Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, zunächst einmal darf ich einem unserer Kollegen aus dem Hause zu seinem 60. Geburtstag gratulieren. Herr Bundesminister Dr. Lauritzen wurde gestern 60 Jahre alt. Ich darf die herzlichen Glüückwünsche des Hauses aussprechen.
Es liegt Ihnen folgende Liste von Vorlagen der Bundesregierung vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:Vorlage des Leiters der deutschen Delegation bei der Nordatlantischen VersammlungBetr. Entschließungen und Empfehlungen der 15. Jahrestagung der Nordatlantischen Versammlung vom 15. bis 21. Oktober 1969Drucksache VI 191 —zuständig: Auswärtiger Ausschuß , Verteidigungsausschußaußerdem mitberatend:Empfehlung II des politischen Ausschusses: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit;Empfehlungen I, II, III, IV, V, VI, des Wirtschaftsausschusses: Ausschuß für Wirtschaft, Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit;Empfehlung VII des Wirtschaftsausschusses: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft, Ausschuß für Wirtschaft;Empfehlung I des Ausschusses für Erziehungswesen, Kultur undInformation: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit;Empfehlung II des Ausschusses für Erziehungswesen, Kultur und Information: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft;Entschließung I des Ausschusses für Erziehungswesen, Kultur und Information: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft, Innenausschuß;Empfehlungen I, V des Ausschusses für Wissenschaft und Technik: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft, Haushaltsausschuß;Empfehlungen II. III des Ausschusses für Wissenschaft und Technik: Innenausschuß, Haushaltsausschuß;Empfehlung IV des Ausschusses für Wirtschaft und Technik: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft, Innenausschuß, Haushaltsausschuß.Vorlage des Präsidenten des Europäischen ParlamentsBetr. Entschließung zu dem Assoziierungsabkommen zwischen der EWG und den assoziierten afrikanischen Staaten und Madagaskar- Drucksache VI/224 —zuständig: Auswärtiger Ausschuß , Ausschuß für Wirtschaft, Ausschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitVorlage des Präsidenten des Europäischen ParlamentsBetr. Entschließung zu dem Assoziierungsabkommen zwischen der EWG und der Vereinigten Republik Tansania, der Republik Uganda und der Republik Kenia— Drucksache VI/225 —zuständig: Auswärtiger Ausschuß , Ausschuß für Wirtschaft, Ausschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitVorlage der Deutschen Delegation bei der Versammlung der Westeuropäischen UnionBetr. Bericht über die Tagung der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 5. bis 10. Dezember 1969 in Paris— Drucksache VI/231 —zuständig: Auswärtiger Ausschuß , Verteidigungsausschuß, Ausschuß für Bildung und Wissenschaft, Ausschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitErhebt sich gegen die beabsichtigte ÜberweisungWiderspruch? — Ich stelle fest, das ist nicht der Fall.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um dieBeratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP betr. Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Europäischen Parlament— Drucksache VI/250 —Das Haus ist wohl damit einverstanden, daß wir diese Vorlage heute beraten.Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesminister der Finanzen hat am 15. Januar 1970 die Kleine Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Finanzwirksame Anträge und Forderungen der Opposition — Drucksache VI/199 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/243 verteilt.Der Vorsitzende des Vermittlungsausschusses hat mit Schreiben vom 20. Januar 1970 mitgeteilt, daß der Vermittlungsausschuß in seiner heutigen Sitzung das vom Deutschen Bundestag in seiner 21. Sitzung am 12. Dezember 1969 beschlosseneGesetz über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes
bestätigt habe. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/252 verteilt.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Richtlinie des Rates über die Einführung einer gemeinsamen Police für mittel- und langfristige Geschäfte mit öffentlichen Käufern— Drucksache VI/232 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft , Haushaltsausschuß mit der Bitte uni Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Aufnahme weiterer Waren in die gemeinsame Liberalisierungsliste der Verordnung Nr. 2041/68 des Rates vom 10. Dezember 1968— Drucksache VI/233 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Ratesüber die Wiedereinführung des Zollsatzes und die Eröffnung eines Gemeinschaftszollkontingents für Grège, weder gedreht noch gezwirnt, der Tarifnummer 50.02 des Gemeinsamen Zolltarifs
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1002 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Präsident von Hasselüber die Wiedereinführung des Zollsatzes und die Eröffnung eines Gemeinschaftszollkontingents für Seidengarne, nicht in Aufmachung für den Einzelverkauf, der Tarifnummer 50.04 des Gemeinsamen Zolltarifsüber die Wiedereinführung des Zollsatzes und die Eröffnung eines Gemeinschaftszollkontingents für Schappeseidengarne, nicht in Aufmachung für den Einzelverkauf, der Tarifnummer 50.05 des Gemeinsamen Zoltlarifs— Drucksache VI/234 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Ratdie Verordnung Nr. 2607'69 des Rates vorn 15. Dez. 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Gerbstoffauszüge aus Eukalyptus der Tarifnummer ex 32.01 D des Gemeinsamen Zolltarifs (1970)die Verordnung Nr. 2608/69 des Rates vom 15. Dez. 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Zeitungsdruckpapier der Tarifnummer 48.01 des Gemeinsamen Zolltarifs (1970)die Verordnung Nr. 2609/69 des Rates vorn 15. Dez. 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Leinengarne, roh (ausgenommen Garne aus Flachswerg), der Tarifnummer ex 54.03 B I a) des Gemeinsamen Zolltarifs, mit einer Lauflänge je kg von 30 000 m oder weniger zum Herstellen von gezwirnten Garnen für die Schuhindustrie oder von gezwirnten Kabelabbindegarnen (1970)die Verordnung Nr. 2610/69 des Rates vom 15. Dez. 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung der Gemeinschaftszollkontingente für auf Handwebstühlen hergestellte Gewebe aus Seide oder Schappesefde oder aus Baumwolle der Tarifnummern ex 50.09 und ex 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs (1970)die Verordnung Nr. 1611/69 des Rates vorn 15. Dez. 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Ferrosilizium der Tarifnummer 73.62 C des Gemeinsamen Zolltarifs (1970)die Verordnung Nr. 2612/69 des Rates vorn 15. Dez. 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Ferrosiliziummangan der Tarifnummer 73.02 D des Gemeinsamen Zolltarifs (1970)die Verordnung Nr. 2613/69 des Rates vorn 15. Dez. 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Ferrochrom mit einem Gehalt an Kohlenstoff von 0,10 Gewichtshundertteilen oder weniger und an Chrom von mehr als 30, doch nicht mehr als 90 Gewichtshundertteilen (hochraffiniertes Ferrochrom) der Tarifnummer ex 73.02 E I des Gemeinsamen Zolltarifs (1970)die Verordnung Nr. 2614/69 des Rates vorn 15. Dez. 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Rohaluminium der Tarifnummer 76.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs (1970)die Verordnung Nr. 2615/69 des Rates vorn 15. Dez. 1969 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Rohmagnesium der Tarifnummer 77.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs (1970)überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnungen erhoben werdenWir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:Fragestunde— Drucksachen VI/245, VI/251 —Ich verweise darauf, daß wir, da morgen und übermorgen das Plenum wegen der Sitzungen der Ausschüsse — insonderheit in Berlin — ausfällt, heute zwei Fragestunden durchführen, jetzt von 9 bis 10 Uhr und dann wieder von 14 bis 15 Uhr.Ich rufe die Dringlichen Mündlichen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf. Zunächst die Frage 1 des Abgeordneten Tallert. Ist der Abgeordnete im Saal? — Dann wird diese Frage schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 2. Ich darf aber die Erwartung des Hohen Hauses zum Ausdruck bringen, daß dann, wenn Dringlichkeitsfragen eingereicht werden und der Präsident diese zuläßt und damit andere Fragesteller zurückweisen muß, die Herren auch im Hause anwesend sind, wenn diese Fragen morgens als erste aufgerufen werden.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten von Thadden auf:Hat die Bundesregierung die Bereitschaft der nigerianischen Regierung für Gespräche mit der sogenannten „Haager Gruppe" von 14 Staaten, welche am vergangenen Freitag in Genf über eine direkte Hilfsaktion in das Bürgerkriegsgebiet von Nigeria, u. a. durch Abwerfen von Lebensmitteln aus der Luft, beraten hat, erkundet, und hat sie sich. um solche Pläne zu verwirklichen, deshalb mit Kaiser Haile Selassie, Vorsitzender der OAU, in Verbindung gesetzt?Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dahrendorf.
Herr Präsident, gestatten Sie mir, daß ich in Beantwortung der Frage vorweg sage, daß die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage ist, dem in der letzten Fragestunde am Freitag Gesagten Wesentliches hinzuzufügen. Die Bundesregierung hat, nicht zuletzt im Hinblick auf die Sorgen dieses Hauses, Graf von Posadowsky-Wehner, der in Westafrika sehr angesehen ist, am 20. dieses Monats als Sonderbotschafter nach Lagos entsandt, um uns von dort weitere Informationen zu geben und zugleich zu überprüfen, welche Koordinationsmöglichkeiten es für die Hilfsmaßnahmen gibt. Das gilt insbesondere für die Frage, die Herr Kollege von Thadden gestellt hat; denn es handelt sich im Augenblick sehr weitgehend um eine Frage der Verteilung dessen, was an Hilfsmaßnahmen im Lande geschieht.
Unverändert ist die Bundesregierung allerdings der Auffassung, daß eine Zersplitterung der Hilfsmaßnahmen durch immer neue Initiativen sich nicht empfiehlt und daß aus diesem Grunde auch der Versuch, über Kaiser Haile Selassie einen weiteren Weg zu erschließen, zu diesem Zeitpunkt nicht erforderlich war.
Gestatten Sie mir, daß ich in Beantwortung der Frage noch am Rande bemerke, daß die Haager Gruppe nicht über einen Plan beraten hat, unabhängig von Beratungen mit der nigerianischen Regierung, Lebensmittel aus der Luft abzuwerfen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Thadden.
Hat die Bundesregierung bei der nigerianischen Regierung um die Erlaubnis zur Benutzung des Flugplatzes Uli für internationale Organisationen nachgesucht, nachdem nach neueren Meldungen dieser Flugplatz brauchbar ist bzw. ohne Schwierigkeiten instand gesetzt werden kann und dies die einzige Möglichkeit für lebensrettende Hilfe darstellen würde?
Der Bundesregierung ist diese Tatsache bekannt. Sie hat daher den Sonderbotschafter beauftragt, gerade auch diese Frage unmittelbar und rasch zu prüfen. Die Schwierigkeit liegt darin, daß der Sonderbotschafter gestern früh nach Lagos geflogen ist und daß jetzt noch keine Nachrichten vorliegen, die es mir erlauben würden, Ihnen Näheres zu sagen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1003
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Thadden.
Kann die Bundesregierung Auskunft geben, ob die zwei Millionen Menschen, deren Existenz zuletzt von der täglichen Versorgung durch die kirchlichen Hilfswerke und deren Verteilerzentren abhing, nach den letzten zehn Tagen noch leben?
Leider kann ich zu dieser Frage keine präzise Auskunft geben.
Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Althammer.
Herr Staatssekretär, weiß die Bundesregierung etwas darüber mitzuteilen, ob die großen Nahrungsmittelvorräte, die auf São Tomè und anderenorts lagern, in die Notgebiete gebracht werden können?
Gerade darin liegt das Problem, das ich soeben angedeutet habe. Es ist uns bekannt, an welchen Orten zum Teil sehr erhebliche Nahrungsmittelvorräte lagern. Gegenwärtig werden bereits von einer ganzen Reihe von Orten Nahrungsmittel in das zentrale Ibo-Gebiet gebracht. Speziell für São Tomé kann ich die Frage nicht beantworten. Ich will sie aber gern speziell auch für diesen Bereich überprüfen.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Althammer.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung etwas über das Schicksal der Kriegsgefangenen im Kampfgebiet bekannt?
Alle Informationen, die wir über das Schicksal der Kriegsgefangenen im Kampfgebiet haben, besagen, daß sie so behandelt werden, wie es den Grundsätzen des Völkerrechts und den internationalen Abmachungen entspricht.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nunmehr die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf, und zwar die Fragen 1 und 2 des Abgeordneten Dr. Häfele. Ist der Abgeordnete im Saal? — Das ist nicht der Fall. Dann werden die Fragen schriftlich beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf, zunächst die Frage 3 des Abgeordneten Barche:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Versuch einer Münchener Hypothekenbank, zur Sicherung von Baukrediten statt der hierfür regelmäßig verwendeten Hypothek mit Hypothekenbriefen die brieflose Hypothek zu verwenden, gescheitert ist an einer Grundsatzentscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichtes vom 28. November 1968 ?
Ist der Abgeordnete im Saal? — Bitte, zur Beantwortung Herr Bundesminister Jahn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich wäre dankbar, Herr Präsident, wenn ich die beiden Fragen im Zusammenhang beantworten dürfte.
Keine Bedenken! — Dann rufe ich noch die Frage 4 des Abgeordneten Barche auf:
Ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß durch die derzeitige Regelung mit dem Hypothekenbrief und der damit verbundenen Überlastung der Grundbuchämter erhebliche Bauverzögerungen und Baukostensteigerungen eintreten und diese Erschwernisse für die Hypothekenbanken, Grundbuchämter und Bauherren durch Beseitigung des § 39 der Grundbuchordnung beseitigt werden könnten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die in der Anfrage erwähnte Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichtes ist nicht vom 28. November 1968, sondern vom 28. November 1969 und mir erst auf Grund der Anfrage bekanntgeworden. Eine generelle Aufhebung des § 39 der Grundbuchordnung ist nicht angezeigt. Die Vorschrift gilt allgemein für alle Eintragungen und bewirkt eine zusätzliche Sicherung gegen Verfügungen Nichtberechtigter.
Erwogen werden könnte allerdings eine Änderung des geltenden Rechts dahingehend, daß hinsichtlich der vorläufigen Eigentümergrundschulden bei Buchhypotheken die Eintragung einer Abtretung oder ähnlicher Rechtsgeschäfte im Grundbuch ermöglicht wird. Ob sich insoweit eine Gesetzesänderung empfiehlt, bedarf jedoch eingehender Erwägungen und kann nicht in dem durch die Fragestunde vorgezeichneten Rahmen beantwortet werden. Das Bundesministerium der Justiz wird diese Frage im Zusammenhang mit den in Aussicht genommenen Erörterungen über andere das Hypothekenrecht berührende gesetzgeberische Maßnahmen näher prüfen.
Eine Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete Barche.
Herr Minister, würden Sie meiner Auffassung zustimmen, daß die Erschwernisse durch die derzeitige Regelung für die Bauherren aus Arbeitnehmerkreisen besonders stark sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann nicht erkennen, Herr Kollege Barche, wieso gerade Bauherren aus Arbeitnehmerkreisen durch diese für jeden geltende gesetzliche Regelung besonders beschwert sein sollen. Bisher sind der Bundesregierung auch keine Hinweise darüber zugegangen, daß hier eine allgemeine Benachteiligung vorliege.
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1004 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Keine Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf, zunächst die Frage 5 des Abgeordneten Jung:
Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, eine leistungsgerechte Bezahlung der Assistenzärzte an Krankenhäusern zu erreichen?
Der Abgeordnete ist im Saal. — Zur Beantwortung, Herr Bundesminister Genscher.
Herr Abgeordneter, ich gehe davon aus, daß Ihre Frage auf das zur Zeit in der Öffentlichkeit und auch in der Fragestunde vom 12. Dezember 1969 erörterte Problem der finanziellen Abgeltung von Mehrleistungen der beamteten Assistenzärzte abzielt. Nach dem derzeit geltenden Beamtenrecht ist zwar die Zahlung einer Überstundenvergütung an Beamte nicht zulässig; dennoch hat die Bundesregierung wiederholt erklärt, daß sobald wie möglich gesetzliche Grundlagen geschaffen werden sollen, die die finanzielle Abgeltung von Mehrleistungen der Beamten bundeseinheitlich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen regeln. Ich darf in diesem Zusammenhang nur daran erinnern, daß dieses Problem z. B. auch im Bereich der Polizei von besonderer Dringlichkeit ist.
Im übrigen handelt es sich bei den Assistenzärzten an den Krankenhäusern um Landesbeamte. Für die Behebung der aufgetauchten Schwierigkeiten sind daher in erster Linie die Länder zuständig. Soweit aber die Bundesregierung hier unterstützend eingreifen kann, wird es geschehen. Aus Pressemeldungen entnehme ich im übrigen, daß die nordrhein-westfälische Landesregierung durch neue Maßnahmen die Lage der Assistenzärzte an den Universitätskliniken des Landes nicht unerheblich verbessern will.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Schwabe — ist der Abgeordnete im Saal? — auf:
Ist es zumutbar, einem Bundesbediensteten Trennungsentschädigung oder Fahrtkostenzuschuß zu versagen, wenn Arbeits- und Wohngemeinde zwar mit ihren peripheren Grenzen weniger als 15 km voneinander entfernt sind, der eigentliche Arbeitsweg von der Wohnung zum Arbeitsplatz aber sehr viel weiter ist?
Bitte, Herr Bundesminister!
Das von Ihnen aufgezeigte Problem, Herr Abgeordneter, hängt mit der Wiedereinführung des Einzugsgebietes in § 1 der Trennungsgeldverordnung vom 12. Dezember 1965 durch die Änderungsverordnung vom 30. Mai 1968 zusammen. Durch diese Verordnung ist der Bereich des Dienstortes, der bis dahin nur die Nachbarorte einschloß, auf die unter dem Begriff „Einzugsgebiet eines Dienstortes" zusammengefaßten Gemeinden und Gemeindeteile ,erweitert worden.
Die Wiedereinführung des Einzugsgebietes geht auf den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 8. Dezember 1967 zurück, in dem die Bundesregierung ersucht wurde, die Trennungsgeldverordnung dahingehend zu ändern, daß der Begriff des Dienstortes um das Einzugsgebiet erweitert wird.
Die Bundesregierung hat diesem Ersuchen in vollem Umfange Rechnung getragen und erwägt nicht, diesen wohlabgewogenen Beschluß des Hohen Hauses wieder aufzuheben. Der Deutsche Bundestag hat sich bereits in der Fragestunde der 196. Sitzung am 5. November 1968 und in späteren Fragestunden mit dieser Frage befaßt. Ich darf, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die Sitzungsprotokolle, die ich Ihnen gern zur Verfügung stellen will, verweisen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schwabe.
Unter Würdigung der seinerzeit neugeschaffenen gesetzlichen Lage und im Hinblick darauf, daß die Bundesregierung auf eine kontinuierliche Gestaltung der Dinge bedacht sein muß, möchte ich doch fragen, ob nicht diese gesetzlichen Bestimmungen so zahlreiche Härten mit sich gebracht haben, daß man veranlaßt ist, neue Überlegungen anzustellen.
Ich will gern eine allgemeine Überprüfung durch Rückfragen über die Erfahrungen in allen Teilen der Bundesrepublik vornehmen. Ich kann aber heute noch nicht sagen, ob das ausreichender Anlaß sein wird, diese Regelung, Herr Abgeordneter, aufzuheben oder zu ändern.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schwabe.
Würden Sie, Herr Minister, die Freundlichkeit haben, bei dieser Gelegenheit auch Ihre Mitarbeiter, die diese Recherchen anstellen, darauf achten zu lassen, ob nicht die nunmehr in den Überprüfungen neu stattfindenden Entscheidungen so ausgelegt werden, als ob sie eine unbillige Härte der neuen Bundesregierung gegenüber den Arbeitnehmern seien?
Ich will das gern in den Bereich der Prüfung mit einbeziehen lassen.
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Dr. Rinderspacher der Abgeordnete ist im Saal — auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Alarmmeldungen der Presse, wonach die Schweiz 80 % der Kühlwasserkapazität des Hochrheins für den Bau von Kernkraftwerken beansprucht und durch rasches Handeln unabänderliche Fakten schaffen wolle?
Zur Beantwortung Herr Bundesminister Genscher!
Bevor ich zur Beantwortung komme, Herr Präsident, darf ich darauf hinweisen, daß diese Fragen fast gleichlautend sind mit den Fragen des Herrn Abgeordneten Offergeld. — Ich komme nunmehr zur Beantwortung — —
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1005
Verzeihung, Sie würden also alle vier Fragen zusammen beantworten?
Wenn die Herren Kollegen einverstanden sind, würde ich das gern tun.
Dann rufe ich auch die Frage 8 des Abgeordneter Dr. Rinderspacher und die Fragen 13 und 14 des Abgeordneten Offergeld auf:
Welche Folgerungen würde ein solches schweizerisches Vorgehen haben für die künftige Entwicklung des Hochrheingebietes und insbesondere für seine Stromversorgung in den kommenden Jahrzehnten?
Wie beurteilt die Bundesregierung die in der Schweiz bestehenden Pläne, die Kühlwasserkapazität des Hochrheins oberhalb Basel zu 80 Prozent für Schweizer Atomkraftwerke zu nutzen?
Tst die Bundesregierung bereit, in der Frage der Kühlwassernutzung des Hochrheins auf diplomatischem Wege die Schweiz zu einer stärkeren Berücksichtigung deutscher Interessen zu bewegen?
Bitte schön, zur Beantwortung der Herr Bundesminister!
Zwischen den zuständigen Behörden der Schweiz und dem Innenministerium des Landes Baden-Württemberg werden seit längerer Zeit Gespräche über die Errichtung von Kernkraftwerken auf schweizerischem Gebiet am Hochrhein geführt. Dabei wurde davon ausgegangen, daß das Wasser des Rheines für die Kühlung dieser Anlagen nur in vertretbarem Umfange genutzt und eine Aufteilung der nutzbaren Kühlwassermengen auf Baden-Württemberg und die Schweiz zu etwa gleichen Teilen angestrebt wird.
Vor wenigen Tagen hat der Ministerpräsident von Baden-Württemberg den Herrn Bundesminister des Auswärtigen gebeten, daß sich das Auswärtige Amt nun in die Verhandlungen einschalten möge. Die schweizerischen Ansprüche auf die Kühlwasserkapazität des Hochrheins seien neuerdings weit höher, als man erwartet habe. Diese Forderungen stünden nicht im Einklang mit den Regeln des internationalen Wasserrechts.
Die Bundesregierung wird in den nächsten Tagen mit der Regierung von Baden-Württemberg die Sachlage erörtern und daraufhin die Aufnahme von Gesprächen mit der schweizerischen Bundesregierung in die Wege leiten. Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß die Schweiz sich nicht in der Lage fühlt, eine Entscheidung über die Standorte ihrer Kernkraftwerke auf längere Zeit hinauszuschieben. Die Bundesregierung geht aber davon aus, daß die schweizerische Bundesregierung vor Gesprächen mit der Bundesregierung keine unabänderlichen Fakten schaffen wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Rinderspacher.
Bedeutet das, Herr Minister, daß die Meldungen der Presse in der Form, wie sie gegeben wurden, nämlich, daß die Fakten geschaffen werden sollen, richtig sind?
Es ist nicht auszuschließen.
Eine weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Dr. Rinderspacher.
Darf ich dann fragen, Herr Minister: Welche Schritte kann und will die Bundesregierung unternehmen, um die Schaffung eines fait accompli zu verhindern?
Die schnellste Aufnahme von Verhandlungen mit der schweizerischen Bundesregierung durch das Auswärtige Amt scheint mir der einzig mögliche, aber auch der einzig geeignete Schritt zu sein, um die von Ihnen und der Bundesregierung gleichermaßen befürchtete Entwicklung aufzuhalten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Offergeld.
Würde die Bundesregierung etwa bestehende Pläne, die Kühlwasserkapazität des Hochrheins zu 80 % für die Schweiz zu nutzen, für angemessen halten?
Die Tatsache, daß die Bundesregierung, um dies zu verhindern, Verhandlungen aufnehmen will, zeigt Ihnen, Herr Kollege, daß wir hier Ihre Sorge teilen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Fragen 9 und 10 des Abgeordneten Schirmer:
Welche Förderungsmaßnahmen hat die Bundesregierung getroffen oder geplant, um in Bundeswehr und Bundesgrenzschutz —sowie in Abstimmung mit den Innenministern der Bundesländer für die Polizei — den „Modernen Fünfkampf" besonders zu fördern, da bereits seit Jahrzehnten bekannt ist, daß diese Sportart in erster Linie bei den Militär- und Polizeieinheiten gepflegt wird?
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeiten, nicht nur die im Dienste der Bundeswehr, des Bundesgrenzschutzes und der Polizei der Bundesländer stehenden Fünfkämpfer in die Förderungen zur Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft der „Modernen Fünfkämpfer" — im August dieses Jahres in Warendorf — einzubeziehen?
Der Abgeordnete Schirmer ist erkrankt. Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Frage 11 des Abgeordneten Müller
Wird die Bundesregierung erste Versuche zur Einführung der gleitenden Arbeitszeit im öffentlichen Dienst zum Anlaß nehmen, sich über die dabei gesammelten Erfahrungen zu unterrichten?
Mein Haus beobachtet die verschiedenen Versuche der Einführung einer gleitenden Arbeitszeit in der Wirtschaft ebenso wie in einzelnen Stellen der öffentlichen Verwaltung. Ich bemühe mich, die dabei gewonnenen Erfahrungen zu nutzen. Man wird allerdings noch einige Zeit abwarten müssen, um aus diesen Versuchen vollgültige Schlußfolgerungen ziehen zu können.
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1006 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Müller .
Darf ich daraus folgern, Herr Minister, daß Sie keine Bedenken gegen solche Regelungen sehen, soweit sie sich in Übereinstimmung mit dem öffentlichen Dienstrecht befinden?
Ich habe keine Bedenken, und ich würde es sogar begrüßen, wenn an verschiedenen Stellen diese Versuche unternommen würden. Wenn die Versuche das Gegenteil beweisen würden, müßte man sich neu entscheiden. Aber im Augenblick halte ich es für begrüßenswert, wenn in einzelnen Dienststellen derartige Versuche unternommen werden.
Frage 12 des Abgeordneten Müller :
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit, gleitende Arbeitszeitregelungen auch im Bereich der Bundesbehörden einzuführen?
Wie ich bereits am 12. Dezember 1969 in der Fragestunde ausgeführt habe, besteht die Möglichkeit zur Einführung einer gleitenden Arbeitszeit im Bereich der Bundesverwaltung und in einzelnen Verwaltungszweigen rechtlich durchaus. Eine generelle Festlegung ist wegen der unterschiedlichen Bedürfnisse der einzelnen Verwaltungszweige nicht möglich.
Über die ersten Überlegungen hinaus, die in der damaligen Antwort genannt und schon früher angestellt worden sind, sind jetzt konkretere Planungen eingeleitet worden. So beabsichtigt z. B. der Bundesminister für Verkehr ab 1. April 1970 in seinem Hause versuchsweise die gleitende Arbeitszeit als Modellfall für die Bundesbehörden einzuführen; Einzelheiten werden zwischen dem Bundesminister für Verkehr und mir abgestimmt.
Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Müller .
Darf ich also davon ausgehen, daß Sie auch eine Wechselbeziehung zwischen den sehr unerfreulichen Verkehrsverhältnissen in Bonn und diesen Bemühungen sehen?
Ja. Ich sehe eines der Hauptmotive für die Einführung einer gleitenden Arbeitszeit auch darin, zu einer Entlastung der Nahverkehrsmittel und der Straßen zu kommen.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Brandt auf:
Warum sieht sich die Bundesregierung nicht in der Lage, Einburgerungsanträgen von Ausländern stattzugeben, obwohl sie sich seit vielen Jahren in die deutschen Lebensverhältnisse eingeordnet heben, mit einer Deutscher, verheiratet sind, in Deutschland eine Familie gegründet haben, in Deutschland ausgebildet wurden und hier ihren Beruf ausüben?
Einbürgerungsanträgen von Ausländern, die die in der Frage genannten Voraussetzungen erfüllen, wird in aller Regel stattgegeben. Ausnahmen werden nur gemacht, wenn der Einbürgerung erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere solche der äußeren und der inneren Sicherheit sowie der zwischenstaatlichen Beziehungen entgegenstehen. Zu den zwischenstaatlichen Beziehungen in diesem Sinne rechnet auch, Herr Kollege, die Entwicklungshilfepolitik. Die Ausnahmen stützen sich rechtlich auf § 9 Abs. 1 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes.
Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Brandt .
Herr Minister, würden Sie dabei auch berücksichtigen, daß für manche dieser Leute, die Einbürgerungsanträge gestellt haben, subjektiv die Rückkehr in ihre Länder erschwert oder unmöglich gemacht worden ist, weil sich mittlerweile während ihres Aufenthalts in Deutschland die politischen Verhältnisse in ihren Ländern verändert haben?
Herr Kollege, ich habe, soweit wir damit befaßt sind, in meinem Hause Anweisung gegeben, gerade diese Umstände sehr sorgfältig zu würdigen.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Brandt .
Kann man davon ausgehen, daß schon erfolgte Ablehnungen unter Würdigung dieser Umstände noch einmal überprüft werden?
Wenn die Anträge neu gestellt werden, sicher.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Arndt .
Herr Minister, ist die Bundesregierung bereit, bei Gruppen von Ausländern, die durch die internationalen Ereignisse in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts praktisch heimatlos geworden sind und zufällig die Staatsangehörigkeit eines Aufnahmelandes besitzen, besonders großzügig zu verfahren? Ich denke insbesondere an die Armenier, die bei den Armenierverfolgungen in der Türkei und anderen Ländern heute alle möglichen Staatsangehörigkeiten haben.
In diesen Fällen wird besonderes Verständnis gezeigt werden.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Wolf.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1007
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, trifft es zu, daß bei der Eingliederung von besonders qualifizierten Ausländern zunächst eine Freigabe des Heimatlandes vorliegen muß und, wenn ja, in welchem Umfang?
Es ist denkbar, daß das in Einzelfällen erforderlich ist. Ich kann Ihnen, wenn Sie es wünschen, schriftlich eine genaue Auskunft geben. Im Augenblick bin ich aber dazu nicht in der Lage.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Brandt auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung ihrer Vorgängerin, daß es sich bei der Ehe eines Ausländers mit einer Deutschen und bei der Ehe eines Deutschen mil einer Ausländerin um zwei wesensverschiedene Tatbestände handelt?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.
Die Bundesregierung teilt die in § 9 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes zum Ausdruck gekommene Auffassung des Gesetzgebers. Sie ist deshalb nicht der Meinung, daß es sich bei der Ehe eines Ausländers mit einer Deutschen und bei der Ehe eines Deutschen mit einer Ausländerin um zwei wesensverschiedene Tatbestände handelt.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Leicht auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, urn ähnliche Vorgänge, wie sie sich in Braunschweig am 17. Dezember 1969 in der Aula der Staatlichen Hochschule für Bildende Kunst abgespielt haben, in Zukunft zu verhindern ?
Ist der Abgeordnete im Saal? — Er ist anwesend. Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung nimmt Ihre Frage gern zum Anlaß, hier vor dem Hohen Hause zum Ausdruck zu bringen, daß sie die von Ihnen in der Frage genannten Ereignisse vom 17. Dezember 1969 in Braunschweig nicht nur bedauert, sondern auch alles unternehmen wird, um eine Wiederholung der Ereignisse dieser Art zu unterbinden. Der niedersächsische Minister des Innern hat mich unterrichtet, daß es sich bei den Ereignissen am 17. Dezember 1969 in der Braunschweiger Werk- und Kunstschule und der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste um eine sogenannte Weihnachtsfeier gehandelt habe, die vom AStA veranstallet wurde. Für die Behandlung der Angelegenheiten ist entsprechend der Kompetenverteilung nach dem Grundgesetz ausschließlich, wie Sie wissen, das Land Niedersachsen zuständig. Es ist mir jedoch bekannt, daß in dieser Angelegenheit Strafverfahren eingeleitet worden sind. Im übrigen will ich die nächste Innenministerkonferenz zum Anlaß nehmen, mit den Kollegen der Länder zu prüfen, wie auf jeden Fall ausgeschlossen werden kann, daß bei vermuteten Ereignissen dieser Art auch noch öffentliche Gebäude zur Abhaltung zur Verfügung gestellt werden.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Hansen auf:
Treffen die Vorwürfe zu, die zuletzt in der Fernsehsendung Report am 22. Dezember 1969 erhoben wurden, daß regierungstreue, als Studenten getarnte griechische Offiziere in der Bundesrepublik Deutschland ihre demokratisch gesinnten Landsleute durch Androhung oder Anwendung von Gewalt terrorisieren?
Ist der Abgeordnete im Saal? — Er ist anwesend. Bitte, Herr Bundesminister!
Herr Kollege, der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, daß als Studenten getarnte griechische Offiziere ihre in der Bundesrepublik lebenden, dem derzeitigen Regime in Griechenland ablehnend gegenüberstehenden Landsleute durch Androhung oder Anwendung von Gewalt terrorisieren.
Herr Präsident, darf ich mit Erlaubnis des Herrn Kollegen gleich die zweite Frage noch beantworten?
Keine Bedenken. Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Hansen auf:
Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um die griechischen Gastarbeiter innerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Zukunft wirksam gegen diese Übergriffe zu schützen?
Sollten der Bundesregierung Übergriffe dieser Art oder auch nur Versuche bekanntwerden, so wird sie alles tun, um den in der Bundesrepublik lebenden Griechen den ihnen nach dem Gesetz zustehenden Schutz zuteil werden zu lassen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Minister, sind in der Vergangenheit Abgesandte der griechischen Militärregierung krimineller Delikte in der Bundesrepublik überführt worden? Wie wurde mit ihnen verfahren?
Es gibt in diesem Zusammenhang Straftaten, Herr Kollege. Aber diese Straftaten haben noch keine Sachverhalte ergeben, die zu einer Überführung im Sinne einer rechtskräftigen Verurteilung geführt haben.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Ist die Bundesregierung bereit, weiteres Material zu prüfen mit dem Ziel, vorbeugende Maßnahmen einzuleiten zum besseren Schutz der Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland?
Es handelt sich hier um ein ganz allgemeines Problem der Aktivitäten in der Bundesrepublik lebender Ausländer verschiedener Richtungen. Ich habe mich bei Übernahme meines Amtes dieser Aufgabe in besonderem Maße angenommen und hoffe, durch personelle Verstärkung in bestimmten Bereichen sicherzustel-
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1008 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Bundesminister Genscherlen, daß Rivalitätskämpfe dieser Art, insbesondere wenn sie bis zur Androhung von Gewalt oder Gewaltausübung selbst gehen, auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wirksam unterbunden werden können.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Pensky auf:
Hält es die Bundesregierung mit dem Gleichheitsgrundsatz des Artikels 3 des Grundgesetzes für vereinbar, daß gemäß § 71 BRRG, § 123 BBG und in Anlehnung an diese Vorschriften auch nach § 131 LBG/NRW die Witwe eines Ruhestandsbeamten kein Witwengeld erhält, wenn der Beamte zur Zeit der Eheschließung das 65. Lebensjahr bereits vollendet hatte, demgegenüber aber die Witwe eines Empfängers von Angestellten-, Knappschaftsund Invalidenrenten ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Eheschließung ein Anspruch auf Witwengeld zusteht?
Ist der Abgeordnete im Saal? — Er ist anwesend. Bitte schön, zur Beantwortung!
Mit Erlaubnis des Herrn Kollegen darf ich die Fragen zusammen beantworten.
Keine Bedenken.
Dann rufe ich die Frage 21 des Abgeordneten Pensky auf:
Gedenkt die Bundesregierung die Initiative zu ergreifen, um die in dieser unterschiedlichen gesetzlichen Regelung liegende Diskriminierung der Ruhestandsbeamten zu beseitigen?
Die Versorgung der angesprochenen sogenannten nachgeheirateten Witwen ist in § 125 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes und den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften dadurch ausreichend gesichert, daß diese Witwen einen Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag in Höhe des Witwengeldes haben, auf den Einkünfte der Witwe anzurechnen sind. Verfassungsgrundsätze sind wegen der andersartigen Regelung im Rentenrecht nicht verletzt. Der Gleichheitssatz läßt es durchaus zu, vergleichbare Tatbestände im Rahmen verschiedenartiger Ordnungssysteme rechtlich unterschiedlich zu behandeln.
Eine Diskriminierung der Ruhestandsbeamten, die rechtlich insgesamt einem andersartigen Versorgungssystem zugeordnet sind, wird ebenfalls nicht gesehen. Gleichwohl wird die Bundesregierung bei der fortlaufenden Anpassung des Beamtenrechts an die gesellschaftspolitische Entwicklung dieser Frage ihre besondere Aufmerksamkeit zuwenden.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Pensky.
Herr Bundesminister, Sie stimmen mir damit zu, daß doch ein Unterschied besteht zwischen Versorgungsbezügen, die ja auf einer Muß-Bestimmung beruhen, und den Unterhaltsbeiträgen, die auf einer Kann-Bestimmung beruhen.
So ist es.
Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Pensky.
Herr Bundesminister, nur zur weiteren Verdeutlichung des Problems, aus eigener Erfahrung — nicht persönlicher, sondern nur durch Kenntnisnahme — weiß ich, daß diese beamtenrechtliche Bestimmung geradezu —
Verzeihung, Sie müssen es in eine Frage kleiden, Herr Kollege. Ich weiß nicht, ob die Frage noch kommt.
