Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen. In den Vormittagsstunden des 5. März ist unser Kollege Werner Jacobi im Alter von 63 Jahren in der Kölner Universitätsklinik nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben.Werner Jacobi wurde am 18. Januar 1907 in Dortmund geboren. Er studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Freiburg, Berlin, Heidelberg und Bonn, legte 1931 die juristische Staatsprüfung ab und trat in den Staatsdienst ein. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde Jacobi aus politischen Gründen entlassen.Schon seit seiner Studentenzeit war er in der demokratischen Jugendbewegung tätig. Er gründete 1927 zusammen mit dem früheren Oberbürgermeister Dr. Walter Kolb den Deutsch-Republikanischen Studentenbund und gehörte zu den Vorstandsmitgliedern dieser überparteilichen demokratischen Vereinigung. 1923 trat er in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ein und wurde Mitglied mehrerer Fachausschüsse beim Parteivorstand und zahlreicher Fachgremien außerhalb der Partei.Der Entlassung aus dem Staatsdienst folgte eine vierjährige Beschäftigung in der sauerländischen Metallindustrie als kaufmännischer Angestellter. Weil Jacobi in diesen Jahren weiter mit seinen emigrierten politischen Freunden korrespondiert hatte, wurde er 1937 wegen angeblicher Vorbereitung zum Hochverrat von der Gestapo verhaftet, abgeurteilt und nach Verbüßung der Zuchthausstrafe bis Kriegsende im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert.Sofort nach 1945 stellte sich Werner Jacobi tatkräftig in den Dienst des Wiederaufbaus. Zunächst war er Landrat des Kreises Iserlohn, dann Oberbürgermeister der Stadt Iserlohn, und zwar von 1946 bis 1948. Zahlreiche Verpflichtungen übernahm er zusätzlich: Jacobi wurde Mitglied des Provinziallandtages Westfalen, Abgeordneter im Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorsitzender des Verfassungsausschusses und Vorsitzender der SPD-Fraktion, außerdem stellvertretender Chefredakteur der „Westfälischen Rundschau". Im Oktober 1947 wurde er von der nordrhein-westfälischen Regierung zum Staatskommissar zur Bekämpfung von Korruption und Mißwirtschaft im Lande Nordrhein-Westfalen berufen, ein Amt, das er bis 1950 innehatte.Im Deutschen Bundestag gehörte Werner Jacobi zu den Männern der ersten Stunde. 1949 in das deutsche Parlament gewählt, war er seither ununterbrochen Mitglied. Der berufene Kommunalpolitiker erwies sich in diesem Hause als ein hervorragender, engagierter Experte in allen Fragen des Wohnungsbaus, der Städtebauförderung und der Raumordnung. Auch als Mitglied des Bundestages blieb er der Kommunalpolitik verbunden. Er war von 1950 bis 1956 Beigeordneter des Deutschen Städtetages und seitdem Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen.Ich spreche der Familie des verehrten Verstorbenen und der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands die aufrichtige Anteilnahme des Hauses aus.Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.Als Nachfolger für den verstorbenen Abgeordneten Jacobi ist am 9. März der Abgeordnete Urbaniak, als Nachfolger für den verstorbenen Abgeordneten Dohmann ist am 26. Februar der Abgeordnete Welslau in den Bundestag eingetreten. Meine Herren, ich begrüße Sie und wünsche Ihnen eine gute und erfolgreiche Arbeit in unserer Mitte.Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen der Bundesregierung vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:Vorlage des BundeskanzlersBetr.: Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 1967 bis 1970Bezug: § 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967— Drucksache VI/391 —zuständig: Haushaltsausschuß
Ausschuß für WirtschaftFinanzausschußVorlage des Bundesminister der VerteidigungBetr.: Verbesserung der „Beschädigtenversorgung„ der wehrpflichtigen Soldaten und ihrer HinterbliebenenBezug: Beschluß des Bundestages vom 27. Juni 1969 - Drucksache VI/441 —1742 Deutscher Bundestag - 6: Wahlperiode - 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970Vizepräsident Dr. Jaegerzuständig: Verteidigungsausschuß Haushaltlsausschuß gem. § 96 GOVorlage des Bundesministers der JustizBetr. Beeinträchtigung von Grundrechten durch gewalttätige AktionenBezug: Beschluß des Bundestages vom 30. Januar 1970 - Drucksache VI/479 -zuständig: Sonderausschuß für die Strafrechtsreform
InnenausschußAusschuß für Bildung und WissenschaftGegen die Überweisung erhebt sich kein Widerspruch. - Dann ist so beschlossen.Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 6. März 1970 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:Zehnten StrafrechtsänderungsgesetzGesetz zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes
Der Bundesrat hat in der gleichen Sitzung beschlossen, der vom Deutschen Bundestag in seiner 33. Sitzung am 25. Februar 1970 beschlossenen Weitergeltung der Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel 115 d des Grundgesetzes und der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses zuzustimmen.Der Bundeskanzler hat im Nachtrag zu seinem Schreiben vom 27. Januar 1970 zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Drucksache VI/304 - die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates übersandt, die als zu Drucksache VI/304 verteilt ist.Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat am 26. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Investitionen für die Urananreicherung - Drucksache VI/377 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/454 verteilt.Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat am 24. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Renger, Frau Schlei, Frau Schimschock, Dr. Schmidt , Frau Funcke und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Nebenwirkungen von Ovulationshemmern - Drucksache VI/327 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/464 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat am 27. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Frau Funcke, Schmidt , Frau Renger, Frau Schanzenbach und Genossen betr. Beschäftigung von weiblichen Beamten und Angestellten im Bundesdienst - Drucksache VI/272 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/468 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat am 2. März 1970 die Kleine Anfrage des Abgeordneten Strauß und Genossen betr. Besuch von Mitgliedern der amerikanischen Farbigenorganisation Schwarzer Panther - Drucksache VI/393 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/482 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat am 6. März 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Vehar, Dr. Müller-Hermann, Rawe, Lemmrich, Weber , Berding und Genossen betr. Verminderung oder Beseitigung unzumutbarer Lärmbelästigung durch den Straßenverkehr - Drucksache VI/412 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/487 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers des Auswärtigen hat am 10. März 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Riedel , Dr. Czaja, Dr. Marx (Kaiserslautern), Frau Kalinke, Frau Klee, Dr. Hauser (Sasbach), Stahlberg und Genossen betr. Menschenrechte In Deutschland und der Deutschen - Drucksache VI/448 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/490 verteilt.Der Präsident hat am 4. bzw. am 6. März 1970 gemäß § 96 a der Geschäftsordnung die von der Bundesregierung als dringlich bezeichneteVerordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
- Drucksache VI/461 -Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
- Drucksache VI/475 -Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
- Drucksache VI/476 -mit der Bitte um fristgemäße Behandlung an den Ausschuß für Wirtschaft überwiesen.Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat am 26. Februar 1970 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden Vorlagen zur Kenntnis genommen hat:die Verordnung Nr. 2541/69 des Rates vom 15. Dezember 1969 über die Aufstockung des Gemeinschaftszollkontingents für Rohmagnesium der Tarifnr. 77.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs,die Verordnung Nr. 2607/69 des Rates vom 15. Dezember 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für. Gerbstoffauszüge aus Eukalyptus der Tarifnummer ex 32.01 D des Gemeinsamen Zolltarifs (1970)die Verordnung Nr. 2610/69 des Rates vom 15. Dezember 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Zeitungsdruckpapier der Tarifnummer 48.01 des Gemeinsamen Zolltarifs (1970)die Verordnung Nr. 2609/69 des Rates vom 15. Dezember 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Leinengarne, roh (ausgenommen Garne aus Flachswerg), der Tarifnummer ex 54.03 B I a) des Gemeinsamen Zolltarifs, mit einer Lauflänge je kg von 30 000 m oder weniger zum Herstellen von gezwirnten Garnen für die Schuhindustrie oder von gezwirnten Kabelabbindegarnen (1970)die Verordnung Nr. 2610/09 des Rates vom 15. Dezember 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung der Gemeinschaftszollkontingente für auf Handwebstühlen hergestellte Gewebe aus Seide oder Schappeseide oder aus Baumwolle der Tarifnummern ex 50.09 und ex 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs (1970)die Verordnung Nr. 1611/69 des Rates vom 15. Dezember 1969 über die Eröffnung, Auf teilungund Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Ferrosilizium der Tarifnummer 73.02 C des Gemeinsamen Zolltarifs (1970)die Verordnung Nr. 2612/69 des Rates vom 15. Dezember 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Ferrosiliziummangan der Tarifnummer 7302 D des Gemeinsamen Zolltarifs (1970)die Verordnung Nr. 2613/69 des Rates vom 15. Dezember 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Ferrochrom mit einem Gehalt an Kohlenstoff von 0,10 Gewichtshundertteilen oder weniger und an Chrom von mehr als 30, doch nicht mehr als 90 Gewichtshundertteilen (hochraffiniertes Ferrochrom) der Tarifnummer ex 73.02 E I des Gemeinsamen Zolltarifs (1970)die Verordnung Nr. 2614/69 des Rates vom 15. Dezember 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Rohaluminium der Tarifnummer 76.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs (1970)die Verordnung Nr. 2615/69 des Rates vom 15. Dezember 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Rohmagnesium der Tarifnummer 77.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs (1970)Da alle Verordnungen bereits im Amtsblatt der EuropäischenGemeinschaften verkündet worden und in Kraft getreten sind,erübrige sich eine besondere Berichterstattung an das Plenum.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Verordnung des Rates zur Festsetzung der Interventionspreise für Rübenrohzucker im Zuckerwirtschaftsjahr 1969/1970- Drucksache VI/414 -überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten , Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates über die analytischen, pharmakologisch-toxikologischen und klinischen Vorschriften und Protokolle für Arzneimittelversuche- Drucksache VI/417 -überwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 804/68 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse hinsichtlich der Gewährung von Erstattungen bei der Ausfuhr- Drucksache VI/443 -überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 986/68 hinsichtlich der Beihilfen für Magermilch für Futterzwecke- Drucksache VI/444 -überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten , Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Regelung viehseuchenrechtlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit frischem Fleisch- Drucksache VI/469 -überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten , Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheitswesen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1743
Vizepräsident Dr. JaegerVerordnung des Rates zur Festlegung der Grundregeln für den An- und Verkauf von Butter aus Milch, die zur Herstellung bestimmter Käsesorten verwendet wird— Drucksache VI/470 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatPunkt 1 der Tagesordnung — Fragestunde — soll um 14 Uhr aufgerufen werden.Ich rufe dann Punkt 2 der Tagesordnung auf:Beratung des Jahresberichts 1969 des Wehrbeauftragten des Bundestages— Drucksache VI/453 — Herr Abgeordneter Rasner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Ältestenrat ist festgestellt worden, daß die Fraktionen des Hauses sich darüber einig sind, den Antrag zu stellen, daß der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages seinen Bericht hier begründet.
Auf Grund dessen frage ich den Herrn Wehrbeauftragten, ob er jetzt das Wort ergreifen will. — Bitte sehr, Herr Wehrbeauftragter Hoogen!Hoogen, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es ist mir, um das Geschäftsordnungsmäßige vorauszuschicken, gesagt worden, daß ich meine Rede so einrichten möge, daß ich etwa in 20 Minuten mit diesen einführenden Worten zum Jahresbericht zum Abschluß komme. Ich werde mich selbstverständlich gern danach richten.Ich begrüße es sehr, meine Damen und Herren, daß dem Wehrbeauftragten in Abkehr von der bisherigen Übung zum erstenmal die Gelegenheit gegeben wird, seinen Jahresbericht mit einführenden Worten dem Hohen Hause persönlich vorzulegen. Bisher wurde der Bericht im schriftlichen Verfahren dem Präsidenten zugeleitet und mit formeller Zustimmung des Plenums an den Ausschuß für Verteidigung weitergeleitet, alles mehr oder weniger unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Das ist in diesem Jahre erstmals anders. Ich bin davon überzeugt, das wird den Streitkräften und ihrem Auftrag, durch ihre Verteidigungsbereitschaft ,den Frieden zu sichern, zugute kommen.Meine einführenden Worte können natürlich nicht den Sinn haben, Ihnen ,den Bericht im Eiltempo vorzutragen. Ich darf davon ausgehen, daß er bei der Vorbereitung der heutigen Sitzung in den Fraktionen und Arbeitskreisen zur Kenntnis gekommen ist. Infolgedessen kann ich mich darauf beschränken, meine Damen und Herren, Ihnen die Gedanken vorzutragen, die mich bei der Abfassung dieses Berichts und aller früheren Berichte sowie bei der ganzen Führung meines Amtes in den stark fünf Jahren bewegt haben.Der Wehrbeauftragte ist das in der Verfassung verankerte Hilfsorgan des Parlaments bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle. Er soll dazu beitragen, diese Kontrolle im Verteidigungsbereich effektiver zu machen. Der Jahresbericht ist eines von mehreren Mitteln zur Erreichung dieses Zweckes. Damit beantwortet sich auch die immer wieder an mich gerichtete Frage: Ist Ihr Bericht eigentlich ein Zustandsbericht, ist er ein Tätigkeitsbericht über Ihre Tätigkeit, ist er ein Rechenschaftsbericht? Ich glaube diese Frage nach dem Zweck der Institution des Wehrbeauftragten dahin gehend beantworten zu können, daß der Bericht sicherlich über die Zustände in der Bundeswehr, über das, was in der Bundeswehr los ist, etwas aussagt und gleichzeitig auch Anregungen für die zu ergreifenden Maßnahmen — in erster Linie natürlich seitens des Parlaments, aber naturgemäß auch seitens der 'Regierung — enthalten sollte.Nach gesetzlicher Vorschrift ist der Bericht auf das Kalenderjahr abzustellen. Er schließt also mit dem 31. Dezember 1969 ab. Ich sage das mit Vorbedacht, weil sich nach dem 1. Januar 1970 im Verteidigungsbereich naturgemäß noch einiges ereignet hat, was selbstverständlich von mir zur Kenntnis genommen wurde, worüber ich aber im Zusammenhang mit meinem Bericht nicht sprechen kann; das würde einen Vorgriff in die Berichterstattung meines Nachfolgers im Amte darstellen.Erkenntnisquellen gibt es für den Wehrbeauftragten eine ganze Reihe. Die verläßlichste ist immer noch das Gespräch mit den Soldaten und der Augenschein an Ort und Stelle bei der Truppe. Anstöße zu Truppenbesuchen gibt es viele. Aber Truppenbesuch ist nicht gleich Truppenbesuch. Das will besagen, es kommt darauf an, um welche Truppe es sich handelt, ob es sich um eine Ausbildungskompanie handelt, ob es sich um Heer, Marine oder Luftwaffe handelt, ob es sich bei den vielen Truppen des Heeres um die eine oder andere handelt, ob es sich um Kampftruppen oder Versorgungseinheiten oder Transportverbände oder Schulen oder sonstige Ausbildungs- und Bildungsstätten der Bundeswehr handelt oder um die Teilnahme an Lehrgängen oder die Teilnahme an Tagungen. Immer sind die Fragen und Probleme völlig anders gelagert. Daraus folgert für die Arbeit und die Erkenntnisse des Wehrbeauftragten: Eine Aussage über die Bundeswehr in ihrer Gesamtheit, die schlechterdings uneingeschränkt für die ganze Bundeswehr zuträfe, gibt es fast nicht. Das habe ich in mehr als fünf Jahren gelernt und bin deshalb mit meinem Urteil, mit einer globalen Aussage, zurükhaltender geworden.Das Bekanntwerden mit vielen Nöten und Sorgen und Unvollkommenheiten im Bereich der Bundeswehr, die keineswegs immer verschuldet zu sein brauchen, hatte notwendigerweise zur Folge, daß ich mich um die Abstellung dieser Mängel bemühen mußte und auch in nicht wenigen Fällen mit Erfolg bemüht habe. Dadurch wurde ich, ob ich das wollte oder nicht, durch die Natur der Sache, ich möchte fast sagen: reflexartig, zum Sachwalter der Interessen, der Anliegen und der Nöte der Soldaten. Über diesen Aspekt der Aufgaben des Wehrbeauftragten ist Mitte der 50er Jahre in diesem Hohen Hause bei der Beratung der Verfassungsergänzung
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1744 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Wehrbeauftragter Hoogenaus Anlaß der Wiederaufrüstung und bei der Beratung des Gesetzes über den Wehrbeauftragten expressis verbis diskutiert worden. Es ist damals von der „ambivalenten Natur des Amtes" gesprochen worden. Ich bitte alle, die sich für das Verständnis meines Amtes in diesem Sinne interessieren, die Protokolle hierüber nachzulesen. Auch diese, wenn ich sie so nennen darf, Sachwaltertätigkeit im Interesse der Soldaten hat mit dazu beigetragen, das anfänglich vorhandene Mißtrauen gegen die Institution des Wehrbeauftragten wenn nicht ganz zu beseitigen, so doch allmählich abzubauen.Bei dem so notwendigen Abbau des Mißtrauens spielten bei mir auch die wenig guten Erfahrungen in der Zeit meiner eigenen Berufsausbildung in den 20er Jahren eine nicht geringe Rolle. Damals hat das Mißtrauen zwischen der Armee, sprich: Reichswehr, dem Staat und Teilen der Gesellschaft zu keinem guten Ende geführt. Als ich Ende 1964 mein Amt übernahm und wiederum ein um sich greifendes Unbehagen feststellen mußte, habe ich nach Mitteln und Wegen gesucht, um es zwar nicht im Keime zu ersticken — denn dazu war es fast schon zu spät —, aber um es allmählich abzubauen. Hierzu drängte mich die staatspolitische Verantwortung des Wehrbeauftragten auf Grund der Erfahrungen aus unserer Vergangenheit.Hinzu kommt folgendes. Die serienmäßige Aufzählung von negativen Fällen und Vorkommnissen in der Bundeswehr in den Berichten der ersten Jahre mußte, auch wenn das Gegenteil immer expressis verbis versichert wurde, dazu führen, die Soldaten der Bundeswehr in einem negativen Licht erscheinen zu lassen. Das führte auf die Dauer unausbleiblich zu negativen Reaktionen. Hinzu kam, daß es auch noch falsch war. Denn von nur negativen Dingen konnte auch in der ersten Zeit der Bundeswehr keine Rede sein. Infolgedessen bin ich von dieser Art der Berichterstattung allmählich abgekommen und habe in meinem Ihnen vorliegenden Bericht auf Seite 26 ausdrücklich von „lobenswerten Taten der Bundeswehr" gesprochen.
Dieser Abschnitt ist keineswegs vollständig; so ist er auch nicht gedacht. Meine Damen und Herren, ich befinde mich in gar keiner einfachen Lage; denn die lobenswerten Dinge teilt mir niemand mit, und auf dem Dienstweg kann ich sie nicht erfahren.
Aber ich habe mir diesen Abschnitt meines Jahresberichts als eine Art Merkposten gedacht, damit die Jahresberichte für die Zukunft ein ausgewogenes Bild von gut und, wie soll ich mich ausdrücken, weniger gut enthalten.Wenn ich heute an dieser Stelle auf die Frage der Wehrgerechtigkeit und der Inneren Führung nicht näher eingehe, bitte ich Sie, daraus nicht zu schließen, daß ich diesen beiden Problemkreisen nicht den Vorrang einräumte. Aber in meinem heutigen und auch in dem vorjährigen Bericht habe ich mich so eingehend dazu geäußert, daß weitere Darlegungen nur eine Wiederholung bedeuten würden.Doch eines muß ich hervorheben: Wer täglich die Meldungen über besondere Vorkommnisse in der Bundeswehr auf den Tisch gelegt bekommt und dabei die große Zahl der Unfälle sieht, die sich in der Bundeswehr ereignen, müßte ein Herz von Stein haben, wenn er auf die Dauer daran vorbeisähe. Die Zahlen sind in den früheren Berichten genannt worden. Sie sind für meine Begriffe erschreckend hoch. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag auf die Dauer mit diesen hohen Unfallzahlen — bezeichnenderweise ist die Zahl der Unfälle mit tödlichem Ausgang außerhalb des Dienstes höher als im Dienst — zufrieden geben werden.Das gehört für meinen Begriff zum Bereich der Inneren Führung; denn zur Inneren Führung gehört auch die Fürsorge für das Wohl der Soldaten. Das hat der Gesetzgeber des Jahres 1956 im Soldatengesetz an drei Stellen — im Beamtenrecht steht das nur an einer Stelle — ausdrücklich hervorheben zu müssen geglaubt. In § 1 heißt es gleich im zweiten Satz:Staat und Soldaten sind durch gegenseitige Treue miteinander verbunden.Intensiver konnte man die Verbindung zwischen dem Staat und seinen Soldaten fast nicht zum Ausdruck bringen.
Nach § 10 ist jeder Vorgesetzte von Gesetzes wegen zur Fürsorge für seine Untergebenen verpflichtet; er begeht ein Dienstvergehen, wenn er diese Pflicht verletzt. Meine Damen und Herren, nach der Struktur und den Aufgaben der Vorgesetzten — vom Chef der Kompanie, Batterie und Staffel angefangen bis oben hinauf — habe ich manchmal Bedenken, ob ein Vorgesetzter bei der Fülle seiner Aufgaben und der großen Zahl der Dienstvorschriften und der gesetzlichen Vorschriften diese Pflicht — trotz besten Willens — überhaupt erfüllen kann.Drittens verpflichtet sich der Dienstherr, der Bund, in § 31 noch einmal, für das Wohl der Soldaten zu sorgen; es ist dort im einzelnen ausgeführt, worin er das erblickt.Das, meine Damen und Herren, verpflichtet den Dienstherrn, die Vorgesetzten und, wie ich meine, auch das Hohe Haus, diese Pflichten zum Wohle der Soldaten mit Rücksicht auf ihre Aufgaben sehr, sehr ernst zu nehmen.
Ich darf an dieser Stelle eine Ausnahme von meinem eingangs verkündeten Grundsatz machen, das, was sich im Jahre 1970 ereignet hat, zu übergehen. Ich kann das schwerlich tun, denn die Frage, wie es sich mit den gedienten Studienbewerbern verhalten sollte, habe ich in den drei letzten Jahresberichten immer wieder angesprochen. Ich habe gemeint, daß diejenigen, die sich zum Wohle der Gemeinschaft einem Opfer unterwerfen, sei es freiwillig, sei es, weil sie es müssen — jedenfalls tun sie es —, beim Eintritt in die Berufsausbildung bei
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1745
Wehrbeauftragter Hoogengleichbleibenden Voraussetzungen den Vorzug haben.
Meine Damen und Herren! Ich bin sehr beglückt über eine Meldung in der „Frankfurter Allgemeinen" vom 10. Februar — auch das habe ich auf dem Dienstwege noch nicht erfahren —, in der es zum Eingang heißt:Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat in der vergangenen Woche— also Anfang Februar —nach Billigung durch das Bundeskabinett vierzehn Thesen veröffentlicht.Die These 9, von der ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur zwei Sätze verlesen darf, geht auf dieses Anliegen, Gott sei es gedankt, ein. Es heißt dort:3. Für die Auswahl unter den Bewerbern sind ausschließlich folgende durch Tests und Interviews zu objektivierende Kriterien anzuwenden:Es folgen einige andere Punkte, Wartezeit infolge vergeblicher Bewerbung oder Ableistung des Wehrdienstes, und dann heißt es unter Nr. 4:Auf Grund der in Nr. 3 genannten Kriterien wird die für die Zulassung maßgebende Rangfolge jedes Bewerbers ermittelt . Bei gleicher Rangfolge haben Bewerber mit einer Wartezeit infolge von Wehrdienst den Vorrang.
Meine Damen und Herren, Sie werden verstehen, daß ich über diesen Teilerfolg — es ist in der Tat nur ein Teilerfolg — als ersten Anfang sehr glücklich bin.Es gibt viele Unbehagen in der Bundeswehr. Eines führe ich darauf zurück, daß wir das große Fehl an Unteroffiziersdienstgraden — die Zahl 30 000 wird immer rund genannt — und Offiziersdienstgraden haben. Das ist nicht nur ein Ausfall der Zahl nach, sondern ein Ausfall an Vorgesetzten in der Bundeswehr, der sich auf das ganze Leben der Bundeswehr nun schon seit Jahren sehr nachteilig auswirkt. Deswegen hat man auch nach Schritten gesucht, dieses Übel zu beseitigen. Es lag nicht nur — im Anfang jedenfalls — auf finanziellem Gebiet. Ich persönlich glaube, daß man diesem Mangel dadurch beikommen könnte — und zwar ist das das Ergebnis einer fünfjährigen Erfahrung —, daß man das Berufsbild des Soldaten genauer umreißt, d. h. das Bild, das dem jungen deutschen Mann vorgestellt wird, wenn er sich entschließt, Berufsoffizier oder Offizier auf Zeit oder Unteroffizier auf Zeit zu werden, damit er weiß, woran er ist. Deswegen, meine ich, sollte man, wie man das in der Zeit seit 1949 in diesem Hohen Hause bei vielen Berufen getan hat, eine gesetzliche Berufsordnung schaffen, an die dann die Regierung und insbesondere der Regierungsapparat in Bonn und außerhalb Bonns gebunden sind, damit die Soldaten wissen, woran sie sind.Bei der Beratung meines Jahresberichts vom vergangenen Jahr am 27. Juni 1969 habe ich darauf bereits hingewiesen. Aus Zeitmangel mußte ich mich damals darauf beschränken, das mit sehr wenigen Worten zu tun. Es ist mir schwergefallen, im Laufe des letzten halben Jahres, d. h. im zweiten Halbjahr 1969, nicht mehr dafür tun zu können. Aber die Truppenbesuche, die ich seither gemacht habe, haben mich in meinem Entschluß bestärkt, Ihnen, meine Damen und Herren in diesem Hohen Hause, das noch einmal sehr, sehr nachdrücklich vorzutragen. Daß das Berufsbild des Soldaten nicht geordnet und in Anlehnung an das Beamtenrecht sehr unvollkommen geregelt ist, ist nicht dazu angetan, den Soldatenberuf attraktiv zu machen. Ich kann nur das wiederholen, was ich damals gesagt habe. Ich will es nicht vorlesen — was ich mir eigentlich vorgenommen hatte —, weil die Zeit schon fast abgelaufen ist.Ich darf zusammenfassend noch sagen, woran es mir zu fehlen scheint. Wer sich unter den jungen deutschen Männern für den Soldatenberuf als Berufsoder als Zeitsoldat interessiert, findet kaum eine Stelle, die ihm ganz verbindlich — und darauf kommt es an — Zusagen für die in Aussicht genommene Dienstzeit und auch für die Zeit nach der Beendigung des Soldatendienstes machen kann, insbesondere dann, wenn es sich um Zeitsoldaten mit acht- oder zwölfjähriger Dienstzeit handelt. Gerade hierauf kommt es mir an. Die sogenannte Berufsförderung erfüllt diese Forderung leider nicht. Eine verläßliche Beratung und Information und verbindliche Zusagen an die interessierten jungen Männer unter Einschaltung ihrer militärischen Vorgesetzten sind das A und O der Gewinnung von Nachwuchs.Die Verquickung des Berufsbildes eines Soldaten mit dem eines Beamten muß gelöst werden. Jeder, der sich für diese Frage interessiert, sollte nicht so sehr die Vorschriften darüber studieren, sondern sich der Mühe unterziehen, Bundeswehrfachschulen und Bundeswehrverwaltungsschulen zu besuchen und dort mit den Schülern — sprich: Familienvätern, deren Kinder selbst schon Schüler sind — zu sprechen, um ihre Sorgen und Nöte an Ort und Stelle kennenzulernen. Ich glaube, .er wird dann genauso erschrocken nach Hause gehen, wie ich im letzten Jahr auch gegangen bin.Diese Unvollkommenheiten halten natürlich manchen jungen Mann davon ab — und nirgendwo spricht sich das schneller herum als in der gut organisierten Bundeswehr —, den Soldatenberuf zu ergreifen. Dadurch kommt es zu dem, was ich eingangs gesagt habe, daß uns immer noch die Soldaten für Ausbildungszwecke fehlen, und zu all diesen Dingen, die eigentlich längst hätten abgestellt sein können.Meine Damen und Herren, auf Seite 52 unten am Schluß meines Berichts habe ich einen sehr anspruchsvollen Satz niedergeschrieben, daß nämlich der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages auch international eine gewisse Bedeutung erlangt habe. Ich glaube, ich schulde Ihnen dafür eine Aufklärung. Daß der Wehrbeauftragte seine Kollegen in den skandinavischen Staaten besucht, ist seit langem üblich, denn dorther ist ja die Institution ge-Wehrbeauftragter Hoogenkommen. Im vergangenen Jahr war es so, daß der Wehrbeauftragte bei einer Großübung den Kommandeur einer Kriegsakademie eines befreundeten NATO-Staates kennenlernte und kurz darauf, d. h. zu Beginn dieses Jahres, eine Einladung erhielt, vor den Schülern und dem Lehrpersonal seiner Akademie ein Referat mit anschließender Diskussion zu halten. Ich habe das nicht mehr übernehmen können, sondern muß es meinem Nachfolger im Amte überlassen.Für die Mitte dieses Jahres ist an einer kanadischen Universität eine wissenschaftliche Tagung über die Institution der Ombudsmänner in der westlichen Welt angesetzt, und zwar als wissenschaftliche Tagung von Staatsrechtlern und Lehrern der politischen Wissenschaften. Der Wehrbeauftragte ist aufgefordert, an dieser Tagung teilzunehmen und nach Möglichkeit auch dort auf Grund seiner Erfahrungen und der Regelung in der deutschen Verfassung ein Referat vorzutragen. Zu meinem Bedauern kann ich das nicht übernehmen, da es an mich als Amtsperson gerichtet war. Ich muß es meinem Nachfolger überlassen.Vielleicht ist das die Folge davon, meine Damen und Herren, daß ich meine Jahrsberichte, wenn sie durch das Hohe Haus gebilligt sind, regelmäßig in französischer und englischer Sprache herausgebe und an die Militärattachés der befreundeten NATO-Mächte verteile.
Ich glaube, daß das seine Folgen gehabt hat.Meine Damen und Herren, ich lasse mich bei allen diesen Fragen einzig und allein von dem Gedanken leiten, wie ich mit geringen Kräften und vielleicht in ganz kleinem Bereich den deutschen Interessen und den Interessen der deutschen Streitkräfte dienen kann.
Meine Damen und Herren! Zum Schluß obliegt es mir, Dank zu sagen, Dank zu sagen insbesondere meinem unmittelbaren Dienstvorgesetzten, dem Präsidenten des Deutschen Bundestages. Ich bin sehr bedrückt, ,daß ich ihm aus Anlaß des Schicksalsschlages, der seine Familie getroffen hat, den Dank heute nicht an dieser Stelle sagen kann. Dank möchte ich aber auch dem Herrn Bundesminister der Verteidigung und seinen Mitarbeitern sagen, insbesonderer dem Generalinspekteur, denn bei ihm ressortiert als FüS die Innere Führung mit ihrer gesamten Problematik. Ich habe ganz besonderen Dank zu sagen für 'die große Loyalität, die die Herren seines Stabes mir in den ganzen Jahren gezeigt haben.Dank möchte ich aber auch den Kommandierenden Generalen des Heeres, der beiden Luftwaffengruppen und dem Befehlshaber der Flotte sagen. Ich möchte auch den Präsidenten der Wehrbereichsverwaltungen für ihre sehr kräftige Unterstützung bei der Erledigung meiner Aufgaben Dank sagen. Dank sagen möchte ich auch meinen eigenen Mitarbeitern, die mich in den Stand gesetzt haben, Ihnen diesenBericht verhältnismäßig pünktlich — in diesem Jahre jedenfalls — vorzulegen.
Meine Damen und Herren, Dank möchte ich aber auch von dieser Stelle aus allen deutschen Soldaten sagen, die mich durch ihr mündlich und schriftlich bekundetes Interesse in den Stand gesetzt haben, das in diesen Bericht hineinzubringen, was Sie in ihm vorfinden.Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
Ich danke dem Herrn Wehrbeauftragten. — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Klepsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Abweichend von unserem sonstigen Brauch haben wir heute aus aktuellem Anlaß schon bei .der Einbringung des Berichts des Wehrbeauftragten Gelegenheit genommen, eine erste Stellungnahme dazu vor diesem Hause abzugeben: Ganz sicher wird uns das nicht von der Verpflichtung entbinden, auch in diesem Jahr dafür Sorge zu tragen, daß möglichst bald, nach dem Abschluß der Beratungen des Verteidigungsausschusses, die Detailberatung vor diesem Hause vorgenommen wird. Daher können wir heute wohl davon absehen, auf die Details einzugehen. Vielmehr wird es unsere Aufgabe sein, den Jahresbericht in seinen Grundzügen zu würdigen und daran zu denken, daß wir heute bei .dem Amt des Wehrbeauftragten wiederum an einer Zäsur stehen.Wie der vorjährige so zeichnet sich auch der diesjährige Bericht dadurch aus, daß er eine klare Gliederung, einen exakten Aufbau und präzise Aussagen zu allen in Betracht kommenden Problemen bietet. Er stellt einen vorzüglichen Querschnitt durch die Probleme der Bundeswehr dar und gibt infolge der Verschränkung der Bundeswehr mit unserer Gesellschaft an vielen Stellen ,einen sehr guten Einblick in die Problematik unserer Gesamtgesellschaft.Zwangsläufig wendet sich der Bericht sowohl den Problemen der Integration in der Armee als auch dem Problem ,der Integration der Armee in unsere Gesellschäft zu. Hoogens Berichte haben sich immer dadurch ausgezeichnet, daß sie nicht nur eine Fülle sorgfältiger Untersuchungen von aktuellen Problemen der Bundeswehr enthielten, daß sie nicht nur, man könnte fast sagen: penetrant, aber geduldig, drängend und immer wieder bohrend - soeben haben wir eine Kostprobe davon erhalten — auf die unerledigten Fragen hingewiesen haben — auch der heutige Bericht enthält Merkposten, die als Aufforderung an dieses Hohe Haus, Maßnahmen zu treffen, aufzufassen sind —, sondern daß sie auch — und das ist eine vorzügliche Eigenschaft dieser Berichterstattung, gekrönt durch den letzten, der heute vor uns liegt — zu großen Sachzusammenhängen, zu Problemen, die wir im Zusammenhang überdenken sollten, Stellung genommen haben. Der heutige Bericht stellt zusammen mit dem vorangegangenen
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Dr. Klepscheine ausgezeichnete Zusammenfassung des Fragenkreises der Inneren Führung dar, über den in der Armee und in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren sehr viel diskutiert worden ist. Als Merkposten wird in .dem Bericht darauf hingewiesen, daß vom Minister der Verteidigung eine Neuauflage des Handbuchs Innere Führung als ein Kompendium, als eine Art Lose-Blatt-Sammlung in Aussicht gestellt sei. Man hat schon den letztjährigen Bericht des Wehrbeauftragten in der Öffentlichkeit und in der Truppe als Grundlage für die Behandlung dieses Fragenkomplexes verwendet, wie das vom Hohen Haus gewünscht worden ist, und beide Berichte, der für 1968 und der für 1969, bieten ausgezeichnetes Material und einen guten Ausgangspunkt für eine Neuauflage des Handbuchs Innere Führung.
Es wäre gut, wenn neben den Reden von Ministern zur Definition des Begriffs „Innere Führung" auch diese präzise Sachaussage vom Bundesverteidigungsministerium möglichst bald verwendet werden könnte.In seinem jetzigen Bericht nimmt der Wehrbeauftragte auch zum Problem des Bildungswesens der Bundeswehr Stellung. Nach Auffassung der CDU/ CSU geht es dabei um eine Kardinalfrage, um die Bewältigung einer Fülle von Problemen, sei es der Nachwuchsförderung, sei es der Laufbahngestaltung, sei es aber auch der engen Verschränkung zwischen Armee und Gesellschaft.Wir sind daher auch der Auffassung, daß man im Verteidigungsausschuß, ausgehend von dieser Feststellung, möglichst bald zu einem Hearing über diesen Fragenkomplex kommen sollte. Daran sollten Lehrende und Lernende Anteil haben, damit wir uns gemeinsam überlegen, wie eine weitere Entwicklung und ein weiterer Ausbau des Bildungswesens erfolgen kann.Der Wehrbeauftragte hat neben dem großen Komplex der Inneren Führung zu Recht den Komplex der Wehrgerechtigkeit hervorgehoben. Die Aufmerksamkeit, die seine Aussagen, die öffentliche Diskussion und unsere Beiträge dazu in der Öffentlichkeit und der Gesellschaft immer wieder gefunden haben, macht deutlich, wie notwendig die endgültige Bewältigung dieses Fragenkomplexes ist.Ich begrüße daher, daß der Herr Wehrbeauftragte auf die Problematik hingewiesen hat, die sich aus der durch Art. 12 a des Grundgesetzes geschaffenen Gesamtsituation ergibt. Meine Fraktion ist durchaus der Auffassung, daß bei sorgfältigem Durchdenken des Fragenkomplexes der Dienstpflichten ein verbindender und lösender Vorschlag gefunden werden kann — wir werden uns bemühen, dazu baldmöglichst einen Beitrag zur Verfügung zu stellen —, der auch denjenigen Kriegsdienstverweigerern, von denen der Wehrbeauftragte zu Recht als von den von ihrer inneren Position her klar Überzeugten sprach, ihre durchaus gleichrangige Position in der Erfüllung ihrer Dienstpflichten gegenüber Staat und Gesellschaft zuerkannt. Wir sind der Auffassung, daß uns gerade Art. 12 a des Grundgesetzes eine Chance bietet, in dieser Frage in Abwendung von verklemmten Scheuklappensituationen des AntiDenkens zu einer Gesamtlösung zu kommen, die für uns alle einen gesellschaftlichen Fortschritt ebenso wie einen Beitrag zur Befriedung der inneren Diskussion in Staat und Gesellschaft bringen mag.Ich werde dabei auch nicht mit unserer Meinung zurückhalten, daß die Ausführungen, die zur Kriegsdienstverweigerung in diesem Bericht gemacht worden sind - gründend auf denen, die schon im Vorjahresbericht vermerkt wurden —, nur einen Teilaspekt zur Sachdiskussion beiträgt, der im Zusammenhang mit dem gesehen werden muß, was an anderer Stelle des Berichts zu Art. 12 a vorgetragen wurde, was ich mir beides zusammen als wertvollen Diskussionsbeitrag und wertvolle Anregung zu eigen machen möchte.Wir haben bei dem Fragenkomplex der Wehrgerechtigkeit natürlich eine Fülle von Einzelproblemen zu sehen. Hier wurde in besonderer Weise auf die Frage der Studenten hingewiesen. Ich meine, hier sollten wir uns das hier auch vom Wehrbeauftragten immer wieder vorgetragene Prinzip der Verhältnismäßigkeit auch bei der Anwendung in Erlassen und Verfügungen des Ministers der Verteidigung vor Augen führen. Wir sollten also unbedingt dafür Sorge tragen, daß es nicht vorkommen kann — wir werden uns im Ausschuß mit aktuellen Einzelfällen dazu zu beschäftigen haben —, daß jemand, weil ihm 14 Tage vorzeitige Beurlaubung nicht gewährt werden können, etwa seinen Studienbeginn ein Jahr zurückstellen muß. Wir meinen, hier liegt ein Feld, bei dem wegen der Fülle der Problematik die Einzelberatung im Ausschuß noch manchen wertvollen Sachbeitrag zusätzlich erbringen mag.Ein anderer Fragenbereich, den wir sorgfältig weiter behandeln müssen, betrifft die Verbesserung der Sozialstruktur in der Bundeswehr und die Bewältigung der gesetzgeberischen Arbeit, um die wir uns — ich würde eigentlich sagen: interfraktionell, der Verteidigungsausschuß in allen seinen Fraktionen und Elementen — gemeinsam bemüht haben. Wir setzen diesen Kurs als CDU/CSU-Fraktion ganz bewußt fort; denn das ist etwas, was uns gemeinsam voll vor Augen steht. Dabei stehen wir vor der Notwendigkeit, die Berufsförderung in der Bundeswehr auf den neuen Stand zu bringen, also an das Arbeitsförderungsgesetz, das wir geschaffen haben, anzupassen, vor allen Dingen im Hinblick auf die Soldaten auf Zeit. Wir haben hier noch eine Fülle von Maßnahmen zu treffen, die keinen langen Aufschub dulden. Aber das sind sicher Detailfragen, denen wir uns besonders zuwenden müssen.Wenn der Wehrbeauftragte hier die 'breite Palette von der Lösung des Wohnungsproblems bis hin zu den Fragen ,der Unfallversorgung in allen ihren Elementen wieder dargestellt hat, so ist das für uns alle Verpflichtung, jenen einzelnen Merkposten — zum einen von den Lösungsvorschlägen her, die er hier gemacht hat, zum anderen von anderen Lösungsvorschlägen her — zu untersuchen und so schnell wie möglich einer Bewältigung zuzuführen.
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1748 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Dr. KlepschDer Bundesminister der Verteidigung wird bei all diesen Fragen mit Sicherheit da die Unterstützung meiner Fraktion finden, wo es um diese Aufgaben geht.Ich darf sagen, daß wir in den zurückliegenden Jahren, und zwar in der ganzen Amtszeit des Wehrbeauftragten Hoogen, auch die Diskussion um die Institution des Wehrbeauftragten gehabt haben. Sie wissen, daß bei der Schaffung dieser Institution die Meinungen in meiner Fraktion nicht ganz einheitlich gewesen sind und daß von nicht wenigen Soldaten in dieser Institution das personifizierte Mißtrauen gesehen wurde, das ihnen entgegengebracht werde. Das war durchaus nicht in Übereinstimmung mit den Intentionen .des Gesetzgebers.Ich möchte an dieser Stelle in bezug auf diese Institution auf das große Verdienst des Wehrbeauftragten Hoogen hinweisen, und zwar darauf, daß es in seiner Amtszeit gelungen ist, in breitestem Umfang in Öffentlichkeit und Armee — auch wenn diese oder jene Stimme sich erhob — diese Vorstellung abzubauen und jene andere Vorstellung in Öffentlichkeit und Armee breit zum Durchbruch zu bringen, die er 'hier eben wieder vorgetragen hat. Dabei handelt es sich um die Vorstellung von jener Mittlerstelle — wie er es in einer Passage seines Berichts nannte —, von jener Konfliktsregelungsstelle, aber auch von jener Stelle, wo der gesetzgeberische Auftrag, zum Schutz der Grundsätze der Inneren Führung als Hilfsorgan des Parlaments tätig zu sein, ebenso Erfüllung findet wie die Mittlerfunktion, die darin besteht, uns die Probleme der Truppe, die Probleme der Integration von Staat und Gesellschaft, auch die Probleme innerhalb des Verteidigungsbereiches zwischen Verwaltung und Truppe, die zu lösen sind — wie es dieser Bericht ja wieder andeutet —, darzustellen.
Ich glaube, das ist ein ganz großes Verdienst.Wir haben bezüglich dieser Institution heute — das möchte ich gerade am Ende dieser Amtszeit sagen; ich sage das anerkennend für meine ganze Fraktion — eine Leistung vor uns, die von einer sehr schlechten Ausgangsposition her erbracht worden ist. Wenn Sie ein paar Jahre zurückdenken und sich noch einmal vor Augen führen, unter welchen Bedingungen und mit welchen Belastungen der Wehrbeauftragte sein Amt angetreten hat, wenn Sie bedenken, welchen Belastungen diese Institution sowohl von ihrer inneren Struktur als auch von ihrem äußeren Ansehen her ausgesetzt war, dann wissen Sie, welcher Weg in diesen Jahren zurückgelegt wurde. Wenn wir die Institution heute betrachten, so sehen wir eine geordnete Dienststelle, die ihre Aufgabe nicht nur intern vorzüglich erfüllt, der heute nicht nur bescheinigt werden kann, daß eine gute Zusammenarbeit zwischen Ministerium und Wehrbeauftragtem vorhanden ist, sondern der man auch zuerkennen muß, daß ihre Zusammenarbeit mit dem Fachaufsichtsgremium Verteidigungsausschuß vorzüglich gewesen ist. Durch die Leistungen dieser Institution ist es auch gelungen, in der Öffentlichkeit und weit ausstrahlend in die Truppe — nicht nur durch die Besuche, sondern auch durch die dauernde Wirkung der uns vorgelegten vorzüglichen Berichte, die ja bleibenden Wert besitzen — einen Eindruck von der Leistungsfähigkeit dieses Amtes zu schaffen. Das läßt mich auch meinen, daß dieses Amt, wie es heute dasteht, auch leistungsfähig ist, vielleicht noch einen weiteren Ausbau zu erfahren, vielleicht noch weitere Funktionen — etwa im Zusammenhang mit einem sorgfältigen Durchdenken der Konsequenzen des Art. 12 a des Grundgesetzes — übernehmen zu können. Das wird zu prüfen sein.Ich glaube, man muß sagen, daß dieses Amt heute nicht nur innerhalb und außerhalb der Bundeswehr hohe Achtung und Ansehen genießt, sondern — und da stimme ich Ihnen völlig zu, Herr Wehrbeauftragter — daß auch im Ausland die Anerkennung allgemein ist. Dafür danke ich Ihnen.
Wir haben heute eine Stunde, in der dieses Parlament von einem Wehrbeauftragten am Ende seiner vollen Amtszeit — ja, er hat sogar in der Erstattung des Berichts für 1969 unter Wahrnehmung der Monate, die über die eigentliche Amtszeit hinaus zur Erfüllung dieses Auftrags noch erforderlich waren, gewirkt — Abschied zu nehmen hat. Ich möchte für meine Fraktion sagen, daß wir bewegt waren, als wir dem seinerzeitigen Vorsitzenden des Rechtsausschusses, der so oft an der Rednertribüne dieses Hauses als Parlamentarier gestanden ist, zuhörten, ihm dann dieses Amt übertragen haben und daß wir glücklich sind, eine so geeignete Lösung gefunden zu haben.
Sie haben aus diesem Amt das soziale und gesellschaftliche Gewissen der Bundeswehr gemacht. Für Sie stand die Innere Führung im Mittelpunkt Ihres Denkens, und wir wußten sehr wohl, daß das Problem der Integration der Armee in dem demokratischen Staat unlösbar mit diesem Fragenkomplex verbunden ist. Wir danken Ihnen dafür, daß Sie sich trotz aller Widrigkeiten, die mit der Auseinandersetzung gerade dieser Position verbunden sein mußten, entschlossen haben, das zum Zentrum Ihrer Aussagen in Ihren weitreichenden Berichten zu machen.Ich möchte Ihnen und Ihren Bediensteten, Ihren Mitarbeitern in Ihrem Amt, an der Spitze Ihrem leitenden Beamten, Herrn Ministerialdirigent Dr. Schellknecht, ausdrücklich den Dank und die Anerkennung meiner Fraktion sagen und meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß es unter Ihnen möglich geworden ist, eine fortgesetzte und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen allen für die Bundeswehr und ihre Anliegen im Zusammenhang mit diesem Hause relevanten Stellen zu erreichen.
Ich danke Ihnen dafür und darf hoffen, daß wir bei den Ausschußberatungen viele der vorzüglichen Lösungsvorschläge, die Sie uns wieder unterbreiten, so schnell wie möglich zu einem Ergebnis bringen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1749
Dr. KlepschWir werden so energisch wie möglich daran mitarbeiten.
Das Wort hat der Abgeordnete Buchstaller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen ersten Ausspracherunde zum Jahresbericht 1969 des Wehrbeauftragten soll — und das erwähnte auch Ihr Kollege Dr. Klepsch — der Sacherörterung im Verteidigungsausschuß und einer entsprechenden Plenardebatte nicht vorgegriffen werden. Dabei hat die SPD-Bundestagsfraktion — das sei heute schon vermerkt — den Wunsch, daß die Beratungen im Verteidigungsausschuß so zügig erfolgen können, daß die Plenardebatte zu dieser Sache noch vor der Sommerpause des Parlaments hier stattfinden kann. Bei dieser Lage werde ich mich auf einige wenige allgemein bezogene Feststellungen und Anmerkungen zu diesem Jahresbericht beschränken.Nach 'den letzten Bemerkungen und dem Dank des Herrn Kollegen Dr. Klepsch an Sie, Herr Wehrbeauftragter, kommt man in die Versuchung, überhaupt keine kritische Sonde mehr an den Jahresbericht anlegen zu wollen, den Sie uns vorgelegt haben. Aber auch der Umstand, daß wir Ihren und Ihres Amtes Leistungen außerordentlich viel verdanken, sollte uns nicht davon Abstand nehmen lassen, diesem Jahresbericht auch einige kritische Bemerkungen anzufügen.Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten ist praktisch — so möchte ich ihn bezeichnen — eine ständige Fortschreibung über den Zustand der Bundeswehr und die Sorgen, Nöte und Probleme der Soldaten. Es ist beinahe beängstigend, ,daß sich kritische Feststellungen zu entscheidenden und brennenden Problemen von Jahr zu Jahr wiederholen, ganz einfach deshalb, weil man zu keinen oder nur zu halben Lösungen gekommen ist. Ich bin davon überzeugt, daß Verteidigungsminister Helmut Schmidt mit seinen Mitarbeitern bei der Auswertung der allgemeinen Bestandsaufnahme viele Anregungen des Wehrbeauftragten berücksichtigen und in das Weißbuch der Verteidigung aufnehmen wird.
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1750 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
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Jedoch dürfen wir dieses Amt nicht zu einer Institution der Bearbeitung von Eingaben verkümmern lassen; denn sonst würde es unglaubwürdig werden. Daraus haben wir — der Ausschuß, das Ministerium und insbesondere das Parlament — die Konsequenzen zu ziehen. Im Zusammenhang mit dem Weißbuch und der kritischen Bestandsaufnahme werden wir die grundsätzlichen Probleme im einzelnen zu erörtern haben, um zukunftsweisende Perspektiven für Funktion und Aufgaben der Bundeswehr in einer offenen, mündigen Gesellschaft aufzuzeigen und durch gesetzgeberische Akte in die Wirklichkeit umzusetzen.Herr Wehrbeauftragter, wie meine beiden Kollegen möchte auch ich im Namen der Fraktion der Freien Demokratischen Partei unseren Dank an Sie und Ihre Mitarbeiter für die vorzügliche Leistung, die Sie mit diesem Bericht erbracht haben, aussprechen.
Nach den Ausführungen von Herrn Klepsch und Herrn Buchstaller bin ich überzeugt, daß ich im Namen aller Parlamentarier spreche, wenn ich Ihnen und Ihren Mitarbeitern gegenüber Respekt und Anerkennung des Hauses zum Ausdruck bringe.
Sie haben mit Ihren Berichten einen hohen Maßstab gesetzt. Jeder der Berichte, insbesondere die Berichte der beiden letzten Jahre, sind nach meiner Meinung Meilensteine auf dem Wege zum Ziel, die Bundeswehr voll in unsere demokratische Gesellschaft zu integrieren. Ich meine, daß diese Berichte Ihrem Nachfolger eine hohe Verpflichtung auferlegen. Wir wünschen Ihnen persönlich alles Gute und Ihrem Nachfolger viel Glück in der Fortsetzung des von Ihnen aufgezeigten Weges.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
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1754 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier ist von allen Seiten der Dank an den Wehrbeauftragten ausgesprochen worden. Ich will mich zunächst — ich sage: zunächst — dem Dank an die Institution anschließen, einfach indem ich sage, daß die Erfahrungen, die wir mit der hier mehrfach zitierten „kritischen Bestandsaufnahme" im Gespräch mit Wehrpflichtigen und Vorgesetzten in der Truppe gewonnen haben, zu dem Eindruck geführt haben, daß der Verteidigungsminister, wenn es diese Institution nicht gäbe, sie heute beim Parlament beantragen müßte. Ich sage das deshalb — und ich bin dankbar dafür, daß das Parlament heute einmal von seiner Übung abgewichen ist und quasi eine erste Lesung des Berichts macht —, weil ich mit einer gewissen Besorgnis festgestellt habe, daß einige unserer schreibenden Kollegen in Organen, die die öffentliche Meinung beeinflussen, meinten, .das Parlament oder gar der Verteidigungsminister nehme diese Institution nicht wichtig genug. Ich kann aus meiner— allerdings erst sehr kurzen — Amtserfahrung nur sagen, daß ich diese Institution für schlechthin unverzichtbar halte.Ich möchte nun aber gegenüber den Kritikern dieser- Institution und gegenüber solchen etwas hinzufügen dürfen, die sich bisweilen mit einer gewissen hämischen Akribie auf die vielerlei Punkte stürzen, die in ,den Berichten dieser Einrichtung notgedrungenerweise kritisch hervorgehoben werden müssen. Ich möchte nämlich sagen, daß es in unserer Gesellschaft wohl kaum einen institutionalisierten Bereich gibt, für den so wie für die Bundeswehr von Staats wegen jedes Jahr eine Statistik der Beschwerden, der eigenen Fehler, der Führungsfehler und all dergleichen auf den Tisch des Hauses gelegt wird.Ich wiederhole einen Gedanken, den ich vielfach ausgesprochen habe. Stellen Sie sich bitte einmal vor, welch enormer Segen an sozialer Frühwarnung— ich greife Ihren Ausdruck auf, Herr Hoogen, der wohl aus einem soziologischen Begriffsbereich stammt — für die deutsche Gesellschaft, auch fürs Parlament, gegeben gewiesen wäre, wenn wir einen Beauftragten des Parlaments mit rechtzeitigen Berichten über die Situation an den deutschen Universitäten in ,den letzten 15 Jahren gehabt hätten
oder wenn wir einen ähnlichen Beauftragten für die deutschen Gymnasien oder die Universitätskliniken gehabt hätten, wo sich heute ja auch einiges zeigt! Stellen Sie sich vor, was ein Parlamentsbeauftragter für die Universitätskliniken in solch einen Bericht schreiben müßte! Ich sage das nur, damit die mit Recht hervorgehobenen kritischen Punkte des Wehrbeauftragten im Vergleich zu anderen Institutionen in der richtigen Perspektive gesehen werden.Was nun die Kritik gegenüber vorgefundenen Zuständen oder Vorkommnissen angeht, so finde ich hier hervorhebenswert, daß 2,1 % der Eingaben Verletzungen von Grundrechten, 21 % Verstöße auf dem Feld der Inneren Führung, 13 % auf dem Feld des Strafrechts- oder des Disziplinarwesens, aber61 % Fälle aus dem Sozialbereich betreffen. Das geht Sie, meine Damen und Herren, in diesem Parlament sehr viel an. Hier ist sehr weitgehend der Gesetzgeber angesprochen. Der Gesetzgeber sollte nicht meinen, er könne überall über Innere Führung debattieren, selber aber als eigentlicher Dienstherr auf diesem Felde nicht penibel sein zu müssen. Der Dienstherr hat nämlich gegenüber den Soldaten auch Pflichten.
— Den Ausdruck „Dienstherr" benutze ich sehr ungern. Er ist Gesetzessprache. Ich halte ihn für ein schlimmes Relikt aus einem obrigkeitsstaatlichen Jahrhundert.
Herr Zimmermann, wenn Sie mir zurufen, ich sei der Dienstherr, dann will ich dem in aller Form widersprechen. Ich glaube, das ist eine sehr formale Betrachtung. Dieses Parlament ist letztlich der eigentliche Dienstherr der deutschen Bundeswehr, dieses Parlament.
— Wir stimmen ja darin überein. Es ist eine Armee, die sich das Parlament geschaffen hat, zum erstenmal in der deutschen Militärgeschichte.
— Aber sehr wohl! Sie sind ein bißchen jung, Herr Kollege. Wenn Sie heute vor 15 Jahren in diesem Haus gesessen hätten, würden sie wissen — ich brauche mich nur an die Rolle von Herrn Dr. Jaeger zu erinnern, den ich im Augenblick hier nicht zitieren will, weil er der Sitzung präsidiert —, in welch entscheidender Rolle das Parlament die Grundlagen für die Bundeswehr gelegt hat und nicht irgend jemand anderes.
Das Parlament hat sich auch diese Einrichtung geschaffen, die in der Person von Herrn Hoogen heute zu Wort kam.Lassen Sie mich zur Einrichtung noch ein Wort sagen, da hier Statistiken zitiert werden. Von dieser Einrichtung machten ausweislich des Berichts von Herrn Hoogen im letzten Jahr Gebrauch: 1,3 % aller Mannschaften, 1,7 % aller Unteroffiziere und 1,2 % aller Offiziere. Diese drei Zahlen scheinen mir mit das Interessanteste am Bericht zu sein, weil man an ihnen nämlich sieht, wie sehr inzwischen auch die Vorgesetzten die Möglichkeiten ergreifen, die diese Einrichtung bietet.Da ich bei Statistiken bin, möchte ich, Herr Hoogen, ein Wort zu den Unfallziffern sagen, die Sie vorhin in Ihrer Rede genannt haben. Die Bundeswehr hat im letzten Jahr durch tödlich verlaufene Unfälle im Dienst 105 Soldaten verloren, davon 26 durch Flugunfälle. Sie hat durch tödlich verlaufene
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1755
Bundesminister Schmidtaußerdienstliche Unfälle 435 Soldaten, also viermal so viele, verloren — davon allein drei Viertel durch Unfälle mit privaten Kraftfahrzeugen.Das ist einer der Gründe, die mich, wenn wir mit unseren Arbeiten soweit sind, dafür werden plädieren lassen, daß Sie, meine Damen und Herren, der Wiedereinführung der Militärfahrkarte zustimmen, die dein wehrpflichtigen Mann eine Familienheimfahrt am Wochenende erlaubt, ohne daß er sie aus seinem relativ schmalen Wehrsold bezahlen muß, wieder eingeführt wird, damit das mit dieser wilden Fahrerei auf den Autobahnen aufhört.
Ich möchte auch noch ein Wort zu zwei anderen Bemerkungen sagen, die Herr Klepsch und Herr Jung zu den wirklich schrecklichen Kalamitäten zwischen den Kultusministern und den Universitäten und Fachschulen hinsichtlich des Semesterbeginns gemacht haben. Jeder fängt zu anderen Terminen an, jeder macht's, wie er es will, und nimmt keine Rücksicht auf den Schwächsten in diesem Zusammenhang, nämlich den Wehrpflichtigen, der studieren möchte.
Alle Amtsvorgänger haben sich, soweit ich das aus den Akten sehen kann, große Mühe gegeben, mit den Kultusministern zu Lösungen zu kommen. Die Kultusminister sind ja nun auch nicht Leute, die anordnen können; die Universitäten genießen Autonomie und rühmen sich ihrer in diesen Tagen ganz gewaltig. Sie lassen sich da wenig hineinreden. Ich kann nur wünschen, daß in Deutschland das wenigstens genauso einheitlich geregelt wird wie der Schulbeginn bei den allgemeinbildenden Schulen.
