Protokoll:
6066

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 6

  • date_rangeSitzungsnummer: 66

  • date_rangeDatum: 18. September 1970

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 12:20 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 66. Sitzung Bonn, Freitag, den 18. September 1970 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 3631 A Absetzung des Punktes 27 von der Tagesordnung 3631 B Fragestunde (Drucksache VI/ 1138) Fragen des Abg. Dr. Reinhard: Verfahren bei der Einfuhr aus osteuropäischen Ländern Ertl, Bundesminister 3631 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Brandt, Bundeskanzler 3632 A Dr. Barzel (CDU/CSU) 3633 C Mischnick (FDP) 3636 D Wehner (SPD) 3638 A Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte in außergewöhnlichen Härtefällen (Abg. Frau Jacobi [Marl] u. Gen.) (Drucksache VI/972) — Erste Beratung — Frau Jacobi (Marl) (CDU/CSU) . . . 3640 A Ollesch (FDP) . . . . . . . . 3641 B Fritsch (SPD) 3641 C Entwurf eines Dreiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes (23. ÄndGLAG) (Drucksache VI/1000) — Erste Beratung — Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 3642 A Freiherr von Fircks (CDU/CSU) . . 3643 A Dr. Hupka (SPD) . . . . . . . . 3643 C Ollesch (FDP) . . . . . . . . . 3645 C Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gesetze über die Gemeinschaftsaufgaben (Abg. Hirsch, Dichgans, Mertes, Dr. Müller [München] u. Gen.) (Drucksache VI/1058) — Erste Beratung — Dr. Müller (München) (SPD) . . . . 3646 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Abg. Dr. Schober, Dr. Martin, Dr. Stoltenberg u. Gen.) (Drucksache VI/911) — Erste Beratung — in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (SPD, FDP) (Drucksache VI/1076) — Erste Beratung — Dr. Schober (CDU/CSU) 3647 A Raffert (SPD) 3648 C Moersch (FDP) 3650 D II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1970 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft über die Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 14/70 — Waren der EGKS — 2. Halbjahr 1970) Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 13/70 — 2. Verlängerung der Zollaussetzungen für Stahlerzeugnisse) (Drucksachen VI/ 1131 , VI/ 1132, VI/1157) 3652 C Nächste Sitzung 3652 D Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 3653 A Anlage 2 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Löffler betr. Pressemeldung über die Umwandlung der Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer in eine Dauerabgabe 3653 D Anlage 3 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Roser betr. steuerliche Begünstigung freiwilliger Unterhaltsleistungen für bedürftige Kinder in Entwicklungsländern 3654 A Anlage 4 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Baron von Wrangel betr. Aufnahme von Qualitätsweizen in die Bundesreserve 3654 C Anlage 5 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Höcherl betr. Maßnahmen zur Konsolidierung des deutschen Obstmarktes 3654 D Anlage 6 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Leicht betr. Bemühungen zur Anhebung der Zuckerrübenpreise in Brüssel 3655 A Anlage 7 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Ehnes betr. landwirtschaftliche Förderungsmaßnahmen in den Mitgliedstaaten der EWG 3655 B Anlage 8 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Geisenhofer betr. Vorbereitungen für das Inkrafttreten des neuen Wohngeldgesetzes am 1. Januar 1971 3655 C Anlage 9 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Weigl betr. Bekämpfung der Inflation der Baupreise durch Zurückstellung von weniger wichtigen Bauvorhaben 3655 D Anlage 10 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage der Abg. Frau Lauterbach betr. Sicherheit deutscher Staatsbürger und Durchführung der Entwicklungshilfeprojekte in Jordanien 3656 A Anlage 11 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Kiep betr. Pressemeldungen über Kredithilfen für Kritiker des Cabora-Bassa-Projekts 3656 B Anlage 12 Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Frage des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen betr. Wiederaufnahme der Tätigkeit des Goethe-Instituts in Seoul 3656 C Anlage 13 Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Fragen des Abg. Walkhoff betr. Förderung der Vertriebenenverbände im Bundeshaushalt 3656 D Anlage 14 Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Fragen des Abg. Dr. Haack betr. Einbürgerung tschechoslowakischer Staatsangehörigen in der Bundesrepublik . . . . 3657 C Anlage 15 Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Frage des Abg. Dr. Beermann betr. Verbot von Kündigungen und Mieterhöhungen für über 75 Jahre alte Mieter . . . 3657 D Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1970 III Anlage 16 Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Fragen des Abg. Weigl betr. Einführung der für Berlin geltenden Präferenzen in Ostbayern und der zinsgünstigen Familiengründungsdarlehen im gesamten Bundesgebiet 3658 B Anlage 17 Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Frage des Abg. Pieroth betr. Streichung der Sektsteuerrückvergütung bei Verarbeitung deutscher Grundweine . . . . 3658 D Anlage 18 Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Frage des Abg. Koenig betr. Öffnungszeiten des Autobahnzollamts Aachen-Süd 3659 B Anlage 19 Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Frage des Abg. Glombig betr. Änderung des Mitgliederkreises und des Bezirks einer Ersatzkasse 3659 C Anlage 20 Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Frage des Abg. Glombig betr. erweiterte Gewährung der Witwen- und Waisenbeihilfe nach § 48 des Bundesversorgungsgesetzes 3659 D Anlage 21 Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Fragen des Abg. Dr. Häfele betr. Merkblätter zur Rheumaprophylaxe — Unterrichtung der Bevölkerung über Vorbeugungsmaßnahmen . . . . . . . . . 3660 A Anlage 22 Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Fragen des Abg. Biechele betr. Krebsvorsorgeuntersuchungen bei Frauen . . . 3660 C Anlage 23 Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Fragen des Abg. Dr. Hammans betr. Liefermöglichkeiten bezüglich der neuen Verkehrszeichen — Ausgleich der Aufwendungen der Gemeinden . . . . . 3661 A Anlage 24 Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Fragen des Abg. Pfeifer betr. Schaffung leistungsfähiger Verkehrsverbindungen für den Raum Reutlingen und Sofortmaßnahmen bezüglich der B 312 . . . . . 3661 C Anlage 25 Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Frage der Abg. Frau Dr. Walz betr. ein europäisches Programm für Ozeanographie und Meteorologie 3661 D Anlage 26 Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Fragen des Abg. Erhard (Bad Schwalbach) betr. Zahlungen der Bundespost an die Postverwaltung der DDR . . . . . . 3662 B Anlage 27 Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Frage des Abg. Dr. Beermann betr. Förderung des Baues von Altersheimen durch den Bund . . . . . . . . . . . . 3662 C Anlage 28 Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Frage des Abg. Müller (Berlin) betr. die Zahl der von 1960 bis 1970 fertiggestellten Wohnungen 3663 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1970 3631 66. Sitzung Bonn, den 18. September 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Beurlaubungen Dr. Achenbach * 18. 9. Adams * 18. 9. Dr. Ahrens ** 18. 9. Dr. Aigner * 18. 9. Alber ** 18. 9. Amrehn ** 18. 9. Dr. Arndt (Berlin) 18. 9. Dr. Artzinger * 18. 9. Bals ** 18. 9. Bauer (Würzburg) ** 18. 9. Behrendt * 18. 9. Dr. Birrenbach 18. 9. Blumenfeld ** 18. 9. Dr. Burgbacher * 18. 9. Dr. Bussmann 23. 9. Damm 18. 9. van Delden 26. 9. Frau Dr. Diemer-Nicolaus ** 18. 9. Dr. Dittrich* 18. 9. Draeger ** 18. 9. Dröscher * 18. 9. Faller * 18. 9. Fellermaier * 18. 9. Flämig * 18. 9. Fritsch ** 18. 9. Dr. Furler * 18. 9. Frau Geisendörfer 18. 9. Gerlach (Emsland) * 18. 9. Gewandt 23. 9. Dr. Götz 20. 9. Graaff 18. 9. Dr. Gradl 18. 9. Haage (München) * 18. 9. Haase (Kellinghusen) ** 18. 9. Dr. Hallstein 18. 9. Dr. Hein * 18. 9. Frau Herklotz ** 18. 9. Dr. Hermesdorf ** 18. 9. Heyen 18. 12. Hösl ** 18. 9. Horn 29. 9. Dr. Jahn (Braunschweig) * 18. 9. Dr. Kempfler ** 18. 9. Kiep 18. 9. Frau Klee ** 18. 9. Dr. Kliesing (Honnef) ** 18. 9. Klinker * 18. 9. Dr. Koch* 18. 9. Kriedemann * 18. 9. Lange * 18. 9. Langebeck 18. 9. * Für die Teilnahme an einer Tagung des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an einer Tagung der Beratenden Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Lautenschlager * 18. 9. Lemmrich** 18. 9. Lenze (Attendorn) ** 18. 9. Dr. Löhr * 18. 9. Lücker (München) * 18. 9. Meister * 18. 9. Memmel * 18. 9. Michels 18. 9. Müller (Aachen-Land) * 18. 9. Dr. Müller (München) ** 18. 9. Frau Dr. Orth* 18. 9. Petersen 26. 9. Pöhler** 18. 9. Dr. Pohle 18. 9. Richarts * 18. 9. Richter** 18. 9. Dr. Rinderspacher ** 18. 9. Dr. Ritgen 19. 9. Rosenthal 18. 9. Roser ** 18. 9. Dr. Rutschke ** 18. 9. Dr. Schmid (Frankfurt) ** 18. 9. Schmidt (Würgendorf) ** 18. 9. Dr. Schmücker ** 18. 9. Schneider (Königswinter) 18. 9. Schollmeyer 18. 9. Dr. Schulz (Berlin) ** 18. 9. Schwabe * 18. 9. Dr. Schwörer * 18. 9. Seefeld * 18. 9. Dr. Seume 18. 9. Sieglerschmidt** 18. 9. Dr. Slotta 15. 10. Springorum * 18. 9. Dr. Stoltenberg 18. 9. Dr. Starke (Franken) * 18. 9. Dr. Tamblé 30. 10. Unertl 18. 9. Frau Dr. Walz ** 18. 9. Werner * 18. 9. Westphal 26. 9. Wilhelm 30. 10. Wischnewski 18. 9. Baron von Wrangel 18. 9. Wrede 18.9. Anlage 2 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl vom 17. September 1970 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Löffler (Drucksache VI/1138 Frage A 8): Trifft die Meldung in einem deutschen Nachrichtenmagazin zu, daß Überlegungen angestellt werden, die zeitlich begrenzte Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer in eine Dauerabgabe zu verwandeln? Das Steueränderungsgesetz 1970, dessen Verabschiedung aus konjunkturpolitischen Erwägungen 3654 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1970 zurückgestellt worden ist, sieht einen stufenweisen Abbau der Ergänzungsabgabe vor. Sobald die konjunkturelle Lage eine Verabschiedung dieses Steueränderungsgesetzes zuläßt, würde die Ergänzungsabgabe also in zwei Stufen auslaufen. Für die Finanzierung im Bereich der Bildung und Wissenschaft müssen aber weitere Mittel zur Verfügung stehen, so daß dann für höhere Einkommen eine neue — allerdings ebenfalls befristete — Ergänzungsabgabe eingeführt werden müßte. Anlage 3 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl vom 17. September 1970 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Roser (Drucksache VI/1138 Fragen A 9 und 10) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß freiwillige Unterhaltsleistungen für bedürftige Kinder in den Entwicklungsländern, wenn überhaupt, nur im Rahmen der Spendenabzüge steuerlich berücksichtigt werden? Ist die Bundesregierung bereit, diese auf privater Initiative beruhende Entwicklungshilfe durch entsprechende steuerliche Begünstigung zu fördern? Der Bundesregierung ist bekannt, daß freiwillige Unterhaltsleistungen für bedürftige Kinder in Entwicklungsländern, wenn überhaupt, grundsätzlich nur im Rahmen der Spendenabzüge steuerlich berücksichtigt werden. Zu einer Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung können Unterhaltsaufwendungen für Personen, für die der Steuerpflichtige keinen Kinderfreibetrag erhält, nur führen, wenn sie zwangsläufig erwachsen. Diese Voraussetzung ist nach der ständigen höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung in solchen Fällen lediglich dann erfüllt, wenn der Steuerpflichtige sich auf Grund besonderer Verhältnisse im Einzelfall zur Hilfeleistung verpflichtet fühlen kann. Solche besonderen Verpflichtungsgründe sind bei freiwilligen Unterhaltsleistungen für bedürftige Kinder in Entwicklungsländern, wenn nicht weitere Umstände den Zwang zur Hilfeleistung unabweisbar machen, nicht gegeben. Die allgemeine sittliche Verpflichtung, notleitenden Mitmenschen zu helfen, reicht nicht aus, um eine Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung zu gewähren, so anerkennenswert auch die Haltung dessen ist, der entsprechend dieser allgemeinen sittlichen Verpflichtung handelt. Die bezeichneten Unterhaltsleistungen stellen aber Ausgaben für mildtätige Zwecke dar. Sie können deshalb als Spenden abzugsfähig sein, wenn der Empfänger der Zuwendung eine inländische Körperschaft des öffentlichen Rechts, eine inländische öffentliche Dienststelle oder eine mildtätigen Zwecken dienende inländische Körperschaft ist. Aus der Spendenbescheinigung muß der Verwendungszweck der Spende hervorgehen. Eine weitergehende steuerliche Begünstigung durch die Gewährung einer Steuerermäßigung we- gen außergewöhnlicher Belastung würde eine Änderung des Einkommensteuergesetzes voraussetzen. Es müßte abweichend von der ständigen höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung bestimmt werden, daß auch jede sittlich gebotene materielle Unterstützung zwangsläufig geleistet wird. Eine solche Maßnahme hält die Bundesregierung nicht für vertretbar. Sie würde dazu führen, daß im Besteuerungsverfahren alle Opfer, die der einzelne für notleidende Mitmenschen erbringt, im Ergebnis teilweise auf die Allgemeinheit überwälzt würden. Dies würde letztlich auch zur Folge haben, daß weithin Spenden für mildtätige und karitative Zwecke über die Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung steuerlich unbeschränkt abzugsfähig wären, obwohl § 10 b des Einkommensteuergesetzes die Berücksichtigung nur unter besonderen Voraussetzungen und in beschränktem Umfang zuläßt. Anlage 4 Schriftliche Antwort des Bundesministers Ertl vom 18. September 1970 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Baron von Wrangel (Drucksache VI/ 1138 Fragen A 26 und 27) : Was hat die Bundesregierung unternommen, um Qualitätsweizen in die Bundesreserve aufzunehmen? Welche Maßnahmen hat man im Hinblick auf die Versorgung der deutschen Mühlenindustrie für spätere Termine (Januar bis Juni 1971) mit diesem europäischen Spitzenweizen ergriffen? Bei Fortbestehen der gegenwärtig geltenden, relativ hohen Marktpreise, die schon für Standardqualität bis zu 25 DM/t über den Interventionspreisen liegen, beabsichtigt die Bundesregierung nicht, Qualitätsweizen aus der eigenen Ernte in die Bundesreserve aufzunehmen. Die Versorgung mit qualitativ hochwertigem Weizen auf dem Markt ist Sache der Mühlen selbst. Die Bundesregierung hat den Mühlen zu Beginn der diesjährigen Ernte eindringlich empfohlen, sich rechtzeitig durch den Abschluß langfristiger Verträge zu versorgen, denn langfristige Verträge können entscheidend zu einem ausgeglichenen Marktverlauf beitragen. Anlage 5 Schriftliche Antwort des Bundesministers Ertl vom 18. September 1970 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Höcherl (Drucksache VI/ 1138 Frage A 28) : Ist die Bundesregierung bereit, zur Konsolidierung des deutschen Obstmarktes Maßnahmen zu ergreifen, wie sie der „Bundesausschuß für Obst und Gemüse" erarbeitet hat? Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1970 3655 Die Anfrage des Herrn Kollegen Höcherl ist Bestandteil der Vorschläge für Sofortmaßnahmen, die mir der Bundesausschuß für Obst und Gemüse in seiner Darstellung über die wirtschaftliche Lage der Obstbaubetriebe der Bundesrepublik Deutschland 1969/70 mit Schreiben vom 7. August 1970 unterbreitet hat. Diese Vorschläge werden derzeit in meinem Hause eingehend geprüft; mit einer Stellungnahme ist in. Kürze zu rechnen. Im übrigen verweise ich auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage des Abgeordneten Bremer und Genossen am 1. Juli 1970 (Drucksache VI/1020). Anlage 6 Schriftliche Antwort des Bundesministers Ertl vom 18. September 1970 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Leicht (Drucksache VI/1138 Frage A 29) : Wird die Bundesregierung umgehend alles versuchen, um in Brüssel die Anhebung der Zuckerrühenpreise auf. wieder mindestens 7,25 DM pro 100 kg zu erreichen? Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die durch die Nachfrageentwicklung gegebenen preispolitischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden sollten, um die Landwirtschaft über eine gewisse Erhöhung der Verkaufserlöse zur Selbsthilfe im Anpassungsprozeß zu befähigen. Zur Zeit gibt es auf dem Zuckersektor der Gemeinschaft strukturelle Überschüsse, die nur unter Aufwendung ganz erheblicher Mittel beseitigt werden können. Dieser Umstand hat die Kommission und andere Mitgliedstaaten veranlaßt, eine Preissenkung bei Zuckerrüben vorzuschlagen. Eine aktive Preispolitik wird in Brüssel daher erst dann durchzusetzen sein, wenn durch geeignete Maßnahmen ein Gleichgewicht auf dem Zuckermarkt hergestellt ist. Anlage 7 Schriftliche Antwort des Bundesministers Ertl vom 18. September 1970 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Ehnes (Drucksache VI/1138 Fragen 30 und 31) : Kann die Bundesregierung darüber Auskunft geben, oh in anderen Mitgliedsländern der EWG landwirtschaftliche Förderungsmaßnahmen durchgeführt werden, die denen des im Entwurf eines einzelbetrieblichen Förderungs- und sozialen Ergänzungsprogramms für die Land- und Forstwirtschaft aufgeführten entsprechen? Kann die Bundesregierung darüber Auskunft geben, ob vor allem die im Förderungsprogramm vorgesehene Zielschwelle in anderen Mitgliedstaaten der EWG praktiziert wird? In allen Mitgliedstaaten der EWG bestehen landwirtschaftliche Förderungsmaßnahmen, die mit den bisher in der Bundesrepublik bestehenden und den im Einzelbetrieblichen Förderungs- und sozialen Ergänzungsprogramm für die Land- und Forstwirtschaft vorgesehenen Maßnahmen vergleichbar sind. Eine Förderungsschwelle, wie sie in dem jetzigen Entwurf des Einzelbetrieblichen Förderungs- und sozialen Ergänzungsprogramms für die Land- und Forstwirtschaft vorgesehen ist, besteht in den Mitgliedstaaten der EWG nicht, jedoch verlangen alle Mitgliedstaaten wenn auch unterschiedliche, zum Teil strenge Förderungsvoraussetzungen. Anlage 8 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Ravens vom 18. September 1970 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Geisenhofer (Drucksache VI/1138 Fragen A 72 und 73): Wird die Bundesregierung Vorbereitungen treffen — nachdem lt. Beantwortung meiner mündlichen Anfrage vom 21. Juli 1970 die Bundesregierung nicht bereit ist, ein Vorziehen des Wohngeldgesetzes bzw. eine Vorwegerhöhung der Mietobergrenzen durch Rechtsverordnung zu veranlassen —, wenigstens sicherzustellen, daß ab 1. Januar 1971 das neue Wohngeldgesetz in Kraft treten kann? Ist der Bundesregierung bekannt, daß das neue Gesetz erhebliche Umstellungsarbeiten für die elektronische Datenverarbeitung bei den Wohngeldämtern auslöst, so daß die Verabschiedung des Gesetzes spätestens im Oktober 1970 erfolgen müßte, wenn es für den Wohngeldempfänger am 1. Januar 1971 wirksam werden soll? Der Deutsche Bundestag hat gestern den Entwurf eines Wohngeldgesetzes in erster Lesung beraten und den Entwurf den Ausschüssen überwiesen. Auch die Bundesregierung hält es für erforderlich, daß das neue Wohngeldgesetz am 1. Januar 1971 in Kraft tritt. Sie wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um die Beratungen in den gesetzgebenden Körperschaften so zu unterstützen, daß dieses Ziel erreicht werden kann. Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Umstellung auf das neue Recht eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen wird. Auch sie hält es für zweckmäßig, zwischen Verkündung und Inkrafttreten des Gesetzes eine ausreichende Umstellungsfrist vorzusehen. Bei einer zügigen Beratung des Gesetzentwurfs müßte dieses Ziel zu erreichen sein. Anlage 9 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Ravens vom 18. September 1970 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Weigl (Drucksache VI/1138 Frage A 75): Wird die Bundesregierung durch die Zurückstellung weniger wichtiger Bauvorhaben gemeinsam mit den Ländern einen Beitrag zur Bekämpfung der Inflation der Baupreise leisten? In seiner Sitzung am 27. August 1970 hat das Bundeskabinett ein ganzes Bündel — in ihren Einzelbereichen aufeinander abgestimmter — legislativer und administrativer Maßnahmen beschlossen, die der derzeitigen Entwicklung am Wohnungsmarkt, vor allem aber der besorgniserregenden 3656 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1970 Steigerung der Baupreise, entgegenwirken sollen. Dazu gehören vor allem auch Maßnahmen bautechnischer und bauwirtschaftlicher Art, um zu gewährleisten, daß alle kostensenkenden Rationalisierungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden. Darüber hinaus hat die Bundesregierung den Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen mit der Koordinierung des Einsatzes von Bundesmitteln für den Hochbau beauftragt. Es geht jetzt darum, weitere Vorschläge zu erarbeiten, um die Möglichkeiten einer solchen Koordinierung voll auszuschöpfen. Dabei wird es vor allem auch um die zeitliche Koordinierung der Vergabe öffentlicher Bauvorhaben gehen, und es wird unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen sein, ob die Vergabe öffentlicher Bauvorhaben unter konjunkturellen Aspekten und unter dem Gesichtspunkt der gleichmäßigen ganzjährigen Auslastung der Baukapazitäten terminiert werden kann. Die Bundesregierung wird sich darüber hinaus bemühen, in dieser Richtung auch auf die übrigen Gebietskörperschaften einzuwirken. Anlage 10 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Moersch vom 16. September 1970 auf die Mündliche Frage der Abgeordneten Frau Lauterbach (Drucksache VI/1138 1 Frage A 82) : Wie beurteilt die Bundesregierung die auf Grund der Auseinandersetzungen in Jordanien entstandene Lege im Hinblick auf die Sicherheit der im Land tätigen deutschen Staatsbürger und ihrer Familien sowie die Möglichkeit der ungehinderten Durchführung deutscher Entwicklungshilfeprojekte? Die deutsche Kolonie in Jordanien wurde bereits während der Innenkrise dieses Jahres evakuiert. Es befinden sich zur Zeit nur noch wenige Mitarbeiter der deutschen Theodor-Schneller-Schule, deutsche, mit jordanischen Staatsangehörigen verheiratete Frauen und der reduzierte deutsche Botschaftsstab ohne Familienangehörige in Jordanien. Die deutsche Botschaft steht mit den deutschen Staatsangehörigen in ständigem Kontakt; sollten sie den Wunsch haben, das Land zu verlassen, wird ihnen die deutsche Botschaft alle erforderliche Hilfe gewähren. Die Durchführung deutscher Entwicklungshilfeprojekte ruht zur Zeit. Entwicklungshilfeexperten befinden sich ebenfalls seit der Innenkrise nicht mehr in Jordanien. Die Bundesregierung wird zu gegebener Zeit prüfen, wann und in welcher Form die Projekte weitergeführt werden können. Anlage 11 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Moersch vorn 18. September 1970 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Kiep (Drucksache VI/ 1138 Frage A 83) : Treffen Pressemeldungen zu, nach denen das Auswärtige Amt beabsichtgt, afrikanischen Kritikern des Cabora-Bassa-Staudammprojektes für eine positive oder zurückhaltende Beurteilung Kredithilfen bereitzustellen? Die Bundesregierung vermutet, daß es sich bei den genannten Pressemeldungen um eine in der „Zeit" vom 11. September wiedergegebene Darstellung handelt, die dort als Gerücht gekennzeichnet worden ist. Dieses Gerücht ist ohne Grundlage. Es ist nie die Absicht der Bundesregierung gewesen und es wird auch künftig nicht die Absicht der Bundesregierung sein, Kritik, die von Dritten an Entscheidungen der Bundesregierung oder an Entscheidungen von Privatfirmen in Deutschland geübt wird, mit Kapitalhilfemaßnahmen zu beschwichtigen. Im übrigen verweise ich darauf, daß die Rahmenplanung der Bundesressorts für die bilaterale Kapitalhilfe, die unter der Federführung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit erfolgt, für das Jahr 1970 abgeschlossen ist und zusätzliche, über diese Rahmen hinausgehende, Zusagen auch aus diesem Grunde nicht möglich sind. Anlage 12 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Moersch vom 15. September 1970 auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen (Drucksache VI/ 1138 Frage B 1) : Wann wird das Goethe-Institut in Seoul nach fast zweijähriger praktischer Untätigkeit seine Arbeit tatsächlich wiederaufnehmen? Das Goethe-Institut in Seoul ist in den vergangenen zwei Jahren nicht untätig gewesen. Im Bereich des Kulturprogramms hat es eine intensive Tätigkeit entwickelt. Allein im Jahre 1969 haben 57 kulturelle Veranstaltungen mit mehr als 25 000 Besuchern stattgefunden, darunter 18 Konzerte mit durchschnittlich je 1000 Besuchern. Hinzu kommen noch Radio- und Fernsehsendungen. Nur auf dem Gebiet der Spracharbeit mußte sich das Institut wegen unzureichender Räumlichkeiten Einschränkungen auferlegen. Hier hat es sich im wesentlichen auf die Betreuung und Fortbildung koreanischer Deutschlehrer und Germanisten konzentriert, was u. a. zur Bildung des Koreanischen Deutschlehrerverbandes geführt hat. Nachdem es im Jahre 1970 nach langwierigen Verhandlungen gelungen ist, Räumlichkeiten für das Institut in Seoul zu erwerben, die zur Zeit für Institutszwecke umgebaut werden, ist mit der Aufnahme des Sprachunterrichts in größerem Umfang ab Frühjahr 1971 zu rechnen. Anlage 13 Schriftliche Antwort des Bundesministers Genscher vom 15. September 1970 auf die Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Walkhoff (Drucksache VI/ 1138 Fragen B 2 und 3) : Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1970 3657 In welcher Höhe sieht die Bundesregierung im geplanten Bundeshaushalt 1971 Mittel zur Unterstützung der Arbeit der Vertriebenenverbände vor? Ist die Bundeslegierung der Meinung, daß die zur Forderung der Vertriebenenverbände im Bundeshaushalt veranschlagten Mittel dem einzelnen Vertriebenen und Flüchtling eher zugute kämen, wenn sie für die vorzeitige Erbringung von Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz verwendet werden würden? Im Entwurf des Bundeshaushalts 1971 sind Mittel zur Unterstützung der Arbeit der Vertriebenenverbände sowohl im Einzelplan des Bundesministers für Innerdeutsche Beziehungen als auch in dem meines Hauses vorgesehen. Für die Unterstützung der Arbeit der Vertriebenenverbände sind seitens des BMB nach den im Jahresbericht der Bundesregierung 1969 S. 571 aufgeführten Gesichtspunkten im Rahmen des Titelansatzes 2702/68501 für 1971 Mittel etwa in gleicher Höhe wie im laufenden Rechnungsjahr 1970 vorgesehen. Der Titel unterliegt der Kontrolle eines parlamentarischen Achterausschusses. Soweit im Einzelplan meines Hauses Mittel zur Unterstützung der Arbeit der Vertriebenenverbände eingesetzt sind, kann für das Rechnungsjahr 1971 noch nicht angegeben werden, in welcher Höhe Vertriebenenverbände Mittel aus Kap. 0640 erhalten, da die Zuwendung nur aufgrund von Anträgen mit spezifizierten Arbeits- und Finanzierungsplänen erfolgt. Diese werden hinsichtlich der Zweckbestimmung der Vorhaben, der Förderungswürdigkeit und der Angemessenheit der einzelnen Positionen geprüft, wobei die Eigenbeteiligung eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Da diese Anträge erst in den Monaten November/Dezember einlaufen, kann nur von den Ansätzen des Jahres 1970 ausgegangen werden. Sie dürften sich von denen für 1971 nur unwesentlich unterscheiden. Zur Förderung der Kulturarbeit von Vertriebenenverbänden wurden im Rechnungsjahr 1970 rund 415 000 DM bewilligt. Zur Förderung der Eingliederungsarbeit von Vertriebenenverbänden wurden im Rechnungsjahr 1970 rund 300 000 DM bewilligt. In diesen Beträgen sind bei einzelnen Verbänden die anteiligen Personal- und Sachkosten eingeschlossen. Im übrigen handelt es sich um reine Projektförderungen. Globalzuschüsse werden in keinem Fall gewährt. Die Beträge sind deshalb nicht ohne weiteres zu addieren. Die Bundesregierung ist nicht der Meinung, daß die zur Förderung der Vertriebenenverbände im Bundeshaushalt veranschlagten Mittel den einzelnen Vertriebenen und Flüchtlingen eher zugute kämen, wenn sie für die vorzeitige Erbringung von Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz verwendet würden. Der Wirtschafts- und Finanzplan des Ausgleichsfonds für das Rechnungsjahr 1971 liegt bisher — auch im Entwurf — noch nicht vor. Es kann jedoch damit gerechnet werden, daß die für das Rechnungsjahr 1971 zu verplanenden Ausgaben von denjenigen des Rechnungsjahres 1970 nicht wesentlich abweichen. Für dieses Rechnungsjahr weist der Wirtschafts- und Finanzplan des Ausgleichsfonds Gesamtausgaben in Höhe von 3,9 Milliarden DM aus. Eine irgendwie ins Gewicht fallende vorzeitige Erbringung von Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz könnte bei dem Verhältnis zwischen den Gesamtausgaben des Ausgleichsfonds einerseits und den zur Unterstützung der Arbeit der Vertriebenenverbände vorgesehenen Mitteln andererseits nicht erreicht werden. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß die mit der Bereitstellung der Mittel zur Unterstützung der Arbeit der Vertriebenenverbände verfolgten Ziele nicht aufgegeben werden sollten. Anlage 14 Schriftliche Antwort des Bundesministers Genscher vom 16. September 1970 auf die Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Haack (Drucksache VI/1138 Fragen B 4 und 5) : ist der Bundesregierung bekannt, daß tschechoslowakische Staatsangehörige, die mit einer Deutschen verheiratet sind, nach dem 21. August 1968 die Tschechoslowakei verlassen Nahen und die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben wollen, von den tschechoslowakischen Behörden auf Antrag nicht aus der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit entlassen werden? Wird die Bundesregierung die Innenminister (Senatoren) der Bundesländer ersuchen, solche tschechoslowakische Staatsangehörige, hei denen außer der Entlassung aus der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit alle Voraussetzungen für eine Einbürgerung vorliegen, nach S 8 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes (RuStAG) einzubürgern? Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß tschechoslowakische Behörden allgemein in den von Ihnen angesprochenen Fällen Anträge auf Entlassung aus dem tschechoslowakischen Staatsverband ablehnen. Die Bundesländer führen das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) als eigene Angelegenheit aus. Deshalb ist es der Bundesregierung nicht möglich, die Innenminister (Senatoren) der Bundesländer zu ersuchen, in den genannten Fällen allgemein von der Auflage abzusehen, daß der Einbürgerungsbewerber die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit nachweist. Soweit allerdings in Einzelfällen die Forderung auf Nachweis der Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit unzumutbar wäre, wird das Bundesministerium des Innern einer von der zuständigen Landesbehörde vorgesehenen Einbürgerung. nach § 8 RuStAG die Zustimmung nicht im Hinblick auf eine eintretende Doppelstaatigkeit versagen. Anlage 15 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Bayer: vom 15. September 1970 auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Dr. Beermann (Drucksache VI/1138 Frage B 6) : Sind der Bundesregierung die jüngst in den Wochenzeitschriften „Stern" und „Spiegel" erschienenen Berichte über rücksichtslose Mietkündigungen insbesondere von älteren Mitbürgern be kannt, die, wie diese Zeitschriften andeuten, teilweise zum Selbstmord getrieben worden sind, und ist die Bundesregierung 3658 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1970 im Hinblick darauf bereit, einen Gesetzentwurf einzubringen, der ein absolutes Kündigungs- und Mietpreiserhöhungsverbot für alle über 75 Jahre alten Mieter so lange vorsieht, bis ein ausreichendes Angebot würdiger Alters- und Pflegeheime im Bundesgebiet vorhanden ist? Die Berichte im Spiegel vom 20. Juli 1970 und im Stern vom 16. August 1970 über Kündigungen von Mietverhältnissen, insbesondere gegenüber älteren Mietern, sind der Bundesregierung bekannt. Nach § 556 a BGB kann der Mieter der Kündigung eines Mietverhältnisses über Wohnraum widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die vertragsmäßige Beendigung des Mietverhältnisses für ihn oder seine Familie eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Durch diese Vorschrift wird es je nach den Umständen. des Einzelfalls ermöglicht, das Mietverhältnis zu verlängern, wenn der Mieter infolge hohen Alters schutzbedürftig ist. Ein absolutes Kündigungsverbot bei alten Mietern würde zu weit gehen, da Fälle denkbar sind, in denen auch solche Mieter keines besonderen Schutzes bedürfen — etwa weil sie noch besonders rüstig oder weil sie wohlhabend sind — oder in denen berechtigte Interessen des Vermieters die Beendigung des Mietverhältnisses rechtfertigen. Ebenso dürfte es zu weit gehen, Mietpreiserhöhungen gegenüber alten Mietern absolut zu verbieten. Ein solches starres Verbot, das allein auf das Alter des Mieters abstellen würde, könnte mit Härten nicht nur für den Vermieter, sondern auch für den Mieter verbunden sein; denn es könnte die Bereitschaft, an alte Menschen zu vermieten, erheblich beeinträchtigen. Im Hinblick darauf, daß sich die genannten Presseberichte wohl besonders auf Altbauwohnungen in Hamburg beziehen, bemerke ich im übrigen, daß dort für derartige Wohnungen — ausgenommen solche mit 6 oder mehr Wohnräumen einschließlich Küche — noch Mietpreisbindung bestehen. Die Bundesregierung beabsichtigt aus den genannten Gründen gegenwärtig nicht, einen Gesetzentwurf des von Ihnen erwähnten Inhalts einzubringen. Sie hat sich aber am 27. August 1970 im Grundsatz für gewisse Maßnahmen ausgesprochen, durch welche die Rechtsstellung des Mieters verbessert und ungerechtfertigten Mietpreissteigerungen im Rahmen des Möglichen allgemein entgegengewirkt werden soll. Ihre Frage bezüglich der finanziellen Unterstützung des Baues von Alters- und Pflegeheimen wird der Herr Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen. beantworten. Anlage 16 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl vom 15. September 1970 auf die Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Weigl (Drucksache VI/ 1138, Fragen B 7 und 8) : Bis wann wird die Bundesregierung die dem bayerischen DGB- Landesbezirksvorsitzenden Wilhelm Rothe gegebenen Zusagen, tur Ostbayern die gleichen Präferenzen wie für Berlin einzuführen (siehe Bericht über eine Pressekonferenz des DGB am 24. Juli 1970 in Cham), einlösen? Kann mit einer Initiative der Bundesregierung gerechnet werden, die in Berlin bewährten zinsgünstigen Familiengründungsdarlehen auch im übrigen Bundesgebiet zu ermöglichen? Die Bundesregierung hat stets die Auffassung vertreten, daß die Nachteile, die sich aus den besonderen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen in Berlin (West) ergeben mit den erschwerten wirtschaftlichen Verhältnissen in förderungsbedürftigen Regionen des übrigen Bundesgebiets nicht vergleichbar sind und daß daher ein Präferenzvorsprung Berlins auch gegenüber dem förderungsbedürftigen Regionen des übrigen Bundesgebiets gerechtfertigt und erforderlich ist. An diesem Standpunkt hält die Bundesregierung unverändert fest. Sie hat daher niemals, auch nicht gegenüber dem DGB-Landesbezirk Bayern, eine Zusage gegeben, in Ostbayern die gleichen Präferenzen wie in Berlin (West) einzuführen. Soweit ich feststellen konnte, ist eine solche Zusage auch in der Pressekonferenz des DGB-Landesbezirks Bayern am 23. Juli 1970 nicht behauptet worden. Auch die Familiengründungsdarlehen finden ihre Begründung in der besonderen Situation von Berlin. Sie sollen insbesondere dazu beitragen, eine Abwanderung junger Arbeitskräfte aus Berlin zu verhindern sowie Arbeitskräfte nach Berlin zu führen und dort seßhaft zu machen. Die Bundesregierung beabsichtigt in absehbarer Zeit nicht, eine Initiative zur Ausweitung der Förderungsmaßnahmen auf das gesamte Bundesgebiet zu ergreifen. Sie ist allerdings auf Grund der bisher in Berlin mit den Familiengründungsdarlehen gesammelten Erfahrungen bereit, zu überprüfen, ob und inwieweit ähnliche Regelungen geeignet sind, zu der von der Bundesregierung erstrebten besonderen Förderung der jungen Ehe und Familie beizutragen. Dabei werden auch die erheblichen finanziellen Auswirkungen zu bedenken sein. Anlage 17 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl vom 16. September 1970 auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Pieroth (Drucksache VI/ 1138, Frage B 9) : Hat die Bundesregierung bedacht, daß die beabsichtigte Streichung der 50%igen Sektsteuerrückvergütung bei Verarbeitung von mehr als 75 % deutscher Grundweine (§ 10 Schaumweinsteuergesetz) wahrscheinlich als Erlösminderung auf viele kleinere Winzer durchschlagen wird, die ausschließlich oder zu einem hohen Anteil ihre Weine an Sektkellereien liefern, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den dadurch entstehenden Nachteil, der viele der betroffenen Winzer in der gegenwärtigen unsicheren Situation des deutschen Weinbaues besonders hart treffen wird, auszugleichen? Die Bundesregierung hatte der EWG-Kommission 1967 auf deren wiederholtes Drängen, § 10 Schaumweinsteuergesetz zu beseitigen, mitgeteilt, daß sie die Aufrechterhaltung dieser Vorschrift bis zum Wirksamwerden der EWG-Weinmarktordnung für dringend notwendig halte. Die EW-Weinmarktordnung ist in ihren wesentlichen Vorschriften am 1. Juni 1970 wirksam geworden. Die Beseitigung Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1970 3659 des § 10 Schaumweinsteuergesetz läßt sich daher nicht mehr vermeiden. Ein Beschluß der Bundesregierung über die Beseitigung ist allerdings noch nicht gefaßt worden. Es liegt bisher nur ein vorläufiger Referentenentwurf vor, der die Streichung der in Rede stehenden Vorschrift vorsieht. In einem überarbeiteten Entwurf ist vorgesehen, die Erstattung noch für inländischen Grundwein zu gewähren, der im Jahre 1971 auf genußfertigen Schaumwein verarbeitet werden wird. Hierdurch wäre gewährleistet, daß Wein aus der Ernte des Jahres 1970 noch unter den bisherigen Verhältnissen von den Sektkellereien verarbeitet werden kann. Es wird nicht verkannt, daß die Streichung der Schaumweinsteuererstattung nachteilige Folgen haben kann. Sollten solche Nachteile auftreten, sind zu deren Milderung nach der EWG-Weinmarktordnung, auch für kleinere Winzer, Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene vorgesehen. Danach können für jede Tafelweinart kurzfristige Lagerbeihilfen gezahlt werden, wenn der Auslösungspreis für die betreffende Weinart unterschritten wird. Langfristige Lagerbeihilfen werden gewährt, wenn sich zu Beginn eines Wirtschaftsjahres ergibt, daß die verfügbare Menge Tafelwein den voraussichtlichen Gesamtbedarf um mehr als eine bestimmte Verbrauchsmenge überschreitet. Sollten diese Maßnahmen zur Preisstabilisierung nicht ausreichen, erläßt der Rat der Europäischen Gemeinschaften die erforderlichen Vorschriften für die Destillation von Tafelwein. Außerdem kann der Rat beschließen, daß — soweit dies für die Stützung des Tafelweinmarktes erforderlich ist — auch für andere Weine. z. B. Qualitätsweine, Interventionsmaßnahmen getroffen werden. Anlage 18 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl vom 15. September 1970 auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Koenig (Drucksache VI/1138 Frage B 10) : Gedenkt die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Eröffnung des neuen Zollamtes Aachen-Nord, das im Tag- und Nachtdienst im Dezember 1970 zur Abfertigung des Warenverkehrs über die deutschniederländische Grenze in Betrieb genommen wird, auch das Autobahnzollamt Aachen-Süd (Lichtenbusch) en der deutsch-belgischen Grenze rund um die Uhr zu öffnen und die Warenabfertigung auf den bisherigen kleinen Grenzübergängen zu reduzieren, um damit neben einer besseren Auslastung des modernen Autobahnzollamtes Lichtenbusch auch die Aachener Innenstadt von dem Warendurchgangsverkehr zu entlasten? Das Zollamt Aachen-Autobahn-Nord wird am 15. Dezember 1970 eröffnet. Es ist vorgesehen, daß von diesem Tage an — trotz gewisser Bedenken der Industrie- und Handelskammer für den Regierungsbezirk Aachen — der gesamte Verkehr bei diesem Zollamt von 0 bis 24 Uhr durchgehend abgefertigt wird, und zwar der Reiseverkehr tätglich, der Güterverkehr werktags. Es ist weiter vorgesehen, zu diesem Zeitpunkt auch bei dem Zollamt Aachen-Autobahn-Süd (Lichtenbusch) die gleichen Öffnungszeiten einzuführen. Dazu bedarf es jedoch noch des Einverständnisses der belgischen Zollverwaltung; denn die Offnungszeiten der sich gegenüberliegenden Grenzzollstellen werden stets aufeinander abgestimmt, um Stauungen und Leerlauf zu vermeiden. Die Verhandlungen mit der belgischen Zollverwaltung sind noch nicht abgeschlossen. Mit Inkrafttreten dieser Regelung sollen die Befugnisse der Zollämter Aachen-Bildchen, AachenKöpfchen, Horbach und Vaalserquartier im Güterverkehr eingeschränkt werden, um diese Ämter zu entlasten. Als Folge wird auch eine Verkehrsentlastung der Aachener Innenstadt zu erwarten sein. Die Zustimmung der niederländischen und der belgischen Zollverwaltung zu dieser Maßnahme liegen ebenfalls noch nicht vor. Anlage 19 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom 15. September 1970 auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Glombig (Drucksache VI/1138 Frage B 11): Ist die Bundesregierung bereit, eine Änderung der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu veranlassen, wonach der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zulassen kann, daß der Mitgliederkreis und der Bezirk einer Ersatzkasse geändert werden, wenn sich die Berufsbilder von Mitgliedern gewandelt oder sich verwandte Berufe gebildet haben, die Verwaltungsbezirke, für die die Kasse zugelassen ist, neu abgegrenzt wurden oder der Mitgliederkreis einer Ersatzkasse bei der „Neugliederung" der Angestelltenverbände im Jahre 1933 auf Grund des Gesetzes über die Zulassung von Ersatzkassen der Krankenversicherung vom 5. Dezember 1933 eingeengt worden ist? Die Bundesregierung beabsichtigt, den von Ihnen genannten Fragenkreis mit der zur Weiterentwicklung der Krankenversicherung gebildeten Sachverständigenkommission zu erörtern, in deren Arbeitskatalog er enthalten ist. In diese Erörterung werden sicher auch die Probleme einbezogen werden, die Sie im einzelnen genannt haben. Ich bitte Sie um Verständnis dafür, daß ich diesen Beratungen nicht vorgreifen kann. Ich werde die Kommission im übrigen von dem Sachverhalt, der sich in Ihrer Frage ausdrückt, unterrichten. Anlage 20 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom 15. September 1970 auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Glombig (Drucksache VI/1138 Frage B 12) : Ist die Bundesregierung bereit, bei der notwendigen struktutellen Verbesserung der Kriegsopferversorgung zu veranlassen, daß die Gewährung der Witwen- und Waisenbeihilfe nach 48 des Bundesversorgungsgesetzes auch dann erfolgt, wenn der Beschädigte, der nicht an den Folgen der anerkannten Schädigung verstorben ist, Anspruch auf Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 50 v. H. hatte? Wie Sie wissen, Herr Kollege, ist schon wiederholt anläßlich der Behandlung von Änderungsge- 3660 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1970 setzen zum Bundesversorgungsgesetz in den Fachausschüssen des Deutschen Bundestages erörtert worden, ob die Voraussetzungen für den Bezug der von Ihnen genannten besonderen Versorgungsleistung der Witwen- und Waisenbeihilfe weiter aufgelockert werden sollten. Der Gesetzgeber hat jedoch die Minderung der Erwerbsfähigkeit um 70 v. H. als untere Grenze gewählt. Dabei spielte vor allem der Gedanke eine Rolle, eine langjährige Pflege des Beschädigten zu berücksichtigen und vor einer erheblichen Beeinträchtigung der Alters- und Hinterbliebenensicherung durch die Schädigungsfolgen zu schützen. Ob sich bei künftigen Planungen der Bundesregierung über eine Fortentwicklung des Versorgungsrechts neue Gesichtspunkte ergeben werden, kann zum jetzigen Zeitpunkt abschließend noch nicht gesagt werden. Sicher werden dabei die Kriegsopfer noch eine Reihe von Verbesserungen vorschlagen, die ebenfalls ihr Gewicht haben. Bei künftigen Überlegungen muß geprüft werden, inwieweit sich dabei eine Lösung des von Ihnen angesprochenen Problems in das Gesamtgefüge einordnen läßt. Anlage 21 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. von Manger-Koenig vom 16. September 1970 auf die Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Häfele (Drucksache VI/1138 Fragen B 13 und 14) : Gibt es in der Bundesrepublik Deutschland etwas Ähnliches wie die von der Schweizerischen Rheumaliga herausgegebenen „Merkblätter zur Rheumaprophylaxe", die über geeigneten Sport und Gymnastik, über richtiges Schuhwerk und Matratzen, Tiber richtige Beheizung und Belüftung der Wohn- und Arbeitsräume, über eine Diät zum Abnehmen etc. informieren, entweder — wie in der Schweiz — auf Grund freier Initiative oder kraft Initiative durch die öffentliche Hand? Wenn ja, wie wird die Bevölkerung fiber diese Vorbeugungsmaßnahmen informiert; wenn nein, ist die Bundesregierung bereit, eine ähnliche Aufklärungsaktion durchzuführen oder z. B. vom Bundesamt für gesundheitliche Aufklärung durchführen zu lassen? Etwas Ähnliches liegt in der Bundesrepublik Deutschland nicht vor. Nach Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie ist die Gründung einer „Deutschen Rheumaliga" beabsichtigt, die sich über die medizinischen Fragen hinaus mit allgemeinen und sozialen Problemen der Rheumakranken befassen soll. Während eines Kolloquiums, das anläßlich des im Oktober 1970 stattfindenden Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie abgehalten wird, sollen Aufgaben und Struktur dieser „Rheumaliga" diskutiert werden. Zu den Aufgaben sollen auch Vorschläge zur Rheumaprophylaxe gehören. Nach Vorliegen. des Ergebnisses des erwähnten Kolloquiums wird die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zusammen mit Rheumatologen prüfen, ob und in welcher Form die Bevölkerung über Vorschläge zur Rheumaprophylaxe informiert werden kann. Anlage 22 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. von Manger-Koenig vom 16. September 1970 auf die Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Biechele (Drucksache VI/1138 Fragen B 15 und 16) : Sind Pressemeldungen zutreffend, daß das Interesse an Krebs-Vorsorgeuntersuchungen bei den Frauen nachgelassen habe (vgl. „Südkurier" Nr. 190 vom 20. August 1970, S. 11)? Sieht die Bundesregierung gegebenenfalls Möglichkeiten, dieser Entwicklung entgegenzuwirken? Das in der Pressemeldung des Südkurier vom 20. August 1970 angegebene nachlassende Interesse an Krebsvorsorgeuntersuchungen hat nach Meinungen von Fachleuten seine Ursache in örtlichen Gegebenheiten und kann nicht verallgemeinert werden. Nach den in einigen größeren Bereichen eingeholten Informationen wird vielmehr eine langsame Zunahme von Krebsvorsorgeuntersuchungen bei Frauen angenommen. Geringe Schwankungen treten zum Beispiel durch die Urlaubszeit ein. Es läßt sich aber nicht abstreiten, daß ganz allgemein gesehen die gebotenen Möglichkeiten der Krebsvorsorge nur zögernd in Anspruch genommen werden. Auf lokale Gegebenheiten kann die Bundesregierung keinen Einfluß nehmen. Im Rahmen der gesundheitlichen Aufklärung hat sich der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit in den vergangenen Jahren immer wieder bemüht, auf die Bedeutung der Teilnahme an Krebsvorsorgeuntersuchungen hinzuweisen. Das ist in diesem Jahr vor dem Hintergrund des von der Weltgesundheitsorganisation für den Weltgesundheitstag 1970 festgelegten Mottos „Kampf dem Krebs — Früherkennung rettet Leben" in besonderer Weise geschehen: Ein von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit dem Titel „Kampf dem Krebs — Früherkennung rettet Leben" hergestellter Film ist den Landesbildstellen und Landesfilmdiensten kostenlos zur Verfügung gestellt worden. Teile dieses Films, die insbesondere die Früherkennung des weiblichen Genital- und Brustkrebses behandeln, wurden vom Zweiten Deutschen Fernsehen in der Sendung „Medizin im Gespräch" gezeigt. Der Film steht ferner den Regionalprogrammen zur Verfügung und wurde zum Beispiel vom Saarländischen Rundfunk bereits ausgewertet. Über das Zweite Deutsche Fernsehen konnten Fernsehspots mit den 7 Warnzeichen vor Krebs insgesamt 8mal im Abendprogramm ausgestahlt werden. Eine Tonbildschau zum gleichen Themenkomplex wurde den Gesundheitsämtern für deren Aufklärungsarbeit auf Abruf — ebenfalls kostenlos —zugestellt. Neben diesen breitenwirksamen Maßnahmen hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1970 3661 I eine Broschüre „Kampf dem Krebs — Früherkennung rettet Leben" und ein Faltblatt „Entscheidung in Deiner Hand" herausgebracht. Ein weiteres Faltblatt „Du" wendet sich speziell an die Frauen im krebsgefährdeten Alter und gibt Anleitungen zur Früherkennung von Brustkrebs durch regelmäßige Selbstbeobachtung. Alle 3 Veröffentlichungen werden an Interessenten abgegeben. Neben dieser Möglichkeit der Information hat das Zweite Deutsche Fernsehen in den Sendungen „Gesundheitsmagazin Praxis" und „Medizin im Gespräch" die 3 Veröffentlichungen angekündigt und mit dem Hinweis auf die Bezugsmöglichkeit über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung vorgestellt. Ferner sind die Bundesländer, die Versicherungsträger und die mit der gesundheitlichen Aufklärung und der Krebsbekämpfung befaßten Organisationen und Institutionen in eigener Verantwortung und teilweise mit Unterstützung der Bundeszentrale durch Veröffentlichungen, Ausstellungen und Vortragsveranstaltungen tätig gewesen. Anlage 23 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 16. September 1970 auf die Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Hammans (Drucksache VI/1138 Fragen B 17 und 18) : Ist die deutsche Schilderindustrie in der Lage, alle deutschen Gemeinden und die übrigen Baulastträger rechtzeitig mit den Verkehrszeichen zu beliefern, die am Tage des Inkrafttretens der neuen Straßenverkehrs-Ordnung umgestellt werden müssen? Wird die Bundesregierung aus dem Gesichtspunkt der Veranlassung auf Grund einer weitgehenden Änderung der Rechtslage den Gemeinden einen Ausgleich ihrer Aufwendungen gewähren? Die Hersteller derartiger Schilder sind vom Bundesverkehrsministerium schon sehr frühzeitig und umfassend über die neuen Verkehrszeichen unterrichtet worden. Dem Bundesverkehrsministerium ist bisher keine Äußerung aus diesem Industriezweig bekannt, daß eine rechtzeitige Belieferung der Baulastträger nicht möglich wäre. Die Kosten der Straßenverkehrszeichen gehören zur Straßenbaulast. Nach deutschem Recht hat der Baulastträger für alle mit dem Bau- und der Unterhaltung zusammenhängenden Kosten aufzukommen. Die Bundesregierung hat keine rechtliche Möglichkeit, den Gemeinden einen Ausgleich ihrer Aufwendungen zu gewähren. Die Aufwendungen werden sich aber in erträglichen Grenzen halten, weil nur die vorfahrtregelnden Verkehrszeichen schlagartig ausgetauscht werden müssen. Für alle anderen Zeichen sind ausreichende Übergangsfristen vorgesehen. Weiterhin hat der Bundesminister für Verkehr durch Verkehrsblattverlautbarungen 1966 und im Mai 1970 insgesamt 44 neue Verkehrszeichen aus dem Entwurf der Straßenverkehrs-Ordnung bereits zugelassen. Es ist also sichergestellt, daß die überwiegende Mehrzahl der neuen Verkehrszeichen im Zuge der planmäßigen Erneuerung aufgestellt werden können. Anlage 24 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 16. September 1970 auf die Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Pfeifer (Drucksache VI/1138, Fragen B 19 und 20) : Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung in den kommenden fünf Jahren, um über die in der Antwort auf meine Schriftliche Anfrage vom Februar 1970 (Stenographischer Bericht S. 1738 C) genannten Verbesserungen hinaus für den Raum Reutlingen als einen der am dichtesten besiedelten Wirtschaftsräume in Baden-Württemberg leistungsfähigere Verkehrsverbindungen zum Großraum Stuttgart, zum Bundesautobahnnetz und zum Flugplatz Echterdingen zu schaffen? Beabsichtigt die Bundesregierung Sofortmaßnahmen, um dem gegenwärtigen Notstand auf der total überlasteten B 312 zwischen Reutlingen und Stuttgart schnellstens abzuhelfen, und an welche Notmaßnahmen ist ggf. gedacht? Der bei der Aufstellung des Ausbauplanes für die Bundesfernstraßen ermittelte Bundesfernstraßenbebedarf hat einen Umfang, der nach den heutigen Finanzierungsmöglichkeiten die im Zeitraum von 1971 bis 1985 zur Verfügung stehenden Mittel weit übersteigt. Ebenso hat die für eine verkehrlich und wirtschaftlich sinnvolle Mittelverwendung durchgeführte Dringlichkeitsuntersuchung eine derartige Vielzahl von vordringlichen Maßnahmen ergeben, daß diese nicht alle im 1. Fünfjahresplan ausgeführt oder begonnen werden können. Bei der Wertung der Maßnahmen im Raum Reutlingen—Stuttgart mußte entsprechend der Verkehrsbedeutung der Bundesstraße 27 und dem Zubringer Reutlingen der Vorzug gegeben werden. Ohne die angestrebte Ausweitung der Finanzierungsgrundlage wird es leider nicht möglich sein, im Zeitraum des 1. Fünfjahresplanes bereits größere Maßnahmen im Zuge der Bundesstraße 312 durchzuführen. Verbesserungen werden sich daher zwangsläufig hier auf kleinere Maßnahmen beschränken müssen, die aus Verkehrssicherheitsgründen notwendig werden. Anlage 25 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 16. September 1970 auf die Schriftliche Frage der Abgeordneten Frau Dr. Walz (Drucksache VI/1138 Frage B 21): Ist die Bundesregierung bereit, entsprechend der Empfehlung 196 der Versammlung der Westdeutschen Union vom 2. Juni 1970 über die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Ozeanographie gemeinsam mit der britischen Regierung ihre nationalen Pläne zum Aufbau eines Systems von Wetterbeobachtunassatelliten in ein europäisches Programm für Ozeanographie und Meteorologie einzufügen? Auf dem Gebiet der Ozeanographie und der Meteorologie ist wegen der Großräumigkeit der zu behandelnden Erscheinungen mit geringfügigen Ausnahmen eine nationale Planung nur sinnvoll, wenn sie sich in einen weltweiten oder zumindest regionalen Rahmen einfügt. Aus diesem Grunde arbeitet die Bundesrepublik Deutschland in allen internationalen und regionalen Gremien, die sich mit diesen Fachbereichen beschäftigen, in erheblichem Umfang mit, insbesondere in der Weltorganisation für Me- 3662 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1970 teorologie, der Zwischenstaatlichen Kommission für Ozeanographie und in der EWG-Arbeitsgruppe „Politik auf dem Gebiet der wissenschaftlichen und technischen Forschung" (AIGRAIN-Gruppe). Eine solche Zusammenarbeit ist, wenn man an ein System von Wetterbeobachtungssatelliten denkt, unerläßlich. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland plant allerdings z. Z. lediglich den Bau eines meteorologischen Versuchssatelliten und hat bisher nicht die Entwicklung eines operationellen Wettersatelliten oder die Errichtung eines Netzes solcher Satelliten vorgesehen. Die 4. Europäische Weltraumkonferenz vom 22. bis 24. Juni d. J. in Brüssel hat dagegen beschlossen, Studien für einen in ein weltweites System von Wettersatelliten zu integrierenden europäischen meteorologischen Satelliten von den europäischen Weltraumorganisationen durchführen zu lassen. Die Ausarbeitung der Studien erfolgt in enger Zusammenarbeit mit der Weltorganisation für Meteorologie und der Zwischenstaatlichen Kommission für Ozeanographie. Aus der Natur der Sache heraus wird die Bundesregierung immer bereit sein, die nationale Entwicklung in den genannten Fachgebieten in europäische oder noch großräumiger abzustimmende Programme einzufügen. Anlage 26 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 16. September 1970 auf die Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Erhard (Bad Schwalbach) (Drucksache VI/ 1138 Fragen B 22 und 23) : Nachdem die Deutsche Bundespost in den Jahren 1968 und 1969 insgesamt 22 Millionen DM an die Post der DDR gezahlt hatte, frage ich die Bundesregierung, was sic dazu bewogen hat, mit der Post der DDR am 29. April 1970 ein Abkommen abzuschließen, in dem sich die Deutsche Bundespost verpflichtet hat, rückwirkend ab 1967 jährlich 30 Millionen DM zu zahlen, so daß im Jahre 1970 an die DDR 98 Millionen DM zu zahlen sind? Wenn die Zahlungsverpflichtung aus der Vereinbarung vom 29. April 1970 nicht im Zusammenhang stehen sollte mit dem Treffen des Herrn Bundeskanzlers und Herrn Stoph am 19. März 1970 in Erfurt und am 21. Mai 1970 in Kassel, so frage ich, ob die Bundesregierung die 98 Millionen DM in diesem Jahr und die weiteren Zahlungen in den kommenden Jahren ohne Postgebührenerhöhungen zahlen will und kann? Ausgangspunkt für die Zahlungen an die Postverwaltung der DDR war deren Forderung nach einem Ausgleich für die Mehrleistungen, die sie im innerdeutschen Post- und Fernmeldeverkehr erbringt. Schon die frühere Bundesregierung hatte sich in mehreren Schreiben an den ostberliner Postminister Schulze bereit erklärt, der DDR-Postverwaltung ab 1967 für deren Mehrbelastung im innerdeutschen Post- und Fernmeldeverkehr einen Kostenausgleich zu gewähren. Die DDR-Postverwaltung ging jedoch auf Vorschläge über die Berechnung und Höhe des Kostenausgleichs Verhandlungen zu führen, nicht ein. In den Verhandlungen mit der DDR-Postverwaltung, die am 19. September 1969 aufgenommen worden sind und zu der Vereinbarung vom 29. April 1970 geführt haben, ist Übereinstimmung dahin erzielt worden, daß die Mehrbelastung der DDR-Postverwaltung durch eine jährliche Pauschale abgegolten. werden soll. Die vereinbarte Pauschale von jährlich 30 Mio DM berücksichtigt sowohl die Leistungen der Deutschen Bundespost als die der DDR-Postverwaltung im Brief-, Paket-, Fernsprech-, Telegramm-, Telex-, Seefunk- und Rundfunkübertragungsverkehr sowie die Aufwendungen für Ersatzleistungen und für Stromwege. Daß sich dabei ein Betrag zugunsten der DDR ergibt, erklärt sich daraus, daß in vielen Verkehrsbeziehungen, insbesondere im Paketverkehr, der Verkehrsstrom in östlicher Richtung stärker als in westlicher Richtung fließt. Eine Erhöhung der Postgebühren ist aus Anlaß dieser Zahlungen nicht erforderlich. Anlage 27 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Ravens vom 14. September 1970 auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Dr. Beermann (Drucksache VI/1138, Frage B 24) : In welcher Weise hat der Bund bislang den Bau von Alters- und Pflegeheimen finanziell unterstützt, und wie gedenkt er dies in Zukunft zu tun, damit möglichst rasch dem unwürdigen Zustand, daß ältere Mieter aus ihren häufig seit Jahrzehnten innegehabten Wohnungen in Obdachlosenasyle abgedrängt werden, ein Ende bereitet wird? Der Bund betrachtet die Versorgung der betagten Menschen mit angemessenem Wohnraum als besondere Aufgabe. Er stellt daher im Hinblick auf die Wichtigkeit des Aufgabengebietes seit Jahren zusätzlich zu den öffentlichen Landesmitteln Bundesdarlehen bereit und hilft damit den Ländern, denen die Durchführung der Gesetze auf dem Gebiete des Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesens obliegt, nicht unwesentlich bei der Finanzierung des Baues von Altenwohnungen und Altenwohnheimen. Bis Ende 1969 konnten auf diese Weise rd. 32 500 Altenwohnungen und rd. 45 800 Wohnheimplätze mit zusammen 199 Millionen DM zusätzlich gefördert werden. Der Bewilligungsrahmen in diesem Jahr beträgt, wie auch schon in den vergangenen Jahren, wieder 40 Millionen DM. Um den steigenden Bedarf an Altenwohnungen und Wohnheimplätzen auch künftig Rechnung tragen zu können, hat die Bundesregierung bereits bei ihren Beratungen über den Haushalt 1971 beschlossen, im Haushaltsentwurf 1971 den Ansatz wesentlich, und zwar auf 60 Millionen DM, zu erhöhen. Ferner ist in dem von der Bundesregierung beschlossenen langfristigen Wohnungsbauprogramm vorgesehen, den Wohnungsbau zugunsten alter Menschen, kinderreicher Familien sowie Schwerbehinderter in den nächsten 5 Jahren mit zusätzlichen 1 250 Millionen DM zu fördern. Diese Mittel sind in die mittelfristige Finanzplanung eingestellt. Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 66. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. September 1970 3663 Anlage 28 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Rawens vom 17. September 1970 auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Müller (Berlin) (Drucksache VI/ 1138 Frage B 25) : Wieviel Wohnungen — aufgegliedert in freifinanzierten und sozialen Wohnungsbau — wurden in der Zeit von 1960 bis zum 30. Juni 1970 jeweils in den einzelnen Jahren fertiggestellt? Die gewünschten Angaben gehen aus der beigefügten Aufstellung hervor. Sie beruhen auf Ergebnissen der amtlichen Bautätigkeits-Statistik mit Ausnahme der geschätzten Fertigstellungen im Rahmen des sogenannten „Zweiten Förderungsweges". Grundlage dieser Schätzungen ist die amtliche Bewilligungsstatistik. Zahlenmaterial für das erste Halbjahr 1970 liegt nicht vor. Eine Aufgliederung in der gewünschten Art ist nur auf Grund jährlicher Ermittlungen möglich. Zu den von einem Institut für 1970 genannten Zahlen haben wir entsprechende Ausführungen in unserer Pressemitteilung vom 24. August 1970 gemacht: „Meldungen über nur rd. 109 000 Fertigstellungen im ersten Halbjahr können Anlaß zu falschen Schlußfolgerungen geben. Erfahrungsgemäß sind die Fertigstellungsmeldungen in der ersten Jahreshälfte unvollständig. So wurden nach den Ergebnissen der letzten fünf Jahre (1965 bis 1969) im ersten Halbjahr nur 24 vH des endgültigen Jahresergebnsises nachgewiesen. Für 1970 kommt hinzu, daß die ungünstige Witterung im ersten Quartal zu erheblichen Verzögerungen im Baufortschritt geführt hat. Das beweist ein Vergleich der ausgefallenen 37,1 Millionen Tagewerke gegenüber 28,6 Millionen im ersten Quartal 1969. (Zunahme = 29 vH)". Fertiggestellte Wohnungen (Bundesgebiet einschließlich Berlin-West) Jahr Insgesamt davon Sozialer Freifinanzierter (einschließlich steuerbegünstigter) Wohnungsbau Anzahl Anzahl v. H. Anzahl I v. H. 1960 574 402 263 205 45,8 311 197 54,2 1961 565 761 241 899 42,8 323 862 57,2 1962 573 375 242 464 42,3 330 911 57,7 1963 569 610 228 757 1) 40,2 340 853 59,8 1964 623 847 248 543 39,8 375 304 60,2 1965 591 916 228 606 38,6 363 310 61,4 1966 604 799 203 510 33,6 401 289 66,4 1967 174 190 1) 30,4 rd. 16 000 2) 2,8 572 301 zusammen rd. 190 000 33,2 rd. 382 300 66,8 1968 3) 152 786 1) 29,4 rd. 27 000 2) 5,2 519 854 zusammen rd. 180 000 34,6 rd. 339 900 65,4 1969 140 700 1) 28,2 rd. 49 000 2) 9,8 499 696 zusammen rd. 190 000 38,0 rd. 309 700 62,0 1) Öffentlich geförderter sozialer Wohnungsbau nach §§ 25 bis 68 des II. WoBauG (1. Förderungsweg) 2) Sonstiger mit direkten staatlichen Hilfen außerhalb- der §§ 25 bis 68 des II. WoBauG geförderter Wohnungsbau (2. Förderungsweg) 3) Durch eine Änderung im Aufbereitungsverfahren werden die durch Um- und Ausbau sowie Erweiterung veränderten Wohnungen nicht mehr als ganze Einheiten, sondern nur noch mit dem zusätzlich gewonnenen Wohnraum nachgewiesen. Die Ergebnisse ab 1968 sind daher mit denen früherer Jahre nur bedingt vergleichbar; der Unterschied beträgt schätzungsweise etwa 4 O/o des gesamten Wohnungsbaues
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606600000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung erweitert werden um die Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft über die Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 14/70 — Waren der EGKS — 2. Halbjahr 1970) und die Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 13/70 — 2. Verlängerung der Zollaussetzungen für Stahlerzeugnisse) — Drucksachen VI/1131, VI/1132, VI/1157 —; Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Unland. — Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Punkt 27 unserer heutigen Tagesordnung — Beratung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes — ist auf Grund interfraktioneller Vereinbarung abgesetzt und für die nächste Woche vorgesehen.
Wir kommen zur Fragestunde — Drucksache VI/1138 —
Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes brauchen heute nicht behandelt zu werden. Die Fragesteller haben um schriftliche Beantwortung gebeten. Es handelt sich um die Fragen der Frau Abgeordneten Lauterbach und des Herrn Abgeordneten Kiep. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zu dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht der Herr Bundesminister Ertl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Dr. Reinhard auf — der Abgeordnete ist im Saal —:
Welche Erzeugnisse der Ernährungswirtschaft und welche Mengen dieser Güter betrifft die vom Bundeskabinett im Umlaufverfahren gebilligte Umwandlung des sogenannten Amla-Verfahrens in das Erklärungsverfahren bei der Einfuhr aus östlichen Staatshandelsländern?
Herr Minister, Sie haben das Wort.