Ich frage Sie, Herr Bundesminister, sind Sie nicht mit mir einer Auffassung, daß eine solche beamtenrechtliche Bestimmung geradezu zu der sognannten Onkelehe animiert, und hält die Bundesregierung einen solchen Zustand für wünschenswert?
Die Bundesregierung würde eine solche Konsequenz, wenn sie sich ergäbe, nicht für wünschenswert halten. Allerdings sehe ich im Augenblick dafür auch keine Anhaltspunkte. Immerhin darf Ihnen, Herr Kollege, die Ankündigung, daß wir im Rahmen der Fortentwicklung des Beamtenrechts mit besonderer Sorgfalt auch diese Frage prüfen wollen, zeigen, daß die Bundesregierung nicht grundsätzlich ausschließt, eine Änderung in dem von Ihnen erstrebten Sinne ins Auge zu fassen.
Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Benda auf:
Wenn Pressemeldungen zutreffen, daß der Bundesminister des Innern die Aufhebung des von seinem Ministerium gegen den Führer der amerikanischen Negerorganisation „Schwarze Panther", Elbert Howard, verfügten Einreiseverbots angeordnet hat — welche Überlegungen lagen seiner Entscheidung zugrunde?
Zur Beantwortung, Herr Bundesminister.
Herr Kollege, bei der von mir verfügten Aufhebung der Grenzsperre gegen den Angehörigen der amerikanischen Negerorganisation „Black Panther", Elbert Howard, handelt es sich um einen typischen Grenzfall der Ermessensausübung. Es gab und gibt gute Gründe dafür, solche Ausländer, die im Verdacht stehen, sich politisch extrem zu betätigen, und bei denen damit gerechnet werden muß, daß sie sich in der Bundesrepublik in einer Weise betätigen, die eine Ausweisung rechtfertigen würde, an der Einreise zu hindern. Überzeugender läßt sich aber im allgemeinen der Standpunkt vertreten, daß diesen Ausländern jedenfalls so lange das Gastrecht gewährt werden sollte, als sie nicht nachweislich gegen unsere Gesetze verstoßen. Als politisch verantwortlicher Minister habe ich mich in diesem Falle nach eingehender Prüfung aller vorliegenden Erkenntnisse dafür entschieden, Howard einreisen zu lassen.Ich erkläre aber ausdrücklich, daß ich auch Verständnis für die andere Auffassung habe, schon beim Vorliegen von Verdachtsmomenten ohne konkretere Anhaltspunkte ein Einreiseverbot zu verhängen. Aus diesem Grunde liegt mir hier vor dem Hohen Hause an der Feststellung, daß die an der ursprünglichen Entscheidung mitwirkenden Beamten meines
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Bundesminister GenscherHauses von jedem irgendwie gearteten Vorwurf freizustellen sind.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Benda.
Da Sie, Herr Bundesminister, sagen, daß es sich um einen Grenzfall gehandelt habe, in dem konkrete, nach Ihrer Auffassung ausreichende Verdachtsmomente nicht vorhanden gewesen seien, darf ich Sie fragen, wie Sie in diesem Zusammenhang den Umstand beurteilen, daß Howard bei seiner Ankunft auf dem Rhein-MainFlughafen bewaffnet war, was zur Folge hatte, daß der Pilot der Lufthansa-Maschine, die ihn nach dem Einreiseverbot wieder nach Paris abschieben sollte, sich geweigert hat, ihn an Bord zu nehmen, sofern er nicht durch einen Polizeibeamten begleitet würde, wie es dann auch geschehen ist.
Herr Abgeordneter, die Vermutung, daß Howard bewaffnet sei, war wohl auch eines der Motive dafür, daß das Innenministerium zunächst vorgesehen hatte, ihn nicht einreisen zu lassen. Ich möchte allerdings sagen, daß die Durchsuchung sowohl der Person wie des mitgeführten Gepäcks ergeben hat, daß diese Vermutung nicht zutraf. Er führte keine Waffe bei sich.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Benda.
Ich muß noch einmal fragen, Herr Bundesminister: War Ihnen bei Ihrer Entscheidung, mit der Sie die Entscheidung Ihres Hauses geändert haben, bekannt, daß eine Durchsuchung mit dem von Ihnen eben dargestellten Ergebnis des Herrn Howard stattgefunden hat?
Das war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Aber ich hatte Vorsorge getroffen, daß dieser Fall hätte geprüft werden können.
Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Benda auf:
ist die Entscheidung des Bundesministers des Innern im Falle Howard Ausdruck einer grundsätzlichen Haltung der Bundesregierung gegenüber derartigen militanten ausländischen Organisationen, soweit diese auf das politische Leben in der Bundesrepublik Deutschland einwirken?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.
Herr Kollege, da es sich hier, wie gesagt, um einen Grenzfall der Ermessensausübung handelt, kann von einer „grundsätzlichen Haltung" nicht gesprochen werden. Gerade bei solchen Maßnahmen ist es vielmehr notwendig, von Fall zu Fall die für und gegen ein Einreiseverbot sprechenden Gründe sorgfältig zu prüfen und den in Fällen dieser Art gesetzlich eingeräumten Ermessenspielraum bei der Entscheidung sachgerecht zu handhaben. Dies ist um so notwendiger, als nicht jedes Mitglied einer
ausländischen Organisation einer Pauschalbewertung unterzogen werden sollte.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Benda.
Stimmen Sie mir dennoch, Herr Bundesminister, darin zu, daß die Bundesregierung in der Behandlung solcher Fälle eine grundsätzliche Haltung haben sollte? Falls ja, welches ist Ihre grundsätzliche Haltung und die Ihres Hauses in derartigen Fällen?
Die grundsätzliche Haltung des Hauses ist die durch das Gesetz gebotene Haltung, nämlich Schaden von der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden.
In diesem Sinne ist im Zusammenhang mit der Aufhebung des Einreiseverbots ausdrücklich angewiesen worden, daß der Betreffende, wenn er wieder in die Bundesrepublik einzureisen versucht, was, wie Sie wissen, in den letzten Tagen geschehen ist, ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht wird, daß er im Falle einer Verletzung der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland mit unverzüglicher Ausweisung zu rechnen hat.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Benda.
Darf ich nochmals fragen, ob es über die von Ihnen soeben dargestellten Erwägungen in der Behandlung derartiger Fälle hinaus grundsätzliche Überlegungen von Ihrer Seite oder von seiten Ihres Hauses zur Behandlung vergleichbarer Fälle nicht gibt.
Ja. Herr Kollege, ich möchte noch einmal interpretieren, daß hier der Rahmen des Gesetzes auszuschöpfen ist, daß der Einzelfall im Sinne des Gesetzes abzuwägen ist. Es gibt aber keine Anweisung, generell in solchen Fällen die Einreise zu gestatten oder sie generell nicht zu gestatten. Vielmehr ist in jedem Einzelfall sorgfältig die angemessene Reaktion zu prüfen. Das kann die Zurückweisung sein; das kann die ungehinderte Einreise sein; das kann in Fällen, wo es angebracht erscheint, die Einreise mit dem besonderen Hinweis sein — wie es in diesem Fall geschehen ist —, daß im Fall einer Verletzung der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland unverzüglich die Ausweisung erfolgen werde.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ott.
Herr Bundesminister, welche Gründe oder Beweise haben Sie dafür, daß dieses Mitglied der Negerorganisation „Schwarze Panther" nur für friedliche Zwecke und nicht auch für inner-revolutionäre Zwecke in die Bundesrepublik einreisen sollte?
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1010 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Herr Abgeordneter, wenn die Bundesregierung diese Prüfung bei jedem einzelnen in die Bundesrepublik Einreisenden anstellen würde, würden wir dafür ein umfangreiches Verfahren, einen gewaltigen Apparat brauchen. Wir können das nie ausschließen. Ich glaube aber, der ausdrückliche Hinweis, daß unter bestimmten Umständen mit der Ausweisung zu rechnen ist, war das in diesem Fall angemessene Mittel.
Ich darf im übrigen darauf hinweisen, daß nach der Zurückweisung im Dezember dennoch Veranstaltungen, für die die Teilnahme des Betreffenden vorgesehen war, im Dezember 1969 in verschiedenen Städten der Bundesrepublik Deutschland unter dem Namen ,,Black-Panther-Sympathiekundgebungen" stattgefunden haben, ohne daß die Behörden dort im Einzelfall Anlaß sahen einzuschreiten; ich meine die zuständigen Behörden, nicht Bundesbehörden. Das gilt auch für Veranstaltungen, die, was Sie besonders interessieren wird, Herr Kollege, im Gebiet des Freistaats Bayern stattgefunden haben.
Ich rufe Frage 24 des Abgeordneten Dr. Brand auf:
Welche gesundheitspolitische Bedeutung mißt die Bundesregierung dem Bericht der ,,Aigrain-Gruppe hinsichtlich des Vorschlags für eine Aktion zur Bekämpfung der Wasserverunreinigung hei, der dein Europarat vorliegt?
Zur Beantwortung, bitte Herr Bundesminister!
Den in dem Aigrain-Bericht als Aktion zur Bekämpfung der Gewässerverunreinigung vorgeschlagenen Forschungsvorhaben kommt aus der Sicht des Umweltschutzes im Interesse des Menschen eine besondere gesundheitspolitische Bedeutung zu. Die Ergebnisse dieser Forschungen dürften geeignet sein, weitere Fortschritte in der Gewässerreinhaltung sowohl national als auch im europäischen Rahmen zu erbringen. Mit der gemeinsamen Durchführung dieser Forschungsvorhaben soll auch die schrittweise Erarbeitung einer europäischen Politik der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung eingeleitet werden. Die Bundesregierung begrüßt deshalb diese Aktion grundsätzlich. Sie wird sich bei Prüfung der Möglichkeiten und des Umfangs einer deutschen Beteiligung der Dringlichkeit und Bedeutung einer europäischen Zusammenarbeit auch auf diesem Gebiet bewußt sein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Brand .
Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung bereit, um die Angelegenheit zu beschleunigen, besondere Aktivität auf europäischer Ebene zu entwickeln?
Ich kann diese Frage uneingeschränkt mit Ja beantworten.
Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Dr. Brand auf:
Bis zu welchen Zeitpunkt kann nach Auffassung der Bundesregierung die Verunreinigung des Rheins durch Industriesatze auf ein gesundheitlich unschädliches Maß reduziert werden?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Bundesminister!
die gegenwärtige Salzfracht des Rheines gibt keinen Anlaß zu gesundheitlichen Bedenken. Bei Niedrigwasserständen des Rheines kann es in der Trinkwasserversorgung zwar vorübergehend zu geschmacklichen Beeinträchtigungen kommen, gesundheitsschädliche Konzentrationen werden aber bei weitem nicht erreicht. Höhere Salzfrachten sind vor allem schädlich bei Verwendung des Wassers zur landwirtschaftlichen Bewässerung und nachteilig wegen der erhöhten Korrosionsgefahren.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Brand.
Herr Bundesminister, hält die Bundesregierung das Baden im Rhein für gesundheitsschädlich oder nicht?
Ich selbst würde es tun. Aber ich möchte die sachverständige Beantwortung dieser Frage, Herr Kollege, der dafür zuständigen Kollegin der Bundesregierung überlassen.
Ich rufe die Frage 57 der Abgeordneten Frau Dr. Wolf auf:
Ist bei der Minderung des Kaufgeldausgleichs infolge der Aufwertung der DM, die Gavi-Experten gerade zu weihnachten 1969 mitgeteilt wurde, eine inzwischen in dein Aufenthaltsland eingetretene Preiserhöhung berücksichtigt worden?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.
Ich bitte, Herr Präsident, beide Fragen im Zusammenhang beantworten zu dürfen.
Keine Bedenken. Ich rufe dann auch die Frage 58 der Abgeordneten Frau Dr. Wolf auf:
In welchen Abständen und in welchem Ausmaß erfolgen Überprüfungen der Preise in Entwicklungsländern und werden Änderungen rückwirkend berücksichtigt?
Durch die Aufwertung vom 26. Oktober 1969 sind die Umtauschkurse der Deutschen Mark und damit die Kaufkraft der Bezüge, die das im Ausland beschäftigte Personal des Bundes und die in der Entwicklungshilfe tätigen Angestellten erhalten, verbessert worden. Dieser Verbesserung der Kursverhältnisse mußten die Kaufkraftzuschläge nach dem Bundesbesoldungsgesetz und nach der entsprechenden Vergiftungsordnung angepaßt werden.Dabei sind die Aufwertungsfolgen nicht schematisch auf den für den jeweiligen Dienstort geltenden Kaufkraftausgleich übertragen worden. Es ist auch davon abgesehen worden, die Kaufkraftzuschläge automatisch zum frühestmöglichen Zeitpunkt, dem 1. Dezember 1969, umzustellen. Der Kaufkraftausgleich ist vielmehr im Anschluß an die Aufwertung sorgfältig überprüft und erst zum 1. Januar 1970 neu festgesetzt worden. Das in die Überprüfung eingeschaltete Statistische Bundesamt hat zunächst die dem Kaufkraftausgleich für den jeweiligen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1011
Bundesminister GenscherDienstort zugrunde liegende Teuerungsziffer so zeitnah wie möglich mit den zur Verfügung stehenden nationalen und internationalen statistischen Unterlagen fortgerechnet, zum Teil bis September 1969. Der weitere Preisanstieg im Inland und Ausland konnte nur geschätzt werden. Dabei wurde die Entwicklung in den statistisch belegten Vormonaten und im gleichen Zeitraum des Vorjahres berücksichtigt. Hieraus resultierenden, sachlich unvermeidbaren Unsicherheiten hat das Bundesministerium des Innern in der Weise Rechnung getragen, daß es die Zuschläge erheblich höher als die vom Statistischen Bundesamt ermittelten Teuerungsziffern festgesetzt hat. Wie behutsam man dabei vorgegangen ist, zeigen folgende Zahlen: für rund 70 Länder wurde der Kaufkraftausgleich nur um 5 Punkte gesenkt, bei 20 Ländern sind überhaupt keine Änderungen eingetreten.Unabhängig von der Aufwertung werden die Teuerungsziffern, nach denen sich der Kaufkraftausgleich richtet, im allgemeinen laufend überprüft. Das Statistische Bundesamt ist beauftragt, die Teuerungsziffern auf Grund von Preisberichten der Botschaften und Konsulate zu ermitteln, örtliche Überprüfungen durchzuführen und die Teuerungsziffern an Hand nationaler und internationaler Indizes fort-zurechnen. Die Fortrechnung geschieht in der Regel monatlich oder vierteljährlich. Die zeitlichen Abstände zwischen den Preisberichten einer Auslandsvertretung sind unterschiedlich. Sie bestimmen sich nach den sachlichen Erfordernissen, insbesondere nach den Unsicherheitsfaktoren, die sich aus der Beurteilung der verwendeten Verbraucherpreisindizes ergeben.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Wolf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, hält es die Bundesregierung unter den von Ihnen dargestellten Umständen für gerechtfertigt, daß in Afghanistan z. B. die Minderung durch die Herabsetzung des Kaufkraftausgleichs 10 % beträgt, während die Kurserhöhung der D-Mark nur 8,5 % beträgt?
Ich will diesem Fall gern nachgehen.
Eine zweite Zusatzfrage, die Abgeordnete Frau Dr. Wolf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß die Maßnahmen, die z. B, in Afghanistan getroffen worden sind, die ja praktisch zu einer Minderung des Gehalts führen, eine gewisse Unruhe und Unzufriedenheit unter den Experten zur Folge haben, und wie gedenkt sie dem abzuhelfen?
Ihre Fragen, Frau Kollegin, werden mich veranlassen, den Fall Afghanistan besonders sorgfältig zu prüfen.
Wir sind damit am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern angelangt. Ich darf Ihnen, Herr Bundesminister, für die Beantwortung danken.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Dr. Hauff auf. Ist der Abgeordnete im Saal? — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 27 des Abgeordneten Dr. Hauff.
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Wurbs auf:
Welche Initiativen hat die Bundesregierung nach dem Baustopp für das Regierungsviertel zur weiteren und neuerlichen Planung ergriffen?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl.
Der Bund und
die Stadt Bonn haben beschlossen, zur Lösung der Probleme, die zwischen dem Bund und der Stadt Bonn bei der Planung der Neubauten für die obersten Bundesorgane und die obersten Bundesbehörden bestehen, einen Arbeitskreis zu bilden. Aufgabe des Arbeitskreises ist es, ein Rahmenkonzept für die Unterbringung der Bauten und Einrichtungen des Bundes in Bonn, und zwar im ganzen Raum Bonn, in Übereinstimmung mit der Stadtplanung zu erarbeiten und hierzu die erforderlichen Detailuntersuchungen zu veranlassen. Für die Aufstellung dieses Rahmenkonzepts sind inzwischen neue Raumbedarfsermittlungen der inzwischen ja anders organisierten Bundesministerien durchgeführt worden, die im wesentlichen abgeschlossen sind.
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Wurbs auf:
Hat die Bundesregierung in diesem Zusammenhang erwogen, gegebenenfalls einen Parlamentsbeauftragten mit der weiteren Portführung des Bauprogramms zu betrauen, um die Mitwirkung des Parlaments bei diesem Projekt zu gewährleisten?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Das von Bund und Stadt tu erarbeitende Rahmenkonzept für die Unterbringung der Bauten und Einrichtungen des Bundes in Bonn wird dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages vorgelegt werden. Von diesem wäre dann zu entscheiden, ob weitere Gremien des Bundestages zu hören sind. Darüber hinaus wird die Bundesregierung das Parlament über wichtige Abschnitte der Unterbringungsplanung unterrichten und seine Zustimmung dazu einholen. Ich bin der Meinung, daß durch diese Verfahrensweise die Rechte des Parlaments gewahrt bleiben. Es ist daher nicht beabsichtigt, einen Parlamentsbeauftragten mit der Fortführung des Bauprogramms zu betrauen.
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1012 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 30 der Abgeordneten Frau Funcke auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, schnellstens eine Novelle des Umsatzsteuergesetzes vorzulegen, durch die das Privileg der Blindenbetriebe gemäß § 4 Nr. 19 UStG so geändert wird, daß entsprechend der Absicht des Gesetzgebers Kleinbetriebe begünstigt bleiben, aber Mißbräuche durch eine Umgehung der vorgesehenen Begrenzungen ausgeschaltet werden?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Nach den vorliegenden Unterlagen hat die im Umsatzsteuerrecht enthaltene Steuerbefreiung für Blinde im Mineralölhandel zu Wettbewerbsverzerrungen geführt. Die Bundesregierung beabsichtigt, diese Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen. Es wird zur Zeit geprüft, ob hierzu eine Änderung des Gesetzes erforderlich ist oder ob die Änderung im Wege einer auf § 26 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes gestützten Rechtsverordnung der Bundesregierung erfolgen kann. Die mit den Blindenverbänden und dem Mineralölwirtschaftsverband schwebenden Verhandlunlungen über Form und Inhalt der beabsichtigten Änderung sind noch nicht abgeschlossen. Außerdem ist nach der durch das Finanzreformgesetz am 1. Januar 1970 eingetretenen Rechtslage die Beteiligung der Länder erforderlich. Ich bin gerne bereit, Ihnen so bald wie möglich das Ergebnis der Verhandlungen mitzuteilen.
Eine Zusatzfrage, die Abgeordnete Frau Funcke.
Herr Staatssekretär, nachdem diese Frage nun schon seit langer Zeit das Haus beschäftigt und die frühere Bundesregierung einen meines Erachtens überflüssigen Rechtsstreit geführt hat, bei dem sie hereingefallen ist, wäre es da nicht besser, durch eine Gesetzesänderung eine wirklich einwandfreie Rechtsgrundlage zu schaffen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich teile Ihre Meinung, daß es notwendig ist, so rasch wie möglich Klarheit zu schaffen, wobei es sein könnte, daß eine Rechtsverordnung wirklich ausreicht; denn darum ist es ja bei dem Prozeß, den Sie meinen, nicht gegangen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Meister auf:
Kann die Bundesregierung mitteilen, wieviel Familienwohnungen, die bisher von den verschiedenen Stationierungsstreitkräften belegt waren, freistehen?
Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Zur Zeit sind 1442 Wohnungen noch nicht bezogen, die von den
Stationierungsstreitkräften in deutsche Verwaltung übergeben worden sind.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Meister auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, diese freistehenden Wohnungen dem freien Wohnungsmarkt zuzuführen?
Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Bei dem großen Bedarf an Wohnungen für Angehörige der Bundeswehr sieht die Bundesregierung nur geringe Möglichkeiten, diese von den Stationierungsstreitkräften übernommenen Wohnungen dem freien Wohnungsmarkt zuzuführen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Meister.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie hoch etwa die Unterhaltskosten für diese 1400 Wohnungen sind, wer sie trägt und wie hoch der Mietausfall ist, sofern ein solcher überhaupt berechnet wurde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei diesen Fragen bin ich überfragt. Ich bin aber gern bereit, sie Ihnen nach Erkundigung schriftlich zu beantworten.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Meister.
Ist die Bundesregierung bereit, mit den Stationierungsstreitkräften über die Freigabe derartiger Wohnungen nachdrücklich, hart zu verhandeln, also nicht nur anzufragen, und ist sie gegebenenfalls auch bereit, in besonders gravierenden Fällen Ersatzwohnungen zu stellen?
Die Bundesregierung verhandelt in diesen Fällen immer nachdrücklich. Ich nehme an, daß Sie einen ganz bestimmten Fall im Auge haben, bei dem die Verhandlungen schon sehr lange laufen, aber trotz der dauernden Vorstellungen der Bundesregierung wollen die US-Streitkräfte die Wohnungen nicht freigeben, weil sie sagen, daß sie selber noch Bedarf an solchen Wohnungen hätten.
Sie haben keine Zusatzfrage mehr, Herr Kollege Meister; Sie haben zwei gehabt.Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Roser auf:Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, Aufwendungen für die private musische Erziehung von Kindern im Rahmen der außergewöhnlichen Belastungen steuerlich zu berücksichtigen?Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1013
Die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit, Aufwendungen für die private musische Erziehung von Kindern im Rahmen der außergewöhnlichen Belastungen einkommensteuerlich zu berücksichtigen. Alle übrigen Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen durch den Unterhalt, die Erziehung und die Berufsausbildung eines Kindes erwachsen, werden einkommensteuerlich durch den Abzug des Kinderfreibetrages pauschal abgegolten. Bei der Mannigfaltigkeit der Ausbildungsgänge und der Unterschiedlichkeit der Aufwendungen war zur Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und im Interesse der Verwaltungsvereinfachung eine solche typisierende Regelung unumgänglich.
Neben dem Kinderfreibetrag können als außergewöhnliche Belastungen nur solche Aufwendungen berücksichtigt werden, die außergewöhnlichen Charakter haben, wie z. B. Krankheitskosten oder Aufwendungen für die auswärtige Unterbringung zum Zwecke der Berufsausbildung. Solchen außergewöhnlichen Charakter haben aber Aufwendungen für die private musische Erziehung nicht. Ich darf darauf hinweisen, daß auch Aufwendungen für den Schulbesuch oder für ein Hochschulstudium mit Ausnahme der Kosten für eine etwaige auswärtige Unterbringung nicht als solche außergewöhnlichen Aufwendungen anzusehen sind und deshalb ebenfalls durch den Kinderfreibetrag abgegolten werden.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 34 der Abgeordneten Frau Klee auf:
Trifft es zu, daß die Kosten für den ärztlich angeordneten ständigen Aufenthalt eines asthmakranken Kindes im Heilklima, verbunden mit dem Besuch einer Volksschule, nicht als außeigewöhnliche Belastung im Sinne des Steuerrechts berücksichtigt werden können?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Es trifft nicht zu, daß die Kosten für den ärztlich angeordneten ständigen Aufenthalt eines asthmakranken Kindes im Heilklima, verbunden mit dem Besuch einer Volksschule, nicht als außergewöhnliche Belastung im Sinne des Steuerrechts berücksichtigt werden können. Vielmehr gilt folgendes: Die durch die auswärtige Unterbringung des Kindes verursachten Aufwendungen stellen außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 a Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes dar. Das bedeutet, daß die entstehenden Kosten auf Antrag durch Abzug eines Freibetrages von 1200 DM im Kalenderjahr vom Einkommen berücksichtigt werden. Durch diesen Freibetrag sind alle durch die auswärtige Unterbringung entstehenden Kosten abgegolten. Soweit daneben durch die Krankheit noch weitere Kosten anfallen — z. B. Arztkosten —, können diese als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 des Einkommensteuergesetzes geltend gemacht werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ott.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß der Betrag von 1200 DM, der seit vielen Jahren gilt, nach oben hin änderungsbedürftig ist und daß das ein Anliegen der großen Steuerreform sein sollte?
Herr Kollege, dieser Betrag wird wie alle diese Pauschbeträge mit Sicherheit im Rahmen der großen Steuerreform überprüft werden müssen.
Ich rufe die Frage 35 des Abgeordneten Zebisch auf:
Kann die Bundesregierung Pressemeldungen über Manipulationen und Betrügereien von Firmen unter Ausnutzung von Lücken im Abschöpfungs- und Erstattungssystem sowie von Marktordnungslücken bestätigen und was wird sie dagegen unternehmen?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Erstens. Es trifft zu, daß sich Firmen unter Ausnutzung von Lücken des EWG-Marktordnungsrechtes Erstattungs- und Abschöpfungsvorteile verschaffen, die vom Gesetzgeber nicht gewollt und volkswirtschaftlich unerwünscht sind. Die starken Differenzierungen der EWG-Regelungen begünstigen ein solches Vorgehen.
Zweitens. Werden solche unerwünschten Geschäfte von der Bundeszollverwaltung, insbesondere auch durch deren Buch- und Betriebsprüfungsdienst, sowie von den Marktordnungsstellen festgestellt, so bemüht sich die Bundesregierung, durch Vorstellungen in Brüssel die Lücken zu schließen. Darüber hinaus sind die der Überwachung dienenden innerstaatlichen Vorschriften auf Grund der gewonnenen Erkenntnisse laufend verbessert worden und werden weiter verbessert.
Drittens. Es ist auch für die Zukunft damit zu rechnen, daß Firmen sich solche Vorteile zu verschaffen suchen. Die Bundesregierung wird solchen Tatbeständen auch weiterhin ihre besondere Aufmerksamkeit widmen. Die gegenseitige Rechts- und Amtshilfe der EWG-Mitgliedstaaten wird dabei von besonderem Nutzen sein, sobald das Abkommen über die gegenseitige Unterstützung der Zollverwaltungen vom 7. September 1967 in Kraft getreten ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Zebisch.
Herr Staatssekretär, sehen Sie eine Möglichkeit, die zur Zeit bestehenden unzureichenden Strafbestimmungen zu verschärfen und damit vielleicht diesem Unwesen besser steuern zu können?
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1014 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Es ist zweifelhaft — das ist meine persönliche Meinung —, ob man mit Strafbestimmungen alles regeln kann. Im übrigen wäre für Strafbestimmungen, wenn es regelrechtes Strafrecht sein soll, nicht unser Haus, sondern das Justizministerium zuständig.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Zebisch.
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß zur Zeit die Oberfinanzdirektionen für dieses Gebiet nur 110 Prüfer zur Verfügung haben, und besteht eine Möglichkeit, die Anzahl der Prüfer zu erhöhen?
Die Zahl kann ich hier augenblicklich nicht feststellen. Ich bin aber gern bereit, Ihnen hierüber schriftlich Auskunft zu geben.
Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Werner auf:
Wie wird es die Bundesregierung mit der Handhabung des Stimmrechts der in ihrem Besitz befindlichen VW-Aktien nach dem 30. Juni 1970 hallen, und denkt sie an eine allgemeine Auflockerung der Stimmrechtsbeschränkung?
Ist der Abgeordnete im Saal? — Er ist im Saal. Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vom 22. August 1970 an — ich nehme an, Herr Kollege Werner, daß Sie dieses Datum meinen — gilt die Stimmrechtsbeschränkung des Volkswagenwerk-Gesetzes auch für den Bund und für Niedersachsen. Die Bundesregierung und die zuständigen Stellen des .Landes Niedersachsen sind übereinstimmend der Auffassung, daß dies nicht den Interessen des Unternehmens und der Volkswagenwerk-Aktionäre entsprechen würde. Sie prüfen daher, wie am zweckmäßigsten sichergestellt wird, daß das Unternehmen auch künftig nicht auf den stabilisierenden Einfluß der beiden Großaktionäre zu verzichten braucht. Eine Entscheidung steht noch aus.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Werner.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß die augenblickliche Organisation des Stimmrechts die Bemühungen des Volkswagenwerks um Kooperation oder Fusion in Europa erheblich erschwert?
Das würde für die gesamte Stimmrechtsbeschränkung gelten. Da haben Sie recht; das ist eine Erschwernis.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe daher die Frage 37 des Abgeordneten Werner auf:
Haben die Bundesregierung oder ihre entsprechenden Vertreter nach dem 30. September 1969 die Preispolitik der Volkswagenwerke zu beeinflussen versucht?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl.
Ich beantworte die Frage im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft wie folgt: Die Bundesregierung hat wiederholt auf die besondere Bedeutung hingewiesen, die stabilen Preisen in unserer derzeitigen konjunkturellen Situation beizumessen ist. Sie hat aber ausdrücklich erklärt, daß es nicht ihre Aufgabe sei, dem Volkswagenwerk wie irgendeinem anderen Unternehmen Empfehlungen für die konkrete Preisgestaltung zu geben.
Keine Zusatzfrage.Ich rufe dann die Fragen 55 und 56 des Abgeordneten Schmidt auf:Hält die Bundesregierung die Dienstleistungsverträge, die zwischen dem European Exchange System als Behörde der Streitkräfte der Vereinigten Staaten und den deutschen Vertragspartnern (Konzessionären) abgeschlossen werden, in allen Punkten mit dem deutschen Recht für vereinbar oder ist sie bereit, hei den Behörden der amerikanischen Streitkräfte auf eine Änderung der beanstandeten Dienstleistungsverträge hinzuarbeiten?Ist der Bundesregierung bekannt, wieviel Schlichtungsverfahren nach Artikel 4 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA über die Beilegung von Streitigkeiten bei Direktbeschaffung stattgefunden haben, und wer sind die Vertreter der Bundesregierung in dem Vertragsschlichtungsausschuß gemäß Artikel 4 Abs. 2 Buchstabe a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA über die Beilegung von Streitigkeiten bei Direktbeschaffung?Die Fragen werden im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet.Ich darf Ihnen für die Beantwortung der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich danken, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.Wir kommen damit zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, und zwar zunächst zur Frage 43 des Abgeordneten Dr. Schulz . Ist der Abgeordnete im Saal? — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet.Ich komme zur Frage 44 des Abgeordneten von Thadden. Ist der Abgeordneteim Saal? — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet.Die Frage 45 ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.Ich rufe dann die Frage 46 des Abgeordneten Baier auf:Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um die Freilassung von Rudolf Heß aus dem alliierten Militärgefängnis von Berlin-Spandau, die vom großen Teil der deutschen Bevölkerung und namhaften Vertretern befreundeter Nationen in zunehmendem Maße gefordert wird, endlich zu erreichen?Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Dahrendorf.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1015
Herr Präsident! Herr Kollege, wie Ihnen bekannt ist, fällt die Frage der Freilassung von Rudolf Hen in die Verantwortung aller vier Gewahrsamsmächte. Die Bundesregierung steht im ständigen Kontakt mit den drei Westmächten, um eine Haftentlassung von Herrn Heß zu erreichen. Die drei Westmächte bemühen sich ihrerseits, die Zustimmung der sowjetischen Regierung zur Freilassung von Rudolf Heß zu erhalten. Die wiederholten Schritte der drei Mächte sind bisher bei der Regierung der UdSSR auf Ablehnung gestoßen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Baier.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß eine lebenslängliche Freiheitsstrafe für den schwerkranken 75jährigen Rudolf Heß weder einen politischen Sinn hat noch aus menschlichen Erwägungen vertretbar erscheint und deshalb auch in diesem Sinne bei der Sowjetunion Schritte zur Freilassung unternommen werden sollten?
Die Bemühungen der Bundesregierung beruhen auf dieser Auffassung.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 47 des Abgeordneten Dröscher wird vom Bundesminister der Verteidigung beantwortet und unter dessen Geschäftsbereich aufgerufen.
Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Breidbach auf:
Hält die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß sich mehr als 50 % der Botschaften der Bundesrepublik Deutschland in Entwicklungsländern befinden, die Entsendung von bis jetzt drei Entwicklungshilfeattachés für ausreichend?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Dahrendorf.
Herr Präsident! Herr Kollege! Die Entwicklungshilfe ist eine wichtige Aufgabe unserer Auslandsvertretungen in der Dritten Welt, der sich viele ihrer Mitarbeiter widmen. Insofern ist es nicht ganz richtig, nur die drei sogenannten Entwicklungshilfeattachés zu erwähnen. Mari muß in diesem Zusammenhang auch die Wirtschaftsreferenten und die anderen Referenten an einer ganzen Fülle von Vertretungen berücksichtigen. Andererseits befürwortet das Auswärtige Amt seit einer Reihe von Jahren die Verstärkung unserer Vertretungen in den Ländern der Dritten Welt, damit diese Vertretungen in stärkerem Maße in die Lage versetzt werden, die von Ihnen angedeuteten Aufgaben wahrzunehmen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Breidbach.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, kann ich Ihre Antwort so verstehen, daß Sie einem weiteren Ausbau der Personalstellen für Entwicklungshilfeattachés von seiten des Außenministeriums nicht zustimmen werden?
Nein, in dieser Form können Sie meine Antwort nicht verstehen. Ich glaube, daß der Begriff des Entwicklungshilfeattachés in diesem Zusammenhang irreführend ist. Es handelt sich ja darum, daß die Auslandsvertretungen in der Sache in die Lage versetzt werden, diese Aufgaben wahrzunehmen. In welcher Form das im einzelnen geschieht, wird sich herausstellen müssen. Die drei Entwicklungshilfeattachés, auf die Sie sich beziehen, sind tatsächlich ja Referenten der betreffenden Auslandsvertretungen und insofern voll in die Vertretungen integriert.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Breidbach.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, könnte ich dann in naher Zukunft von Ihnen Auskunft darüber erhalten, ob Sie im Sinne Ihrer Ausführungen bereit sind, die Arbeit im Bereich der Entwicklungshilfe bei den deutschen Auslandsvertretungen zukünftig zu intensivieren?
Ja, Sie können meine Antwort so verstehen, daß ich Ihnen — nach vorheriger Verständigung mit dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit — darüber Auskunft geben kann.
Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Breidbach auf:
Welche Rolle spielt die Vermittlung von Kenntnissen über Entwicklungshilfe und Entwicklungsländer bei der Ausbildung von zukünftigen Botschaftern und von Beamten und Angestellten im diplomatischen Dienst?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Präsident! Herr Kollege! Die Frage nach der Ausbildung der Angehörigen des auswärtigen Dienstes und der Rolle von Kenntnissen über die besonderen Probleme der Entwicklungshilfe und der Entwicklungsländer steht entschieden im selben Zusammenhang, insbesondere wenn man der Auffassung ist, daß der gesamte auswärtige Dienst in der Dritten Welt mit solchen Aufgaben befaßt ist. Daher ist in die Ausbildung unserer Diplomaten in zunehmendem Maße die Information über die Länder der Dritten Welt einbezogen worden, und zwar durch Länderreferenten, durch Vorträge und Seminare, die von Herren aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit abgehalten werden, durch das Einweisen in Fachressorts. Dieses Einweisen in die besonderen Probleme der Dritten Welt gilt auch für neuernannte Missionschefs.
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1016 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Breidbach.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sind Sie in der Lage, mir mitzuteilen, wie hoch der prozentuale Anteil unter Umständen stundenmäßig — dieser Ausbildung im Hinblick auf Länder der Dritten Welt für Diplomaten bzw. Beschäftigte des auswärtigen Dienstes im Vergleich zu anderen Ausbildungs- bzw. Unterrichtszweigen ist?