Der Verteidigungsminister kann nur hoffen, daß Sie in Ihren Ländern, bei Ihren Landtagskollegen, ein bißchen Wind in dieser Richtung machen. Der Bund ist nicht eine Instanz, die hier durch Bundestagsbeschluß oder durch Regierungsbeschluß etwas ändern könnte. Uns steht nur das Mittel der Überredung, der Überzeugung zur Verfügung.Was nun Ihre Rüge angeht, Herr Klepsch: die Sonderregelungen in den vergangenen zwei Jahren für eine bestimmte Gruppe von Studenten sind — das ist die praktische Erfahrung — dem Bemühen um Wehrgerechtigkeit nicht dienlich gewesen.
— Die 14 Tage machen bei mindestens sechs Semestern Studium den Kohl auch nicht fett. Den Studenten möchte ich mal persönlich sprechen, der behauptet, wegen 14 Tagen etwa sein Studium nicht richtig absolvieren zu können! Wenn Sie das Problem anders stellen und sagen, daß er deswegen sein Semester überhaupt nicht hat antreten können
— Augenblick! —, dann kann ich nur sagen: Soviel Kurzsichtigkeit der zuständigen Universitätsbehörde macht allerdings eine solche Einrichtung wie einen Beauftragten des ,Parlaments für den Hochschulbereich 'dringend notwendig! Einen Studenten beieinem sechs- oder achtsemestrigen Studium deshalb nicht zuzulassen, weil er sich 14 Tage später — ich darf mich einmal so ausdrücken —einschulen lassen müßte, finde ich 'unerhört.
Herr Klepsch, ich rede von dem Problem, weil ich es kenne; mir ist es nicht erst bekannt, seit Sie es heute morgen vorgebracht haben. Auf der anderen Seite glauben Sie mir bitte: die Sonderregelung, die Herr von Hassel und später auch Herr Schröder versuchsweise von Fall zu Fall ermöglicht haben, hat sehr viel böses Blut bei denen gemacht, die nicht unter diese Sonderregelung fielen. Jemand, der wie ich und wie auch Sie die Notwendigkeit zu mehr Gleichheit. in der Behandlung der jungen Männer erkennt, muß da ein 'bißchen vorsichtig sein. — Bitte!
Eine Zwischenfrage des 'Abgeordneten Dr. Klepsch.
Herr Minister, wenn Sie das Protokoll nachsehen, werden Sie feststellen, daß ich ausgerechnet diesen Fall, von dem Sie jetzt sprechen, meine. Ich habe es an dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel, von dem der Wehrbeauftragte spricht, aufgehängt.
Ich bitte, eine Frage zu stellen!
Die Frage kommt gleich. Meine Frage an Sie, Herr Minister, lautet, ob Sie nicht bereit sind, zu überprüfen, ob man für diejenigen, die ein volles Jahr dadurch verlieren, diese Sonderregelung mit den 14 Tagen vorzeitigen Urlaub nicht beibehalten sollte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Klepsch, wenn jemand im Ernst ein volles Jahr verlieren müßte, würde ich gar keinen Zweifel haben, dies als eine besondere Härte ansehen zu müssen. Daran besteht gar kein Zweifel.
Aber ich wäre dankbar, wenn Sie den Nachdruck, den Sie in Iden Beifall gelegt haben, den Sie mir auf diese Antwort geben, viel mehr in die Auseinandersetzung mit den Behörden legten, die für diese Semesterbeginne in Deutschland zuständig sind.
Ich kann da auch nichts anderes als bitten und reden. Ich habe in den Akten gesehen, was schon mein Amtsvorgänger und dessen Amtsvorgänger auf diesem Feld alles gebeten und geredet haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Damm?Schmidt, Bundesminister 'der Verteidigung: Aber gern.
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1756 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Herr Minister, wenn Sie die Dinge so betrachten, wie Sie soeben sagen, warum sind ,dann vor vier oder acht Wochen durch Ihr Haus Anordnungen ergangen, Anträgen auf vorzeitige Beurlaubung, und zwar für einen Zeitraum von 14 Tagen, nicht stattzugeben, obwohl diese Anträge mit dem Hinweis gestellt worden sind, daß die Petenten bei Ablehnung ihr Studium nicht beginnen könnten und mehr als ,ein Jahr verlieren würden und sogar Gefahr liefen, ein Jahr später für ein Ingenieurschulstudium gar nichtzugelassen zu werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Damm, was Sie da als Erlaß oder Anordnung zitieren, ist, so wie Sie es zitieren, falsch zitiert. Ich bleibe bei der eben gegebenen Antwort. Wenn in einem Einzelfall wirklich jemand ein Jahr verlieren sollte, würde ich das als eine besondere Härte ansehen und wollte es auch so behandelt wissen, Herr Damm.
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage ,des Abgeordneten Damm, Herr Bundesminister?
Herr Minister, würden Sie die Freundlichkeit haben, die Antworten, die Ihr Parlamentarischer Staatssekretär zu diesen Fragen, und zwar im negativen Sinne, hier in der Fragestunde erteilt hat, einzusehen und zu bekennen, daß Ihr Hinweis leider nicht den Tatsachen entspricht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin gern bereit, auch mit Ihnen persönlich darüber zu sprechen, Herr Damm.Ich wollte, was die Institution des Wehrbeauftragten angeht, auch im Namen der Soldaten, zu deren Sprecher ich mich hier machen muß, dafür Dank sagen, daß diese Institution die Respektierung der Grundrechte der Soldaten und die Innehaltung der Grundsätze der Inneren Führung gegenüber den Soldaten überwacht. Dieser Schutz des Parlaments für den einzelnen Soldaten in seinem persönlichen Anliegen, dieser Schutz, den das Parlament ihm gewährt, macht, dargestellt in der Institution des Wehrbeauftragten und seiner Tätigkeit, für viele wehrpflichtige Soldaten zugleich die parlamentarische Demokratie und den Rechtsstaat zum erstenmal selbst erlebbar. Das merken Sie, wenn Sie mit Wehrpflichtigen in Garnisonen debattieren. Der Verteidigungsminister jedenfalls muß für jede Hilfe dankbar sein, ,die aus dieser Institution kommt.Ich möchte aber auch der Person ein Wort des Dankes sagen. Einmal in .dem Sinne, in dem es vorhin der Kollege Buchstaller ausgeführt hat, weil nämlich Herr Hoogen derjenige war, der diesem Amt — wie es scheint — für längere Zeit Kontur gegeben hat, und zum anderen, weil er auf vielfältige Weise auch zur öffentlichen Diskussion über die Aufgaben und die Erfahrungen auf dem Feld der Inneren Führung beigetragen hat. Ich denke dabei auch an Ihre begrifflichen Distinktionen, vor allem im vorjährigen Bericht. Mancher Vorgesetzte in der Armee hat daraus intellektuelle Anregungen erfahren. Die Berichtedes Wehrbeauftragten werden ja bis zu den Kompanien verteilt. Natürlich, Herr Hoogen, gibt es auch Stimmen, die andere Begriffsschöpfungen, andere Begriffszuordnungen, andere Unterscheidungen für ebenso zweckmäßig oder richtig halten. Ich denke, daß mag auf sich beruhen, weil ich im Grunde begrüße, daß über den Komplex der Aufgaben überhaupt öffentlich debattiert wird.Allerdings scheint mir bei dieser Diskussion zweierlei notwendig: Erstens daß sie nicht im luftleeren Raum von Menschen geführt wird, die selber die Truppe nicht kennen und sich nicht die Mühe geben, sich in den Alltag der Truppe hineinzuversetzen. Die öffentliche Diskussion muß in Berührung mit der Praxis und unter Auswertung der Erfahrungen der Praxis geführt werden. Dieses Erfordernis ist nicht bei allen erfüllt, die an ihr teilnehmen, wie ich feststelle, wenn ich die Zeitung lese. Zweitens müssen bei all dieser Praxisbezogenheit, von der ich eben sprach, sich umgekehrt die Vorgesetzten in der Bundeswehr selbst immer wieder Mühe geben, hinter den praktischen Aufgaben, hinter der Praxis des Truppenalltags die Frage nach dem Sinn und nach den Werten, an denen wir uns orientieren, an denen sich auch die Praxis der inneren Führung orientiert, nicht untergehen zu lassen und die Antworten darauf für die Soldaten durchsichtig und hörbar zu machen.Ich sagte, ich begrüße, daß darüber debattiert wird. Es ist inzwischen öffentlich wohl bemerkt worden, daß ich mich weigere — das ist eine Teilantwort indirekt auch auf die Frage von Herrn Jung —, Denkschemata oder Denkbahnen auf diesem Gebiet durch den Minister auf dem Erlaßwege vorzuschreiben. Das fände ich nicht gut. In der Bundeswehr gilt im Prinzip für Erziehungsfragen — zum Beispiel für Erziehungsfragen — dasselbe, was in .der Gesamtgesellschaft gilt, nämlich Meinungsfreiheit für jedermann, für Generale wie für Leutnante, für Unteroffiziere wie für Wehrpflichtige. Das möchte ich festhalten.
Ich bin dagegen, ,daß ,die Führung die Praxis allzu sehr gängelt.Eine der Erfahrungen aus der kritischen Bestandsaufnahme, .die man bisher als feststehend bezeichnen kann, ist die, daß Diskussion unter Soldaten und Gehorsam sich keineswegs ausschließen — wie manche Altkonservative vielleicht denken könnten —, sondern im Gegenteil sich sehr gut ergänzen. Etwas, was vorher durchdebattiert worden ist, ist, wenn es dann später zu einer bestimmten Meinungsbildung, zum Entschluß und zum Befehl führt, sehr viel leichter zu begreifen. Das ist heute eine notwendige Sache in vielen Fällen: die Motivation oder den Zweck eines Befehls auch begreiflich zu machen, unabhängig davon, daß ihm gehorcht werden soll und gehorcht wird. Der Gehorsam fällt nämlich etwas leichter, wenn man begreift, weshalb und warum. Zumal jüngeren Leuten fällt der Gehorsam leichter, wenn sie begreifen können, wozu und warum.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1757
Bundesminister SchmidtIch möchte hier ein wenig das Verteidigungsministerium und meine Amtsvorgänger in Schutz nehmen gegenüber ein paar unterschwelligen Bemerkungen, die ich heute morgen gehört habe: gegenüber ,dem Vorwurf, es habe an einem Konzept der Inneren Führung der Bundeswehr gefehlt. Das ist, glaube ich, mindestens eine falsche Formulierung, wenn nicht in der Sache eine falsche Vorstellung. Es fehlt nicht an einem Konzept. Es mag an einer verbindlichen Darstellung fehlen, leicht faßlich, für die Hand desjenigen, der nicht allzuviel lesen und begreifen möchte. Das mag so sein. Es gibt nämlich mehrere solcher leicht faßlichen Darstellungen.
— Ich sage es für jedermann.
Ich kann mich erinnern, Herr Kollege Rommerskirchen, daß ein Kollege Ihrer Fraktion nach dem neuen Kompendium, was also notwendig sei, auch schon gefragt hat.
Ich bin gar nicht so sicher, daß das so dringend notwendig sei. Ich bin dagegen, den Soldaten das Denken abzunehmen. Das, was an den Prinzipien der Inneren Führung feststeht, das hat der Deutsche Bundestag ins Grundgesetz hineingeschrieben, zumal in die Grundrechtsartikel. Das, was feststeht und unveränderlich sein soll, hat der Deutsche Bundestag des weiteren ins Soldatengesetz und in eine Vielzahl von anderen Gesetzen hineingeschrieben. Es gibt manches andere, was inneres Gefüge ausmacht, Herr Rommerskirchen, z. B. Personalwirtschaft. Eine miese Personalwirtschaft von oben kann überhaupt nicht durch noch so viel Idealismus und Pflichterfüllung von unten wieder wettgemacht werden.
Was soll da die Truppe mit dem Handbuch?
— Diese Lebenserfahrung, die ich hier eben preisgebe, gilt für alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung, durchaus. Für die Bundeswehr auch, aber nicht nur.
Ich sagte, Herr Rommerskirchen — wenn ich mich noch einmal ein bißchen mit Ihrem Zwischenruf beschäftigen darf —, der wesentliche Teil der Darstellung dessen, was die Grundprinzipien der Inneren Führung ausmacht, steht im Grundgesetz und in den Gesetzen, wo die Rechts- und Pflichtenposition des Soldaten festgelegt ist. Wir sollten uns hüten, den übrigen Teil, der moderne Menschenführung im Alltag der Verwaltung oder der Truppenpraxis angeht, der moderne Führung im Unterricht betrifft, der Personalführung, Personalwirtschaft angeht, der Ausbildungsmethoden, der Laufbahngestaltung angeht, etwa zu kanonisieren. Es gibt Leute, die in Gefahr sind, aus der Inneren Führung eine militärische Quasi-Theologie zu machen. Dem möchte ich nicht gern auf dem Erlaßwege noch meine Hilfe angedeihen lassen.
Die Innere Führung darf nicht, so möchte ich ein bißchen zuspitzen, zu einer von Staats wegen verbindlichen Ideologie denaturiert werden.
— Bitte schön, Herr Rommerskirchen!
Herr Minister, da volle Übereinstimmungbesteht: sind Sie nicht der Auffassung, daß 2. B. Graf Baudissin ,etwas zu viel Kanonisierung und etwas zu viel Ideologisierung vornahm und daß es wirklich richtig wäre, ,das auf erkennbare, griffige Formeln — wenn Sie so wollen — zurückzuführen, die dann jedermann eingängig sind und in ,sein Handeln, in verantwortliche Menschenführung einmünden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Rommerskirchen, ich bin da ein bißchen befangen. Ich bin mit dem Grafen Baudissin seit 15, 16 Jahren gut bekannt und in den letzten zehn Jahren beinahe, muß ich sagen, befreundet. Ich bin ein bißchen befangen. Ich glaube, daß der Staat, daß die Gesellschaft, ,daß der Deutsche Bundestag bei allem, was sie im einzelnen an den Gedanken, die dieser Mann produziert hat, kritisch betrachten mögen, Grund haben, diesem Mann für seine Leistungen in den fünfziger Jahren innerlich dankbar zu sein,
ob sie es nun ,ausdrücken wollen oder nicht. Was er tat, hat damals einige Zivilcourage nicht nur gekostet, sondern auch anderen vorgemacht.
Ich teile nicht alle seine Positionen, aber ich teile den grundsätzlichen Impetus, der von da her kam. Übrigens nicht nur von da her; das muß man der Gerechtigkeit wegen auch sagen. Es gibt auch andere, die auf diesem Felde große Verdienste haben, einige Offiziere, die heute noch im Dienst sind, und andere, die gleich Baudissin inzwischen .ausgeschieden sind. Vielleicht darf ich, wenn hier von ausgeschiedenen Generalen die Rede ist, z. B. den Namen des Grafen Kielmannsegg in diesem Zusammenhang erwähnen. Also es gibt auch ,andere, die auf diesem Gebiet große Verdienste haben, und wenn ich als Beispiel diesen zweiten Namen nenne, dann sind damit auch gewisse Nuancen angedeutet.Was aber die Auseinandersetzung über solche Meinungen angeht, so habe ich vorhin schon gesagt: Generale, Leutnants, Unteroffiziere und Wehrpflichtige haben ,das gleiche Recht auf Meinungsfreiheit in der Bundeswehr. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft. Die Bundeswehr ist eine pluralistische Armee. Es fällt einigen älteren Angehörigen des Offizierskorps schwer, diesen Tatbestand zu akzeptieren. Wir haben auch ein plura-
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Bundesminister Schmidtlistisches Offizierskorps. Es wird in dieser Gesellschaft kein homogenes Offizierskorps mehr geben. Ich bin darüber gar nicht traurig, ich finde das vielmehr ganz richtig; denn es zeigt den Integrationsgrad, der hier besteht, den Grad der gegenseitigen Durchdringung mit den Strukturen der Gesamtgesellschaft. Aber für manche ist das traurig. Ich verstehe deren Traurigkeit. Aber es wird so sein, und ich denke, es muß so sein, daß wir auch eine pluralistische Armee haben, was die Gesinnungen und die Vorstellungen, die Weltanschauungen, die Ideologien — wie immer Sie wollen — der Soldaten angeht. Ich würde mich auch aus diesem Grunde sehr hüten, von Staats wegen oder von mir als Verteidigungsminister aus eine verbindliche Ideologie der Inneren Führung oktroyieren zu wollen.Ich will mich kurz fassen und überschlage manches, was mir aus den Anregungen der vier Redner vor mir eigentlich aufnehmenswert erschienen war, möchte aber doch in dem Zusammenhang dem, was ich :auf Herrn Rommerskirchens Zwischenruf extemporierend gesagt habe, eines noch hinzufügen dürfen. Es gibt draußen im Lande eine ganze Menge Kritiker — es gibt ,auch in der Armeeeinige —, die dem gegenwärtig amtierenden Verteidigungsminister vorwerfen, daß er nicht schon längst die Diskussion über die sogenannte Studie des Führungsstabes des Heeres oder die Diskussion über die sogenannten Leutnantsthesen aus Hamburg „geregelt" oder „eindeutig kanalisiert" oder „beendet" habe. Ich will demgegenüber sagen: Ich habe mit Bewußtsein genau das Gegenteil getan. Ich habe diese Diskussion überall gefördert und sie auf vielen Tagungen mit Soldaten innerhalb der Bundeswehrselbst geführt, weil eine Unterdrückung der Diskussion über Fragen, die aufgetreten sind, genau das Gegenteil von richtig verstandenen Grundsätzen der Inneren Führung gewesen wäre.
Das sage ich auch an die Adresse einiger Anhänger meiner eigenen Partei. Man kann Menschen nicht überzeugen, indem man ihnen von oben einen Befehl mit neuen pädagogischen Grundsätzen auf den Schreibtisch packt. Man kann sie nur überzeugen, wenn man mit ihnen in einer Diskussion geistig ringt, die möglicherweise lange dauern muß. Anders ist das nicht denkbar.
Aber es liegt mir doch am Herzen, noch eines zu sagen, wenn das Hohe Haus bereit ist, noch ein paar Minuten an mich zu verwenden. Es liegt mir am Herzen zu sagen, daß die Diskussion dann irreführend, ja, sogar gefährlich werden kann, wenn das Gespräch über Fragen der Inneren Führung die gesetzlichen oder gar die grundgesetzlichen Grundlagen verläßt, ohne daß dies klar ausgesprochen oder begründet wird. Es gibt hier und da den Versuch, Diskussionen über Fragen der Inneren Führung in ganz etwas anderes umzufunktionieren.Diejenigen, die sich aus innerer Neigung oder aus Gewissensüberzeugung besonders diesen Fragen der Inneren Führung zugewandt fühlen, müssen auch wissen, daß neben der grundgesetzlichen und gesetzlichen Fixierung der Grundlagen der Inneren Führung ebenso das, was dem noch vorangeht, grundgesetzlich und gesetzlich fixiert ist, nämlich die Existenz der Streitkräfte und ihre Verteidigungsaufgabe. Innere Führung würde dann nicht nur in Mißkredit, sondern in große Schwierigkeiten geraten, wenn sie als Mittel verstanden werden sollte oder mißbraucht werden sollte, die Streitkräfte zu etwas anderem als dem, was das Grundgesetz mit ihnen gewollt hat, umzufunktionieren. Der Beitrag der Streitkräfte zur Friedenssicherung liegt in erster Linie, wie wir alle wissen, in unserem Beitrag zur Abschreckung im Rahmen des Bündnisses. Diese Aufgabe haben die anderen Armeen gemeinsam mit uns. Dieser Beitrag und der militärische Schutz durch das Bündnis sind notwendige Voraussetzungen für unsere Politik, insbesondere auch für unsere Entspannungs- und Abrüstungspolitik — niemand wünscht sie mehr als ein Soldat.Diese kurze Einfügung, die Ihnen als Abschweifung erscheinen mag, erscheint mir notwendig, weil gelegentlich in Diskussionen über Fragen der Inneren Führung, und zwar häufig von Außenstehenden, von Leuten außerhalb der Bundeswehr, der Auftrag gestellt wird, im Rahmen der Diskussion über Innere Führung sei dem Soldaten gefälligst klarzumachen, daß der Waffengebrauch, den er zu erlernen habe, dem Schutz von Staat und Gesellschaft heute in Wirklichkeit nicht mehr dienen könne. Dies geht mir nun eindeutig zu weit. Das will ich hier deutlich sagen.
Wer den Beitrag der Streitkräfte zur gemeinsamen Sicherung in den Gesamtzusammenhang der Politik dieses Staates nicht einordnen kann und ihn nicht von dem Gesamtzusammenhang der Politik her interpretiert, überfordert nicht nur die Innere Führung und den Soldaten. Er muß es sich gefallen lassen, von mir ein Militarist genannt zu werden, Militarist in dem Sinne, daß er politische Probleme militärisch isoliert zu betrachten und zu beurteilen sucht.Ich würde gerne noch etwas zu Ihren Bemerkungen über das Berufsbild, Herr Hoogen, sagen. Sie haben von einer — wenn ich es mir richtig notiert habe — gesetzlichen Berufsordnung für „das Berufsbild" des Soldaten gesprochen. Erlauben Sie mir, daß ich vor dem Hause meine deutlichen Zweifel zum Ausdruck bringe bei aller Hochachtung vor vielen Passagen des Berichts im übrigen und insbesondere gegenüber Ihrem vorjährigen Bericht, der mich damals als Abgeordneten in mancher Weise noch mehr interessiert hat als der gegenwärtige, weil er eine Fülle von Erfahrungsstoff in Einzelfällen ausbreitete. Aber was die gesetzliche Regelung „des Berufsbildes" angeht, so ist zunächst einmal der Ausdruck „Berufsbild" in der Gesetzessprache ein bereits benutzter Terminus technicus. Das wissen die Arbeitsrechtler. Es gibt bestimmte Vorstellungen, die man damit verbindet. Ich glaube nicht daß
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Bundesminister Schmidtes in dem Sinne ein Berufsbild des Soldaten im Singular gibt.
— Nein, auch nicht für den Berufssoldaten, Her Kollege Schmidt. Das glaube ich nicht.Wenn Sie zu irgendeinem Luftwaffengeschwader gehen und sich mit den Flugzeugführern unterhalten, an die wir alle gerade gestern und heute in einem besonderen Zusammenhang wieder gedacht haben, gibt es gar keinen Zweifel — für Sie nicht und für niemanden —, daß es ein ausgeprägt soldatischer Beruf ist, den sie ausüben, im Jabo-Geschwader beispielslweise. Wenn Sie in demselben Geschwader in den nächsten Kasernenblock gehen, finden Sie dort 200 Leute, die ihr ganzes militärisches Leben nichts anderes tun, als sechs-, siebenmal innerhalb von drei Wochen auf Wache zu ziehen und diesen riesigen Flugplatz zu bewachen. Ihr ganzer militärischer Lebensinhalt besteht nur darin.
— Und die Wehrpflichtigen haben Unteroffiziere und Feldwebel zu Vorgesetzten. Es ist doch ein Wachhabender auf der Wache. Dann kann man sich schon fragen: wie groß ist eigentlich der Unterschied zur Wach- und Schließgesellschaft?
— Bitte sehen Sie sich mal an, Herr Barzel, was das für eine entsetzliche und mit soldatischem Beruf wenig zu tun habende Sache ist, jahraus jahrein auf Wache gehen zu müssen, in einem bestimmten Häuschen stehen zu müssen, aufzupassen, daß irgend etwas nicht gestohlen wird, was eh nur einmal im Jahrhundert vorkommt.
— Ich lege mich ja gern mit Ihnen an, Herr Barzel. Es wird ja auch Zeit, daß das einmal passiert.
— Legen Sie es nicht so auf die Waagschale.Ich möchte Ihnen das dritte Beispiel geben: der Mann in demselben Jagdbombergeschwader, der die Starfighter oder vielmehr nur ein bestimmtes kleines Teil aus dem Starfighter, das er beherrscht, wartet und dessen ganzer Beruf darin besteht, das immer so akkurat und zuverlässig wie möglich zu warten. Er ist nicht Dienstvorgesetzter von 30 oder 40 Soldaten, aber er ist Feldwebel und hat diese Geräte zu warten. Das kann er auch, er ist Meister. Wie unterscheidet der sich eigentlich von dem anderen Meister, der in Hamburg-Fuhlsbüttel auf der Instandsetzungswerft der Deutschen Lufthansa Flugzeuge ähnlicher Kompliziertheit mit ähnlicher Akkuratesse und ähnlicher Verantwortung zu warten hat?
— Sie nehmen mir das Wort von den Lippen. Er unterscheidet sich nur darin, daß er schlechter bezahlt wird und daß er zusätzlich gegenüber dem Techniker in der zivilen Luftwerft gewisse Einschränkungen seiner bürgerlichen Freiheiten als Soldat hinnehmen muß, wie sie im Soldatengesetz für ihn vorgeschrieben sind.Damit bin ich jetzt bei der positiven Antwort auf die Frage nach dem Berufsbild. Gemeinsam ist den Soldaten die Rechte- und Pflichtenposition, wie sie sich aus ,dem Grundgesetz und .aus dem Soldatengesetz ergibt. Das ist gemeinsam, aber idas schafft noch nicht ein gemeinsames Berufsbild. Im Gegenteil, ich würde wünschen, daß wir alle mehr und mehr dazu kämen — hier ist mit großer Zustimmung Steinhoff zitiert worden, der sich vom Spezialistentum sehr viel verspricht —, zu begreifen, daß es heutzutage sehr viele, sehr verschiedene, sehr verschiedenartige soldatische Berufe gibt und daß z. B. die Idee von dem Einheitsoffizier wirklich tot und zu Ende sein muß.
Ich habe vorhin eine Bemerkung gemacht, mit der ich, indem ich sie wiederaufnehme, auch schließe. Ich habe vorhin, glaube ich, folgendes gesagt: Wenn das Parlament über die Innehaltung der Grundsätze der Inneren Führung in der Truppenpraxis wachen will — es hat dafür sogar eine Institution geschaffen, die in hervorragender Weise von Herrn Hoogen ausgefüllt worden ist —,
sollte es sich bitte darüber im klaren sein, daß zur Inneren Führung auch gehört, daß es denjenigen, denen man Pflichten auferlegt, denen man Vorschriften macht, wie sie mit Menschen umgehen sollen, dann auch als Dienstherr dabei helfen muß — ich sage noch einmal: das Parlament ist letztlich der Dienstherr —, ihre Pflichten zu erfüllen. Wenn es heute, wie Herr Hoogen vorhin gesagt hat, in der Bundeswehr über 30 % unbesetzte Unteroffiziersstellen gibt — stellen Sie sich einmal vor, in den deutschen Volksschulen wären 30 % der Lehrerstellen nicht besetzt — —
— Nein, nein, das ist nicht der Fall. Bei uns in Hamburg ist es nur 1 %. Ich weiß nicht, aus welchem Landesteil Sie kommen; ich weiß nicht, für welche Provinz Sie sprechen, Herr Kollege.
Ich sage: unbesetzt, und zwar nicht etwa deshalb, weil die Leute gerade Urlaub haben oder krank sind, sondern überhaupt nicht vorhanden. Angesichts dieser Tatsache muß sich das Parlament fragen, ob es selber alles Notwendige getan hat, um dieser Not Herr zu werden. Hier führt man vielerlei rechtliche, disziplinarische und philosophische — unter welchem Gesichtspunkt Sie es auch immer sehen wollen — Gründe an. Manche begründete Rüge richtet sich in Wirklichkeit gegen jemanden, der in der Truppe durch die Aufgaben, die ihm
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Bundesminister Schmidtgestellt werden, sehr stark überfordert ist, eben weil die nötigen jungen Offiziere und Unteroffiziere nicht vorhanden sind und er alles zusammen allein machen muß.Ich habe auf einer Tagung von Leutnanten und Oberleutnanten, die wir im Zusammenhang mit der Bestandsaufnahme durchgeführt haben, ein schlimmes Wort gehört. Die jungen Leute machten übrigens einen vorzüglichen Eindruck und waren in zweierlei Weise besonders beeindruckend: einmal in der Darstellung ihres Hungers nach mehr Bildung und mehr Ausbildung, die sie sich als junge Offiziere wünschten, zum anderen hinsichtlich der Akkuratesse, mit der sie diskutieren konnten, der Prägnanz, mit der sie sprachen. Dort wurde aber, wie gesagt, ein schlimmes Wort produziert. Jemand sagte nämlich unter Zustimmung seiner Kameraden, sie seien inzwischen in die Lage der Notwendigkeit zum „selektiven Gehorsam" gekommen. Das war nicht so gemeint, daß der Mann ungehorsam sein oder dartun wollte, sie alle seien ungehorsam, sondern es war so gemeint: Wir sollen so viel gleichzeitig tun, daß wir uns halt das, was wir wirklich tun können, aussuchen müssen. Das andere sollen wir zwar auch tun, aber das können wir gar nicht gleichzeitig. Wir sollen so viel gleichzeitig tun, daß wir selektieren müssen.Das ist eine schlimme Situation, und das führt dann bei Alteren, die nicht mehr ganz so viele seelische Widerstandskräfte haben, irgendwann auch in ,die Resignation, wie hier und da deutlich zu beobachten ist. Ich meine also, wenn von Fürsorge die Rede ist — ich bin Herrn Hoogen sehr dankbar für die Hinweise in seinem Bericht auf das Gebiet der Truppenfürsorge im allgemeinsten Sinne —, daß es Sache ,des Parlaments sein wird, in Zukunft auf diesem Feld selber auch etwas zu tun.Was mich angeht, will ich dazu nur sagen: Hier ist mehrfach das beabsichtigte Weißbuch angesprochen worden. Sie werden es so rechtzeitig bekommen, daß hier vor den Sommerferien darüber debattiert werden kann.
Man wird dann der Plenardebatte des Hauses über dieses Papier entnehmen können, was das Haus denkt, und es werden die Sommerferien. daraufhin genutzt werden, um, soweit notwendig, darauf basierende Gesetzesvorlagen zu erarbeiten.Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren, daß die große Mehrzahl der Soldaten, angefangen von den Wehrpflichtigen über die Unteroffiziere bis ins Offizierskorps und zu den Generalen, innerlich nur zu sehr darauf wartet, am allgemeinen Fortschritt der Gesellschaft teilzunehmen. Manches können die Soldaten aus Eigenem tun, manches müssen wir als Legislative oder als Bundesregierung dazu tun. Auch das sollte man aus dem Bericht des Herrn Wehrbeauftragten erkennen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Sie nicht über Gebühr in Anspruch nehmen.
Aber der Kollege Damm hat hier meinen Namen genannt, und das gibt den Anlaß, Ihnen mitzuteilen, daß es nach den Feststellungen, die ich in der kurzen Zeit bisher treffen konnte, keinen einzigen Soldaten gibt, der als Wehrpflichtiger ein Jahr seiner Ausbildung als Student verloren hat, weil er unzeitgemäß entlassen worden ist.
Darüber hinaus will ich Sie davon in Kenntnis setzen, daß am 23. dieses Monats die Abschlußphase der Verhandlungen zwischen der Kultusministerkonferenz, der Rektorenkonferenz und dem Bundesministerium der Verteidigung beginnt zu dem Zwecke, eine Abstimmung zu erreichen, die es ermöglicht, Wehrpflicht und Studienbeginn miteinander abzugleichen. Ich bin der Überzeugung, daß uns eine Sonderregelung diesen Termin nicht so frühzeitig beschert hätte. Die Ablehnung einer neuen Sonderregelung konnte ich aber hier vor dem Hause vertreten, weil § 8 Abs. 3 der Soldatenurlaubsverordnung es zuläßt, daß Bataillonskommandeure in Härtefällen bis zu vierzehn Tagen Urlaub gewähren und, sofern die vierzehn Tage nicht ausreichen, der Divisionskommandeur vier Wochen genehmigen kann.
Bataillonskommandeur und Divisionskommandeur sind näher bei den Truppen als beispielsweise der Bundesminister der Verteidigung.
Ich will abschließend feststellen, daß ich Verständnis dafür habe, daß diese Frage hier immer wieder eine Rolle spielt. Ich aber bitte darum, dafür Verständns zu haben, daß eine generelle Regelung durch den Bundesminister der Verteidigung notwendiger und vernünftiger ist, als wenn alle Jahre wieder Ausnahmeregelungen getroffen werden.
Dias Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Zimmermann.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich habe es von Anfang an bedauert, daß der Ältestenrat für die Aussprache über den Bericht des Wehrbeauftragten nur einen Sprecher je Fraktion vorgesehen hat, weil ich meine, daß gerade dieser Bericht des Wehrbeauftragten Anlaß zu einer größeren und ausfürlicheren Debatte über die Bundeswehr, nicht etwa
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Dr. Zimmermannüber die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland, hätte sein sollen.Nun hat der Herr Bundesminister der Verteidigung, was ja bei diesem Anlaß sehr nahe lag, das Wort ergriffen und hat einiges gesagt, was in seinem Gehalt weit über den Bericht und über das, was die Sprecher der drei Fraktionen zu diesem Bericht anzumerken hatten, hinausgeht. Ich will im Interesse des Hauses, das ungewöhnlich gut besetzt ist und das, wie ich bei den Ausführungen des Herrn Ministers sehen konnte, eine solche Debatte wohl sehr gerne gesehen hätte, darauf nicht näher eingehen. Ich will den Zeitplan des Hauses nicht stören, die wichtigen Probleme der Landwirtschaft und andere, vor allem die Wahl des Nachfolgers des gegenwärtigen Wehrbeauftragten. Aber einige Bemerkungen zu diesem Eröffnen einer Debatte durch den Herrn Minister muß ich doch machen, vor allem zu seiner Interpretation des Begriffs „Dienstherr".Herr Kollege Schmidt, ganz so einfach dürfen Sie es sich nicht machen. Sie können nicht einfach sagen, Sie liebten dieses Wort nicht. Der Meinung kann man sein. Aber es gibt dieses Wort; es ist da. Es ist in der Verfassungswirklichkeit und im Sprachgebrauch
täglich in unseren Gesetzen und in unserem Grundgesetz anzuwenden. Sie können also nicht einfach sagen, Sie liebten es nicht, und eigentlich seien Sie auch nicht der Dienstherr der Bundeswehr, sondern das sei das Parlament, das seien wir alle. Das ist eine sehr nette Sache, daß Sie mit uns etwas so Wichtiges wie die Dienstherrneigenschaft teilen wollen. Herr Minister, wollen Sie mit uns auch den Oberbefehl teilen?
Sehen Sie, das ist nicht ganz voneinander zu trennen. Sie — und nicht das Parlament — sind nun einmal Oberbefehlshaber der Streitkräfte im Frieden und damit auch Dienstherr. Warum? — Der Begriff „Dienstherr" ist, wie wir heute wissen, ganz anders auszulegen als das, was man früher unter „Dienst" und „Herr" im strengsten und altpreußischen Sinne verstanden wissen wollte. Aus der Dienstherrneigenschaft fließt gerade die Fürsorgeverpflichtung, die nur der Dienstherr hat und die ihm niemand abnehmen kann.
Das eine bedingt das andere. Es ist ganz klar, daß aus der Ministerverantwortlichkeit, die Sie, Herr Kollege Schmidt, als Oberbefehlshaber und als Dienstherr haben, als der, der allein die Fürsorgepflicht gegenüber seinen ihm Anvertrauten hat — auf Grund der von diesem Hause erlassenen und noch bestehenden Gesetze —, daß also aus dieser Ministerverantwortlichkeit, die Oberbefehl und Dienstherrneigenschaft bedingen, Ihre ganz persönliche Verantwortung wächst, eine Verantwortung, die Ihre Vorgänger in schwierigen Zeiten tragen mußten, getragen haben und aus der sie Konsequenzen zu ziehen hatten.Ich erlaubte mir diese Anfügungen, weil ich meine, daß auch dann, wenn 61 % der Beschwerden sozialeFragen betreffen, die mit der Fürsorgepflicht zusammenhängen, juristische Begriffe so gesehen werden müssen, wie sie sind, und man nicht mit einer großen Geste die Dienstherrneigenschaft auf das ganze Haus verlagern sollte. Sie wissen ganz genau, daß dieses Haus — nicht nur meine Fraktion, dieses Haus — bereit ist, Sie auf dem Wege der Gesetzgebung bei der Lösung sozialer Probleme in. der Bundeswehr in jeder Beziehung zu unterstützen.
Sie wissen ebenso gut, daß vieles dabei von solcher Komplexität ist, daß es sich Initiativen und Anträgen aus diesem Hause entzieht, weil die Vorarbeiten ohne engste Befassung mit Ihrem Haus gar nicht zu machen sind.Es gibt aber eine ganze Reihe von Fragen, die Sie auch ohne dieses Haus lösen können. Lassen Sie mich eines von vielem herausgreifen, was nebensächlich erscheinen mag, aber gar nicht so nebensächlich ist: Längst gehört z. B. der Erlaß aufgehoben, der vor 10 Jahren sicher berechtigt war, daß kein Zivilangestellter und kein Soldat der Bundeswehr nach Jugoslawien in Urlaub fahren darf. Der ist obsolet, der ist überflüssig, der ist veraltet. Er entbehrt heute jeder Grundlage. Er kann jederzeit aufgehoben werden. Das nur als Beispiel dafür, daß es viele Dinge auch in diesem Hause gibt, wo Sie Parlament und Gesetzgeber nicht brauchen, wo Sie schon vor dem Abschluß Ihrer Bestandsaufnahme durchaus handeln können; ein großes Feld, ein weites Spektrum, und nach wie vor, Herr Minister Schmidt, immer gute Zusammenarbeit, nur mit einer Trennung der Gewalten, die einfach nicht wegzuwischen ist.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das muß ja nun kommen, Herr Zimmermann; die fünf Minuten müssen Sie auch noch drangeben.Das Beispiel, das Sie gebraucht haben, akzeptiere ich. Ich will mich nächste Woche darum kümmern. Es gibt tausend derartige Beispiele; ich könnte auch sagen: zweitausend. Ich bin sicher, daß ich Ihnen nach 14 Tagen den Beweis für zweitausend Beispiele führen könnte. Nur würde ich Ihnen nicht empfehlen, sie hier alle vorzubringen; denn sie treffen weniger mich als andere.
— In Zukunft; ich bin noch nicht so lange da. Vorher waren andere da.Daß etwa für die ganze Bundeswehr zentral die Papierkörbe nach öffentlicher Ausschreibung in Koblenz beschafft werden müssen, auch die Papierkörbe für Flensburg und Mittenwald, wäre auch ein Beispiel dieser Art,
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Bundesminister Schmidtund zwar mit technischen Lieferbedingungen; da wird genau beschrieben, wie die Papierkörbe aussehen müssen. Lassen wir das.Ich möchte auf den ernsten Punkt eingehen, der hier, wenn auch kollegialen Tones, vorgebracht wurde, den „Dienstherrn". Ich habe das Wort gebraucht und habe nachher hinzugefügt, ich liebte das Wort nicht sonderlich, und dabei bleibe ich. Ich halte es von dem Begriff her für ein Relikt.Ich will keineswegs, Herr Zimmerman, die Verantwortung verwischen zwischen der Bundesregierung und dem Parlament oder zwischen einzelnen Mitgliedern der Bundesregierung und dem Parlament. Der Verteidigungsminister, dem im Grundgesetz eine bestimmte Aufgabe zugemessen ist, ist in besonderer Weise ein einzelnes Mitglied der Bundesregierung. Keineswegs will ich das verwischen. Übrigens, diese besondere Aufgabe hat der Verteidigungsminister, wie Sie mit Recht zitiert haben, im Frieden. Der Vollständigkeit halber hätten Sie dann die besondere Aufgabe des Bundeskanzlers, die wir beide auch bejahen, mit zitieren sollen. Es ist manchmal bei Bundeskanzlern so gewesen, daß sie die nie im Blick gehabt hatten und dann in gewissen Situationen plötzlich erschreckt waren über das, was sie eigentlich alles hätten wissen müssen.Nun die Fürsorge! Ich akzeptiere gern, höre gern und quittiere gern, daß die CDU/CSU — ich weiß nicht genau, ob Sie für die Fraktion oder nur für Ihre eigene Überzeugung gesprochen haben —, daß Sie sagen, wir wollen helfen, aus Fürsorgegründen Gesetze zu ändern. Genau das habe ich aber auch gemeint. Darauf sind die Soldaten angewiesen. Es ist nicht so, daß die Fürsorge — und das ist der Punkt, den ich zurückweisen muß — ausschließlich Sache des Verteidigungsministers wäre. Der kann nur im Rahmen der ihn bindenden Gesetze tätig werden, und an vielen Stellen müssen die Gesetze noch weiterhin geändert werden, wenn wir uns darin einig sind.Ich habe vor ein paar Tagen eine Plenardebatte nachgelesen, als, glaube ich, Herr von Hassel Verteidigungsminister war — es kann auch schon Herr Schröder gewesen sein. Da habe ich, als Abgeordneter sprechend, dies Amt des Verteidigungsministers qualifiziert, was es für den Inhaber des Amtes an Belastung bedeutet. Machen Sie bitte die Last nicht noch größer, indem Sie mich zum Alleinverantwortlichen für die Fürsorge in der Bundeswehr stempeln. Das bin ich nun wirklich nicht, kann ich auch nicht sein, denn der Verteidigungsminister ist eben an geltende Gesetze gebunden, z. B. was Besoldung angeht, z. B. was Zulagen angeht für bestimmte Funktionen, z. B. was Mietzuschüsse für Soldaten angeht, die alle zwei Jahre versetzt werden und an jedem Standort, an den sie neu hinkommen, zunächst einmal eine höhere Miete zahlen müssen als die, die sie am vorigen Standort bezahlt haben. Das sind alles Dinge, die der Verteidigungsminster allein nicht ändern kann, zu denen er aber Ihnen gesetzgeberische Vorschläge machen wird.
Das Wort ?hat der Abgeordnete Damm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist nur eine sporadische Debatte, und ich antworte lediglich auf die Zwischenbemerkung, die der Kollege Berkhan von diesem Platz aus gemacht hat.Meine Damen und Herren, es gibt Beweise — einen Fall, Herr Berkhan, haben wir schriftlich miteinander verhandelt —, daß jemand, der Soldat ist und einen Antrag gestellt hatte, 14 Tage vorher entlassen zu werden, um sein Studium an der Ingenieurschule aufzunehmen, von seinem Divisionskommandeur einen negativen Bescheid erhalten hat — das war vor etwa acht Wochen —, und zwar mit dem Hinweis darauf, daß vom Verteidigungsministerium eine entsprechende Anweisung ergangen sei, anders als noch vor einem halben Jahr zu handeln, weil inzwischen ein Gerichtsurteil vorliege, daß man in Kauf nehmen müsse, daß es eine zumutbare Härte sei, wenn man dadurch mindestens ein Semester verliere. Dieser junge Mann, von dem ich hier rede — den Fall kennen Sie genauso wie ich —, hatte in seinem Gesuch zum Ausdruck gebracht, daß er in Hamburg überhaupt erst wieder in einem Jahr sein Studium beginnen könne, daß er also nicht nur ein halbes Jahr, sondern ein ganzes Jahr verlieren würde und daß noch hinzukäme, daß es zweifelhaft sei, ob er in einem Jahr überhaupt den Numerus clausus wieder würde durchbrechen können.Das war gemeint, Herr Berkhan, als ich hier den Verteidigungsminister auf die seltsame Unflexibilität seines Ministeriums in solchen Fällen vor acht Wochen hinwies. Inzwischen ist durch die Interpellationen zahlreicher Kollegen dieses Hauses und in den mündlichen Antworten in den Fragestunden Ihre Haltung flexibler geworden. Meine Frage an den Minister war ja auch, warum es erst zu dieser unflexiblen Haltung und der Verwirrung bei den Antragstellern hatte kommen müssen.Meine Damen und Herren, eine zweite kleine Bemerkung. Der Verteidigungsminister hat sich hier als Propagandist für die Hansestadt Hamburg .betätigt und darauf hingewiesen, wir hätten nur einen Lehrermangel von 1 %. Einen Lehrermangel von 1 % halben wir, was die Zahl der unbesetzten Stellen betrifft. Der Schulsenator in Hamburg hat eigens zum Ausdruck gebracht, man könnte und müßte viel mehr Lehrer haben, man habe aber gar nicht mehr Stellen in den Haushalt eingebracht, weil man glaube, man könne sie doch nicht besetzen. Der Lehrermangel ist also wesentlich größer. Es gibt leinen objektiven Beweis dafür, Herr Kollege Schmidt. Vor zwei Wochen haben in Hamburg 4000 Lehrer demonstriert, sind auf .die Mönckebergstraße gegangen, weil sie der Meinung sind, daß die Schulverhältnisse in Hamburg noch nie so schlecht waren, wie sie zur Zeit sind. Ich darf hinzufügen, Herr Kollege Schmidt: seit zwölf .Jahren regieren in Hamburg die Sozialdemokraten.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1763
DammEin allerletztes Beispiel, auch zum Thema „Dienstherr". Wir wollen sicherlich die Verantwortung des Parlaments für die Bundeswehr nicht verkleinern. Aber es gibt eben nur die Möglichkeit, daß wir Gesetze beschließen oder generelle Beschlüsse fassen oder das Geld zur Verfügung stellen. Wenn dann der Minister nicht das tut, was seine Sache ist, können wir uns auf den Kopf stellen:
wir werden immer wieder dieselben Kalamitäten erleben. Ein Beispiel ist die Fachoffizierlaufbahn, eine Sache, die wir hier gemeinsam für vernünftig gehalten und beschlossen haben. Ihre Verwirklichung ist leider noch nicht so, daß die Verwirrung bei den in Frage kommenden Feldwebeln endlich beseitigt wäre. Anstatt dem Wunsch des gesamten Parlaments und des Verteidigungsausschusses zu folgen, alle in Frage kommenden Unteroffiziere persönlich zu unterrichten, ist jetzt vor wenigen Tagen wieder über den Dienstweg ein Ukas ergangen, der darlegt, wie man Fachoffizier werden kann; aber die versprochene Information an alle Ober- und Hauptfeldwebel ist nicht ergangen. Was sollen wir anderes tun, als den Verteidigungsminister bitten? Die Verwaltungskompetenz, Herr Minister Schmidt, haben wir nicht, sondern Sie. Ich meine, wir sollten Ihnen in einem zustimmen: die Erwartungen an Sie, Sie wären der „Traum-Minister", sind sicher überspannt. Sie können nicht alles anders machen, als es vorher gewesen ist. Manches können Sie vielleicht besser;
aber ,Sie können nicht alle Erwartungen erfüllen. Ohne den Verteidigungsminister und seine volle Verantwortlichkeit als Chef des Ministeriums und der Bundeswehr ist nun allerdings auch der Bundestag nicht in der Lage, Mißstände bei der Bundeswehr zu beseitigen. Sie werden also wahrscheinlich nicht umhinkönnen, das zu tun, was auch Kollegen vor Ihnen haben tun müssen, nämlich dafür zu sorgen, daß in Ihrem eigenen Laden Ordnung herrscht.
Wird weiter das Wort gewünscht?
— Ich bin den Hamburger Kollegen dankbar, daß sie nicht alle das Wort ergreifen.Ich schließe die Aussprache und schlage Ihnen vor, den Jahresbericht des Wehrbeauftragten an den Verteidigungsausschuß zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so 'beschlossen.Ich rufe Punkt 3 der heutigen Tagesordnung auf: Wahl des Wehrbeauftragten des BundestagesNach § 13 des Gesetztes über den Wehrbeauftragten vom 26. Juni 1957 in Verbindung mit §116 a der Geschäftsordnung wählt der Bundestag den Wehrbeauftragten in geheimer Wahl mit der Mehrheit seiner Mitglieder. Stimmberechtigt sind bei dieserWahl alle Mitglieder des Hauses, auch die Berliner. Eine Aussprache findet nicht statt. Es können deshalb jetzt nur Wahlvorschläge gemacht werden.Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei hat mir mit Schreiben vom 9. März 1970 den Abgeordneten Fritz-Rudolf Schultz benannt. Werden außer ihm noch weitere Vorschläge gemacht? — Das ist nicht der Fall. Ich stelle fest, daß dem Hause nur der Wahlvorschlag der FDP-Fraktion vorliegt, in dem .der Bundestagsabgeordnete Fritz-Rudolf Schultz vorgeschlagen wird. Ich habe festgestellt, daß der Vorgeschlagene die Voraussetzungen des §,14 Abs. 1 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten erfüllt, d. h. insbesondere, daß er mindestens ein Jahr Wehrdienst geleistet hat.Ich darf nunmehr zum Wahlverfahren kommen. Um den zeitraubenden Namensaufruf zu vermeiden, haben Sie in der Wandelhalle Wahlausweise erhalten oder können sie dort sofort abholen. Diese Ausweise bitte ich den Schriftführern vor dem Betreten der Wahlzelle abzugeben. Die Schriftführer werden bei der Abgabe des Wahlausweises eine Stimmkarte nebst Umschlag aushändigen. Die Stimmkarten müssen in der Wahlzelle ausgefült und in den Wahlumschlag gelegt werden. Die Kennzeichnung der Stimmkarte oder das Einlegen in den Wahlumschlag außerhalb der Wahlzelle führt zur Zurückweisung des Abstimmenden. Er verliert allerdings nicht das Recht, seine Stimmabgabe vorschriftsmäßig zu wiederholen.Ich schlage vor, wie folgt abzustimmen: Wer für den Vorschlag Fritz-Rudolf Schultz ist, schreibt ja. Sollten Sie allerdings den Namen schreiben, so ist auch das eine gültige positive Abstimmung; einfacher aber ist es sicherlich, ja zu schreiben. Wer gegen den Vorschlag ist, schreibe nein. Wer sich der Stimme enthalten will, gebe eine weiße Stimmkarte ab. Gewählt werden kann ausschließlich der vorgeschlagene Kandidat. Stimmkarten, die andere Namen tragen oder mit Zusätzen versehen sind, sind ungültig. Auch die Verwendung anderer als der amtlichen Stimmzettel macht die Stimme ungültig.Ich bitte nun die Schriftführer, die ihren Dienst an den Wahlurnen und an den Wahlzellen übernommen haben, ihre Plätze einzunehmen. Sie, meine Damen und Herren, bitte ich, sich zu einer der beiden Wahlurnen zu begeben und dort die Stimmkarten einzuwerfen.Ich eröffne die Wahl. —Meine Damen und Herren, ich darf die Pause, die durch die Stimmabgabe entsteht, dazu benutzen, hier sieben Senatoren aus Vietnam willkommen zu heißen.
Sind noch Damen und Herren im Saal, die ihrer Abstimmungspflicht nicht genügt haben? —Ich schließe die Abstimmung. Die Auszählung beginnt. —Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat fahren wir während der Auszählung mit der Beratung fort. Ich rufe daher die Punkte 8 bis 16 der Tagesordnung auf:
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1764 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Vizepräsident Dr. Jaeger8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Straffreiheit
— Drucksache VI/486 —9. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über technische Assistenten in der Medizin
— Drucksache VI/385 —b) Erste Beratung des von dien Abgeordneten Dr. Jungmann, Frau Kalinke und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über technische Assistenten und Gehilfen in der Medizin
— Drucksache VI/445 —10. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schmid-Burgk, Dr. Pohle, Porzner, Dr. Koch, Frau Funcke, Freiherr von KühlmannStumm und den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964— Drucksache VI/389 —11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kaffeesteuergesetzes und des Teesteuergesetzes— Drucksache VI/396 —12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu .dem Abkommen vom 17. September 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern bei den Unternehmungen der Luftfahrt— Drucksache VI/397 -13. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Dittrich, Draeger, Seibert und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes zur Neuordnung der Pensionskasse Deutscher Eisenbahnen und Straßenbahnen— Drucksache VI/402 -14. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDPbetr. Vorlage eines Entwurfs für ein Verwaltungsverfahrensgesetz— Drucksache VI/409 —15. Erste Beratung des von den Abgeordneten Engelsberger, Strauß, Dr. Pohle, Haage , Schmidt (Kempten), Ollesch und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes— Drucksache VI/428 —16. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache VI/429 —Das Wort wird nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt vor, Punkt 8 an den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform als federführender Ausschuß sowie an den Innenausschuß zu überweisen.Beide Gesetzentwürfe unter Punkt 9 der Tagesordnung sollen nach dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit als federführendem Ausschuß sowie dem Ausschuß für Wirtschaft überwiesen werden.Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates zu Punkt 10 der Tagesordnung geht dahin, den Gesetzentwurf dem Finanzausschuß zu überweisen.Dasselbe gilt für die Punkte 11 und 12 der Tagesordnung.Der Ältestenrat schlägt zu Punkt 13 der Tagesordnung vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung als federführendem Ausschuß, dem Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen als mitberatendem Ausschuß sowie dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen.Der Antrag unter Punkt 14 der Tagesordnung soll nach dem Vorschlag des Ältestenrates dem Innenausschuß überwiesen werden.Zu Punkt 15 schlägt der Ältestenrat vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu überweisen.Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates zu Punkt 16 der Tagesordnung lautet, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Wirtschaft als federführendem Ausschuß sowie dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen.Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr die Punkte 21, 22 und 23 auf:21. Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — Immunitätsangelegenheiten —betr. Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Dr. Müller-Hermann gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 29. September 1969— Drucksache VI/422 —Berichterstatter: Abgeordneter Schulte
22. Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — Immunitätsangelegenheiten —
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Vizepräsident Dr. Jaegerbetr. Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Bundesminister Schmidt gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 8. Dezember 1969— Drucksache VI/423 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Stark
23. Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — Immunitätsangelegenheiten—betr. Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Wehner gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 10. Dezember 1969— Drucksache VI/424 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Stark
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Haus wünscht es auch nicht.Wird das Wort zur Aussprache verlangt? — Das ist nicht der Fall.Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber, da in allen Fällen der gleiche Antrag gestellt ist, gemeinsam abstimmen? — Ich höre keinen Widerspruch.Wer den Ausschußanträgen auf den Drucksachen VI/422, VI/423 und VI/424 zustimmen will, der gebe ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimme. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Das ist einmütig so beschlossen.Ich rufe nunmehr die Punkte 24 bis 26 der Tagesordnung auf:24. Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der EG-Kommission für eine Verordnung des Rates zur Verlängerung der Haushaltsordnung über die Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans der Europäischen Gemeinschaften und über die Verantwortung der Anweisungsbefugten und der Rechnungsführer für 1970eine Verordnung des Rates zur Durchführungder Rechnungslegung und Rechnungsprüfung— Drucksachen VI/190, VI/451 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammer25. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft über die von der Bundesregierung erlassenenVerordnungen über die Erhebung einer Ausgleichsabgabe zur Sicherung der deutschen LandwirtschaftVerordnungen zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksachen VI/59, VI/147, VI/ 173, VI/214, VI/314, VI/315, VI/462 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Giulini26. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft über die von der Bundesregierung erlasseneAchtzehnte Verordnung zur Änderung der AußenwirtschaftsverordnungAchtunddreißigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz —Zwanzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste— Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung —— Drucksachen VI/207, VI/209, VI/210, VI/463 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. GiuliniWünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das Haus wünscht es auch nicht.Wird das Wort zur Aussprache verlangt? — Das ist nicht der Fall.Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen? — Ich höre keinen Widerspruch.Ich komme zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen VI/451, VI/462 und VI/463. Wer zustimmen will, der gebe ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Dann ist einstimmig so beschlossen.Das sind alles Routinepunkte gewesen. Jeder weitere Punkt benötigt, soweit ich sehe, Redner.
— Die Punkte 18 und 19 sind zweite Beratungen und Schlußabstimmungen. Aber wir könnten das machen, weil vermutlich keine Wortmeldungen vorliegen.Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Zusatzvertrag vom 7. Februar 1969 zur Durchführung und Ergänzung des Vertrages vom 7. Mai 1963 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Kriegsopferversorgung und Beschäftigung Schwerbeschädigter— Drucksache VI/275 —
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1766 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Vizepräsident Dr. JaegerSchriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache VI/458 —Berichterstatter: Abgeordneter Maucher
Ich danke dem Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht.Ich rufe in zweiter Beratung die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht.Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Wir kommen dann zur Schlußabstimmung. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer in der Schlußabstimmung dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich sehe keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Einstimmig beschlossen.Ich rufe Punkt 19 auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 21. Januar 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Einziehung und Beitreibung von Beiträgen der Sozialen Sicherheit— Drucksache VI/277 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache VI/459 —Berichterstatter: Abgeordneter Folger
Ich danke dem Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht und rufe in zweiter Beratung die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht begehrt.Wer den aufgerufenen Artikeln zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Ich frage vor der Schlußabstimmung, ob das Wort gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung.Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es stimmt niemand dagegen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen!Ich rufe jetzt noch Punkt 20 auf:Beratung der Sammelübersicht 2 des Petitionsausschusses über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen und systematische Übersicht überdie beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 18. Oktober 1965 bis 19. Oktober 1969 eingegangenen Petitionen— Drucksache VI/411 — Das Wort wird nicht gewünscht.Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen! Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen!Meine Damen und Herren, da die Auszählung noch länger dauert, schlage ich vor, daß wir jetzt mit Punkt 17 fortfahren und eventuell nach dem ersten Redner in der dritten Beratung zur Feststellung des Ergebnisses unterbrechen. — Sie sind einverstanden.Ich rufe dann Punkt 17 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Wegfall des von Rentnern für ihre Krankenversicherung zu tragenden Beitrags—Drucksache VI/220 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache VI/465 —Berichterstatter: Abgeordneter Krampeb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache VI/457 —Berichterstatter: Abgeordneter Geiger
Ich danke dem Berichterstatter Abgeordneten Geiger für seinen Schriftlichen Bericht. Wird das Wort zur Ergänzung gewünscht? — Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Geehrte Herren! Zu dem Gesetz über den Wegfall des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner liegt ein umfangreicher Schriftlicher Bericht vor. Diesem Bericht ist vor allen Dingen ein Zahlenmaterial angegliedert, an Hand dessen man auch die zukünftige finanzielle Entwicklung der Rentenversicherung verfolgen kann.
Regierung und Ausschuß haben es sich nicht leichtgemacht bei der Behandlung dieses Gesetzentwurfs und sind sehr gewissenhaft vorgegangen. Im Ausschuß gab es Meinungsverschiedenheiten und lange Erörterungen und Diskussionen. Die Opposition hat dabei Ausführungen etwa in der Art gemacht, wie sie bei der ersten Lesung dieses Entwurfs vorgetragen wurden. Sie hat vor allen Dingen die Frage gestellt, ob es überhaupt zweckmäßig ist, den Rentnern den 1967 auferlegten Beitrag zurückzugewähren. Sie hat den Gedanken erörtert, ob es nicht zweckmäßiger wäre, diesen Beitrag weiter zu erheben, etwa zugunsten der Krankenversicherung oder aber, um einen weiteren finanziellen Spiel-
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Geiger
raum für andere Maßnahmen innerhalb der Rentenversicherung zu haben. Demgegenüber waren die Koalitionsparteien der Auffassung, daß die Belastung, die den Rentnern während der Rezession zum Ausgleich des Bundeshaushalts zugemutet worden ist, jetzt in der Hochkonjunktur in Wegfall kommen und ausgeglichen werden sollte.
