mit ihrem Ehepartner zusammen wohnen und die von ihren Eltern getrennt, aber am gleichen Ort wie die Eltern leben, durch das Ausbildungsförderungsgesetz ein geringeres Stipendium bekommen, als das bisher nach dem bayerischen Begabtenförderungsgesetz der Fall war?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Westphal zur Verfügung.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607910500
Herr Kollege Schmidt, nach § 10 Abs. 2 des Ausbildungsförderungsgesetzes ist auch bei Schülern von Abendgymnasien und Kollegs die Leistung des erhöhten Bedarfssatzes bei auswärtiger Unterbringung nur zulässig, wenn der Schüler aus Gründen der Ausbildung von seiner Familie getrennt untergebracht sein muß, d. h. wenn von der Wohnung der Familie aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte durch tägliche Fahrten nicht erreicht werden kann. Nach dem bayerischen Begabtenförderungsgesetz wurde dagegen der erhöhte Bedarfssatz geleistet, wenn der Schüler — aus welchem Grund auch immer — nicht bei seinen Eltern wohnte.
Diese strukturelle Veränderung der förderungsrechtlichen Bestimmungen allein hätte aber nicht zu



Parlamentarischer Staatssekretär Westphal
einer Minderung der Leistungen geführt, da die Leistungen nach dem Ausbildungsförderungsgesetz des Bundes höher sind als die nach den früheren bayerischen Vorschriften. Hinzu kommt eine weitere strukturelle Veränderung: Die Bedarfssätze für die Auszubildenden, die bei ihrer Familie wohnen, und für diejenigen, die außerhalb ihrer Familie untergebracht sind, sind — dem tatsächlichen Kostenunterschied entsprechend — stärker differenziert worden.
Aus den vorgenannten Gründen hat sich für die Schüler der Abendgymnasien und Kollegs in Bayern, die nicht aus Gründen der Ausbildung außerhalb der Familie untergebracht sind, mit Inkrafttreten des Ausbildungsförderungsgesetzes der monatliche Bedarfssatz um 20 DM gemindert; dagegen ist der Bedarfssatz für diejenigen Schüler, die aus Gründen der Ausbildung außerhalb der Familie untergebracht sind, um 30 DM gestiegen.
Ergänzend weise ich darauf hin, daß seit Inkrafttreten des Ausbildungsförderungsgesetzes aile Schüler von Abendgymnasien und Kollegs — unabhängig von der Art ihrer Unterbringung — elternunabhängig gefördert werden, d. h. Ausbildungsförderung ohne Anrechnung des Einkommens und Vermögens der Eltern erhalten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607910600
Eine Zusatzfrage.

Manfred Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0607910700
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß es nicht ganz gerecht ist, bei erwachsenen Menschen — bei Besuchern von Abendgymnasien wird es sich in der Regel ja um erwachsene Menschen handeln — so zu verfahren, daß sie dann, wenn sie bei ihren Eltern untergebracht sind, einen bestimmten Förderungssatz erhalten, daß sich dieser Satz aber dann, wenn sie am gleichen Ort woanders wohnen — daß muß einem erwachsenen Menschen ja zugestanden werden —, obwohl sie bei ihren Eltern wohnen könnten, mindert? Ist es nicht auch eine Einschränkung der persönlichen Freiheit eines erwachsenen Menschen, wenn man ihn dafür bestraft, daß er sich in einem gewissen Alter selbständig macht und eine eigene Wohnung bezieht?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607910800
Herr Kollege, da wir der gleichen Auffassung sind, wollen wir den Sachverhalt in dem bevorstehenden Bundesausbildungsförderungsgesetz anders regeln. Ich wollte das gern in der Antwort auf Ihre zweite Frage vortragen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607910900
Ich rufe die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Schmidt (München) auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, diese Schlechterstellung in absehbarer Zeit zu beseitigen?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607911000
In dem im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit erarbeiteten Referentenentwurf des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, das am 1. Oktober 1971 in Kraft treten soll, ist vorgesehen, daß die Schüler von Abendgymnasien und Kollegs in der Wahl der Art ihrer Unterbringung ebenso frei sein sollen wie etwa die Studenten an Hochschulen. Der erhöhte Bedarfssatz soll dann geleistet werden, wenn die Schüler nicht bei ihren Eltern wohnen, unabhängig davon, aus welchem Grunde dies der Fall ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607911100
Sie haben eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter?