Ich bin nicht in der Lage, Ihnen das aus dem Kopf mitzuteilen; ich müßte das überprüfen. Aber vielleicht entspricht es dem Sinn Ihrer Frage, wenn ich hinzufüge, daß die Reformkommission für den auswärtigen Dienst schon jetzt empfohlen hat, eine Verstärkung der Ausbildungsanteile im Hinblick auf Fragen der Entwicklungsländer vorzunehmen.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers des Auswärtigen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Wir hätten an sich für die Fragestunde noch drei oder vier Minuten Zeit. Leider kann ich den folgenden Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft nicht aufrufen, weil der angekündigte Staatssekretär noch nicht anwesend ist. Wir müssen die Behandlung dieses Geschäftsbereiches also auf heute nachmittag verschieben. Wir sind damit vorzeitig am Ende unserer Fragestunde angelangt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Wegfall des von Rentnern für ihre Krankenversicherung zu tragenden Beitrags
— Drucksache VI/220 —
Ich eröffne die Aussprache und erteile zur Begründung dem zuständigen Minister, Herrn Arendt, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetz, das ich Ihnen für die Bundesregierung heute vorlege, zwingt uns, den Blick zurückzuwenden auf die Rezession der Jahre 1966 und 1967. Damals hatte der wirtschaftliche Abschwung den Bundeshaushalt in Unordnung gebracht und auch die finanzielle Lage der Rentenversicherung gefährdet.Damals wurde nach erheblichen politischen Auseinandersetzungen im Finanzänderungsgesetz 1967 eine Beteiligung der Rentner an den Aufwendungen für ihre Krankenversicherung in Höhe von 2 % ihrer Rente eingeführt. Alle wußten, insbesondere aber die Rentner, daß damit eine schmerzliche Rentenverkürzung verbunden war. In vielen Fällen wurde das oft bereits unbefriedigende Niveau spürbar beeinträchtigt. Aus diesem Grunde haben dieFraktionen, die heute die Bundesregierung tragen, schon damals erklärt, daß sie einen solchen Beitrag im Grundsatz nicht für sinnvoll halten. Meine Partei konnte in einem Kompromiß mit unserem damaligen Koalitionspartner nur erreichen, daß der ursprünglich beabsichtigte Beitrag von 4 % auf 2 % der Rente reduziert wurde.In der Zwischenzeit hat sich dank der erfolgreichen Wirtschaftspolitik die konjunkturelle Situation grundlegend geändert. Daher erscheint es als Gebot der Gerechtigkeit, vordringlich den etwa neun Millionen Rentnern diese Belastung wieder abzunehmen. Aus diesem Grunde schlägt Ihnen die Bundesregierung heute vor, den Beitrag der Rentner zu ihrer Krankenversicherung wieder wegfallen zu lassen.Der Entwurf ist dem Hohen Hause selbstverständlich nicht vorgelegt worden, ohne daß zuvor die finanziellen Auswirkungen eingehend geprüft worden wären. Detaillierte Berechnungen bis 1985 werden Ihnen in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zugehen. Das Ergebnis der Berechnungen wird zeigen, daß die Ziele des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes, nämlich die Überwindung des sogenannten Rentenberges, den uns zwei Kriege in einer Generation hinterlassen haben, und die laufende bruttolohnbezogene Rentenanpassung, durch diesen Gesetzentwurf nicht gefährdet sind.Ich habe großen Wert darauf gelegt, die Vorausberechnung und die Annahmen, die ihr zugrunde liegen, mit den Beteiligten abzustimmen. Der hierfür bestehende Abstimmungskreis hat sie gebilligt. Wir haben auch dem Sozialbeirat unsere Berechnungen vorgelegt; er hält sie für realistisch.Ich will hier erwähnen, daß in beiden Gremien der Vertreter der Deutschen Bundesbank Vorbehalte angemeldet hat. Sie beziehen sich allerdings auf die Entwicklung nach 1974. Denn alle Beteiligten sind sich darüber einig, daß bis zu diesem Zeitpunkt, den wir mit einiger Sicherheit überschauen können, die Berechnungen, die im Sommer vorigen Jahres Grundlagen des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes geworden sind, durch die tatsächliche Entwicklung gründlich überholt sein werden. Zum Beispiel sahen die letzten Berechnungen für 1969 noch eine Zunahme der Durchschnittsverdienste um 7 % und eine Zunahme der Versichertenzahl um 1,3 % vor. In Wirklichkeit sind die Verdienste statt um 7 % um 9,3 % und die Zahl der Versicherten statt um 1,3 % um 2,6 % gestiegen. Für 1970, für das laufende Jahr, ist sogar mindestens mit einer Verdoppelung der damals angenommenen Zuwachsrate der Durchschnittsverdienste zu rechnen. Selbst diese Zahlen, meine Damen und Herren, sind für das Jahr 1970 wahrscheinlich noch zu niedrig, so daß die Entwicklung der Rentenversicherung mittelfristig sicher günstiger verlaufen wird, als wir hier vorsichtigerweise angenommen haben.Die unterschiedliche Einschätzung geht auf verschiedene Annahmen über die langfristige Entwicklung der Produktivität zurück. Nicht nur die Bundesregierung geht davon aus, daß der durchschnittliche
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Bundesminister ArendtProduktivitätszuwachs in Zukunft auch langfristig über 4 % liegen wird, sondern auch von anderen nationalen und internationalen, aber auch von wissenschaftlichen Instituten wird heute allgemein — oder wurde schon bislang — mit einem höheren Produktivitätswachstum gerechnet. Die Sätze bewegen sich dabei um etwa 41/2 %. Selbst die Deutsche Bundesbank räumt ein, daß langfristig mit einem wenn auch nicht wesentlich über 4 % hinausgehenden Anstieg der Produktivität je Erwerbstätigen gerechnet werden kann.Meine Damen und Herren, ginge man von solchen Sätzen aus, wäre es unrealistisch, auch künftig mit einer 5%igen Entwicklung der Durchschnittsverdienste zu rechnen, weil dieser Satz nur knapp über dem Produktivitätswachstum liegt. Eine solche Annahme würde nämlich bedeuten, daß selbst bei relativer Stabilität des gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus, die mit einer jährlichen Erhöhung um 1 bis 1,5 "/o charakterisiert und auch von der Deutschen Bundesbank toleriert wird, die Lohnquote zu Lasten der Arbeitnehmer sinken müßte. Eine solche Unterstellung ist aber längerfristig überhaupt nicht denkbar. Wir können vielmehr davon ausgehen, daß auch in Zukunft mit einer leicht steigenden oder mindestens gleichbleibenden Lohnquote zu rechnen ist.Ich kann also zusammenfassend feststellen, daß durch dieses Gesetzesvorhaben die Finanzlage der Rentenversicherung auch mittel- und langfristig solide bleibt. Niemand braucht sich um seinen Rentenanspruch Sorge zu machen.
Die Bundesregierung legt großen Wert darauf, daß die vorgesehene Leistungsverbesserung den Millionen Rentnern in der Bundesrepublik rückwirkend ab 1. Januar 1970 auch tatsächlich zugute kommt. Sie stimmt deswegen dem Vorschlag des Bundesrates zu, eine Anrechnung des Nachzahlbetrages auf andere Sozialleistungen auszuschließen.Meine Damen und Herren, der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf gibt allen Fraktionen dieses Hohen Hauses Gelegenheit, mit dazu beizutragen, die Kürzung der Renten infolge der Rezession nicht zu einem Dauerzustand werden zu lassen.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache zur ersten Lesung. Zunächst ist als Redner gemeldet der Abgeordnete Ruf für die CDU CSU-Fraktion. Fur ihn sind 45 Minuten beantragt. Er hat aber zum Ausdruck gebracht, er hoffe, diese Zeit nicht ausschöpfen zu müssen. Wir schließen uns dieser Hoffnung an.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wahr, Herr Bundesarbeitsminister, daß bei der Einführung des Krankenversicherungsbeitrages der Rentner der damalige Sprecher der SPD-Fraktion hier im Plenum erklärt hat, seine Fraktion halte den Krankenversicherungsbeitrag der Rentner nicht für sinnvoll.Man habe sich aber auf einen Kompromiß geeinigt. Wir stehen, hat er damals gesagt, zu diesem Kompromiß.
Er hat zu dieser Rentnerkrankenversicherung, die damals neu geregelt worden ist, noch einige zusätzliche freundliche Worte gefunden. Ich darf sie mit gütiger Erlaubnis des Herrn Präsidenten einmal zitieren. Er sagte:Erstens. Durch die Gewährleistung der bruttolohnbezogenen Rente ergeben sich ungeachtet des zweiprozentigen Beitrages der Rentner zu ihrer Krankenversicherung auch für die Zukunft beachtliche Rentensteigerungen.Zweitens. Der Rentnerkrankenversicherungsbeitrag ist sozialpolitisch und verwaltungstechnisch in eine vernünftige Form gebracht worden.Drittens. Der Krankenversicherungsschutz für alle Rentner— der ja damals eingeführt worden ist —ist sozialpolitisch und gesundheitspolitisch sinnvoll.Wir werden deshalb den aufgerufenen Paragraphen zur Rentnerkrankenversicherung zustimmen.
- Sie meinen, Herr Kollege, wir schreiben jetzt nicht mehr 1967, sondern 1969.
— 1970; immer noch rückständig! — Aber sehen Sie, Sie haben doch seinerzeit von der SPD-Fraktion aus zugestimmt, Herr Kollege Schellenberg, weil Sie genau wußten, daß der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner zu dem Bündel von Maßnahmen gehört, das notwendig war und notwendig ist
— notwendig ist! —, um die bruttolohnbezogene dynamische Rente auf die Dauer zu sichern. Darum ging es doch.
Dieser Krankenversicherungsbeitrag der Rentner war auch Grundlage der Vorausschätzungen, die der damalige Bundesarbeitsminister zum Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vorgelegt hat, das wir erst im Juni vorigen Jahres in diesem Hause gemeinsam verabschiedet haben. Nach diesen damaligen Vorausschätzungen sollte immerhin die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten — ich spreche jetzt nur von diesen beiden Zweigen — um einen Betrag von zirka 20 Milliarden DM entlastet werden.Auch die neuen Vorausschätzungen des Bundesarbeitsministers gehen davon aus, daß bis 1985 durch den Wegfall des Rentnerbeitrages eine Einnahmenminderung um 20,5 Milliarden DM eintritt.
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Ruf20,5 Milliarden mehr oder weniger, das ist doch letzten Endes kein Pappenstiel!
Nach der Verabschiedung des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes waren wir doch alle miteinander darüber hoch befriedigt, daß wir endlich mit gutem Gewissen sagen können: die bruttolohnbezogene dynamische Rente ist gesichert; unsere Rentner und unsere Versicherten brauchen sich bezüglich der Zukunft der Rentenversicherung keine Sorgen mehr zu machen. Wir haben Gott sei Dank damals Ruhe an der Rentenfront hergestellt.
Heute wird nunmehr vielfach von den Sprechern des Bundesarbeitsministeriums und der SPD und der FDP — um auch von der einmal zu reden — behauptet, der damalige Krankenversicherungsbeitrag der Rentner sei aus fiskalischen Gründen eingeführt worden. Ich erinnere an die Diskussion, die wir in der Fragestunde mit dem Herrn Kollegen Rohde gehabt haben. Demgegenüber darf ich doch nachzulesen empfehlen, was der Berichterstatter zum Finanzänderungsgesetz 1967, unser Kollege Schoettle, seinerzeit geschrieben hat. Er hat nämlich gesagt:Hinter dem Entschluß der Bundesregierung und der Koalition, ab 1. Januar 1968 einen Rentnerbeitrag zur Krankenversicherung einzuführen, stehen zwei Motive, 1. die Entlastung des Bundeshaushaltes und 2. gleichgewichtig— so sagte er wörtlich —die notwendige Konsolidierung der Rentenversicherung.Weil wir Ruhe an der Rentenfront hatten und weil wir alle mit den Maßnahmen, die wir getroffen haben, einverstanden waren und sie damals für notwendig hielten, war auch im Bundestagswahlkampf nirgendwo von einem Wegfall des Krankenversicherungsbeitrages der Rentner die Rede.
Weder im Wahlprogramm der SPD noch in der Regierungserklärung ist auch nur eine Silbe darüber enthalten, daß in Zukunft die Absicht bestehe, den Krankenversicherungsbeitrag der Rentner wieder wegfallen zu lassen.
In der Regierungserklärung steht lediglich etwas zur Reform der Krankenversicherung. — Nein, nicht zur Reform der Krankenversicherung; die „Regierung der inneren Reformen" spricht ja nicht von Reform der Krankenversicherung, sondern bloß von der Weiterentwicklung der Krankenversicherung.
Da wird gesagt: „Wir wollen eine Kommission vonSachverständigen schaffen." Zur Rentenversicherung wird eine Rentenberechnung nach Punktenangekündigt. Es wird gesagt: „Die Frage der starren Altersgrenze wird von uns geprüft werden."Und schließlich will man - keine schlechte Sache —die Rentenversicherung für andere Gesellschaftsgruppen öffnen. Mehr steht zur Krankenversicherung und zur Rentenversicherung in der Regierungserklärung der neuen Bundesregierung nicht.Da kommt plötzlich dieser Gesetzentwurf der neuen Bundesregierung, des Herrn Bundesarbeitsministers Arendt; mit einer sehr großen Eile. Das läßt sich eben nur dadurch erklären, daß der Herr Minister Arendt zunächst einmal den Rentnern — Sie entsinnen sich, es war damals kurz vor den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen —
ein Weihnachtsgeld für alle Sozialrentner in Aussicht gestellt hat, daß er damit im Kabinett nicht durchgekommen ist; und dann hat man eben kurzerhand, um irgendeine populäre Maßnahme für die bevorstehenden Wahlen — wir haben ja 1970 auch noch einige Wahlen — zu haben,
den Wegfall des Krankenversicherungsbeitrages der Rentner beschlossen.
— So war es und nicht anders.
Da braucht sich der Herr Bundesarbeitsminister gar nicht zu wundern, daß er eine solch miserable Presse hat. Da sehen Sie in der „Zeit" — wahrhaftig keine CDU-Zeitung -- vom 21. November 1969 — legen Sie mich nicht fest, es könnte auch der 27. sein, ich kann meine Schrift nicht lesen — einen Artikel von einem Sozialpolitiker, der sehr viel von den Dingen versteht, Wolfgang Krüger, unter der Überschrift: „Teure Krücken für Walter Arendt", dessen erster Satz lautet:Aus der Unterstützungsaktion für neun Millionen Menschen ist also nun so etwas wie eine Stützungsaktion für einen einzigen Mann geworden.
Wie eilig es die Bundesregierung mit diesem Gesetzentwurf hatte, können Sie daraus entnehmen, daß in der Begründung im finanziellen Teil nur von den Auswirkungen auf die Jahre 1970 und 1971 die Rede ist. Von einer langfristigen Betrachtung finden Sie in dieser Begründung keine Spur. In der Tat: die Korrektur der langfristigen Vorausschätzungen bis 1985 ist erst sehr viel später erfolgt,
nicht zuletzt auch auf unser Drängen hin. Das ist doch jedermann bekannt.Diese neuen, korrigierten Vorausschätzungen der Bundesregierung sind — das wissen wir, wir kennen ja den Brief der Bundesbank, wir kennen das Gutachten des Sozialbeirats — nicht unumstritten. Ich will jetzt nicht auf die Details dieser Voraussetzungen eingehen.
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Ruf— Das machen wir, Herr Kollege Schellenberg, im Ausschuß,
und wir hoffen, sehr gründlich, wie wir es auch früher gemacht haben. Aber auf diese Ausschußberatungen werde ich noch zu sprechen kommen.
— Hoffentlich wie früher, Herr Kollege Katzer. Ich will sehr hoffen, daß es nicht so geht wie bei der Beratung der Kriegsopferversorgung.
Meine Damen und Herren, wenn eine Mitteilung des Bundesarbeitsministeriums sagt, der Sozialbeirat habe den Wegfall des Krankenversicherungsbeitrages der Rentner gebilligt, so ist dies — ich will niemandem wehe tun — doch gelinde übertrieben. Von Billigung finde ich in diesem Gutachten keine Spur. Um wirklich sicherzugehen, habe ich mich erkundigt. Da gibt es nicht etwa ein Begleitschreiben oder sonst etwas, wo vielleicht das Wort „Billigung" vorkäme. Das Gutachten spricht nicht von Billigung; im Gegenteil. Ich halte es für notwendig, daß das Plenum dieses Hauses einmal von diesem Gutachten in Kenntnis gesetzt wird
und daß dieses Gutachten wenigstens in seinen wesentlichen Teilen — —
- Vielen herzlichen Dank! Aber zur Erleichterung der Beratung halte ich es für notwendig, wesentliche Teile schon vor der Beratung vorzulegen.Zunächst beklagt sich der Sozialbeirat meines Erachtens mit Recht darüber, daß er unter Zeitdruck geraten ist, daß er nicht in die Lage versetzt wurde, sich mit dieser Maßnahme selber — etwa im Vergleich zu anderen Möglichkeiten einer Besserung der Lage der Rentner — zu befassen.
Er sagt wörtlich:
Nach Auffassung des Sozialbeirats ist es auf die Dauer erforderlich, daß er rechtzeitig in die Diskussion eingeschaltet wird, um gegebenenfalls auch alternative Lösungsmöglichkeiten erwägen zu können.Auf solche alternative Lösungsmöglichkeiten werde ich auch noch zu sprechen kommen müssen.
— Nein, nein.
— Darf ich das doch im Zusammenhang behandeln, wenn Sie so freundlich sein wollen. Wir können nachher vier-, fünfmal miteinander diskutieren, im Ausschuß erst recht; das wissen Sie ja.Es ist wahr, Herr Bundesarbeitsminister, der Sozialbeirat hält Ihre Vorausschätzungen mit 5,8 % jährlichen Lohnzuwachs für realistisch.
— Nicht der ganze Sozialbeirat, die Mehrheit des Sozialbeirates.Aber bitte, lesen Sie doch nach, was nach diesem Satz kommt. Dort heißt es:Im Vergleich zu den alten Rechnungen enthält die nunmehr vorliegende freilich geringere Reserven.— Die Deckungsrücklage rückt nämlich herunter auf genau die Mindestvorschrift, auf Dreimonatsausgaben —.Einerseits ist damit der Spielraum für etwaige andere Leistungsverbesserungen im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechend eingeengt. Nach den jetzigen Vorausrechnungen würde sich trotz der als günstiger angenommenen Einnahmeentwicklung kein solcher Spielraum ergeben.— Ein sehr wesentlicher Satz — Andererseits— Ich komme mir fast wie in „Anatevka" vor — ist die Möglichkeit nähergerückt, daß bei etwa noch schlechterer wirtschaftlicher Entwicklung das Rücklage-Soll unterschritten wird oder die Beiträge oder Bundeszuschüsse erhöht werden müßten.Ich meine, das ist nicht unbeachtlich. Daran kann man nicht so ohne weiteres vorbeigehen.Aber unterstellen wir einmal — und ich bin bereit, das zu unterstellen —, daß die neuen Schätzungen des Bundesarbeitsministeriums realistisch sind, so müssen wir trotzdem bedauern, daß durch die Art und Weise des Vorgehens die Rentenversicherung völlig unnötigerweise wieder in die Diskussion gekommen ist und daß wiederum Zweifel
über die Dauerhaftigkeit unserer Renten aufgetaucht sind und in der Öffentlichkeit erörtert werden.
Artikel wie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von Walter Kannengießer vom 13. November 1969 hätte man vermeiden können. Dort heißt es— ich bitte den Herrn Präsidenten um Erlaubnis, das vorzulesen —:Wenn jetzt schon damit begonnen wird, diese finanziellen Grundlagen der Rentenversicherung zu verändern, ohne daß zugleich gesagt wird, wie denn der Einnahmeausfall ausgeglichen werden kann, so ist das ganze Rentenfinanzgesetz nichts anderes als ein Fetzen Papier. Dann muß bezweifelt werden, daß die Rentenversicherung mit einem Beitrag von 18% über den Rentenberg kommt.Wir hätten der Bundesregierung geraten, zuerst inden Abstimmungskreis zu gehen, dann in den So-
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Rufzialbeirat und erst dann den Gesetzentwurf vorzulegen. Das wäre der solidere Weg gewesen. So ist unser Kollege Katzer verfahren, und er hat damit stets gute Erfahrungen gemacht. Der Herr Kollege Arendt hätte sich durch ein solches — —
Verzeihung, wenn das eine Zwischenfrage ist, müßten Sie sie erst einmal beantragen. — Der Herr Kollege Schellenberg möchte eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie einverstanden?
Ja.
Herr Kollege Ruf, würden Sie dem Hause mitteilen, ob diese Übung von dem Herrn Bundesarbeitsminister auch bei Einführung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrages praktiziert wurde?
Ich will Ihnen etwas sagen: Herr Kollege Katzer hat sogar mit Ihnen vorher darüber gesprochen.
Aber wir sind ja nicht schadenfroh, sondern wir sind unglücklich über derartige Artikel. Im Bonner „General-Anzeiger" vom 18. Januar heißt es zur Sozialpolitik der Regierung — im General-Anzeiger, ich habe ihn genau beobachtet, er hat in der letzten Zeit die neue Bundesregierung nicht gerade unfreundlich behandelt —:
Das Tauziehen um die Abschaffung des sogenannten Krankenversicherungsbeitrages der Rentner, ... nimmt immer groteskere Formen an und droht, Minister Arendt und die Bonner Sozialpolitik vollends unglaubwürdig zu machen.
... die Versicherten müßten eigentlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen angesichts der Unbekümmertheit, in der hier mit Zahlen jongliert und die Wahrheit verdreht wird, um etwas rechtfertigen zu können, was im Augenblick politisch wünschenswert erscheint. Diese Art von Sozialpolitik ist schlechthin unseriös.Das sage nicht ich, sondern so heißt es hier in diesem Artikel des „General-Anzeigers". Das hätte man vermeiden müssen, meine sehr verehrten Damen und Herren, und das hätte man gut vermeiden können, wenn man solide verfahren wäre.
Meine Damen und Herren, ich habe mich oft gefragt: Welches ist nun eigentlich die Begründungdes Gesetzentwurfes? Was steckt eigentlich nun dahinter? Da fand ich in meiner Sammlung etwas — ich will nicht alles vortragen, sonst müßte ich meine Redezeit nur mit Zitaten ausfüllen;
das habe ich nicht vor, ich will eigene Gedanken vortragen —, aber dies war so nett. Da hat die Sprecherin im Zweiten Deutschen Fernsehen den Bundesarbeitsminister gefragt, was denn nun die Begründung des Kabinetts für diesen Wegfall sei, und der Herr Arendt
wußte nichts anderes zu sagen als: „Nun, Sie wissen, daß ja bei der Einführung dieses Krankenversicherungsbeitrages die Auffassung der SPD war, diesen Beitrag nicht einzuführen. Auch die FDP war nicht dieser Auffassung, daß er eingeführt werden müßte. Wenn Sie so wollen, ist das, diese Beschlüsse und dieses Gesetz vorzulegen, im Grunde genommen die Wiederherstellung eines alten Zustandes." Wiederherstellung eines alten Zustandes: Das ist die Regierung der Reformen!
Meine Damen und Herren, eine Wiederherstellung des alten Zustandes bedeutet, daß die Krankenversicherung der Rentner ohne Beteiligung der Rentner ganz zu Lasten der Versicherten der Arbeiter- und der Angestelltenversicherung geht. Wenn aber der alte Zustand wiederhergestellt werden soll, dann gilt das, meine Damen und Herren und Herr Bundesarbeitsminister und Herr Bundesfinanzminister, auch für die Bundeszuschüsse.
Dann müssen diese Bundeszuschüsse zumindest ab 1970 wieder in voller Höhe gewährt werden,
und zwar im Betrag von etwa 1 Milliarde DM je Jahr — ich habe es nicht genau im Kopf.Mit dieser Forderung stehen wir nicht allein. Bitte lesen Sie nach, was der Sozialbeirat dazu in Ziffer 4 seines Gutachtens sagt. Der Sozialbeirat — ich bitte wiederum um Erlaubnis, Herr Präsident, das vorlesen zu dürfen —
erinnert in diesem Zusammenhang daran, daß die Einführung der Rentnerbeteiligung an ihrer Krankenversicherung und der die Rentenversicherungsträger entlastende Effekt mit der Kürzung der Bundeszuschüsse in Zusammenhang stand.Der Sozialbeirat hält es für notwendig, mit demFortfall dieser Entlastung der Rentenversicherungsträger auch die Kürzung der Bundeszuschüsse ab 1970 wieder rückgängig zu machen.Meine Damen und Herren, wir erheben diese For-
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Rufderung, wir werden sie auch im Ausschuß erheben, das ist ganz selbstverständlich.
— Und bei der Haushaltsberatung begründen! Da dürfen Sie sicher sein. Selbstverständlich, bei der Haushaltsberatung werden wir das begründen; wir haben Verbündete und haben gute Argumente, die für diesen unseren Antrag sprechen.
Nun, meine Damen und Herren, sagt der Sozialbeirat in seinem Gutachten auch, daß der Spielraum für etwaige andere Leistungsverbesserungen entsprechend eingeengt sei. Dasselbe hat übrigens auch der Herr Staatssekretär Auerbach in der „Welt" vor Journalisten erklärt.
— Ich lese vor, jawohl. Er sagt
— mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —: Richtig sei, daß sich der Spielraum für andere Maßnahmen wie etwa die Einführung einer variablen Altersgrenze bei Streichung des Rentnerbeitrages allerdings — und jetzt sagt er: — deutlich verkleinern würde. - So Herr Staatssekretär Auerbach.Meine Damen und Herren, eine Regierung, die mit dem Anspruch angetreten ist, eine Regierung der Reformen zu sein, hätte unseres Erachtens die Pflicht, für den nötigen Spielraum von Reformen zu sorgen
und sich nicht von vornherein die Hände für beabsichtigte Reformen zu binden. Sie müßte zunächst einmal ein Schwerpunktprogramm aufstellen und Prioritäten setzen. Die Wiederherstellung eines alten Zustandes ist, wie ich schon gesagt habe, keine Reform.Ich darf Sie daran erinnern, wir haben beim Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetz im Jahre 1969 gemeinsam die Bundesregierung beauftragt, dem Hohen Hause bis zum 30. Juni 1970 einen Bericht darüber vorzulegen, welche Unzulänglichkeiten in unserem Rentenrecht noch vorhanden sind. Wir wissen alle miteinander, daß es solche Unzulänglichkeiten und Härten in unserem Rentenrecht nach wie vor gibt. Da muß man überlegen, ob es nicht vordringlicher, wichtiger, sozialpolitisch bedeutsamer ist, zunächst einmal diese Härten, wenn schon ein gewisser Spielraum entstehen und gewisse finanzielle Erleichterungen eintreten sollten, zu beseitigen.
Sie wissen doch, meine Damen und Herren, was die Sozialenquete ausgesagt hat. Wir haben uns bei der Sachverständigenanhörung in Berlin sehr eingehend darüber unterhalten. Es läßt sich nicht leugnen, die Versorgung unserer alleinstehenden Frauen, insbesondere der Witwen, ist noch unzureichend. Hier hat noch einiges zu geschehen, und hier sind wir, glaube ich, im Wort.Die flexible Altersgrenze ist ein Problem, über das man sich ernsthaft unterhalten muß. Da liegt etwas drin; das will ich gar nicht verkennen. Auch über vieles andere mehr müssen wir uns unterhalten.Denken Sie doch daran: Im nächsten Jahr wird der Anpassungssatz für die Bestandsrentner 5,5 % betragen. Nicht umsonst ist zur Zeit die Beseitigung des „time-lag", die Aktualisierung der Rentenbemessungsgrundlage, in der Diskussion. Auch das muß man erörtern. Der Sozialbeirat spricht dieses Problem ebenfalls an. Das sind alles Dinge, die erörtert werden müssen. Da kann man nicht kurzerhand und leichtfertig einen Gesetzentwurf vorlegen, der für all dies keinen Spielraum bietet.
— Ach. wissen Sie, Herr Wehner, Zensuren sind wir von Ihnen gewöhnt. Sie müssen sich auch ein bißchen gefallen lassen. Es ist ja immer so, wenn wir Sie ein bißchen angreifen, dann sind Sie überempfindlich.
Meine Damen und Herren, ich muß allmählich zum Schluß kommen. In diesem Hause wird es niemand geben, der den Rentnern die Befreiung von ihrem Beitrag nicht gönnen würde. Wir sind bereit mitzumachen, — —
— Jawohl, wir sind bereit, auch bei diesem Gesetzentwurf mitzumachen,
— Hören Sie den ganzen Satz, nicht bloß den Halbsatz —, wenn es gilt, die Lage der Rentner zu verbessern, wobei wir vorzugsweise an diejenigen Rentner denken möchten, die eine kleine Rente haben und davon leben müssen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt ?
Jetzt nicht mehr. Später diskutiere ich gern.Was wir aber verlangen, meine Damen und Herren, das ist eine gründliche Beratung im Ausschuß. Wir verlangen die Anhörung von Sachverständigen im Ausschuß. Wir wollen der Regierung Fragen stellen und verlangen Auskunft von ihr. Das heißt nicht, daß wir die Verabschiedung des Gesetzes dadurch unnötig verzögern wollen. Aber schließlich sind wir und Sie alle zusammen es den Rentnern schuldig, die Dinge gründlich zu prüfen; denn sie haben ein Recht darauf, zu wissen, wie es auf lange Sicht mit ihrer Rente steht. Eine Deckungsrücklage
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1022 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Rufvon exakt drei Monatsausgaben ist nicht gerade ein Beruhigungspolster. Schließlich liegt es doch auch im Interesse der Aktiven; auch diese wollen Auskunft über die Zukunft der Rentenversicherung haben. Wenn nämlich die Wirtschaftsentwicklung im Laufe der nächsten Jahre auch nur ein bißchen schlechter werden sollte, würde die Deckungsrücklage von drei Monatsausgaben unterschritten werden, und dann müßten wir nach dem Gesetz, das wir geschaffen haben, die Beiträge oder die Bundeszuschüsse erhöhen; daran muß man doch denken.Aber, meine Damen und Herren, dazu möchte ich noch etwas sagen. Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich frage: Was haben Beratungen im Ausschuß überhaupt noch für einen Sinn, wenn das Presse- und Propagandaamt der Bundesregierung ein Rentnerflugblatt vor Weihnachten an den Rentenzahlschaltern verteilt und darin verkündet: Der Rentnerbeitrag fällt ab 1. 1. 1970 fort; selbstverständlich bleiben alle Rentner krankenversichert, aber es kostet nichts mehr. Jetzt müssen noch Bundestag und Bundesrat beschließen. —
Meine Damen und Herren von der SPD, wie hätten Sie geschrien, — Sie hätten Zeter und Mordio geschrien —, wenn wir uns in der Zeit, als Sie in der Opposition waren, so etwas geleistet hätten!
Da kann ich nur mit dem alten sächsischen König sagen: Ihr seid mir scheene Demokraten!
— Ich weiß, ich habe es bewußt so gesagt. Ich kenne das ganze Zitat. Aber, Herr Wehner, immerhin, das geben Sie zu: eine merkwürdige Auffassung von parlamentarischer Demokratie und parlamentarischer Verantwortung.
Meine Damen und Herren, wir sind — um es noch einmal zu sagen — grundsätzlich bereit, jeder Maßnahme zuzustimmen, durch die die Lage der Rentner verbessert wird. Wir erwarten aber, daß die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung die Ausschußberatungen wirklich zu Beratungen machen, daß wir nicht nur zu beschließen haben und daß auch mit der Opposition darüber geredet wird. Ausschußberatungen dürfen nicht bloß pro forma — nach diesem Flugblatt — durchgeführt werden, Ausschußberatungen dürfen nie zu einer Farce werden.Ein Letztes. Auch in Zukunft muß Sozialpolitik eine rationale Sozialpolitik sein, eine Sozialpolitik, die mit den anderen Bereichen der Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik usw. verzahnt ist, und eine Sozialpolitik, die nicht nur an das Heute, sondern auch an das Morgen denkt.
Der Abgeordnete Ruf hat seine angemeldete Redezeit um 17 Minuten unterschritten, und ich glaube, wir freuen uns alle darüber.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Killat für die SPD-Fraktion das Wort. Sie hat für diesen Redner 20 Minuten angemeldet. Herr Abgeordneter Killat, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geschätzten Damen! Meine Herren! Der Herr Kollege Ruf hat hier eine Zitatensammlung vorgetragen. Ich will nicht bestreiten, daß jeder das Recht hat, hier zu zitieren.
— Darüber werde ich gleich einiges sagen. — Aber wenn man zitiert, muß man natürlich richtig oder vollständig zitieren.Ich will hier nur einmal als Beispiel die Stellungnahme des Sozialbeirats zu der Frage der Streichung des 2%igen Rentnerbeitrags in der Krankenversicherung anführen, die Sie, Herr Kollege Ruf, als sehr negativ dargestellt haben. Sie haben eigentlich mit den Vorbemerkungen des Sozialbeirats geschlossen. Vor dem folgenden Satz — ich habe Sie gebeten, weiterzulesen —: „Der Beirat kam zu folgendem Ergebnis" haben Sie abgeschlossen und in keiner Phase Ihrer weiteren Zitate das gebracht, was der Sozialbeirat zu diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung selber zu erklären hat.Ich darf hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten noch einige Sätze vorlesen:Die zusätzliche Belastung der Rentenversicherungsträger durch den Wegfall des von den Rentnern für ihre Krankenversicherung zu tragenden Beitrags ist im wesentlichen durch die Einnahmeverbesserung kompensiert: Die der neuen Vorausrechnung zugrunde gelegten Annahmen über die Entwicklung der Bruttolohn- und gehaltssumme je Beschäftigten hält die Mehrheit des Sozialbeirats für realistisch.Zu der Frage, wie der Beirat zur Auszahlung an die Rentner steht, bemerkt er in der letzten Ziffer auf Seite 3:Aus konjunktureller Sicht bestehen natürlich in einer Phase wie der jetzigen immer Bedenken gegen nachfragesteigernde Maßnahmen. Angesichts der steigenden übrigen Einkommen— so heißt es hier —erscheint es dem Sozialbeirat jedoch nicht angemessen, dieses Argument gerade in bezug auf die Rentnereinkommen vorzubringen.
Der abschließende Satz erhärtet noch diese Feststellung. Dort heißt es:Im speziellen Fall handelt es sich überdiesdarum, eine die Anpassungen in den Jahren1968 und 1969 verringernde Maßnahmen jetzt
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Killatwieder rückgängig zu machen, d. h. in den altenRhythmus von 1968 wieder einzuschwenken.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke ?
Herr Kollege Killat, da wir gerade so schön beim Zitieren sind, frage ich Sie, ob Ihnen der Autor der folgenden Sätze bekannt ist:
Es ist nicht einzusehen, warum Rentner mit einem Einkommen von 500 bis 600 DM, das bereits höher ist als das allgemeine Durchschnittseinkommen in der Rentenversicherung, nicht ebenso zur Beitragsleistung für ihren Krankenschutz herangezogen werden sollten wie die Erwerbstätigen mit einem gleich hohen Nettoeinkommen.
Ist Ihnen der Autor bekannt?
Ja, der Autor ist mir bekannt.
— Herr Kollege, diese Frage habe ich erwartet. Ich glaube, Sie zitieren den „Industriekurier" oder „Arbeit und Sozialpolitik". Ich werde Ihnen vorlesen, was ich dazu im SPD-Pressedienst und in einem Artikel, der im „Industriekurier" erschienen ist, geschrieben habe.
Ich darf das hier einmal zitieren:
In der Rentnerkrankenversicherung ist ein rapide steigender Kostenfaktor festzustellen. Bei Rentnern und Pensionären, die tatsächlich 75 % ihres Einkommens bzw. des Durchschnittseinkommens aller Versicherten — heute rund 1000,— DM monatlich — erreichen, ist die Frage nicht unberechtigt, inwieweit sie durch den Fortfall ihres Beitragsanteils besser gestellt sind als ein aktiv Beschäftigter.
Werter Herr Kollege, wenn die aktiv Beschäftigten, wie Sie wissen, einen Steuer- und Sozialversicherungsabzug von etwa 26 bis 27 °/o haben, dann ist die Frage berechtigt, ob nicht eine Besserstellung vorliegt, wenn die Pensionsleistungen den Satz von 75 % übersteigen. Das trifft im wesentlichen nur im öffentlichen Dienst zu. In der allgemeinen Rentenversicherung werden solche Quoten gar nicht oder nur dort erreicht, wo betriebliche Zusatzaltersversorgungen gewährt werden. Ich darf also feststellen, daß das Zitat — ich kenne eine solche Darstellung des „Industriekurier" - in diesem Punkt nicht den Tatsachen entspricht.
Meine Absicht habe ich mit dem Zitat in dem von
mir selbst veröffentlichten Artikel deutlich gemacht.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?
Herr Kollege Killat, ich darf feststellen, daß ich mit Ihnen in dieser Frage, wie Sie es gerade interpretieren, völlig einig gehe. Darf ich daraus entnehmen, Herr Kollege Killat, daß wir in den Ausschußberatungen noch gemeinsam Spielraum haben, über das, was in diesem Rentnerflugblatt steht, hinaus weiter zu diskutieren?
Herr Kollege Franke, ich glaube, daß wir dafür überhaupt keinen Spielraum haben. Das will sich hier sofort begründen und damit auch die Frage beantworten, die der Kollege Ruf gestellt hat, ob wir als eine Partei der Reformen wieder einen Vorgang rückgängig machen und damit in den „alten Trott", oder wie Sie es nennen wollen, zurückfallen. Meine Damen und Herren, lassen Sie es sich gesagt sein: Sie haben gegen diese von der Bundesregierung angekündigte Maßnahme, ohne daß neue Vorausberechnungen, ohne daß die Stellungnahmedes Sozialbeirats mit allen Daten vorlag, schon eine Kampagne entfesselt, die Sie in die Zwangssituation bringt, Dinge zu verteidigen, die Sie auf diese Art und Weise nicht verteidigen können. Ich will einmal darauf hinweisen, mit welchem Personenkreis wir es zu tun haben und was wir seinerzeit in einer schwierigen Finanzsituation des Bundeshaushaltes und einer schwierigen Situation der Wirtschaft gezwungenermaßen tun mußten. Jetzt ist zuerst die Frage zu stellen, ob diese Maßnahme heute noch aufrechterhalten werden muß. Die 9 Millionen Rentner, die sich seit dem 1. Januar 1968 einen Abzug von ihrer Rente in Höhe von 2 °/o gefallen lassen mußten, haben diesen Vorgang immer als Ärgernis angesehen. Warum?