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0606600100
Herr Präsident und Herr Kollege Reinhard, wenn Sie einverstanden wären, würde ich die beiden Fragen, die im Zusammenhang stehen, gemeinsam beantworten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606600200
Herr Kollege Reinhard, Sie sind einverstanden, weil ja Ihr Recht auf Zusatzfragen nicht verkürzt wird? — Dann rufe ich auch die Frage 25 auf:
Hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten seine Zustimmung zu der erwähnten Regelung gegeben?
Herr Minister, Sie haben das Wort.

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0606600300
Bei der Umwandlung vom sogenannten „Amla-Verfahren" in das Erklärungsverfahren handelt es sich in erster Linie um eine Verfahrenserleichterung. Die in das neue Verfahren überführten Waren belaufen sich auf rund 100 Warenpositionen. Die hierauf entfallenden Einfuhren im Kalenderjahr 1969 aus den osteuropäischen Ländern betrugen 86,5 Millionen DM. Die wichtigsten Positionen für Agrarprodukte sind — in Millionen DM —: Honig 9,5, Tomatenmark 9,4, Früchte zur industriellen Verarbeitung 5,5, Pfirsichkonserven 5,2, Pilze mit Ausnahme von Chanpignons 5,1, Speisezwiebeln 4,9, Erdbeeren zur industriellen Verarbeitung 4,9, Kaviar 4,3.
Ihre letzte Frage beantworte ich mit Ja, Herr Kollege.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606600400
Keine Zusatzfrage? — Danke, Herr Bundesminister.
Ich rufe die Fragen 26 und 27 des Herrn Abgeordneten Baron von Wrangel auf. Der Fragesteller hat um schriftliche Antwort gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Höcherl auf. Ist der Herr Abgeordnete im Saal? — Das ist nicht der Fall. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 29 des Herrn Abgeordneten Leicht auf. — Der Abgeordnete ist ebenfalls nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ich rufe nunmehr die Fragen 30 und 31 des Herrn Abgeordneten Ehnes auf. Ist der Herr Abgeordnete im Saal? — Er hat zwei Fragen gestellt; beide Fragen werden dann, Herr Minister, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich unterbreche die Sitzung bis 10.00 Uhr.

