Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, Ihnen liegt eine Liste von Vorlagen der Bundesregierung vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs, 2 der Geschäftsordnung den zuständig en Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Vorlage des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Betr. 8. Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen
der EWG-Marktorganisation auf dem Agrargebiet Bezug: Beschluß des Bundestages vom 2. Juli 1969
— Drucksache VI/776 ---
zuständig: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
federführend, Ausschult für Wirtschaft, Haushaltsausschuß
Vorlage des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
Betr. Bericht über Internationale Organisationen auf dem Ge-
biet von Wissenschaft und Forschung
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 26. .Juni 1968
Drucksache VI/875 —
zuständig: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft federführend, Auswärtiger Ausschuß, Haushaltsausschuß
Erhebt sich gegen die beabsichtigte Überweisung Widerspruch? — Ich stelle fest, daß das nicht der Fall ist.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister der Finanzen hat am 3. Juni 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Gewandt, Dr. Schmidt , Dr. Luda, von Bockelberg, Ott, Lampersbach, Dr. Freiwald, Dr. Schwörer, Dr. Warnke, Dr. Riedl (München) und Genossen betr. Erfahrungen, Auswirkungen und künftige Entwicklung der Mehrwertsteuer — Drucksache VI/732 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V1/901 verteilt.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat am 4. Juni 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Riedl , Niegel, Stücklen, Straß, Höcherl, Wagner (Günzburg), Dr. Probst, Geisenhofer, Dr. Schneider (Nürnberg) und Genossen betr. Harmonisierung der Biergesetzgebung in der EWG — Drucksache VI/751 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VE 909 verteilt.
In Abänderung der Überweisung in der Sitzung am 26. Mai 1970 hat der Präsident die
Verordnung des Rates zur Ausdehnung des Anhangs der Verordnung Nr. 109/70 des Rates vom 19. Dezember 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus Staatshandelsländern auf weitere Einfuhren (1. Erweiterung)
— Drucksache VI/755 —
dem Wirtschaftsausschuß federführend und denn Ausschuß für
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mitberatend überwiesen.
Meine Damen und Herren, bei der Durchsicht des Stenographischen Berichts der gestrigen sehr lebhaften Abendsitzung hat sich ergeben, daß der Herr Abgeordnete Her m s d o r f dem Herrn Abgeordneten Dr. Czaja zugerufen hat: „Der Czaja kann nichts weiter, als Volksverhetzer zu spielen!" Ich rüge Herrn Abgeordneten Hermsdorf wegen dieser Bemerkung gegenüber Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Ich rufe Punkt I der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksachen VI/869, VI/902
Zunächst kommen wir zu den Dringlichen Mündlichen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, Drucksache VI/902. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Josten auf:
Welche Hilfe plant die Bundesregierung für Peru, nachdem inzwischen die großen menschlichen Opfer und Schäden der Erdbebenkatastrophe bekannt sind?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Professor Dr. Dahrendorf.
Herr Präsident! Auf eine Anfrage der deutschen Botschaft in Lima hat die peruanische Regierung am 2. Juni 1970 die Bundesrepublik Deutschland um Hilfe für die Opfer der Erdbebenkatastrophe vom 31. Mai gebeten. Am 4. Juni hat der peruanische Botschafter in Bonn im Auswärtigen Amt anläßlich eines Gesprächs mit Staatssekretär Dr. Frank diese Bitte wiederholt.
Wie in ähnlichen Katastrophenfällen, z. B. nach dem Erdbeben in der Türkei Ende März und der noch andauernden Flutkatastrophe in Rumänien, ist die Bundesregierung bereit, die peruanische Regierung bei der Linderung der Not der durch das Erdbeben Geschädigten zu unterstützen. Das Bundeskabinett hat auf Antrag des Bundesministers des Auswärtigen gestern grundsätzlich zugestimmt, daß ein Betrag von mehreren Millionen D-Mark für Hilfsmaßnahmen in Peru zur Verfügung gestellt wird. Die notwendige Abstimmung zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Finanzministerium ist bereits im Gange.
Herr Kollege Josten zu einer Zusatzfrage.
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3100 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970
Herr Staatssekretär, werden die Hilfsmaßnahmen vielleicht nicht nur mit uns, d. h. der Bundesregierung, sondern darüber hinaus mit anderen europäischen Ländern abgestimmt, damit auch von Europa aus so wirkungsvoll wie möglich Hilfe geleistet werden kann?
Wir werden dieser Anregung sehr gern nachgehen. In solchen Fällen ist es häufig sinnvoll — ich habe es persönlich in den genannten Fällen verfolgt —, sofort von uns aus einseitig wirksam zu werden, damit nicht zuviel Zeit verstreicht. Das ändert nichts daran, daß es wünschenswert ist, auch eine solche Abstimmung vorzunehmen und dadurch zusätzliche Hilfe zu leisten.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, wird die Regierung nach ,der humanitären Hilfe eine zweite Hilfsaktion im Rahmen der Entwicklungshilfe einleiten? Und wären Sie bereit, hierüber den zuständigen Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit mündlich — gegebenenfalls schriftlich — zu informieren?
Es ist mir leider nicht möglich, Ihnen an diesem Punkt schon eine Zusage auf Ihre Frage zu geben. In aller Regel stellt sich bei solchen Hilfsmaßnahmen nachher die meist schwerwiegendere Frage, was langfristig getan werden kann, um dort zu helfen. Ich bin selbstverständlich bereit, das, was die Bundesregierung in dieser Hinsicht vorsieht, nachdem die Sofortmaßnahmen abgelaufen sind, in einem Bericht vor dem zuständigen Ausschuß darzulegen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Riedl .
Herr Staatssekretär, treffen uns zugegangene Informationen zu, wonach es der Bundesregierung relativ schwerfällt, den zum Transport von Medikamenten und anderen Hilfsgütern erforderlichen Luftfrachtraum zu bekommen?
Es gibt in der Tat Situationen, in denen das der Fall ist. Mir ist das im Hinblick auf das besondere Problem, über das wir hier sprechen, nämlich Peru, nicht bekannt. Bei anderen Gelegenheiten ist mir bekanntgeworden, daß dies in der Tat ein Hindernis war, so rasch zu helfen, wie wir helfen wollten.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß Sie ¡die Frage 2 noch gesondert beantworten wollen?
Das war meine Absicht, ja.
Dann rufe ich noch die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Welche Sofortmaßnahmen sind von seiten der Bundesregierung vorgesehen?
Herr Präsident, bereits am Dienstag, dem 2. Juni, als das volle Ausmaß der Erdbebenkatastrophe noch nicht bekannt war, hat der deutsche Botschafter in Lima dem peruanischen Außenminister einen Scheck über 50 000 DM als ersten Beitrag zu den Sofortmaßnahmen zugunsten der Erdbebengeschädigten übergeben. Zur Zeit stellt die deutsche Botschaft in Lima in Zusammenarbeit mit den peruanischen Behörden eine Liste des in Deutschland zu beschaffenden Hilts-materials auf. Hierbei wird auch geprüft, ob es im Interesse einer Beschleunigung zweckmäßig erscheint, einen Teil des benötigten Hilfsmaterials, wie Decken, Zelte, Nahrungsmittel usw., in den Nachbarstaaten Perus oder den Vereinigten Staaten zu beschaffen. In den nächsten Tagen sollen außerdem Wasseraufbereitungsanlagen, Medikamente, Lastenfallschirme und eventuell Funkgeräte auf dem Luftweg von Deutschland nach Peru transportiert werden. Es ist auch beabsichtigt, im Erdbebengebiet Iglus aus Schaumstoff zu errichten, wie dies in der Türkei geschehen ist. Weitere Maßnahmen werden sich an den Wünschen der peruanischen Regierung orientieren.
Herr Abgeordneter Josten, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, nachdem über mehrere zehntausend Tote, etwa 250 000 Obdachlose und über wie vom Erdboden verschwundene Dörfer berichtet wird und damit die Gefahr von Seuchen wächst, ob in Peru genügend Impfstoffe für die Erdbebengebiete zur Verfügung stehen?
Ja, das ist mir bekannt. Das gehört mit zu der Liste der Notwendigkeiten, von der ich sprach, die jetzt zusammengestellt wird.
Kollege Josten, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist auf Grund der bisherigen Erfahrungen — Sie sprachen vorhin z. B. von der Türkei sichergestellt, daß alle Hilfsmaßnahmen zweckmäßig koordiniert werden?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970 3101
Ja, das ist jetzt völlig sichergestellt.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Wolf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß im Bundesinnenministerium, das die Ansprechstelle für die Hilfsorganisationen ist, darüber nachgedacht wird und Maßnahmen geplant sind, um ein Feldkrankenhaus, das von einer anderen südamerikanischen Regierung nicht abgegenommen worden ist, nach Peru zu bringen, und sind Sie bereit, auch das zu unterstützen?
Das ist mir bekannt. Eine Entscheidung darüber ist noch nicht getroffen worden. Wenn es sachgemäß ist, sind wir selbstverständlich bereit, auch das zu unterstützen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klepsch.
Herr Staatssekretär, würden Sie für den Fall, daß bei den Sofortmaßnahmen größere Schwierigkeiten hinsichtlich der Be) Schaffung von Transportraum auftreten, in Betracht ziehen, Maschinen der Bundesluftwaffe einzusetzen?
Gerade das ist in vielen derartigen Fällen eine sehr schwierige Frage. Es ist eine Frage, bei der man neben der Notwendigkeit, unmittelbar zu helfen, auch die, wenn ich so sagen darf, im weitesten Sinne politischen Nebenwirkungen in Betracht ziehen muß, die sich ergeben, wenn Maschinen der Bundesluftwaffe eingesetzt werden. Es gibt Fälle, in denen Regierungen bereit wären, solche Maschinen einfliegen zu lassen, ohne das es uns besonders sinnvoll erschiene, das in diesem Fall zu tun. Das muß von Fall zu Fall geprüft werden, und zwar auch im Hinblick auf die politische Gesamtsituation im fraglichen Bereich.
Danke schön, Herr Staatssekretär!
Ich rufe die Fragen 89 und 90 des Herrn Abgeordneten Höcherl auf:
Welche Gründe und politischen Zielvorstellungen haben die Bundesregierung veranlaßt, in der gegenwärtigen angespannten politischen Lage in Südostasien die Visa-Sperre für Vertreter der sogenannten „Nationalen Befreiungsfront Südvietnams" bzw. der Vietcong aufzuheben?
Hat das Auswärtige Amt die Entscheidung über die Aufhebung der Visa-Sperre in Übereinstimmung mit dem Bundeskanzleramt getroffen?
Der Herr Abgeordnete Höcherl hat darum gebeten, seine Fragen schriftlich zu beantworten. Die
Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Dahrendorf vom 5. Juni 1970 lautet:
Eine Visumssperre für Vertreter der „Nationalen Befreiungsfront Südvietnams" hat nicht bestanden. Wohl hatte das Auswärtige Amt von Mitte November 1969 bis Mitte Februar 1970 Einreiseanträge von Nordvietnamesen und Vertretern der FNL zu bearbeiten, die hauptsächlich von linksorientierten Organisationen (u. a. Deutsche Kommunistische Partei, Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend) dazu eingeladen worden waren, im Rahmen einer größeren Vietnam-Aktion auf öffentlichen Kundgebungen in der Bundesrepublik aufzutreten. Im Interesse der Glaubwürdigkeit unserer nach West wie nach Ost gerichteten Politik der Entspannung und des friedlichen Ausgleichs konnte das Auswärtige Amt derartigen Anträgen nicht entsprechen. Sie mußten in allen Fällen abgelehnt werden, in denen Agitation gegen dritte Länder zu erwarten war. Anderen Einreiseanträgen, denen ein Informationsbedürfnis oder eine Klärung humanitärer Anliegen zugrunde lagen, wurde dagegen stattgegeben. Dies erfolgte in je einem Fall am 12. Februar und am 17. April 1970. Im ersteren wurde eine 12jährige Überlebende von My Lai, im letzteren wurden 2 Mitglieder der Pariser Verhandlungsdelegation von Abgeordneten der SPD zu Informationsgesprächen empfangen.
Seitdem wurden lediglich einige Anträge auf Durchreise durch das Bundesgebiet gestellt und, da keine politischen Bedenken bestanden, genehmigt.
Wie oben ausgeführt, war keine Sichtvermerkssperre verhängt worden. Die von dem Bundesminister des Auswärtigen am 13. Januar 1970 getroffene Verfügung war mit dem Bundeskanzleramt abgestimmt. Da es hiernach möglich war, Sichtvermerksanträgen stattzugeben, bei denen es zoos Beispiel lediglich um Informationsbedürfnisse ging, konnte das Auswärtige Amt in diesem Rahmen als zuständige Behörde die entsprechenden Entscheidungen treffen.
Im Falle der Überlebenden von My Lai stellte sich heraus, daß der mit Befriedigung eines Intormationsbedürfnisses angegebene Reisezweck im Sinne einer antiamerikanischen Agitation überschritten worden war. Deshalb wurde die Grundsatzverfügung des Ministers am 27. Februar 1970 erneut ausgesprochen. Die zweite Genehmigung erfolgte, nachdem glaubhaft zugesichert worden war, daß sich dies nicht wiederholen werde.
Eine Reihe von Eingaben, die in dieser Angelegenheit an den Herrn Bundeskanzler gerichtet waren, wurde gemäß einer Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt zuständigkeitshalber an das Auswärtige Amt abgegeben.
Ich rufe die Frage 91 des Herrn Abgeordneten Meister auf:
Hält die Bundesregierung nicht die Zeit für gekommen, mit dem Staat Mauritius diplomatische und konsularische Beziehungen aufzunehmen?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär. — Herr Staatssekretär, wollen Sie die beiden Fragen getrennt beantworten?
Herr Präsident, ich könnte sie im Zusammenhang oder gesondert beantworten.
Beantworten Sie sie bitte im Gesamtzusammenhang. Der Herr Abgeordnete Meister ist einverstanden. Ich rufe also noch die Frage 92 des Herrn Abgeordneten Meister auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Sowjetunion eine Botschaft in Port Louis unterhält?
Herr Präsident, zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Mauritius wurden am 23. März 1968 diplomatische Beziehungen aufgenommen. Unser Botschafter in Tananarive in Madagaskar hat am 12. Dezember 1968 in Port Louis sein Beglaubigungsschreiben als Botschafter in Mauritius über-
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3102 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Dahrendorfreicht. Die Botschaft Tananarive ist damit auch zur Wahrnehmung konsularischer Aufgaben in Mauritius befugt. Außerdem bestand in Port Louis schon vor der Unabhängigkeit des Landes ein deutsches Wahlkonsulat, das seitdem weiterbesteht.Die Absicht, eine Botschaft mit residierendem Botschafter zu errichten, besteht. Es wird aus haushaltsrechtlichen und personalpolitischen Gründen jedoch nicht möglich sein, die Botschaft in Port Louis vor dem Jahr 1971 zu errichten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Meister.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, da Madagaskar doch immerhin rund 600 km von Port Louis entfernt ist, daß die Vertretung, die zur Zeit besteht, problematisch ist? Sind Sie nicht ferner mit mir der Überzeugung, daß es in Anbetracht der berächtlichen Handelsbeziehungen mit Mauritius sinnvoller wäre, wenn die konsularischen Beziehungen nicht nur durch einen Wahlkonsul wahrgenommen würden?
Herr Kollege, daß das die Ansicht der Bundesregierung ist, geht aus der Antwort auf Ihre zweite Frage hervor.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen zu der Frage 93 des Abgeordneten Flämig:
Sind zwischen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und der Wiener Internationalen Atomenergieorganisation die laut Artikel III Abs. 4 des Atomwaffensperrvertrages vorgeschriebenen Verhandlungen betr. die Übereinkünfte über Sicherungsmaßnahmen in bezug auf Ausgangs- und besonders spaltbares Material aufgenommen worden?
Herr Abgeordneter Flämig hat gebeten, daß seine Frage schriftlich beantwortet wird. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Dahrendorf vom 2. Juni 1970 lautet:
Die Verhandlungen mit der Internationalen Atomenergie-Organisation in Wien sind noch nicht aufgenommen worden.
Die fünf Nichtkernwaffenstaaten von Euratom haben sich auf ein gemeinsames Mandat geeinigt, durch das die Kommission ermächtigt werden soll, Verhandlungen mit der IAEO zu beginnen.
Der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften wird sich am 8./9. Juni 1970 mit dem Mandat erneut beschäftigen.
Die Bundesregierung drängt auch weiterhin auf eine baldige Verabschiedung des Mandats und damit auf einen frühzeitigen Beginn der Verhandlungen in Wien.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes beantwortet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Börner zur Verfügung. Herr Abgeordneter Dr. Apel, Ihre Frage 69 ist bereits am 4. Juni 1970 beantwortet worden.
Ich rufe die Frage 70 des Abgeordneten Dr. Apel auf.
Wird die Bundesregierung alle ihr gegebenen Moglichkeiten wahrnehmen, um die termingerechte Einführung der Mittelpufferkupplung sicherzustellen?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, die Antwort lautet: ja. Die Bundesregierung hat bereits alle ihr gegebenen Möglichkeiten wahrgenommen und wird dies auch weiter tun, um die termingerechte Einführung der Mittelpufferkupplung bei der Deutschen Bundesbahn sicherzustellen.
Eine Zusatzfrage, bitte schön!
Herr Staatssekretär, wenn Pressemeldungen stimmen, hat gestern der Ministerrat in Luxemburg auch über diese Frage gesprochen. Ich frage Sie, ob es stimmt, daß die Franzosen erst für 1980 die Mittelpufferkupplung einführen wollen und dadurch eine erhebliche Verzögerung eintreten könnte.
Herr Kollege, die entscheidende Sitzung, die sich mit diesem Problem beschäftigen wird, ist in der nächsten Woche die Konferenz der europäischen Verkehrsminister. Sie wissen, daß aus technischen Gründen und aus Gründen des Handels zwischen den europäischen Staaten die Einführung dieser Kupplung nur sinnvoll ist, wenn auch Osteuropa einbezogen wird, soweit es hinsichtlich der Spurweite an das europäische Eisenbahnnetz angeschlossen ist. Es darf natürlich nicht übersehen werden, daß das für jede der betroffenen Bahnen eine erhebliche Investitionsleistung ist. Bei der Deutschen Bundesbahn kostet es etwa 2 Milliarden DM, diese Kupplung einzuführen. Das heißt, daß natürlich auch hier wirtschaftliche und politische Fragen eine erhebliche Rolle spielen, die von Mitgliedsland zu Mitgliedsland unterschiedlich beantwortet werden. Wir hoffen aber, daß sich zwischen allen Beteiligten noch ein Termin vereinbaren läßt, der früher liegt als der von Ihnen genannte Zeitpunkt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen eben schon von den 2 Milliarden DM, die allein die Deutsche Bundesbahn aufwenden muß. Ist im mittelfristigen Finanzplan der Deutschen Bundesbahn sichergestellt, daß die Deutsche Bundesbahn diese Mittel aufbringen kann?
Herr Kollege, die Mittel sind so disponiert, daß wir zu einem früheren Zeitpunkt um-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970 3103
Parlamentarischer Staatssekretär Börnerstellen könnten. Man darf ja nicht übersehen, daß diese Investitionen andererseits auch erhebliche Einsparungen im Betrieb zur Folge hat. Die Deutsche Bundesbahn hat das berücksichtigt.
Meine Damen und Herren, die Fragen 71 und 72 des Herrn Abgeordneten Bremer werden schriftlich beantwortet; der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal.
Die Fragen 73 und 74 des Herrn Abgeordneten Dr. Aigner werden ebenfalls schriftlich beantwortet, da der Abgeordnete nicht im Saal ist.
Herr Abgeordneter Wohlrabe hat seine Frage zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 76 des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl auf:
Haber' sich die Erwartungen der Bundesregierung hinsichtlich der Erlöse aus dem bisher herausgegebenen Olympia-Sonderpostwertzeichen erfüllt?
Herr Präsident, ich bitte um Ihre Zustimmung, die beiden Fragen des Herrn Dr. Riedl gemeinsam beantworten zu dürfen, wenn der Herr Kollege einverstanden ist.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe also noch die Frage 77 des Abgeordneten Dr. Riedl auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, aus Anlaß der Olympischen Spiele 1972 neben dem bisher geplanten Sonderpostwertzeichen auch Blöcke mit Zuschlag herauszugeben?
Herr Kollege, die Erwartungen haben sich erfüllt. Die Zuschlagserlöse betragen für den Zeitraum von Juni 1968 bis einschließlich April 1970 7,2 Millionen DM. Aus Anlaß der Olympischen Spiele wird erwogen, die Olympiamarkenserie des Jahres 1972 zusätzlich auch als Block herauszugeben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bei der Beantwortung Ihrer Frage davon ausgegangen, daß die Mitglieder des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages Sport und Olympische Spiele nicht etwa vorgeschlagen haben, die bisherigen Olympia-Sonderpostwertzeichen zu einem Block zusammenzudrucken, sondern eigene Blöcke mit eigenen Motiven und besonderen Zuschlägen herauszubringen?
Herr Kollege, ich bin gern bereit, diese Frage noch einmal genau zu überprüfen, nachdem Sie mir gestern schon andeuteten, daß hier eventuell eine Differenz auftreten könnte.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie unter Bezugnahme auf den ersten Teil Ihrer Antwort fragen, ob die positive Einschätzung der Bundesregierung zu den Olympia-Sonderpostwertzeichen hinsichtlich der bisher erbrachten Erlöse auch mit der Auffassung des Vorsitzenden der Stiftung Deutsche Sporthilfe, Herrn Neckermann, übereinstimmt, der ja diese Erlöse zufließen? Herr Neckermann ist ja, soweit ich orientiert bin, mit dem bisherigen Erlösaufkommen nicht zufrieden.
Herr Kollege, ich könnte mir vorstellen, daß die Auffassungen von Herrn Neckermann durch die steigenden Kosten der Olympischen Spiele geprägt werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, ich darf dann doch unter Berücksichtigung Ihrer zweiten Antwort davon ausgehen, daß Sie bei der Entscheidung über die Frage, ob wir zusätzliche Olympia-Blöcke in der Bundesrepublik erwarten können, auch die Sorgen von Herrn Neckermann entsprechend berücksichtigen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will mich gern darum bemühen, sie zu verkleinern, soweit 'das in der Möglichkeit der Post in dieser Frage liegt.
Bitte, Herr Kollege!
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, daß Sie bereit sind, Blöcke herauszubringen. Sind die Motive für diese Blöcke schon festgelegt, oder sind da weitere Anregungen möglich?
Die Diskussion ist noch im Gange. Sie wissen ja, daß wir einen Kunstbeirat haben, in dem auch Abgeordnete des Hohen Hauses vertreten sind, die uns hier tatkräftig unterstützen
Keine weiteren Zusatzfragen. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Ravens zur Verfügung.
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3104 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenIch rufe zunächst die Fragen des Herrn Abgeordneten Link auf. Der Herr Abgeordnete Link ist nicht im Saal. Die beiden Fragen werden schriftlich beantwortet.Ich rufe die Frage 80 des Herrn Abgeordneten Dröscher auf:Hält die Bundesregierung nicht die Zeit für gekommen, die Richtlinien zur Förderung der Errichtung und des Erwerbs von Familienheimen und Eigentumswohnungen durch Bundesbedienstete in der Fassung vom 16. November 1964 dahin gehend zu ändern, daß auch Maßnahmen zur Eigenheimschaffung dort gefördert werden können, wo kurz- oder mittelfristig ausreichender Wohnraum für Verwaltungsangehörige des Bundes vorhanden ist, wo aber eine gewisse Vorrangigkeit der Schaffung von Eigenheimen im Interesse einer fürsorglichen Hilfe für Bundesbedienstete angenommen werden kann?Herr Staatssekretär, bitte!
Herr Kollege Dröscher, die Wohnungsfürsorge des Bundes hat ausschließlich die Aufgabe, Wohnraum für die Bediensteten am Arbeitsort zu schaffen, um damit die Familienzusammenführung zu er-leichtem und Trennungsgeld einzusparen. Das geschieht durch Bereitstellung von Mietwohnungen und durch Förderung der Errichtung und des Erwerbs von Familienheimen und Eigentumswohnungen nach den von Ihnen erwähnten Familienheimrichtlinien.
Nach der Zweckbestimmung des Haushaltsplanes dürfen, abgesehen von besonderen Härtefällen, die Mittel nur dort eingesetzt werden, wo tatsächlich
noch ein Bedarf an Wohnraum für Bundesbedienstete besteht. Daß die Familienheimförderung zugleich zur Eigentumsbildung beiträgt, ist eine gewollte und erwünschte Nebenwirkung, die sich jedoch dem Hauptzweck der Wohnungsfürsorge unterordnen muß. Die Förderung von Familienheimen ausschließlich zum Zwecke der Eigentumsbildung — ohne zugleich zur Bedarfsdeckung beizutragen — würde eine Änderung der Zweckbestimmung im Haushaltsplan voraussetzen, die nur der Gesetzgeber beschließen kann.
Da die jährlich zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichen, den noch ganz erheblichen Bedarf voll zu decken, ist auch aus diesem Grund eine Ausweitung der Richtlinien in dem von Ihnen gewünschten Sinne nicht möglich. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß bereits jetzt über die Hälfte der jährlich bereitgestellten Mittel für Eigentumsmaßnahmen eingesetzt werden.
Eine Zusatzfrage.
Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß diese Frage insbesondere in Garnisonen eine Rolle spielt, und zwar für Zeit- und Berufssoldaten, wo die wechselnde Belegung der Garnisonen unter Umständen einmal dazu führen kann, daß die Beurteilung, es sei genug kurz- und mittelfristig ausreichender Wohnraum vorhanden, solche Maßnahmen verhindert?
Das ist uns bekannt. Wir stehen hier in ständigem Kontakt mit dem Bundesminister der Verteidigung.
Herr Kollege, Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage. Bitte schön!
Darf ich fragen, Herr Staatssekretär, ob auch in Betracht gezogen wird, die bisherige enge Regelung, daß nur an dem Arbeitsort oder in der Nähe gebaut werden kann, zugunsten der Bediensteten zurückzustellen, die an der Grenze des Pensionsalters stehen und etwas weiter weg bauen möchten.
Herr Kollege Dröscher, Sie wissen, daß wir im Augenblick mit der Vorlage des Weißbuches in eine Diskussion über die Wohnungsfürsorge gerade im Bereich der Bundeswehr eingetreten sind. Wir werden diese Überlegungen mit in unsere Überlegungen einbeziehen.
I Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Dröscher, die Frage 81, auf:
Welche Gruppe von Hausbesitzern — z. B. die Gesellschaften des sozialen Wohnungsbaus, die Eigenheimbesitzer mit Einliegerwohnung, die privaten Vermieter mit einem Miethaus, der gewerbliche Hausbesitz — hat nach den bisherigen Erfahrungen die Freigabe der Mietpreise zu besonders starken Erhöhungen ausgenutzt?
Bitte, Herr Staatssekretär. — Ja, es liegt noch eine zweite Frage vor.
Herr Kollege Dröscher, die Mietpreisfreigabe hat s• ich in der Hauptsache auf den Altwohnungsbestand privater Vermieter erstreckt. Die im Sozialen Wohnungsbau gebauten Wohnungen und die Wohnungen der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen sind weiterhin an die Kostenmiete gebunden. Sie können also nur im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen auf Grund von Kostensteigerungen erhöht werden. Eine generelle Aussage darüber, welche Gruppen von privaten Vermietern die Freigabe der Mietpreise am stärksten ausgenutzt haben, ist nicht möglich. Nach den Feststellungen der amtlichen Statistik hat sich der Mietanpassungsprozeß der Altbaumieten im Schnitt in einem angemessenen und vernünftigen Rahmen gehalten. Nur eine Minderheit innerhalb der Gruppe der privaten Althauseigentümer hat die Mietpreisfreigabe zu besonders starken Erhöhungen ausgenutzt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt .
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970 3105
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, zu verhindern, daß durch die Freigabe von Mietpreisen eine zu starke Mieterhöhung eintritt?
Herr Kollege, eine zu starke Anhebung ist nur durch mehr sozialen Wohnungsbau zu verhindern. Wir bemühen uns im Rahmen des langfristigen Wohnungsbauprogramms, hier zu einer Lösung zu kommen.
Damit sind auch die Fragen aus diesem Geschäftsbereich beantwortet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Dohnanyi zur Verfügung.
Die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Dr. Haack ist bereits vom Bundesministerium für Familie, Jugend und Gesundheit beantwortet worden.
Ich rufe die Fragen des Herrn Abgeordneten Schmidt auf und frage zunächst, ob die beiden Fragen verbunden beantwortet werden können, Herr Staatssekretär.
— Ja, damit ist der Fragesteller auch einverstanden. Ich rufe also die Fragen 87 und 88 auf:
Ist es der Bundesregierung bekannt, daß die Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt hoi eintretenden Änderungen des BAT und der Einstufungsmerkmale keine entsprechende automatische Erhöhung ihrer Haushaltsmittel erfährt, sondern die auf dem Personalsektor anfallenden unvermeidlichen Mehrausgaben durch Einsparungen hei den Sachtiteln ausgleichen muß?
Wie kann dieser Zustand geändert werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, die Situation ist der Bundesregierung in der Tat bekannt. Auch die bei der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft-und Raumfahrt im Laufe eines Rechnungsjahres anfallenden unvermeidbaren Personalmehrausgaben—z. B. solche durch Tariferhöhungen, Erhöhung der Bemessungsgrenze in der Angestelltenversicherung und dergleichen — werden wie bei allen durch den Bund institutionell geförderten Zuwendungsempfängern ab 1970 aus Mitteln des Einzelplans 60 gedeckt. Derartige Mehrausgaben können bei der Aufstellung des Wirtschaftsplans der DFVLR aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht im voraus berücksichtigt werden, eben weil sie zu diesem Zeitpunkt nach Art und Höhe noch nicht bekannt sein können. Bereits 1970 hat die DFVLR die Deckung solcher Mehrausgaben beantragt. Der Antrag liegt gegenwärtig dem Bundesminister der Finanzen vor. Sobald dessen Entscheidung ergangen ist, können der DFVLR die benötigten Mittel bereitgestellt werden. Die
von der DFVLR überbrückungsweise in Anspruch genommenen Sachmittel stehen dann wieder voll für die im Wirtschaftsplan vorgesehenen Zwecke zur Verfügung.
Keine Zusatzfragen, Herr Kollege? — Danke.
Meine Damen und Herren, damit stehen wir am Ende der Fragestunde. Ich habe die zuständigen Ministerien verständigt, daß wir um 8.30 Uhr mit der Beratung des Haushalts beginnen wollen. Bis dahin sind es noch 8 Minuten. Ich schlage vor, daß wir die Sitzung kurz unterbrechen und um 8.30 Uhr die zweite Lesung des Haushalts weiterführen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und rufe auf:Einzelplan 14Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung— Drucksachen VI/833, VI/854 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammer, Abgeordneter Haase
Ich frage zunächst, ob von den Herrn Berichterstattern das Wort gewünscht wird.
Bitte schön!
— Herr Kollege, das Ministerium ist unterrichtet, daß wir um 8.30 Uhr beginnen.
— Meine Damen und Herren, sind die Fraktionen damit einverstanden, daß jetzt der Einzelplan 31 beraten wird? Der Ressortminister ist anwesend.
— Meine Damen und Herren, ich schlage vor, daß wir mit dem Einzelplan 14 — Verteidigung — beginnen.
Sie haben indirekt eine Kritik angemeldet. Ich höre, daß der Herr Minister der Verteidigung unterwegs ist. Man kann leider bei den Verkehrsverhältnissen keine absolute Garantie übernehmen, daß alles pünktlich abläuft.
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3106 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenIch frage die Herren Berichterstatter zum Einzelplan 14, ob das Wort gewünscht wird. Herr Abgeordneter Haase?
— Danke! -- Herr Abgeordneter Althammer?
— Sie verweisen ebenfalls auf die vorgelegten Berichte.Meine Damen und Herren, dann treten wir in die allgemeine Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Haase.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion habe ich zur zweiten Lesung des Einzelplans 14 folgende Erklärung abzugeben.In Sicherheits- und Verteidigungsfragen sollte man sich gegenseitig nicht mehr Schwierigkeiten als geboten machen. In Dingen der Sicherheit sollte man sich bemühen, wo es möglich ist und soweit es möglich ist, miteinander zu kooperieren, um keinen Schaden eintreten zu lassen.
Dies sagte der Bundesverteidigungsminister in der Debatte über das Weißbuch vor wenigen Tagen hier in diesem Hause. Die CDU/CSU-Fraktion steht zu diesem Grundsatz der Gemeinsamkeit in Sicherheits- und Verteidigungsfragen, wie er von Dr. Schröder als Verteidigungsminister für notwendig gehalten und praktiziert worden ist, worauf sich Verteidigungsminister Schmidt in der Debatte über das Weißbuch auch berufen hat.Es besteht zwischen der CDU/CSU und der derzeitigen SPD/FDP-Regierung Übereinstimmung über die Notwendigkeit der Sicherung unserer Freiheit durch gemeinsame Verteidigungsanstrengungen im nordatlantischen Bündnis. Es besteht ferner Übereinstimmung darüber, daß, gestützt auf dieses Bündnis, von der NATO nachhaltige Versuche unternommen werden, beiderseitige, ausgewogene, gleichwertige Rüstungsbeschränkungen in Europa zu erreichen. Ebensowenig gibt es einen Meinungsunterschied zwischen der Regierung und der Opposition darüber, Entspannung und mehr Sicherheit in Europa herbeizuführen, aber auch darüber, daß eine Erfolgschance dafür überhaupt nur besteht, wenn die eigene Sicherheit und die der westlichen Bundesgenossen gewahrt bleibt.Die CDU/CSU-Fraktion stellt fest, daß die fünf sicherheitspolitischen Prinzipien, die der Verteidigungsminister im Bundestag genannt hat, nämlich Vorne-Verteidigung, international gemischte Präsenz auf deutschem Boden, militärische Integration in der NATO, betonte Zurückhaltung in der Planung des Gebrauchs nuklearer Waffen, Erhaltung des Gleichgewichts, die Verteidigungspolitik der vergangenen 15 Jahre bestimmt haben und auch künftig bestimmen sollen. Sie wird die Bundesregierungund den Bundesverteidigungsminister bei der Verfolgung dieser Prinzipien unterstützen.Die CDU/CSU-Fraktion muß jedoch Worte und Taten der Bundesregierung und des Verteidigungsministers auf ihre Übereinstimmung gerade im sicherheitspolitischen Bereich prüfen.
Diese Prüfung gibt in einer Reihe von wichtigen Punkten leider Anlaß zu großen Sorgen. Darum sieht sich die CDU/CSU-Fraktion nicht in der Lage, dem Haushalt 1970 des Verteidigungsministers uneingeschränkt zuzustimmen. Es sind folgende Gründe, die uns diese Zustimmung unmöglich machen:1. Das Weißbuch 1970 spricht ausdrücklich davon, daß die konventionellen Streitkräfte des Warschauer Paktes weit stärker sind, als dies für die Abwehr eines Angriffs aus dem Westen nötig oder für die Aufrechterhaltung der sowjetischen Vorherrschaft erforderlich wäre. Die Existenz solch riesiger Streitkräfte darf nicht als Bluff betrachtet oder behandelt werden. Zudem erhöhen die Sowjetunion und ihre Verbündeten anders als der Westen —ihre Verteidigungsanstrengungen von Jahr zu Jahr weiter. Es gibt kein konventionelles Gleichgewicht in Zentraleuropa. Dennoch ist der Verteidigungsminister bereit, in Kauf zu nehmen, das die Abschreckungsund Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr in den nächsten .Jahren sinkt. Er kürzt die Rüstungsausgaben der nächsten .Jahre und verhindert so die notwendige Modernisierung der Ausrüstung und Bewaffnung unserer Streitkräfte.2. Das Weißbuch 1970 sieht die eigentliche Gefahr für die Bundesrepublik in einer möglichen Schmälerung ihrer politischen Entscheidungsfreiheit durch Druck oder Drohungen, es charakterisiert die sowjetische Politik als Politik einer Status-quo-Macht, die auf die Bewahrung und Konsolidierung ihrer Interessensphäre bedacht ist, die aber unter den gegenwärtigen Voraussetzungen in Europa keinen territorialen Gewinn mehr anstrebt. Die Bundesregierung und der Verteidigungsminister übersehen die vor unser allen Augen stattfindende machtpolitische Expansion der Sowjetunion im Mittleren Osten, in Nordafrika, im Mittelmeer, in der Tschechoslowakeisowie in Nordeuropa. Auch diese Tatsachen erfordern die Aufrechterhaltung des derzeitigen Abschreckungs- und Verteidigungspotentials unserer Streitkräfte innerhalb der NATO und verbieten jede Verminderung.
3. Das Weißbuch 1970 erklärt, daß die Fürsorge für die Soldaten und ihr sozialer Status verbessert werden sollen. Dos ist gut und notwendig und liegt auf der Linie bisheriger Bemühungen der CDU/CSUFraktion. Die Fraktion wird den Verteidigungsminister bei diesen Maßnahmen mit Rat und Tat unterstützen.
Die Sicherheit fordert ihren Preis. Aufrechterhaltung der Kampfkraft der Bundeswehr und Verbesserung des sozialen Status der Soldaten im vorgesehenen Rahmen sind nicht möglich innerhalb der gegenwärtigen mittelfristigen Finanzplanung; erst
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Haase
recht dann nicht, wenn die Steigerung des Bundeshaushalts weit über das geplante Maß hinausgeht und seit Monaten eine nicht gebremste Preissteigerungsrate den Wert der Haushaltsmittel leider mindert.Die CDU/CSU-Fraktion hält die Äußerung des VerteidigungsministersIch habe mich wegen der finanziellen Zusammenhänge zwischen inneren Reformen und äußerer Sicherheit dafür starkgemacht, daß die Verteidigungsausgaben nicht erhöht werden.für nicht vertretbar angesichts der sogar im Weißbuch dargestellten Stärkeverhältnisse von Ost und West.Mehr Demokratie wagen heißt, auf dem Sektor der Sicherheits- und Verteidigungspolitik dem eigenen Volk sagen, daß für die eigene Sicherheit auch die notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt werden müssen. Die CDU/CSU-Fraktion hofft, daß die Zusage des Bundeskanzlers in der WeißbuchDebatte dazu führt, daß die deutsche Regierung wenigstens in den Jahren ah 1971 ausreichende Haushaltsmittel für die Bundeswehr in ihrem Haushaltsentwurf ausweist.4. Die CDU/CSU-Fraktion sieht mit Sorge, daß die zu befürchtende Minderung der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr in den nächsten Jahren zwangsläufig zu einer auch vom Verteidigungsminister nicht gewollten Herabsetzung der atomaren Schwelle führt. Die CDU/CSU-Fraktion könnte eine solche Entwicklung nicht mit verantworten.5. Die CDU/CSU-Fraktion befürchtet, daß die Verweigerung der notwendigen Finanzmittel für die Streitkräfte in den nächsten Jahren, was den deutschen Verteidigungsbeitrag angeht, a) die Chancen für eine beiderseitige, ausgewogene, gleichwertige Rüstungsbeschränkung vermindern und b) die fortdauernde, notwendige Verteidigungsanstrengung und -präsenz der Bündnispartner negativ beeinflussen könnte.
6. Die im Weißbuch angekündigten Umschichtungen im Haushalt 1970 und die Kürzung dieses Etats um mehr als 1 Milliarde DM sind in ihren Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte nicht abzuschätzen.Die CDU/CSU-Fraktion kann aus diesen Gründen dem Haushalt des Verteidigungsministers nicht zustimmen. Sie bedauert das und hofft, daß ihr die Sicherheits- und Verteidigungspolitik dieser Regierung erlauben wird, den Einzelplan 14 künftig wieder voll zu bejahen. Für 1970 enthalten wir uns der Stimme.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bußmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der letzten Passage in der Rede meines Vorredners, Herrn Haase, würde ich das Motto unserer Regierung: „Mehr Demokratie wagen!", auf Ihre Fraktion und auf Ihre Rede, Herr Haase, bezogen, noch etwas erweitern, indem ich sagen würde: Mehr Ehrlichkeit praktizieren!
Das bezieht sich insbesondere auf den Punkt 6 Ihrer Ausführungen: Die Umschichtungen nach dem Weißbuch und die Kürzungen dieses Jahres sind nicht zu vertreten und mindern auf lange Zeit — so etwa war der Inhalt — die Kampfkraft der Bundeswehr und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland.
Ich darf wohl an die Verhandlungen im Haushaltsausschuß in diesem Jahr erinnern, wo wir zunächst bei den Einzelberatungen immerhin nicht unbeträchtliche Kürzungen vorgeschlagen und gemeinsam durchgeführt haben, nur mit einem kleinen Unterschied: im Endergebnis waren es 46 Millionen DM, die wir in vielen Positionen berechtigterweise gestrichen haben. Ich habe mir dann noch einmal die Liste der von Ihnen ursprünglich vorgesehenen Kürzungen angesehen; das waren 117,4 Millionen DM.
Herr Abgeordneter Bußmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Herr Kollege Dr. Bußmann, sind Sie willens, hier zur Kenntnis zu nehmen, daß im Hinblick auf die entscheidenden Kürzungen — die Milliarde, um die es hier geht -unsere Formulierung lediglich lautet, daß die Auswirkungen der Kürzung noch nicht abzusehen sind? Nur so lautet unsere Formulierung, Herr Kollege
Bußmann. Ich glaube, auch Sie vermögen diese Auswirkungen in ihrer ganzen Tragweite noch nicht abzusehen.
Ihre Formulierungen haben Sie so wiederholt, wie sie früher gebracht worden sind, allerdings ohne die nächsten Sätze, die dann lauteten: Aus diesen vorgetragenen Gründen müssen wir es leider ablehnen, in diesem Jahr hier zuzustimmen. Hier sehe ich allerdings einen Widerspruch. Denn wenn die Auswirkungen dieser Kürzungen nicht abzusehen sind
Augenblick, ich führe den Satz zu Ende —, dann tragen wir im Haushaltsausschuß in viel stärkerem Maße als z. B. der Verteidigungsminister Verantwortung für den Teil der Kürzungen, der sich auf dieses Jahr bezieht und immerhin die Summe von etwa 1,15 Milliarden DM ausmacht, und wir werden uns gemeinsam mit der Regierung und dem Verteidigungsminister Gedanken darüber zu machenhaben, wie wir diese Streckung, diese konjunkturpolitisch bedingte Delle in der längerfristigen Pla-
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Dr. Bußmannnung in den nächsten Jahren auszugleichen haben. Das ist völlig klar. — Bitte schön.
Herr Abgeordneter Bußmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Herr Kollege Bußmann, nachdem, was Sie eben zuletzt gesagt haben, wollte ich Sie fragen: Ist Ihnen nicht klar, daß sich die Kritik auf die mittelfristige Finanzplanung gerichtet hat? Gerade wegen dieser Dinge, wegen dieser konjunkturellen Delle, wie Sie gesagt haben, haben wir die große Sorge, daß in den nächsten Jahren auf Grund dieser Planungen Schwierigkeiten entstehen.
Ich würde Ihnen empfehlen, sich den Punkt 6 Ihrer Erklärungen noch einmal anzusehen. Da ist beides hineingebracht. Wenn Sie wenige Tage zurückgehen und etwa die Rede des Kollegen Zimmermann mit den entsprechenden Vorwürfen sogar für dieses Jahr nehmen, dann ist es endgültig aus mit der praktizierten Ehrlichkeit, die hier unter uns eigentlich üblich sein sollte. Ich glaube, dem könnten Sie auch nicht widersprechen; denn inzwischen liegen uns die Texte vor.Wir werden in den nächsten Jahren den Verteidigungshaushalt, wie es der Bundeskanzler auch angekündigt hat, nicht nach dem Plafond dieses Jahres ausrichten können. Das ist völlig klar. Wenn allerdings, Herr Haase, in starkem Maße als Begründung für die Nichtzustimmung in diesem Jahr die Gefahr der Verminderung der Kampfkraft angesehen wird, dann, glaube ich, gibt es doch entscheidende Unterschiede in der Bewertung der Verteidigungspolitik zwischen Ihnen und uns.Der Verteidigungsminister — das war der Sinn der großen Anstrengungen des Gesamtministeriums, wie sie sich im Weißbuch niedergeschlagen haben — und unsere Fraktion gehen davon aus, daß die beste Voraussetzung für eine Vermehrung der Kampfkraft der Bundeswehr zunächst eine Verbesserung der psychologischen Situation unserer Soldaten ist. Das erreichen wir nur, wenn wir ihnen das geben, was Ihnen in dieser Gesellschaft zusteht, in materieller Hinsicht und auch in vieler anderer Hinsicht, etwa auf die Fürsorge, die sie zu erwarten haben. Die dadurch gestärkte Moral und dadurch gestärkte Kampfkraft unserer Truppe würde sicherlich auch gewisse Dellen im materiellen Bereich ausgleichen — wenn ich diesen Ausdruck noch einmal verwenden darf. Um so mehr wird es aber der Fall sein, wenn wir gleichzeitig darauf vertrauen können, daß dieser Verteidigungsminister auch im materiellen Teil der Rüstung und der Bundeswehrplanung in den nächsten Jahren in diesem Ministerium durchaus Methoden einführen wird, die sich wahrscheinlich darin niederschlagen, daß etwa das Prinzip der Kosteneffektivität in etwas stärkerem Maße gewahrt wird, als es in der Vergangenheit der Fall war.Als Parlamentsneuling darf ich etwas naiv eben dazu äußern, daß es mich überrascht hat, in welcher Weise, wie ich feststellen mußte, Vorgängerüstungswirtschaftlicher Art und Vorlagen in der Vergangenheit oft hier unterbreitet worden sind. Man denke — um nur bei einem Beispiel zu bleiben, das wir in den letzten Tagen diskutiert haben — an die 800 Millionen DM, die einmal für die großen Schiffe bewilligt worden sind, die sich „Fregatte 70" nannten und vorher etwas anders. Es ist doch schon eine groteske Sache, daß uns in der Vergangenheit Vorlagen vorgelegt worden sind, die weder nach dem Basispreis noch nach den Einzelpreisen der Materiallisten so sorgfältig durchgerechnet waren, daß der Ausschuß und die später damit befaßte Industrie damit etwas anfangen konnten.Hier vertrauen wir allerdings darauf, daß sich das in Zukunft ändert und daß wir vernünftige Berechnungsgrundlagen haben, damit nicht eines Tages gegen uns der Vorwurf erhoben werden muß, den Herr Wienand vor einigen Jahren gegen einen anderen Verteidigungsminister erhoben hat, und der damals in der Überschrift gipfelte: „Die ganz große Verschwendung".Ich glaube, hier sind tatsächlich Rationalisierungsreserven, die wir jetzt ausschöpfen werden. Deshalb ist es unverständlich, wenn man heute z. B. in den Zeitungen von durchaus nicht unbedingt kompetenter Seite Äußerungen zu einem Beschaffungsprojekt hört, die schlechthin entweder böswillig oder ein Mißverständnis sind. Ich meine die heute in den Zeitungen zu findenden Äußerungen über den FlaPanzer. Wenn der Minister erklärt hat, er würde den Fla-Panzer zur Diskussion stellen und in Kürze eine Entscheidung treffen, bedeutet das genau das Gegenteil von „verschieben" ; das bedeutet in Wirklichkeit, daß die seit vielen Jahren eingeleitete, seit vier Jahren intensiv betriebene Planung und Entwicklung eines Geräts, von dessen Endzustand wir noch nichts wissen und dessen Zielsetzung in ihrer technischen Realisierbarkeit ungeklärt ist, überprüft wird, und zwar, wenn es sich unter Umständen als richtig herausstellt, zugunsten eines anderen Geräts, das schneller zu haben ist und das schneller in die Truppe eingeführt werden kann.Es ist auch grotesk, wenn diese Äußerungen gewissermaßen einen Vorläufer in den Ausführungen von Dr. Zimmermann in der Debatte über das Weißbuch hatten. Er warf dem Verteidigungsminister vor, im materiellen Bereich der Rüstung vernachlässige er z. B. die Flugabwehr auf den Flugplätzen. Das ist eine groteske Geschichte. Er müßte ebensogut wissen, daß der Kollege Berkhan hier vor drei, vier Jahren in jeder Haushaltsdebatte damit hausieren gegangen ist, daß hier eine Lücke besteht und daß hier endlich etwas getan werden muß, und daß der letzte Verteidigungsminister endlich damit angefangen hat, und das nun durchgeführt werden muß.