Manfred Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0607911200
Ja. — Jetzt ist im wesentlichen die Frage beantwortet, wie das ist, wenn sie von ihren Eltern getrennt am gleichen Ort wohnen. Nach dem Ausbildungsförderungsgesetz sind aber die Schüler benachteiligt, die keine Eltern mehr haben und nicht verheiratet sind, und auch die, die verheiratet sind und am Ausbildungsort mit ihrem Ehepartner zusammenwohnen. Ist nach dem Referentenentwurf beabsichtigt, auch diese Schlechterstellung zu beseitigen?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607911300
Ich bin im Augenblick überfragt. Ich bin gern bereit, Ihnen aus dem Referentenentwurf zitierend eine schriftliche Antwort darauf zu geben.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607911400
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Dr. Arnold hat gebeten, seine Fragen, die Fragen 68 und 69, schriftlich zu beantworten. Dem wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 70 des Herrn Abgeordneten von Alten-Nordheim auf:
Sind der Bundesregierung Vorbereitungen überwiegend ausländischer und speziell skandinavischer Produzenten bekannt, die den deutschen Markt mit einer nicht zu übersehenden Porno-welle zu überschwemmen beabsichtigen, wenn die jetzt vorliegenden diesbezüglichen Gesetzentwürfe Rechtskraft erlangen, und sieht sie der Entwicklung dieses neuen Wirtschaftszweiges bedenkenlos entgegen?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607911500
Herr Kollege von Alten-Nordheim, der Bundesregierung ist nicht bekannt, welche Vorbereitungen ausländische Verlage im Hinblick auf die nach dem Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vorgesehene Neufassung des § 184 StGB im einzelnen getroffen haben. Anzeichen sprechen dafür, daß sich verschiedene Firmen schon jetzt auf eine mögliche Absatzsteigerung ihrer pornographischen Erzeugnisse einzustellen beginnen. Die ganzseitige Anzeige der Firma Private-Press A.B., Stockholm, in der Tageszeitung „Die Welt" vom 16. Oktober 1970, mit der Interessenten für den Alleinvertrieb des von der genannten Firma herausgegebenen Magazins gesucht werden, kann in diese Richtung deuten.
Eine zunehmende Verbreitung pornographischer Erzeugnisse, bei denen es sich teilweise um ganz



Parlamentarischer Staatssekretär Westphal
scheußliche Produkte handelt, wird von der Bundesregierung in keiner Weise als wünschenswert angesehen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607911600
Eine Zusatzfrage.

Odal von Alten-Nordheim (CDU):
Rede ID: ID0607911700
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß Produzenten unter der Devise der Aufklärung ihre Ware anbieten und die Begriffe von echter Aufklärung und von Pornographie sich dadurch immer mehr verwischen?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607911800
Ich halte dies für möglich.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607911900
Eine letzte Zusatzfrage.

Odal von Alten-Nordheim (CDU):
Rede ID: ID0607912000
Herr Staatssekretär, sind Sie angesichts dieser Vorbereitungen nicht der Meinung, daß der Bürger ein Recht darauf hat, vor ungewollter Konfrontation geschützt zu werden?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607912100
Der Gesetzentwurf des Herrn Bundesjustizministers zur Änderung des Sexualstrafrechts, dessen erste Lesung in diesem Hohen Hause noch bevorsteht, sieht die von Ihnen aufgegriffene Frage und will dem entgegenwirken.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607912200
Ich rufe die Frage 71 des Herrn Abgeordneten von Alten-Nordrheim auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß sich der Jugendschutz unter diesen Umständen in der Praxis noch wirksam durchführen läßt?
Herr Staatssekretär!

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607912300
Herr Kollege, der Jugendschutz wird von der Bundesregierung auf dem hier angesprochenen Sektor außerordentlich ernst genommen. Die Bundesregierung prüft zur Zeit, welchen Vertriebsbeschränkungen auch künftig pornographische Schriften im Interesse eines wirksamen Jugendschutzes unterliegen sollen. Sie ist der Auffassung, daß die geltenden und die nach dem Entwurf vorgesehenen Rechtsvorschriften Handhaben bieten, einen wirksamen Jugendschutz zu gewährleisten.
Ich möchte der in diesem Hohen Hause noch bevorstehenden ersten Lesung der vom Herrn Bundesjustizminister zu vertretenden Vorlage zur Änderung des Sexualstrafrechts nicht vorgreifen, aber wir erwarten doch insoweit eine Intensivierung der Strafverfolgung nach Beseitigung der fragwürdig gewordenen Verbote im Erwachsenenbereich.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607912400
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.