— Herr Kollege, lassen Sie mich einmal meinen Gedankengang zu Ende führen. Wir haben vielleicht Gelegenheit, auch noch im Ausschuß darüber zu sprechen.Die in der privaten Wirtschaft beschäftigten Arbeiter und Angestellten sind doch in einem risikobeladenen Feld tätig, wo Einkommenseinbußen durch Arbeitsausfall, durch Kurzarbeit, durch strukturelle Veränderungen und durch eine Minderbewertung von Arbeitsplätzen und Berufen zu verzeichnen sind. Das ist allen bekannt. Dadurch hat dieser Personenkreis niemals die Möglichkeit, ohne Zusatzleistungen eine Rente zu bekommen, wie wir sie uns seinerzeit vorgestellt haben. Ich darf hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten den Herrn Kollegen Katzer zitieren.
Sie haben noch 1969 eine Schrift veröffentlicht, Herr Kollege Katzer, in der Ihre Aufsätze und Reden als Arbeitsminister mitverarbeitet worden sind. Ich bin sehr erfreut, hier feststellen zu können, daß Sie selber zu der Erkenntnis kommen, das von den
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1024 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Killat9 Millionen Rentnern ein Drittel eine Rente unter 350 DM hat.
— Aber Herr Kollege, angesichts dieser Tatsachen muß man überprüfen, ob bei diesem Personenkreis eine Notmaßnahme aufrechterhalten werden kann, die in einer Notzeit vielleicht nicht zu umgehen war.
Ich darf weiter darauf hinweisen, daß insbesondere bei den Frauen — das wissen Sie doch von den Witwen — beinahe 90 % eine Rente unter 300 DM haben. Ähnliches gilt von den Versichertenrenten der Frauen in der Arbeiter- und Angestelltenversicherung.
In dieser Situation befinden sich nun einmal unsere Rentner. Deshalb konnte der Rentnerkrankenversicherungsbeitrag auch nicht sozialpolitisch begründet werden.Ich darf hier auch auf das Vorwort von Bundeskanzler Adenauer zur Rentenreform verweisen, der seinerzeit erklärte, daß mit dieser Rentenreform das Ziel erreicht werde, daß die Rentner nach 40 Arbeitsjahren und Jahren der Beitragsleistung etwa 60 % des Arbeitseinkommens eines vergleichbaren Arbeits- und Berufstätigen erhalten. Auch dazu haben Sie, Herr Kollege Katzer, noch einmal Stellung genommen und in Ihrer Schrift erklärt: Die jetzige Durchschnittsrente liegt mit etwa 48 % des durchschnittlichen Bruttoarbeitseinkommens auf einem Niveau, das in den kommenden Jahren höchstens gehalten werden kann. „Von einer gesetzlichen Vollversorgung kann also keine Rede sein."
— Herr Kollege, das ist der springende Punkt. Bei der Verabschiedung des Finanzsicherungsgesetzes, das über den Haushalt gelaufen ist, weil es um andere Probleme ging, ist als Motiv für die Einführung des zweiprozentigen Beitrags der Rentner angegeben worden erstens die Entlastung des Bundeshaushalts — das war die primäre Absicht — und zweitens gleichgewichtig die notwendige Konsolidierung der Rentenversicherung. Beides sind Faktoren, die wahrscheinlich durch die Zeitverhältnisse und die inzwischen vorliegenden Daten überholt sind. Wir haben damals aus grundsätzlichen Erwägungen Ihren Vorschlag, meine Damen und Herren, abgelehnt; Sie wollten damals sogar einen vierprozentigen Beitrag erheben.
Wir haben einem zweiprozentigen Abzug nur zugestimmt, weil von seiten der Arbeitgeber als Alternative vorgeschlagen wurde, zu einer Nettorentenberechnung zu kommen. Das hätte bedeutet, daß die Renten radikal gekürzt worden wären, und damit wäre die bruttolohnbezogene Rente überhaupt beseitigt worden. Es waren noch andere Maßnahmenvorgesehen, denen wir nicht zustimmen konnten, etwa eine Beitragserhöhung für die aktiv Beschäftigten, die zu diesem Zeitpunkt keine Einkommenserhöhung zu erwarten hatten.Nun, meine Damen und Herren, Sie haben uns keinen anderen Weg offengelassen, als diesen Kompromiß mit den 2 % mit Ihnen zu schließen. Aber daß das ein Kompromiß von Dauer und ein grundsätzlicher Beschluß war, können Sie uns heute nicht vorhalten. Das ist auch von uns in keiner Weise vertreten worden.Ich darf nur darauf hinweisen, daß auch Frau Kollegin Kalinke seinerzeit in der Debatte auf die Schwierigkeiten der Situation und auf das „Unbehagen" aufmerksam gemacht hat, das hier alle erfaßt hat, weil mit dieser Kürzung nicht sozialpolitische Maßnahmen bewirkt werden sollen, sondern weil es eine rein fiskalisch-finanzpolitische Maßnahme war, die letzten Endes auf die Dauer von den Rentnern nicht zu vertreten ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Katzer?
Herr Kollege Killat, es ist Ihnen doch bekannt, daß seinerzeit die Bundesregierung mit allen Ministern, also einschließlich der sozialdemokratischen Minister, diese Maßnahme vorgeschlagen hat, und zwar ursprünglich mit 4 %, weil durch die Finanzsituation in bezug auf den Haushalt eine Kürzung des Bundeszuschusses vorgenommen werden mußte? Das war eine gemeinsame Entscheidung der Regierung, aus der Sie sich heute nicht herausstehlen können. Herr Kollege Killat, das müßte Ihnen doch wirklich bekannt sein.
Herr Kollege Katzer, es war mein Bemühen, jetzt darzustellen, daß es so gewesen ist, wie Sie es durch Ihre Frage eigentlich selbst beantwortet haben: es war eine Maßnahme in einer ganz bestimmten finanziellen Situation, die, das darf ich hier doch auch sagen, mit einer Deckungslücke von 64 Milliarden DM für die mittelfristige Finanzplanung bezüglich des Haushalts bis 1971 und mit dem Ausfall von 30 Milliarden DM wirtschaftlichen Zuwachses für 1967 zu einem Notopfer der Rentner — das ist die richtige Bezeichnung - durch diesen zweiprozentigen Beitrag gezwungen hat.
Bekanntlich haben Notopfer doch nur die Funktion, für einen bestimmten Zeitpunkt zu gelten, solange der bestimmende Faktor fortwirkt. Wir haben es aber nicht als eine Dauermaßnahme angesehen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Katzer?
Ja, falls meine Redezeit dadurch nicht verkürzt wird.
Nein, ich gebe Ihnen drei Minuten zu, Herr Kollege.
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Herr Kollege, ich bin sehr einverstanden mit Ihrer Erklärung, die Sie jetzt gegeben haben. Ich darf nur fragen: Sind Sie nicht bereit, zuzugeben, daß das damals nicht ein Vorschlag der Union, sondern eine von der Regierung durch die damalige Situation erzwungene Maßnahme war, die wir gemeinsam ergriffen haben, zu der ich heute stehe und zu der Sie sich eigentlich auch bekennen sollten?
Kollege Katzer, ich glaube, daß dient gar nicht mehr der Sache, sondern wir müssen, wie ich beinahe sagen würde, auf dem Teppich bleiben. Die damaligen Voraussetzungen sind entfallen. Inzwischen sind Umstände eingetreten, die Ihnen doch auch bekannt sind: die Verbesserung der finanziellen Situation
- ich möchte jetzt keine Zwischenfrage beantworten, sondern meinen Gedankengang zu Ende führen —, die Einführung der Lohnfortzahlung, die eine finanzielle Verbesserung der Arbeiterrentenversicherung brachte; inzwischen sind durch die wachstumsfördernden Maßnahmen der Bundesregierung die Einnahmen in der Rentenversicherung im Jahre 1969 statt, wie geschätzt, um 7 % um 9,3 % gestiegen, und für dieses Jahr wurden die Mehreinnahmen auf 1,75 Milliarden DM geschätzt. Wenn wir davon nur 700 Millionen DM für den Rentnerbeitrag verwenden, d. h. diese Rentenkürzung aufheben, bleibt immer noch ein Überschuß von über einer Milliarde DM.
Wenn hier von dem Bundeszuschuß, der auch fallen sollte, gesprochen worden ist, so wissen Sie genauso wie wir, daß die Kürzung des Bundeszuschusses im nächsten Jahr ausläuft und damit auch die finanziellen Verbesserungen eintreten, die eine Weiterzahlung der bruttolohnbezogenen Rente ohne Beitragserhöhung gestatten.
Herr Kollege Katzer, ich will aber noch ein Wort sagen, das wir uns zu Herzen nehmen sollten. Natürlich kann es in der weiteren Entwicklung auch gewisse Abflachungen in der Zuwachsrate unseres Sozialprodukts geben. Wenn aber unter Umständen durch Maßnahmen weltwirtschaftlicher Art oder durch andere Faktoren, die auf unser Land einwirken, eine finanzpolitische Situation eintritt, die es erforderlich macht, außerordentliche finanzpolitische Maßnahmen durchzusetzen, darf es nicht so sein, daß der einkommensschwächste Teil in unserer Gesellschaft zur Ader gelassen wird. Es muß vielmehr die Volksgesamtheit, d. h. jeder einzelne entsprechend seinem Einkommen und Vermögen dazu beitragen.
Meine Damen und Herren der CDU/CSU, Sie haben nun gestern im Vermittlungsausschuß versucht, die Kriegsopferrenten um weitere zwei Prozent zu erhöhen. Dafür habe ich Verständnis. Aber wenn Sie sich jetzt gegen unser Bemühen wenden, einen vergleichbaren Personenkreis, der zum größten Teil in einer vielleicht noch schlechteren Situation ist, von Lasten zu befreien - wir wollen den Rentenabzug rückgängig machen —, sind Sie mir eine Erklärung schuldig, wieso Sie aus finanzpolitischen, wirtschaftlichen oder sozialpolitschen Gründen in dem einen Fall so und in dem anderen Fall anders verfahren.
Meine Damen und Herren, Sie sprechen hier von einer Mindestrente. Ich weiß nicht, wie Sie heute auf diesen Gedanken kommen;
denn Sie sind doch immerhin 20 Jahre lang in diesem Hause in maßgeblicher Weise für die Politik verantwortlich gewesen, und seit der Rentenreform im Jahre 1957 hatten Sie — gemeinsam mit uns — Möglichkeiten, auf diesem Gebiete tätig zu werden.
Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist gegen das einseitige Notopfer der Rentner. Wir begrüßen deshalb den von der Bundesregierung gemachten Vorschlag, mit diesem Gesetzentwurf die Kürzung der Rente um 2 °/o zu beseitigen. Wir geben der Hoffnung Ausdruck, daß Sie im Ausschuß und hier in diesem Hohen Hause mit uns für eine beschleunigte Verabschiedung dieses Gesetzes eintreten.
Das Wort hat der Abgeordnete Grüner von der FDP-Fraktion. Eine Redezeit ist für Sie nicht angemeldet. Sie können 15 Minuten sprechen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Für die Freien Demokraten möchte ich an dieser Stelle sagen, daß wir den Wegfall des Krankenversicherungsbeitrages der Rentner mit Befriedigung zur Kenntnis nehmen, und zwar deshalb, weil dieser Beitrag, der 1967 im Rahmen des Finanzänderungsgesetzes eingeführt wurde, kein echter Beitrag zur Krankenversicherung war. Die Bezeichnung „Krankenversicherungsbeitrag" stellt in Wahrheit eine Verschleierung dar: In der damaligen Lage bestand die Notwendigkeit, wie es der Kollege Schoettle bei der Beratung im Haushaltsausschuß und im Schriftlichen Bericht des Haushaltsausschusses formuliert hat, einmal, den Rentenvericherungshaushalt zu konsolidieren, und zum anderen, eine Entlastung des Bundeshaushalts herbeizuführen. Mein Parteifreund und Kollege Spitzmüller hat bei der damaligen Debatte in diesem Hause ebenso leidenschaftlich wie sachkundig darauf aufmerksam gemacht, daß diese Verschleierung von den Freien Demokraten abgelehnt wird und daß es bei diesen Maßnahmen in Wahrheit um einen Eingriff in das Leistungsrecht gegangen ist. Wir halten gar nichts davon, zur Beruhigung der Rentner etwa von diesen Tatsachen abzulenken. Wir sind dezidiert der Meinung, daß wirtschaftliche Tatbestände und wirtschaftliche Zusammenhänge auch als solche bezeichnet werden müssen.
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1026 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
GrünerMeine Damen und Herren, dazu gehört auch, daß wir den Mut haben — das gehört meiner Meinung nach auch zum Reformwillen —, deutlicher, als das bisher geschehen ist, zu sagen, wer diese Leistungen, die für die Krankenversicherung der Rentner erbracht werden, aufzubringen hat. Das sind nämlich die aktiven Beitragszahler, einmal auf dem Wege über die Rentenversicherung, zum anderen natürlich auch auf dem Wege über die Krankenversicherung, bei der sie mit ihren Beiträgen eine Leistung dazu erbringen, daß die Rentner ohne eigenen Beitrag in der Krankenversicherung versichert sein können.Wir halten es für notwendig, daß das so ist, aber wir glauben, daß es zur Klarheit und Wahrheit gehört, das den aktiven Beitragszahlern auch zu sagen. Wir halten gar nichts davon, wenn wir von einer dynamischen Rentenformel sprechen, diese Dynamik etwa so auszulegen, daß in der Öffentlichkeit und insbesondere bei den betroffenen Personenkreisen der Eindruck erweckt wird, als ob sich hier nichts mehr bewege, als ob hier eine Diskussion nicht mehr notwendig wäre, als ob hier etwa davon ausgegangen werden könnte, bei gleichbleibenden wirtschaftlichen Verhältnissen sei mit einem stetigen Wachstum zu rechnen. Wir sind optimistisch, wir glauben, daß die Vorausberechnungen, die die Regierung hier vorgelegt hat, durchaus realistisch sind, aber wir warnen gleichzeitig davor, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, dafür sei eine letzte Sicherheit gegeben. Das wäre ein falscher Weg. Wir glauben, daß dieser Weg von diesem Hause nicht gegangen werden sollte, sondern daß wir die Rentner und die aktiven Beitragszahler als mündige Bürger verstehen sollten, denen wir die wirtschaftlichen Zusammenhänge, auf der diese soziale Rentenversicherung beruht, durchaus auch darlegen sollten.
Deswegen meinen wir und meine insbesondere ich persönlich, wir sollten auch nach Wegen suchen, daß die Leistungen, die auf dem Wege über den Krankenversicherungsschutz an die Rentner erbracht werden, auch ausgewiesen werden, und wir sollten zum anderen auch den Beitragszahlern deutlicher als bisher sagen, welche Leistungen sie im Interesse der Solidargemeinschaft aller Versicherten zu erbringen haben. Dazu gehört auch, daß wir freimütig zugeben, wenn wir nicht mehr in der Lage zu sein glauben, die Haushaltszuschüsse des Bundes so zu erhöhen, wie es an sich notwendig wäre,
weil es sich hier ja um einen Aufwand handelt,der durch einen verlorenen Krieg entstanden ist,insofern also Folgelasten des Krieges vor uns liegen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kalinke?
Bitte sehr!
Herr Kollege, sind Sie denn bereit, diese Leistungen, die die Rentenversicherten und die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten für die kostenlose Krankenversicherung der Rentner — und jetzt für alle Rentner ohne Rücksicht auf ihr Einkommen - aufbringen, zu verdeutlichen und das der deutschen Öffentlichkeit vor der Abstimmung über dieses Gesetz bekanntzugeben?
Wir waren bisher der Auffassung, daß dieser Weg der richtige ist. Wir haben nicht umsonst, Frau Kollegin, gerade im Jahre 1967 gegen die von Ihnen mit getragene Verschleierungstaktik Front gemacht. Wir sind deshalb der Meinung, daß hier eine tatsächliche Reform vorliegt und daß — hier hat Herr Kollege Ruf, meine ich, nicht das richtige Wort gefunden mit der Wiederherstellung des früheren Zustandes nicht etwa ein alter negativer Zustand wiederhergestellt wird.
Es wird vielmehr ein wirklicher Beitrag zur Klarheit und Wahrheit geleistet.
Es ist also in diesem Sinne eine durchaus begrüßenswerte Reform, eine Reform, die wir — wie andere Reformen auch — gegen Vorstellungen durchsetzen müssen, die Sie als CDU damals der deutschen Öffentlichkeit als Ausweg aus der Finanzmisere vorgestellt haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Breidbach?
Bitte sehr!
Herr Kollege, sind Sie der Auffassung, daß es in Anbetracht der Einführung dieses Rentenversicherungssystems insgesamt im Jahre 1957 durch die maßgebliche Initiative der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union gerechtfertigt ist, im Zusammenhang mit der Streichung des zweiprozentigen Krankenversicherungsbeitrags von einer Reform zu sprechen?
Ich glaube, Herr Kollege, Sie haben nicht ganz erkannt, daß ich auf einen Beitrag des Kollegen Ruf geantwortet habe, der hier ironisch festgestellt hat, das sei die Regierung der Reformen, die den Krankenversicherungsbeitrag wieder abschaffe. In diesem Sinne meine ich, daß es eine wirklich begrüßenswerte Reform ist, wenn die Regierung unter geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen von der Verschleierungstaktik bezüglich des
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1027
GrünerKrankenversicherungsbeitrags abgeht und damit einen wirklichen Beitrag zur Klarstellung leistet. Das würde ich in diesem Sinne als eine Reform bezeichnen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege, haben Sie bei der Rede von Herrn Kollegen Ruf, der sich nicht auf das bezogen hat, was Sie eben sagten, sondern darauf, was der Bundesarbeitsminister als Begründung gesagt hat, nicht recht zugehört?
Ich bin der Meinung, daß ich den Herrn Kollegen Ruf durchaus richtig verstanden habe. Ich glaube, daß ich ihn hier sogar fast wörtlich zitiert habe.
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ruf.
Herr Grüner, Sie sagen, Sie begrüßen es, daß der Rentnerbeitrag wegfällt; denn er sei ja kein echter Beitrag der Rentner zur Krankenversicherung, sondern diene der Entlastung der Rentenversicherung. Sind Sie denn bereit, dafür einzutreten, daß von den Rentnern ein echter Beitrag zur Krankenversicherung erhoben wird?
Herr Kollege Ruf, Sie wissen, daß wir Freien Demokraten mit Nachdruck eine grundsätzliche Reform des Krankenversicherungsrechts gefordert haben und das, was von Ihnen in der vergangenen Legislaturperiode als Einstieg in die Krankenversicherungsreform bezeichnet worden ist, als einen solchen wirklich nicht ansehen konnten. Das beinhaltet unsere Bereitschaft, an einer Krankenversicherungsreform mitzuwirken. In diesem Sinne waren die Freien Demokraten immer die ersten, die bereit waren, über den Gesamtzusammenhang einer solchen Reform zu diskutieren.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ruf?
Bitte sehr!
Ausgezeichnet, Herr Kollege Grüner! Aber haben Sie denn Hoffnung, daß es unter dieser Regierung zu einer Krankenversicherungsreform kommt?
Ich glaube, Herr Kollege Ruf, daß wir in dieser Koalition die Möglichkeit haben, über alle Fragen, an denen uns gemeinsam liegt, ein offenes und klares Wort zu sprechen.
Im Ausschuß wird Gelegenheit sein, die Beratungen, die Sie eben gefordert haben — ich unterstütze Sie darin , tatsächlich gründlich durchzuführen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich möchte für die Fraktion der Freien Demokraten noch einmal betonen, daß wir den Wegfall des Krankenversicherungsbeitrags begrüßen, unterstützen und ihn als einen wichtigen Beitrag zur Klarheit und Wahrheit in der Rentenversicherung betrachten.
Das Wort hat Herr Minister Arendt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zahlen- und Zitatenrede des Kollegen Ruf gibt mir Veranlassung, ein paar Bemerkungen an dieser Stelle zu machen.
Sie wissen — davon gehe ich aus -, daß kurz nach der Amtsübernahme dieser Regierung durch eine Indiskretion eine bei uns erörterte Möglichkeit, der sozialen Symmetrie zum Zuge zu verhelfen — das war eine von mehreren im Ministerium erörterten Maßnahmen —, in die Öffentlichkeit gekommen ist und so dargestellt wurde, als sei das schon eine beschlossene Sache. Ich will hier nicht alle theoretisch erörterten Modelle aufzählen, sondern wollte nur, damit Sie das auch einmal wissen, Herr Kollege Ruf, sagen: Im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung wurde kurz nach dem Regierungsantritt auch die Möglichkeit der sukzessiven Einführung einer 13. Rente als theoretisches Beispiel erörtert. Es wurde auch der Wegfall des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner erörtert. Darüber hinaus wurde eine einmalige Zahlung theoretisch erörtert. Von diesen und noch mehr erörterten Möglichkeiten ist eine nicht durch mein Zutun - in die Öffentlichkeit gekommen. Sie wissen, daß es dann in der Öffentlichkeit so dargestellt wurde, als sei dies schon — ich sagte es bereits — eine beschlossene Sache. Sie haben — erlauben Sie mir das hier zu sagen — diesen „abgenagten Knochen" der einmaligen Zahlung wieder hervorgeholt und zeigen ihn jetzt der staunenden Umwelt.
Ich muß Ihnen sagen: dieser Knochen ist abgenagt und „blank", das sage ich frei, das sage ich aber auch „frank", damit Sie darüber auch einmal in diesem Zusammenhang Bescheid wissen.
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1028 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Bundesminister Arendt— herr Kollege Katzer, das wissen Sie ganz genau. Und Sie sollten — wenn ich Ihnen einen Rat geben darf; das tue ich ungefragt Ihrem Generalstabschef für die Angriffe auf die Sozialpolitik dieser Regierung wirklich sagen, er soll den Knochen verschwinden lassen. Das wäre der Sache sehr nützlich und dienlich.
- Ich wollte es Ihnen bei dieser Gelegenheit gesagt haben, damit Sie Bescheid wissen.Aber lassen Sie mich ein paar Bemerkungen machen, damit der Dunst über diesen Zahlen verschwindet, der sich doch sehr abgelagert hat. Es geht bei dieser Betrachtung um zwei Komplexe, einmal um die Annahme der voraussichtlichen Lohn- und Gehaltsentwicklung bis 1985 und zum zweiten um die Vorausschätzung der Zahl der Versicherten. Das sind doch die beiden Streitpunkte, wo Meinungen auseinandergehen.Lassen Sie mich zunächst ein paar Bemerkungen zur Lohnentwicklung machen. Bei dieser Schätzunggibt es zwei Zeiträume, den einen Zeitraum - derist unumstritten, denke ich - bis zum Jahre 1973und dann einen zweiten Zeitraum von 1974 bis 1985. Für die Entwicklung von 1974 bis 1985 gibt es eine zwischen der Bundesbank und der Bundesregierung geringfügig unterschiedliche Auffassung. Dabei liegen wir gar nicht so weit auseinander. Beide
— Ich wollte Ihnen gerade sagen: nicht Milliarden, sondern die Meinungsunterschiede beziehen sich auf einen sachlichen Punkt; lassen Sie mich das doch einmal sagen:
Die Bundesbank und die Bundesregierung gehen davon aus, daß die Produktivitätssteigerung nicht wesentlich über vier Prozent jährlich angesetzt werden sollte. Die Bundesregierung beziffert diese Steigerungsrate mit 4,3 %. Die Bundesbank nennt keinen bestimmten Satz, sie spricht nur von „nicht wesentlich über 4 %". Beide, sowohl die Bundesregierung als auch die Bundesbank, gehen davon aus, daß die jährliche Preissteigerung langfristig auf 1,5 5 beschränkt bleibt. Nun kommt der kleine Unterschied: Während die Bundesregierung — und das ist ihr politisches Programm — mit einem leicht steigenden Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen rechnet, auch langfristig,
zumindest aber mit einem gleichen Anteil, und deshalb eine langfristige Lohnsteigerung von 5,8 % zugrunde legt, auch bis in die Zeit 1985 und darüber hinaus, kann die Bundesbank — trotz der praktisch gleichen Annahmen über Produktivität und Preise —diesen Prozentsatz der Bundesregierung nicht unterstützen. Das ist der Unterschied.Sie, Herr Ruf, haben aus der Stellungnahme des Sozialbeirats zitiert. Ich habe bei der Begründung dieses Gesetzentwurfs darauf hingewiesen, daß in beiden Gremien, sowohl im Beratungskreis als auch im Sozialbeirat, der Vertreter der Bundesbank zu diesem Punkt Anmerkungen gemacht oder Einwendungen erhoben hat; ich habe es gesagt.Die Bundesbank unterstellt eine Entwicklung, die von den meisten Mitgliedern dieses Hauses und von der Bundesregierung nicht angestrebt wird: daß nämlich der Anteil der Löhne und Gehälter am volkswirtschaftlichen Kuchen zu Lasten der Arbeitnehmer zurückgeht. Das ist nicht unsere Politik. Das wird die Bundesregierung für einen so langen Zeitraum nicht zulassen. Deshalb — und nur deshalb — sind diese Zahlen politisch und beinhalten ein Programm für die Arbeitnehmer.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burger?
Herr Bundesminister, darf ich Sie, bezugnehmend auf das, was Sie soeben hinsichtlich der Prognose der derzeitigen Bundesregierung für die Lohnentwicklung in den kommenden Jahren darlegten, fragen: Hängt diese günstigere Prognose damit zusammen, daß die derzeitige Bundesregierung dem Wachstum eine größere Priorität zumißt als dem Faktor Stabilität?
Herr Kollege, Sie wissen, daß wir in der nächsten Zeit den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung in diesem Hause behandeln werden. Da werden wir Gelegenheit haben, über diese Fragen und Annahmen sehr ausführlich zu sprechen.
Herr Minister, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?
Herr Bundesminister, halten Sie die Preissteigerungsrate von 1,5%, die Sie soeben genannt haben, für realistisch? Ich beziehe mich auf die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Dr. Arndt im deutschen Fernsehen vor einigen Tagen, der erklärt hat, wenn es gelänge, die Preissteigerungsrate unter 3 % zu drücken, wäre das im Hinblick auf die internationale Situation ein großartiger Erfolg der derzeitigen Bundesregierung.
Ich gehe davon aus, daß der Herr Staatssekretär nicht von der langfristigen Entwicklung bis 1985, sondern vom aktuellen Bezug gesprochen hat.
Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zum zweiten Streitpunkt machen. Das ist die Frage der Entwicklung der Zahl der Versicherten. Die Statistiker des Bundesamtes in Wiesbaden haben ihre Annahme über die Geburtenquote reduziert. Ein Rückgang der
Bundesminister Arendt
Geburtenzahl hat aber bis 1985 - Herr Ruf, das wissen Sie ganz genau — keinen Einfluß auf die Zahl der Versicherten, weil selbst im Jahre 1970 geborene Kinder vor 1985 keine Beitragszahler der Rentenversicherung werden.
Das Statistische Bundesamt geht ferner nicht mehr wie bisher von einer sinkenden Sterblichkeit aus, sondern nimmt an, daß sie gleichbleibt. Diese Regierung will gesellschaftspolitisch alles tun, um diese pessimistische Voraussage zu widerlegen. Davon können Sie auch überzeugt sein. Aber selbst wenn die Prognose des Statistischen Bundesamtes zuträfe, würde das keinen Einfluß auf die Zahl der Versicherten haben. Wir meinen: unsere wirtschaftliche Entwicklung wird dazu führen, daß die Zahl der Beschäftigten laufend zunimmt.
Sie werden mir zugeben, daß ich aus meiner früheren Tätigkeit und auch aus meiner Erfahrung, Herr Kollege Ruf, genau weiß, wie wichtig das Vertrauen der Arbeitnehmer für die Zukunft der Rentenversicherung ist. Gerade unter diesem Aspekt wurde in meinem Hause alles getan, um Ihnen eine vorsichtige und ausgewogene Rechnung zu unterbreiten.
Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen. Wenn Sie meinen — und Sie machen das so ein bißchen hochfahrend und herablassend —,
das sei eine Reform, dann würde ich sagen: Die 9,5 Millionen Rentner draußen im Lande, Herr Ruf, wissen genau, daß mit dem Wegfall des Krankenversicherungsbeitrages so kurz nach der Amtsübernahme durch die Regierung Brandt ein wichtiger Vorgang für die soziale Symmetrie und für die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik vorgenommen wurde.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Ich möchte zu der Debatte, so wie sie bisher gelaufen ist, einige Fragen stellen und einige Probleme noch zusätzlich verdeutlichen.Der Herr Minister ist davon ausgegangen, daß das Problem des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner allein ein Problem der Rezession 1966 gewesen sei und damit nur ein Problem der finanziellen Lage der Rentenversicherungsträger sei. Ich glaube, Herr Minister, Sie werden mir zugeben, daß das eine viel zu enge und zu kurzsichtige Betrachtung des Problems der Krankenversicherung der Rentner ist. Alle Kenner des Zusammenhangs, alle „Notleidenden" an diesem Problem, besonders die Selbstverwaltungsorgane der Krankenversicherungsträger, die von dieser Last wissen, alle diejenigen, die die größeren Zusammenhänge übersehen, wissen --- und Sie werden das mit. Sicherheit auch wissen —, daß dies ein Problem einmal der Rentenversicherung, dann aber ein ganz entscheidendes Problem der Krankenversicherung und nicht zuletzt ein Problem ist, in dem die Grundsatzfragen der Sozialpolitik angesprochen sind, nämlich die Frage der Solidarität aller Arbeitnehmer und aller Arbeitgeber für die Rentner, aber auch das Problem der „Grenzen dieser Solidarität" im Zusammenhang mit der völlig veränderten wirtschaftlichen Situation aller Gruppen und Schichten. Diese positive Einkommensentwicklung ist immerhin ein Ergebnis einer erfolgreichen Wirtschafts- und Sozialpolitik unter der Führung der CDU und sollte beachtet werden!Darum frage ich Sie, Herr Minister: Sind Sie wirklich der Meinung, daß Rentner eine homogene Klasse armer Leute sind, oder sind Sie nicht der Meinung, daß wir in der Gesellschaftspolitik von morgen sehr differenzieren müssen zwischen dem Rentnereinkommen, also dem wirklichen Einkommen der Rentenempfänger, und der Situation, in der sich die große Zahl derjenigen Versicherungspflichtigen befindet, die als Versicherte — ich denke besonders an die berufstätigen Frauen, darunter insbesondere die Witwen und Geschiedenen — mit wachsenden Beitragsbelastungen zu rechnen haben? Diese Beitragsbelastungen, die dabei doch nicht übersehen werden dürfen — die heutigen Pflichtbeiträge betragen, wie es in der Debatte schon angeklungen ist, im Durchschnitt 27 % allein für Renten- und Krankenversicherung ohne Steuern —, betreffen einen Großteil von Angestellten, die oft in einer sehr viel schlechteren Situation sind als die Bezieher von Mehrfachrenten und sonstigen Einkommen.Kann ich mit Ihnen darüber übereinstimmen, Herr Minister, daß „Durchschnittsrenten", die hier wieder einmal zitiert worden sind, überhaupt nichts über die Situation des Rentners, über sein Einkommen und über seine wirtschaftliche Lage aussagen? Darf ich unterstellen, daß Sie sich bei der Vorbereitung sozialer Reformen und als Voraussetzung für den sozialen Fortschritt Klarheit darüber verschaffen werden, wie die wirtschaftliche Situation der Rentner, vielleicht auch der Beitragszahler — der Arbeitnehmer wie der mittelständischen Schichten — aussieht, die nun nach dem Lohnfortzahlungsgesetz angesichts der wirtschaftlichen Situation schon wieder fürchten müssen, daß sie ab 1. Juli weitere Beitragsbelastungen treffen könnten?
Könnten wir auch darin einig sein, daß die Selbstverwaltung, über deren Verlust an Bedeutung und Möglichkeiten soviel geklagt wird, hier die hohe Aufgabe hätte, zu überlegen, wo die Grenzen der Solidarität sind? Sie haben soeben gesagt, Herr Minister, es sei schlecht, pessimistische Betrachtungen zur Grundlage zu machen. Da bin ich mit Ihnen einig. Aber ich halte es für genauso schlecht, zu optimistische Betrachtungen zur Grundlage von Entwicklungen zu machen, deren Auswirkungen wir auf lange Jahre hinaus gemeinsam sehen sollten.