Eine solche Festlegung war nach Auffassung der Koalitionsparteien für die Rentenversicherung auch finanziell zumutbar. Das hat sich bei der Anhörung der Sachverständigen bestätigt. Die Sachverständigen haben im übrigen die Vorausberechnungen der Bundesregierung als sehr realistisch bezeichnet und in ihren Sachverständigenbeiträgen die Möglichkeit als durchaus gegeben angesehen, diesen Beitrag wieder wegfallen zu lassen.
Trotz langer Diskussion und gründlicher Erörterung der Probleme wurden von der Opposition keine Anträge gestellt, so daß zum Schluß ein einstimmiger Beschluß zustande kam, den Rentnern mit Wirkung vom 1. Januar dieses Jahres die bisher einbehaltenen zwei Prozent für den sogenannten Rentnerkrankenversicherungsbeitrag wiederzugewähren und die Last, die ihnen bei der Rezession auferlegt worden war, wieder zu beseitigen. Die Bundespost wird aller Voraussicht nach die Nachzahlungen mit Wirkung vom 1. Januar diesse Jahres mit der JuniRente im Monat Mai zur Auszahlung bringen können.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich komme nunmehr in der zweiten Beratung zu den Art. 1 und 2 sowie Einleitung und Überschrift. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. — Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Einführung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags, der heute wegfallen soll, hat im Dezember 1967 Herr Kollege Stingl als Sprecher der CDU folgendes prinzipiell erklärt: „Der Beitragsanteil, den nunmehr die Rentner zu tragen haben, ist vergleichbar mit dem Beitragsanteil der in Arbeit stehenden Arbeitnehmer." Das war also eine grundsätzliche Bejahung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags durch die CDU/CSU. Als die Bundesregierung Anfang November 1969 den Wegfall des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags beschloß, war es deshalb nicht überraschend, daß die CDU/CSU gegen eine Beseitigung dieses Rentnerkrankenversicherungsbeitrags Stellung nahm. Allerdings geschah das in einer Weise, die alle Merkmale sozialpolitischer Konzeptionslosigkeit trug. Das möchte ich an einigen Beispielen beweisen.
1. Am 12. November behauptet? der sozialpolitische Sprecher der CDU/CSU, der von uns allen sehr geschätzte Herr Kollege Dr. Götz, in einer Fraktionsmitteilung: Die Finanzierungsgrundlagen der Rentenversicherung werden durch den Wegfall des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags gefährdet.
Das war ein schwerer Vorwurf. Er hinderte die CDU/CSU allerdings nicht, am nächsten Tage, nämlich am 13. November, unter Berufung auf diese von der Bundesregierung beabsichtigte Streichung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags auch für
Kriegsopfer eine entsprechende Leistungsverbesserung zu fordern; dies, obwohl in der Kriegsopferversorgung überhaupt kein Rentnerkrankenversicherungsbeitrag abgezogen worden war. —2. Am darauffolgenden Tage, nämlich am 14. November, gab es hier im Hause in der Fragestunde Fragen und Dringlichkeitsfragen der CDU mit rund 30 Zusatzfragen von CDU/CSU-Abgeordneten, die sich ausnahmslos gegen einen Fortfall des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags richteten.
Drittens — —(Abg. Dr. Götz meidet sich zu einer Zwischenfrage.)
— Ja, bitte Herr Kollege Dr. Götz.
Herr Professor, ist Ihnen nicht in Erinnerung, daß zu jenem Zeitpunkt, als wir im November aus Sorge um die Sicherstellung der finanziellen Leistungskraft der Rentenversicherung Bedenken im Zusammenhang mit der Streichung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags äußerten — und es scheint mir ein berechtigtes Anliegen zu sein, solche Bedenken in einer Frage zu äußern, wenn es um das Kernstück der sozialen Sicherheit geht —,die neuen Vorausberechnungen des Bundesarbeitsministeriums, die die Grundlage für unsere Entscheidung im Ausschuß 'bildeten, noch nicht vorlagen und daß 'diese Bedenken vor dem Hintergrund der alten Berechnungen geäußert wurden, die dem dritten Rentenversicherungsänderungsgesetz zugrunde lagen?
Herr Kollege Dr. Götz, jeder in diesem Haus wußte auch damals, daß nach Vorlage des Regierungsentwurfs die Finanzgrundlagen selbstverständlich sehr sorgfältig geprüft werden mußten.Jetzt komme ich zu meinem Punkt 3. Die CDU/ CSU-Fraktion hat am 3. Dezember eine kleine Anfrage über die finanziellen Grundlagen bei Fortfall des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags mit vier Fragen und acht Unterfragen eingebracht, dies obwohl doch jedes Mitglied des Hauses wissen mußte, daß gerade diese Finanzdinge noch Gegenstand ausführlicher Ausschußberatungen sein würden und sein mußten.
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— Nein, Herr Kollege Götz, Ihre Zustimmung paßt uns sehr wohl. Aber nachdem Sie vier Monate gegen den Fortfall des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags polemisiert hatten,
ist es immerhin überraschend, wenn Sie dann zustimmen, ohne einen Sachantrag zu stellen.
Das muß doch vermerkt werden, vor allen Dingen deshalb, weil das Hickhack der CDU um den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag zu einer Unruhe bei den Rentnern geführt und dazu beigetragen hat,
daß wir — — Bitte schön, Herr Kollege Franke!
Herr Professor Schellenberg, ist die Unruhe bei den Rentnern nicht vielmehr dadurch entstanden, daß der Unglücksrabe Nr. 1 dieser Regierung, Herr Minister Arendt, den Rentnern erst ein Weihnachtsgeld versprochen hatte und dann auf den Ausweg des 2%igen Krankenversicherungsbeitrags auswich?
Herr Kollege Franke, diese Bemerkung zeigt, daß Sie aus den vier Monaten Diskussion über den Fortfall des Rentnerkran-
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1770 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Dr. Schellenbergkenversicherungsbeitrags immer noch nichts gelernt haben.
Wie war die Sache? Die Bundesregierung und der neue Bundesarbeitsminister haben gründlich und sorgfältig überlegt, was Positives für die Rentner geschehen kann. Das war eine gute Überlegung. Insbesondere hätten Sie dieses Wollen sofort unterstützen und fördern und nicht erst vier Monate Unruhe schaffen sollen.Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, auf Grund Ihrer Polemik hat es in der Öffentlichkeit doch leider wieder eine Auseinandersetzung darüber gegeben, ob unsere Renten solide finanziert sind oder nicht. Das war das Ergebnis Ihres Hickhacks. Wenn Sie sich von vornherein zum Fortfall des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags bekannt hätten, hätte ich mich gefreut und gesagt: Wir sind einstimmig dieser gleichen Meinung, und lassen Sie uns die Sache schnell annehmen. Aber da Sie erst prinzipiell für den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag waren und dann vier Monate gegen seinen Fortfall polemisiert haben, muß ich Ihnen heute vorhalten, wie eigenartig Ihr Verhalten in diesen vier Monaten war.
Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Böhme?
Herr Kollege Schellen berg, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß die SPD, wenn sie in den vier Monaten der Diskussion die Konjunktur richtig erkannt hätte, heute diesen Antrag nicht mehr eingebracht hätte?
Lieber Herr Kollege Böhme, daß Sie die Frage der Beseitigung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags auf Grund einer günstigen Finanzentwicklung der Rentenversicherung mit der konjunkturpolitischen Auseinandersetzung in Verbindung bringen, zeigt, daß Sie die Grundlagen, für die wir — das darf ich sagen —, SPD, CDU und FDP, gemeinsam seit 1957 eingetreten sind, die Renten den Löhnen und Gehältern anzupassen — unabhängig von der jeweiligen Konjunkturentwicklung —, leider noch nicht verstanden haben. Aber ich habe die besten Hoffnungen. Sie sind jetzt neues Mitglied des Sozialpolitischen Ausschusses und werden sich bald, wie ich hoffe, zu diesen gemeinsamen Grundsätzen bekennen.
Im Hinblick auf die bisherige Einstellung der CDU habe ich die Frage — ich wäre sehr dankbar, wenn der Sprecher der CDU/CSU darauf einginge —, ob Sie nun eigentlich Ihre grundsätzliche Auffassung zum Rentnerkrankenversicherungsbeitrag revidiert haben. 1967 haben Sie ihn bejaht, heute wollen Sie seiner Abschaffung zustimmen —. Bitte geben Sie eine klare Auskunft; sonst entsteht nämlich leicht der Verdacht, Sie ließen sich zum Fortfall des Beitrages von taktischen Erwägungen bestimmen.
— Ja, Herr Kollege Maucher!
Meine Damen und Herren, der Redner hat seine Redezeit bereits überschritten. Ich gebe ihm gern noch fünf Minuten zu, weil er so oft gefragt worden ist. Das bedeuet aber, daß Sie jetzt keine Zwischenfragen mehr stellen können.
Der Herr Präsident läßt das leider auf Grund der Situation nicht zu.
Herr Präsident, es war mir mitgeteilt worden, ich hätte 25 Minuten Redezeit.
Die sind auch eingestellt worden. Ich gebe Ihnen aber noch fünf Minuten, weil Sie so oft unterbrochen worden sind.
Das war die Haltung der CDU.Jetzt zur Haltung der SPD. Wir haben, seitdem über einen Rentnerkrankenversicherungsbeitrag gesprochen wird, diesen immer als nicht sinnvoll bezeichnet, und zwar deshalb,
weil er die Rente nach den Grundsätzen der Rentenversicherungsreform von 1957 verschlechtert. Wir haben dem Beitrag damals in der Rezession notgedrungen zugestimmt, um die dynamische Rente zu retten.
Aber weil wir den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag für eine unerfreuliche Sache halten, haben wir es außerordentlich begrüßt, daß die Bundesregierung alsbald nach ihrer Konstituierung den Fortfall des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags eingeleitet hat, um damit die Kürzung der Renten zu beseitigen.
Wir haben aber stets betont und betonen es auch heute, daß die Beseitigung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrages auf keinen Fall die langfristige Finanzierung der Renten gefährden darf. Das ist für uns schon deshalb eine Selbstverständlichkeit, weil wir beim Rentenfinanzierungsgesetz auf die 15jährige langfristige Vorausberechnung gedrungen haben.Meine Damen und Herren, die Annahmen, die damals gemacht wurden, beruhten auf Feststellungen vom Sommer 1968. Im Jahreswirtschaftsbericht 1969 wird damals von einer Unsicherheit in der Beurteilung der konjunkturellen Entwicklung gesprochen. Unter diesen Umständen war es damals gerechtfertigt, äußerst vorsichtig zu kalkulieren. Aber wir müssen jetzt sagen: wer auf Dauer zu vorsichtig kalkuliert, unrealistisch kalkuliert, der kalkuliert auch unsolide. Solche Schätzungen sind unsolide, denn sie führen zu zu niedrigen Renten und zu hohen Beiträgen. Deshalb war es richtig, die damaligen Vorausberechnungen nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand zu überprüfen.
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Dr. SchellenbergAus den von der Bundesregierung vorgelegten Vorausberechnungen, die immer noch vorsichtig sind, ergibt sich, wenn es bei dem gegenwärtigen Rechtsstand bleibt, daß selbst auf dem Höhepunkt des Rentenberges die Rücklagen fast doppelt so hoch sein werden wie die von dem Gesetzgeber geforderte Mindestrücklage. Bei einer solch günstigen Finanzentwicklung der Rentenversicherung ist es nicht zu rechtfertigen, weiterhin an der Kürzung der Renten durch den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag festzuhalten.
Deshalb ist es dringend geboten, wie der Ausschuß entsprechend der Regierungsvorlage beschlossen hat, den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag vom 1. Januar an in Fortfall zu bringen. Das kommt nicht nur den Rentnern zugute, sondern verbessert auch die Renten von morgen und übermorgen. Das Gesetz, das wir jetzt verabschieden werden, dient somit langfristig gesehen auch den Interessen der Versicherten. Im übrigen wird durch den Fortfall des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags das Verwaltungsverfahren außerordentlich erleichtert.Außerdem wird durch die Beseitigung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags bei Millionen von Menschen der Unmut darüber ein Ende finden, daß sie wegen des Pauschalverfahrens des Abzugs meinen, es würde ihnen der Rentnerkrankenversicherungsbeitrag doppelt und dreifach abgezogen, der in Wirklichkeit überhaupt kein Beitrag der Rentner zur Krankenversicherung ist, sondern ein Beitrag zur Sanierung der Rentenversicherung und der Bundesfinanzen.Meine Fraktion bittet die Bundesregierung, jetzt nach Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens alles zu tun, damit den Rentnern die abgezogenen Beträge möglichst bald zurückgezahlt werden. Angesichts der Tatsache, daß die Öffentlichkeit seit November über den Fortfall des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags redet, verstehen es unsere Rentner einfach nicht, weshalb ihnen immer noch jeden Monat die zwei Prozent abgezogen werden.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Da es im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf und im Zusammenhang mit Ihrer zwiespältigen Haltung, meine Damen und Herren von der CDU, häufig düstere Finanzprognosen hinsichtlich der Rentenversicherung gegeben hat, lassen Sie mich zum Abschluß der Beratungen auch eine Prognose stellen. Die von der Bundesregierung vorgelegten neuen Vorausberechnungen sind, gemessen an den Erfahrungen, die wir in bezug auf die Entwicklung des Beitragsaufkommens in der Rentenversicherung seit 1957 gewonnen haben, sehr vorsichtig; so vorsichtig, daß dieses Haus — und das ist meine Prognose — in nicht zu ferner Zukunft wegen der weit günstigeren tatsächlichen Finanzentwicklung der Rentenversicherung neue Entscheidungen über Verbesserungen des Leistungsgefüges unserer Rentenversicherung treffen wird.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche diesen Punkt der Tagesordnung und kehre zum vorher behandelten zurück, der Wahl des Wehrbeauftragten.
Ich kann Ihnen nunmehr das Ergebnis der Wahl bekanntgeben. Es wurden insgesamt 449 Stimmkarten abgegeben. Die Zahl der Ja-Karten betrug 268, die Zahl der Nein-Karten 127, die Zahl der ungültigen Stimmkarten 4, die Zahl der Stimmenthaltungen 50. Mithin sind für Herrn Abgeordneten Schultz 268 Stimmen abgegeben. Gewählt ist gemäß § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhält. Die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages einschließlich der Mitglieder des Landes Berlin beträgt 260. Da auf den Abgeordneten Schultz 268 Stimmen entfallen sind, ist er hiermit rechtmäßig zum Wehrbeauftragten gewählt.
Ich frage Sie, Herr Abgeordneter Schultz: Nehmen Sie die Wahl an?
Schultz (FDP) : Ich nehme die Wahl an.
Ich stelle fest, daß Herr Abgeordneter Schultz die Wahl angenommen hat. Da Sie die Wahl angenommen haben, haben Sie sicherlich die Absicht, Ihr Mandat als Abgeordneter niederzulegen. Ich darf Sie fragen, ob Sie diesen Verzicht jetzt aussprechen wollen.
Schultz (FDP) : Ich lege hiermit mein Mandat als Abgeordneter ,des Deutschen Bundestages nieder.
Das Haus hat dies für sein eigenes Protokoll hiermit zur Kenntnis genommen. Der Mandatsverzicht ist damit rechtskräftig. Ich stelle fest, daß Herr Schultz sein Mandat niedergelegt hat und zum Wehrbeauftragten gewählt ist.Der Wehrbeauftragte hat nach § 14 Abs. 4 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten ,des Bundestages bei der Amtsübernahme den in Art. 56 des Grundgesetzes vorgeschriebenen Eid zu leisten. Ich rufe daher Punkt 4 der Tagesordnung auf:Vereidigung des Wehrbeauftragten des Bundestages.Ich bitte Sie, Herr Schultz, heraufzutreten und den Eid zu leisten.
Herr Schultz, ich darf Ihnen das Grundgesetz vorlegen. Vielleicht nehmen Sie es in die linke Hand, heben die rechte Hand und sprechen den Eid.Schultz, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des Deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen ,mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundeswahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und
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1772 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Wehrbeauftragter SchultzGerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.
Ich stelle fest, daß Herr Schultz ,als Wehrbeauftragter vereidigt ist. — Ich darf Ihnen die Glückwünsche des Hauses und meine 'eigenen 'aussprechen. Mögen Sie in Segen in Ihrem Amte walten!
Schultz, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages : Vielen Dank, Herr Präsident!
Meine Damen und Herren, nach § 15 Abs. 3 Ziffer 1 des Wehrbeauftragtengesetzes endet mit der Ernennung des Nachfolgers das Amt des bisherigen Wehrbeauftragten. Damit ist Herr Hoogen, der heute noch in diesem Hause gesprochen hat, aus seinem Amte ausgeschieden.Sie, Herr Hoogen, haben das Amt des Wehrbeauftragten vor fünf Jahren unter nicht leichten Bedingungen angetreten. Sie hatten, wie jedermann weiß, gerade in der Anfangszeit Ihrer Tätigkeit schwierige Probleme zu bewältigen. Nach Abschluß Ihrer Amtszeit kann ich feststellen, daß das Amt des Wehrbeauftragten in den letzten Jahren seinen Auftrag zum Nutzen von 'Parlament und Bundeswehr voll erfüllt und an Ansehen gewonnen hat.Bevor Sie Wehrbeauftragter wurden, haben Sie, Herr Hoogen, hier im Parlament an hervorragender Stelle an 'dem Ausbau und der Fortentwicklung unserer rechtsstaatlichen Ordnung mitgewirkt. Sie brachten 'damit für Idas Amt des Wehrbeauftragten wesentliche Voraussetzungen mit. Es ist ja der Auftrag des Wehrbeauftragten, daran mitzuwirken, daß die Bundeswehr ihre Aufgaben unter den Bedingungen und Voraussetzungen eines modernen freiheitlichen Rechtsstaates erfüllt. Sie, Herr Hoogen, haben in Ihrer Amtsführung deutlich gemacht, daß es zwischen diesen Grundsätzen und der Erfüllung militärischer Aufgaben keinen Gegensatz zugeben braucht, daß vielmehr gerade das Bestehen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und die Notwendigkeit ihres Schutzes der Bundeswehr ihre Daseinsberechtigung gibt. Die Bundeswehr ist, wie der Soldateneid besagt, zur Verteidigung des Rechts und der Freiheit da. Schon deswegen kann die Bundeswehr in ihren eigenen Reihen bei der Ausführung ihres Auftrages keine andere Ordnung gelten lassen als eine solche, die rechtsstaatlichen Anforderungen gerecht wird.Wir wissen natürlich alle, daß in der Praxis immer wieder Spannungen zwischen den Erfordernissen des Rechts und den Anforderungen des militärischen Auftrags auftreten. Einzelne Soldaten — und es sind oft nicht einmal die schlechtesten — empfinden Rechtsvorschriften bei der Durchführung ihrer militärischen Aufgaben bisweilen als hinderlich. Das braucht jedoch nicht zu bedeuten, daßihnen Rechtsempfinden schlechthin fehlt. In den meisten Fällen ist es soldatischer Übereifer, der zu einer Vernachlässigung der rechtlichen Aspekte führt. Der Wehrbeauftragte hilft diesen Soldaten, indem er ihnen klarmacht, wie die Gewichtsverteilung im Einzelfalle ist oder hätte sein sollen. Damit bewahrt er vor allem die Untergebenen vor falschen Befehlen oder Maßnahmen von Vorgesetzten.Die Grundsätze der Inneren Führung sind dann verwirklicht, wenn jeder Soldat gewiß ist, daß seine Vorgesetzten nur das militärisch Notwendige von ihm verlangen und dabei immer seine Persönlichkeit respektieren. Der Wehrbeauftragte verhilft Untergebenen zu ihrem Recht, wenn ihnen Unrecht geschehen ist. Er sagt ihnen aber auch mit der sachlichen Autorität, die sein Amt nach dem Willen des Grundgesetzes hat, wo die Grenzen ihrer Rechte und ihrer Ausübung liegen.Ohne Befehl und Gehorsam kann keine Armee ihren Auftrag erfüllen. Sie kann es aber um so besser, je richtiger die den Vorgesetzten gegebene Befehlsgewalt gehandhabt wird. Eine moderne Armee braucht nicht den gedrillten, nicht den abgerichteten Soldaten, sondern den durch freiwilligen Gehorsam gebundenen Mann, der seine Aufgaben mitdenkend erfüllt. Moderne Streitkräfte brauchen Vorgesetzte, die ihren Untergebenen die Einsicht in die Notwendigkeit ihres Tuns vermitteln und ihnen durch eigene Leistung Vorbild sind. Dann können sie ihre Befehle ebenso mit sachlicher wie mit menschlicher Autorität geben. Eine moderne Armee braucht aber auch den Untergebenen, der seine Aufgabe innerhalb des Gesamtkörpers der Streitkräfte übernimmt, sich in diesen einordnet und sich zum Prinzip von Befehl und Gehorsam bekennt. In dieser Situation soll der Wehrbeauftragte nach beiden Seiten helfen. Er ist also kein Hindernis für die Schlagkraft der Bundeswehr, sondern dient in zeitgemäßer Weise ihrer Erhaltung und Erstarkung. Seine Mittel sind Aufklärung und Überzeugung sowohl der Vorgesetzten als auch der Untergebenen. Das geschieht am besten und wirksamsten im unmittelbaren menschlichen Kontakt und ohne öffentliches spektakuläres Anprangern von Verfehlungen und Mißständen.Andererseits hat der Bundestag und durch ihn die Öffentlichkeit Anspruch darauf, zu erfahren und zu diskutieren, wie es in der Bundeswehr mit der Praxis der Inneren Führung und der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze aussieht. Es mag manchmal schwer sein, hier das richtige Maß zu finden.Dazu kommt folgendes. Wir stehen heute vor neuen und keineswegs leicht zu lösenden Problemen. Auf der einen Seite wird die Bundeswehr durch eine kritische junge Generation vor neue Fragen gestellt, Fragen, die wir hören und beantworten müssen. Andererseits aber ist die Bundeswehr dem Versuch extremer politischer Kräfte ausgesetzt, die den Umsturz der Institutionen unseres demokratischen Rechtsstaates erzwingen und deshalb die Streitkräfte verunsichern und zur Auf-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1773
Vizepräsident Dr. Jaegerlösung treiben wollen. Mit dieser Problematik kann nur eine Bundeswehr fertig werden, die, gestützt auf Verfassung und Gesetz und damit nicht zuletzt auf die Grundsätze der Inneren Führung, sachlich angemessen reagiert. Auch hier ist der Wehrbeauftragte angesprochen.Gerade Sie, Herr Hoogen, haben durch unmittelbaren Kontakt mit der Bundeswehr Hilfen gegeben und zugleich den Bundestag weder beschönigend noch übertreibend sachlich so unterrichtet, daß hier im Plenum des Hauses und im Verteidigungsausschuß notwendige Überlegungen angestellt und akute Probleme der Bundeswehr auf einer guten Grundlage diskutiert werden konnten.Ich bin sicher, im Namen des ganzen Hauses zu sprechen, wenn ich Ihnen, Herr Hoogen, für Ihre Tätigkeit als Wehrbeauftragter in den vergangenen fünf Jahren den Dank des Deutschen Bundestages ausspreche.
Der Herr Bundespräsident hat Ihre Verdienste dadurch gewürdigt, daß er Ihnen das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband verliehen hat. Wir sprechen unsere Glückwünsche aus.
Ich darf Sie nunmehr bitten, Herr Hoogen, hier heraufzukommen und Ihre Entlassungsurkunde entgegenzunehmen. Nochmals den Dank des Hauses!
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der vormittäglichen Sitzung. Ich unterbreche bis 14 Uhr.
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Wir fahren in der Behandlung der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksachen VI/480, VI/488 —
Als erste Frage rufe ich die Frage 111 des Abgeordneten Dr. Häfele auf:
Ist die Bundesregierung, die nach den Worten von Bundeskanzler Brandt in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 mit der Demokratie erst richtig anfängt, bereit, der parlamentarischen Opposition die finanzielle Möglichkeit zu bieten, jeweils auf Inserate der Bundesregierung, wie in den Zeitungen vom 28. Februar 1970 „Die Bundesregierung informiert", eine Gegendarstellung zu geben?
Herr Staatssekretär Ahlers!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis möchte ich die beiden Fragen des Abgeordneten Dr. Häfele gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich noch die Frage 112 des Abgeordneten Dr. Häfele auf:
Worin besteht nach Ansicht der Bundesregierung der Unterschied zwischen Information und Propaganda?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, nach der Vorbemerkung zu Kap. 04 03 des Haushaltsplanes hat das Presse- und Informationsamt die Politik der Bundesregierung gegenüber den Organen des Nachrichtenwesens zu vertreten sowie die deutsche Bevölkerung über die politischen Ziele und die Arbeit der Bundesregierung zu unterrichten. Das Bundespresseamt verfügt deshalb über keine Haushaltsmittel für die Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Ziele und die Arbeit der Opposition. Bei unserer Auslandsarbeit und auch im Rahmen der politischen Bildung und bei einigen anderen Projekten werden die Opposition als solche und auch ihre Ansichten naturgemäß berücksichtigt. Die Möglichkeit einer Finanzierung von Gegenanzeigen in der Öffentlichkeitsarbeit im Innern ist aber nicht vorgesehen. Derartige Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit — z. B. für die Darstellung gemeinsamer politischer Ziele und Absichten aller Bundestagsparteien — müßten, soweit dies rechtlich zulässig ist — -und das ist wegen der Problematik der Parteienfinanzierung ja ein wenig umstritten — gesondert ausgewiesen und nach meiner Ansicht eventuell auch von einer anderen Stelle als dem Bundespresseamt verwaltet werden.
Ich komme jetzt zu der Frage nach dem Unterschied zwischen Information und Propaganda. Wenn man vom Sprachgebrauch ausgeht und keine wissenschaftliche Definition versucht, dann stellt dieses Problem sich meiner Meinung nach wie folgt dar: Propaganda ist ein Mittel des politischen Kampfes. Sie ist immer gegen jemanden, gegen eine andere politische Gruppe gerichtet. Sie ist aggressiv und polemisch und arbeitet sicher auch oft mit unwahren Feststellungen. Eine solche Propaganda verbietet sich für eine Behörde, die mit Steuergeldern arbeitet, nach meiner Ansicht von selbst.
Information darf im Unterschied dazu niemals gegen eine bestimmte politische Gruppe oder bestimmte politische Absichten gerichtet sein und muß — das möchte ich hier, auch im Hinblick auf die Frage, die gleich kommt, betonen — einen hohen Wahrheitsgehalt haben.
Die Anzeigenaktionen der Bundesregierung sind, so möchte ich es umschreiben, werbende Informationen. Sie stellen in dem von mir gemeinten Sinn keine Propaganda dar und sind nach unseren Erfahrungen ein wirksames Mittel der Öffentlichkeitsarbeit, wie sie als Auftrag für das Bundespresseamt in den Vorbemerkungen zu Kap. 04 03 vorgesehen ist.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie also in der Tat der Meinung, daß bei diesem Inserat vom 28. Februar, wie es wohl in den meisten Zeitungen veröffentlicht worden ist, eine reine Information der Bundesregierung vorgelegen hat und nicht etwa eine propagandistische Sympathiewerbung, ganz abgesehen davon, daß die Glaubwürdigkeit gar nicht so groß ist, etwa in der Frage der Stabilität, wenn die Propagandathese im Gegensatz zur wirklichen Lage steht?
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1774 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich auf diesen Ausdruck zurückzukommen, den Sie soeben selber benutzt haben, Herr Abgeordneter: das ist Sympathiewerbung, aber keine Propaganda. Ich räume gerne ein — ich habe das hier schon öfters getan —, daß Information dieser Art natürlich einen werbenden Charakter hat. Aber ich halte das nicht nur für zulässig, sondern ich halte das auch für notwendig. Denn man muß sich doch immer vor Augen halten, daß selbst eine werbende Information für die Bundesregierung einen allgemeinen informationsmäßigen Charakter hat, der zugleich der Gesamtpolitik eines Staates zugute kommt.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Häfele.
Wenn Sie das für zulässig halten — ich will nicht bestreiten, daß man es für zulässig halten kann —, sind Sie dann nicht der Meinung, Herr Staatssekretär, daß man aus Gründen der Waffengleichheit, damit das parlamentarische System, der parlamentarische Staat funktioniert, auch die Möglichkeit schaffen müßte — sie ist heute nicht gegeben, wie Sie mit Recht ausgeführt haben —, daß für die parlamentarische Opposition — nicht für eine Partei, sondern für die parlamentarische Opposition als Institution — ähnliche finanzielle Mittel zur Verfügung stehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das ist ein Gedankengang, dem ich persönlich sehr nahe stehe. Außer in SchleswigHolstein haben wir allerdings in keinem Bundesland und auch nicht im Bund bereits jene Verfassungslage erreicht, in der ganz klar zwischen Regierung und einer, sagen wir einmal, von der Verfassung her sanktionierten Opposition getrennt wird. Sie verstehen, was ich meine. Es ist ein Problem unseres Verfassungsrechts und nicht nur der Verfassungswirklichkeit. Dennoch bin ich der Auffassung, daß man sich durchaus überlegen sollte, ob man nicht Wege zu diesem Ziel beschreiten könnte. Das würde sich sicherlich auch in der einen oder anderen Form auf die Öffentlichkeitsarbeit auswirken müssen.
Ich habe gestern abend zufällig eine Begegnung mit einer Reihe von Abgeordneten gehabt. Da haben wir auch dieses Thema besprochen. Ich weiß natürlich, daß es auch berechtigte Elemente der Kritik an diesen Anzeigenaktionen geben kann. Ich überlege mir z. B., ob man nicht die Anzeigenaktionen zeitlich so placieren sollte, daß sie mehr im Zusammenhang mit den Beratungen des Bundestages über entsprechende Projekte der Bundesregierung erscheinen als in dem Augenblick, in dem meinetwegen das Kabinett diese Dinge verabschiedet. Ich gabe zu, das ist nur ein Teilproblem des Gesamtproblems, das Sie angeschnitten haben. Eine reine Regierungsstelle wie das Bundespresseamt kann Fragen wie die Darstellung der Finanzierung der Ziele und Absichten der Opposition im Rahmen einer Öffentlichkeitsarbeit natürlich nicht allein lösen. Das müßte dann einmal im Haushaltsausschuß besprochen werden.
Sie haben noch zwei Zusatzfragen, weil Sie zwei Fragen gestellt haben.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie zum Ausdruck gebracht haben, daß Sie dem Gedanken nahe stehen, eventuell auch für die parlamentarische Opposition diese Möglichkeit zu schaffen, frage ich: Würden Sie sich dafür einsetzen, daß die Bundesregierung, natürlich im Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag, weil es ja letztlich haushaltsmäßig Mittel des Deutschen Bundestages sein müßten, für diesen Zweck einen Titel einstellt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich wäre auf jeden Fall gern bereit, diese Frage mit dem Präsidium des Bundestages und vor allem mit dem Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, das ja hier demnächst eingerichtet wird, einmal ausgiebig zu diskutieren.
Letzte Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, räumen Sie ein, daß es hierbei nicht um das Problem der Parteienfinanzierung, zu der das Bundesverfassungsgericht in der berühmten Entscheidung seine Meinung geäußert hat, sondern um die Frage der Waffengleichheit zwischen den Möglichkeiten der Bundesregierung und der Institution der parlamentarischen Opposition geht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich räume auf jeden Fall ein, daß das Thema der Waffengleichheit berührt ist. Nach meinen, wie ich gern zugebe, unvollkommenen verfassungsrechtlichen Kenntnissen kann ich nicht einräumen, daß die Frage des Verfassungsrechts nicht berührt ist. Denn wenn Sie sich die entsprechenden Urteile, insbesondere das Haupturteil des Verfassungsgerichts zu diesem Thema, ansehen, also das Urteil, auf Grund dessen die Parteienfinanzierung beschlossen wurde, werden Sie feststellen, daß das Bundesverfassungsgericht in der Tat einen genauen Unterschied zwischen den Möglichkeiten macht, die der Regierung, und denen, die den Oppositionsparteien oder der Oppositionspartei zur Verfügung stehen. Sie kennen das berühmte Wort eines großen Verfassungsrechtlers, daß es eine „Prämie des Machtbesitzes" gibt.
Herr Abgeordneter Ott, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir beipflichten, wenn ich behaupte, daß die Opposition in einem demokratischen Rechtsstaat der Regierungskoalition gleichwertig ist.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1775
Ottund daß aus dieser Gleichwertigkeit — — Ja, ja, auch wenn Sie mit dem Kopf schütteln, mein Herr da hinten auf der Regierungsbank.
Das steht Ihnen überhaupt nicht zu. Aber wenn Sie mit dem Kopf schütteln, muß ich Ihnen sagen: Sie scheinen sehr wenig vom demokratischen Rechtsstaat zu wissen. Denn ohne Opposition gibt es keinen demokratischen Rechtsstaat; das nebenbei.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe doch gar nicht mit dem Kopf geschüttelt!
Sie nicht, aber jemand hinter Ihnen auf der Regierungsbank. Das steht diesem Herrn gar nicht zu. Er soll sich dann lieber zu Wort melden; aber das darf er hier ja nicht.
Herr Abgeordneter Ott, stellen Sie bitte Fr a g e n!
Halten Sie keine Plädoyers!
Ich fahre fort. Würden Sie mir angesichts der von Ihnen vorhin getroffenen feinsinnigen Unterscheidung zwischen Propaganda und Aufklärung zustimmen, wenn ich sage, daß die Beurteilung dessen, was Propaganda und was Aufklärung ist, vollkommen subjektiv ist und die Regierung daher die Verpflichtung hätte, entweder „Volksaufklärung" oder „Propaganda" über die Inserate zu schreiben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen schon deshalb nicht zustimmen, weil ich das in der Vergangenheit durch das Dritte Reich belastete Wort „Aufklärung" überhaupt nicht benutzt habe.
Wir haben über den Unterschied zwischen Propaganda und Information gesprochen. Ich bedanke mich für das Kompliment, daß diese Unterscheidung „feinsinnig" gewesen sei. Dennoch glaube ich, daß es uns einfach schon die Lebensgewohnheiten oder die Lebenspraxis, in der wir uns bewegen, jederzeit ermöglichen, eine Trennung zwischen Propaganda und Information vorzunehmen, selbst wenn das gewissermaßen im dialektischen oder wissenschaftlichen Sinne nicht ohne weiteres möglich ist. Wir wissen z. B., daß auch eine bedeutende Abteilung des Vatikans „Propaganda Fidei" heißt, und damit ist sicher eine andere Form der Propaganda gemeint als diejenige, die wir von Goebbels und aus der kommunistischen Lehre kennen.
Im übrigen ist es Aufgabe dieser vatikanischen Kongregation, um die Verbreitung des rechten Glaubens besorgt zu sein.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ich bin hier für die Propaganda des Vatikans nicht zuständig. Das wollte ich unterstreichen, damit Sie nicht falsche Vergleiche ziehen.
Mich interessiert Ihre Propanganda. Sind Sie, da feststeht, daß Sie in den letzten Monaten verschiedentlich Anzeigen gebracht haben, die sich nachher mindestens als nicht zeitgerecht richtig erwiesen haben, nicht dennoch mit mir der Meinung, daß das eigentlich Propaganda war, weil zum Zeitpunkt des Erscheinens bestimmte Dinge bereits überholt waren und nicht mehr der Information gegolten haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube nicht, daß die Dinge überholt waren. Unsere Aktionen waren vielleicht etwas vorfristig. Ich würde das nicht als Propaganda bezeichnen. Die Grenze wäre bei mir erreicht, wenn man auf diese Weise Informationen verbreitete, die sich nachher als nicht zutreffend herausstellen. Das wäre auch eine Grenze, die ich, soweit man das jedenfalls in der eigenen Verantwortlichkeit verhindern kann, niemals überschreiten würde.
Ich stimme Ihnen darin zu, daß Anzeigenaktionen, die gewissermaßen auch nur Elemente für berechtigte Kritik enthalten, eigentlich vermieden werden sollten und eine Behörde wie die meine dafür sorgen müßte, daß eine solche Kritik nicht möglich ist. Auf dieses Thema kommen wir sicher gleich. Insoweit stimme ich Ihnen natürlich zu. Nur, ich würde, wenn solche Fehler mal passieren sollten — bisher, glaube ich, sind sie noch nicht pasiert —, nicht sagen, das sei dann Propaganda; das war dann eben einfach ein Fehler.
Meine letzte Frage, Herr Präsident — —
— Sie dürfen mitunter auch mehr fragen.
Es sind zwei Fragen gestellt, Also gibt es der Übung dieses Hauses nach vier Zusatzfragen, obwohl ich der Meinung bin — .aber ich wollte nicht entgegen der Übung handeln —, daß die Verdoppelung der jedem zustehenden zwei Zusatzfragen bei einer gespaltenen Frage nur dem Fragesteller zusteht, während Dritte, die sich an Zusatzfragen wagen wollen, ein Recht auf die üblichen zwei haben. Aber ich will noch einmal,
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1776 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Vizepräsident Dr. Schmidweil Sie vielleicht noch sehr Wesentliches beizutragen haben, Ihnen noch eine Zusatzfrage geben.
Herr Präsident, ich danke Ihnen, daß Sie Gnade vor Recht ergehen lassen. — Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen — —
Ich wollte mit meiner Bemerkung nicht sagen, daß Sie der Gnade des Präsidenten bedürften; ich wollte Ihnen nur schlicht das Wort erteilen.
Ich danke Ihnen.
Herr Staatssekretär, darf 'ich Sie fragen: Wann werden Sie etwas unternehmen, damit die gegenwärtige Ungleichheit zwischen der Aufklärungsaktion der Bundesregierung und dem Unvermögen der 'Opposition, dazu Stellung zu nehmen, — —
— Ja, mangels finanzieller Mittel, meine Herren! Sie sitzen an den Fleischtöpfen Ägyptens und essen sich satt. — Was würden Sie unternehmen, damit diese Ungleichheit beseitigt wird, die darin besteht, daß die Regierung aus dem Steuertopf Aufklärung geben kann und die Opposition als gleichberechtigter Bestandteil eines demokratischen Staates dazu nicht Stellung nehmen kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich muß — was ich immer ungern tue — 'hier erklären, daß das außerhalb meiner Kompetenz liegt. Auf jeden Fall aber werde ich das Thema im Haushaltsausschuß einmal zur Sprache bringen.
Damit sich nicht falsche Gerüchte bilden: Ich glaube, der Abgeordnente Ott hat mit seinem Wort „Unvermögen" nicht sachliches Unvermögen gemeint, sondern lediglich finanzielles.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Raffert.
Herr Staatssekretär, wenn es Ihnen aus verfassungsrechtlichen und finanziellen Gründen nicht möglich ist, der Opposition in der Form zu helfen, wie es in den Fragen der beiden Kollegen intendiert wurde, sind Sie bereit und in der Lage, mit den Möglichkeiten Ihres Amtes dafür zu sorgen, daß wenigstens der Infomationsstand der Opposition gehaben werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wir geben uns jede Mühe, hier gewissermaßen Nachhilfeunterricht zu erteilen, wenn
es erforderlich ist, aber ich habe im allgemeinen festgestellt, daß der Informationsstand — —
Meine Damen und Herren, dieser Ausdruck war nicht unparlamentarisch. Er war nicht freundlich, aber er war nicht unparlamentarisch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe festgestellt, daß es dessen im allgemeinen nicht bedarf. Sie haben mich nicht ausreden lassen.
Meine Damen und Herren, insbesondere in den vorderen Bänken! Die von der Regierungsbank aus Sprechenden haben dieselben Rechte wie die Abgeordneten bei der Wahl ihrer Worte und unterstehen dem Rügerecht des Präsidenten, wie das Haus überhaupt. Doch hier habe ich keinen Anlaß gesehen, eine Rüge zu erteilen; denn die gebrauchte Redewendung war nach den Gewohnheiten des Hauses nicht unparlamentarisch. Sie dürfen es mir glauben.
Hier ist noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es aber nicht so, daß die Abgeordneten, die der Oppositionsfraktion angehören, in gleicher Weise die Fazilitäten Ihres Hauses nutzen können wie die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen, etwa Nachrichtendienste usw., so daß mindestens in diesem Felde bereits eine Gleichstellung geschehen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist absolut richtig, Herr Abgeordneter, Nur, wenn ich die Fragen richtig verstanden habe, die vorhin gestellt wurden, so bezogen sich die auf eine andere Problematik, nämlich die Waffengleichheit in der Form der Verwendung der Mittel für Öffentlichkeitsarbeit.
Ich kann nur noch einmal wiederholen, daß es außerhalb der Kompetenzmöglichkeiten des Leiters des Presse- und Informationsamtes liegt, dieses Problem zu regeln.
Herr Abgeordneter Dr. Gölter.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, Ihre in Ihrer ersten Antwort ge-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1777
Dr. Gölterbrauchte Begriffsschöpfung „von hohem Wahrheitsgehalt" mir näher zu erläutern, mir insbesondere den Unterschied zwischen hohem Wahrheitsgehalt und Wahrheitsgehalt zu erklären?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der reine Wahrheitsgehalt, Herr Abgeordneter, kann dennoch of zu falschen Schlußfolgerungen führen. Mit „hohem Wahrheitsgehalt" meine ich, daß man schon Mißverständnisse antizipierende Formulierungen wählen sollte — oder sich bemühen sollte, sie so zu wählen, daß Mißverständnisse ausgeschlossen werden.
Ich glaube, daß wir nicht die Aufgabe und nicht die Möglichkeit haben, zu definieren — gewissermaßen urbi et orbi —, was alles Wahrheit bedeuten kann. Wir kämen sonst in die Versuchung, Anekdoten erzählen zu wollen, in denen von den verschiedenen Möglichkeiten gehandelt wird, darzulegen, was alles unter Wahrheit verstanden werden kann. Also lieber nicht!
Herr Abgeordneter Moersch!
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß sich die CDU/CSU-Fraktion auf ähnliche, fast Bleichlautende Fragen der damaligen FDP-Opposition strikt geweigert hat, der Opposition auch nur die Gleichheitschance in der Information einzuräumen, wie sie heute von hier gefordert wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist richtig, Herr Abgeordneter.
Können Sie dann auf die Zwischenrufe der Opposition bestätigen, daß hier ein schönes Beispiel für den Fortgang der Erkenntnis durch Erfahrung vorliegt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jawohl, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wörner.
Herr Staatssekretär, könnten Sie dann mit eben jener Süffisanz auch bestätigen, daß offensichtlich die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch gewisse Parteien oder das Mittragen durch gewisse Parteien ebenfalls zu Sinneswandel führen kann, wie es hier an der Haltung Ihres Koalitionspartners offenbar wird?
Meine Damen und Herren, diese Frage lasse ich nicht zu, aus einem ganz einfachen Grunde: Es ist nicht Sache der Fragestunde, philosophische Begriffe zu klären oder gar geschichtliche Erfahrungen zu interpretieren und darzutun, wozu einen der Wandel der Verhältnisse bringen kann. Es muß konkret gefragt werden: Ist das geschehen, ist das nicht geschehen? Das gilt für alles und für jedes.
Die Frage ist beantwortet. Wir haben jetzt noch die Dringlichkeitsfragen des Abgeordneten Klepsch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis möchte ich auch die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Klepsch gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich die Fragen 1 und 2 des Herrn Albgeordneten Dr. Klepsch auf Drucksache 111/488 ,auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung im Haushaltsplan 1970 „auch mehr Geld .. . für neue Krankenhäuser" bereitstellt, wie eine Anzeige des Bundespresseamtes mitteilt, die am Samstag, dem 28. Februar 1970, in zahlreichen großen Tageszeitungen, wie der Mainzer Allgemeinen Zeitung, erschien?
Wenn nicht, ist die Bundesregierung bereit, den richtigen Tatbestand durch eine gleiche Annoncenaktion den Lesern dieser Zeitungen mitzuteilen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist nicht richtig, Herr Abgeordneter, daß in .der Anzeige des Bundespresseamts die Behauptung aufgestellt wird, im Haushaltsplan 1970 werde auch mehr Geld für neue Krankenhäuser bereitgestellt. Das Mißverständnis, um das es sich hier handelt, ergibt sich daraus, daß sich die Anzeige nicht nur mit dem Haushaltsplan für 1970 'befaßt, sondern auch mit den Absichten 'der Bundesregierung im Rahmen ihres Reformprogramms, also 'im Rahmen der mehrjährigen Finanzplanung. Wörtlich heißt es in diesem Zusammenhang: „Darum gibt ,die Bundesregierung für das Reformprogramm Jahr für Jahr mehr Geld aus", und unter den dann aufgezählten Vorhaben werden auch die neuen Krankenhäuser erwähnt.Dem Presseamt ist selbstverständlich bekannt, daß im Haushaltsplan 1970 in Einzelplan 15 ein Ansatz von 24 Millionen DM für Darlehen zum Ausbau von Krankenhäusern und zusätzlich eine Verpflichtungsermächtigung von 15 Millionen DM für diesen Zweck enthalten ist. Ab 1971 aber —und darauf .bezieht sich der Text der Anzeige — will die Bundesregierung durch Übernahme des Schuldendienstes auch zum Neubau von Krankenhäusern beitragen.Im einzelnen ist folgende Progression vorgesehen: 1971 7 Millionen DM für ein Gesamtvolumen von 200 Millionen DM, 1972 35 Millionen OM Schuldendienst für ein Gesamtvolumen von 400 Millionen DM und 1973 76 Millionen DM für 466 Millionen DM. Diese Steigerungsraten zeigen, welche Bedeutung die Bundesregierung dem Neubau von Krankenhäusern in den kommenden Jahren beimißt.Selbstverständlich wäre es unmöglich, wenn die Bundesregierung ,die Öffentlichkeit in Zeitungsanzeigen irrezuführen versuchte. Aber dies ist, wie
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1738 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Staatssekretär Ahlersgesagt, nicht geschehen und wird auch nicht geschehen.Um nun auf Ihre zweite Frage zu kommen, Herr Abgeordneter: Sollte sich einmal ein Fehler einschleichen, so glaube ich, daß es zugleich wirksamere und weniger aufwendige Mittel gibt, einen solchen Fehler zu korrigieren, z. B. auf einer Pressekonferenz oder in einer Fragestunde wie jetzt.
Zusatzfrage.
Meine erste Zusatzfrage, Herr Präsident, wenn Sie gestatten. Der Text der Anzeige, der mir hier vorliegt und auf den sich meine Frage gründet, geht davon aus, daß gesagt wird: Die Bundesregierung sichert mit ihrem Haushaltsplan 1970 Stabilität, Reform und sozialen Fortschritt. Unter der Überschrift „sozialer Fortschritt" — das ist dann in drei Spalten eingerückt — kommt ,die Behauptung, daß auch mehr Geld für neue Krankenhäuser ausgegeben werde. Sicher ist auch in der Annonce enthalten, daß man „Jahr für Jahr" mehr tun wolle, aber aus dem Text muß der Leser den Eindruck gewinnen, daß es sich um das Jahr 1970 handelt. Ich entnehme nun Ihrer bisherigen Antwort, daß für das Jahr 1970 für neue Krankenhäuser keinerlei Mittel vorgesehen sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist richtig, Herr Abgeordneter.
Zweite Zusatzfrage.
Wenn das der Fall ist, warum hat dann der amtierende Leiter des Bundespresseamts, Niebel, zunächst behauptet, daß im Haushalt 1970 mehr Geld für neue Krankenhäuser vorhanden sei?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich war zu diesem Zeitpunkt in London. Es tut mir leid, ich kann nicht einmal bestätigen, daß er das behauptet hat, geschweige denn, daß ich erklären könnte, warum er es behauptet hat, wenn er es behauptet hat.
Noch eine Zusatzfrage.
Habe ich nur noch eine, Herr Präsident?
Ich meine das Wort „eine" nicht arithmetisch, sondern als unbestimmten Artikel.
Soll ich Ihrer letzten Antwort entnehmen, daß Sie sich mit der Frage seit Ihrer Rückkehr nicht beschäftigen konnten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Doch, selbstverständlich, Herr Abgeordneter, ich habe nur,
ehrlich gesagt, nicht mehr im Kopf, was Herr Niebel — wenn Sie auf die Pressekonferenz abzielen — dort gesagt hat. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß Herr Niebel etwas gesagt hat, was nicht mit den Tatsachen übereinstimmt.
Letzte Zusatzfrage.
Letzte Zusatzfrage: Herr Ahlers, ich entnehme Ihren Antworten, daß Sie nicht bereit sind einzuräumen, daß ein Leser, der diese Anzeige zur Kenntnis nimmt, zweifelsfrei davon ausgehen muß, daß Sie ihm für das Jahr 1970 mehr Geld für neue Krankenhäuser in Aussicht gestellt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wenn Sie meine Antworten zu den vorherigen Fragen von Herrn Dr. Häfele genau verfolgt haben, werden Sie doch festgestellt haben, daß meine Einstellung die ist, daß auch solche Anzeigen so formuliert sein sollten, daß jedes Mißverständnis ausgeschlossen ist.
Ich räume gerne ein, daß, wenn man so genau an diesen Text herangeht, wie Sie es hier tun und mit Riecht tun, die Möglichkeit eines solchen Mißverständnisses gegeben ist, obwohl, wenn man, wie gesagt, noch penibler an den Text herangeht, dieses Mißverständnis wiederum eigentlich nicht auftreten kann.
Ich kenne natürlich auch die einschlägigen presserechtlichen Urteile des Bundesgerichtshofes und weiß, daß man in Artikeln und sicher .auch in Anzeigen auf den flüchtigen Leser abstellen muß, und in bezug auf den flüchtigen Leser würde ich Ihnen zugeben, daß hier nicht genau genug formuliert worden ist.
Da wir uns hier schon recht akademisch unterhalten, möchte ich auch einen kleinen Beitrag leisten. Ich hätte eigentlich die letzte Zusatzfrage auch nicht zulassen dürfen, denn Sie können nicht fragen, ob die Regierung den Eindruck haben kann, daß ein Dritter einen bestimmten Eindruck vom Text einer Anzeige haben könnte.
Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg!
Herr Staatssekretär, halbe ich Sie richtig verstanden, daß diese Anzeige im Prinzip gute Absichten für künftige Jahre verkündet hat, jedenfalls soweit es die Krankenhäuser betrifft, daß aber die Behauptung „Jahr für Jahr mehr Geld" tatsächlich für das Jahr 1970, also für dieses Jahr falsch ist, auch für den gründlichen Leser? Das möchte ich im Gegensatz zu Ihrer Auffassung von eben feststellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Abgeordneter, das Mißverständnis liegt darin,
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1779
Staatssekretär Ahlersdaß in der Tat die Anzeige in bezug auf den Haushalt 1970 aufgerissen ist, daß sie dann aber in dem Mittelteil unter dem Stichwort „Reformen" vom Haushalt 1970 weg auf die Zielvorstellungen der Bundesregierung in bezug auf die mehrjährige Finanzplanung übergeht. Unter diesem Kapitel, wo es wörtlich heißt: „Jahr für Jahr mehr Geld", tauchen erst die neuen Krankenhäuser auf. Aber ich räume gern ein: für den flüchtigen Leser mag es so aussehen, als ob hier auch schon im Haushalt 1970 Beträge eingesetzt würden. Daher kommt dieses Mißverständnis.
Eine Zusatzfrage, Herr Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, ich möchte gerade auch in Richtung des gründlichen Lesers fragen: Muß nicht auch er zu der Überzeugung kommen, es gäbe auch im Haushalt 1970 mehr, wenn es von Jahr zu Jahr mehr gibt? Genau das ist ja nicht der Fall.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Abgeordneter, da möchte ich sagen, daß der gründliche Leser sich das auch anders denken könnte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Maucher.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, wenn ich aus Ihren Äußerungen entnehme, daß das die einzige Anzeige dieser Art ist, durch die solche Mißverständnisse entstehen können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wenn Sie die Mißverständnisse auf die Vergangenheit beziehen, nein. Ich weiß, daß die Bundesregierung schon einmal eine Anfrage bezüglich einer Anzeige beantwortet hat, in der es auch um das Problem eines 'Mißverständnisses ging.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Also Sie geben zu, daß es bereits bei mehreren Anzeigen Mißverständnisse gegeben hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei einer.
Herr Abgeordneter Czaja, eine Zusatzfrage.
Herr Ahlers, da Sie zugeben, daß es für den normalen Leser mißverständlich ist, frage ich Sie: Wollen Sie nicht doch wagen, den gleichen finanziellen Aufwand für die Aufklärung des Mißverständnisses bereitzustellen wie für die irrige Meldung selbst?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Abgeordneter, das wäre auch schon nach dem
Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht möglich. Das einzige Mißverständnis, das überhaupt aufgetaucht sein kann, kann sich nur auf das Adjektiv „neu" beziehen. Ich wüßte nicht, wie man überhaupt eine Gegenanzeigenaktion nur in bezug auf den Begriff „neu" starten sollte. Ich glaube, wenn ein solches Mißverständnis vorliegt, reicht es aus — das habe ich auch vorhin in der Antwort an Herrn Klepsch gesagt —, auf diese Frage in einer Pressekonferenz oder in einer Fragestunde einzugehen.
Herr Abgeordneter Niegel, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, werden Sie aus den Erfahrungen, die Sie jetzt und mit vergangenen Anzeigen gemacht haben, die Konsequenzen ziehen, mit diesen Anzeigenaktionen künftig sehr vorsichtig umzugehen, zumal Sie zugegeben haben, daß man mit Pressekonferenzen unter Umständen mehr erreichen kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das habe ich nicht zugegeben. Ich habe nur darauf hingewiesen, daß eine Pressekonferenz oder eine Fragestunde ein wirksameres Mittel wäre als eine von vielen Seiten sicher nicht so beachtete Anzeige, um ein solches eventuell entstandenes Mißverständnis auszuräumen. Generell muß ich sagen: Ich halte die Anzeige für ein sehr wirksames und vernünftiges Mittel der Öffentlichkeitsarbeit insgesamt, der Bundesregierung, der Parteien und anderer Verbände. Sie setzt sich auch, wie die Erfahrung zeigt, immer mehr durch.
Eine Zusatzfrage, Herr Damm.
Herr Staatssekretär, würden Sie die Freundlichkeit haben zu erläutern, inwiefern diese Aktion informationsmäßigen Charakters, von der wir die ganze Zeit sprechen, dem gesamten Staatswesen zugute kommt, wenn doch ein nicht näher zu beziffernder Prozentsatz unserer Bürger, wie Sie ja selbst eingeräumt haben, in die irrige Vorstellung geführt werden kann, daß neue Krankenhäuser mit Mitteln des Bundes gebaut werden, während die Leute am Ende dieses Jahres aber feststellen müssen, daß diese Erwartung leider irrig gewesen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, meine Bemerkung von vorhin war allgemeinerer Natur und bezog sich nicht speziell auf diese Anzeige. Ich habe in der Antwort auf die Fragen von Herrn Dr. Häfele gesagt, daß nach meiner wirklichen Überzeugung informationspolitische Maßnahmen zugleich der Hebung des Informationsniveaus und auch des politischen Engagements der Bürger am Gesamtstaat dienen, ob sie nun von der
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1780 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Staatssekretär AhlersRegierung, von Verbänden oder auch von der Opposition erfolgen. Ich bin deshalb der Auffassung, daß Öffentlichkeitsarbeit, wenn sie wirksam betrieben wird, in jeder Beziehung auch eine gesamtpolitische Bedeutung hat.Was nun diese spezielle Anzeige angeht, glaube ich doch davon ausgehen zu können, Herr Abgeordneter, daß der Krankenhausbau in der Bundesrepublik — wobei jeder von uns weiß, daß das Schwergewicht der finanziellen Aufwendungen dafür natürlich bei den Ländern liegt — auch in den kommenden Jahren zunehmen wird und daß es legitim und richtig ist, wenn der Bürger, sei es auch nur in einer Anzeige der Bundesregierung, auf diesen Sachverhalt hingewiesen wird, von dessen Richtigkeit er sich ja in den nächsten Monaten und Jahren überzeugen kann.
Noch eine Zusatzfrage! Aber ich gebe Ihnen keine weitere mehr.
Herr Staatssekretär, Sie würden also in bezug auf diese Anzeige nur wenig sehen, was dem Anspruch, sie käme dem ganzen Staatswesen zugute, tatsächlich entspräche?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, von jeder einzelnen Aktion wird man immer nur sagen können, daß sie dem Gesamtziel in einem minimalen Umfang dient. Man muß ja die Summe informationspolitischer Aktionen in einem Staat und einer Gesellschaft sehen. Dann kann man mit Recht den Schluß ziehen, daß die Summe solcher Aktionen in der Tat dem Gemeinwesen auf dem Umweg über die Hebung des Informationsstandes der Bürger und ihres Interesses an den für sie bestimmten Maßnahmen zugute kommen.
Herr Abgeordneter Ott!
Herr Staatssekretär, darf ich Sie im Hinblick auf Ihre vorigen Äußerungen wegen der Pressekonferenz um Ihre wirklichen Gründe fragen, die dagegen sprechen, daß sich die Bundesregierung der Pressekonferenz bedient und daß die Mittel, die gegenwärtig die Bundesregierung für Zeitungsanzeigen zur Aufklärung verwendet, der Opposition für Aufklärungszwecke zur Verfügung gestellt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, umgekehrt könnte ich dann fragen, warum sich die Opposition nicht ausschließlich und häufiger der Pressekonferenz bedient. Ich glaube, die Problemlage ist verschieden. Wir haben dieses Thema hier in einer der letzten Fragestunden schon einmal erörtert, als .es um das Problem der Informationslücke ging; Sie erinnern sich daran, Herr Abgeordneter.
In der Tat bin ich der Auffassung, daß die Presse überfordert ist, wenn man von ihr verlangen und erwarten würde, daß sie insgesamt und vor allem in zusammenfassender Form, wie das in einer solchen Anzeige versucht wird, Über alle Maßnahmen der Bundesregierung und — darauf hatte ich vorhin schon hingewiesen — über alle Maßnahmen, die letztlich das Gesamtergebnis der Bundestagsarbeit, der Arbeit der gesetzgebenden Körperschaften überhaupt, zusammenlaufen, unterrichtet.
Deshalb ist es, glaube ich, richtig, daß parallel zu der Arbeit, die zur Information der Gesamtbevölkerung über die normalen Mediengeleistet wird, auch eine gezielte Information der Institution erfolgt, in dem Fall also insbesondere auch der Bundesregierung.