Odal von Alten-Nordheim (CDU):
Rede ID: ID0607912500
Herr Staatssekretär, diese von Ihnen eben angekündigten Maßnahmen sind erfreulich. Ich frage Sie aber: Sind Sie nicht der Meinung, daß trotz dieser sogenannten verschärften Bestimmungen Jugendliche zukünftig doch in erheblich größerem Umfang in den Besitz und auch in den Wahrnehmungsbereich derartiger Produkte gelangen?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607912600
Ich kann nicht vorhersehen, ob das der Fall sein wird. Wir haben mit diesem Thema sicher in der Zukunft zu tun und werden dafür sorgen müssen, daß unsere Jugendschutzbestimmungen ausreichen, um das, was im Bereich des heranwachsenden jungen Menschen zu schützen ist, auch praktisch in geeigneter Weise geschützt wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607912700
Ich rufe die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Weigl auf:
Trifft es zu, daß der Politische Arbeitskreis Oberschulen (PAO) als Mitausrichter einer gegen die Regierung der Vereinigten Staaten gerichteten Vietnamkampagne der Kommunisten öffentliche Mittel, z. B. aus dem Bundesjugendplan, erhält?
Der Herr Abgeordnete ist im Saal. Herr Staatssekretär!

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607912800
Herr Kollege Weigl, der Politische Arbeitskreis Oberschulen — abgekürzt PAO —, der sich insbesondere um die außerschulische politische Bildung der Schüler an weiterführenden Schulen bemüht, wird seit 1956 über den Arbeitskreis für politische Bildung e. V. in Bonn aus dem Bundesjugendplan gefördert. Im Rahmen der Richtlinien für den Bundesjugendplan werden insbesondere Kurse und Seminare gefördert. Nach diesen Richtlinien sind agitatorische und propagandistische Maßnahmen von der Förderung ausgenommen. Dies gilt ebenso für die Zuwendungen, die der Arbeitskreis von anderen Bundesbehörden erhält. Bisher wurden vom PAO keine Förderungsmittel zweckentfremdet.
Bei der von Ihnen angesprochenen „Vietnam-Kampagne" handelt es sich offenbar um die in der Zeit vom 23. bis 31. Oktober 1970 veranstaltete „Woche der Solidarität mit den Völkern Vietnams, Laos' und Kambodschas — Solidarität mit der Antikriegsbewegung in den USA". Der Bundesvorstand des PAO hat nach meinen Feststellungen den Aufruf zu dieser Woche mit unterschrieben. Er hat sich aber nicht organisatorisch oder finanziell an dieser Aktion beteiligt. Der Aufruf ist im übrigen auch von einer Vielzahl von anderen politisch, kirchlich oder anderweitig orientierten Jugend- und Studentenverbänden unterschrieben worden.
Ich bin der Auffassung, daß die Förderungswürdigkeit eines Verbandes durch eine solche Solidaritätserklärung nicht in Frage gestellt ist. Die Gren-



Parlamentarischer Staatssekretär Westphal
zen der Förderungswürdigkeit werden vielmehr durch § 9 des Jugendwohlfahrtsgesetzes bestimmt. Hiernach darf ein Träger nur gefördert werden, wenn er eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit leistet.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607912900
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Weigl.

Franz Weigl (CSU):
Rede ID: ID0607913000
Herr Staatssekretär, haben Sie die Arbeit des PAO schon unter dem Gesichtspunkt der Richtlinien untersucht, die Sie jetzt herausgeben wollen, daß nämlich „nur gefördert wird, wer die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die parlamentarisch repräsentative Willensbildung nach dem Grundgesetz bejaht"?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607913100
Wir haben keine besondere Prüfung durchgeführt. Aber ich kann Ihnen aus meiner Kenntnis der Arbeit dieser Organisation versichern, daß der PAO seine Tätigkeit im Rahmen der grundlegenden und demokratisch breit angelegten Position ausübt, die Sie soeben aus unseren neuen Richtlinien zitierten, die 1971 gültig werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607913200
Eine weitere Zusatzfrage.

Franz Weigl (CSU):
Rede ID: ID0607913300
Würden Sie einmal prüfen, Herr Staatssekretär, ob der PAO die Auffassung
vertritt, daß die Schule der Zukunft eine sozialistische, sprich: kommunistische Schule sein müsse?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607913400
Das werde ich prüfen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607913500
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen.