— Gut, man kann das auch anders nennen, aber erlauben Sie mir diesen etwas populäreren Ausdruck.Ich fasse zusammen. Insgesamt steht diesem Verteidigungsminister im materiellen Bereich der stung die Aufgabe bevor, Planung, Durchführung,
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Dr. BußmannEntwicklung und schließlich die Beschaffung so in ihrem Vorlauf, ihrer Entscheidung zu straffen und dabei Rationalisierungsreserven so zu erschließen, daß wir dabei wirklich nach dem Gesichtspunkt der Kosteneffektivität das Beste herausbekommen. Und hier sind Reserven!Das Zweite aber ist — das ist im Weißbuch enthalten, und das deutet sich zum erstenmal in diesem Haushalt, wenn auch nur sehr schwach, an —, daß durch Maßnahmen, die Geld kosten und die unmittelbar auf die Truppe, auf ihre psychologische Situation und ihre materielle Lage gerichtet sind, die Kampfkraft durch Hebung der Moral der Truppe und ihres materiellen Status so gesichert wird, daß diese weitverbreitete Unzufriedenheit endlich ausgeräumt wird.Ich weiß, Herr Klepsch, Sie lachen nicht darüber. Aber ich muß an die Worte des Verteidigungsministers erinnern, der sagte: Was wollen wir denn eigentlich von unseren jungen Wehrpflichtigen erwarten, wenn wir gleichzeitig nichts dafür tun, daß das Problem der Wehrungerechtigkeit aus der Welt geräumt wird? Denn solange den jungen Menschen nicht der Glaube an die Fähigkeit dieses Staates zur Gerechtigkeit und zur Gleichbehandlung gegeben wird, so lange können Sie auch nicht mit vernünftigen Leistungen im militärischen Bereich rechnen.Genau das ist der Inhalt der Verteidigungspolitik, die jetzt eingeleitet worden ist. Der Haushalt dieses Jahres ist der Beginn. Daß wir uns über die nächsten Haushalte zu unterhalten haben, ist eine völlig andere Sache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben bereits zu Beginn dieser Woche im Rahmen der Debatte um das Weißbuch deutlich gemacht, worauf es uns Freien Demokraten besonders ankommt. Wir haben auch deutlich gemacht, daß es ein wichtiges Ziel dieser sozial-liberalen Koalition ist, mit den Fehlern der Vergangenheit aufzuräumen, zu reformieren und Projektionen für das kommende Jahrzehnt zu erarbeiten. Diese Erarbeitung findet ,die volle Unterstützung der Freien Demokraten. Erste Anfänge sind bereits gemacht. Man kann deutlich feststellen, daß das liberale Wehrkonzept, das wir in den letzten Jahren vorgetragen haben, nicht nur ein nützliches Gedankenmodell ist. sondern daß die Entwicklung seit Oktober 1969 gezeigt hat, wie zweckmäßig und zukunftsorientiert das FDP-Wehrkonzept in der Tat ist. Das ist bereits sichtbar geworden. Im vergangenen Frühjahr hat ,die Mehrheit dieses Hauses unsere Vorstellungen noch abgelehnt. Im Frühjahr dieses Jahres sind aber bereits wesentliche Teile des Gesetzes über die Gesamtorganisation der Landesverteidigung, so wie sie die FDP im vergangenen Jahr vorgetragen hat, verwirklicht worden. Noch nicht alles, aber immerhin wurde ein großer Schritt getan auf das Ziel hin, das wir erreichen wollen.Als Beispiel darf ich die Umgliederung der Führungsspitze der Bundeswehr anführen. Dazu gehört auch die seit Jahren von uns erhobene Forderung. einen Rüstungsstaatssekretär einzusetzen, der endlich einmal die in so vielen Bereichen nebeneinander herlaufenden Planungen und Projektierungen koordiniert unf der, auf die Zukunft orientiert, die Verantwortung für diese Riesenbeschaffungsvorhaben voll übernimmt und mit einer gezielten Planung 'dabei das Beste auch für die gesamte Volkswirtschaft herausholt. In dieses Amt setzt deswegen die FDP große Erwartungen für die Zukunft. Wir glauben, daß damit die Projektierung der Entwicklung, der Erprobung und der Beschaffung unter dem Gesichtspunkt sachlich-militärischer Erfordernisse koordiniert wird und daß in Zukunft solche Fehlplanungen, wie Herr Kollege Bußmann sie soeben schon als Beispiel anführte — ich möchte darüber hinaus den HS 30, die Fregatten und die Panzerflak erwähnen —, vermieden werden und daß die Gelder des Steuerzahlers sinnvoll und verantwortlich eingesetzt werden.Ich bin deshalb auch der Meinung, daß in die Überprüfung, die vom Verteidigungsminister angekündigt wurde, eigentlich alle Beschaffungsvorhaben des letzten .Jahres mit einbezogen werden sollten. Wir wollen dabei feststellen, wo noch Möglichkeiten der Veränderung sind, damit nicht, wie es sich jetzt leider abzeichnet, Streckungen und Streichunchungen gerade in dem Bereich vorgenommen werden müssen, der uns so sehr ,am Herzen liegt und der, Herr Kollege Haase, in der Tat der einzige ist, mit dem wir erreichen können, daß die Atomschwelle nicht gesenkt wird; ich meine den konventionellen Bereich. Hier sollten wir alle Anstrengungen machen, um ,die noch bestehenden Lücken möglichst rasch zu schließen, um im konventionellen Bereich tatsächlich in der Lage zu sein, unsere defensive Verteidigungspolitik deutlich und auch wirklich glaubhaft abschreckend zu machen.Wir meinen aber auch, daß gerade in diesem neuen Amt des Rüstungssstaatssekretärs die Zusammenhänge zwischen Verteidigung und Volkswirtschaft hergestellt werden müssen. Oft wurde Kritik an Politikern geübt, die solche Zusammenhänge herstellen. Aber solange militärische Ausrüstungen nun einmal notwendig sind, muß für deren Beschaffung optimal gesorgt werden.Herr Minister, ich nehme das Wort auf, das Sie am Dienstag sagten, daß sich die Politiker nicht zu Lobbyisten machen dürften ; ich unterstreiche das. Aber auch vom Grundsatz her sollte man einmal deutlich sagen: Wenn die Notwendigkeit besteht und wenn wir auch dies alle nicht immer wollen, dann sollte man die Sache doch genauestens prüfen und nach der Prüfung die Entscheidung treffen, eher die deutsche Industrie als Industrien anderer Länder in die Entwicklung und die Beschaffung einzubeziehen. Dies unter dem Gesichtspunkt, daß das „Know how", das bei solchen Entwicklungen und Beschaffungen großer Waffensysteme nun einmal anfällt, und das „Spin off", die Erkenntnisse, die man z. B. bei der Materialveredelung usw. gewinnt, Eingang in die gesamte Volkswirtschaft finden können zum Nutzen
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Jungaller und hier natürlich insbesondere zum Nutzen derer, die mit den Steuern, die sie aufbringen, diese Beschaffungen und Entwicklungen im Grunde finanzieren.Wir sind also gegen jeden Lobbyismus, gegen jede ungerechtfertigte Bereicherung auf Kosten des Steuerzahlers. Daher ist es notwendig, daß gerade in diesem neuen Amt des Rüstungsstaatssekretärs die Beziehungen zwischen der Verteidigung und der Volkswirtschaft so weit wie möglich transparent gemacht werden, um Fehler, wie sie sich in der Vergangenheit ergeben haben, in der Zukunft zu vermeiden. Hier muß ich sagen — wir waren ja auch in früheren Regierungen beteiligt —, daß solche Fehler sicher auch unter unserer Mitwirkung entstanden sind. Ich glaube deswegen, daß die Realisierung dieser sehr wesentlichen Forderung der FDP doch ein wichtiger Schritt in dieser Richtung ist.Ein zweites wesentliches Anliegen, das nun in der Koalition verwirklicht wird, ist ein substantieller Schwerpunkt des Etats, nämlich die Verbesserung bei den Personalkosten. Die CDU/CSU hat gegen diese Absicht — auch Herr Haase hat das heute morgen wieder getan —, die im Weißbuch vorrangig behandelt wurde, Stellung bezogen, angeblich weil damit das Sicherheitsdenken vernachlässigt würde. Ich schließe daraus, daß, wenn die CDU/CSU tun dürfte, was sie wollte, Milliardenbeträge für eine nach unserer Meinung ohnehin unsinnige Rüstung im nuklearen Bereich ausgegeben werden würden, während der einzelne Soldat vernachlässigt und der Entwicklung des Selbstverständnisses der Truppe kein Raum gelassen würde.Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen, daß die teuerste, effektivste und beste Ausrüstung zu Schrott wird, wenn derjenige, der diese Ausrüstung bedienen soll, nicht genügend Fürsorge erhält und wir dahin kommen, daß das Material wichtiger ist als der Mensch,
also zu dem Umkehrschluß: Kanonen statt Butter, um das Schlagwort aufzugreifen, das im Zusammenhang mit dem Weißbuch von der CDU geprägt wurde.
Wir wollen kein Söldnerheer haben. Der Soldat in der Bundeswehr muß seinen Auftrag begreifen und ausführen wollen, und zwar als in die Gesellschaft integrierter Bürger, als Bürger, der unsere Staats-, Rechts- und Gesellschaftsform versteht und sich ihr gegenüber verantwortlich fühlt. Das, meine Damen und Herren, ist für unsere Sicherheit von entscheidender, von fundamentaler Bedeutung. Die CDU sollte daran denken, wennn sie nach mehr Waffen ruft und mehr Material mit mehr Sicherheit gleichsetzt. Eine solche Rechnung ginge bestimmt nicht auf.In der Bundeswehr ist der einzelne Träger der Armee auch deren Mittelpunkt. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Bericht des Wehrbeauftragten. Im Grunde waren sich alle Fraktionen darin einig, daß den Erkenntnissen im Bericht des Wehrbeauftragten gemeinsam Rechnung getragen, d. h. entsprechende Maßnahmen ergriffen werden sollten, um die darin aufgezeigten Probleme zu lösen.Ich verweise auch auf die Kritische Bestandsaufnahme, die im Weißbuch einen breiten Raum einnimmt, sowie auf die Erfahrungen verschiedener Kollegen in diesem Hause, die ständigen Kontakt mit der Truppe haben und das bestätigt finden, was im Weißbuch und im Bericht des Wehrbeauftragten dargestellt ist.Die Erkenntnis, daß das Personal von eminenter Bedeutung ist, scheint mir ein bißchen spät gereift zu sein. Ich erinnere noch einmal an unsere Forderungen, an unsere konkreten Vorstellungen und die Vorschläge, die wir bei der Etatberatung 1968 gemacht haben, nämlich zugunsten des Personalbereichs bei den Beschaffungsvorhaben nuklearer Trägersysteme kurzzutreten und Umschichtungen vorzunehmen, und zwar, wie ich damals konkret vorgeschlagen habe, in Höhe von 500 Millionen DM. Wir hätten — ich wiederhole es — viele Probleme in den letzten beiden Jahren lösen können und hätten heute nicht diese Umschichtung von 650 Millionen DM vorzunehmen brauchen, wir hätten heute eine viel bessere, eine viel effektivere Verteidigung, wenn man unseren Vorstellungen schon vor Jahren gefolgt wäre.Die FDP unterstützt daher die Regierung in der Absicht, die Bemühungen im Personalbereich zu intensivieren. Sie fordert das schon seit Jahren. Sie bedauert, daß erst eine sozialliberale Koalition ge- bildet werden mußte, um diese Erkenntnisse und deren Konsequenzen zu realisieren.
Die Verteidigungspolitik ist auf dem richtigen Weg. Das Konzept der Liberalen hat dazu wesentlich beigetragen.
Wir werden diesen Weg weiter beschreiten, damitdie Bundeswehr ihrem Auftrag, im Verein mit denVerbündeten Frieden und Sicherheit zu garantieren,
auch unter den Erfordernissen der kommenden Jahrzehnte gerecht werden kann. Und hier, Herr Kollehe Marx, nehme ich Ihren Zwischenruf auf: Die FDP wird auch weiterhin die entscheidende, treibende Kraft in diesem Hause bleiben.
Das Wort hat der Herr Bundesverteidigungsminister.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will von mir aus die Debatte nicht mit zusätzlichem Stoff belasten, zumal wir Anfang dieser Woche schon einmal über die Verteidigung, die Sicherheit und die Bundeswehr geredet haben. Ich habe nur ein paar wenige Bemerkungen zu machen.
Ich möchte mich zunächst für die Anregungen bedanken, die heute morgen gegeben worden sind.
Ich habe dann zu einer Bemerkung von Herrn Abgeordneten Haase etwas zu sagen. Herr Haase hat für die CDU/CSU-Fraktion, wenn ich mich richtig erinnere, erklärt, daß es nicht vertretbar gewesen sei, daß der Verteidigungsminister für eine Erhöhung seines Etats nicht eingetreten sei. Ich will demgegenüber noch einmal klarstellen, daß das bei mir nicht ein Nolensvolens-Verhalten gewesen ist —weil es anders nicht gegangen wäre —, sondern daß das meiner Überzeugung entsprach und auch für den überschaubaren Rahmen der Zukunft meiner Überzeugung entspricht. Ich glaube nicht, daß eine numerische Erhöhung des Verteidigungshaushalts eine primäre Bedeutung für den Verteidigungswillen dieser Gesellschaft oder für die Kampfkraft der Bundeswehr hat.
Das glaube ich nicht. Wenn die Oppositionsfraktion in diesem Punkt anderer Meinung sein sollte, wundert es mich, daß sie keine Anträge eingebracht hat. Das wundert mich sehr.
Im Gegenteil: die Oppositionsfraktion muß sich sagen lassen, daß sie zwei Verminderungsanträge gefördert, gestützt und initiiert hat. Einen davon — in Höhe von 120 Millionen DM — hat sie aufgegeben. Das fing an bei der Verpflegung und sollte aufhören bei der Zahnpasta, die Sie streichen wollten. Diesen Antrag haben Sie dann aufgegeben. Ich begrüße das.
Sie haben sich im übrigen, wie leider der ganze Haushaltsausschuß — es fällt mir schwer, eine Klage darüber zu unterdrücken; nicht etwa, weil es die Bundeswehr auch nur einen Pfennig gekostet hätte, sondern weil es psychologische Wirkungen im Innern wie im Ausland erzielt, die unerwünscht sind —, beteiligt an der Umwandlung einer Sperre in eine Streichung.
Die zweite Bemerkung, und das ist dann das letzte Wort zum Haushalt: Ich möchte etwas nachtragen dürfen, nachdem verschiedene Herren heute morgen — eigentlich alle drei Redner — noch einmal auf die Umschichtung, die für das nächste Jahr notwendig wird und vielleicht für vier Jahre notwendig bleibt, zugunsten von Ausgaben für den Mann an Stelle von Ausgaben für das jeweilige Waffensystem hingewiesen haben. Ich möchte hier die Größenordnungsvorstellungen zurechtsetzen, damit die in den Zeitungen völlig mißverstandene „Alternative" wenigstens in unseren eigenen Köpfen zurechtgerückt werde. Ich will einmal grob sagen: Wenn der Verteidigungsetat zur Zeit aus rund 20 Milliarden DM besteht, dann sind darin rund 13 Milliarden DM personal- und betriebsbezogene Ausgaben. I)ie Umschichtung, die hier stattfinden soll, würde dazu führen, daß es von 13 auf 13' Milliarden DM geht oder daß sich umgekehrt der ganze Rest von 7 auf 61/2 Milliarden DM ermäßigt.
— „Personalbezogene Ausgaben", habe ich gesagt. Ich habe Ihren Zwischenruf gehört. Die ganze Umschichtung bezieht sich für eine mittelfristige Zeit auf einen Satz von weniger als 10% der Beschaffungs- und Infrastrukturtitel. Es soll deshalb niemand von den Leuten, die das in den Zeitungen kommentiert haben, aber auch niemand hier im Hause sich weismachen, wir stünden vor einer Alternative, Fürsorgepolitik zu treiben oder überhaupt nichts mehr an Gerät und Waffen anzuschaffen. Das ist einfach eine falsche Größenordnungsvorstellung.
Das zur allgemeinen Klarstellung, eigentlich mehr für die Pressetribüne; ich nehme an, daß sich die Haushaltsexperten der Opposition darüber im klaren waren, wenngleich Sie es hier von diesem Pult aus so nicht dargestellt haben. Das kann ich auch wieder verstehen; das gehört zu Ihrer Taktik.
Wenn Sie aus diesen Zusammenhängen, weil Sie meinen, wir gäben nicht genug Geld für die Verteidigung, dem Verteidigungshaushalt Ihre Zustimmung verweigern, dann habe ich gar nichts dagegen; das ist mir eher lieb, weil es gewisse Frontstellungen auf dem Felde der Bundeswehr klarer macht, die Sie normalerweise sonst zu verunklaren wünschen.
Letzte Bemerkung: Ich möchte wiederholen, was hier schon am Dienstag gesagt wurde, weil der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion — ich nehme an, er sprach in diesem Punkte für die ganze Fraktion — den Punkt noch einmal aufgebracht hat. Es kann keine Rede davon sein, daß wir indirekt oder direkt, daß wir stillschweigend oder erklärterweise einer — ich benutze Ihren Sprachgebrauch Herabsetzung der nuklearen Schwelle zustimmen würden oder ihr in die Hände arbeiten würden.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß diese Gefahr allerdings besteht, — aber von ganz woanders her: daß nämlich der innenpolitische Druck, der in Washington auf den amerikanischen Präsidenten wegen Verringerung seiner Streitkräfte in Europa ausgeübt wird, im amerikanischen Interesse in dieser Richtung wirken kann. Das ist etwas ganz anderes, dem nicht beipflichten. Ich würde aber
empfehlen, über dieses Problem nicht allzuviel öffentlich zu sprechen, weder unter dem Aspekt, an den ich hier erinnere, noch unter dem anderen, den Sie befürchten, denn dieses weckt schlafende Hunde in anderen Hauptstädten.
Ich will mich auf diese wenigen Bemerkungen beschränken.
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
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3112 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier nur an die Adresse des Verteidigungsministers und zur Klarstellung der Haltung des Haushaltsausschusses einige Bemerkungen machen.
Im Haushaltsausschuß haben wir uns bei der Umwandlung der Sperren in Kürzungen von folgendem Gesichtspunkt leiten lassen. Die Regierung hat klargemacht, daß infolge der konjunkturellen Lage mit einer Aufhebung der Sperren bis Ende des Jahres nicht zu rechnen sei. Um der Regierung zu helfen und sie nicht unter Druck setzen zu lassen, haben wir in einer Reihe von Punkten im HaushaltsausSchuß einstimmig — auch für den Verteidigungshaushalt — beschlossen, diese Sperren in Kürzungen umzuwandeln.
Ich sage dies hier zur Klarstellung gegenüber dem Verteidigungsminister, aber auch zur Klarstellung für das ganze Haus, daß sich der Haushaltsausschuß klar darüber war, daß das keine Folgewirkungen hinsichtlich des Plafonds für den Verteidigungshaushalt 1971 haben kann und daß wir uns im Haushaltsausschuß einmütig darüber einig waren, daß den Konsequenzen des Weißbuches finanziell 1971 und darüber hinaus Rechnung getragen werden muß. Ich hoffe, Herr Verteidigungsminister, daß Ihnen diese Erklärung hilft und genügt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Änderungsanträge zum Einzelplan 14 sind nicht gestellt. Daher kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 14 zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? - Mit der Mehrheit der Koalitionsparteien bei Stimmenthaltung der Opposition ist der Einzelplan 14 angenommen.
Ich nehme an, daß wir die Beratung der Einzelpläne 12 und 13 verbinden können, so daß ich sie gemeinsam aufrufen kann:
Einzelplan 12
Geschäftsbereich Verkehr des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
Drucksachen VI/831, VI/854 —
Berichterstatter: Abgeordneter Haehser Einzelplan 13
Geschäftsbereich Post- und Fernmeldewesen des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache VI/832
Berichterstatter: Abgeordneter Rawe
Ich frage zunächst den Herrn Berichterstatter zum Einzelplan 12, ob zur Ergänzung des Schriftlichen Berichts das Wort gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Ich frage den Berichterstatter zum Einzelplan 13, ob zur Ergänzung des Schriftlichen Berichtes das Wort gewünscht wird. Das ist nicht der Fall.
Dann treten wir in die Aussprache ein. Wird das Wort zum Einzelplan 12 begehrt? — Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Haehser.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es überrascht mich, daß nicht die Opposition an der Spitze der Beratung des Einzelplans 12 das Wort ergreift. Aber ich nehme auch gern zur Kenntnis, daß ich als erster meine Ausführungen machen kann.Ich möchte mich wie immer auch in diesem Jahr bei der Beratung des Einzelplans 12 mit einigen Schwerpunkten des Planes beschäftigen, und zwar an erster Stelle mit der Deutschen Bundesbahn. Die Deutsche Bundesbahn ist auf einem guten Wege. Dieser Weg führt nach oben. Für diese erfreuliche Erscheinung sind einige wichtige Voraussetzungen zu nennen: erstens das verkehrspolitische Programm der Bundesregierung; zweitens die Verbesserung des Leistungsangebots; drittens der Aufbau einer schlagkräftigen kommerziellen Organisation; viertens die Erhöhung der Nachfrage nach den Verkehrsleistungen.Es ist vielleicht für das Hohe Haus ganz interessant, ein paar Zahlen zu nennen, die man doch zu gerne überliest. Während der höchste Jahresverlust der Deutschen Bundesbahn 1967 1504,2 Millionen DM betragen hat, ist er 1968 auf 1227,4 Millionen DM zurückgegangen. Für das Jahr 1969 ist schon jetzt ein weiteres Absinken abzusehen. Im Jahre 1969 wurden übrigens bei der Deutschen Bundesbahn die höchsten Transportmengen seit Kriegsende erzielt. Die Steigerungsrate 1969 gegenüber 1968 betrug 30 Millionen Tonnen. Es wäre verfehlt, dies ausschließlich auf die gute Konjunkturpolitik zurückzuführen. Eine gute Konjunkturlage haben wir auch in anderen Ländern dieser Welt, aber abwärts fahrende Bahnen. In der Bundesrepublik Deutschland ist das erfreulicherweise umgekehrt. Nicht zuletzt der Bundesminister für Verkehr verdient ein Lob für die von ihm eingeleiteten Maßnahmen.
Es wäre verfehlt, bei solchen guten Entwicklungen alle Sorgen zu übersehen, die bei der Bundesbahn zweifellos noch vorhanden sind und vorhanden bleiben werden. So wird sich der Jahresfehlbetrag 1970 gegenüber 1969 nur unwesentlich günstiger darstellen. Das liegt daran, daß erhebliche Mehraufwendungen erforderlich sind. Zum Beispiel muß allein die Bahn für die Einkommensverbesserungen ihrer Bediensteten 770 Millionen DM im Jahre 1970 aufbringen. An dieser Stelle, scheint mir, kann auch einmal vom Deutschen Bundestag aus ein Wort herzlichen Dankes an das Personal der Deutschen Bundesbahn ausgesprochen werden.
Bei wesentlich stärkerem Verkehr ist auf das Personal eine erhebliche Mehrbelastung zugekommen. Man wird sagen können, daß die Grenzen der Belastbarkeit für das Personal der Bundesbahn erreicht sind.
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HaehserEine weitere Sanierung etwa auf dem Buckel der Bediensteten ist nicht möglich und hoffentlich auch nicht erwünscht.An dieser Stelle möchte ich die Aufmerksamkeit der Bundesregierung auf die Schwierigkeit der Finanzierung der Kapitalrechnung der Deutschen Bundesbahn lenken. Es wird ein hoher Kapitalbedarf für die Umschuldung von Kreditverbindlichkeiten und die Finanzierung erwünschter weiterer Investitionen erforderlich sein. Die Bundesregierung muß der Kapitalversorgung des Bundesvermögens Deutsche Bundesbahn allergrößte Aufmerksamkeit widmen. Hier kann man zwar das Wort Umschuldung in die Debatte werfen. Aber die Umschuldung ist natürlich kein Wundermittel. Das darf niemand erwarten. Es wird stets der Einsatz von Bundesmitteln für die Deutsche Bundesbahn notwendig sein. Sie nimmt nun einmal öffentliche Belange wahr. Das rechtfertigt die Bundesleistungen. Niemand, der sie in Anspruch nimmt, weder die Bahn noch gar die Bediensteten der Bahn, sollten ein schlechtes Gewissen haben. Im Gegenteil, jeder spürt, daß das Bild eines I veralteten, überholten Verkehrsmittels ohne Zukunft nicht mehr zutreffend ist. Die Deutsche Bundesbahn hat nicht nur eine Zukunft, sondern sie hat sie bereits begonnen. Zum Beispiel ist die Projektgruppe „Eisenbahn der Zukunft" bei der Arbeit und entwickelt eine Hochleistungsschnellbahn. Die Ergebnisse der Arbeit dieser Projektgruppe werden bereits 1971 vorliegen.Lassen Sie mich nun zu einem anderen Schwerpunkt des Einzelplans 12 kommen, der naturgemäß ) auch in jedem Jahr zur Debatte steht, zu dem Schwerpunkt des Straßenbauhaushalts. Hier hatten wir zunächst eine Regierungsvorlage, die für den Straßenbau, nehme ich die Ansätze und die beabsichtigten Kredite zusammen, Aufwendungen in Höhe von 4721 Millionen DM vorsah. Die Konjunktursperre wurde zu Lasten auch des Straßenbauhaushalts zunächst ausgebracht in Höhe von 540 Millionen DM, so daß nach dem Regierungsentwurf rund 4,2 Milliarden DM für den Straßenbauhaushalt zur Verfügung standen.Der Haushaltsausschuß hat zwei erfreuliche Ergänzungsbeschlüsse fassen können, die auf der Entwicklung des zweckgebundenen Anteils am Mineralölsteueraufkommen fußen. Diese zwei Entscheidungen des Haushaltsausschusses führten dazu, daß der Straßenbauhaushalt einmal um 90 Millionen DM und zum anderen um 45 Millionen DM verstärkt werden konnte. Von den gesperrten Beträgen der Regierungsvorlage werden nach dem Beschluß des Haushaltsausschusses 200 Millionen DM sofort freigegeben. Sie sind damit verfügbar; sie sollen vornehmlich in strukturschwachen Gebieten eingesetzt werden.Ich darf hier auf den Schriftlichen Bericht des Kollegen Leicht hinweisen, mit dem ich darüber ein Gespräch hatte, daß es in diesem Bericht irrtümlicherweise heißt, daß der Einsatz für strukturschwache Länder erfolgen solle; gemeint, gewollt und beschlossen ist: für strukturschwache Gebiete. Ich sage das deswegen heute, weil das Bundesverkehrsministerium auch heute möglichst schon wissen soll, was es mit dem Geld anfangen soll.Mit über 4,5 Milliarden DM steht in diesem Jahr eine Rekordsumme für den Straßenbau zur Verfügung. Das kann mit größter Freude festgestellt werden. Hinzugefügt muß werden, daß weder die noch verbliebenen gesperrten Beträge noch die Kürzungen dem Straßenbauhaushalt verlorengehen. Nach der im Ausschuß gegebenen Auskunft des Finanzministeriums kann ganz selbstverständlich davon ausgegangen werden, daß die Mittel, die jetzt gesperrt oder gekürzt sind, infolge der gesetzlich erforderlichen Zweckbindung später dem Straßenbauhaushalt zufließen. Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist es eine Freude, registrieren zu können, daß die unter anderen Regierungen übliche alljährliche Einschränkung der Straßenbaumittel durch das Haushaltsgesetz auch dieses Mal unterbleibt und wir davon ausgehen können, daß im Jahre 1971 die volle Zweckbindung der 50 % des Aufkommens aus der Mineralölsteuer erreicht ist.Ich möchte hier nicht polemisieren gegen die Absichten der Christdemokraten, die noch immer nicht zurückgezogen sind, eine 10%ige Haushaltssperre auszusprechen.
Diese 10%ige Haushaltssperre — wenn sie zurückgezogen ist, hat sie immerhin lange Zeit die Debatte hier mit beherrscht — hätte für den Straßenbauhaushalt zweifellos zu ganz üblen Konsequenzen geführt. Es ist gut festzustellen, daß man hier offenbar der Einsicht gegenüber dem bisherigen rein oppositionellen Verhalten den Vorrang gegeben hat.
— Ich bin auch sehr froh darüber, Herr Kollege Leicht! Ich war immer der Meinung, daß Sommersprossen auch Gesichtspunkte sind; aber es ist natürlich besser, man hat gescheitere Gesichtspunkte.
— Herr Kollege Baier, Sie haben jetzt einen Zwischenruf gemacht, von dem ein altes chinesisches Sprichwort sagt, man hätte ihn besser gepfiffen als gesprochen!
Lassen Sie mich jetzt, meine Damen und Herren, hier beim Straßenbau ein Thema anschneiden, für das ich jetzt aber wieder um Ihre Aufmerksamkeit bitte. Es geht um das Thema der Unfallursachenforschung. Im Jahre 1969 hatten wir in der Bundesrepublik Deutschland rund 16 500 Verkehrstote zu beklagen. Es ist kaum zu glauben, aber leider dennoch wahr, daß wir seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 250 000 Verkehrstote zu beklagen hatten. Neben dieses unsägliche Leid tritt dann noch — freilich im zweiten Rang — der hohe materielle Verlust hinzu, der jährlich auf 8 bis 10 Milliarden DM beziffert werden muß, wie ein renom-
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Haehsermiertes Kölner Institut ermittelt hat. Es erscheint sinnvoll, diese Mittel nach Möglichkeit weitgehend vorher für die Verhütung von Unfallschäden statt nachher zu ihrer Bewältigung einzusetzen.Hier kann, ohne daß ich frühere Verkehrsminister j angreifen möchte, obwohl es auch mir naheläge, festgestellt werden, daß dem Thema Verkehrsunfallursachenforschung in der Vergangenheit zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden ist. Das wurde übrigens bei dem Hearing des Verkehrsausschusses eindeutig festgestellt. Diese Feststellung schmälert nicht das Lob für Verdienste, die sich Autofirmen, Autofahrerverbände und Versicherungen auf diesem Gebiet erworben haben. Es fehlt aber auch dies wurde in dem Hearing ganz eindeutig gesagt — die zentrale Stelle für Unfallursachenforschung.Nun ist ein Vorschlag des Bundesverkehrsministers vom Fachausschuß und vom Haushaltsausschuß aufgegriffen worden: Die Projektgruppe zur Verkehrsunfallursachenforschung ist mit einem Betrag von 500 000 DM bedient worden. Es kann damit gerechnet werden, daß nach mehrmonatiger Teamarbeit eine umfassende Analyse darüber vorliegt, was in Deutschland und in anderen Ländern auf diesem Gebiet getan wurde und getan werden kann. Diese Analyse und das, was wir zusätzlich vorhaben, nämlich beim Kraftfahr-Bundesamt Flensburg durch Personalverstärkung und entsprechende finanzielle Ausstattung die Unfallursachenforschung zu beleben, kann dazu führen, wie im Hearing ein Experte gesagt hat, daß jährlich unter Umständen 1 200 000 Tote, Schwer- und Leichtverletzte weniger zu beklagen sein werden. Wir hoffen, daß durch das, was wir vorhaben, aus dem Bundesminister für Verkehr und verkehrspolitische Reformen auch ein Minister für Sicherheit auf unseren Straßen werden kann und werden wird.Meine Damen und Herren, es ist vielleicht ganz angebracht, an dieser Stelle einen kleinen Augenblick für das oft angesprochene Thema der Öffentlichkeitsarbeit zu verwenden. Die Anträge, die hier von den Christdemokraten und Christsozialisten, Christsozialen gestellt worden sind — —
— Ich wollte Ihnen einmal zeigen, wie es sich anhört, wenn Sie den Namen der Sozialdemokraten, wie ich unterstelle: gewollt, dauernd verunglimpfen, indem Sie ihn falsch aussprechen.
Beim Thema Öffentlichkeitsarbeit zeigt sich die Zwielichtigkeit der Christenunion.Wahrscheinlich soll auch in diesem Einzelplan wieder die eine oder andere Kürzung auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit vorgenommen werden.Lassen Sie mich daran erinnern, daß der CDU/CSU-Kollege Vehar im Verkehrsausschuß die Notwendigkeit von verstärkter Verkehrspädagogik angesprochen hat. Auf dem Gebiet der Verkehrsunfallursachenforschung ist auch von der CSU eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit gefordert worden. Es ist ganz interessant, auch an dieser Stelle die Feststellung treffen zu können, die wir in den letzten Tagen mehrfach treffen konnten, daß die CDU/CSU hier Streichungen vornehmen will, während sie draußen Steigerungsanträge stellt und sich durch diese ihre Propaganda politischen Erfolg verspricht. Das muß deutlich herausgestellt werden.Eine letzte Bemerkung. Wir haben diesmal erstmalig
— es wäre erfreulich, wenn der Kollege Müller-Hermann die Kraft aufbrächte, zuzuhören —
Mittel für den weiteren Vollzug eines Teils des Verkehrspolitischen Programms der Bundesregierung eingesetzt, nämlich erstmalig Mittel für die Beteiligung des Bundes an dem Flughafen München II und dem neuen Flughafen Hamburg-Kaltenkirchen.Ich sagte: auch damit wird dieser Teil der Absicht des Leber-Plans in die Tat umgesetzt. Mit Genugtuung kann herausgestellt werden, daß auch im Bereich der Luftfahrt für unser liebstes Kind, das Saarland, Gutes getan wird.
Für den Flughafen Saarbrücken werden die Flugsicherungsstelle und die Flugwetterwarte durch Beschluß, wenn wir heute den Plan verabschieden, eingerichtet sein.
— Es hat so lange gedauert, bis Leber Verkehrsminister war; unter Seebohm ist das nie vollzogen worden.
Berechnet für ein volles Jahr wird dafür ein Aufwand von 1,8 Millionen DM erforderlich sein. Hinzu kommen Investitionen — natürlich nur einmal zu berechnen — in Höhe von 2,7 Millionen DM.Wenn Sie jetzt noch berücksichtigen, daß wir erstmalig auch für den erwünschten und von der Bundesregierung zugesagten Wasserstraßenanschluß einen Ansatz im Einzelplan 12 haben — nicht den früheren Leertitel, in den Zahlungen Dritter und niemals Zahlungen des Bundes hineingeflossen sind —, dann sehen Sie, daß wir die Sorgen des Saarlandes ernst nehmen.
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HaehserGerade als Berichterstatter für cien Einzelplan 12 Sri das von mir herausgestellt.
— Ich dachte, das fände allgemeinen Beifall.Meine Damen und Herren von der Opposition, ich gehe davon aus, daß Sie auch diesem Einzelplan nicht zustimmen werden. Im Gegensatz zu Ihnen tut das die SPD sehr gern; denn sie sieht, daß mit hohem Finanzeinsatz für Projekte, die allen Mitbürgern zugute kommen, vernünftige Politik getrieben wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lemmrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Regierungserklärung der jetzigen Bundesregierung vom Oktober 1969 wird erklärt, ,daß diese Regierung eine liberale Verkehrspolitik anstrebe. Wir haben ja mit Herrn Minister Leber in der vorigen Großen Koalition in dieser Hinsicht einiges zu tun gehabt und konnten ihm behilflich sein ,damit sein für die Marktwirtschaft auch im Verkehr so stark schlagendes Herz nicht dadurch betrübt wurde, daß seine hohen Ministerialbeamten ihm Dinge aufzwingen konnten, die er eigentlich gar nicht wollte, wie z. B.die Transportverbote von Gütern auf den Straßen.
— Es ist ganz gut, wenn wir uns einmal dessen erinnern, was hier alles schon einmal von sich gegeben worden ist.
Inzwischen sind wir ihm ja behilflich gewesen und haben ihn in der Tat vor einer beträchtlichen Blamage bewahrt;
denn wenn das in der heutigen Wirtschaftssituation Wirklichkeit geworden wäre, hätte es Sondersitzungen und was nicht alles geben müssen, um diesen damaligen Unfug noch rechtzeitig 711 beseitigen.Inzwischen hat sich auch herausgestellt, daß sich die Deutsche Bundesbahn selbst geholfen hat, und zwar sind die Leistungen, die sie vorzuweisen hat und die in einem beträchtlichen Abbau ihres Defizits sichtbar wurden, entscheidend auf ihre eigenen Anstrengungen und die Leistungen ihrer Mitarbeiter zurückzuführen
und nicht, wie immer die Legende verbreitet wird,auf Regierungsmaßnahmen; denn die Bemühungen,den Gleisanschlußverkehr zu intensivieren, könnenund konnten noch gar nicht wirksam werden. Wir hoffen, daß sie wirksam werden und daß sich die Situation bei der Bundesbahn weiter verbessern wird. Aber darauf muß auch hingewiesen werden: was hier die Männer in ,der Bundesbahn geleistet haben, darauf können sie stolz sein, und das ver- dient unsere volle Anerkennung.
In der Regierungserklärung heißt es, daß man das Programm fortführe. In 'diesem Programm war z. B. vorgesehen, die Zahl der Konzessionen für den Güterfernverkehr innerhalb von acht Jahren um ca. 20 % zu reduzieren. Ist das eine Fortführung, wenn man jetzt den Antrag stellt, die Zahl der Konzessionen nicht zu reduzieren, sondern um 1250 zu erhöhen? Geht das alles unter dieser Rubrik „eindeutige, klare Politik", oder steht das vielmehr unter der Überschrift „Politik des doppelten Bodens"?
Wir nehmen jedoch zur Kenntnis, daß der Bundesminister für Verkehr eine marktwirtschaftlich orientierte Verkehrspolitik betreiben will. Die CDU/CSU betreibt seit langem diese Politik, und wir hoffen, daß diese Politik auch gemeinsame Berührungs- punkte im Konkreten haben wird, womit wir uns im Herbst dieses Jahres befassen müssen.Was die Deutsche Bundesbahn betrifft, so begrüßen wir sehr, daß in der seit 1963 laufenden Normalisierung der Konten ein weiterer Schritt nach vorwärts getan wird; dies geschieht auch unter dem Aspekt der EWG-Verordnungen über die Harmonisierung der Eisenbahnkonten. Diese Politik ent- spricht unseren Vorstellungen, die im vorigen Bundestag in dem § 28 a des Bundesbahngesetzes ihren Niederschlag gefunden haben, der auf unsere Initiative zurückgegangen ,ist.Wir wissen wohl, daß die Eisenbahn nicht umsonst arbeiten kann, sondern für all das, was der Bund ihr auferlegt, bezahlt werden muß. Uns ist dabei sehr wohl bewußt, daß in der Deutschen Bundesbahn der Prozeß der Rationalisierung weitergehen muß und daß das in hohem Maße auch eine Frage der Kapitalausstattung ist. Wir hoffen auch, daß für den noch offenen Posten bei der Normalisierung der Konten bei der Deutschen Bundesbahn in der Größenordnung von 100 Millionen DM zwischen dem Bundesminister für Verkehr und dem Bundesminister der Finanzen eine Regelung gefunden werden kann, damit im nächsten Jahr dieser Betrag im Bundeshaushalt eingestellt wird.Ich habe soeben einige Punkte dargelegt, die unsere Zustimmung zu der Politik des Bundesministers für Verkehr finden. Wo setzen nun unsere Bedenken ein? Unsere Bedenken setzen insbesondere da ein, daß die führende Regierungspartei, die SPD, besonders vor der Wahl dem Wähler Versprechungen gemacht hat, an deren Verwirklichung sie im Ernst heute nicht denkt.
Der Bundesminister für Verkehr hat erst unlängst wieder davon gesprochen, wie notwendig es ist, die
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LemmrichInvestitionen gerade auch im Verkehrsbereich in Anbetracht seiner Bedeutung zu erhöhen. Diese seine Ausführungen muß man voll unterstützen. In der Tat ist es unerläßlich, daß der investive Anteil im Bundeshaushalt gegenüber dem kosumtiven stärker steigt, denn nur so kann eine in die Zukunft gerichtete Politik verwirklicht werden.Wenn man aber für sich den Anspruch erhebt, man sei die Regierung der Reformen, müssen wir uns ernsthaft fragen, wo denn die große Reform des Ausbaus der innerstädtischen Verkehrsverhältnisse bleibt, wo denn hier die Mittel stehen. In der mittelfristigen Finanzplanung ist davon nichts zu sehen, obwohl jedem bekannt ist, wie notwendig es ist, hier die Mittel zu verstärken. Wenn man diesen Anspruch erhebt, müssen wir fragen: Wo sind die Taten?Die Sozialdemokraten haben jahrelang von diesem Podium aus die völlige Zweckbindung der Mineralölsteuer für den Straßenbau gefordert. Sie hätten jetzt die Möglichkeit, sie zu verwirklichen. Wo bleibt die Verwirklichung? Diese Regierung hat das übernommen, was in der Großen Koalition gemacht wurde: sie hat von der Zweckbindung von vornherein 200 Millionen DM einbehalten und nicht in den Straßenbau gegeben. Wenn ich da so die Äußerungen betrachte, die der Herr Bundesfinanzminister Möller dazu abgegeben hat, muß ich sagen, augenscheinlich sind dem Herrn Bundesfinanzminister seine damaligen Ausführungen vom 10. November 1966 vor dem Deutschen Bundestag nicht mehr ganz geläufig, wo er sich unerhört darüber aufregte, daß aus Haushaltsgründen in die Straßenbaumittel eingegriffen worden ist. Aber wenn man damals so von diesem Podium herunter getönt hat und dann selbst diese Politik weiterführt, kann man für sich nicht in Anspruch nehmen, eine glaubwürdige Politik zu betreiben.
In dem Antrag ides Kollegen Börner, nunmehr Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, in der Sitzung vom 27. Mai 1966 heißt es, wenn nicht bis zum 1. Januar 1967 eine Aufstokkung der Mittel und eine Neuregelung erfolgen könne, sollte der Prozentsatz ab 1. Januar 1967 auf 55% angehoben werden und ab 1. Januar 1968 um weitere 10% auf 65 %. Da frage ich ernsthaft, nachdem Sie das alles einmal so schön dargelegt haben, wo denn ihre Taten bleiben.
Der Herr Bundeskanzler Brandt und der damalige Fraktionsführer Helmut Schmidt haben dem BDF auf die Frage, ob sie für die volle Zweckbindung der Mineralölsteuer auftreten würden, vor der Bundestagswahl geantwortet: Ja. Wir fragen: Wo bleiben denn hier die Taten?Meine verehrten Damen und Herren, auch in der mittelfristigen Finanzplanung sinkt der Anteil für die Verkehrsausgaben, und zwar von 11,4 % 1970 auf 10,3 % 1973. Ist das das, was diese Regierung in den Mund nimmt, die Verwirklichung der großenReformen, insbesondere auch in diesem Bereich? Hier, meine lieben Kollegen, zeigt sich eines, was der Herr Kollege Börner einmal hier im Bundestag so nett gesagt hat: Nicht an ihren Worten, an ihren Taten werdet ihr sie erkennen.
Das gilt auch für das, was wir vor der Bundestagswahl in einem SPD-Flugblatt lesen konnten: 50 Pf müssen wieder als Kilometerpauschale eingeführt werden, das will die SPD. Das war am 27. September. Am 4. Dezember 1969 hörten wir dann in Berlin aus dem Mund des Herrn Bundesverkehrsministers, eine Erhöhung der Kilometerpauschale komme aus finanzpolitischen und verkehrspolitisch en Gründen nicht in Frage. — So die Taten, so die Reden. Das ist das, was diese Regierung unglaubwürdig macht, auch in diesem Bereich.
Unter diesem Aspekt wird sich die Fraktion der CDU/CSU nach Abwägung des Positiven und des Negativen beim Einzelplan 12 der Stimme enthalten.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Lemmerich hat wieder einmal, wie schon so oft von seinen Kollegen in den letzten Tagen vorgetragen, bemängelt, daß in diesem Einzelplan keine ausreichenden Mittel für die Finanzierung des Gemeindestraßenbaus vorgesehen seien. Herr Kollege Lemmrich, wir sind wie Sie der Meinung, daß die vorhandenen Mittel sicherlich nicht ausreichend sind und daß die Gemeinden — wir haben ja anläßlich der Behandlung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes ähnliche Ausführungen gemacht — sicherlich keine ausreichenden finanziellen Beihilfen erhalten.
Wir haben aber in diesen Tagen von Ihrer Seite auch immer wieder den Vorwurf einstecken müssen, daß diese Bundesregierung nicht genügend Maßnahmen zur Konjunkturdämpfung einleitet. Wenn Sie hier die geringen Beträge kritisieren, müssen Sie aber auch andererseits sagen, wie Sie konjunkturdämpfend Mittel erhöhen wollen, wo Sie sie abzweigen wollen, um sie den Gemeinden zufließen zu lassen. Das wäre redlicher, als hier ständige Kritik vorzubringen.
Herr Abgeordneter Ollesch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lemmrich?
Bitte schön!
Herr Kollege, ist Ihnen entgangen, daß ich in dieser Frage nicht vom Bundeshaushalt 1970 gesprochen habe, sondern von der mittelfristigen Finanzplanung und dabei die große Bedeutung dieses Problems erwähnt habe? Vielleicht
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Lemmrichist Ihnen auch unser Antrag gegenwärtig, den wir eingebracht haben.
Herr Kollege Lemmrich, wir sprechen heute an dieser Stelle über den Bundeshaushalt 1970. Wenn Sie weitergehende Ausführungen machen und wenn Sie nun glauben, sich ohne Anträge nur allgemein darüber verbreiten zu müssen, dann verstärken Sie doch letzten Endes nur den Eindruck, den ich gerade geschildert habe und den wir in den letzten Tagen immer wieder haben mußten.
Herr Abgeordneter Ollesch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Althammer?
Bitte schön!
Herr Kollege Ollesch, ist Ihnen nicht bekannt, daß auf Anregung der CDU/CSU, aber einvernehmlich, im Haushaltsausschuß in Abwägung der Konjunktursituation von den Sperren in Höhe von 660 Millionen DM 200 Millionen DM freigegeben wurden und diese Sperren im Gegensatz zur Behandlung anderer Etats in ihrem Restteil nicht voll in Kürzungen umgewandelt wurden?
Herr Kollege Althammer, das ist mir bekannt, aber das war der Wille der FDP, das war der Wille der SPD, nicht nur der Wille der Christlichen Demokraten und der CSU.
Diese 200 Millionen DM für Verkehrsmaßnahmen in strukturschwachen Gebieten haben wir ja gemeinsam beschlossen.
Wir wollten gerade in diese Gebiete, die seit jeher in der Entwicklung zurückgeblieben sind,
die Mittel leiten. Das entspricht unserer Auffassung. Aber das ist nicht das, was der Herr Lemmrich hier kritisiert hat; das ist eine andere Maßnahme.
— Herr Kollege Rawe, ich bin Mitglied in zwei Ausschüssen, ich kann nicht auch noch im Haushaltsausschuß sitzen. In unserer Fraktion haben wir diesen Beschluß gefaßt. Wer ihn letztlich und endlich dann im Haushaltsausschuß vorgetragen hat, Herr Rawe, ist völlig uninteressant.
Wichtig ist nur, daß die drei Fraktionen diesen Antrag getragen haben und daß er Wirklichkeit geworden ist. Das scheint mir viel wichtiger zu sein.
Herr Abgeordneter Ollesch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haehser?
Ja, bitte!
Herr Kollege Ollesch, würden Sie und vielleicht auch andere Kollegen zur Kenntnis nehmen, daß dieser Antrag vom Vorsitzenden des Haushaltsausschusses in Übereinstimmung mit allen Fraktionen vorgebracht worden ist?
Ich nehme diese Interna aus dem Ausschuß dankend zur Kenntnis, aber das scheint mir gar nicht so schrecklich wichtig zu sein.
Wichtig ist vielmehr, daß sich die Fraktionen dieses Hauses bemüht haben, trotz konjunkturdämpfender Maßnahmen, von denen dieser Haushalt leider nicht verschont bleiben konnte, die größten Engpässe zu beseitigen,
und die scheinen uns in den strukturschwachen Gebieten vorzuliegen.
Herr Kollege Haehser hat vorgetragen, daß in diesem Jahr im größtmöglichen Maße Mittel für den Straßenbau ausgewiesen werden. Das scheint mir notwendig zu sein. Es entspricht auch dem Willen des ganzen Hauses, und darin schließe ich alle Fraktionen ein.Meine Damen und Herren, mag Bundesverkehrsminister sein wer will, jeder wird Straßen bauen müssen und Straßen bauen wollen angesichts der Verkehrslage, in der wir uns befinden. Mag auch der eine oder andere den Trend etwas anders leiten wollen, hier entstehen Zwangsläufigkeiten, denen keiner entgehen kann. Wir freuen uns, daß dieser Bundesverkehrsminister sich bemüht, mit den Kräften seines ganzen Hauses, getragen von den beiden Fraktionen — sicherlich auch mit Ihrer Zustimmung, meine Damen und Herren von der CDU/CSU —, über das bisher Erreichte und das bisher Geplante hinaus mit Methoden, die nicht allgemein begrüßt werden mögen, den Verkehr zu ordnen und über die Entlastung durch Baumaßnahmen hinaus einen reibungsärmeren Ablauf des Verkehrs zu garantieren.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dabei auf ein Problem eingehen. Wir werden sicherlich in absehbarer Zeit die Verkehrsverhältnisse nicht voll zufriedenstellend lösen können. Wir werden sicherlich nicht sehr bald die schreckliche Anzahl von Toten und Verletzten auf ein erträgliches Maß herabdrücken können. Aber neben dem Einsatz finanzieller Mittel gibt es auch Möglichkeiten der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse durch bessere Ausbildung und Unterrichtung der am Verkehr teilnehmenden Menschen. Das geschieht dankenswerter-
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Olleschweise durch die Öffentlichkeitsarbeit des Bundesverkehrsministers.Aber wer heute den Verkehrsfluß auf den Autobahnen betrachtet, stellt fest, daß entgegen den Tendenzen in Ländern um uns herum, zum Rechtsverkehr zu kommen, in der Bundesrepublik sich ein Trend zum Linksfahren entwickelt hat. Auf den Autobahnen werden Sie die linke Fahrspur, die Überholungsfahrspur, voll besetzt finden, während die rechte Fahrspur nur von einigen wenigen Lastkraftwagen benutzt wird.
— Das bleibt nicht aus. Wir können es aber nicht hinnehmen, daß wir jede mehrspurige Straße in der Praxis zu einer einspurigen Straße machen. Wenn Sie sich die dreispurigen Autobahnen ansehen, stellen Sie fest, daß in der Regel auf der mittleren Fahrspur gefahren wird.
— Auch das gehört zu den Betrachtungen zum Haushalt des Bundesverkehrsministers; denn es ist auch eine Frage einer Änderung der Straßenverkehrsordnung, ob diesem Problem begegnet werden kann oder nicht.
Herr Abgeordneter Ollesch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Tadden?
Herr Kollege Ollesch, wie verhält sich der Verkehrsteilnehmer, wenn an einer Ampel orange ist?
Ich habe Ihre Frage leider nicht verstehen können. Ich kann sie nicht beantworten.
Es geht mir nicht darum, das Rechtsüberholen generell freizugeben. Aber das Haus des Bundesverkehrsministers sollte doch einmal darüber nachdenken, wie wir die auf den Autobahnen notwendige Ordnung erreichen können. Mir scheint der Hinweis nicht unangebracht zu sein, daß man für den Fahrunterricht zur Erlangung des Führerscheins einige Fahrstunden auf der Autobahn zwingend vorschreiben sollte, jedenfalls dort, wo die Autobahn in zumutbarer Entfernung von dem Ort liegt, wo die Fahrstunden gegeben werden.
— Auch die Fahrlehrer.
Meine Damen und Herren, wer sich vornehmlich auf der Überholfahrbahn bewegt, das sind die unsicheren Fahrer und die Anfänger, die jeden Fahrbahnwechsel scheuen oder die Sorge haben, daß sie Schwierigkeiten haben, bei dichtem Verkehr von der rechten Fahrbahn auf die Überholfahrbahn zu kommen.
— Herr Müller-Hermann, es sind Planungsarbeiten im Rahmen der Überlegungen in bezug auf eine Saarwasserstraße. Wir werden uns darüber zu unterhalten haben, wohin dieser Kanal führt, und sicherlich recht bald an Hand der Unterlagen zu einem Ergebnis kommen, ob wir die Saar kanalisieren oder ob der Saar-Pfalz-Kanal nun endlich gebaut wird.