(Unterbrechung von 9.04 bis 10.00 Uhr.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606600500
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet,
Ich rufe den nunmehr zur Beratung heranstehenden Punkt
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
auf.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0606600600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 12. August haben der Bundesminister des Auswärtigen und ich den in der in- und ausländischen Öffentlichkeit stark beachteten Vertrag mit der Sowjetunion unterzeichnet. Für die sowjetische Regierung unterzeichneten der Vorsitzende des Ministerrats, Herr Kossygin, und der Außenminister der UdSSR, Herr Gromyko.
Der Vertrag und die damit zusammenhängenden Texte wurden am gleichen Tag veröffentlicht. Es sind dies ein Brief zur deutschen Einheit des Bundesministers des Auswärtigen an seinen sowjetischen Kollegen und ein Notenwechsel zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der drei Westmächte zur Frage der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes und Berlin und auf die noch ausstehende friedensvertragliche Regelung. Außerdem wurden die zehn Leitsätze veröffentlicht, die Staatssekretär Bahr und Außenminister Gromyko Ende Mai 1970 formuliert hatten. Aus den Ziffern 5 bis 10 dieser Leitsätze wurden Absichtserklärungen der beiden Regierungen.
Das Vertragswerk wird dem Hohen Hause zu gegebener Zeit mit dem Ersuchen um Zustimmung formell vorgelegt werden. Ich möchte der dann fälligen Debatte nicht vorgreifen, wohl aber zu Ihrer Unterrichtung eine Zusammenfassung der wesentlichen Verhandlungsergebnisse geben.
Erstens. Die Präambel zum Vertrag nimmt auf die Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen Bezug. Dazu gehört das Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Der Kern des Vertrages sind die beiden Artikel über den Gewaltverzicht und die Unverletzbarkeit der Grenzen. Die Vertragspartner erklären, daß sie ihre Streitfragen künftig ausschließlich mit friedlichen Mitteln lösen wollen. Unter diesen umfassenden Gewaltverzicht fällt auch die gegenseitige Verpflichtung, keine der in Europa bestehenden
Grenzen anzutasten und keine Gebietsansprüche zu erheben.
Artikel 4 des Vertrages bestätigt ausdrücklich die Gültigkeit der früher abgeschlossenen zweiseitigen und mehrseitigen Verträge und Vereinbarungen, also auch jener, die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und ihren Verbündeten im Westen geschlossen wurden. Dies schließt den Vertrag über den Nordatlantikpakt und den Deutschlandvertrag ebenso ein wie die Verträge über die Europäische Gemeinschaft. Es gilt gleichermaßen für unsere Vereinbarungen mit der Sowjetunion aus dem Jahre 1955.
Zweitens. Das nationale Ziel der deutschen Einheit durch Selbstbestimmung wird durch den Vertrag vom 12. August nicht beeinträchtigt. In dem Brief zur deutschen Einheit, dessen Empfang die sowjetische Regierung bestätigt hat, stellt die Bundesregierung fest, daß der Vertrag nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk seine Einheit wiedererlangt. Unsere Haltung in der Deutschlandfrage wird darüber hinaus klargestellt durch den Bezug auf die Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, durch den Hinweis auf die Fortgeltung der bestehenden Verträge und Vereinbarungen, durch den Bezug auf den Notenwechsel vom September 1955, durch eine deutsche Erklärung über die Fortgeltung der Vier-MächteVerantwortung und durch eine deutsche Feststellung über den noch ausstehenden Friedensvertrag.
Drittens. Der sowjetischen Regierung ist eindringlich dargelegt worden, daß nach Auffassung der Bundesregierung eine Entspannung in Europa ohne eine Verbesserung der Lage in und um Berlin nicht möglich ist. Die Regierung der UdSSR weiß, daß der Vertrag ohne eine befriedigende Berlin-Regelung nicht wirksam werden kann.
Viertens. Die sowjetische Regierung stimmt mit der Bundesregierung darin überein, daß die vereinbarte Achtung der territorialen Integrität aller Staaten in Europa in ihren heutigen Grenzen nicht das souveräne Recht jedes Staates schmälert, seine Grenzen im Einvernehmen mit anderen Staaten zu ändern. Dies bedeutet unter anderem, daß die europäische Integration von dem Vertrag nicht berührt werden kann.
Fünftens komme ich zu den Absichtserklärungen. Sie betreffen die Einheit der Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion sowie anderen Staaten des Warschauer Paktes, die Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland, mit der DDR einen Vertrag auf der Grundlage der Gleichberechtigung, Nichtdiskriminierung und Selbständigkeit und mit gleicher verbindlicher Kraft wie mit dritten Ländern zu schließen, die Förderung des Beitritts beider deutschen Staaten zu den Vereinten Nationen — wie es wörtlich heißt — „im Zuge der Entspannung in Europa", d. h. in zeitlicher Abhängigkeit vom Abschluß einer vertraglichen Regelung mit der DDR, die Regelung der mit der Ungültigkeit des Münchener Abkommens verbundenen Fragen



Bundeskanzler Brandt
mit der CSSR, die Fortentwicklung bilateraler deutsch-sowjetischer Beziehungen, die Förderung des Plans einer Konferenz über die Sicherheit Europas.
Zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Sowjetunion besteht Einvernehmen darüber, daß der Vertrag vom 12. August und die Vereinbarungen, die wir besonders mit Polen, der Tschechoslowakei und der DDR anstreben, ein einheitliches Ganzes bilden.
Ich will auch an die Feststellung im Kommuniqué vom 13. August erinnern — ich zitiere —, „daß der Vertrag die Festigung der Sicherheit in Europa, die Lösung der hier vorhandenen Probleme und das Zustandekommen einer friedlichen Zusammenarbeit zwischen allen europäischen Staaten unabhängig von den Unterschieden in ihrer Gesellschaftsordnung fördern wird".
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß es an der Zeit war, unser Verhältnis zur Sowjetunion und zu Osteuropa neu zu begründen und im Rahmen des Möglichen zu normalisieren. Mit dem Abschluß dieses Vertrages hat sich die Bundesregierung im übrigen an das gehalten, was sie sich in ihrer Regierungserklärung vorgenommen hatte. Dort sagten wir:
Unser Land braucht die Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem Westen und die Verständigung mit dem Osten. Das deutsche Volk braucht den Frieden im vollen Sinne dieses Wortes auch mit den Völkern der Sowjetunion und allen Völkern des europäischen Ostens.
An gleicher Stelle führten wir freimütig aus, daß unser nationales Interesse es uns nicht erlaubt, zwischen dem Osten und dem Westen zu stehen.
Ich möchte noch einmal sagen, meine Damen und Herren, daß es heute nicht darauf ankommen kann, eine Begründung und Debatte zur Ratifizierung vorwegzunehmen. Deshalb will ich aus der Sicht der Regierung nur noch folgendes sagen:
Mit diesem Vertrag wird nichts verschenkt. Der Vertrag vom 12. August geht von der bestehenden wirklichen Lage aus. Er legt fest, daß die Grenzen unverletzlich sind und daß alle anstehenden Fragen friedlich zu regeln sind. Das Wesentliche an diesem Vertrag ist, daß er dem Frieden dienen und in die Zukunft gerichtet sein soll. Er schafft Voraussetzungen für eine bessere Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und mit unseren unmittelbaren östlichen Nachbarn. Er trennt uns nicht von unseren Verbündeten in der NATO und behindert nicht die fortschreitende westeuropäische Einigung. Er soll Berlin nützen. Er hält schließlich den Weg offen, einen Zustand des Friedens in Europa zu erreichen, in dem auch die deutschen Fragen auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts eine gerechte und dauerhafte Lösung finden können.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606600700
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0606600800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Bericht des Herrn Bundeskanzlers, der auch nach unserer Meinung noch keine Debatte auslösen soll, aber doch zu Stellungnahmen herausfordert, habe ich für die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion folgende Erklärung abzugeben:
Die Politik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war von Anfang an auf eine europäische Friedensordnung, auf Ausgleich und Verständigung gerichtet. Sie hält auch deshalb — wie jeder hier aus früheren Debatten weiß — Denkansätze, Anlage, Methode und auch wesentliche Inhalte der Außenpolitik dieser Bundesregierung für falsch. Es ist zum Beispiel zu befürchten, daß mancher, der damals glaubte, unseren Vorschlag, zuerst das freie Berlin zu festigen, mit leichter Hand als eine lästige Mahnung vom Tisch wischen zu können, hierüber noch anders wird denken lernen müssen. Die Bundesregierung hat anders entschieden. Sie hat den Vertrag, über den der Herr Bundeskanzler soeben berichtet hat, nicht nur paraphiert, sondern gegen unsere nochmals erhobene Mahnung sofort unterschrieben. Das verantwortet — die Folgen eingeschlossen — die Bundesregierung allein.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Demonstrativer Beifall und Zurufe bei der SPD.)

Durch diese Unterschrift sind Verhandlungen in anderen Bereichen nicht leichter, sondern schwieriger geworden.

(Lachen bei der SPD.)

Für uns setzt Entspannung — — Meine Damen und Herren, wir haben ,den Bundeskanzler in Ruhe angehört. Ich bin gern bereit, Sie einzuladen, heute einmal die polnische Presse nachzulesen und zu sehen, ob diese Unterschrift die Verhandlungen erleichtert hat.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir können die Debatte gern beginnen, wenn Sie wollen.
Für uns setzt Entspannung die feste Verankerung im Westen voraus, und diese ist allein abmeßbar an den Wirklichkeiten des Alltags.
Von Anfang an haben wir die Bemühungen um die schnellere und vollständigere Vereinigung des freien Europa und. die Bemühungen um Ausgleich mit den Völkern Mittel- und Osteuropas gewollt und als Einheit angesehen. Auch die Bemühungen um die Festigung des freien Berlin, um die Verbesserung der Lage in ganz Deutschland, die beabsichtigten Verträge mit der Sowjetunion, mit Polen und der Tschechoslowakei haben wir immer im Zusammenhang beurteilt. Auch daran halten wir fest.
Eine der Grundlagen unseres Beschlusses vom 10. August, trotz aller Gegensätze zur Politik der Bundesregierung wenigstens in einigen Fragen, vor allem für Berlin und für Verbesserungen in ganz



Dr. Barzel
Deutschland, der Bundesregierung Gespräche anzubieten, war die Tatsache, daß die Bundesregierung selbst — so Ziffer 5 des Beschlusses der Bundesregierung vom 7. Juli 1970 — wenigstens die ostpolitischen Bemühungen als Einheit ansieht. Dies vorausgesetzt, halten wir es für angebracht und auch für ausreichend, heute sechs Feststellungen zu treffen:
1. Die deutsche Politik wäre gut beraten, einen weiteren Schritt auf die Vereinigung des freien Europa hin zu tun,

(Beifall bei der CDU/CSU)

denn von der Vereinigung des freien Europa hängt nach wie vor unsere gute Zukunft ab. sich hinter der anderen verstecken. Wir haben noie Völker wollen das. Und keine Regierung darf ch im Ohr, daß der französische Ministerpräsident erklärte, Frankreich werde in diesen Fragen so weit gehen wie seine Partner; und daß der britische Premierminister kurz vor seiner Wahl hier in Bonn sagte, Großbritannien wolle in einem Europa mitarbeiten, das am Schluß mit einer Stimme spreche.
Die Bereitschaft, die Vereinigung des freien Europa zu vertiefen und zu beschleunigen, besteht in den Hauptstädten der Gemeinschaft und in London ebenso wie in den USA der Wille, EWG-bedingte handelspolitische Nachteile nur hinzunehmen für den Fall, daß die Europäische Gemeinschaft auf dem Wege zu einer politischen Einheit ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Eine europäische Initiative der Bundesregierung — also nicht nur neue Reden — ist nötig. Nach zehn Schritten Ostpolitik sind zwanzig Schritte Westpolitik dringend.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Das würde zugleich geeignet sein, Befürchtungen bei Freunden zu begegnen, die man leider zu hören bekommt: Einmal die Befürchtung, die Bundesrepublik Deutschland werde ihren weltpolitischen Ort künftig mehr zwischen Ost und West suchen als im Westen; und zum anderen die Besorgnis, das deutsche Ja zur von Moskau angeregten Europäischen Sicherheitskonferenz — wir haben es soeben gehört —, welche unter anderem gegen das Entstehen der politischen Union im freien Europa gerichtet ist, könne das Zurückstellen der politischen Vereinigung des freien Europa bedeuten, zumal das Wort des Kanzlers, dies sei Sache der nächsten Generation, unvergessen ist.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Abg. Rasner: Das kann man sagen!)

2. Die Bundesregierung sollte alles in ihren Kräften Stehende tun, um die fortdauernde ungeschwächte Anwesenheit der Truppen der USA hier zu sichern;

(Beifall bei der CDU/CSU)

denn davon hängen nach wie vor unsere Sicherheit und unsere Freiheit ab. Der deutsch-sowjetische Vertrag macht weder die Verteidigungskraft der NATO, wie sie zur Zeit besteht, überflüssig, also auch nicht die Bundeswehr und die amerikanischen Streitkräfte im gegenwärtigen Umfang, noch ist er
geeignet, das Sicherheitsproblem leichter oder einfacher lösbar zu machen.

(Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr!)

3. Eine gemeinsame, vertraulich erarbeitete Berlin-Position der drei Westmächte, der Bundesregierung, der CDU/CSU und des Berliner Senats wäre von großem Wert. Sie ist erreichbar. Sie muß auf den fortdauernden Rechten und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte für ganz Berlin beruhen. Sie muß den Geist des Vertrages mit der Sowjetunion berücksichtigen, so wie ihn die Bundesregierung versteht und darstellt, nachdem ja von der „bestehenden wirklichen Lage" ausgegangen wird — so Art. 1 — und „alle Verträge und Vereinbarungen" mit Dritten — so Art. 4 — unberührt bleiben, was die Sowjetunion auch da gelten lassen muß, wo es für uns günstig ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dazu gehört — übrigens entsprechend dem Willen der Berliner — die Zusammengehörigkeit West-Berlins und der Bundesrepublik Deutschland, also z. B. auch die Finanzhilfe des Bundes, die Anwesenheit des Bundes und die Tatsache, daß West-Berlin im Auftrag der Westmächte von der Bundesregierung nach außen vertreten wird. Diese gewachsenen politischen, rechtlichen, finanziellen, wirtschaftlichen und kulturellen Bindungen müssen erhalten, der Zugang muß störfrei und die Reisemöglichkeiten der Berliner müssen besser und von Diskriminierungen frei werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aus Berlin darf kein drittes Deutschland werden.
4. In einem Punkt ist nicht nur die Bundesregierung, sondern sind alle Fraktionen dieses Hauses im Wort; denn wir alle haben am 20. März hier im Bundestag einen Punkt dessen gutgeheißen, was der Bundeskanzler am Tag zuvor in Erfurt zu den Voraussetzungen und zum konkreten Inhalt der Verbesserung der Lage in ganz Deutschland erklärt hatte. Hier seine Worte:
Alle Bemühungen um die Förderung friedlicher Beziehungen in der Welt sind nur dann glaubhaft und überzeugend, wenn wir unter uns und für unsere Bürger Frieden schaffen. Zur Normalisierung der Beziehungen genügen nicht allein förmliche Dokumente; die Menschen hüben und drüben müssen von der Normalisierung etwas haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.) In meiner Vorstellung

— sagte der Bundeskanzler —
muß eine wirkliche Normalisierung zur Überwindung innerdeutscher Grenzverhaue und Mauern beitragen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Sie symbolisieren die beklagenswerte Besonderheit unserer Lage. Daran läßt sich von heute auf morgen vermutlich nichts ändern. Es muß aber Ziel und Sinn unserer Bemühungen sein, Fortschritte zu erzielen, die mehr Freizügigkeit



Dr. Barzel
bringen und den Menschenrechten Raum schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Soweit das Zitat.
Wir werden diese Festlegungen, die wir nach wie vor unterstützen, im Bewußtsein der Öffentlichkeit halten. Wir gehen davon aus, daß dem Herrn Bundeskanzler vertraut geblieben ist, was der Berliner Regierende Bürgermeister Brandt am 25. Juni 1959 im Berliner Abgeordnetenhaus meinte, als er sagte, Berlin dürfe „natürlich nicht in der Luft hängenbleiben" ; denn es gäbe „keine isolierte Lösung, die wert ist, als wirkliche und dauerhafte Lösung bezeichnet zu werden".

(Abg. Rasner: Sehr gut!)

Es gibt also das Erfordernis, alle diese Dinge als Einheit zu betrachten, nicht nur, weil die Bundesregierung das einmal festgestellt hat, nicht nur, weil wir dies von Anfang an gesagt haben, sondern mehr noch aus unauflöslichen, sachlichen Zusammenhängen. Auf gut deutsch: Berlin-Lösung und Verbesserungen in ganz Deutschland hängen so zusammen, daß es wohl das eine ohne das andere gar nicht geben kann und wird!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

5. Zu den deutsch-polnischen Gesprächen halten wir fest: a) Es war — wir hatten davor gewarnt — schlecht, eine Frage, die allein die Deutschen und die Polen angeht, über die Köpfe der Polen hinweg in den Vertrag mit der Sowjetunion aufzunehmen.

(Abg. Rawe: Kann man wohl sagen! — Beifall bei der CDU/CSU.)

b) Die Festlegung von Grenzen bleibt einem frei vereinbarten Friedensvertrag vorbehalten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

6. Zum deutsch-sowjetischen Vertrag, der für uns gleichfalls nur ein Teil dieser ganzen Politik ist, und zu den ihn begleitenden Nebenabreden kann bisher keiner in diesem Hause verantwortlich votieren — ich wiederhole: kann bisher keiner in diesem Hause verantwortlich votieren —. Das gilt nicht nur wegen der noch nicht eingetretenen Erwartungen, die die Bundesregierung mit der Unterschrift verbunden hat, nicht nur wegen des Berlin-Vorbehalts, nicht nur wegen des zu wahrenden Zusammenhangs aller dieser Initiativen, sondern auch, weil — wie hier wohl bekannt ist — die Verhandlungen zum Vertrag gehören. Und deren Protokolle sind dem Hause noch unzugänglich. Ich hoffe, daß die Kollegen Wehner und Mischnick in ihren Erklärungen diesen Tatbestand nicht übersehen und deshalb niemanden in diesem Hause überfordern oder gar durch Globalerklärungen Kollegen festlegen, die einfach noch nicht alle für die Entscheidungsfindung wichtigen Unterlagen kennen können.
Die Bundesregierung behauptet die Verfassungskonformität des Vertrags. Sie wird dies zu beweisen haben.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat inzwischen ihren Beschluß vom 26. Mai 1970 bekräftigt. Dieser Beschluß enthält die für uns weiterhin verbindlichen Maßstäbe zum Urteil auch über diesen Vertrag. Das sind — neben den Punkten Europa, NATO und Berlin, von denen schon die Rede war — folgende Maßstäbe:
Maßstab eins: Minderung bestehender Spannungen. Das ist nirgends zu erkennen.

(Widerspruch bei der SPD.)

Wir sehen die Spannungsursachen so unverändert wie Unmenschlichkeiten, z. B. an der Mauer und den fortdauernden Machtwillen der Kommunisten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Maßstab zwei: Verbesserungen für die Menschen. Wir hoffen, daß hier einiges gelingt, sehen aber noch nichts davon.
Maßstab drei: Selbstbestimmungsrecht, keine völkerrechtliche Anerkennung der DDR. Wir sehen — und ich verweise zur Begründung auf frühere Debatten — das Selbstbestimmungsrecht gefährdet, und an dieser Stelle dürften die Protokolle besonders unerläßlich für die Meinungsbildung sein. Ich fürchte, ein Punkt Ihrer Erklärung, Herr Bundeskanzler, auf den ich gleich im Zusammenhang komme, hat hier eher verwirrend — wenigstens für uns — als Klarheit schaffend gewirkt.
Maßstab vier: Gewaltverzichtsvertrag und Aufrechterhaltung des sowjetischen Gewaltvorbehalts schließen sich aus. Hierzu gibt der Vertragstext allein keine befriedigende Antwort. Sowjetische Erklärungen, die das aufhellen könnten, werden noch vertraulich behandelt. Alle, alle hier im Hause, haben ein Recht darauf, das bald zu erfahren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Maßstab fünf: Festlegung von Grenzen nur durch Friedensvertrag. Wir sehen unterschiedliche Formulierungen in Art. 3, haben Fragen zu Art. 4, vermissen einen ausdrücklichen Hinweis auf den Vorbehalt des Friedensvertrags im Vertrag, lesen verschiedene Interpretationen aus Bonn, aus Warschau und aus Moskau, so daß hier schon Bedenken bestehen wegen des Verdachts unklarer, zweideutiger Formulierungen und wegen der Möglichkeit, daß die Inhalte dieser Vorschriften hier und da anders verstanden werden. Und diese unterschiedlichen Interpretationen können sich zu leicht als Quelle neuer Spannungen, die doch alle nicht wollen, herausstellen.
Sie haben, Herr Bundeskanzler, zweimal Bezug genommen auf den Notenwechsel vorn September 1955. Damais hatte Bundeskanzler Konrad Adenauer mit der Sowjetunion eine Verabredung getroffen und nicht nur einen einseitigen Vorbehalt angemeldet. In dem Text dieser Verabredung von 1955, auf den Sie verweisen, ist die Rede von der „Lösung der ungeklärten Fragen, die das ganze Deutschland betreffen", von der „Lösung des nationalen Hauptproblems des gesamten deutschen Volkes — der Wiederherstellung eines deutschen demokratischen Staates" . In dem Vertrag, den Sie am 12. August unterschrieben haben, wird in der Präambel nicht auf diesen ganzen Notenwechsel Bezug genommen,



Dr. Barzel
sondern lediglich auf die verwirklichten, vereinbarten Maßnahmen dieses Notenwechsels.

(Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!)

Verwirklicht wurde nur der Botschafteraustausch, nicht aber die Lösung der deutschen Frage. Es wäre besser, alles zu unterlassen, was falsche Eindrücke erweckt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das gilt gegenüber diesem Hause und der deutschen Öffentlichkeit. Somit entspricht die Information, die Sie, Herr Bundeskanzler, in dieser Sache dem Bundestag soeben gaben, nicht den wirklichen Vorgängen.
Aus allen diesen Gründen erklären wir erneut wie am 10. August:
Der deutschsowjetische Vertragsentwurf erfüllt zwar einige Erwartungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,

(Zurufe von der SPD)

— Sie sollten unsere Texte lesen; ich verlese jetzt den Text, offensichtlich haben Sie ihn nicht gelesen —läßt aber entscheidende Bedenken fortbestehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

— Das ist der Text, meine Damen und Herren;-ich
glaube, über das Wort „entscheidend" kann es keine Mißverständnisse geben —
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion vermag — so der Text —
ein ausgewogenes Verhältnis von Leistung der Bundesrepublik Deutschland und Gegenleistung der Sowjetunion bisher nicht zu erkennen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie sieht für die Menschen im gespaltenen Deutschland noch keine Vorteile. Anders als bei der Politik früherer Bundesregierungen, die z. B. zur Aussöhnung mit Frankreich führte und dabei die Grundlage für die Schaffung der europäischen Gemeinschaften legte, vermögen wir in dem deutsch-sowjetischen Vertragsentwurf konstruktive, in die Zukunft gerichtete Elemente und Prinzipien einer besseren, friedlichen Ordnung für alle Europäer nicht zu erkennen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dieser Vertragsentwurf, sein Text, seine Interpretation, seine Folgewirkungen und die Zusammenhänge bedürfen sorgfältiger Prüfung. Das erfordert die vertrauliche Kenntnis der Vorgänge und der Protokolle. Der Vertrag kann abschließend erst beurteilt werden, wenn diese Prüfung erfolgt ist und Ergebnisse auch hinsichtlich Berlins, hinsichtlich der innerdeutschen Fragen, Polens und der Tschechoslowakei vorliegen.
Unser Urteil wird, wie wir immer wieder betont haben, sich danach richten, ob die deutsche
Frage in der Substanz offenbleibt, ob eine Verbesserung der Beziehungen, eine Minderung bestehender Spannungen und Verbesserungen für die Menschen erreicht werden.
Ausdrücklich betonen wir nochmals, daß die Vereinigung des freien Europa und die Pflege der atlantischen Allianz für uns die Basis jeder Ostpolitik ist und bleibt. Unser Gesamturteil wird auch davon bestimmt sein, ob Fortschritte in diesen Bereichen möglich werden.
Soweit dieses Zitat.
Wir fürchten — und das fügen wir heute hinzu —, dieser Vertrag, so wie er vorliegt, wird die Grenzen zementieren, statt sie zu öffnen, die Vorherrschaft der Sowjetunion festigen, über die Interpretation seines Textes zu neuen Spannungen führen, die auf Macht wider das Recht gegründeten „Realitäten" verewigen und das Gleichgewicht in Europa gefährden. Wir bestreiten entschieden, Herr Bundeskanzler, daß dieser Vertrag, wie Sie soeben sagten, nichts verschenkt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wer das alles etwa als unbegründet ansehen sollte, der muß versuchen, uns durch Tatsachen zu überzeugen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, Entspannung nicht auf dem Papier, sondern in der Wirklichkeit zu erreichen, sich nicht mit Formeln zu begnügen, sondern Lösungen zu suchen

(Zurufe von der SPD)

und dabei den inneren Zusammenhang aller dieser Bemühungen — Sowjetunion, Berlin, DDR, Polen, CSSR — zu wahren. In Deutschland ist von Entspannung noch nichts zu merken.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

— Hier hätten wir eigentlich alle klatschen können, um der Regierung etwas Nachdruck zu geben für die Verhandlungen, in denen sie steht.