Sie können keine Zusatzfrage mehr stellen, Herr Ott! — Herr Moersch, auch nur eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es die Effektivität der Ausgabe .von Haushaltsmitteln für Anzeigen erfreulicherweise sehr erhöht, wenn diese Anzeigen in der Fragestunde durch die Opposition zur Sprache gebracht werden, .wodurch der Aufmerksamkeitswert erhöht wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist. sicher richtig, Herr Abgeordneter, daß die Erhöhung des Aufmerksamkeitswerts immer wünschenswert ist. Ich möchte es dennoch einschränken: Es wäre nicht der Fall, wenn dadurch die Glaubwürdigkeit der Aktion :Schaden erlitte.
Die. Frage 1 des Abgeordneten Borm aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit ist 'zurückgezogen.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Dichgans auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Chancen und die zeitlichen Möglichkeiten für die Verwirklichung der Pläne, die juristische Referendarausbildung von 30 auf 21 Monate zu verkürzen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zunächst die erste Frage. Eine wesentliche Verkürzung und Intensivierung des gegenwärtig mindestens 30 Monate dauernden Vorbereitungsdienstes im Rahmen der juristischen Ausbildung erscheint schon mit Rücksicht .auf 'die ständig wachsende Zahl von Studenten und Referendaren dringend geboten.Ich habe deshalb neben einem Entwurf für eine Experimentierklausel zur Erprobung einstufiger Ausbildungsmodelle an die beteiligten Bundes- und Landesressorts einen 'Entwurf zur Änderung des § 5 Abs. 3 des Deutschen Richtergesetzes übersandt, in dem eine Verkürzung des Vorbereitungsdienstes von 30 auf 21 Monate vorgesehen ist. Nach Eingang der Stellungnahmen, die bis zum 20. März 1970 erbeten worden sind, und nach einem Gespräch mit den an der Juristenausbildung interessierten Kreisen im April dieses Jahres soll ein 'Gesetzentwurf
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1781
Bundesminister Jahnmeines Hauses alsbald dem Bundeskabinett vorgelegt werden.Wann eine Änderung der Ausbildungsvorschriften in Kraft tritt, wird von dem weiteren Gang des Gesetzgebungsverfahrens abhängen. Die Chancen einer Verkürzung ,des Vorbereitungsdienstes lassen sich noch nicht abschließend beurteilen. Soweit ich bisher über die Auffassungen der Länder unterrichtet bin, wird von diesen eine wesentliche Verkürzung des Vorbereitungsdienstes befürwortet.
Zusatzfrage.
Herr Minister, wird ,die Zahl 21 voraussichtlich Widerstände hervorrufen, und wenn ja, können und wollen Sie uns etwas über die Natur und die Geographie dieser Widerstände sagen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit dem letzten Teil Ihrer Frage bin ich etwas überfordert, weil ich dann offenlegen müßte — dazu fehlen mir im Moment auch die Unterlagen -, welche unterschiedlichen Aufassungen im einzelnen geltend gemacht werden. Insgesamt kann ich aber sagen, daß die Auffassung, 21 Monate seien der richtige Zeitraum, nicht überall geteilt wird, daß es vielmehr auch Vorstellungen über einen unterschiedlich längeren Zeitraum gibt. Ich hoffe dennoch zuversichtlich, daß es gelingen wird, die von mit vertretene Auffassung, auf 21 Monate herunterzugehen, schließlich auch durchzusetzen.
Ich rufe dann die Frage 3 des Abgeordneten Dichgans auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die finanzielle Lage der Referendare aller Fachrichtungen, von denen viele verheiratet sind und Kinder haben, entscheidend zu verbessern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die finanzielle Lage der Referendare ist gerade in letzter Zeit erheblich verbessert worden. So wurden die Grundbeträge der Unterhaltszuschüsse bei den Anwärtern des höheren Dienstes mit Wirkung vom 1. April 1969 um insgesamt 30% erhöht. Ab 1. Januar 1970 werden die Grundbeträge bei den Referendaren um weitere 29 % angehoben. Auch die Verheiratetenzuschläge werden über die allgemeine lineare Erhöhung von 8 % hinaus strukturell verbessert.
Hierdurch erhöhen sich die Gesamtbezüge bei einem verheirateten Referendar unter 26 Jahren um rund 27% auf 974 DM. Die Unterhaltszuschüsse sind damit in verhältnismäßig kurzen Zeitabständen zweimal erheblich stärker angehoben worden, als es die für die aktiven Beamten vorgesehenen Besoldungsverbesserungen erfordern würden.
Im übrigen wird im Laufe dieses Jahres in Zusammenarbeit mit den Ländern die Frage einer grundlegenden Umgestaltung der Unterhaltszuschußverordnung geprüft werden.
Keine Zusatzfragen.
Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich rufe zunächst die Frage 60 des Abgeordneten Dr. Gölter auf:
Beharrt die Bundesregierung bei den weiteren Verhandlungen über die EWG-Weinmarktordnung auf der Auffassung, die der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten anläßlich der Grünen Woche in Berlin geäußert hat, die Bundesregierung werde keiner EWG-Weinmarktordnung ohne Anbauregelung zustimmen?
Herr Kollege Dr. Gölter, zunächst eine generelle Bemerkung. Aus Erfahrungen, die ich gesammelt habe, kann ich nur sagen: Es ist für einen Politiker immer heilsam, niemals „nie" zu sagen. Infolgedessen, so glaube ich, wäre es sehr töricht, wenn ein Bundesminister angesichts des Tatbestandes, daß er weiß, daß letzten Endes eine Zustimmung nur unter Hinzuziehung von fünf anderen Ländern möglich ist, sagt: Um keinen Preis!
Insoweit — ich nehme an, Sie haben eine Zeitung vorliegen — kann ich nicht beurteilen, was eine Zeitung über eine Pressekonferenz von mir berichtet hat. Tatsache ist allerdings, daß sich die Bundesregierung durch mich als ihren Vertreter mit Nachdruck für eine Anbauordnung und Anbauregelung eingesetzt hat, und zwar so nachhaltig, daß ich der Entschließung, der ich ansonsten zugestimmt habe, bezüglich der Anbauregelung mit Vorbehalt zugestimmt habe. Das können Sie dem Protokoll entnehmen.
Ich habe darauf hingewiesen, daß ich mir in bezug auf eine endgültige Weinmarktordnung vorbehalte, meine endgültige Zustimmung von einem befriedigenden Ausgang der Verhandlungen über eine Lösung der Anbauregelung abhängig zu machen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, teilen Sie meine Sorge, daß die Bestimmungen in Artikel 14 des Entwurfs der Marktordnung, wo es heißt, daß Beihilfen für Rebenneuanpflanzungen auch dann genehmigt werden können, wenn diese Beihilfen Weinbaugebiete betreffen, für die der Weinbau einen wesentlichen Bestandteil der landwirtschaftlichen Einkommen bildet, dazu führen könnten, daß wir uns in allernächster Zeit neben einem europäischen Butterberg, Getreideberg und Zuckerberg auch einem großen abzubauenden europäischen Weinfaß gegenübersähen?
Herr Kollege Dr. Gölter, diese Ihre Frage ist sehr komplex. Denn wie Sie die Weinbauverhältnisse auch in der Bundesrepublik kennen, haben auch wir Interesse, daß gewisse Standorte in der Form umgepflanzt werden, daß weniger ertragreiche oder sich weniger für die Qualitätsweinerzeugung eignende Standorte mit Reben versorgt werden, die einen entsprechenden qualitätsreichen Wein bringen. Insoweit kann ich weder ja noch nein sagen. Ihre Frage zielt auf diesen Begriff der Anbauregelung nur indirekt ab. Unser Ziel muß sein, daß eine Lösung gefunden wird, die eine An-
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Bundesminister Ertlbauregelung ermöglicht. Ich verhehle nicht, daß diesbezüglich in Italien große Schwierigkeiten sind. Aber der Europäische Gerichtshof hat inzwischen bezüglich des Weinbaukatasters zuungunsten Italiens entschieden. Ich glaube auch, daß dieser Gerichtsentscheid nicht ohne Auswirkung auf die endgültige Beratung der Weinmarktordnung sein wird.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung bereit, gerade in diesem Fragenkomplex besondere Sorgfalt auch gegenüber den italienischen Verhandlungspartnern walten zu lassen, wenn ich vor allen Dingen darauf hinweise, daß die Anlage des Weinbaukatasters für Italien 1961 für verbindlich erklärt worden ist, 1966 durchgeführt sein sollte, während aber die italienische Regierung sich bis heute noch nicht einmal zum Erlaß einer Durchführungsverordnung entschlossen hat?
Herr Kollege Gölter, ich kann Ihre Frage mit einem klaren Ja beantworten. Vielleicht beruhigt es Sie, wenn ich Ihnen erkläre, daß sich die italienische Regierung über meine harte Haltung in dieser Frage beschwert hat. Vielleicht mag Sie das zufriedenstellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Schulze-Vorberg.
Herr Bundesminister, im Anschluß an Ihre erste Antwort, daß man sich vielleicht nicht ganz festlegen könne oder solle: Könnte man nicht umgekehrt folgern, daß nach einer Feststellung von Ihnen hier und heute, daß für die Bundesregierung eine Anbauregelung für die Weinmarktordnung entscheidend ist, eine Festigung Ihrer eigenen Position, der Bundesregierung und damit unserer Winzer erfolgen würde?
Herr Schulze-Vorberg, ich glaube, Ihre Frage ist schon beantwortet. Ich habe erklärt, daß ich selbst der Entschließung — mehr ist bisher nicht verabschiedet — nur unter dem Vorbehalt — er ist im Protokoll vermerkt — zugestimmt habe, bei der endgültigen Präzisierung der Weinmarktordnung auf die Anbauregelung zurückzukommen. Dabei bleibt es. Ich sehe mich außerstande, im jetzigen Zeitpunkt darüber hinaus zusätzliche Erklärungen abzugeben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, Sie haben gerade erklärt, daß Italien über Ihre so starre Haltung beunruhigt sei. Sind Sie dann der Meinung, daß der heute in den VWD-Pressemitteilungen abgedruckte Artikel, in dem festgestellt wird, daß Italien in den letzten Verhandlungen mehr in seine
Scheuern einfahren konnte als in den vergangenen Jahren, unrichtig ist?
Herr Kollege Susset, ich bin nicht in der Lage, zu einem Artikel Stellung zu nehmen, den ich noch nicht gelesen habe, und will es auch gar nicht tun.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 61 des Abgeordneten Peters auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, was der sogenannte Butterberg der EWG jährlich kostet?
Bitte, Herr Bundesminister.
Herr Kollege Peters, der Bundesregierung sind die Kosten, die der EWG durch die Intervention auf dem Buttermarkt entstanden sind, bekannt. Nach einer Aufstellung der Kommission der Europäischen Gemeinschaft vom 16. Februar 1970 haben die Lagerung der Butter im Jahre 1969 und der verbilligte Absatz in der Gemeinschaft Gesamtkosten in Höhe von rund 1,3 Milliarden DM — gleich 355 Millionen Rechnungseinheiten — verursacht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, sind in dieser Zahl ebenfalls die Verbilligungen für Ausfuhr und die Verbilligungen für den Absatz an sozial Schwache mit enthalten?
Jawohl, soweit ich informiert bin, sind die Gesamtkosten für Maßnahmen auf dem Sektor Intervention hier beinhaltet.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, worauf führen Sie es zurück, daß in der Öffentlichkeit, vor allen Dingen in der Wirtschaftspresse durchweg viel höhere Zahlen genannt worden sind?
Herr Kollege Peters, diese Frage bringt mich beinahe in einen Konflikt. Denn ich habe inzwischen feststellen können, daß niemand über bestehende Vorräte in der EWG absolut präzise Zahlen nennen kann, und zwar auf keinem Sektor. Schätzungen der Kommission beispielsweise lauteten, daß wir Ende letzten Jahres einen Buttervorrat von nun schätzungsweise 450 000 t haben sollten und haben müßten. In der Tat war er bei knapp 300 000 t gelegen. Schätzungen sind sicherlich notwendig und nützlich. — Wir benutzen sie ja auch bei unserem Grünen Bericht. Man kann aber Produktion und Absatz nicht immer auf den Pro-
Bundesminister Ertl
zentsatz genau berechnen. Dementsprechend ergeben sich natürlich Veränderungen.
Daher benutze ich gern die Gelegenheit Ihrer Frage, zu sagen, daß allein die Butterproduktion zwischen 1968 und 1969 um 50 000 t zurückgegangen ist, umgekehrt der Konsum um 50 000 t zugenommen hat. Das ergibt eine Differenz von 100 000 t, die man vielleicht eben statistisch nicht vorhersehen kann. Im allgemeinen kann ich feststellen, daß der Fettverbrauch in der Bundesrepublik nach wie vor ansteigend ist.
Frage 62 des Abgeordneten Peters :
Um wieviel etwa würde der Butterberg abgetragen, wenn in allen Ländern der EWG eine kostenlose Schulmilchspeisung gereicht würde, und wie teuer würde eine solche Aktion der EWG zu stehen kommen?
Bitte, Herr Minister.
Bei der kostenlosen Abgabe von einem Viertelliter Schulmilch in den EWG-Ländern an alle Schüler wäre im Jahre 1969 theoretisch der Butterbestand um rund 60 000 t und bei Einbeziehung auch der Studenten um rund 85 000 t verringert worden. Für die kostenlose Abgabe der Schulmilch an alle Schüler hätte die Gemeinschaft rund 1,06 Milliarden DM und bei Einbeziehung aller Studenten rund 1,5 Milliarden DM aufbringen müssen. Dieser Ausgabe stünde eine Einsparung von 565 Millionen DM bzw. 713 Millionen DM wegen geringerer Überschußmengen gegenüber, so daß die kostenlose Abgabe von Schulmilch in der Gemeinschaft einen zusätzlichen Mittelbedarf von rund 495 Millionen DM bzw. 787 Millionen DM erfordern würde.
Eine Zusatzfrage, Herr Peters.
Herr Minister, halten Sie es für möglich, daß in der EWG eine Regelung erreicht wird, bei der sich zusätzlich zu den Mitteln zum Agrarfonds eine Beteiligung von der EWG und den Ländern — ich meine hier: den Partnerländern — herbeiführen ließe?
Ich halte ,dies im jetzigen Zeitpunkt für unwahrscheinlich. Ich bin aber gerne bereit, die Frage erneut in Brüssel zur Sprache zu bringen. Ich habe schon das letzte Mal im Ministerrat die Gelegenheit benutzt, zu sagen, daß die Vorschläge der Kommission zur Lösung des Butterproblems mir reichlich phantasielos erschienen. Sie haben nämlich nur das eine Ziel, den Butterinterventionspreis zu senken und Magermilchpulver zu stützen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß man sowohl für die Frischmilch wie auch auf dem ButterKäse-Sektor für Frischmilchprodukte mit mehr Phantasie größere Absatzmöglichkeiten erschließen könnte. Vielleicht könnte man dabei manche Steuergelder einsparen. Das erschiene mir notwendig. Dazu gehört sicherlich auch die Schulmilchspeisung.
Allerdings will ich nicht verhehlen: wir haben bei uns in der Bundesrepublik bis jetzt relativ negative Erfahrungen gemacht, und zwar aus zwei Gründen. Erstens ist die Handelsspanne für Hausmeister bei anderen Getränken viel größer; daher werden andere Getränke bevorzugt. Zweitens haben wir nicht immer oder noch nicht die richtigen Automaten, die sich entsprechend bedienen lassen. Aber wir sind dabei, solche Automaten zu entwickeln. In diesem Jahr werden Testversuche unternommen, erneut in Schulen, und zwar insbesondere in einigen großstädtischen Gebieten. Ich habe erst gestern in einem Gespräch mit der CEMA darüber verhandelt und sie gebeten, man möge auch den Versuch machen, insbesondere in Kasernen durch Milchautomaten für Frischmilchabsatz zu sorgen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, welche Chancen räumen Sie einer EWG-Regelung in der Form kostenloser Schulspeisungen insgesamt ein?
Wie ich bisher .den Standpunkt der Kommission und auch eines Teils des Ministerrates kenne, sehr geringe, weil ich das Gefühl habe, daß man — ich bedaure das sehr — für solche Probleme noch nicht den entsprechenden Erkenntnisoder Aufgeschlossenheitsgrad hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Niegel.
Herr Bundesminister, Ihnen ist sicherlich bekannt, daß in Bayern die Schulmilchspeisung gefördert wird. Ist der Bund bereit, sich daran finanziell zu beteiligen?
Herr Kollege, zunächst: in Bayern ist man — mit Recht erbaut — sehr auf das föderalistische System bedacht, und die Schulmilchspeisung ist in der Tat eine Länderaufgabe. Nachdem ich in Übereinstimmung mit meinem Finanzminister andererseits feststellen muß, daß die Länderkasse zur Zeit voller ist als die Bundeskasse,
könnte ich mir vorstellen, daß es eine nützliche Konjunkturbremse wäre, wenn man Länderhaushaltsmittel in Form von Schulmilchspeisung nützlichen Zwecken zuführt.
Frage 63 des Abgeordneten Zebisch:
Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, um die Landwirte von den Möglichkeiten und Formen der Verbundwirtschaft und der damit verbundenen Förderung zu unterrichten sowie Zusammenschlußwillige zu beraten und zu betreuen?
Die Frage der zweckmäßigsten Formen überbetrieblicher Kooperation ist noch in
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1784 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Bundesminister Ertlder Klärung begriffen. Das Bundesministerium für Landwirtschaft hat über die obersten Landesbehörden eine Bestandsaufnahme der bereits vorhandenen Betriebszusammenschlüsse vorgenommen, um aus den bisherigen Erfahrungen sowohl Schlüsse auf die bestmöglichen Kooperationsformen als auch auf eventuell erforderliche Änderungen des Steuer- und Gesellschaftsrechts ziehen zu können. Das Material wird zur Zeit noch vorn Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft ausgewertet. Erst wenn das Ergebnis vorliegt, kann an entsprechende Initiativen und an ,eine Unterrichtung der Öffentlichkeit gedacht werden.Die Beratung und Betreuung von einzelnen Zusammenschlußwilligen ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, die über einen entsprechenden Behördenunterbau nicht verfügt. Das Bundesministerium für Ernährung fördert aber 'bereits jetzt mit Bundesmitteln — Zinszuschüssen — solche Landwirte, die eine Beteiligung an überbetrieblichen Zusammenschlüssen, gleichgültig welcher Rechtsform, mit Fremdgeld finanzieren müssen. Voraussetzung ist, daß ein regionaler Gutachterausschuß das Vorhaben auf Grund eines Betriebsentwicklungsplans als sinnvoll und nützlich befunden hat.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, sind der Bundesregierung zu meinem Fragenkomplex Modellfälle bekannt, die in anderen Staaten im EWG-Bereich bereits durchgeführt werden?
Herr Kollege Zebisch, ich bin zur Zeit nicht in der Lage, Ihnen die Frage konkret zu beantworten. Ich werde sie in meinem Hause prüfen lassen und Ihnen schriftliche Antwort zukommen lassen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, haben Sie bei 'den Ländern in der Bundesrepublik Deutschland selbst nachgefragt, ob hier bereits ein Modellfall vorliegt, z. B. in Niedersachsen oder Hessen?
Herr Kollege Zebisch, durch die zweite Frage ist meine Erinnerung wieder ein bißchen gestärkt worden. Mir ist ein Projekt in Hessen sehr wohl bekannt, ich nehme an, daß Sie dasselbe Projekt meinen wie ich. Dazu kann ich Ihnen sagen, daß wir der Kommission vorgeschlagen haben, daß auch wir es fördern wollen und daß wir diese Förderungsmaßnahmen bzw. die Entwicklung dieses Projekts idann wissenschaftlich auswerten wollen. Im übrigen habe ich Ihnen bereits in meiner Antwort auf Ihre Frage mitgeteilt, daß wir gerade dabei sind, mit den Ländern die nötigen Erfahrungen zu sammeln, um daraus dann die Schlüsse zuziehen, sei es auf Idem rechtlichen, sei es auf 'dem Förderungssektor.
Keine Zusatzfrage mehr. Frage 64 ,des Abgeordneten Dr. Hermesdorf :
Ist die Bundesregierung bereit, den Rechtsnachfolgern aller im Rahmen der kommunalen Neugliederung zusammengeschlossenen bisher ländlichen Gemeinden die Zinsverbilligung von Darlehen zur Finanzierung von Maßnahmen der Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung gemäß den Richtlinien des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 7. Juli 1967 nicht nur für eine Übergangszeit von fünf Jahren zu belassen, sondern die Zinsverbilligungszuschüsse für die Zeit zu gewähren, für die sie den früher selbständigen ländlichen Gemeinden zugesagt worden sind?
Herr Kollege Dr. Hermesdorf, soweit sich bisher selbständige ländliche Gemeinden zu einer neuen einheitlichen Gemeinde zusammenschließen, die keinen überwiegend städtischen oder gewerblichen Charakter hat, kann unabhängig von der Einwohnerzahl die ursprünglich Iden einzelnen ländlichen Gemeinden für Darlehen zur Finanzierung von Anlagen zur Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung zugesagte Zinsverbilligung in vollem Umfange belassen 'bleiben. Findet 'dagegen ein Anschluß an eine 'Gemeinde mit überwiegend städtischem oder g'ewerbl'ichem Charakter statt, z. B. die Eingemeindung in eine größere Stadt, so können die bereits bewilligten Zinszuschüsse für die vorgenannten Maßnahmen den Rechtsnachfolgern nur noch für 'eine Übergangszeit von fünf Jahren weiter gezahlt werden. Eine längere Verbilligungsdauer ist für 'diesen Kreis von Begünstigten infolge dessen wesentlich verbesserter Wirtschaftskraft mit Mitteln, die der Landwirtschaft unmittelbar zugute kommen sollten, nicht zu vertreten.
Zusatzfrage.
Herr Minister, teilen Sie meine Meinung, daß auch bei dem zuletzt von Ihnen angesprochenen Zusammenschluß die infrastrukturellen Probleme des bisher ländlichen Raumes und auch die finanziellen Schwierigkeiten unverändert fortbestehen, so daß die von Ihnen hier vorgesehene Regelung den Belangen des bisher ländlichen Raumes nicht gerecht wird, da sinnvolle kommunale Zusammenschlüsse, die oft auf freiwilliger Basis zustande gekommen sind, mit einer Verschlechterung der finanziellen Ausstattung „honoriert" werden?
Nein, ich kann diese Ihre Meinung nicht teilen, wie 'ich Ihnen bereits in meiner ersten Antwort mitgeteilt habe. Bei einem Anschluß einer Gemeinde an eine überwiegend städtische Gemeinde ist Idie Wirtschaftskraft in der Tat größer als bei einem Zusammenschluß rein ländlicher Gemeinden. Schon aus der Verantwortung meines Ressorts heraus kann ich es nicht vertreten, daß Mittel für die Landwirtschaft vorwiegend städtischen Zwecken zugeführt werden. Das würde nämlich zu einer weiteren Verzerrung meines Haushalts führen, der sowieso nicht immer in einer sehr glücklichen Optik dasteht.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Minister, glauben Sie, 'daß durch die Angliederung früher ländlicher Gemeinden an eine Stadt der bisher ländliche Raum zu einem städtischen wird? Ist Ihnen bekannt, daß die Auswirkungen dieses Ihres Erlasses vom 4. August 1969 auf die Gebührenhaushalte unerträglich sind und daß vor allem noch die Schwierigkeiten hinzukommen werden, die auf Grund der Mehrbelastung durch den Schuldendienst aus notwendigen zukünftigen Projekten mit Sicherheit erwachsen werden?
Herr Kollege Dr. Hermesdorf, das ist wieder ein sehr differenziertes Problem. Erstens kann man das nicht global entscheiden, sondern man kann immer nur von Fall zu Fall entscheiden. Zweitens bin ich nach wie vor der Meinung, daß dann, wenn eine ländliche Gemeinde in einen städtischen Bereich eingegliedert wird, eine weitgehende Integration mit der Stadt erfolgt. Das kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung sagen. Ich stamme aus einer Vorstadtgemeinde im Raum München und konnte diesen Eingliederungsprozeß mit eigenen Augen verfolgen.
Zusatzfrage.
Herr Minister, wie soll ich Ihre letzte Antwort mit Ihrer vorigen in Einklang bringen? In Ihrer vorigen Antwort war ja von einer globalen Festlegung die Rede, während Sie jetzt gesagt haben, man könne eine solche Frage nicht global fixieren.
Herr Kollege Klepsch, ich will nicht in dialektische Nuancierungen verfallen. Ich wollte Ihrem Kollegen Hermesdorf entgegenkommen. Selbst wenn ich so eine Frage bejahen könnte, würde ich sie höchstens individuell bejahen, niemals global. Meine erste Antwort war global. Meine zweite Antwort war 'differenziert, um dem Kollegen Hermesdorf ein klein wenig entgegenzukommen. Ich wollte ihm damit sagen, daß es am Grünen Tisch oder hier im Parlament nicht leicht ist, zu solch differenzierten Problemen mit einem Satz befriedigend Stellung zu nehmen.
Meine Damen und Herren, die 60 Minuten, die uns für Fragen und Antworten zur Verfügung stehen, sind vorüber.
Vereinbarungsgemäß sollten heute noch die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung behandelt werden. Nun ist er morgen nicht da. Er ist aber bereit, diese Fragen am Freitag zu beantworten. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
Ich rufe die unterbrochene dritte Beratung des Punktes 17 der Tagesordnung auf: Wegfall des von
Rentnern für ihre Krankenversicherung zu tragen. den Beitrags.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Härzschel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hatten ursprünglich vor, eine kurze Erklärung zu der dritter. Lesung abzugeben. Aber die Ausführungen von Herrn Professor Schellenberg zwingen mich, einige Worte zu diesen Vorwürfen zu sagen, die so einfach nicht im Raum stehenbleiben können.
Meine Damen und Herren, hier stand nicht sosehr die Sachfrage im Vordergrund, sondern es wurde die Tendenz sichtbar, die CDU/CSU einfad als unsozial und rentnerfeindlich abzustempeln. Dagegen wehren wir uns mit aller Entschiedenheit.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie kurz unterbrechen. Mir wird soeben mitgeteilt, daß der Verteidigungsminister morgen doch da sein wird. Die ihm geltenden Fragen werden also morgen beantwortet werden können.
Ich bitte um Entschuldigung für die Unterbrechung.
Wir haben es nicht nötig, uns immer wieder zu verteidigen; denn die Rentenreform von 1957 ist ein Werk der CDU/CSU unter einem CDU-Kanzler und einem CDU-Arbeitsminister gewesen.
- Trotzdem ist es so, Herr Professor. Darauf bauen Sie auf. Ehe Sie uns unsoziales Verhalten vorwerfen, müssen Sie erst einmal ein solches Werk vorweisen.Wir haben wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß wir nicht grundsätzlich gegen die Abschaffung des zweiprozentigen Rentnerkrankenversicherungsbeitrages sind. Es ist einfach unrichtig, wenn Sie hier behaupten, verschiedene Redner hätten das gesagt. Wir haben verschiedene Fragen gestellt, aber niemand von uns hat die Abschaffung in Frage gestellt. Was wir wollten, war Klarheit über die finanzielle Grundlage im einzelnen.Herr Kollege Schellenberg, Sie haben einige Kollegen von uns zitiert, die da und dort eine andere Meinung geäußert hätten. Es muß doch noch erlaubt sein, über diese Fragen einmal nachzudenken und da und dort auch eine andere Meinung zu vertreten.
Oder wollen Sie hier nur eine sterile Meinung gelten lassen?
Wir wehren uns gegen den Vorwurf, wir hätten vier Monate Unruhe geschaffen und seien vier Monate dagegen gewesen. Das ist einfach nicht wahr, es ist eine Verdrehung der Tatsachen. Durch wen ist denn die Unruhe gekommen? Doch dadurch, daß Sie etwas
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1786 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Härzschelversprochen haben, was Sie hinterher nicht halten konnten. Von daher hat die ganze Entwicklung erst den Anfang genommen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? —
Herr Kollege Härzschel, ist Ihnen denn nicht klar, daß schon seit Einführung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrages Unruhe besteht, weil in der Rezession gerade die Rentner belastet worden sind, und später, weil die Rentner erwarten konnten, daß diese Maßnahme in der Hochkonjunktur zurückgenommen wird?
Herr Kollege Geiger, es ist nur verwunderlich, daß Sie das nicht früher aufgegriffen haben. Das steht weder in Ihrem Programm noch sonstwo. Es war auch in der Regierungserklärung nicht erwähnt, obwohl es doch nach ihrer Meinung so wichtig war.
Eine weitere Zwischenfrage? — Bitte!
Herr Kollege Härzschel, ist es nicht 'so, daß die Abschaffung des zweiprozentigen Rentnerbeitrages zur Krankenversicherung weder in 'der Regierungserklärung noch sonst irgendwo vorgesehen war und daß sie lediglich die Alternative dazu war, daß man das nicht durchführen konnte, was man den Rentnern nach der Wahl versprochen hatte, nämlich zunächst 100 DM Weihnachtsgeld, dann 50 DM, dann gar nichts?
Genauso war es. Bei unseren kritischen Fragen stand die finanzielle Solidität im Vordergrund, Herr Kollege Schellenberg. Wir waren 'der Meinung, daß die Vorausschätzung langfristig gesichert sein muß. Wir haben uns noch vor sechs Monaten darum bemüht, die Finanzierung langfristig zu ordnen. Sechs Monate später sind plötzlich auf lange Sicht 29 Milliarden DM mehr in der Kasse. Zumindest muß man sorgfältig die Fakten prüfen, ob sie stimmen. Das darf uns hier nicht als unsoziales Verhalten ausgelegt werden. Wir wollen nicht eventuell morgen wieder vor der Tatsache stehen, daß wir den Rentnern etwas gegeben haben, was wir ihnen dann vielleicht wieder nehmen müssen.
— Sie waren doch dabei und haben zugestimmt!
Gerade aus diesem Grund, Herr Kollege Wehner,wollten wir dafür sorgen, daß diese Dinge auch langfristig gesichert sind, wenn wir jetzt etwas ändern.
Wir standen mit unseren Bedenken ja nicht allein, sondern sie sind auch vom Sozialbeirat geteilt worden. Lesen Sie doch einmal nach, was der Sozialbeirat im einzelnen gesagt hat, vor allen Dingen auch das, was er zu der Eile erklärt hat, mit der Sie den Entwurf eingebracht haben. Sie sollten also nicht so tun, als sei nur die CDU daran schuld, daß alles so langsam gehe und die Dinge nicht schon längst erledigt worden seien. Jedermann kennt doch die Zusammenhänge. Unsere Fragen waren berechtigt, wie die Fragestunde gezeigt hat. Denn es wurde deutlich — Sie brauchen nicht zu lächeln, Herr Professor Schellenberg —,
daß die Probleme vorher nicht mit der Bundesbank abgestimmt worden waren. Das ist eine Tatsache, und .das mußten Sie doch zugeben, als der Entwurf eingebracht wurde. Wir sind der Meinung, daß dies alles — davon zeugt auch Ihr Entwurf — in einer Hast vorgelegt worden ist, die dem Anliegen an sich nicht gerecht wird. Schließlich mußte Ihnen der Bundesrat nachweisen, daß Sie einige beachtliche Regelungen vergessen hatten. Das beweist doch, daß Sie ihn nicht richtig durchdacht haben.
— Die Übergangsvorschriften!
— Immerhin! Das zeigt doch, daß Sie daran nicht gedacht haben.
Etwas anderes. Sie werfen uns vor, wir verträten in fünf Sprachen sechs verschiedene Meinungen. Das ist auch eine Unwahrheit. Wir haben lediglich diejenigen Probleme, die neben dem 2%igen Krankenversicherungsbeitrag anstehen, angesprochen, und das sind eine ganze Menge. Wir sind der Meinung, daß diese Anliegen in einer Gesamtkonzeption hätten dargestellt werden sollen. Diese Gesamtkonzeption haben wir ganz einfach vermißt.
Es bedeutet doch nicht, daß man sechs verschiedene Meinungen hat, wenn man sagt: Hier und da und dort ist noch ein Problem, das nicht gelöst ist. Das hat doch mit der gesamten Materie etwas zu tun.
Sie selber haben in Ihrer Begründung des Entwurfs und auch in der ersten Lesung deutlich gemacht, daß es andere Probleme gibt. Ich erinnere nur daran, daß Sie das niedrige Rentenniveau beklagen. Herr Killat hat das auch getan. Selbstverständlich tun wir das alle. Aber wir fragen uns, wenn ein Rentner mit einer Rente von 300 DM jetzt 6 DM mehr bekommt, ob das seine Existenz entscheidend verbessert oder ob nicht zusätzlich etwas getan werden müßte.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1787
HärzschelDas ist doch die Frage. In der Rentenversicherung stehen eine ganze Menge anderer Probleme an, über die wir gern im Zusammenhang damit gesprochen hätten.
Ich bedauere auch, daß Sie in Ihrer Rede den Bundeszuschuß überhaupt nicht erwähnt haben. Der Sozialbeirat und alle Sachverständigen haben sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß dieser Bundeszuschuß in einem engen Zusammenhang mit der Einführung des 2%igen Beitrags stand und gleichzeitig mit dem Wegfall dieses Beitrags auch wieder voll ausgewiesen werden müßte. Das alles haben Sie nicht erwähnt. Ich erinnere mich noch, wie gerade Sie früher beklagt haben, daß der Bundeszuschuß prozentual sinken würde. Rechnen Sie einmal nach, wie es damit heute unter Ihrer Regierungsverantwortung steht.
Auch die Frage, inwieweit eine Prognose für die Zukunft möglich ist, muß sehr sorgfältig geprüft werden. Wir glauben, daß die gegenwärtige Entwicklung nicht isoliert gesehen werden kann, sondern nur eine langfristige Sicherung zu vernünftigen Ergebnissen führen wird.
Sie haben so getan, als sei in der Kasse eigentlich noch eine Reserve. Dazu ist zu sagen, daß das offenbar nicht stimmt. Denn es muß doch festgehalten werden, daß die neuen Vorausberechnungen auch nach den Aussagen der Sachverständigen und des Staatssekretärs keinerlei 'Reserven mehr enthalten. Ein Spielraum für weitere wichtige Vorhaben, beispielsweise für die Beseitigung von Härten in der Rentenversicherung oder für Leistungsverbesserungen, ist nicht vorhanden. Es wäre auch notwendig, im Interesse der Öffentlichkeit einmal die unterschiedliche Auffassung zwischen Herrn Minister Arendt und Herrn Staatssekretär Auerbach in dieser Frage klarzustellen.
Der eine sagt, es sei kein Spielraum vorhanden, der andere redet draußen von möglichen weiteren Verbesserungen.
Das alles sind Dinge, die uns natürlich beunruhigen und über die wir Klarheit haben möchten.Ich möchte im übrigen auch davor warnen, künftig in die Berechnungsgrundlage etwa eine größere Inflationsrate einzubauen; denn das wäre sicher nicht im Interesse der Rentner.
Eines muß noch erwähnt werden: Sie stellen die Sache so dar, als wäre das ein großartiges Geschenk der Regierung. Sie müssen doch zugeben, daß das in erster Linie von den Versicherten der Arbeiterrentenversicherung und der Angestelltenversicherung — von denen im besonderen — aufgebracht werden muß und daß die Bundesregierung im Bundeshaushalt dazu nichts beiträgt.
Ich habe vorhin schon gesagt: wir stimmen der Abschaffung dieses Beitrags zu,
und wir begrüßen es, daß dadurch die Lage der Rentner verbessert wird, besonders auch deshalb, weil die Situation der Rentner durch die inzwischen eingetretenen anhaltenden Preissteigerungen wesentlich verschlechtert worden ist, und das trifft in erster Linie gerade die niedrigen Einkommen.
Auch das ist ein sozialer Aspekt: Sie geben hier auf der einen Seite etwas, was Sie auf der anderen wieder nehmen.
Die Statistiken zeigen eindeutig, daß die Rentner am stärksten von diesen Preissteigerungen betroffen sind. Diese Frage muß man auch einmal von dem Gesichtspunkt her sehen, nicht nur immer allein vom sozialpolitischen Standort. Die Zusammenhänge zwischen Sozial- und Wirtschaftspolitik sind hier besonders deutlich. Deshalb erwarten wir auch von der Bundesregierung, daß sie hinsichtlich der Bundeszuschüsse bei der Fortschreibung ihrer mittelfristigen Finanzplanung die notwendigen Erhöhungen eventuell auch über das jetzt im Gesetz vorgesehene Ausmaß hinaus, rechtzeitig einplant. Die finanzielle Basis der Rentenversicherung muß auf jeden Fall gestärkt werden, damit Beitragserhöhungen in der Zukunft vermieden werden und damit gleichzeitig ein Spielraum
für die Weiterentwicklung des Rentenrechts bleibt. — Herr Professor Schellenberg, wir haben im Ausschuß wiederholt Fragen gestellt, die uns nicht beantwortet worden sind. Eine dieser Fragen war die nach den 18 Prozent. Sie haben nicht eindeutig erklärt, ob Sie über diese 18 Prozent Beitrag hinausgehen wollen oder nicht. Das scheint mir aber eine wesentliche Frage zu sein. — Bitte!
Herr Kollege Härzschel, ist Ihnen nicht bekannt, daß wir bei den Vorausberechnungen von den Beitragssätzen ausgegangen sind, die im letzten Jahr gesetzlich festgelegt wurden?
Ich frage mich dann nur, warum Sie nicht ganz offen erklären: Wir werden über die 18 Prozent nicht hinausgehen.
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1788 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Härzschel— Wenn das so selbstverständlich wäre, hätten Sie sich nicht so oft danach fragen lassen, ohne eine Antwort zu geben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Härzschel, würden Sie nicht Herrn Schellenberg einmal fragen, ob mit der Einführung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrages und zur Sicherung der Renten für die Zukunft auch der Beitrag ab 1973 auf 18 % erhöht werden muß und ob man nicht genau dieselbe Frage hätte stellen müssen, nämlich inwieweit der Beitrag dann, nachdem ein höheres Beitragsaufkommen zu verzeichnen ist, wieder gesenkt werden kann?
Ichglaube, es ist deutlich geworden, daß das, was hier an Vorwürfen erhoben wird, in keiner Weise gerechtfertigt ist und stimmt.
Ich muß zum Schluß noch einmal mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß wir uns dagegen wehren, hier als unsozial dargestellt zu werden. Denn wir haben in der Geschichte der Bundesrepublik in verantwortlicher Regierungsarbeit einen Sozialstaat geschaffen, der sich in Europa und in der Welt sehen lassen kann.
Trotz der Mängel der Regierungsvorlage hinsichtlich der Finanzierung und des offensichtlichen Fehlens einer Gesamtkonzeption über weitere Reformmaßnahmen stimmen wir im Interesse und zum Wohl der Rentner diesem Gesetz zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn jemand erst um 15 Uhr den Saal betreten haben sollte oder vielleicht auf die Zuschauertribüne gekommen ist, müßte er den Eindruck haben, daß es sich hier um eine Debatte um die Zukunft der Rentenversicherung oder der Krankenversicherung oder sonst etwas handelt, während es doch in Wirklichkeit, meine Damen und Herren — wollen wir doch einmal die Dinge wieder auf den Teppich bringen! —, darum geht, ein Unrecht zu beseitigen, das vor zwei Jahren in diesem Hause beschlossen wurde und bei dem - das darf ich offen sagen — die Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion sehr viel
Bauchweh hatten, als sie es aus Koalitionsgründen mit beschließen mußten.
So sind die Dinge nun einmal. Bitte, meine Damen und Herren, lesen Sie die Protokolle von damals nach! Es wurde damals von den sozialdemokratischen Kollegen eindeutig erklärt: Sobald wir können, sobald wir die Dinge wieder im Griff haben, werden wir uns dafür einsetzen, das wieder abzuschaffen.
Wir haben damals — auch das möchte ich hier ganz eindeutig sagen — von Anfang an von dieser Manipulation nichts gehalten. — Bitte schön, Herr Kollege.
Zunächst hat Herr Kollege Müller das Wort zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Schmidt, war es denn nicht auch ein Unrecht, daß man seinerzeit mit der Einführung des Rentenkrankenversicherungsbeitrags auf Vorschlag des Herrn Abgeordneten Schellenberg den Beginn der Rente einen Monat zurückgesetzt hat und die Anrechnung des Arbeitslosengeldes auf den Rentenbezug eingeführt hat? Warum hat man das nicht beseitigt?
Herr Kollege Müller, es ist, glaube ich, nicht meine Aufgabe, die damals zwischen der Großen Koalition geführten Gespräche zu analysieren. Vielleicht waren Sie damals dabei; dann wissen Sie's ja. Sie mußten sich in einigen Fragen zusammenraufen; nun schön. Aber ich weiß jedenfalls eines noch sehr deutlich — ich habe es noch im Ohr —, nämlich daß die Sprecher der SPD damals sagten: Uns gefällt dieser Rentnerkrankenversicherungsbeitrag nicht, wir werden bemüht sein, ihn bald wieder abzuschaffen. Das war auch unsere Meinung. Deshalb haben wir damals gleich nein gesagt, weil — —Bitte schön, Herr Kollege. — Aber ich darf dann eventuell um Zeitverlängerung bitte, Herr Präsident.
Herr Kollege Schmidt, ich räume Ihnen ein, daß Sie damals dagegengestimmt haben. Darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir damals gemeinsam mit den Sozialdemokraten ebenfalls Bauchweh hatten. Zweitens darf ich die Frage stellen: Ist Ihnen bekannt, daß ein prominenter Kollege der Sozialdemokraten, den ich hier schon einmal zitiert habe, schwarz auf weiß von sich gegeben hat, daß er diesen zweiprozentigen Krankenversicherungsbeitrag für die Rentner eindeutig begrüßt?
Ich habe schon einmal festgestellt, daß ich die Bauchwehkrankheiten der Großen Koalition zur damaligen Zeit hier nicht analysieren möchte. Auch Sie haben sicher, im Unterbewußtsein zumindest, Bauchweh gehabt. Denn Sie
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1789
Schmidt
haben das Ding „Rentnerkrankenversicherungsbeitrag" genannt, also einen Beitrag zur Krankenversicherung, während es in Wirklichkeit dazu diente, die Rente zu finanzieren, und eine Rentenkürzung mit einem Eingriff in das System war. Machen wir uns da gar nichts vor.
Herr Kollege, Herr Ott möchte auch noch eine Frage stellen.
Bitte schön, Herr Kollege Ott.
Herr Kollege Schmidt, würden Sie mir widersprechen, wenn ich behaupte, daß das gemeinsame Bauchweh daher gekommen ist, daß der zu Ihrer Fraktion gehörende Bundesfinanzminister uns die Kasse in dieser Situation überlassen hat?
Herr Kollege Ott, ich kann Ihnen persönlich nicht sehr gut widersprechen, weil Sie diesem Hause noch nicht angehörten,
als der unserer Fraktion zugehörige Finanzminister bereits sehr eindeutig in einem Brief an den damaligen Bundeskanzler — vor der Bundestagswahl 1965 — auf diese Probleme hingewiesen hat. Den Brief kennen Sie aber auch. Nur kann ich Ihnen nicht widersprechen, weil. Sie damals noch nicht im Hause waren.
Nun aber wieder zur Sache. Ich habe soeben schon gesagt: das Bauchweh war berechtigt. Man sprach von Krankenversicherungsbeitrag, und es ging in die Rentenkassen. Wie das draußen beurteilt worden ist, hat ja der uns bzw. der Regierung sicher nicht besonders nahestehende „Münchner Merkur" unter dem 23. Januar 1970 in der Überschrift mit „Bonner Notlüge" bezeichnete. Es war auch nichts anderes als eine Manipulation, es war nichts anderes als ein Vertuschen der Tatsache, daß man die Renten etwas kürzen wollte, aber einen Aufhänger dafür brauchte. Das hat mein Kollege Spitzmüller damals sehr eindeutig diesem Hohen Hause vorgetragen. Daran werden Sie sich alle erinnern können. Wir haben damals darauf hingewiesen, daß wir von unserer Seite alles tun werden, daß diese Frage wieder vom Tisch kommt und daß hier eine Korrektur erfolgt. Deshalb freuen wir Freien Demokraten uns, daß es gelungen ist, jetzt trotz allem Hin und Her, trotz der Tatsache, daß man sehr, sehr unterschiedliche Meinungen gehört hat, einstimmig diese Korrektur vorzunehmen. Ich glaube, es wäre gar nicht notwendig gewesen — es hat auch nicht ganz den Tatsachen entsprochen —, daß Sie, Herr Kollege Härzschel, sagen, die Vorwürfe, die der Kollege Schellenberg erhoben hat, stimmten nicht. Ich kann mich noch an die erste Lesung erinnern, an die drei Strömungen, die hier auftauchten. Ich will sie nicht noch einmal analysieren, aber wir können sie gern gemeinsam nachlesen.
— Ich habe ja soeben festgestellt: die drei Strömungen, die auftauchten, die auch im Ausschuß vorhanden waren. Und ich kann mich an das „Jein" im Ausschuß vom ersten Tag der Beratungen an erinnern. Ich kann mich sehr gut an den Kollegen Ruf als ersten Ausschußsprecher Ihrer Fraktion erinnern, der zunächst einmal sagte: Wir werden dem Gesetz zustimmen, aber, aber, aber ...! Dann kam eine lange Litanei mit allen möglichen Vorstellungen, inwieweit die Rentenversicherungen in Schwierigkeiten kommen könnten und, und, und ...! Heute sind wir doch dabei — und darauf kommt es meines Erachtens an—, dafür zu sorgen, daß endlich — das war unser Ziel — dieser zweiprozentige Rentenabzug - ich will es mal so nennen — in Zukunft verschwindet und ab 1. Januar zurückgezahlt wird. Das, meine Damen und Herren, begrüßen wir Freien Demokraten. Wir hoffen, daß man bei all den neuen und notwendigen Überlegungen, die wir weiter anstellen werden im Bereich der Rentenversicherung -- ich denke an die Frage der flexiblen Altersgrenze —, und auch bei den Überlegungen, die wir in Richtung auf eine Krankenversicherungsreform in diesem Hohen Hause anstellen müssen, nie wieder auf den Gedanken kommt, mit manipulierten Sachen zu arbeiten, sondern dann offen und ehrlich sagt: Dieses oder jenes muß aus den oder jenen Gründen geschehen, und nicht sagt: Wir nehmen dir einen Krankenversicherungsbeitrag weg, um deine Rente praktisch zu verkürzen bzw. sie wieder mit zu finanzieren — was im Endeffekt durch die Zahlenentwicklung aus dem Wege geräumt ist.
Ich glaube, über diese Frage ist wirklich schon oft diskutiert worden. Lassen Sie mich daher abschließend noch einmal sagen: Wir Freien Demokraten freuen uns, daß unsere damalige Vorstellung heute die Mehrheit des Hauses gefunden hat. Wir freuen uns, daß die Sozialdemokraten, von denen ich, wie gesagt, weiß, daß sie diesen Schritt damals nicht sehr gern taten, der gleichen Meinung waren, so daß diese Bundesregierung auf Grund dessen einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt hat. Wir sind Ihnen dankbar, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, daß Sie — trotz neuem Bauchweh, das mag ja sein — doch die Zustimmung gegeben haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und' Herren! Nur zwei kurze Bemerkungen.Erstens. Die Bundeszuschüsse werden sich nach dem von der Bundesregierung vorgelegten Finanzplan folgendermaßen entwickeln: 1969 = 10,4 Milliarden DM Bundeszuschüsse, ansteigend bis 1973 auf 14,9 Milliarden DM Bundeszuschüsse. Das ist eine gewaltige Erhöhung.
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1790 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Dr. SchellenbergZweitens, Herr Kollege Härzschel, es ist eine böswillige Unterstellung, wenn Sie behaupten, wir hätten keine klare Aussage zu der Höhe der Beitragssätze gemacht. Die Beitragssätze sind durch das Dritte Rentenversicherungs-Änderungsgesetz festgelegt: ab 1. Januar 1970 17 %, ab 1. Januar 1973 18 % und es bleibt bis 1985, bis zur vollen Überwindung des Rentenberges mit bruttolohndynamischer Rente bei diesem Beitragssatz von 18 %. Das war die gemeinsame Auffassung des Hauses bei Verabschiedung des Dritten RentenversicherungsÄnderungsgesetzes, und zu dieser Auffassung steht selbstverständlich die Sozialdemokratische Partei.
Das Wort hat der Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte nicht die Absicht, die Diskussion neu in Gang zu setzen, sondern ich wollte nur ein paar Bemerkungen machen, Bemerkungen des Dankes an die Mitglieder des Ausschusses, die das Gesetz so schnell und zügig beraten haben, so daß wir heute schon die zweite und dritte Lesung in diesem Hohen Hause vornehmen können.
Erlauben Sie mir aber dennoch einige Bemerkungen zur Sache selbst. Diese Regierung ist unter der Devise der größeren sozialen Gerechtigkeit angetreten.
— Größere, natürlich!
Wenn Sie einmal die Vorhaben, die in den vergangenen 19 Wochen eingeleitet,
durchgeführt und realisiert worden sind, — —
— doch, das sage ich Ihnen jetzt. Die Kriegsopferversorgung ist beispielsweise schon verabschiedet worden.
— Natürlich hat das der' Bundestag gemacht. Aber das brauchen Sie mir nicht zu erzählen, das weiß ich auch, und das wissen Sie, daß der Bundestag das macht.
— Lassen Sie mich das einmal aufzählen. Zweitens: Wir haben die Unterhaltsbeihilfen für Umschüler erhöht und dynamisiert. Drittens: Die Regierung
— das hat der Bundestag noch nicht gemacht; das macht erst der Bundesrat und dann kommt es erst in den Bundestag — hat eine Novelle zum Zweiten Vermögensbildungsgesetz vorgelegt, die eine größere soziale Gerechtigkeit beinhaltet.
Wenn Sie davon 'sprechen, daß wir darüber redeten, eine flexible Altersgrenze einzuführen, dann müssen Sie den vollen Text meiner Rede lesen und nicht das, was verkürzt in der Zeitung steht. Ich habe gestern in Frankfurt vor dem Verband der Deutschen Rentenversicherungsträger gesagt, daß wir verschiedene Möglichkeiten prüfen und ganz sicher am Ende dieses Jahres in der Lage sind, konkrete Vorschläge zu machen und diese Vorschläge unter ,dem Gesichtspunkt der größeren sozialen Gerechtigkeit zur Diskussion zu stellen.
Lassen Sie mich zu diesem Gesetz sagen: Es fügt sich nahtlos in das Konzept der größeren sozialen Gerechtigkeit ein. Nicht nur ein roter Faden, sondern ein dickes rotes Tau läuft durch diese Maßnahmen hindurch.
Wenn Sie davon sprechen, daß wir keinen Spielraum mehr haben, dann ist, glaube ich, sowohl in den Ausschußberatungen als auch bei der Anhörung der Sachverständigen, aber auch bei dem Abstimmungskreis, deutlich geworden, daß durch die finanzielle Entwicklung bei den Rentenversicherungsträgern bei keinem Rentner draußen im Lande die Sorge aufkommen muß, daß er keine Sicherheit in der Rentenzahlung hat. Das ist sichergestellt!
Darauf wird diese Regierung wie dieses Hohe Haus, so nehme ich an, achten: daß keine Gefährdung- der finanziellen Grundlagen eintritt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Götz?
Herr Bundesarbeitsminister, Sie sprachen von der Frage, ob noch ein Spielraum vorhanden ist oder nicht. Ist Ihnen nicht bekannt, daß auch der Sozialbeirat in seiner Stellungnahme erklärt hat, daß nach den jetzigen Vorausberechnungen, die Ihr Haus im Zusammenhang mit dem Abstimmungskreis angestellt hat, trotz der als günstiger angenommenen Einnahmeentwicklung — so der Sozialbeirat — kein solcher Spielraum mehr für strukturelle Verbesserungen vorhanden ist, und daß dies auch Ihr Staatssekretär im Ausschuß erklärt hat?
Mir ist auch bekannt, Herr Kollege, daß der Sozialbeirat und der Abstimmungskreis unsere finanziellen Berechnungen als realistisch bezeichnet hat. Mir ist noch eines bekannt — wenn Sie mich schon fragen —: Als 1967 dieser Krankenversicherungsbeitrag der Rentner eingeführt wurde, war von Gesamtkonzeption überhaupt nicht die Rede; da gab es noch nicht einmal eine Vorausschau für zwei Jahre, geschweige denn für 15 Jahre. Das muß auch einmal gesagt werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1791
Herr Minister, würden Sie dem Hause mitteilen können, daß schon jetzt die tatsächlichen Einnahmen der Rentenversicherung für Ende 1969 und Anfang 1970 um über 1 Milliarde DM günstiger sind als die Zahlen, die heute der Beratung zugrunde liegen? •
Herr Kollege Schellenberg, da Sie es gerade gesagt haben, brauche ich es nicht mehr zu sagen; es ist so, wie Sie sagen. Deshalb würde ich sagen: Diese finanzielle Grundlage, an der wir doch alle ein Interesse haben, wird auch in der nächsten Zeit und in die nächste Zukunft hinein solide und ausreichend fundiert sein und bleiben. Aber das entbindet uns nicht von der Verpflichtung, das zu tun, was unter dem Stichwort der größeren sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit zu verstehen ist. Hinsichtlich dieses Gesetzes ist zu sagen — das wissen auch Sie —, die 9,5 Millionen Rentner haben einen unverhältnismäßig hohen Beitrag dazu geleistet, daß die Staatsfinanzen im Jahre 1967 wieder in Ordnung gebracht wurden; das ist gar keine Frage.
Wenn heute die Voraussetzungen geschaffen sind, daß wir durch den Wegfall des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags den alten Zustand wiederherstellen, dann ist das auch unter dem Gesichtspunkt der größeren sozialen Gerechtigkeit zu verstehen.
Ich habe den Mitgliedern des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung für die zügige Behandlung dieses Gesetzentwurfs zu danken. Ich kann meinerseits für die Regierung versprechen, daß wir nach der Verabschiedung durch dieses Hohe Haus und den Bundesrat alles daransetzen werden, die Auszahlung der Beträge an die Rentner recht schnell vorzunehmen, damit diese Maßnahme auch in der Praxis ihren Niederschlag findet und die Rentner in der Bundesrepublik Deutschland erkennen können, daß für sie in dieser Zeit Maßnahmen eingeleitet werden, die der größeren sozialen Sicherheit dienen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung in der dritten Beratung. Die Ausschußvorlage, wie sie in der zweiten Lesung behandelt worden ist, ist in der dritten Lesung nicht verändert worden. Wir kommen daher sofort zur Gesamtabstimmung.
Wer in dritter Beratung idem Entwurf eines Gesetzes über den Wegfall des von den Rentnern für ihre Krankenversicherung zu tragenden Beitrags zustimmen will, möge sich erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wir haben nun noch abzustimmen über Ziffer 2 des Ausschußantrages, nach dem die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt erklärt werden sollen. Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 5 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Berichts der Bundesregierung
über die Lage der Landwirtschaft gemäß § 4
des Landwirtschaftsgesetzes und Maßnahmen
der Bundesregierung gemäß Landwirtschaftsgesetz und EWG-Anpassungsgesetz
— Drucksache VI/372 —
b) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Nachversicherung landwirtschaftlicher Unternehmer in der gesetzlichen Rentenversicherung
—Drucksache VI/438 —
Das Wort 'hat der Abgeordnete Dr. Ritz. Seine Fraktion hat gebeten, seine Redezeit auf 45 Minuten festzusetzen; dies geschieht hiermit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum 15. Mal ist uns der Grüne Bericht der Bundesregierung vorgelegt worden, und zum 15. Mal haben wir damit Gelegenheit, wieder einmal agrarpolitische Bilanz zu ziehen und in diesem Haus auch über die agrarpolitische Zukunft zu diskutieren.Lassen Sie mich zuvor ein Wort des Dankes sagen — noch nicht an den Herrn Minister, denn er ist noch gar nicht da. Mein Dank gilt den zahlreichen landwirtschaftlichen Testbetrieben, die seit vielen Jahren mit zusätzlichem Zeitaufwand die Ergebnisse ihres Betriebes exakt erstellen. Mein Dank gilt auch den Beamten und Angestellten im BML, die seit Jahren diese Ergebnisse zu einem, wie ich meine, weit über die Grenzen unseres Landes hinaus beachteten agrarpolitischen Zahlen- und Kommentarwerk zusammengestellt haben. Ich meine, daß es angebracht ist, an dieser Stelle herzlich Dank zu sagen.
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1792 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Die Ergebnisse des Grünen Berichts 1970 sprechen ihre eigene Sprache. Man wird sich nicht mehr hinter Vorwürfen an frühere Regierungen verstekken können, um den eigenen, in der Regel doch sehr dürftigen Einstand zu verbergen, wenn es darum geht, über Agrarpolitik zu diskutieren.
Da ist dann von „Erbmasse" und von „Konkursverwaltung" die Rede. Nun, wer die Ergebnisse, die in diesem umfangreichen Zahlenwerk zusammengestellt sind, sorgfältig studiert, wird diese Vorwürfe nicht mehr aufrechterhalten können.Meine Damen und Herren, Worte allein, viele auch schöne Worte, ja, auch Besuche des Bauernverbandes beim Bundeskanzler ersetzen nicht auf Dauer Politik.
Diese Erkenntnis hat inzwischen auch in einer enttäuschenden Stellungnahme des Deutschen Bauernverbandes .am 18. Februar ihren Niederschlag gefunden.Die Ergebnisse des Grünen Berichts machen für uns aber auch die ersten Erfolge des von Hermann Höcherl konzipierten Agrarprogramms sichtbar und der daraus entwickelten Komponente der regionalen Wirtschaftspolitik.
Trotz verbesserter Preis-Kosten-Relation — und dieses Ergebnis scheint mir bemerkenswert zu sein — ist die Zahl der ausgeschiedenen Betriebe im Wirtschaftsjahr 1968/69 nicht etwa kleiner geworden, sondern gegenüber dem Vorjahr sogar gewachsen, ein Beweis für die unmittelbar notwendige Koordination und Verzahnung von Agrarstruktur und regionaler Wirtschaftspolitik, aber auch ein Beweis dafür, daß auch relativ gute Preise keineswegs den Strukturwandel hemmen, sondern ebenfalls ihn sich kontinuierlich fortentwickeln lassen, worauf ich noch einzugehen habe.Meine Damen und Herren, wir sind auch der Meinung, daß die Agrarpolitik unseres Freundes Höcherl auch auf europäischem Parkett erfolgreich war. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur daran erinnern, daß es ihm mit seiner zähen und cleveren Verhandlungskunst in den letzten Jahren gelungen ist, die Futtergetreidepreise entsprechend vielen wissenschaftlichen Erwägungen und Untersuchungen an den Weichweizenpreis heranzuziehen und nicht eine gegenteilige Entwicklung einzuleiten. Bestrebungen dieser Art hat es Igegeben und gibt es noch, wie wir alle wissen.Nun zur Würdigung der viereinhalb- bzw. fast fünfmonatigen Amtszeit unseres Bundeslandwirtschaftsministers Ertl. Herr Minister, wenn ich die Würdigung Ihrer Arbeit in einem Satz zusammenfassen sollte, so würde ich sagen: Sie bemühen sich, das Agrarprogramm Ihres Amtsvorgängers fortzuführen und haben .das vor allem auch mit Ihrer Einbringungsrede getan, haben aber durch Worte und Taten die geradlinige Fortentwicklung gebremst und gehemmt. Was zu 'beweisen ist!Herr Minister, Sie sind zwar nicht allein verantwortlich für die Aufwertung, wohl aber für die Folgen, die der Landwirtschaft aus der Aufwertung entstehen und entstanden sind.