— Nein, es ist nicht die Hauptsache, daß er gebaut wird, sondern es geht uns darum, auch dieses wichtige Industriegebiet der Bundesrepublik mit einem leistungsfähigen Wasseranschluß zu versorgen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen, daß wir dem Einzelplan 12 unsere Zustimmung geben und das Haus des Bundesverkehrsministers bei den Bemühungen unterstützen werden, den Verkehr in Deutschland nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu leiten und zu ordnen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Leber.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte damit beginnen, daß ich hier ein sehr herzliches Wort des Dankes sage. Ich glaube, ich habe auch sehr augenfällige Veranlassung dazu, mich bei allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses, bei allen Mitgliedern des Verkehrsausschusses und auch beim Bundesfinanzminister — ich darf mir erlauben, ihn einzuschließen — herzlich zu bedanken. Denn der Verkehrshaushalt macht im Zuge der allgemeinen Bemühungen um Konjunktur und Stabilität bis zu einem gewissen Grade eine Ausnahme. Ich bin auch dankbar, daß ich das hier sagen kann, weil diese angemessene Dotierung, die dem Verkehrswegebau auf diese Weise zukommt, für mich ein Zeichen dafür ist, daß manche Dinge, die wichtig bleiben,
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Bundesminister Lebernicht in dem Maße umbewertet werden, in dem draußen im allgemeinen Umbewertungen vorgenommen werden.Ich möchte heute vormittag keinen Vortrag über Verkehrspolitik halten; dazu werde ich nach der Sommerpause Gelegenheit haben, wenn der verkehrspolitische Bericht vorgelegt wird. Ich möchte heute nur dies sagen: Wir leben in einem Abschnitt der Konsolidierung und der reifenden Verwirklichung von Maßnahmen, die alle langfristiger Art sind und die schon eingeleitet sind. Wir bereiten uns gegenwärtig auf das zweite Stadium der Verkehrspolitik vor, auf Reformen, denen wir nicht ausweichen können, eine Reform der Luftfahrt, des Luftverkehrs, ein neues bodengebundenes Verkehrsmittel mit Schnellverkehrscharakter, das dem Luftverkehr einmal Wettbewerb liefern soll, dazu eine Fernstraßenplanung, die ausgereift entwickelt ist und die heute vormittag dem Bundesrat vorliegt, dazu ein integriertes Verkehrswegeprogramm und andere Dinge mehr, mit denen sich der Deutsche Bundestag nach der Sommerpause sicher ausführlich befassen wird.Ich möchte mich auch dafür bedanken, daß Sie dabei behilflich gewesen sind. Herr Kollege Lemmrich, ich schließe das ein, was Sie vorhin gesagt haben: Ihre Mitarbeit bei der Verkehrspolitik. Sie haben allerdings hier zum Ausdruck gebracht, sie wäre erfolglos gewesen, wenn wir Sie nicht gehabt hätten. Ich streiche davon überhaupt nichts ab und habe noch nie bestritten, daß ich jedem Dank schulde, der hierbei konstruktiv mitgearbeitet hat. Ich bin auch nicht so rechthaberisch veranlagt, daß ich auf einem Punkt, den ich einmal eingebracht habe, unbedingt bestünde.Tm ganzen gesehen, glaube ich, habe ich es ein bißchen leichter gehabt als mein Herr Vorgänger. Denn ich konnte mich bei schwierigen verkehrspolitischen Operationen auf meine Fraktion stützen, während er sie in der Regel gegen seine Fraktion durchzusetzen halle. Er hatte es damit etwas schwerer.
Das habe ich auch noch erlebt. Ich habe es vor allen Dingen — hören Sie nur zu, Herr Kollege Althammer, — in der Periode erlebt, als wir gemeinsam die Regierung bildeten.
Das Verkehrspolitische Programm ist 1967/68 im Grunde in einer harten Auseinandersetzung gegen viele Kollegen aus Ihrer Fraktion durchgesetzt worden. Ich hatte damals den Eindruck, als ob Sie sich schon in der Opposition übten, obwohl Sie noch in der Regierung waren.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Minister, ist Ihnen, nachdem Sie diesen Punkt herausgestrichen haben, noch die ziemlich harte Auseinandersetzung Ihres Herrn Staatssekretärs mit den Mitgliedern Ihrer Fraktion im Haushaltsausschuß in Erinnerung?
Natürlich hat es auch Auseinandersetzungen mit meiner Fraktion gegeben, so wie es in diesem Punkt, Herr Kollege Althammer, Auseinandersetzungen mit allen Interessenkreisen gibt. Solche gibt es selbstverständlich auch in meiner Fraktion.
— Nein, wir blieben in der Regierung. Die Fraktion hat sich in dieser Auseinandersetzung gefestigt.Ich kann hier, ohne daß ich mich in Details verliere, sagen: Wie es auch immer gelaufen ist, diese Verkehrspolitik ist erfolgreich. Unsere Eisenbahn ist die einzige in allen industrialisierten Ländern der Welt, die nicht tiefer in das Defizit fährt, sondern dabei ist, dieses Defizit — hoffentlich bald —überhaupt hinter sich zu lassen. Das, was sie an Verkehr aufgenommen hat, mag Ihnen nicht gefallen. Soll man es etwa bedauern, daß die Eisenbahn im vergangenen Jahr ein Defizit von weniger als 1 Milliarde DM hatte und das Defizit in den ersten vier Monaten dieses Jahres schon wieder um rund 250 Millionen DM verringert worden ist?
Ich habe die Hoffnung, daß die Deutsche Bundesbahn in diesem Jahr nicht nur 850 Millionen DM an zusätzlichen Lohnkosten, die früher das Defizit vermehrt haben, verdienen, sondern darüber hinaus auch noch ihre Erfolgsrechnung verbessern wird. Das ist ein einmaliger Vorgang in der ganzen Welt, in allen Industriestaaten, und ein Bruch in der Entwicklung, die wir bis 1966 gehabt haben. Das sollten Sie nicht verkleinern;
denn die Konjunktur war bis 1966 nicht geringer als gegenwärtig. Damals ist die Bahn trotz guter Konjunktur unter anderen verkehrspolitischen Vorzeichen immer tiefer in die Unwirtschaftlichkeit gefahren. Ich buche die jetzige Entwicklung als ein positives Element. Ich brauche das gar nicht besonders hervorzuheben. Sie wissen nämlich auch, wie es in Wirklichkeit ist. Denn Sie, meine Damen und Herren, müßten die Milliarden bewilligen, die jetzt nicht bewilligt zu werden brauchen, weil die Bahn so erfolgreich gewesen ist.
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3120 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970
Bundesminister LeberDamit komme ich zum zweiten Punkt, den ich von mir aus nicht angeschnitten hätte. Ich bin jedoch dazu animiert worden. Sie haben Taten gefordert, Herr Kollege Lemmrich. Ich will Ihnen ein paar Daten, die Sie selber kennen, geben. Ich bin erst für den 3. Vierjahresplan im Bundesfernstraßenbau verantwortlich. Ich stelle die Daten einander gegenüber. Bis zum Jahre 1950 gab es in der Bundesrepublik 2100 km Autobahn. In 16 Jahren, in denen der Verkehrsminister kein Sozialdemokrat war, sind in Deutschland 1400 km Autobahn gebaut worden. Nach dem 3. Vierjahresplan, für den ich die Verantwortung trage, werden allein in vier Jahren 1000 km Autobahn gebaut. Sie können doch nicht sagen, hier sei ein Rückgang zu verzeichnen.
— Ich weiß, daß das mehr Geld kostet. Herr Lemmrich hat ja soeben noch mehr Geld verlangt. Wir setzen dafür schon mehr Geld ein. Ich werde Ihnen gleich sagen, wie wir uns die Entwicklung ab 1971 vorstellen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Bundesminister, ist Ihnen noch gegenwärtig, daß der 3. Vierjahresplan von Ihrem Vorgänger, Herrn Dr. Seebohm, konzipiert worden ist, und ist Ihnen gegenwärtig, daß
I) die Straßenbaumittel aus der zweckgebundenen Mineralölsteuer kommen, die eine permanent ansteigende Tendenz aufweist?
Herr Kollege Lemmrich, der dritte Vierjahresplan ist von mir im März 1967 dem Deutschen Bundestag und dem Kabinett vorgelegt worden; da war mein Vorgänger schon vier Monate nicht mehr im Amt. Außerdem waren die Finanzmittel, die mein Herr Vorgänger dafür noch gehabt hätte, im Dezember 1966 auf 3,3 Milliarden DM zusammengeschrumpft. Ich habe für 180 Millionen DM Rechnungen vorgefunden, die ich nicht bezahlen konnte. Da war gar nichts mehr da. Sie dürfen das heute alles nicht vergessen wollen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Bundesminister, wenn es wahr ist, daß vom Auftrag zur Planung bis zum Beginn der Baumaßnahme sechs Jahre vergehen, wer könnte dann wohl die Planungen für die Straßen gemacht haben, die Sie gebaut haben?
Entschuldigen Sie, das sind Planungen, die sind zum Teil in den Jahren
1928 und 1930 gemacht worden. Das sind diese Striche auf den Landkarten.
— Da brauchen Sie gar nicht so zu lachen. Wenn Sie das abstreiten, kennen Sie ganz einfach die Zusammenhänge nicht. Ich rechne es der Weimarer Demokratie
— hoch an im negativen Sinne — hoch an, daß die fertigen Planungen nicht im Jahre 1932 aus der Schublade genommen worden sind, sondern daß man das Jahr 1933 abgewartet hat. Meine Damen und Herren, darüber sollten wir gar nicht lachen; das sind Striche auf den Landkarten, die finden Sie in alten Shell-Karten schon im Jahre 1932, auch das, was wir jetzt im 3. Vierjahresplan bauen. Darum geht es gar nicht. Es geht darum, daß man die Mittel rechtzeitig mobilisiert, damit man das in Bauabschnitte umsetzen kann. — Bitte sehr!
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann?
Herr Minister, würden Sie bei Ihren verständlichen Selbstbeweihräucherungsversuchen
wenigstens das eine zugestehen, daß alle Finanzierungsvoraussetzungen gesetzlicher Art, auf denen der Fernstraßenbau heute aufgebaut ist, zwar auch mit den Stimmen Ihrer Fraktion verabschiedet worden sind, aber aus der Zeit Ihres Vorgängers stammen?
Herr Kollege Müller-Hermann, ich weiß, daß sich meine Fraktion — dafür gibt es eine ganze Reihe von Beweisen, das wird meine Fraktion, wenn Sie das wollen, vielleicht noch ,darlegen —, sogar über Parteitagsbeschlüsse, bemüht hat, einen gehörigen Teil ,des Mineralölsteueraufkommens zweckgebunden für den Bundesfernstraßenbau zu verwenden.
Wenn Sie im übrigen hier von Selbstbeweihräucherung reden, Herr Müller-Hermann — es ist nicht meine Art, persönlich zu werden —, so muß ich sagen: Die Verkehrspolitik hat Erfolg gehabt, obwohl Sie persönlich so heftig ,dagegen opponiert haben.
Das einzige, was anders war, Herr Kollege Müller-Hermann — und damit mindere ich eigentlich meinen persönlichen Weihrauch —: Ihre Möglichkeiten,
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Bundesminister Lebersich mit einer ganzen Fraktion im Rücken gegen einen Minister, der eine verkehrspolitische Idee hat, durchzusetzen, waren in ,dem Augenblick geringer, in dem der Verkehrsminister selbst auf eine eigenständige Fraktion bauen konnte. Das war der Unterschied, der dm Jahre 1966 eingetreten ist.
Meine Damen und Herren! Wir haben — um ,dabei zu bleiben — ab 1971 ein neues Straßenbauprogramm vor. Die Mittel, die dafür zur Verfügung stehen, sind erheblich höher, als sie für die letzten Jahre vorgesehen waren. Es sind 27 Milliarden DM, die wir aus den 50 % ,des Mineralölsteueraufkommens errechnen.Gestatten Sie mir aber, daß ich in diesem Zusammenhang ein paar kritische Worte sage. Hier geht es nicht ,darum, voreinander zu glänzen, sondern darum, nüchtern, ohne Polemik, Pathetik und Rhetorik zu sehen, daß es hier Probleme gibt, denen wir nicht ausweichen können. Bei ,allem, was ich soeben hier aufgezeigt habe, bei allen Mitteln, die mir dieses Hohe Haus zur Verfügung stellt, können wir nicht übersehen, daß wir einer Entwicklung entgegengehen, die wir wahrscheinlich mit dem, was wir uns jetzt vornehmen, zu meistern nicht in der Lage sind.Der erste Punkt ist mehr prinzipieller Art. Wir haben im diesjährigen Haushaltsansatz für 1970, der hier zur Debatte steht, einen Schuldendienst vorgesehen, der um 150 Millionen DM höher ist als im vergangenen Jahr. Das hängt damit zusammen, daß wir in früheren Jahren, statt Haushaltsmittel einzusetzen, Kreditmittel aufgenommen haben, um ,den vollen Rahmen des Bauvolumens zu halten, Kreditmittel, die wir nun mit Mitteln für den Kapitaldienst abdecken müssen. Die kommen auch aus der 50 %-Quote.Ich muß ,deshalb sehr darum bitten, daß wir nicht im Rahmen irgendwelcher haushaltspolitischen Maßnahmen künftig der Versuchung verfallen, ordentliche Haushaltsmittel zu streichen und zu senken und dafür dem Straßenbau Kreditmittel zur Verfügung zu stellen. In dem Jahr, in dem das geschieht, paßt das genausogut wie das andere, aber in dem Jahr danach zahlen wir dann mit erhöhten Kreditbedienungskosten. Diese 150 Millionen DM, die wir in dem Jahre für Kapitalmarktmittel, die im vergangenen Jahr aufgenommen worden sind, mehr aufbringen müssen, kosten die Bundesrepublik Deutschland den Verzicht auf etwa 30 Kilometer Bundesautobahn. Das muß man wissen. Wenn das sehr in die Breite gehen würde, würden wir ,auf diese Weise plötzlich den kalten Tod des Straßenbaues erreichen.Wir haben in diesem Jahr für den Bundesfernstraßenbau rund 400 Millionen DM mehr zur Verfügung als im vergangenen Jahr. Damit muß jedem Gerede um eine Krise des Straßenbaues ein Ende gemacht sein. Aber wir wissen auch, daß es aus zwei Gründen nicht möglich ist, überall mit dem gleichen Bauvolumen zu rechnen, wie wir es vielleicht hätten erwarten können, wenn die vollen Mittel ungesperrt zur Verfügung gestanden hätten.Das tun sie ja nach wie vor nicht. Es bleiben ja 340 t Millionen weniger zur Verfügung, als eigentlich nach der 50%-Rechnung vom Mineralölsteueraufkommen zur Verfügung stehen müßten.Es gibt noch zwei wichtige Anlässe, warum das nicht überall der Fall ist. Erstens haben wir es mit Preissteigerungen zu tun. Man bekommt heute für 1 Million DM nicht mehr die gleiche Länge Autobahn wie noch vor zwei Jahren. Deshalb verringert sich, auch wenn die Mittel beschränkt steigen, die Möglichkeit, das gleiche Bauvolumen zu erreichen.Zweitens müssen wir uns endlich davon lösen, daß wir die Mittel, die der Bund zur Verfügung stellt, regional nach irgendwelchen Daten auf Länder umquoten und uns nicht an großen konstruktiven Maßnahmen orientieren. In Hessen und in Baden-Württemberg und in einigen anderen Gebieten kann in diesem Jahr nicht genausoviel gebaut werden wie beispielsweise in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz, weil wir die Sauerlandlinie endlich fertigstellen müssen, um eine zweite Autobahn vom Ruhrgebiet bis Frankfurt zu haben.
Da muß man ein bißchen zugeben. Und wir müssen die Autobahn vom Ruhrgebiet nach Kassel fertigstellen, um eine West-Ost-Tangente zur Verfügung zu haben: Da muß man woanders etwas aufgeben.
Ferner müssen wir die Autobahn von Ludwigshafen bis Bingen bauen, damit wir im nächsten Jahr die alte Autobahn von Frankfurt nach Mannheim neu bauen können.
Wenn man aber dafür verstärkte Mittel zur Verfügung stellt, dann kann man nicht aus anderen Landschaften Drohbriefe schreiben, weil dort nicht in dem gleichen Maße mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden, als es hier der Fall ist.Olympia findet 1972 statt. Man kann nicht deswegen nach München schielen und sagen: Weil dort zusätzliche Gelder ausgegeben werden, müssen sie auch bei uns — in irgendeiner anderen Landschaft — zur Verfügung stehen. Wer das tut, verspricht den Leuten etwas, was er nicht halten kann.
Ich gehöre nicht dazu. Ich möchte in diesem Hause bitten, daß auch ein bißchen Verständnis dafür herrscht. Wenn man das global sagt, gibt einem natürlich jeder recht. Aber dann kommen die Briefe: „Meine Straßenkreuzung muß aber gebaut werden." Meine Damen und Herren, da gibt es Prioritäten, an die wir uns halten müssen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vehar?
Herr Bundesminister, nachdem Sie die so wichtige Sauerlandlinie erwähnt haben, darf ich Sie fragen: was werden Sie tun, um
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Vehar
durchzusetzen, daß die verhängte Sperre aufgehoben wird, die es verhindert, daß wenige Kilometer erstellt werden, die notwendig sind, um diese 100 km Autobahn dem Verkehr übergeben zu können?
Ich habe im vergangenen Jahr gegen die Ansichten vieler Leute und trotz vieler Bedenken verlangt, daß mir die Fertigstellung der Sauerlandlinie 14 Tage vor Ferienbeginn 1971 gemeldet wird. Die Gelder, die dazu notwendig sind, werden von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt. Ich bin allerdings, da es um Tage geht, jetzt nicht mehr ganz sicher, ob sich dieses Ziel nach einem Winter, der mindestens zwei Monate länger gedauert hat als der vergangene, noch erreichen läßt. Ich weiß, es wird alles getan, was möglich ist. Die Leute arbeiten in zwei und drei Schichten, zum Teil unter ganz schwierigen und widrigen Witterungsbedingungen. Da können wir nur das denkbar Mögliche möglich machen. Alle Voraussetzungen sind im übrigen von unserer Seite aus geschaffen. Ich hoffe, daß es gelingt.Meine Damen und Herren, ich wollte dieses Thema Straßenbaufinanzierung bei aller Dankbarkeit für die Mittel, die wir zur Verfügung haben, hier doch noch einmal erwähnen, weil ich glaube, daß wir darüber nachdenken müssen, wie wir genügend Mittel bekommen, um die auf uns zukommenden Aufgaben zu erfüllen. Ich darf hier einen Vergleich ziehen. Unser Land ist nicht zu Unrecht stolz darauf, daß wir in bezug auf den Straßenbau an der Spitze der Länder der Welt gelegen haben.
— Ich sage das ja. Das steht in den Protokollen. Aber, meine Damen und Herren, wir dürfen nicht darauf ausruhen. So gut, wie es bessere Fotoapparate als manche deutschen gibt, weil wir geschlafen haben, so sehr überholen uns andere Länder auf dem Gebiet des Straßenbaus. Italien baut in diesem Jahr 800 km fertige Autobahn. Bei uns werden es, wenn es gut geht und das Wetter günstig bleibt, höchstens 250 km werden. Frankreich ist dabei, unter dem Druck einer von der Zielprojektion her verfehlten Verkehrspolitik — weil die Eisenbahn zuviel Mittel verschlungen hat, sind die Straßenbaumittel zusammengeschmolzen —, neue Finanzierungsmodelle zu entwickeln. Wenn die Franzosen wie die Italiener neue Finanzierungsmodelle entwickeln, werden sie uns mit Sicherheit überholen, wenn wir bei unserem Finanzierungsmodell bleiben. Das wäre ein unerträglicher Zustand. Wir haben im Jahre 1967 — jetzt ist es noch schlimmer geworden — auf 1 km Kraftfahrstraße 408 000 Kraftfahrzeuge gehabt; in Frankreich waren es nur 105 000. Wir sind ein Transitland mit einem viel dichteren Verkehr. Das ist für unsere Wirtschaft und unsere Bevölkerung eine Existenz- und Wettbewerbsfrage ersten Ranges. Deshalb, kündige ich hier an, wird die Bundesregierung den Versuchmachen, noch im Laufe dieses Jahres dem Hohen Hause Vorschläge zu unterbreiten, wie die Finanzierungsvoraussetzungen auf eine neue Grundlage gestellt werden können und wie die Finanzierung für die Bewältigung dieser großen Gemeinschaftsaufgabe verbessert werden kann.Meine Damen und Herren, dies gilt nicht nur für den Straßenbau. Ich muß das Hohe Haus auf ein Problem aufmerksam machen und bitten, dies nicht aus den Augen zu verlieren, weil ich weiß, wie gefährlich das wäre. Wenn ich hier begründen müßte, warum ich das sage, würde ich mir überlegen, ob ich das täte. Kein Verkehrsminister kann gegenwärtig gut schlafen, wenn er weiß, was auf dem Gebiete der Flugsicherung in der Bundesrepublik Deutschland und zum Teil in Europa vorhanden ist.
Wir dürfen uns nicht davor scheuen, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit wir uns nicht eines Tages sagen müssen, wir hätten etwas verschuldet. Sie wissen, welche Neuralgie und welche prekäre Problematik hinter diesem ganzen Sachverhalt steht. Ich bitte Sie, mir nachzusehen, wenn ich das hier nicht begründe und im einzelnen vertiefe. Jedenfalls kann ich nicht ruhig schlafen, wenn ich an das alles denke. Ich möchte Sie herzlich bitten, nicht kleinlich zu sein, wenn es darum geht, Vorsorge zu treffen, damit wir nicht eines Tages in schwierige Bedrängnis geraten.
Es ist von der Unfallursachenforschung gesprochen worden. Ich bin dankbar dafür, daß hierfür Mittel zur Verfügung gestellt worden sind. Wir müssen mit allen Mitteln und Möglichkeiten dafür kämpfen, daß die schreckliche Todeskurve sinkt. Wir sind froh darüber, daß es zum erstenmal gelungen ist, der tödlichen Unfallkurve den Kamm zu brechen und sie nicht in dem Maße mitsteigen zu lassen, in dem die Zahl der Kraftfahrzeuge zu- nimmt. Ich bin dankbar dafür, daß Mittel für die Unfallursachenforschung zur Verfügung gestellt werden, aber, meine Damen und Herren, das ist kein Freibrief und keine Ersatzmaßnahmen für mangelnden politischen Mut, dort, wo man die Ursachen kennt, einzugreifen.Ich kenne zwei Unfallursachen, die unstreitig sind. Ich will sie im Deutschen Bundestag nur noch einmal nennen. 30 °/o aller tödlichen Verkehrsunfälle — das sind 12 bis 15 Verkehrstote an jedem Tag — werden durch eine übertriebene Dosis Alkohol am Steuer verursacht. Das ist gerichtlich nachgewiesen. Wir unterscheiden uns da von anderen Ländern in Europa. Die Franzosen bringen ein Alkoholgesetz ein, die Schweizer haben es, die Österreicher haben es, in Schweden wird es mit viel Erfolg angewandt, in England ist es da. Diese Gesetze drücken die Unfallzahlen herunter. Wir haben eine solche Lösung im vergangenen Jahr abgelehnt, meine Damen und Herren. Ich bringe keinen neuen Gesetzentwurf ein, solange ich keine Chance sehe, daß der Deutsche Bundestag ein Gesetz beschließt, weil ich mir meinen Kopf nicht an einer Mauer einrennen
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Bundesminister Leberwill. Aber, meine Damen und Herren, hier liegt eine Unfallursache, und es ist erwiesen, auch wenn noch so viel Gelder durch die Pressure groups eingesetzt werden, daß man dann, wenn man den Mut hat, hier Alkohol und Autofahren voneinander zu trennen, eine wichtige Unfallursache beseitigen kann. Das bringt man mit einer Ursachenforschung auf anderen Gebieten nicht zuwege.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Bundesminister, Sie sagten, Sie brächten das Gesetz nicht eher ein, als bis Sie eine Mehrheit haben. Hat denn Ihre Regierungskoalition hier in diesem Hause keine Mehrheit?
Die Regierungskoalition hat in diesem Hause eine sehr beachtliche Mehrheit.
Herr Kollege Lemmrich, das haben Sie doch gestern und vorgestern und all die Tage hier immer wieder erlebt. Sie haben das doch ständig ausgelotet. Nur, dies ist keine Frage für eine Regierungskoalition, sondern dies ist eine Frage für das Parlament im ganzen, quer durch alle Parteien, die Frage, ob es den Willen aufbringt, einen unpopulären Schnitt zu tun und damit täglich 12 bis 15 Menschen das Leben zu erhalten, meine Damen und Herren!
Ich wollte das als Merkposten eingebracht haben. Er kostet uns nichts, sondern nur, wenn wir es täten, die Lobby wahrscheinlich einige Millionen für Propaganda. Aber davon sollte ein solches Haus ja frei sein.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Rawe?
Gestatten Sie, daß ich Sie schnell noch an etwas erinnere. Sie haben vorhin von der Flugsicherung gesprochen. Sie hatten uns schon im vergangenen Jahr angekündigt, Sie wollten uns endlich ein Gutachten und den für den Ausbau notwendigen Plan vorlegen. Seien Sie bitte so nett und gehen Sie auf die Frage ein, wann wir endlich dieses Gutachten und den Plan erwarten dürfen.
Wir sind dabei, Herr Kollege Rawe. Das sind Arbeiten, die etwas langwieriger sind, als wir sie uns vorgestellt hatten. Ich
hoffe aber, daß wir sie dem Deutschen Bundestag in Kürze vorlegen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe vorhin eine Bemerkung gemacht, die offensichtlich etwas Unwillen hervorgerufen hat. Ich will von dieser Stelle aus bestätigen, daß Bundesverkehrsminister Leber, gerade was den Ausbau des Straßennetzes anbetrifft, große Energie verwendet hat, um das zu tun, was möglich ist.
Wogegen ich mich aber wende, ist, wenn von ihm oder von anderer Seite so getan wird, als hätte mit Minister Leber erst der Straßenbau in der Bundesrepublik begonnen.
Hier muß einfach um der Objektivität und der Wahrheit willen festgehalten werden, daß schon unter Bundesverkehrsminister Seebohm, dem Vorgänger von Herrn Leber, und in der Zeit, in der wir die Verantwortung für die Verkehrspolitik trugen, die gesetzlichen Maßnahmen ergriffen wurden, auf denen Herr Minister Leber heute seine Tätigkeit fortsetzen kann.
Alle gesetzlichen Grundlagen, meine Damen und Herren, auf denen heute dieser großartige Straßenbau bewältigt werden kann, der sicherlich in der Welt seinesgleichen suchen kann,
fußen auf Unterlagen, die von unserer Regierungszeit her und von Bundesverkehrsminister Seebohm im Parlament durchgesetzt worden sind.Wenn der Herr Bundesverkehrsminister uns versichert, daß er neue und weitere Anstrengungen unternehmen will, so kann er davon ausgehen, daß auf diesem Gebiet eine Gemeinschaftsaufgabe in doppelter Hinsicht besteht, eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden, aber auch eine Gemeinschaftsaufgabe in diesem Parlament. Er kann sicher sein, daß die Opposition die Regierung unterstützen wird bei allem, was notwendig undvernünftig ist.
Ich will aber noch eine Anmerkung hinzufügen: wir sollten uns unter keinen Umständen darauf beschränken, nur den Ausbau 'des Fernstraßennetzes zu sehen. Ein neuer Schwerpunkt muß gebildet werden hei der Bewältigung der innerstädtischen Verkehrsprobleme. Ich hoffe nur, daß, nachdem auch hier von unserer Fraktion eine erste Initiative er- griffen worden ist, die Koalition und die Regierung ihrerseits die nötigen Initiativen ergreifen, damit
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Dr. Müller-Hermannwir auch bei der Bewältigung ,der Engpaßbeseitigung im innerstädtischen Bereich die Fortschritte erzielen können, die im Interesse des Verkehrswesens und aller Verkehrsteilnehmer dringend notwendig sind.
Das Wort hat Herr Kollege Haar .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte, anknüpfend an die Feststellungen von Herrn Müller-Hermann, zunächst einige Bemerkungen zu dem machen, was im Rückblick auf die verkehrspolitische Entwicklung und die Situation der Verkehrsträger von 1949 bis 1966 zu sagen ist. Herr Müller-Hermann, wenn Sie objektiv sind, werden Sie feststellen, daß die Ausgangssituation für die Erarbeitung des neuen Programms der Bundesregierung, des heutigen Leber-Plans, ruinöse Wettbewerbsbedingungen gewesen sind, eine Situation, die den größten Verkehrsträger, die Deutsche Bundesbahn, in jenen Jahren in ein Milliardendefizit hineingeführt hat, das — und zwar vom ganzen Parlament — fast nicht mehr zu verantworten gewesen ist.
Eine zweite Feststellung. Niemand hat hier, seit wir in diesem Lande um neue Lösungen in der Verkehrspolitik ringen, behauptet, daß es nicht auch in den ersten 16 Jahren Bemühungen um den Straßenbau gegeben hätte. Wir konnten uns aber erst in den letzten Jahren politisch auf Maßnahmen in der Verkehrspolitik einigen, die alle Verkehrsträger in einen gesunden, fairen Wettbewerb bringen. Diesen Maßnahmen haben auch Sie zugestimmt, wenn Sie in {den letzten drei Jahren auch dann und wann den Vorwurf erhoben haben, wir würden den Versuch machen, durch staatliche Eingriffe die Liberalität im Verkehr zu beseitigen. Sie wissen alle, daß uns daran liegt, durch Maßnahmen, die .in der Großen Koalition gemeinsam beschlossen worden sind, wieder zur Liberalität und zur Gesundung aller Verkehrsträger in ,diesem Lande zu kommen.
Ich will noch eine letzte Feststellung treffen, die die Situation unserer Gemeinden angeht. Meine Damen und Herren, versuchen Sie doch nicht, die Situation heute so darzustellen, als ob ,die CDU/ CSU nicht einen ganz wesentlichen Anteil daran hätte, daß unsere Gemeinden und Städte in den ersten 16 Jahren, in denen Sie für die Politik verantwortlich waren, überall in diesem Lande an die oberste Grenze der Verschuldung, die noch zulässig ist, gekommen sind.
Erst auf Grund unserer 'gemeinsamen Entscheidungen ist es möglich gewesen, auch 'die Nahverkehrssituation unserer Gemeinden zu verbessern. Sie dürfen sicher sein, daß im Rahmen unserer Möglichkeiten auch diese Fragen unter diesem Verkehrsminister, unter dieser Regierung mit diesem Finanzminister und mit unseren Initiativen einer Lösung zugeführt werden.
Meine Damen und Herren, zur Aussprache liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Es sind drei Änderungsanträge gestellt, und zwar auf den Umdrucken 27 *), 31 **) und 55 ***) . Der Antrag Umdruck 55 lief fälschlicherweise unter dem Namen der Koalition; der berichtigte Umdruck 55 (neu) stellt nunmehr die alleinige Urheberschaft der Fraktion der CDU/CSU sicher.
Zur Begründung des Antrags Umdruck 27 hat der Herr Abgeordnete Kulawig das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich begründe den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen auf Umdruck 27.
— Wir werden noch einiges dazu zu sagen haben, Herr Kollege.
— Ich möchte gleich davor warnen, mit Wahlkampfsteinen zu werfen.Ich hätte mir sicher das Lob der Frau Präsidentin zugezogen, wenn ich mich darauf beschränkt hätte, darauf hinzuweisen, daß nun alle Fraktionen des Hohen Hauses der Auffassung sind, daß die 10 Millionen DM für die beiden Saardurchstiche in Saarbrücken und in Saarlouis im Einzelplan 12 ausgewiesen werden sollen.
— Ich habe soeben schon gesagt, daß ich Ihnen die Fragen alle beantworten werde, bevor Sie sie ge- stellt haben. Lassen Sie mich nur erst einmal meine Darlegungen machen.
Seit der Debatte über den Strukturbericht der Bundesregierung am 26. Mai dieses Jahres ist der Versuch einer Legendenbildung feststellbar, dem Hause hier signalisiert durch den bemerkenswerten Beitrag, den der Kollege von Thadden aus jenem Anlaß geleistet hat. Ich konnte leider nicht dabeisein, weil wir zu der Zeit im Haushaltsausschuß saßen. Darum mußte ich es nachlesen. Es ist leicht erkennbar, daß der Kollege von Thadden einen fundierten, einen sachlicheren — ich würde auch sagen: einen besseren — Diskussionsbeitrag geleistet hätte, wenn er sich mit der Diskussion auf haushaltsmäßiger Ebene ein bißchen befaßt hätte. Offenbar soll doch —man kann das nachlesen; ich habe es hier und bin auch gern bereit, es Ihnen vorzulesen, wenn Sie Wert darauf legen — der Versuch gemacht werden, aus Anlaß des Landtagswahlkampfes im Saarland —*) Siehe Anlage 2 **) Siehe Anlage 3 ***) Siehe Anlage 4
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970 3125
KulawigHerr Kollege Althammer, da stimme ich durchaus zu —, so zu tun, als wäre die CDU die Befürworterin des Baus eines Kanals im Saarland und die SPD und die Regierungskoalition dagegen. Eine unseriösere und unsauberere Argumentation ist überhaupt nicht vorstellbar.Wir haben die Kanaldiskussion seit Jahren hier im Hause geführt. Ich möchte deshalb, einfach der Wahrheit halber, zunächst in Erinnerung rufen, daß zwar das Saarland durch seine Regierung seit Jahren den Bau einer Wasserstraße fordert, daß es ihm aber zu jener Zeit, als an der Spitze der zuständigen Ressorts CDU- und CSU-Minister saßen, nicht gelungen ist, diese Forderung hier in Bonn durchzusetzen.Nun zur parlamentarischen Erörterung dieser Angelegenheit. Ich habe mich in den zurückliegenden Jahren, wenn die Erörterung dieser Frage anstand, damit befaßt. Die Kollegen, denen die Angelegenheit wichtig genug schien, sich damit zu beschäftigen, werden genauso gut wie ich in Erinnerung haben, daß es hier quer durch alle Fraktionen immer eine sehr starke Front gegen den Bau einer Wasserstraße im Saarland gegeben hat, daß es oft recht mühselig war, im Bereich der Fraktionen, gegen- über dem Haushaltsausschuß, gegenüber dem Verkehrsausschuß und auch gegenüber früheren Bundesregierungen, hier eine günstige Entscheidung zum Bau einer Wasserstraße im Saarland zu erlangen.Die Situation hat sich in der Zwischenzeit ver- ändert, nachdem im Februar 1969 ein Beschluß der damaligen Bundesregierung erfolgt ist, der besagt: Das Saarland erhält einen Wasserstraßenanschluß.
— Sie sagen, unter Kiesinger; ich würde sagen, unter Leber, unter Schiller. Denn die Ressortminister, die sich besonders
— Ich habe nicht gesagt „ohne". Sie sagen „unter Kiesinger". Wer in diesem Zusammenhang „Kiesinger" sagt, muß auch „Leber" sagen, würde ich meinen. Was wollen Sie damit eigentlich zum Ausdruck bringen? Daß Kiesinger den Saar-Pfalz-Kanal baute? Nun, der Beschluß
der damaligen Großen Koalition ist eine Gemeinschaftsleistung.Sie wissen, daß der Finanzminister es seinerzeit versäumt hatte, im Bundeshaushalt 1969 entsprechende Mittel für die finanzielle Quantifizierung, für die Etatisierung dieses Regierungsbeschlusses vorzusehen, und daß wir es dann anläßlich der Haushaltsplanberatungen hier im Hause erreichten, daß dann eine überplanmäßige Ausgabe vorgesehen wurde, die den Beginn des Bauabschnitts Saarbrücken-Dillingen in Saarbrücken mit dem Bau des Saardurchstichs ermöglichte.Die Frage, die hier eigentlich zur Diskussion steht, um die herum aber politischer Zündstoff angehäuft wird, ist die, warum die Mittel im Einzelplan 60 ausgebracht worden sind. Ich habe gesagt — ich bitte, diesen Gedankengang weiter mit zu verfolgen —: gleichzeitig wird der Versuch unternommen, die Kanalfreundlichkeit der CDU zu behaupten und die Kanalgegnerschaft der heutigen Bundesregierung und der beiden Regierungsparteien hier im Hause. Das ist eine Legendenbildung, der man entgegentreten muß.Nun zum Einzelplan 60. Die Mittel für den Beginn der Maßnahme — Saardurchstich in Saarbrücken — sind im vergangenen Jahr im Einzelplan 60 — „Allgemeine Finanzverwaltung" — ausgewiesen worden, weil der Bundesfinanzminister es versäumt hatte, für einen Titel im Verkehrshaushalt, überhaupt im Bundeshaushalt 1970, einzutreten. Erst durch die Aktion hier im Parlament wurde die überplanmäßige Ausgabe ausgelöst. Der Haushaltsausschuß hat die Ausbringung im Einzelplan 60 damals vorgenommen, weil er die Mittel des Bundesverkehrsministers, dessen Haushalt abgeschlossen war, nicht belasten wollte und weil die Mittel über den Einzelplan 60 — Allgemeine Finanzverwaltung — zusätzlich ausgegeben werden konnten.Ich nehme an, daß die Bundesregierung aus dem gleichen Grunde — nachdem der Saardurchstich in Saarbrücken und in St. Arnual fortgeführt werden sollte — die Mittelaufstockung ebenfalls im Einzelplan 60 vorgesehen hat. Sie hatte zusätzlich Planungskosten für die Erstellung einer Kosten-NutzenUntersuchung im Einzelplan 60 vorgesehen. Wir haben im Haushaltsausschuß in der Zwischenzeit, während sich Herr von Thadden hier ereiferte, die erste Rate für die Planungskosten bzw. die Erstellung einer Kosten-Nutzen-Untersuchung auf den Einzelplan 12 übertragen.Die Frage, die sich hier stellt, lautet: Kann behauptet, kann unterstellt werden, daß, wenn die Mittel nicht im Einzelplan 12 des Bundesministers für Verkehr ausgebracht wären, irgendeine Maßnahme unterbleiben würde, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt möglich ist?Was das Vorantreiben der Kanalisierung der Saar von Saarbrücken bis Dillingen betrifft, so macht da weder die Ausweisung im Einzelplan 60 noch die Ausweisung im Einzelplan 12 irgendeine Schwierigkeit. Wenn die Koalitionsfraktionen jetzt hier den Antrag eingebracht haben, die Mittel aus dem Einzelplan 60 in den Einzelplan 12 zu übertragen, dann taten sie das aus der Situation, wie sie durch bestimmte Äußerungen, Bemerkungen und Unterstellungen insbesondere in der saarländischen Öffentlichkeit und in der letzten Woche hier im Plenum entstanden ist.Die Bundestagsfraktion der SPD will damit nämlich unterstreichen, daß die von verschiedenen Seiten geäußerten Befürchtungen unbegründet sind, wonach die Ausbringung der Mittel für die beiden Saardurchstiche im Einzelplan 60 dem Willen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen SPD und FDP, den Wasserstraßenanschluß im Saarland
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Kulawig) zu bauen, nicht genügend Nachdruck verleiht. Dies ist die Unterstellung, und ich glaube, sie ist durch die Übertragung aus dem Einzelplan 60 in den Einzelplan 12 ausgeräumt.Der Kollege Leicht könnte die Frage stellen, warum diesem Antrag nicht schon im Haushaltsausschuß zugestimmt worden ist. Ich habe das eigentlich dargelegt. Die Koalitionsfraktionen glaubten den Entwurf der Regierung verteidigen zu können, weil keine der beiden Maßnahmen dadurch in ihrem Ablauf beeinträchtigt werden würde und selbst die Kosten-Nutzen-Untersuchung auch aus dem Einzelplan 60 hätte finanziert werden können. Sicher ist, daß nach Vorliegen der Kostennutzenuntersuchung — wenn die Entscheidung der Bundesregierung fällt, welche Art von Wasserstraßenanschluß gebaut wird — die Mittel im Einzelplan 12 des Bundesministers für Verkehr ausgewiesen werden müßten. Wir tun das heute schon und haben damit mögliche Bedenken, mögliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Erklärung der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen hoffentlich endgültig beseitigt.Ich möchte das Haus darüber unterrichten, daß Bundeskanzler Willy Brandt und Verkehrsminister Georg Leber bei jeder Gelegenheit, bei der diese Frage erörtert worden ist, erklärt haben: Die heutige Bundesregierung steht zu dem Beschluß der Bundesregierung des Jahres 1969. Es wird ein Wasserstraßenanschluß für das Saarland gebaut. Das haben der Bundesminister für Verkehr und sein Staatssekretär auch vor dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages erklärt. Die Unterstellung, die Ausweisung der Mittel im Einzelplan 60, die einfach aus der Natur der Entwicklung heraus im Jahre 1969 geschehen ist, beweise nicht mit genügender Deutlichkeit die Ernsthaftigkeit des Willens der Bundesregierung, kann damit wohl als erledigt gelten und sollte zurückgewiesen werden.Herr von Thadden hat — und dazu möchte ich noch eine Bemerkung machen, wenn Sie gestatten — in der Erörterung des Strukturberichts der Bundesregierung die Frage aufgeworfen, warum eine Kosten-Nutzen-Untersuchung notwendig sei. Ich will das wörtlich zitieren. Er hat gesagt:Ist es nicht so, daß, während man jetzt landauf, landab drei Wochen vor der Wahl verkündet, man werde das Äußerste dafür tun, daß dieser Wasserstraßenanschluß bald gebaut werde, zur gleichen Zeit im Haushaltsausschuß davon die Rede war, man wolle erst einmal eine Kosten-Nutzen-Rechnung abwarten?Diese Kosten-Nutzen-Untersuchung ist auf Grund einer Bestimmung der Bundehaushaltsordnung notwendig, die am 1. Januar 1970 in Kraft getreten ist. Sie ist ferner notwendig, weil es sich um ein Milliarden-Projekt handelt und das Parlament sicherlich beanspruchen kann, daß ihm der volkswirtschaftliche, der verkehrswirtschaftliche Nutzen einer solchen Milliarden-Investition ausreichend klar dargelegt wird, und weil eben eine solche KostenNutzen-Untersuchung als Entscheidungsgrundlage für die in Angriffnahme der Gesamtbaumaßnahme„Wasserstraßenanschluß für das Saarland" sicherlich ihren Sinn und ihren Nutzen hat.Ich möchte Sie bitten, dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zuzustimmen, um damit der Übertragung der Mittel aus dem Einzelplan 60 in in Einzelplan 12 den Weg zu öffnen. Ich bin sicher, daß damit auch bei Ihnen alle Zweifel ausgeräumt sind, daß diese Bundesregierung und die Koalition etwa nicht bereit sein sollten, einen Wasserstraßenanschluß im Saarland zu bauen. Nur beginnt diese Entscheidung nicht hier und heute; sie ist bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt in Gang gesetzt worden.
Das Wort zur Begründung des Antrags auf Umdruck 31 hat Herr Abgeordneter von Thadden.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben eben ein schönes Beispiel tätiger Reue des Kollegen Kulawig miterleben können,
und die öffentliche Meinung stellt ja bekanntlich die tätige Reue unter einen gewissen moralischen Schutz. Nur geht dieser Schutz natürlich nicht so weit, Herr Kulawig, daß das, was von anderen politisch erfunden worden ist und unter dem Patentschutz der anderen Seite steht, durch bloße Nachahmung, durch Hinterherhinken dem anderen dann zugeschlagen werden darf. Wir haben das bei der Frage, über die wir uns heute hier zu unterhalten haben, ja schon einige Male erlebt. Da haben wir beispielsweise vor etwa einer Stunde erlebt, daß der Kollege Haehser hier heraufkam und sich und natürlich auch seine Fraktion als die besonderen Schutzpatrone des Saarlandes anempfahl. Ich muß allerdings sagen: ich erinnere mich mit vielen anderen daran, daß es gerade der Kollege Haehser war, der vor nicht allzu langer Zeit, so daß das nicht schon völlig vergessen sein kann, den Antrag stellte, den Leertitel zum Saar-Pfalz-Kanal, der immerhin schon einmal in einem früheren Haushalt gestanden hatte, zu streichen. Dafür ist man ihm im Saarland nicht unbedingt dankbar.
— Sie wollen etwas fragen? — Bitte!
Herr Kollege von Thadden, können Sie sich vorstellen, daß es bei mir bei der Ablehnung des Leertitels darum gegangen sein könnte, statt leerer Versprechungen wirklich Taten für die Saar herbeizuführen?
Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß es Ihnen darum gegangen ist. Allerdings bedarf es dazu der Beschlüsse in diesem Haus. Und da wir gerade bei den Tatsachen sind: Ist es nicht auch Tatsache, daß in den vergangenen Ausführungen überhaupt nicht erwähnt worden ist,
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970 3127
von Thaddenwas die saarländische Landesregierung in den vergangenen Jahren getan hat, damit wir überhaupt so weit kommen konnten, diese beiden Anträge auf den Umdrucken 27 und 31 heute vor uns auf dem Tisch liegen zu haben?Dabei darf ich darauf hinweisen, daß gerade diejenige Partei, die hier mit Hilfe der FDP die Mehrheit stellt und die in Saarbrücken in der Oppositon steht, im saarländischen Landtag dem Haushalt des Saarlandes zugestimmt hat. Nach allem, was wir gestern an Debatten über den Sinn der Zustimmung der Opposition zu einem Haushalt erlebt haben, kann ich doch nur sagen: damit hat die SPD-Landtagsfraktion in Saarbrücken zu erkennen gegeben, daß die Vorstellungen, wie aus dem Saarland ein Mittelpunkt des europäischen Wirtschaftsraumes gemacht werden soll, von der CDU-Regierung mit Hilfe — ich will auch den Koalitionspartner nicht vergessen — der FDP in Saarbrücken so entwickelt worden sind, daß die SPD selber keine Alternative hat und dazu nur ein schlichtes J a sagen kann. Auch das muß hier heute gesagt werden.
Herr Kollege von Thadden, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön!
Herr von Thadden, Sie haben mehrfach behauptet, die saarländische Landesregierung unternehme besonders viel im Zusammenhang mit dem Kanalbau. Darf ich Sie bitten, diese Behauptung zu konkretisieren. Könnten Sie nicht vielleicht auch zu dem Ergebnis kommen, daß gerade die Landesregierung, wie bei anderen Fragen auch, sehr geschlafen hat?
Herr Kollege Slotta, ich freue mich, Ihre Stimme hier auch einmal zu hören.
Darf ich Sie an das erinnern, was Ihr eigener Wirtschaftsminister, Minister Schiller, vor einem Jahr bei der Debatte am 18. Juni über die Aktivität der Landesregierung in Saarbrücken gesagt hat. Er hat gesagt — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:
Wenn es in der Resolution des Wirtschafts- und Strukturbeirates beim Ministerpräsidenten des Saarlandes heißt, daß der Beirat hofft, daß diese Kosten-Nutzen-Analyse es der Bundesregierung und insbesondere dem Bundestag ermöglicht, noch in dieser Legislaturperiode
— d. h. 1969 —
eine klare und eindeutige Entscheidung zu fällen, so kann ich, meine Damen und Herren, diese Feststellung nur unterstreichen.
Das heißt, der Bundeswirtschaftsminister stand auf
dem Standpunkt — ich hoffe, er steht noch auf dem
Standpunkt —, daß das Material, das von der Landesregierung der Bundesregierung vorgelegt worden ist, so ausreichend ist, dali man, so fahre ich jetzt fort, beim besten Willen nicht mehr verstehen kann, warum Ihre Parteifreunde, Kollege Slotta, dann im Haushaltsausschuß ein solch hinhaltendes Gefecht geführt haben, his dann schließlich, ich meine, nicht zuletzt auch auf Rat von manchen Freunden aus Saarbrücken, vor allem aus der FDP, sich eine bessere Einsicht durchgesetzt hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Althammer? —
Herr Kollege von Thadden, nachdem diese Frage hier gestellt worden ist: Wären Sie in der Lage, dem Fragesteller auch zu erklären, daß wir bei der Behandlung dieses Punktes im Haushaltsausschuß den einmaligen Vorgang hatten, daß ein Minister, und zwar der zuständige Minister aus dem Saarland, an der Aussprache teilgenommen und damit sein deutliches Interesse bekundet hat?
Ja, ich will das gerne tun. Ich nehme an, daß Kollege Slotta das gehört hat. — Herr Kollege Slotta, Sie wollten noch eine Frage stellen?
Eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Slotta.
Herr Kollege von Thadden, ich will Ihnen gerne die Gelegenheit gehen, meine Stimme noch einmal zu hören.
Herr Kollege von Thadden, das Gespräch mit Herrn Minister Becker hat vor ein oder zwei Wochen stattgefunden. Ich habe Sie nicht nach den Aktivitäten des Bundeswirtschaftsministers gefragt, denn die sind allesamt bekannt, sondern ich habe Sie gefragt, seit wann und welche Aktivitäten die saarländische Landesregierung in der Vergangenheit unternommen hat, um zu drängen, daß dieser Kanal nun tatsächlich gebaut wird.
Herr Kollege Slotta, ich weiß, Sie waren damals sowenig wie ich im Bundestag. Erinnern Sie sich nicht daran, daß Ihr Vorgänger der von mir geschützte SPD-Kollege Baltes,das Strukturprogramm der Landesregierung Röder als — jetzt zitiere ich wörtlich — „hervorragende Entscheidungshilfe" bewertet hat? Glauben Sie, daß dieses Strukturprogramm der Landesregierung so mit der linken Hand gemacht worden ist? Hat nicht dahinter eine sehr gründliche Vorbereitung gestanden? Erinnern Sie sich nicht daran, daß an der Saar jahrelang bereits ein Ausschuß bestanden hat, der in der Frage des Wasseranschlusses an der Saar und der Strukturhilfen für die Saar immer wieder gedrängt hat? Gibt es überhaupt, Herr Kollege, eine härtere Form des Einsatzes einer Landesregierung
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3128 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970
von Thaddenals die des Ministerpräsidenten Dr. Röder, der hier in Bonn mitteilen ließ, er sei bereit, die Konsequenzen zu ziehen und mit dem Kabinett zurückzutreten, wenn die Saar noch länger warten müsse? Diese mutige und, wie ich meine, nicht nach Popularität schielende Haltung war doch wohl ein Akt, den man nicht übersehen soll.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Apel?
Herr Kollege von Thadden, halten Sie es wirklich für angebracht, in der zweiten Lesung des Bundeshaushalts eine relativ primitive Wahlrede zu halten, die Sie zu Hause halten sollten?
Herr Kollege Apel, Sie erwarten doch nicht von einem Mitglied dieses Hauses, wenn es immer und immer wieder in der Vorrede zitiert worden ist, daß es dann sitzen bleibt und durch sein Schweigen den Eindruck erweckt, als hätte es darauf nichts zu antworten.
Ich komme zum Schluß und präzisiere die Haltung meiner Fraktion bezüglich der beiden Anträge, die — das wollen wir gerne zugeben — in der Sache im wesentlichen identisch sind:
Erstens. Wir sind der Überzeugung, es sollte jetzt ohne Verzögerung im Sinne des Zitats von Wirtschaftsminister Schiller an die Frage herangegangen werden: keine Versprechungen mehr, keine verbale Saardebatte mehr, sondern anfangen mit der Herstellung eines Wasseranschlusses für die Saar.
Zweitens. Die CDU wird jede Maßnahme unterstützen — darum haben wir diesen Antrag mit dem Recht der Erstgeburt eingebracht —, die dazu dient, das Saarland zu einem glaubwürdigen Mittelpunkt des EWG-Raumes zu machen.
Drittens. Wir sind uns einig, wir wollen nicht bloß ein Teilstück bauen, sondern wir wollen den glaubwürdigen und tatsächlichen vollen Anschluß des Saarlandes an die nationalen und internationalen Wasserverbindungen.