(Beifall bei der CDU/CSU. Zurufe von der SPD.)

In Deutschland ist von Entspannung noch nichts zu merken. Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl sind so, wie sie sind, Gewalt. Nur wer darauf verzichtet, leistet einen glaubhaften, an Tatsachen für die Menschen abmeßbaren Gewaltverzicht.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606600900
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0606601000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR, dessen Inhalt der Herr Bundeskanzler soeben dem Hohen Hause mitgeteilt hat, wird dem Parlament zur Ratifizierung vorgelegt werden. Erst dann ist der Zeitpunkt gekommen, eine abschließende Wertung des Vertragswerkes vorzunehmen. Es kann nicht der Sinn der heutigen Stellungnahmen sein, alle Vorstellungen zu wiederholen, die von uns bei



Mischnick
zahlreichen Gelegenheiten in diesem Hohen Hause dargelegt worden sind. Deshalb erübrigt es sich, Herr Kollege Barzel, auf Selbstverständlichkeiten einzugehen, die sowohl unsere wie Ihre Sorge in diesem Hause immer gewesen sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir hoffen, daß es, wenn wir diese intensive Prüfung vorgenommen haben, möglich sein wird, alle in diesem Hohen Hause zu den notwendigen politischen Erkenntnissen zu führen. Wir werden nicht in den Fehler verfallen, auf der einen Seite vor endgültigen Wertungen zu warnen und auf der anderen Seite selbst endgültige Wertungen vorzunehmen, wie Sie es getan haben, Herr Kollege Barzel.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Heute lassen Sie mich für die Fraktion der Freien Demokraten folgendes erklären.
Mit Befriedigung stellen wir fest, daß nach einer langen Zeit der Stagnation in der deutschen Osteuropapolitik diese Bundesregierung unter entscheidender Mitwirkung von Außenminister Walter Scheel einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Friedens in Europa geleistet hat. Wir danken dafür der Bundesregierung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Bundesrepublik Deutschland bringt damit zum Ausdruck, daß sie bereit ist, als Mitglied des westlichen Bündnisses und der westeuropäischen Gemeinschaft ihren besonderen Aufgaben, die ihr von der geographischen Lage in Mitteleuropa zudiktiert sind, nachzukommen.
Die Bemühungen der Bundesrepublik, durch vertragliche Regelungen zur Normalisierung der Verhältnisse in Europa beizutragen, stellen — das lassen Sie mich in aller Deutlichkeit feststellen — eine konsequente Fortsetzung der Friedensnote aus dein Jahre 1966 dar.
Wir Freien Demokraten stellen mit Genugtuung fest, daß diese Regierung nicht nur in Brüssel einen wichtigen Beitrag zur Wendung in der europäischen Politik geleistet hat, sondern nun auch in Moskau.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Fünfundzwanzig Jahre nach Beendigung des zweiten Weltkrieges ist mit dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion das Tor aufgestoßen für normale Beziehungen zwischen dem deutschen und dem russischen Volk. Damit ist ein wichtiger Meilenstein gesetzt worden auf dem Wege einer von den Freien Demokraten seit über zwei Jahrzehnten unablässig verfolgten Politik der praktischen Vernunft.
Seit jenem Junitag 1952, als unser Freund Karl-Georg Pfleiderer in Waiblingen — also noch zu Stalins Zeiten — das sowjetische Sicherheitsbedürfnis als ein wichtiges Element der Moskauer Deutschlandpolitik enthüllte, haben sich die Freien Demokraten bemüht, einen Ausweg aus jener Sackgasse zu finden, in die Deutschland und Europa durch den Ausgang des zweiten Weltkriegs geraten waren. Männer wie Pfleiderer, Dehler, Döring stimmten in der Überzeugung überein, daß die tiefe Spaltung unseres Vaterlandes nur überwunden und ein dauerhafter Friede für Deutschland und Europa geschaffen werden kann, wenn es gelingt, nach einer Aussöhnung mit dem Westen eines Tages auch zu einer Verständigung mit den Ländern Osteuropas, insbesondere der Sowjetunion und Polen, zu gelangen.
Mit dem Ergebnis von Moskau, das im westlichen Ausland besonders gewürdigt wurde, ist ein wesentlicher Schritt zu diesem Ziel erfolgt. Die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland und die Beziehungen der westeuropäischen Staaten insgesamt zur Sowjetunion können sich nach Klärung der Positionen nunmehr normalisieren.
Wir Freien Demokraten erwarten allerdings, daß der Wille zur Entspapnnung in den Verhandlungen über Berlin sichtbar und über die Paragraphen von Vereinbarungen hinaus auch für die Menschen spürbar wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Auf Dauer!)

Meine Fraktion stimmt der Erklärung von Bundesaußenminister Scheel zu, die er zur Berlin-Frage abgegeben und in der er zum Ausdruck gebracht hat — ich zitiere —: ,,. . . daß Fortschritte bei der Entspannung in Europa untrennbar mit einer befriedigenden Regelung in und um Berlin verbunden sind. Ein Gewaltverzichtsvertrag wird daher erst in Kraft gesetzt werden können, wenn diese vorliegt."
Außerdem erwarten wir, daß der Vertrag Auswirkungen auf das innerdeutsche Verhältnis hat. Man darf allerdings — und dieser Überzeugung sind wir immer gewesen — keine kurzfristigen Wunder erwarten. Wer wenige Wochen nach Unterzeichnung des Vertrages hier schon entscheidende Veränderungen erwartet, der kennt sich einfach in der politischen Landschaft nicht aus.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber die von der Bundesregierung im Mai der DDR vorgelegten 20 Punkte zur Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten haben nach Abschluß des deutsch-sowjetischen Vertrages zusätzliches Gewicht bekommen. Daran kann man weder in Moskau noch in Ostberlin vorbeigehen.
Auch erwarten wir, daß sich aus der vorgesehenen verstärkten wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Zusammenarbeit eine Versachlichung der immer noch stark emotional aufgeladenen Beziehungen zwischen Ost und West ergehen wird.
Meine Damen und Herren, aus der Geschichte wissen wir, daß Verträge ihren Wert oder Unwert erhalten durch die Wahrnehmung der politischen Möglichkeiten, die sich aus diesen Verträgen ergeben.
Zusammengefaßt heißt das, unsere Erwartungen und Hoffnungen gehen dahin, daß der deutschsowjetische Vertrag in seiner politischen Entwicklung eben die Hoffnungen und Erwartungen erfüllt, die in ganz Deutschland, in Europa und in der Welt in bezug auf Entspannung und Sicherheit bestehen.



Mischnick
So wie der Deutschland-Vertrag von 1955 den Grundstein zur Aussöhnung zwischen Deutschland und seinen westlichen Nachbarn bildete, kann der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion die Aussöhnung zwischen Deutschland und den östlichen Nachbarn bringen und sich schließlich zu einer guten Grundlage für eine europäische Friedensordnung entwickeln.
Dafür werden wir uns einsetzen, weil das in unserem nationalen Interesse liegt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606601100
Meine Damen und Herren, ich wollte den Redner nicht unterbrechen. Aber ich möchte Sie doch bitten, soweit es irgend möglich ist, notwendige Gespräche so zu führen, daß den Redner nicht eine ständige Geräuschkulisse begleitet.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0606601200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der SPD dankt der Bundesregierung für ihre Bemühungen, in Absprache und Kooperation mit unseren westlichen Partnern Verständigung mit der Sowjetunion und den Nachbarn in Ost- und Südosteuropa zu suchen, und wir beglückwünschen die Bundesregierung zu dem Vertragsabschluß vom 12. August.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nach unserer Auffassung werden erst mit diesem Vertrag die 1955 aufgenommenen diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion tatsächlich lebendig. Und soweit es an uns, an der Bundesrepublik Deutschland liegt, soll — so verstehen wir den Vertragsabschluß und verstehen wir auch das, was daraus folgt - die Entwicklung dieser Beziehungen, von der es ja schon in einer Regierungserklärung vom Dezember 1966 mit Recht geheißen hatte, sie habe die Erwartungen auf beiden Seiten enttäuscht, nun das gegenseitige Verständnis und das gegenseitige Vertrauen befördern. Das allerdings muß man tatsächlich wollen.
Wie der Bundeskanzler und auch soeben der Sprecher der Opposition gesagt hat, ist dies noch nicht die Debatte, die der Deutsche Bundestag anläßlich der Ratifikation zu führen haben wird. Aber auch diese Stellungnahmen heute haben natürlich ihren Wert nicht nur für die — wie es heute so gerne heißt „Positionsbestimmung" der Bundesrepublik selber und der Kräfte in ihr, sondern auch für alle, die auf uns blicken.
Nun dürfen wir nicht den Fehler begehen, diesen Vertrag mit allen Erwartungen zu belasten, die wir insgesamt auf eine zur Organisierung des Friedens erforderliche grundlegende Veränderung der Beziehungen der Völker zueinander hegen. Wir jedenfalls betrachten diesen Vertrag als e i n wenn auch ein sehr wesentliches — Mittel, zu dieser grundlegenden Veränderung zu gelangen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Insofern rechten wir jetzt nicht darüber, was eigentlich alles schon hätte sein können und sein müssen,
sondern möchten, daß dieser Vertrag zur Wirkung kommt.
Der Bundeskanzler hat hier gesagt, daß der Vertrag Voraussetzung für eine bessere Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und mit unseren unmittelbaren östlichen Nachbarn schaffe, daß er uns nicht von den Verbündeten trenne und nicht die fortschreitende westeuropäische Einigung behindere, daß er Berlin nützen soll und daß er schließlich den Weg offenhält, einen Zustand des Friedens in Europa zu erreichen, in dem auch die deutschen Fragen auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts eine gerechte und dauerhafte Lösung finden können.
Nun ist hier in den Feststellungen des Herrn Sprechers der CDU/CSU an die erste Stelle jene Aussage gerückt worden, die betont, es müsse nun endlich etwas zur westlichen Verständigung und zum Fortentwickeln der westlichen Integration geschehen. Ich kann mit Freude darauf hinweisen, daß der doch sicher in dieser Beziehung allseitig respektierte Europäer Jean Monnet in einer Sendung des französischen Fernsehens wörtlich erklärt hat:
Der Vertrag zwischen Bonn und Moskau ist nach meiner Auffassung ein sehr wichtiges Element des Friedens. Bundeskanzler Willy Brandt hat betont, daß dieser Vertrag weder die feste Integration der Bundesrepublik und ihrer freien Wirtschaft in der westlichen Allianz noch die Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland noch das Ziel einer europäischen politischen Gemeinschaft in irgendeiner Weise beeinträchtigt.
Ich zitiere das hier deswegen, weil ich damit darauf hinweisen will, daß ein so verehrungswürdiger Mann, der tatsächlich Architekt der Vereinigung Europas genannt werden darf, dieses hier so sieht und beurteilt.
Ich habe mit Interesse festgestellt — und will es nach den Ausführungen, die der Sprecher der Opposition gerade gemacht hat, auch hier in Erinnerung bringen , daß der Bundesminister des Auswärtigen in einem sehr interessanten Artikel, den er Mitte Juli dieses Jahres in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht hat, gleich mit der Feststellung beginnt, daß zwar Teile Europas in supranationale Einheiten hineinwachsen, die Gedanken an kriegerische Konflikte innerhalb dieser Gruppierungen ausschließen, daß jedoch der große Gegensatz, die Konfrontation zwischen Ost und West, davon nicht berührt wurde — im Gegenteil; das zählt er dann auf. Das heißt, auf der Basis dessen, was hier bisher — manches unter großen Mühen und auch unter großer zeitweiligen Rückschlägen westlicherseits - als Grundstein gelegt worden ist, wollen wir nun diese vom Bundesminister des Auswärtigen richtig festgestellte, entscheidende Aufgabe angehen, und zwar — ich sage das immer wieder in Absprache und Kooperation mit westlichen Partnern.
Natürlich ist die Entwicklung in und um Berlin ein Gradmesser dafür, in welchem Maße Spannungen vermindert werden. Nur sollten wir uns keine



Wehner
falschen Vorstellungen machen, so als sei zu erwarten — oder gar darauf zu pochen —, daß die, um es milde zu sagen, sehr unterschiedlichen Auffassungen der Mächte, die de jure Verantwortung für und in Berlin haben, über die rechtlichen Gründe ihrer Anwesenheit, die in 25 Jahren von ihnen selbst nicht zu einer Übereinstimmung haben gebracht werden können, jetzt etwa von der Bundesregierung in eine uns genehmere Übereinstimmung gebracht werden könnten; das wäre eine recht vermessene Erwartung, die sicher auch Sie nicht hegen.
Deswegen halte ich es für ungereimt, wenn einerseits betont wird, hier gebe es aber gar keine Entspannung ich denke da an ein sehr wirkungsvolles Foto vom Tage vor der Unterzeichnung —, oder wenn man sagt, soundso viele Wochen seien seit der Unterzeichnung des Vertrages schon vergangen, und immer noch zeige sich kein Zeichen von Entspannung, während auf der anderen Seite darauf bestanden wird, der Vertrag sei ja überhaupt erst dann ratifizierbar und könne und dürfe erst dann in Wirkung treten, wenn es bezüglich Berlins eine offensichtlich sehr klar dokumentierte Übereinkunft geben wird. Nichts gegen das Drängen in bezug auf Berlin, aber man sollte auch Abstand halten davon, daß man glaubt, man könne in diesem Falle sowohl in der einen als auch in der anderen Richtung demonstrieren.
Der Vertrag muß Leben erhalten, er darf keine leere Hülse werden oder bleiben, und diejenigen, die ihm mit den Vorbehalten gegenüberstehen, von denen wir heute hier noch einmal gehört haben, daß es streckenweise wohl mehr als Vorbehalte sind, haben sich zu entscheiden, ob sie eine Politik diesem Vertrag und der ihm zugrunde liegenden Politik gegenüber führen wollen, die im Verdacht bleiben wird, den Vertrag zu einer leeren Hülse machen zu wollen.
Daß er keine solche leere Hülse wird, liegt nicht nur bei uns hier in der Bundesrepublik Deutschland. Was aber an uns liegt, das jedenfalls soll nicht fehlen. Das ist zumindest die Auffassung der Fraktion der Sozialdemokraten.
Die Vorbehaltsrechte der Mächte bleiben. Manchmal denkt man zurück an Auseinandersetzungen über Vorbehaltsrechte in diesem Hause, als es um die Westverträge ging. Solange die Vorbehaltsrechte bleiben, werden auch streckenweise unterschiedliche Auslegungen bleiben und, meine Damen und Herren, nur durch die Praxis überwunden werden können, wenn es uns — wenn auch uns hoffentlich nicht allein! gelingt, Rückschläge, die ab und zu auftreten können, auf das Mindestmaß zurückzudrängen. Man kann nicht einerseits die Vorbehaltsrechte festhalten wollen und andererseits so tun, als ginge es ohne sie bzw. als müßten sie erst faktisch außer Kraft sein, ehe wir Verträge solcher Art schließen. Dies ist ein Vertrag bei Aufrechterhaltung von Vorbehaltsrechten und Verträgen, die beide Seiten vorher mit anderen geschlossen haben, die davon nicht berührt werden. Das ist gesagt worden, und nun kann man von einem solchen Vertrag nicht erwarten, daß er ein Friedensvertrag wäre — wenn es ihn je in dieser Weise geben kann —, bei dem die deutsche Seite ohne alle Vorbehaltsrechte anderer sie betreffend dastünde.
Ich möchte gern eine Bemerkung zu dem machen, was hier der Herr Sprecher der Opposition unter seinem Punkt 5 bezüglich Polens gesagt hat, auch wenn man sich bei Gelegenheit dieser Stellungnahmen heute damit nicht gründlicher auseinandersetzen kann. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie wissen doch offensichtlich selbst, was es bedeutet, daß unsere Nachbarn - nicht nur der oben genannte — Glieder eines Paktes sind. Das ändert nichts daran, daß wir ihnen und sie uns gegenüberstehen als souveräne Staaten und daß wir mit ihnen zu sprechen und nach einer Verbesserung der Beziehungen zu suchen haben. Jedenfalls wir tun das. Aber diese Zensur war eine unangebrachte Zensur, weil sie geeignet ist — ich will nicht sagen, Sie hätten sie deswegen angebracht —, in der empfindlichen Öffentlichkeit Polens falsche Vorstellungen von dem, was uns eigentlich hier bewegt, zu erzeugen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und gerade, weil ich, Herr Kollege Barzel, selbst aus der von mir bei Ihnen jetzt getadelten Feststellung Nr. 5 heraushören möchte und sicher auch heraushören darf, daß Sie damit auf die Besonderheit jenes Nachbarn hinweisen wollen, von der wir ja schon manchmal gesprochen und geschrieben haben, gerade aus diesem Grunde möchte ich das, was ich eben in Zurückweisung dessen gesagt habe, doch noch eben betonen.

(Abg. Dr. Barzel: Das macht es nicht leichter!)

— Das ist möglich. Aber dann müssen Sie untersuchen, wer die Ursache dazu gegeben hat.
Die Frage nach den Protokollen und der vollen Kenntnis der Protokolle ist eine Frage, die sicher von niemandem einfach in den Wind geschlagen wird. Wenn ich es mir erlauben darf, zu sagen: ich finde es ja auch verständlich, daß Sie nicht auf Papiere angewiesen sein möchten, von denen manche Ihrer Kollegen dann in der zurückliegenden Praxis gesagt haben, sie hätten sie von deutschen Patrioten auf der anderen Seite zugesteckt bekommen.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das muß also normalisiert werden. Nur möchte ich so sagen: die Mitglieder dieses Hauses, dieses Parlaments, werden bei der Vorbereitung der Ratifikation nicht schlechter gestellt sein — man wird es ihnen nicht zumuten, und es wäre ja auch unzumutbar — als bei der Vorbereitung früherer Verträge, darunter grundlegender, weichenstellender Verträge, nicht ein Jota schlechter!

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, die Fraktion der Sozialdemokraten hat den dringenden Wunsch, daß der Vertrag in angemessener Zeit ratifiziert werden kann. — Ich danke für Ihre Geduld.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)





Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0606601300
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht mehr vor.
Ich rufe nunmehr auf den Punkt 22 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Abgeordneten Frau Jacobi (Marl) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte in außergewöhnlichen Härtefällen
- Drucksache VI/972 —
Das Wort hat Frau Abgeordnete Jacobi. — Frau Kollegin, ich würde vorschlagen, daß Sie einen Augenblick warten, bis sich die Unruhe etwas gelegt hat.
Ich wäre dankbar, wenn die Damen und Herren, die das Haus verlassen wollen, das so tun würden, daß der Fortgang der Geschäfte nicht gestört wird.

(Anhaltende Unruhe.)


Maria Jacobi (CDU):
Rede ID: ID0606601400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In verschiedenen mündlichen Berichten des Petitionsausschusses habe ich in der vergangenen und jetzigen Wahlperiode auf vielfältige Härten hingewiesen, die dem Ausschuß auf dem Gebiet der Kriegsnachfolgegesetze bekanntgeworden sind. Diese Erfahrungen werden durch mannigfache Gespräche mit einzelnen Bürgern ergänzt, die sich in ihrer Not an mich und andere Kollegen gewandt haben oder deren Lage von Verbänden oder bei deren Veranstaltungen geschildert wird. Ich möchte nur auf einige Fälle hinweisen: 1. Berücksichtigung von Pensionsanwartschaften als feststellungsfähiger Vermögenswert bei Werkspensionen. 2 Langjährig gezahlte Kriegsschadensrente wird nach Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit eingestellt, obwohl der Betroffene nur wenige Jahre vor Vollendung des 65. Lebensjahres steht und eine Wiedereingliederung in das Erwerbsleben nicht mehr möglich ist. 3. Die Unterhaltshilfe wird nach ausgezahlter Hauptentschädigung verwehrt, weil eine Frist dadurch versäumt wurde, daß vorher einmal ein Antragsrecht des Ehegatten unwissentlich nicht ausgenutzt wurde. 4. Ausschluß von Ausgleichsleistungen für den Verlust in Vertreibungsgebieten für Wehrmachtangehörige, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen. 5. Ausschluß derjenigen Vertriebenen von der Hauptentschädigung, die über die SBZ und Jugoslawien in das Bundesgebiet kamen.
Dazu kommen die vielen knappen Versäumnisse von Fristen und Terminen. In all diesen Fällen gibt es genug einleuchtende Gründe für die getroffene Regelung einschließlich der belastenden Folgen, daß einige nicht oder nicht mehr Leistungen nach dem Allgemeinen Kriegsfolgegesetz, nach dem Lastenausgleichsgesetz, nach dem Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 GG fallenden Personen, nach dem Reparationsschädengesetz usw. erhalten können. Die letzte Ursache liegt darin, daß irgendwelche Abgrenzungen in jedem Gesetz getroffen werden müssen, um einen Rechtsanspruch klarzustellen, auch in der notwendigen finanziellen Begrenzung.
Dies sind Prinzipien des Rechtsstaates, der Rechtssicherheit. Die Staatsauffassung, die diesem Prinzip zugrunde liegt, ist nach unserem Verständnis für die Gefahrenabwehr, für das hoheitliche Tätigwerden des Staates unabdingbar. Vergessen wir aber nicht, daß das Grundgesetz unseren Rechtsstaat als sozialen instituiert und daß dieser Sozialstaatsklausel auch generell Rechnung getragen werden muß. Das bedeutet zweierlei. Erstens. Eine differenziertere Betrachtungsweise führt zu einer differenzierteren und damit gerechteren Regelung. Zweitens. Eine Berücksichtigung der finanziellen Lage der Betroffenen ist notwendig.
Zum ersten ist zu bemerken, daß kein Gesetz alle Wechselfälle des Lebens, alle Absichten der Betroffenen erahnen kann. Die Gesetze, die hier in Frage stehen, betreffen die Lebensverhältnisse eines Viertels der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland und außerdem noch die von Menschen außerhalb der Bundesrepublik. Auf Grund des ganz unterschiedlichen Herkommens und Schicksals fallen einige dieser Menschen durch die Maschen der Gesetze, obwohl sie Leistungen nach diesen Gesetzen erhalten müßten. Die Verwaltung, die unsere Gesetze handhabt, kann daran nichts ändern. Sie muß sich nach den Paragraphen richten. Auch der Petitionsausschuß kann nicht helfen. Er kann der Regierung gegenüber nur Empfehlungen aussprechen. Wir, das Parlament, könnten auf dem Wege der Novellierung jederzeit die Unzulänglichkeit von Gesetzen ausräumen. Aber abgesehen davon, daß man wegen Einzelfällen nicht ganze Gesetze novellieren will, dauert dieses Verfahren für die Betroffenen — von heute an gerechnet — viel zu lange und raubt dem Parlament zuviel Zeit. Nach unseren Erfahrungen sind die Betroffenen meist sehr alte Menschen. Wahrscheinlich werden sie den Abschluß der Kriegsnachfolgegesetzgebung nicht mehr miterleben. Es ist schon erschütternd, die Not dieser Menschen mit anzusehen! — Sie werden vielleicht sagen: In solchen Fällen muß das Bundessozialhilfegesetz einspringen. Das Bundessozialhilfegesetz ist in der Tat in der Lage, die ärgste Not abzuwenden, aber es verschafft diesen Menschen keine Gerechtigkeit. Diese Menschen kämpfen um die Anerkennung ihrer moralischen Rechte, ihrer erarbeiteten Rechte. Mir ist der Gedanke unerträglich, daß diese Menschen gerade durch mein schuldhaftes Versäumnis nicht zur Befriedung ihrer Sorgen kommen. Und das geht nicht nur mir und den Antragstellern so. Im Grunde empfindet auch der ganze Petitionsausschuß so. Ein Kollege aus der SPD-Fraktion sagte bei der Behandlung einer solchen Petition: Wenn ich 20 Vorlagen dieser Art abschlägig bescheiden muß, verlasse ich den Ausschuß. — Das zeigt deutlich, daß dieser Wunsch sich nicht wegen der vielen Arbeit, sondern wegen der unzulänglichen Möglichkeiten der Regelung von Härten regt. Deshalb bitte ich um die Notlösung von Härten durch eine Stiftung.