Wenn man berücksichtigt, daß Sie auch als Oppositionssprecher mit Ihren politischen Freunden draußen im Lande die Notwendigkeit der Aufwertung auch für die Landwirtschaft als richtig und die negativen Folgen als leicht abwendbar apostrophiert haben, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie geradezu leichtfertig in Schwierigkeiten hineingeschlittert sind.
Meine Damen und Herren, es kann doch gar kein Zweifel sein, daß heute die deutsche Agrarpolitik innerhalb der EWG, innerhalb des Ministerrats an die Wand gedrückt worden ist. Nehmen Sie doch nur anstehende Preisdebatten und Preisbeschlüsse. Jeder Vorschlag in Richtung einer Preissenkung kann natürlich von den Franzosen sehr viel leichter akzeptiert und aufgefangen werden als von uns, die wir durch die Aufwertung ohnehin um. 8,5 % zurückgeworfen sind.Das Zweite; auch darüber ist in der Vergangenheit hier noch gar nicht gesprochen worden. Ohne die Konsequenzen voll werten zu können, muß doch gesagt werden: Was wird eigentlich nach der Übergangszeit, nach dem Wegfall der Ausgleichsmaßnahmen? Zumindest im nominalen Preisniveau hängen wir dann um rund 20 % gegenüber den Franzosen zurück. Ich glaube, es ist an der Zeit, sich über diese Fragen Gedanken zu machen. Denn es ist offensichtlich abzusehen, daß die Währungs- und Wirtschaftsunion nicht in den nächsten vier Jahren Wirklichkeit wird, sondern noch acht oder zehn Jahre auf sich warten lassen wird.Aber, Herr Minister, wir haben auch Fragen an Sie zu den Ausgleichsmodalitäten selbst. Am 9. Februar ist in diesem Haus ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP angenommen worden — übrigens mit den Stimmen auch der Opposition —, in 'dem die Bundesregierung ersucht wird, zu prüfen, ob bestimmten Betriebs- und Unternehmensformen der Landwirtschaft, vor allem solchen mit einer relativ starken Veredelungswirtschaft, nicht Nachteile aus diesem Gesetz entstehen. Es geht ,dabei vor allem um die Frage der Abgrenzung im Bewertungsgesetz zwischen landwirtschaftlichen und gewerblichen Betrieben und hier wieder
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1793
Dr. Ritzvor allem um leistungsfähige mittelbäuerliche Betriebe, die durch ein hohes Maß an innerer Aufstockung — entsprechend vieler Empfehlungen übrigens — nun doch eine Grenze gesetzt bekommen haben, die im Hinblick auf die 3 %-Regelung über die Mehrwertsteuer für sie von allergrößter Bedeutung ist. Wir haben bis heute, Herr Minister, von Ihnen noch keine Antwort auf diesen Entschließungsantrag gehört.Der Herr Kollege Dr. Schmidt hat damals in der Debatte gesagt, damit kämen die Dinge nun in Ordnung. Wo bleibt die Antwort, wo bleibt die Stellungnahme der Regierung?
Oder, Herr Minister Ertl, sollte möglicherweise Ihre Stellungnahme, Ihre Antwort blockiert sein durch ein Versprechen, das Sie der niederländischen Regie rung gegeben haben sollen — ich betone: sollen —, wonach eine Änderung in der Abgrenzung zwischen landwirtschaftlichen und gewerblichen Betrieben nicht vorgenommen werden darf für den Bereich dieser 3 %-Regelung? Herr Minister — ich sage noch einmal „wenn das so wäre", ich will es nicht unterstellen, aber ich muß hier fragen —, wenn das so wäre, würden Sie damit nicht geradezu einen wesentlichen Fortschritt in der Landwirtschaft auf vier Jahre verhindern, gerade in jenen Betriebsgrößen und Typen, die mit Sicherheit auch morgen leistungsfähige Vollerwerbsbetriebe sein werden? Hierauf brauchen wir heute eine Antwort. Wir müssen alles verhindern, was einen Zustand zementiert, der viele Betriebe vom technisch-betriebswissenschaftlichen Fortschritt ausschließen würde.Ein Wort zur Verteilung der 920 Millionen! Bis heute liegt zwar kein Gesetz vor, aber noch früh genug, nämlich gestern, ist uns immerhin bekanntgeworden, daß nun die Kabinettsvorlage fertig ist. Sie haben ja auch in Ihrer Einbringungsrede darauf verwiesen, daß mit der Auszahlung der Gelder bis zur Mitte des Jahres zu rechnen ist. Nun, Herr Minister, die Frage ist natürlich auch, wieweit die vorgesehenen 1,7 Milliarden überhaupt dem hohen Anspruch noch gerecht werden, der Landwirtschaft einen Verlustausgleich zu gewähren, ob überhaupt noch alle Grundlagen dieser Berechnung des Ausgleichs stimmen. Ich denke hier z. B. an die Kostenentwicklung, die ja sicher nicht den erhofften Verlauf — den von Ihnen und uns erhofften Verlauf — genommen hat. Sie haben auch in den vergangenen Wochen häufiger — zumindest erinnere ich mich, es zweimal gelesen zu haben — auf die Möglichkeit hingewiesen, daß den Betrieben, die auf Grund von Buchführungsergebnissen einen höheren Verlust nachweisen, auch dieser Verlust entsprechend ausgeglichen werden solle. Nun lesen wir heute — wir müssen uns auf Zeitungslektüre beschränken —, daß davon Abstand genommen wird wegen verwaltungstechnischer Schwierigkeiten. Ich muß Ihnen sagen: verwaltungstechnische Schwierigkeiten sehe ich keine, möglicherweise aber natürlich finanztechnische. Denn in der Tat würde eine solche Regelung möglicherweise den Ansatz wesentlich sprengen.Herr Ministér, ein weiteres Wort zur Frage des Verlustausgleichs. Sie haben am 19. Februar 1970 hier von diesem Platz aus gesagt — ich zitiere, Herr Präsident —:Ich möchte sie— die 920 Millionen DM —aus vielerlei Gründen ... gern im Einzelplan 10 behalten, weil ich damit ein echtes Instrument meiner Agrarpolitik habe.Sie weisen dann auf den Verlustausgleichscharakter dieser Mittel hin und fahren wörtlich fort:Sie- die Bundesregierung — versteht sie— die 920 Millionen —aber auch als einen Teil einer möglichen Variante in der Agrarpolitik.
Herr Minister, ich glaube, dieser Satz muß hier heute interpretiert werden.
Uns scheint er nicht vereinbar mit Intention und Wortlaut des Gesetzes.
Denn was anders könnte er andeuten, als daß man diese Mittel möglicherweise für andere Maßnahmen abzweigen wolle? Hierauf muß heute hier Antwort gegeben werden.Meine Damen und Herren, ein Wort zur Agrarfinanzierung. Sie, aber auch die Minister Möller und Schiller, haben wiederholt den Versuch gemacht, die Regelung über die europäische Agrarfinanzierung als einen großen Erfolg der Bundesregierung hinzustellen. Niemand von uns zweifelt daran, daß wir einen angemessenen Beitrag zu leisten haben. Aber ich glaube, unser Kollege Wagner hat mit Recht darauf hingewiesen, daß ein Ergebnis ab 1975 von 36 bis 38 % wirklich nicht dazu angetan ist, auf Erfolgseuphorie zu machen,
sondern daß es uns sehr schwerfällt, zu den sich abzeichnenden Belastungen unser Jawort zu geben. Aber auf diese Dinge müssen wir im 'einzelnen noch zu sprechen kommen; diese Regelung bedarf ja der Zustimmung dieses Hauses.Herr Minister, Sie stehen zur Zeit vor schwierigen preispolitischen Verhandlungen in Brüssel. Im Gegensatz zu FDP-Oppositionszeiten wollen wir Sie heute nicht auf einen hundertstel Pfennig bei der Preisfestsetzung festlegen. Wir wollen Sie auch nicht zu einer Politik ,des leeren Stuhls ermuntern, wenn Ihre Vorstellungen nicht voll durchsetzbar sind. Aber wir können uns des Eindrucks doch nicht erwehren, daß in dieser Frage zur Zeit in dieser Regierung ein Spiel mit gezinkten Karten stattfindet.
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1794 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Dr. Ritz— Meine Damen und Herren, wie anders wollen Sie es denn erklären, daß der Herr Bundesminister immer wieder mit Nachdruck darauf verweist, daß es für die Deutschen nicht zumutbar ist, mit den Preisen, etwa bei Weichweizen, herunterzugehen, während fast gleichzeitig der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium in der Tagesschau am 7. März
im Zusammenhang mit den Ergebnissen des Außenministerrates, im Zusammenhang mit den Beitrittsverhandlungen sagt: „Wir hoffen, daß das Preisniveau bis dahin niedriger sein wird,
woran wir ja jetzt arbeiten." — Ach, Sie hoffen das auch, Herr Kollege Wienand? Aha!
— Nein, nein, es ging um das Erzeugerpreisniveau, Herr Kollege Wienand, daran ist in diesem Zusammenhang gar kein Zweifel.
Meine Damen und Herren, das geht eben nicht. Man kann in der Frage des Erzeugerpreisniveaus nicht vor Landwirten immer sagen: „Wir sind für hohe Preise" und dann, wenn man bei anderen Gruppen ist, sagen: „Wir sind für niedrige Preise."
Das ist doch der Punkt, und dazu muß hier und heute klipp und klar etwas gesagt werden. Ich bin der Meinung, hier sind so gravierende Widersprüche in den Aussagen,
daß wir vom Bundeskanzler auch erwarten, daß er ein klärendes Wort in seiner Regierung spricht und für Klarheit sorgt.
Das ist nämlich das, was viele Landwirte draußen unsicher macht, unsicher bis in ihre betrieblichen Planungen und Entscheidungen hinein. Deshalb muß diese Ungewißheit beseitigt werden.Herr Minister Ertl, hier in diesem Hause ist zwar schon der Haushalt Ihres Ressorts kurz debattiert worden. Aber da gerade im Einzelplan 10 am deutlichsten wird, wie die geradlinige Fortentwicklung der Agrarpolitik gebremst wird, scheint es mir unbedingt notwendig, auch an dieser Stelle ein Wort zu sagen; und zwar gebremst nicht nur im Hinblick auf einzelne Titel, sondern gebremst im Hinblick auf die gesamte Konzeption.Einzelne Punkte möchte ich hier herausgreifen. Ich bin neugierig, wann die Landwirtschaftsämter diesmal die Richtlinien für Investitionsförderung bekommen. Wahrscheinlich, wenn das Haushaltsjahr zu Ende geht! Aber es wird wieder regiert, und zwar kraftvoll!
— Das war nun nicht meine Formulierung, Herr Kollege Schäfer, sondern das stammt von Herrn Kollegen Ertl und ist in diesem Hause in einer Sitzung am 16. März 1967, in einer Debatte zum gleichen Thema wie heute gefallen.Es gibt nur einen entscheidenden Unterschied. Damals mögen die Richtlinien spät gekommen sein, aber sie kamen. Damals war vor allem Geld da, nämlich 110 Millionen DM. In diesem Jahr sind aber weder Richtlinien noch Geld da. Man muß sich natürlich fragen, ob es notwendig ist, für die 10 Millionen DM im Rahmen der Aktion 70 und die 20 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen noch Superminirichtlinien zu schaffen.Herr Minister Ertl, die Länge der entsprechenden Passage in Ihrer Einbringungsrede bezüglich Investitionshilfe und einzelbetrieblicher Förderung steht nun in der Tat in umgekehrtem Verhältnis zu dem Mittelansatz.
— Darauf kommen wir noch.
— Lieber Herr Wienand, ich will es Ihnen gerne erklären. Die Erklärung war sehr lang, aber die Mittel sind, wenn Sie so wollen, sehr kurz. Ich denke vor allem an die Positionen vor dem Komma.
Herr Bundesminister, Sie haben in Ihrer Einbringungsrede vor allem die Bedeutung der Zinsverbilligung herausgestellt. Auch wir messen der Zinsverbilligung eine hohe Bedeutung zu, fragen uns allerdings, ob es sinnvoll ist, etwa auf die Investitionshilfe zu verzichten, wenn wir gleichzeitig sehen, daß sich z. B. die Investitionsförderung im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung — bis zu 25 % der Investitionssumme — hervorragend bewährt, und wenn wir gleichzeitig sehen, daß natürlich bei einem Wegfall dieser Investitionshilfen die kreditmäßige Belastung der Betriebe in einem ungeheuren Maße strapaziert würde.Herr Minister, ein Blick auf die Förderungsmittel insgesamt zerstört die Legende von einem optimalen Haushaltsvolumen. Ich nenne einige Zahlen: Verbesserung der Agrarstruktur minus 65 Millionen DM,
Modernisierung der betrieblichen Ausstattung minus 71 Millionen DM,
landwirtschaftliche Sozialpolitik minus 48 Millionen DM,
Rationalisierung der Vermarktung minus 77 Millionen DM, Verbesserung der Einkommenslage der landwirtschaftlichen Bevölkerung minus 172 Millionen DM. Darunter nun, meine Damen und Herren,
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1795
Dr. Ritzfindet sich ein Plus von 920 Millionen DM für den Aufwertungsausgleich.
Verehrter Herr Minister, wir meinen nach wie vor, daß die 920 Millionen DM in den Einzelplan 60 eingestellt werden sollten. Sie sind ja anderer Meinung; es ist aber geradezu eine Irreführung der Öffentlichkeit, wenn man sie unter der Position „Verbesserung der Einkommenslage" etatisiert.
Herr Minister, das ist Augenauswischerei und Ihrer doch immer auf Wahrheit und Klarheit angelegten politischen Konzeption nicht würdig. Das muß weg aus dieser Position.
— Stellen Sie Zwischenfragen; ich werde mich gar nicht schwer tun, Kollege Saxowski, Ihnen dann eine Antwort zu geben. Aber ich lasse mich nicht aus dem Konzept bringen.
— Natürlich kommt das alles noch, Kollege Schmidt.Meine Damen und Herren, auch wir halten eine bessere Koordinierung von Agrarstruktur, Infrastruktur und regionaler Wirtschaftsförderung für notwendig. Der Herr Minister hat diese Notwendigkeit in der Einbringungsrede unterstrichen. Wir stimmen dem zu. Herr Minister, allerdings verliert diese Aussage natürlich in hohem Maße an Glaubwürdigkeit, wenn gleichzeitig die Mittelansätze für jene Programme, die sich seit mehr als zehn Jahren bemühen, genau dieses Ziel zu erreichen, entsprechend gekürzt werden. Ich denke an die Regionalprogramme Nord, Emsland, aber auch an die Programme für die von der Natur benachteiligten Gebiete.
Also in der Tendenz, in Ihrem Wollen haben Sie unsere Unterstützung; das muß man dann allerdings auch finanziell entsprechend zum Ausdruck bringen.Sie haben in der Einbringungsrede der Sozialpolitik im landwirtschaftlichen Bereich einen hohen Rang eingeräumt. Auch hier können wir nur zustimmen. Das gilt sowohl für jene, die auch in Zukunft Vollerwerbslandwirte sein werden, wie für jene, die im Zuge des Strukturwandels nicht mehr in der Landwirtschaft tätig sein werden. Dieser Priorität allerdings wird weder der Haushalt 1970 noch die mittelfristige Finanzplanung gerecht. Gerade im sozialpolitischen Bereich müssen wir uns endlich daran gewöhnen, meine Damen und Herren,daß es ohne wesentliche Erhöhung der öffentlichen Mittel keine Ergebnisse geben kann.
Man kann der Landwirtschaft nicht ständig empfehlen, sich den strukturellen Veränderungen anzupassen — so steht es im Agrarprogramm —, und gleichzeitig die notwendigen, auch sozialpolitischen, Konsequenzen daraus nicht ziehen wollen. Auf dem Gebiete der Sozialpolitik kann man nicht husten wollen und gleichzeitig das Mehl im Mund behalten. Das ist einfach unvereinbar. Hier muß man unter Umständen klotzen, weil es anders nicht geht.Herr Minister, noch ein Wort zum Haushalt. Sie feiern die angeblich zusätzlichen 389 Millionen DM als Erfolg Ihrer Politik. Dabei wird oft der Eindruck zu erwecken versucht — ich will nicht gerade sagen, nur von Ihnen, aber z. B. auch in dem grünen Blättchen „Agrarpolitischer Rundbrief der Freien Demokratischen Partei" ; ich kann mich nur wundern, wer noch glaubt, was darin steht —, als handle es sich bei diesen 389 Millionen DM um eine Summe, die zusätzlich zum Haushalt 1969 gegeben wird. Davon kann natürlich keine Rede sein. Es handelt sich lediglich um eine Aufstockung der in der alten mittelfristigen Finanzplanung für 1970 vorgesehenen Mittel. Wir wissen doch alle — das sollte auch in den anderen Fraktionen respektiert werden —, daß sowohl der damalige Bundesfinanzminister wie der damalige Landwirtschaftsminister wie der damalige Bundeskanzler, Herr Strauß, Herr Höcherl und Herr Kiesinger, übereinstimmend davon ausgegangen sind, daß bei der Fortschreibung der mittelfrisitgen Finanzplanung sowohl im Hinblick auf die EWG-Finanzierung wie auch im Hinblick auf die nationale Agrarpolitik eine wesentliche Anhebung der Mittelansätze erforderlich ist. Es war die Rede von 500 Millionen DM. Der amtierende Bundesfinanzminister, Herr Möller, hat hier noch während der Aussprache zur Regierungserklärung keinen Zweifel daran gelassen, daß er sogar die Einstellung von zusätzlichen 530 Millionen DM für absolut erforderlich hält. Hier kann man also wohl nicht von einem großen Erfolg sprechen.Meine Damen und Herren, ich weiß natürlich sehr gut, daß wir alle in diesem Haus, Regierung und Parlament, Koalition und Opposition, gleichermaßen vor dem Zwang stehen, einen konjunkturgerechten Haushalt zu erstellen. Das Konjunkturbild in Regionen und Sektoren weicht natürlich wesentlich von den Globalwerten der Konjunktur ab. Es kann gar kein Zweifel sein, daß strukturverbessernde Maßnahmen in regional schwachen Räumen nicht die Konjunktur stimulieren, sondern sie eher positiv ausbalancieren. Diesen Haushalt haben wir auch unter dieser Perspektive der gesamtkonjunkturellen Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung einzelner Regionen und Sektoren zu würdigen, und da kommen wir zu dem Ergebnis, daß der Einzelplan 10 trotz des Zwanges, beim Haushalt konjunkturgerecht zu verfahren, nicht den Anforderungen gerecht wird. Wann wollen wir denn Strukturpolitik — jetzt im weitesten Sinne: Agrarstruktur- und regionale Wirtschaftsstrukturpolitik — treiben, wenn nicht im Zeichen der Hochkonjunktur? Im Zei-
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1796 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Dr. Ritzchen der Rezession ist natürlich kein Geld da. Wir müssen also in der Hochkonjunktur für eine sinnvolle Ausbalancierung des Gesamtkonjunkturbildes Sorge tragen.Damit bin ich schon bei dem Strukturwandel, meine Damen und Herren. Der Agrarpolitik der Vergangenheit wird häufig der Vorwurf gemacht —nicht von Ihnen, Herr Minister, aber etwa im Jahresgutachten der Sachverständigen zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, leider aber auch vom Herrn Kollegen Schonhofen in diesem Hause am 26. Februar 1970 —, sie sei nur konservierend und auf die Erhaltung überkommener Strukturen ausgerichtet gewesen.
Meine Damen und Herren, wir weisen diesen Vorwurf auch hier und heute noch einmal in aller Schärfe zurück.
Nehmen Sie bitte alle selbst die Grünen Berichte zur Hand! Studieren Sie die Zahlen über die Verminderung der Betriebe! Studieren Sie die Zahlen über die gewandelten Existenzformen der Betriebe zueinander!
Studieren Sie die Zahlen über die Abwanderung der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte! Hierbei handelt es sich um eine Bewegung von mehr als zwei Millionen Menschen in einem Zeitraum von nicht einmal 20 Jahren.
Diese Zahlen, meine Damen und Herren, sprechen eine deutliche Sprache und werden keineswegs dem Vorwurf gerecht, daß der Strukturwandel nicht gefördert, sondern die Strukturen nur einseitig verfestigt worden seien.Der Landwirtschaft ist in den letzten 15 Jahren ein die Grenzen des sozial Tragbaren vielfach überschreitendes Maß an Anpassung abverlangt worden, das von ihr auch geleistet wurde.
Dafür gebührt vor allem den Betroffenen Dank, zumal wenn man bedenkt, daß sich dieser Strukturwandel vor einer breiten Öffentlichkeit lautlos vollzogen hat. Wir werten diese Entwicklung aber auch als Zeichen einer guten Politik. Auch wir wissen, daß sich der Strukturwandel fortsetzt und fortsetzen muß. Aber — und dabei bleiben wir trotz aller Prognosen, trotz aller Pläne —: Er wird sich nur dann ökonomisch und sozial verantwortbar fortsetzen können, wenn es uns in gleichem Maße gelingt,, im ländlichen Raum, in der gewerblich-industriellen Struktur und in der Infrastruktur hinreichend Alternativen bereitzustellen. Das war dasZiel unserer Politik, und es sollte auch in Zukunft das Ziel unserer Politik bleiben.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang und oft von den gleichen Personen und Personengruppen wird immer wieder der Vorschlag gemacht, man solle doch endlich durch eine drastische Preissenkungspolitik den Strukturwandel beschleunigen und kanalisieren. Nur aus falscher Rücksichtnahme habe die offizielle Politik von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Wir sind diesen Weg nicht gegangen, weil wir keinen Mut gehabt hätten, auch nicht nur, weil wir diesen Weg sozial und ökonomisch nicht für zumutbar gehalten hätten, sondern weil wir ihn strukturpolitisch für falsch gehalten haben. Sehr viele Wissenschaftler im In- und Ausland kommen zu dem Ergebnis, daß gerade im Hinblick auf den gewünschten Strukturwandel auch der Preispolitik — darüber besteht kein Zweifel — eine wichtige Bedeutung zuerkannt werden muß. Ich möchte mich auf ein Zitat der Professoren Weinschenk und Meinhold beschränken. Diese haben gesagt:Aus der Sicht der Strukturpolitik gibt es eine obere und eine untere Preisgrenze, deren Beachtung Voraussetzung für die Fortsetzung des Strukturwandels ist. Die obere Grenze wird durch die Notwendigkeit bestimmt, einen Abwanderungsanreiz für kleinere Größenklassen aufrechtzuerhalten, die untere Grenze ist dadurch gegeben, daß in den mittleren und größeren Betrieben eine hinreichende Liquidität zur Finanzierung der im Strukturwandel unerläßlichen Investitionen erhalten bleiben muß. In der Bundesrepublik ist die untere Preisgrenze bereits erreicht oder gar unterschritten.Dieses Buch wurde im Jahre 1968/69 verlegt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben sehr dankbar registriert, daß gerade Herr Minister Ertl preispolitischen Vorstellungen, wie sie auch im Jahresgutachten enthalten sind, hier eine klare Absage erteilt hat und auch überall dort erteilt, wo er über Agrarpolitik spricht. Wir hätten allerdings erwartet, daß die Dinge auch im Jahreswirtschaftsbericht, auf den ich gleich noch zu sprechen komme, anders dargestellt worden wären.Die strukturpolitisch negative Folge einer solchen Politik des massiven Preisdrucks wäre zweifelsohne die, daß gerade die leistungsfähigen, auf Rentabilität angewiesenen Betriebe aus der Produktion heraus müßten, während in den Kleinst- und Nebenerwerbsbetrieben, wo Rentabilitätsgesichtspunkte eine untergeordnete Rolle spielen, die Produktion möglicherweise nicht nur stagnieren, sondern sogar noch angereizt würde. Wir würden also strukturpolitisch genau den negativen Effekt durch eine solche Politik erzielen.In diesem Zusammenhang — meine Damen und Herren, ich meine, das gehört in eine solche Debatte hinein — müssen wir uns auch mit dem Vorwurf auseinandersetzen — das ist jetzt alles nicht an den
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Dr. RitzBundesminister gerichtet, aber doch an die Diskussion in der breiten Öffentlichkeit —, daß die Agrarpreispolitik in den letzten Jahren auf dem Rücken der Verbraucher ausgetragen worden sei. Meine Damen und Herren, diesen Vorwurf wird und kann nur der erheben, der etwa das Agrarpreisniveau innerhalb der EWG mit dem Weltmarktpreisniveau vergleicht. Wer aber weiß, daß der Weltagrarmarkt schon lange zu einem Dschungel der Manipulation, der versteckten und offenen Interventionen geworden ist, wird uns sicher recht geben, wenn wir feststellen, daß diese Vergleiche einfach nicht möglich sind. Vergleicht man hingegen die Ausgaben privater Haushalte für Nahrungsmittel im Verlauf des letzten Jahrzehnts, so haben wir ein völlig anderes Bild. Dann stellen wir nämlich fest, daß trotz qualitativ wesentlich besserer Ernährung die Ausgaben für Nahrungs- und Genußmittel des privaten Haushalts von 43 % im Jahre 1952 auf 34 % im Jahre 68/69 gesunken sind. Wenn Sie die Genußmittelpreise wegnehmen, kommen Sie auf einen Satz von 28 bis 29 %. Meine Damen und Herren! In dem Zusammenhang spielen allerdings auch eine wesentliche Rolle die Anteile des Erzeugerpreises im Verbraucherpreis. Wir wissen doch seit langem, daß im Durchschnitt nur noch 50 % des Erzeugerpreises im Verbraucherpreis enthalten sind. Wir wissen, daß z. B. bei den Mehlprodukten dieser Anteil nur 25 % beträgt und daß damit natürlich Senkungen auf der Erzeugerpreisstufe nicht entsprechend auf die Verbraucherpreisstufe durchschlagen. Wir alle hier haben das sehr leidvoll in den vergangenen Wochen im Zuge der Aufwertung erfahren müssen. Ich glaube, hier haben sich sonst auch ' wirtschaftspolitisch sehr kluge Leute doch sehr geirrt. Ich darf nur daran erinnern, daß auch Herr Schiller dem Irrglauben erlegen war, daß nicht zuletzt die Aufwertung zu einem wesentlichen Sinken der Nahrungsmittelpreise führen würde.Herr Bundesminister Ertl hat gestern sehr zu Recht, glaube ich, dargestellt, daß die Erzeugerpreise von Dezember auf Januar um 3,5 % gefallen sind, während die Verbraucherpreise um 1,4 oder 1,5 % gestiegen sind. Das Böse daran ist nur, daß sowohl die Bauern wie die Hausfrauen die Gelackmeierten dieses Schillerschen Irrglaubens geworden sind.
Herr Minister, wir hätten allerdings von Ihnen erwartet, daß Sie klar, begründet und entschieden die entsprechenden Vorstellung im Jahreswirtschaftsbericht zurückgewiesen hätten. Von Ihnen, dem Landwirtschaftsminister der FDP, durften wir das um so mehr erhoffen, als wahrscheinlich ja auch Sie verantwortlich zeichnen für das Zehn-Punkte-Agrarprogramm der FDP, in dem es z. B. unter Punkt 3 heißt:Eine auf die Kostendeckung ausgerichtete aktive Erzeugerpreispolitik ist nach wie vor das Kernstück landwirtschaftlicher Einkommenspolitik.
Zur Durchsetzung höherer Erzeugerpreise erwartet die FDP eine härtere Verhandlungsführung der Bundesregierung im Ministerrat der EWG.
Ich kann nur sagen: à la bonne heure! Landgraf, werde hart! Das ist heute an Sie selbst gerichtet.
Das ist nicht leicht. Wir wollen hier keineswegs die Schwierigkeiten verniedlichen.
— Ach was, Herr Peters, machen Sie sich nur keine Sorgen!In den entsprechenden Passagen des Jahreswirtschaftsberichts, Herr Minister — das soll hier noch kurz gesagt werden —, haben offensichtlich nicht Sie die Feder geführt, auch nicht Ihr Haus, sondern das Wirtschaftsministerium. Wie anders wäre sonst wohl ein Satz entstanden wie dieser — und ich möchte Sie fragen, Herr Minister, ob Sie diesem Satz zustimmen —:Für den Landwirt dürfte es zweitrangig sein, ob sich das wirtschafts- und sozialpolitisch notwendige Einkommen aus überhöhten Preisen auf Kosten des Verbrauchers oder aus niedrigen Preisen zu Lasten des öffentlichen Haushalts herleitet.
Die Anpassung der Preispolitik an die Angebots- und Nachfrageverhältnisse auf den einzelnen Märkten kann nur behutsam erfolgen und muß von Maßnahmen der Struktur- und Sozialpolitik begleitet sein.Ich habe bewußt so lang zitiert, damit man mir nicht den Vorwurf macht, ich hätte das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen.Immerhin bleibt zu fragen: Herr Minister, glauben auch Sie, daß es dem Landwirt zweitrangig oder egal ist, ob er sein Einkommen über den Markt oder über öffentliche Mittel erwirtschaftet, gerade dem tüchtigen, durch ständige Leistungsverbesserung die Zukunft gewinnenden Landwirt? Glauben Sie wirklich, daß die derzeitigen Preise zu Lasten des Verbrauchers überhöht sind? Auch darauf sollten Sie hier und heute eine deutliche Antwort geben, weil das für die agrarpolitische Diskussion und für die gesamte Bewußtseinsbildung und Willensbildung der bäuerlichen Bevölkerung von größter Bedeutung ist.Sie haben, Herr Minister — auch das muß ich in diesem Zusammenhang sagen — teilweise in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, einmal auch im Ausschuß — nicht konkret, aber doch immerhin andeutungsweise —, daß man sich vorstellen könne, daß das englische Agrarsystem, das englische Stützungssystem auch auf die EWG übertragen werden könne. Herr Minister, wir würden hier zumindest zu mehr Vorsicht raten. Der Selbstversorgungsgrad der EWG, und zwar mit oder ohne Großbritannien, ist so hoch, daß damit Finanzprobleme auf uns zukom-Dr. Ritzmen, die im Vergleich zu dem, was wir jetzt haben, noch größere Belastungen, noch größere Schwierigkeiten auf uns alle zubringen würden.Auch wir wissen, Herr Minister, wie eng der Spielraum für Sie ist, bei den Überschußprodukten eine preispolitische Linie zu vertreten, die der in unserem Antrag niedergelegten entspricht. Doch meinen wir, daß nicht zuletzt die Folgen der Aufwertung uns dazu zwingen, Sie zu bitten, dafür zu sorgen, daß alles unterbleibt, was zu einer auch nur geringfügigen Senkung des deutschen Erzeugerpreisniveaus führen könnte.
Hier sind die Landwirte ohnehin hinlänglich getroffen.Ich muß noch einen Satz aus dem Jahreswirtschaftsbericht zitieren, der mir für die Zukunftsentwicklung nicht unwichtig zu sein scheint. Dort steht folgender Satz, den wir für bedenklich halten:Der Anteil der Drittlandlieferungen am Verbrauch in der Gemeinschaft sollte aufrechterhalten bleiben.Meine Damen und Herren, dieser Satz, so hingestellt, könnte natürlich den Eindruck erwecken, als käme es jetzt darauf an, die expandierenden Kräfte der Agrarwirtschaft in Europa zu drosseln zugunsten anderer Agrarwirtschaften in anderen Bereichen der Welt. Wir wollen gar nicht die Problematik verkennen, die mit den ganzen Handelsströmen verbunden ist. Nur, eine so einseitige Willenserklärung der Bundesregierung scheint uns doch in hohem Grade bedenklich zu sein. Denn hier liegen Probleme, die nur durch weltweite Verhandlungen überhaupt angepackt und eines Tages gelöst werden können.Meine Damen und Herren, ein Wort zur Marktpolitik. Wir freuen uns, daß Sie das Marktstruktur- und Absatzfondsgesetz als moderne Instrumentarien der Marktpolitik begrüßen.
Wir freuen uns, daß Sie diese Erkenntnis gewonnen haben. Denn wir erinnern uns, daß Sie mit Ihren Freunden dem Fondsgesetz damals Ihre Zustimmung glaubten verweigern zu müssen. Auch wir meinen, daß es nun darauf ankommt, diese Instrumente zu nutzen, sowohl über die CEMA als auch über die Erzeugergemeinschaften im Hinblick auf die Produktionsorganisation innerhalb der Landwirtschaft.
— Ich bedanke mich.Ein Wort zu den Betriebs- und Unternehmensformen. Wir freuen uns, daß Sie in der Interpretation Ihrer Modellberechnung nicht irgendwelchen Schrumpfungseuphorien erlegen sind. Es gibt eben nicht d a s Modell, das es gilt, in Zukunft betriebswirtschaftlich anzustreben. Die Praxis hat schon heute vielgestaltige Betriebs- und Unternehmensformen entwickelt, so daß jedes Optieren für eine Form sicher falsch wäre. Wir müssen hier den freienKräften, die in der landwirtschaftlichen Unternehmensinitiative liegen, vollen Spielraum lassen. Daß in dieser Entwicklung verschiedene Formen der überbetrieblichen Zusammenarbeit eine entscheidende Rolle spielen, wissen wir alle. Sie entsprechend zu fördern, auch die entsprechenden gesetzgeberischen Konsequenzen zu ziehen, ist notwendig. Wir werden Sie hierbei unterstützen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen. Der Grüne Bericht 1970 ist ein Dokument, das sichtbar macht, daß der jetzigen Bundesregierung ein im ganzen positives Erbe hinterlassen worden ist. Durch Fakten und Signale in den letzten viereinhalb Monaten stehen wir allerdings in der Gefahr, positive Entwicklungen der letzten Jahre zu hemmen. Die CDU/CSU-Fraktion wird stets bereit sein, an der Lösung schwerwiegender wichtiger Aufgaben im Bereich der Landwirtschaft mitzuhelfen, wenn sie davon überzeugt ist, daß die Dinge, die Sie uns vorschlagen, richtig und notwendig sind. Wenn Sie mit Ihren Initiativen zeitlich zu lange in Verzug bleiben, werden wir von uns aus die notwendigen parlamentarischen Initiativen entwickeln, um auch aus unserer Verantwortung als Opposition das zu tun, was wir dem Wohle unserer Landwirtschaft, dem Wohle unserer Gesellschaft schuldig sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Helms.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich die Worte meines Herrn Vorredners recht wäge — und ich tue das als Neuling in diesem Hohen Hause —, dann meine ich doch über lange Zeit sehr viele Mängel in dieser Agrarpolitik gefunden zu haben. Die Verantwortlichen in dieser Zeit sind doch nicht bei der jetzigen Regierung zu suchen, und es ist eigentlich nicht möglich, diese Dinge in einem halben Jahr weiterzuentwickeln oder zu reparieren.
Ich habe eigentlich keine echten Vorschläge gehört, sondern nur Kritik. Man sollte hier aber auch echte Vorschläge bringen.Ich meine, daß in der Agrarpolitik der letzten Jahre nicht alles in Ordnung war. Wir sollten andere Schwerpunkte, andere Tendenzen setzen und müssen dabei auch die Vergangenheit — gerade die jüngste Vergangenheit — mit berücksichtigen. Die Opposition kann sicher ein Lied von der Agrarpolitik und von den Verhandlungen in der EWG singen.Meine Damen und Herren, der Grüne Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft, den Herr Minister Ertl vor 14 Tagen dem Hohen Hause vorgelegt hat, findet in der agrarpolitisch interessierten Öffentlichkeit aus mehreren Gründen besondere Beachtung, wie überhaupt die agrarpolitischen Fragen während der kurzen Amtszeit dieser Bundesregierung einen ganz besonderen Rang gehabt haben. Wir Freien Demokraten meinen, daß dies seine Berechtigung hat, nicht nur weil dieser
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Helms15. Grüne Bericht an der Schwelle der vielberufenen 70er Jahre erfolgt und in Verbindung mit der programmatischen Einbringungsrede von Herrn Minister Ertl eine Grundlage für das agrarpolitische Konzept des nächsten Jahrzehnts darstellt, sondern weil damit zum erstenmal eine grundsätzliche agrarpolitische Aussage einer sozialliberalen Regierung erfolgt.
Das ist nach unserer Auffassung ein Markstein, der auch von der Opposition — daran zweifle ich nicht — als solcher empfunden werden dürfte. Die Einbringungsrede des Herrn Ministers hat einen Tendenzwandel deutlich gemacht und erkennen lassen. Allen Unkenrufen aus interessierten Kreisen zum Trotz hat mit der Regierungsübernahme durch die sozial-liberale Koalition der prophezeite Interessenausverkauf der deutschen Landwirtschaft nicht stattgefunden.
Alle, die das trotz langer Erfahrung mit den landwirtschaftsfreundlichen Auswirkungen der FDP-Beteiligung in früheren Regierungen jemals ernsthaft geglaubt haben sollten, dürften durch die unmißverständliche Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers Brandt eines anderen und Besseren belehrt worden sein.
Es heißt dort u. a.:
Wir halten es ... für unausweichlich, der Landwirtschaft bei der Überwindung ihrer Schwierigkeiten zu helfen. Sie soll sich zu einem gleichrangigen Teil unserer modernen Volkswirtschaft entwickeln, der an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung in vollem Umfang teilnimmt.Das ist ein deutliches und gutes Wort, das nicht nur bei den Bauern draußen wie ein warmer Landregen nach den Zeiten der Trockenheit der Großen Koalitoin gewirkt hat.Sie erinnern sich, meine Damen und Herren, daß der Bundeskanzler der Großen Koalition, der ja bekanntlich der Fraktion der CDU/CSU angehört, in seiner Regierungserklärung der Landwirtschaft kein einziges Wort gewidmet hat. Der Standpunkt der jetzigen Bundesregierung dürfte auch bei den Agrarpolitikern der CDU/CSU seine Wirkung sicher nicht verfehlt haben.Wie Sie wissen, ist diese Bundesregierung inzwischen nicht bei Absichtserklärungen stehengeblieben. Sie ist gleich voll ins Geschäft eingestiegen.
Wir meinen, daß ihre Ergebnisse, die teilweise unter schwierigsten europäischen Verhältnissen zustande gekommen sind, sehr respektabel sind. Es ist in der Debatte schon darauf eingegangen worden, und es wird sicherlich noch darauf eingegangen werden. Ich will es mir und Ihnen deshalb aus zeitlichen Gründen versagen, die positive Bilanz noch einmal insgesamt .darzustellen. Aber ich erinnere daran, daßerstens ein voller Aufwertungsverlustausgleich erreicht worden ist,
daß zweitens eine Korrektur der katastrophalen Ansätze in der mittelfristigen Finanzplanung der alten Regierung erfolgt ist und daß drittens die haushaltsmäßige Globalhaftung aufgehoben worden ist.Ich will mich jetzt nur darauf beschränken, Herrn Minister Ertl und +den anderen Herren des Kabinetts für ihren couragierten Einsatz in Brüssel namens meiner Fraktion herzlichsten Dank zu sagen.
Ich will mich nun einigen Aspekten des Grünen Berichts und der gemeinsamen Agrarpolitik zuwenden.Wir nehmen erfreut zur Kenntnis, daß anders als im vorjährigen Grünen Bericht bei ,der Darstellung der sogenannten äußeren Disparität in der Vergleichsrechnung nach § 4 des Landwirtschaftsgesetzes der Abstand zwischen dem erzielten Betriebseinkommen und der Summe der Vergleichsansätze wieder in Prozentzahlen ausgedrückt ist. Eine Verbesserung sehen wir in der Einteilung des Bundesgebietes nach drei Größenklassen. Durch diese Neuerung wird in die sogenannte innere Disparität mehr Transparenz gebracht und den Landwirten und der Öffentlichkeit der enge Zusammenhang von Bodennutzungssystem, Betriebsorganisation, Betriebsgrößen und Einkommenssituation vor Augen geführt.Der Herr Bundeskanzler hat in der zitierten Passage der Regierungserklärung von den Schwierigkeiten gesprochen, von denen die deutsche Landwirtschaft durch die vorzeitige Verwirklichung des gemeinsamen Agrarmarktes betroffen ist. Ich erinnere daran, daß der EWG-Vertrag 1957 auch aus Sorge um die nachteiligen Folgen für die bundesdeutsche Landwirtschaft nicht die Zustimmung der FDP gefunden hat. Es ist inzwischen wohl klargeworden, wie berechtigt diese Vorbehalte gewesen sind. Nun müssen wir von den geschaffenen und vorgefundenen Tatsachen ausgehen und mit ihnen fertig werden und versuchen, dort auszubessern und zu entwickeln, wo das möglich ist. Der Agrarbereich steht heute einsam an der Spitze der EWG-Integration und gilt als markanter Faktor und Katalysator für den Fortgang der europäischen Einigung. Er bedarf — das sage ich nach den Erfahrungen insbesondere des letzten Jahres mit aller Deutlichkeit — der fundamentalen Absicherung durch Fortschritte bei 'der Koordinierung der Wirtschafts- und Währungspolitiken der Partnerländer.Ich bin in Prophetie nicht sonderlich begabt, aber angesichts der fortgesetzten auseinanderlaufenden Preisentwicklung und der miteinander kaum zu vereinbarenden konjunkturpolitischen Vorstellungen der Partnerländer und nach Äußerungen aus berufenem Munde in diesem Hohen Hause in der letzten Zeit fällt es mir leicht, die große Wahrscheinlichkeit neuer Paritätsveränderungen der Währungen vorauszusagen. Die Währungszeitbombe tickt also wieder. Die deutschen Bauern werden kein Verständnis dafür haben, fortgesetzt die Hauptbetroffenen von
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HelmsIntegrationsdefiziten im Wirtschafts- und Währungsbereich zu sein. Wir meinen, daß sie ein Recht auf frühzeitige Entschärfung dieser Zeitbombe haben.Wir sind nicht völlig sicher, ob der inzwischen von Herrn Minister Schiller in Brüssel präsentierte Stufenplan für die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion auf die Erfordernisse der landwirtschaftlichen Agrarpolitik hinreichend abgestellt ist. Für die Gespräche und Verhandlungen innerhalb der EWG ist dieser ,Plan sicher ein realistischer und fortschrittlicher Vorschlag. Nur ist der Stufenplan mit dem Zeitablauf von zehn Jahren für die Landwirtschaft zu langfristig ,angelegt. Er bietet uns zu wenig Gewähr dafür, daß künftig fundamentale Währungsungleichgewichte verhindert werden, wie überhaupt die bisherigen verschiedenen Ansätze für eine Wirtschafts- und Währungsharmonisierung und die Reaktionen einiger Partnerländer darauf nicht gerade umwerfende Beweise gesteigerten Elans zur fortschreitenden Einigung sind.Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, auch weiterhin ohne Angst vor der eigenen Courage in Brüssel zu ,verhandeln und den Partnern die Unausweichlichkeit von Konsequenzen für den gemeinsamen Agrarmarkt unid seine Finanzierung vor Augen zu führen, wenn substantielle Fortschritte bei der Harmonisierung nicht bald eintreten.Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten sehen nicht ein, warum — wie durch Außenminister Schuman geschehen — nur ein Junktim zwischen der Ratifizierung der EWG-Agrarfinanzverordnung und dem Eintritt in eine aktive Phase der Erweiterungsverhandlungen mit Großbritannien hergestellt werden soll. Vielmehr empfehlen wir der Bundesregierung, partnerschaftliches Interesse an und Bereitschaft zu einer Harmonisierung durch Erwägung eines Junktims von Agrarfinanzierungsratifizierung und echten Fortschritten bei der Angleichung der Wirtschafts- und Währungspolitik wachzuhalten. Wir fordern die Bundesregierung auf, für den Fall der Wiederholung der Vorkommnisse des letzten Jahres rechtzeitig Konzeptionen und Pläne zu entwickeln, die geeignet sind, das Unterlaufen der Agrarpreise 211 verhindern, und nötigenfalls tauch eine Abschlachtaktion der Heiligen Kuh „Rechnungseinheit" ins Auge zu fassen.Meine Damen und Herren, es ist nach Auffassung meiner Fraktion nicht nur über den mangelnden Integrationsstand innerhalb der allgemeinen Währungs- und Wirtschaftspolitik Klage zu führen, sondern es muß auch ein kritisches Wort über den unzureichenden Integrationsstand in dem gemeinsamen Agrarsektor selbst gesagt werden. Ich meine die leidigen Wettbewerbsverzerrungen. Nach unserer Auffassung darf sich die Gemeinschaft nicht in gemeinsamen Preisen und 'einheitlichen Märkten erschöpfen. Vielmehr fordern wir im Interesse einer wahren Gemeinschaft die allseitige Vollendung der Agrarintegration. Das gilt vor allem für den Bereich der Sozialpolitik, in dem, vor .allem durch das hohe französische Niveau bedingt, noch immer ein erhebliches Gefälle besteht. Wir halten eine Angleichung des nationalen agrarsozialen Niveaus an denfranzösischen Standard in absehbarer Zeit für unerläßlich. Auch in anderen Bereichen sollten die deutschen Landwirte nicht schlechter gestellt werden als ihre Berufskollegen in den Partnerländern. In diesem Zusammenhang erneuern wir den Vorschlag einer Harmonisierung der den bäuerlichen Betrieb belastenden Steuern in der EWG.Wir begrüßen, daß sich die Bundesregierung dem alten Problem der Gasölverbilligung zuwendet. Es soll erreicht werden, daß die Landwirte unbürokratisch Zoll- oder Berechtigungsscheine zum Bezug von Gasöl 'erhalten.Wir bitten die Bundesregierung, innerhalb .der nächsten sechs Monate dem Bundestag eine Bestandsaufnahme der in der EWG bestehenden Wettbewerbsungleichheiten vorzulegen und daraus eine Konzeption zum Abbau dieser Verzerrungen zu entwickeln.Minister Ertl hat in seiner Einbringungsrede betont, daß infolge der Haager Gipfelkonferenz und des Endes ,der Übergangszeit künftighin der Grundsatz der finanziellen Solidarität der Partnerstaaten gelte. Die Freien Demokraten stehen positiv zu den getroffenen Finanzregelungen und sind der Auffassung, daß ein günstigeres Verhandlungsergebnis nicht zu erreichen gewesen wäre.Angesichts der hinlänglich bekannten Überschußsituation und des respektablen 'deutschen Anteils an ,der Finanzierung des Agrarfonds glauben wir, daß man in Zukunft in Brüssel verstärkt Vorkehrungen dafür treffen sollte, ,daß in der Debatte um die Ausweitung des Produktionsvolumens vermehrt solidarische Gesichtspunkte zur Geltung gebracht werden. Das sollte nach unserer Auffassung darauf hinauslaufen, daß solche nationalen, die gemeinsame Kasse direkt oder indirekt belastenden Projekte, wie z. B. die niederländische Neulandgewinnung oder die Ausweitung der französischen Anbauflächen und die Produktionsankurbelung im Veredelungssektor, rechtzeitig auf den Tisch des Ministerrats gebracht werden.Als letzten Komplex von europäischer Dimension möchte ich mich der gemeinsamen Preispolitik zuwenden. Die Regierungserklärung sagt — die Haltung der Regierung ist hier erfreulich klar —: „Bei den notwendigen Strukturverbesserungen der Landwirtschaft muß vermieden werden, daß eine Politik des Preisdrucks betrieben wird." Minister Ertl hat diesen Standpunkt mit unmißverständlicher Deutlichkeit hier und andernorts vertreten. Dies ist auch die Haltung der Fraktion der Freien Demokraten. Wir sind nicht nur der Meinung, daß die gemeinsamen Agrarmärkte nicht über die von der Brüsseler Kommission vorgeschlagenen Preissenkungen unter Kontrolle gebracht werden können, sondern daß sogar partielle Preisanhebungen das adäquate kurzfristige Mittel sind, um die überbordenden Märkte zu entlasten.Bei Getreide votieren wir — nicht nur, weil eine neuerliche Getreidepreissenkung für die deutsche Landwirtschaft nicht tragbar ist — für eine Veränderung der Preisrelation von Brotgetreide zu Futter-
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Helmsgetreide zugunsten einer spürbaren Anhebung des Futtergetreides und für eine EWG-weite Beimischungsvorschrift von Getreide zu Mischfutter.Das Zuckerproblem erscheint uns am ehesten lösbar durch die Verringerung von Produktionsgrundquoten — eine Lösung, die auch im Einklang stünde mit der alten Forderung unserer Fraktion nach Mengenbeschränkungen. Die Erzeugerbeteiligung lehnen wir ab.Das Milchproblem ist das dringendste. Das zeigt auch der Grüne Bericht. Danach liegt ,die höchste Disparität bei den Futterbaubetrieben mit EWG-Modellgröße über 50 ha. Eine Verwirklichung der Preisvorschläge der Brüsseler Kommission würde den Ruin gerade dieser Betriebe zur Folge haben. Wir haben ,den ebenfalls mengenregulierenden Vorschlag des Zentralausschusses der deutschen Landwirtschaft, der das interessante Instrument handelbarer Lieferrechte vorsieht, geprüft und halten ihn für einen guten Diskussionsbeitrag, sofern er Verwirklichung findet unter Berücksichtigung einer Regionalisierung zugunsten der reinen Grünlandgebiete.Außerdem halten wir die Vorschläge, die Herr Minister Ertl am 3. März dem Agrarrat in Brüssel unterbreitet hat und die etwas von der alleinigen Konzentrierung auf den Butterinterventionspreis wegführen, für gut und brauchbar. Unabhängig von diesen Erwägungen sollte die Bundesregierung im Interesse verstärkter Absatzförderung das kostenlose Schulmilchfrühstück in der EWG bewirken. Dazu gehört auch eine weitere Differenzierung des Milchangebots zugunsten nicht entrahmter Frischmilch.Wir glauben, daß durch die Verwirklichung dieser Vorschläge der explosive Druck aus dem gemeinsamen Produktionskessel abgelassen würde. Wir Freien Demokraten sind davon überzeugt, daß langfristig eine Bewältigung der Überschuß- und Einkommensproblematik nur durch eine ebenso konsequente wie systematische Einbeziehung der Landwirtschaft in eine wachsende Gesamtwirtschaft erreicht werden kann. Wir stehen also unverändert zu einer aktiven Preispolitik. Dazu ist allerdings die Forcierung des Strukturwandels auch in den Partnerstaaten komplementär notwendig.Der Grüne Bericht enthält gegenüber seinen Vorgängern ein weiteres wesentliches neues Element. Er ist nicht mehr nur ein vergangenheitsbezogener Rechenschaftsbericht, sondern er entnimmt aus der Tendenz der bisherigen Entwicklung Anhaltspunkte für die Zukunft der Agrarpolitik. Bevor ich mich den strukturpolitischen Fragen, die das Projektionsmodell bis 1980 aufwirft, zuwende, möchte ich zunächst einige Anmerkungen zu den einkommenspolitischen Prämissen der Modellrechnung machen. Danach soll sich der relative Einkommensabstand zwischen den in der Landwirtschaft Tätigen und den Erwerbstätigen in den übrigen Wirtschaftsbereichen nicht ändern. Es wird in diesem Modell von einer weiter bestehenden Disparität ausgegangen.Nun zu den angeführten Preishypothesen. Die eine Preisannahme, die für die Landwirtschaft alleinakzeptabel ist, geht von einem jährlichen nominellen Preisanstieg von ca. 2 % aus und unterstellt weiter, daß sich das allgemeine Preisniveau genauso entwickelt. Angesichts der derzeitigen Preisentwicklung muß diese allgemeine Preisniveauhypothese unseres Erachtens allzu optimistisch genannt werden. Es ist nämlich ziemlich sicher anzunehmen, daß die tatsächliche Entwicklung die gemachte Hypothese in der Höhe übertrifft. Deshalb erheben wir Freien Demokraten die Mindestforderung für die langfristige Agrarpolitik, daß sich die Entwicklung des Agrarpreisniveaus streng an der Zunahme des allgemeinen Preisniveaus orientiert, damit real eine Konstanz der Agrarpreise gegeben bleibt.Die durch diese Regierung dankenswerterweise eingeführte Beteiligung der Vertreter der Landwirtschaft an der Konzertierten Aktion bleibt nach unserer Auffassung nur dann sinnvoll, wenn in ihren Beratungen der Grundsatz einer Konstanz des realen Agrarpreisniveaus als Essential der Landwirtschaft oder Hauptanliegen berücksichtigt wird. Die Vertreter der Bauern sollten die Chancen, die sich aus der Beteiligung an der Konzertierten Aktion ergeben, nutzen.Der inzwischen wohl von niemandem mehr bezweifelte Wert von Projektionen der durchgeführten Art liegt in einer entscheidenden Verbesserung der Handlungs- und Entscheidungsgrundlage der Agrarpolitik und in einer Erleichterung der beruflichen und unternehmerischen Entscheidung für den bäuerlichen Betriebsführer. Die Modellrechnung des Grünen Berichts offenbart, wie ich meine, schonungslos die enorme Anpassungsleistung, die von der deutschen Landwirtschaft bis 1980 zu erbringen sein wird, wenn sich ihre Einkommenssituation nicht rapide verschlechtern soll. Der Strukturwandel wird also in ähnlicher Form weitergehen.Die von Minister Ertl vorgelegte Konzeption der dringend gebotenen ökonomischen und sozialen Anpassungshilfen findet die volle Unterstützung unserer Fraktion. Für diejenigen, die aus der Landwirtschaft ausscheiden wollen, sind die von den Koalitionsparteien ins Auge gefaßten sozialen Initiativen, die bei der Oppositionsfraktion erfreulicherweise Unterstützung finden, von besonderer Bedeutung. Für diejenigen, die in der Landwirtschaft verbleiben wollen, steht die Förderung des entwicklungsfähigen Vollerwerbsbetriebes im Mittelpunkt der Bemühungen. Nach Lage der Dinge läuft dies vorwiegend auf den rationell wirtschaftenden bäuerlichen Familienbetrieb hinaus, der gegenüber anderen Betriebsformen keinesfalls Benachteiligungen erfahren darf. Der im Grünen Bericht erbrachte Nachweis, daß eine günstige Einkommenslage nicht unbedingt an eine bestimmte Betriebsgröße gebunden ist, bestätigt einmal mehr unsere fortgesetzte Ablehnung schematischer Betriebseinheiten.Die Ausführungen des Herrn Ministers haben deutlich gemacht, daß künftig die Agrarstrukturpolitik eine engere Verzahnung mit der allgemeinen Regionalpolitik erfahren soll. Wir sind der Auffassung, daß dies dringend geboten ist. Denn eine isolierte Agrarstrukturpolitik muß ein Torso und
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Dr. Ritzzum Scheitern verurteilt bleiben, wenn sie nicht die notwendige Abstimmung und Einordnung in die Regionalpolitik erfährt. Es findet den Beifall meiner Fraktion, daß dies künftig auf der Grundlage einer bundesweiten Regionalanalyse erfolgen soll. Wir knüpfen an diese Ankündigung die Hoffnung, daß in Zukunft dort, wo zu erwarten steht, daß von der sich wandelnden Landwirtschaft vermehrt Arbeitskräfte freigesetzt werden, auch in hinreichender Zahl und Güte außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.Aber nicht nur so können wir erfolgreich der unerwünschten Tendenz der Abwanderung der Menschen vom Lande in die industriellen Ballungsräume entgegenwirken. Mindestens genauso wichtig ist es, das Bildungsgefälle zwischen Stadt und Land nicht nur zu beklagen, sondern in enger Zusammenarbeit mit den Ländern endlich praktische Abhilfe zu schaffen. Um — wie die Regierungserklärung ausführt — das immer noch bestehende Bildungsgefälle abzubauen, reicht es nicht aus, die Bundeskompetenz voll auszuschöpfen, sondern man muß eine Ausweitung der Zuständigkeiten ins Auge fassen, um das Gebot zu erfüllen, gleiche Bildungschancen für die Landbevölkerung zu schaffen.Wir fordern die Bundesregierung auf, sich der dringendsten Fragen vorrangig anzunehmen und mit den Ländern darauf hinzuwirken, daß die Voraussetzungen geschaffen werden für die Einrichtung von Pflichtvorschulkindergärten und eines ausreichenden Netzes von offenen Leistungsschulen auf dem Lande. Weiter fordern wir die Erstattung der Fahrtkosten zu entfernt gelegenen Ausbildungsstätten in ländlichen Gebieten. Die bestehenden Regelungen in einigen Ländern, wie z. B. Nordrhein-Westfalen, mögen dafür Beispiel sein. Im übrigen wäre es der Interessenwahrung der ländlichen Bevölkerung dienlich, wenn der Bundeslandwirtschaftsminister verstärkt in die bildungspolitischen Planungen und Entscheidungsvorbereitungen einbezogen würde.Der Herr Bundesminister hat hier seinen Plan eines mittelfristigen Förderungsprogramms für die einzelbetrieblichen Maßnahmen in der Landwirtschaft dargelegt. Wir sehen darin das Konzentrat seiner agrarpolitischen Absichten. Ich möchte seitens der FDP zu diesem Vorhaben, das die Landwirtschaft in die Lage versetzen soll, ohne unzumutbare ökonomische und soziale Spannungen die unausweichlichen Anpassungsleistungen zu vollbringen, einige Anmerkungen machen.Das mittelfristige Förderungsprogramm soll unter Berücksichtigung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern durchgeführt werden. Wir meinen, daß es zur Absicherung des mittelfristigen Förderungsprogrammes wichtig ist, daß die bei den Gemeinschaftsaufgaben vorgesehene Rahmenkompetenz des Bundes möglichst nachhaltig ausgeschöpft wird.Das Erfreuliche und Neue der verschiedenen Förderungsmaßnahmen sehen wir Freien Demokraten darin, daß alle Landwirte den Zugang zu den Förderungsmaßnahmen haben. So sollen die Bauern einen etwaigen Entschluß, aus der Landwirtschaft auszuscheiden, vor dem beruhigenden Hintergrund eines breiten Angebots sozialer Hilfestellungen treffen können.Angesichts der in diesem Hause zur Beratung anstehenden sozialpolitischen Anträge der Koalitionsparteien und der Oppositionsfraktion will ich dieses Thema an dieser Stelle nicht vertiefen. Wir werden ja Gelegenheit haben, darüber in den Ausschüssen zu sprechen. Aller Erwartung nach ist dieser Bereich auch nicht so kontrovers wie der Komplex der einzelbetrieblichen Investitionsförderung.Angesichts der für den Praktiker nur schwer durchschaubaren Unübersichtlichkeit der Förderungsbedingungen, gemessen an der in Vorbereitung befindlichen neuen Konzeption, wird es vielleicht unterschiedliche Meinungen geben. Im Zentrum der einzelbetrieblichen Investitionsförderung sollten nach unserer Vorstellung stehen: Erstens die Aufstockungsvorhaben, zweitens die baulichen Investitionen, drittens Viehaufstockungen, viertens Meliorationen.Wir unterstützen die ins Auge gefaßten verschiedenen Kriterien für die Förderungswürdigkeit, geben aber schon jetzt zu bedenken, daß man bei der Forderung nach bestimmter Qualifikation des Betriebsführers nicht das Kind mit dem Bade ausschütten sollte, sondern die individuelle Situation ausreichend in Rechnung stellen muß. Wenn der betriebliche Leistungsnachweis an Hand einer Betriebsbuchführung erbracht werden soll, darf diese Buchführung die Bauern aber auch nicht überfordern, sondern muß betriebsnah und praktikabel sein.Wir schlagen vor, in dem neu zu konzipierenden landwirtschaftlichen Buchführungsgesetz — ein Entwurf hat dem letzten Bundestag schon vorgelegen — die Erschwernisse in der landwirtschaftlichen Buchführung gegenüber der gewerblichen Buchführung zu beseitigen so z. B. die Vorschrift über die Registerführung, die ständige Fehlermöglichkeiten schafft, aufzuheben.Bei der Investitionskontrolle scheint es uns angebracht, im Interesse der Vermeidung von Fehlinvestitionen die Hausbanken als Risikoträger mehr als bisher ins Spiel zu bringen. Außerdem ist eine Entbürokratisierung des Verfahrensganges geboten.Bei der gesamten Neuordnung der einzelbetrieblichen Investitionsförderung wird ja so bald noch nicht das letzte Wort gesprochen sein. Ich kann mich hier auf diese knappen Anmerkungen beschränken.Auf eines möchte ich dennoch mit allem Nachdruck und in Übereinstimmung mit unserer Auffassung, daß dem entwicklungsfähigen Vollerwerbsbetrieb auch künftig nicht die Produktionschancen genommen werden dürfen, hinweisen: Das ist die Sicherung der Veredelungswirtschaft im bäuerlichen Betrieb, allein schon aus der Notwendigkeit, die hohen Investitionskosten für diese Betriebe nicht sinnlos werden zu lassen und nicht erneut Finanzierungsmittel für Fehlinvestitionen zu verausgaben. Wir schlagen deshalb vor, wie auch schon bei der umsatzsteuerlichen Komponente des Aufwertungsausgleiches im Sinne der bäuerlichen Veredelung vorzugehen und
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Helmserstens das Einkommensteuergesetz bei der Steuerreform so zu ändern, daß der gewerblichen industriellen Veredelung und Massentierhaltung der Vorabzug von Verlusten als Möglichkeit der Steuerminderung nicht mehr offen steht.Zweitens schlagen wir gemäß Art. 43 EWG-Vertrag eine Lizensierung auf EWG-Ebene vor, die auf einer Normierung .der zuzulassenden gewerblichen und landwirtschaftlichen Veredelungsbetriebe beruht.Drittens schlagen wir vor, den Massentierhaltern gesetzlich vorzuschreiben, zur Beseitigung von Dungstoffen langfristige Verwertungsverträge mit Inhabern landwirtschaftlich genutzter Flächen, die zur Dungbeseitigung ausreichen, abzuschließen.Mein Kollege Peters hat in einer ersten Stellungnahme zur Einbringungsrede von Herrn Minister Ertl von einer Wende in der Agrarpolitik gesprochen und gemeint, daß nun der Beginn einer vorausschauenden Agrarpolitik zu verzeichnen sei. Ich teile diese Einschätzung. Wir haben keinen Zweifel daran, daß der Ansatz dieser zukunftsbezogenen Agrarpolitik von Herrn Minister Ertl und Herrn Staatssekretär Logemann konsequent weiterentwikkelt wird.Die wachsende Einsicht der deutschen Landwirtschaft in die Notwendigkeiten und die Bedingungen einer modernen Agrarpolitik ist nicht zuletzt ein Ergebnis vermehrter und verbesserter Information durch die Grünen Berichte. In Anbetracht eines sich fortsetzenden Strukturveränderungsprozesses, der an Schnelligkeit offenbar nicht verliert, ist das kategorische Gebot heute mehr denn je: illusionslose Sicht der Lage und nüchterne Einschätzung der Entwicklungsmöglichkeiten. Der Bauer hat ein Recht auf nachhaltige Aufklärung über die Situation von heute und die zu erwartende von morgen. Ihm ist nicht mit Schönfärberei gedient. Er soll aber wissen, daß die Agrarpolitik dieser Koalition darauf zugeschnitten ist, dem entwicklungsfähigen Vollerwerbsbetrieb Zukunftschancen zu sichern und dessen volkswirtschaftliche Leistung auch in einer wachsenden Wirtschaft angemessen zu honorieren. Neben den dazu notwendigen wirksamen Hilfen zum Zurechtfinden unter veränderten Verhältnissen verdient er unseren Schutz vor falschen Freunden, die ihren Freundschaftsbeweis damit glauben erbringen zu sollen, daß sie den Bauern Wahrheiten vorenthalten. Dazu wollen wir Freien Demokraten nicht gehören.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Helms hat seine Jungfernrede gehalten. Das Haus gratuliert ihm dazu.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schmidt .