Schließlich: meine Fraktion wird notfalls mit einer neuen Initiative auf dieses Hohe Haus zukommen, wenn auch die heutigen Ausführungen und die Annahme der Anträge, die ich für gesichert halte, nicht dazu führen sollten, daß man an der Saar das Gefühl bekommt, es werden Nägel mit Köpfen gemacht. Unser Antrag hilft Ihnen, Nägel mit Köpfen zu machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Frau Präsidentin! Meine sehr ge- ehrten Damen und Herren! Nachdem in den letzten Minuten dieses Plenum offensichtlich dazu benutzt wurde, einen Wahlkampf an der Saar hier zu inszenieren,
möchte ich den Ausführungen .des Kollegen von Thadden einige wenige Worte für die Freien Demokrate anfügen. Ich darf 'daran erinnern, meine Damen und Herren Kollegen, daß wir Freien Demokraten die Wiederaufnahme dieses Leertitels gefordert — ich selbst habe diese Forderung in der letzten Legislaturperiode in der 'Beratung vorgetragen — und daß wir sie auch durchgesetzt haben, natürlich jetzt mit Ihrer Unterstützung. Ich erinnere auch daran, daß der saarländische Wirtschaftsminister Koch bei den entscheidenden Sitzungen hier immer wieder anwesend war und daß es nicht 'nur der eine oder andere Minister der CDU war.
— Ich meine, wir sollten hier in aller Nüchternheit diskutieren.
Daß das Saarland diesen internationalen Wasserstraßenanschluß braucht, ist selbstverständlich. Man muß das prüfen. Wir haben in der Vergangenheit auch ,darauf hingewiesen — das darf ich als pfälzischer Abgeordneter einmal sagen —, daß es unmöglich ist, eine Trasse für diesen Kanal über Jahre und möglicherweise über Jahrzehnte offenzuhalten, ohne eine Entscheidung herbeizuführen. Denn die im Bereich der Trasse liegenden Gemeinden und Städte können einfach nicht mehr weiterplanen. Im Interesse der regionalen Strukturpolitik müssen wir nun einmal eine Entscheidung treffen.
So begrüße ich es, daß diese Regierungskoalition sich durchgerungen hat — hier darf ich allerdings sagen: auch mit der Unterstützung der CDU/CSU —, in den Haushalt des Verkehrsministers die Planungskosten einzustellen und ■damit 'den Startschuß dafür zu geben, daß eine Entscheidung fällt, ob nun dieser Wasseranschluß an den Rhein gebaut wind, und 'daß möglicherweise auch die Entscheidung 'in Kürze gefällt wird, in welchem Zeitraum er gebaut werden kann.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Leber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte mich hier nicht gemeldet, wenn es nur um die Frage gegangen wäre, ob das in den Einzelplan 60 der in den Einzelplan 12 kommt. Hier sind aber die Tassen generell in den falschen Schrank gestellt worden, meine Damen und Herren, und dazu möchte ich gerne ein Wort sagen.Es ist gesagt worden: Die CDU-Landesregierung wird ,den Kanal bauen. Ich kann nur fragen: warum hat sie dann nicht längst gebaut?
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Bundesminister Leber
Ich kann Ihnen sagen, meine Damen und Herren: ich wollte das nicht, aber ich lasse hier vor dem Hohen Hause, auch weil Landtagswahlen an der Saar sind — ich verzichte nicht darauf, obwohl die dort sind —, jetzt einmal die Haare aus den Augen. Ich habe eine Bestandsaufnahme gemacht. Sie haben nicht nur nicht den Kanal gebaut, sondern nicht einmal die geringsten Vorbereitungen dafür getroffen, weder an der Saar noch hier, daß man auch Bauvorbereitungen treffen konnte.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rawe?
Augenblick, Herr Rawe! — Wer einen Kanal bauen will, muß sich verhalten, wie wenn er ein Haus bauen will. Man muß wissen, wo das Grundstück ist. Sie wußten aber nicht einmal, wohin; die Trasse war nicht festgelegt. Wer ein Haus bauen will, muß sich verhalten wie jemand, der einen Kanal baut, der muß eine Planung haben. Sie hatten keine Pläne, meine Damen und Herren. Wer ein Haus bauen will und Pläne und ein Grundstück hat, macht eine Berechnung und eine Kalkulation, damit er weiß, was das kostet. Sie hatten keine Ahnung. Sie hatten nicht einmal angefangen zu rechnen, nicht einmal fünf Pfennig für einen Bleistift haben Sie eingesetzt.
Sie haben nicht einmal eine Mark für die Planungskosten im Haushalt stehen gehabt, nicht einmal für die Voraussetzungen, daß überhaupt geplant werden konnte. Der Titel war überhaupt gestrichen. Das waren die Vorarbeiten, die geleistet worden sind, um einen Kanal zu bauen. Die Wende kam erst 1967.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Es hat in Bonn eine neue Bundesregierung, einen neuen Verkehrsminister gegeben. Ich habe in meinem Leben — das sage
ich Ihnen hier, ich habe schon allerlei erhebt — noch kein schlimmeres Kartenhaus mit gezinkteren Karten angetroffen als dieses Kartenhaus um den SaarPfalz-Kanal.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rawe?
Dieses Kartenhaus mit gezinkten Karten war ein einziges Lügengebäude. Jeder, der eine Karte hinhalten mußte — es ist eine gezinkte Karte —, hält das Gebäude im ganzen.
— Sie machen das immer schöner, Herr Lemmrich.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rawe?
Herr Bundesminister für Ver- kehr, warum versuchen Sie, jetzt den Eindruck zu erwecken, als ob Sie fertige Pläne und fertige Kostenanalysen hätten, nachdem Sie uns im Haushaltsausschuß noch ausdrücklich gesagt haben, Sie könnten den Kanal nach den gesetzlichen Vorschriften gar nicht bauen, wenn nicht vorher eine exakte Kostenanalyse erstellt worden wäre?
Herr Kollege Rawe, was wäre es wohl für eine Situation gewesen, wenn, be- vor ich kam, an der Saar und in Bonn die Planungen baureif vorbereitet und die Kosten-Nutzen-Analysen, d. h. die Rentabilitätsberechnungen, aufgestellt worden wären und ich nicht gebaut hätte? Was hätten Sie dann für eine glänzende Position! Es war aber nichts da. Deshalb mußte ich erst damit anfangen, zu planen und zu berechnen; das tut man ja gewöhnlich vor dem Bauen. Da das bei einem Kanal, einem Projekt, das immerhin fast 2 Milliarden DM kostet, nicht von heute auf morgen geht, Herr Kollege Heck, braucht man dazu seine Zeit. Ich nehme für mich in Anspruch, Herr Kollege Heck, dieses Lügengebäude mit gezinkten Karten, von dem jeder Teilhaber wußte, daß es so ist, umgestoßen zu haben, und zwar über Als-ob-Tarife in Brüssel; das muß ich hier einmal ganz offen sagen. Ich wollte nicht, daß mit den Hoffnungen und Erwartungen der Menschen an der Saar weiter so ein frevelhaftes Spiel getrieben wird, wie das über 15 Jahre geschehen ist.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wir sind nicht leicht-
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Bundesminister Leber
fertig genug gewesen und haben deshalb, weil Saar-Wahlen vor der Tür stehen, nun nicht versprochen, daß wir das oder das machen, was ,die Leute gern hören, sondern wir haben so gesagt — und Sie waren ja dabei; das Stückchen Saarkanalisierung geht auf meinen Vorschlag im Kabinett zurück; ohne das ich hier Kabinettsgeheimnisse preisgebe — —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten — —
Der kann gleich zu mir kommen. Ich rede jetzt zu Ende, gnädige Frau.
— Das ist doch ein Thema, das schon so lange durchgehechelt wird. Das hat nichts mit neuem Stil zu tun. Ich lasse mich durch Zwischenfragen auch nicht aus dem Konzept bringen. Sie hätten ja bauen können; dann brauchten Sie jetzt nicht zu fragen, meine Damen und Herren.
— Herr Lemmrich, Sie sagen, ich sei dreieinhalb Jahre im Amt und hätte den Kanal noch nicht ge- baut. Ich kann doch nicht in drei Jahren alles nachholen, was Sie in 16 Jahren nicht getan haben.
— Herr Lemmrich, ich kann Ihnen nur sagen, ich hätte das Thema nicht angeschnitten. Sie haben damit angefangen, und Sie können es mir nicht übelnehmen, wenn ich eine Antwort gebe und deutlich sage, was zu sagen nötig ist.
Herr Lemmrich, das Wort „Heuchelei" hören wir nicht gern. Ich bitte darum, in der Wahl der Ausdrücke zurückhaltender zu sein. Vor allen Dingen bitte ich um Ruhe. Wir werden sonst heute nicht fertig, wenn wir so weitermachen.
— Meine Damen und Herren, ich rüge den Ausdruck „Lüge".
— Nein, Herr Rawe, der Herr Minister hat es abgelehnt, noch eine Zwischenfrage anzunehmen.
Herr Minister, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt zu Ende kämen.
Gut, wenn der Minister jetzt einverstanden ist, ich lasse die Frage zu! Bitte schön, Herr Kollege Rawe!
Herr Minister, warum wollen Sie in dieser Situation die Stimmung anheizen,
obwohl Sie genau wissen, daß maßgebliche —
— Herr Apel, es ist schwer, zuzuhören. Aber ich habe von der Frau Präsidentin das Recht eingeräumt bekommen, hier eine Frage zu stellen.
Ich bitte, eine Frage zu stellen, und zwar ohne Wertung.
Warum wollen Sie hier die Stimmung anheizen,
' obwohl Sie genau wissen, daß starke Kräfte aus Ihrer Fraktion im Haushaltsausschuß den Antrag eingebracht haben, den Leertitel für den Kanal zu streichen?
Herr Kollege Rawe, ich gebe gern zu, daß ich hier nicht ohne Temperament geredet habe. Aber ich habe mich nicht an das Pult gedrängt.
Was ich nicht zulasse, ist folgendes. Mancher Kollege aus meiner Fraktion hat mir den Vorwurf gemacht, ich hätte das Thema Saar-Pfalz-Kanal nicht nachdrücklich genug in den Vordergrund gespielt.
— Auch, ja; das ist ganz legitim. Sie tun das nämlich, obwohl Sie noch weniger getan haben, um das Projekt zu verwirklichen, als meine Kollegen mit Recht für sich in Anspruch nehmen können.
— Sehen Sie mal, Herr Kollege Rösing, ich kann doch hier nicht einfach nur zuhören, wenn jemand
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Bundesminister Lebervon der CDU frisch, fromm, fröhlich, frei eine Rede hält und sagt: Die Sozialdemokraten vernachlässigen die Saar; wir von der CDU werden den Kanal bauen und damit ,das gesamte Problem lösen. Dazu kann ein Verkehrsminister, der die Hintergründe kennt, nicht schweigen. Eine solche Rede hat doch der Herr Kollege von Thadden vorhin gehalten.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen dazu nur folgendes sagen. Es wird Klarheit geschaffen. Diese Sache ist viel zu ernst, als daß man hier rasch ein paar Bonbontüten verstreuen könnte. Ich bleibe dabei: die Saar bekommt einen Wasseranschluß. Die Saar braucht einen Wasseranschluß. Das sage ich ganz ernsthaft. Damit sie erkennt, daß das nicht leeres Geschwätz ist und ihr wieder etwas vorgegaukelt wird, erkläre ich: wir planen vorher zu Ende, wie sich das für solide Bauleute gehört, und rechnen vorher aus, was das kosten wird. Wenn die Planung fertig ist, kriegt die Saar den Wasseranschluß, der der saarländischen Wirtschaft und den Menschen, die dort wohnen, in optimaler Weise nützt. Das sagen wir jetzt, und daran halten wir auch fest.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.
-- Dann hat der Abgeordnete Schmitt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich bedaure die Ausweitung dieser Debatte im Zusammenhang mit der Beratung des Haushalts.
Ich habe mich einzig und allein zu Wort gemeldet, um hier einiges klarzustellen und etwas richtigzustellen, was sonst zum Nachteil der Bevölkerung an der Saar einen falschen Eindruck erwecken könnte.
Was war an der Saar los? Im Jahre 1960 hat der damalige Bundeskanzler Dr. Adenauer dem Saarland die Kanalisierung der Saar angeboten. Die saarländische Industrie hat dieses Angebot damals mit der Bemerkung abgelehnt, daß nur eine Wasserverbindung der Saar mit dem Rhein für die saarländische Industrie von Interesse sei.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch?
Bitte schön, Herr Moersch.
Herr Kollege Schmitt, wären Sie, wenn Sie schon über geschichtliche Fragen hier reden, auch so freundlich, dem Hohen Hause zu sagen, welche Rolle die Frage des Saar-Pfalz-Kanals bei der Saar-Abstimmung gespielt hat und in welchem Maße hier der damalige CDU-Vorsitzende gegen diese Projekte und für andere Lösungen an der Saar eingetreten ist? Würden Sie gestatten, daß das jemand fragt, der diese Fragen von der Pfalz aus damals mit in Gang gebracht hat?
Herr Kollege Moersch, eine weitere Erörterung des Themas würde hier einen Zeitaufwand verursachen, den ich dem Hohen Hause nicht zumuten will.
— Sie können doch nicht von mir verlangen, daß ich über eine so bedeutende Frage wie die Saar-Abstimmung in fünf Minuten eine erschöpfende Auskunft gebe.
Ihnen geht es hier doch gar nicht um eine sachliche Auseinandersetzung; Sie wollen doch heute morgen hier Wahlpropaganda für die Saar machen. Und das muß ich ablehnen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kulawig?
Herr Kollege Schmitt, Sie sagten eben, wenn ich Sie recht verstanden habe, die Saarwirtschaft habe im Jahre 1960 die Kanalisierung der Saar abgelehnt. Wer führt die Regierungsgeschäfte an der Saar, wer ist für die Bestimmung der Richtlinien verantwortlich, die Wirtschaft oder der Ministerpräsident?
Herr Kollege Kulawig, ich habe Ihnen schon immer nicht viel Sachverstand zugetraut, aber für so dumm halte ich Sie nun auch wieder nicht, daß Sie sich diese Frage nicht selber beantworten könnten. Nun hören Sie doch auf, hier die Verhandlung zu unterbrechen! Wir wollen doch zu einer sachlichen Aussprache kommen. Hier ist doch von mir eine Feststellung getroffen worden, die von Ihnen nicht bestritten werden kann. Und wenn ich sage, die saarländische Wirtschaft hat das gewollt, dann wissen Sie genau, wer die Repräsentanten der saarländischen Wirtschaft sind. Da sind doch Ihre Freunde mit beteiligt.
Nun, meine Damen und Herren, was kam weiter? Die Bundesregierung hat im Einvernehmen mit der Deutschen Bundesbahn der Saarwirtschaft Sogenannte Wettbewerbstarife eingeräumt, Tarife, die die Saarwirtschaft so gestellt haben, als ob der Kanal gebaut wäre. Damit war die Saarwirtschaft zunächst einmal zufrieden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
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Bitte schön!
Herr Kollege Schmitt, nachdem Sie gesagt haben, Sie könnten nicht in fünf Minuten über die Abstimmung reden, frage ich Sie: Können Sie mir den Zusammenhang zwischen der Abstimmung der Saarländer im Jahre 1955 und dem SaarPfalz-Kanal einmal sagen?
Ja natürlich! Im deutsch-französischen Vertrag wurde abgesprochen, daß die Mosel zwischen Diedenhofen und Koblenz kanalisiert wird, daß dadurch ein Standortnachteil für die saarländische Industrie entsteht und daß dieser ausgeglichen werden soll. Dafür sollte zunächst die Saar kanalisiert werden. Dann hat die Saarwirtschaft den Saar-Pfalz-Kanal verlangt. Dann wurde das ersetzt durch die Als-obTarife, und die Als-ob-Tarife haben dem Urteil des Gerichts der EWG nicht standgehalten. Dadurch entstand eine neue Situation, und diese neue Situation steht heute zur Entscheidung.
— Natürlich, das ist doch eine kontinuierliche Entwicklung, die heute auf einem bestimmten Punkt steht,
wo die Bundesregierung im Jahre 1968 beschlossen hat, die Saar an das Wasserstraßennetz anzuschließen.
Das hat der Minister getan. Diese Entscheidung hat sowohl der Teil CDU/CSU der Bundesregierung als auch der Teil SPD getroffen, und ich weiß überhaupt nicht, wie man sich über Tatsachen so ereifern kann und so aneinander vorbeireden kann.
Das muß doch einen Hintergrund haben.
Herr Kollege Schmitt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Bitte schön!
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, wenn ich hier feststelle, daß wir uns die ganze Debatte über diesen Saar-PfalzKanal hier im Plenum hätten ersparen können, wenn die Kollegen der SPD und FDP im Haushaltsausschuß diesem Antrag zugestimmt hätten?
Nun, meine Damen und Herren, ich bin Mitglied des Verkehrsausschusses. Ich wäre heute morgen hier berufen
gewesen, etwas zu sagen. Ich habe mich überhaupt nicht zu Wort gemeldet, weil ich so etwas einfach nicht für gut halte. Denn hier steht jetzt eine sehr schwierige Frage zur Enscheidung an, auch für die Bundesregierung; das kann auch ein Minister Leber mit seinem Optimismus nicht einfach so vom Tisch wischen. Denn wenn er in seine Fraktion geht, wird sein Kollege Seibert kommen und ihm sagen: Von der Interessenlage der Eisenbahn her brauchen wir keinen Kanal. Und wenn die Frage in der CDU/ CSU-Fraktion zur Sprache kommt, wird es auch dort kritische Stimmen geben. Hier muß doch nun eine sachliche Diskussion Platz greifen.
Wenn der Herr Minister hier davon spricht, es sei Nebel verbreitet worden, und er hier im Eifer Ausdrücke gebraucht, die nach meiner Meinung einen schlechten parlamentarischen Stil von ihm verraten — —
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brück?
Nun, gestatten Sie mir, daß ich keine Zwischenfrage mehr beantworte; denn wir wollen doch zu Ende kommen.
— Was heißt denn hier „Aha"? Herr Apel, Sie sind doch einer von denen, die sich kaltlächelnd hierherstellen, andere Leute beschuldigen und dann keine Antwort geben. Sie sind doch einer von der Sorte.
— Nun, der Appel fällt nicht weit vom Stamm.Aber es ist ja nicht Sinn unserer Debatte hier, möglichst viel und laut miteinander zu sprechen. Was liegt nun vor uns? Vor uns liegt der Wunsch der saarländischen Bevölkerung, daß hier in einer sachlichen Atmosphäre im Jahre 1970/71 eine Entscheidung im Schoße der Bundesregierung herbeigeführt wird dergestalt, daß man erklärt: Die saarländische Industrie überlebt, und die Bundesregierung bringt ihren Beitrag; der Beitrag besteht in dem Bau des Saar-Pfalz-Kanals. Nichts anderes wollen wir.Ich habe heute morgen mit großer Befriedigung festgestellt, daß alle Fraktionen des Hohen Hauses erneut bekräftigt haben, daß sie diesen Wunsch nachdrücklich unterstützen werden, so daß die Leute an der Saar in Ruhe schlafen können und eine vernünftige Zukunft vor sich haben.
Ich würde es aber noch lieber sehen, daß die Bundesminister, wenn sie an die Saar kommen, uns dann auch in Ruhe lassen. Wenn dann der Herr Wehner kommt und sich bei uns als Entwicklungshelfer anbietet, dann haben wir das nicht so gerne. Und wenn der Herr Minister Leber an die Saar
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970 3133
Schmitt
kommt und angesichts des Hochwassers verkündet:„Ab sofort tritt die Saar nicht mehr über die Ufer",
dann kann ich Ihnen sagen: wir Saarländer sind arm und klein, wir müssen brav sein. Wir werden also beim nächsten Hochwasser nicht von Georg Leber sprechen, wir werden aber an Hermann Meier denken.
Das Wort zur Begründung des Antrags Umdruck 55 hat der Abgeordnete Lemmrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 30. Juli 1969 den § 13 Abs. 2 des Eisenbahnkreuzungsgesetzes, der sich mit der Kostenteilung bei der Beseitigung schienengleicher Eisenbahnkreuzungen befaßt, teilweise außer Kraft gesetzt. Betroffen ist die Kostenteilung bei Eisenbahnkreuzungen mit Straßen in der Baulast kommunaler Baulastträger.
Nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz vom 14. August 1963 war vorgesehen, daß je ein Drittel der Kosten die Eisenbahn und der Straßenbaulastträger aufzubringen hat, das letzte Drittel müssen je zur Hälfte der Bund und das betreffende Land tragen. Nach dem Verfassungsgerichtsurteil brauchen die Länder nunmehr das auf sie entfallende Sechstel der Kosten nicht mehr zu zahlen, da dies eine Aufgabe des Bundes sei.
Für das Jahr 1970 hat sich der überwiegende Teil der Länder bereit erklärt, diese Beträge für den Bund vorzufinanzieren. Damit jedoch die Leistungen, die im Jahr 1970 erbracht werden müssen, keine zu große Vorbelastung für das Haushaltsjahr 1971 darstellen, sollte der entsprechende Titel im Kap. 12 10 Tit. 460 44 um 600 000 DM aufgestockt werden. Da sich die Frage stellt, woher diese Mittel genommen werden können, haben wir uns Gedanken gemacht und sind der Meinung, daß bei Kap. 1210 Tit. 534 12 — das die Ausgaben für Veröffentlichungen im Straßenwesen enthält und aus dem für den Straßenbau zweckgebundenen Anteil der Mineralölsteuer entnommen wird — die Deckung gefunden werden kann. Für diesen Titel standen im Jahre 1969 400 000 DM zur Verfügung, jetzt stehen 6 150 000 DM zur Verfügung. 5 Millionen davon sollen zur Unterrichtung über die neue Straßenverkehrsordnung verwendet werden. Diesem Verwendungszweck stimmen wir zu. Dann bleibt immer noch für Veröffentlichungen ein Betrag von 1 150 000 DM. Das sind 750 000 DM mehr als 1969. Eine Kürzung dieses Betrages ist nach unserer Meinung unter Berücksichtigung der Dringlichkeit des Anliegens, schienengleiche Eisenbahnkreuzungen zu beseitigen, zu vertreten. Dann bleiben für Veröffentlichungen in diesem Bereich immer noch 550 000 DM zur Verfügung. Das wären immerhin noch 38 °/o mehr als im vergangenen Jahre. Das ist eine sehr horrende Steigerungsrate.
Wie uns im Verkehrsausschuß berichtet wurde, soll der Betrag von 1 150 000 DM weitgehend für Werbeschriften über den Zweiten Ausbauplan für Bundesfernstraßen verwendet werden. Da es sich hier um das Geld der Autofahrer handelt, die es aufbringen müssen,
sind wir der Meinung, daß man mit diesem Geld sehr sparsam umgehen sollte. Wir bitten um Zustimmung zu der Umverteilung, die in unserem Antrag gefordert wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Haehser.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich Umdruck 55 in der ersten Fassung sah, ist ein Schreck über mich gekommen. Ich dachte, der Kollege Wehner hätte die sozialdemokratische Fraktion verlassen. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, daß wir ohne den stets engagierten Mann auskommen können. Aber nun hat sich der Irrtum herausgestellt.
Ich möchte ganz kurz zu dem Antrag Stellung nehmen. Der Ansatz im Einzelplan 12 in Höhe von 16 Millionen DM als „Kostenanteil an Maßnahmen an Bahnübergängen zwischen Bundesbahn und öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen ..." entspricht dem, was an Mitteln für das Jahr 1970 zur Verfügung gestellt werden muß und verwendet werden kann. Sie müssen hier an die Komplementärfinanzierung denken. Mehr Projekte können überhaupt nicht in Angriff genommen werden, als durch 16 Millionen DM abgedeckt sind. Es ist Augenwischerei, daß hier etwas anderes dargestellt wird. Im übrigen können Sie mit dem Betrag von 600 000 DM, um den Sie den Ansatz erhöhen wollen, keinen einzigen Bahnübergang mehr beseitigen. Das kostet nämlich mehr.
Das ist also abzulehnen.
Nun ist vom Kollegen Lemmrich gesagt worden, wie er sich den Deckungsvorschlag vorstellt.
Herr Kollege Haehser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lemmrich?
Ja, bitte sehr!
Herr Kollege Haehser, ist Ihnen vielleicht entgangen, daß es sich um 1/6 Zuschuß handelt und daß dadurch die Verpflichtungen, die auf den Haushalt für das nächste Jahr zukommen, dadurch schon jetzt etwas entlastet werden sollten?
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3134 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970
Haehser ; Herr Kollege Lemmrich, Sie sprechen so langsam und theatralisch, daß einem überhaupt nichts entgehen kann.
Meine Damen und Herren, es ist auch ein Deckungsvorschlag gemacht worden. Im Haushaltsausschuß hat gerade dieses Thema eine Rolle gespielt. Von den 5,5 Millionen DM, die hier genannt worden sind, entfallen allein 5 Millionen DM auf die Benachrichtigung der Bevölkerung über die neue Straßenverkehrsordnung.
Das ist alles bekannt. Es ist kein Antrag im Haushaltsausschuß gestellt worden. Ich bitte, diesen Antrag abzulehnen.
Meine Damen und Herren! Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Wir haben eben gehört, daß die Anträge 27 und 31 sich im Inhalt entsprechen. Eine Feststellung, welcher weitergehend ist, kann nicht getroffen werden. Ich lasse deswegen in der Reihenfolge des Eingangs abstimmen, zunächst über den Umdruck 27.
Wer dem Umdruck 27 seine Zustimmung geben
will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegen-
) probe! — Enthaltungen? — Das ist so beschlossen.
Damit dürfte der Antrag auf Umdruck 31 der Sache nach entfallen sein. Soll ich hierüber noch abstimmen lassen?
Dann komme ich zur Abstimmung über den Umdruck 55. Wer diesem Umdruck seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer diesem Haushalt in zweiter Lesung seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag des Ausschusses ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über Ziffer 2 des Ausschußantrages. Es geht um Haushaltsvermerke. Wer dieser Ziffer 2 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist so beschlossen.
Wir kommen damit zum Haushalt des Bundesministers des Innern, Einzelplan 06.
— Ich bitte um Entschuldigung. Darüber müssen wir abstimmen. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Es ist über den Antrag des Ausschusses abzustimmen. Wer diesem Haushalt in zweiter Lesung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig beschlossen.
Wir kommen dann zum
Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970 3135
Die Bundesregierung beschließt ihren Olympia-Bericht mit dem schwungvollen Satz:Dennoch, die Olympischen Spiele 1972 habenihren Preis. Sie sind ihn allerdings auch wert.Ich will jetzt nicht Wasser in den Wein gießen. Ich halte ohnehin nichts davon, diese Diskussion anzuschüren. Sie nützt auch unserem Ansehen im Ausland nicht. Ich möchte aber die Bemerkung machen, daß dieses geplante Fest der sportlichen, kulturellen und auch gesellschaftlichen Superlative nicht notwendigerweise auch ein Fest der finanziellen Superlative werden sollte.
Die Olympischen Spiele sollten nach meiner Meinung einen Rahmen erhalten, der unserem Volk würdig und angemessen ist — nicht mehr und nicht weniger. Dann wird der Deutsche Bundestag sicherlich auch guten Gewissens das Seinige tun.Ich möchte hier noch einen zweiten Punkt ansprechen: den vom Bund vorgesehenen Zuschuß in Höhe von 50 Millionen DM zum Bau von Fußballstadienaus Anlaß der Fußballweltmeisterschaft 1974 in der Bundesrepublik. Der Haushaltsausschuß kam übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß auch diesem weltsportlichen Ereignis auf deutschem Boden eine finanzielle Hilfe durch den Bund nicht versagt werden sollte. Meine sehr verehrten Damen und Herren, allerdings sollte es sich um eine einmalige Angelegenheit handeln, die weder zu finanziellen Mehrbelastungen führen darf noch als Präzedenzfall ausgelegt werden darf, daß der Bund sich künftig zum Finanzier des Baus von Sportstadien aufschwingen möchte. Der Haushaltsausschuß legt auch Wert auf die Feststellung, daß diese Mittel nicht für Verkehrsbauten in Anspruch genommen werden sollten.Nun noch kurz eine allgemeine Bemerkung zur Sportförderung im ganzen. Es gereicht der Bundesregierung zur Ehre, daß sie ihr in der Regierungserklärung gegebenes Versprechen gehalten und im Haushalt eine beachtliche Steigerung der Mittel für die Sportförderung vorgenommen hat. Dem hat sich der Haushaltsausschuß nicht verschlossen. Da sind beispielsweise die Mittel für die allgemeine Sportförderung um rund 54°/o von 13,3 Millionen DM im Jahre 1969 auf 17,4 Millionen DM im Jahre 1970 erhöht worden. Mit diesen Mehrausgaben sollen allerdings hauptsächlich der Leistungssport, der Spitzensport, im Hinblick auf die Olympischen Spiele 1972 schwerpunktmäßig gefördert werden.Aber bei allem Verständnis für die Bedeutung des Spitzensports und des Leistungssports, diese stolzen Zahlen erheben uns noch lange nicht in den hohen Olymp einer Sportnation oder geben uns Anlaß, dadurch unser schlechtes sportliches Gewissen zu erleichtern. Sie weisen im Gegenteil leider auch bei uns auf eine Entwicklung hin, die ein Vertreter des Deutschen Sportbundes neulich einmal öffentlich in apodiktischer Kürze als unverantwortlich bezeichnet hat, weil sie die Extreme auf die Spitze treibt: hier Weltrekorde durch Höchstleistungstraining, dort Managertod durch Bewegungsmangel. Hier, sehr verehrter Herr Bundesminister, liegt in der Zukunft, glaube ich, eine eminente gesellschaftspolitische Aufgabe auch des Bundes vor, nämlich auch eine stärkere Förderung des Breitensports in Angriff zu nehmen.
Ich hoffe, daß die unter der Schirmherrschaft des Herrn Bundespräsidenten angelaufene „Trimm-Aktion", an der Sie ja auch teilgenommen haben, der erste Ansatzpunkt dazu ist.Schließlich eine Bemerkung zum Problem Ausbau und Aufbau der elektronischen Datenverarbeitung in der Bundesverwaltung, weil hier der Innenminister die Aufgabe der Koordinierung übernommen hat. Dem Hause liegt ein Bericht der Bundesregierung vom 17. April 1970 vor, der in erschreckendem Maße erkennen läßt, wie dringend notwendig auf diesem Gebiet eine bessere Koordinierung nicht nur unter den verschiedenen Ressorts des Bundes, sondern auch zwischen Bund, Ländern und Gemeinden,
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3136 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970
Dr. Jenningerdarüber hinaus vielleicht sogar eine Zusammenarbeit mit der privaten Wirtschaft ist.
Wenn wir nicht zum Schluß eines Tages als Gefangene dieses technischen Molochs, und zwar sowohl in finanzieller als auch in organisatorischer Hinsicht, erscheinen wollen, dann müssen wir hier in .der Tat etwas tun.Zur Illustration nur ein paar Zahlen. Die 174 EDV-Anlagen die der Bundesverwaltung mittlerweile zur Verfügung stehen und denen bis zum Jahre 1974 weitere folgen sollen, und zwar im Wert von über einer halben Milliarde DM, beschäftigen heute schon 5811 Angestellte, Arbeiter und Beamte. Die Planung erfordert in den nächsten Jahren einen weiteren Personalaufwand von 3434 Beamten, Angestellten und Arbeitern. Der steuerzahlende Laie wird angesichts dieser Zahlen die verständliche Frage stellen, ob die Rationalisierungseffekte, die die Bundesregierung in ihrem Bericht angibt, nämlich höhere Arbeitseffektivität und vor allem Wirtschaftlichkeit durch Personal- und Kosteneinsparung, überhaupt erreicht werden können.Der beim Bundesminister des Innern errichteten Koordinierungsstelle kommt in diesem Zusammenhang eine nicht zu unterschätzende Aufgabe und Bedeutung zu. Zu dieser Koordinierungsaufgabe, Herr Bundesinnenminister, können Sie die volle Unterstützung des Haushaltsausschusses erwarten, wenn sie tatsächlich auch zu einer Verbesserung der angestrebten Rationalisierungseffekte beiträgt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Präsidentin! Gestatten Sie, daß ich im Anschluß an meinen Bericht noch ein paar Bemerkungen als Vertreter der Fraktion der CDU/CSU mache, da ich schon das Wort habe.
Herr Kollege, das wollen wir nicht verbinden. Ich notiere, daß Sie später erneut das Wort haben wollen.
Gut. Dann möchte ich damit meinen Bericht abschließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Als Mitberichterstatter hat der Abgeordnete Säckl das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da der Herr Berichterstatter in seinen Ausführungen etwas ausschweifend gewesen ist und über die normalen Ausführungen zur Berichterstattung hinausgegangen ist, erlaube ich mir, im Namen meiner Fraktion auch noch einige
Ausführungen als Mitberichterstatter zum Innenressort zu machen.
Herr Kollege Säckl, Sie dürfen lediglich neutraler Berichterstatter sein, aber nicht im Namen Ihrer Fraktion sprechen.
Ja, für einen Neuling sicher, Herr Dr. Heck.
Im Innenressort sind die Mittel für die Sportförderung von 67,28 Millionen DM auf rund 100 Millionen DM erhöht worden. Dabei ist die Verstärkung der reinen Sportförderung eigentlich noch höher, denn die Kürzungen betreffen im wesentlichen nur Bauinvestitionen. Unter diesen Kürzungen auf dem Bausektor wird die Sportförderung aber nicht insgesamt leiden. Sie fallen nämlich nur bei der Spitzenfinanzierung der Turn- und Sportstätten ins Gewicht, und zwar in Höhe von 4 Millionen DM. Ich meine, der Sportbereich ist somit trotz antizyklischer Haushaltspolitik gut bedient worden. Wir wissen nämlich sehr wohl, daß die Förderung des Sports auf allen Ebenen, und nicht nur bei den Olympischen Spielen, eine Aufgabe von nationaler Bedeutung ist.Die wesentliche Aufgabe des Bundes ist die Förderung des Spitzensports. Wenn wir den Sport, insbesondere den Leistungssport, intensivieren wollen — und dies vor allem im Hinblick auf Erfolge im internationalen Vergleich —, so müssen wir die vorhandenen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Medizin, der Biologie, der Pädagogik, der Psychologie und der Trainingslehre erfassen. Wir müssen sie für die sportwissenschaftliche Forschung auswerten und ihre spezifischen Anwendungsmöglichkeiten gerade hier vorantreiben.Besonders hervorzuheben ist, daß wir nun im Ergänzungshaushalt die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen für die Gründung eines Bundesinstituts für Sportwissenschaften in Köln geschaffen haben. Die Gründung eines solchen Instituts war schon längst überfällig, und ich begrüße, daß die neue Bundesregierung in dieser Hinsicht unverzüglich handeln will.Für die Förderung der Arbeit des Deutschen Sportbundes und seiner Verbände sind die Mittel von 11,3 Millionen DM im Jahre 1969 auf 17,4 Millionen DM in diesem Jahr erhöht worden, d. h. um 54 %. Das ist die höchste Steigerungsrate der Sportansätze überhaupt. Diese Ansätze werden in den nächsten Jahren der mittelfristigen Finanzplanung noch den Erfordernissen entsprechend erhöht.Mit den im Haushaltsplan für den Sportstätten-bau bereitgestellten Mitteln wird es möglich sein, in den Zonenrandgebieten im Jahre 1970 etwa 60 Sportstätten zu fördern. Außerdem wird die Zahl der Bundesleistungszentren von 12 auf 17 erhöht werden.Nach den Olympischen Spielen 1972 werden 1974 die Fußballweltmeisterschaften ein neuer sportlicher Höhepunkt in der Bundesrepublik sein. Ich begrüße
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Säckldas von der sportlichen Seite, wenn auch neue finanzielle Belastungen auf uns zukommen werden. Nach dem derzeitigen Stand werden die Spiele in elf Städten ausgetragen werden. Ich meine, das Parlament und auch seine Ausschüsse sind aufgerufen, dafür zu sorgen, daß wir die Kostenentwicklung für Um- und Neubau dieser Stadien von Anfang an in den Griff bekommen. Aus diesem Grunde ist auch eine feste Summe in Höhe von 50 Millionen DM und keine prozentuale Beteiligung des Bundes in Aussicht gestellt worden. Ich darf an dieser Stelle noch einmal an alle Beteiligten appellieren, nach konstruktiv einfachen und preiswerten Lösungen dieser Sportmaßnahmen zu suchen.Bei den Olympischen Spielen haben sich gegenüber dem Stand bei Abschluß des Konsortialvertrages Juli 1967 die Kosten mittlerweile fast verdreifacht. Die öffentlichen Haushalte trifft dabei eine Belastung von 831 Millionen DM nach dem derzeitigen Stand, die der Bund ursprünglich zu einem Drittel hätte tragen sollen. Wenn wir heute ein Drittel von 831 Millionen DM übernehmen, trägt der Bundeshaushalt 255 Millionen DM; nach den weitergehenden Vorstellungen bei einer 50%igen Beteiligung des Bundes 342 Millionen DM. Gegenüber den Schätzungen von 1967 bedeutet die Belastung des Bundeshaushaltes hierbei eine Verdoppelung. Der Grund für die Kostenerhöhung sind zusätzliche oder später ausgestaltete Forderungen der internationalen und nationalen Sportfachverbände, Berichtigung der damaligen Kostenschätzungen und Kostenvoranschläge und ferner inzwischen erhöhte Baukosten.Diese Tatsache des übermäßigen Anwachsens der Haushaltsbelastungen ist für mich etwas bedrükkend. Ich meine, wir würden ein schlechtes Beispiel geben, wenn wir dieser Entwicklung nicht mit allen Mitteln begegneten. Es nutzt in dieser Situation auch wenig, nach dem Schuldigen zu suchen, sondern es gilt, Mittel zur Abhilfe zu finden. Ich rufe daher an dieser Stelle die Bundesregierung, das Organisationskomitee und die beteiligten Gebietskörperschaften nachdrücklich auf, jede Möglichkeit zur Sparsamkeit zu nutzen. Insbesondere sollte sich der Bund an den Folgekosten erst dann und auch nur mit einer einmaligen Zahlung beteiligen, wenn die Höhe der Folgekosten und ihrer Verteilung auf den Bund und den Freistaat Bayern eindeutig und verbindlich geklärt ist.Wir müssen uns auch Gedanken machen über neue Finanzierungsmöglichkeiten zur Entlastung der öffentlichen Haushalte, wie sie z. B. die Olympia-Münzen darstellen. Hierfür liegt dem Haus ein interfraktioneller Gesetzentwurf vor.Unser Anliegen, meine Damen und Herren im Innenressort und ganz besonders auf dem Sportsektor, ist es, den Erfordernissen der finanziellen Leistungsfähigkeit des Bundes von heute Rechnung zu tragen, ohne darüber den Blick für künftige Aufgaben zu verlieren, die wir dem Sport und der Gesundheit unseres Volkes und insbesondere unserer Jugend gegenüber zu erfüllen haben.
Ich danke dem Herrn Mitberichterstatter. Es war seine erste Rede im Haus; herzlichen Glückwunsch!
Das Wort hat der Abgeordnete Benda.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe, Frau Präsidentin, um eine etwas längere Redezeit gebeten — das möchte ich korrekterweise von mir aus sagen —, aber zugleich mit dem Bemerken verbunden, daß das vorsorglich geschieht und daß ich hoffe, die von mir erbetene Zeit nicht voll in Anspruch nehmen zu müssen.
Die Fraktion hat 45 Minuten beantragt.
Meine Damen und Herren, das Bundesinnenministerium ist natürlich für die Betrachtung der Politik jeder Bundesregierung — und ganz sicherlich auch dieser Bundesregierung — von ganz besonderer Bedeutung. Das rechtfertigt wohl auch eine intensive Betrachtung der Politik des Herrn Bundesministers des Innern, und zwar aus verschiedenen Gründen.Erstens. Das Bundesinnenministerium ist das zentrale Ressort für die gesamte Innenpolitik. Darüber hinaus ist es das Verfassungsministerium; es hat infolgedessen auch übergreifende Aufgaben und Funktionen bis in den Bereich der Außenpolitik hinein, z. B. wenn es um den Abschluß völkerrechtlicher Verträge geht.
Der zweite Gesichtspunkt ist der, daß sich die Regierung ja als eine „Regierung der inneren Reformen" vorgestellt hat. Sie ist daher bei dieser Haushaltsdebatte an diesem ihrem eigenen Anspruch zu messen. Dabei ist für die Betrachtung dieses Teils natürlich auch von Bedeutung, daß der Chef dieser Regierung offensichtlich die Außenpolitik als Solopart für sich mit Beschlag belegt.Drittens. Die Person des gegenwärtigen Bundesministers des Innern ist für das Zustandekommen und für den Bestand dieser Regierung von aus- schlaggebender Bedeutung. Er ist ein Faktor, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele.Ich darf noch eine persönliche Vorbemerkung machen. Als ich vor sieben Monaten dem gegenwärtigen Bundesminister des Innern die Leitung des Hauses in der Rheindorfer Straße übergeben habe, habe ich mich an die Haushaltsdebatte über den Einzelplan des Bundesinnenministeriums im März 1969 erinnert, also jetzt vor einem Jahr. Der erste Sprecher der damaligen Opposition war der jetzige Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Herr Kollege Dorn. Nach Herrn Dorn sprach dann als zweiter Redner Herr Kollege Genscher, der jetzige Bundesminister des Innern. Ich weiß nicht, ob ich jemand zumuten kann, sich die Mühe zu machen, die beiden Reden oder die
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BendaProtokolle der damaligen Debatte noch einmal nachzulesen. Wer es tut, wird sicher verstehen, daß ich im Lichte der damaligen Diskussion sagen möchte, daß ich Herrn Kollegen Genscher als einen fairen und als einen fähigen Gegner betrachte und daß ich versuchen möchte, mich in der gleichen Art jetzt mit ihm auseinanderzusetzen, wie er es damals getan hat.
Herr Kollege Dorn hat in der damaligen Debatte erklärt, die Berufung meines Freundes Heinrich Köppler zum Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium des Innern sei fast die einzige Entscheidung von mir gewesen, die die FDP hätte unterstützen können. Es lohnt sich sicherlich angesichts des nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampfes, diese Meinung von Herrn Kollegen Dorn noch einmal in Erinnerung zu rufen.
Ich möchte mich, Herr Kollege Dorn und Herr Kollege Genscher, insoweit nicht revanchieren und heute nicht so weit gehen, daß ich sage, daß die Berufung des Herrn Dorn zum Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium des Innern die einzige Entscheidung des Bundesministers Genscher gewesen sei, die die CDU/CSU mißbilligt.
Meine Damen und Herren, der Bundesminister des Innern ist der Personalchef der Regierung. Er ist für das ganze öffentliche Dienstrecht auf Bundesebene verantwortlich. Er ist Organisationsminister, er ist Verfassungsminister und, Herr Genscher, ob es Ihnen nun paßt oder nicht, er ist auch Polizeiminister oder, wenn Sie diesen Ausdruck zu ruppig finden, er ist jedenfalls der für die öffentliche Sicherheit verantwortliche Bundesminister. Manchmal habe ich den Eindruck, als ob Ihnen diese Bezeichnung als Polizeiminister weh täte, aber die Verhältnisse ändern sich dadurch nicht; sie sind einmal so.
— Soweit der Bund zuständig ist, Herr Kollege Dr. Arndt. Zu diesem Thema werde ich mir nachher erlauben, noch ein besonderes Wort zu sagen.Ich habe vor, mich im wesentlichen mit diesen klassischen Aufgaben des Bundesinnenministers in möglichster Kürze zu beschäftigen. Ich gehe dabei davon aus, daß das Innenministerium ein Modell für die gesamte Regierung ist oder sein könnte und daß der Innenminister in seinen Entscheidungen Vorbild für andere Kabinettsmitglieder ist oder sein könnte.Die FDP hatte ihren Bundestagswahlkampf mit dem uns allen noch in Erinnerung befindlichen Slogan bestritten: „Wir schneiden die alten Zöpfe ab!" Als dann Herr Genscher Bundesminister des Innern wurde, haben wir mit besonderer Spannung erwartet, wie er nun dieses Motto in seinem eigenen Hause verwirklichen würde. Was die Personalentscheidungen anlangt, haben wir allerdings weniger die Kunst des Abschneidens alter, als vielmehr das Wiederankleben früherer Zöpfe in diesem Hausebei seinen Personalentscheidungen kennengelernt. Das hat zu dem Ergebnis geführt, daß die Führungsspitze des Bundesinnenministeriums vielköpfig und auch ziemlich heterogen geworden ist. Ich will mich darauf beschränken, das hier festzuhalten. Das ist, Herr Minister, ein Problem, mit dem Sie fertig zu werden haben, nicht ich.Was die Personalpolitik des Ministers auf anderer Ebene als der seines Hauses und seines ja sehr umfangreichen Geschäftsbereiches angeht, so stellen meine Freunde und ich mit Genugtuung fest, daß sie nach anfänglichen Ungereimtheiten — wir haben sie an dieser Stelle ja schon gelegentlich erörtert —doch wesentlich rationaler geworden ist. Ich möchte Ihnen gerne bescheinigen, daß Sie nicht nur nach den Grundsätzen des Beamtenrechts handeln, sondern auch, und zwar berechtigterweise, im wohlverstandenen Eigeninteresse. Ich nehme an, Sie haben erfahren, daß ein intelligenter Beamter, selbst wenn er schrecklicherweise der CDU oder der CSU angehören sollte, für Sie immer noch ein besserer Helfer sein kann als ein weniger fähiger Beamter, der vielleicht Ihrer Partei oder der Partei des Koalitionspartners nahesteht,
Ja, Herr Kollege Schwabe, nach den erbittertenGefechten um den Saar-Pfalz-Kanal hoffe ich, daß Sie darüber nicht allzu böse sind.
Ich kann dem Beamtenminister jedenfalls bestätigen, daß er, was die Personalpolitik insoweit anlangt, vielleicht Vorbild für seine Kabinettskollegen sein könnte, von denen ich den Ordinarius mit der Maschinenpistole im Bundeskanzleramt nennen mochte,
aber auch die Frau Kollegin Strobel, zu deren Personalpolitik Herr Kollege Rollmann vorgestern hier das Notwendige gesagt hat.
Was den Organisationsminister Genscher anlangt, kann ich ihm das gleiche Lob nicht ausstellen. Herr Genscher hat bei seinem Amtsantritt in seinem Hause eine Modellstudie für eine moderne Organisation des Bundesinnenministeriums vorgefunden.
— Ich bin gerade dabei, es zu sagen. Sie ist damals von einer Arbeitsgruppe von kompetenten Beamten, angesehenen Vertretern der einschlägigen Wissenschaften und Organisationsexperten der freien Wirtschaft erarbeitet worden und war bei der Amtsübernahme fertiggestellt und in den Gesprächen mit der früheren Leitung des Hauses gebilligt. Ich habe den Eindruck, daß diese Expertenarbeit, die ich nach wie vor für einen hochbeachtlichen Beitrag über die Organisation des Bundesinnenministeriums hinaus halte, ohne jede ernsthafte Prüfung in den Papierkorb gewandert ist, wobei ich nicht sicher bin, Herr Minister, ob es sich um Ihren Papierkorb oder um den Papierkorb des Herrn Staatssekretärs
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BendaSchäfer handelt. Aber irgendwo jedenfalls liegt sie im Papierkorb.Statt dessen feiert nunmehr die Zellteilung der Referate, ein altes Leiden des Bundesinnenministeriums, fröhliche Urstände. Das Ministerium ist um wichtige Aufgaben erweitert worden: Vertriebenenangelegenheiten, Umweltfragen und anderes. Es hätte gerade jetzt in einer organisatorischen Straffung seine Leistungsfähigkeit wesentlich verbessern können und müssen. In Wirklichkeit hat man angebaut wie an eine Villa aus der Gründerzeit. Das ist das organisatorische Bild des heutigen Bundesinnenministeriums.In dem Zusammenhang darf ich noch einmal auf ein Thema zurückkommen, das ich schon in der Behandlung der Regierungserklärung habe anklingen lassen, nämlich die absurde Aufspaltung der Abteilung Öffentliche Sicherheit, nach der die polizeilichen Aufgaben des Bundes nicht nur unter zwei verschiedenen Abteilungen, sondern auch unter der fachlichen Leitung von zwei verschiedenen beamteten Staatssekretären wahrgenommen werden. Herr Ehmke will uns glauben machen, daß im Kanzleramt die Zukunft begonnen hat. Im Innenministerium bewegt man sich auf den ausgefahrenen Organisationsgleisen des 19. Jahrhunderts, ein Zustand, der nach meiner Auffassung dringend der Änderung bedürfte.Ich begrüße es, daß die vom Kabinett Kiesinger eingerichtete Projektgruppe zur Modernisierung der Bundesregierung und der Bundesverwaltung ihreArbeit fortsetzt. Ich begrüße auch, daß sie nunmehr dem Innenministerium unterstellt ist. Vielleicht wird dies einen guten Einfluß auch auf das Innenministerium selbst in seiner Organisation haben. Wir werden die Arbeitsergebnisse dieser Projektgruppe mit großem Interesse erwarten.Ein letzter Hinweis zum Thema Organisation. In seiner Haushaltsrede am 3. April 1968 hatte mir Herr Dorn ans Herz gelegt — ich war damals einen Tag im Amt, Herr Dorn, wie Sie sich erinnern werden, und Sie gaben mir gute Ratschläge, darunter auch diesen —, mich sofort von der Abteilung Raumordnung zu trennen und sie dem Bundeswohnungsbauminister zu übergeben. Diese Gelegenheit hat ja nun unter tatkräftiger Mithilfe auch des Herrn Dorn der neue Bundesinnenminister jetzt vor sieben Monaten gehabt. Es hat in der Tat ein großes Tauziehen um die Zuständigkeiten gegeben. Nur haben wohl Herr Dorn und Herr Genscher bei dieser Gelegenheit versehentlich am falschen Ende des Taues gestanden.
Sie, Herr Minister Genscher, haben inzwischen auch Gelegenheit gehabt und auch genommen, sich als Verfassungsminister zu präsentieren. Sie haben Gesetzentwürfe zur Änderung des Grundgesetzes hier bzw. beim Bundesrat eingebracht. Ich will über sie heute nicht im einzelnen diskutieren, aber doch feststellen, daß diese Initiative der einstweilen einzige Ansatz in allen Ressorts der Bundesregierung zu einer Politik der inneren Reform ist, die die Regierung ja versprochen hat.Was die Verfassungsreform angeht, so hat sich die CDU/CSU grundsätzlich bereit erklärt, an ihr mitzuwirken. Wir haben die Einsetzung einer Enquete-Kommission beantragt, da wir der Auffassung sind, daß dies eine der vornehmsten Aufgaben des Deutschen Bundestages ist.Wir meinen, daß die Reformüberlegungen in einen weiteren Rahmen angestelt werden sollten und nicht darauf beschränkt werden dürfen, nur einfach dem Bund Zuständigkeiten zu übertragen. Es wird nach unserer Meinung neben der Frage der bundesstaatlichen Struktur oder neben den Einzelfragen aus diesem Bereich eine ganze Reihe weiterer Fragen gehen, die von der Enquete-Kommission geprüft werden müssen. Ich darf in dem Zusammenhang auch die Rechtsstellung der Parlamentarischen Staatssekretäre erwähnen. Die Beantwortung einer entsprechenden Kleinen Anfrage meiner Fraktion hat gezeigt, daß die Regelung in den einzelnen Bundesressorts höchst unterschiedlich, höchst ungereimt ist und vielfach mindestens mit dem Geist des Gesetzes im Widerspruch steht.Die uns täglich vor Augen stehende Problematik des im Grundgesetz festgelegten Ressortprinzips im Verhältnis zwischen dem Bundeskanzler und seinem Außenminister sollte auch ein Denkanstoß für die Enquete-Kommission sein. Die bisher bekannten Organisationsvorstellungen über den Ausbau des Kanzleramts zu einem Überministerium lassen auch diese Grundsatzfrage als besonders dringlich und der Nachprüfung wert erscheinen.