Frau Jacobi (Marl)

Ein 82jähriger sagte auf einer Behörde zu dem Beamten: „Was würden Sie sagen, wenn Sie 40 Jahre gearbeitet haben und dann hören, daß Sie keine Pension erhalten?" Darauf erwiderte der Beamte — ob selbstsicher oder erschrocken, das weiß ich nicht —: „Das kann mir nicht passieren."
Meine Damen und Herren, meine Kollegen hier im Bundestag, sorgen wir dafür, daß uns der soziale Rechsstaat im Geltungsbereich des Grundgesetzes erhalten bleibt. Das Verfahren, um das ich heute bitte, ist einmalig und muß auch einmalig bleiben. Wir vermeiden so auf der einen Seite die Anwendung des Gießkannenprinzips, denn diese Stiftung soll nur in außerordentlichen Notfällen in Anspruch genommen werden können. Es werden nur 10 Millionen DM an Haushaltsmitteln benötigt. Ich denke, daß dieser Betrag sogar für 5 oder 10 Jahre ausreicht. In zehn Jahren brauchen wir keine Stiftung für Härtefälle mehr.
Wir werden Ihnen bei den Ausschußberatungen Akten über Schicksale vorlegen, die Ihnen das Anliegen verständlich machen werden.
Die geplante Stiftung wurde nach dem Vorbild der Heimkehrer-Stiftung und der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge gestaltet. Wir sind jedoch der Meinung, daß dieser Entwurf aus der soeben vorgetragenen Begründung heraus über das Vorbild hinaustreten und nur einmalig neue Wege eröffnen soll. Die Zustimmung der Presse und viele Zuschriften nach Bekanntwerden des Entwurfs haben uns in dieser Meinung bestärkt. Die Zustimmung des Hohen Hauses wird dazu beitragen, die oft ungerechtfertigte Kritik an der Gesetzgebungsarbeit der Regierung, in erster Linie aber auch an dem hierfür verantwortlichen Parlament, zu mildern und eventuell auszuschließen, vor allem aber das Vertrauen des Bürgers in das Parlament als Hüterin des sozialen Rechtsstaates zu stärken.
Ich hoffe, daß das Gesetz zügig beraten und verabschiedet werden kann, um bald Hilfe für die vielen Menschen gewähren zu können, die darauf angewiesen sind und auf dieses Gesetz warten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606601500
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0606601600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe für die Freien Demokraten zu dem vorliegenden Gesetzentwurf folgende Erklärung abzugeben.
Die FDP-Fraktion begrüßt den mit dem Abgeordnetenentwurf zum Ausdruck gebrachten Gedanken, durch eine Stiftung die besonderen, gesetzlich nicht erfaßten Härtefälle im Bereich der Vertriebenen-, Flüchtlings- und Kriegssachgeschädigtengesetzgebung abmildern zu können. Sie steht dieser Idee grundsätzlich positiv gegenüber. Es erhebt sich jedoch die Frage, ob der Zeitpunkt der Vorlage bzw. der Zeitpunkt der zu erwartenden Verabschiedung ganz richtig gewählt ist, da gerade für den Bereich der Flüchtlinge im Augenblick noch grundsätzliche gesetzliche Maßnahmen zur Debatte stehen, wie sie beispielsweise mit der 23. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz dem Bundestag heute vorgelegt werden. Erst nach Verabschiedung dieser 23. Novelle wird zu übersehen sein, inwieweit Härtefälle im Bereich der Flüchtlinge noch vorhanden sind. Mit einer vorzeitigen Gründung der Stiftung könnte von den für die Flüchtlinge noch notwendigen gesetzlichen Maßnahmen abgelenkt werden. Es erscheint daher der FDP-Fraktion angebracht, die Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs in dem zuständigen Ausschuß erst nach Verabschiedung der 23. Novelle vorzunehmen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Na ja!-Wegen der 10 Millionen?)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606601700
Das Wort hat der Abgeordnete Fritsch.

Walter Fritsch (SPD):
Rede ID: ID0606601800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte in außergewöhnlichen Härtefällen gebe ich namens der SPD-Fraktion dieses Hauses folgende Erklärung ab.
Die in diesem Gesetzentwurf vorgesehene Errichtung einer rechtsfähigen Stiftung des öffentlichen Rechts mit einer finanziellen Ausstattung von 100 Millionen DM aus dem Lastenausgleichsfonds und 10 Millionen DM aus Haushaltsmitteln, die zur Verfügung gestellt werden sollen, erfaßt sowohl von der Zahl als auch vom Begriff her nur einen Teil der Bürger unseres Landes, die ohne ihr Verschulden in außergewöhnliche Not geraten und zu Hilfsbedürftigen unserer Zeit geworden sind.
Es bleibt zu prüfen, ob und inwieweit das Vorhaben der Schaffung eines Fonds für besondere Härtefälle den Versuch unternehmen soll, auch denen zu helfen, die die Opfer vielfältiger Lebenstatbestände geworden sind und denen der Eigenart ihres Schicksals wegen in manchen Fällen weder durch geltendes Recht noch durch wie immer geartete detaillierte Novellierungen bestehender Gesetze Gerechtigkeit widerfahren kann.
Auch und besonders durch die Tätigkeit im Petitionsausschuß dieses Hauses wissen wir, daß der Begriff des außergewöhnlichen Härtefalles nicht auf die beklagenswerten Opfer der Vertreibung, der Flucht, der Evakuierung und des kriegsbedingten Vermögensverlustes beschränkt werden kann. In den Bereichen z. B. der Zivilbeschädigten, der alten und kranken Bürger unseres Landes gibt es noch viele, die ohne ihr Zutun auf der Schattenseite dieses Lebens zu gehen gezwungen sind und die in ihrem Anspruch auf Hilfe durch ein noch so eng gezogenes Netz sozialer Gesetze fallen werden. Insoweit erscheint uns der vorliegende Gesetzentwurf durch seine Begrenzung des Personenkreises als nicht ausreichend. Darüber hinaus sind wir der Auffassung, daß für den in diesem Gesetzesvorschlag umschriebenen Personenkreis, mindestens soweit er von § 3 Abs. 1 umfaßt wird, eine Lösung gefunden wird, sobald die Bundesregierung festgestellt hat, welche Fragen und Anliegen noch gesetzgeberisch



Fritsch
zu lösen sind. Ich denke dabei insbesondere an die Altersversorgung, die Hauptenschädigung und die Thematik der Stichtage.
Dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates zum vorliegenden Gesetzentwurf stimmen wir zu.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606601900
Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor.
Ich schlage Ihnen vor, den Entwurf an den Innenausschuß — federführend —, an den Rechtsausschuß — mitberatend — und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 23 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dreiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes (23. ÄndG LAG) — Drucksache VI/1000 —
Das Wort zur Begründung hat Herr Staatssekretär Dorn.

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0606602000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf eines Dreiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ist eine gemeinsame Vorlage des Bundesministers der Finanzen und des Bundesministers des Innern. Die Vorlage wurde am 15. Mai 1970 von der Bundesregierung beschlossen. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 26. Juni 1970 keine Einwendungen gegen den Gesetzentwurf erhoben. Dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages liegt auch noch der von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachte Entwurf eines Dreiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes vor.
Der Regierungsentwurf sieht eine Verbesserung der Regelungen vor. Es handelt sich dabei um bestimmte nach dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz festgestellte Vermögensschäden, die durch Kriegseinwirkungen, durch Reparationsleistungen und durch Wegnahme aus politischen Gründen im Gebiet der DDR und in Ost-Berlin entstanden sind. Zu den Wegnahmeschäden aus politischen Gründen gehören auch die NS-Verfolgungsschäden.
Eine Entschädigungsregelung für den hier angesprochenen Bereich wurde erstmals durch das am 30. September 1969 in Kraft getretene Einundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes getroffen. Es sieht eine Hauptentschädigung für Zonenschäden vor. Da im Hinblick auf die Finanzlage das Kostenvolumen auf 2,6 Milliarden DM beschränkt war, waren Einschränkunen geboten. Sie wirkten sich in der Einführung von Einkommens- und Vermögensgrenzen, in der Anrechnung bereits wiedererworbenen Vermögens, in der Festsetzung eines Höchstbetrages von 50 000 DM, in der erst am 1. Januar 1970 beginnenden Verzinsung und in dem Verzicht auf einen Entwurzelungszuschlag aus. Der Deutsche Bundestag hielt die getroffene Lösung selbst für unbefriedigend. Er bestimmte deshalb eine Berichtspflicht der Bundesregierung in den Jahren 1972, 1974 und 1976, um die Möglichkeit einer Erweiterung des Gesetzes in dem zur Verfügung stehenden finanziellen Rahmen prüfen zu können. Die Bundesregierung glaubt, ohne diese Termine abwarten zu müssen, schon jetzt übersehen zu können, daß das Finanzvolumen von 2,6 Milliarden DM nicht ausgeschöpft wird. Sie stützt ihre Auffassung in erster Linie auf den auch nach Inkrafttreten der einundzwanzigsten Novelle zum Lastenausgleichsgesetz hinter den Erwartungen zurückbleibenden Eingang von Feststellungsanträgen.
Die Bundesregierung ist jedoch nicht der Meinung, daß all e Beschränkungen fallen können. Der Entwurf sieht deshalb nur den Abbau der Bestimmungen vor, deren Beseitigung am dringlichsten erscheint. Dies sind vor allem die Vorschriften über die Einkommens- und Vermögensgrenzen und über die Anrechnung wiedererworbenen Vermögens. Damit werden nicht nur empfindliche Härten für die Betroffenen beseitigt, sondern es wird auch die Durchführung der Entschädigungsregelung für die Verwaltung stark vereinfacht. Dies wird die Abwicklung der Leistungen wesentlich zügiger gestalten.
Der Entwurf sieht eine weitere Maßnahme vor, die von Geschädigten und Verwaltung gleichermaßen als Verbesserung angesehen wird: die Angleichung des Schadensbegriffs in § 15 a des Lastenausgleichsgesetzes an den weitergehenden Schadensbegriff des Beweissicherungs- und Feststellungsgesetzes.
Weitere Verbesserungen sind nach Meinung der Bundesregierung lediglich wegen der schon erwähnten Kostenfrage im Rahmen dieses Änderungsgesetzes nicht möglich. Es bleibt also bei der Begrenzung der Hauptentschädigung auf 50 000 DM, wobei zu berücksichtigen ist, daß dieser Betrag bei der im Lastenausgleich geltenden Degression einem festgestellten Schaden von über 350 000 DM entspricht. Auch die Bestimmung über die Verzinsung der Ansprüche ab 1. Januar 1970 bleibt unverändert, weil die Frühverzinsung einen erheblichen Teil der zur Verfügung stehenden Mittel aufzehren würde. Grundsätzliche und nicht finanzielle Überlegungen gestatten auch nicht die Gewährung eines Entwurzelungszuschlags, wie ihn die Heimatvertriebenen erhalten.
An der Verteilung der Kosten ändert der Gesetzentwurf gegenüber der bisherigen Regelung nichts. Die Aufwendungen trägt der Ausgleichsfonds; Bund und Länder leisten Zuschüsse. Der Zuschuß des Bundes ist mit 700 Millionen DM festgelegt, der der Länder wird auf 900 Millionen DM geschätzt.
Ich wäre Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dankbar, wenn eine schnelle Beratung in den zuständigen Ausschüssen eine möglichst baldige Verabschiedung dieses Gesetzes ermöglichen könnte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)





Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606602100
Das Wort hat der Abgeordnete Freiherr von Fircks.

Freiherr Otto von Fircks (CDU):
Rede ID: ID0606602200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Dreiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes gebe ich namens der CDU/ CSU-Fraktion folgende Erklärung ab. Die Bundesregierung hat den heute in diesem Hohen Hause zur Beratung anstehenden Entwurf eines Dreiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes vorgelegt, um — wie sich aus der Begründung ergibt — die Situation der Zonenvermögensgeschädigten zu verbessern. Die Fraktion der CDU/CSU stellt mit Bedauern fest, daß der vorgelegte Entwurf jedoch keinen Anlaß gibt, von einer grundsätzlichen Verbesserung zu sprechen, da er im wesentlichen nur den schon aus Gründen einer Verwaltungsvereinfachung unumgänglichen Wegfall der gesetzlich festgelegten Sozialklausel vorsieht, es im übrigen jedoch bei einer Reihe erheblicher Einschränkungen gegenüber der Grundregelung des Lastenausgleichsgesetzes beläßt.
Diese Einschränkungen haben im Durchschnitt aller Schadensfälle immerhin eine Minderung der Entschädigung im Einzelfall gegenüber den sonstigen Lastenausgleichsberechtigten von rd. 65 % zur Folge. Hierzu heißt es in der Begründung des Entwurfs, daß nach Meinung der Bundesregierung die verbleibenden Einschränkungen angesichts der sonstigen entscheidenden Verbesserungen von den Geschädigten durchaus hingenommen werden könnten. Daraus muß gefolgert werden, daß die Bundesregierung mit dieser Gesetzesvorlage die Gleichstellung der Zonengeschädigten mit den übrigen Geschädigtengruppen im wesentlichen als abgeschlossen betrachtet.
Demgegenüber vertritt die CDU/CSU-Fraktion nach wie vor den Standpunkt, daß eine volle Gleichstellung der Zonengeschädigten nicht nur aus rechtlichen, sondern auch aus moralischen und politischen Gründen notwendig ist. Das ergibt sich bereits aus der Begründung des im Dezember 1969 eingebrachten Entwurfs der CDU/CSU zu einer dreiundzwanzigsten Änderung des Lastenausgleichsgesetzes, mit dem der Anstoß zu weiteren Verbesserungen in diesem Bereich gegeben worden ist.
Wir halten es daher für erforderlich, unter Ausschöpfung der tatsächlich vorhandenen Mittel weitere Verbesserungen der Entschädigungen anzustreben. Es wird in den Ausschüssen sorgfältig zu prüfen sein, inwieweit die vorhandenen Mittel unter Zugrundelegung einer realistischen Schätzung ausreichen, die Entschädigungsleistungen in angemessener und gerechter Weise zu erhöhen.
Die CDU/CSU wird einen Stufenplan für eine 'Regelung der Zonenschäden vorlegen, der sich unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Möglichkeiten und im Rahmen einer soliden Haushaltsgestaltung in den Jahren nach 1973 verwirklichen läßt. Da das Risiko eines über den Rahmen der verfügbaren Mittel hinausgehenden Finanzbedarfs nicht völlig auszuschließen ist, wird durch gesetzliche Regelung sicherzustellen sein, daß mögliche Mehraufwendungen auf Grund der einundzwanzigsten und dreiundzwanzigsten Änderung des Lastenausgleichsgesetzes nicht über den vorgesehenen Betrag von 1 Milliarde DM hinaus vom Lastenausgleichsfonds zu tragen sind.
Auch wird nach einer befriedigenden Lösung für eine gerechtere Regelung der Schäden an Reichsmark-Sparguthaben in Mitteldeutschland gesucht werden müssen.
Schließlich vermißt die CDU/CSU eine Regelung, durch welche die Einbeziehung weiterer Jahrgänge ehemals Selbständiger in die Kriegsschadenrente auch in den Jahren nach 1970 sichergestellt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606602300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0606602400
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur dreiundzwanzigsten Novelle des Lastenausgleichsgesetzes ist ein großer Schritt nach vorn in Richtung einer längst überfälligen uneingeschränkten Gleichstellung von Flüchtlingen und Vertriebenen in unserer Gesetzgebung. Sowohl wegen dieses großen Schrittes nach vorn als auch wegen der in der dreiundzwanzigsten LAG-Novelle enthaltenen gesetzgeberischen Substanz begrüßt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die dem Bundestag vorgelegte Novelle.
Sie befindet sich diesbezüglich — was ich ausdrücklich vermerke — auch in Übereinstimmung mit dem Bund der Mitteldeutschen, dessen Rechts- und Sozialausschuß vor wenigen Tagen in einer Entschließung festgestellt hat — ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren —:
Es wurde mit Dankbarkeit begrüßt, daß die Bundesregierung bereits relativ kurze Zeit nach Abgabe der Regierungserklärung, in der den Flüchtlingen eine gerechte Lösung ihrer Anliegen zugesagt wurde, den Entwurf eines Änderungsgesetzes zum LAG vorgelegt hat. In dem Gesetzentwurf werden wesentliche Forderungen der Flüchtlinge berücksichtigt, so vor allem die Aufhebung der Einkommens- und Vermögensgrenzen, von deren Einhaltung nach der einundzwanzigsten Novelle des LAG die Gewährung der Hauptentschädigung für Vermögensschäden in der DDR abhängig war.
Soweit das Zitat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das geht aber noch weiter!)

Dieses Ringen um die Gleichstellung der Flüchtlinge mit den Vertriebenen fand vor 18 Jahren — was gelegentlich vergessen wird — in einer von der SPD-Bundestagsfraktion eingebrachten Entschließung einen ersten Niederschlag. Es dauerte dann — mit der Zwischenstufe von 1965 — über 16 Jahre, bis vor anderthalb Jahren mit der einundzwanzigsten Novelle zum Lastenausgleichsgesetz die Gleichstel-



Dr. Hupka
lung der Flüchtlinge mit den Vertriebenen tatsächlich in Gang gekommen ist. Heute haben wir das zweite Gesetz vor uns, das diesem Gebot der Gleichstellung entspricht.
Wir müssen allerdings zur Kenntnis nehmen, daß eine volle Gleichstellung auch mit dieser Novelle noch nicht erreicht ist. Dies hat aber seinen Grund — so meinen wir — nicht etwa in einer Mißachtung des Gleichheitsgebots, sondern vor allem darin, daß immer noch kein genauer Überblick über die Relation von Antragseingang, finanzieller Höhe der Hauptentschädigung und der dadurch bedingten Inanspruchnahme des zur Verfügung stehenden Volumens besteht. Bis spätestens zum Ende dieser Legislaturperiode werden wir wissen, wie hoch die Schätzungen anzusetzen sind, so daß dann auch eine volle Gleichstellung in der Abgeltung der Vermögensschäden von Flüchtlingen mit derjenigen der Schäden durch die Vertreibung erfolgen kann.
Es entspricht darum dem wohlverstandenen Eigeninteresse der Geschädigten — und das sollte auch von dieser Stelle aus gesagt werden —, ihre Feststellunganträge bei den örtlichen Ausgleichsämtern unverzüglich einzureichen; denn nur wenn ein zuverlässiger Überblick über die Zahl der Anträge und deren finanzielles Volumen besteht, können auch die letzten entscheidenden Verbesserungen der Lastenausgleichgesetzgebung für die Flüchtlinge in Angriff genommen werden.
Um die unbefriedigende Diskrepanz zu verdeutlichen, seien hier einige Zahlen angeführt. Der Regierungsentwurf dieser 23. Novelle geht von etwa 800 000 Anträgen aus. Bis jetzt wurden 275 000 Anträge registriert. Schätzungen gehen dahin, daß vielleicht im ganzen mit 400 000 Feststellungsanträgen zu rechnen sein wird. Da die finanziellen Leistungen der 21. Novelle auch jetzt in der 23. Novelle nicht überschritten werden dürfen, stoßen sich noch so gut gemeinte und auch notwendige Verbesserungen des vorliegenden Entwurfs, wie vom Herrn Parlamentarischen Staatssekretär vorhin ausgeführt worden ist, sowohl an den 2,6 Milliarden DM Volumen als auch an der nicht so schnell zu schließenden und uns ein wenig bedrückenden Informationslücke.
Die 23. LAG-Novelle sieht gegenüber der 21. Novelle in ihrem Kern eine stark verbesserte Entschädigungsregelung vor. Sie wurde zunächst dadurch möglich, daß die — was auch der Parlamentarische Staatssekretär erwähnte der 21. Novelle zugrunde gelegten Schätzungen für die notwendigen finanziellen Aufwendungen zu hoch angesetzt waren. Die SPD-Fraktion begrüßt es daher, daß die vom Gesetzgeber in die 21. Novelle eingefügte Berichtspflicht, die erstmalig 1972 fällig gewesen wäre, von der Bundesregierung nicht abgewartet wurde und die verbesserte Entschädigungsregelung schon jetzt Gesetzeskraft erhalten kann.
Der entscheidende Fortschritt gegenüber der 21. Novelle besteht im Wegfall der bisherigen Einkommens- und Vermögensgrenzen sowie der Kürzung der Hauptentschädigung um das vorhandene Vermögen. Hier ist der Regierungsentwurf weit über den von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachten Entwurf hinausgegangen. Jetzt dürften mehr als 90 % aller Geschädigten entsprechend der Höhe ihrer Vermögensverluste in Mitteldeutschland in den Genuß der Hauptentschädigung gelangen. Der vorliegende Entwurf ging leider noch nicht so weit, jede Begrenzung der Hauptentschädigung aufzuheben; er beläßt es bei der Begrenzung der Hauptentschädigung auf 50 000 DM. Die Begründung hierfür muß einem angesichts der immer noch nicht zu überschauenden Zahl der Antragseingänge einleuchten. Allerdings muß hier angemerkt werden, daß dies, wie es auch in der offiziellen Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt, „eine Einschränkung gegenüber der Grundregelung des Lastenausgleichsgesetzes" bedeutet.
Hier sei auch gleich eine weitere — wenn man so sagen darf — Benachteiligung der Flüchtlinge offen erwähnt. In der 23. Novelle ist gegenüber der 21. Novelle leider eine Änderung des Beginns der Verzinsung des Anspruchs nicht vorgenommen worden. Man hat es bei den Bestimmungen der 21. Novelle belassen und den Termin der Verzinsung auch jetzt auf den 1. Januar 1970 festgesetzt. Die Frühverzinsung des Anspruchs bleibt ein Verlangen auch der SPD-Fraktion. Aber es muß zugegeben werden, daß im Augenblick eine hundertprozentige Realisierung dieses Verlangens angesichts der unbekannten Zahl von Antragstellern das vorhandene Volumen von 2,6 Milliarden DM sprengen müßte. Es spricht übrigens für die Einsicht in die finanziellen Gegebenheiten, daß in den Verbesserungsvorschlägen des Bundes der Mitteldeutschen diese Frühverzinsung nicht als akutes Postulat wiederkehrt, ohne daß, wie wir wissen, dieses Postulat damit etwa gänzlich aufgegeben worden wäre.
Erfreulich ist, wie auch Herr Staatssekretär Dorn ausgeführt hat, daß der Wegnahme-Begriff nicht in seiner bisherigen engen Fassung, sondern in der weitergehenden Fassung des Beweissicherungs- und Feststellungsgesetzes in diesen Gesetzentwurf der 23. Novelle übernommen worden ist.
Zur weiteren Vereinfachung der Praxis trägt sicherlich auch bei, daß für anerkannte Sowjetzonenflüchtlinge der Stichtag des 31. Dezember 1969, an dem ein Antragsteller im Geltungsbereich des Gesetzes gelebt haben muß, gestrichen worden ist. In der Begründung hierzu wird von der Bundesregierung ausgeführt:
Da aber auch noch nach diesem Stichtag Sowjetzonenflüchtlinge und Evakuierte, wenn auch in verhältnismäßig geringem Umfang, in die Bundesrepublik kommen, erscheint es gerechtfertigt, diesen Stichtag für den genannten Personenkreis zu beseitigen.
Ein großer Schritt nach vorn — mit diesen Worten hat die SPD-Fraktion den vorliegenden Gesetzentwurf begrüßt. Aber nichts ist so gut, daß es nicht noch besser werden könnte. So auch die 23. Novelle. Hier nur wenige Andeutungen.
Erstens. Es sollten nicht nur weitere Jahrgänge in die Unterhaltshilfe eingeführt werden, also weitere Jahrgänge über 1905 bei Männern und 1910 bei