Karl-Heinz Hansen (SPD):
Rede ID: ID0607913600
Herr Staatssekretär, würden Sie die Weiterförderung von Jugendorganisationen, die bisher aus dem Bundesjugendplan gefördert werden, auch dann bejahen, wenn sich herausstellen sollte, daß sie an Veranstaltungen wie denen in Würzburg teilnehmen?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607913700
Ich würde das selbstverständlich prüfen.

Karl-Heinz Hansen (SPD):
Rede ID: ID0607913800
Ich meine hier besonders die Deutsche Jugend des Ostens.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607913900
Herr Abgeordneter Hansen, diese Frage steht weder in einem unmittelbaren noch in einem mittelbaren Zusammenhang mit der Frage des Herrn Abgeordneten Weigl. Ich lasse die Zusatzfrage nicht zu.
Ich rufe die Frage 73 des Abgeordneten Pfeifer auf:
Ist die Bundesregierung bereit, dem Deutschen Bundestag in Kürze einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Nr. 1 des anläßlich der zweiten und dritten Beratung des Ausbildungsförderungsgesetzes angenommenen Entschließungsantrages entspricht und insbesondere eine Förderung der Schüler von Berufsfachschulen ermöglicht, für deren Besuch der Realschulabschluß nicht Voraussetzung ist?
Der Herr Abgeordnete ist im Saal. — Das Wort hat Herr Staatssekretär Westphal.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607914000
Herr Kollege Pfeifer, das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit den übrigen Bundesressorts den Entwurf eines Bundesausbildungsförderungsgesetzes erarbeitet, der demnächst dem Bundeskabinett zur Verabschiedung vorgelegt werden wird. Dieser Entwurf ergänzt und ändert das erste Ausbildungsförderungsgesetz. Das neue Gesetz soll nach der Vorstellung der Bundesregierung am 1. Oktober 1971 in Kraft treten. Es bezieht die Studierenden an Höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen in die bundesgesetzliche Regelung der individuellen Förderung der Ausbildung ein.
In dieses neue Gesetz ist auch die Förderung für die Schüler der Klasse 10 der weiterführenden allgemeinbildenden Schulen und für alle Berufsfachschüler aufgenommen. Die Förderung dieses Bereichs soll allerdings gesondert in Kraft gesetzt werden. Im Rahmen der mehrjährigen Finanzplanung der Bundesregierung ist dafür der 1. Januar 1973 vorgesehen. Die Bundesregierung wird damit Abs. 1 der genannten Entschließung des Deutschen Bundestages gerecht, der die Einbeziehung aller Ausbildungsbereiche nach Beendigung der Vollzeitschulpflicht in der 6. Legislaturperiode fordert.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607914100
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Pfeifer.

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID0607914200
Herr Staatssekretär, sind Sie sich darüber im klaren, daß die Verschiebung des Termins des Inkrafttretens bis zum Jahr 1973 gerade diejenigen Schüler hinsichtlich ihrer Aufstiegschancen benachteiligt, die wegen des Wohnorts oder der sozialen Stellung des Elternhauses bisher keine Gelegenheit hatten, einen Realschulabschluß zu erreichen, und die nun statt in einer Betriebsausbildung in einer staatlichen Berufsfachschule mit Internat diese Aufstiegschancen suchen?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607914300
Herr Kollege, hier ist nichts verschoben worden. Von dieser Bundesregierung ist für das weitere Inkrafttreten von Teilen eines umfassenden Systems der Ausbildungsförderung erstmalig ein bestimmter Termin Besetz worden, der in die finanzielle Planung paßt. Der erste Schritt war die Einbeziehung der weiterführenden Schulen, von der 11. Klasse an beginnend. Der zweite Schritt wird die Einbeziehung all dessen sein, was bisher das Honnefer und das Rhöndorfer Modell deckt, also die Studentenförderung. Als nächster Schritt kommt dann die Gesamt-



Parlamentarischer Staatssekretär Westphal
einbeziehung der 10. Klassen und der Berufsfachschulen. Damit ist der Katalog der nächsten Schritte aufgezeigt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607914400
Eine letzte Zusatzfrage zu dieser Frage.