Den Verfassungsauftrag zur Neugliederung des Bundesgebiets, Herr Minister Genscher, möchte ich nur deshalb erwähnen, weil Sie selbst in den vergangenen Jahren über dieses Thema sehr viel gesprochen haben, insbesondere in Ihrer damaligen Stellung als Sprecher der Opposition. Ich nehme an, daß Sie in der Zwischenzeit die Vielschichtigkeit und die Schwierigkeit dieses Unternehmens selber von einer anderen Warte aus kennengelernt haben und vielleicht ein wenig anders sehen als damals, als Sie den damaligen Regierungen und Amtsinhabern schwere Versäumnisse auf diesem Gebiet vorhielten. Bisher haben Sie zur Frage der Neugliederung auch nicht mehr getan, als die Bildung einer Regierungskommission und allerdings die Bewilligung der Planstelle eines Ministerialdirektors anzuregen. Dies allein wird das Problem sicher nicht lösen.
Das ist gar nicht einmal ein Vorwurf, Herr Minister Genscher; denn ich glaube auch einiges von den Schwierigkeiten des Problems zu wissen. Es ist nur eine Betrachtung zum Funktionswandel eines Politikers angesichts eines solchen Themas.Meine Freunde und ich begrüßen, Herr MinisterGenscher, daß der Bundesinnenminister seine Zuständigkeit als Verfassungsminister dem Bundesjustizminister gegenüber energisch verteidigt. Wir sind der Auffassung, daß er der eigentliche Gesprächspartner des Parlaments in Verfassungsangelegenheiten ist und sein sollte.
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BendaEinige Bemerkungen zum Thema der öffentlichen Sicherheit. Dem Bundesinnenminister sind wichtige Instrumente der öffentlichen Sicherheit anvertraut, von denen ich als erstes den Bundesgrenzschutz erwähne. Sie haben bei Ihrem Amtsantritt fertig ausgearbeitete Pläne für den Ausbau des Bundesgrenzschutzes vorgefunden, auch für die Beantwortung der Frage, wie sich der BGS auf die neuen, ihm von der Notstandsverfassung übertragenen Aufgaben vorbereiten soll. Nach Ihren eigenen Darlegungen vor dem Bundestagsinnenausschuß und Ihren öffentlichen Äußerungen — ich erwähne Ihre Rede auf der Kommandeurstagung in Hangelar — möchte ich, vor allem angesichts der im Haushaltsplan eingesetzten Verstärkungsmittel, feststellen, daß Sie die unter meiner damaligen Verantwortung aufgestellte Planung organisch fortführen. Meine Freunde und ich stimmen Ihnen auch darin zu, daß die primäre Aufgabe des Bundesgrenzschutzes die Sicherung der Grenze und der Demarkationslinie bleiben muß. Ich halte es aber nach wie vor für wichtig — ich meine, daß wir uns auch darin einig sind —, daß der Bundesgrenzschutz polizeilich so ausgebildet wird, daß er seine Aufgaben im Innern des Bundesgebiets dort, wo es rechtlich zulässig und nach der Lage notwendig ist, voll wahrnehmen kann. Dazu gehören die Ausbildung und der Einsatz nicht nur in einem größeren Verband, sondern auch in kleineren Gruppen, auch im Einzeldienst, wie dies z. B. bei der Sicherung des Frankfurter Flughafens gerade in den letzten Wochen in Erscheinung trat.Wir stimmen mit Ihnen auch darin überein, daß der Charakter des Bundesgrenzschutzes als einer disziplinierten, vorzüglichen Polizeitruppe unbedingt erhalten bleiben muß.Schließlich unterstützen wir Sie darin, daß die Wahrnehmung grenzpolizeilicher Aufgaben einschließlich der Paßnachschau in den Bereich des Innenressorts gehört und daher der Grenzschutzeinzeldienst erhalten bleiben muß. Ich meine, daß die soeben vorgelegte Kriminalstatistik eine andere Beurteilung nicht zuläßt. Gerade die gefährlichsten Kriminellen sind in der Mehrzahl reisende Täter, die nur von hierfür besonders vorgebildeten Polizeibeamten wirkungsvoll verfolgt werden können.Damit bin ich bei dem allgemeineren Thema der Verbrechensbekämpfung. Auch in diesem Bereich konnten Sie auf langfristige Planungen aus der Amtszeit Ihres Vorgängers zurückgreifen: Ich meine den sogenannten Fünfjahresplan zum Ausbau des Bundeskriminalamts.Die Bundesregierung hat bereits in ihrer Regierungserklärung ein Sofortprogramm zur Intensivierung der Verbrechensbekämpfung angekündigt. Vorgelegt ist es diesem Hause bisher noch nicht, obwohl mittlerweile sieben Monate vergangen sind. Ich meine, daß man nach diesem Zeitablauf von einem Sofortprogramm wohl nicht mehr reden kann. Ich gehe im übrigen davon aus, daß das Sofortprogramm nichts anderes darstellt als die erste Stufe des schon von mir vorgelegten Fünfjahresplans.Wir haben vor wenigen Tagen mit Interesse die schriftliche Antwort auf die von meiner Fraktioneingebrachte Große Anfrage zur Verbrechensbekämpfung gelesen. Darüber wird in diesem Hohen Hause intensiv debattiert werden müssen. Ich möchte daher jetzt nicht auf Einzelheiten eingehen, sondern nur auf das in der Antwort — die Kriminalstatistik bestätigt das leider — dargelegte erschrekkende Anwachsen der Kriminalität vor allem in drei Bereichen. Neu ist das erhebliche Ansteigen im Bereich der Gewaltverbrechen, der Rauschgiftdelikte und der Straftaten, die von Minderjährigen begangen werden.Es besteht zwischen Herrn Minister Genscher und uns Übereinstimmung darüber, daß der personelle und organisatorische Ausbau des Bundeskriminalamts intensiv und organisch fortgesetzt werden muß. Wir begrüßen daher, daß hierfür im Haushaltsplan erhebliche Mittel in Ansatz gebracht wurden. Wir meinen aber — die Aussprache über unsere Große Anfrage wird Gelegenheit geben, das Thema weiter zu verfolgen —, daß weitere Maßnahmen im polizeilichen Bereich, insbesondere eine Verbesserung der Polizeistruktur im Bund und in den Ländern, nötig sein werden.Ich komme nun auf einen Bereich der inneren Sicherheit zu sprechen, den der Herr Bundesinnenminister unserer Auffassung nach vernachlässigt: ich meine den Bereich der politischen Kriminalität. Es gab bald nach der Amtsübernahme die Episode —hoffentlich war es nur eine Episode — mit den „Schwarzen Panthern". Ich will sie hier nicht intensiv nachvollziehen. Aber Sie werden sich daran erinnern, daß einer der Führer der gewalttätigen amerikanischen Negerorganisation in das Bundesgebiet einreisen wollte, um sich hier an Demonstrationen der APO gegen die amerikanischen Streitkräfte zu beteiligen. Die Beamten des Innenministeriums verhängten zunächst ein Einreiseverbot, wahrscheinlich weil sie über die Gefährlichkeit dieses Mannes von den zuständigen Dienststellen unterrichtet waren. Nachdem .,,Big Man", wie er genannt wurde, bereits zurückgewiesen war, hat Herr Genscher das Einreiseverbot wieder aufgehoben, weil er, wie ich annehme, diesen Herrn für eine harmlose Erscheinung hielt.
Wir haben über diese Entscheidung in diesem Hause mehrfach diskutiert. Nachdem nun auch in deutschen Städten von der extremen Linken geschossen wird, ist es notwendig, diesen Vorgang noch einmal aufzugreifen, Herr Kollege Dr. Rutschke.
Ich möchte die Frage stellen, von wem die radikalen Mitglieder der APO den Umgang mit Waffen gelernt haben. Haben sie das an der Freien Universität Berlin oder im Republikanischen Club gelernt?
Oder ist es vielleicht so, daß Leute wie „Big Man" oder andere „Schwarze Panther", die sich inzwischen im Bundesgebiet aufhalten, hierfür einstweilen noch die technisch besseren Kenntnisse haben? Auch das könnte sich ändern.
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BendaZum Thema der inneren Sicherheit gehört die Feststellung, daß die Demonstrationen der radikalen Linken insbesondere — aber nicht nur — in meiner Heimatstadt Berlin immer bedrohlichere und gefährlichere Formen annehmen. Wie gefährlich die Situation mittlerweile ist, zeigt die jüngste Äußerung des Innensenators von Berlin, der öffentlich von der Möglichkeit der Notwendigkeit des Waffengebrauchs durch die Polizei gesprochen hat.Als ich Bundesinnenminister war — ich war es damals erst wenige Wochen —, fanden bekanntlich die sogenannten Osterunruhen und dann einige Zeit später die Aktionen und Demonstrationen anläßlich der Verabschiedung der Notstandsverfassung statt. Damals sprachen wir von dem heißen Sommer 1968. Aber kein Innenminister, kein Innensenator des Bundes und der Länder hat die Möglichkeit des Schußwaffengebrauchs auch nur zu erwähnen brauchen. Diese Situation hat sich damals sicherlich nicht ergeben. Ich sage das übrigens nicht als eine Kritik an Herrn Senator Neubauer, sondern ich sage es, um klarzustellen, wie die Lage in unserem Lande inzwischen geworden ist.Vor wenigen Wochen, in der Debatte über Demonstrationsdelikte und die Amnestie, ist hier von den Koalitionsfraktionen im Zusammenhang mit der Amnestie der Befriedungseffekt beschworen worden. Mittlerweile hat sich diese Illusion als eine Seifenblase erwiesen, die vor aller Öffentlichkeit geplatzt ist.
Ich frage den Bundesminister des Innern, warum er geschwiegen hat, als die Polizeipräsidenten deutscher Großstädte vor einer Aufweichung der Strafbestimmungen über den Gemeinschaftsfrieden gewarnt haben. Ich frage, warum er geschwiegen hat und warum er nicht Einfluß genommen hat auf seine Parteifreunde, insbesondere die Kollegin Frau Dr. Diemer-Nicolaus, die sich ganz besonders für eine extreme Aufweichung des Strafrechts in diesem Bereich eingesetzt hat. Ich frage mich, warum der Bundesinnenminister zu den Straßenkämpfen bei der Kambodscha-Demonstration in Berlin schweigt, warum er zu den Vorfällen bei der alliierten Truppenparade an der Technischen Universität Berlin schweigt und warum er nur in Form eines allgemeinen Bedauerns zu der gewaltsamen Entführung des Brandstifters Bader, bei der ein Mensch lebensgefährlich verletzt worden ist, sich geäußert hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Diemer-Nicolaus?
Bitte schön.
Herr Kollege Benda, Sie haben mich soeben zitiert und gesagt, daß ich einen extremen Standpunkt hinsichtlich der Demonstrationsdelikte eingenommen hätte. Würden Sie bitte diese Äußerung vielleicht in der Form klarstellen, daß ich mich immer mit aller
Entschiedenheit gegen die unfriedliche Demonstration gewandt und immer wieder betont habe — auch in der Haushaltsdebatte —, daß Gewalttätigkeiten unter keinen Umständen geduldet werden können?
— Doch, das kann man unterscheiden. Auch die Polizei hat gesagt, sie greife nur den harten Kern. Ich möchte das von Ihnen nur gern klargestellt haben, daß Ihre Äußerung „extremer Standpunkt" nicht in diesem Sinne verstanden werden kann.
Frau Kollegin Dr. Diemer, ich habe Sie nicht zitiert, sondern ich -habe Sie in Ihrer Haltung charakterisiert, und ich glaube, ich sehe Ihre Haltung so richtig.
Ich bestätige Ihnen sehr gern, daß Sie hier bei verschiedenen Gelegenheiten zum Ausdruck gebracht haben, daß Sie gegen Gewalttaten im Zusammenhang mit diesen Vorgängen wie überhaupt sind. Aber ich bleibe bei meiner Meinung, daß die Regelungen, die Sie hier vorgeschlagen haben und die zu einem wesentlichen Teil von der Mehrheit hier beschlossen worden sind, zu dem von Ihnen nicht gewünschten Effekt zwangsläufig haben führen müssen und auch geführt haben. Das ist meine Auflassung.
Herr Kollege, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Diemer-Nicolaus?
Bitte schön.
Herr Kollege Benda, darf ich Sie daran erinnern, daß über diese Probleme ja schon im Zusammenhang mit dem Justizhaushalt gesprochen und debattiert wurde. Möchten Sie, daß diese Dinge heute hier noch einmal behandelt werden?
Frau Kollegin Diemer, für diese Frage bin ich dankbar, und ich nehme an, daß ich jetzt Gelegenheit bekomme, meine weiteren Ausführungen zu machen. Natürlich ist es legitim, dies in der Diskussion über den Justizhaushalt zu behandeln. Aber sind Sie wirklich der Meinung, daß sich der Bundesminister des Innern so verhalten kann, wie er sich in der Tat in seiner Politik bisher insoweit verhalten hat, nämlich so, als ob dieses Thema ihn nichts angehe? Ich finde — ich komme zurück auf ,den Einwurf des Kollegen Dr. Arndt am Beginn —: Es ist eine zentrale Verantwortung des Bundesministers des Innern, daß er in Fragen, die die öffentliche Sicherheit unseres Landes und seiner Menschen angeht, sich nicht nur eine Meinung bildet, sondern eine Konzeption vorlegt und diesem Hause vorträgt, was nach seiner Meinung hier zu geschehen hat. Das hat er im Kabi-
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Bendanett zu tun, und das hat er vor diesem Hause zu tun.
Herr Kollege Benda, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich darf eben diesen Gedanken zu Ende führen; vielleicht gibt er den anderen Kollegen Gelegenheit, das fortzusetzen.
Ich weiß ja — ich bin gerne bereit, das zu bestätigen; ich wollte das ohnehin noch sagen —, ,daß der Herr Bundesminister des Innern ;dann, wenn derartige Vorgänge geschehen, sagt: Das ist aber schrecklich. -- Natürlich ist es schrecklich. Aber, Herr Minister Genscher, Sie reden von diesen Dingen wie jener bekannte Pfarrer in der Kirche, bei dem man fragt: Worüber hat er denn gepredigt? — Ja, er hat über die Sünde gepredigt. — Was hat er denn gesagt? — Er war dagegen. — Es mag ein Unrecht gegenüber dem betreffenden Pfarrer sein, ihn nur so zu interpretieren. Nun habe ich aber — wenn ich bei dem Bilde bleiben darf — Ihre einschlägigen Predigten entweder mitverfolgt oder nachgelesen. Ich würde, wenn ich ihren Inhalt zusammenfassen darf, bisher nicht mehr ,sagen können, als daß Sie ,dagegen sind, was, wie ich annehme, selbstverständliche gemeinsame Auffassung aller hier im Hause vertretenen Parteien und aller Mitglieder dieses Hauses ist. Insoweit haben Sie uns bisher zu diesem Thema überhaupt nichts Neues gesagt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?
Herr Kollege Benda, darf ich noch einmal zurückkommen auf die Zwischenfrage der Frau Kollegin Diemer-Nicolaus? Würden Sie dieses Haus darüber informieren, daß sich Frau Kollegin Diemer-Nicolaus ebenso wie die anderen Abgeordneten ;der Koalitionsfraktionen in diesem Hause mit großem Nachdruck für Straffreiheit für gewalttätige Demonstranten eingesetzt haben?
Ich nehme an, daß die Mitglieder des Hauses die Debatte und die Ausführungen der Frau Kollegin Dr. Diemer zu ;diesem Punkte noch in Erinnerung haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
Herr Kollege Benda, würden Sie meine Meinung teilen, daß es der FDP und der SPD vielleicht peinlich sein könnte, wenn wiederholt diese Dinge angesprochen würden?
Diese Frage mag die FDP selber beantworten. Ich bin ja sehr gespannt. Ich habe einstweilen eine Reihe von Fragen aufgeworfen. Ich nehme an, daß der Herr Bundesminister des Innern und seine Parteifreunde Gelegenheit nehmen, die Auffassung der FDP gerade im Lichte der neuen praktischen Erfahrungen, die wir gemacht haben, hier noch vorzutragen.
Ich darf auf meinen Satz zurückkommen. Ich bin schon der Meinung, daß es die Verantwortung des Bundesministers des Innern ist, der für die öffentliche Sicherheit in unserem Lande mit verantwortlich ;ist. Dabei kenne ich die Zuständigkeiten sehr genau, aber auch die Bereitschaft, Herr Kollege Genscher, der Innenminister und Innensenatoren der Länder, die ich mit Dankbarkeit immer empfunden habe, mit dem Bundesminister ;des Innern in diesen Fragen 'auf das engste und vertrauenvollste zusammenzuarbeiten. Das hat sich ja doch wohl nicht geändert nach meiner Überzeugung und nach meinen Eindrücken. Daraus ergibt sich die Verantwortung vor diesem Hause und in der Bundesregierung und vor der Öffentlichkeit, nicht nur das Bedauern zum Ausdruck zu bringen, sondern eine Konzeption zu entwickeln und vorzutragen, was denn ;in dieser Beziehung geschehen kann. Ich habe allerdings die Stimme des Bundesministers des Innern bei der Amnestiedebatte, der bei Demonstrationsstrafrecht-Debatte und bei anderen einschlägigen Debatten in diesem Hause bisher nicht gehört. Deswegen möchte ich ihn darauf einmal angesprochen haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert?
Wenn ich es verbinden darf mit ;der Bemerkung, daß ich dann bitte, in diesem Zusammenhang möge es die letzte Frage sein, weil ich sonst mein Versprechen, meine Redezeit einzuhalten, kaum erfüllen kann.
Herr Kollege Benda, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß, abgesehen von den aus einer ganz ungewöhnlichen Sondersituation herrührenden Verhältnissen in Berlin, im gesamten Bundesgebiet trotz verschiedener Versuche, Rotpunktaktionen und dergleichen in Gang zu setzen, seit Inkrafttreten der Gesetzesänderung die Demonstrationen unvergleichlich friedlicher verlaufen sind, als das in vergleichbaren früheren Zeiten der Fall war?
Herr Kollege Kleinert, es gibt eine ungewöhnliche Sondersituation in Berlin in einem Punkte, ja. Es gibt ein besonders ungewöhnliches Maß an Unfähigkeit der zuständigen politischen Instanzen der Stadt Berlin, mit diesem Problem fertig zu werden.
Das ist allerdings etwas Besonderes. Darüber ist ja in Berlin gesprochen worden.
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BendaIn diesem Zusammenhang darf ich die Frage gleich stellen — auch an den Herrn Bundesminister des Innern —, wie er eigentlich die Haltung seiner Parteifreunde und Ihrer Parteifreunde, Herr Kollege Kleinert, in Berlin beurteilt, die vor ganz wenigen Tagen gegen das von Ihrem eigenen Senat, den Sie stützen, politisch eingebrachte Gesetz gegen unmittelbaren Zwang gestimmt haben, das dann mit den Stimmen der SPD und der oppositionellen CDU verabschiedet werden mußte.Im übrigen aber — um auf Ihre Frage, Herr Kleinert, zurückzukommen —: Sie irren über die tatsächliche Situation. Es werden in Berlin in der Tat an bestimmten Stellen und gegen bestimmte Objekte Molotow-Cocktails geworfen. Das geschieht aber z. B. auch in München.
Das Merkwürdige ist, daß man das dann nur in wenigen Zeilen in der Zeitung überhaupt noch liest, offenbar weil man das für keinen besonders bemerkenswerten Vorgang mehr hält. Ich finde das eigentlich genauso beunruhigend wie den Vorgang selber. Darüber sollte man einmal nachdenken,
statt sich in die Illusion zu hüllen: Na ja, das ist eben Berlin, und im übrigen sind die Dinge in Ordnung. Herr Kleinert, ich fürchte, Sie werden auch aus dieser Illusion noch ein Erwachen haben. Je früher Sie erwachen, desto besser wird es sein. Ich fürchte, sonst wird es ein ziemlich böses Erwachen geben.
— Ich bitte um Entschuldigung, Herr Kollege de With. Ich hatte vorher gesagt, daß ich jetzt doch bitte, daß ich in meinen Gedanken fortfahren und zum Abschluß kommen kann. Ich glaube, das Thema ist auch für diese Debatte, von mir aus gesehen, zunächst mal ausführlich genug erörtert.
Ich möchte abschließend jetzt noch wenige Einzelpunkte aus dem Bereich des Innenressorts behandeln.Bei der Fortentwicklung und Modernisierung des Rechts des öffentlichen Dienstes ist ein erster Schritt mit der Neufassung der Bundeslaufbahnverordnung getan worden. Auch hierzu, Herr Minister Genscher, hat Ihnen bei Ihrem Amtsantritt ein Entwurf vorgelegen. Sie haben ihn im wesentlichen übernommen und nur in einigen Punkten geändert, wodurch leider das ursprüngliche Konzept wieder etwas konservativer wurde. Ich hätte mir manches fortschrittlicher gewünscht, Sie möglicherweise auch, Herr Genscher, als es dann verabschiedet worden ist.Die weitere Entwicklung der Akademie für öffentliche Verwaltung macht mir Sorge. Ich halte die gegenwärtige Lösung und Personalunion des Leiters der Abteilung Dienstrecht Ihres Hauses, der zugleich Leiter der Akademie ist, aus mehreren Gründen fürproblematisch, vor allem deswegen, weil die Leitung einer so umfangreichen und wichtigen Abteilung dem Abteilungsleiter sicherlich kaum Zeit läßt, sich einer im Aufbau befindlichen Institution mit der notwendigen Intensität zu widmen.Sie werden bei Ihrem Bestreben, die Besoldungseinheit herzustellen, die Unterstützung meiner Fraktion bekommen. Ob hierzu die von Ihnen erstrebte Änderung des Art. 74 a des Grundgesetzes notwendig ist, werden wir sorgfältig prüfen, wie ich hoffe, mit Ihnen zusammen besprechen und dann entscheiden. Entscheidend wird der Wille der Bundesregierung sein, die Besoldungseinheit auch dann aufrechtzuerhalten, wenn es nicht populär ist.Wir werden mit Aufmerksamkeit verfolgen, ob die Bundesregierung wirksame Schritte zum Abbau des Besoldungsrückstandes unternimmt. Wir bedauern deshalb auch, daß die Bundesregierung unseren Antrag, allen Beamten vermögenswirksame Leistungen zu gewähren, abgelehnt hat. Nach der gegenwärtigen Lohn- und Preisentwicklung scheint es mir fraglich zu sein, ob die am 1. Januar 1970 in Kraft getretene Besoldungserhöhung für das ganze Jahr wird Bestand haben können oder ob die allgemeine Lohnentwicklung zusätzliche Maßnahmen er- fordert.Zum Sport, der schon in den Berichten intensiv behandelt worden ist, möchte ich nur eine ganz kurze, etwas persönlich gefärbte Bemerkung machen. In meiner Amtszeit hatte ich beim Bundesministerium des Innern einen Sportbeirat gebildet. Ihm gehörten aktive Spitzensportler, Sportwissenschaftler und Trainer an. Der Sinn dieser Einrichtung war, unmittelbaren Kontakt mit den aktiven Einrichtungen für eine Meinungsbildung als Sportminister zu bekommen. Dabei sollte die Zuständigkeit der offiziellen Gremien des Deutschen Sportbundes nicht angetastet werden. Soweit ich unterrichtet bin, Herr Minister, haben Sie diesen Sportbeirat nicht abgeschafft. Sie haben aber dieses Gremium bisher nicht ein einziges Mal zusammengerufen. Sie haben seine Mitglieder bisher im unklaren darübergelassen, ob sie eigentlich einem solchen Beirat noch angehören, mit anderen Worten, ob Ihr Rat noch gebraucht wird oder nicht. Ich empfinde das als eine Art Unhöflichkeit. Ich weiß, daß Mitglieder des Beirats es genauso empfinden, deswegen sage ich es. Ich empfinde es als eine Art Unhöflichkeit gegenüber den in dieser Sache sehr bereitwilligen und sehr engagierten Mitgliedern des Sportbeirats. Ich nehme an, es ist eine unbewußte Unhöflichkeit. Aber ich meine, daß Sie in dieser Frage sehr bald so oder so eine Entscheidung treffen sollten.Eine Bemerkung zum Thema des Umweltschutzes. Wir sind der Auffassung, daß es nicht allein ausreicht, für diesen Bereich mehr Bundeskompetenz zu verlangen. Auch darüber wird zu sprechen sein. Wichtiger ist die Erarbeitung von Konzeptionen, die konkrete Lösungsmöglichkeiten für die drängenden Probleme aufzeigen.Ich fasse meine Bemerkungen zum Haushalt des Herrn Bundesinnenministers folgendermaßen zu-
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Bendasammen. Ich finde es bemerkenswert, daß ein sich so fortschrittlich gebender Politiker wie Herr Genscher das Bundesinnenministerium in einer vorsichtig beharrenden, ich möchte meinen, geradezu konservativen Weise führt.
Ich freue mich einerseits über das hohe Maß an sachlicher Kontinuität. In dem umfangreichen Katalog der von Ihnen in Angriff genommenen oder in Aussicht gestellten Vorhaben habe ich keine neuen Punkte, aber dafür sehr viele alte bekannte wieder treffen können. Dagegen muß man ja nicht sein. Ich freue mich über das hohe Maß an sachlicher Kontinuität, würde mir aber auch in vielen Bereichen neue Ideen oder die Fortführung neuer Ideen wünschen. Vielleicht genügt es nicht, Herr Minister, daß man dynamisch erscheint, sondern man sollte es auch sein! Aber Sie haben ja — und auch das gehört wohl noch zu dem Bild — eine Vorliebe für das Einfliegen mit Hubschrauber bei Feuersbrünsten, Wassersnot und sonstigen Unglücksfällen, wobei ich wohl weiß: It's no business like show business, aber natürlich sollte man gelegentlich einmal auch die Frage nach der sachlichen Effizienz eines solchen Tuns stellen.Natürlich ist die Amtsführung des Herrn Ministers geprägt von seiner Stellung als eigentlicher Führer seiner Partei. Er kommt mir oft vor wie Atlas, der die FDP auf seine Schultern geladen hat, und das ist keine so geringe Last, wie die Größe'j dieser Partei oder ihr Erfolg bei den Wählern es zunächst anzudeuten scheint. Um diese Aufgabe sind Sie sicherlich nicht zu beneiden. Aber man sollte auch im Ernst sagen, daß das Amt des Bundesinnenministers vollen Einsatz verlangt und daß bei einer solchen Doppelbeanspruchung auf die Dauer entweder Amtsführung oder Gesundheit des Amtsinhabers Schaden leiden müssen.Herr Minister Genscher, meine Freunde und ich sind bei einer Kritik an wichtigen Einzelpunkten Ihrer Amtsführung bereit, Ihnen eine Chance zu geben. Ich ziehe vor, dabei weniger von einem Vertrauensvorschuß als von einer Bewährungsfrist zu reden. Wir werden bei der Abstimmung über Ihren Haushalt auch konsequent sein.Im April 1968 hat Herr Dorn angeboten, die Freie Demokratische Partei werde sich — als eine Art Vertrauensvorschuß — bei der Abstimmung über meinen Haushalt der Stimme enthalten. Ich habe ihm damals entgegengehalten, und ich darf mich selber zitieren:Das Angebot der Stimmenthaltung ist unlogisch. Wenn Sie, wie Sie gesagt haben, dem neuen Minister Anspruch auf eine eigene Konzeption geben, d. h. eine Schonzeit, eine Bewährungsfrist, dann müssen Sie ihm natürlich auch Geld geben, damit er sie durchsetzen kann.Wir werden, Herr Minister Genscher, dem Gesetz der Logik folgen; wir werden Ihrem Etat zustimmen!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer . Für ihn sind 30 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist das erstemal, daß bei der Beratung und Verabschiedung des Haushaltsplans des Innenministeriums ein Minister diesen Haushalt vertritt, der nicht der CDU/CSU angehört. Wenn man, Herr Kollege Benda, den Maßstab anlegt, den Sie eingangs erwähnt haben, daß dieses Ministerium mit seinen Aufgaben ein Modell sein könnte, dann muß man sagen: Die CDU-Minister haben in den letzten 15 Jahren diesen Anforderungen nicht genügt.
Wenn man Ihre Amtsführung betrachtet, Herr Benda, dann kommt man zu der Feststellung, daß Sie von den Aufgaben, die Sie selbst hier erwähnt haben, als wichtigste die der inneren Sicherheit angeben. Das heißt, um mit Ihren eigenen Worten zu sprechen, daß Sie sich in erster Linie als Polizeiminister gesehen haben. Das ist Ihre Sache. Aber wenn Sie sich dann hier hinstellen und meinen, den Senat von Berlin in dieser Weise rügen zu müssen, dann frage ich Sie: Sollen wir Sie, Herr Benda, in Ihrer Amtsführung daran messen, wie viele unfriedliche Demonstrationen während der Zeit waren, in der Sie Innenminister waren, oder würden Sie einen solchen Maßstab ablehnen?
In gleicher Weise disqualifizieren Sie sich, wenn Sie von hier aus den Senat von Berlin beurteilen wollen. Wir alle bedauern diese Demonstrationen, und keiner wird hier im Hause in der Lage sein, mit Überzeugung zu sagen, daß das neue Demonstrationsrecht hier nicht neue Wege geht und neue Möglichkeiten zur Befriedung gibt. Die Zwischenfragen haben schon deutlich gemacht: wir haben keinen Solidarisierungseffekt erlebt, sondern eine Begrenzung auf Berlin, was gegenüber den früheren Vorgängen ein wesentlicher Fortschritt ist.
Nun aber zum Ministerium selbst. Wir stellen mit Genugtuung und mit Befriedigung fest, daß das Ministerium seine Arbeit heute anders auffaßt als früher. Es gibt einige vorbereitende Maßnahmen aus Ihrer Zeit, Herr Benda, die durchaus anerkennenswert sind — ich werde sie nachher noch im einzelnen erwähnen —, aber im wesentlichen war die Situation dadurch gekennzeichnet, daß das Innenministerium nicht langfristig arbeitete, sondern Ad-hoc-Entscheidungen zustande zu bringen versuchte. In den letzten Jahren hat dieses Haus seine zentrale Bedeutung innerhalb der Verwaltung und innerhalb der Regierung gefährdet, ja zum Teil eingebüßt. Wir stellen heute fest, daß das von Minister Genscher geleitete Innenministerium in der Regierung Brandt wieder zu dem zentralen Ort wird, der es sein sollte. Wir von der SPD begrüßen und
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Dr. Schäfer
unterstützen diese Arbeit. Wir begrüßen die langfristig angelegte Arbeit auf einzelnen Gebieten — ich werde das gleich darzulegen haben — und die konsequente Inangriffnahme der Reformvorschläge. Herr Benda, es geht nicht nur darum, Pläne auszuarbeiten, sondern man muß auch den Mut haben, sie in die Tat umzusetzen, und zwar schrittweise, so wie sie verwirklicht werden können.Die erste und wichtigste Aufgabe dieser Regierung ist die der Weiterentwicklung der Verfassung. Schon in der Regierungserklärung ist angekündigt, daß eine Kommission über das Bund-Länder-Verhältnis eingesetzt wird; sie wird uns helfen. CDU/ CSU, SPD und FDP haben die entsprechenden Anträge gestellt. Wir haben gestern abend hier über die Einsetzung einer Enquete-Kommission gesprochen. Ich gehe davon aus, daß die Arbeit in enger Zusammenarbeit mit den Kräften des Innenministeriums durchgeführt wird und daß wir hoffentlich in ungefähr einem Jahr dann zu einem konkreten Ergebnis kommen. Wir sind uns in diesem Hohen Hause hoffentlich darüber einig, daß Verfassungsänderungen das ganze Haus betreffen und möglichst aus einem Guß sein sollten. Wir möchten von dem Zustand herunterkommen, der seit Jahren kennzeichnend ist, daß wir nämlich im Durchschnitt jedes Jahr eine Verfassungsänderung vornehmen.Ich komme nun auf die einzelnen Gebiete, und zwar zunächst auf das Gebiet des öffentlichen Dienstes zu sprechen. Wir haben die neue Besoldung am 1. Januar eingeführt. Wir haben der Regierung aufgegeben, den Besoldungsrückstand bis Ende des Jahres zu prüfen, um Ordnung in die Besoldung hineinzubringen. Die Arbeiten sind im Gange. Wir haben der Regierung aufgegeben, bis Ende nächsten Jahres einen Bericht über die Fortentwicklung und Neugestaltung des öffentlichen Dienstes vorzulegen. Das sind lauter Aufgaben, die in dieser Legislaturperiode angefaßt und zum Teil auch schon in die Tat umgesetzt werden müssen. In diesem Zusammenhang ist zu sagen, daß wir alle wissen, daß es sich hier um Entwicklungstendenzen handelt, die verhältnismäßig viel Zeit in Anspruch nehmen.Wir haben hier in diesem Hause gestern das erstemal vermögenswirksame Maßnahmen beschlossen. Ich möchte hier noch einmal besonders erwähnen, daß es diese Regierung war, die diesen ersten Schritt getan hat. Keine Regierung vorher hatte den Mut dazu, das zu tun.
— Herr Burgbacher, Sie wollen doch nicht bestreiten, daß das so ist. Ich hoffe, daß es Ihnen nicht leid tut, daß wir das beschlossen haben.
Wir hoffen, daß die Initiative, dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis auf dem Gebiet des Besoldungswesens zu geben, Erfolg hat, d. h. daß der Bundesrat diesem Gesetz ebenfalls mit Zweidrittelmehrheit zustimmt. Gerade auf demGebiete des Besoldungswesens finden wir einen Zustand vor, der so nicht bestehenbleiben darf und der einer einheitlichen Gesamtregelung im Bundesgebiet, aber auch einer normalen Ordnung innerhalb des Bundesrechts bedarf. Wir haben die Beratung eines vom Bundesrat vorgelegten Gesetzentwurfes über die Richterbesoldung im Ausschuß einstimmig ausgesetzt, weil wir der Meinung sind, daß erst in Ruhe durchdacht werden sollte, ob hier eine eigene Besoldung geschaffen wird, und weil wir der Auffassung sind, daß in Ruhe durchdacht werden sollte, welche Auswirkungen das auf das allgemeine Besoldungsgefüge haben wird. Wir erwarten von der Bundesregierung, vom Bundesinnenminister, daß er dem Hause bis zum Herbst konkrete Vorschläge geben kann. Aus den ersten Beratungen dürfen wir schließen, daß das Innenministerium hier wertvolle Arbeit leisten wird.Wir erwarten dieses Jahr noch einen Gesetzentwurf über die Personalvertretung. Hier kommt es auf den fortschrittlichen Geist an, der von den Regierungsparteien vertreten wird, auch im öffentlichen Dienst mehr Demokratie, mehr Mitspracherecht der Bediensteten zu schaffen. Da kann man sehr viel tun, und die SPD hat ja bereits im letzten Bundestag einen dementsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Er wird für uns die Grundlage der weiteren Beratungen sein.Einige Bemerkungen zum zweiten großen Gebiet, zur Frage der öffentlichen Sicherheit; hier zunächst zum Bundesgrenzschutz. Es lagen Pläne vor, aber wir wissen um ein Jahrzehnt der Bemühungen, den Bundesgrenzschutz zu einer wirklichen Sicherheitseinrichtung für das ganze Bundesgebiet zu machen. Hier gibt es einerseits bei den Ländern eine Entwicklung in der Ausstattung und Ausbildung der Bereitschaftspolizei, die wir sehen müssen. Wir begrüßen es, 'daß der Bundesminister des Innern die Entwicklung beim Bundesgrenzschutz so weiterführen will, daß auch für 'den Fall des Art. 91 Abs. 2 des Grundgesetzes die öffentliche Sicherheit und Ordnung im ganzen Bundesgebiet gewährleistet werden kann; denn letztlich tragen wir hier die Verantwortung dafür.Es wird auf diesem Gebiet einige schwierige Fragen geben, Herr Minister Genscher, die, so hoffen wir, auch im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen geklärt werden können, schwierige Fragen, was den Bundesgrenzschutzeinzeldienst anbelangt, und auch schwierige Fragen, was die Stationierung des Bundesgrenzschutzes anbelangt. Das ist nicht nur eine Frage der Größenordnung, sondern es geht dabei, wie sich z. B. jetzt in Frankfurt auf dem Flughafen zeigte, auch um die Frage, inwieweit der Bundesgrenzschutz über seine derzeitige Aufgabe hinausgeführt werden soll, um eine allgemeine Sicherheitsaufgabe zu übernehmen. Das will überlegt sein. Das muß im Einvernehmen mit den Ländern geregelt und kann nicht gegen die Länder entschieden werden. Wir wissen, daß Sie, Herr Minister, hier in einer nützlichen laufenden Aussprache mit den Landesministern und Landesregierungen stehen; wir unterstützen das.
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Dr. Schäfer
Ein Zweites auf diesem Gebiet, die Frage der Kriminalpolizei. Wir haben es gern gesehen, daß Sie diesen vorbereitenden Gesamtplan, den FünfJahres-Plan über den Ausbau des Bundeskriminalamts, nun realisieren. Nahezu 300 neue Stellen in einem Jahr! Hier muß man bedenken, daß wir, wenn wir alle 900 Stellen neu schafften, gar nicht in der Lage wären, die qualifizierten Leute dafür zu bekommen. Aber ich möchte auf einen Gesichtspunkt aufmerksam machen, der für die Zukunft vielleicht doch sehr entscheidend ist. Wir haben erfreulicherweise festzustellen, daß sich die Grenzen in Europa geöffnet haben, daß man von hier nach Paris, nach Rom, nach England, überallhin, ohne Genehmigung, ohne ernsthafte Kontrolle reisen kann. Das macht die Frage der Verfolgung von Verbrechern schwieriger, das macht es notwendig, daß sich das Bundeskriminalamt für die Zukunft ganz besonders auf diese europäische Aufgabe einstellt, daß dementsprechend auch die personelle Qualität der Beamten geschaffen wird, die mehrsprachig sein müssen, daß wir eine europäische Kriminalpolizei bekommen müssen, um dem flüchtigen Verbrecher entsprechend begegnen zu können; eine Konzeption, die, wie ich sehe, bis jetzt noch nicht befriedigend vorhanden ist, ,die aber unabdingbar ist und die dann auch die Frage des Verhältnisses zu den Ländern, zu den Landeskriminalämtern, ganz selbstverständlich regelt.In diesem Zusammenhang ein Wort zum Verfassungsschutz. Wir begrüßen es, daß Sie den Gesetzentwurf über die Änderung des Grundgesetzes, über die Zusammenarbeit des Bundesverfassungsschutzamtes mit den Ländern, vorgelegt haben. Wir begrüßen, daß Sie die Ausländer, die die freiheitliche Ordnung unseres Staates mißbrauchen — eine ganz kleine Zahl, aber eine beachtliche Minderheit , mit in die Uberwachung und in die Schutzmaßnahmen dieses Staates einbeziehen.Nun noch einige andere Bemerkungen; zunächst zur Verwaltungsreform. Wir hoffen, daß die Arbeiten der Projektgruppe, die vor einigen Jahen eingesetzt wurde und nun verselbständigt ist, die nun unter der wesentlichen Verantwortung des Innenministeriums steht, zügig vorangetrieben werden. Es wäre sicherlich gut, wenn zwischendurch Modelle veröffentlicht würden. Eine solche Sache sollte nicht erst dann, wenn sie vollkommen ausgereift ist, veröffentlicht werden, sondern man sollte erwarten, daß Zwischenergebnisse zur Diskussion gestellt werden, um möglichst viele an dieser enorm schwierigen Aufgabe zu beteiligen. Dabei müssen wir uns darüber klar sein, daß das ein Prozeß ist, der zehn oder fünfzehn Jahre dauert. Aber er muß in Gang gesetzt weden. Damit verbindet sich das zweite, das wir laufend beachtet sehen wollen: die Fortbildung der Beamten. Dieses Wort Fortbildung muß sehr wörtlich genommen werden. In jedem Beruf muß man, wenn man seine allgemeine Ausbildung abgeschlossen hat, im Berufsleben enorm viel dazulernen. Das muß bei den einzelnen Beamtengruppen erst recht der Fall sein.Wir waren zunächst etwas reserviert und skeptisch, ob Ihre Bundesakademie diesen Aufgaben invollem Umfang genügt. Wir meinen, daß sie selbständiger und größer angelegt sein müßte. Was hier vorgesehen ist, erscheint uns beinahe ein bißchen zu schmalspurig. Wir meinen, daß diese Akademie so gestaltet werden sollte, daß sie nicht nur für die Beamten oder gar für einzelne Beamtengruppen arbeitet, sondern daß auch Leute der freien Wirtschaft dort teilnehmen sollten, damit man sich gegenseitig befruchtet. Denn wir sind doch wohl alle miteinander der Überzeugung, daß die öffentliche Hand über ein genügendes Wissen verfügen muß, um die Zusammenhänge zu erkennen. Heute weiß jeder von uns, daß Wirtschaft, Industrie, Bildungswesen usw. miteinander zusammenhängen und daß die öffentliche Hand hier eine lenkende Rolle spielt. Wir erwarten von dieser Akademie, daß sie Führungskräfte heranbildet, die in der Lage sind, ihren Aufgaben gerecht zu werden. Das, was bis jetzt konzipiert ist, erscheint .uns etwas zu schmalbrüstig und zu eng. Wir erwarten von Ihnen in der nächsten Zeit einiges mehr.Neu in Ihrem Ministerium sind die Zuständigkeiten für die Umweltmaßnahmen. Wir haben uns im Ausschuß berichten lassen. Wir erwarten hier, daß die Zuständigkeit auf den Bund übergeht, was die Frage der Wasserreinhaltung anbelangt. Das sind Fragen, die uns schon lange beschäftigen und bei denen die Kompetenz des Bundes zu schmal ist, um hier eine einheitliche, vernünftige Regelung im ganzen zustande zu bringen. Wir erwarten hier weitere Initiativen Ihres Ministeriums, weil das ein außerordentlich wichtiges Gebiet ist. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, werden, soweit es sich um Verfassungsänderungen handelt, die Berechtigung dieser Maßnahmen hoffentlich nicht bestreiten und die notwendigen Verfassungsänderungen möglich machen.In diesen Zusammenhang gehört die Kompetenz hinsichtlich der Raumordnung. Herr Kollege Benda, Herr Dorn hatte ganz recht, als er Ihnen damals riet, Ihre Abteilung Raumordnung abzugeben. Denn sie ist im Innenministerium ein so schlimm behandeltes Stiefkind gewesen, daß ich persönlich einmal Ihnen darüber berichtet und Ihnen gesagt habe: Das ist die Chance des Innenministeriums, in die Entwicklung einzugreifen! Sie haben das erkannt. Sie haben gesagt: Ja, da wird vieles geschehen. — Da ist gar nichts geschehen! Wenn ich die personelle Besetzung dieser Abteilung ansehe, bin ich enttäuscht. Wenn ich dann aber jetzt sehe, daß die CDU/CSU gegen die Vergrößerung dieser Abteilung um acht Bedienstete gestimmt hat, dann ist das vielleicht ganz charakteristisch dafür, daß man die Aufgabe, um die es sich hier handelt, gar nicht in vollem Umfang erkennt. Das ist eine entscheidende, wichtige Aufgabe; ich will es mir versagen, darauf weiter einzugehen.Ein besonders schwieriges Kapitel, das uns beschäftigen wird, ist die Frage der Abschlußgesetzgebung für die 131 er. Wir erwarten vom Ministerium im Herbst dieses Jahres einen ausführlichen Bericht, der so gestaltet sein möge, daß daraus die politischen Schlußfolgerungen für eine wirkliche Schlußgesetzgebung gezogen werden können.
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Dr. Schäfer
Noch ein Wort zu dem Erbe, das Sie aus dem Bundesministerium für Heimatvertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte übernommen haben. Hier ist ein neues Gebiet auf das Innenministerium zugekommen. Wir stellen mit Befriedigung fest, daß es nicht als Annex behandelt wird, sondern daß die enorm wichtigen Aufgaben, die dort noch bestehen, voll vom Ministerium übernommen werden. Wir haben das erste Gesetz über die Verbesserung der Unterhaltsleistungen verabschiedet. Wir werden weitere Gesetze über die Angleichung des Status der Flüchtlinge an den der Heimatvertriebenen zu behandeln haben, und wir erwarten, Herr Minister, daß Sie gerade diese Gruppe unserer Bevölkerung, die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, voll in die Betreuung Ihres Ministeriums einbeziehen, weil es sich hier, wie ich schon sagte, um außerordentlich schwierige und wichtige Probleme handelt.Alles in allem darf ich feststellen: Wir von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion begrüßen die Aktivität dieses Bundesministers des Innern, des Herrn Genscher.
Wir begrüßen seine Aktivität, die sich nicht darin erschöpft, über die Dinge zu reden, Pläne aufzustellen, sondern sie anzufassen, erste Schritte zu konkretisieren. In diesem Haushaltsplan, den wir heute in zweiter Lesung zu verabschieden haben, ist bereits eine ganze Anzahl von solchen wichtigenI) Schritten vorhanden.Wir dürfen von der SPD aus feststellen, daß sich diese Arbeit in die Gesamtaufgabenstellung „innere Reformen der Regierung Brandt" bestens einfügt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rutschke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich sehr kurz fassen; nicht nur deswegen, weil ich meine, daß nach den sehr ermüdenden Verhandlungen, die wir nun seit Tagen führen, eine kurze Rede sicherlich besser ist als eine lange Rede.
Aber Sie, Herr Kollege Benda, haben mir die Möglichkeit gegeben, kurz zu reden; denn das, was zum Innenministerium und zu seinem Minister festzustellen war, haben Sie mir doch wohl vorweggenommen.
Wenn ich höre, daß Sie sagen, der jetzige Ressortleiter des Innenministeriums sei fähig, fair als Kontrahent, objektiv, führe sachliche Kontinuität durch, sei in der Personalpolitik vorbildlich, dann muß ich sagen: mehr kann man eigentlich wirklich nicht sagen. Ich freue mich, daß Sie sich so an die Wahrheit gehalten haben, die ich in der bisherigen Auseinandersetzung ein bißchen vermißt habe. Es ist wohltuend, daß sich die CDU/CSU zumindest auf diesem Gebiet jetzt bemüht — und zwar sicherlich
durch Ihre Person, Herr Kollege Benda —, sachlich zu werden.
Es ist geradezu erschütternd, Herr Kollege Benda, wenn man zum Teil die Auseinandersetzungen in widerwärtiger polemischer Art hier erlebt hat. Das ist doch letztendlich der gesamten Situation des Bundestages als Verfassungsorgan nicht zuträglich.
Draußen in der Bevölkerung wird Unsachlichkeit mit Sicherheit nicht geschätzt; um so mehr schätze ich sachlichen Vortrag, den Sie hier gehalten haben.
— Nun, Herr Kollege Lenz, wenn ich einem Sprecher Ihrer Fraktion, dem Herrn Kollegen Benda, einmal ein Kompliment machen sollte, dann gilt das ja wahrscheinlich auch für die CDU/CSU-Fraktion, insbesondere dann, wenn sich die CDU/CSU-Fraktion offensichtlich entschlossen hat, diesem Haushalt zuzustimmen. Das ist ja auch etwas höchst Ungewöhnliches, was wir jetzt hier erleben.
Ich möchte mich also, wie gesagt, hier nur auf zwei Punkte beziehen. Herr Kollege Benda, Sie haben fast beanstandet, daß der Bundesminister Genscher zu konservativ sei. Das aus Ihrem Munde zu hören, ist in der Tat erstaunlich, aber ich glaube, es ist doch ein gewisser Widerspruch festzustellen, wenn Sie dann sagen, daß er im Hinblick auf die strafrechtliche Ahndung von Demonstrationsdelikten einen fortschrittlichen Standpunkt eingenommen hat. Sehen Sie, hier handelt es sich doch darum, daß man durch das bisherige konservative Strafrecht nicht weitergekommen ist, sondern daß man durch den Versuch, das Strafrecht auch den modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen anzupassen, die Sicherheit im Innern doch besser stärkt als durch ein konservatives Strafrecht. Das ist zumindest die Meinung, die wir vertreten und die auch Herr Kollege Genscher bei Gott in sehr fortschrittlicher Weise vertritt. Er hat daher einem fortschrittlichen Strafrecht Raum gegeben, sich nicht aus konservativer Haltung heraus quergelegt und somit der Verbesserung unserer Situation in der öffentlichen Sicherheit dienen wollen.
Herr Abgeordneter Lenz zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Rutschke, habe ich den Kollegen Benda dahingehend nicht richtig verstanden, daß er kritisiert hat, daß der Minister Genscher überhaupt keinen Standpunkt zu dieser Frage eingenommen hätte? Ich jedenfalls kann nur im Wege der Zusatzbemerkung feststellen, daß Sie der erste sind, der uns Aufschluß über das Innenleben des Kollegen Genscher in Fragen der Demonstrationsdelikte gibt.
Ich bitte, keine Zusatzbemerkungen zu machen — denn die sieht die
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Vizepräsident Dr. JaegerGeschäftsordnung nicht vor —, sondern nur zu fragen.
Über das seelische Innenleben des Ministers des Innern der Bundesrepublik wird wahrscheinlich nur er selbst Auskunft geben können. Wir haben in unserer Fraktion insgesamt immer ein sehr gutes Verhältnis zu unseren Kollegen und kennen sie gut, aber daß wir deren Innenleben kontrollierten, das widerspräche liberaler Auffassung. Das tun wir nicht. Vermutlich wird der Herr Minister selbst darauf antworten, falls er es für notwendig hält.
Daß der Minister in dieser Frage keine konservative Haltung eingenommen hat, fand seinen Ausdruck darin, daß er sich zu keiner Minute gegen diese Bestrebungen gesperrt hat, ein fortschrittliches Strafrecht zu entwickeln. Das scheint mir doch auch eine ganz klare Haltung zu sein. Ich bin überzeugt davon — und so weit kenne ich den Kollegen Genscher —, daß er durchaus fortschrittlich ist; denn ihm geht es ja in erster Linie um die Garantie der öffentlichen Sicherheit. Die sieht er eben besser in einer neuen Form des Strafrechts gewährleistet als in der alten konservativen Form, die sicherlich, auch von der Wissenschaft her, überholt ist.