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1030 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Frau KalinkeIch habe dem Debattenredner Ihrer Fraktion, Herr Minister, aufmerksam zugehört, und wir werden ja wohl noch einiges erleben und hören zu den vielen offenen Fragen, die mit Sicherheit noch übrigbleiben. Ich bedaure ganz besonders, daß der Kollege Killat — eigentlich hätte er es von Berufs wegen wissen müssen —, was die Frage eines eigenen Beitrags der Rentner angeht, hier „kaum einen Spielraum zur Diskussion" sieht. Es ist richtig, Herr Kollege Killat — ich stehe dazu, und ich sage das auch zu den Sprechern der FDP —, daß ich die anonyme Beteiligung durch den Beitragsabzug nicht für eine ideale Lösung gehalten habe. Wer aber immer diesen anonymen Beitrag — wir wissen alle, wie er zustande gekommen ist — nicht für eine ideale Lösung hält, der muß doch eine Alternative finden, die die Rentner mit wirklich kleinem Einkommen berücksichtigt — und das sind doch nicht die Zahlen, die Sie genannt haben; sondern gerade unter diesem Drittel der Rentenempfänger mit Renten unter 350 DM sind doch unendlich viele Menschen, die eine Rente nebenher, neben ihrem sonstigen Einkommen erhalten —, der muß also sehr viel mehr differenzieren und sollte sich davor hüten, Darstellungen zu geben, die einer Untersuchung der wirklichen Lage der Rentner nicht standhalten.Sie haben hier von rapide steigenden Pensions-und Renteneinkommen auf der einen und auf der anderen Seite gesprochen. Ich sage Ihnen, daß es eine große und entscheidende Aufgabe ist, an der die Sozialdemokraten nicht vorbeigehen können, wenn sie soziale Gerechtigkeit üben wollen, heute festzustellen, wo denn die Grenzen der Belastbarkeit liegt. Damals, Herr Kollege Killat, als ich meinte, man müßte Renteneinkommen unter 350 DM von einer zusätzlichen Belastung freihalten, waren Sie der Meinung: bis 500 DM. Nun, darüber kann man doch reden. Jedenfalls besteht ein Unterschied zwischen demjenigen, der nur von seiner Rente lebt, und jenem, der die Rente oder mehrere Renten nebenher bekommt. Das wird hier kein Sozialdemokrat bestreiten können.Ich möchte feststellen - nicht um Nachhilfeunterricht zu geben, sondern nur des „stating facts" wegen, wie die Engländer zu sagen pflegen —, Herr Minister und die Herren Kollegen, die hier gesprochen haben: der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner ist doch keine Erfindung des Finanzänderungsgesetzes. Seit 1941 haben wir einen Krankenversicherungsbeitrag der Rentner gehabt. Damals wurde den Rentnern pauschal eine Mark abgezogen. Dieser pauschale Abzug war genauso umstritten, wie der jetzige pauschale Abzug umstritten ist. Dieser Abzug von einer Mark war aber damals ein Viertel des Pauschbetrages, nämlich der vier Mark, die damals für die Krankenversicherung der Rentner erstattet wurden. Das würde im heutigen Verhältnis 10 DM bedeuten, nämlich ein Viertel des heutigen Zuschusses zur Krankenversicherung der Rentner, und das wäre eine ganz wesentliche Entlastung für viele Krankenversicherungsträger.Ihnen, Herr Kollege Killat, möchte ich in Erinnerung rufen, daß die Selbstverwaltungsorgane in den fünfziger Jahren besonders in der Kasse, in der ich einmal tätig war und in der Sie heute tätig sind, mit Zustimmung der Rentner schon Beiträge von 1,50 DM bei Renten bis 150 DM, von 3,50 DM bei Renten bis 350 DM und von 6,50 DM bei höheren Renten verlangt haben, die die Rentner freiwillig gezahlt haben. Und die Höhe der Renten war damals vor der Rentenreform natürlich überhaupt nicht mit der heutigen Höhe der Renten und der sonstigen Einkommen vergleichbar.Nachdem der Kollege Grüner von der FDP die ihm gestellte Frage nicht klar beantwortet hat, stelle ich sie ihm noch einmal: Wenn Sie mit uns noch der Auffassung sind, daß Selbstverantwortung auch in den Bereich des Staatsbürgers gehört, wenn er das sechzigste oder das fünfundsechzigste Lebensjahr überschritten hat, wenn Sie mir zustimmen, daß der Rentner oder Pensionär dann keine andere Persönlichkeit ist, wenn Sie mit uns der Auffassung sind, daß man nach besseren Wegen suchen muß, werden Sie dann in den Beratungen Alternativvorschläge für einen direkten Beitrag der Rentner an ihre Kasse machen, also für die Abschaffung der anonymen Beiträge, aber für eine Heranziehung der Rentner zu wirklichen Beiträgen an ihre Kasse eintreten? Sind Sie auch bereit — und da frage ich auch so hervorragende Kenner dieses Zusammenhangs wie Herrn Professor Schellenberg, der ja sicher die Antwort nicht versagen wird —, mit uns zu überlegen, vielleicht den Selbstverwaltungsorganen das Recht einzuräumen, nach den Einkommen der Rentenempfänger genauso zu fragen, wie sie nach den Einkommen ihrer Weiterversicherten fragen, um sie dann an den Kosten ihrer Versicherung zu beteiligen? Und sind Sie eventuell bereit, die Interessenquote der zur Solidarhaftung Verpflichteten, die ja auch nicht seit gestern und nicht seit vorigem Jahr, sondern seit 1956 in der Diskussion ist, herabzusetzen? Es ist doch nicht erträglich, daß Sie einerseits in einer modernen Sozialpolitik allen jungen Leuten helfen wollen - wir möchten das auch —, daß aber eine junge Frau — und Sie wissen, daß jede zweite berufstätige Frau verheiratet ist und mitarbeitet - ein Drittel ihres Einkommens, oft noch mehr, für Sozialbeiträge zahlen muß. Sie hat meist ein geringeres Einkommen als der Rentner, der oft nicht nur eine Rente und einen Pensionsvertrag — nicht zuletzt dank einer guten, sehr guten Tarifpolitik und einer noch besseren Wirtschaftspolitik — hat. Hier sollte Gerechtigkeit das Leitziel sein, und hier sollte soziale Gerechtigkeit die Voraussetzung sein für das Nachdenken über die Grenzen der Subsidiarität und der Solidarität!Bei der Beratung zum Finanzänderungsgesetz haben Sie, meine Herren von der SPD, sich so gerne auf Professor Bogs bezogen und seine Empfehlungen in der Sozialenquete zum totalen Versicherungszwang für alle Rentner zum Antrag erhoben. Es ist dann ohne Rücksicht auf das Sicherungsbedürfnis oder die Leistungsfähigkeit der einzelnen Rentner so beschlossen worden. Sie haben aber nicht zitiert, was in diese Debatte gehört, daß Herr Professor Bogs in der Sozialenquete mit Nachdruck gesagt hat, wie problematisch es ist, die Rentenversicherung zum Träger der Kosten der Krankenversicherung zu
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Frau Kalinkemachen und daß es sehr wohl — ich empfehle Ihnen das in der Sozialenquete in den Nummern 553, 591 und 689 ff. nachzulesen — möglich ist, der großen Belastung, den Problemen der Ortskrankenkassen wie der Angestelltenersatzkassen, ja aller RVO-Kassen, zu begegnen, indem man diese Frage der Beteiligung der Rentner ernsthaft und redlich stellt.Ich habe es begrüßt, daß Herr Kollege Mischnick in der Öffentlichkeit eine Reform der Krankenversicherung vor wenigen Tagen ausdrücklich gefordert hat. Ich kann ihm nur Glück wünschen bei seinem Koalitionspartner, der ja diese Frage weder in der Regierungserklärung noch in den bisherigen Debatten angesprochen hat. Aber wenn eines nötig ist, dann ist es die Reform der Krankenversicherung der Rentner; sie ist ein entscheidendes Stück der Reform der Krankenversicherung.Hier muß die Frage beantwortet werden, die ich dem Minister nun wieder stelle: Soll die gesetzliche Krankenversicherung auch in Zukunft die Deckung des Defizits aus der Krankenversicherung der Rentner tragen angesichts der mit Sicherheit zu erwartenden Kostensteigerungen auf allen Gebieten? Sollen die Rentenversicherungsträger in Zukunft etwa gar den vollen kostendeckenden Beitrag übernehmen? Und wie hoch werden die Beiträge in der Rentenversicherung dann sein, wenn Ihre optimistischen Berechnungen nicht zutreffen, wenn, was das Schicksal verhüten möge, die schillernden und brillanten Aussagen in Zweifel gezogen werden müssen und wir überlegen müssen, welche Belastungen nun wieder auf die Versicherten und ihre Arbeitgeber zukommen? Sollen die Rentner in Zukunft nach Ihrer Auffassung eine völlig kostenlose Krankenversicherung haben, Herr Minister? Sie können der Beantwortung nicht ausweichen angesichts der großen Zahl der Witwen, der zunehmenden Zahl der geschiedenen Frauen, der großen Zahl der wenig verdienenden Angestellten und Arbeiter mit Familienangehörigen, um deren Belastung Sie sich sorgen sollten, und die ja die ganze Last dieses Preises in den Beiträgen zur Kranken- und zur Rentenversicherung bezahlen müssen.Schließlich darf ich noch eine Frage an Sie stellen, weil mich Herr Killat auf das „Unbehagen" angesprochen hat. Dieses in der Tat vorhandene Unbehagen, das uns so besonders erfüllt, rührt daher, daß eine so entscheidende Frage, die mit der Reform der Krankenversicherung zusammenhängt, derart schnell erledigt werden soll.Meine Herren von der Regierung - ich sprecheSie alle an -, interpretiere ich Sie richtig, wenn ich Sie frage, ob die Schwerpunkte der Sozialpolitik bei Ihnen nicht mehr auf Reformen liegen, sondern auf Entscheidungen im Sinne der Erfüllung von Wahlversprechen? Haben Sie, wenn das der Fall ist, in Ihre Berechnungen einbezogen, daß ein Großteil Ihrer Wahlversprechen auch dazu führen wird, neue Gruppen von Rentnern in die Versicherung der gesetzlichen Träger der Krankenversicherung zu bringen, und daß die Verwirklichung solcher Versprechen auch dazu führen wird, daß Sie zu dem Stellung nehmen müssen, was hier in der Debatte mein früherer Kollege Stingl, der Kollege Killat und ichim Zusammenhang mit der Lohnersatzfunktion der Rente gesagt haben? Wie ist es, wenn Sie keine Alternativen, die als Reform anzusehen sind, kennen, wenn Sie nicht bereit sind, solche Vorschläge zu machen, wenn Sie nicht möchten, daß die Rentner ein persönliches Verhältnis zu ihrer Krankenversicherung haben und daß viele Rentner — ich weiß das aus Gesprächen mit vielen Rentnern — von der peinlichen Situation befreit werden, mit einem Schein der Krankenversicherung der Rentner zum Arzt gehen zu müssen, obwohl sie sehr gern selbst etwas dazuzahlen möchten. Wir kommen dabei in moralisch und sozialethisch ganz schwierige Situationen.Die Grundsatzfrage in der Wohlstandsgesellschaft, Herr Minister, ist eine ganz andere, als Sie sie hier nur finanziell begründet haben. Der Beantwortung dieser Frage können Sie nicht ausweichen.Ich habe mich gehütet, hier Pressestimmen auch aus Ihren eigenen Reihen zu zitieren, weil Sie so allergisch dagegen sind. Aber eine Pressestimme möchte ich doch zitieren. Ich möchte Sie gern davor in Schutznehmen, Herr Minister, daß Journalisten,die etwas von der Sache verstehen, Ihnen unterstellen, daß Sie Angst vor den Rentnern als Wählern in Nordrhein-Westfalen hätten. Ich meine, Sie sollten mehr Angst vor der Kritik der Beitragszahler und vor dem mündigen Staatsbürger haben. Mit beiden sollten Sie und ich, wir alle gemeinsam, offen über das reden, was soziale Sicherheit heute und morgen kostet.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nölling.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stelle auf Grund des Verlaufs der Debatte fest, daß sich die Opposition nicht ganz einig zu sein scheint. Herr Kollege Ruf hat getan, was er konnte, um die Position seiner Partei darzustellen und um uns zu kritisieren. Er hat dannaber gesagt: Wir werden der Abschaffung dieses Rentnerbeitrags zustimmen.
Frau Kollegin Kalinke hat dies soeben nicht gesagt. Sie hatte hierzu eine ganz andere Konzeption entwickelt. Das wollte ich nur als Ergebnis feststellen. Ob es eine Konzeption ist, darüber möchte ich mich jetzt nicht streiten.Nun mochte ich noch einmal zu Herrn Kollegen Ruf zurückkommen. Er hat sich heute Sorgen über unser Wahlprogramm gemacht. Man ist versucht, zu fragen, ob diese Beschäftigung mit Wahlprogrammen, die zur Zeit in Ihrer Partei im Gang ist, hier nicht etwas abgefärbt hat. Was unser Wahlprogramm betrifft, so möchten sie gern monieren, daß wir bestimmte Dinge nicht tun, die wir angekündigt haben. Heute haben Sie etwas anders argumentiert. Sie haben uns vorgeworfen, wir betreiben Dinge, die wir nicht erst angekündigt hätten.
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Dr. Nölling— Natürlich ist es so, Aber das ist für mein Verständnis zweigleisig argumentiert.Nun noch etwas zur „größten Fraktion in diesem Hause". Ich meine, Sie sollten die Minderwertigkeitsgefühle ablegen, die in dem zum Ausdruck kommen, was der Herr Kollege Ruf sagte: daß Sie nicht glauben, hier im Parlament und in den Ausschüssen gegen diese Koalition sozusagen als ein Mann stehen und argumentieren zu können. Sie sind doch — das sagen Sie mit Recht — die größte Fraktion in diesem Hause.Nun einiges zu den Punkten, die anklangen. Herr Kollege Ruf hat am Anfang gesagt, man müßte an den Berechnungen, die vorgelegt worden sind, Zweifel anmelden, und es sei nicht gut, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck entstünde, nun stehe vielleicht die Solidität der Rentenversicherung auf dem Spiel, und ähnliches. Ich kann nur sagen, Herr Kollege Ruf, mir scheint, daß Sie noch immer nicht ganz bekehrt sind, nämlich bekehrt — ich will das begründen — im Hinblick auf die Grundlagen einer rationalen Sozialpolitik.Es muß doch unmittelbar einleuchten, daß Prognosen, die wir aufstellen - und wir haben sie bis 1985 aufgestellt —, jedes Jahr korrigiert werden müssen, daß ein Zwang dazu besteht. Wenn eine Prognose, die wir für längerfristige Zeiträume aufstellen, richtig ist, ist dies im allgemeinen zufällig. Das wissen wir. Nun können Sie doch hier nicht den Eindruck erwecken, als ob wir mit Zahlen jonglierten, wenn die Regierung nur ihre Pflicht erfüllt und eine Vorausschau fortsetzt, die nun einmal geändert werden muß. Das ist doch nun einmal die Grundlage, über die wir hier diskutieren.
Herr Kollege Dr. Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ruf?
Ja.
Herr Kollege, sind Sie sich darüber im klaren, daß die neue Bundesregierung die Annahmen dieser Vorausschätzungen geändert hat?
Aber selbstverständlich bin ich mir darüber im klaren. Ich habe sogar die Absicht, noch einiges dazu zu sagen. Das ist ja gerade das, was auch mit einer Prognose verbunden sein muß — oder verbunden sein können muß , daß man eine Annahme, die man zugrunde gelegt hat, auch korrigieren muß. Das würden Sie doch wahrscheinlich vom Prinzip her auch bejahen.Diesen Zwang zur ständigen Korrektur hat die Bundesregierung gefühlt und ist ihm nachgekommen. Hier, meine ich, müssen wir uns auch einmal über die Voraussagen unterhalten, die in der Vergangenheit in bezug auf die Entwicklung der volkswirtschaftlichen Daten, die relevant sind, und in bezug auf die finanzielle Entwicklung der Rentenversicherung angestellt worden sind. Es ist in der Vergangenheit immer so gewesen, daß die finanzielle Situation der Rentenversicherung, wie die Bundesbank selber im Oktober schreibt, sehr viel günstiger war, als man 1957 erwartet hatte. Man kann sagen, daß die Vorausschätzungen in allen Fragen, die sozialpolitisch von Bedeutung sind, in der Vergangenheit zu niedrig gewesen sind. Das Element der Vorsicht, das man in den Prognosen berücksichtigen muß, ist in der Vergangenheit überbetont worden.Warum wurde diese Korrektur der Zahlen möglich und notwendig? Ich will dazu nicht sehr viel sagen, vielleicht nur ein paar Punkte aufgreifen. Wir wissen, die aktuelle Lohn- und Gehaltsentwicklung hat das erforderlich gemacht. Wir wissen aber auch, daß die Prämissen — und nun komme ich auf das, was Sie soeben gesagt haben — für die längerfristigen Voraussagen bis 1985 so nicht stehenbleiben konnten. Wenn man sich darüber einig ist, daß eine Vollbeschäftigungs- und Wachstumspolitik betrieben werden muß, wenn man sich darüber einig ist, daß wir in der nächsten Zeit eine hohe Investitionsquote haben werden, dann wird man nicht daran vorbeikommen, diese 4,3 oder 4,5 % durchschnittliche Produktivitätssteigerung anzunehmen und zugrunde zu legen. Das hat der Herr Bundesarbeitsminister heute getan. Wenn wir unterstellen, daß es uns gelingt, die wirtschaftliche Entwicklung auf diesem hohen Niveau zu halten — und dafür werden wir Sozialdemokraten sorgen —, dann müssen diese langfristigen Aussagen korrigiert werden, weil sie zu vorsichtig gemacht worden sind; das war an dieser Stelle notwendig. Deshalb wird man zu diesen neuen Zahlen sagen können, daß sie eher zu vorsichtig sind und daß sie eher an der untersten Grenze dessen liegen, was man in den nächsten fünfzehn Jahren wird erwarten können.Ich komme nun darauf zurück, daß Sie sagtenSie haben auch zitiert —, weitere sozialpolitischeVerbesserungen, von denen wir sprechen, seien nunwohl nicht mehr drin. Ich weiß nicht, ob das Wunschvorstellungen sind, was immer Sie da geleitet hat,
oder ob das Ihre Erfindung ist. Aber es hat mich an einen Aufsatz erinnert, den Sie, Herr Kollege Ruf, im Jahre 1965 geschrieben haben. In diesem sehr langen Aufsatz haben Sie die Frage, ob in unserem Rentensystem Mindestrenten angebracht seien, kategorisch verneint. Sie sind der Auffassung gewesen, daß sie in unserem System im Grunde keinen Platz hätten. Heute hören wir nun, daß Sie in Ihrer Argumentation gerade für diese strukturellen Verbesserungen eintreten.
— Keine Mindestrente. Worauf läuft es aber hinaus, wenn Sie gewisse strukturelle Verbesserungen vorschlagen? Dann würden Sie für bestimmte Personenkreise praktisch Mindestrenten einführen.Herr Kollege Burger hat die Zwischenfrage gestellt, ob die Preissteigerungen von 1,5 %, die in diese Kalkulation eingegangen sind, etwa unsere Vorstellungen von Geldwertstabilität wiedergäben. Ich kann hierzu nur sagen: wer der Auffassung
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Dr. Nöllingist, daß wir im Jahresdurchschnitt bis 1985 weniger als 1,5 % Preissteigerungen haben werden, der ist naiv. Anders kann ich das nicht bezeichnen. Bei allem Respekt vor dem Sachverstand und vor der Meinung auch der Bundesbank möchte ich hier klar zum Ausdruck bringen, daß die Zahlen, die hier vorgelegt worden sind, völlig in Einklang zu bringen sind mit den Zielen, die in § 1 des Stabilitätsgesetzes als Richtschnur für die Wirtschafts- und Sozialpolitik aufgestellt sind.Wenn sich die Rentenversicherung nun finanziell günstiger als erwartet entwickelt und Vermögensansammlungen größeren Ausmaßes nicht stattfinden sollen, dann steht man vor der Frage, wie man die Manövriermasse, die jetzt zur Verfügung steht, verteilen soll. Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß in erster Linie die Schwächsten in diesem Lande — wir sind uns wohl einig, daß wir die Rentner als die Schwächsten in diesem Lande bezeichnen müssen — von dieser Manövrierfähigkeit — wenn ich es einmal so ausdrücken soll — profitieren sollten. Wir waren deshalb der Meinung und begründen dies, daß die Rentner den Zustand wieder bekommen sollen, den sie vor 1967 hatten und der in der Systematik der Rentenreform angelegt ist. Wir stellen also wieder her, was vor der Krise schon war und was für uns alle selbstverständlich gewesen wäre und auch geblieben wäre, wenn es im Jahre 1967 nicht zu einer Krise gekommen wäre.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Nölling hat sich soeben noch einmal mit meinem Kollegen Ruf auseinandergesetzt. Ich möchte den Satz, den er an den Anfang seiner Ausführungen gestellt hat, noch einmal hervorheben. Keiner von uns würde gegen eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Rentner sein, ich wiederhole: keiner ist dagegen. Nur ist das, was uns hier vorgelegt wird, nach meinem Empfinden — ich sage ausdrücklich, nach meinem Empfinden — etwas zu primitiv und zu wenig durchdacht, ein Zurückdrehen auf den alten Stand.
— Hören Sie bitte zu. Herr Grüner meinte sogar, es sei eine begrüßenswerte Reform. Wie problematisch der Vorschlag ist, will ich nur an zwei Beispielen erläutern. Ein Angestellter erhält 800 DM Bruttogehalt. Ein Arbeiter mit einem Stundenlohn von 4,60 DM — das ist gar nicht die Ausnahme — kommt auch auf ein Bruttomonatseinkommen von 800 DM. Bei beiden werden von diesen 800 DM monatlich zirka 105 DM an Sozialversicherungsbeiträgen abgezogen. Wenn Sie, je nach Familienstand, noch den Lohnsteuerabzug hinzunehmen,
dann kommen netto 600 bis 670 DM, höchstens 680 DM, heraus. Eine 800 DM Rente ist steuerfrei und soll nach Ihrer Meinung — —
-- Nein, nein!
Ich komme noch darauf. Bitte, lassen Sie mich mein Beispiel ausführen. Ein Rentner mit 800 DM — steuerfrei — soll nun also auch noch krankenversicherungsfrei sein, seine Krankenversicherung soll von allen jenen Arbeitern und Angestellten mitfinanziert werden, die nicht 800 DM netto bekommen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege Müller, war eigentlich die Entscheidung für den zweiprozentigen Rentnerkrankenversicherungsbeitrag im Jahre 1967 aus Ihrer Schau eine grundsätzliche Entscheidung zur Einführung eines solchen Krankenversicherungsbeitrages oder doch nur eine Maßnahme, um die Rezession sowohl in der Wirtschaft als auch in der Rentenversicherung zu überwinden, die ja nicht zuletzt durch die Regierung verursacht worden ist, die Sie bis 1966 mit getragen haben?
Herr Kollege, beides, möchte ich sagen, beides! Es waren Anfänge und Überlegungen, wie man ein Problem löst, das zu lösen eigentlich dringend notwendig wäre.
Aber jetzt werde ich mein eigenes Beispiel bringen. Meine Damen und Herren, ich habe im nächsten Jahr einen Anspruch auf Altersruhegeld
und ich werde 49 Versicherungs- und Beitragsjahre nachweisen können.
Die Hälfte meiner Beiträge waren Beiträge an die Arbeiterrentenversicherung. Meine Rente wird etwas mehr als 800 DM betragen. Und ich kann Ihnen sagen, ich schäme mich heute schon aus Gründen der Solidarität, daß meine Kollegen, die unter 800 DM verdienen, meinen Krankenversicherungsbeitrag zahlen müssen, den ich heute für meine Krankenversicherung in Höhe von 94 DM monatlich aufbringe.
Meine Damen und Herren, wir sehen an diesem Beispiel, wie problematisch diese ganze Geschichte ist.
Herr Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Buschfort?
Bitte schön!
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Herr Kollege Müller, darf ich fragen, ob Ihnen bewußt ist, daß die heutigen Rentner, als diese noch im Erwerbsleben standen, für die damaligen Rentner ebenfalls den Krankenversicherungsbeitrag bezahlt haben und jetzt nur das in Anspruch nehmen, was sie vorab geleistet haben.
Sie wissen doch genau, daß es die lohnbezogene Rente eigentlich erst seit 1957 gibt, und Sie wissen auch genau wie ich, daß es seit dieser Zeit von Jahr zu Jahr bessere und höhere lohnbezogene Renten gibt und daß die Zahl der sogenannten „armen Rentner" kleiner wird. Das wissen Sie genau.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Geiger?
Herr Kollege Müller, würden Sie mir zugeben, daß die Situation eines Rentners mit 800 DM Rente und eventuell noch mit einer hohen Mietzahlung anders ist als die eines Bundestagsabgeordneten, der 800 DM Rente bekommt und dazu Gott sei Dank noch seine Abgeordnetenpension?
Herr Kollege Geiger, ich kann Ihnen nur sagen, daß ich gar nicht einmal für die Versorgung der Abgeordneten gestimmt habe, wenigstens nicht dafür, daß sie steuerfrei sein soll, und ich wäre auch ohne sie versorgt gewesen. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich laufend hohe Beiträge bezahlt habe.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Darf ich bitte hier gleich noch etwas sagen. Wenn eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Rentner erfolgen soll — und da spreche ich nicht von einer Mindestrente -, dann ist es auch insoweit problematisch, als der Rentenempfänger mit 300 DM, von denen er leben soll, 6 DM und der Rentenempfänger mit 800 DM 16 DM durch den Wegfall des zweiprozentigen Beitrages bekommt. Das ist doch nicht das, was Sie wollen! Deshalb sage ich, wie problematisch diese ganze Geschichte ist. — Bitte schön!
Bitte, Frau Kalinke!
Herr Kollege, würden Sie so freundlich sein und den Kollegen, bevor sie fragen, erklären, daß gerade mit ihrem Antrag zum umfassenden Versicherungszwang für alle Rentner sehr viele Rentner in die Solidarhaftung der Sozialversicherung einbezogen worden sind, die während ihres Arbeits- und Erwerbslebens nie einen Pfennig Beitrag in ihre Versichertengemeinschaft eingezahlt haben?
Ich kann das nur bestätigen.
Aber lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ich habe mit diesen zwei Beispielen nur aufzeigen wollen, wie problematisch der Wegfall des zweiprozentigen Beitrags der Rentner ist. Wir hätten gewünscht, daß sich die Bundesregierung etwas Besseres hätte einfallen lassen. Wenn man schon dieses Problem aufgreift und eine Reform durchführen will, sollte man nicht zu dem alten Stand von 1967 zurückkehren, der sehr problematisch war.
Ich hoffe, daß wir im Ausschuß darüber noch einige Ausführungen machen können und noch einige Aufklärung seitens der Bundesregierung bekommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Härzschel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich noch einige wenige Bemerkungen mache. Zunächst, glaube ich, muß noch einmal klargestellt werden, daß die Fraktion der CDU/CSU nicht gegen Verbesserungen für die Rentner ist. Gegen was wir uns wenden, ist die Hast und Eile, mit der hier ein Gesetz durchgepeitscht werden soll.
— Herr Kollege Schellenberg, was wir bedauern, ist, daß dieser Gesetzentwurf herausgelöst worden ist aus einem ganzen Bündel von Problemen, die in der Rentenversicherung anstehen. Wir sind der Meinung, daß das zusammen beantwortet werden müßte, um eine vernünftige Lösung zu finden.
Die Ursache, weshalb Sie diesen Gesetzentwurf so schnell hier einbringen, liegt doch klar auf der Hand. Es nutzt auch nichts, wenn Sie jetzt versuchen, die Dringlichkeit dieses Problems darzustellen. Wir alle wissen, wie sich das entwickelt hat; das können Sie nicht wegdiskutieren. Wir wollen den guten Willen des Ministers gar nicht in Frage stellen, aber als der Griff in die Tasche des Finanzministers nicht gelang, ist man eben auf die Versicherten ausgewichen. Die sollen nun diesen Beitrag zahlen.
Das ist die Frage, die wir jetzt an den Minister richten müssen. Selbst vorausgesetzt, daß die Berechnungen, die hier vorgelegt wurden, stimmen, bleibt doch offen: was ist dann, wenn diese Berechnungen nicht stimmen? Ist die Bundesregierung dann bereit, zuzugestehen, daß die Beiträge, wie sie jetzt konzipiert sind — also im Augenblick 17 %, vom 1. Januar 1973 an 18 % —, nicht erhöht werden und daß, wenn Defizite eintreten, die auf den Bundeshaushalt übernommen werden? Diese Frage möchten wir beantwortet haben.
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HärzschelGenauso, meine Damen und Herren, sollten wir einmal die Frage der Solidarität kritisch prüfen. Der Kollege der FDP hat vorhin von der Klarheit gesprochen. Ich bin auch dafür; denn die Solidarität erstreckt sich eben nicht nur auf die Rentenversicherung, sondern sie kommt auch in der Krankenversicherung zum Tragen. Das ist ebenfalls ein Problem, was hier nicht diskutiert worden ist.Immerhin beträgt das Defizit in der Krankenversicherung — das wissen Sie alle — über eine Milliarde DM. Selbst wenn man die 20 % Beteiligung der aktiv Versicherten abzieht, bleiben immer noch über 360 Millionen DM übrig, die die Pflichtversicherten zusätzlich für die Rentner aufbringen müssen. Auch das müssen wir einmal sehen. Solidarität ist eine gegenseitige Verpflichtung. Die Frage lautet: wie hoch wollen Sie den Aktiven belasten? Wenn ich mir ansehe, was Sie in der Regierungserklärung an Reformen angekündigt haben, und danebenstelle, was der Herr Staatssekretär ausgeführt hat, daß nach dieser Lösung keine Reformen mehr möglich sind, dann frage ich mich: wie wollen Sie das finanzieren? Wollen Sie es durch höhere Beiträge tun? Dann mussen Sie das hier verbindlich sagen!
Dann müssen Sie sich auch dazu äußern, wie hoch Sie den Versicherten belasten wollen. Sie können diese Fragen nicht ausklammern.Ich möchte noch ein weiteres Problem ansprechen. Im Zuge des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes haben wir Einschränkungen auch im Bereich der Versicherten vornehmen. müssen. Die jetzt am 26. 11. herausgegebene Rechtsverordnung hat Beschränkungen bei den Ausgaben für die Rehabilitation und für Heilverfahren zur Folge. Wir sind der Meinung, daß diese Frage gleichzeitig überprüft werden muß. Unser Kollege Hans Katzer hat in der Vergangenheit immer wieder auf die Dringlichkeit und Wichtigkeit der Rehabilitation hingewiesen. Hier haben wir aus Zwang — wir haben das ja nicht willkürlich getan, sondern im Blick auf die Sicherstellung der Finanzen — diese Beschränkungen vorgenommen. Sie müssen jetzt auch im Zusammenhang mit dieser Frage geklärt werden. Wir können nicht auf der einen Seite eine Entlastung vornehmen und auf der anderen Seite die Belastung bestehen lassen. Diese Zusammenhänge sind es, meine Damen und Herren, die wir in einer Gesamtkonzeption gern berücksichtigt wissen wollten. Diese Zusammenhänge sind uns nicht deutlich gemacht worden. Wir stimmen jeder Verbesserung für die Rentner zu. Ich glaube, wir haben es nicht nötig, uns hier zu rechtfertigen.
Seit 1957 haben wir für die Versicherten und Rentner Leistungen erbracht, die sie sich früher nie hätten erträumen lassen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zum Schluß sagen. Unser Kollege Katzer hat bei seinem Amtsantritt um eine Denkpause gebeten. Wir können heute sagen, daß diese Denkpause fruchtbar gewesen ist, denn es sind hervorragende Gesetze verabschiedet worden. Man hätte gewünscht, daß der jetzige Minister — gerade in diesem Bereich — auch eine Denkpause eingelegt hätte.
Eine Zeitung hat nach dem ersten Vorschlag des Ministers geschrieben: Minister mit Herz. Ich glaube, wir alle, die wir in der Sozialpolitik tätig sind, wissen, daß man Sozialpolitik nicht ohne Herz machen kann. Aber ich glaube, man kann sie auch nicht ohne Verstand — ohne die finanziellen Zusammenhänge zu sehen — machen. Es ist notwendig, diese Zusammenhänge zu sehen.
— Herr Kollege, immerhin ist doch klargeworden, daß der Arbeitsminister zunächst der Meinung war, man sollte die Versicherten nicht belasten. Er wollte die Mittel aus dem Bundeshaushalt nehmen. Erst als er aus dem Haushalt kein Geld bekam, hat er umgeschaltet. Offensichtlich hat er also nicht richtig gedacht und sich nicht vergewissert, ob diese Lösung möglich ist.
Ich möchte noch einmal betonen, daß sich die CDU/CSU allen Vorschlägen, die zu einer Verbesserung der Situation der Rentner führen, anschließen wird, wenn sie auf einer soliden Grundlage stehen und wenn die finanzielle Sicherung der bruttolohnbezogenen Rente nicht gefährdet ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vielen Redner der Opposition haben so etwas den Eindruck erweckt, als ob es bei der Frage „Wegfall der 2 % oder nicht?" um die Zukunft der Rentenversicherung und der Krankenversicherung überhaupt gehe, als ob die Zukunft dieser Versicherungen davon abhänge, ob ein 2 %iger Krankenversicherungsbeitrag erhoben wird oder nicht.Meine sehr geehrten Damen und Herren, erinnern Sie sich einmal an die seinerzeitigen Debatten über das Finanzänderungsgesetz. Der Herr Kollege Grüner hat unsere damalige Stellungnahme ja schon sehr deutlich umrissen. Wir haben damals die Erhebung eines Krankenversicherungsbeitrages der Rentner entschieden abgelehnt. Wir könnten heute sagen: Fein, endlich sind wir so weit! Das, was wir damals schon nicht wollten, wird jetzt beseitigt. Blicken wir aber einmal auf die damaligen Beratungen zurück und lesen wir das nach, was beispiels-
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Schmidt
weise der Kollege Dr. Götz — er ist ja jetzt als Vorsitzender des Arbeitskreises Sozialpolitik der Opposition zuständig — in der 142. Sitzung der vorigen Legislaturperiode am Freitag, dem 8. Dezember 1967, gesagt hat. Mit Recht erklärte er damals:Das Motiv für die Einführung des Rentnerbeitrages ist in erster Linie — und ich räume auch als Mitglied des Haushaltsausschusses diesem Motiv Vorrangstellung ein — die Verbesserung der Finanzlage der Rentenversicherung. Das zweite Motiv ist aber die Entlastung des Bundeshaushalts.Es handelte sich damals also um eine Maßnahme, die von der damaligen Koalition kurzfristig aus verschiedenen Gründen vorgeschlagen wurde und die bei den meisten hier im Haus auf sehr wenig Sympathie gestoßen ist. Wir jedenfalls haben bereits damals ganz klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht — ich möchte das, was der Kollege Grüner ausführte, nur in drei Punkten wiederholen —, daß wir diesen Beitrag als eine verkappte Rentenkürzung ansehen — wenn man es genaunimmt, war es nichts anderes —, daß es sich in Wirklichkeit nicht, wie es ausgeschrieben wurde, um einen Beitrag zur Krankenversicherung handelt und daß damit Einschnitte in das Leistungsrahmenrecht und das System — auch wenn man sie bemänteln wollte — vorgenommen wurden. Das war aus der damaligen Regierungssicht vielleicht notwendig. Aber es war der Wille vorhanden — das möchte ich hier der Fraktion der SPD ausdrücklich bestätigen —, diese wenig schöne Sache so bald als möglich zu korrigieren. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, daß der Kollege Schoettle damals gesagt hat, diese Sache sei zwar nicht sehr sinnvoll, man müsse es zwar im Moment tun, man wolle jedoch möglichst bald wieder davon herunter.Wenn — das hat der Kollege Killat mit Recht bestätigt — die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses damals zu diesem Kompromiß stand, dann doch deshalb, weil von Ihnen von der CDU/CSU sogar ein Abzug von 4 0/o vorgeschlagen wurde und man einfach einen gangbaren Weg finden mußte. Aber die Reden und auch die Ausschußberatungen damals haben deutlich gemacht, daß so bald als möglich diese in das ganze Konzept nicht hineinpassende und für die Zukunft der Rentenversicherung und die Zukunft der Krankenversicherung keinesfalls entscheidende Maßnahme wieder beseitigt werden sollte. Wir begrüßen es deshalb, daß dies mit der jetzigen Vorlage geschieht.Herr Kollege Ruf, Sie sprachen von einem unsoliden Weg und haben dem gegenübergestellt, der Weg des Herrn Bundesarbeitsministers Katzer sei damals sehr solide gewesen.
— Nun, wenn ich mich daran erinnere, daß wir in der Zeit vom 20. 10. — erste Lesung — bis zum 8. 12. 1967 ein ganzes Bündel von Änderungen im gesellschaftspolitischen und sozialpolitischen Bereich hier durchgejagt haben,
wenn ich mich daran erinnere, wie in den Ausschüssen jeden Tag die neuen Formulierungen des Arbeitsministeriums kamen, dann möchte ich sagen: bei diesen Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß, wo es sich nur um diesen einen Punkt handelt,
werden wir zweifellos mehr Möglichkeiten haben —ich erinnere an das, was Kollege Spitzmüller damals alles gesagt hat —, über die Einzelheiten nachzudenken, die Möglichkeiten zu prüfen
und dann zu einer gemeinsamen Verabschiedung zu kommen.Herr Kollege Ruf, Sie haben hier deutlich gesagt — ich kann es nur bestätigen; auch mir ist es aufgefallen —, daß es zwei Seelen in der Brust der CDU/CSU gibt. Die eine Seele sagt: Ja, natürlich, das möchten wir auch abschaffen,
weil wir ja auch den Rentnern das wieder zurückgeben möchten, was wir ihnen damals weggenommen haben. Die andere Seele aber sagt: Wir müssen hier das Problem möglichst aufbauschen, wir müssen daraus die Zukunft der Rentenversicherung und die Zukunft einer Krankenversicherungsreform machen.
Lassen Sie mich zu diesen Dingen abschließend etwas sagen. Mit der Abschaffung des zweiprozentigen Beitrages der Rentner zur Krankenversicherung wird zweifellos nicht — das möchte ich noch einmal betonen — über die Zukunft der Rentenversicherung entschieden. Natürlich ist damit die Rentenversicherung wieder in der Diskussion, Herr Kollege Ruf. Ich glaube, sie wird in den nächsten Jahren noch des öfteren in der Diskussion bleiben, weil wir uns inzwischen doch wohl klar darüber geworden sind, daß alle die Möglichkeiten der Zukunft, der Gestaltung, des Ausbaus und der Sicherung der Rentenversicherung in erster Linie davon abhängen, daß die Leistungsfähigkeit und die Konjunkturlage so bleiben und weiterhin so gestaltet werden können, wie es von dieser Bundesregierung, für die wir mit zuständig sind, beabsichtigt ist. Nur dann und nicht bei 2 °/o Krankenversicherungsbeitrag der Rentner werden wir für diese Zukunft einmal das Ziel erreichen können, das 1957 angestrebt wurde.
Das mußte auch einmal wieder gesagt werden. —60 % nach vierzig Jahren, Herr Kollege Katzer! Das war Ihr Ziel. Wir haben damals gesagt, wir glauben nicht, daß es auf diesem Wege geht. Leider, Herr Kollege Katzer, hatten wir im Grunde genommen recht, denn wir liegen immer noch bei unter 50 %. Das geben Sie mir doch zu?
Also werden wir uns um noch bessere Wege bemühen müssen. Das wird — so viel sei zum Problem
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Schmidt
der Rentenversicherung generell gesagt — seitens der Regierungsfraktionen, seitens der Bundesregierung — dessen bin ich sicher — geschehen; denn darüber ist in der Regierungserklärung etwas ausgesagt worden.Ich bitte also noch einmal: machen Sie den Beitrag der Rentner, den Rentenabzug für die Krankenversicherung, nicht zum entscheidenden Punkt der Zukunft der Rentenversicherung!Zum zweiten, Frau Kollegin Kalinke, etwas zum generellen Problem der Krankenversicherungsreform. Hier darf ich an die Frage erinnern: Wie wird eine Rentnerbeteiligung im Rahmen einer Krankenversicherungsreform aussehen, und was werden dabei für Überlegungen angestellt werden müssen? Hier kann ich an das erinnern, was mein Kollege und jetziger Fraktionsvorsitzender der FDP Wolfgang Mischnick seinerzeit gesagt hat, nämlich daß wir, wenn wir über so etwas reden wollten, erst einmal die Pauschalzuwendungen der Rentenversicherung an die Krankenversicherung der Rente zuschlagen müßten. Erst dann könnten wir überlegen, ob an Beitragssenkungen gedacht weiden kann. Ad zwei gehört dieses Problem in eine Gesamtüberlegung zur Krankenversicherungsreform hinein, und zwar mit all den vielen anderen Teilen, die zweifellos vor uns liegen. Ich glaube, darüber sind wir uns wohl im klaren.Meine Damen und Herren, ich darf abschließend noch einmal für die Freien Demokraten sagen: wir freuen uns, daß, wie es vorhin einer meiner Vorredner nannte, das „Notopfer", das seinerzeit den Rentnern abgenommen wurde und gegen dessen Abnahme wir uns bereits damals gewehrt haben, mit dieser Regierungsvorlage korrigiert wird. Wir freuen uns, daß auch der Hauptsprecher der CDU/ CSU schon seine Zustimmung angekündigt hat. Ich bin sicher, daß wir noch Gelegenheit haben werden, über die Details zu beraten. Ich hoffe nur, daß die Verabschiedung bald erfolgt, damit auch bald, da das Gesetz zum 1. Januar 1970 in Kraft treten soll, die tatsächliche Auswirkung und damit die Korrektur der damals von uns abgelehnten Maßnahme möglich ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Böhme.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Das „einseitige Notopfer", von dem Herr Schmidt zum Schluß sprach, möchte ich noch einmal an den Anfang stellen. Selbst wenn man unterstellt, daß es sich nur um Refinanzierungsmaßnahmen gehandelt habe, wäre jetzt die Abschaffung als solche ohne Berücksichtigung der Ergänzungsabgabe — denn eine solche war es j a —
sicherlich eine einseitige Bevorzugung. Insofernglaube ich aber, daß Herr Finanzminister Möller,wie man im „Spiegel" lesen konnte, derartige Tendenzen nicht mehr vertritt. Ich frage: ist das ein Fall von Schizophrenie?