Dr. Hupka
Frauen hinausgehend; vielmehr sollte erwogen werden, ob es nicht überhaupt möglich ist, die Jahrgangsbegrenzung grundsätzlich aufzuheben. Dies würde das immer wieder von neuem gesetzmäßig zu verankernde Hineinnehmen und Nachrücken von Jahrgängen in den Kreis der Unterhaltshilfeberechtigten hinfällig machen und damit die Gesetzesmaschinerie erleichtern.
Zweitens. Mit Recht bemerkt die Vizepräsidentin des Bundes der Mitteldeutschen und langjährige Abgeordnete dieses Hohen Hauses, Frau Lisa Korspeter, daß — ich darf zitieren — „die derzeitige Regelung der Entschädigung von Sparerschäden völlig unzulänglich ist. Die Inhaber von Sparguthaben in Mitteldeutschland, also vor allem die sogenannten kleinen Leute, werden gegenüber den Inhabern anderer Vermögensschäden erheblich benachteiligt". Hier ein Beispiel: Der Besitzer eines Hauses mit einem Einheitswert von 10 000 Reichsmark erhält 8050 DM Hauptentschädigung. Der Inhaber eines Sparbuches von 10 000 Reichsmark muß sich eine doppelte Abwertung gefallen lassen, einmal 1 : 10, wie allgemein üblich, und dann noch einmal 1 :4 entsprechend dem Verhältnis von D- Mark West zu D-Mark Ost; seine Entschädigung beträgt dann ganze 250 DM.
Drittens. Was den Wegnahme-Begriff betrifft, so sollte dieser nicht durch eine Negativdefinition eingeschränkt werden. Bei der Unterschiedlichkeit der Schadensfälle kann eine derartige Negativdefinition dem Geschädigten im konkreten Falle nichts nützen, sondern im Gegenteil höchstens schaden. Die Festsetzung der Hauptentschädigung wird dadurch nur noch erschwert.
Zu den ungelösten Problemen der völligen Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge zählt nach wie vor das der Gleichstellung der Flüchtlinge mit den Vertriebenen auf dem Gebiet der Lastenausgleichsgesetzgebung. Mit der vorliegenden 23. Novelle kommen wir dem angestrebten Ziel sehr nahe. Das werden nicht nur die Flüchtlinge aus Mitteldeutschland so sehen und empfinden; das sollte auch unsere Öffentlichkeit dankbar zur Kenntnis nehmen. Jeder in unserer Gesellschaft hat den berechtigten Anspruch auf den gleichen Rang und nicht zuletzt, angesichts ihrer durch die Flucht bewiesenen Entscheidung für die Freiheit gegen die Unfreiheit, die Millionen Flüchtlinge in unserem Land. Die vorliegende 23. Novelle erfüllt diese selbstverständliche Pflicht der rechtlichen Gleichstellung mit den anderen Opfern der gewaltsamen Spaltung unseres Vaterlandes, auch wenn diese Gleichstellung erst annähernd und noch nicht zur Zufriedenheit von allen erreicht ist.
Die SPD-Fraktion beantragt Überweisung des Entwurfs auf Drucksache VI/1000 an den zuständigen Innenausschuß als federführenden und den Haushaltsausschuß als mitberatenden Ausschuß.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606602500
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0606602600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Freien Demokraten begrüßen es, daß die Bundesregierung und insbesondere der zuständige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher so rasch die in der Regierungserklärung zum Ausdruck gebrachte Absicht, ein Gesetz zur Entschädigung der Sowjetzonenflüchtlinge zur Gleichstellung mit den Heimatvertriebenen einzubringen, verwirklicht haben. Die bisher bestehende Gefahr der sozialen Deklassierung der Sowjetzonenflüchtlinge gegenüber den Heimatvertriebenen und die daraus abgeleitete Schaffung von unterschiedlich behandelten Geschädigtengruppen scheinen nunmehr nach der Verabschiedung der vorliegenden 23. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz beseitigt zu werden.
Die Gleichstellung der Flüchtlinge mit den Heimatvertriebenen in rechtlicher und sozialer Beziehung ist eine alte Forderung der FDP. Sie wird mit der jetzigen Vorlage weitgehend erfüllt. So, wie unter dem FDP-Vertriebenenminister Wolfgang Mischnik im Jahre 1961 mit der Änderung des Stichtages und mit der Vorbereitung des Beweissicherungs-
und Feststellungsgesetzes der erste entscheidende Durchbruch zur Gleichstellung der Flüchtlinge mit den Heimatvertriebenen erzielt wurde, ist nunmehr durch den ebenfalls der FDP angehörigen Ressortminister Genscher der endgültige Durchbruch zur völligen Gleichstellung erreicht worden. Die FDP stellt dies mit Befriedigung fest, weist jedoch darauf hin, daß auch die 23. Novelle noch einige Schönheitsfehler aufweist, deren restlose Beseitigung erst die totale Gleichstellung bringen wird. Hier geht es einmal um die im Gesetz verankerte Höchstentschädigungssumme von 50 000 DM, den nicht in den Entwurf aufgenommenen Entwurzelungszuschlag und die dem Lastenausgleich nicht gleichgestellte Frühverzinsung.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Erfreulich aber ist, daß der Bundesinnenminister die Korrektur dieser Schönheitsfehler durch eine weitere Gesetzesvorlage in absehbarer Zeit angekündigt hat.

(Abg. Frau Jacobi beste hoffen!)

In diesem Zusammenhang erhebt sich die Frage, ob nicht im Rahmen der Beratungen und insbesondere durch eine nochmalige Überprüfung der tatsächlichen Kosten ein Teil dieser noch notwendigen Korrekturen bereits im Ausschuß vollzogen werden kann. Aus den Erfahrungen mit der 21. Novelle, die mit 2,6 Milliarden DM Kosten angesetzt worden war, in Wirklichkeit aber weit über 1 Milliarde weniger beanspruchte, ist abzuleiten, daß auch die 23. Novelle die 2,6 Milliarden DM gebundener Mittel noch nicht ausschöpfen wird. Die FDP ist der Auffassung, daß die Beseitigung aller noch bestehenden Einschränkungen gegenüber der Regelung für Heimatvertriebene die Summe von 2,6 Milliarden DM nur geringfügig überschreiten würde, wobei die darüber liegenden Kosten erst in den 80er Jahren anfallen würden.
Die Freien Demokraten danken noch einmal der Bundesregierung und dem zuständigen Minister für



Ollesch
die rasche Vorlage dieses für einen großen Personenkreis in der Bundesrepublik so bedeutsamen Entschädigungsgesetzes. Wir hoffen, daß die Beratungen im Innenausschuß zügig durchgeführt werden im Sinne der Ausführungen, die ich vorhin schon einmal gemacht habe , Frau Kollegin Jacobi, damit auch Ihr Anliegen recht bald behandelt werden kann. Meine Ausführungen bedeuteten gar nicht, daß hier verzögert werden soll. Wir sind mit der Überweisung an den Innenausschuß einverstanden.

(Allgemeiner Beifall.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606602700
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schlage Ihnen vor, Überweisung an den Innenausschuß — federführend — und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Einverstanden? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 24:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Hirsch, Dichgans, Mertes, Dr. Müller (München) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gesetze über die Gemeinschaftsaufgaben
— Drucksache VI/1058 —
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller (München).

Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0606602800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fortentwicklung des Bund-Länder-Verhältnisses hat in der vergangenen Legislaturperiode zur Einrichtung der Gemeinschaftsaufgaben im Rahmen des Grundgesetzes geführt. In der Diskussion über den Föderalismus hat die Problematik dieser Materie eine große Rolle gespielt. Es galt Erfahrungen zu sammeln und sie auszuwerten. Eine dieser Erfahrungen besteht darin, daß die parlamentarische Kontrolle durch die jetzige Handhabung gefährdet ist. Der Rahmenplan ist Ausgangspunkt und Grundlage für die Durchführung der Gemeinschaftsaufgaben durch die Länder. Nach bisherigem Recht müssen die Anmeldungen für den Rahmenplan jährlich bis 1. Februar beim fachlich zuständigen Bundesministerium eingereicht werden. Ob die Etathoheit der Länderparlamente unangetastet bleibt, hängt davon ab, wann und in welchem Umfang die Parlamente mit dem Vorhaben des Rahmenplanes befaßt werden. Zum jetzt vorgesehenen Zeitpunkt, dem 1. Februar, ist das Landesparlament mit den jeweiligen Projekten in der Regel noch nicht befaßt, da die Regierung den Etatansatz in Höhe der vom Land aufzubringenden Summe erst in den Haushaltsentwurf für das folgende Jahr aufnehmen kann.
Da die Gesetze über die Gemeinschaftsaufgaben von der Mitwirkung der Parlamente erst bei der Bereitstellung der Mittel in den Haushaltsplänen ausgehen, hat der Planungsausschuß bereits eine Auswahl aus den beantragten Projekten getroffen und über die Höhe der Bundesbeteiligung entschieden. Die eigentliche Entscheidung, an die die Parlamente zwar nicht rechtlich, aber doch faktisch-politisch gebunden sind, sind also bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt gefallen. Wird die Zustimmung verweigert, so ist der Zuschuß verloren, da er nicht landes-, sondern projektgebunden ist. Deswegen ist eine frühere Information der Landesparlamente notwendig. Es sind landesgesetzliche Regelungen vorgesehen, z. B. in den Haushaltsordnungen, so daß die Entscheidungen bereits vor den Haushaltsentscheidungen getroffen werden können.
Damit aber das Ganze funktionieren kann, ist es notwendig, die Fristen zu verändern. Die Kommission für Fragen der Parlamentsreform der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, in der ja auch die Ländervertreter mitarbeiten, hat sich deswegen genauso wie die Konferenz der Landtagspräsidenten, die sich ebenfalls mit diesem Problem auf Länderebene befaßt hat, dafür entschieden, die Fristen in den Gesetzen über die Gemeinschaftsaufgaben zu verändern, nämlich den Termin vom 1. Februar auf den 1. April zu verlegen. Das heißt, der Anmeldetermin soll in Zukunft der 1. April sein. Damit wird ein wesentlicher Beitrag geleistet, die Parlamentsrechte zu sichern und den Föderalismus in seiner Weiterentwicklung zu erhalten.
Ich darf Sie bitten, den Gesetzentwurf an den Haushaltsausschuß — federführend — und zur Mitberatung an den Finanzausschuß, an den Wirtschaftsausschuß und an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu überweisen.

(Beifall.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606602900
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. — Die Überweisung ist allerdings im Ältestenrat anders vorgesehen worden. Die Vorlage sollte nur an den Haushaltsausschuß
— federführend - und an den Finanzausschuß — mitberatend — überwiesen werden. Ich frage mich, ob Sie dennoch Ihren weitergehenden Antrag aufrechterhalten.

(Abg. Dr. Müller/München: Nein!)

— Dann ist das erledigt. Es soll also im Sinne der eben bekanntgegebenen Vereinbarung im Ältestenrat vorgegangen werden. Ist jemand gegen die Überweisung? — Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 26 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schober, Dr. Martin, Dr. Stoltenberg und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes
— Drucksache VI/911 —b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes
— Drucksache VI/1076 —
Zur Begründung des ersten Gesetzentwurfes hat der Abgeordnete Dr. Schober das Wort.




Dr. Kurt Schober (CDU):
Rede ID: ID0606603000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Entwurf von Abgeordneten der CDU/CSU geht zurück auf eine Debatte am 17. April dieses Jahres. Es ging damals um eine Sozialenquete für die Komponisten, bildenden Künstler und Schriftsteller. Wir haben damals schon zum Ausdruck gebracht, daß wir nach dieser Enquete eine Änderung des Urheberrechtes beantragen würden. Dieser Antrag liegt nun vor.
Lassen Sie mich, bevor ich eine kurze Erklärung zu unserem Antrag selber abgebe, einige wenige Worte zum Schicksal der Enquete sagen. Alle Fraktionen haben damals dem Antrag zugestimmt, die Bundesregierung zu beauftragen, diese Enquete durchführen zu lassen. Leider hat sich inzwischen eine neue Situation ergeben. Der Verband Deutscher Schriftsteller, der sich zum erstenmal mit dieser Sache beschäftigt hat, hat einen anderen Geldgeber gefunden. Deswegen hat die Bundesregierung jetzt nicht mehr die Möglichkeit, diese Enquete durchführen zu lassen. Wir bedauern das, weil wir der Meinung sind, daß Fragen dieser Art vor das Forum dieses Hauses gehören, und vor allen Dingen deswegen, weil wir die Möglichkeit gehabt hätten, die Enquete um Fragen, die uns allen am Herzen liegen, zu vervollständigen.
Es ist damals gesagt worden, daß es sich nicht nur um die Schriftsteller, bildenden Künstler und Komponisten handeln könne, sondern daß man eigentlich auch einmal das Schicksal der sogenannten reproduzierenden Künstler untersuchen sollte. Ich weiß nicht, ob das jetzt noch möglich ist. Ich hätte es jedenfalls für sehr gut gehalten, wenn wir auch eine Untersuchung über die wirtschaftliche Lage etwa der Schauspieler, der Musikerzieher und der Pianisten bekommen hätten. Ich hoffe, daß wir noch einen Weg finden, das Problem zu lösen. Möglicherweise können wir eine Spezialenquete über diese Personengruppen durchführen.
Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, worauf die Änderung der Sachlage zurückzuführen ist. Ich fürchte beinahe, daß sie darin begründet ist, daß sich die Bundesregierung nicht schlüssig werden konnte, wer eigentlich für die Enquete zuständig sein sollte, und daß man vielleicht auch bei der Bereitstellung der Mittel ein bißchen gezögert hat.

(Zuruf des Abg. Moersch.)

— Ich hoffe, daß das nicht der Fall gewesen ist, aber der Verdacht, Herr Moersch, liegt natürlich nahe.
Nun einige wenige Sätze zu dem Ihnen vorliegenden Antrag zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes.
Wir haben uns im wesentlichen auf zwei Vorschriften beschränkt, und zwar auf die §§ 27 und 46. Dabei handelt es sich einmal um unseren Wunsch, über eine Gebührenpflicht für die Verleihung und Vermietung von Büchern einen Sozialfonds für die Altersversorgung von Schriftstellern einzurichten. Sodann haben wir uns auf § 46 konzentriert, den sogenannten Lesebuch-Paragraphen, der vorsehen soll, daß Schriftsteller endlich auch dann ein Honorar bekommen, wenn sie in einer Lesebuchsammlung oder in einer ähnlichen Sammlung etwas veröffentlichen. Dieser letzte Paragraph stößt kaum noch auf Widerspruch; ich hoffe, daß er ohne Schwierigkeiten durchgehen wird.

(Abg. Moersch: Warten Sie mal den Bundesrat ab!)

— Wir wollen die Entscheidung des Bundesrates abwarten; ich hoffe aber, daß wir die Schwierigkeiten diesmal überwinden können.
Bei § 27 verhält es sich etwas anders, meine Damen und Herren. Unser Entwurf hat sich sehr eng an die Meinungen des Verbandes der Schriftsteller angeschlossen. Ich möchte einräumen, daß der Entwurf der Koalition, der ja acht Wochen später kam, ein wenig perfektionierter ist, jedoch freue ich mich, daß er überhaupt gekommen ist. Herr Kollege Raffert, Herr Kollege Moersch, ich glaube, daß wir mit unserer politischen Initiative, in diesen Dingen überhaupt tätig zu werden, Sie mindestens etwas beflügelt haben.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Wir sind der Auffassung — insofern würden wir unseren Vorschlag ein wenig erweitern —, daß wir nicht nur die Vermietung, sondern auch die Entleihe gebührenpflichtig machen sollten, weil das Aufkommen an Geld sonst einfach zu gering bleibt. Diese Erkenntnis ist in den letzten Monaten gereift; wir wollen uns ihr gern anschließen. — Es müßte dann noch der Begriff der „öffentlichen Bibliothek" geklärt werden; das können wir sicher in den Gesprächen im Ausschuß tun.
Meine Damen und Herren, leider ist es nicht möglich, die Werkbüchereien aus diesen vorgesehenen Regelungen auszunehmen. Es hat seitens der Werkbüchereien Beschwerden gegeben; man meinte, die Initiative der Unternehmer, solche Werkbüchereien zu errichten, würde geschmälert und behindert. Ich bin jedoch der Ansicht, daß die Ausnahme, die wir gemacht haben, nämlich, daß solche Entleihen von der Gebührenpflicht frei bleiben sollen, die zur Erfüllung von Pflichten aus dem Dienst — oder Arbeitsverhältnis erforderlich sind, schon ein Entgegenkommen den Werkbüchereien gegenüber bedeutet. Ich hoffe, daß wir auch hier mit der Industrie und dem Handel zu einem Einverständnis kommen werden.
Ein wenig Kummer bereiten uns die Pfarrbüchereien, meine Damen und Herren, die mit ehrenamtlichem Personal arbeiten. Ich hoffe, daß es uns gelingt, diese Pfarrbüchereien, die Büchereien der Gemeinden beider Konfessionen, in eine Regelung einzubeziehen, die es ihnen möglich macht, die Gelder nicht selber aus ihren Gemeindekassen aufbringen zu müssen.
Damit komme ich zu dem Problem, meine Damen und Herren, wie wir uns die Aufbringung der Mittel überhaupt vorstellen.
Wir meinen, daß es bei der zunehmenden Gebührenfreiheit von Bibliotheken richtig wäre, ein möglichst einfaches Abrechnungsverfahren zu finden. Dieses möglichst einfache Abrechnungsverfahren wäre sicherlich dann gewährleistet, wenn es mög-



Dr. Schober
liehst wenig Stellen gäbe, die einen Beitrag für den Sozialfonds der Schriftsteller leisten. Wir sind der Auffassung - darüber müßte natürlich mit den Ländern verhandelt werden —, daß es nicht unbillig wäre, wenn der Betrag für die Altersversorgung der Schriftsteller aus zwölf Länderkassen flösse. Wie das im einzelnen zu regeln ist, kann man gewiß der Verwertungsgesellschaft Wort, die hierfür zuständig ist, überlassen.
Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang interessant zu sagen, wie man sich etwa das Aufkommen aus der Bibliotheksgebühr vorstellt. Es müßte etwa so sein, daß bei den 96 Millionen Entleihungen, die wir im Jahr haben, etwa 10 Pf auf jede Entleihe berechnet würden; das würde ein Aufkommen von 9,6 Millionen DM im Jahr bedeuten. Diese 9,6 Millionen DM sollten einer Verwertungsgesellschaft zugeführt und könnten etwa wie folgt aufgeteilt werden: 45 % individuell, 45 % für einen Sozialfonds auf Versicherungsbasis, und dann sollte man, wie ich meine, noch 10 % für die Künstlerhilfe des Herrn Bundespräsidenten zur Verfügung stellen, und zwar für Personen, die, weil sie schon zu alt sind, nicht in der Lage sind, eine Versicherung abzuschließen. Ich bin der Ansicht, das wäre eine ganz gerechte Lösung, und nach dem, was ich gehört habe, habe ich den Eindruck, daß auch die Autoren mit einer solchen Regelung einverstanden wären.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir brauchen hier nicht noch im einzelnen auf § 62 Abs. 4 Satz 3 zu sprechen zu kommen; darüber werden wir uns sicherlich im Ausschuß unterhalten.
Zum Schluß möchte ich nur noch sagen, daß ich bei meinen vielen Bereisungen und Befragungen im Lande auf großes Interesse an diesem Vorhaben des Bundestages gestoßen bin, ebenso aber auch auf weitere Forderungen. Ich möchte nur drei ganz kurz am Schluß hier eben andeuten.
Der Deutsche Journalistenverband ist der Meinung — und es läßt sich sicher auch manches dafür sagen —, daß es eine gewisse Benachteiligung der Lichtbildwerke gibt, weil die Schutzfrist hier nur 25 Jahre beträgt. Man möchte sie gern auf 70 Jahre ausdehnen: § 64. Ob das möglich ist, wollen wir im Ausschuß untersuchen.
Die bildenden Künstler machen geltend, daß § 26 Abs. 1 — was das Folgerecht betrifft — bei der Veräußerung von Werken der bildenden Kunst statt 1 % jetzt 5 % beim Veräußerungserlös vorgesehen werden sollten und daß die Grenze von 500 auf 100 DM herabgesetzt werden sollte. — Auch das ist, glaube ich, eine plausible Forderung. Ob sie durchzusetzen ist, ist eine andere Frage. Ich meine, es müßte eigentlich möglich sein.
Die GEMA hat dann noch gefordert, u. a. die §§ 52, 53 und 135 zu ändern. Auch darüber wird man sprechen können, ohne daß ich jetzt hier in die Einzelheiten gehe.
Meine Damen und Herren, zum Schluß folgendes. Es kommt uns darauf an, in unserer Zeit zunächst einmal mit dieser Novellierung dafür zu sorgen, daß der Schriftsteller, der sich als ein solcher erwiesen hat, der größten Sorgen für sein Alter enthoben ist Wir haben damit zu rechnen, daß der Buchmarkt in der Bundesrepublik Deutschland enger wird. Die Konkurrenz des Kassettenfernsehens etwa wirft ihre Schatten voraus, und ich meine, wir sollten Vorsorge treffen, daß für diesen wichtigen Berufsstand in unserem Volke das getan wird, was wir als Bundestag dafür tun können, was natürlich nicht bedeutet, daß wir in irgendeiner Weise als Vormund eintreten wollen. Die Freiheit des geistigen Schaffens muß in jedem Fall gewährleistet sein.
Die CDU/CSU-Fraktion ist mit dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrats einverstanden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606603100
Das Wort zur Begründung des zweiten Gesetzentwurfs hat der Abgeordnete Raffert.

Joachim Raffert (SPD):
Rede ID: ID0606603200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier in dieser ersten Lesung der Novelle zum Urheberrecht hat meine Fraktion nicht die Absicht, rhetorische Stilübungen über „die Bedeutung des Schriftstellers in unserer Zeit" vortragen zu lassen. Es liegen jetzt ja schließlich von beiden Seiten des Hauses Entwürfe vor, die zur Sicherung der materiellen Existenz der Schriftsteller beitragen sollen. Das zeigt, daß auch diejenigen, die hier noch ein bißchen Nachhilfeunterricht nötig hatten, ihr Pensum inzwischen offenbar nachzuholen versuchen. Und deshalb werde ich heute aus der Sicht unserer Fraktion nur ein paar kurze, ergänzende und erläuternde Bemerkungen zum Entwurf der Regierungspartei machen.
Einer der wesentlichen Unterschiede — ich halte ihn sogar für ziemlich wesentlich — ist ja, daß der Entwurf aus der Opposition heraus nur von einer Gruppe von Abgeordneten getragen wird, während der Entwurf der Regierungsparteien von beiden Fraktionen voll mitgetragen wird, auch nicht in der Eile verfertigt wurde wie offensichtlich der andere und dadurch eben von höherer Qualität hat werden können, was Sie, Herr Dr. Schober, uns auch bestätigt haben. Wir können also zunächst nur hoffen, daß auch in den Reihen der Opposition die Einsicht allgemeiner wird, — —(Abg. Dr. Schober: Das macht die Ministerialbürokratie!)

— Die Gewohnheit haben Sie 20 Jahre lang gehabt; wir können das natürlich auch sauber allein.