Herr Kollege Benda, Sie sprachen davon, daß durch die Preisentwicklung unter Umständen die Anhebung der Beamtengehälter wieder korrigiert werden müsse, und Sie sprachen dann noch einmal den Besoldungsrückstand an. Ich kann es mir jetzt natürlich nicht ersparen, Ihnen zu sagen, daß ein Besoldungsrückstand nur dann eintritt, wenn der vorhergehende zuständige Minister eben zuwenig getan hat und damit der neue Minister eine Last aufgebürdet bekommt, die an sich schon von seinen Vorgängern hätte erledigt werden müssen. Ich glaube, daß, falls notwendig, auch hier ein Weg gefunden wird. Ich möchte im Rahmen dieser Haushaltsdebatte nochmals sagen, daß sich die Beamtenschaft bei den Verhandlungen und auch bei der neuen Gesetzgebung einsichtig verhalten hat, daß sie durchaus einen vernünftigen, auch — so möchte ich es einmal nennen — konjunkturgerechten Standpunkt, eingenommen hat, so daß wir hier diesem Personenkreis gegenüber eine besondere Verpflichtung haben. Wir haben dies in einem Zeitpunkt tun müssen, wo es schwierig war, und wir werden dann helfen, wenn wir die Möglichkeit dazu haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jenninger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit möchte ich nur zu einem Punkt sprechen, der mir aber wichtig zu sein scheint. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dorn hat gestern abend im Rahmen der Beratung des Einzelplans 27 hier lautstark verkündet, in den letzten Jahren seien von den Mitteln des sogenannten positiven Verfassungsschutzes an der CDU nahestehende Verbände Millionen und aber Millionen verteilt worden.
— Er hat wörtlich gesagt: Es sind Millionen und aber Millionen verteilt worden.
Er hat daraufhin gesagt: Wir haben extra deswegen einen Kontrollausschuß eingesetzt, um die Verteilung dieser Mittel zu kontrollieren. Das war nur auf den Sektor des Verfassungsschutzes gesehen. Also mußte ich davon ausgehen, daß er als Parlamentarischer Staatssekretär nur von dieser Position sprechen wollte.
Herr Abgeordneter Jenninger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Moersch?
Ja, bitte sehr!
Da ich aus Ihrer Bemerkung ersehe, daß Sie von einer völlig anderen Sache sprechen als der Kollege Dorn gestern abend, darf ich Sie fragen, ob Sie nicht Gelegenheit genommen haben, sich einmal mit den Kollegen, die als Kassierer dafür in Frage gekommen sind, zu unterhalten. Die wußten es gestern abend ganz genau, die waren auch ziemlich ruhig.
Herr Moersch, der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dorn hat gestern abend erklärt, er habe veranlaßt, daß nunmehr durch einen parlamentarischen Unterausschuß des Haushaltsausschusses die Vergabe dieser Mittel überprüft werde. Ich gehöre dem Unterausschuß an.
— Er hat gestern abend behauptet, es seien Millionen und aber Millionen verteilt worden. Ich weiß sehr wohl, worum es sich handelt, Herr Moersch. Ich möchte nur in aller Deutlichkeit sagen, daß das schlicht nicht zutrifft. Außerdem haben nicht nur der CDU nahestehende Verbände, sondern auch andere Verbände Mittel bekommen, um im Kampf gegen Links- und Rechtsradikalismus wirksam zu werden.Zweitens ist die Kontrolle, die angeblich der Parlamentarische Staatssekretär eingerichtet hat, nicht von ihm eingerichtet worden, sondern sie ist auf die Initiative meiner Person in diesem Unterausschuß zurückzuführen.
— Nein, das hat er nicht so gesagt. Er hat gesagt,er habe eine Kontrolle veranlaßt, und er hat es mit
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Dr. Jenningerdem Unterton gesagt, daß hier gewissermaßen Gelder sinnlos verschwendet worden seien. Das bedeutet eine Desavouierung aller Beamten, die bei der Vergabe dieser Mittel bisher mitgewirkt haben, und all der Verbände, die sich bisher dem Kampf gegen Links- und Rechtsradikalismus gewidmet haben.
Ich möchte nicht annehmen, Herr Staatssekretär, daß diese Verbände Ihnen unangenehm sind. Oder sind Sie vielleicht enttäuscht darüber, daß auf der Liste einige Verbände nicht standen, mit denen Sie vor zwei Jahren noch auf den Straßen Bonns herummarschiert sind?
Meine Damen und Herren, trotz dieses „dornenreichen" Zwischenfalls von gestern abend sind wir bereit, dem Haushalt des Innenministers zuzustimmen.
Herr Staatssekretär Dorn hat als Abgeordneter das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege, ich muß Ihnen insoweit widersprechen, als Sie das, was ich gestern hier ausgeführt habe, in einer nach meiner Auffassung nicht zu verantwortenden Weise völlig umgedreht und mir Äußerungen unterstellt haben, die ich überhaupt nicht gemacht habe.
Damit Sie das gleich mit in Ihre Wertung einbeziehen können: ich habe das Protokoll meiner Rede gestern abend überhaupt nicht mehr gesehen. Es ist also so gedruckt, wie es vom Stenographischen Dienst aufgenommen worden ist. Es konnte von mir nicht mehr kontrolliert werden, weil ich nicht im Hause war. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie den genauen Wortlaut dieser Rede einmal prüfen wollten. Sie werden zu einem völlig anderen Ergebnis kommen.
Nun zu den vier Punkten, die Sie vorgetragen haben. Erstens. Ich habe in meiner Reede nicht eine Silbe darüber verloren, daß es sich um die Finanzierung von der CDU nahestehenden Verbänden gehandelt hat, sondern ich habe eindeutig erklärt — nachdem die Frage der Bezuschussung von Verbänden hier gestern abend hochgespielt worden ist —, daß idi, nachdem ich zum erstenmal Einblick in die Liste der Verbände und die Begründungen, mit denen sie finanziert worden seien, bekommen hätte, über dieses Verfahren in der Vergangenheit erschrocken sei.
Zweitens habe ich gesagt, daß die parlamentarische Kontrolle auch dieser Gelder notwendig sei, die in der Vergangenheit nicht durchgeführt worden ist. Obwohl die Sozialdemokraten in der Zeit ihrer Koalitionsbeteiligung mit Ihnen und wir in unserer Zeit der Koalitionsbeteiligung mit Ihnen uns darum bemüht haben, diese parlamentarische Kon-
trolle einzurichten, führt diese Regierung jetzt zum erstenmal die parlamentarische Kontrolle dieser Gelder durch. Das habe ich gesagt.
Nun lassen Sie mich ein Wort zu Ihrer letzten polemischen Bemerkung sagen. Ich bin auf den Straßen Bonns nicht marschiert, zu keiner Zeit, mit keinem Verband.
— Entschuldigen Sie, hören Sie doch bitte einmal zu, bevor Sie ,gleich wieder urteilen und verurteilen.
— Es gibt viele Kollegen in diesem Haus, die bei unterschiedlichen Problemen auf den Straßen Bonns und anderswo marschiert sind. Ich nicht, zu keinem Zeitpunkt.
Aber ich habe mich bei einer Debatte um die Notstandsgesetzgebung am Platz der Redner mit eingefunden, wo andere gesprochen haben, und habe nach Rücksprache mit meiner Fraktion unsere Auffassung gesagt, die von vielen, die dort waren
— das wissen Sie nicht; das würden Ihnen viele Kollegen Ihrer Fraktion bestätigen können —, an verschiedenen Stellen mit großem Beifall und an anderen Stellen mit vielen Pfiffen quittiert worden sind.
Ich sage Ihnen: Ich bin jederzeit bereit, mich als Parlamentarier nicht nur mit denen auseinanderzusetzen, die meiner Meinung sind, sondern vor allen Dingen auch mit denen, die nicht meiner Meinung sind. Diese Aufgabe werde ich zu jeder Zeit 'im Parlament und außerhalb wahrnehmen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jenninger?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, können Sie mir sagen, um welche Listen es sich handelt, die Sie eingesehen haben wollen? Handelt es sich um Listen des Innenministeriums oder ,des Gesamtdeutschen Ministeriums? Das sollte hier klargestellt werden.
Listen des Gesamtdeutschen Ministeriums habe ich bis zum heutigen Zeitpunkt gar nicht gesehen. Es handelt sich um Aufstellungen — das ist auch deutlich geworden; wenn Sie gestern zugehört hätten, hätten Sie es genau erkennen können —, die in unserem Hause vorgelegen haben und die ich nach Einzug in das Haus — über das Wort hat es noch eine kurze Debatte gegeben —dort vorgefunden habe.
Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Die kann
man ja mal veröffentlichen!)
— Das kann man leider nicht, Herr Kollege Schäfer.
Ich darf noch eine Frage stellen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sind Sie denn bereit, zuzugestehen, daß Sie gestern abend gesagt haben, an die Verbände, die in diesen Listen Ihres Hauses stehen, seien Millionen und aber Millionen vergeben worden?
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Natürlich, und das ist ja auch unbestreitbar.
Lassen Sie mich gleich an dieser Stelle sagen — auch das wiederhole ich —, daß natürlich der Minister mit seinen Mitarbeitern der politischen Leitung dieses Hauses Überlegungen angestellt hat, ob das so weitergehen soll oder nicht, und daß er darüber zu ganz bestimmten Ergebnissen gekommen ist. Auch das habe ich gesagt.
Das Wort hat der Abgeordnete Freiherr von Fircks.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem das frühere Ministerium für Vertiebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte gegen den Willen unserer Fraktion in dieses Ministerium eingegliedert worden ist, muß ich hier zu dem Fragenkomplex und dem Problem dieses Personenkreises einiges sagen.Heute habe ich mit Freude gehört, daß Herr Kollege Schäfer von der besonderen Bedeutung und besonderen Schwierigkeiten dieses Komplexes, der hier übernommen worden ist, gesprochen hat. Ich bedaure um so mehr, daß die verantwortliche Leitung dieser Abteilung entgegen Vorschlägen, die gemacht wurden, keine herausgehobene geblieben ist und auch nicht einmal auf der Abteilungsleiterebene gegenüber den anderen herausgehoben ist. Das hätte, glaube ich, ein wenig zur Lösung der schwierigen Probleme, um die es hier geht, beitragen können.Ich möchte jetzt einige Fragen ansprechen, Herr Minister, die Ihr Haus direkt betreffen, und einige Fragen anschließen, die in andere Ressorts fallen. Die Abteilung des Ministeriums, die früher das Vertriebenenministerium bildete, kümmert sich heute um die Probleme des betroffenen Personenkreises. Es ist der Wunsch dieses Personenkreises, daß die Abteilung ihn fördernd begleitet, wenn ich es einmal so bezeichnen darf. Ich glaube, daß das Ministerium bzw. die Abteilung ihre Aufgabe auch in dem Sinne versteht.Ich möchte Ihnen, Herr Minister Genscher, ausdrücklich bestätigen, daß Sie sich bemüht haben, die zugesagten Informationen zu geben. Das muß mit Dank quittiert werden. Ich möchte allerdings ein Fragezeichen setzen, ob die Informationen, die Ihnen das Auswärtige Amt und das Bundeskanzleramt gegeben haben, in jedem Fall rechtzeitig gegeben worden sind und ausführlich genug waren, um sie vor den Gesprächen mit den Betroffenen auch tatsächlich in Ihre Überlegungen einbauen zu können.Meine Damen und Herren, Sie werden verstehen -- das hat wohl auch niemand anders erwartet —, daß die Betroffenen die Entwicklung in Ihrem Hause, Herr Minister, nach der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch diese Regierung mit besonderer Wachsamkeit beobachtet haben. Das gilt sowohl für die verbalen Erklärungen als auch die faktischen materiellen Leistungen sowie die Behandlung der Fragen im politischen Bereich. Der gesamte Fragenkomplex gliedert sich in zwei große Bereiche: in einen sozial-wirtschaftlichen Bereich -- darunter fallen die Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegs-sachgeschädigte — und in den Bereich, in dem es um die kulturellen und heimatpolitischen Fragen der Ost- und Mitteldeutschen geht.Was den sozial-wirtschaftlichen Bereich betrifft, haben die Menschen, glaube ich, einen Anspruch darauf, daß wir uns um ihre Gleichstellung, soweit sie nicht mehr im Wirtschaftsleben stehen, mit denjenigen bemühen, die durch den Krieg nicht geschädigt worden sind. Aber auch die anderen Menschen — das ist der größere Teil — warten darauf, daß wir für eine Startchancengleichheit sowohl im wirtschaftlichen als auch im Bildungsbereich sorgen.Ich meine, daß die Ost- und Mitteldeutschen im freien Teil unseres gemeinsamen Vaterlandes Deutschland einen Anspruch darauf haben, ihre kulturellen, politischen und heimatpolitischen Vorstellungen darstellen und entwickeln zu können, genauso wie diejenigen Stämme unseres Volkes, die eigene Landesregierungen, Landschaftsverbände, Heimatvereine usw. hinter sich haben.Zu den beiden genannten Bereichen möchte ich folgendes sagen. Im Bereich der Sozial- und Wirtschaftsanliegen ist, wenn man gehört hat, daß hier und draußen in Versammlungen gesprochen und in den sogenannten Gelben Blättern der größeren Regierungspartei geschrieben worden ist, mit Sicherheit das verbale Soll hundertprozentig erfüllt worden. Ich kann aber nicht zu einem ebenso positiven Urteil kommen, wenn ich mir den materiellen Teil der Politik ansehe. Auch die Haushaltsansätze und die bisherigen Gesetzesvorlagen beziehe ich in diese Beurteilung ein. Fest steht, daß die Regierungsvorlage zum Zweiten Unterhaltshilfeanpassungsgesetz ohne die Verbesserungen im Ausschuß kein wirklicher Schritt voran gewesen wäre. Dasselbe muß man von der jetzt dem Bundesrat zugeleiteten 23. Novelle zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes sagen. Ich glaube, daß auch hier die Inhalte der von der Regierung vorgelegten Novelle nicht deckungsgleich sind mit den Worten, die gesprochen und geschrieben worden sind von den Vertretern der Koalitionsparteien.Meine Damen und Herren, auf eines möchte ich Sie ganz besonders aufmerksam machen. Durch das vorgelegte Zweite Wohngeldänderungsgesetz wird allen Besseres als vorher geboten. Der einzige Personenkreis — ich glaube, das ist manchen vielleicht einfach entgangen —, der negativ betroffen ist, sind Flüchtlinge und Vertriebene, unter ihnen gerade die sozial Schwächsten, nämlich die Unterhaltshilfeempfänger, bei denen zum Teil nicht einmal der bisherige Besitzstand gewahrt bleibt. Das, glaube ich, kann noch geändert werden, und das sollte geändert werden.Ein nach wie vor leidiges Kapitel ist die Eingliederung der vertriebenen und geflüchteten Landwirte. Auch sie können nicht hoffen, mit Hilfe der aus dem Haushalt abzulesenden materiellen Leistungen und auf Grund der bisher getätigten Zahlungen im Jahre 1970 aus der Talsohle der Eingliederung des Jahres 1970 herauszukommen. Zwar hat
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Freiherr von FircksHerr Kollege Frehsee auf einer Veranstaltung des heimatverdrängten Landvolks Versprechungen für das Jahr 1971 gemacht, aber, meine Damen und Herren, auch hier kann man von Versprechungen allein nicht leben. Es besteht in diesem Jahr jedenfalls überhaupt keine Hoffnung, daß die vom vorigen Bundestag beschlossene Eingliederungszahl von 400 000 erreicht wird. Wir werden deswegen bei der dritten Lesung hierzu noch einen Antrag stellen.Ich darf Sie auch darauf aufmerksam machen, daß die Bereitstellung von ERP-Mitteln für die wirtschaftliche Eingliederung in diesem Jahre nicht so kontinuierlich gewesen ist, daß die Länder nicht Antragssperren hätten praktizieren müssen.Insgesamt möchte ich sagen, Herr Minister: Wir müssen sehen — und ich sehe hier noch keine Initiativen sich abzeichnen daß auch durch die Verhandlungen, die wir mit Ostblockstaaten führen, wenn sie zum Erfolg führen sollen, eventuell sehr große Personenkreise auf uns zukommen, die mit Hilfe der bisherigen Gesetzgebung betreut werden müssen. Wir können also auch hier nicht konservativ bleiben und nur bei den Mitteln beharren, die seinerzeit im Jahre 1951 gesetzlich gesichert wurden für die Betreuung dieses Personenkreises bis über das Jahr 2000 hinaus. Man müßte sich doch auch in Ihrem Hause Gedanken machen, ob man nicht fortschrittlich sein und nach neuen Möglichkeiten und Quellen suchen sollte, Mittel zu erschließen.Ebensoviel, wenn nicht noch mehr Sorge — weil nämlich die Absichten hier noch viel weniger erkennbar sind – - bereitet die Sicherstellung der kulturellen und der heimatpolitischen Arbeit. Diese Arbeiten sind, wie Sie alle wissen, die Sie in diesen Bereichen arbeiten, entscheidend von Menschen abhängig, die man dazu gewinnen muß und auch gewinnen kann, wenn man ihnen einen einigermaßen gesicherten Arbeitsplatz bieten kann. Das gilt insbesondere dann, wenn man sich bemüht, junge Menschen dafür zu gewinnen. Die Abhängigkeit von Institutionen und Verbänden dieser Art ist sowieso schon außerordentlich groß. Für die Gewinnung von Mitarbeitern ist auch die Abhängigkeit von den jährlichen Haushaltsverabschiedungen unbequem. Dieser Unsicherheitsfaktor für die Arbeit in diesem Bereich hat sich bei dieser Bundesregierung noch erheblich verstärkt,
weil sowohl die allgemeinpolitischen Absichtserklärungen, Herr Kollege Schäfer, als auch die neuen Förderungsrichtlinien des Ministeriums — ich muß immer überlegen, wie es jetzt heißt — für innerdeutsche Beziehungen
keinen Optimismus erlauben und weil es für diese Legislaturperiode im Gegensatz zu früheren Legislaturperioden bisher keine verbindlichen Erklärungen gibt, daß mit einer Kontinuität der Haltung der Regierung und der Ressorts aus der Zeit der vorigen Legislaturperioden, an der ja auch die die Regierung tragende große Partei der SPD beteiligt war, zu rechnen sein wird. Es gibt sogar einzelne konkrete negative Entscheidungen und Maßnahmen. Es gibt auch einen beim Bundesparteitag der SPD gestellten Antrag Ihres Bezirks Weser-Ems, der nicht abgelehnt, sondern Ihrer Fraktion und dem Bundesvorstand als Arbeitsmaterial überwiesen worden ist. Ich bin gern bereit, ihn hier zu verlesen, wenn Sie ihn nicht kennen sollten. Er muß uns mit allergrößter Sorge erfüllen, weil bezweifelt werden muß, ob dann eine Kontinuierlichkeit hier gegeben ist.
Wir würden es daher begrüßen, wenn die Absichten dieser Bundesregierung bezüglich der Frage, welche Kontinuierlichkeit erwartet werden kann, bald und übersichtlicher dargestellt würden, sowohl für die heimatpolitische Arbeit als auch für die Förderung der Kulturarbeit.Abschließend möchte ich folgendes sagen. Man vermißt ein wägbares und meßbares Ergebnis bei den Haushalten aller Ressorts, bei denen die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und heimatpolitischen Anliegen der Ost- und Mitteldeutschen vertreten werden, von einer ausreichenden Fortentwicklung ganz zu schweigen, allein schon wenn Sie den Faktor der allgemeinen Kostensteigerung in der sachlichen und in der personellen Ebene hinzunehmen.Wir sehen keine Übereinstimmung zwischen den beschwichtigenden und tröstenden Absichtserklärungen des Bundeskanzlers, insbesondere in der Regierungserklärung, und auch der zuständigen Minister einerseits und andererseits dem, was bisher verwirklicht wurde bzw. was aus den Regierungserklärungen erkennbar geworden ist. Wir wünschten, daß das bald besser würde.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre verführerisch, hier in philosophische Betrachtungen über die Frage einzutreten, was „konservativ" im neuen Verständnis dieses Parlaments ist. Vielleicht habe ich in der Parlamentspause noch Gelegenheit, darüber nachzudenken, ob der Kollege Benda damit ein Lob oder einen Tadel aussprechen wollte.Ich will Ihre Zeil nicht über Gebühr beanspruchen. Ich möchte nur zu einigen wesentlichen Fragen Stellung nehmen. Darf ich mit dem Kollegen von Fircks beginnen. Ich begrüße es, daß die heutige Debatte über den Teil meines Ressorts, der früher durch ein selbständiges Haus dargestellt wurde, sich auf einen sachlichen Bereich reduziert hat. Der Grund ist. wohl, daß in der Öffentlichkeit inzwischen deutlich geworden ist, daß die Belange der Vertriebenen und Flüchtlinge nicht darunter gelitten haben, daß das frühere Ministerium nun Bestandteil eines großen Hauses geworden ist. Fast im Gegenteil, wenn ich etwa berücksichtige, daß wir mit der 23. No-
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Bundesminister Genscherwelle, die inzwischen dem Bundesrat zugeleitet worden ist, ein altes, von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages seit langem vertretenes Anliegen verwirklichen konnten, nämlich die nahezu volle Gleichstellung der Flüchtlinge aus der DDR mit den Heimatvertriebenen.
Ich möchte an dieser Stelle meinen ganz besonderen und persönlichen Dank dem Herrn Bundesminister der Finanzen aussprechen, der uns mit einem hohen Maß an Verständnis und Kooperationsbereitschaft in die Lage versetzt hat, diese schwierige Gesetzesmaterie im Rahmen der Regierung so schnell zu erarbeiten, daß wir die Novelle noch vor den Parlamentsferien dem Bundesrat zuleiten konnten.Herr Kollege von Fircks, es wird nützlich sein, daß Sie noch einen Augenblick Ihre Aufmerksamkeit auf die organisatorische Einbeziehung der Abteilung VT in das Bundesministerium des Innern richten. Sie werden dabei feststellen, daß diese Abteilung in der Tat herausgehoben ist, und zwar nicht nur in der Form der persönlichen Kontinuität, sondern auch dadurch, daß der Leiter dieser Abteilung dem Minister direkt unterstellt ist, was deutlich machen soll, welche besondere politische Bedeutung ich gerade diesem Teil meines Geschäftsbereiches beimesse.Aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Benda habe ich eine Fülle von Anregungen ebenso übernommen wie aus denen der Vertreter der Regierungsparteien. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich nicht auf jeden einzelnen Punkt eingehe, und bitte es nicht als Unterlassung zu werten, wenn die Erwähnung dieses oder jenen Punktes unterbleibt.Wenn ich die Organisation des Bundesministeriums des Innern ansehe, Herr Kollege Benda, und Ihre Kritik bezüglich der vorgefundenen Modellvorschläge höre — es waren, wie Sie wissen, drei, unter denen eine Entscheidung möglich gewesen wäre —, muß ich sagen: Ich habe damals nach kurzer Prüfung, wie ich heute meine, mit Recht die Entscheidung getroffen, daß ich zunächst einmal dieses Haus kennenlernen will, daß ich Erfahrungen mit der gegenwärtigen Organisationsform sammeln will und daß ich dann eine Entscheidung über eine Neuorganisation treffe oder auch eine Entscheidung, daß diese Neuorganisation nicht erforderlich ist. Am Ende dieses Jahres wird wohl der Zeitpunkt für eine solche Entscheidung gekommen sein.Alte Zöpfe wollten wir nicht abschneiden. Das entspricht nicht unserer humanen Auffassung von der politischen Wirklichkeit. Wir haben vom Abschaffen gesprochen. Das klingt milder und ist für die Betroffenen — —
— Nein, abschaffen! Ich kann es nicht ändern. Ich weiß es deshalb so genau, weil ich meiner etwas härteren Art wegen eigentlich für Abschneiden war, mich aber in dieser Frage nicht durchsetzen konnte, was auch zeigt, daß eine gewisse Überschätzung beiHerrn Kollegen Benda hinsichtlich meiner Position in der FDP ohne Zweifel vorhanden ist.
Meine Damen und Herren, ich will nicht hoffen, daß Sie mit dem Wiederankleben bestimmte Personen gemeint haben. Die beiden Beamten, die früher dem Bundesministerium des Innern angehörten und die ich in das Haus zurückgeholt habe, halte ich für besonders bewährte und qualifizierte Beamte. Die Resonanz, welche die Begrüßung der beiden Herren vor der Versammlung der Angehörigen des Bundesministeriums des Innern hatte, hat mich darin bestätigt, daß auch die Damen und Herren des Hauses diese Frage so sehen.Die Raumordnung wird immer ein Diskussionspunkt in Regierungen und Parlamenten sein, wohin sie gehört. Herr Kollege Dorn hat einmal davon gesprochen, daß die Raumordnung nicht mehr im Innenministerium sein sollte. Er hat das unter einem anderen Aspekt getan, daß nämlich ein großeres Bau- und Strukturministerium gebildet würde. Sie wissen, daß die Vorarbeiten der früheren Bundesregierung, die wir bei der Kabinettsreform konzipiert vorfanden und zu einem wesentlichen Teil verwirklicht haben, tatsächlich vorsahen, daß die Raumordnung beim Bundesministerium des Innern bleiben soll, was ich für richtig halte.Es hat über diese Frage übrigens auch in den Koalitionsverhandlungen keine Auseinandersetzung und kein Tauziehen gegeben. Damals stand die Frage an, ob das Bundesministerium für Wohnungsbau selbständig bleiben oder ob es Teil des Innenministeriums sein sollte. Die Raumordnung ist, wie ich finde, aus guten Gründen im Bundesministerium des Innern geblieben, weil dieses Haus kein Interessent ist wie mancher andere, dem man dieses Gebiet zuordnen könnte. Im Bundesinnenministerium ist deshalb ein hohes Maß an objektiver Behandlung dieser Materie garantiert.Wir haben bei den Haushaltsberatungen — Herr Kollege Schäfer hat dankenswerterweise schon darauf hingewiesen — zusätzliche Stellen für diese Abteilung anfordern müssen, weil die Aufgaben, die uns vom Parlament gestellt worden sind, eine personelle Verstärkung dieser Abteilung erfordern. Es geht ja nicht nur um die Vorlage eines Raumordnungsberichtes, sondern die erstmalige Vorlage eines Raumordnungsprogramms.Ich habe es begrüßt, daß sich die Fraktionen des Deutschen Bundestages — Opposition und Regierungsfraktionen — entschlossen haben, Anträge für eine Kommission für die Verfassungsreform vorzulegen. Die Bundesregierung hatte die Absicht, eine Regierungskommission zu bilden, ohne daraus eine Weltanschauungsfrage zu machen. Wir sind uns darüber im klaren, daß die Verfassungsreform nicht nur am Ende in diesem Hause entschieden wird, sondern daß wir dafür auch Mehrheiten brauchen, die in der Regierungskoalition allein nicht vorhanden sind. Das zeigt bereits, daß auf diesem Gebiet eine Kooperation erforderlich ist. Deshalb
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Bundesminister Genscherwäre es gut, wenn die Anträge im Auschuß zu einem Antrag verschmolzen werden könnten, damit wir sehr schnell zu einer arbeitsfähigen Kommission kommen.Die Konzeption für die Neugliederungskommission ist fertig. Ich habe sie nur nicht früher öffentlich angekündigt. Auch hier ist kein Persönlichkeitswandel durch Übernahme eines öffentlichen Amtes eingetreten. Wir haben die Bekanntgabe unserer Vorstellungen über die Einsetzung dieser Kommission — im Ausschuß habe ich darüber berichtet — bewußt bis zu der Abstimmung zurückgestellt, die am kommenden Sonntag stattfindet, Herr Kollege Benda, wobei ich hoffe, daß diese Abstimmung, ohne daß ich mich jetzt in einen Abstimmungsprozeß als Partei einmischen will — fast muß ich hier schon vorsichtig sein —, keine neue Situation schaffen wird.Der Bereich der öffentlichen Sicherheit ist, das hat auch der Bundeskanzler zum Ausdruck gebracht, ein Schwerpunkt unserer Arbeit und unserer Aufmerksamkeit. Wer die Fortschreibung der Ansätze der mittelfristigen Finanzplanung sieht und die Personalverstärkungen, aber auch die gesetzgeberischen Vorhaben, wird feststellen, daß die Bundesregierung gerade diesem Bereich ihre besondere Aufmerksamkeit widmet.Herr Kollege Benda hat beklagt, daß das Sofortprogramm noch nicht vorliege. Hier muß ich eine sprachliche Klarstellung bringen. „Sofortprogramm" könnte ja heißen, daß das ein Programm ist, das sofort vorgelegt wird. Wir meinen aber ein Programm, das sofort zu verwirklichen ist, und das bedarf der gründlichen Erörterung. Deshalb hat der Bundeskanzler mit Recht gesagt, daß wir dieses Programm im Jahre 1970 vorlegen werden. Vom Jahre 1970, meine Damen und Herren, ist noch nicht einmal die Hälfte herum. Ich darf um Geduld bitten. Wir wollen dann etwas Handfestes vorlegen, für das wir hoffentlich die Unterstützung aller Parteien des Deutschen Bundestages gewinnen können.Herr Kollege Benda hat beklagt, daß ich bisher zu den Fragen des Demonstrationsrechts, zur Gesetzgebung, die ja im Bereich des Bundesministeriums der Justiz liegt, noch nicht Stellung genommen habe. Es ist selbstverständlich, daß ich mit den Vorstellungen der Bundesregierung und der Koalitionsparteien, denen ich im übrigen als Abgeordneter des Parlaments zugestimmt habe, übereinstimme. Deshalb bedurfte es hier nicht der zusätzlichen Stellungnahme.Nur möchte ich vor einem Eindruck warnen, nämlich daß Demonstrationen, die im Augenblick stattfinden, z. B. in Berlin, etwa das Ergebnis dieser neuen Gesetzgebung sind, die ja bekanntlich erst Ende Mai 1970 in Kraft getreten ist.
Wollen wir doch einmal die Erfahrungen mit diesem Demonstrationsrecht abwarten, das auf jedenFall eine rechtliche Klärung geschaffen hat und auchden Polizeibeamten die Rechtsanwendung erleichtert.
Ich möchte hinzufügen, die Forderung nach der Vorlage einer Konzeption durch den Bundesminister des Innern könnte für den Zuhörer den Eindruck erwecken, als sei der Bundesminister des Innern derjenige, der sozusagen als Oberbefehlshaber der Polizeistreitkräfte, die uniformiert auf der Straße eingesetzt sind, die Probleme zu lösen habe. Ich würde meine Konzeption dahin definieren, daß es zunächst einmal erforderlich ist, durch eine wirkliche Politik der inneren Reformen bei denjenigen, die den Staat nicht in Frage stellen wollen, die Voraussetzungen dafür entfallen zu lassen, daß diese Demonstrationen stattfinden, aber mit äußerster Entschiedenheit denjenigen gegenüberzutreten, die unter dem Vorwand des Demonstrationsrechts, in Wahrheit unter Mißbrauch des Demonstrationsrechts diesen Staat in Frage stellen wollen.
Dazu ist es, wenn man das gelegentlich auch nur als verbale Erkarungen bezeichnet, erforderlich, daß auch die Mitglieder der Bundesregierung nicht nur intern über Maßnahmen beraten, sondern daß sie sich nach außen dahin erklären, daß sie derartige Überschreitungen, einen derartigen Mißbrauch des Demonstrationsrechts verurteilen,
um auch dem Polizeibeamten, der auf der Straße die schwierige Aufgabe hat, Sonntag für Sonntag diesen Formen der Demonstrationen gegenüberzutreten, zu zeigen, daß die politische Führung dieses Staates bei diesem schweren Dienst hinter ihm steht.
Ich habe an dieser Stelle dem Herrn Bundesminister der Justiz dafür zu danken, daß er bei seinem letzten Besuch in Berlin, genau dort, wo es am brennendsten war, diese öffentliche Erklärung auch in einem Gespräch mit den Familienangehörigen der betroffenen Polizeibeamten zum Ausdruck gebracht hat.Herr Kollege Benda hat hier noch ein Wort zu der Bundesakademie gesagt. In der Tat halte ich die gegenwärtige kommissarische Beauftragung für unbefriedigend. Wir werden hoffentlich jetzt durch den Haushalt die Stelle bekommen, die uns ermöglicht, die Position des Präsidenten so zu besetzen, wie es der Bedeutung dieser Akademie zukommt. Ich kann in vollem Umfang dem zustimmen, was Herr Kollege Schäfer über die Notwendigkeit zum Ausdruck gebracht hat, dieses Unternehmen — wenn ich einmal so sagen darf — in seinen Wirkungsmöglichkeiten unter Einbeziehung auch anderer Kräfte auszuweiten.Wir sehen es als unsere Aufgabe an, uns durch die Einholung eines Gutachtens Klarheit über den Besoldungsrückstand zu verschaffen und einen solchen Rückstand, wenn er festgestellt wird, systematisch abzubauen. Man muß dabei wissen, daß, wenn der
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3154 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970
Bundesminister GenscherBesoldungsrückstand auch nur annähernd die Höhe hat, von der der Deutsche Beamtenbund ausgeht, es dann ein langer Weg sein wird, bis er abgebaut ist. Ich glaube, wir sollten sehr vorsichtig darin sein, Erwartungen zu wecken. Ich würde es deshalb gern sehen, wenn auch die Fraktion der CDU/CSU noch einmal überprüfte, ob sie jetzt schon die Frage stellen will, ob die Besoldungserhöhungen für das ganze Jahr 1970 ausreichend sind. Es besteht die Gefahr, daß wir Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes — ich sage es jetzt einmal etwas unsystematisch —selbst die Laufzeit für Besoldungsregelungen auf diese Weise — das würde dann ja genauso für die Tarifverträge gelten - in Frage stellen. Ich sage das mit aller Vorsicht und allem Vorbehalt, denn es geht im Augenblick auch darum, im Rahmen unserer Bemühungen um eine Dämpfung der Konjunktur den Tarifbereich nicht unnötig in Unruhe zu versetzen.Die Bundesregierung hat die Absicht, in Zukunft allen Angehörigen des öffentlichen Dienstes, unabhängig von ihrer Einkommenshöhe, die vermögenswirksamen Leistungen zukommen zu lassen. Es ist bekannt, daß es nicht nur finanzielle Gründe waren, die uns bisher daran hinderten. Wir hatten vielmehr auch auf die finanzielle Situation von Ländern und Gemeinden Rücksicht zu nehmen. Das möchte ich hier ausdrücklich feststellen.Der Bundesgrenzschutz übt im Augenblick schon Aufgaben aus, die eigentlich durch die gesetzlichen Grundlagen nicht mehr voll umschrieben werden. Deshalb ist es notwendig, das Gesetz über den Bundesgrenzschutz zu novellieren. Das soll noch indiesem Jahr geschehen, damit die Tätigkeiten, die er jetzt schon ausübt, aber auch diejenigen Tätigkeiten, die im Rahmen der Notstandsverfassung auf ihn zukommen können, gesetzlich untermauert sind.Weil ich das Stichwort „Bundesgrenzschutz" hier selbst erwähnt habe, möchte ich auch noch ein Wort zu dem Einschweben mit dem Hubschrauber sagen. Ich tue das in der Tat, und zwar nicht nur dann, wenn es irgendwo eine Überschwemmung gibt, sondern auch bei anderen Gelegenheiten, so wie am letzten Wochenende im bayerischen Grenzgebiet. Hier gilt wieder dasselbe, was ich im Zusammenhang mit dem Einsatz der Polizeibeamten bei Demonstrationen gesagt habe. Es gibt Situationen, in denen die Anwesenheit des verantwortlichen Ministers an sich keine Verbesserung der Ermittlungen oder keine Verbesserung der Hilfeleistungen bewirken kann, es sei denn, daß der Minister sich unmittelbar ein Bild von der Funktionsfähigkeit der ihm nachgeordneten Dienststellen verschafft, was auch wichtig ist, wenn Entscheidungen vom grünen Tisch vermieden werden sollen. Aber es gibt Situationen, in denen gezeigt werden muß, daß die politische Führung eines Staates bei denjenigen steht, die von einem Unglücksfall, einer Katastrophe oder ähnlichen Ereignissen betroffen sind. Das ist der Grund, warum man sich dort zeigen sollte.
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Sport. sagen. Ich möchte mich in besonderem Maße bei den Herren Berichterstattern für das große Verständnis bedanken, das sie für die Anliegen des Sports gezeigt haben. Ich glaube, daß die Mahnung, den Breitensport nicht zu vergessen, durchaus berechtigt ist. Ich füge hinzu: Bei aller Sportförderung, die wir hier betreiben, bei aller Bereitschaft, Mittel zur Verfügung zu stellen, wobei dann immer das Stichwort „Olympische Spiele" im Vordergrund steht, sollten wir eines nicht vergessen: Die Olympischen Spiele sind ein wichtiger Punkt, auch in der deutschen Sportgeschichte, aber die Sportförderung in der Bundesrepublik Deutschland darf nicht nur auf die Olympischen Spiele ausgerichtet sein, und sie darf nicht mit den Olympischen Spielen enden.
Lassen Sie mich zum Schluß eine Hoffnung aussprechen. Ich habe davon gesprochen, daß die notwendige Reform unserer Verfassung nur von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages gemeinsam vorgenommen werden kann. Wir werden die Großen Anfragen der Fraktion der CDU/CSU zu den Themen Verbrechensbekämpfung und innere Sicherheit im Herbst nach der Sommerpause zu behandeln haben. Ich wünschte mir, daß es uns gelänge, diese Fragen der Verbrechensbekämpfung und der inneren Sicherheit zum Gegenstand einer kritischen, aber die demokratischen Fraktionen des Deutschen Bundestages nicht trennenden Auseinandersetzung zu machen. Es würde der Festigung unserer Demokratie dienen, wenn wir die Behandlung dieser Fragen als ein gemeinsames Anliegen der demokratischen Parteien unseres Staates ansähen.
Meine Damen und Herren, wird weiter noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich abstimmen über den Einzelplan 06, zu dem Änderungsanträge nicht vorliegen.Wer dem Einzelplan 06 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. - Enthaltungen? — Eine Enthaltung; sonst einstimmig angenommen.Ich rufe denEinzelplan 36Zivile Verteidigung— Drucksachen VI /844, VI /854 — Berichterstatter: Abgeordneter Picardauf. Ich nehme an, daß auf die Berichterstattung verzichtet wird. Wünscht jemand das Wort? -- Das ist nicht der Fall.Wer dem Einzelplan 36 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -- Ich bitte um die Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. — Enthaltungen? — Keine Enthaltung; einstimmig verabschiedet.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970 3155
Vizepräsident Dr. JaegerIch rufe denEinzelplan 31Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft— Drucksachen VI /840, zu VI /840, VI /854 —auf. Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Enders. Ich erteile ihm das Wort. — Sie sind der Meinung, daß das Haus darauf verzichten kann. Dann treten wir in ,die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Althammer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident, ich würde gern gleichzeitig den Änderungsantrag der CDU/CSU, Umdruck 48 *) mit begründen, wenn das gestattet ist.
Bitte sehr!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei ,der Beratung des Einzelplans 31 befindet sich dieses Hohe Haus heute in einer schwierigen Situation. Nach den ursprünglichen Ankündigungen dieser Bundesregierung sollte noch im Mai der Forschungsbericht oder, wie er jetzt genannt wird, der Bildungsbericht, vorliegen. Wir haben schon gehört und auch eine Begründung dazu bekommen, daß dieser Bericht verschoben werden mußte und daß statt dessen das Weißbuch zur Verteidigung zeitlich vorgezogen wurde. Es wäre natürlich außerordentlich günstig gewesen, wenn bei der Beratung und bei der Diskussion über den Einzelplan des Ministers für Bildung und Wissenschaft dieser Bericht vorgelegen hätte und wenn dieses Hohe Haus bereits im Besitz der dort wohl zu erwartenden Informationen gewesen wäre.Wie ich heute aus der Presse entnommen habe, soll gestern im Kabinett dieser Bericht behandelt worden sein, und es steht in dieser Zeitungsnachricht auch noch, daß der Herr Minister heute hier einiges dazu vortragen will. Ich möchte aber ausdrücklich betonen, daß wir bei unserer Stellungnahme zum Einzelplan 31 natürlich nicht Dinge berücksichtigen können, von denen wir keine Kenntnis haben. Wir müssen uns an das halten, was uns bisher von ,diesem Ministerium vorgelegt oder vielmehr — was sehr viel wesentlicher ist — was uns bisher eben nicht vorgelegt worden ist.Bei der Aussprache zur Regierungserklärung hat der Sprecher der CDU/CSU ausdrücklich erklärt, daß dem parteilosen Fachminister dieses Ressorts auch von unserer Seite aus eine Chance gegeben werden soll, daß wir zunächst abwarten wollen, wie sich die weitere Führung dieses Hauses und die Initiative auf dem Gebiet von Wissenschaft und Forschung entwickeln würden. Wir müssen leider feststellen, daß bis jetzt die Initiative und die hier zu verzeichnenden Ergebnisse äußerst dürftig sind.Wir stellen einmal fest, daß die Anregungen und die Vorlagen aus diesem Hause immer noch auf sich warten lassen. Ich glaube, man kann das auch nicht damit entschuldigen, daß man sagt, es sei doch erst eine verhältnismäßig kurze Zeitspanne gewesen, die diese neue Regierung habe; denn wir müssen davon ausgehen, daß auch in der Zeit vorher, so wie das uns immer vorgetragen und behauptet worden ist, eine Konzeption der SPD vorhanden war, die in dieser Zeit sicherlich in ihren Ansätzen hätte realisiert werden können.
Es kommt aber noch etwas hinzu, und das finden wir sehr viel bedauerlicher. Wir müssen feststellen, daß die Initiativen der CDU/CSU auf diesem Gebiet von der Koalition und insbesondere auch vom Hause des Ministers nicht mit der erwarteten Unterstützung versehen worden sind.
Ich darf in diesem Zusammenhang an die Debatten vom 10. Dezember und vom 21. Januar hier in diesem Hohen Hause erinnern, Wir müssen feststellen, daß auf dem zugegebenermaßen sehr schwierigen Gebiet des Universitätsrechts außer einer Denkvorlage und einem Hearing, das im Anschluß an ein Hearing des Bundestages veranstaltet worden ist, nichts zu verzeichnen ist. Ich glaube, es ist keine Übertreibung, wenn wir auf Grund der Äußerungen der kompetenten Kreise feststellen, daß dieser Vorschlag des Ministers nicht eben gut weggekommen ist.Wir stellen weiter fest, daß auch zu dem sehr drängenden Problem des Numerus clausus die großen Initiativen und die großen Perspektiven fehlen.
Das gilt nicht nur für das, was in den nächsten Jahren hier vordringlich getan werden muß; das gilt bereits für das, was In diesem Jahr zu geschehen hat. Im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages hat sich die Gruppe der CDU/CSU die Mühe gemacht, einen Vorschlag vorzulegen, der wenigstens eine Verlagerung des Hauptteiles der Sperren für den Hochschulhau auf andere Positionen zum Ziele hatte. Es ist nicht möglich gewesen, den ganzen Ausschuß dazu zu bringen, dem zuzustimmen. Aber es war immerhin möglich, durch eine zeitweise entsprechende Besetzung des Ausschusses diese Verlagerungen mit einer knappen Mehrheit gegen die Stimmen von SPD und FDP durchzusetzen.
Wir mußten feststellen, daß zu unser aller Überraschung in den vorletzten Beratungstagen des Haushalts 1970 plötzlich eine Vorlage eingegangen ist, die die Voraussetzungen schaffen sollte für die Auflegung einer sogenannten Bildungsanleihe in Höhe von 1 Milliarde DM. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU/CSU hatte wegen der kurzfristigen Vorlage nicht mehr die Gelegenheit, sich fiber diese Frage in der Fraktion oder sonstwo*) Siehe Anlage 5
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Dr. Althammergründlich zu unterhalten. Wir haben trotz dieser Zeitschwierigkeit dieser Initiative sofort zugestimmt und haben damit unser Teil dazu beigetragen, daß diese Bildungsanleihe wie vorgesehen bis zum Jahresende aufgelegt werden kann. Wir möchten nur hoffen, daß die Konjunktursituation bis dahin so sein wird, daß diese Bildungsanleihe auch effektuiert werden kann. Eines können wir dabei doch wohl nicht verschweigen, daß nämlich der Weg der Anleihe wohl in niemandes Augen die Lösung der drängenden Finanzierungsfragen in dem Bereich der Bildung und insbesondere des Hochschulwesens sein kann.
Wir hören hier nur die verschiedensten Verlautbarungen. Wir hören, daß in den nächsten Jahren 50 Milliarden DM erforderlich seien. Wir hören dann wieder von anderer Seite, daß 100 Milliarden notwendig seien. Aber dazu, wie denn diese Finanzierung überhaupt erfolgen soll, hören wir leider sehr wenig. Es gibt einen zarten Hinweis — ich glaube, von Herrn Staatssekretär von Dohnany —, daß man an eine sogenannte Bildungsteuer denken könnte. Immerhin war aber interessant, daß dieser Gedanke bei der ganzen Diskussion über Konjunkturdämpfungsmaßnahmen nicht aufgenommen worden ist. Wir sind deshalb sehr gespannt darauf, welche finanziellen Konsequenzen nun von dieser Regierung angesichts dieser drängenden Aufgaben gezogen werden.Ich möchte dem Herrn Minister Glück dazu wünschen, daß er das Vorhaben, das er anvisiert hat
— einen kleinen Moment noch, Herr Kollege —, auch durchsetzen kann, nämlich durch eine Umverlagerung der Haushaltmittel in den kommenden Jahren eine stärkere Berücksichtigung des Haushalts für Bildung und Wissenschaft zu erreichen, nachdem nun schon seit Jahren von der absoluten Priorität dieses Bereichs die Rede ist. — Bitte schön!
Herr Abgeordneter Hermsdorf zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Althammer, glauben Sie nicht, daß es für uns als Regierungskoalition auch interessant wäre, von Ihnen zu erfahren, welche zusätzlichen Maßnahmen steuerlicher oder anderer Art außer der Bildungsanleihe von Ihnen vorgesehen sind?
Herr Kollege Hermsdorf, es ist eine merkwürdige Sache. Wenn wir Vorschläge machen — das gilt jetzt ganz allgemein —, wird zunächst behauptet, solche Vorschläge seien nicht vorhanden. Aber es gibt auch Redner, die dann im nächsten Satz auf diese Vorschläge zurückkommen, um zu beweisen, wie unsinnig diese Vorschläge seien.Auf diesem Gebiet ist es ähnlich. Hier sitzt mein Kollege Dr. Martin noch in Bereitschaft für den Fall, daß es zu einer zweiten Runde kommen sollte.
Er könnte Ihnen diese Dinge dann im einzelnen vortragen.
— Herr Kollege Hermsdorf, das wäre eine voreilige Hoffnung Ihrerseits. — Ich wollte nur im Interesse aller Kollegen vermeiden, daß wir heute etwas vorwegnehmen, was wir bei der großen Bildungsdebatte ausführlich behandeln können.
Wenn Sie das aber tröstet, sehr verehrter Herr Kollege Hermsdorf, so möchte ich in diesem Zusammenhang — das habe ich schon angekündigt -- noch gleich unseren Antrag mit begründen. Da sehen Sie, daß wir — zugegeben, es sind nur 30 Millionen DM — auf einem bestimmten sehr engen Gebiet versucht haben, aus dem gegenwärtigen Engpaß etwas herauszukommen. Aber ich möchte Ihnen dieses Beispiel vorführen, damit Sie sehen, welches Mißverhältnis zwischen den großen Ankündigungen einerseits und der augenblicklichen Notsituation andererseits besteht.Wir haben uns überlegt, wo nach der gegenwärtigen Finanzlage der größte Engpaß zu verzeichnen ist. Bei der Durchsicht der einzelnen Prozentzahlen, jetzt bereinigt nach den Beschlüssen des Haushaltsausschusses, haben wir feststellen müssen, daß im Bereich der Weltraumforschung in diesem Jahr weder ein Zuwachs zu verzeichnen ist, noch auch nur die Zahlen des Vorjahres erhalten werden konnten, sondern daß hier eine um 10 % rückläufige Finanzierungsentwicklung zu verzeichnen ist, wenn Sie nicht bereit sind, unseren Vorschlag auf diesem Gebiet mit zu unterstützen. Wir haben hier die Position „Förderung von Studien auf dem Gebiet der Raumflugforschung und -technologie . 1969 betrug der Ansatz 12,5 Millionen DM. 1970 war schon der Regierungsansatz gegenüber dem Vorjahr auf 11 Millionen DM reduziert. Dann wurden auf diesen Ansatz noch 5 Millionen DM Sperre gelegt, so daß nur noch 6 Millionen DM übriggeblieben sind.Nun frage ich Sie: Kann es hingenommen werden, daß auf einem Sektor, bei dem wir uns alle darüber einig sind, daß wir die wissenschaftliche Arbeit und damit auch ihre Finanzierung ausweiten müssen, eine Halbierung der Mittel eintritt? Sie werden es mir sicher abnehmen, wenn ich Ihnen dazu sage: das bedeutet, daß die Forscher und Wissenschaftler, die auf diesem Gebiet tätig sind, mit dieser Finanzierung nicht einmal das leisten können, wozu sie eigentlich bei ihrer Personalkapazität in der Lage wären.Ähnlich ist es bei den anderen Positionen, wo wir ebenfalls Aufstockungen vorgenommen haben, um wenigstens den Vorjahresansatz wieder zu erreichen. Da sehen Sie, in welchen ungeheuren Schwie-
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Dr. Althammerrigkeiten sich ein solcher Bereich der Wissenschaft befindet.Ich möchte ganz allgemein dazu sagen: man sollte über der großen und notwendigen Bildungsdebatte und über den großen und vordringlichen Fragen der Hochschulen und der weiterführenden Schulen nicht vergessen, daß das Bundesministerium die Großforschung in den verschiedensten Bereichen mindestens gleichwertig zu betreuen hat.