Weiter darf ich folgendes sagen. Zur Begründung wurde das gleichmäßig steigende Wachstum mit 5,6 % beziffert. Herrn Minister Arendt wurde die Frage gestellt, wie sich diese Zahl errechne und welche Wahrscheinlichkeit die Prognose hierfür habe. Herr Dr. Nölling hat dazu einige Ausführungen gemacht. Herr Minister Arendt hat Ausführungen dazu nicht gemacht. Deshalb muß ich davon ausgehen, daß eine Begründung für diese Zahl bisher offiziell nicht gegeben wird, daß es sich also um eine Fiktion handelt, die nicht unbedingt einzutreffen braucht. Es hat ein wenig den Anschein, als ob man ein Loch — um ein solches handelt es sich ja — hier einmal in Quadratzentimetern und dann in square inches umrechnet. Die Zahl wird zwar kleiner, aber das Loch bleibt gleich groß. Das alles — und hier muß ich meinen Kollegen im Landesvorstand der Betriebskrankenkassen, Herrn Killat, speziell ansprechen —, obwohl wir alle wissen, wie notleidend die Krankenversicherung ist. Wir wissen heute schon, daß wir mit dem 8%igen Höchstbeitrag in den meisten Kassen nicht auskommen können.
— Ich bin gleich fertig, Herr Liehr. — Wahrscheinlich werden wir zu einer Finanzierung gerade der Kosten kommen müssen, die sich heute laufend steigern, nämlich der Kosten der Rentnerkrankenversicherung. Nachdem wir hier von Herrn Arendt keinen Hinweis darauf bekommen konnten, daß die Mehrkosten, die sich daraus heute bekanntermaßen schon ergeben, vom Bundeshaushalt getragen werden, sehe ich — und das bedauere ich dann um so tiefer — schon die andere Möglichkeit ,auf uns zukommen, daß man später, wenn das Loch so schön groß geworden ist, wie man es heute errechnen kann, doch wieder zu einer Beitragspflicht der Rentner kommen muß.Daher die Frage — und auch das, Herr Dr. Nölling, ist kein Dissens in der CDU/CSU, sondern die Festlegung von Alternativen, die wir für die Ausschußberatungen schon anklingen lassen wollen —: Ist es nicht richtiger, ist es in diesem Falle nicht besser, zu warten, bis man über die notwendige Krankenversicherungsreform zumindest einen Überblick hat? Die Krankenversicherungsreform ist uns allen gleich wichtig und gleich dringlich. Nachdem die letzte Regierung den Einstieg in die Krankenversicherungsreform vorgenommen hat, ist es jetzt vielleicht eine dankenswerte Aufgabe für die Spannkraft dieser so lange zum Ruhen verurteilt gewesenen Koalitionspartei, diese Aufgabe auf sich zu nehmen. Dazu hat auch Frau Kalinke Ausführungen gemacht und Alternativen aufgezeigt. Auch sie wollte von dem erklärten Willen, daß wir unseren Rentnern alles möglichst Gute zukommen lassen wollen, nicht abgehen, Herr Dr. Nölling.Eines darf ich zum Schluß noch sagen. Herr Schmidt sprach von dem Bündel von Gesetzen, die in der letzten Regierung von Herrn Mi-
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1038 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Dr. Böhmenister Katzer eingebracht worden sind und die die Abgeordneten jeden Tag verabschieden mußten. Herr Schmidt , das waren wirklich Reformen.
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt !
Herr Schmidt , ich bin just fertig. Aber ich bin gern bereit, Ihre Frage zu beantworten.
Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich nicht von „Gesetzen" sprach, sondern vom Finanzänderungsgesetz 1967, das ein Bündel von gesellschaftspolitischen Maßnahmen brachte, die in knapp zwei Monaten durchgehechelt werden mußten. Nichts anderes habe ich gesagt; bitte, lesen Sie das nach.
Ich darf darauf antworten, Herr Schmidt, daß Ihre Rede wohl verstanden war. Daß die Bündel von Gesetzesvorschlägen hier eingebracht worden sind, haben Sie ja selbst erwähnt. Ich wollte lediglich zum Inhalt sagen: Das waren noch Reformen!
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir sind am Ende der ersten Beratung. Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und nach § 96 an den Haushaltsausschuß. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Numerus clausus
— Drucksachen VI/124, VI/246 -
Die schriftliche Antwort der Bundesregierung liegt vor. Der Herr Minister möchte eine Ergänzung zu seiner schriftlichen Antwort geben. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Ihnen gedruckt vorliegenden Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU konnten aus technischen Gründen die Ergebnisse der konstituierenden Sitzung des Planungsausschusses nach dem Hochschulbauförderungsgesetz nicht mehr berücksichtigt werden. Diese Sitzung hat, wie die meisten von Ihnen wahrscheinlich wissen, am 16. Januar stattgefunden. Ich möchte deswegen gern in Ergänzung zu der schriftlichen Antwort noch das Ergebnis der Beratungen und die Wertung der Ergebnisse aus meiner Sicht in aller Kürze anfügen.Wie Sie wissen, hat der durch das Hochschulbauförderungsgesetz geschaffene Planungsausschuß einfestumrissenes Mandat: Er soll einen für den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung geltenden Rahmenplan für den Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen aufstellen, dem die Anmeldungen der Länder und die danach folgenden Empfehlungen des Wissenschaftsrates zugrundeliegen und der die Zielvorstellungen nennt, nach denen sich der Ausbau insgesamt vollziehen soll. Da der erste Rahmenplan laut Gesetz erst am 1. Januar 1972 wirksam werden soll und der Planungsausschuß sich mit ihm nach den dort genannten Fristen erst ab 1. Januar 1971 zu beschäftigen bräuchte, hätte dieses Gremium streng genommen vorläufig noch nicht in Aktion zu treten brauchen. Es war der dringende Wunsch der Bundesregierung, jeglichen Zeitverlust bei der Kooperation von Bund und Ländern, die unter den neuen verfassungsrechtlichen Bedingungen notwendig ist, zu vermeiden. Dem derzeitigen Sprecher der Kultusminister, dem Präsidenten der Kultusministerkonferenz, Herrn Kollegen Vogel, bin ich sehr dankbar dafür, daß er sofort auf diese Anregung der Bundesregierung eingegangen ist.Ich freue mich weiter, berichten zu können, daß die Länder einstimmig dem Vorschlag zugestimmt haben, daß der Planungsausschuß ab sofort alle mit dem Hochschulausbau zusammenhängenden Maßnahmen mit dem Ziel ihrer koordinierten Durchführung auch schon jetzt berät. Wir waren uns dabei auch einig, daß hierzu nicht nur die reinen Baumaßnahmen, also nicht nur die Gehäuse gehören können, sondern auch der Inhalt dabei besprochen werden muß. Es können jedoch für diese Beratungen nicht die Abstimmungsmodi gelten, die für das im Hochschulbauförderungsgesetz eigentlich vorgesehene Verfahren vorgesehen sind; selbstverständlich müssen wir uns dabei auf Einstimmigkeit einigen. Jedenfalls werden wir in der Zwischenzeit dort nicht mit. Mehrheit Beschlüsse, die bindend sind, fassen können. Aber — ich glaube, das ist das Wichtigste — beide Seiten stimmten darin überein, daß wir eine Plattform brauchen, auch deswegen, um die Ergebnisse wie der heutige Tag es zeigt — vor den Parlamenten vertreten zu können. Dies um so mehr, als der Planungsausschuß übereingekommen ist, gerade am Anfang häufiger zu tagen und zu beraten, als das wahrscheinlich in Zukunft notwendig ist, um auch das neue Instrumentarium der Kooperation so bald wie möglich und so wirksam wie möglich in Gang zu setzen.Die nächste Sitzung wird am 16. März dieses Jahres stattfinden. Für diese Sitzung sind bereits eine Reihe weiterer wichtiger Beratungspunkte und Beschlüsse gemeinsam vorgesehen.Nun zu den Ergebnissen der konstituierenden Sitzung: Das wichtigste und drängendste Thema war — vom Aufgabengebiet des Ausschusses her gesehen — das von der Bundesregierung vorgeschlagene Schnellbauprogramm. Der Ausschuß einigte sich sowohl über die Kriterien als auch über das Verfahren, nach dem vorgegangen werden soll. Im Rahmen dieses Programms werden Vorhaben unter folgenden Voraussetzungen gefördert:Erstens. Die Baumaßnahme muß einen Engpaß beseitigen. Unter „Engpaß" sind hier zu verstehen ein-
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Bundesminister Dr.-Ing. Leussinkmal die vom Wissenschaftsrat schon früher ermittelten strukturellen Engpaßfächer Mathematik, Lehrerausbildung in den Naturwissenschaften, Biologie, vorklinische Medizin, Zahnmedizin, Elektrotechnik und, nicht zu vergessen, die zentralen Einrichtungen der Hochschulen, vor allen Dingen Bibliotheken und Rechenzentren, aber auch die sozialen Einrichtungen wie z. B. Mensen. Hinzukommen müssen die sich aus der örtlichen Situation der einzelnen Hochschule ergebenden jeweiligen Fachgebiete, in denen ein Numerus clausus besteht oder droht oder in denen ähnliche unhaltbare Zustände herrschen.Zweitens. Der Engpaß muß durch Baumaßnahmen zu beseitigen sein, d. h. es muß Personal und Gerät vorhanden sein oder doch bis zur Beendigung des Baues beschafft werden können.Drittens. Es muß sich, abgestellt auf den Zeitraum der Jahre 1970/71, um eine zusätzliche Maßnahme handeln, die nicht ohnehin im Hochschulbauprogramm von den Ländern beantragt, vom Wissenschaftsrat begutachtet ist und damit ohnehin in die Bundesmitfinanzierung hineingekommen wäre. Für clip Beschleunigung von Engpaßvorhaben auch im Normalprogramm sollen dort bevorzugt oder zusätzlich Mittel bereitgestellt werden. Aber das ist eine andere Sache.Viertens. Die Planung und Ausführung der Baumaßnahmen müssen eine einschneidende Zeitersparnis mit sich bringen. Die Größenordnung, mit der man dabei rechnet und meines Erachtens rechnen muß, beträgt ein Jahr. Also die Fertigstellung dieser zusätzlichen Baumaßnahmen soll in der Regel ein Jahr nicht überschreiten.Eine Arbeitsgruppe wird umgehend die Modalitäten der Mittelvergabe regeln, bereits klare Projekte ohne weitere Verfahrensschritte bezuschussen; und dort, wo man sozusagen vom grünen Tisch her die Sache nicht beurteilen kann, soll eine Arbeitsgruppe an Ort und Stelle fahren und möglichst sofort dort die Entscheidung treffen. Dieses Verfahren gewährleistet einen raschen Ablauf, einen raschen Baubeginn und damit ein rasches Beginnen der Hilfe.Die Bundesregierung wird außerdem bereit sein, auch solche Projekte mit zu finanzieren, die auf Grund der sogenannten Bagatellgrenze des Hochschulbauförderungsgesetzes — sie liegt bei 1 Million DM — an sich von den Ländern allein getragen werden müssen. Das Hochschulbauförderungsgesetz läßt aber bei unbürokratischer Auslegung hierzu die Möglichkeit. Es braucht also keine Sofortmaßnahme — und das wollten wir gern verhindern — nur deswegen finanziell hochgetrieben zu werden, damit sie noch in dieses Programm hineinkommen kann.Selbstverständlich interessiert hier die Frage nach der Höhe der für dieses Programm zur Verfügung stehenden Mittel. Ich halte mich jedoch nach wie vor an die Absprache gebunden, vor einer Entscheidung des Kabinetts über den Haushaltsentwurf 1970 keine Zahlen zu nennen. Allerdings kann ich soviel sagen: Die Anmeldung der Länder für die Schnellbaumaßnahmen in dem soeben erläutertenSinne und die realistische Einschätzung der technischen Möglichkeiten lassen erwarten, daß wahrscheinlich kein einziges Projekt, das den gestellten Kriterien entspricht, aus finanziellen Gründen zurückgestellt werden muß.Für die weitere Entwicklung des Hochschulausbaus wird nicht nur die Einführung dieses Schnellbauprogramms, sondern auch ganz allgemein die Verkürzung der Planungs- und Baumaßnahmen für konventionelle Bauten von ausschlaggebender Bedeutung sein. Der Planungsausschuß hat eine Arbeitsgruppe beauftragt, bis zur nächsten Sitzung, also bis zum März, einen Bericht über die Übertragbarkeit der Erfahrungen einzelner Länder innerhalb der Bundesrepublik, aber auch des Auslandes, vorzulegen mit dem Ziel, die Bauten durch Verkürzung der Planungs- und Genehmigungsverfahren schneller fertigstellen zu können. Die Hoffnung geht dahin, daß man in vielen Fällen das ganze Verfahren auf die Hälfte der Zeit reduzieren kann. Das ist ein sehr altes Thema. Wir sind damit bisher nicht sehr viel weitergekommen. Aber der Planungsausschuß insgesamt war entschlossen, hier unter Umständen auch unkonventionelle Vorschläge zu akzeptieren.Neben diesen auf quantitative Erweiterung der Ausbildungskapazität gerichteten Maßnahmen hat sich der Planungsausschuß auch mit ersten strukturellen Überlegungen befaßt. Dazu gehört u. a. das Angebot der Bundesregierung, zusätzlich Mittel für Promotionsstipendien bereitzustellen, um möglichst rasch Assistentenstellen für ihre eigentlichen Funktionen freizubekommen.Weiter wurde das Angebot besprochen, sich finanziell an der Erweiterung der Tätigkeit der Zentralen Registrierstelle in Hamburg auf andere Fächer als Medizin zu beteiligen.Ich verhehle nicht, daß hier unsere Erwartungen nicht voll erfüllt wurden, weil bei einigen Ländern nach wie vor eine gewisse Zurückhaltung gegenüber einer Beteiligung des Bundes an Maßnahmen festzustellen ist, die nicht unmittelbar zum technischen Ausbau der Hochschulen gehören. Das bedeutet aber nicht, daß wir gerade über diese Themen nicht am 16. März erneut und wahrscheinlich nach besserer Vorbereitung beraten und, so hoffe ich, auch beschließen.Andere Vorschläge der Bundesregierung werden bis zur nächsten Sitzung im März für eine Entscheidung vorbereitet, nämlich etwa die Befragung der Abiturienten des Jahres 1970 nach ihren Studienabsichten und der Beginn eines Aufbaus von Studienberatungssystemen, ferner die Nutzbarmachung von bisher nicht für Hochschulzwecke genutzten Bauten für Hochschulzwecke.Von großer Bedeutung für die weitere Arbeit des Ausschusses und darüber hinausgehend scheint mir der Beschluß zu sein, eine Arbeitsgruppe damit zu beauftragen, bis zum 1. März Zielvorstellungen für die Aufstellung des ersten Rahmenplanes auszuarbeiten. Hierdurch hat sich der Planungsausschuß dazu entschlossen, keine Planung zu betreiben, die nichts weiter ist als eine Addition der Wünsche, die von den Hochschulen über die Länder in diesen
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1040 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Bundesminister Dr.-Ing. LeussinkAusschuß kommen. Er hat sich entschlossen, für diese Planungen auch vom Ausschuß selber her Maßstäbe zu setzen, zu deutsch, er hat also vor, aktiv zu planen. Er kann sich gerade hierbei auf die umfassenden Vorarbeiten von Wissenschaftsrat, Bildungsrat und Kultusministerkonferenz stützen.Dieser Beschluß wird durch die erfreuliche Erklärung der Kultusminister ergänzt, umgehend Kapazitätsfeststellungen für die Hochschulen an Ort und Stelle einzuleiten. Gerade dieser Beschluß bringt mehr als manche finanzielle Hilfe und Entscheidung das Bewußtsein der gemeinsamen Verantwortung für die weitere Entwicklung auf diesem Gebiet und für die gemeinsame Lösung dieses schwierigen Problems, gemeinsam nämlich durch Bund, Länder und Hochschulen zum Ausdruck.Ich glaube, daß die Sitzung vom 16. Januar, um das noch zum Schluß zu sagen, ein hoffnungsvoller Auftakt für die von uns gemeinsam mit den Ländern angestrebte Entwicklung war. In Wiederholung einer Bemerkung, die bereits in der schriftlichen Antwort auf die Große Anfrage niedergelegt ist, möchte ich freilich her auch noch einmal betonen, daß auch der beste Wille und der beste gemeinsame Wille nicht in kurzer Frist die Probleme beseitigen kann, die uns allen eine in vielen Dingen, wie wir heute wissen, zu kurzsichtige oder zumindest zu kurzfristige Hochschulpolitik der letzten 20 Jahre in die Wiege gelegt hat.
— Ich bin gern bereit, darüber eindeutige Auskunft zu geben, Herr Martin, ich möchte nur jetzt Frau Walz die Zeit nicht wegnehmen.Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß die Zusammenfassung der Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern im Planungsausschuß und die Notwendigkeit, seine Entscheidungen vor den Parlamenten und der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, und schließlich die wachsende Einsicht in die Notwendigkeit einer umfassenden Reform unseres Bildungswesens einen ganz wesentlichen Schritt vorangekommen sind.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Walz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der CDU/CSU betreffend Numerus clausus wurde schon am 2. Dezember eingebracht, weil wir in dessen Handhabung und dessen Ausmaß einen bildungspolitischen Skandal sehen, an dem übrigens unserer Meinung nach, Herr Minister, der Wissenschaftsrat nicht ganz unschuldig ist. Dieser Numerus clausus ist unverzüglich abzubauen und in Zukunft nach Möglichkeit aufzuheben. Für immer mehr Fächer — sie wurden ja hier genannt —
müssen Zulassungsbeschränkungen eingeführt werden.
In den Massenfächern der Geisteswissenschaften, insbesondere des Lehrerstudiums, sind sie teilweise zwar noch verdeckt, aber die Lehr- und Studienbedingungen sind auch dort schon so, daß man von einem internen Numerus clausus reden muß. Dies alles führt zu einer unerträglichen Studienzeitverlängerung. Viele Tausende von Studenten mußten auch diesmal wieder abgewiesen werden und fühlen sich in ihrem Vertrauen in eine Gesellschaftsordnung enttäuscht, die ihnen zwar mit dem Abitur den Anspruch auf ein Studium gibt, diesen Anspruch dann aber wegen Überfüllung nicht einlösen kann.
Unter diesen Umständen war es uns, Herr Minister, völlig unverständlich, daß die Bundesregierung unsere Große Anfrage erst am 1. März beantworten wollte, obwohl Sie am 21. Dezember vor der Presse, nicht etwa in unserem Ausschuß, ihr Sofortprogramm und Ihr längerfristiges Programm vorgelegt hatten. Von der Finanzierung dieses Programms, der wichtigsten Voraussetzung, wurde dabei vornehmerweise nicht gesprochen. Im Gegenteil, die Regierung versprach Steuersenkungen, und der Herr Finanzminister dieser Regierung sagte, sie habe diese Steuersenkungen sehr sorgfältig geprüft, und dadurch entstünden keinerlei konjunkturellen Auswirkungen.
Nun, von diesem Optimismus der neuen Regierung ist nicht sehr viel übriggeblieben. Steuersenkungen sind ja wohl auch das letzte, was wir haben wollen, wenn wir an eine Priorität der Bildungspolitik glauben.
Bei Herrn Minister Leussink geistert nämlich schon die Zahl von 50 Milliarden DM für das Bildungswesen für 1980 im Raum herum, bei dem Herrn Staatssekretär sogar die Zahl von 100 Milliarden DM. Selbst die wohlstgesonnene Presse, hier die „Frankfurter Rundschau", sprach bei diesem Programm des Herrn Bundesbildungs- und Forschungsministers von einem „Sack guter Absichten", von Leussink als „Zahlmeister", während der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft statt — ich zitiere ihn mit Erlaubnis der Frau Präsidentin — „waghalsiger Prognosen und Zauberformeln für die 70er Jahre" ein Sofortprogramm für 1970 forderte.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch?
Frau Kollegin Dr. Walz, darf ich Ihre Bemerkungen zu den Steuerproblemen so verstehen, daß die CDU/CSU-Fraktion bereit ist, die bisherige Steuerlastquote zu erhöhen?
Wir sind nicht für Steuersenkungen; das haben wir Ihnen doch ganz
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Frau Dr. Walzdeutlich gesagt. Sie kennen ja auch das Angebot von Herrn Barzel, das für diese Regierung sehr vorteilhaft war.
Frau Kollegin, ich darf die Zusatzfrage stellen, ob Ihnen bekannt ist, daß durch die Progression die Steuerlastquote bei einer derartigen Konjunktur ständig steigt, wenn man nicht gelegentlich an Steuersenkungen denkt? Wollten Sie das damit ausschließen?
Das mag sein, Herr Moersch. Ich wundere mich aber, daß Sie als Kulturpolitiker für Steuersenkungen eintreten.
Im übrigen sind wir der Meinung, daß uns der Herr Minister tatsächlich in drei Monaten ein solches Programm hätte vorlegen müssen. Er hat es ja auch auf Grund unserer Großen Anfrage getan. Dieses Programm brauchen wir um so mehr, meine Damen und Herren, als die eigentliche Kalamität auf den Hochschulen erst 1972 beginnt. Erst dann drängen nämlich die Jahrgänge auf die Hochschulen, die auf Grund der von allen Parteien gutgeheißenen Bildungswerbung eine 13jährige Schulzeit durchlaufen haben; die sind noch gar nicht da.
Heute haben wir es neben der Studienzeitverlängerung zum Teil einfach mit einer Manipulation der Erfolgsquote zu tun. Die Quote derjenigen
Sextaner, die tatsächlich bis zum Abitur durchgehalten haben, ist von 40 auf 53,7 % gestiegen, weil das Abitur praktisch immer mehr erleichtert wurde.
— Ich war vorher Landespolitiker, Herr Raffert; ich konnte das ziemlich genau verfolgen. — Ein Land wie Hessen will jetzt sogar für Deutsch die Note „ausreichend" abschaffen und die Schüler mit „mangelhaft" bestehen lassen.
Solange also Schule und Hochschule nicht aufeinander abgestimmt sind, werden immer mehr Studenten die Hochschulen überfluten und dort nicht genügend Ausbildungsplätze finden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Meinecke?
Frau Kollegin, impliziert Ihre Aussage die Notwendigkeit, die Erfolgsquote oder die Abgangsquote am Gymnasium möglichst niedrig zu halten, damit die Zahl der an die Hochschule Drängenden nicht so groß wird?
Herr Kollege, wir wünschen, daß auf den Schulen ein besserer Unterricht gegeben werden kann. Deshalb haben wir bestimmte Vorschläge zur Verbesserung des Systems gemacht.
Aber wir meinen nicht, daß man die Sache allein mit einer Manipulierung der Erfolgsquote machen sollte.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Das dürfte dann aber die letzte sein; denn sonst komme ich nicht weiter.
Gut, die letzte Zwischenfrage. Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Kollegin Walz, darf ich Sie fragen, welchen Gradmesser Sie für den effektiven Unterricht in einem Gymnasium anlegen, nachdem Sie den Unterricht als derart erfolglos abqualifiziert haben?
Herr Kollege, ich habe den Unterricht keineswegs als erfolglos qualifiziert. Ich habe selber drei Kinder auf den Schulen. Ich kann das einigermaßen beurteilen. Ich habe nur gesagt, daß die Examina zum Teil zu sehr erleichtert wurden und daß daher eine Manipulation der Erfolgsquote stattgefunden hat, was Sie übrigens in dem einschlägigen Schrifttum, das mit Parteipolitik nichts zu tun hat, überall finden können.
Das Zögern der Regierung, die doch eine der inneren Reformen sein will, da die Demokratie nach dem Herrn Bundeskanzler erst mit dieser Koalition anfängt, wird übrigens noch unverständlicher, wenn man die jüngste Rechtsprechung bedenkt. Sie hat zum Beispiel im Hessischen Landtag in der November-Debatte über dasselbe Thema den Fraktionsvorsitzenden der SPD dazu veranlaßt — weil sie ihn so verschreckt hat — eine generelle Aufhebung des Numerus clausus in allen Fächern zu fordern; man habe schließlich nach dem Kriege auch überfüllte Schulen gehabt und könnte das ebensogut bei den Hochschulen zulassen. Aber immerhin gibt es tatsächlich - -
— Alle auf die Hochschulen herauf. Das war der Vorschlag von Herrn Best.Immerhin haben die verschiedenen Urteile verschiedener Gerichte in der letzten Zeit tatsächlich eine erhebliche Unruhe ausgelöst. Es ist dringend erforderlich, daß das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil die objektiven Schranken von Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes darlegt, um zu klären, unter welchen objektiven Schranken ein Numerus clausus überhaupt zulässig ist. Sie wissen,
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1042 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Frau Dr. Walzdaß kein Grundrecht schrankenlos ist, sondern alle unter dem Gemeinschaftsvorbehalt stehen.Der soziale Rechtsstaat hat nun zwar die Verpflichtung, alles ihm nur Mögliche für die Verwirklichung der Grundrechte zu tun. Er darf vor allen Dingen nicht einen fast generellen Numerus clausus zur Berufs- und Bedarfslenkung einführen, wie es heute in den Fächern mit totalem Numerus clausus praktisch der Fall ist; Sie kennen sie alle, ich brauche sie nicht aufzuzählen. Wenn wir hier keine Abhilfe schaffen, dann dürften allerdings weitere Gerichtsurteile in diesen Fächern den Zugang absolut erzwingen.Nachdem Neubau und Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen — und für die Fachhochschulen gilt das gleiche; Sie wissen, auch sie haben alle den Numerus clausus — nunmehr Gemeinschaftsaufgaben geworden sind — nunmehr, Herr Minister Leussink; vorher waren sie es noch nicht, und vorher konnte man von Bundesseite dafür gar nichts tun — und nachdem Sie selber mit Ihren Prognosen einmal 30 % — so Ihr „Welt"-Interview , einmal 50 % das geänderte Abitur II machen lassen wollen und einmal 25 % und nach Ihrem Schutte-Aufsatz sogar 27 % jedes Geburtsjahrgangs auf die Hochschulen schleusen wollen, müssen Sie doch eigentlich das dringendste Interesse daran haben, nicht nur der Presse, sondern auch uns einmal darzutun, was Sie nun für die vorhandenen Abiturienten des Jahres 1970 tun wollen, deren Zahl Sie in einem Jahrzehnt um 150 °/o erhöhen wollen.Sie haben, Herr Minister, der früheren Bundesregierung vorgeworfen, weder Wissenschaftsminister noch Innenminister hätten die nötigen Schritte für eine schnelle Beseitigung des Numerus clausus eingeleitet, und sie hätten durch eine Konzentration auf Zuständigkeits- und Verfassungsfragen viel Zeit verloren. In Ihrer Antwort klingt das schon etwas anders als das letzte Mal im Parlament. Wir nehmen das mit Dank zur Kenntnis, daß hier offensichtlich ein gewisser Sinneswandel hei Ihnen stattgefunden hat. Denn damals kannten Sie vielleicht die föderalen Hürden unseres Systems nicht so genau. Sie haben insbesondere nicht Konkordats- und Fernsehurteil berücksichtigt, die eindeutig von der Kulturhoheit der Länder sprechen. Man mag diese Rechtsprechung bedauern — ich selbst gehöre zu den Leuten, die sie bedauern —, aber damit schafft man sie ja nicht aus der Welt. Gerade ihretwegen mußten ja sämtliche Parteien dieses Hohen Hauses für das Finanzreformgesetz die Fassung des Vermittlungsausschusses akzeptieren, d. h. die Beschränkung auf die wissenschaftlichen Hochschulen.
Dem Finanzreformgesetz vom 12. Mai folgte das Hochschulbauförderungsgesetz. Ich rate Ihnen eine Motivforschung an, Herr Moersch. Dann werden Sie feststellen, daß ich recht habe.Es folgte also das Hochschulbauförderungsgesetz, eine beachtlich schnelle Leistung dieses Parlaments und der vorigen Regierung. Erst durch dieses Gesetz wurde die Zuständigkeit des Bundes auch für den Neubau und die gemeinsame Planung begründetund wurden die Kompetenzen Ihres Ministeriums ausgeweitet. So kann überhaupt erst die neue Bundesregierung diese noch übrigens sehr bescheidenen, zu bescheidenen Kompetenzen ausschöpfen. Sie sollte das mit höchster Eile tun. Auch aus diesem Grunde hielten wir es für ausgeschlossen, die Beantwortung der Großen Anfrage noch länger aufzuschieben.Vor einer Tendenz möchte ich allerdings in diesem Zusammenhang noch einmal eindringlich warnen. Herr Minister Leussink und Herr Kollege Lohmar haben dazu aufgefordert, sich um Zuständigkeitsfragen — das sind immerhin Fragen unserer Verfassung, meine Herren — nicht zu kümmern, sondern mit den koalitionswilligen Ländern zusammenzuarbeiten. Hierunter werden unterschwellig die Länder verstanden, die auf das Konzept der integrierten Gesamtschule und der integrierten Gesamthochschule festgelegt sind.
- Das haben sie völlig richtig erkannt.
Solange aber die integrierte Gesamtschule sich noch in einem von uns geforderten — ich möchte das ausdrücklich betonen: von uns geforderten! — Versuchsstadium und die integrierte Gesamthochschule sich im Felde der Ideologien und der Mutmaßungen befinden, die von der Baukastenhochschule mit völlig freiem Zugang, also auch ohne Abitur, über das konsekutive System bis zur Herausnahme der Forschung aus der Gesamthochschule reichen — hier scheint mir in Ihrer Antwort, Herr Minister, auch ein gewisser Ansatz zu sein, den ich sehr bedenklich finde; ich komme nachher noch darauf zurück —, darf man sich nicht auf ein System festlegen, sondern muß das Beste herauszufinden suchen und im Versuch erproben, ohne das Bestehende zu vernachlässigen.Die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in den Ländern und die Pflicht zur Gleichbehandlung verbieten Ihnen ein solches Vorgehen, wie Sie es planen. Auf diese Weise würde das Klima im Verhältnis zu den Ländern auch gar nicht verbessert, auf das wir aber angewiesen sind, wenn wir mit unseren schmalen Kompetenzen überhaupt etwas erreichen wollen. Was nützt es Ihnen überhaupt, bei der Bildungsplanung nur mit einzelnen Ländern zusammenzuarbeiten, da Sie eine Planung für das gesamte Bundesgebiet erarbeiten müssen, die ja erst die notwendige Voraussetzung für Entscheidungen auf dem Hochschulsektor ist?Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, würden sicherlich gut beraten sein, wenn Sie doch noch unseren Änderungsanträgen zum Art. 91 und zum Hochschulbauförderungsgesetz zustimmten,
wie es Ihnen ja auch einzelne Länder im Planungsausschuß vorgeschlagen haben, um klare Verantwortungen zu schaffen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1043
Frau Dr. Walz— Die meisten Länder sogar. Sie wissen ja selbst im Grunde ganz genau, daß Ihre Zurückweisung unserer Vorschläge mit dem Tenor, wir wollten ein Klassensystem zwischen den Hochschulen aufrechterhalten, völlig absurd ist. Wir wollen im Gegenteil den Zugang zum Hochschulbereich öffnen.Im übrigen erklärte auch Ihr eigener Minister in Bielefeld am 1. Dezember — das ist noch gar nicht so lange her —, an die Fachhochschulen, die in den Gesamthochschulbereich einbezogen werden, müßten besonders hohe Anforderungen gestellt werden und es dürfte durchaus nicht jede Fachschule umetikettiert werden. Die Einbeziehung der Fachhochschule in den Gesamthochschulbereich ist aber nur dann ein Beitrag zur Überwindung des Numerus clausus, wenn bis 1975 tatsächlich mindestens 100 000 neue Studienplätze dort geschaffen werden. Und wie Sie das machen wollen, Herr Minister, wie Sie diese Studienplätze dort schaffen wollen, darauf vermissen wir Ihre Antwort allerdings immer noch.
Was haben Sie nun an Sofortmaßnahmen zur Erhöhung der Kapazität vorgeschlagen? Ich glaube. ich brauche auf Ihre Punkte hier nicht weiter einzugehen. Wir können die Sache abkürzen, weil wir ja diesen Punkten weitgehend zustimmen können, zumal sie sich eigentlich alle schon in dem Hochschulrahmenplan I des Landes Baden-Württemberg finden, so daß der Herr Kultusminister Hahn von Baden-Württemberg Ihnen sagen konnte, daß er mit diesem Programm durchaus übereinstimmt.Einzig fraglich wäre wohl tatsächlich die Formel der Flexibilität 50 zu 50. Im Gesetz steht 50 zu 50, und man könnte natürlich, um bestimmte Engpässe zu überwinden, dieses 50 zu 50 für einen längeren Zeitraum auslegen. Das wäre eine gewisse Möglichkeit, aber auch immer noch eine Art von Gesetzesumgehung. Aber darüber könnten Sie sicherlich mit uns reden.Im Kultusministerium Baden-Württemberg, in diesem von einem CDU-Minister geleiteten Ministerium, wurde übrigens die Kapazitätsformel entwickelt — und auf die Berechnung der Kapazitäten kommt es uns ja weitgehend an —, nach der die Hochschulinformationssystemgesellschaft in Hannover überhaupt arbeitet. Man sollte aber alle Länder auf alle Fälle mit der gleichen Formel rechnen lassen, weil gerade Kapazitäten sonst überaus leicht manipuliert werden könnten.Diese Sofortmaßnahmen werden allerdings nur kurzfristig Erleichterungen und keineswegs eine Beseitigung des Numerus clausus schaffen; sie werden nur, um die Bundesassistentenkonferenz zu zitieren, „das Unrecht gerechter verwalten". Deshalb müssen gleichzeitig langfristige Reformen in Angriff genommen werden, bei denen wir allerdings immer noch nicht die Zielvorstellungen dieser Regierung kennen. Der Herr Minister hat zwar — das war Presse, Funk und Fernsehen zu entnehmen — eine Vorstellung vom Abitur, die völlig anders ist als die bisherige; er will es in Funktion und Inhalt völlig verändern und zu einem reinen Schulabschlußzeugnis machen. Aber schließlich müßten bei diesem Prozeß die Länder ja wohl auch noch gefragt werden.Sie, Herr Minister, sehen für das Abitur einen dreifachen Zweck vor: a) in seiner studienbezogenen Form für 27 °/o eines Geburtsjahrganges den Zugang zur Gesamthochschule, b) die Berufsbezogenheit und schließlich c) eine Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus. Wie es Ihnen allerdings gelingen soll, die 23 °/o dann auf den Beruf zu lenken und nicht mehr auf den Hochschulbereich, das können Sie, nehme ich an, bisher auch nur ahnen, aber wir würden es gern von Ihnen noch etwas näher erfahren.Der gegenwärtige Präsident der Rektorenkonferenz geht sogar noch weiter. In Übereinstimmung mit dem Herrn Minister will er einen ständigen Überhang von 10 °/o der Plätze vorsehen, also immer 10 °/o Plätze mehr, als überhaupt Studenten aufkreuzen
Studienbewerber, Verzeihung, natürlich! —, damit tatsächlich möglichst alle Studienwünsche erfüllt werden, und dies, obwohl derselbe Präsident eine Seite vorher in diesem Vortrag auf eine Studie von Herrn Hitpass hinweist, aus der hervorgeht, daß ungefähr die Hälfte der Abiturienten bis kurz vor dem Abitur überhaupt nicht weiß, was sie studieren will. Würde man also die Kapazitäten nach den Studienwünschen ausbauen, dann würde man die Schulsituation — wie gesagt, erst kurz vor Abschluß entscheiden sich die meisten — und eine bisher noch schlechte und unzureichende Information — die soll ja auch bei Ihnen erst aufgebaut werden — zu bestimmenden Faktoren weitreichender und kostspieliger Sozialentscheidungen machen.Daß die integrierte Gesamthochschule, meine Damen und Herren, für all diese Wünsche die Erfüllung bereithält, zumal sie als Organisationsmodell ja zunächst keinen einzigen Studenten mehr unterbringt als andere Hochschulen, sollte wohl doch in Zweifel gezogen werden. Der Minister als „schrecklicher Pragmatiker" ist ja hier auch etwas vorsichtiger als die SPD. Er läßt, bei Bejahung der Integrationstendenz, doch auch etwas sibyllinisch hören, daß schließlich ziemlich viele Wege nach Rom führten und daß neben der Gleichheit der Bildungschancen die Effizienz einer Leistungsgesellschaft nicht zu kurz kommen dürfe. Den Leistungsgedanken abschaffen zu wollen, wie so manche unserer studentischen Freunde wollen, hält er schlicht für romantisch. Wir stimmen darin mit ihm überein. Auf Grund welcher Ergebnisse der Begabungsforschungwenn er mit auf Leistung hinauswill — er dann allerdings 27 % im Gesamthochschulbereich unterbringen will, was sein Herr Staatssekretär für eine politische Entscheidung hält, wird uns der Herr Minister vielleicht noch ausführen. Die Entscheidung über die Begabung wird politisch gefällt!Diese Bemerkung soll übrigens keineswegs heißen, daß die CDU etwa grundsätzlich gegen die integrierte Gesamtschule ist. Sie wird in Baden-Württemberg neben der kooperativen Form — ich komme erst auf die Schule, weil ich ja die Verbindung von Schule und Hochschule sehe — erprobt. Es wird sich herausstellen, welche die bessere Form ist, und wir werden dann die bessere Form nehmen. Wir sind da
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Frau Dr. Walzgar nicht ideologisch so festgelegt wie Sie bei Ihrem einen Modell.