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eingangs einige Bemerkungen zu den Ausführungen des Kollegen Ritz machen. Ich hatte den Eindruck, Herr Kollege Ritz, daß Sie sich in der Rolle der Opposition ganz wohlfühlen; aber ich glaube, Sie haben sich dabei auch ein wenig übernommen. Meine Kollegen und ich haben eifrig Notizen gemacht, und Sie können völlig sicher sein, daß wir nachher noch auf Mark und Pfennig zurückzahlen. Sie haben sich unter anderem nicht daran erinnert, daß die CDU/CSU, also die jetzige Opposition, 18 Jahre allein die Agrarpolitik gemacht hat. Sie beschwerten sich darüber, daß heute im Lande so viel Unruhe herrsche. Diese Unruhe erklärt sich wohl so, daß Sie in diesen 18, wenn nicht 19 Jahren die Politik gestaltet haben, ohne den Bauern das gesagt zu haben, was sie schon seit zehn Jahren hätten wissen müssen.
Eine zweite Bemerkung. Sie haben mich unmittelbar angesprochen, und zwar im Zusammenhang mit einem Entschließungsantrag, den wir Mitte Dezember in diesem Hause gemeinschaftlich gestellt haben. Sie haben sich darüber beschwert, daß zur Stunde, ein Vierteljahr später, noch keine Antwort der Regierung darauf vorliegt. Herr Kollege Ritz, Sie sind ,das fünfte Jahr in diesem Hause. Wenn Sie so lange wie ich in diesem Hause wären, wüßten Sie, daß wir in diesem Hause seit 1949 unzählige Entschließungen gefaßt und Anträge gestellt haben, die Ihre Regierung in vier Jahren niemals beantwortet hat.
Sie können sicher sein — nehmen Sie mich beim Wort —, den einen Teil dieser Entschließung werden wir mit Ihrer Unterstützung bald in Ordnung bringen. Über den anderen Teil, die Steuern, die Belastungen usw., werden wir im Laufe dieses Jahres sicher noch reden können.Meine Damen und Herren, ich hatte an sich die Absicht — und ich will sie auch verwirklichen —, einige grundsätzliche Ausführungen insbesondere darüber zu machen, wie sich die Landwirtschaft in den nächsten Jahren entwickeln wird. Ich hatte vor, Ihnen zu sagen, was wir jetzt und in der nächsten Zeit tun müssen.Meine Damen und Herren, wir begrüßen die Erklärung des Bundesministers in seiner Einbringungsrede. Wir sehen den Bericht des Ministers als eine sachliche Fortsetzung der Berichte aus den Jahren 1968 und 1969 an. Diese Entwicklung erfüllt uns mit großer Genugtuung. Nach vielen Jahren — ich habe es schon angedeutet — weltanschaulicher, ja dogmatischer Irrungen und des Verharrens in den Erkenntnissen der 50er Jahre, Herr Kollege Ritz, haben wir uns anscheinend jetzt in diesem Hause gefunden rund sind bereit, eine Neuorientierung der Agrarpolitik in Angriff zu nehmen. Nur mit einer Neuorientierung werden wir die Landwirtschaft aus dem Getto befreien und vom Rande der heutigen Gesellschaftsordnung wegführen. Das Bild der Landwirtschaft hat sich in den letzten zwei, drei Jahren schon geändert. Wir müssen dazu aber noch einiges mehr tun.
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1804 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Dr. Schmidt
Bevor ich mich den politischen Aspekten zuwende, möchte ich ganz kurz summierend dem Grünen Bericht einige Worte widmen. Die summarische Feststellung mag genügen, daß die Aussagen des Berichts objektiv sind und daß er weiterentwickelt worden ist, daß er besser als je zuvor eine Fundgrube für die lernende Welt bleibt und daß das verbesserte 'Ergebnis aus dem Jahre 1968/69 den Sachkenner nicht überrascht hat. Dennoch bestätigt auch der Grüne Bericht, daß die Forderung des Landwirtschaftsgesetzes, die Landwirtschaft zu einem gleichberechtigten .Partner der Wirtschaft zu machen, nach wie vor leere Formel ist. Erst in der verstärkten Fortführung der seit zwei Jahren begonnenen Neuorientierung kann und wird dieses Landwirtschaftsgesetz aus dem Jahr 1955/56 seine Erfüllung finden.
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Meine Damen und Herren, wir sind durch solche Projektionen nicht empfindlich geworden. Wir sollten ihnen durchaus vernünftig entgegensehen und sie nicht beiseite schieben, als wären sie nur eine Randerscheinung des Grünen Berichts.Empfindlich geworden ist die Öffentlichkeit auch gegenüber kleinkarierten Taktiken unter dem Motto: Die Bauern dürfen nicht beunruhigt werden. Ich glaube, diese Taktik ist völlig verkehrt. Die kann man vielleicht in unseren südlichen Landesteilen noch ein wenig verfolgen; im Norden wäre das ganz unmöglich. Ich halte genau das Gegenteil für richtig. Wir brauchen den harten Dialog, denn nur dadurch lassen sich der Lernprozeß fördern und die entsprechenden Verkrustungen verhindern. Wenn wir dem harten Dialog ausweichen, meine Herren, wenn etwa die Politik wider besseres Wissen Sicherheiten verspricht, wo es angebrachter wäre, von Risiken zu sprechen und auf sie hinzuweisen, spätestens dann kommt es zum Konflikt. Dann wird es sehr gefährlich. Diesen Anforderungen ist die vergangene Politik — das will ich noch einmal feststellen — natürlich nur unzureichend gerecht geworden.Meine Damen und Herren! Die Pflicht zu einer informativen Agrarpolitik hätte es erfordert, die Voraussetzung für die Existenzfähigkeit zu bestimmen. Aber immer dann, wenn auch nur der Versuch unternommen wurde — beispielsweise in den bereits genannten Vorschlägen des Wirtschaftsministers im Jahre 1968 —, reagierten die konservativen Scharfmacher mit geradezu hysterischer Polemik. Das hat gerade Unheil genug angerichtet, und in diesem Hause haben wir ja einiges davon erlebt. Indem man nämlich die rechtzeitige Aufklärung über die Zukunft der Landwirtschaft unterdrückte, hat man Tausende von Bauern davon abgehalten, ihren Kindern eine solide Ausbildung in einem zukunftssicheren Beruf zu geben und sich selber beruflich umzustellen.
Man hat diese Landwirte und den Staat zu Fehlinvestitionen veranlaßt und die organische Entwicklung abgebremst.
Ein Beispiel dafür — das muß ich ausdrücklich sagen — war auch der Versuch, mit der hektischen Verketzerung des sogenannten Mansholt-Plans von den eigenen Schwächen abzulenken. Meine Fraktion, die SPD, hat hier in diesem Hause kühl und sachlich diesen Plan wegen .der ungeheuren finanziellen Belastung für undurchführbar und in einigen Detailvorschlägen für unrealistisch gehalten. Doch das, was sich selbst hier in diesem Hause damals abgespielt hat, stand dem nicht nach, was wir vor wenigen Wochen in einer norddeutschen Landeshauptstadt erlebt haben. Inzwischen scheinen aber auch die in der Landwirtschaft Verantwortlichen besonnener geworden zu sein. Bestimmte personelle Wechsel haben da hilfreich gewirkt.Ich erkläre noch einmal: Das Memorandum war und ist ein Diskussionspapier, und die Kommission wird nunmehr nach den Diskussionen ein neues Papier vorlegen. Ich will dabei allerdings die Erwartung aussprechen, daß das neue Konzept aber auch nahtlos mit dem EWG-Memorandum über die mittelfristige Wirtschaftspolitik bis zum Jahre 1975 harmonisieren wird.Ausgangsbasis, meine Damen und Herren, für eine Projektion müssen dabei die allgemeine Einkommensentwicklung und die Möglichkeiten der Produktivitätssteigerung sein. Das muß sowohl im Hinblick auf die Arbeits- als auch im Hinblick auf die Kapitalproduktivität gesehen werden. Man muß sch darauf einstellen — ich glaube, ich habe es vor zwei Jahren hier schon einmal gesagt, ich will es wiederholen — daß bereits bei dem heutigen Stand der Technik und der Wissenschaft ein Anteil von 5 % in der Landwirtschaft Tätiger an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen ausreicht — 5 % gegenüber 9 %, die wir heute haben —, um die Bevölkerung der EWG-Länder mit allen Nahrungsmitteln zu versorgen, die in diesem Raum produziert werden können. Die Trendprognose des vorliegenden Grünen Berichts ist deshalb richtig. Es heißt dort wörtlich, daß ein sehr tiefgreifender Strukturwandel noch bevorsteht. Das möchte ich für meine Freunde ausdrücklich unterstreichen.Meine Damen und Herren, der Ernährungsausschuß — und ich hoffe auch auf die Zustimmung der Opposition — sollte sich selbst ein Urteil über den Entwicklungstrend dadurch zu bilden versuchen, daß er nach sorgfältiger Vorbereitung eine Anhörung im frühen Herbst dieses Jahres abhält. Wir alle, ganz gleich, wo wir sitzen, haben Entscheidungshilfen verdammt nötig, um aus diesen Ad-hoc-Lösungen und aus ,dem Reparieren im nachhinein herauszukommen. Schon im Interesse einer verantwortlichen Verwendung der öffentlichen Mittel und im Hinblick
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1806 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Dr. Schmidt
auf ihre beträchtlichen Dimensionen sind derartige Untersuchungen — die Verbindung von Wissenschaft, Praxis und Politik zum Instrument moderner politischer Entscheidungsprozesse zu machen. In dem jährlichen Bericht, der Bestandsaufnahme des Grünen Berichtes, werden wir dabei eine hervorragende Unterlage haben. Aber ich halte die Erarbeitung einer solchen Prognose für richtig. Ich räume ein, meine Damen und Herren, daß wir Neuland betreten. Aber eine solche Methode wird uns von dem Vorwurf und dem Mißtrauen befreien, ins Blaue hinein zu regieren und uns und andere zu Fehlinvestitionen zu verleiten. Auch das Bundesernährungsministerium dürfte an solchen Anhörungen interessiert sein. Ich glaube schon, daß sie von Nutzen für uns alle sind.Nun ist in der Erklärung des Ministers Ertl zur Einbringung des Grünen Berichts auch einiges über die künftigen Investitionen gesagt worden. Ich glaube, daß wir die Betriebe in Zukunft in 'drei Kategorien einzuteilen haben werden, erstens in ausreichend strukturierte Betriebe, zweitens in Entwicklungsbetriebe und drittens in sogenannte Umwandlungsbetriebe. Wenn es auch richtig ist, daß man zwischen diesen drei Gruppen keine exakten Grenzen feststellen kann — die gibt es wahrscheinlich auch nicht —, sind doch einige Kriterien aufzustellen, die vertretbare Entscheidungen ermöglichen. Die Wissenschaft ist sicher in der Lage, die optimale Kombination — und darauf kommt es an — von Arbeit, Boden und Kapital unter Berücksichtigung des jeweiligen Standorts zum Markt zu bestimmen.Es sollte angestrebt werden, eine bestimmte Höhe des Betriebseinkommens als Zielgröße festzusetzen, die sich natürlich im Zeitablauf auch ändern kann und ändern muß. Die Übernahme einer solchen Zielgröße — meine Damen und Herren, das räume ich Ihnen ein — als Orientierungsdatum ist natürlich für die praktische Politik ein Risiko; denn Technik und Wissenschaft entwickeln sich weiter. Wir müssen weiter beobachten und dabei beachten, daß der Strukturwandel natürlich auch Einfluß auf das Verhältnis der Preise der einzelnen Produkte zueinander und damit auf die Ausrichtung der Betriebe haben wird. Bei zunehmender Wanderung werden die arbeitsintensiven Produktionsrichtungen zwangsläufig auch besser honoriert werden müssen.Weitere Kriterien für diese Entscheidung — das hat auch Herr Bundesminister Ertl ausgeführt — werden die Ausbildung des Betriebsleiters und der Nachweis der Betriebserfolge an Hand von Buchführungsergebnissen sein. Wir werden eine Eingangsschwelle festlegen. Wenn ich sehe, was die Opposition in einem sozialpolitischen Gesetz beantragt hat, glaube ich, daß wir diese Eingangsschwelle schnell finden dürften. Sie liegt nämlich höher — bei dem Drei- oder Vierfachen —, als ich glaubte annehmen zu müssen. Bei einer Bestandsaufnahme in einem genauen Betriebsentwicklungsplan werden wir natürlich auch alles das zu berücksichtigen haben, was sich da an Kosten usw. tut.Meine Damen und Herren, was die zukünftigen Investitionen angeht, so werden wir dabei sehr sorgfältig mit den Mitteln umgehen müssen. Es erscheint doch heute wenig sinnvoll, z. B. den Bau von Ställen zu fördern, in denen nur sieben Kühe oder 50 Mastschweine ihren Platz finden, denn das Schicksal der Kühe kann schnell durch die sogenannte Abschlachtungsprämie besiegelt sein. Es kommt darauf an — das möchte ich ganz entscheidend auch für die Regierung sagen —, nicht vielen etwas zu geben, sondern den echt entwicklungsfähigen Betrieben die Chance zu eröffnen, voll wettbewerbsfähig zu werden.Meine Damen und Herren, ich will das nicht weiter vertiefen, ich will nur sagen, daß wir natürlich bei diesen Plänen auch die kommende Entwicklung berücksichtigen müssen, auch die Fragen der überbetrieblichen Zusammenarbeit. Dabei ist es uns nach wie vor ein ganz entscheidendes Anliegen, die noch bestehenden rechtlichen und steuerlichen Hindernisse für die Kooperation zu beseitigen. Ich sagte Ihnen schon, wir werden sehr acht darauf geben, daß die von uns allen gefaßte Entschließung nicht im Papierkorb landet. Das bisherige Argument des früheren Finanzministers Strauß, die Änderung einzelner Steuervorschriften nur im Zusammenhang mit der kommenden Steuerreform durchzuführen, sollte nicht mehr gelten; denn das bedeutet eine Hinausschiebung dieser Problematik um vier bis fünf Jahre, und das dürfte der kommenden Entwicklung einfach im Wege stehen. Fiskalische Gesichtspunkte können dabei keine Rolle spielen. Ich bin der Meinung, daß der Staat dabei keine Mark verliert, im Gegenteil, wenn nämlich diese Zusammenschlüsse erfolgreich sind, werden sie auch Steuern zahlen, und das bringt Gewinn für den Fiskus.Meine Damen und Herren, Bundesminister Ertl hat — ich wiederhole es — in seiner Einbringungsrede dieses mittelfristige Förderungsprogramm vorgeschlagen. Wir gehen davon aus, Herr Bundesminister, daß die Regierung den Entwurf der neuen 'Richtlinien so rechtzeitig vorlegt, daß der Ernährungsausschuß — ebenfalls wieder in einem Hearing — an den 'Modalitäten der einzelbetrieblichen Förderung mitwirken kann, indem Sachverständige der Betriebswirtschaft und der Wissenschaft über die Frage der Eingangsschwellen und über Art und Umfang der Förderung gehört werden.Was die Umwandlungsbetriebe angeht, so berufe ich mich auf das, was ich eingangs gesagt habe. Hier haben wir Ihnen ja ein großes Angebot gemacht. Ich räume ein, daß bei vielen Inhabern dieser Umwandlungsbetriebe die Einsicht nicht gegeben ist, ihren Beruf und ihren Betrieb ganz aufzugeben. Aus den Untersuchungen der agrarsozialen Gesellschaft weiß ich, daß das Beharrungsvermögen in diesem Bereich außerordentlich groß ist. Das wird sich von heute auf morgen nicht sehr schnell ändern, aber ich hoffe immerhin, daß die moderne Frauenwelt das Ihre dazu tut, daß hier ein Wandel schneller Platz greift, als — auch von Ihrer Seite — noch angenommen wird.Was die Partnerschaft zwischen den Vollerwerbsbetrieben und den Neben- und Zuerwerbsbetrieben, die Sie auch in Ihrem Entschließungsantrag wieder hochleben lassen, angeht: das ist eine schöne Sache,
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Dr. Schmidt
aber das gehört nicht in den Bereich staatlicher Förderung. Das ist Sache der einzelnen Betriebe und der einzelnen Besitzer, und vor einer sogenannten Nebenerwerbsideologie, wie ich sie teilweise im süddeutschen Raum vorgefunden habe, kann ich nur warnen.
Das führt uns zu nichts und wird eines schönen Tages zurückschlagen.
Meine Damen und Herren, inzwischen haben wir für diesen Bereich auch einige sozialpolitische Initiativen ergriffen. Sie wissen, wir haben gemeinsam die Landabgaberente in diesem Hause beschlossen. Wir haben den Umschulungswilligen die Möglichkeit zum Einsteigen in die Sozialversicherung gegeben, zumindest erstreben wir das. Wir haben uns natürlich dazu entschlossen, die Bundesregierung aufzufordern, auf dem Gebiet des Krankenschutzes dem Hause einen entsprechenden Entwurf vorzulegen.Dennoch weiß ich, daß wir gerade bei der in Zukunft sehr starken Veränderungen der Agrarstruktur die wahrscheinlich alles das, was wir in den letzten 15 Jahren erlebt haben, in den Schatten stellen wird, in bezug .auf die übrigen sozialen Einrichtungen — ich denke hier an die Altershilfe und die Unfallversicherung — natürlich zu neuen Lösungen werden kommen müssen. Ich könnte dem Arbeitsminister empfehlen, sich einmal die Projektionen im Grünen Bericht anzusehen, um daraus auch für seine Arbeit die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.Wir brauchen eine Menge neuer Daten für die Zukunft, um den Maßnahmen das richtige Gewicht und den nötigen Rahmen zu geben. Wir brauchen sie vor allen Dingen für die Durchsetzbarkeit einer modernen Politik. Ich gebe .dem früheren Finanzminister Strauß durchaus recht, der in diesem Hause anläßlich der Beratungen des damaligen Agrarprogramms sagte: Wer programmieren- will, muß auch quantifizieren, der muß auch Rechnung legen.Der Herr Bundesminister hat den Fragen der Marktpolitik in seiner Einbringungsrede keinen Raum gewidmet. Ich kenne aber seine Überzeugung, daß diese Fragen eine bedeutende Rolle gerade auch im Hinblick auf die Erweiterung der EWG spielen. Die zukünftige Existenz unserer Landwirtschaft hängt dabei insbesondere von zwei Faktoren ab. Ich will sie ganz kurz ansprechen. Sie hängt von der Organisation der Erzeugung und Vermarktung und von der Herstellung gleicher Wettbewerbsverhältnisse ab.Ich beginne mit dem letzten Faktor. Darüber ist in diesem Hause oft diskutiert worden. Ich will das nicht vertiefen. Ich will nur sagen: Ministerrat und Kommission sind uns dabei einiges schuldig geblieben. Das sind Pflichtversäumnisse, die in den nächsten Jahren wiedergutgemacht werden müssen.Zur Frage der Organisation der Erzeugung und Vermarktung will ich nur folgendes sagen. Wir haben gemeinsam in diesem Hause das Marktstrukturgesetz beschlossen. Das ist für uns auch kein Dogma. Aber ich hoffe, die Landwirtschaft begreift endlich, daß sie mit diesem Gesetz die einmalige Chance hat, die Produktion in den Griff zu bekommen. Nur über eine solche Lösung werden wir den marktwirtschaftlichen Komplexen und Schwierigkeiten begegnen können. Ich hoffe, daß sich die Berufsverbände dieser Aufgabe mehr annehmen, als es bisher der Fall gewesen ist. Im Grunde genommen ist das auch nichts Neues; denn schon Albrecht Thaer hat die Landwirtschaft vor 200 Jahren als ein Gewerbe bezeichnet, das den Zweck hat, durch Produktion vegetarischer und tierischer Substanzen Gewinn zu erzielen und Geld zu erwerben. Nicht die möglichst hohe Produktion, sondern der höchste reine Gewinn sei der Zweck der Landwirtschaft. Ich glaube, wir können uns diesen Auffassungen Albrecht Thaers auch heute noch anschließen.Daß in diesem Marktkomplex auch der neue Absatzfonds seine Rolle spielen muß, ist klar. Er muß sie mehr spielen als bisher. Vor allen Dingen müssen natürlich mit dem Absatzfonds, was den Markt angeht, entsprechende Maßnahmen getroffen werden.Ich will mich in wenigen Sätzen noch der Agrarpolitik in der EWG zuwenden. Ich tue das mit einem gewissen Respekt vor den Leistungen dieser Regierung in Den Haag. Sie hat — und das ist von Ihnen ja ohne ein Wort der Kritik zugestanden worden — die festen Fronten wieder aufgelockert. Wir haben verbesserte Gesprächsmöglichkeiten auch innerhalb der Partner. Das ist also ein Erfolg der Verhandlungen in Den Haag.Dennoch ist ein anderer Komplex bereits entschieden, der mir natürlich weniger Freude macht, den man aber wahrscheinlich so hinnehmen muß, wie er ist: die Regelung der Agrarfinanzierung, eines der schwierigsten Probleme überhaupt. Ich habe bis vor einigen Wochen immer die Vorstellung gehabt, daß man bei der Regelung der künftigen EWG-Agrarfinanzierung die Möglichkeit hat, in einem Junktim auch die Fragen der Überschußproduktion zu einer Lösung zu bringen. Die Zeit wahr anscheinend so kurz, daß es diese Möglichkeit nicht gegeben hat. Ich kann nur hoffen, daß diese Opfer auch bei unseren Partnern auf entsprechendes Verständnis stoßen und daß sie auch bereit sind, in den von uns so sehr gewünschten Erweiterunsverhandlungen die nötigen Zugeständnisse zu machen.Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein ganz kurzes Wort zu den gegenwärtigen recht schwierigen Verhandlungen sagen, die Minister Ertl in Brüssel zu bestehen hat. Gegenstand dieser sehr ernsten, aber leider bisher erfolglosen Verhandlungen sind die Vorschläge der Kommission zur Beherrschung der Märkte, zur Herbeiführung des Gleichgewichts auf den Märkten. Diese Verhandlungen haben ihr Ende noch nicht erreicht. Die Lage scheint mir zur Zeit total verworren und unhaltbar zu sein. Wenn ich die Forderungen der einzelnen sechs Länder summiere, kommt ein Paket heraus. Ich frage mich, ob das in absehbarer Zeit überhaupt zur Lösung zu bringen ist. Jedenfalls wird man sich dabei sehr anstrengen müssen.
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1808 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Dr. Schmidt
Professor Niehaus hat vor wenigen Wochen einmal in einem Artikel die These aufgestellt, daß die EWG-Agrarpolitik die schwierige Aufgabe habe, einen Weg zwischen Utopie und Bankrott zu finden. Welche Formel könnte das Dilemma in der EWG-Agrarpolitik besser zeichnen!Die Probleme — lassen Sie mich zum Abschluß auch das sagen — sind nicht leichtgewichtig. Gravierend ist die Lage auf dem Milchmarkt. In welcher Weise hier mit Steuergeldern umgegangen wird, ist unerträglich. Es kommt deshalb darauf an, so meine ich, hier vor allem auf kurze Sicht nach kostengünstigen Lösungen zu suchen, d. h. praktisch auf die Zahl der Interventionsstufen bei der Milchmarktordnung zu verzichten. Der Zwang ist jetzt — das räume ich ein — leider nicht mehr unmittelbar vorhanden, weil die EWG-Agrarfinanzierung beschlossene Sache ist. Deshalb können wir nur hoffen, daß eines schönen Tages auch die Finanzminister dazu ein Wort werden mitreden müssen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen. Im Jahre 1969 erschien ein Buch mit dem Titel „Die Welt zwischen Hunger und Überfluß" verfaßt und herausgegeben von dem ehemaligen Landwirtschaftsminister Höcherl. Das Buch endet mit folgendem langen, aber sehr inhaltsreichen Satz:Alle Bemühungen der Agrarwissenschaftler und alle Anstrengungen der Landwirtschaftsverwaltungen werden Stückwerk bleiben, wenn es an fortschrittlichen Unternehmern und Agrarpolitikern— das muß unterstrichen werden —in Parlament und Regierung fehlt, die mit Mut, Intuition und Weitblick für das Morgen die Geschicke unserer Land- und Ernährungswirtschaft fest in die Hände nehmen.Der Autor hat völlig recht. Wir hier haben aber keinen Grund — wie fast in keinem westlichen Industrieland —, mit den Ergebnissen der bisher eingeschlagenen Agrarpolitik zufrieden zu sein. Das Unbehagen, gelinde ausgedrückt, ist unter uns. Wir müssen den Mut besitzen, die Erkenntnisse in die Tat umzusetzen. Die Klippen dürfen uns dabei nicht schrecken. Allen Unkenrufen zum Trotz ist die Agrarpolitik heute mehr denn je eine große, eine zukunftweisende und für manchen auch immer noch eine faszinierende Aufgabe.
Das Wort hat der Abgeordnete Ehnes.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst ,einmal ganz kurz auf die Vorwürfe des Herrn Kollegen Dr. Schmidt eingehen, der in einer sehr vornehmen Weise unseren früheren Landwirtschaftsminister Höcherl gelobt hat — dafür sind wir ihm dankbar —,
der aber den Kollegen Ritz sehr schlecht benotet hat.
Ich sage deswegen „schlecht", Herr Kollege Dr. Schmidt, weil es einfach nicht stimmt, daß der Kollege Ritz sich übernommen hat. Es ist vielmehr eine Tatsache, daß Sie zunächst einmal klären müssen, ob Sie mit der Sozialdemokratischen Partei in Bayern übereinstimmen oder mit den Jungsozialisten in München.
Es besteht nämlich ein Unterschied in der Aussage; denn agrarpolitische Sprecher der SPD in Bayern machen andere Ausführungen im Hinblick auf die Nebenerwerbsbetriebe und auf Ihre sogenannte Nebenerwerbsideologie, die Sie hier entwickelt haben.
Diese Nebenerwerbsideologie muß ich schärfstens zurückweisen, weil ich überzeugt bin, daß in der Bundesrepublik Deutschland die Nebenerwerbsbetriebe eine viel größere Bedeutung bekommen werden, als sie heute schon haben,
und weil wir uns endlich anschicken, auch den Hohen Kommissar in Brüssel davon zu überzeugen, daß der Nebenerwerbsbetrieb in Deutschland ein Bestandteil der Agrarpolitik sein und 'bleiben muß.
— Herr Kollege Saxowski, vielleicht ist eis nicht überall bekannt, daß die auch von Herrn Wirtschaftsminister Schiller veröffentlichte Darstellung über die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht überall Platz gegriffen hat; denn wenn in dem Bericht des Landesarbeitsamtes Nordbayern zu lesen ist, daß es im Landkreis Oberviechtach 25,4 % arbeitslose Menschen gibt, dann möchte ich Sie fragen: Wo sind in diesen Problemgebieten die Alternativen, die Sie dauernd anbieten? — Die sind in den Ballungsgebieten, aber nicht in den landwirtschaftlichen Problemgebieten, weil sich die Industrie nicht vorschreiben läßt, wo sie sich ansiedeln will, sondern sie wird den Platz selbst auswählen.Sie sagten dann weiter, daß diese Ideologie aufgegeben werden müsse, obwohl Ihnen bekannt ist, Herr Kollege Dr. Schmidt, daß in Deutschland 600 000 Betriebe — das sind 31 % — aufgegeben haben. Es stellt sich doch sofort die Frage: Wollen Sie in Deutschland etwas anderes erreichen als das, was in Frankreich oder in Italien praktiziert wird? Wenn Sie wissen, daß dort heute noch 24 % und17 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätigsind, dann müssen Sie zugeben, daß es eine Glanzleistung ist, die in Deutschland in den letzten18 Jahren vollbracht worden ist, und zwar von der verantwortlichen Politik unter der Führung der CDU/CSU.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1809
EhnesIch darf Ihnen aber sagen: Die Erkenntnis zu Herrn Höcherl ist bei Ihnen auch sehr spät gekommen.
Ich habe fast das Gefühl, Sie wollten ihn heute wieder auf den Stuhl haben!
Ich erinnere mich an einen Ausdruck, der den derzeitigen Landwirtschaftsminister nicht beleidigen soll. Der Landwirtschaftsminister hat im Jahre 1967 von dieser Steile ,aus erklärt: „Seitdem die SPD in der Regierung dabei ist, ist die Luft rausgelassen und die Milch sauer!"
Das ist keine Feststellung von mir, sondern eine Feststellung des Ministers, mit dem Sie in der Koalitionsregierung sind. Es soll auch nicht vorwurfsvoll behandelt werden.Meine Damen und Herren, nun zum Grünen Bericht. Dieser Grüne Bericht ist nach meiner Auffassung zu einem Zeitpunkt eingebracht worden, wo man sehr leicht dazu neigt, die wirkliche Lage der Landwirtschaft zu verkennen; denn es ist so, daß der Bericht auf einer erfolgreichen Arbeit unseres Ministers aufbaut und daß heute leider Gottes im ganzen Lande andere Verhältnisse eingekehrt sind. Bei diesen Verhältnissen ist doch zunächst einmal festzustellen: Wenn eine Produktionsleistung mit 2 % Steigerung vollbracht wird, während der Bevölkerungsanteil von 10 % auf 8,8 % zurückgegangen ist, dann bezeichnet dies das ganze Land als einen guten Erfolg, und alle Bevölkerungsschichten sind der Landwirtschaft für diese Leistung sehr dankbar; und wir sind denen dankbar, die diese Leistung durch das Programm eingeleitet haben. Ich meine damit vor allem Herrn Bundesminister Höcherl. Ich möchte mich aber gleichzeitig bei dem Bundesminister Schwarz bedanken, der auch heute diesem Hohen Haus seine Aufmerksamkeit widmet und dieser Sitzung beiwohnt.
Denn von diesen Herren sind diese Dinge doch eingeleitet worden, sonst wäre heute keine Erfolgsbilanz zu verzeichnen.Wenn Sie nun die Darstellung vom heutigen Standpunkt aus sehen, dann ist das etwas anderes, denn die Entscheidung über die Aufwertung, die nach unserer Feststellung einseitig auf dem Rücken der Landwirtschaft durchgeführt wurde, — —
— Herr Kollege Marquardt, im Unterton hat der Kollege Dr. Schmidt an dieser Stelle eben bedauert, daß mit der Aufwertungsentscheidung und mit der Agrarfinanzierung leider nicht das Gleichgewicht der Agrarmärkte gekoppelt worden ist. Das hat doch der aufmerksame Zuhörer aus dieser Ausführung entnehmen können. Wir bedauern es außerordentlich, daß die Preissenkungen, die allein aus der Aufwertung in den verschiedensten Bereichen in Höhe von 5 bis 8,5 % resultieren, nun noch mit zwei weiteren Maßnahmen gekoppelt sind, nämlich mit den von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen. Sie wissen alle, wie schwer es sich auf die marktfernen Gebiete auswirken würde, wenn das, was von der Kommission vorgeschlagen wird, nur zu einem Teil angenommen werden müßte. Ich sage deshalb „zu einem Teil", weil Herr Minister Ertl erklärt hat, er habe bereits in der Regionalisierung und bei den Interventionspunkten einen Teilerfolg zu verzeichnen.Meine Damen und Herren, ich habe hier im VWD eine Mitteilung. In dieser Mitteilung heißt es: Die italienische Delegation gibt in Mailand bekannt, sie sei noch nie so erfolgreich in Brüssel gewesen wie zur Zeit der neuen Bundesregierung, und sie habe noch nie so viel in ihre Scheunen sammeln können, wie es in den letzten Wochen in Brüssel möglich gewesen sei.
Das steht heute im VWD, Herr Bundesminister. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie hier vor der Öffentlichkeit Klarheit darüber schaffen würden, ob die Italiener wirklich ihre Scheunen voll haben und wir sie leer haben. Denn der Kollege Helms hat erklärt: die Regierung ist sofort ins Geschäft gegangen. Herr Kollege Helms, ins Verlustgeschäft ist die Bundesregierung bisher gegangen. Das, was uns in der Aufwertung vorher gesagt wurde, ist nicht gekommen; denn die Preise der Bedarfsartikel sind in einer Steigerungsrate begriffen, wie sie noch nie dagewesen ist.Wenn der Staatssekretär des Bundeswirtschaftsministeriums am 7. Januar in der Öffentlichkeit bekanntgibt, daß die Preiswelle jetzt gebrochen sei, dann frage ich mich, warum er heute nicht geantwortet hat, als hier festgestellt worden ist, daß auf der einen Seite die Erzeugerpreise in diesem Ausmaß gesunken sind, wie es Herr Ertl feststellte, und auf der anderen Seite die Verbraucherpreise im gleichen Zeitpunkt binnen eines Monats um 1,5 % nach oben gingen.Es ist wirklich keine Verbraucherpolitik und keine Landwirtschaftspolitik. Es ist festzustellen, daß die Bundesregierung handlungsunfähig ist. Das ist die traurige Bilanz, die wir aus dieser Debatte heute ziehen müssen,
die Bilanz, die sich in der Landwirtschaft so niederschlägt, daß durch diese Handlungsunfähigkeit bei den Bedarfsartikeln Preissteigerungen zwischen 5 und 25 % eingetreten sind.Wenn die Bundesbank in Frankfurt einen Schritt tun mußte, der von der Bundesregierung erzwungen wurde, weil sie nicht selbst gehandelt hat,
dann zahlt doch diese Zeche derjenige, der die hohen Zinsen zu zahlen hat. Die deutsche Landwirtschaft weist eine Verschuldung von 27 Milliarden DM auf und entrichtet heute schon 1,6 Milliarden DM
Zinsen im Jahr. — Ich frage Sie, Herr Kollege: wiewird die Zinssumme im gesamten am Jahresendeaussehen, wenn heute bei Kontokorrent und bei
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1810 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Ehneskurzfristigen Verbindlichkeiten 13 % und 12 % Zinsen verlangt werden?
Das kann die deutsche Landwirtschaft nicht hinnehmen und nicht ertragen. Ich sage das nicht in irgendeiner Form des Angriffs, sondern als Feststellung, weil der Grüne Bericht und diese Debatte hier in der Öffentlichkeit in einem völlig verkehrten Licht erscheinen, wenn wir an diesen Tatsachen vorbeigehen, die uns so großen Sorgen machen.Wenn im Kommissionsvorschlag eine Senkung von 5,23 Rechnungseinheiten bei Getreide, von 2 Rechnungseinheiten bei Roggen, bei Zuckerrüben von einer Rechnungseinheit, beim Butterinterventionspreis von 32, 33 Rechnungseinheiten vorgeschlagen wird und Herr Bundesminister Ertl erklärt, er sehe gewisse Chancen in der Regionalisierung und in den verbesserten Interventionspunkten — in diesem Fall verbesserten Punkten im Gegensatz zur Kommission und deren Vorschlägen —, dann möchte ich hier sagen: was in diesem Vorschlag steckt, trifft die marktfernen Gebiete der Bundesrepublik Deutschlands am allerschwersten, nämlich die Gebiete, die im Grünen Bericht einen sehr großen Paritätsunterschied in der Einkommenslage ausweisen, einen Unterschied von 16 000 DM auf 10 700 DM beziffert auf Seite 75 des von der Bundesregierung uns vorgelegten Grünen Berichts.Auf Grund der Vorschläge der Kommission ist ausgerechnet worden, Herr Kollege Dr. Schmidt, daß der Interventionspreis bei Weizen in Passau bei 30,70 DM liegt. Aber uns wird bis zum heutigen Tag nicht gesagt, daß Passau als Interventionspunkt bleiben kann. Das bedeutet für die bayerischen Verhältnisse einen Verlust von 25 % des Einkommens aus der Bodenproduktion sowohl bei der Zuckerrübe als auch bei Getreide als auch bei Milch. Sie wissen genau, wie groß die Entfernungen zu den Hauptverbrauchergebieten sind und wie von dem Interventionshauptort aus gesehen das Gefälle nach unten geht, bis in die Gebiete in SchleswigHolstein und Bayern, über die wir uns zu unterhalten haben.Die agrarpolitische Auseinandersetzung ist heute keine Auseinandersetzung darüber, wie das in den Ballungsgebieten oder dort gesteuert werden soll, wo die guten Ertragslagen sind. Bei der agrarpolitischen Auseinandersetzung geht es heute um die Gebiete, in denen wir nicht mehr wissen, wohin die Reise geht, um die Problemgebiete und die Höhenlagen, wo keine Alternativen da sind und wo wir marktfern zu den Hauptverbrauchergebieten liegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
wir haben beim Zuckerrübenpreis einen schweren Kampf gekämpft, um ihn damals auf 7,25 DM zu bringen. Der EWG-Preis beträgt zur Zeit 6,80 DM; über die Aufwertungsverluste sind es 6,35 DM. Das, was die Rübenbauern schon allein bei der Quotenkürzung zu zahlen hätten, würde einen Preis von 5,85 DM bedeuten, der mit Sicherheit von der Landwirtschaft nicht mehr ertragen werden kann, wenn nicht in diesem Bereich, der Einkommensseite, in Brüssel eine harte Verhandlungsführung, so wie Sie sie in Ihrem Wahlkonzept gefordert haben, begonnen wird.Ich sage aber auch hier ganz unverhohlen: Diese harte Verhandlungsführung haben Sie versäumt, weil man bei den Agrarfinanzierungsverhandlungen nicht auf die europäische Zielrichtung in der Form eines politischen Europas eingegangen ist — davon ist fast nichts zu lesen —, und zum anderen weil jeder, der das Geld im voraus hergibt, nachher nicht mehr so ernst und wahr genommen wird, als wenn er das Geld noch in der Tasche hätte.Herr Bundesminister, Sie haben von der Opposition her jegliche Unterstützung, wenn Sie hart bleiben. Sie können sich darauf verlassen, daß wir Ihnen jede Unterstützung gewähren, um in dieser schwierigen Position bestehen zu können. Es geht hier nicht um Parteidogmatik oder um Parteipolitik, es geht um den Bauern und um seine Familie, und es geht langfristig gesehen um eine kontinuierliche Versorgung unserer Verbraucher in Deutschland mit Lebensmitteln zu günstigen Preisen.Verehrte Damen und Herren! Herr Bundesminister, ich glaube, Sie müssen einmal nachprüfen, ob in der derzeitigen Regierung die rechte Hand weiß, was die linke tut. Wenn ich das sage, dann habe ich natürlich Beweise, ich sage das nicht im luftleeren Raum. Wenn Herr Staatssekretär Rohwedder erklärt, die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise in Europa müssen gesenkt werden, damit der Beitritt weiterer Staaten, vor allem Englands, garantiert wird, dann ist das doch ein glatter Widerspruch zu Ihren Ausführungen und eine Verletzung der Regierungserklärung des Herrn Brandt. Entweder ist diese Regierungserklärung nur abgegeben worden, um das Volk zu beruhigen,
oder man hält sich heute schon nicht mehr an diese Erklärung.
Ich glaube, Sie müssen uns jetzt anschließend sagen, ob Sie dem Herrn Rohwedder folgen, der für Sie den Weg in Brüssel vorbereitet, so daß es für Sie keinen Weg mehr gibt, oder ob Herr Rohwedder in diesem Falle mit der SPD zusammenspielt. Herr Dr. Schmidt, es tut mir leid: in Ihrer Parteizeitung, im „Vorwärts", vom 20. Januar 1970, in der Nr. 5, steht geschrieben:Wenn die Verhandlungen mit Großbritannien in eine entscheidende Phase treten, dann dürfte auch dem letzten Vertreter der Grünen Front klar werden, daß eine aktive Preispolitik völlig illusorisch ist. Vielmehr wird man sich überall mehr als bisher darüber unterhalten müssen, wie man vielleicht eine Trennungsfront von Preis- und Einkommenspolitik durchführen kann.Das hat die SPD in ihrem Parteiorgan geschrieben.Meine verehrten Kollegen von der linken Seite, ich
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1811
Ehneshabe letzthin von dieser Stelle aus einmal meine Befürchtung zum Ausdruck gebracht, der Landwirt werde durch diese Lenkung zum Staatsrentner. Ich möchte diese Bedenken hier wiederholen, solange nicht das Parteiorgan das, was hier geschrieben ist, zurücknimmt und eine andere Erklärung herausgibt.
Auf das Konzept Ihrer 'Partei, Herr Bundesminister Ertl, möchte ich nicht weiter eingehen. Ich möchte Ihnen aber sagen: Sie haben in der DLG-Zeitung vom 12. Februar dieses Jahres einen Bericht mit der Überschrift geschrieben, nicht nur Nachteile der Aufwertung zu sehen, sondern auch Vorteile, nämlich Einkommensverbesserungen durch die Aufwertung, weil die Düngemittel, der Treibstoff und vor allen Dingen Futtermittel billiger würden. Ich habe mich vergeblich bemüht, über meine Warenlieferanten eine günstigere Preisangebotsliste zu erhalten. Das ist allerdings nicht gelungen, denn alle Futtermittel sind aus den bekannten Gründen teurer geworden. Ich kenne keine Futtermittel, die billiger geworden sind. Wenn Sie das in bezug auf die Stickstoffpreise anführen, Herr Minister, ist diese Aussage mit !Sicherheit nicht zutreffend, denn Sie persönlich und wir alle in diesem Hohen Haus wissen genau, daß die Stickstoffindustrie unter Konkurrenzdruck steht, und nur die Konkurrenz ist ein gutes Mittel, um zu billigen Angeboten zu kommen. Das hat also mit der Aufwertung direkt nichts zu tun. Main kann hier nicht von einer Folgeerscheinung der Aufwertung sprechen. Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie mir sagten, wo Sojaschrote und Eiweißkonzentrate billiger zu kaufen sind, denn ich bin ja nebenberuflich noch Landwirt. Und .schließlich, Herr Kollege Dr. Schmidt, soll ja der Nebenerwerbslandwirt nach Ihrer Meinung nicht, aber nach meiner Auffassung erhalten bleiben.Meine verehrten Damen und Herren, es wird dauernd, auch seitens des Bundesministers, vom Verursachungsprinzip gesprochen. Der Begriff „Verursachungsprinzip" scheint mir fehl am Platze, denn wir können feststellen, daß im Bereich des deutschen Zuckerrübenbaus ,ein Rückgang von 294 000 ha auf 290 000 ha zu verzeichnen ist.
- Herr Kollege Dr. Schmidt, das ist ein Beweis dafür, daß man in Deutschland Musterknabe spielt und die anderen Staaten nicht bereit sind, diesem guten Beispiel zu folgen. Ich sage Ihnen zur Beruhigung einen Satz mehr. Der französische Landwirtschaftsminister Duhamel hat im Parlament in Paris erklärt: ,,Die Überschüsse in der Europäischen Gemeinschaft machen mir momentan keine Sorge". Wenn sie den Franzosen keine Sorgen machen, dann sollten auch wir nicht in eine Hysterie verfallen und permanent davon sprechen, daß wir von Überschüssen erdrückt werden. Wir sollten vielmehr froh sein, daß allen in Deutschland eine ordentliche Versorgung mit Erzeugnissen von höchster Qualität geboten wird.
Das Verursachungsprinzip ist der Agrarfinanzierung, wenn man bis auf 38 % geht und die Berechnung über das Sozialprodukt erfolgt, bei Gott nicht zugrunde gelegt worden. Ich habe das Gefühl, Herr Minister Ertl, daß Ihr ehrliches Wollen von anderen Regierungsmitgliedern schon unterminiert worden ist, bevor die deutsche Verhandlungsdelegation nach Den Haag gefahren ist. Französische Zeitungen haben darüber berichtet.Meine verehrten Damen und Herren, wenn die Landbevölkerung in Zukunft an dem, was nach der Regierungserklärung angestrebt werden soll, teilhaben soll, dann muß eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein. Die erste Voraussetzung ist das Nebeneinander von Voll-, Neben- und Zuerwerbsbetrieben. Diese Betriebe müssen in Deutschland Bestand haben und können in dein Lagen, die ich genannt habe, absolut nebeneinander bestehen. Wenn der einzelne seinen Betrieb aufgeben will, ist es seine Sache. Die !Politik hat das nicht zu bestimmen oder vorzuschreiben. Das ist vielmehr in die Entscheidung ides einzelnen gestellt.Die Zielsetzung unserer Fraktion in der Agrarpolitik orientiert sich auch an wirtschaftspolitischen Daten. Wenn es in allen anderen Bereichen nach oben geht, muß eben die Preis- und Marktpolitik an erster Stelle stehen. Ich bin Herrn Minister Ertl dankbar, daß er die Preis- und Marktpolitik vorrangig angesprochen hat, denn nur wenn die Landbevölkerung ein möglichst hohes Einkommen und einen sicheren Sozialstatus erreicht, können wir sagen, daß die Agrarpolitik in der richtigen Bahn läuft. Die Produktionssteigerung beinhaltet keine Einkommensverbesserung mehr, wenn man Kostensenkungen in der utopischen Form, wie sie von Brüssel aus angesteuert werden, durchführt. Deshalb muß hier haltgemacht werden. Für die CDU/CSU hat die Preis- und Marktpolitik auch in Zukunft Priorität. Hier haben Sie, Herr Minister, unsere volle Unterstützung bei den Verhandlungen, die für Sie von entscheidender Bedeutung sind.Die Herstellung ides Marktgleichgewichts ist das nächste Ziel. Sie kann aber nur erreicht werden, wenn die Bereitschaft ,der Partner dazu vorhanden ist. Das ist anscheinend nicht der Fall, wenn der französische Landwirtschaftsminister solch eine Aussage macht.Die CDU/CSU hat die Strukturpolitik schon immer ernst genommen. Sie ist aber auch dafür eingetreten, daß die Strukturpolitik nur in einer behutsamen Form betrieben wird. Bei ihr darf es nicht um ökonomisch-betriebswirtschaftliche Daten gehen, die man wissenschaftlich ermitteln kann, sondern bei ihr muß es um den Menschen gehen, über den wir zu entscheiden haben, den Bauern und seine Familie. Allein von dieser Leitlinie aus wird die CDU/CSU ihre Entscheidung über die Strukturprobleme in der Bundesrepublik Deutschland fällen.Ich sage Ihnen aber voraus: wenn die preispolitische Seite vernachlässigt wird, erstickt die struk-1812 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, ,den 11. März 1970Ehnesturpolitische Seite von selbst; denn dann hat der Landwirt eine unzureichende Kapitalausstattung und ist deswegen nicht bereit aufzustocken. Hier müssen wir über die Zupachtung neue Wege eröffnen, weil der Zukauf zu teuer ist und weil wir in einem flächenarmen Land wohnen, wo die erwünschten Betriebseinheiten nicht ohne weiteres erreicht werden können.Aus diesem Grunde müssen wir die Vorschläge von Herrn Mansholt mit Entschiedenheit und Härte zurückweisen. Wir wollen ihnen ein eigenes Programm entgegensetzen. Ich wäre deshalb dankbar, wenn auch Sie, Herr Bundesminister, ein Wort darüber sagten, wie Sie die Planungen und das Vorhaben des bayerischen Landwirtschaftsministers Dr. Eisenmann bewerten, der in einer vorbildlichen Weise jetzt im Gesetzgebungsgang versucht, einen Alternativvorschlag zu dem Mansholt-Plan zu bringen. Wir wissen, daß dieser Plan in Brüssel ohne Alternativen nicht vom Tisch zu wischen ist.Da die Franzosen bei zweieinhalbfacher Produktionsgröße der Bundesrepublik keine Überschußprobleme zu verzeichnen haben, sollten wir nicht ganz so großzügig auf Vorschläge eingehen, die nur Teilbereiche betreffen und das agrarpolitische Moment nicht lösen.Herr Bundesminister, der FDP-Pressedienst schreibt heute, daß der Abgeordnete Ehnes gegen seinen Minister Höcherl etwas hat, weil er etwas gegen die Abschlachtprämie gesagt hat. Ich darf Ihnen versichern, daß ich das meinem Freund Höcherl schon vor Ihnen gesagt habe, weil ich glaube, daß die Abschlachtprämie nicht das Allheilmittel für die Agrarpolitik ist, sondern eine Begleitmaßnahme, die da und dort sinnvoll sein kann. Die Agrarpolitik sehe ich mit meinen politischen Freunden in erster Linie in der Preis- und Marktpolitik, in der Struktur- und Sozialpolitik. Dazu werden meine politischen Freunde noch eine Aussage machen.Im Haushalt sind von den Mitteln für von der Natur benachteiligte Gebiete 15 Millionen DM gestrichen worden. Diese Kürzung der Mittel bei der Strukturpolitik ist ein Widerspruch zur Regierungserklärung, weil dann die notwendigen flankierenden Maßnahmen nicht durchgeführt werden können. Deshalb halte ich diese Streichung für unmöglich.Herr Bundesminister, Sie haben durch einen Erlaß Ihres Hauses die Althofsanierung rückwirkend zum 1. Juni storniert, wenn der Antrag sich auch auf ein Wohnhaus erstreckte. Wenn dieser Erlaß nicht zurückgenommen wird und die gestellten Anträge nicht verwirklicht werden müssen, tragen Sie dazu bei, daß draußen in der Landwirtschaft wieder Mißtrauen aufkommt und daß das Mißtrauen, das viele Leute haben, verstärkt seine Berechtigung hat. Denn damit ist nicht nur der Landwirt in eine schwierige Lage gebracht durch die Kosten, die ihm bei der Baumaterialbeschaffung, bei den Planunterlagen, bei der Statik und beim Bau bereits entstanden sind und die er heute mit 12 bis 13 % verzinsen muß, sondern damit ist das ländliche Bauen im ganzen Lande, dort, wo die Problemgebiete sind, endgültigbegraben, und der Sog in die Ballungsräume geht weiter.Sie planen selbst die Änderung des § 35 des Bundesbaugesetzes. Ich beantrage hier offiziell, daß diese Vorschrift im Bundesbaugesetz verändert wird. Denn gerade das ländliche Bauen erfüllt dieses Land mit Leben und bindet die Menschen dort, damit sie nicht in .die Ballungsräume abwandern. Auch dazu werden meine Kollegen noch etwas sagen. Ich erwähne nur das Problem der nachgeborenen Bauernkinder.Zum Schluß habe ich an Sie, Herr Minister, noch einige Fragen. Es gibt im Lande draußen zur Zeit sehr viele Leute, die sagen, Sie hätten in Brüssel — das ist auch eine persönliche Frage von mir — der Hopfenmarktordnung nicht die Aufmerksamkeit geschenkt oder schenken können, die notwendig gewesen wäre; denn dort wäre man bereit gewesen, eine gewisse Gegenleistung zu erbringen und einer Hopfenmarktordnung zugunsten der deutschen Bauern zuzustimmen. Wir brauchen diese Hopfenmarktordnung, Herr Minister. Ich frage Sie deshalb: Wann rechnen Sie mit dem Inkrafttreten einer solchen Ordnung? Oder stimmen die Vermutungen, daß Ihre Verhandlungsdelegation nicht alles berücksichtigt hat, was bei .der Vorbereitung auf die Auseinandersetzung dringend hätte berücksichtigt werden müssen?Ich frage Sie weiter: Wird das, was im deutschen Weingesetz steht, bei der europäischen Ordnung — ich möchte nicht sagen: Marktordnung — für Wein berücksichtigt, wenn nachgewiesen wird, daß das deutsche Weingesetz eine Marktordnung für Wein schon deshalb ausschließt, weil hier bereits alles fest verankert ist? Ich frage Sie weiter nach einer anderen Sonderkultur, der Sonderkultur Tabak. Und, Herr Bundesminister, sind Sie zusammen mit Herrn Finanzminister Möller in der Lage, für die in den von der Natur benachteiligten Gegenden liegenden Betriebe auf Sandböden weitere Kontingente für die Kartoffelspriterzeugung bereitzustellen?
Wir haben in den letzten Jahren in den Gebieten, in denen man auf den Kartoffelanbau in dünnen Bodenlagen angewiesen ist, hervorragende Fortschritte erzielt, und es wäre ein schöner Dienst, den die neue Regierung den Bauern erweisen könnte, wenn die Empfehlung, die ich hier gebe, bald aufgegriffen würde, und zwar in .der Form, daß sie uns sagt: Wir haben weitere 100 000 DM pro Betrieb als Zuschuß zur Verfügung gestellt und auf der anderen Seite die Kontingenterhöhung durchgeführt.