Ich habe manchmal den Eindruck gewonnen, daß dieser Bereich etwas zu kurz gekommen ist. Ich möchte den Herrn Minister sehr darum bitten, daß er auch diesem Bereich nach wie vor seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt.Was die Atomforschung anlangt, so können wir hier ganz unbestreitbare Erfolge des Ministeriums seit seiner Gründung und seit seiner Leitung durch den ersten Minister, Franz Josef Strauß, feststellen. Es ist gelungen, die deutsche Atomforschung wieder auf das internationale Niveau zu bringen und sie zu einem gleichberechtigten Konkurrenten auf dem Weltmarkt zu machen. Das ist eine großartige Leistung. Aber es ist ja üblicherweise so, daß man, wenn etwas wirklich imponierend gelaufen ist, nicht mehr davon spricht und daß man nur von Dingen redet, wenn man der Meinung ist, hier könnte man das eine oder andere an der Vergangenheit aussetzen.Trotzdem müssen wir auch auf diesem Gebiet unsere Anstrengungen nachdrücklich fortsetzen. Wir müssen darauf hinweisen — und das wäre hier ebenfalls ein besonderes Anliegen —, daß sich die Großindustrie, die dank der Initialzündung der früheren Bundesregierung in den damaligen Jahren in den Stand gesetzt wurde, international zu konkurrieren, verstärkt, auch finanzielle, an diesen Forschungsvorhaben beteiligt.Das Beispiel der Weltraumforschung habe ich Ihnen schon vor Augen geführt. Ich brauche in diesem Hohen Hause die Notwendigkeit dieser Forschung wohl nicht zu betonen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß wir mit unserem Antrag auch die sogenannten Anwendungssatelliten mit höheren Beträgen bedenken wollen. Dort gibt es einen zeitlichen Wettlauf. Man sagt heute bereits, daß man das ehrgeizige Ziel, bis zur Olympiade 1972 — von der heute schon so viel die Rede war einen europäischen Nachrichtensatelliten in die Luft zu bekommen, leider nicht erreichen wird. Das sollte uns aber nicht daran hindern, das Äußerste zu tun, um so bald wie möglich von einem einseitigen amerikanischen Monopol auf diesem Gebiete unabhängig zu werden. Dem dient unser Vorschlag, auf diesem Gebiet die Titel um insgesamt 30 Millionen DM aufzustocken.Nun mag es sein, daß man uns auch da wieder sagt, daß dieses Bemühen entweder nicht ehrlich gemeint und heuchlerisch sei. Ich darf Ihnen aber sagen, wir haben ehrlich um diese Dinge gerungen und wir haben uns bemüht, die Zustimmung der Mehrheit im Ausschuß zu bekommen. Ich muß leider sagen, es hat uns eigentlich etwas verwundert, daß der zuständige Minister uns in diesem Bestreben nicht mehr Unterstützung gegeben hat. Ich will gern zugeben, Herr Minister, natürlich sind Sie an die Kabinettsdisziplin gebunden, und Sie werden auch gut daran tun, sich daran zu halten. Es kommt aber natürlich auch auf die Nuancen an, und es wäre meines Erachtens nicht notwendig gewesen, daß uns von seiten des zuständigen Fachministers, dem man hier eine kleine Unterstützung geben will, erklärt wird, es sei absolut nicht notwendig, insoweit den Etat des Einzelplans 31 zu erhöhen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mich wegen der bevorstehenden Debatte kurz gefaßt, aber ich glaube, ich habe doch deutlich gemacht, daß wir auf diesem Gebiet bis jetzt einfach Fehlanzeige feststellen müssen und deshalb — wir bedauern das sehr —, dem Einzelplan 31 — Bildung und Wissenschaft — in diesem Jahre unsere Zustimmung nicht geben können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Enders.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Da nach der Amtsübernahme von Minister Leussink keine nennenswerten Personalveränderungen in seinem Hause vorgenommen wurden, konnte von der CDU/ CSU-Opposition das in den letzten Tagen wieder so beliebte Thema vom harten Los der nach dem Regierungswechsel verdrängten und in den Ruhestand versetzten Beamten nicht in die Debatte um die Beratung des Einzelplans 31 geworfen werden.
Statt dessen hat Kollege .Althammer dem Minister Leussink vorgeworfen, seine Initiativen seien noch dürftig.
Wir wissen alle, daß das Ministerium neue Aut-gaben erhalten hat und Minister Leussink erst sieben Monate im Amt ist. Wir haben bei den Beratungen im Haushaltsausschuß dem Ministerium zusätzliches Personal bewilligt; denn man kann nicht den Fragen der Wissenschaft und Bildung vordringliche Bedeutung zumessen, die Aufgaben im Ministerium erweitern, den Etat erhöhen und glauben, die neuen und zusätzlichen Aufgaben würden nebenbei vom Staatssekretär übernommen.Die Personalaufstockung im Ministerium für Bildung und Wissenschaft war notwendig, weil ein Referat für Bildung neu aufgebaut und die unzulängliche Besetzung in anderen Ressorts verbessert werden mußte. Niemand soll aber glauben, daß mit den bewilligten Stellen ein Mammutministerium entstünde. Falls alle Stellen besetzt werden können, wird es am Ende des Jahres noch nicht einmal 600 Mitarbeiter im Ministerium geben. Zudem sind nach dem zweijährigen Verwaltungshaushalt weitere Stellen erst für das Jahr 1971 bewilligt worden.
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Dr. EndersWir sind den personellen Wünschen des Ministeriums entgegengekommen, um dem Minister eine faire Chance für einen guten Start zur Bewältigung der umfangreichen Aufgaben zu geben, die sicherlich auf ihn zukommen.Der Haushalt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft umfaßt nach der Umwandlung von 200 Millionen DM der bisherigen Konjunktursperre in eine echte Kürzung noch knapp 3 Milliarden DM. Vom bildungspolitischen Gesichtspunkt bedauern wir dies. Vom konjunkturpolitischen müssen wir diese Lösung im Blick auf die restriktive Haushaltsführung bejahen. Ich kann aber betonen, daß durch die erwähnte Kürzung keine vordringlichen bildungspolitischen Aufgaben vernachlässigt oder gar ausgelassen werden. Der Einzelplan des Haushalts 31 liegt etwa 550 Millionen DM über dem Ansatz des vergangenen Jahres und weist mit 24,4 °/o ein überproportionales Wachstum auf, ein Zeichen für die gesellschaftspolitische Bedeutung, die die Bundesregierung den Bildungs- und Wissenschaftsfragen zumißt.Ich werde in meinen Ausführungen nicht auf die Probleme der traditionellen Kapitel des Einzelplans :31 eingehen, zu denen Herr Kollege Althammer gesprochen hat: Kernenergie, Datenverarbeitung. Diese wird Kollege Jochen Raffert in seiner Stellungnahme zu dem Änderungsantrag der CDU/CSU auf Umdruck 48 behandeln. Ich darf mich deswegen einigen bildungspolitischen Gesichtspunkten zuwenden.Wegen der Länderhoheit in Kulturfragen entwickelte sich unser Schulsystem, allerdings nicht erst seit 1945, nach unterschiedlichen Grundsätzen und Intentionen, was natürlich auch zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt hat. Wer als Beamter, Offizier oder als Selbständiger, auch als Bundestagsabgeordneter, seinen Wohnsitz von einem Bundesland in ein anderes verlegen muß, erfährt zu Lasten seiner Kinder die Nachteile eines allzu föderativ beeinflußten Schulsystems. Es bedurfte schon eines Regierungswechsels und eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers, um den brennenden Bildungsfragen in unserem Lande die notwendige Priorität einzuräumen und einen langfristigen Bildungsplan für die nächsten 15 bis 20 Jahre zu fordern. Während auf den Gebieten Finanzen, Verkehr, Sozialpolitik von sozialdemokratischen Ministern und Politiker weitreichende Pläne für die Zukunft aufgestellt wurden, blieb bisher die Vorausschau und blieben die Entscheidungen für die Bildungspolitik zaghaft, bescheiden, restaurativ. Dabei sind die Jugendlichen, die 1980 die Universitäten besuchen werden, heute schon zehn Jahre alt, und die Kinder, die jetzt geboren werden, werden 1990 auf Universitätsplätze warten; ein Zeichen dafür, ,daß die Bildungsplanung nicht aus Prinzip, sondern aus politischer Notwendigkeit betrieben werden muß.In seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober des vergangenen Jahres sagte Bundeskanzler Willy Brandt.:Die Bundesregierung wird in den Grenzen ihrer Möglichkeiten zu einem Gesamtbildungsplan beitragen.Und Finanzminister Alex Möller erklärte beim Einbringen des Bundeshaushalts:Ich bin mir aber bewußt, daß Bund und Länder gemeinsam recht bald aus dem vorgesehenen Gesamtbildungsplan ein Gesamtbildungsbudget entwickeln müssen.In unserem Land besteht immer noch ein erhebliches Bildungsgefälle zwischen einzelnen Regionen und zwischen Stadt und Land. Zu dessen Abbau sollten sich die zuständigen Politiker in Bund und Ländern aus Verantwortung gegenüber der heranwachsenden Jugend nicht in Kompetenzstreitigkeiten verstricken, sondern progressive Reformen entwickeln. Es geht hier um die Sache.Im vorliegenden Haushalt werden zum ersten Male von einer Bundesregierung Mittel für Maßnahmen zur Erneuerung und raschen Verbesserung des Bildungssystems ausgewiesen. Mit diesen 45 Millionen DM soll keine kulturelle Hoheit angetastet, sondern auf Grund von noch abzuschließenden Vereinbarungen wirksame Unterstützung bei der Verwirklichung dringender Bildungsvorhaben geleistet werden. Auch wenn der Bundesrat in diesem Titel die Streichung von 30 Millionen DM vorgeschlagen hat, sehe ich seine Erhaltung dennoch für dringend erforderlich an. Somit können Einrichtungen der modernen Bildungsforschung geschaffen werden: Curriculum-Institut, Modelle für Vorschulerziehung und Ganztagsschulen, Untersuchungsstätten für rationellen Schulbau, Lehrerfortbildung, Hochschulökonomie.Die Beteiligung des Bundes an den allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsaufgaben in der Bundesrepublik ist verhältnismäßig gering. Sie beträgt 1970 3 Milliarden von rund 25 Milliarden DM insgesamt. In der Größenordnung liegt sie bei etwa 12%. Dagegen beträgt der Anteil der Länder und der Stadtstaaten allein bei der Finanzierung der Schulkosten schon über 10 Milliarden DM. Durch das Hochschulbauförderungsgesetz bahnt sich eine Entlastung für die Länder an, weil der Bund bis zu 50% der Investitionskosten beim Aus- und Neubau der Hochschulen übernehmen wird. Im Haushalt 1970 haben wir für diesen Titel rund 800 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Das sind 100 Millionen DM mehr als im vergangenen Jahr. Die bereitgestellte Summe kann durch einen Zuflußvermerk um 25 Millionen DM überschritten werden.Weiter haben die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages einer Änderung des Hochschulbauförderungsgesetzes zugestimmt, wonach künftig auch der Aus- und Neubau der Pädagogischen Hochschulen, der Fachhochschulen und der Kunst- und Musikhochschulen in die 50prozentige Förderung aufgenommen wird. Nach vorläufigen Schätzungen wird dadurch das Plus für die Bundesländer zunächst 200, später 300 Millionen DM betragen.Ich greife gern von dieser Stelle den Gedanken von Minister Leussink auf, wonach die Beteiligung des Bundes nach dem Hochschulbauförderungsgesetz angehoben werden sollte, vielleicht auf zwei Drittel oder drei Viertel der entstehenden Kosten, aller-
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Dr. Endersdings nach der verfassungsmäßigen Absicherung durch entsprechende Beschlüsse dieses Hohen Hauses. Bei den Großforschungsobjekten haben wir die Beteiligung des Bundes von meist 50 auf 90 % erhöht. Dadurch sind den Ländern 90 Millionen DM erspart worden, was sich in nicht unwesentlichen Ausdehnungen im Einzelplan 31 bemerkbar macht.Zur Überwindung des Numerus clausus und zur Beseitigung krasser Ungerechtigkeiten bei der Zulassung zu den Universitäten muß die Zahl der Studienplätze in der Bundesrepublik erheblich vermehrt werden. Nach vorläufigen Schätzungen wird mit unserer finanziellen Unterstützung ein Bedarf von 60 000 Studienplätzen von der Mitte der 70er Jahre an notwendig werden.
Die Bundesregierung wird sich darauf einrichten, bis 1980 für rund 1 Million Studierende die notwendigen Ausbildungsplätze bereitzustellen.Um aber kurzfristig in der Studienplatznot Abhilfe schaffen zu können, werden entsprechend der Ankündigung des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung ab 1970 Mittel für Schnellbaumaßnahmen zum Hochschulausbau zur Verfügung gestellt.
Bund und Länder bringen 1970 knapp 200 Millionen DM auf. Damit wird die Zahl der Studienplätze um 3) 30 000 vermehrt.Ein Handikap bei den Beratungen im Ausschuß über den Einzelplan 31 im Zusammenhang mit dem Titel „Aus- und Neubau von Hochschulen" war die ursprüngliche Konjunktursperre in Höhe von 75 Millionen DM. Um keine Nachteile für den Hochschulbau entstehen zu lassen, wurde nach Möglichkeiten einer Verlagerung gesucht. Diese Verlagerung ist bis auf einen geringen Rest gelungen. Der Titel wurde mit einem Zuflußvermerk versehen, so daß Minderausgaben in anderen Titeln des Einzelplans 31, die konjunkturwirksam sind, dem Hochschulbau zufließen werden.
Zwischenfrage! Dr. Enders : Bitte schön!
Herr Kollege, darf ich Sie fragen: sind Sie mit mir darin einig, daß zwar wir beide sehr intensiv nach Verlagerungsmöglichkeiten gesucht haben, daß aber bei der Abstimmung Ihre Kollegen den Verlagerungen nicht zugestimmt haben?
Herr Kollege Althammer, es gibt hierzu unterschiedliche Gesichtspunkte, und auch diese Lösung hat ihre Schwächen. Darauf will ich nicht eingehen, Sie kennen sie.
Meine Damen und Herren, noch immer sind breite Bevölkerungskreise an unseren Universitäten unterrepräsentiert. Nach einer Untersuchung stammen nur 7 % der Studenten aus Arbeiterkreisen, obwohl deren Familien im weitesten Sinne 50 °/o unserer Bevölkerung ausmachen.
— Diese Frage könnte ich Ihnen und Ihren Kollegen genauso stellen. Ich habe von Arbeiterkreisen in unserer Bevölkerung im weitesten Sinne gesprochen.
Meine Damen und Herren, die „besondere Fülle" des Saales animiert natürlich zu Zwiegesprächen.
Aber Zwiegespräche ersetzen keine Rede.
Ich glaube, Sie könnten Ihre wohlfundierten Einwände sehr viel besser in einer Rede als durch diese ein wenig fragmentarischen Expektorationen zur Geltung bringen.
— Wenn es schon geschehen ist, wollen wir jetzt einen besseren Anfang machen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe diesen Prozentsatz der unterrepräsentierten Bevölkerungsteile erwähnt, weil er für die Beratungen im Haushaltsausschuß entscheidend war. Der Titel für die Förderung nach dem Honnefer Modell wurde um 21 Millionen DM auf insgesamt 117 Millionen DM erhöht. Nach der Statistik sinkt der Anteil der Studenten aus unterrepräsentierten Bevölkerungsschichten an den .Universitäten mit zunehmender Entfernung von den Hochschulen. Besonders deutlich ist diese negative Erscheinung bei Kindern aus kinderreichen Familien zu verfolgen, wo jedes zusätzliche Kind der Familie dazu beiträgt, ihren Prozentsatz an der Gesamtzahl der Studierenden zu verringern.Wenn das Netz der Universitäten in der Bundesrepublik durch Neugründungen verdichtet wird, eröffnen wir nicht nur den herkömmlichen Studentenkreisen neue Ausbildungsstätten, sondern schaffen auch eine verbesserte Ausbildung für Studierende aus denjenigen Bevölkerungsschichten, die bisher zu keiner Hochschulausbildung gelangten. Meine Fraktion geht davon aus, daß die Mittel für Bildung und Wissenschaft in den kommenden Jahren entsprechend der mittelfristigen Finanzplanung weiterhin ansteigen und damit die Voraussetzungen für die Priorität schaffen, die wir den Bildungs- und Wissenschaftsfragen zumessen.Ich darf zum Schluß ein Wort des Herrn Bundesverkehrsministers anführen, wonach das Straßennetz in unserem Land so ausgebaut werden soll,
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Dr. Endersdaß eines Tages kein Bundesbürger weiter als 20 km von der nächsten Autobahn entfernt wohnen werde. Wenn wir diese Vorstellung auf die Bildungspolitik übertrügen, wäre ein großer Erfolg — ich hoffe, es klingt nicht zu optimistisch —, wenn das Netz unserer Hochschulen so dicht würde, daß kein Bundesbürger weiter als 50 km von der nächsten Universität entfernt zu wohnen braucht.
Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion dankt dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und seinen Mitarbeitern für ,die Tatkraft, mit der sie die weitaus größer gewordenen Aufgaben mit Verantwortung angepackt haben. Wir weisen deshalb auch, Herr Kollege Althammer, die Kritik zurück, ,die Sie für die Opposition vorhin hier geäußert haben. Wir weisen .sie mit Entschiedenheit zurück.
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, dürfen nicht vergessen, daß der neue Bundesminister so gut wie gar keine Vorbereitungen zur Ausfüllung ,der neuen Verfassungskompetenzen vorfand, als der Regierungswechsel im vergangenen Oktober vollzogen wurde.
Die Tatsache, daß nach jahrelangen Schwierigkeiten
nun die entscheidenden Berichte des Bildungsrates und des Wissenschaftsrates zur Strukturreform vorliegen und daß gestern im Kabinett der Bericht der Bundesregierung über Bildung und Wissenschaft abschließend beraten werden konnte, spricht doch für sich!Voraussetzung für die notwendigen Reformen unseres Bildungswesens in allen Bereichen ist die hier vorgenommene Entwicklung von Zielvorstellungen.
Auf dieser Grundlage wird es auch in künftigen Haushalten möglich sein, in verstärktem Umfang höhere Mittel für Bildungsinvestitionen sinnvoll auszugeben.Lassen Sie mich hier anmerken: eine alte Forderung der Freien Demokraten, die wiederholt von meiner Kollegin Frau Funcke hier vorgetragen wurde
und die man in Zukunft auch mehr in Angriff nehmen sollte, ist, die Ausbildungsförderung im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft zusammenzufassen, und zwar auch den Elementarschulbereich, damit eine einheitliche Ausbildungsförderung vom Kindergarten bis hin zur Hochschule erfolgt und keine Zersplitterung der Kompetenzen eintritt.
Zu den Fragen, die jetzt im Vordergrund stehen müssen, nämlich Förderung der Wohnheime für Studenten, Förderung der Investitionen im Hochschulbereich,
darf ich auf die grundsätzlichen Ausführungen verweisen, die mein Kollege Kirst gemacht hat, der ja vermerkt hat, daß es sich für investive Maßnahmen nicht vermeiden lassen wird, mehr und mehr den Kapitalmarkt in Anspruch zu nehmen.Es hat sich als notwendig erwiesen, meine Damen und Herren, auch in der Forschungspolitik eine allgemeine Überprüfung der bisherigen Planungen, Vorhaben und Methoden vorzunehmen. Darüber wird sicherlich in einer speziellen Debatte im einzelnen zu sprechen sein. Ich will nur anmerken, daß es uns Freien Demokraten vor allem darauf ankommt, die besondere Bedeutung der Intensivierung von Forschung und Entwicklungauch der mittleren und kleineren Industriebetriebe zu erkennen und die Forschungsförderung des Bundes auf diese Erkenntnisseabzustellen. Das bedeutet: kein Gießkannenprinzip. — Wir werden ja nachher bei der Besprechung Ihres Antrages feststellen müssen, daß Sie offensichtlich nach wie vor das Gießkannenprinzip bevorzugen. — Das bedeutet, daß die Forschung und Entwicklung in der mittleren Industrie durch regionale Aktionsprogramme gefördert werden.
und in große Schwerpunktprogramme einbezogen wird. Bei größeren Vorhaben sind die mittelständischen Unternehmen bei allen Bewilligungsverträgen in Zukunft mehr als bisher zu berücksichtigen.Prinzipiell ist die Forschungsförderung durch den Staat, soweit die Industrie betroffen ist, zu überdenken. Es ist zu überlegen, wie ein erfolgreiches Förderungssystem den Rückfluß erfolgreich angesetzter Mittel in einen allgemeinen Förderungsfonds sichert.
Ich kann hier auf Modelle verweisen, die mein Kollege Kienbaum als Wirtschafts- und Verkehrsminister des Landes Nordrhein-Westfalen geschafhen hat. Frühere Bundesregierungen haben solche Modelle meiner Ansicht nach nicht genügend beachtet. Um so mehr freuen wir uns, daß die jetzige Bundesregierung unvoreingenommen an eine Überprüfung dieses bisher nicht sehr durchsichtigen Gebietes herangeht.Hier muß auch der volkswirtschaftliche Zusammenhang mit den Förderungsmaßnahmen hergestellt werden. Die FDP — das darf ich für meine Fraktion sagen — wird auch besonders die Bestrebungen unterstützen, die darauf hinzielen, im Be-
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JungI reich der staatlichen Forschungseinrichtungen, so weit es irgend geht, zu Kollegialverfassungen zu kommen, um eine angemessene gleichberechtigte Mitwirkung bei der Planung an den Etatvorschlägen und in den Personalentscheidungen zu sichern. Der Erfolg der Forschung in diesen Einrichtungen hängt entscheidend von der Behandlung der jetzigen hierarchischen Strukturen ab. Dabei wird man auch auf lange Sicht daran denken müssen, daß die in der Forschung Tätigen insgesamt im Rahmen einer allgemeinen Finanzierungsplanung, die von Regierung und Parlament zu bestätigen ist, über die notwendigen Schwerpunkte und Forschungseinrichtungen zu entscheiden haben.Eine Brücke zwischen Hochschule und Industrieforschung scheint mir durchaus das Projektmanagement — allerdings ohne Erbhöfe für Großkopfete — mit Forschungseinheit zu sein. Dies führt auch zu einer besseren Fluktuation zwischen Hochschule und Industrie, die ja auch der Bund im Auge hatte, als er für die Forschungseinheit die Form der GmbH gewählt hat.Es wird aber auch wichtig sein, die internationale Zusammenarbeit und Arbeitsteilung ganz besonders innerhalb der Europäschen Gemeinschaften und der beitrittswilligen Staaten — ich denke hier vor allem an Großbritannien — im Auge zu behalten.
— Nein, Herr Kollege Leicht, ich darf hier anmerken,es wird hierzu auch einer weit engeren Zusammenarbeit der beteiligten Bundesressorts — Auswärtiges, Bildung und Wissenschaft sowie der Wirtschaft — bedürfen.Abschließend möchte ich hervorheben, daß es gelungen ist, erste Anstrengungen zur Planung im Bereich von Wissenschaft und Forschung zu verwirklichen, um damit auch Projekte durch Schwerpunktbildung in den Griff zu bekommen. Durch die Bildung des Planungsstabes ist ein Instrument geschaffen worden, mit dem nicht nur nach finanziellen, sondern auch nach volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten geplant wird. Damit werden Kriterien für die Zukunft gesetzt. Man sollte ein Erbe abtragen, das der frühere Minister hinterlassen hat, nämlich, wie ich vorhin schon sagte, die Verzettelung der Mittel, die nach meiner Meinung dadurch eingetreten ist, daß keine genügende Koordination stattgefunden hat, weil viele Projekte parallel gefördert und entwickelt wurden, ohne den großen Zusammenhang herzustellen.Diese nun einmal begonnenen Projekte können nicht einfach abgebrochen werden. Ich stimme Ihnen zu, das gilt insbesondere für die Kernenergie, für die Luft- und Raumfahrtforschung, aber vor allem natürlich auch für den Bereich der Datenverarbeitung. Das kommende Jahrzehnt wird mit Sicherheit entscheidend durch die Kybernetik geprägt werden. Man muß also hier diese Projekte zu Ende führen und die Ergebnisse in ein koordiniertes Schwerpunktprogramm integrieren.Ihre Anträge, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, kennzeichnen, was wir bisher als falsch angesehen haben. Es würde im Grunde die Politik des Herrn Stoltenberg noch nachträglich rechtfertigen, wenn wir diesen Anträgen zustimmten.Mit Sicherheit sind die Titel zur Förderung der Luft- und Raumfahrtindustrie nicht so hoch, wie sie sein könnten. Ich selbst bin gerade diesem Zweig sehr eng verbunden. Ich verfolge mit Interesse, was da geschieht. Aber auch andere Titel, z. B. für die Kerntechnik oder die Datenverarbeitung, bedürften noch höherer Mittel.
— Ja, das ist anzuerkennen, Herr Kollege Leicht. Ich glaube aber nicht, daß Sie das allein für sich in Anspruch nehmen können,
sondern daß das alle Kollegen dieses Hauses, die im Haushaltsausschuß sind, mit Nachdruck getan haben und auch in Zukunft tun werden.
Ich stimme Ihnen zu, daß diese Erhöhungen allein schon deswegen wünschenswert wären, weil gerade im Bereich der Zukunftstechnologien enorme Chancen stecken.In Ihrem Antrag aber wird die Unsicherheit über die Forschungspolitik bei Ihnen deutlich. Sie haben wieder das Gießkannenprinzip angewandt und überall 5 Millionen DM dazugegeben. Hätten Sie es doch wenigstens prozentual auf den einzelnen Titel verteilt; dann wäre es nicht so aufgefallen, daß es nach dem Gießkannenprinzip geschehen ist.
Lediglich bei dem letzten Posten haben Sie um zwei mal 5 Millionen DM, gleich 10 Millionen DM, aufgestockt. Ich nehme an, daß dafür auch gewisse Einflüsse innerhalb Ihrer Fraktion mitverantwortlich sind. Was Sie hier vorgelegt haben, ist nicht durchdacht. Man könnte von dem hinter dem Antrag stehenden Abgeordneten — ich will jetzt nur eine Vermutung aussprechen — annehmen, daß er die Interessen des im letzten Titel angesprochenen Bereichs besonders vertreten hat.Wir hätten mehr Sachkenntnis erwartet. Deswegen, meine Kollegen von der CDU/CSU, bedaure ich, daß wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können, weil er dem Grundprinzip der Schwerpunktbildung und einer gezielten Förderung nicht entspricht.
Das Wort hat der Abgeordnete Raffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Antrag der CDU/CSU auf Umdruck 48 — Weltraummittel — brauche ich zu dem;
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Raffertwas Herr Kollege .Jung gesagt hat, nur noch folgendes zu ergänzen. In dem Bereich, für den Sie Anträge für 30 Millionen DM gestellt haben, sind aus dem letzten Jahr 34,4 Millionen DM Restmittel geblieben. Das zeigt, daß die Schwierigkeiten, die dort laufenden Projekte abzuwickeln, keineswegs nur im Finanziellen liegen. Angesichts der Restmittel bin ich aber auch nicht bange, daß die laufenden Projekte so weitergeführt werden können, wie sie angelegt worden sind. Ich bitte um Ablehnung dieses Antrages.
Das Wort hat Herr Bundesminister Professor Leussink.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich ist es schmerzlich, im Haushalt 205 Millionen DM endgültig gestrichen zu bekommen. Mir persönlich tut das besonders bei der Datenverarbeitung weh. Aber tröstlich dabei ist, daß der Hochschulbau offiziell so glimpflich davon gekommen ist und in der Praxis keinen Schaden zu leiden braucht. Insofern kann auch die WRK beruhigt werden, die gestern eine entsprechende Entschließung angenommen hat; denn die Streichungen im Bildungstitel betreffen den Hochschulbau bekanntlich offiziell nur mit 5 Millionen DM, und zwar durch Verminderung von 800 Millionen DM auf 795 Millionen DM. Durch den Zuflußvermerk, den der Haushaltsausschuß hat bestehen lassen — dafür sei dem Haushaltsausschuß gedankt —, können wir den Titel, wenn das Geld von den Ländern ausgegeben werden kann, in voller Höhe bedienen. Ich glaube, das ist wichtig genug, hier auch erwähnt zu werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, ich bedaure sehr, daß Sie offensichtlich beabsichtigen, den Einzelplan 31 abzulehnen; so habe ich jedenfalls Herrn Althammer verstanden. Meiner Ansicht nach bestehen doch sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen allen Parteien hier im Bundestag gerade in bezug auf den Einzelplan 31. An diese Gemeinsamkeiten möchte ich hier in aller Kürze erinnern. Alle Parteien in diesem Hause haben sich für eine Priorität von Bildung und Wissenschaft eingesetzt. Mit einer Steigerung von etwa 27 % nach den schmerzlichen konjunkturbedingten Kürzungen ist diese Priorität meines Erachtens nach wie vor deutlich geworden, jedenfalls in dem Sinne eines „Signals", wie es der Herr Finanzminister hier bei der Einbringung des Etats bezeichnet hat.Die Priorität wird — ich glaube, darüber sind wir uns einig — in der Fortschreibung bei der mittelfristigen Finanzplanung noch deutlicher zum Ausdruck kommen müssen. Angedeutet ist dies bereits bei dem Beschluß über eine erste Bildungsanleihe in Höhe von 1 Milliarde DM. Daß auch hier der Haushaltsausschuß mitgemacht hat, möchte ich dankbar besonders hervorheben. Ich stimme mit Herrn Althammer völlig überein, wenn er noch einmal be-tout hat, daß dieses keine Maßnahme ist, mit der dasProblem wirklich gelost werden kann. lies ist von der Bundesregierung nie behauptet worden.Ich stimme auch mit den Ausführungen bezüglich des berühmten Tropfens oder Tröpfchens auf den heißen Stein überein. Ich frage mich dann nur, wenn es sich nur um ein Tröpfchen oder einen Tropfen auf den berühmten heißen Stein handelt, wenn das also alles Dinge sind, die man offensichtlich so nebenbei machen kann, weswegen diese leichten Dinge denn bisher nicht gemacht worden sind.
Im Rahmen der bisherigen Zuständigkeiten, also bevor wir die gemeinsame Rahmenplanung nach Art. 91 b des Grundgesetzes aufnehmen konnten, war im Bildungsbereich meines Ministeriums praktisch nur der Hochschulbereich — und da eigentlich auch nur der Komplex Hochschulneubau — ein Problem, das behandelt wurde. Dies war das dringendste Problem — jedenfalls von der Bundesseite aus gesehen. Der Einzelplan 31 sieht hierfür für 1970 — ich habe es bereits angedeutet — eine Steigerung in Höhe von 32,3% gegenüber den Ist-Ausgaben 1969 vor. Das hebt sich doch, glaube ich, sehr vorteilhaft ab von der effektiven Verminderung im Hochschulbautitel vom Jahre 1968 auf das Jahr 1969.Es ist völlig verständlich, daß sich viele eine noch wesentlich größere Steigerung gewünscht haben; ich gehöre bestimmt zu ihnen. Aber ich möchte hier erneut sagen, daß auch hierfür in den bisherigen Planungen der Länder und der Hochschulen keine realen Grundlagen vorhanden waren und daß es auch heute noch sehr fraglich ist, ob wir wesentlich mehr ausgeben könnten, als hierfür der Haushalt jetzt endgültig vorsehen wird. Auch hier gilt wieder, daß die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung noch deutlichere Akzente für 1971 und für die folgenden Jahre wird setzen müssen. Wir haben uns darüber bereits mehrfach unterhalten, und ich glaube, wir sind uns auf diesem Gebiet einig.Ich lege Wert darauf, noch eine Feststellung im Hinblick auf den Bereich der Bildungspolitik zu treffen. Ich bin dem Haushaltsausschuß besonders dankbar dafür, daß er im Rahmen der Positionen 657 35, 658 35 und 882 35 für die Bildungsforschung Mittel in Höhe von 50 Millionen DM — Verpflichtungsermächtigungen — bewilligt hat. Wenn wir in Zukunft Krisen, wie wir sie heute im Schul- und Hochschulwesen haben, vermeiden wollen, müssen wir eben planen. Daran führt kein Weg vorbei. In unserem Lande muß die Forschung gerade auf dem Sektor der Bildung wesentlich vermehrt und auf manchen Gebieten überhaupt erst begonnen werden.Was nun den Forschungsbereich, also den traditionellen Bereich des Ministeriums — Herr Abgeordneter Althammer hat darauf hingewiesen —, des Einzelplans 31 anbetrifft, so erkläre ich hiermit nochmals, daß dessen gleichberechtigte und gleichwertige Fortentwicklung ein Bestandteil der gemeinsamen Priorität von Bildung und Wissenschaft ist. Der Haushaltsausschuß hat hier im wesentlichen den Vorstellungen des Ministeriums entsprochen.
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Bundesminister Dr.-Ing. LeussinkDie Streichungen, die er für notwendig erachtet hat, treffen zu 50 % den Bereich der Kernforschung bzw. der Reaktorentwicklung. Das werden wir halt verkraften müssen.Ich will hier noch ein Wort zur Frage der Weltraumforschung sagen, die hier angesprochen worden ist. Es ist richtig, daß wir hier von den Kürzungen besonders hart betroffen worden sind, aber es ist auch richtig — darauf hat Herr Kollege Raffert hingewiesen daß die Restmittel gerade aus diesem Titel, und zwar nicht nur im Jahre 1969, sondern auch in den vorhergehenden Jahren, relativ groß waren. Die Möglichkeit, mit diesen Restmitteln die Engen des Jahres 1970 zu überbrücken und auszugleichen, wird uns also helfen, die Arbeit in diesem Jahr uneingeschränkt fortzusetzen. Herr Althammer, ich habe gerade darüber unlängst ein langes Gespräch mit Vertretern der betroffenen Industrie gehabt, und ich hatte den Eindruck, daß auch die Industrie jetzt überzeugt ist, daß wir die Programme durchführen können. Allerdings, das muß ich zugeben, kann es dann im Jahre 1971 kneifen. Aber darüber können wir uns dann ja gesondert unterhalten.Jetzt noch ein letztes Wort zu dem Vorwurf der „Konzeptionslosigkeit". Herr Althammer, sie hatten die Freundlichkeit, es auf Konzeptionsabwesenheit zu redressieren.
Das ist ja immerhin schon ein Weg zur Verständigung. Hierzu möchte ich einmal auf das hinweisen, was Herr Kollege Enders über die Personallage im Hause gesagt hat. Er hat weiß Gott nicht übertrieben. Ich brauche dem nichts hinzuzufügen. Was das Verfahren der Thesen anbetrifft, das beim Hochschulrahmengesetz angewendet worden ist, so muß ich Ihnen sagen, daß ich bisher den festen Eindruck habe, daß dieses Verfahren wesentlich mehr Vorteile als Nachteile hat. Auch in Ihren Augen, Herr Althammer, kann dieses Verfahren doch wohl nicht so ganz schlecht sein, denn der Kollege Vogel in Rheinland-Pfalz hat ja denselben Weg beschritten. Ich will hier gern feststellen, daß er ihn, offiziell jedenfalls, sogar noch einige Tage eher beschritten hat, als wir das getan haben.
Es ist bekantgegeben worden, daß im Kabinett gestern der Bildungsbericht verabschiedet worden ist. Er wird Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, am 10. dieses Monats, also in der nächsten Woche, gedruckt vorliegen. Sie, Herr Kollege Althammer, haben angedeutet, daß ich hierzu einige Ausführungen machen werde. Ich bin selbstverständlich gern bereit, hier eine Kurzfassung zu geben. Aber in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit kann ich wohl voraussetzen, daß Sie darauf verzichten; Sie können die Kurzfassung dann in der nächsten Woche im gedruckten Bericht lesen.
Ich möchte nur — nicht zum Inhalt — ein paar Dinge sagen.lch könnte mir vorstellen, daß der Vorwurf der Konzeptionsabwesenheit oder der Vorwurf der Konzeptionslosigkeit, wie er ja auch mehrfach in den letzten Wochen und Monaten geäußert worden ist, sich in das Gegenteil umdrehen könnte, nämlich daß sich die Bundesregierung anmaße, zu weitgehende und zu konkrete Vorstellungen zu haben, d. h. ein viel zu klares Konzept in qualitativer Hinsicht — da wird mit Sicherheit dann der Vorwurf der Ideologievoreingenommenheit kommen —, eine viel zu weitgehende Konzeption, was die Zeit anbetrifft und eine viel zu konkrete Konzeption, was sowohl die Zahlen hinsichtlich der Menschen als die finanziellen Zahlen anbetrifft. Immerhin — und darauf haben Sie angespielt —, in diesem Bericht wird auch ein Vorschlag der Bundesregierung enthalten sein, einen Fünf-Jahres-Plan für die Überwindung des Numerus clausus aufzustellen.Bei all diesen Dingen, meine Damen und Herren, müssen wir uns immer wieder in Erinnerung zurückrufen, daß der Bund eine Kompetenz nur für eine gemeinsame Planung mit den Ländern hat.Zu der Frage von Herrn Kollegen Althammer „Wer soll das bezahlen?" möchte ich sagen: Das kann nur im Bildungsbudget festgestellt werden, das in der Bund-Länder-Kommission nach Art. 91 b ,des Grundgesetzes gemeinsam erarbeitet werden soll. Dabei muß immer wieder darauf hingewiesen werden, daß der Bund — bisher jedenfalls — ja nur 13 0/o des Gesamtetats übernommen hat. Man wird sich darüber unterhalten, ob das für Beträge, wie sie genannt worden sind — rund 100 Milliarden im Anfang der achtziger Jahre nach derzeitigen Preisen —, noch so bleiben kann. Auch das ist selbstverständlich nur gemeinsam mit den Ländern möglich. Aber hierzu wird im Bildungsbericht bereits einiges Deutliche von ,der Bundesregierung gesagt werden. Der Tenor ist ja nicht ganz unbekannt; ich habe ihn auch an anderer Stelle vorgetragen. Der Tenor würde heißen: Entlastung der Länder auf dem Gebiet der Hochschulen, um sie um so besser in Stand zu setzen, auf dem Gebiet der Schulen das Notwendige zu tun.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Haushaltsausschuß hat den Etat eingehend beraten. Die Vorlagen sind Ihnen bekannt. Ich will mich hier also nach der schriftlichen Darstellung der Berichterstatter darauf beschränken, auch an die Opposition zu appellieren, die Regierung in diesen zentralen Fragen zu unterstützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Martin.
Ja! Ich mache es aber kurz, Herr Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Reihe von Bemerkungen macht es nötig, noch ein-
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3164 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970
Dr. Martinmal auf die Ausführungen von Herrn Althammer zurückzukommen. Von den 'Rednern der Koalitionsparteien und vom Minister ist gesagt worden, dieser Haushalt sei ein Haushalt, der die Priorität für Wissenschaft, Forschung und Bildung zum Ausdruck bringt. Nichts ist falscher als das! Dieser Haushalt zeigt, daß die Wissenschaftspolitik unter der neuen Regierung stagniert.
— Ich weiß genau, daß das stimmt. Ich kann mich dabei darauf stützen, daß Ihr Parteifreund, der Herr Frister, der Vorsitzende der GEW, diese Politik für eine Politik der Stagnation genannt hat. Das haben nicht wir erfunden, sondern das haben Ihre eigenen Freunde gefunden. Herr Evers hat mit seinem Rücktritt ja bescheinigt, was für ein Haushalt das ist. Das ist nicht das, was in der Regierungserklärung versprochen worden ist. Das ist nicht das, was hier behauptet worden ist. Der Anteil für Wissenschaft und Forschung am Haushalt beträgt 3 % des Gesamthaushalts. Aber 11 % macht die Sperre aus, mit der dieser Haushalt belegt worden ist. Das heißt, nur der Wissenschaftshaushalt ist überproportional mit einer Sperre belegt worden und kein anderer.
— Natürlich, das stimmt!
- Nein, das stimmt genau. Das ist genau ausgerechnet. — Meine Damen und Herren, Sie wären ja gar nicht so unruhig, wenn Sie nicht genau wüßten, daß es stimmt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ihre Belesenheit schätze ich, aber ich vermute, daß Sie von zweiter Hand informiert worden sind. Ist Ihnen denn nicht bekannt, daß Herr Frister bei seiner Kritik an der deutschen Bildungssituation ausdrücklich die Bundesregierung ausgenommen hat und gesagt hat, sie gäbe sich Mühe, es sei noch zu früh, darüber etwas zu sagen, daß er vor allem die Länder damit gemeint hat? Oder wollen Sie diese falsche Darstellung durch Wiederholung hier noch einmal dokumentieren?
Diese Darstellung von mir ist nicht falsch. Herr Frister hat von Bund un d Ländern gesprochen und gesagt, wenn dieser Haushalt so bleibt wie er ist, dann ist es ein Haushalt der Stagnation. Das ist der Sinn dieser Ausführungen gewesen.
— Herr Dohnanyi, kommen Sie doch hier herauf! Reden Sie doch hier oben!
Was Priorität hier bedeutet, sehen Sie doch daran, daß es dem Verkehrsminister gelungen ist, die 540 Millionen DM aus der Sperre herauszubekommen.
Warum stimmt das denn nicht?
— Wieso denn?
— Immer langsam!
Was sagten Sie, Herr Kollege Althammer?
Gut, ich komme nachher vielleicht noch einmal darauf zurück.
Ich wiederhole meinen Rat, lieber von der Tribüne aus zu sprechen, als hier Zwiegespräche zu führen.
Ich möchte weiter sagen, daß die Steigerungsrate bei der allgemeinen Wissenschaftsförderung mit 40 % beachtlich aussieht. Man muß aber hierbei berücksichtigen — was ich schon einmal gesagt habe —, daß, wenn man bedenkt, daß die Mitfinanzierung der neuen Hochschulen einbegriffen ist, d. h. also daß durch die Ausweitung der Zuständigkeit dieser Betrag bei weitem überkompensiert ist, de facto für den Gesamthochschulbereich weniger vorhanden ist als vorher.
— Das stimmt genau!
Aus diesem Haushalt ist auch nicht erkennbar, wie der Numerus clausus überwunden werden soll.
Wer sich diesen Haushalt ansieht und gleichzeitig die Vorgänge an den deutschen Universitäten beobachtet, der wird nicht finden, daß hier ein konkreter, aktueller Weg zur Überwindung des Numerus clausus aufgezeigt worden ist, wobei man genau weiß, was auf uns zukommt.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970 3165
Dr. MartinMeine Damen und Herren, unter diesen Umständen wird man feststellen müssen, daß überhaupt keine Rede davon sein kann, daß das ein Haushalt ist, der Weichen stellt, der wirklich Priorität für Wissenschaft und Bildung festsetzt, und das ist der Grund, weshalb wir diesem Haushalt unsere Zustimmung verweigern müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Martin, Sie kennen ja die Probleme wirklich. Ich verstehe gar nicht, daß Sie das, womit die Dinge hier in der Debatte so oft widerlegt worden sind — auch die Begründungen, die Sie gehört haben —, einfach nicht zur Kenntnis genommen haben. Ich will jetzt von der Finanzierung absehen: da ist offensichtlich noch ein Stück Aufklärungsarbeit notwendig, weil sich der Haushalt zwar verändert hat, aber nicht so, wie Sie es eben dargestellt haben.
Es ist doch einfach wichtig, einmal zu sagen, daß es unfair ist, wenn Sie heute in der Öffentlichkeit behaupten, als ob diese Bundesregierung in acht Monaten oder in den restlichen sechs Monaten dieses Jahres in der Lage wäre, den Numerus clausus zu beseitigen. Ebenso unfair ist es von Ihnen, es so darzustellen, als ob es dieser Bundesregierung möglich gewesen wäre, sich schon bisher der öffentlichen Kritik über ihre wissenschafts- und bildungspolitischen Zielvorstellungen zu stellen, nachdem sie beim Punkt Null hatte anfangen müssen. Sie wissen doch selbst, daß die Verfassungsänderungen schon viel früher als am Ende der Legislaturperiode in Kraft getreten waren!— Sie schütteln den Kopf, Herr Dr. Althammer. Es ist aber doch so! Als die ersten Verfassungsänderungen hier diskutiert wurden, hatten wir noch anderthalb Jahre bis zum Ablauf der Legislaturperiode. Von da an ist ein Minister, der eine Konzeption hat und nicht nur einen Etat und der nicht sagt, weil er einen Etat habe, habe er auch eine Konzeption — das war nämlich der Eindruck in der Vergangenheit —,
doch verpflichtet
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
— darf ich meinen Satz zu Ende führen; es macht sich besser —, Vorbereitungen zu treffen, z. B. durch überplanmäßige Anforderungen beim Finanzminister, damit er das Personal bekommt, das für ihn denkt, wenn er schon nicht die Richtlinien gibt — - vielleicht auf diesem Weg mal - oder indem er Richtlinien gibt, damit im Ministerium seine Gedanken zu Papier gebracht und ausgeführt werden. Allein mit Pressekonferenzen im August, sechs Wochen vor der Wahl, geht es eben nicht. Das ist kein Beweis für Tatkraft.
Herr Kollege Moersch, würden Sie vielleicht die Freundlichkeit haben, sich von dem amtierenden Minister einmal darüber aufklären zu lassen, welche Vorarbeiten hinsichtlich des Komplexes, den Sie jetzt eben angesprochen haben, er vorgefunden hat? Vielleicht können Sie dann auch ein aktuellere Aussage hier machen.
Ja, der größte Teil der Arbeiten waren Presseausschnitte.
Das war das meiste, was vorhanden war. Das ist alles geprüft.
Ich stelle fest, daß wir dem früheren Minister eine neue Form der Ente verdanken — ich nehme den Wahlkreis hier als Maßstab —, nämlich die Eiderente, die uns hier zugeflogen war.
Das ist doch nun ein starkes Stück, was Sie uns hier bieten. Herr Dr. Martin, werden Sie doch nicht heute zu so später Stunde wieder zum Pflichtverteidiger für Dinge, die Sie selbst gar nicht verteidigen können.Es geht doch einfach darum, daß es jedenfalls ehrlicher ist -- und Sie mußten es so nennen, Herr Dr. Althammer --, von einer Konzeptionsabwesenheit zu sprechen, als zu behaupten, man habe eine Konzeption, wenn man tatsächlich, wie ich schon sagte, nur einen Etat hatte. Es ist doch richtiger, zu bekennen, daß wir auf zehn Jahre wissenschafts- und bildungspolitische Ausgaben zu planen haben und daß wir aus konjunkturellen Gründen auch eine Phasenverschiebung in Kauf nehmen müssen. Und es ist jedenfalls richtiger, erst zu diskutieren und zu denken und dann das Geld auszugeben und nicht erst einmal das Geld auszugeben und zu hoffen, daß einem dann hinterher auch die guten Gedanken einfallen.
Ich denke nur an die Art von Politik, die in der Vergangenheit auf dem Gebiet der Datenverarbeitung betrieben worden ist. Ich erinnere nur an die vielen Falschmeldungen, die von der Regierungsbank dem Hause mitgeteilt worden sind — ich bin bereit, sie zu belegen —, oder etwa an die Gründung einer GmbH in Birlinghoven, deren entscheidender Leiter bis zum Ausscheiden des Ministers nicht gefunden werden konnte, weil es für diese Vorstellung — „Konzeption", wie man sie nannte —überhaupt keine Möglichkeit der Verwirklichung gab. Aber Geld ist ausgegeben worden, und Spezis
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Moerschsind dort hingeschickt worden. Das war die Konzeption, die man gehabt hat.
Sie sollten einmal Schluß machen mit dieser Vergangenheitsbewältigung, die in Ihrer eigenen Fraktion stattzufinden hat und nicht in diesem Hohen Hause.
Diese Bundesregierung hat gestern einen Bildungsbericht verabschiedet — den Sie auch früher hätten veranlassen können —, und zwar ist hier in Abstimmung mit den Ländern etwas möglich gewesen, was früher offensichtlich nicht möglich war, gerade in den eigenen Reihen der CDU/CSU, nämlich zur Kooperation mit den Landesministern zu kommen.
— Es sind selbstverständlich - —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?
Darf ich das erst zu Ende führen.
— Ach was, Herr Dr. Martin, was heißt „es ist nicht abgestimmt"? Es ist jedenfalls möglich gewesen, mit den Kultusministern eine Planung zu entwerfen, einen Planungsmodus zu erarbeiten. — Sie mögen den Kopf schütteln oder nicht. Wenn es nicht abgestimmt ist, hat Herr Vogel jedenfalls schon ein paar ganz gute Dinge abgeschrieben. Irgendwie muß es „ab-" gewesen sein, „ab"gestimmt oder „ab"geschrieben.
Das hat Herr Leussink vorhin ja gesagt.
Meine Damen und Herren, es ist doch eine Tatsache, daß das Verfahren, das diese Bundesregierung eingeschlagen hat, im Verhältnis zu den Kräften, die ihr zur Verfügung standen, sehr zügig und auch sehr sorgfältig und erfolgreich gewesen ist.
— hein, jetzt nicht. — Denn allein die Tatsache, daß wir Thesen in dieser Form beraten haben, insbesondere die zur Hochschulgesetzgebung, hat doch schon bewirkt, daß sich maßgebende Organisationen in diesem Land, die früher — und mit Recht — als retardierende Elemente gegolten haben, nun innerhalb eines Jahres diesen Thesen in der Grundtendenz angeschlossen haben, daß also die öffentliche Diskussion auch die heimliche oder die versteckte Lobby aufgelockert hat und auf diese Weise Klarheit und Durchsichtigkeit in die gesamte Frage gekommen ist. Ich sage Ihnen heute voraus, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, daß Sie mit
einer Phasenverschiebung, d. h. mit einer Gedankenverzögerung von zirka vier Jahren dasselbe Programm in vier Jahren verkünden werden, das heute bereits für uns für die siebziger Jahre maßgeblich ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Fuchs.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bitte, seien sie nicht allzu ungehalten, wenn ich noch für drei Minuten Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehme. Aber auch wenn Sie ungehalten sind, werde ich reden.
Ich bin ein Neuling hier, aber wenn einen ernsthaft etwas bewegt, hat man, glaube ich, sogar die Pflicht, hier aufzutreten.
Ich möchte mich nicht äußern zu den sehr polemischen Überspitzungen des Herrn — —
— Moersch! Ja, der Name kommt schwer heraus, das muß zugegeben werden.
Meine Damen und Herren, ich möchte eine andere Frage ansprechen, und damit wende ich mich vor allem an Sie, Herr Bundesminister. Sicher ist, daß wir in ,den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine ganz ungewöhnliche Ausweitung der Zahl der Studienplätze brauchen. Der Wissenschaftsrat hat ja jetzt 1 Million für 1980 festgestellt. Ich hoffe, daß ,diese Voraussage besser zutrifft als ,die erste, die 1960 gemacht wurde. Daß ,eine enorm hohe Quote von Studienplätzen erforderlich ist, steht fest. Ich meine, ,daß wir dabei aber nicht so verfahren sollten, daß dabei wieder nur die bevorzugten Regionen zum Zuge kommen. Das ist auch eine ganz wichtige Frage der Strukturpolitik. Meine Damen und Herren, gerade von der SPD ist bei der Strukturdebatte darauf hingewiesen worden, allerdings ganz unzulänglich, wie ich finde; denn ich glaube, auf dieses Problem hätte ganz besonders eingegangen werden müssen. Ein Kollege hat vorhin gesagt: 50 km Entfernung bis zur nächsten Hochschule. Meine Damen und Herren, vielleicht ist das etwas global gegriffen, aber insgesamt gesehen müssen wir uns in die Richtung bewegen, wenn wir den ländlichen Räumen eine Chance für das Jahr 2000 geben wollen; denn davon, inwieweit gleiche Bildungschancen geboten werden, hängt es ab, wie sich das Leben dieser Menschen gestaltet.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970 3167
Dr. Fuchs— Das ist sicher nichts Neues, aber das ist bis jetzt auch nicht mit der notwendigen Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht worden!
Ich spreche deswegen zu Ihnen, Herr Bundesminister, da Sie mit Sicherheit eine ganz gewichtige Rolle
bei der Planung und Festlegung der Standorte haben.
— Nicht allein, wir wissen es. — Ich bitte Sie aber, zu berücksichtigen, daß das allgemeine Bildungswesen, das System der weiterführenden Schulen in den ländlichen Räumen der einzelnen Länder in den letzten Jahren ganz bevorzugt ausgebaut worden ist. Ich glaube, daß Bayern — das möchte ich sagen, nachdem hier neulich sosehr über Bayern hergezogen worden ist — doch für sich in Anspruch nehmen kann, daß das dort besonders geschehen ist. Ich glaube, daß niemand da ist. der ,dem widersprechen wird.