Wir wehren uns allerdings dagegen, daß die integrierte Gesamthochschule, von der noch niemand weiß, ob und wie sie funktioniert, uns ideologisch als das Allheilmittel für die Nöte der Hochschulen und für die Beseitigung des Numerus clausus angepriesen wird. So selbstverständlich die Kooperation und die Durchlässigkeit der gleichberechtigten Hochschulen im gesamten Hochschulbereich sein müssen, so sorgfältig müssen die Möglichkeiten der Integration erst einmal geprüft werden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Lohmar?
Ja, aber bitte nur eine Frage. Entschuldigen Sie, Herr Kollege, aber ich muß auf die Uhr schauen.
Frau Kollegin Dr. Walz, darf ich Sie fragen, worauf Sie die Vermutung stützen, daß die Sozialdemokraten ihre Zielvorstellungen von einer integrierten Gesamthochschule für das Allheilmittel gegen den Numerus clausus halten, im Gegensatz zu unserem Fünfpunkteprogramm, das wir im Ausschuß in Ihrer freundlichen Abwesenheit verabschiedet haben, wo von ganz anderen Dingen die Rede ist?
Herr Kollege Dr. Lohmar, ich habe schon so häufig von den Sprechern Ihrer Partei im Bund und im Land gehört, daß nur die integrierte Gesamthochschule alle Schäden der Hochschule heilen könnte, daß ich annahm, das sei die allgemeine Meinung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja.
Frau Kollegin, können Sie bestätigen, daß nach der letzten bildungspolitischen Debatte hier, in der Sprecher der Sozialdemokraten die integrierte Gesamthochschule als d i e Zielvorstellung ihrer Partei vertraten, der sozialdemokratische Kultusminister in Hessen ein Fachhochschulgesetz vorgelegt hat, das von völlig anderen Konzeptionen, nämlich selbständigen Fachhochschulen und der Kooperation ausging?
Ich kann es bestätigen.
Wir begrüßen und befürworten auch die langfristigen Reformmaßnahmen von Herrn Leussink, zumal in ihnen ungefähr alles das enthalten ist,
was an guten Vorschlägen heute sowieso auf dem Markt ist. Auch wir fordern einen nationalen Bildungsplan, wenn auch für ihn von der Bildungs- und Berufsforschung erst dringend die nötigen Unterlagen herbeigeschafft werden müssen, um überhaupt eine nationale Bildungsstrategie wirksam betreiben zu können und hier insbesondere die Abstimmung von Schule und Hochschule — darauf kommt es uns ja entscheidend an — zu planen.
Daß bis 1970 ein nationales Bildungsbudget aufgestellt werden soll, begrüßen wir deshalb besonders, weil mit dem Etat für Herrn Leussink die Zusagen, die er schon gemacht hat, sicherlich nicht zu erfüllen sind. Wir kommen auf das Etatthema noch zurück.
Daß für den nationalen Bildungsplan und das nationale Budget das Finanzreformgesetz erneut geändert werden soll, ist allerdings, Herr Minister, doch wohl ein außerordentlich zweischneidiges Schwert. Hoffentlich besteht das Ende dieser Sache nicht darin, daß die Länder einen für sie günstigeren Verteiler beim Aufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer haben wollen; das ist nämlich in diesem Fall vorauszusehen.
Was muß also nun, um den Numerus clausus zu beseitigen, jetzt neben den Sofortmaßnahmen — nämlich 100 000 Plätze im Fachhochschulbereich und 120 000 Plätze im Hochschulbereich, insgesamt also 220 000 Plätze im Gesamthochschulbereich — zugleich angepackt werden? Wir haben dafür zwölf Vorschläge entwickelt. Die Kapazitäten müssen nach allgemeingültigen Kriterien berechnet werden. Es ist sehr wichtig, daß das nicht jeder so berechnet, wie er will. Um eine genaue Ubersicht der vorhandenen Plätze zu bekommen, müssen Fachleute — in Zusammenarbeit mit der HochschulinformationsSystemgesellschaft in Hannover — an die Hochschulen geschickt werden. Die Westdeutsche Rektorenkonferenz hat hier schon Vorarbeit geleistet; sie sollte die Unterstützung in Höhe von 1,5 Millionen DM, die sie braucht, erhalten.
Es müssen neue Kapazitäten geschaffen werden, um eine wirkliche Bildungsstrukturpolitik einzuleiten. Zu diesem Thema möchte ich besonders auf die Vorschläge unseres Kollegen Mikat hinweisen, der dafür höchst beachtliche Grundsätze aufgestellt hat. Er fordert z. B., eine auf das ganze Bundesgebiet bezogene Standortplanung und die Wahrung der Chancengleichheit zu berücksichtigen. Nach seinen Vorschlägen sollen in Ballungsgebieten Zweiguniversitäten entstehen. Eine weitere Forderung lautet: vermehrtes Studienangebot in bisher vernachlässigten Regionen durch jeweils wohnsitznahe wissenschaftliche Hochschulen. Diese Hochschulen sollen gleichzeitig die berufliche Weiterbildung übernehmen, und sie sollen, wo vorhanden, von Universitätskernen ausgehen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, es tut mir leid, Herr Meinecke. Ich komme sonst mit der Zeit nicht aus.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1045
Frau Dr. Walz
— Aber nur, weil ich annehme, daß alle Kollegen zum Mittagessen wollen und ich mir nicht ihren Ärger zuziehen möchte, weil ich das verzögere.
Ich möchte jetzt keine Zwischenfragen zulassen, obwohl ich sonst grundsätzlich dafür bin, Fragen zu beantworten.
— Sie sitzen sonst nur noch länger und beschimpfen mich nachher, daß Sie nicht zum Essen kamen.Die Kapazitätserweiterungen müssen übrigens schon aus rechtlichen Gründen in all den Fächern vorgenommen werden, in denen ein totaler Numerus clausus besteht, ferner in den Fächern, die einen 50 bis 90%igen Numerus clausus haben. Im übrigen müssen natürlich auch in den Massenfächern der Geisteswissenschaften die entsprechenden Erleichterungen geschaffen werden, wobei man davon absehen sollte, rein erziehungswissenschaftliche Universitäten zu schaffen, um die Lehrerausbildung nicht in ein Ghetto zu setzen.Das Lehrangebot muß entsprechend erweitert werden. Ihr Angebot von 1000 Promotionsstipendien, Herr Minister, reicht sicherlich nicht aus. Der Lehrkörper muß umstrukturiert, und die Lehrbelastung muß neu durchdacht werden. Die Bundesassistenkonferenz schlägt vor, aus den 30 000 Assistenten, Leuten des Mittelbaus und wissenschaftlichen Angestellten etwa 10 000 Assistenzprofessoren zu gewinnen. Sie räumt aber gleichzeitig ein, daß das keine oder kaum eine Verbesserung für die Lehre mit sich bringt. Es müssen zusätzlich Lehrkräfte gewonnen werden und ein Tutorenprogramm eingerichtet werden. Das Problem darf nicht so gelöst werden wie im angeblichen bildungspolitischen Musterländle Hessen, wo den Assistenten einfach 5000 StundenLehrbelastung ohne Bezahlung zudiktiert wurden.
Das ist natürlich die einfachste Methode.
Die Reform der Studien- und Prüfungsordnungen muß sehr zügig und bundeseinheitlich geregelt werden. Insbesondere muß man dafür sorgen, daß frühzeitige Studienausgänge möglich sind. Sie darf nicht so gehandhabt werden, wie es die Frau Bundesgesundheitsministerin gemacht hat: Es wird eine Approbationsordnung erstellt; darin sind Vorschriften enthalten, die Kosten für Bauten und Personal vorsehen, für die aber keine Deckung vorhanden ist.Ein Testinstitut muß neue Tests entwickeln. Wir können aus Amerika höchstens die Tests für Mediziner übernehmen, während wir sonst Tests entwickeln müssen, die unserem Schul- und Berufssystem angepaßt sind.Das Fernstudium im Medienverbund darf nicht infolge von Kompetenzstreitigkeiten auf die lange Bank geschoben werden. Es muß zur Entlastung ebenso eingesetzt werden wie zum Kontaktstudium.Über die zentrale Registrierstelle sind wir uns einig. Wir werden genauso verfahren wie Sie. Dar-über hinausgehend sind wir aber der Meinung, daß für unmittelbare Notstände — Numerus clausus usw. — ein Zentralfonds mit Bundesmitteln gebildet werden muß, aus dem gleichzeitig Reformexperimete finanziert werden können.
— Was die Länder dazu sagen, wird Ihnen nachher sicherlich Herr Kultusminister Vogel sagen.
— Das ist etwas anderes, Herr Moersch. Wir wollen keine Verwischung der verfassungsrechtlichen Zuständigkeit, das ist alles.Der Bund kann zwar nicht, wie Minister Leussink beabsichtigt, beim derzeitigen Stand des Etats die Folgekosten der Hochschulbauten übernehmen, aber er sollte — und das ist unser besonderer Vorschlag zur Entlastung der Länder — die Länder jedenfalls von den Kosten für das Ausländerstudium — das sind immerhin etwa 10 0/o der Studienkosten — entlasten
und im Bereich der Forschungskosten die Folgekosten tragen.Das Instrumentarium der Bedarfsprognosen muß verfeinert werden, um den gesellschaftlichen Bedarf und die Studienwünsche nach Möglichkeit in Einklang zu bringen. Studium und Berufsberatung müssen intensiviert werden.Und last not least muß die Bildungs- und Berufsforschung intensiviert und koordiniert werden. Sie hat zwar bisher beachtliche Einzelleistungen erbracht, aber das reicht noch nicht aus, um zuverlässige Grundlagen für die Bildungsplanung und insbesondere für neue Berufsbilder zu legen.Vom Gelde, das das alles kostet, sprach ich bisher nicht. Ich habe mich dabei nur an das Vorbild des Herrn Bundeswissenschaftsministers gehalten, der ja soeben auch wieder keine Auskünfte über die Höhe der Kosten geben wollte. Da Sie, Herr Minister, gleichzeitig in die Folgekosten bei den wissenschaftlichen Hochschulen — Sie wissen ja selbst, daß das in fünf Jahren jeweils 100 % sind — und in den Schulbereich einsteigen wollen und hier den Ländern schon ziemlich weitreichende Zusicherungen gemacht haben — von der Vorschulerziehung bis zu Hilfen bei Schulabschlüssen im Sekundarschulbereich —, müssen Sie doch wirklich einmal sagen, wie Sie das bezahlen wollen.Ein Sack voll guter Absichten, gewiß. Nur, gibt das Ihr Etat eigentlich her? Er beträgt 3 005 600 000 DM, und davon sind 305 Millionen DM gesperrt. Es sind also — bei gleichbleibender Konjunktur —2,7 Milliarden DM gegenüber 2,21 Milliarden DM — mit Bundesinnenministerium — des Ministeriums Stoltenberg im letzten Jahr. Wenn Sie diese Zahlen nehmen, ergibt sich eine Steigerung Ihres Bildungsetats um lediglich 22 %. Von 40 % ist keine Rede. Falls Sie Ihre 305 Millionen DM, was wir alle dringend hoffen, noch freigeben sollten, ergibt sich auch nur eine Steigerung um 36 %.
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— Warten Sie bitte ab, ob es das Doppelte ist! Ich habe auch die Zahlen der mittelfristigen Finanzplanung da.Von 40 % kann also überhaupt keine Rede sein in diesem Kabinett der inneren Reformen. Die 40 % wurden nämlich nur mit einem Trick erreicht; man ging für 1969 von einem bereinigten Soll aus, während man für 1970 das Haushalts-Soll einsetzte.
Hoffentlich werden wir nicht noch von anderen Ressorts die gleiche Manipulation erleben.In der mittelfristigen Finanzplanung der Großen Koalition wurden für 1970 — und jetzt hören Sie vielleicht einmal zu, Herr Lohmar — 2,775 Milliarden DM vorgesehen, also mehr, als dem gegenwärtig unter Berücksichtigung der Sperrung vorgesehenen Betrag entspricht. Hinzu kommt bei Ihnen ja noch bis zur Verabschiedung des Haushalts die Bausperre auf 60 %.
Die Regierung der inneren Reformen hat also auf keinen Fall exorbitante Mehrausgaben gegenüber der alten mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen. Die CDU/CSU war also offensichtlich sehr viel bildungsfreudiger, als es ihr von ihren Kritikern nachgesagt wird.
Sie hat es allerdings nie verstanden, ihre Bildungspolitik so gut zu verkaufen wie die SPD.
In diesem Zusammenhang wüßten wir auch gern, was die Länder nun eigentlich angefordert haben. Bayern will allein in den nächsten fünf Jahren in Sofortmaßnahmen etwa 1,7 Milliarden DM verbauen, Baden-Württemberg in drei Jahren 143 Millionen DM, Hessen im Jahre 1970 50 Millionen DM. Da wäre es uns doch sehr lieb, von Ihnen Herr Bundesminister, einmal zu hören, wie die Gesamtanforderung aussehen soll. Ich kann nur sagen, hoffentlich geht es den Ländern beim Numerus clausus von seiten des Bundes nicht so wie den hessischen Universitäten bei ihren Notmaßnahmen im Jahre 1968. Sie hatten 42 Millionen DM auf Grund ihrer Engpaßsituation angefordert, bekamen aber vom hessischen Kabinett nur genau ein Zehntel der angeforderten Summe. Die Staatssekretärin führte dazu aus, die Hochschulen hätten das Land offensichtlich für den Weihnachtsmann gehalten.
Wenn man also nicht alles mit einer Gießkanne beregnen kann — und schon gar nicht bei dieser Etathöhe —, wenn man eine Mitkompetenz auf dem Hochschulsektor, nicht aber auf dem Schulsektor, hat, sollte man jedenfalls die Mittel auf diesen Hochschulsektor zur Beseitigung des Numerus clausus konzentrieren, zumal da der Minister im Gegensatz zu seinem Staatssekretär erklärt hat, daß die Forschung auf keinen Fall eingeschränkt werden solle, ja, daß die Datenverarbeitung überdimensional gefördert werden müsse. Allerdings, Herr Bundesminister — und das stimmt uns sehr bedenklich —, sieht Ihre Antwort wesentlich anders aus. Darin sagen Sie nämlich im Gegensatz zu Ihren früheren Äußerungen, daß der Schwerpunkt der Gesamthochschule die Ausbildung sein solle. Vorher sprachen Sie von einem Gleichgewicht. Jetzt sind wir bei dem Schwerpunkt Ausbildung. Hier scheint sich nun doch der Herr Parlamentarische Staatssekretär durchgesetzt zu haben.
— Ja, auch beweglich.Wir können also die Regierung nur auffordern, den entscheidenden Schwerpunkt der Ausgaben, soweit sie nicht der Forschung zugute kommen müssen— von dieser Forschung leben wir alle, meine Damen und Herren —, auf die Beseitigung des Numerus clausus zu legen, wozu sie im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben verpflichtet ist, und zwar auf die 12 Forderungen, die ich vorhin entwickelt habe. Wir können auch dann — das sollten wir der Ehrlichkeit halber doch alle zusammen einmal zugeben — nicht damit rechnen
— ja, ich bin ehrlich —, daß der Numerus clausus alsbald beseitigt wird. Wo auf der ganzen Welt gibt es ihn übrigens im Zuge der Bildungsexpansion nicht? Wir müssen jedoch schleunigst seine unerträglichen Ungerechtigkeiten beseitigen. Wir müssen darauf hinarbeiten, daß in einem aufeinander abgestimmten Schul- und Hochschulsystem Bildungswunsch und Bildungsbedarf organisatorisch und gesellschaftsfördernd in Einklang gebracht werden.
Frau Kollegin Dr. Walz hat ihre Jungfernrede gehalten. Wir alle gratulieren ihr herzlich dazu.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.Wir kommen zur Fragestunde — Drucksache VI/245 —Zuerst sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes aufzurufen, zunächst Frage 38 des Abgeordneten Dr. Probst:
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1047
Vizepräsident Dr. JaegerWie hoch belaufen sich die Kosten der Bundesregierung für die Herstellung und den Vertrieb des Flugblattes an Rentner, und wie hoch wer die Auflage?Zur Beantwortung Herr Bundesminister Dr. Ehmke.
— Herr Staatssekretär, ich darf Sie bitten.Ahlers, _Staatssekretär, Bundespressechef: Die Gesamtkosten für die Herstellung und die Verteilung des Merkblattes für Rentner belaufen sich auf 36 521 DM. Die Auflage betrug rund 5,8 Millionen Exemplare. Der überwiegende Teil wurde in der zweiten Dezemberhälfte bei der Rentenauszahlung für Januar 1970 an den Postschaltern verteilt, und der Rest wird über die Verbände zur Verteilung gebracht, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Probst.
Darf ich zunächst einmal fragen, an weiche Verbrinde Sie verteilen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Über die zuständigen Verbände; das sind wohl mehrere Rentnerverbände.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für zweckmäßig, solche Nachrichten, die ja eine Propaganda der Bundesregierung darstellen, schon vor endgültigen Beschlüssen des Parlaments — vor gesetzlichen Regelungen — zu verbreiten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, in dem Fall: ja. Wir haben in dem Merkblatt eigens darauf hingewiesen, daß die gesetzliche Beschlußfassung noch aussteht. Aber wir fanden es auch im Interesse des betroffenen Bevölkerungskreises wichtig, daß man ihnen Aufklärung über das gibt, was die Regierung und was die gesetzgebenden Körperschaften in dieser Sache vorhaben.
Dazu eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ott.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie nochmals fragen: um welche Verbände handelt es sich, und welchen Verteiler haben Sie genommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin, ehrlich gesagt, nicht ganz sachkundig, was die Verbände angeht. Ich weiß nur, daß es ein relativ kleiner Rest von Exemplaren war, die über die Verbände zur Verteilung gekommen sind.
Würden Sie — —
Halt! Nur noch eine Zusatzfrage nach der neuen Regelung.
Dann kommen wir zur Frage 39 des Abgeordneten Ott:
Sollen die von der Bundesregierung angeforderten 60 Planstellen für das Bundespresse- und Informationsamt dazu dienen, die von der Bundesregierung begonnenen Propagandaaktionen fortzusetzen bzw. weiter auszudehnen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich möchte eingangs feststellen — und das schließt auch an meine Antwort von vorhin an —, daß das Presseamt nicht nur keine Propaganda betreibt, sondern auch gehalten ist, keine zu betreiben. Seinem Auftrag entsprechend, der in der Vorbemerkung zu Kap. 04 03 des Haushaltsplanes festgelegt ist, hat das Presseamt die Politik der Bundesregierung nicht nur gegenüber den Organen des Nachrichtenwesens zu vertreten, sondern auch die deutsche Bevölkerung — unabhängig also von der Übermittlung über die Organe des Nachrichtenwesens — über die politischen Ziele und die Arbeit der Bundesregierung zu unterrichten.Das Presseamt setzt diese Öffentlichkeitsarbeit auch nach der Regierungsneubildung im gleichen Umfang und mit denselben Mitteln wie bisher fort. Das Hohe Haus weiß, daß das Presse- und Informationsamt darüber hinaus auch noch nützliche Arbeit leistet. Insbesondere nehmen wir die Aufgabe wahr, die Bundesregierung selbst und die Ministerien über die Vorgänge in der Außenwelt zu unterrichten. Darüber hinaus bemühen wir uns in zunehmendem Maße, auch die Mitglieder dieses Hohen Hauses zu informieren und mit Material zu versorgen.Damit komme ich auf die neuen Stellen, die sich aus dieser Arbeit primär ergeben. 20 Stellen von den 60 Stellenwünschen, von denen Sie in der Presse haben lesen können, sind für das Entwicklungsprojekt im Rahmen der Datenverarbeitung bestimmt, welches trotz mancher technischer und auch, wie ich zugeben muß, intellektueller Schwierigkeiten recht gute Fortschritte macht und das nach seiner Vollendung nicht im Presseamt, sondern vermutlich einer Gesamtdatenbank für den Bereich von Regierung, Parlament und auch Öffentlichkeit zur Verfügung stehen wird. Von diesen 20 Stellen waren 9 Stellen bereits vorhanden, sie sind nur aus haushaltstechnischen Gründen jetzt auf den Personaltitel umgebucht worden. Es verbleiben also 40 neue Stellenwünsche. Davon entfallen 16 Stellen auf Schreibkräfte, Pförtner und andere Bürohilfskräfte, Boten, weil wir genötigt sind — da uns vermutlich der gewünschte Neubau in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung stehen wird —, ein anderes Bürohaus anzumieten. Die anderen 24 Stellen dienen vor allem der Verbesserung der Innentätigkeit des Amtes, von der ich gesprochen habe, und zwar insbesondere im Bereich der Innenwirtschafts- und Finanzpolitik. Es hat sich gezeigt, daß die Organisation des Presse- und Informationsamtes insofern unvollständig war — man muß sogar sagen: rückständig war —, als es trotz der immer wachsenden Bedeutung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik nicht einmal eine Unterabteilung, geschweige denn eine Abteilung für diesen Bereich gibt, was eigentlich
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Staatssekretär Ahlerswegen der Bedeutung dieser Dinge erforderlich wäre. Nur so ist es auch zu erklären, daß das Bundespresseamt neben dem Nachrichtenspiegel und den Inlandsspiegeln bisher noch keinen täglichen Spiegel zur Wirtschafts- und Finanzpolitik hat herausbringen können. Dies wird aber in Kürze geschehen.Außerdem war es wegen der Überlastung einzelner Angehöriger des Presseamtes erforderlich, einige zusätzliche Stellen im Bereich des Bulletins, in dem, wie Sie gesehen haben, nun auch Beiträge der Oppositionspartei erscheinen, und im Bereich der Betriebstechnik und der Nachrichtenabteilung zu schaffen. Ich darf hinzufügen, daß die Entwicklung jeder Behörde und die Verlagerung der Schwerpunkte der Arbeit in einer solchen Behörde immer wieder besondere Belastungen für einzelne Referate mit sich bringt und daß es dann der Fürsorgepflicht des Amtes entspricht, wenn man sich bemüht, in diesen Fällen eine gewisse personelle Entlastung jedenfalls herbeizuwünschen.Ich kann Ihnen versichern, meine Damen und Herren, daß überhaupt nicht die Absicht besteht, das Parkinsonsche Gesetz im Bereich des Presseamtes wirksam werden zu lassen.Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß ein großer Teil dieser neuen Stellenwünsche bereits vor den Bundestagswahlen eingeplant und mit dem Finanzministerium besprochen war.Und letztlich noch ein Punkt: Es handelt sich um Stellenwünsche. Sie sind noch nicht einmal im Kabinett durchberaten worden — nur in Vorgesprächen mit dem Finanzministerium —, und sie werden natürlich genauso wie alle übrigen Positionen unseres Haushalts noch mit den Berichterstattern und dann im Haushaltsausschuß insgesamt und schließlich hier im Plenum eingehend beraten werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ott.
Herr Staatssekretär, wollen Sie die Frage 40 jetzt beantworten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, gern; ich dachte, ich hätte Ihre beiden Fragen zusammen beantwortet.
Ich habe nicht den Eindruck, daß die Frage 40 beantwortet ist; denn da wird gefragt: „Hält die Bundesregierung die von den unabhängigen Publikationsmitteln der Bundesrepublik Deutschland betriebene Information ..." und so weiter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben recht.
Ich rufe dann auch die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Ott auf:
Hält die Bundesregierung die von den unabhängigen Publikationsmittein der Bundesrepublik Deutschland betriebene Information der Öffentlichkeit für nicht ausreichend, da sie in steigendem Maße eigene „Informationen" mit Propagandacharakter betreibt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach unserer Meinung — und ich glaube, das ist eine übereinstimmende Auffassung aller Kommunikationswissenschaftler, reichen die unabhängigen Publikationsmittel nicht aus, um die Bevölkerung insgesamt über alle relevanten Fragen oder alle von der Politik her als relevant angesehenen Fragen zu unterrichten. Dies ist, ich möchte das gleich betonen, nicht die Schuld der Redakteure oder der Publikationsmittel; es liegt einfach an der Tatsache, daß das Interesse der Öffentlichkeit an den verschiedenen Gegenständen sehr rasch wechselt und auch sehr unterschiedlich ist. Die öffentlichen Publikationsmittel müssen sich natürlich diesem raschen Wechsel und den verschiedenen Schwerpunktinteressen anpassen.
Daraus ergibt sich ein Problem: daß auf einzelnen Gebieten immer wieder eine Informationslücke entsteht. Ich möchte darauf hinweisen, daß ja der Bundestag selber dieses Problem erkannt hat und deshalb dabei ist, ein Informationszentrum für den Bundestag zu schaffen, eine Absicht, die die Bundesregierung sehr begrüßt. Ich kann Ihnen versichern, daß das Bundespresseamt sehr eng mit diesem neuen Informationszentrum zusammenarbeiten will.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ott.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß in einem demokratischen Rechtsstaat die permanente Verwendung von Steuergeldern für Regierungpropaganda schwere Bedenken auslösen muß, weil die Gefahr nicht auszuschließen ist, daß in Zielsetzung und praktischer Auswirkung sich hier doch ein Bundesamt für Volksaufklärung und Propaganda etabliert, wie Sie vorhin indirekt auch zugegeben haben, indem Sie sagten, daß die normalen Publikationsmittel nicht ausreichten, die von der Bundesregierung gewollte politische Zielsetzung in der Bevölkerungsaufklärung durchzuführen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich kann mich mit der Meinung, die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommt, nicht als in Übereinstimmung befindlich erklären.
Es ist so, Herr Abgeordneter: Was das Bundespresseamt im In- oder im Ausland macht, bezeichnen wir als Öffentlichkeitsarbeit, und natürlich ist nicht zu leugnen, das bestimmte Aspekte der Offentlichkeitsarbeit immer auch werbenden Charakter haben und haben müssen; sie haben ihn in der Vergangenheit gehabt und werden ihn auch in der Zukunft haben. Aber das kann man nicht mit Propaganda identifizieren. Wenn man überhaupt versucht, hier eine Begriffsabgrenzung vorzunehmen, wird man zumindest sagen müssen, daß Propaganda immer auch einen aggressiven Bestandteil hat, und die Offentlichkeitsarbeit, die wir betreiben, entbehrt
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Staatssekretär Ahlersvöllig dieses aggressiven Bestandteils, der die Propaganda von der Öffentlichkeitsarbeit unterscheidet. Propaganda in dem Sinne zu betreiben verbietet sich für eine Behörde von selbst oder sollte sich jedenfalls von selbst verbieten, und wir im Bundespresseamt achten streng darauf, daß das bei uns nicht geschieht.
Ich habe mich vorhin geirrt; das war die erste Zusatzfrage zur zweiten Frage. Jetzt die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wollen Sie bestreiten, daß die Zeitungsbeilage des Regierungsprogramms eine solche Propagandamaßnahme war, wenn im Zeitpunkt der Verbreitung dieses Regierungsprogramms von der Regierung selbst in diesem Hause die steuerlichen Maßnahmen bereits acht Tage zuvor zurückgezogen waren?
Ahlers: Staatssekretär, Bundespressechef: Nein; ich würde auch nicht der Auffassung sein, daß dadurch, daß sich im Zuge der Entwicklung der Regierungspolitik einzelne Programmpunkte des Regierungsprogramms als im Augenblick nicht realisierbar erwiesen haben, nun die Tatsache der Verbreitung des Regierungsprogramms durch eine Beilage diese als eine Propagandamaßnahme auszeichnet; denn die Öffentlichkeit ist ja durch die üblichen Publikationsmittel voll über das informiert worden, was sich in der Zwischenzeit ergeben hat.
Aber gestatten Sie mir, hier einen vielleicht doch ganz interessanten Aspekt gerade dieser Beilage vorzutragen. Wie Sie sich erinnern werden, hatten wir diese Beilage mit einem Kupon versehen mit der Bitte, daß diejenigen, die an Material über Regierungspolitik und überhaupt über die politische Arbeit in unserem Lande interessiert sind, sich an uns wenden mögen, damit wir ihnen das Material schicken können. Zu unser aller Erstaunen ist die Rücksendung dieser Kupons in sehr erheblicher Zahl vor sich gegangen. Wir haben heute über 50 000 Anfragen, was für eine Maßnahme dieser Art im Bereich allgemeiner politischer Öffentlichkeitsarbeit —and hier muß man wohl gar schon sagen: politischer Bildungsarbeit — ganz ungewöhnlich ist. Wir versuchen gerade, durch eine Art Spektralanalyse — so möchte ich es nennen herauszufinden, um welchen Personenkreis es sich bei den Einsendern handelt, ob das mehr alte oder mehr junge Menschen sind, damit wir auch daraus einigen Nutzen und einige Lehren für unsere allgemeine Offentlichkeitsarbeit ziehen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller .
Herr Staatssekretär, würden Sie mir in bezug auf Ihre Antwort auf die Frage 40 darin zustimmen, daß doch in einer parlamentarischen Demokratie ein großer Unterschied besteht zwischen Selbstdarstellung des Bundestages und Informationen der Bundesregierung in der Öffentlichkeit?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich würde Ihnen zustimmen, daß das ein erheblicher Unterschied ist. Ich habe das ja nur im Hinblick auf die Fragestellung beantwortet, ob es eine Informationslücke gibt, d. h. eine Lücke, die nicht durch die normalen Publikationsmittel ausgefüllt wird. Ich glaube, man kann übereinstimmend feststellen, daß eine solche Lücke besteht und daß sich alle Institutionen unseres Landes, z. B. auch die Parteien, bemühen müssen, durch ihre eigene Werbe- und Öffentlichkeitsarbeit diese Lücke auszufüllen, um nicht nur eine möglichst umfassende Information der Bevölkerung zu erreichen, sondern natürlich auch, um zur Meinungsbildung, die ja auch pluralistisch gestaltet werden muß, beizutragen. In dem Konzert derjenigen, die in unserem Lande zur Meinungsbildung beitragen, darf die Bundesregierung nicht fehlen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Freiherr von Fircks.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß diese von Ihnen aufgezeigte angebliche Informationslücke, wenn sie nicht durch die allgemeinen Publikationsorgane ausgefüllt werden kann, sehr viel besser durch die Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung ausgefüllt werden könnte und sollte, zumal diese Zentralen Kuratorien haben, die aus Vertretern aller Parteien der jeweiligen Parlamente zusammengesetzt sind? Könnten damit nicht alle auftretenden Schwierigkeiten ausgeräumt und draußen die Dinge objektiv beurteilt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, das ist nicht möglich, nicht nur dann nicht möglich, das über die Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung abzuwickeln, weil wir an sich eine sehr scharfe Abgrenzung, die auch bisher zu keinen Kollisionen geführt hat, zwischen Offentlichkeitsarbeit und Arbeit der politischen Bildung haben, und zwar überall, beim Bund und in allen Ländern. Selbst wenn wir diese scharfe Abgrenzung nicht hätten, ist nach unserer Meinung und nach unserer Erfahrung der Träger, nämlich die Zentrale und die Zentralen für politische Bildung, nicht dafür geschaffen, aktuelle Informationslücken auszufüllen. Das ist ja das Problem, mit dem sich das Presseamt zumindest für den Bereich der Regierung zu beschäftigen hat. Bei allgemeinen politischen Informationen würde ich Ihnen zustimmen, daß eine Intensivierung der Arbeit der Zentralen für politische Bildung noch etwas mehr erreichen könnte; aber was die aktuelle Information angeht, glaube ich, wären diese Träger völlig überfordert.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fellermaier.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir widersprechen, wenn ich hier formuliere, daß man bei der Fragestellung des CSU-Kollegen Ott den Eindruck haben muß, daß er mit zwei verschiedenen Ellen mißt, nachdem er gern bereit ist,
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1050 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Fellermaierhinzunehmen, daß seit. Jahren die CSU-geführte Bayerische Staatsregierung eben zur gleichen Selbstdarstellung ihrer Arbeit erhebliche Steuergelder aufwendet und daß der Herr Bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus zur Selbstdarstellung seiner höchst umstrittenen Kulturpolitik in einer zigtausendfachen Auflage eine Broschüre über eben jene Kulturpolitik in der Form der Selbstdarstellung verteilen ließ?
Die Informationspolitik einer Landesregierung ist kein Gegenstand der Bundespolitik und damit auch nicht Gegenstand dieser Fragestunde.
Bitte, Herr Abgeordneter Reddemann!
Herr Staatssekretär, erinnern Sie sich noch aus Ihrer Zeit als stellvertretender Chefredakteur des heutigen Regierungsnachrichten-Magazins „Der Spiegel", daß ähnliche Bestrebungen, wie sie heute von dieser Regierung vorgetragen werden, zur damaligen Zeit von den jetzt die Regierung tragenden Parteien als Anfang eines Propogandaministeriums erklärt worden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich erinnere mich natürlich sehr wohl. Ich habe mich als stellvertretender Chefredakteur des „Spiegel", insbesondere aber als Leiter des Bonner Spiegel-Büros in den goldenen fünfziger Jahren sehr aufmerksam und auch kritisch mit der Arbeit des Presseamtes beschäftigt. Nur kann ich heute nicht einräumen — und es würde auch wirklich nicht stimmen, wenn ich zu der Auffassung käme — daß meine damaligen kritischen Maßstäbe an der Arbeit des Presseamtes heute von mir und überhaupt von den ganzen leitenden Herren des Amtes nicht beachtet würden.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, teilen Sie mit mir die Meinung, daß Kommunikation und Information ein wesentlicher Bestandteil einer gut funktionierenden Demokratie sind und daß eine demokratisch legitimierte Regierung geradezu die Verpflichtung hat, alles zu unternehmen, um Kommunikation und Information und damit auch gleichzeitig Diskussion in weitesten Kreisen auszulösen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich teile Ihre Meinung vollkommen. Das ist eigentlich auch die Basis unterer Tätigkeit im Presseamt, im übrigen, wie ich von meinen Vorgängern weiß, die ganzen Jahre vorher gewesen.
Ich räume gern ein, daß es hin und wieder Überschneidungen gibt, wo kritische oder empfindliche Auffassungen zu dem Ergebnis führen könnten: Hier hat das Presseamt nicht ganz klar die Grenze eingehalten, die es einhalten müßte. Aber ich habe ja vorhin schon gesagt, daß sich das Bundespresseamt wirklich bemüht, diese Grenze bei der Öffentlichkeitsarbeit, also Information und Kommunikation auf der einen Seite und Propaganda auf der anderen Seite nicht nur einzuhalten, sondern daß wir uns sogar bemühen, immer noch einen gewissen Sicherheitsabstand zu dieser Grenze zu halten, so daß es zu keinen Grenzüberschreitungen kommt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gleissner.
Herr Staatssekretär, war nicht schon früher und ebenso auch heute noch die öffentliche Meinungsmache oder Meinungsmacherei recht einseitig orientiert — das ist doch die Auffassung der Bevölkerung — und eingestellt, und was dürfen wir in unserer Demokratie an Manipulierung der öffentlichen Meinung erwarten, wenn die Regierung, wie Sie jetzt eben sagen und wie wir wissen, ihren Propagandaapparat — ich nenne ihn absichtlich so und bin davon überzeugt, daß es ein solcher ist — so ausbaut, daß dieser Ausbau im In- und Ausland Aufsehen erregt und kommentiert wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es ist nicht richtig, daß wir diesen Apparat erheblich ausbauen. Das Presseamt hat gewisse Stellenwünsche, die vom Haushaltsausschuß entweder bewilligt werden oder nicht bewilligt werden. Ich kann Ihnen versichern — jedenfalls aus meiner jetzt dreijährigen Erfahrung im Umgang mit dem Haushaltsausschuß —, daß der Haushaltsausschuß in der Bewilligung von Stellen immer sehr kritisch ist. Er würde — da bin ich ganz sicher — niemals Stellen bewilligen, wenn der Eindruck entstehen könnte, daß damit ein Propagandaapparat aufgebaut werden soll.