Kommen Sie bitte zum Schluß! Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Meine Damen und Herren, meine Redezeit ,ist beendet. Ich hoffe, daß Sie, Herr Minister, mir diese Fragen beantworten werden. Zu den speziellen Bereichen, auf die ich in der Kürze der Zeit nicht eingehen konnte, werden meine politischen Freunde aus 'der Fraktion noch- gesondert
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1813
EhnesStellung nehmen und Ausführungen zum Grünen Bericht machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Peters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst von einigen wichtigen Daten des Grünen Berichts ausgehen. Der Vergleichslohn ist ebenso wie früher auch in diesem Berichtsjahr nicht erreicht worden. Allerdings hat sich ,die Ertragslage wesentlich gebessert. Der Differenzbetrag zwischen .den Verkaufserlösen und ,den Betriebsausgaben ist gestiegen, und zwar im Berichtsjahr um 1,5 Milliarden DM. Im nächsten Jahr wird er vermutlich um 750 Millionen DM steigen. Die Zahl der in der Landwirtschaft Tätigen ist auf 8,8 % zurückgegangen. Das ist eine Verminderung um 120 000 im Berichtsjahr.Das entscheidende Datum dieses Berichts ist nach meiner Meinung die Tatsache, daß die Arbeitsproduktivität in der Landwirtschaft von 1960 bis 1969 um 60 % zugenommen hat, während sie in der gewerblichen Wirtschaft im gleichen Zeitraum nur um 40 % zunahm. In diesem Datum steckt die gewaltige Leistung der Landwirtschaft, der landwirtschaftlichen Betriebsleiter und der Betriebswirtschaft; ebenso stecken darin die Ergebnisse der landwirtschaftlichen Forschung bei Tier und Pflanze.Die langfristige Entwicklungstendenz in der Landwirtschaft ist nicht so günstig wie diese Ergebnisse aus ,dem vergangenen und dem jetzigen Berichtsjahr, über das im Grunde schon ein Urteil gefällt werden kann. Im Grünen Bericht ist dazu eine Modellaufstellung gemacht worden. Dabei geht man davon aus, daß der Abstand der Einkommen in der Landwirtschaft zu ,den Einkommen in der übrigen Wirtschaft gleichbleibt, die Einkommen in gleichem Maße steigen wie in den vergangenen Jahren. Nun gibt es zwei verschiedene Modelle. Im ersten Modell steigt das Agrarpreisniveau mit dem übrigen Preisniveau im Durchschnitt der Jahre um 2 %. Im zweiten Modell bleiben die Agrarpreise nominell gleich, weder steigen sie, noch fallen sie. Nach dem ersten Modell würden von den heute noch in der Landwirtschaft tätigen 2,3 Millionen Menschen in zehn Jahren nur noch 1,4 Millionen Menschen in der Landwirtschaft den gleichen Verdienst finden wie heute, nach dem zweiten Modell, also bei nominell gleichen Preisen, sogar nur noch 1 Million Menschen.
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1814 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
— Herr Dr. Ritz, wir könnten diesen Vergleich in späteren Monaten, wenn wir die Februar- und die März-Zahlen haben, fortsetzen. Aber es zeigt sich heute ganz eindeutig, daß der Verlust der Landwirtschaft nicht zu niedrig eingeschätzt worden ist; ich will mich ganz vorsichtig ausdrücken. Sie sollten deshalb auf diesem Thema, aus dem Sie weiß Gott kein Kapital mehr schlagen können, nicht weiter herumreiten.Es kommt hinzu — ich möchte noch mit einem Satz fortfahren —, daß das Unterlaufen der deutschen Preise vor der Aufwertung beseitigt ist, durch das der Landwirtschaft ein Schaden von Hunderten von Millionen DM entstanden ist.Ich will auch noch auf den Kostenbereich kommen. Wir sehen es alle nicht gerne, daß wir eine beachtliche Kostensteigerung haben, aber wenn die Aufwertung nicht gewesen wäre, wäre die Kostensteigerung stärker gewesen
— nach der Meinung der Bundesbank und der Wissenschaft, Herr Leicht —, und wenn die Aufwertung ein Jahr oder ein Dreivierteljahr früher gekommen wäre, hätten wir diese Kostensteigerungen vermutlich in diesem Maße nicht gehabt. — Bitte schön!
Herr Kollege Peters, ohne Kapital aus einer Sache schlagen zu wollen: Erinnern Sie sich daran, daß es mir in meinen Bemerkungen zur Aufwertung auch darum ging, auf die Folgen hinzuweisen, die sich etwa aus der Verhandlungsposition der Bundesregierung im Hinblick auf die Preisverhandlungen in Brüssel ergeben und im Hinblick auf die Frage, was nun nach einer entsprechenden Übergangsregelung passiert?
Herr Dr. Ritz, ich glaube, wir können heute, _nachdem die Aufwertung, die Folgemaßnahmen und alles, was eingeleitet worden ist, zu übersehen ist, sagen, daß der deutschen Landwirtschaft zumindest der durch die Aufwertung bedingte volle Ausgleich zuteil wird. Zweitens — und das ist sehr wahrscheinlich auch für Sie interessant, es hier noch einmal festzustellen — hat unsere Verhandlungsdelegation damals in Luxemburg und in Brüssel unter Minister Schiller und Minister Ertl über diese Fragen verhandelt. Sie sind mit dem vollen Ausgleich und nicht mit einer Degression nach Hause gekommen. Sie haben das, was wir erreichen wollten, erreicht. Wenn Sie jetzt die Frage stellen: „Was wird nach vier Jahren sein?", dann bin ich fest der Meinung, daß der Ausgleich, wenn sich die Fakten nicht ändern, in irgendeiner Weise weitergehen wird. Davon gehe ich aus, daß Ihre Einstellung so ist und daß auch unsere Einstellung so ist.
— Einen Schaden haben sie zumindest nicht gehabt, Herr Ritz. Je mehr Sie darüber reden, desto mehr wird nachgeprüft werden.
Nun kommt ein weiterer Punkt, zu dem Sie gesprochen haben, der für die Bundesregierung mit Sicherheit schwieriger zu verteidigen ist, das ist die Haushaltslage. Meine Damen und Herren, Sie wissen doch genau, daß in der mittelfristigen Finanzplanung der früheren Regierung 530 Millionen DM für die nationale Agrarpolitik gestrichen worden sind. Das wissen Sie. Es ist nie anders von uns behauptet worden, als daß es Minister Ertl nun gelungen ist, davon 389 Millionen DM wieder anzuwerben. Es ist ein Fehl von 140 Millionen DM entstanden. Das wird nicht bestritten. Entscheidend ist aber, daß es in Zukunft nach dem Haushaltsgesetz
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1815
Peters
nicht mehr so ist, daß fehlende Mittel für die Marktordnung aus dem Titel 10 02 — nationale Agrarpolitik — gedeckt werden müssen. Das ist ein großer Vorteil. Im Gegenteil, es ist jetzt umgekehrt, daß überflüssige Mittel in Titel 10 03 für die nationale Agrarpolitik zur Verfügung stehen. Wenn wir die Erfahrungssätze früherer Jahre aus diesem Haushalt nehmen, dann dürften da einige, vielleicht 200 Millionen DM für die nationale Agrarpolitik durch diese Verfügung flüssig werden.
— Herr Leicht, Sie kennen genauso wie ich den Haushalt. Sie wissen, daß das stimmt, was ich eben gesagt habe.
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluß.
Herr Präsident, für mich war eine halbe Stunde angemeldet.
Gut, dann gebe ich Ihnen die halbe Stunde.
Ich bin auch bald am Ende. — Die Einzelpositionen sind in diesem Haushalt um diese 140 Millionen 'DM niedriger. Das wird nicht bestritten. Nun werden sehr wahrscheinlich, wie ich eben sagte, im Laufe 'des Jahres über diese Haushaltsverfügung Mittel frei werden. Dazu muß man die mittelfristige Finanzplanung sehen, die auch nur dann richtig erkannt wird, wenn man weiß, daß im Haushalt 1970 400 Millionen DM für den Preisbruch, also für die Intervention B, enthalten sind, die im Jahre 1971 wegfallen, daß der Getreidepreisausgleich von 190 Milliarden DM dieses Jahr zum letztenmal enthalten ist und daß die EWG uns im Jahre 1971 zum erstenmal von den 20 Millionen DM 330 Millionen DM abnimmt. Wenn man 'das zusammenzählt, ergibt sich, daß 920 Millionen DM mehr zur Verfügung stehen, so daß, wenn man in der mittelfristigen Finanzplanung in der Zahlenreihe einen Vergleich zieht, Jahr für Jahr — vorsichtig ausgedrückt — 200 bis 300 Millionen DM mehr zur Verfügung stehen. Diese Mittel werden wir für Strukturpolitik und vordringlich für die Sozialpolitik einsetzen. Wir sind der Meinung, daß wir in der Sozialpolitik zunächst den Krankenversicherungsschutz finanzieren sollten, weil 'diese Maßnahmen die wichtigste sozialpolitische Maßnahme ist, die in der Agrarsozialpolitik zu treffen ist. Aber nur das Zusammenwirken einer vernünftigen Preispolitik, Strukturpolitik und Agrarsozialpolitik wird der Landwirtschaft in dieser schwierigen Lage helfen.
Das Wort hat Herr Dr. Weber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Ritz hat lobend von dem Grünen Bericht gesprochen. Man kann seine Rede unter dem Motto zusammenfassen: Wie sag ich's meinem Kinde, ohne gleichzeitig zu bekennen, daß dieser Grüne Bericht von einer sozialdemokratisch geführten Regierung verfaßt worden ist?
Ich muß dazu sagen: Warum ist ein solcher Grüner Bericht, der hier das Prädikat — ich glaube richtig mitstenographiert zu haben — „wertvoll" bekommen hat, in den letzten 18 Jahren nicht auch von der CDU/CSU vorgelegt worden? Sie hatten doch hinreichend Zeit dazu.
Nun, der Kollege Dr. Ritz hat einmal kritisiert, die Politik könne nicht dadurch auf Dauer gemacht werden, daß der Deutsche Bauernverband beim Bundeskanzler Besuche mache. Darin stimmen wir überein; denn wir sind der Überzeugung, daß der Bundeskanzler hin und wieder auch etwas anderes zu tun hat, als sich nur mit dem Deutschen Bauernverband zu unterhalten. Aber dieser Deutsche Bauernverband hat nach dem Besuch beim Bundeskanzler erklärt, daß dieses Gespräch positiv gewesen sei,
und dieser Deutsche Bauernverband hat nach der Vorlage des Grünen Berichts erklärt, daß dieser Grüne Bericht positiv sei.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß der Grüne Bericht das Wirtschaftsjahr 1968/69 abhandelt und daß das eigentlich das letzte goldene Jahr unter Höcherl gewesen ist?
Sicher ist mir das bekannt; nur sagt der Grüne Bericht — und das ist das Entscheidende in seiner Aussage — etwas, was auf die Zukunft ausgerichtet ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte!
Herr Kollege Weber, würden Sie bitte mal den Herrn Bewerunge fragen, wer denn 1968/69 die Politik der Bundesregierung konzipiert und durchgeführt hat und ob nicht die SPD zu sehr großen Teilen an der positiven Landwirtschaftspolitik mitgearbeitet hat.
Herr Saxowski, das wollte ich zu Punkt 2 sagen; darauf ist nämlich auch der Kollege Ritz gekommen.
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1816 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Eine Zwischenfrage!
Herr Kollege, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß wir nicht die guten Aussagen der Regierung, auch der Regierungserklärung bezweifeln, sondern die mangelnden Taten in den letzten vier Monaten?
Wir haben auch hierzu etwas zu sagen. Sie dürfen mir glauben, daß wir dann, wenn Ihr erster Sprecher in diesem Hause etwas zu Fragen der Landwirtschaftspolitik sagt, zuhören. Deswegen habe ich Ihre Frage z. B. zu diesem Punkt für überflüssig gehalten, weil nämlich auch das, was Herr Ritz hier gesagt hat, von mir behandelt werden wird.
Herr Ritz beschwert sich zweitens darüber, daß die Folgen der Aufwertung für die deutsche Landwirtschaft nicht hinreichend bedacht worden seien. Er sagt dann, die deutsche Landwirtschaft sei um 8,5 % zurückgeworfen worden, und daher könnten Preisermäßigungen von den Ausländern — sprich: von den anderen EWG-Partnern — eher verdaut werden. Nun, Herr Kollege Ritz, das ist doch glatter Unsinn;
denn erstens bekommt die deutsche Landwirtschaft gerade 1,7 Milliarden DM als Ausgleich dafür, und zweitens war doch gerade die Aufwertung notwendig, um das Währungsungleichgewicht wieder in ein Gleichgewicht zu verwandeln.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege Weber, sollte Ihnen wirklich entgangen sein, ,daß ich bezüglich 'dieser Ihrer Passage lediglich festgestellt habe, daß natürlich jetzt im Hinblick auf gemeinsame Preisverhandlungen des Ministerrats innerhalb der EWG die Bundesregierung in diner schwierigen Position etwa gegenüber den Franzosen ist, 'die durch die Folgen der Abwertung hier wesentlich elastischer sind? Das war meine Feststellung. Wie Sie das mit dem Prädikat „unsinnig" belegen können, ist mir schleierhaft.
Ich bleibe trotzdem dabei.
Zweitens kritisieren Sie, Herr Kollege Ritz, daß die Aufwertung dem 'deutschen Landwirt keinen Vorteil gebracht hat. Sie fragten, was nach vier
Jahren geschehen sei, und sagten, daß bis heute keine Richtlinien dafür geschaffen worden seien.
— Aber sicherlich! Dann lassen Sie mich umgekehrt die Frage stellen — diese Vorlage ist im Finanzausschuß beraten worden —: Welches Ihrer Fraktionsmitglieder hat im Finanzausschuß auch nur einmal einen positiven Beitrag zur Lösung der Frage geleistet, welche andere Möglichkeiten denn zur Beseitigung von Aufwertungsfolgen gegeben seien?
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Herr Präsident, ich komme hier wahrscheinlich in äußerst starke zeitliche Schwierigkeiten. Wenn Sie mir diese Zeit nicht anrechnen, gestatte ich die Zwischenfrage gern.
Sie wird nicht angerechnet.
Herr Kollege Weber, stimmen Sie mir zu, ,daß das zuständige Ressort der Bundesregierung in den abgelaufenen drei Monaten den Gesetzentwurf hätte vorlegen müssen, insbesondere deshalb, weil Herr Minister Ertl zwei Staatssekretäre hat, die keiner seiner Vorgänger — das ist also erstmalig — aufweisen konnte?
Erstens hat in der Zwischenzeit ein Hearing stattgefunden, in dem von Sachverständigen unterschiedlich dargelegt worden ist, wie sie über die Verteilung der Mittel denken. Zweitens ist es sicherlich nicht Herrn Ertl anzulasten, daß er im Ministerium wahrscheinlich so viel unerledigte Arbeiten vorgefunden hat, daß er sie erst einmal aufarbeiten muß, um an neue Sachen heranzugehen.Zum dritten meint Herr Kollege Ritz, die Aussagen über die Vorhaben der Bundesregierung in der Regionalstruktur verlören an Glaubwürdigkeit, weil die Mittel gekürzt worden seien. Herr Dr. Ritz hat hierzu Zahlen zusammengestellt. Er hat dabei aber vergessen, auch einmal die Zahlen bekanntzugeben, die auf Seite 144 des Grünen Berichts 'dargestellt sind. Dort sagt nämlich Ihr früherer Finanzminister zu den Mitteln, die für das Jahr 1970 für die Landwirtschaft hätten bereitgestellt werden 'sollen, etwas ganz anderes. Wenn Sie diese Zahlen vergleichen — und das sollte man der Wahrhaftigkeit wegen auch in diesem Hause tun —,
dann sehen Sie, daß die Agrarstruktur eine Verbesserung von 838,1 Millionen DM, geplant von Herrn Strauß, auf 1 097,4 Millionen DM erfährt.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970 1817
Dr. Weber
Bei der Modernisierung der betrieblichen Ausstattung, bei der landwirtschaftlichen Sozialpolitik sind die Ansätze übernommen worden, bei der Rationalisierung der Vermarktung mit einer Erhöhung, und das gilt letztlich bei dem großen Posten der anderen Förderungsmaßnahmen. In allen Fällen ist der Regierungsentwurf ein ganzes Stück weitergegangen, als Sie es für 1970 durch Ihren damaligen Finanzminister geplant haben.
Nun meinen Sie, Herr Kollege Ritz, in den letzten 15 Jahren habe die CDU/CSU bereits den ganzen Strukturwandel, der sich heute im Grünen Bericht zeige, geplant und begrüßt. Sie haben leider in der letzten Debatte, die auf dem Landwirtschaftssektor geführt worden ist, nichts gesagt. Aber dafür hat Ihr Kollege Struve etwas gesagt, was ich einmal wörtlich vorlesen darf.
Er sagte:Nach den Vorschlägen müssen dagegen Hunderttausende von Bauern ihre auf dem Privateigentum beruhende Selbständigkeit und Eigenverantwortung aufgeben. Das aber, meine Damen und Herren, ist das Ende des bäuerlichen Betriebes.
Sodann meinen Sie, Herr Kollege Ritz, die frühere Regierung habe ein positives Erbe hinterlassen. Sie meinen damit selbstverständlich immer nur Herrn Höcherl. Nach dieser Laudatio auf Herrn Höcherl hätte an sich damit gerechnet werden müssen,
daß Sie fast einen Heiligsprechungsprozeß einleiten wollten.
Dieser Bericht unterscheidet sich von den früheren Berichten in einem Punkt wesentlich. Heute wird gesagt, die Preise müßten gehalten werden; früher haben Sie gesagt, die Preise würden gehalten, obwohl zu diesem Zeitpunkt Herr Schmücker als damaliger Wirtschaftsminister bei den EWG-Verhandlungen in Brüssel längst die Hosen heruntergezogen hatte und andere Preisvorstellungen mit nach hier zurückgebracht hat.Nun, meine Damen und Herren, zu Ihrer Entschließung, die Sie hier heute auf den Tisch gelegt haben. Diese Entschließung unterscheidet sich erfreulicherweise von früheren Entschließungen, die Sie zu den Zeiten gebraucht haben, als Sie den Ernährungsminister stellten. Damals haben Sie nämlich noch gefordert, daß mindestens das alte Getreidepreisniveau erreicht werden müsse. Heute sind Sie ein ganzes Stück vorsichtiger; das ist eine erfreuliche Lehre, die Sie offenbar in der Opposition gezogen haben.Was soll man mit einem Antrag anfangen, der so global Maßnahmen zusammenfaßt? So wird z. B. auf der einen Seite gesagt, die öffentliche Hand müsse vorübergehend Grundbesitz erwerben. Wer ist die öffentliche Hand? Ist das die Kommune? Ist das das Land? Ist das der Bund? Wen wollen Sie damit verpflichten?
— Eben die Tatsache, daß ich es weiß, unterscheidet mich merklich von dem, der hier diesen Antrag verfaßt hat.Sie sagen auf der einen Seite, klassische Agrarstrukturmaßnahmen müßten einbezogen werden; auf der anderen Seite begründen Sie heute hier: Wir müssen alles verhindern, was den wirtschaftlichtechnischen Fortschritt zementiert. Unter Ziffer 3 fordern Sie, daß öffentliche Mittel in verstärktem Maße durch verbilligte Abgabe für den Verbraucher abzubauen seien. Mit einem solchen Globalantrag, der unbestimmt ist, kann man doch wirklich nichts anfangen. Wir meinen, daß dieser Antrag nichts anderes als ein Spectaculum für diese heutige Sitzung ist; er ist ohne jeglichen materiellen Inhalt.Herr Ehnes meint, die Aufwertung sei einseitig auf dem Rücken der Landwirtschaft ausgetragen worden. Nun, wir haben doch den Betrag von 1,7 Milliarden DM auf Grund genauer Berechnungen, mit denen Sie einig gingen, eingesetzt.
Da gibt es doch nur die zwei Möglichkeiten: entweder sind die Preise auf Grund des Preisniveaus, das am Tage der Aufwertung galt, zum Verbraucher durchgeschlagen — dann bekommt der Landwirt seinen vollen Schaden ersetzt —, oder die Preise sind nicht bis zum Verbraucher durchgeschlagen — dann hat der Landwirt entweder einen Gewinn —, oder, was Sie als drittes Argument erwähnen, die Erzeugerpreise sind sogar gesunken; dann hat der Landwirt wieder einen Gewinn,
denn der Verlust, der Wertausgleich basiert ja auf den Indexzahlen, die am Tage der Aufwertung hier in diesem Hause festgestellt worden sind.
Dann erwähnen Sie, daß alle diese Maßnahmen von einer untätigen Bundesregierung erbracht worden seien. Wir wollen keine Preisdebatte führen, aber ich meine, gerade der von dieser Regierung eingebrachte Haushalt beweist, daß Maßnahmen ergriffen worden sind,
und darüber hinaus haben Bundesminister erfreulicherweise auch bei den Maßnahmen der Bundesbank mitgewirkt.
1818 Deutscher Bundestag.— 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970Dr. Weber
Dann sagen Sie, die Verschuldung der Landwirtschaft betrage 27 Milliarden DM und fragen, wie diese 27 Milliarden DM abgebaut werden sollten. Dazu muß ich nur sagen: Ihre Landwirtschaftspolitik in den letzten 18 Jahren war sehr schlecht, wenn es zu dieser Verschuldung kommen konnte und wenn Sie in der Vergangenheit selbst keinen Weg gefunden haben, das abzubauen.Meine Damen und Herren, im Grünen Bericht werden erstmals langfristige Entwicklungstendenzen bis zum Jahr 1980 aufgezeigt.
— All das, was ich bisher gesagt habe, befaßte sich nur mit dem, was die Herren Kollegen Ritz und Ehnes wahrscheinlich abgelesen haben, während ich es — um Ihnen zu erwidern, Herr Kollege — jetzt aus der Debatte aufgegriffen habe. — Wir Sozialdemokraten wissen, daß dieser Grüne Bericht manchem nicht schmeckt. Gerade deswegen aber fühlen wir uns verpflichtet, langfristige Orientierungsdaten in allen Bereichen der Wirtschaft zu liefern. Die Landwirtschaftspolitik — und das sagen wir bewußt —, die in der Vergangenheit hier häufig im Übermaß von Interessengruppen betrieben worden ist, streute nur Sand in die Augen. Sie enthielt Beruhigungspillen, hat aber nicht dem Landwirt geholfen, sondern Arbeitskraft und technische Entwicklung fehlgeleitet. Die Agrarpolitik der Veigangenheit hat einen vielfältigen Wirrwarr — hierin stimmen wir dem Staatssekretär voll zu — unübersichtlicher Förderungsrichtlinien hinterlassen. Deswegen ist es notwendig, daß dieser Grüne Bericht zum erstenmal Zielprojektionen für die Zukunft aussagekräftig darstellt.Dieser Grüne Bericht stellt die Fragen zur Entscheidung, ob es richtig ist, einseitig von der Nachfrageentwicklung auszugehen, ob die Einkommensentwicklung des Landwirts in den Vordergrund zu stellen ist, ob soziale Absicherungen mit planvollem Ansatz oder das freie Unternehmertum eine Rolle spielen sollen, ob die Gesamtheit der Lebens- und Arbeitsverhältnisse auf dem Land verändert werden sollen. Überlegungen dieser Art werden in der Zukunft nach unserer Meinung noch mehr als heute die Verhaltensweise der landwirtschaftlichen Unternehmer bestimmen. Vorhin hat einer Ihrer Herrn Kollegen hier zu einem Kollegen gesagt, er sollte erst einmal auf dem Lande arbeiten. Wir kennen die Bedingungen, denen ' insbesondere Landfrauen bei der Arbeit draußen auf dem Lande ausgesetzt sind.Deswegen sollte man auch einmal ganz eindeutig ein Wort zu den Nebenerwerbsbetrieben sagen, die von Herrn Ehnes so schön herausgestellt worden sind; er sei selbst auch einer, der einen Nebenerwerb habe.
Nun, ich sehe den Nebenerwerb und den Zuerwerb etwas anders als das Verhältnis des Herrn Ehnes zu der Landwirtschaft. Aber gehen wir einmal davon aus. Ich meine, daß mit den Zu- und Neben-erwerbsbetrieben eine Menge Romantik verbunden ist, die auch aus volkswirtschaftlicher Sicht einmal überprüft werden muß.
Wenn der Präsident des Deutschen Bauernverbandes am 19. Februar 1970 gemeint hat, den Landwirten müßten nebenbetriebliche Erwerbsmöglichkeiten in ausreichender Zahl angeboten werden, dann gilt das zwar, wenn wir den Ton auf „Landwirt" legen. Ich meine aber, es gilt nicht mehr, wenn der Ton auf „Nebenerwerb" gelegt wird. Nebenerwerbsbetriebe können das Schwert der Preispolitik stumpf machen. Größere Betriebe, die auf den Einsatz fremder Arbeitskräfte angewiesen sind, würden möglicherweise in einen nicht überlebbaren Preisdruck geraten, während die Nebenerwerbsbetriebe weiter arbeiten können.
Es wird auch notwendig sein, der Landwirtschaft selbst den Eindruck zu vermitteln, daß sie aktiver Wirtschaftspartner ist und nicht nur jemand, der als Wirtschaftspartner vom Staat z. B. abhängig ist. Ebenso gilt es, dem Konsumenten klarzumachen, daß Landwirt-Sein nicht heißt, aus dem Wettbewerb ausgeklammert und unter Naturschutz gestellt zu werden. Solange — mein Kollege Schmidt hat es vorhin erwähnt — solche Kapriolen wie die Zahlung von Abschlachtprämien, die am Samstag in der FAZ ausführlich geschildert worden sind, sich ereignen konnten — aber sich ereignen konnten auf Grund einer EWG-Politik, die Sie in den letzten Jahrzehnten geformt haben, meine Damen und Herren von der CDU/CSU —, solange glauben wir, daß wir sehr viel ändern müssen und daß es der Herr Ertl in 'Brüssel sicherlich schwieriger hat, allein um all das gutzumachen, was Sie in der Vergangenheit falsch gemacht haben, geschweige denn neue Richtlinien auszuarbeiten.
Erstmals mit dem regionalen Strukturprogramm von Bundeswirtschaftsminister Schiller ist in diesem Hause überhaupt ein Akzent dafür gesetzt worden, was es heißt, in der Landwirtschaft Strukturpolitik zu betreiben.
Lesen Sie einmal nach, welche hektische Diskussion Sie selbst um dieses Aktionsprogramm von Schiller geführt haben!
— Nein.Nur am Rande möchte ich erwähnen, daß z. B. selbst 'der Weltbankpräsident McNamara in einer vielbeachteten Rede im Dezember noch darauf hingewiesen hat, wie wertvoll gerade eine solche regionale Strukturpolitik wirken kann. Wir wollen und können uns nicht erlauben, die auf dem Land wohnenden Arbeitskräfte nicht in den Arbeitsprozeß einzugliedern oder Gebiete, die heute verkehrsmä-
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Dr. Weber
ßig schon erschlossen sind, weiter im Dornröschenschlaf zu lassen, bloß weil Sie glauben, daß damit ein CDU-Wählerreservoir weiter für die Zukunft gesichert werde.
— Doch, dieser Vorwurf drängt sich jedem auf, der die Aktuelle Stunde verfolgte, die sich an die Vorlage der regionalen Strukturprogramme und die Erörterung zum Mansholt-Plan damals in diesem Hause anschloß. Damals haben Sie von der CDU/ CSU sich .geweigert, eine zukunftgerichtete Aussage zu machen.
Vorher halben Sie solche langfristigen Planungen überhaupt nicht gewagt.
— Ich kann wörlich zitieren, meine Damen und Herren. Der damalige Landwirtschaftsminister, Herr Kollege Höcherl, hat z. B. wörtlich ausgeführt:Solche Zahlen werden von der Landwirtschaft als eine Androhung der Existenzvernichtung aufgefaßt und als eine Mißachtung ihrer großen Leistung und Härte bei einem Anpassungsprozeß empfunden.Heute hat der Kollege Ehnes, soweit ich es mitbekommen habe,
ausgeführt, die Politik habe nicht zubestimmen, ob jemand seinen Betrieb aufgebe oder nicht. Sicherlich hat die Politik das nicht zu bestimmen. Das kann jeder einzelne tun, das ist seine eigene Entscheidung. Aber dann darf er sich nicht mit Ansprüchen an den Staat wenden, wenn er von dort jegliche Richtlinie ablehnt.
Der Kollege Unertl ging noch weiter,
als er sagte, was er mit seiner marxistischen Idee landwirtschaftlicher Prognosen alles an Unheil angerichtet hat.
Er hat dann wörlich auch wiederum gesagt, daß diese kalte Sozialisierung Europas von ihm nicht mitgemacht wird.Alles das wurde hier am 18. Oktober 1968 von dem damaligen Bundeskanzler Kiesinger mit denWorten zusammengefaßt, daß jeder Bauer bleiben kann, bei dem die Voraussetzungen für die Existenzfähigkeit und der Wille zu dieser Existenz vorhanden sind.
Aber mit solchen Erklärungen können wir doch eine konstruktive Landwirtschaftspolitik für die Zukunft nicht anfangen.
Der Deutsche Bauernverband hat in seiner Korrespondenz die Projektionen positiv herausgestellt und als einzigen Punkt lediglich kritisch vermerkt, daß die angenommene Preissteigerungsrate von 1,9 % zu niedrig kalkuliert worden sei. Er hat das allerdings nur 'auf ein Jahr bezogen und nicht, wie das in den Projektionen ausführlich dargelegt ist, auf den langfristigen Zeitraum von zehn Jahren. Wir nehmen 'die Zustimmung ides Deutschen Bauernverbandes dankend zur Kenntnis.
— Das hoffe ich auch. Und wenn Sie noch einen Moment zuhören, bin ich sogar sicher, daß er sich dankbar damit befassen wird.Ich hoffe, daß damit auch von dieser Seite der Verteufelungsprozeß aufhört, der teilweise gegen Sozialdemokraten geführt worden - ist, weil sie bauernfeindlich wären,
Diese Bundesregierung hat sich dafür eingesetzt und hat auch erreicht, daß nach der erfolgten Aufwertung für einen kurzen Zeitraum der Grenzausgleich eingeführt wurde und danach die Aufwertungsverluste ausgeglichen worden sind.
Ihre Zeit ist abgelaufen.
Sind auch die zusätzlichen Minuten berücksichtigt?
Ja, Sie haben sogar noch fünf Minuten extra bekommen.
Wir haben uns erstmals darum bemüht, auch die Landwirtschaft in die konzertierte Aktion einzubeziehen; etwas, was Sie früher auch nicht getan haben.
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Dr. Weber
Wir haben in den letzten drei Jahren bewiesen, daß die sozialdemokratische Wirtschaftspolitik dazu geeignet ist,
Lassen Sie mich zum Abschluß eine zusammenfassende Feststellung treffen. Hier ist der Eindruck erweckt und durch die Erklärung ides Staatssekretärs Rohwedder sogar noch bestärkt worden, daß die Bundesregierung darauf aus sei, möglicherweise Preissenkungen herbeizuführen.
Ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Es wird darauf verwiesen, daß sogar das Jahresgutachten des Sachverständigenrats eine entsprechende Deutung zulasse. Im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung hat der Bundeswirtschaftsminister hierzu eine eindeutige Erklärung abgegeben. Er hat erklärt, daß die Strukturpolitik der Bundesregierung auf landwirtschaftlicher Ebene nicht durch Preisdruck erreicht werden dürfe und erreicht werden könne. Zu dieser Erklärung stehen wir Sozialdemokraten.
Ich habe den Redner zu beglückwünschen. Er hielt seine Jungfernrede.
Außerdem darf ich Ihnen mitteilen, daß Ihnen heute abend noch einiges bevorsteht: ich habe auf meiner Liste 13 Redner vermerkt. Vielleicht werden nach dem nächsten Redner einige sich streichen lassen.Herr Bundesminister Ertl!
Ertl, 'Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Kiep, ich bewaffne mich auch mit der CSU-Korrespondenz,
damit der Wahrheit immer Genüge geleistet wird.Ich werde darauf zurückkommen; ich lese nämlichauch Zeitung und noch mehr Parteikorrespondenzen.
Die Debatte macht es, glaube ich, notwendig, daß ich nun einige Bemerkungen mache. Es sind ja auch eine Reihe von Fragen gestellt worden; ich möchte nicht versäumen, auf die wesentlichen einzugehen. Einen Teil der an mich gerichteten Fragen haben bereits Vorredner beantwortet. Im Hinblick auf die große Sorge des Herrn Präsidenten, nämlich 13 Wortmeldungen, will ich mich nicht allzu lange dabei aufhalten.Zuerst, Herr Kollege Ehnes, sollen Sie auf Ihre Frage eine klare Antwort bekommen. Der Gesetzentwurf betreffend den Einkommensausgleich wird in dieser Woche eingebracht. Sie wußten das auch, aber Fragen tut eben gut. Das ist ihr gutes Recht im Parlament. Ich habe das genauso genutzt. Ein Parlamentarier braucht das für den seelischen Haushalt.Zweitens glaube ich sagen zu können, daß es ein Gesetzentwurf ist, der nach eingehender und sehr demokratischer Beratung eingebracht wird. Ich möchte nicht wissen, was dieses Hohe Haus, der Berufsstand und viele andere gesagt hätten, wenn ich einfach von mir aus einen Entwurf eingebracht hätte. Man hätte dann gesagt: Das ist eine selbstherrliche Art. Ich habe, weil ich leidenschaftlicher Parlamentarier war und wahrscheinlich auch wieder einmal werden will, gesagt: Nein, ich möchte das ganz demokratisch-parlamentarisch machen. Bei mir werden zuvor die Praktiker gehört, die Nebenerwerbslandwirte — wie Kollege Ehnes —
mit entsprechenden Bezügen, aber auch andere, richtige Landwirte. Ich wollte im Parlament nicht nur die Nebenerwerbslandwirte hören, sondern ich wollte auch die richtigen Landwirte hören. Wir haben dann mit freundlicher Unterstützung des Kollegen Schmidt das Hearing veranstaltet. Zusätzlich haben wir den Berufsstand konsultiert. Das dauert eben eine gewisse Zeit. Nun ist der Gesetzentwurf fertig. Ich glaube, mit gutem Grund sagen zu können — das möchte ich hier betonen —, daß dieser Gesetzentwurf in keiner Weise verzögert wurde. Er wird vielmehr Mitte März so rechtzeitig vom Kabinett vorgelegt werden, daß das Gesetz, wenn Bundestag und Bundesrat wollen, in drei Monaten verabschiedet werden kann. Dann können wir zur Sommerszeit auszahlen. Vorher ist es nämlich nicht notwendig.
— Herr Kollege Stücklen, passen Sie auf; so eilige Leute wie Sie haben kein Glück, wenn Sie mich so vorlaut fragen. Erst die Ernte 1970 ist betroffen, denn die Ernte 1969 ist auf dem Bodensektor mit 400 Millionen DM Preisbruch durch mich und durch dieses Bundesregierung abgedeckt worden. Auch darauf muß man einmal hinweisen. Ich weiß, das paßt nicht ganz in Ihr Versammlungskonzept draußen, aber es gibt auch Leute, 'die Parlamentsreden lesen, und die wollen die Wahrheit hören. Also die Bodenproduktion ist erst 1970 betroffen.Im Milchsektor ist die Mehrwertsteuer seit dem 1. Januar voll gültig und wirksam.
— Das ,habe ich ja nicht behauptet, Herr Niegel. Sie können ruhig Zwischenfragen stellen. Ich bin gerne bereit, sie zu 'beantworten.Ich möchte dieses Hohe Haus wirklich bitten, mich in der Aufwertungsdiskussion nicht zur vollen Wahrheit zu zwingen, weil das — das sage ich jetzt in allem Ernst — die Einkommenssituation aus einem anderen Grund eventuell nicht sehr günstig
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Bundesminister Ertlbeeinflußt. Studieren Sie den Milchauszahlungspreis der Molkereien seit dem 1. Januar. Mehr sage ich nicht! Eines sage ich hier auch gleich, und zwar in vollem Ernst. Wer das liest, muß zu der Schlußfolgerung kommen, daß auch auf dem Milchsektor nicht alles in Ordnung ist — einschließlich der Interventionsregelungen, die möglich sind —, denn sonst könnten solche Differenzen gar nicht auftauchen. Mehr will ich im Interesse der Landwirtschaft nicht sagen.Ich will nur noch einen Punkt in diesem Zusammenhang ansprechen. Das gehört mit zur Bilanz, über die hier so viel gesprochen wurde. Ich gebe zu, dieses Jahr war ein gutes Jahr. Ich habe noch nie verschwiegen, daß sich mein Amtsvorgänger erfolgreich bemüht hat. Ich möchte aber doch einige Punkte zitieren, ohne Zahlen zu nennen — wiederum im Interesse der Landwirtschaft —: Kartoffeln, Zuckerrüben —Kollege Ehnes, ich nehme an, daß Sie wie ich das „Landwirtschaftliche Wochenblatt" gelesen haben; ich ,sage nur Stichworte —, Auszahlung Franken, Rinder, Kälber, Schweine. Ich will schweigen, und zwar im Interesse .der deutschen Landwirtschaft.
Aber ich verwahre mich dagegen, wenn gesagt wird, daß diese neue Bundesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Einkommenslage der deutschen Landwirtschaft nicht weitgehend berücksichtigt hat. Dagegen wehre ich mich leidenschaftlich.
Mindestens seit Oktober reden dieser Minister und diese Bundesregierung mit.
— Und diese Regierung hat gehandelt. Herr Kollege Stücklen, ich möchte Ihnen wirklich raten, einmal die Marktberichte zu lesen.
— Ich will von'den 1,7 Milliarden DM Einkommensausgleichszahlungen nicht reden, Herr Dr. Stark. Aber wenn 'Sie mich 'dazu zwingen, dann tragen Sie für diese meine 'Offenheit auch die 'alleinige Verantwortung mit allen Folgen in der 'deutschen Öffentlichkeit. Das muß ich Ihnen hier einmal deutlich sagen. Es gibt nämlich 'auch Leute, die lesen können.
— Ich kenne das sehr genau. Ich weiß auch, was draußen alles 'berichtet wurde und was alles an die Wand 'gemalt wurde. Ich kann nur sagen: ,das ist die Situation, trotz Abschlachtungsprämie und vielem anderen mehr. Das nur am Rande.Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, noch einmal etwas zur Aufwertung zu sagen. Sie ist in diesem Hause so oft diskutiert worden, daß ich dieses Thema weiß Gott nicht mehr als aktuell 'betrachten kann. Eines muß ich noch einmal feststellen, auch wenn es Ihnen nicht paßt — es tut mir leid —: dieDevisenkursfreigabe wurde von der Regierung beschlossen, der ich noch nicht angehörte.
— Herr Kollege Stücklen, es steht Ihnen frei, das hier einmal in aller Deutlichkeit vor der deutschen Öffentlichkeit zu sagen. Es steht Ihnen frei, hier dazu Stellung zu nehmen. Sagen Sie endlich, daß die Aufwertung falsch war! Sagen Sie das doch endlich einmal! Sagen Sie doch, daß alle Wirtschaftssachverständigen, alle Währungssachverständigen falsch lagen, die sagen, daß diese Bundesregierung eher 'zu spät als zu früh aufgewertet hat! Sagen Sie das 'doch hier einmal, damit Sie sich endlich in der Öffentlichkeit stellen müssen! Fragen Sie nicht „warum", sondern sagen Sie hier klar: Sie sind der Meinung, der Satz, der Zeitpunkt, alles war falsch; man hätte eine andere Maßnahme treffen sollen. Und sagen. Sie auch, was für eine andere Maßnahme! Dann können wir uns miteinander unterhalten.
Wenn Sie einen besseren Vorschlag haben, bin ichgern bereit, zu sagen: ich habe mich getäuscht. Aber „warum", so einfach kann man sich diese Sache nicht machen.Denn eines steht fest, und das muß hier auch einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden — ich habe schon wiederholt gesagt, ich hätte dazu geschwiegen, wenn es nicht hier in der Debatte, und zwar wiederholt, aufgegriffen worden wäre —: der hohe Aufwertungssatz war notwendig wegen der verspäteten Aufwertung. Bei einer Aufwertung im November hätten vielleicht 4 % genügt. Dann hätte man die Folgen für die Landwirtschaft voll mit der Mehrwertsteuer ausgleichen können. Ich sage Ihnen meine Meinung, und Sie können dazu Stellung nehmen, wenn ich etwas Falsches behaupte. Wenn ich mich geirrt habe, bin ich gerne bereit, das hier zurückzunehmen. Sie können zu meiner Meinung Stellung nehmen.Eines steht auf jeden Fall fest — das weiß ich inzwischen als Kabinettsmitglied —: Die französische Regierung hat der Bundesregierung das Angebot gemacht, wenn die Bundesregierung — die von Ihnen mit geführte und vertretene Bundesregierung — zum selben Zeitpunkt aufwerte, wie Frankreich abwerte, sei sie bereit, sich über den Aufwertungssatz mit der Bundesregierung zu einigen. Damals hätten wir die Möglichkeit gehabt, die Bedingung zu stellen, dann auch eine grundlegende Reform bezüglich des „Grünen Dollars" in der EWG-Agrarpolitik vorzunehmen. Das war im Juli/August möglicherweise noch drin. Dann hat die Bundseregierung allerdings durch ihr Nein die französische Regierung zum einseitigen Verhalten gezwungen. Die französische Regierung war über die Haltung Deutschlands außerordentlich verärgert. Das mußte ich in meinem ersten Gespräch mit dem Kollegen Duhamel sehr spüren.Ich betone, ich hätte dieses Thema nicht angeschnitten. Aber wenn hier dauernd behauptet wird, es sei übereilt und ohne Grund aufgewertet worden, dann fordere ich Sie auf, mir die Gründe zu1822 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, ,den 11. März 1970Bundesminister Ertlsagen, warum, und was die Alternative gewesen wäre.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Peters? —
Peters (FDP) : Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß Bundesbankpräsident Blessing hier in dem Hearing kurz vor seinem Abgang erklärt hat, auch im Herbst 1968 wäre de Gaulle bereit gewesen, abzuwerten, wenn die Bundesregierung zu gleicher Zeit aufgewertet hätte?
Ich habe das gelesen, Herr Kollege Peters. Ich kann nur sagen, darüber gibt es ja Gott sei Dank Akten. Man kann das ja alles veröffentlichen.Ich betone noch einmal, ich wäre auf dieses Thema nicht eingegangen. Aber ich lasse nicht zu, daß man permanent behauptet, infolge einer übereilten und nicht notwendigen Aufwertung sei der Landwirtschaft großer Schaden entstanden. Ich behaupte genau das Gegenteil: Durch die verspätete Aufwertung ist die Landwirtschaft in eine viel schwierigere Lage geraten.
— Nein, hier bin ich nicht „ziemlich allein", Herr Dr. Stark, sondern ich bin zusammen mit allen Wirtschaftssachverständigen dieser Meinung.
— Bitte sehr! Sie mögen es beweisen. Können Sie es mir beweisen? Es steht Ihnen frei, das zu tun. Sie sollten nicht immer Behauptungen aufstellen, die Sie dann nie beweisen. Ich sage Ihnen stets meine Meinung. Es ist nur merkwürdig, daß Sie darauf immer mit Fragen oder etwas anderem antworten. Nennen Sie mir Ihre Experten, die anderer Meinung sind! Sagen Sie mir, was Sie getan hätten! Sagen Sie mir, wie Sie den übermäßigen Konjunkturanstieg gebremst hätten!
Sagen Sie es doch hier einmal! Das müssen Sie doch alles einmal erklären. Sie beschweren sich mit Recht — ich beschwere mich ebenfalls — über 3,5% Preiserhöhung. Sagen Sie mir: Wie hätten Sie 6 % Preiserhöhung ohne Aufwertung verhindert? Das müssen Sie doch hier einmal sagen. Das sind Sie der deutschen Öffentlichkeit schuldig.
— Ja, Hypothesen; das mag sein. Wirtschaftspolitik ist in vielen Fragen hypothetisch; das gebe ich gern zu,Ein weiteres Problem ist die Frage der gewerblichen Veredelung. Wir haben das Einkommensausgleichsgesetz beraten und einen Schlüssel gefunden. Ich glaube, die Mehrheit war dafür, bei dem Mehrwertschlüssel in seiner augenblicklichen Form zu bleiben, und zwar auch deshalb, um eine gewisse Begrenzung der gewerblichen Veredelung herbeizuführen. Das war, meine ich, die Auffassung der Mehrheit, auch der Mehrheit der Opposition.
— Bitte sehr, wenn Sie anderer Meinung sind, wird man sich darüber unterhalten können. Ich bin; wenn das Parlament andere Beschlüsse faßt, gern bereit, diese zu vollstrecken.Angeschnitten wurde die Frage der Kostenentwicklung. Ich verhehle nicht, daß mir die Kostenentwicklung Sorge macht. Die relativ günstige Lage, in der sich die Landwirtschaft nach dem Grünen Bericht befindet, ist von drei wesentlichen Faktoren bestimmt. Das sind erstens die Mehreinnahmen auf Grund der verbesserten Situation auf dem Veredelungssektor, zweitens die stabilen Betriebsmittelpreise und drittens die Verringerung der betroffenen Personenzahl, so daß sich das Arbeitseinkommen auf weniger verteilt hat. Das sind die drei Faktoren.Daß es mir deshalb große Sorge bereitet, wenn die Betriebsmittelpreise jetzt wieder anziehen, brauche ich Ihnen nicht besonders zu sagen. Ich möchte noch einmal betonen: Was in meinen Kräften steht, die Dinge in den Griff zu bekommen und zu günstigen Lösungen beizutragen, wird geschehen. Erfreulicherweise können wir bei einem Betriebsmittel, nämlich Thomasphosphat, eine kleine Senkung der Preise feststellen. Ich habe guten Grund zu sagen, daß die Stickstoffindustrie ihre Preise überprüfen wird. Ich habe nichts dagegen. Ich glaube, daß die Konkurrenz dazu beigetragen hat. Ich glaube davon ausgehen zu können, daß diese Überprüfung für die Landwirtschaft einen positiven Ausgang nehmen wird. Mehr zu sagen bin ich zur Zeit nicht in der Lage. Ich habe mich jedenfalls in Gesprächen gemüht, hier befriedigende Lösungen zu finden.Was die Futtermittel angeht, habe ich eine Kommission eingesetzt. Ich appelliere aber an alle diejenigen, die Futtermittel verarbeiten. Ich habe mir erst vor kurzem sagen lassen müssen, daß es ein großes Futtermittelwerk gibt, das sogar in bäuerlicher Hand ist, das in zwei Jahren vollkommen abgeschrieben war. Hier könnte man vielleicht ein klein wenig strecken und dafür die Futtermittelpreise ein klein wenig senken. Das kann der Minister natürlich nicht erzwingen; hier müssen vielmehr die Selbstverwaltungskörperschaften auch ein bißchen mitreden. Ich lasse von einer Arbeitsgruppe den Anteil der durch die Aufwertung senkbaren Futtermittelpreise überprüfen. Ich werde die beteiligte Wirtschaft zu gegebener Zeit zu einem entsprechenden Gespräch einladen. Die Vorbereitungen sind mitten im Gange.Es wurde wiederholt auf die EWG-Agrarfinanzregelung hingewiesen. Ich möchte noch einmal fest-
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Bundesminister Ertlstellen, daß die Agrarfinanzregelung aus zwei Teilen besteht, aus einer Regelung bis zum Jahre 1975 und einer Regelung für die Zeit ab 1975. Der Vorteil der Haager Beschlüsse besteht ja einmal darin, daß letzten Endes alle Partner verpflichtet sind, die Wirtschafts- und Währungsunion anzustreben. Die Verhandlungen sind, wie Sie wissen, im Gange. In welchem Rahmen sie erfolgreich sein werden, kann man heute nicht absehen. Sicherlich aber kann man davon ausgehen, daß sie mit größter Intensität betrieben werden. Zweitens sollen die Beitrittsverhandlungen noch in diesem Jahr eröffnet werden. Sicherlich wird bis zum Jahre 1975 die Möglichkeit bestehen, zu sehen, a) welche Fortschritte auf dem Wirtschafts- und Währungssektor gemacht wurden und b) wie es im Hinblick auf die Beitrittsverhandlungen ausschaut. Das wird zwangsläufig auch neue Verhandlungen über die EWG-Finanzregelung zur Folge haben. Das nur nebenbei. Bis zum Jahre 1975 liegt unser Prozentsatz im Schnitt bei 32,2 %. Ich habe die Unterlagen hier und bin auch gerne bereit, diese Unterlagen noch einmal in aller Form zu verlesen. Ich möchte aber wegen der Kürze der Zeit darauf nicht eingehen.Es wurde auf die berühmten Kürzungen hingewiesen. Ich gebe zu, daß in dem Haushalt, den ich übernommen habe — ich habe mir die Vorlage eigens mitgenommen; das war der Vermerk vom 30. Oktober 1969, einer der ersten Vermerke, die ich mir habe geben lassen — auf Grund der bis dahin feststehenden mittelfristigen Finanzplanung eine Minderung um 520 Millionen DM vorgesehen war. Ich will hier gar nicht ausrechnen, wie die Kürzungen ausgeschaut hätten, Kollege Ritz und Kollege Ehnes, wenn es bei den 520 Millionen DM geblieben wäre, wie das in der Finanzplanung der alten Regierung vorgesehen war. Ich will Ihnen nur sagen: es ist eben durch die 389 Millionen DM wieder eine wesentliche Verstärkung eingetreten. Es bleibt ein Defizit von 140 Millionen DM. Darüber gibt es keinen Zweifel; ich habe auch nie etwas anderes behauptet. Wenn das Parlament Vorschläge macht, wie man das ändern kann, werde ich das sicherlich mit Freuden zur Kenntnis nehmen. Ich möchte allerdings betonen, daß z. B. der Landesvorsitzende der CSU von der Bundesregierung konjunkturgerecht neue Streichungen und Einsparungen erwartet und gefordert hat. Das müssen Sie natürlich dann selbst einmal erklären; denn so geht es nicht, daß man einerseits von dieser Bundesregierung neue Streichungen fordert und andererseits sagt: Ihr habt nicht genügend aufgestockt. Natürlich ist das von der Konjunktur her nicht in allem chemisch rein.Dabei stimme ich mit Ihnen überein, daß man über die Konjunkturlage in strukturschwachen Gebieten ganz anders urteilen muß als über die in Ballungszentren. Da sind wir uns völlig einig. Dagegen habe ich auch nichts einzuwenden. Im übrigen kann ich mit großer Befriedigung feststellen, daß gerade in diesen Gebieten sehr viel getan wird. Ich habe erst in diesen Wochen mit einem bedeutenden Unternehmer in Bayern gesprochen, der mir bestätigt hat, welche Fortschritte sein Betrieb in Regen macht. Das ist ein Betrieb in diesem strukturschwachen Gebiet. Hier ist also in der Tat sehr viel im Gange.In diesem Zusammenhang wurde auch auf die Richtlinien hingewiesen. Meine Herren, mich haben meine Mitarbeiter darauf aufmerksam gemacht, daß wir, wenn wir nicht handeln, in die ganz schwierige Situation kommen werden, noch mehr Anträge auf Strukturmaßnahmen zu bekommen, als wir sie schon haben. Es gibt unbearbeitete Anträge aus dem Jahre 1968. Aus diesem Grunde habe ich mich nach reiflicher Überlegung entschlossen, zu sagen: Bis zum 1. März werden alle Anträge nach den alten Richtlinien bearbeitet, dann werden keine neuen Anträge mehr angenommen; ich lege ein Interregnum ein und werde die neuen Richtlinien im Mai/ Juni dem Parlament zuleiten, und dann werden nach den neuen Richtlinien wieder Anträge angenommen. Ich halte das für viel fairer und gegenüber den Betroffenen für viel loyaler, als sie von Jahr zu Jahr zu vertrösten und ihnen zu sagen: Irgendwann kommt vielleicht eure Stunde!, oder: Nun seid ihr leider wieder zufällig in eine Kürzung hineingerutscht! Das halte ich für viel sinnvoller. Dann wird mein mittelfristiges Programm stehen, und ich werde dafür sorgen, daß das dann richtlinienmäßig einigermaßen über Jahre hinaus läuft. Das ist mein Ziel. Ich bin sehr dankbar für die Anregung des Kollegen Schmidt, daß diese Frage dann in einem Hearing behandelt wird. Ich will auch hier wieder so vorgehen: zunächst Praktikerausschuß, dann Hearing. Dann, glaube ich, werden wir miteinander eine Konzeption entwickeln können, die vielleicht wirklich für drei bis vier Jahre einigermaßen befriedigend fortgesetzt werden kann, wobei der Schwerpunkt sicherlich bei der Zinsverbilligung liegen muß und liegen wird. — Das noch einmal zu diesem Förderungsprogramm.Zu den Verhandlungen in Brüssel: Es ist nicht meine Art, meinen Verhandlungsstil zu qualifizieren. Ich weiß selbst, man hat mal gute Tage, und man hat schlechte Tage. Aber, meine verehrten Kollegen, ich geben Ihnen den guten Rat, einmal nachzulesen, was über meinen Verhandlungsstil in Brüssel in schweizer, französischen und italienischen Zeitungen steht. Das ist für mich ein gewisser Maßstab. Ich glaube mit gutem Grund sagen zu können, daß ich mich bemüht habe, mit den mir eigenen Kräften mitzuwirken.Ein sehr wesentlicher Teil der Diskussion wurde den Fragen des Marktgleichgewichts, wie es so schön heißt, gewidmet. Hier komme ich nun zur CSU. Herr Kollege Ehnes, Sie haben hier sehr kräftige Worte gesprochen. Ich habe sie mit großem Interesse zur Kenntnis genommen. Ich möchte sie als den heilsamen Zwang aus der Opposition bewerten. Nun, wenn Sie gesagt hätten: „Ich bin der Meinung", dann hätte ich gesagt: Das ist die Meinung des Kollegen Ehnes. Aber Sie haben oft von Ihnen und Ihren politischen Freunden gesprochen. Da muß ich Sie darauf hinweisen, daß einer Ihrer Freunde anderer Meinung ist als Sie. Das ist der Kollege Lücker, den ich sehr schätze und der mir in dieser Frage sehr viel realistischer erscheint. Ich habe hier seinen Vorschlag zum Getreidesektor als Berichterstatter, mit
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1824 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Bundesminister ErtlMehrheit angenommen. Ich möchte nicht sagen, daßich diese Auffassung teile. Aber lesen Sie den einmal: Senkung des Weizeninterventionspreises — —
— Aber, Herr Stücklen, Sie nehmen doch dauernd das Recht für sich in Anspruch zu fragen. Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie sich von Herrn Lücker distanzieren.
Ich schweige dazu. Ich werde dazu nichts mehr sagen, weil damit für mich der Fall erledigt ist. Ich finde es nur sehr merkwürdig, daß Sie in der CSU-Korrespondenz darauf hinweisen,. daß das ein bedeutsamer Vorschlag war.
Da fehlt mir Ihre Logik. Aber das ist eine Logik, die ich von Ihnen aus Bayern sehr wohl kenne. Wissen Sie, ganz so einfach geht es nicht, oder man darf nicht gar so tun.Hier muß ich auch Herrn Kollegen Ritz noch eines sagen, weil er behauptet hat, ich hätte den Versuch unternommen, den Einkommensausgleich als Verbesserung der Einkommenslage der Landwirtschaft hinzustellen. In Drucksache VI/372 — Grüner Bericht —, Seite 144 werden Sie lesen: „Verbesserung der Einkommenslage der landwirtschaftlichen Bevölkerung und Aufwertungsausgleich." So ist es im Grünen Bericht für die Öffentlichkeit dargestellt. Das wollte ich nur zur Erläuterung sagen.Nun wurde ich nach den Wettbewerbsverzerrungen gefragt. Ich bin der Meinung, daß die Wettbewerbsverzerrungen in der Tat ein sehr wesentliches Problem sind, dem wir dauernd unser Augenmerk schenken müssen. Es würde sich wohl am besten lösen lassen, wenn wir zu einem gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsgebiet kämen. Daß ich diesbezüglich Schwierigkeiten sehe, insbesondere auf dem konjunkturellen Sektor, habe ich schon bei früherer Gelegenheit in diesem Hohen Hause betont. Deshalb erspare ich mir weitere Ausführungen.Ich bin auch sehr dankbar, daß das Problem des Gasöls noch einmal angeschnitten worden ist. Schon bei früherer Gelegenheit habe ich darauf hingewiesen, daß ich es gerne sähe, wenn man hier zu einer Lösung kommen könnte. Es ist bekannt, daß sich mein Amtsvorgänger darum bemüht hat, zu Lösungen zu kommen. Ich bedaure sehr — ich sage es hier in aller Öffentlichkeit; vielleicht ist .das ein Beitrag, um die Dinge in ein besseres Fahrwasser zu bringen —, daß die Mineralölindustrie immer noch erklärt, sie sehe sich außerstande zu färben. Ich verstehe das nicht, denn die französische Mineralölindustrie kann das offensichtlich. Gerne werde 'ich diese Frage weiter prüfen. Ich muß natürlich vor diesem Hohen Hause betonen, daß es hier auch der Übereinkunft mit dem Finanzminister bedarf, wobei auch dieFrage der Straßenbaufinanzierung eine gewisse Rolle spielt. Die Gespräche sind jedoch im Gange, und was ich tun kann, werde ich gerne tun. Die Schwierigkeiten mit der Mineralölwirtschaft sind sowieso derzeit fast unüberwindlich.Vom Kollegen Schmidt wurde von der Futurologie gesprochen. Ich meine, er hat da sehr recht. Ich gehöre auch nicht zu den Futurologen, ich bin froh, wenn ich für die nächsten vier, fünf oder acht Jahre Politik machen kann, wobei man dann immer schon sehr vorsichtig bezüglich der. Voranschläge sein muß; ich komme nämlich am Schluß noch einmal auf das Problem der Marktüberschüsse. Wenn ich das alles summiere, was man an Marktüberschüssen und Bergen skizziert hat und wie sich dann die Lage tatsächlich entwickelt hat, so sieht man eben, man muß bei den Vorausschätzungen der Wirklichkeit sehr vorsichtig sein. Trotzdem 'braucht man eine Vorausschau; sie ist schon deshalb notwendig, weil man sie dann jährlich kontrollieren kann. Aus 'den Veränderungen gegenüber der Vorausschau kann man seine neuen Schlüsse für eine neue Politik ziehen.Ich möchte bei dieser Gelegenheit aber doch ein bißchen Phantasie walten lassen, weil man gerne von folgender Tatsache ausgeht — und ich glaube, »das muß man sich im Auslauf dieses Jahrhunderts einmal überlegen —: Es gibt Perspektiven, die ungefähr dahin gehen, ein Hochleistungsindustriestaat, wie es die Bundesrepublik sei, könne weitgehend auf 'die eigene Agrarproduktion verzichten, denn er sei in der Lage, für Industrieexporte Agrarprodukte zu beziehen. Ich halte das für einen fundamentalen Irrtum und werde Ihnen auch sagen, warum. Das würde nämlich bedeuten, daß wir die Welt auf die Dauer einteilten in Industriestaaten, die Industrieprodukte exportieren, und Agrarstaaten, die Agrarprodukte exportieren. Das würde bedeuten, daß der Nord-Süd-Konflikt, arm und reich, institutionalisiert und verewigt werden würde. Die zwangsläufige Entwicklung in der Welt, wenn wir den Frieden sichern wollen, muß die sein, daß wir 'alle Völker gleichberechtigt an der industriellen und somit an der Wohlstandsentwicklung teilhaben lassen, d. h. es wird jeder Industriestaat in gewissem Umfang für sich ein Minimum an Eigenproduktion haben müssen, wenn wir nicht zu irgendeinem Zeitpunkt — und wäre es erst im Jahre 2050 oder 3000 — ein Industriestaat sein wollen, der nur von Industrieexport lebt, ohne daß er die Nachfrage nach entsprechenden agrarischen Bedarfsgütern selbst decken kann, es sei denn, wir machen alles über die Chemie. Da muß ich Ihnen allerdings als Bayer sagen: Ich bin froh, 'daß 'ich noch im Zeitalter der Schweinshaxn lebe, denn ich halte die noch für bekömmlicher als über Pillen Eiweiß, Kohlehydrate und Zucker zu mir zu nehmen. Ich könnte mir natürlich auch folgende Utopie vorstellen. Ich sage das ganz bewußt, weil es hier Leute gibt, die sich die Dinge nicht sosehr vom Gesellschaftlichen oder vom Wirtschaftlichen her gründlich überlegen. Man müßte vielleicht so weit gehen und im Rahmen der Weltraumfahrt einen Agrarentwicklungsplaneten suchen, vielleicht zunächst den Mond und später den Mars, und dann müßte man das Geschäft wei-
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Bundesminister Ertlterbetreiben, bis auch der Weltraum industrialisiert wäre. Hier wird bewußt einmal auf Phantasie gemacht wie in einem schönen Zukunftsroman. Mir liegt nur daran, einmal festzustellen: Wer glaubt, daß man in einem Industriestaat eine Entwicklung 'betreiben kann, die davon ausgeht, daß man eine landwirtschaftliche Eigenproduktion nicht mehr nötig hat, der könnte eines Tages politisch für die Zukunft schwerwiegende Fehler begangen haben. Darum ging es mir hier.Meine .sehr verehrten Damen und Herren, ich finde den Vorschlag ,des Kollegen Schmidt über Vollerwerbsbetriebe, Entwicklungsbetriebe und Umwandlungsbetriebe sehr interessant. Ich glaube auch, daß man in 'dieser Frage zu Lösungen kommen muß. Bezüglich Landabgaberenten und ähnlichem wie überhaupt zu den sozialen Komponenten habe ich bereits in meiner Eingangsrede zum Grünen Bericht Stellung genommen.Kollege Schmidt, Sie haben gesagt, die Marktpolitik sei zu schlecht weggekommen. Es ist natürlich immer schwierig, in einer relativ begrenzten Zeit alle Themen zu behandeln; aber ich möchte doch noch einmal sagen: für mich gibt es vier wesentliche Säulen 'der nationalen Agrarpolitik: 1. die Struktur, 2. die Investition, 3. der Markt und 4. der Sozial- und Bildungsbereich. Das sind die vier Komponenten, und ich betrachte es als einen wesentlichen Fortschritt in !der letzten Legislaturperiode, daß es uns gelungen ist, das Marktstrukturgesetz und das Absatzfondsgesetz zu verabschieden. Damit ist ein erstes Intrument dafür geschaffen worden, daß auch unsere Landwirtschaft am Markt, und zwar sowohl am Inlands- wie am Auslandsmarkt, dynamisch und offensiv handeln und absetzen kann. Ich hoffe nur, daß dieses Instrument so wirksam wie nur irgend möglich wird. Glücklicherweise bin ich als Minister nur Zuschauer; denn die Selbstverwaltung bestimmt ja Gott sei Dank selbst. Aber ich bin überzeugt, daß die zuständigen Leute der Selbstverwaltung das Geschäft nach bestem Wissen und Gewissen und mit sehr viel Ideen betreiben. Am liebsten ist mir natürlich, wenn Sie mir helfen, möglichst bald auch die Berge abzubauen. Der Getreideberg scheint schon verschwunden 2u sein.In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu der italienischen Äußerung. Auch ich habe sie inzwischen gelesen. Dazu darf ich folgendes feststellen, Herr Kollege Ehnes. Ich selber habe mich nach einer Weinmarktordnung überhaupt nicht gedrängt. Wer immer meine Auffassung über die EWG-Agrarpolitik kennengelernt hat, der weiß, daß ich gegenüber den starren EWG-Agrarmarktordnungen zu allen Zeiten große Reserven hatte. Das hat sich auch mit der Übernahme des Ministeramts nicht geändert, und ich habe das auch in Brüssel mit aller Energie und mit allem Nachdruck — ich möchte beinahe sagen: zum Überdruß vieler Leute drüben — vertreten. Aber eine grundlegende Reform war in den vier Monaten, wo ich mitwirkte, nicht durchzusetzen oder zumindest nicht zu bewältigen. Bei der Weinmarktordnung habe ich 'dezidiert vorgeschlagen, nur nach Art. 40 b vorzugehen. Sie können die Ministerratsbeschlüsse nachlesen, und ich kann es mit ruhigem Gewissen sagen: einmal waren auch wir an einem Beschluß beteiligt — einmal war es die Koalition mit uns, und einmal war es die Koalition mit der SPD —, mit dem im Ministerrat eine dezimierte Zusage für die Weinmarktordnung gemacht worden ist, und die Einhaltung 'dieser Zusage verlangen nun die Italiener. Das haben sie in Den Haag als Preis für die Zustimmung zur Agrarfinanzregelung verlangt. Das gleiche gilt für die Beschlüsse bei Tabak und bei Zitrusfrüchten.