Anton Pfeifer (CDU):
Rede ID: ID0607914500
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, in Anbetracht der Tatsache, daß es sich um eine relativ geringe Zahl von Schülern handelt, die in der Frage 73 genannt sind, doch noch einmal zu überprüfen, ob hier nicht schon ein Inkrafttreten im Jahre 1971 in Betracht kommt?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607914600
Ich muß Ihnen leider antworten, daß — wenn Sie das im Zusammenhang sehen — die Berufsschüler und ,die ganzen 10. Klassen eben nicht einen relativ kleinen, sondern einen sehr großen Kreis darstellen und daß wir deshalb dazu gekommen sind, in der zeitlichen und finanziellen Planung dieses Datum vorzusehen. Ich möchte ein Ausbildungsförderungssystem auch lieber schon morgen vollständig in Kraft setzen; aber wir können nur stufenweise vorgehen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607914700
Ich rufe ,die nächste Frage des Abgeordneten Pfeifer auf:
Kann die Bundesanstalt für Arbeit bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vordringlich und übergangsweise die Förderung der in Frage 73 genannten Schüler in dem Umfang übernehmen, der an sich im Ausbildungsförderungsgesetz vorgesehen ist?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0607914800
Ich gebe die Antwort dm Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Der Bundesanstalt für Arbeit ist nach § 40 des Arbeitsförderungsgesetzes die Ausbildungsförderung für einen begrenzten Bereich übertragen worden. Hierzu ,gehört nicht die Förderung von Berufsfachschülern. Nach § 242 Abs. 12 des Arbeitsförderungsgesetzes kann die Bundesanstalt allerdings bis zum Inkrafttreten einer umfassenden gesetzlichen Regelung durch den Bund ausnahmsweise Ausbildungsförderung für eine in § 40 nicht genannte Ausbildung gewähren, soweit die Ausbildung nicht von einer anderen Stelle gefördert wird und an der Förderung ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse besteht. Der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit wird voraussichtlich demnächst die Frage erörtern, ob die Bundesanstalt auf Grund dieser Vorschrift die Förderung des Berufsfachschulbesuchs, der vollständig auf die betriebliche Ausbildung angerechnet wird, bis zum 1. Januar 1973 übernehmen soll.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607914900
Es sind keine weiteren Zusatzfragen gestellt.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich sind beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Dohnanyi zur Verfügung. Die erste Frage ist von Herrn Abgeordneten Hansen gestellt:
Ist die Bundesregierung bereit, sich für die Änderung des Beschlusses der Kultusminister-Konferenz vom 14./15. Mai 1964 einzusetzen mit dem Ziel, die schulische Betreuung der Gastarbeiterkinder in der Bundesrepublik Deutschland einheitlich zu regeln und sicherzustellen, daß durch staatliche Schulaufsicht über alle schulischen Veranstaltungen die Gastarbeiterkinder vor jeder Beeinträchtigung der auch ihnen zustehenden Lernfreiheit geschützt werden?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0607915000
Herr Kollege Hansen, die Bundesregierung wird sich in dem von Ihnen vorgeschlagenen Sinne an die Kultusministerkonferenz wenden und eine Überprüfung der bestehenden Regelungen und Möglichkeiten anregen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607915100
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage des Abgeordneten Breidbach auf:
Entsprechen die im Wirtschaftsmagazin „Capital" Nr. 11 (Novemberausgabe 1970) gemachten Angaben den Tatsachen, wonach bereits vor dem Abschuß des Forschungssatelliten AZUR am 8. November 1969 feststand, daß der Satellit die für ihn vorgesehenen Aufgaben wegen des Fehlens eines Kontrollgerätes im Werte von wenigen 100 DM nicht mehr ausführen kann und so durch die Anordnung der verantwortlichen Beamten des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft, wonach der Start des Satelliten ohne Rücksicht auf seine technische Funktionsfähigkeit erfolgte, das Ausgeben von 80 Millionen DM Steuergeldern, ohne den gewünschten Effekt zu erreichen, ermöglicht wurde?
Der Abgeordnete ist im Saal. — Herr Staatssekretär!