— Jawohl! Es hat mehr getan als die übrigen, Bayern hat auch zunächst einmal zwei neue Universitäten eröffnet; die anderen haben es nicht fertiggebracht.Ich bitte, insbesondere zu beachten, daß diese Frage für die wirtschaftliche Gesamtentwicklung der schwach strukturierten Räume von enormer Bedeutung ist. Betriebe lassen sich nur dort nieder, wo auch die Möglichkeit gegeben ist, die Kinder an die Hochschule zu schicken.Ich bitte, noch ein Weiteres zu berücksichtigen. Es wird geklagt. daß zuwenig Arbeiterkinder auf die Hochschulen bzw. Universitäten gehen. Die weiterführenden Schulen mancher ländlicher Räume werden zu 50 und mehr Prozent von Arbeiterkindern besucht. Sie werden nur dann eine echte Chance haben, an die Universität bzw. an die Hochschule zu gehen, wenn diese in erreichbarer und in zumutbarer Entfernung liegen. Ich möchte das ganz besonders betonen. Ich kenne das von Passau her, einem Gebiet, von ,dem es bis zur nächsten Universität 130 km sind.
— Jawohl. Ich möchte mein Wort halten. Herr Apel, Sie haben mich erinnert. Entschuldigen Sie bitte, daß ich über die Zeiten, die man hier auf der Rostra braucht, noch nicht so genau Bescheid weiß. Tch habe meine Versprechung sicher nicht ganz eingehalten. Trotzdem werden Sie mir zugestehen, daß das, was ich gesagt habe, aus einer ernsten Sorge um die Entwicklung unseres gesamten Landes gekommen ist. Ich meine, das sollte man von hier aus tun dürfen.
Meine Damen und Herren, ich beglückwünsche den Kollegen Fuchs. Es war seine Jungfernrede.
Wenn alle seinem Beispiel folgten, sich an kurze Redezeiten zu halten, bekäme uns das allen sehr gut. — Herr Abgeordneter Raffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Adolf Schönfelder, einer der eindrucksvollsten Parlamentarier, die mir begegnet sind, hat einmal gesagt: „Beim Haushalt kann man über Tod und Teufel reden." Das Zitat paßt nicht nur zu Ihnen, Herr Dr. Martin, und zu einer der beruflichen Karrieren, die Sie hinter sich haben, sondern auch zu dem, was die Opposition in den letzten Tagen gemacht hat. Das kann man ruhig tun. Aber Schönfelder hat nicht gesagt, man kann auch rund um die Uhr reden. Deswegen werden wir auf die Argumente nicht mehr im einzelnen eingehen. Wir verschieben das auf die Debatte über den Bericht, der jetzt von der Regierung vorgelegt wir' und den zu studieren sich lohnt. Wem aber probieren über studieren geht — deren gibt es sicher eine ganze Menge, und Parlamentarier sollten das auch tun —, der wird sehen, wenn er den Vollzug des Haushalts 1970 beobachtet, daß dieser Haushalt auf die Ziele und Vorschläge, die die Regierung in ihrem Bericht macht, genau hinleitet und uns daran nicht hindert.
Das Wort hat der Abgeordnete Althammer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Wortmeldung wäre vermeidbar gewesen, wenn der Kollege Moersch mir die Gelegenheit gegeben hätte, ihm eine Zwischenfrage zu stellen. Ich muß sagen, Herr Kollege Moersch, diese schnoddrige Art,
mit der Sie hier eben betont haben, daß der ehemalige Forschungsminister Stoltenberg „Spezis" für die Datenverarbeitung zu bestellen suchte, finde ich nicht gerade angemessen.
Nachdem Sie, Herr Kollege Moersch, in diesem Hause so gerne einen Unterschied zwischen kundigen und nichtkundigen Kollegen machen, dürfte es Ihnen bekannt sein, daß bei der Datenverarbeitung genauso wie bei der Weltraumforschung und bei der Atomforschung ein wissenschaftlicher Beirat besteht, der diese Programme ausarbeiten hilft, und der entscheidend mitverantwortlich dafür ist, welche personelle Auswahl hier erfolgen kann.
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3168 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970
Dr. AlthammerIch bedaure es außerordentlich, wenn eine Debatte, die doch bisher einigermaßen sachlich verlaufen ist, in dieser Form abgeschlossen werden sollte.
Ich darf bei der Gelegenheit noch eines sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es tut mir sehr leid, daß Sie sich auch in diesem Einzelfall nicht dazu durchringen konnten, einem Antrag in Höhe von 30 Millionen DM Ihre Zustimmung zu geben. Sie haben sich natürlicherweise jetzt an die Fallbeilmethode gewöhnt. Man hat ja auch von hier oben manchmal gehört, welchen Genuß es Ihnen bereitet, zu sehen, daß wir Opposition sind und daß wir uns erst daran gewöhnen müßten usw. Ich habe auch manchmal den Eindruck, daß manche bei Ihnen sich erst daran gewöhnen müssen, jetzt bei einer Regierungspartei zu sein. Aber was ich an schwachen Begründungen zu diesem Antrag gehört habe, sucht seinesgleichen. Der Kollege von der FDP hat hier erklärt, es sei eine Gießkannenmethode, wenn man bei drei Positionen den Vorjahresansatz wiederherzustellen versucht, und der Grund für die Ablehnung sei der, daß auch anderswo nicht genügend Geld zur Verfügung stehe. Das ist eine außerordentlich schwache Begründung. Es hätte Ihnen gut angestanden, wenn Sie diesem unserem Antrag zu Wissenschaft und Forschung Ihre Zustimmung gegeben hätten.
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich geahnt hätte, welche Erregung es verursacht, hätte ich mich nicht einer bayerischen Ausdrucksweise bedient. Ich bedaure, daß da ein falscher Eindruck enstanden ist. Ich wollte keinem unterstellen, daß hier nicht in korrekter Weise gehandelt wurde. Aber ich möchte sagen — ich habe das hier schon zum Ausdruck gebracht, Herr Althammer; die Kollegen wissen das —, daß das Problem all dieser Beiräte darin besteht, daß Selbstverwaltung unter Umständen auch in Selbstversorgung ausarten kann.
Das Wort hat Herr Bundesminister Professor Leussink.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Herrn Althammer bedaure ich, daß zum Schluß doch noch ein unsachlicher Ton in die Debatte gekommen ist.
Nun muß ich mich an Herrn Martin wenden. 11 von 3005 Millionen DM sind 330 Millionen DM. Die Konjunktursperre betrug 305 Millionen DM. Die Rechengenauigkeit ist also nicht so sehr groß gewesen, aber das macht gar nichts. Davon sind dann 200 Millionen DM durch einstimmigen Beschluß des Haushaltsausschusses — so ist mir jedenfalls gesagt worden — in endgültige Streichungen umgewandelt worden. ,Jetzt frage ich Sie und die Zeugen Leicht und Althammer, ob die CDU dabei dagegen gestimmt hat. — Wenn sie nicht dagegen gestimmt hat, können Sie hier nicht in dieser Weise auftreten, wie Sie hier aufgetreten sind.
Ich lasse mir das nicht gefallen und, ich glaube, die
Koalition auch nicht. So geht es nicht, Herr Martin.
Immerhin hat die Bundesregierung doch inzwischen eine Bildungsanleihe von 1 Milliarde DM vorgeschlagen. Ist denn 1 Milliarde DM, von der Bundesregierung vorgeschlagen, gar nichts oder weniger wert als irgendeine andere Milliarde?
Jetzt noch ein Wort zu den Vorarbeiten; auch darüber ist gesprochen worden. Es wurde gesagt, es seien Vorarbeiten vorhanden gewesen. Ich stelle hier fest: Vorarbeiten, die für die Aufgaben in der Bildungsplanung, die wir zu machen haben, verwendbar gewesen wären, waren nicht vorhanden.
Ich leite daraus auch keinen Vorwurf ab; denn wenn man in den traditionellen Bahnen des dreigegliederten Hochschulsystems und des dreigegliederten Schulsystems denkt, braucht man auch keine Vorarbeiten zu machen.
Ich möchte gern noch einige Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Fuchs machen. Auch er hat wieder einmal auf den Wissenschaftsrat abgehoben. Das macht sich immer gut, wenn man mit Herrn Leussink zu tun hat. Erstens kann ich Ihnen sagen, daß ich 1960 an den Empfehlungen des Wissenschaftsrats gar nicht beteiligt war. Die jetzigen Vorstellungen des Wissenschaftsrats sind nicht ganz ohne mein Zutun unter meinem fünfjährigen Vorsitz zustande gekommen, nämlich die Zahl von 1 Million Studenten im Jahre 1980.
Jetzt haben Sie — vielleicht habe ich Sie falsch verstanden — doch etwas Wichtiges gesagt. Sie sagten, Sie würden es für besser halten, wenn die Zahl nicht erreicht würde.
Von diesem Gesichtspunkt aus war die Empfehlung von 1960 dann ja geradezu ideal.
— Wenn ich Sie mißverstanden habe, dann entschuldige ich mich schon jetzt; aber so habe ich es verstanden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Bundesminister, wie konnten Sie mich insofern mißverstehen, als Sie glaubten einen Angriff auf Sie feststellen zu können? Zweitens habe ich tatsächlich nicht gesagt,
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970 3169
Dr. Fuchsdaß die Zahl nicht erreicht würde, sondern daß ich wünschte, daß es sich nicht um eine Fehlschätzung handelt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe etwas von „besser" verstanden. Das habe ich vielleicht in den falschen Hals bekommen. Ich habe es gar nicht als persönlichen Angriff aufgefaßt, sondern die sachliche Feststellung getroffen, daß es sich immer gut macht, wenn man im Zusammenhang mit mir den Wissenschaftsrat erwähnt.
Ich bin Ihnen sehr dankbar für den Hinweis, den Sie bezüglich in der Bundesrepublik offensichtlich vorhandener Regionen gegeben haben, wo — auch da darf ich bitten, mich zu korrigieren, wenn ich Sie falsch verstanden habe — mehr als 50 % der Arbeiterkinder auf weiterführende Schulen gehen. Durchschlagend und beweiskräftig wäre natürlich nur, wenn Sie Regionen nachweisen könnten, wo mehr als oder auch nur annähernd 50 % der Arbeiterkinder das Gymnasium mit dem Abitur beenden; denn nur darauf kommt es an.
ich bin für jeden Hinweis dankbar, und wir werden unseren Bildungsbericht, wenn das der Fall sein sollte, entsprechend korrigieren.
Ich bin auch dankbar dafür, daß Sie die Sprache auf die Regionalstruktur gebracht haben. Sie haben völlig recht: das ist sehr wichtig. Darüber werden Sie auch einiges in dem Bildungsbericht lesen können. Darin wird aber nicht etwa von vornherein über die Frage Bamberg oder Bayreuth entschieden werden. Ich könnte mir jedoch vorstellen, daß eine Gesamthochschule in Passau durchaus ihren Sinn hätte, vor allen Dingen wenn sie dazu beitrüge, die östlich-westliche Entspannung — sie ist ja weit nach Osten vorgeschoben — mit voranzutreiben.
Mir liegen keine Wortmeldungen mehr zur allgemeinen Aussprache vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 48. Wird er begründet?
— Er ist bereits begründet. Wie soll abgestimmt werden, im ganzen oder punctatim?
— Ingesamt! Dann stelle ich diesen Antrag zur Abstimmung.
Wer für seine Annahme ist, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das letztere war die Mehrheit.
Wir stimmen nunmehr über den Einzelplan 31 im ganzen ab, und zwar mit der Ergänzung in Drucksache VI /854.
Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erstere war die Mehrheit. Angenommen!
Ich rufe jetzt Punkt 26 auf:
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
— Drucksachen VI /845, 171/854 —
Berichterstatter: Abgeordneter Hermsdorf
Abgeordnete Frau Krappe
Berichterstatter sind Herr Abgeordneter Hermsdorf und Frau Krappe. Wollen Sie begründen? — Nein. Wird das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung dafür, daß ich noch einmal das Wort ergreife. Aber im Hinblick auf den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Unidruck 33 erscheint mir folgendes wichtig.Ich habe heute vormittag ein Schreiben des Vizepräsidenten der Deutschen Bundesbank, Dr. Otmar Emminger, erhalten, das folgenden Wortlaut hat:Wie ich der heutigen Presse entnehme, sind Ausführungen, die ich kürzlich vor dem Raiffeisenverband gemacht habe, in entstellter Form in der gestrigen Bundestagsdebatte zitiert worden.
Das bezieht sich auf die Bundestagsdebatte vom 3. Juni.Ich gestatte mir, Ihnen den Originaltext meiner Ausführungen in der Anlage zu übersenden.Ich habe nun nachgeprüft, worum es sich handelt. Herr Kollege Stoltenberg hat in der Debatte am Mittwoch, also am 3. Juni, den Vizepräsidenten der Deutschen Bundesbank, Herrn Dr. Emminger, zitiert. Herr Kollege Stoltenberg hat nach dem Protokoll — Seite 2838 D — folgendes ausgeführt:Herr Emminger hat gestern abend gesagt, die Gefahren für unsere Wirtschaft seien seit 1950 niemals so groß gewesen wie heute.Später hat Herr Stoltenberg dann unter Bezugnahme auf die Bundesbank davon gesprochen, daß die Last der Stabilisierung allein hei der Bundesbank liege — Seite 2840 D des Protokolls — und es ein Zusammenwirken von Bundesbank und Bundesregierung nicht gebe.Tatsächlich aber hat Herr Dr. Emminger zu der ersten Behauptung von Herrn Dr. Stoltenberg nach dem Protokoll und der Vorlage seines Vortrags ausgeführt:Die Preisauftriebstendenzen sind heute gefährlicher als jemals seit den Tagen der KoreaInflation der Jahre 1950/51.
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3170 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970
Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerDagegen hat Herr Stoltenberg gesagt, die Gefahren für unsere Wirt s c ha f t seien seit 1950 niemals so groß gewesen wie heute.Meine Damen und Herren, wenn für die CDU/CSU die Gefährdung der Preisstabilität mit der Gefährdung der Wirtschaft identisch ist, ist das ganz sicher ihre Sache. Das entspricht genau jener Auffassung, die uns in den Jahren 1965 und 1966 in eine Rezession geführt hat.Aber nicht nur in diesem Punkt — und jetzt kommt das Wesentliche — ist Herr Stoltenberg nicht sehr sorgfältig mit den tatsächlichen Ausführungen des Herrn Vizepräsidenten der Deutschen Bundesbank, Emminger, umgegangen. Hinsichtlich der Abstimmung zwischen Bundesbank und Bundesregierung hat Herr Dr. Emminger nämlich ausgeführt —ich zitiere wörtlich —:Es wäre nicht richtig, zu sagen, daß die Bundesbank mit ihrer Restriktionspolitik im gegenwärtigen Boom in ähnlichem Sinne allein gelassen worden ist, wie dies bei früheren Gelegenheiten der Fall war.
Im letzten Boom, dem der Jahre 1964/65, hat die öffentliche Hand ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Konjunktur noch Gas gegeben,
indem sie ihr Finanzierungsdefizit im Jahre 1965 erheblich vergrößerte. Diesmal hat sich die öffentliche Hand, und zwar schon seit Beginn des Jahres 1969,
auf die Erzielung von Finanzierungsüberschüssen und auf die Stillegung von Mehreinnahmen inflatorischen Ursprungs eingestellt.
Herr Emminger sagt — warten Sie einmal ab, hören Sie sich den letzten Satz noch an, und dann gehen Sie in das berühmte stille Kämmerlein und tun Buße — in dem letzten Satz aus diesem Vortrag, den ich hier zitieren möchte:Man mag darüber streiten, ob die öffentlichen Haushalte in ihrer Gesamtheit gegenwärtig nur „konjunkturneutral" oder ob sie „antizyklisch" wirken. Das ist teilweise eine Frage der Definition.Ich möchte nach diesen Feststellungen, die der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, Herr Dr. Emminger, getroffen hat, fragen, ob Sie Ihre Argumentation von Mittwoch aufrechterhalten oder ob Sie nicht sagen wollen: mea culpa.
Wird dazu das Wort gewünscht? — Herr Althammer!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Stoltenberg kann im Augenblick leider nicht hier sein.
Ich möchte zu den Ausführungen des Ministers zunächst folgendes feststellen. Es ist mir nicht ersichtlich, Herr Minister, was diese Ihre Ausführungen mit dem Umdruck, den Sie angezogen haben, zu tun haben sollen.
Herr Abgeordneter, jedenfalls steht in der Geschäftsordnung auch, daß die Bundesregierung jederzeit das Wort in diesem Hause ergreifen kann.
Das ist mir bekannt, Herr Präsident.Zum nächsten wollte ich sagen, Herr Minister: Es müßte dann, wenn man über diese Frage rechten will, natürlich der gesamte Text auch uns zur Verfügung stehen.
Sie haben einige Zitate wiedergegeben. Es ist mir und sicherlich auch meinen Kollegen nicht möglich, an Hand dieser Zitate nachzuprüfen, ob sich in diesem Text noch andere Passagen finden, die diese Dinge klarstellen.
— Herr Kollege Wehner, wenn sich in diesem Hause jemand in dieser Debatte zu entschuldigen hätte, dann wären Sie es.
— Ich glaube, wir sollten diesen Stil heute nicht fortsetzen.
Und ein Letztes, Herr Minister, was ich noch sagen wollte: Zu dieser Frage, ob das Problem der Kostensteigerung nur ein Problem der Wirtschaft sei, ist, glaube ich, aus der Debatte dieser Woche, aus den Beiträgen der CDU/CSU ganz klargeworden, daß dies nicht nur ein Problem der Wirtschaft ist, sondern daß insbesondere die breiten Schichten unseres Volkes und unsere Arbeitnehmer am stärksten darunter zu leiden haben.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970 3171
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen dann zu den Änderungsanträgen. Es kann hier vielleicht Mißverständnisse geben. Um es gleich zu sagen: Mir liegen vor Umdruck 33 *), ein gestrichener Umdruck 32 **), ein Umdruck 27 ***), in dem allerdings ein Teil gestrichen und nur noch die Ziffer II übriggeblieben ist. — Sie wollen zu den Änderungsanträgen sprechen? — Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion darf ich den Änderungsantrag Umdruck 32 zum Einzelplan 60 wie folgt begründen.
Die Personalausgaben betrugen 1969 13,6 Mil-harden DM im Soll. Mit diesem Betrag konnten auch die im Jahre 1969 durch die Besoldungserhöhung und Personalvermehrung zusätzlich entstandenen Mehrausgaben in Höhe von rund 730 Millionen DM aufgefangen werden. Lediglich für den Verkehrsetat mußten aus den Verstärkungsmitteln dieses Titels des Einzelplans 60 rund 538 Millionen an die Deutsche Bundesbahn gezahlt werden. Dennoch blieben beim Jahresabschluß 1969 die Ist-Ausgaben um rund 180 Millionen unter der veranschlagten Summe.
Nun zum Jahr 1970. Für 1970 beträgt das Soll der Personalausgaben nach dem Haushaltsentwurf rund 15 Milliarden DM. Der Ansatz liegt also um 1,4 Milliarden höher als in dem vorhin erwähnten Haushalt 1969. Berücksichtigt man die vorgenommene Besoldungserhöhung, die im Jahre 1970 kapitalisiert — etwa 870 Millionen DM ausmacht, und berücksichtigt man die an die Bundesbahn gehenden 370 Millionen für die Besoldungserhöhung, dann verbleibt — und darum geht es mir — gegenüber 1969 immer noch ein Mehr von 170 Millionen DM.
Addiert man diese 170 Millionen DM mit den vorhin genannten Minderausgaben, den Resten aus dem Jahre 1969, dann kann man nach Adam Riese — der übrigens aus meinem Wahlkreis stammte —
bei diesem Titel mit einer Reserve in Höhe von etwa 350 Millionen DM rechnen.
Die CDU/CSU-Fraktion ist nun der Meinung, daß zuerst einmal aus konjunkturpolitischen Gründen, aber auch im Interesse einer größeren Haushaltsklarheit und -wahrheit dieser Haushaltstitel entsprechend korrigiert werden sollte. Wir bitten deshalb, unserem Antrag auf Kürzung um 300 Millionen DM Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die Debatte hierüber, die wir im Ausschuß geführt haben, nicht wieder aufflammen lassen. Die Koalitionsfraktionen sind der Auffassung, daß diese gezielte Kürzung nicht den Realitäten entsprechen würde. Auch wir sind der Auffassung, daß durchaus die Möglichkeit besteht, daß in diesem Titel ein wenig Bewegungsfreiheit ist. Wir halten es aber für völlig unmöglich, daß eine Bewegungsfreiheit in dieser Höhe besteht. Wir haben diese Möglichkeit durch unseren Entschließungsantrag, den wir zur dritten Lesung gestellt haben, abgedeckt; Minderausgaben würden dann diesem Titel zufließen.
Ich bitte, den Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Röhner, Adam Riese mag aus Ihrem Wahlkreis stammen bzw. Sie daher, wo der mal gelebt hat; das glaube ich Ihnen. Aber ich könnte mir nicht vorstellen, daß Adam Riese nach den Erörterungen, die wir im Haushaltsausschuß gehabt haben, bei Ihrem Antrag Pate gestanden hat.
Nach den Erörterungen im Haushaltsausschuß sehen wir uns leider nicht in der Lage, diesem Antrag zuzustimmen.
— Sicher wird sich das am Ende des Jahres herausstellen; da stellt sich dann manches heraus und manche Debatte als überflüssig, sicherlich. Ganz einmal davon abgesehen, Herr Röhner, was sich am Ende des Jahres dabei herausstellt: wenn Sie die Dinge richtig sehen, auch die gesetzlichen Verpflichtungen, die diesem Titel zugrunde liegen, den zwangsläufigen Haushaltsvollzug in diesem Titel, dann werden Sie mir doch zugeben — ob mit oder ohne Antrag —: an dem tatsächlichen Ausgabenstand wird sich nichts ändern.
Deshalb halten wir diesen Antrag auch für überflüssig.
Keine Wortmeldungen mehr. Dann stimmen wir über die Änderungsanträge ab.
Umdruck 33!
Wollen Sie dazu sprechen? — Bitte!
Zu Umdruck 33 mit einem Antrag der CDU/CSU-Fraktion darf ich in aller Kürze folgende Begründung geben. Der Jahreswirtschaftsbericht vom Januar 1970 sah auf der Basis der damaligen Konjunkturprognose und der damaligen Steuerschätzung die Bildung einer Konjunkturausgleichsrücklage von 1500 Millionen DM vor. Im*) Siehe Anlage 6 **) Siehe Anlage 7 ***) Siehe Anlage 2
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3172 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 57. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Juni 1970
RöhnerNachtrag zum Jahreswirtschaftsbericht wird der nominelle Zuwachs des Sozialprodukts wegen der eingetretenen Preissteigerungen um etwa 3 % his 4 % höher geschätzt. Dadurch stehen -- hoffentlich nicht inflatorisch bedingte — Steuermehreinnahmen von 1600 Millionen DM dem Bundeshaushalt 1970 zusätzlich zur Verfügung.Nach Auffassung der Koalitionsfraktion soll diese Steuermehreinnahme in einer Konjunkturausgleichsrücklage stillgelegt werden. Damit wäre der Empfehlung des Jahreswirtschaftsberichts nicht Genüge getan. Nach unserer Auffassung ist es in Anbetracht dieser Entwicklung notwendig, einmal die konjunkturelle Ausgleichsrücklage zu bilden und darüber hinaus die Mehreinnahmen bei der Bundesbank stillzulegen und sie damit dem Kreislauf echt zu entziehen. Deshalb beantragen wir, in das vorhandene Sonderkonto, das bereits mit 100 Millionen DM ausgestattet ist, weitere 1500 Millionen DM einzustellen.Zur Deckung wird, übrigens einem Vorschlag des Bundesrates folgend, die Einstellung einer globalen Minderausgabe in gleicher Höhe vorgeschlagen. Zur Begründung brauche ich nur auf die Ausführungen von Herrn Kollegen Leicht bei der vorgestrigen Debatte hinzuweisen. Er hat sich ausführlich sowohl über die Möglichkeit als auch über die Problematik eines solchen Vorschlages geäußert. Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen.Auch nach der ursprünglichen Auffassung des Bundesfinanzministeriums ist die Erwirtschaftung in ) dieser Größenordnung dann möglich, wenn eine konjunkturgerechte Haushaltsführung gewährleistet wird. Außerdem hat, wenn die eine oder andere Pressemitteilung richtig war, der Herr Bundesfinanzminister selbst ursprünglich im Kabinett versucht, einen solchen Vorschlag durchzubringen. Er fand aber offensichtlich keinen Konsens. Insofern dürfte wohl unser Antrag zusätzlich sachlich fundiert sein.Selbstverständlich gehen wir auch davon aus —das müßte eigentlich der Herr Bundesfinanzminister ebenfalls begrüßen —, daß eventuelle weitere Mehreinnahmen ebenfalls auf diesem Sonderkonto eingestellt werden. Mit diesen Maßnahmen wird nach unserer Meinung ein wichtiger konjunkturpolitischer Beitrag geleistet. Damit kann vor allem Stabilität in unser Finanzgebaren, in unsere Haushaltsführung gebracht werden. Ich bitte Sie deshalb namens der CDU CSU-Fraktion, unserem Änderungsantrag auf Umdruck 33 Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn der Bundesrat einen solchen Vorschlag gemacht hat, muß ich diesen Antrag namens der Koalitionsfraktionen ablehnen. Dieser Antrag bedeutet, daß ein Betrag von 1,5 Milliarden DM auf der Ausgabenseite erwirtschaftet werden soll,
das heißt, es sollen 1,5 Milliarden DM weniger ausgegeben werden.
Was hatten Sie eben gesagt? Ich habe es akustisch nicht mitbekommen.
— Das ist das einzige Wort, das Sie verstehen.
Das bedeutet also, daß auf der Ausgabenseite 1,5 Milliarden DM global erwirtschaftet werden sollen. Meine Damen und Herren, wenn man 1,5 Milliarden DM global erwirtschaften will — das halte ich nicht für gut —, dann soll man gezielt sagen, wo man sie erwirtschaften will. Wir alle gemeinsam haben im Haushaltsausschuß Kürzungen von 2,1 Milliarden DM vorgenommen. Jetzt will man hier noch einmal 1,5 Milliarden DM kürzen. Dann muß man auch den Mut haben, Roß und Reiter zu nennen, also zu sagen, wo gekürzt werden soll. Das geht nicht anders.
Denn. es ist doch ganz klar, daß diese 1,5 Milliarden DM nur aus den Bereichen der Investitionen kommen können; ansonsten haben wir gesetzliche Verpflichtungen. Sagen Sie mir, woher Sie diese 1,5 Milliarden DM nehmen wollen! Wollen Sie bei der Landwirtschaft, bei der Verteidigung oder bei Wissenschaft und Forschung kürzen?
Der Antrag ist unrealistisch. Wir müssen ihn ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre vielleicht einfacher, wir würden über alle Umdrucke gemeinsam debattieren. Ich will es ganz kurz machen. Zunächst kann ich mich auf das beziehen, was Herr Kollege Hermsdorf hier dazu ausgesagt hat. Im übrigen: wenn der Bundesrat solche Empfehlungen gibt, sollte man prüfen, inwieweit die Länderfinanzminister selbst bereit sind, so etwas zu tun.
Es ist immer leicht, Ratschläge zu geben, aber etwas anderes, selbst entsprechend zu handeln.Ich meine, wir sollten trotz der Ablehnung des Antrags doch folgende Gemeinsamkeit festhalten; wir werden das in der dritten Lesung an Hand unseres Entschließungsantrags, der Ihnen bereits bekannt ist, verdeutlichen. Wir sind durchaus gemeinsam der Auffassung, daß alles das, was an Minderausgaben anfällt, stillgelegt werden soll. Zur Zeit ist das allerdings — ich glaube, ich habe es am Mittwoch schon gesagt — nicht quantifizierbar. Wir unterscheiden uns in der Antwort auf die Frage, ob es zweckmäßig und möglich ist, das zu quantifizieren. Dieser Meinung sind wir nicht; das haben wir im Haushaltsausschuß auch schon deutlich gesagt. Deshalb meinen wir, daß wir diesem Antrag in dieser Form nicht zustimmen können.Er ist im übrigen natürlich eine sehr bequeme Form, sich um konkrete Anträge zu drücken. Darauf
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Kirsthat Herr Kollege Hermsdorf schon hingewiesen. Es ist vorhin, Herr Kollege Röhner, bezweifelt worden, ob die Erklärung, die der Herr Bundesfinanzminister eben abgegeben hat, in Zusammenhang mit dem jetzigen Tagesordnungspunkt steht. Ich glaube, das bezog sich auch auf die Auseinandersetzung über diesen Antrag.Ich meine, ich sollte die Gelegenheit, da ich zu diesem Antrag spreche, dazu benutzen, den Ausführungen des Herrn Kollegen Althammer mit einem Satz zu begegnen. Sie haben hier gesagt, der Herr Bundesfinanzminister habe nicht die ganze Rede des Herrn Dr. Emminger zitiert. Das konnte er sicher nicht, und das brauchte er nicht. Ich weiß nicht, von welchen Maßstäben Sie ausgehen, Herr Kollege Althammer. Ich bin aber sicher, daß ein Vizepräsident der Deutschen Bundesbank keine Reden voll solcher Widersprüche hält, daß sich Zitate, wie Sie sich noch erhoffen, darin finden würden.
Können wir nun über die Änderungsanträge abstimmen? — Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag auf Umdruck 33 ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Nunmehr stimmen wir über den Änderungsantrag auf Umdruck 32 ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
B) Abgelehnt.
Wir kommen damit zu Umdruck 27. Es ist nur noch über Ziffer II auf Seite 3 abzustimmen.
- Es handelt sich um Kap. 60 02 - Finanzhaushalt ---.
— Es heißt hier: „In Kap. 60 02 Allgemeine Bewilligungen wird Tit. 712 01 gestrichen".
- Bitte, Herr Leicht, wollen Sie es erklären?
Herr Präsident, ich glaube, diese Sache ist durch unseren Beschluß von heute morgen, insoweit die Umstellung vom Einzelplan 60 auf den Einzelplan 12 vorzunehmen, schon erledigt.
Man ist sich also einig, daß keine Abstimmung erfolgen muß. Damit ist dieser Umdruck erledigt.
— Ich bitte um Entschuldigung. Wir stimmen über den Einzelplan 60 im ganzen ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan ist angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt IV 27:
Haushaltsgesetz 1970
— Drucksachen VI /846, zu VI /846 — Berichterstatter: Abgeordneter Leicht
Ich erteile dem Herrn Berichterstatter gleichzeitig zur Begründung der zugehörigen Änderungsanträge das Wort.
Herr Präsident, wenn Sie gestatten, würde ich gern nur eine kurze Anmerkung als Berichterstatter machen und dann unsere Anträge begründen, damit wir heute nicht mehr allzulange aufgehalten werden. In meinem Bericht ist auf Seite 2, rechte Spalte, Ziffer 6, Zeile 7 eine Änderung vorzunehmen. Es heißt dort: „für strukturschwache Länder". Es muß aber heißen: „für strukturschwache Gebiete". Diese Änderung hängt mit den 200 Millionen DM zusammen, die im Verkehrssektor freigegeben worden sind. Das ist also praktisch eine Klarstellung. Ich wäre dankbar, wenn man diese Änderung aufnähme.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun unsere Änderungsanträge auf Umdruck 34 begründen; ich werde gleich alle drei Anträge begründen.Unter Ziffer 1 wird von uns beantragt, hinter § 2 einen neuen § 2 a einzufügen. Ich hatte diesen Paragraphen schon vorgestern in meinen Ausführungen angekündigt — es geht in dieser Bestimmung um die Kürzung der Verpflichtungsermächtigungen um 20 o: , und ich habe damals auch schon eine Begründung gegeben. Ich bin trotz Ihrer Einwendungen, Herr Kollege Kirst, der Meinung, daß diese Kürzung möglich ist. Ich meine, wir haben diesen Antrag so gehalten, daß flexibel verfahren werden kann. Diese Flexibilität wird dadurch ermöglicht, daß der Sperrbetrag jeweils auf die Gesamtsumme der in einem Einzelplan ausgewiesenen Verpflichtungsermächtigungen bezogen ist. Ansonsten brauche ich, glaube ich, nicht das zu wiederholen, was ich damals schon gesagt habe. Ich möchte mich auf diese Bemerkungen zu diesem Antrag beschränken.Der Änderungsantrag Umdruck 34 * Ziffer 2 lautet: „§ 5 wird gestrichen." Wir haben uns die Dinge noch einmal überlegt. Wir werden diesen Antrag jetzt zurückziehen und werden einen Entschließungsantrag einbringen, der der Regierung die Möglichkeit gibt, die Frage der Einstellung dieser Mittel in den Haushalt noch einmal zu prüfen und uns dann für den nächstjährigen Haushalt einen Vorschlag zu machen. Wir tun das insbesondere deshalb, weil, wie Sie wissen, sich ja auch der Bundesrechnungshof gutachtlich dazu geäußert hat. Wir möchten dem Bundesfinanzminister die Gelegenheit geben — bei den Überlegungen hat sich herausgestellt, daß das noch nicht geschehen ist —, dazu Stellung zu nehmen und die Dinge noch einmal zu prüfen.*) Siehe Anlage 8
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LeichtIn dem Antrag unter Ziffer 3 geht es um eine Einfügung eines Satzes in § 6 Abs. 2 des Haushaltsgesetzes. Dieser Satz lautet:Eine Verstärkung der bei den Titelnummern 53101 bis 531 10 veranschlagten Ausgaben nach dieser Vorschrift ist nicht zulässig.Meine Damen und Herren, hier handelt es sich, meine ich, um eine Einfügung, die unbedingt notwendig ist, denn durch den neuen Gruppierungsplan sind die Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit — ein Thema, über das wir uns in den letzten beiden Tagen öfters unterhalten haben —, Titelnummern 531 01 bis 531 10, den sachlichen Verwaltungsausgaben zugeordnet worden. Es wäre ein, wie ich meine, unvertretbarer Eingriff in das Etatrecht dieses Parlamentes, wenn der Regierung die Ermächtigung erteilt würde, die politisch bedeutsamen und— nach unserer Meinung zumindest — ohnehin überhöhten Ansätze für die Öffentlichkeitsarbeit ohne Zustimmung des Parlaments um bis zu weiteren 25 v. H. zu verstärken. Die Einfügung dieses Satzes in § 6 Abs. 2 begehren wir nur deshalb, damit das in Zukunft verhindert wird.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch wenige Bemerkungen zum Haushaltsgesetz selbst machen, weil ich nicht möchte, daß wir hintennach den Vorwurf bekommen, daß überhaupt kein Satz dazu gesprochen worden sei.Sie können ja aus dem Bericht, den ich als Berichterstatter abgegeben habe, erkennen, welch wesentliche Änderungen sich gegenüber dem Haushaltsgesetz 1969 ergeben haben. Das Haushaltsgesetz des Jahres 1970 ist in seinem Umfang schon bedeutend geringer geworden, einfach als Ausfluß der Bundeshaushaltsordnung, in die vieles von den Materien, die wir früher in den Haushaltsgesetzen geregelt haben, übernommen worden ist. Insofern— so objektiv sollte man sein, das zuzugeben — ist es auch nicht richtig, wenn in einigen Publikationen davon gesprochen worden ist, daß dieses Parlament sich entmachten ließe; denn ein Teil der diesem Parlament in früheren Haushaltsgesetzen gegebenen Möglichkeiten wurde — von uns gewollt und gewünscht — praktisch in die neue Haushaltsordnung eingebaut, zum Teil auch zu unserer eigenen Entlastung dem Minister zugestanden. Wir haben im Haushaltsausschuß festgestellt und uns sagen lassen, daß der Bundesfinanzminister in etlichen Fällen, die ich mir aufzuzählen erspare, bereit ist, nach wie vor so wie in der Vergangenheit zu verfahren, so daß wir die laufende Information und damit die Möglichkeit zur Kontrolle haben werden.Ich darf vielleicht auch noch darauf hinweisen, daß sonst keine großen Änderungen im Haushaltsgesetz festzustellen sind. Wir haben in zwei Fällen— das sollte ich noch erwähnen, damit Sie davon auch wissen — erneut die Bedingung der Zustimmung des Haushaltsausschusses im Haushaltsgesetz vorgesehen. An sich kann nach der neuen Bundeshaushaltsordnung nur das Parlament die Kontrolle ausüben. Wegen der Schwierigkeiten der Materie und der schweren Entscheidungen, die in diesenFällen im Zusammenhang mit der Kontrolle zu treffen sind, erschien es uns aber notwendig, hier eine Delegierung an den Haushaltsausschuß vorzusehen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch ein kurzes Wort sagen. Herr Kollege Wienand, Sie hatten gestern die Freundlichkeit, mich sehr scharf des Nichtzuhörens zu bezichtigen. Ich bitte Sie, das Protokoll von vorgestern nachzulesen. Ich habe nichts anderes getan, als mich mit dem Punkt, den Sie gestern hier vorgebracht haben, auseinanderzusetzen und meine Meinung zu dem zu sagen, mit dem sich der Herr Bundesfinanzminister am Vormittag in dieser Frage auseinandergesetzt hat. Ich habe ihm sogar zu einem Teil recht geben müssen, als ich hier die Frage der Problematik von Minderausgaben so deutlich mit ansprach. Ich war nur der Meinung — und dieser Meinung bin ich auch heute noch, und da sollten wir uns gegenseitig keine Vorwürfe machen —, daß trotz der konjunkturellen Situation, in der wir uns gegenwärtig befinden, Möglichkeiten gegeben sind, mehr zu tun, um die Gefahr weiterer Preisaufstiegstendenzen — und darüber haben wir gestern und vorgestern insbesondere gesprochen — zu vermeiden. Man sollte das — das trifft etwas, Herr Bundesfinanzminister, die Korrektur von Emminger, die Sie vorgetragen haben — trotzdem nicht so einfach nehmen; denn wer Gelegenheit gehabt hat, sich gestern abend das Interview des Herrn Bundesbankpräsidenten anzusehen und anzuhören, der wird sagen müssen, daß die Gefahren — und jetzt sage ich nicht: für die Wirtschaft; so weit will ich nicht gehen — für die Preise und die Besorgnisse der Bundesbank oder des Bundesbankpräsidenten doch sehr groß sind. Man macht sich Gedanken darüber, durch welche weiteren Maßnahmen — oder ob überhaupt — in den nächsten Wochen das Zurückhalten oder das Zurückgehen dort möglich ist.Sie werden, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition und Sie, Herr Bundesfinanzminister, aus Ihrer Erfahrung, als Sie in der Opposition waren, sicher Verständnis dafür haben, daß wir dem Haushaltsgesetz als dem für einen Haushalt umfassenden Gesetz wegen der politisch unterschiedlichen Gewichte die Zustimmung nicht geben können. Ich weise aber darauf hin, daß Sie sehen konnten, daß wie einem Teil der Etats — wenn ich es recht in Erinnerung habe, fünf oder sechs Einzelplänen — unsere Zustimmung gegeben haben und daß wir uns bei einem 'Teil der Etats der Stimme enthalten haben. Bei sehr schwergewichtigen und hier in der politischen Auseinandersetzung sehr unterschiedlich beurteilten Etats mußten wir allerdings unser Nein aussprechen. Insgesamt sagen wir zu diesem Haushaltsgesetz nein.
Ich danke dem Berichterstatter. Eine Frage. Sie haben nur den Antrag Umdruck 34 begründet. Begründen Sie auch Antrag Umdruck 49? *) Ich frage deshalb,*) Siehe Anlage 9
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Vizepräsident Dr. Schmid weil dann gleich die anderen Redner darauf eingehen können.
— Dann Herr Abgeordneter Hermsdorf, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verstehe durchaus die Bemerkung des Herrn Präsidenten, mit der er dem Berichterstatter dankt. Der Kollege Leicht hat ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß er außerhalb der Berichterstattung die Anträge noch begründen wird. Ich komme zunächst, Herr Kollege Leicht, auf den Punkt zu sprechen, bei dem wir uns sofort einig sind; das ist Ihre Bemerkung zum Haushaltsgesetz. Ich respektiere, daß Sie infolge der fortgeschrittenen Zeit hier nicht noch eine große Debatte wollen. Wir können uns ja, falls notwendig, vorbehalten, in der dritten Lesung zur Frage des Haushaltsgesetzes noch etwas zu sagen.
Jetzt möchte ich zu Ihren Anträgen überleiten und auf Ihre Schlußbemerkungen zu sprechen kommen. Da geht es insbesondere um den Antrag Umdruck 34 Ziffern 1 und 2. Im Grunde genommen wiederholt sich das Problem der Kürzungen. Man muß das einfach im Gesamtzusammenhang sehen. Wäre der eine Antrag mit den 1,5 Milliarden DM durchgegangen, dann wäre der andere wahrscheinlich nicht gestellt worden, weil man dann
1) wahrscheinlich gesagt hätte, daß das Ganze nicht mehr zu verantworten wäre. — Bitte sehr!
Ich glaube, da besteht ein Mißverständnis, Herr Kollege Hermsdorf. Die Ziffer 2 — § 5 streichen — bezieht sich auf die ÖFFA.
Verzeihung, das war ein Mißverständnis. Ich meinte die Ziffer 3. Aber jetzt bei der Ziffer 1, wo Sie die Verpflichtungsermächtigung noch einmal um 20 % kürzen, gehe ich von der Annahme aus und hoffe, daß das richtig ist, daß dieser Antrag nicht gestellt worden wäre, wenn Sie 1,5 Milliarden globale Minderausgaben hätten. Deshalb kann man natürlich dieselben Argumente, die hei der Streichung der 1,5 Milliarden galten, hier noch einmal anführen. Das will ich nicht.Nur muß ich hier sagen, es ist auf die Dauer für die Investitionshaushalte einfach unmöglich, Kollege Leicht, Verpflichtungsermächtigungen nicht zu erteilen, wenn Sie länger planen wollen. Sie können also bei Investitionshaushalten, wie Landwirtschaft, Verteidigung, Verkehr, einfach nicht nur für ein Jahr planen — das haben wir nun Gott sei Dank durch die mittelfristige Finanzplanung anders gemacht —, sondern Sie müssen auch hier die entsprechenden Verpflichtungsermächtigungen ausbringen. Sonst wüßte überhaupt kein Mensch, wie das in Zukunft weitergehen soll. Die mittelfristige Finanzplanung reicht dazu nicht aus. Wir haben durch die Haushaltsreform zum erstenmal festgelegt, daß die Verpflichtungsermächtigungen hier genannt werden müssen, um den Haushalt transparenter zu machen. Das bedeutet kein Anwachsen der Verpflichtungsermächtigungen, sondern hier erscheinen einfach diese Verpflichtungsermächtigungen zum erstenmal im Haushalt.Eine Kürzung der Verpflichtungsermächtigungen von 26 Milliarden DM um 20% ist natürlich ein harter Brocken. Da muß ich Ihnen leider sagen: selbst wenn es zum Teil richtig ist, daß durch diese Verpflichtungsermächtigungen gewisse Aufträge bereits vergeben werden und dadurch konjunkturelle Schwierigkeiten entstehen, halte ich es für ausgeschlossen, hier eine 20%ige Kürzung der Verpflichtungsermächtigungen auszusprechen; ich will das nicht wiederholen. Denn wie sollte das dann bei den einzelnen Punkten aussehen? Ich bitte deshalb, Ziffer 1 dieses Antrags abzulehnen.Dasselbe gilt für die Ziffer 3. Hier geht es wieder um eine 25%ige Kürzung der Mittel für Öffentlichkeitsarbeit. Ich muß allerdings hinzufügen, daß es da eine Ühertragbarkeit gibt und daß bei Nichtdeckung gewisser anderer Mittel genauso gut Mittel fur Öffentlichkeitsarbeit in Anspruch genommen werden könnten. Es ist also nicht nur so, wie Sie es gesagt haben. Auch aus diesem Grunde bitte ich Sie, diesen Antrag abzulehnen.Was die Streichung des § 5 angeht, die Sie in Ziffer 2 Ihres Antrages verlangen, so muß ich das 1-laus allerdings warnen. Es ist eine unter Finanzminister Schäffer eingeführte Praxis, außerhalb des Haushalts Mittel für den Straßenbau und für den Bundeswasserstraßenbau zu finden. Das ist die Finanzierung durch die Öffa, die für den Straßenbau und für den Wasserstraßenbau den Kapitalmarkt in Anspruch nimmt. Dies zu streichen hieße praktisch, daß diese Mittel dann im Bundesschuldenhaushalt eingetragen werden müßten, wo sie bisher nicht gestanden haben. Wir würden plötzlich ein ganz schiefes Bild hinsichtlich der Schuldenlast bekommen, weil das auch eine viel konkretere Verankerung der Schulden des Staates ist als jetzt über die Offa. Wollte man hier konsequent sein, müßte man logischerweise, Herr Leicht, auch die Hermes-Kredite im Einzelplan 32 ausweisen. Das wäre völlig unmöglich. Das würde den Anschein erwecken, als seien die Schulden in einem Jahr so angestiegen, nur weil wir die Offa hineingebracht haben. Das halten wir für ausgeschlossen. Wir bitten deshalb, auch den Antrag unter Ziffer 2 zu § 5 abzulehnen.
Nun zum Kernpunkt Ihrer Schlußbemerkungen. Sie sind nach wie vor der Auffassung, daß der Haushalt nicht restriktiv genug ist. Sie sind der Meinung, daß Sie deshalb Ihre Anträge stellen mußten. Dazu muß ich zusammenfassend folgendes sagen. Herr Kollege Leicht, wir haben insgesamt Streichungen von über 500 Millionen DM, fast 600 Millionen DM vorgenommen. Per Saldo bleiben es immer noch 490 Millionen DM. Die haben wir an realen Titeln des Haushalts gekürzt. Wir haben die vorhandenen Sperren von 2,7 Milliarden DM in Kürzungen von über 2 Milliarden DM umgewandelt. Angesichts der Tatsache, daß der Haushaltsausschuß insge-
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Hermsdorf
samt um 2,5 Milliarden DM gekürzt hat und daß nach den Vorstellungen der Koalitionsfraktionen zusätzlich zur Konjunkturausgleichsrücklage das Mehr infolge zu erwartender Minderausgaben bei restriktiver Haushaltsführung einem Sonderkonto zugeführt werden soll, dann muß ich einfach sagen: ich weiß nicht, wie Sie noch restriktiver verfahren wollen, wenn Sie nicht in die Gefahr kommen wollen, Aufgaben zu vernachlässigen, die unbedingt angegangen werden müssen. Wir bitten deshalb, Ihren Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da ich offenbar die Chance habe, der letzte Redner dieser Debatte zu sein, möchte ich nicht daran schuld sein, daß irgend jemand seinen Zug verpaßt. Deshalb also nur ganz kurz etwas zu den Anträgen von Herrn Kollegen Leicht und eine Schlußbemerkung.
Herr Kollege Leicht, es tunt mir leid; ich habe die Frage der Verpflichtungsermächtigungen schon am Mittwoch sehr eingehend behandelt. Ich will das nicht im einzelnen wiederholen. Ich meine nur, man muß sich, wenn man einen solchen globalen Antrag stellt, einmal die Struktur bzw. die Zusammensetzung dieser Verpflichtungsermächtigungen von jetzt 28 Milliarden DM ansehen. Sie werden dabei immer den großen Brocken der Verteidigung haben; ich darf Sie an das erinnern, was heute morgen und am Dienstagnachmittag dazu gesagt worden ist. Dabei zeigt sich eben, daß das nicht praktikabel ist. Ich bin auch unverändert der Auffassung, daß ein solcher Antrag im Hinblick auf den Einzelplan 9 und die dort ausgebrachten Verpflichtungsermächtigungen z. B. das Anlaufen des 7. Werfthilfeprogramms gefährden, wahrscheinlich unmöglich machen würde. Diese Gefahr sehen wir auf jeden Fall. Auch deshalb — zusätzlich zu den Gründen, die Herr Hermsdorf vorgetragen hat — können wir diesem Antrag leider nicht zustimmen.
Über Ziffer 2 § 5 — brauchen wir nicht zu
sprechen. Sie haben dankenswerterweise erklärt, daß Sie darüber selber noch beraten wollen.
Ziffer 3, Verstärkung der Öffentlichkeitsarbeit. Die Ausnahme der Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit von der gegenseitigen Deckungsfähigkeit ist sicher eine Konsequenz Ihrer Anträge zu den verschiedenen Einzelplänen. Sie werden ohne große Ausführungen Verständnis dafür haben, daß wir so konsequent, wie wir dort Ihre Anträge abgelehnt haben, nun auch diesen Antrag ablehnen, ganz abgesehen davon, daß ja hier auch eine gegenseitige Deckungsfähigkeit gegeben ist. Es ist durchaus denkbar, daß auch andere Mittel aus diesen Titeln verstärkt werden, wenn es im Einzelfall so läuft.
Im übrigen sind wir, glaube ich, auch am Ende dieser Debatte durchaus der Meinung, daß die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit nicht gekürzt werden sollten und vielleicht nicht einmal gekürzt werden dürfen, wenn sie nicht sogar noch erhöht werden müssen, was die Praxis vielleicht erweisen wird.
Ich möchte noch eines unterstreichen, Herr Leicht, weil ich meine, daß hierin doch ein Symptom für die letztlich gute Zuasmmenarbeit im Haushaltsausschuß zu sehen ist. Ich habe im Februar nach Ihrer damaligen Rede hier erklärt, wir würden durchaus mit Ihnen darüber reden, ob nicht z. B. hei der Freigabe der Sperren der Haushaltsausschuß eingeschaltet werden sollte. Ich glaube, es ist ein gutes Ergebnis der Arbeit im Haushaltsausschuß, daß wir dies gemeinsam festgestellt haben.
Nun zum Schluß. Wir sind der Meinung, daß dieser Haushalt konjunkturgerecht ist. Er hat durch die Beratungen im Haushaltsausschuß keine Minderung seiner konjunkturpolitischen Qualität erfahren. Aus den Gründen, Herr Kollege Leicht, aus denen Sie das Gesetz ablehnen müssen, lehnen wir es nicht ab. Wir stimmen ihm zu und bringen damit auch unsere ungeteilte Zustimmung zur Politik dieser Regierung zum Ausdruck.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Antrag auf Umdruck 49. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Einstimmige Annahme.
Umdruck 34 , wobei ich feststelle, daß Ziffer 2 gestrichen ist.
Wer diesem Antrag zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; abgelehnt.
Nunmehr stimmen wir über das Haushaltsgesetz im ganzen ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; in zweiter Lesung angenommen.
Meine Damen und Herren, ich habe noch zwei Mitteilungen zu machen. Zunächst einmal: der Finanzausschuß tritt in einer halben Stunde in seinem üblichen Tagungsraum zusammen.
Die zweite Mitteilung ist eine Hiobspost.
Es wird mir eben mitgeteilt, daß heute um 12.04 Uhr bei Celle ein D-Zug mit einer Geschwindigkeit von 155 Stundenkilometern entgleist ist. Es sind fünf Tote und 30 Verletzte zu verzeichnen. Eine Ursache des Unglücks ist mir nicht bekannt. Wir trauern mit den Angehörigen und sprechen ihnen unser Mitgefühl aus. — Ich danke Ihnen!
Damit ist die Tagesordnung zu Ende.
Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Dienstag, den 16. Juni 1970, 14 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.