— Zum Hopfen komme ich noch, Herr Kollege Stücklen. Ich kann Sie sehr beruhigen; ich habe mit Hopfenanpflanzern ein Gespräch geführt. Sie sind schon wieder nicht up to date. Aber es ist ja gut, daß der Minister in der Vorhand ist; 'das soll er sein und bleiben. Also ich kann Sie beruhigen und werde darauf noch zurückkommen.Ich werde auch zum Weinbau noch etwas sagen, weil mir sehr daran liegt, daß hier in aller Öffentlichkeit die Karten 'auf den Tisch gelegt werden, auch bezüglich der Parteipolitik beim Weinbau. Auch das muß nämlich hier gesagt werden. Das nur zur Sache, damit man hier nicht so ungefähr meint, ich hätte gern im Hurra-Schritt Marktordnungen beschlossen.Im übrigen noch zur Weinmarktordnung: wie mir gestern gesagt worden ist — ich habe das noch nicht überprüfen können — lag der erste Entwurf seit dem Jahre 1967 bei der Kommission in der Schublade. So lange ist daran gearbeitet worden. Ich kann das alles nicht beurteilen und wollte Ihnen das hier nur einmal mitteilen, weil die Meinung aufgetaucht ist, ich würde gern den Weinmarktordnungen so mir nichts, dir nichts zustimmen.Lassen Sie mich, bevor ich noch einmal zum Weinmarkt und zum Hopfen komme, zum Marktgleichgewicht etwas sagen. Wir gehen bei dieser Frage offensichtlich davon aus, daß Schätzungen und Tatsachen zumindest im März 1970 anders ausschauen als vor einem Jahr. Das kann ich mit ruhigem Gewissen behaupten. Ich muß allerdings sagen: wir haben große Anstrengungen gemacht, um einen Teil in den Konsum zu führen nach dem Motto — Sie wissen, daß man Lieblingsspruch so lautet — „konsumieren ist besser als intervenieren". Das gilt sowohl für Butter als auch für Getreide. Obwohl ich selbst als Minister noch nicht alles durchschauen kann, habe ich aber den Eindruck, daß nicht zuletzt vielleicht durch das zu starke Gerede von den Bergen, speziell den Getreidebergen, wir erstens jetzt zuviel exportiert haben, zweitens zuviel in den Futtertrog gewandert ist, drittens zuviel denaturiert wurde.Wir haben 'in der Tat zur Zeit den kuriosen Zustand, 'daß der Weizenpreis am Markt enorm anzieht und mir selbst Vertreter Frankreichs gesagt haben, man sei dort zur Zeit nicht mehr in der Überschußsituation. Ich habe diesbezüglich Herrn Vizepräsidenten Mansholt gefragt. Auch er konnte mir keine schlüssige Antwort geben. Ich wiederhole aber auch jetzt: Gerade wenn man für die Zukunft befriedigende Interventionsregelungen erwartet,1826 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, ,den 11. März 1970Bundesminister Ertldarf man jetzt nicht Anlaß geben, daß Kritiker dadurch Recht bekommen, daß man zugibt, durch die Intervention werde der Marktfluß möglicherweise nicht befriedigend gelöst.Ansonsten kann ich Ihnen sagen, daß bei der bisherigen Diskussion über Getreide in der Tat erheblich mehr Interventionspunkte herausgekommen sind, als von der Kommission vorgeschlagen wurden, als auch durch Beschluß des EWG-Parlaments — ich möchte betonen, daß es ein Mehrheitsbeschluß war, damit hier keine Mißverständnisse auftauchen — akzeptiert wurde. Wir sind uns immerhin darüber einig, ,daß der Interventionszeitraum mindestens elf Monate betragen muß. Das zu dieser Frage.Bei Zuckerrüben hat die Bundesregierung einer Quotenlösung zugestimmt. Italien hat sich hier entschieden geweigert. Ich habe umgekehrt erklärt, eine Senkung des Weizeninterventionspreises könne ich aus politischen Gründen nicht verantworten. Ich bin allerdings — auch das möchte ich hier sagen — mit dieser meiner Auffassung völlig isoliert; alle anderen fünf sind anderer Meinung. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß diese Position nicht unbedingt angenehm ist. Das nur 'zur Beleuchtung der Situation.Bei Milch habe ich nach reiflichen Überlegungen selbst einen Vorschlag auf den Tisch gebracht; Sie kennen ihn. Er beinhaltet ein 95%iges Kontingent gegenüber der letztjährigen Ablieferung und 5 % zu einem niedrigeren Preis, gegebenenfalls auch Rücknahme. Ich bin der Meinung, daß das eine Möglichkeit wäre, um zu einer befriedigenden Lösung zu kommen.Ich möchte aber hier die Gelegenheit nutzen, noch einmal meine Meinung vorzutragen, daß es noch genug Möglichkeiten gibt, sowohl den Frischmilchabsatz wie auch den Butterabsatz besser zu fördern. Eine Möglichkeit habe ich aufgegriffen, indem ich vorgeschlagen habe, die Hotelration von 20 auf 30 g zu erhöhen. Ich glaube auch, daß die Erhöhung des Anteils von Milchfett bei der normalen Milch auf 3,5% sicherlich ein Schritt dazu ist. Ich bin des weiteren überzeugt, daß ,die Kuhabschlachtungsprämie die Butterproduktion eindämmt, sicherlich nicht in dem Ausmaß, wie wir es ursprünglich dachten und man es theoretisch errechnen könnte, aber sie bremst.Im übrigen ist in diesem Zusammenhang folgendes interessant. Es wird sicherlich an der Zeit sein, diesen langen Winter mit seinen Auswirkungen ins Kalkül zu ziehen. Allein in Frankreich sind 300 000 ha weniger Getreide als im Vorjahr bestellt worden. Das wird sich sicherlich auch in der Getreidebilanz und vielleicht sogar auch in der Butterbilanz auswirken.Herr Kollege Ehnes, Sie haben mit Recht auf die unterschiedlichen Behandlungen der regionalen Räume hingewiesen. Sie haben gesagt, daß die regionalen Räume auch nicht immer gleichwertig behandelt werden. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß dies nicht nur in der Kompetenz des Bundes liegt, sondern daß da auch eine Kompetenz des Landes vorhanden ist. Wie ich annehme, wird es Ihnenbei Ihren guten Beziehungen zur bayerischen Staatsregierung sehr leicht möglich sein, eine intensivere und auch frurchtbare Mitarbeit bei der Gestaltung der Regionalpläne zu erwirken.Berührt wurden auch die hohen Zinsen. Ich betone, daß das 'selbstverständlich niemandem in dieser Bundesregierung Freude macht. Aber ich frage mich, ob es jemandem Freude gemacht hätte, wenn wir die Steuern erhöht hätten; das ist nämlich die mögliche Alternative gewesen. Es stellt sich heraus— ich glaube, darüber sind wir uns im klaren, und der Kollege Arndt wird dazu nachher selber noch etwas sagen —: Unser Stabilitätsgesetz ist bezüglich des Spritzens effektiver als bezüglich des Bremsens, wie es überhaupt leichter ist, zu spritzen als zu bremsen. Denn beim Bremsen — das ist eine physikalische Erklärung — gibt es eben Reibungsverluste, gibt es Hitze, und die Betroffenen spüren das. Das ist eine Frage, die nicht unbedingt angenehm zu lösen ist. Das Wesen der Demokratie ist nun einmal, daß man auf solche Dinge Rücksicht nehmen muß.
— Ach, wissen Sie, Herr Niegel, sehr geistig spritzvoll war das, was Sie jetzt gesagt haben, nicht.
— Das müssen Sie erst einmal beweisen.Zum Verursachungsprinzip möchte ich folgendes sagen. Ich betone: mein Milchvorschlag ist ein absoluter Vorschlag zum Verursachungsprinzip. Sie sehen, daß ich nicht alles vergessen habe, was ich früher einmal gesagt habe. Ich habe mir deshalb bewußt die Mühe gemacht, das so zu tun.Ein weiteres. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Herr Kollege Ehnes, wenn ich Ihre französischen Zeitungen bekommen könnte, die Sie zitiert haben in bezug auf die Verhandlungsweise und ähnliches. Ich würde die sehr gern lesen. Ich nehme an, daß Sie sie mir zum gegebenen Zeitpunkt schicken.
— Sie haben auch von französischen gesprochen; wir sprechen jetzt nicht von den italienischen Zeitungen. Ich habe mir das genau aufgeschrieben. Mich würde das sehr interessieren.Es wurde dann noch von § 35 des Bundesbaugesetzes gesprochen. Ich würde mich sehr freuen, wenn sie einen Gesetzentwurf dahin gehend einbrächten, § 35 des Bundesbaugesetzes abzuschaffen. Nur müssen Sie sich dann die Konsequenzen überlegen: eine totale Abschaffung des § 35 des Bundesbaugesetzes kann natürlich in gewissen Gebieten dem willkürlichen Bauen Tür und Tor öffnen. Ich glaube, es ist besser, meinem Vorschlag zu folgen, nämlich eine Änderung dahin gehend durchzuführen, daß Einheimische — nachgeborene Bauernkinder — generell die Ausnahmegenehmigung bekommen.Nun komme ich zur Hopfenmarktordnung. Ich stimme zu, daß es so gewesen ist, daß eine andere Delegation und viele andere Delegationen einen
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Bundesminister Ertlganzen Rattenschwanz von neuen Marktordnungen gefordert haben — die letzte Marktordnung betraf die Seidenraupenzucht —, alles mit der Absicht, das mit vielen Millionen, natürlich aus der gemeinsamen Kasse, zu finanzieren. Ich stimme zu, daß wir den Standpunkt vertreten haben: Erstens. Solange die bisherigen Marktordnungen nicht funktionsgerecht gestaltet sind und funktionieren, sollte man nicht zusätzliche neue Marktordnungen machen. Ich halte das für sehr vernünftig. Man muß einmal mit dem Stau fertig werden, den wir zunächst einmal haben. Zweitens haben wir ab Herbst Beitrittsverhandlungen. Drittens haben wir erklärt: Wir sind nicht mehr für neue Marktordnungen, sind dann allerdings aber auch bereit, auf unsere Marktordnungswünsche zu verzichten. Sollten allerdings andere Marktordnungen kommen, würden wir auch darauf bestehen, daß die Hopfenmarktordnung weiter behandelt wird.Zusätzlich habe ich inzwischen ein Gespräch mit dem Hopfenpflanzerverband gehabt, der mir sehr zugestimmt hat. Ich habe gesagt: Ich bin gern bereit — der Herr Kollege Schmidt wird mir sicherlich zustimmen, daß wir gegebenenfalls auch über CEMA und Absatzfonds für Hopfenexporte sprechen können —, einige Millionen aus nationalen Mitteln für den deutschen Hopfenexport, für dessen Absatzsicherung und Preissteigerung, bereitzustellen, weil mich das viel billiger kommt, als wenn ich die Seidenraupenzucht, Hanf und was weiß der Teufel alles über einen Umweg auch mitfinanziere. Der Hopfenbau hat dafür volles Verständnis gehabt; ich bin ihm dafür sehr dankbar. Das ist mein Angebot an den deutschen Hopfenbau.Nun komme ich noch zum Weingesetz, das auch noch angeschnitten wurde. — Herr Präsident, ich bitte um Entschuldigung, ich komme schon zum Schluß.
Herr Minister, im Agrarbereich haben wir die Gefahr der Überproduktion. Wenn ich mir die Liste der Wortmeldungen ansehe, fürchte ich, daß wir im Laufe des Abends noch vor gewissen Bergen an rhetorischen Leistungen stehen werden. Es sind noch eine Reihe von Kollegen im Hause, von denen sich einige noch nicht in die Rednerliste eingetragen haben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diesen Umstand berücksichtigen könnten.
Ich will einige Bemerkungen zum Weingesetz bzw. zur Weinmarktordnung machen. Es ist eine - Entschließung verabschiedet worden. Bevor ich dieser Entschließung zugestimmt habe, habe ich ein Hearing mit Kollegen aus dem Gesundheits- und dem Ernährungsausschuß veranstaltet, und ich selbst habe diesen Verhandlungen nahezu drei Stunden zugehört.
Ich war auf Grund dieser Diskussion der Meinung — das muß ich ganz offen sagen —, daß es einige Punkte gibt, die man noch sehr schwergewichtig behandeln muß. Ich nenne den Prozentgehalt bei Weißwein. Da ging es darum, ob 3,5 oder 3,7%.
Der Vertreter des Gesundheitsministeriums hat bestätigt, daß das im Bereich der Fehlergrenze liegt; deshalb habe ich auf diesem Sektor nichts unternommen. Schwerwiegender war die Festlegung der Grenze bei Rotwein. Sie lag in der Entschließung bei 4,0 %, im deutschen Weingesetz bei 4,5 %. Sie ist der endgültigen Entschließung der EWG auf 5,0 % festgelegt worden; man ist sogar um 0,5 % über das deutsche Weingesetz hinausgegangen. In einer persönlichen Rücksprache hat mir Vizepräsident Mansholt dann noch gesagt, daß eine Katastrophenklausel für die berühmten Jahre hineinkommt.
Im übrigen habe ich inzwischen alle Unterlagen dem Ernährungsausschuß, dem Gesundheitsausschuß und dem Haushaltsausschuß zugeschickt; denn mir liegt sehr daran, daß dieses Parlament die Gewißheit hat, daß der Minister das Parlament laufend über den Stand der Probleme informieren wird.
Ich möchte hier eines feststellen. Ich halte es nicht für gewöhnlich, daß ein Ministerialdirigent eines Landesministeriums mit nicht ganz korrekten Behauptungen auf einem CDU-Agrarkongreß die Stimmung anheizt. Das halte ich nicht für gewöhnlich. Das ist dort geschehen. Diese Sache haben sich dann einige Weinkellereien zu eigen gemacht, nicht der gesamte Verband der Weinkellereien, wie ich inzwischen weiß, sondern es waren nur 4 oder 5, und die haben dann feste Stimmung gemacht. Ich habe allerdings die Gelegenheit benutzt — und dafür bin ich sehr dankbar —, jedem einen Brief zu schicken; sie haben mir nämlich alle Protestkarten geschickt. Seitdem habe ich die Gelegenheit sachlicher Aufklärung durch Briefe benutzt. Damit ist die Stimmung ruhiger geworden.
Ich möchte hier noch einmal betonen: ich glaube, so kann man auf die Dauer keine befriedigenden Ergebnisse erzielen. Ich habe nichts gegen Kritik, aber die Kritik muß dann so fundiert sein, daß sie einigermaßen im Raum stehenbleiben kann. Aber wenn meine Experten in meinem Hause sagen: in schlechten Jahren sind höchstens 10 % der Winzer betroffen, und andere sagen: 30 %, dann muß das zur Verwirrung führen. So geht es nicht, und ich halte das auch für keine gute Art, wie man langfristig unsere Position macht.
Davon ganz abgesehen, es gibt ja in Europa auch immer noch Nachbarn. Der Kollege Büchler aus Luxemburg, der ja in der oberen Mosel Nachbar ist, hat gesagt, er verstehe gar nicht, was hier in Deutschland betrieben werde; denn er müsse mit sehr vielen Moselwinzern — er ist auch Moselwinzer — feststellen, für sie sei der Rahmen in der Entschließung voll befriedigend. Ich weiß allerdings, daß die mehr Südhänge haben — wir haben mehr Nordhänge —, und ähnliches mehr. Ich glaube, es ist bei dieser Debatte doch darauf hinzuweisen, daß die Frage kommt: Kann die Bundesregierung das deutsche Weingesetz vollauf durchsetzen? Das bezweifle ich.
Im übrigen haben mir meine Leute gesagt, daß man bei der Behandlung des Weingesetzes — und ich schneide das hier gern an — davon ausgegangen ist — ähnlich wie man es bei Zuckerrüben gemacht hat; der Kollege Ehnes hat mit Recht darauf hinge-
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Bundesminister Ertl
wiesen —, daß man erst einen sehr guten Rahmen finden muß, damit man dieses Gesetz dann weitgehend in die EWG einbringen kann. Wenn ich natürlich fordere „nur mein Weingesetz", dann kann ich den anderen nicht verwehren, wenn sie sagen „auch mein Weingesetz". Das ist das Problem. Diesen Vorschlag habe ich auch gemacht. Aber solche Vorschläge können Sie nur machen, solange es nicht eine gemeinsame Weinmarktordnung gibt. Leider gibt es zwei Ministerratsbeschlüsse über eine gemeinsame Weinmarktordnung.
Sie müssen diesen Komplex einmal sehen. So einfach kann man sich das nicht machen. Vor dieser Schwierigkeit stehe ich. Ich bin auf jeden Fall der Meinung, wenn es bei all dem gelingt, eine Lösung zu finden, die in der Tat die Möglichkeit schafft, daß für die meisten unserer Winzer keine besorgniserregenden Auswirkungen eintreten, dann muß man prüfen, ob man da nicht zustimmt oder die Agrarfinanzregelung in Frage stellt.
Die andere Frage ist folgende. Ich bin hier kein Fachmann. Ich würde wirklich die Kollegen, die Fachleute sind, bitten, hier einmal ihre Meinung zu sagen; es muß auch nicht hier sein, es kann im Ausschuß sein. Mir ist gesagt worden, daß es einige Rebsorten gibt, die wirklich nicht das bringen, was man als Qualitätswein für lange Zeit wünscht. Dann ist es besser, wir setzen uns mit diesen Bauern an einen Tisch und versuchen ein Programm zu entwickeln, das ihnen mit Beihilfen die Umpflanzung ermöglicht. Das halte ich langfristig für ehrlicher und bezüglich der Winzer für zielsicherer als die jetzige Form, wo man so tut, als ob sie jede Rebsorte behalten könnten. Ich kann das nicht alles beurteilen. Aber ich habe mich ein wenig informiert, ich glaube, mich sogar sehr gründlich informiert. Ich wollte von diesen meinen Kenntnissen Ihnen ein klein wenig mitteilen.
Soweit habe ich nun, glaube ich, die wesentlichen Punkte behandelt. Im übrigen darf ich mich für alle Diskussionsredner — —
— Ich habe nie erwartet, daß ich von Stücklen eine gute Qualifikation bekomme. Aber „unbefriedigend" ist immerhin schon etwas.
— Ich bin ja froh, daß der Hopfenpflanzer zustimmt. Das ist mir viel wichtiger als wie der Herr Stücklen.
Das soll meine Sorge sein, wie wir dieses Problem befriedigend lösen. Ich darf mich auf jeden Fall für die Beiträge aller Diskussionsredner sehr herzlich bedanken.
Ich bin dem Herrn Bundeslandwirtschaftsminister sehr dankbar, daß er seine letzte Aufforderung an das Haus, in Fragen der Weinmarktordnung noch zusätzliche Diskussionsbeiträge zu geben, zugunsten der Ausschußsitzungen zurückgezogen hat.
Als nächsten Redner darf ich Herrn Staatssekretär Arndt das Wort geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegen Dr. Ritz und Ehnes, die Sprecher der Opposition in dieser Debatte, haben darauf hingewiesen, daß die neue und jetzige Bundesregierung eine gute Erbschaft auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Verhältnisse übernommen hat. Ich will das unterstreichen. Auch mir liegt nichts daran, die Leistungen der Großen Koalition herabzusetzen. Auch ich mag nicht, daß man das schlecht macht, was dort in mehreren Jahren für die Landwirtschaft, aber auch für andere geschaffen worden ist.Nur wenn Hermann Höcherl, der Kollege und frühere Landwirtschaftsminister zu Recht erwähnt wird, denke ich auch an den früheren und jetzigen Wirtschaftsminister Professor Schiller; ich denke bei den Schwierigkeiten, die der frühere Landwirtschaftsminister in der parlamentarischen Behandlung seiner durchaus wegweisenden Agrarpolitik gehabt hat, ferner an meinen Kollegen Schmidt . Das alles hat schließlich dazu geführt, daß z. B. im jetzigen Grünen Bericht für das Landwirtschaftsjahr 1968/69 ein Differenzbetrag von 9 Milliarden DM zwischen Verkaufserlösen und Betriebsausgaben ausgewiesen werden konnte, während wir 1967/68 noch 7,5 Milliarden DM, in der Talsohle gar 7,1 und 7,5 hatten.Zwei Komponenten müssen zusammenkommen, damit der große Prozeß der Umstrukturierung gelingen kann: eine Agrarpolitik, die nicht versucht, um jeden Preis jeden Landwirt an der Scholle festzuhalten, und eine Wirtschaftspolitik, die es auf der anderen Seite denen, die hinausgehen wollen — und zwar am besten schon als junge Menschen hinausgehen wollen —, ermöglicht, an Ort und Stelle in ihrer Region gewerbliche Arbeitsplätze zu finden.Es wurde vorhin nach den Preiseffekten der Aufwertung gefragt, ja sogar nach etwas Ähnlichem wie Aufwertungsverlusten der Landwirtschaft. Nun haben wir heute glücklicherweise die ersten landwirtschaftlichen Erzeugerpreise für Januar 1970, dem Monat, in dem der Grenzausgleich aufgehoben wurde und in dem die Senkung der Interventionspreise voll wirksam geworden ist, bekommen. Wir sehen, daß dieser Januar gegenüber dem Dezember eine Preisermäßigung für die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise insgesamt von 3,1 % aufweist. Einige Abweichungen von den erwarteten oder vielleicht zu erwartenden minus 8,5 % sind auf gewisse saisonale Produkte wie Gemüse, Südfrüchte usw. zu beziehen.Aber wir haben auch Punkte, wo man tatsächlich fragen muß — und das frage ich jetzt von der Wirtschaftspolitik aus für die Durchsetzung der Interventionspreise bis hin zum privaten Verbraucher —, warum bei Getreide und Vieh die prozentualen Senkungen hinter der Entwicklung der Interventionspreise zurückgeblieben sind. Dazu sind zweierlei Dinge zu sagen:
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Parlamentarischer Staatssekretär Dr. ArndtErstens. Wenn die deutschen Landwirte für die Aufwertungsverluste in Höhe von 8,5 % — dem Satz der Senkung der Interventionspreise — voll entschädigt werden und diese Senkung findet aus irgendwelchen Gründen nicht oder erst später statt, dann ist die deutsche Landwirtschaft nicht auf der Seite irgendwelcher Aufwertungsverlierer, sondern auf der Seite der Aufwertungsgewinner: sie bekommt nämlich den Ausgleich und hat dennoch nicht die Preissenkungen zu tragen.Zweitens. Wir haben festgestellt, daß z. B. der Weichweizen jetzt recht knapp geworden ist. Die Interventionspreise sind zwar zurückgegangen, die Marktpreise sind aber im Gegenteil hier und da höher als Mitte 1969, zur Zeit der höheren Interventionspreise und zur Zeit des Unterlaufens dieser Interventionspreise durch den Handel mit dem Termin-Franc, also in der Zeit des großen Wirrwarrs vor der Aufwertung. Deshalb kam es auch nicht zur Senkung der entsprechenden Mehlpreise, weil sich nämlich die Weizenpreise am Markt für die Mühlen nicht im gleichen Maße verändert haben.Ein weiterer interessanter Faktor bei den Verbraucherpreisen ist z. B. .die Milch. Die Interventionspreise bei Milcherzeugnissen haben nachgegeben, aber ,die Verbraucherpreise kaum. Das liegt u. a. daran, daß sich die Bundesregierung dafür entschieden hat, nicht die Trinkmilchpreise zu senken, sondern den Qualitätsgehalt der Milch, d. h. den Fettgehalt zu erhöhen. Das wird in den Preisindizes aber nicht als Qualitätsverbesserung gewertet, sondern von der amtlichen Statistik als qualitätsneutral behandelt.Die unterschiedlichen Schätzungen der Verbraucherpreise, die alle Forschungsinstitute, der Sachverständigenrat, danach die Bundesregierung in ihrem Jahreswirtschaftsbericht und ich am 7. Januar gegeben haben, nämlich daß die Verbraucherpreise im Januar und Februar nicht nur um 3 %, wie im vorigen Jahr, sondern um 3,5 % gestiegen sind, erklären sich aus diesen Tatsachen. Diese Abweichung, die gemessen an dem, was im Ausland um uns herum vorgeht, vielleicht geringfügig ist, entspricht nicht unseren Zielsetzungen und Erwartungen. Sie beruht auf einer falschen Einschätzung des Sinkens der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise generell. Aber das ist kein Schaden für die Landwirtschaft, das ist eher ein Vorteil, da sie an beiden Dingen gewinnt, an der Aufwertungsentschädigung und an der nicht in entsprechendem Umfang erfolgten Senkung der effektiven Marktpreise.Man muß noch eine weitere Frage stellen: Was wäre geschehen, wenn diese Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hohen Hause auf die Beseitigung ides Grenzausgleichs am 1. Januar verzichtet hätte? Das ist ja eine Alternative, die hier in der Diskussion war und die wirtschaftspolitisch abgelehnt wurde. Hätten wir bei den landwirtschaftlichen Erzeugerpreisen dann auch nur die Preisentwicklung von minus 0,2 % gegenüber dem Dezember 1969 gehabt? Hätten wir idann ebenfalls nur eine Steigerung der Nahrungsmittelposition in denLebenshaltungskosten um 3,6 % gehabt, oder wäre es nicht mehr gewesen? Diese Frage muß gestellt werden, wenn man sich überlegt, welche Wirkung die Aufwertung und andere politische Maßnahmen auf ,die Landwirtschaft und auf die Volkswirtschaft insgesamt gehabt haben.Auf das Problem der Strukturpolitik ist Minister Ertl schon so ausführlich eingegangen, daß ich es mir ersparen kann, Weiteres dazu zu sagen. Die Bundesregierung hat die Strukturmittel in den Ansätzen nicht gekürzt, weil sie weiß, daß die Chancen der Hochkonjunktur für diejenigen, die sich verändern wollen — nicht, wie häufig gesagt wird: die sich verändern sollen —, in vollem Maße erhalten bleiben sollen. Immerhin, in dem von Ihnen zitierten damaligen Papier des Bundeswirtschaftsministers zur regionalen Strukturpolitik hat man geschätzt, daß jährlich 14 000 Arbeitsplätze in den ländlichen Regionen geschaffen werden. Das ist mit Recht bezweifelt worden. Aber wir haben es 1969 - auch das ist ein Erfolg, den man der alten Regierung nicht ableugnen sollte — auf 40 000 gebracht. Ich habe keinen Grund daran zu zweifeln, daß die neue Bundesregierung — nach wie vor Minister Schiller, aber nun auch Minister Ertl statt Minister Höcherl — das gleiche im Jahre 1970 bewirken wird.
In diesen neuen Grünen Bericht — ich darf mir als Helfer in wirtschaftspolitischen Fragen vielleicht erlauben, das zu sagen — ist ein Projektionsmodell für 1980 aufgenommen worden, das auch mit den Größenordnungen übereinstimmt, die damals in dem strukturpolitischen Papier des Bundeswirtschaftsministeriums niedergelegt waren. Es enthält Annahmen über die voraussichtliche Nachfrageentwicklung, über die Produktionsentwicklung und über die Preisentwicklung. Soweit ich gesehen habe, sind beide Annahmen über die Preisentwicklung, nämlich die mit annähernd konstanten und mit sinkenden Preisen, weitaus pessimistischer als das, was der eine oder andere nach wie vor im Lande der Bauernschaft einredet.Herr Ehnes, Sie sagten, der Schwerpunkt solle auf Preis- und Marktpolitik liegen. Wie soll aber, unter dieser selbst von Ihnen nicht bestrittenen günstigeren Annahme, über die Preispolitik in der EWG, insbesondere bei den derzeitigen Überschüssen, das Einkommen der Bauern in den kommenden fünf bis zehn Jahren gesteigert werden? Es muß gesteigert werden, darüber sind sich alle, nicht nur die Bundesregierung, im klaren.Wenn man dann 'überlegt — dies ist der Ausgangspunkt des Interviews, das Herr Staatssekretär Dr. Rohwedder gegeben hat —, daß in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Bemühungen im Gange sind, die Überschußproduktion zu senken, und zwar durch Mengenregulierungen, aber auch durch Preisänderungen, wenn es nicht anders geht, dann ist es doch wohl recht und billig, daß er in Übereinstimmung mit der Bundesregierung und dem Jahreswirtschaftsbericht die Einkommenspolitik für die Bauern in den Vordergrund stellt und sagt: Kommt das Einkommen nicht über den Preis, dann
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1830 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndtmuß es aus staatlichen Hilfen kommen. Das ist nicht entehrend, das ist eines der Instrumente, die sich auch diese Regierung, wie jede andere, in der Zukunft nicht aus der Hand nehmen lassen darf.Ich kann nicht folgen, wenn Bemerkungen im Jahreswirtschaftsbericht kritisiert werden, in dem wir gesagt haben, daß es zweitrangig ist, woher das notwendige Einkommen der Landwirtschaft kommt. Zweitrangig heißt nicht nebensächlich. Aber es ist erstrangig, daß der Bauer sein ungeschmälertes Einkommen bekommt.
Und ich bitte, im Interesse dieser großen strukturpolitischen Probleme auf dem Lande, die wir gemeinsam meistern müssen, diese Interpretation der Äußerung von Herrn Dr. Rohwedder zu akzeptieren.Als Letztes hatten Sie, Herr Dr. 'Ritz, kritisiert, daß in dem Bericht etwas über den Anteil der Drittländer an den Agrarimporten steht. Ich beschäftige mich ein bißchen mit Osthandel. In der Tschechoslowakei, in Polen, in Ungarn, in Jugoslawien ist, zwar in unterschiedlichem Maße, aber doch vorherrschend, ein großer Teil der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, ohne allerdings die gleichen Chancen der Veränderung zu haben wie wir. Er ist darauf angewiesen, diese Agrarprodukte zu verkaufen, um sich selbst ein besseres Leben zu verschaffen und sich wenigstens in den materiellen Fragen an das ersehnte westliche Ideal anzunähern. Diese Bauern heißen nicht nur Sandor und Soskič, sie heißen auch Richter und Meier und Gottwald. Das Ziel, die EWG nicht nur bei Milch und Weizen, sondern auch noch auf anderen Gebieten zu einem Selbstversorgerland zu machen, ist, langfristig gesehen, mehr als nur eine Enttäuschung für die Menschen, von denen ich spreche. Es ist eine Gefährdung der politischen Sicherheit unserer eigenen Bauern.
Zwischen dem Drängen des Tages — da ist die Apfelernte, die untergebracht werden muß, wobei auch die anderen ihre Äpfel loswerden wollen — und dieser Notwendigkeit muß ein Kompromiß gefunden werden, der für die Menschen jenseits der Grenzen, für unseren eigenen Verbraucher und für unsere eigenen Landwirte sicherlich nie ganz befriedigend sein wird. Aber wenn wir ihn nicht finden und gemeinsam verteidigen, wenn wir die Lösung nur auf Kosten der einen und nicht auf Kosten aller suchen, werden wir an der Aufgabe scheitern, und das darf auch im Interesse unserer Landwirte nicht geschehen.
Meine Damen und Herren, als nächster Redner ist in der Liste der Herr Abgeordneter Höcherl eingetragen. Ich darf darauf hinweisen, daß jetzt noch 15 Wortmeldungen zu Punkt 5 a vorliegen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr KollegeDr. Schmidt hat mich mit sehr noblen Worten eingeladen, doch noch etwas Agrarpolitik mitzumachen. Ich will dem mit herzlichem Dank für die netten Passagen, die er mir in Erinnerung an unsere gemeinsame Arbeit gewidmet hat, gern entsprechen.Ich darf mich vielleicht zunächst einmal dem eigentlichen Hauptgegenstand der heutigen Diskussion zuwenden, nämlich dem Grünen Bericht, einer sehr tüchtigen Arbeit Ihrer Mitarbeiter, Herr Bundesernährungsminister. Es wird Ihnen nicht ganz leicht gefallen sein, den Göttern zu opfern und die globale Disparität unter den Tisch zu bringen; von den Schmerzen, die Herr Logemann dabei haben mußte, will ich gar nicht reden. Aber immerhin, Sie haben es geschafft und sind auf den Spuren oder Pfaden der Tugend, die wir beschritten haben, weitermarschiert.
Das Modell, das Sie vorgelegt haben, ist sehr interessant. Es wird auch von uns als eine Bereicherung anerkannt. Wir hoffen nur, daß es nicht nach Schillerscher Manier eine Metamorphose zu einer Richtlinie hin erfährt. Das könnte leicht sein. Zunächst ist es eine Orientierung und eine Projektion. Aber wie leicht kommt dann das Wort „Richtlinie" und „Zielsetzung" dazu, und das wäre etwas zuviel.
Nun ist mir aufgefallen, und zwar vor allem bei dem Beitrag von Herrn Kollegen Dr. Weber in seiner Jungfernrede: Der Gegenstand, um den es sich hier handelt, das Modell, wenn ich so sagen darf, von dem ein Bild gezeichnet wird, ist die Landwirtschaft 1968/69. Die Koalition hat Glück, weil die Öffentlichkeit das vielleicht nicht so genau nimmt. Die Öffentlichkeit meint, das gute Ergebnis sei schon Ihre eigene Leistung der vergangenen vier Monate. So bekommt also der Berichtsgegenstand, das Modell, ein rotes Kostüm mit einer violetten Schärpe, und das muß verhindert werden.
Wir werden darauf sehr streng achten.
Es kommt nämlich noch etwas hinzu. Auch das nächste Wirtschaftsjahr, für das gute Auspizien bestehen, fällt zum entscheidenden Teil noch in unsere Verantwortung. Ich habe wirklich die Befürchtung, daß der begrüßenswerte Mut, die Offenheit und Ehrlichkeit meines verehrten Amtsnachfolgers vielleicht doch nicht ausreichen, um das der Öffentlichkeit tatsächlich wahrheitsgemäß zu sagen. Das werden wir dann als Opposition gründlich und ernst besorgen.Ich habe übrigens gehört, Herr Wehner, daß Sie als Zuchtmeister auch noch sprechen wollen. Ist das richtig? .
— Ja, gut, aber man weiß es bei Ihnen nicht. Siesitzen hier bemerkenswert aufmerksam, und immer
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Höcherldann, wenn schwache Stellen der Regierung verteidigt werden müssen, kommt natürlich der chief whip, der Zuchtmeister Wehner und bringt das in Ordnung.
Nun, Herr Kollege Ertl, darf ich mich zunächst Ihren Ausführungen zuwenden. Leider haben Sie vorhin wieder das alte Spiel um die Aufwertung aufgeführt. Es geht nicht um die Aufwertung — sie ist vollzogen, sie ist eine Tatsache —, sondern es geht um ihre Folgen und um sonst nichts.
Ich sage freimütig: Es gibt in der Frage der Aufwertung kein dogmatisches Ja und kein dogmatisches Nein, sondern das ist ein Instrument, eine technische Lösung, die vielleicht einmal notwendig ist, vielleicht aber auch nicht. Es geht um ihre Folgen, und diese Folgen sind nicht zweckentsprechend vorbereitet worden. Gewisse Auswirkungen verzögern sich zeitlich — was übrigens das Getreide betrifft, so kann ich mich sehr gut daran erinnern, daß durch die Intervention B, die wir der Regierung noch als Morgengabe überreicht haben, nichts passiert ist —; aber der breite Werkmilchsektor, der Veredelungssektor, zieht natürlich je nach Marktverhältnissen mit. Wann das kommen wird? Auf jeden Fall früher als in dem Sommer, in dem Sie auszahlen wollen. Wir haben noch keinen Entwurf. Sie hätten diese Dinge im November und Dezember in Ordnung bringen sollen.Sie berufen sich auf das Hearing. Das ist eine sehr nette und gute Methode, dieses Hearing, sehr aufschlußreich; es ist auch eine schöne Empfehlung für den Parlamentarismus. In der Geschäftsordnung steht, daß diese Kreise zu hören sind. Das ist also ganz und gar nichts Neues. Das ist auch kein besonderes Verdienst, sondern nur die Ausführung einer Geschäftsordnungsvorschrift. Das haben Sie gemacht. Das hätte aber auch sehr viel kürzer geschehen können.
— Na gut. Es hat lange genug gedauert.
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1834 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
— Herr Bewerunge, dann nehme ich das zurück. Ich darf aber schon jetzt, wenn Sie gestatten, da ich nach den beiden Rednern nicht mehr sprechen kann, die etwas polemische Frage stellen, ob dann in diesem Zusammenhang von Ihnen auch noch der Satz aufrechterhalten wird: Die CDU hat die richtige Politik betrieben.Gerade das Bildungswesen auf dem Lande ist lange Zeit vernachlässigt worden, was die Bewältigung vieler Aufgaben zusätzlich erschwert. Dieser Satz stammt nun nicht, wie man zunächst unterstellen könnte, von einem Bildungspolitiker der FDP oder der SPD, sondern aus einem Vorwort, das der ehemalige Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Herr Rehwinkel, für eine Broschüre über Bildungspolitik geschrieben hat.Diese Feststellung ist übrigens nicht neu. Sie ist in diesem Jahrhundert schon häufig getroffen worden, ohne daß die für das ländliche Bildungswesen Verantwortlichen die nötigen Konsequenzen daraus gezogen haben. Ich will jetzt einfach einmal fragen: Es besteht sicherlich kein Bedürfnis dafür, daß ich jetzt anführe, in welchen Ländern der Bundesrepublik das ländliche Schulwesen besonders zurückgeblieben ist? Das können Sie, nebenbei gesagt, auch selbst an einschlägigen Statistiken ablesen. Ich bin aber gern bereit, Ihnen das zu sagen.Das hervorstechende Merkmal des ländlichen Bildungswesens ist die wenig gegliederte Schule; das hat sich ja praktisch in 150 Jahren so gut wie nicht gewandelt. Das bedeutet allerdings auch, daß dieses Bildungswesen nicht in der Lage gewesen ist — damit wird es hochaktuell, hochaktuell für uns alle, egal, welcher Partei wir angehören —, sich den veränderten Verhältnissen in Gesellschaft, Wirtschaft und Technik anzupassen. Nun kann man glücklicherweise sagen, daß sei kurzer Zeit — ich möchte sagen; seit ganz kurzer Zeit — auf diesem Gebiet eine gewisse Aufweichung ideologischer Verhärtungen festzustellen ist. Die Bereitschaft ist im Wachsen, diejenigen Fakten zur Kenntnis zu nehmen, die empirisch ermittelt und statistisch ausdrückbar sind.Das ist tatsächlich ein großer Fortschritt, insbesondere dann, wenn man diese Fakten auch zur Grundlage seiner eigenen politischen Entscheidung macht. Das bedeutet aber noch nicht — um hier gleich ein wenig vorzubeugen —, daß die Auseinandersetzung über die zweckmäßige Gestaltung der Schule auf dem Lande, über die zweckmäßige Gestaltung des ländlichen Bildungswesens, abgeschlossen ist. Viele Argumente, die in dieser Debatte vorgebracht wurden, wurden doch noch — entschuldigen Sie, wenn ich das ein wenig hart sage — aus einer überholten Bauerntumsideologie bezogen, die nicht mehr unserer Wirklichkeit entspricht und auch nie — das nebenbei gesagt — der ländlichen Wirklichkeit so entsprochen hat, wie ihre Vertreter es vorgegeben haben. — Herr Bewerunge nickt zwar nur sehr andeutungsweise; ich werte das aber dennoch als Bestätigung.Ich darf hoffen, daß die Debatte über das Bildungsprogramm hier in diesem Hause von solchen Argumenten nicht belastet wird, nämlich von solchen Argumenten, die tatsächlich, wenn man so will, von vorgestern stammen und im Grunde genommen auf das eine hinauslaufen, nämlich die künstliche Trennung von Stadt und Land aufrechtzuerhalten, obwohl sie heute nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, in einem Zeitalter, in dem durch immer perfektere Kommunikation die Erdteile eng aneinanderrücken und die Probleme hautnah aufeinanderkommen.In dieser Situation ist es nicht mehr möglich, so etwas wie eine „dorfeigene", „heimatbezogene" Schule aufrechtzuerhalten. Allein schon die Berufsstruktur auf dem Lande beweist, daß das unhaltbar ist. Eine Untersuchung der Berufsstruktur in hessischen Landgemeinden hat ergeben, daß z. B der Anteil der hauptberuflichen Landwirte und der dazugehörigen Altenteiler erst an dritter Stelle liegt, hinter den Facharbeitern, Angestellten und Beamten. Bei dieser Situation konnte mit Recht ein um die Landschulpädagogik verdienter Mann darauf hinweisen, daß Stadt und Dorf nicht mehr Gebilde mit auffallend grundsätzlicher und gegensätzlicher Struktur sind.Das heißt, bei den Bildungschancen und Bildungsinhalten kann nicht mehr nach Stadt und Land unterschieden werden. In der von mir bereits vorhin erwähnten Broschüre des Deutschen Bauernverbandes zur Bildungspolitik wird das auch ganz klar und realistisch ausgedrückt, anders als bei den Apologeten einer romantisierenden Betrachtung des ländlichen Lebens.In der Broschüre heißt es nämlich:Jeder Mensch hat das Recht auf volle Entfaltung seiner Anlagen und Fähigkeiten durch Erziehung und Bildung. Die Erfüllung dieser Rechte und Pflichten erfordert ein vielfältiges Angebot an Bildungsmöglichkeiten für alle Altersstufen und Menschen in Stadt und Land.Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung gesagt: „Wir dürfen keine Gesellschaft der verkümmerten Talente werden; jeder muß seine Fähigkeiten entwickeln können, die betroffenen Menschen dürfen nicht einfach ihrem Schicksal überlassen werden". Ich glaube, daß dieser Satz insbesondere für die jungen Menschen, die in ländlichen Regionen leben, gilt.Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind es mehr als die Hälfte der Kinder bis zum 15. Lebensjahr, die in Dörfern und Kleinstädten leben. Das sind die Kinder, die in erster Linie von dem Rückstand bei den Bildungseinrichtungen betroffen sind.
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1836 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
LöfflerIn diesem Zusammenhang ist auch eine Untersuchung bedeutsam, die aussagt, daß von den Bildungseinrichtungen auf dem Lande außerordentlich stark Gebrauch gemacht wird, wenn sie in annehmbarer Entfernung und wenn sie in ausreichender Anzahl vorhanden sind. Es ist nur zu begrüßen, wenn auch die Bundesregierung ihren Beitrag zum Ausbau des ländlichen Schulwesens leisten will. Dabei muß wohl darauf geachtet werden, daß besonders auf dem Lande diejenigen Schulen errichtet werden, die das gesamte Bildungsangebot der deutschen Schule und alle Bildungsmöglichkeiten und Bildungswege unter einem Dach vereinen. Mit anderen Worten, damit ich nicht mißverstanden werde: Auch und gerade das Landkind braucht die Gesamtschule, wenn es in der modernen Leistungsgesellschaft bestehen will, auch um die vorhandenen Milieu-Unterschiede von den Bildungsinstitutionen her überwinden zu können. Ich bin sicher, daß mit diesem Bildungsprogramm der Bundesregierung ein wertvoller Beitrag zur Lösung der Probleme in der Landwirtschaft geleistet wird, indem den Menschen auf dem Lande mehr Möglichkeiten der Lebensführung und Lebensbewältigung zur Wahl gestellt werden, als das im Augenblick 'der Fall ist.
Insofern, glaube ich, 'ist Bildungspolitik auch ein Stück Strukturpolitik, ist Bildungspolitik, wenn Sie so wollen, eine der flankierenden Maßnahmen zu den übrigen strukturpolitischen Maßnahmen, die unbedingt notwendig sind. Insofern gebührt dem Minister für diese Anregung, Bildungspolitik als ein Stück Strukturpolitik auf dem Lande zu sehen, unser Dank, und ich spreche die Hoffnung aus, daß seine Bemühungen nach einer eingehenden, sachlichen Debatte eine breite Unterstützung in diesem Hause finden mögen.
Ich darf zum Schluß noch als „Jungfer" eine kleine Bemerkung machen. Es 'ist sicherlich nicht allzu schwierig, zu sprechen; wenn vor einem geredet wird, wenn hinter einem auch geredet wird, kommt man in eine schwierige Situation. Ich danke, daß Sie mir zugehört haben.
Meine Damen und 'Herren, ich habe das Gefühl, daß wir allmählich — trotz der großen Zahl noch vorliegender Wortmeldungen — am Ende der Debatte stehen. Ich gebe als nächstem Redner dem Herrn Kollegen Horstmeier das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Zuge der Arbeitsteilung unserer Fraktion wollte ich hier zur Sozialpolitik und Bildungspolitik Stellung nehmen. Aber in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit gebe ich meine Ausführungen zu Protokoll *).
*) Siehe Anlage 3
Meine Damen und Herren, der nächste Redner in der Liste ist der Herr Kollege Lotze.
Aus dem gleichen Grund gebe ich meine Ausführungen zu Protokoll *).
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Frau Kollegin Griesinger auf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus Kollegialität gebe ich meine Ausführungen ebenfalls zu Protokoll **). Ich möchte 'aber meinen Ausführungen noch die herzliche Bitte an Herrn Bundesminister Ertl anschließen, daß er sie gründlich lesen und vor allem zu Herzen nehmen möge, daß er der Maßnahme zur Sanierung der bäuerlichen Wohnhäuser, dem sogenannten Bäuerinnen-Programm, auch weiterhin seine Sympathie erhalten und garantieren möge, daß sie im alten Umfang fortgeführt werde.
Danke schön, Frau Kollegin.
Als nächsten Redner rufe ich den Kollegen Sander auf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Anbetracht der vorgeschrittenen Zeit gebe ich meine Rede ebenfalls zu Protokoll. *)
Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist der Kollege Kiechle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Rahmen dieser Debatte hatte ich die Absicht, speziell zu Problemen des Grünlandes und der deutschen Milchwirtschaft zu sprechen. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit habe ich mich aber dazu entschlossen, Sie zu bitten, damit einverstanden zu sein, daß der Herr Präsident die Rede zu Protokoll nimmt. **)
Ich danke Ihnen, Herr Kollege.
Ich rufe nunmehr den Kollegen Dr. Fischer auf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf jetzt dieser Übung folgen und meine Stellungnahme zur Marktorganisation für Wein ebenfalls zu Protokoll geben. *)
*) Siehe Anlage 4 **) Siehe Anlage 5 *) Siehe Anlage 6 **) Siehe Anlage 7 *) Siehe Anlage 8
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Ich danke, Herr Kollege.
Herr von Nordenskjöld!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da wir in dieser Woche die Woche der Brüderlichkeit feiern,
gebe ich mit Rücksicht auf die fortgeschrittene Zeit meine Ausführungen, aus denen mein alter Vertrauter, der Herr Bundesminister, sicher einige Anregungen entnehmen könnte, ebenfalls zu Protokoll. **)
Der Herr Kollege Saxowski hat seine Wortmeldung zurückgezogen.
Herr Kollege Niegel!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe keine ausgearbeitete Rede, um sie zu Protokoll zu geben. Ich will nur zu zwei Punkten Stellung nehmen, nämlich zu den Äußerungen des Herrn Kollegen Dr. Schmidt , der vorhin mehr oder weniger deutlich den Mansholt-Plan herausgestellt und vor einer Nebenerwerbsideologie gewarnt hat. Ich fordere Herrn Schmidt (Gellersen) auf, das genau zu präzisieren — das wird er heute aus Zeitmangel nicht mehr können —; sonst bleibt sehr viel Unausgesprochenes im Raum.
Insbesondere, Herr Kollege Dr. Schmidt , ist bei uns in Süddeutschland — und das geht in bezug auf Struktur ziemlich weit herauf — die Nebenerwerbslandwirtschaft sehr beachtlich, und künftighin wird — wahrscheinlich bei Ihnen in Norddeutschland auch — die Nebenerwerbslandwirtschaft eine große Rolle spielen. Ich glaube, Herr Dr. Schmidt (Gellersen), daß man, wenn man die zukünftige Agrarpolitik ausrichtet, an der Nebenerwerbslandwirtschaft nicht vorbeigehen kann. Insbesondere sollte man das Instrumentarium der überbetrieblichen Zusammenarbeit, der überbetrieblichen Partnerschaft, nämlich des Maschinenrings und aller Möglichkeiten, die es hier gibt, fördern.
Ich meine, Herr Dr. Schmidt , daß wir uns, ohne in Ideologie zu machen, einigen könnten. Denn Ihre Parteifreunde in Bayern — ich meine Herrn Kronawitter und Genossen — sind mehr unserer als Ihrer Auffassung.
Ich will noch ein Wort zum Herrn Minister Ertl sagen:
Er hat bei der Einbringungsrede zum Grünen Bericht erklärt, das Städtebauförderungsgesetz der Koalition, so wie es jetzt sei, könne er akzeptieren. Ich glaube, daß sich die deutsche Landwirtschaft — der Deutsche Bauernverband hat sich kürzlich
**) Siehe Anlage 9
erst geäußert — mit dem Regierungsentwurf des Städtebauförderungsgesetzes,
so wie es vorliegt, Herr Bundesminister Ertl, keinesfalls einverstanden erklären kann; denn die Vorschriften nach § 48 Abs. 5, so wie Sie sie noch als Kompromißlösung hineingebracht haben, sind keinesfalls akzeptabel.
Herr Dr. Wagner! — Verzichtet.
Herr Kollege Schmidt ! — Verzichtet. Herr Kollege Klinker!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hätte mich ungeheuer gereizt, einiges 21.1 dem zu sagen, wais Herr Dr. Schmidt gesagt hat, und zu dem, was Herr Minister Ertl gesagt hat. Aber das ist nicht mehr drin. Deswegen gebe auch ich die Ausführungen zu Protokoll. *)
Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Tobaben hat mir ebenfalls einen Beitrag mit der Bitte um Einfügung in das Protokoll **) gegeben. Weiterhin hat der Herr Kollege Zander verzichtet.
Der Herr Minister hat ebenfalls auf eine weitere Wortmeldung verzichtet.
— Meine Damen und Herren, noblesse oblige. Nachdem der Herr Minister vorhin eine verhältnismäßig lange Redezeit in Anspruch genommen hat, war er so freundlich, nunmehr auf den sonst üblichen Debattenschluß zu verzichten. Ich darf ihm dafür danken.
Damit stehen wir am Ende des Tagesordnungspunktes 5 a). — Sie wollen noch 211 Punkt 5 a) sprechen? - Bitte !
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht um Umdruck 12 zu Punkt 5 a) ***). Ich werde mir erlauben, die Begründung im Ernährungsausschuß zu geben. Ich bitte um Überweisung an den Ernähungsausschuß.
Meine Damen und Herren! Ich habe jetzt noch eine Wortmeldung der Frau Kollegin Klee, die aber bereit ist, ihre Ausführungen zu Protokoll zu geben ****). Damit sind wir am Ende der Beratung des Tagesordnungspunktes 5 a.*) Siehe Anlage 10 **) Siehe Anlage 11 ***) Siehe Anlage 2 ****) Siehe Anlage 12
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1838 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. März 1970
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenZu Punkt 5 b list mir eine Erklärung angekündigt worden. Ich nehme an, daß der Kollege sie noch im Laufe der nächsten Minuten nachreichen wird.Ich schließe die Beratung. Wir kommen zur Ausschußüberweisung. Zu überweisen ist der in Punkt 5 a aufgeführte Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft gemäß § 4 des Landwirtschaftsgesetzes und Maßnahmen der Bundesregierung gemäß Landwirtschaftsgesetz und EWG-Anpassungsgesetz. Der Ältestenrat schlägt vor: Überweisung — federführend — an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und — mitberatend — an den Haushaltsausschuß.Dazu liegt in Umdruck 12 ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor, zu dem der Herr Kollege Bewerunge eben eine kurze Erklärung abgegeben hat. Ich schlage vor, daß die Überweisung entsprechend der zu Punkt 5 a beschlossen vorgenommen wird.Schließlich ist noch der von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Nachversicherung landwirtschaftlicher Unternehmer in der gesetzlichen 'Rentenversicherung zu überweisen. Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie Haushaltsausschuß — jeweils mitberatend — und Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung.
— Sie wünschen, daß Umdruck 12 nicht wie bei Punkt 5 a an den Haushaltsausschuß, sondern an den Finanzausschuß zur Mitberatung überwiesen wird? Umdruck 12 müßte im Hinblick auf die dort angesprochenen Probleme in jedem Fall dem Haushaltsausschuß als mitberatendem Ausschuß überwiesen werden. Ich glaube, das läßt sich gar nicht anders machen.Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wünsche für die Überweisung vor. — Die Überweisungen zu Punkt 5.a und b sind beschlossen.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den AbgeordnetenSchulhoff, Gewandt, Stücklen, Dr. Schmidt
und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes
— Drucksache VI/280 —Mir ist angekündigt worden, daß der -Herr Kollege Schulhoff seine Begründung zu Protokoll geben will t).Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben gehört, daß ich den Gesetzentwurf Drucksache VI/280 begründe. Ich gebe meine Rede zu Protokoll und bitte einverstanden zu sein, daß diese Drucksache dem Finanzausschuß
— federführend — und dem Wirtschaftsausschuß
- mitberatend — sowie dem Haushaltsausschuß überwiesen wird.
Damit ist die Beratung geschlossen. Der Ältestenrat schlägt vor: Überweisung an den Finanzausschuß
— federführend —, an den Ausschuß für Wirtschaft
— mitberatend - und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 Geschäftsordnung. - Es ist so beschlossen.
Es bleibt von der heutigen Tagesordnung noch der Punkt 7. Herr Justizminister, ich schlage vor, daß ich diesen Punkt auf die Tagesordnung von Freitag früh setze.
Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen noch eine zusätzliche Ausschußüberweisung vorschlagen. Bei dem interfraktionellen Gesetzentwurf zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964 — Drucksache VI/389 —, der heute bereits als Punkt 10 der Tagesordnung an den Finanzausschuß überwiesen worden ist, handelt es sich um eine Finanzvorlage. Der Gesetzentwurf ist deshalb nach § 96 der Geschäftsordnung auch dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Damit stehen wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich schließe die Sitzung des Deutschen Bundestages und berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag, den 12. März 1970, 14 Uhr, ein.