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0607915200
Herr Kollege Breidbach, es entspricht nicht den Tatsachen, daß vor ,dem Start des Forschungssatelliten AZUR am 8. November 1969 bereits feststand, der Satellit habe in irgendeiner Weise einen Mangel aufzuweisen. Das Projekt AZUR ist ein bilaterales Kooperationsvorhaben zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der NASA, wobei die NASA ihrerseits die Trägerrakete und die Startdienste kostenlos bereitstellt. An ,der wissenschaftlichen Aufgabenstellung und ,damit zwangsläufig an der Flugtauglichkeit und Funktionstüchtigkeit des Satelliten hatte die NASA ein großes und berechtigtes Interesse. Eine umfangreiche Prüfung ergab, daß die Fernkommandoentschlüsselungseinrichtung, auf die Sie, glaube ich, u. a. Bezug nehmen, an Bord des Satelliten den Empfang fremder Funksignale nicht vollständig ausschloß. Aber nach dem Start und unmittelbar nach Auftreten dieser Erscheinung wurde die Funktionstüchtigkeit des Satelliten durch besondere Maßnahmen im Bereich des bodenseitigen Fernkommandobetriebs weitgehend gewährleistet, so daß die wissenschaftliche Aufgabenstellung voll erfüllt wurde.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607915300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach.

Ferdinand Breidbach (CDU):
Rede ID: ID0607915400
Darf ich Ihrer Antwort Herr Staatssekretär, entnehmen, daß dem Ministe-



Breidbach
rium nicht bekannt ist — ich beziehe meine Information aus ganz allgemein zugänglichen Quellen —, daß schon bei Probeläufen der Satellit AZUR vom Amateurfunk gestört wurde?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0607915500
Der Bundesregierung ist die Behauptung bekannt, daß dies geschehen sei; aber die Tatsache Herr Kollege, daß Sie Ihre Information aus einer allgemein zugänglichen Quelle beziehen — wir wissen beide, welche Quelle gemeint ist —, bedeutet nicht, daß diese Quelle recht hat.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607915600
Herr Kollege, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Ferdinand Breidbach (CDU):
Rede ID: ID0607915700
Sehen Sie nicht, Herr Staatssekretär, einen Widerspruch zwischen den optimistischen Aussagen, die Sie heute machen und die Sie auch gestern im Pressedienst bezüglich der Forschungsergebnisse von AZUR gemacht haben, und den Aussagen der Werkzeitschrift von Messerschmitt, Bölkow & Blohm aus dem Februar 1970, worin die Reduzierung von theoretisch möglichen Datenmengen um mindestens 20 % für wahrscheinlich gehalten wird und daß es nach wie vor Wissenschaftler gibt, die glauben, daß eine Reduzierung um 80 % der Datenmenge vorliegt?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0607915800
Ich kann nur den heutigen Stand wiedergeben, Herr Kollege. Der jetzt erkennbare Stand der angefallenen Daten läßt darauf schließen, daß das Projekt seinen wissenschaftlichen Auftrag erfüllt hat. Mehr kann ich im Augenblick nicht sagen. Natürlich wird erst die vollständige Auswertung wirklich Aufschluß geben können.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607915900
Ich rufe die Frage 98 des Abgeordneten Flämig auf:
Trifft es zu, daß der Verband der chemischen Industrie zugleich auch im Namen seiner Verbandsmitglieder eine Beteiligung am Internationalen Institut für das Management der Technologie abgelehnt hat, während z. B. IBM Europa die Institutsziele der technologischen Managementausbildung sowie Innovationsschulung bejaht und deshalb eine Beteiligung am Institut angeboten hat?
Herr Staatssekretär!

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0607916000
Herr Kollege Flämig, es trifft in der Tat zu, daß der Verband der Chemischen Industrie zugleich auch im Namen seiner Verbandsmitglieder eine Beteiligung am Internationalen Institut für das Management der Technologie abgelehnt hat. IBM Europa hat dagegen eine Beteiligung in Höhe von 30 000 Dollar jährlich für drei Jahre angeboten und dabei ausdrücklich auf die Notwendigkeit der technologischen Management-Ausbildung und Innovationsschulung hingewiesen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607916100
Herr Kollege Flämig, wenn Sie keine Zusatzfrage stellen, kann ich sicher Ihre zweite Frage noch aufrufen. — Dann rufe ich die Frage 99 des Herrn Abgeordneten Flämig auf:
Haben auch andere Industrieverbände oder Industrieunternehmen eine Beteiligung am Institut abgelehnt, obgleich schon der ehemalige Bundesminister für wissenschaftliche Forschung, Stoltenberg, und auch der derzeitige Bundesminister für Bildung und Wissenschaft darauf hingewiesen haben, daß es sich bei diesem Institut um eine konzertierte Aktion von Wissenschaft, Wirtschaft und Staat handeln sollte, bei der die mit einer Beitragsleistung verbundene Mitwirkung der deutschen Industrie gerade in der konzeptionellen wichtigen Aufbauphase des Instituts erforderlich ist?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0607916200
Herr Kollege Flämig, bislang haben andere Industrieverbände und Industrieunternehmen eine Beteiligung am Institut nicht abgelehnt. Die Bundesregierung ist auch der Auffassung, daß es bedauerlich wäre, wenn die deutsche Industrie die ihr hier gebotene Chance, von Anfang an die Ziele des Instituts mitformen zu helfen, nicht ergreifen würde.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607916300
Eine Zusatzfrage.