(Abg. Dr. Schober: Ich glaube, Sie zweifeln nicht daran, daß wir das in der nächsten Zeit auch können!)

— Wir brauchen ja keine Zensuren zu erteilen.

(Abg. Dr. Schober: Das will ich nicht!)

Das habe ich eben auch nicht versucht. Ich habe nur ein paar Sachfeststellungen zum Ablauf gemacht. Wir können also nicht darauf rechnen, aber wir können darauf hoffen, daß auch bei der Opposition die Einsicht allgemeiner wird, daß den Autoren



Raffert
geholfen werden muß, und zwar nicht nur mit milden Gaben,

(Abg. Dr. Schober: Wir waren ja die ersten!) sondern mit rechtlich begründeten Ansprüchen.


(Abg. Dr. Schober: Wir waren immerhin die ersten!)

— Im übrigen, Herr Dr. Schober, sind ja die Unterschiede in den beiden Entwürfen mindestens auf den ersten Blick nicht so gravierend, als daß wir in den Ausschüssen nicht zu gemeinsamen Lösungen kommen könnten; denn wir dürfen natürlich nicht und wir wollen das auf gar keinen Fall — die Autoren und die Rechte, die sie haben, insbesondere ihre soziale Sicherung, die eine der Grundlagen geistiger Freiheit ist, zu einem Gegenstand des Parteienstreits machen.

(Abg. Dr. Schober: Sehr richtig!)

Zur Enquete eben eingeschoben: Wir freuen uns, wenn private Initiativen auch in diesen Feldern ergriffen werden. Möglicherweise hätte ja die Bundesregierung ein gleiches oder ähnliches Institut beauftragt, wie das jetzt durch die Initiative aus der „Spiegel"-Stiftung kommt. Wir können das Material, das da angeliefert wird, in unseren Beratungen genauso zur Grundlage machen wie irgend etwas anderes. Es gibt keinen Grund anzunehmen, hier seien Schwierigkeiten zwischen den Ministerien gewesen. Die Zuständigkeiten sind völlig klar! Worum sich die Regierung bemüht und worum wir uns auch bemüht haben, ist, die Fragestellung so zu formulieren, daß man auch die Antworten bekommt, die man vom Inhalt her braucht. Das war auf der Grundlage des Antrags, den Sie gestellt haben, unserer Auffassung nach noch nicht völlig möglich.
Beiden Entwürfen, die vorliegen, ist gemeinsam, daß für die Autoren ein Vergütungsanspruch für die Ausleihe durch die öffentlichen Büchereien und durch die Werksbüchereien entsteht, und daß die Aufnahme ihrer Arbeiten in Schulbücher honorarpflichtig wird. Ähnliche Forderungen das hat Herr Dr. Schober schon gesagt — haben wir ja schon im Zusammenhang mit der Generalrevision des Urheberrechts 1965 im Vierten Bundestag gehabt; die Regelung ist damals am Bundesrat gescheitert. Hier liegt ein weiterer Unterschied zwischen unseren beiden Entwürfen. Wir meinen, daß die kleine Novellierung, die wir vorhaben, nicht mehr zustimmungspflichtig ist, während der Entwurf der CDU davon ausgeht, daß das ein zustimmungspflichtiges Gesetz sei. Ich denke, unser Standpunkt ist rechtlich so abgesichert, daß er dann auch als Beschluß in dritter Lesung im Plenum anerkannt werden wird.
Ein weiterer Unterschied liegt in folgendem Punkt. Der Entwurf der CDU ist insofern mißverständlich, als die jetzige Formulierung möglicherweise nur zuläßt, die öffentlichen Büchereien dann zu erfassen, wenn sie gegen Entgelt ausleihen. Aber heute fordern ja diese Büchereien zum größten Teil keine Leihgebühren mehr. Das soll auch so bleiben, das soll sich sogar noch ausdehnen. Ich meine, daß unsere Formulierung in diesem Punkt unmißverständlicher ist.

(Abg. Dr. Schober: Das habe ich eben schon gesagt!)

— Ja. Wir beziehen die unentgeltliche Ausleihe mit ein, und ich habe gern gehört, daß Sie das auch wollen. Dann werden wir uns also auf diese Formulierung einigen können.
Entscheidenden Wert legen wir darauf, daß die Ansprüche der Schriftsteller auf Vergütung für das Vermieten und Verleihen ihrer Werke durch öffentliche Büchereien durch eine Verwertungsgesellschaft gewahrt werden. Das haben Sie, liebe Kollegen von der Opposition, in den entsprechenden Paragraphen nicht geschrieben. Wir haben das hineingeschrieben.

(Abg. Dr. Schober: Wir haben es in die Begründung geschrieben!)

Wir sind uns aber einig; das höre ich sehr gern. Wenn das so geschieht, dann entsteht für die Büchereien auch kein überflüssiger Verwaltungsaufwand. Das ist uns ja in den Befürchtungen von dieser Seite — verständlicherweise — immer wieder vorgetragen worden. Wir wollen pauschal abrechnen, und das geht auch ganz gut. Denn die Unterlagen dafür, nämlich die jährlichen Statistiken, stehen uns in der Gesamtstatistik des Büchereiverbandes und in der Statistik der kirchlichen Büchereien zur Verfügung. Für die Werkbüchereien ließe sich das natürlich unschwer auch machen. Dieser Vorgang kann also stark vereinfacht werden.
Es ist in diesem Zusammenhang übrigens interessant, wie die Entwicklung der Ausleihziffern in den öffentlichen Büchereien aussieht. Wir haben einen ständigen, und zwar ziemlich starken Aufwärtstrend bei den öffentlichen Büchereien: 1966 waren es 90 Millionen, rund gerechnet, 1969 waren es 97 Millionen Entleihungen. Für mich bemerkenswert war beim Blick in die Statistik übrigens, daß entgegen meinen Erwartungen der prozentuale Anteil der Fachbücher nicht wächst, sondern kontinuierlich etwa bei 30 °/o liegt, daß also das, was man früher „schöne Literatur" genannt hat, immer noch sehr stark verlangt wird. Gerade für diese Autoren sind ja die Maßnahmen, die wir jetzt durch die Novelle ermöglichen wollen, wichtig.
Eine andere Entwicklung ist übrigens auch interessant: Gegenläufig sind die Trends für die öffentlichen, also für die kommunalen und die kirchlichen Büchereien. Bei den kirchlichen Büchereien gehen die Entleihziffern zurück oder stagnieren mindestens. Das Verhältnis jetzt ist etwa 81,5 zu 15,5 Millionen.
Setzen wir nun eine Tantieme von 10 Pf pro Ausleihe an, wie Sie es ja auch vorgeschlagen haben, dann kommen wir auf einen jährlichen Anspruch der Autoren von 10 Millionen DM, wenn, Herr Dr. Schober, Ihre Kollegen, die Verleger, bereit sind, auf einen eigenen Anspruch, der eventuell aus der Entleihung abgeleitet würde, zu verzichten. Darauf rechnen wir und dürfen das nach den ersten Äußerungen aus dieser Richtung wohl auch erwarten.

(Abg. Dr. Schober: Das unterstellen wir!)




Raffert
— Sie unterstellen es, wir erhoffen es; aber wir werden dazu beitragen, daß das Verständnis auf jener Seite noch wächst.
10 Millionen DM scheint auf den ersten Blick ein sehr hoher Betrag zu sein. Wir müssen aber z. B. daran erinnern, daß es im Verhältnis zu dem, was die Komponisten durch die GEMA erlösen können, die sie ja seit langen Jahren als ihre Verwertungsgesellschaft haben, gar nicht so sehr viel ist.
Wir müssen weiter sehen, daß doch nur 50 %—ich will mich hier nicht auf zweimal 45 und einmal 10 %einstellen — auf den Sozialfonds kämen; das wären dann 5 Millionen DM. Daß es 50 %sein sollen, ist in unserem Entwurf nicht ausdrücklich aufgeführt. Das Verwertungsgesellschaftsgesetz schreibt ja vor, daß über eine Einnahme von 1 Million DM hinaus Verwertungsgesellschaften Sozialfonds bilden müssen. Wir erwarten, daß die „Verwertungsgesellschaft Wort" ihre Statuten noch während der Gesetzesberatungen dahin gehend ändert, daß sie sich verpflichtet, 50 %dorthin abzuführen. Das wäre eine Voraussetzung dafür, daß das Gesetz in dieser Form das Haus passiert. Auch dann würden die zur Verfügung stehenden 5 Millionen DM natürlich nicht ausreichen, um alle Autoren sozial voll zu sichern. Für die meisten wäre aber der Anschluß an die Sozialversicherung möglich, etwa durch eine 50prozentige Beteiligung an den Beiträgen. Das wäre eine sehr überlegens- und wünschenswerte Entwicklung. Die Mittel müßten aber auch verwandt werden, um ältere Schriftsteller voll abzusichern und jüngeren Stipendien geben zu können.
Wie die Ausleihtantiemen aufgebracht werden sollen — ein sehr delikates Thema —, wird in beiden Entwürfen nicht gesagt. Wir wollen ja auf keinen Fall, daß sie auf die Leser abgewälzt werden. Das kann unser Wunsch nicht sein. Wir werden aber zu diesem Punkt — wie übrigens auch zu allen anderen Absichten, die unsere Entwürfe beinhalten — die Betroffenen und Beteiligten bei einem öffentlichen Anhörtermin hören. In dem Hearing der beteiligten Ausschüsse können die Standpunkte dann klargemacht werden.
Wir — und auch die Bundesregierung — halten die Übernahme von Erfahrungen aus dem skandinavischen Modell für möglich. In Skandinavien übernimmt die öffentliche Hand, der Staat, diese Kosten.
Was die Ansprüche der Werksbüchereien angeht, so rechnen wir darauf, daß der Musterprozeß, der vor dem Bundesgerichtshof anhängig ist, in absehbarer Zeit zu einem Urteil führt, das uns Orientierungshilfen geben kann. Die hohen Richter können uns die Gesetzgebung zwar nicht abnehmen, aber wir sehen dann auf Grund des Urteils, wie die rechtliche Lage ist.
Über das hinaus, was in den Formulierungen und in der Begründung unserer Entwürfe zu den §§ 27, 46 und 62 des Urheberrechtsgesetzes gesagt worden ist, möchte ich zum Abschluß noch auf ein paar Punkte hinweisen, die wir bei der weiteren Beratung des Gesetzes beachten müssen.
Erstens. Wir müssen darauf sehen, daß auch die Übersetzer zu ihrem Recht kommen. Bisher ist ja deren geistig-schöpferische Leistung materiell nur ungenügend anerkannt worden.
Zweitens. Wir müssen prüfen — hier stimme ich mit den Überlegungen der von Herrn Dr. Schober vertretenen Gruppe überein —, ob nicht auch eine Verbesserung im Hinblick auf die bildenden Künstler erreicht werden kann. Die Anhebung ihres Anteils an den Veräußerungserlösen im Kunsthandel und bei Auktionen ist wirklich notwendig. Auch die Herabsetzung der Grenze von 500 DM auf 100 DM, die in etwa dem Durchschnitt in der EWG entspräche — in Frankreich liegt die Grenze bei 100 Francs —, würde unsere Zustimmung finden. Ich meine, daß das durchsetzbar ist und entsprechende Vorschriften während der Ausschußberatungen in den Gesetzentwurf eingefügt werden können.
Drittens. Auf den Fonds für die Künstlerhilfe beim Bundespräsidenten können wir nicht verzichten. Ich meine aber nicht, daß dieser Fonds aus diesen Mitteln gespeist werden sollte. Ich trete dafür ein, hier auf Haushaltsmittel zurückzugreifen, denn dieser Fonds betrifft auch eine ganze Reihe von Künstlern, Autoren, Urhebern aus Bereichen, die mit dieser Abgabe gar nicht erfaßt werden können; sie bringt auch keineswegs Sicherheit für alle.

(Abg. Dr. Schober: Darüber läßt sich reden!)

Viertens. Die soziale Sicherung der Schriftsteller muß im Zusammenhang gesehen werden mit den Absichten der Regierung und den Wünschen der sie tragenden Fraktionen, die Alterssicherung für Journalisten aller Medien bei Presse und Rundfunk zu einem möglichst einheitlichen System umzugestalten und auszubauen. Größere soziale Sicherheit erleichtert ja die Mobilität zwischen Buchverlagen, Zeitungsverlagen, Zeitschriftenverlagen, Rundfunk- und Fernsehanstalten. Diese Mobilität der Journalisten und Schriftsteller ist ja eine ganz wichtige Voraussetzung für die Freiheit der Information, der Meinung und, wenn Sie so wollen, des Geistes. Dazu wollen wir beitragen. Das ist die Grundabsicht unseres Entwurfs, der nun an die Ausschüsse zur Beratung geht, die wir ohne Hast, aber zügig durchzuführen gedenken.

(Beifall.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606603300
Meine Damen und Herren, die beiden Gesetzentwürfe sind begründet. Ich eröffne die mit der Begründung verbundene Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0606603400
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als Mutantragsteller kann sich die Fraktion der FDP der Begründung des Kollegen Raffert vollinhaltlich anschließen.
Lassen Sie mich zu dem Prinzip, um das es geht, aber doch noch einige Anmerkungen machen. Hier sind Zahlen genannt worden: ein Aufkommen von insgesamt 10 Millionen DM im Jahr für die Autoren. Wenn man etwa die Kosten einer einstündigen Fernsehproduktion im Showbusiness betrachtet, ist das eine kleine Summe. Die Mißver-



Moersch
hältnisse in der Bewertung geistiger Leistungen werden deutlich, wenn man einmal die Zahlen vergleicht. Eine Fernsehstunde kann 500 000 DM kosten. Das Gesamtaufkommen zusätzlicher Art für Schriftsteller in der Bundesrepublik könnte pro Jahr 10 Millionen DM betragen, wobei wir noch einen umfangreichen Apparat aufbauen müßten, um dieses Geld überhaupt jemals in die Kasse zu bekommen.
Ich sage das und weise hier auf das Fernsehen hin, nicht um irgend jemanden anzugreifen — daß das so ist, ist eine Tatsache, mit der wir leben müssen —, sondern weil ich meine, daß in vielen Bereichen unseres öffentlichen Lebens die Frage des geistigen Eigentums und ,der Leistung auf diesem Gebiet nicht besonders hoch eingeschätzt wird, auch nicht die Frage der Verpflichtung, die man etwa diesen freien Berufen — die die wirklich freien Berufe sind — gegenüber hat.
Jüngst hat eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt durch den Verwaltungsdirektor aus Gründen angeblich notwendiger Einsparungen ihre Mitgliedschaft in einer Stiftung gekündigt, die sich in bescheidenem Maße solcher sozialen Härtefälle bei Autoren annimmt, der Deutschen Friedrich-SchillerStiftung. Es handelt sich bei dem Betrag, den diese Anstalt bisher pro Jahr für diese Stiftung aufgebracht hat, um 20 DM. Das sind die Tatsachen, mit denen wir anscheinend leben müssen.
Ich begrüße es außerordentlich, daß der Bundespräsident in der kommenden Woche eine Reihe von Schriftstellern und Künstlern zu sich eingeladen hat, um mit ihnen diese Fragen ihrer sozialen Sicherung und des Verhältnisses von Geist und Geld, wenn man einmal so sagen darf, an praktischen Beispielen zu besprechen. Das wird dann hoffentlich auch auf die öffentliche Meinung einwirken.
Was nun die öffentliche Meinung betrifft — oder das, was man an Meinungen über das Recht eines Autors auf geistiges Eigentum gelegentlich mitgeteilt bekommt —, so ist der Briefeingang nach der Veröffentlichung unserer Gesetzentwürfe eine sehr erhellende Sache. Da gibt es z. B. die Stellungnahme der Werksbüchereien. In dieser wird einfach impliziert, daß die Autoren sozusagen die Pflicht hätten, mit ihrem geistigen Eigentum zur Bereicherung anderer beizutragen, ohne daß sie deswegen ohne weiteres auch einen Anspruch haben könnten, dafür materiell entschädigt zu werden. Das sollen sie also offensichtlich für Gotteslohn tun. In diesen Fällen ist das zum Leben manchmal etwas wenig, gerade für Schriftsteller.
Es wird hier etwa gesagt, daß sich die Werksbüchereien, deren Verdienste ich keineswegs schmälern möchte, von sozialen Erwägungen und nicht von Gewinnstreben leiten lassen. Nun, von solchen Worten können die Betroffenen nicht essen. Was heißt hier „soziale Erwägungen"? Das heißt: auf Kosten anderer, und das nenne ich eine feine Art von sozialer Einstellung. Aber solches Denken ist weit verbreitet, und die Petenten haben das ganz arglos niedergeschrieben.
Und dann wird uns mitgeteilt, es wäre schon deswegen falsch, die Werksbüchereien hier zu
einem Entgelt heranzuziehen, weil dann jene Unternehmer bestraft würden, die sich bereits bildungspolitisch eingesetzt haben. Als ob das Entgelt für eine geistige Leistung eine Strafe sein könnte, als ob hier in Deutschland wirklich noch jemandem klargemacht werden müßte — aber offensichtlich muß man das —, daß eben das geistige Eigentum genauso ein Eigentum ist wie das Eigentum an Grund und Boden oder das materielle Eigentum anderer Art.

(Abg. Rommerskirchen: Das muß der Verleger weitgehend berücksichtigen!)

— Herr Rommerskirchen, das auf die Verleger zu schieben, ist deswegen nicht mehr so ganz neu, weil seit Napoleon die Verleger bekanntlich immer in irgendeinem Verdacht stehen; der Korse ließ einen Verleger erschießen, wie Sie wissen. Inzwischen hat sich aber herumgesprochen, daß es so einfach nicht geht, um die Probleme zu lösen.
Wenn hier ein Anspruch der Autoren begründet wird, dann einfach deswegen, weil sonst die Frage der Abwälzbarkeit entsteht. Da aber beißen bekanntlich den Letzten die Hunde. Das war im Zweifel immer der Autor. Deswegen wollen wir den Autor hier besser sichern und wollen keine Komplikationen anderer Art einführen. Es geht darum, daß geistiges Eigentum voll gilt.
Das ist nicht nur eine materielle Frage; denn am Ende sind die Beträge, um die es hier geht — ich habe die Summen genannt —, nicht sehr groß; die könnte man in der Tat auf andere Weise aufbringen. Es geht vielmehr darum, daß die Gesellschaft selbst respektiert, daß die geistige Leistung anderer, die man in Anspruch nimmt, zu honorieren ist, daß sie bezahlt werden muß wie jede andere Leistung auch, daß man nicht von anderen erwarten kann, daß sie einem diese Leistung unentgeltlich zur Verfügung stellen.
Dabei sind wir uns als Antragsteller darüber im klaren, daß die Möglichkeit der vollkommenen Gerechtigkeit durch die rein rechtliche Regelung in einem solchen Gesetz in umgekehrtem Verhältnis zu der praktischen Anwendbarkeit eines solchen Gesetzes steht, weil der Verwaltungsaufwand verhältnismäßig groß ist. Das dürfte man auch schon bei der Musikverwertungsgesellschaft festgestellt haben.

(Abg. Dr. Schober: Das muß man klein halten!)

— Ja, man muß es klein halten. Nur, Herr Dr. Schober, so ganz exakt geht das nicht. Das haben Sie schon bezüglich der Tonbandgeräte, bei der Verwertung geistigen Eigentums anderer auf diesem Gebiet, gesehen. Wir haben das in vielen Fällen. Wir sind uns also darüber im klaren, daß es sich hier im wesentlichen sozusagen um einen mehr moralischen Beitrag zur allgemeinen Gerechtigkeit gegenüber den Urhebern von Werken als um eine materiell voll befriedigende Regelung handelt, die wir ohnedies nicht erreichen können.

(Abg. Dr. Schober: Das ist richtig!)




Moersch
Wir sind uns also der Unfertigkeit unseres Tuns durchaus bewußt. Wir glauben aber, daß es auch zur Information der Öffentlichkeit über das Wesen geistigen Eigentums dringend notwendig ist, daß man gerade wegen der Schulbücher die beantragten Gesetzesergänzungen vornimmt, damit der Eindruck verwischt wird, hier könne man sich z. B. bei bestimmten Personen unter dem Stichwort der sozialen Erwägungen leicht bedienen. Es hat mir nie eingeleuchtet, daß die Kultusministerien im Bundesrat bei der Novellierung des Urheberrechts ausgerechnet die Schulbuchautoren sozusagen unter Ausnahmerecht stellen konnten und gestellt haben. Das ermutigt einen lebenden Schriftsteller natürlich nicht gerade, so zu schreiben, daß er in Schulbücher aufgenommen wird. Eine solche Ermutigung wäre schon allein deswegen nützlich, weil man in Schulbücher nur allgemeinverständliche Texte aufnehmen kann. Ich habe nie begriffen, daß man in den Kultusministerien rein materielle Erwägungen vorangestellt hat, obwohl es sich doch wirklich nicht um große Summen handelt.
Uns ist damals entgegengehalten worden: Wenn ihr die Schulbuchautoren rechtlich gleichstellt, werden die Schulbuchverleger, was ich nicht hoffe und auch nicht glaube, auf längst verstorbene Schriftsteller zurückgreifen, und dann wird eben in den Schulbüchern wieder jene Idylle von den zwar armen aber reinlichen Menschen entstehen, der, aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts stammend, hier sein Wesen treibt, solange solche Darstellungen in jedem Fall honorar- und tantiemenfrei sind. Das will ich nicht hoffen und auch nicht befürchten. Hoffentlich werden auch die betroffenen Kultusverwaltungen dafür sorgen, daß nicht nur gut abgelagerte Beiträge, sondern auch Beiträge von lebenden Schriftstellern in den Schulbüchern erscheinen. Das müßte man bei dieser Gelegenheit noch erreichen können. Ich will also dieses mögliche Augument gleich zurückweisen.
Die Besetzung dieses Hauses — das ist kein Vorwurf für die Anwesenden; es ist wie in der Kirche: man kann nicht die Anwesenden für die Abwesenden haftbar machen — um diese Zeit ist sozusagen ortsüblich und bekannt. Nur würde ich diejenigen Kollegen, die sich sonst gern mit nahrhaften Dingen, mit materiellen Fragen beschäftigen und die in allen wirtschaftlichen Fragen außerordentlich gewandt sind, bitten, vielleicht ein bißchen das Protokoll auch der letzten Beratungen über solche Fragen nachzulesen, um zu erkennen, daß man, wenn man das Eigentum in einer freien Gesellschaft verteidigen will, eben auch an jene denken muß, die nicht von der Vermögensteuer betroffen sind — dafür garantiert normalerweise die Honorierung von Autoren,
mit wenigen Ausnahmen —, an jene nämlich, die durch den Schutz des geistigen Eigentums von einer freien Gesellschaft respektiert werden wollen.
In diesem Sinne sollten wir die Beratung der Gesetzesnovelle in den Ausschüssen vornehmen und sollten dafür sorgen, daß die restriktiven Bestimmungen, die damals bei der Novellierung durch die Einwirkung des Bundesrates mit hineingekommen sind, diesmal entfallen.

(Beifall.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0606603500
Wird weiterhin das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Ich schlage Ihnen vor, beide Gesetzentwürfe an den Rechtsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft sowie an den Innenausschuß — mitberatend — zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nun als letzten Punkt der Tagesordnung den Zusatzpunkt auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft über die
Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 14/70 — Waren der EGKS 2. Halbjahr 1970)

Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 13/70 — 2. Verlängerung der Zollaussetzungen für Stahlerzeugnisse)

— Drucksachen VI/ 1131, V/1132, VI/1157 —
Berichterstatter: Abgeordneter Unland
Ich danke dem Berichterstatter für seinen schriftlichen Bericht.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich lasse über den Ausschußantrag, den Verordnungen auf den Drucksachen VI/1131 und VI/1132 zuzustimmen, abstimmen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 23. September, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.