Gerhard Flämig (SPD):
Rede ID: ID0607916400
Herr Staatssekretär, halten Sie es für angezeigt, dem Verband der Chemischen Industrie die Überprüfung seiner Haltung unter Hinweis auf die Tatsache zu empfehlen, daß die NATO-Versammlung am 10. November, also vor wenigen Tagen, einstimmig eine entsprechende Empfehlung gegeben hat?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0607916500
Die Bundesregierung hat mit dem Verband der Chemischen Industrie bereits Kontakt, und ich halte es, ohne den Ergebnissen hier vorgreifen zu können, nicht für ausgeschlossen, daß der Verband der Chemischen Industrie angesichts dieser von Ihnen soeben bezeichneten Äußerung und auch anderer Tatsachen letzten Endes seine Meinung revidieren kann. Das ist denkbar.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607916600
Wir können nun noch die Fragen des Herrn Abgeordneten Lenzer beantworten lassen. Wegen Ablaufs der Fragestunde würde ich vorschlagen, Herr Staatssekretär, daß Sie beide Fragen gemeinsam beantworten. Sonst könnte wegen des Ablaufs der Fragestunde die zweite Frage nicht mehr beantwortet werden. Ich rufe also die Fragen 100 und 101 des Herrn Abgeordneten Lenzer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Frage einer Unterstützung (Bundesbürgschaft usw.) der Frankfurter Urangesellschaft mbH durch die Bundesregierung bezüglich der Pläne, die Uranvorkommen in Namibia auszubeuten?
Hat die Bundesregierung davon Kenntnis, daß nach Pressemeldungen von deutschen Firmen Verhandlungen über die Anreicherung von Natururan im Lohnverfahren durch die Sowjetunion stattfinden und daß diese bereits zu gewissen Vereinbarungen geführt haben?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0607916700
Herr Kollege Lenzer, der Bundesregierung ist bekannt, daß die sowjetische staatliche Handelsgesellschaft Techsnabexport Kontakt



Parlamentárischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi
zu deutschen Firmen aufgenommen hat. Dabei wurde u. a. die Möglichkeit der Lohnanreicherung von Uran in der Sowjetunion berüht. Diese Kontakte haben noch nicht zu Vereinbarungen auf dem Urangebiet geführt. Es handelt sich hierbei, wie Sie wissen, um kommerzielle Beziehungen, in die sich die Bundesregierung nicht einschaltet. Sollte dieser Kontakt zu konkreten Abschlüssen führen, werden diese nach den normalen Verfahren unter Berücksichtigung des Außenwirtschaftsrechts und unter Berücksichtigung der Bestimmungen des Euratom-Vertrages behandelt werden müssen.
Zu Ihrer zweiten Frage. Die Urangesellschaft, Frankfurt, untersucht mit der britischen Firma Rio Tinto Zinc Corp. die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Abbaus der Uranlagerstätte Rössing, Namibia. Diese Uranlagerstätte ist offenbar eines der größten Uranvorkommen der Welt. Ein Antrag der Urangesellschaft auf Gewährung von Bundesbürgschaften liegt der Bundesregierung nicht vor.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607916800
Eine Zusatzfrage.

Christian Lenzer (CDU):
Rede ID: ID0607916900
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung, wenn ein solcher Antrag von dieser Firma gestellt werden sollte, bereit, in positivem Sinne zu entscheiden?

Dr. Klaus von Dohnanyi (SPD):
Rede ID: ID0607917000
Die Bundesregierung kann zu keinem Zeitpunkt eine Entscheidung treffen, bevor ein entsprechender Antrag gestellt ist. Aber die Bundesregierung prüft alle Anträge, die ihr vorgelegt werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607917100
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir stehen damit am Ende der heutigen Fragestunde. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 13. November 1970, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.