Was übrigens den Vergleich mit dem Ausland angeht, so kann ich Ihnen nicht zustimmen. Wenn Sie in den vergleichbaren Ländern einmal die Gelder und auch das für die Offentlichkeitsarbeit vorhandene Personal ermitteln, kommen Sie auf wesentlich höhere Zahlen als bei uns, selbst wenn Sie bei uns die Mittel für Offentlichkeitsarbeit in allen Ressorts addieren würden.
Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt die Frage 41 des Abgeordneten Josten auf:In welchen Verbandsorganen der Kriegsopferverbände hat die Bundesregierung die Anzeige über das Erste Anpassungsgesetz veröffentlicht?Diese Frage wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort des Staatssekretärs Ahlers vom 20. Januar 1970 lautet:Die nachfolgend aufgeführten Organe der Kriegsopferverbände haben die Anzeige „Mehr soziale Gerechtigkeit für die Kriegsopfer!" veröffentlicht:a) „Deutsche Kriegsopferzeitung"
b) „Die Fackel"
c) Der Heimkehrer"
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1051
Vizepräsident Dr. Jaeger
„Der Kriegsblinde''
e) „Reichsbund"
Il „Die Kriegsopferversorgung"
g) „Kameradengruß''
Ist Herr Abgeordneter Dr. Schober, der die Frage 42 gestellt hat, im Saal?
— Nach der Neuregelung der Fragestunde können die Fragen nicht mehr übernommen werden. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Ich bedauere sehr, Herr Bundesminister, Sie nicht in Anspruch nehmen zu können,Wir kommen nunmehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zuerst rufe ich die Frage 50 des Abgeordneten Matthöfer auf:Wie beabsichtigt der Bundesminister für Wirtschaft seiner von Bundesminister Dr. Ehmke in der Fragestunde der 20. Sitzung des 6. Deutschen Bundestags festgestellten Verantwortlichkeit nachzukommen, „daß den Entwicklungsländern für ihre Erzeugnisse der Zugang zum deutschen Markt wie zu den Märkten anderer Industrieländer so weit wie möglich erleichtert wird"?Herr Staatssekretär Dr. Arndt!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Matthöfer, der Bundesminister für Wirtschaft wird sich bei den Verhandlungen im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft und des GATT wie bereits in der Vergangenheit dafür einsetzen, daß die Handelshemmnisse bei der Einfuhr von Erzeugnissen aus Entwicklungsländern weiter abgebaut werden. Das 'bezieht sich vor allen Dingen auf die sogenannten nichttarifären, d. h. außerhalb von Zollvorschriften laufenden Handelshemmnisse.
Des weiteren wird die Bundesrepublik zur Förderung der Einfuhren aus Entwicklungsländern gemeinsam mit den EWG-Ländern Zollpräferenzen gewähren. Die Einzelangebote von 18 Ländern der OECD liegen vor. Die Europäischen Gemeinschaften haben ein gemeinsames Angebot abgegeben. Diese Angebote wurden der Welthandelskonferenz gemacht. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, daß die Beratungen noch in diesem Jahr abgeschlossen werden können.
Schließlich teile ich mit, daß die Bundesstelle für Außenhandelsinformation in Köln im Rahmen des besonderen Importförderungsprogramms ihre Berichterstattung über Liefer- und Absatzmöglichkeiten für Produkte der Entwicklungsländer zu verstärken beabsichtigt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Matthöfer.
Gibt es über diese Informationen hinaus irgendwelche konkreten Maßnahmen, die das Bundeswirtschaftsministerium in der Bundesrepublik zur Förderung des Absatzes von Erzeugnissen aus Entwicklungsländern plant?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die großzügige Dotierung der Berliner Ausstellung „Partner des Fortschritts" mit Messekontingenten wäre z. B. eine Maßnahme mit der von Ihnen angedeuteten praktischen, direkten Wirkung.
Die Frage 51 wird vom Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu einem späteren Zeitpunkt beantwortet.
Die Fragen 52 des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann und 53 des Abgeordneten Dr. Wagner werden schriftlich beantwortet, da die Fragesteller nicht im Saal sind.
Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Höcherl auf:
Ist die Bundesregierung bereit, in der herrschenden Hochkonjunktur die regionale Strukturpolitik in schwächer strukturierten Regionen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln aus den überdimensioniert gestiegenen Steuereinnahmen zu verstärken, zumal diese Regionen einen wesentlich geringeren Konjunkturgrad aufweisen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, entsprechend der in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 angekündigten Schwerpunktbildung beabsichtigt die Bundesregierung, 1970 die Mittel für das regionale Förderungsprogramm gegenüber 1969 zu erhöhen. Aus dem gleichen Grunde ist nicht geplant, diese Mittel einer Haushaltssperre zu unterwerfen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Höcherl.
Herr Staatssekretär, können Sie Ihre Zusage etwas quantifizieren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist vor den Beschlüssen des Bundeskabinetts über den Haushalt — diese werden morgen und übermorgen gefaßt, Herr Kollege Höcherl — nicht möglich.
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Fuchs.
Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesregierung, besonders in den Gebieten, wo sich jetzt im Winter erneut eine starke saisonale Arbeitslosigkeit zeigt, diese erhöhten Mittel mit Präferenz einzusetzen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diesle Gebiete werden sowieso mit gewissen Präferenzen behandelt. Es handelt sich vor allen Dingen um Gebiete, die sehr stark landwirtschaftlich strukturiert sind, und um die Granitsteinbrüche in Ostbayern. Diesen Gebieten gilt seit langem die besondere Aufmerksamkeit der Bundesregierung.
Eine zweite Zusatzfrage gibt es nicht. Aber Herr Abgeordneter Gleissner hat eine Zusatzfrage.
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1052 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Herr Staatssekretär, ist es nicht auch in der gegenwärtigen Konjunkturphase wieder so, daß die Ballungsgebiete überdimensional profitieren und auch direkt und indirekt erheblich gefördert werden, obwohl sie mit den sozialen und kommunalen Folgen ihrer Expansion schon längst nicht mehr fertig werden, während die strukturell schwachen Gebiete nicht in dem möglichen Maße aufholen können und auch in der Gegenwart große Sorgen haben, wie sich ihre Arbeitslosenzahlen morgen entwickeln werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich verstehe die Sorgen, daß sich die Fehler, die 1965/66 von einer anderen Bundesregierung gemacht wurden, wiederholen könnten. Aber Sie können sicher sein, das wird nicht der Fall sein.
Eine Zweite Zusatzfrage kann ich nicht zulassen.
Die Fragen 55 und 56 wurden bereits vom Bundesminister der Finanzen beantwortet, die Fragen 57 und 58 vom Bundesminister des Innern. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu der Fsrage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der Frage 51 des Abgeordneten Matthöfer:
Entspricht die im ,,Handbuch für Entwicklungshilfe" enthaltene Feststellung, private Direktinvestitionen kämen den Vorstellungen der Bundesregierung ani nächsten und seien am besten geeignet, die Wirtschaft der Entwicklungsländer nachhaltig zu fördern, die öffentliche Kapitalhilfe solle deshalb nur Grundlagen und Anreize für private Investitionen schaffen, den Richtlinien der Politik der jetzigen Bundesregierung?
Herr Bundesminister Dr. Eppler, ich darf bitten.
Herr Kollege Matthöfer, ich darf Ihre Frage mit Nein beantworten.
Eine Zusatzfrage?
Ja. Ich bin überrascht über die Kürze; entschuldigen Sie.
Es ist nur lobenswert, wenn die Antwort eines Bundesministers so kurz ausfällt.
Herr Minister, hat dann die in diesem Handbuch dargelegte Meinung über die angebliche Auffassung der Bundesregierung von der Funktion der Kapitalhilfe eine Grundlage in der bisherigen Praxis bei der Vergabe der für solche Zwecke zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel?
Herr Kollege Matthöfer, ich glaube nicht. Ich habe mir Zahlen geben lassen darüber, wie sich in den einzelnen Entwicklungsländern öffentliche Leistungen der Entwicklungshilfe und
private Investitionen verteilen. Ich kam dabei auf ganz erstaunliche Feststellungen. Es hat sich herausgestellt, daß da, wo besonders viele private Investitionen unserer Wirtschaft getätigt werden, sehr wenig öffentliche Hilfe geleistet wird und umgekehrt. Das Verhältnis von privaten Investitionen zu öffentlicher Entwicklungshilfe ist etwa in Argentinien 3 : 1, also dreimal soviel private Investitionen wie öffentliche Leistungen. Dasselbe gilt für Brasilien. In Mexiko ist es 6 : 1, in Venezuela 7 : 1. Völlig umgekehrt ist es in Asien und in Afrika. In Kenia ist das Verhältnis 1 : 9; also auf eine Mark privater Investitionen kommen 9 Mark öffentlicher Entwicklungshilfe. In der Türkei ist das Verhältnis 1 : 11, in Marokko 1 : 23, in Togo 1 : 25, in Indien 1 : 32, in Pakistan 1 : 50, in Tunesien 1 : 56 und in Ghana 1 : 72.
Ergebnis ist also, daß die Schwerpunkte unserer öffentlichen Entwicklungshilfe gerade nicht da liegen, wo die Schwerpunkte unserer privaten Investitionen sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, ich möchte von Ihnen nicht verlangen, daß Sie jetzt eine offizielle Darlegung der Meinung der Bundesregierung über die Funktion der Kapitalhilfe geben. Aber darf ich Sie fragen, ob Sie die Redaktion des Handbuchs in die Lage versetzen werden, in der nächsten Ergänzungslieferung eine Darstellung zu geben, die der tatsächlichen Auffassung der jetzigen Bundesregierung entspricht?
Ja.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, zuerst zu der Frage 59 des Abgeordneten Dr. Siemer:
Kann die Bundesregierung schon heute eine ungefähre Vorschätzung darüber abgeben, oh der nach dem Gesetz über einen Ausgleich für Folgen der Aufwertung der Deutschen Mark auf dem Gebiet der Landwirtschaft vom 23. Dezember 1969 zu zahlende Mehrwertsteuerbetrag von 3 % an die landwirtschaftlichen Betriebe den Betrag von insgesamt 780 Millionen DM erreichen wird?
Herr Staatssekretär Logemann!
Ich beantworte die Frage wie folgt. Bei der Berechnung der 780 Millionen DM, die als Ausgleich über die Mehrwertsteuerlösung gewährt werden, sind bereits Abschläge für die Fälle gemacht worden, in denen voraussichtlich ein Ausgleich bei der Landwirtschaft nicht oder nicht vollständig erreicht werden kann. Abweichungen von diesen durch Schätzungen ermittelten Abschlägen haben sich bisher nicht ergeben. Der Ausgleich über die Mehrwertsteuer wird nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse in vollem Umfang 780 Millionen DM erreichen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1053
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß eine große Anzahl kleinerer und mittlerer landwirtschaftlicher Betriebe, die eine getreideorientierte Veredlung aufgebaut haben — und zwar nach Auffassung der Kammer Weser/Ems 25 % dieser Betriebe —, auf Grund des durch Art. 2 Nr. 1 Buchstabe b der Novelle in das Mehrwertsteuergesetz eingebauten Begriffes aus dem Bewertungsgesetz von 1965 nicht in den Genuß der dreiprozentigen sogenannten Aufwandsentschädigung kommen?
Herr Kollege Dr. Siemer, wir sind bei den Berechnungen von den gesamten Verkaufserlösen ausgegangen und haben dann eine Nettoberechnung durchgeführt unter Abzug der Bereiche der Landwirtschaft, bei denen wir von vornherein unterstellt haben, daß sie nicht berücksichtigt werden würden. Dazu gehören auch die landwirtschaftlichen Betriebe, die Sie hier erwähnen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn meine Annahme richtig ist, daß, wie von der Kammer in Weser/Ems berechnet, 25 % der getreideorientierten kleineren und mittleren Betriebe nicht in den Genuß der Entschädigung kommen, dann würden also die 780 Millionen DM nicht erreicht. Wenn dies der Fall ist, können Sie die Zusicherung geben, daß die Differenz dann doch der Landwirtschaft zugute kommt?
Die Zusicherung kann ich Ihnen nicht geben; denn für uns steht noch nicht fest, ob im Kammerbezirk Weser/Ems in der Tat eine so große Anzahl von landwirtschaftlichen Betrieben bei der Mehrwertsteuerregelung nicht zum Zuge kommen werden.
Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Dr. Siemer auf:
Zu welchem Ergebnis ist die Bundesregierung hei der von ihr durchzuführenden Überprüfung gemäß dem am 10. Dezember 1969 in Gegenwart des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten von diesem Hause einstimmig, ohne Enthaltungen, angenommenen Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP vom 9. Dezember 1969 auf Umdruck 2 gekommen?
Der in der Entschließung vom 10. Dezember 1969 angesprochene Fragenkreis ist so umfassend, daß die inzwischen angelaufenen Untersuchungen noch zu keinem abschließenden Ergebnis geführt haben. Die Änderung der Tierbestandsstaffel und die Zusicherung der Übertragung nicht ausgenutzter Viehkapazitäten auf Kooperationen bedürfen einer Überprüfung auch unter dem Gesichtspunkt der Überproduktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Schließlich hängen mit diesen Fragen auch grundlegende agrarpolitische Überlegungen über das Ausmaß des Schutzes der bäuerlichen Veredlung zusammen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Siemer.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in der Sitzung des Rates vom 9. Dezember in Brüssel die Erklärung abgegeben hat, daß die bisherige Abgrenzung zwischen gewerblichen und landwirtschaftlichen Betrieben in der Bundesrepublik Deutschland nicht geändert werden dürfe, sondern bestehenbleiben müsse?
Ich habe von diesen Ausführungen gelesen. Ich bin allerdings heute nicht in der Lage, konkret zu sagen, ob sie so gemacht worden sind, wie Sie sie darstellen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Siemer.
Meine Frage, Herr Staatssekretär, geht dahin: wenn der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten schon in Brüssel die Erklärung abgegeben hat, daß die Abgrenzung zwischen gewerblicher und landwirtschaftlicher Erzeugung nicht geändert wird, wie er uns auch in seinem Schreiben vom 16. Dezember unter Absatz 5 mitgeteilt hat, wie soll dann dem Entschließungsantrag vom 10. Dezember, dem alle Fraktionen zugestimmt haben, Rechnung getragen werden?
Ich vermag augenblicklich nicht zu sagen, ob die Aussagen konkret stimmen, die Sie hier zu der Erklärung meines Ministers in Brüssel machen. Aber wie es auch sei, es besteht der Auftrag, die Gesichtspunkte, die auch in dem Entschließungsantrag erwähnt sind, zu untersuchen. Darum bemüht sich die Bundesregierung im Augenblick. Daß das nicht von heute auf morgen geschehen kann, dürfte Ihnen durchaus bekannt sein. Bei den Untersuchungen sind ja wesentliche Merkmale mit zu berücksichtigen, auch das wissen Sie. Wir müssen daher die Untersuchungsergebnisse noch abwarten. Ich bin aber der Meinung, daß sie etwa im April dieses Jahres vorliegen können.
Ich rufe die Frage 61 des Abgeordneten Fellermaier auf:Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß hei der Neuordnung des Trinkmilchmarktes im Jahre 1970 das kostenlose Schulmilchfrühstück als ein Mittel zum Abbau der Milchüberschüsse in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt werden sollte?Herr Staatssekretär, bitte!
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1054 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Wie ich schon bei ähnlichen Fragen in diesem Hohen Hause betont habe, ist die Bundesregierung zur Einführung eines Schulmilchfrühstücks positiv eingestellt. Ich stimme Ihnen auch zu, daß die Abgabe eines kostenlosen Schulmilchfrühstücks mit zum Abbau der Milchüberschüsse in der Bundesrepublik beitragen könnte. Es wird jedoch auch mit Recht die Ansicht vertreten, daß das Schulmilchfrühstück weniger als eine Maßnahme zur Verringerung der Milchüberschüsse als vielmehr unter dem Gesichtspunkt der Gesundheitsvorsorge gesehen werden sollte. Hierfür sind aber in erster Linie die Länder zuständig.
Im übrigen darf ich noch darauf hinweisen, daß Art. 26 der Verordnung Nr. 804/68 des Rates der EWG eine Beihilfe zur Abgabe von Schulmilch national zuläßt, wobei die aufgewandten Kosten nicht aus dem EWG-Agrarfond erstattet werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fellermaier.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß sich die Bundesregierung ab dem Jahre 1956 mit einem Drittel der Kosten, die in den Ländern angefallen sind, an der Schulmilchspeisung beteiligt hat, und zwar so lange, bis durch die Haushaltsschwierigkeiten des Jahres 1966 diese Beträge im Haushalt gestrichen werden mußten, und ist es dann nicht logisch, zu fragen, ob der Bund in einer neuen Haushaltssituation jetzt nicht bereit ist, gemeinsam mit den Bundesländern zur Verringerung der Milchüberschüsse wie auch aus Gründen der Gesundheitspolitik das wieder einzuführen, was es bereits einmal mit gutem Erfolge gab?
Herr Kollege Fellermaier, damit wären wir eigentlich schon bei Ihrer zweiten Frage. Ich darf die vielleicht gleich beantworten, Herr Präsident?
Dann rufe ich die Frage 62 des Abgeordneten Fellermaier auf:
Ist die Bundesregierung bereit, mit den Bundeslandern über die Finanzierung dieses Schulmilchfrühstückes Verhandlungen aufzunehmen und selbst einen angemessenen Finanzbeitrag dazu zu leisten?
Bitte sehr!
Die Bundesregierung ist grundsätzlich nicht abgeneigt, sich mit einem angemessenen Beitrag an der Vergütung für die Verteiler der Schulmilch zu beteiligen. Dabei wird vorausgesetzt, daß die Länder die Schulmilch in mindestens gleicher Höhe verbilligen.
Entsprechend der Erklärung in der Fragestunde am 5. November 1969 wurden diese Fragen mit den Herren Länderagrarministern erörtert. Es hat sich
leider ergeben, daß nur wenige Länder in ihren Haushalten Mittel für eine geringe Verbilligung von Schulmilch bereitgestellt haben und daß keine große Neigung besteht, weitere Mittel dafür zu bewilligen. Diese Frage muß deshalb für das nächste Haushaltsjahr erneut geprüft werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie in der Lage, dem Hohen Hause zu sagen, welche Bundesländer bereit waren, das zu unterstützen?
Ich habe an dieser Ministertagung teilgenommen, aber ich kann Ihnen nicht sagen, welche Länder im einzelnen die Schulmilchspeisung nicht befürworten. Ich weiß nur noch, daß ein Teil der Länder eben nicht bereit war, hier zusätzliche Mittel einzusetzen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie dann im Anschluß an eine Frage, die Sie selbst als Mitglied des Hohen Hauses am 18. Juni 1969 an den damaligen Bundesminister Höcherl gestellt haben und auf die dieser mitteilte, daß die Kommission ähnliche Erwägungen wie die Bundesregierung für die Einführung des Schulmilchfrühstückes anstelle, noch fragen, ob zwischenzeitlich Kommission und Ministerrat unter dem Eindruck der Antwort des damaligen Bundesministers zu neuen Überlegungen hinsichtlich einer Beteiligung der EWG an der Finanzierung eines europäischen Schulmilchfrühstückes gekommen sind.
Leider sind wir in dieser Hinsicht noch ncht weitergekommen. Ich habe nicht gehört, daß sich hier in der Zwischenzeit etwas Positives entwickelt hat. Ich bedauere das eigentlich sehr. Es sollte in der Tat ein Anliegen auch der EWG sein, ein kostenloses Schulfrühstück für die Schulkinder aller EWG-Länder zur Verfügung zu stellen.
Die Frage 63 des Abgeordneten Lemmrich ist zurückgezogen.Dann komme ich zur Frage 64 des Abgeordneten Dröscher. Er ist nicht im Saale; die Frage wird schriftlich beantwortet.Ich komme dann zur Frage 65 des Abgeordneten Orgaß:Hält die Bundesregierung die beabsichtigte Milchauffettung auch dann noch für wünschenswert, wenn sie die Ergebnisse des von ihr veröffentlichten Ernährungsberichtes 1969, der eindeutig einen zu hohen Fettverbrauch der Bundesbürger konstatiert und der außerdem alle Bestrebungen zur Förderung des Konsums fettarmer Milch begrüßt, berücksichtigt?Bitte sehr, Herr Staatssekretär!Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1055
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Orgaß, der Ernährungsbericht 1969 stellt mit Recht fest, daß der Fettkonsum der Bundesbürger zu hoch ist. Die Fettzufuhr aus der Trinkmilch ist hierbei bedeutungslos. Der Absatz der Molkereien an Trinkmilch generell betrug in der Bundesrepublik im Jahre 1968 je Kopf der Bevölkerung 43,5 kg, d. h. täglich 4,2 g Milchfett gegenüber einem täglichen Gesamtfettverzehr von 133 g. Die 3,3 %ige Fettmilch, deren Erhöhung auf 3,5 % beabsichtigt ist, betrug 1968 je Kopf der Bevölkerung 40 kg, d. h. täglich 3,9 g Milchfett. Erhöht man den Fettgehalt der 3,3 %igen Trinkmilch um 0,2 01o, so steigt der tägliche Fettverzehr um 0,22 g, d. h. um 0,16 %. Dieser Mehrverzehr entspricht 2 Kalorien. Bei einem täglichen Bedarf von 2500 Kalorien ergibt sich eine Erhöhung der Kalorienaufnahme um 0,08 %. Das sind nur Bruchteile der zufälligen Schwankungen.
Mit einem Fettgehalt der Trinkmilch von 3,5 % erfolgt eine Geschmacksaufbesserung, die beim Verbraucher eine hohe Präferenz hat. In den europäischen Ländern, in denen die Milch mit diesem oder einem höheren Fettgehalt in den Verkehr gebracht wird, liegt der Vollmilchverbrauch wesentlich höher als in der Bundesrepublik. Der Ernährungsbericht stellt fest, daß der Eiweißverzehr über die Milch in der Bundesrepublik gesteigert werden sollte, was auch mit einem erhöhten Vollmilchverzehr geschieht.
Der Ernährungsbericht empfiehlt im übrigen für Schulmilch eine Trinkmilch mit 3,5 %. Der durchschnittliche natürliche Fettgehalt des Gemelkes in der Bundesrepublik beträgt 3,76 %.
Im übrigen wird die Bundesregierung bemüht sein, den Absatz an teilentrahmter Trinkmilch zu fördern, um den Wünschen der Verbraucher gerecht werden zu können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, auf Grund Ihrer Äußerungen möchte ich Sie fragen, wieso dann nicht die Ergebnisse der Beratungen des Verbraucherausschusses im Ernährungsministerium mit zugrunde gelegt worden sind, wo man nach Anhörung von Ernährungswissenschaftlern zu der eindeutigen Feststellung gekommen ist, daß auf Grund der veränderten Lebensweise der Bevölkerung ein höherer Trinkmilchfettverbrauch gesundheitsschädlich ist.
Herr Kollege, ich glaube, da sehen Sie die Entwicklung nicht richtig. Es ist in der Tat doch so gewesen, daß bei einer Auffettung der Trinkmilch von 3 auf 3,3 % entgegen den Voraussagen der Verbraucherverbände kein Rückgang im Trinkmilchverbrauch eingetreten ist, sondern daß wir erfreulicherweise feststellen können, daß im Jahre 1969 der Trinkmilchverbrauch in der Bundesrepublik erstmalig gestiegen ist.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es denn zu, daß man jetzt die Feststellung treffen kann, daß die jetzige Bundesregierung mit ihrer Haltung die aus dem Ernährungsbericht kommenden Erfahrungen und Warnungen überspielt und statt dessen die Schwierigkeiten im Fettabbau zu Lasten der Gesundheit der deutschen Bevölkerung gehen?
Herr Kollege, ich glaube, es dürfte aus meiner Antwort deutlich geworden sein, daß die Bundesregierung keineswegs im Begriff ist, irgendwie Verbraucher- oder Lebensgewohnheitsinteressen zu verletzen. Ganz im Gegenteil, unter Berücksichtigung des Berichts, den ich hier vorgelesen habe, meint die Bundesregierung, mit gutem Gewissen die Auffettung von 3,3 auf 3,5 % befürworten zu können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Marquardt.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß in der vorgesehenen europäischen Trinkmilchmarktordnung ein einheitlicher Fettgehalt von 3,5 % vorgesehen wird?
Diese Feststellung ist zutreffend. Es ist im übrigen so — ich habe bereits darauf hingewiesen —, daß auch in anderen Ländern die Trinkmilch einen erheblich höheren Fettgehalt hat und gerade in den Ländern, in denen Trinkmilch mit erhöhtem Fettgehalt angeboten wird, der Trinkmilchverbrauch hoch ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Matthöfer.
Herr Staatssekretär, wäre es im Interesse der margarineverbrauchenden und milchtrinkenden kinderreichen Familien nicht .besser gewesen, nicht nur den Butterpreis, sondern auch den Milchpreis zu senken, statt die Milch aufzufetten?
Wir halten den jetzt vorgesehenen Weg einer Auffettung zum Abbau der Überschüsse und auch zur Gesundheitserhaltung unserer Bevölkerung für wirkungsvoller, deswegen haben wir diesen Weg vorgeschlagen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peters.
Herr Staatssekretär sind Sie bereit, dem Kollegen Orgaß darzulegen, daß der Verbraucher Trinkmilch mit verschiedenem Fettgehalt kaufen kann? Man kann heute z. B. Milch mit einem Fettgehalt von 3 % und von 3,5 % kaufen.
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1056 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Das ist richtig; darauf habe ich auch hingewiesen. Die Bundesregierung ist ja auch bereit, hier Verbraucherwünsche zu erfüllen, z. B. dadurch, daß man eine Trinkmilch mit geringerem Fettgehalt anbietet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fellermaier.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir in meiner Feststellung zu, daß namhafte Agrarpolitiker der CDU und der CSU im Gegensatz zum Fragesteller seit langem eine Auffettung der Trinkmilch fordern?
Das ist durchaus zutreffend, aber ich wollte nicht besonders darauf hinweisen. Es war dem neuen Kollegen wahrscheinlich nicht bekannt.
Meine Damen und Herren, offenbar ist die Frage ausdiskutiert.
Wir kommen nunmehr zur Frage 66 des Abgeordneten Weigl:
Wie hat sich der Anteil unserer Partner im EWG-Raum in der Überproduktion in Milch. Getreide und Zucker in den letzten Jahren entwickelt?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
In den letzten Jahren ist die Gesamtproduktion bei den kritischen Erzeugnissen Milch, Getreide und Zucker gestiegen. Zahlen für 1969 liegen noch nicht vor. Der französische Anteil an der Gesamterzeugung ist bei allen drei Warenarten geringfügig angestiegen. Bei den anderen Mitgliedstaaten ergibt sich keine einheitliche Entwicklung bei den Produktionsanteilen. Produktionserhöhungen stehen Produktionssenkungen gegenüber.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weigl.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung darauf drängen, daß durch die Schaffung von nationalen Kontingenten eine Beschränkung der Überproduktion erreicht wird?
Wie Sie wissen, haben wir bei einem Erzeugnis, bei den Zuckerrüben, schon eine Quantumsregelung. Es ist auch bekannt, daß in Brüssel Vorschläge in der Richtung, die Sie hier aufzeigen, nämlich in Richtung auf eine Kontingentierung und mengenmäßige Beschränkung, diskutiert werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gleissner.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, ob die jetzige Bundesregierung — darauf zielte ja die Frage des Kollegen Weigl — Vorschläge in Richtung auf die Schaffung nationaler Kontingente — darin sehe ich die einzige Möglichkeit, die EWG vernünftig weiterzuentwickeln —gemacht hat? Wenn ja, wie sehen diese Vorschläge aus, und wann sind sie gemacht worden?
Herr Kollege Gleissner, das könnte ich Ihnen genau sagen. Aber ich will es nicht sagen, weil ich den Ergebnissen gewisser Verhandlungen nicht vorgreifen möchte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peters.
Herr Staatssekretär, trägt sich die Bundesregierung auch mit dem Gedanken, der hier früher einmal von Herrn Strauß vorgetragen worden ist, die landwirtschaftliche Produktion durch Preisdruck zu vermindern?
Ich glaube, die Bundesregierung hat in der letzten Zeit oft genug erklärt — übrigens steht das auch in der Regierungerklärung —, daß sie nicht daran denkt, die Situation der Landwirtschaft durch Preisdruck noch zu verschlechtern.
Ich komme damit zur Frage 67 des Abgeordneten Weigl:
Welche Auswirkungen wird die als Folge der DM-Aufwertung und zum Abbau der Überschüsse geplante Senkung der Milchpreise um ca. 4 Pfennig pro Liter und des Getreides um cd. B DM pro Doppelzentner auf die Verbraucherpreise haben?
Infolge der D-Mark-Aufwertung sind bei Butter und Käse Verbraucherpreissenkungen bis zu 6 0/o festgestellt worden.
Bei Brot- und Backwaren sind je nach Erzeugnis Preissenkungen von 1 % bis 3 0/0 möglich, sofern Handel und Verarbeitung die Erzeugerpreissenkungen weitergeben. Ich kann insoweit auf die Veröffentlichungen der Bundesregierung in verschiedenen Tageszeitungen verweisen.
Zur Frage der Auswirkungen der von der Kommission vorgeschlagenen Preissenkungen bei Milch und Getreide kann die Bundesregierung noch keine Auskunft erteilen, weil das Ergebnis der Beratungen noch völlig offen ist. Die Haltung der Bundesregierung zu den Kommissionsvorschlägen dürfte Ihnen bekannt sein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schwörer.
Herr Staatssekretär, haben Sie bei Ihren Preissenkungsankündigungen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1057
Dr. Schwörerauch bedacht, daß in diesem Bereich im Laufe des Winters durch die Verteuerung der Dienstleistungen wahrscheinlich nicht ein Preisdruck nach unten, sondern ein Preisdruck nach oben eintreten wird?
Ich habe auf Preissenkungen hingewiesen, die in der Tat erfolgt sind und die durch Presseverlautbarungen von seiten der Bundesregierung auch bekanntgemacht worden sind. Trotz gewisser ansteigender Kosten sind hier also doch Preissenkungen erfolgt.
Ich komme damit zur Frage 68 des Abgeordneten Dr. Gleissner:
Sind der Bundesregierung die Äußerungen des Vizepräsidenten der EWG, Dr. S. L. Mansholt, bekannt, wonach er die Proteste von über 2000 Versammlungsteilnehmern in Kiel als „reinen Terror", als „einen wiederaufkommenden Faschismus" und als „ein Zeichen an der Wand" bezeichnet hat, und hat die Bundesregierung dagegen bei den zuständigen Stellen in der bei anderen Staaten üblichen Form Einspruch bzw. Protest erhoben?
Herr Kollege Dr. Gleissner, die Bundesregierung bedauert die zitierten Ereignisse in Kiel, die sie nicht für die geeignete Form der Auseinandersetzung zwischen Andersdenkenden hält. Dies trifft auch für die Gegenäußerung Vizepräsident Mansholts zu. Im übrigen ist die Bundesregierung bestrebt, die öffentliche Diskussion über den vernünftigen Weg der Agrarpolitik auf eine nüchterne Grundlage zurückzuführen. Sie vermeidet es deshalb, die Betroffenen durch wiederholtes Aufführen von Äußerungen und Gegenäußerungen erneut zu erregen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gleissner.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung nicht auch zu der Auffassung gelangt, daß Mansholt durch seine nachweislich schweren Irrtümer und Prognosen, durch seine übertriebene Perfektionierung und Zentralisierung der EWG-Administration in erster Linie dafür verantwortlich ist, daß die EWG in eine Sackgasse geraten ist und in der Landwirtschaft wachsende Unsicherheit und Existenzangst zu verzeichnen ist?
Herr Kollege Dr. Gleissner, ich darf vielleicht in diesem Zusammenhang gleich Ihre zweite Frage beantworten, weil hier das Problem berührt wird.
Ich rufe die Frage 69 auf:
Ist die Bundesregierung in Vertretung der Lebensinteressen unserer bäuerlichen Landwirtschaft bereit, öffentlich ihr Verständnis für die Erregung der deutschen Bauern darüber zum Ausdruck zu bringen, daß die Existenz der bäuerlichen Landwirtschaft durch die von EWG-Vizepräsident Mansholt propagierte
EWG-Agrarpolitik bedroht ist, wonach alle Agrarprobleme grundsätzlich durch Aufgeben der bäuerlichen Landwirtschaft und deren Überführung in eine rein industrialisierte Großlandwirtschaft gelöst werden sollen?
Die Bundesregierung hat an geeigneter Stelle, nämlich in den Brüsseler Verhandlungsgremien, in angemessener Weise wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß sie die mit dem Mansholt-Plan angestrebte einseitige Ausrichtung der landwirtschaftlichen Erzeugung auf sogenannte Produktionseinheiten und moderne landwirtschaftliche Unternehmen für keinen gangbaren Weg zur Beseitigung des Ungleichgewichts auf den Märkten bestimmter landwirtschaftlicher Erzeugnisse und zur Gesundung der Agrarstruktur hält. Sie hat damit mehr als nur Verständnis für die Unruhe in der Landwirtschaft zum Ausdruck gebracht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gleissner.
Herr Staatssekretär, in welcher Form und mit welchem Inhalt erfolgten die Vorstellungen der Bundesregierung angesichts der Äußerungen Mansholts, und in welcher Form hat die Bundesregierung dem Bedauern Ausdruck gegeben?
Die Äußerungen sind erfolgt. Das können Sie in den Reden des Bundesministers Ertl in Brüssel nachlesen. Hier ist gelegentlich auch zu den Problemen Stellung genommen worden, soweit es um die Vorstellungen von Mansholt in Richtung Produktionseinheiten und moderne landwirtschaftliche Unternehmen geht. Ich meine, daß wir es bei dem, was ich soeben in der Antwort gesagt habe, belassen sollten. Ich möchte hier nicht immer wieder etwas hochspielen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gleissner.
Herr Staatssekretär, ist es so üblich, daß deutsche Bauern sich im Jahre 1969 von dem Verantwortlichen der Kommission Faschismus vorwerfen lassen müssen, während andere Bauern in ihren Ländern protestieren dürfen?
ich habe darauf in meiner Antwort soeben schon Bezug genommen. Ich habe bedauert, daß hier Äußerungen gefallen sind. Mehr möchte ich dazu heute nicht sagen.
Das waren jetzt zwei Zusatzfragen. Herr Abgeordneter Moersch? — Erledigt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
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1058 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Vizepräsident Dr. JaegerIch komme zu dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zuerst die Frage 70 des Abgeordneten Dr. Lenz . — Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet.Die Frage 71 des Abgeordneten Jung:Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den Trend der sich immer mehr in die Städte verlagernden Ärzteniederlassungen entgegenzuwirken, die Besetzung vakanter Kassenarztstellen — insbesondere in ländlichen Gebieten — zu gewährleisten und somit eine angemessene ärztliche Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen?Herr Staatssekretär Rohde!
Die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Versicherten und ihrer Angehörigen ist nach dem Gesetz — § 368 n Abs. 1 RVO — den kassenärztlichen Vereinigungen in den einzelnen Ländern und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung übertragen. Entsprechend diesem gesetzlichen Auftrag haben die kassenärztlichen Vereinigungen, soweit Engpässe in der ärtzlichen Versorgung eintreten, Maßnahmen ergriffen, um den von Ihnen, Herr Abgeordneter, beschriebenen Trend entgegenzuwirken. Dabei möchte ich besonders auf die Gewährung von Vergünstigungen, namentlich die Garantie eines Mindesteinkommens, hinweisen, durch die niederlassungswilligen Ärzte ein Anreiz zur Bewerbung um vakante Kassenarztstellen, insbesondere auch in ländlichen Gebieten, geboten wird. Von dieser Möglichkeit wurde beispielsweise im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein erfolgreich Gebrauch gemacht.
Die Prüfung der Frage, Herr Kollege, ob die kassenärztlichen Vereinigungen in ihren Gebieten die kassenärztliche Versorgung in Besetz- und satzungsmäßiger Weise sicherstellen, obliegt den jeweiligen Länderarbeitsministern und Senatoren für Arbeit als Aufsichtsbehörden. Mein Haus hat die Absicht, das von Ihnen, Herr Kollege, aufgeworfene wichtige Problem in nächster Zeit mit den Ministern und Senatoren der Länder zu erörtern.
Da sich die Frage der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung nicht nur hinsichtlich der Versicherten auf dem Lande, sondern auch in Ballungszentren und in Stadtrandgebieten stellt, ist ferner vorgesehen, diesen Problemkreis durch die für die Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehene Sachverständigenkommission untersuchen zu lassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jung.
Herr Staatssekretär, ich darf aber aus Ihrer Antwort schließen, daß Ihnen bekannt ist, daß zwischen der sehr löblichen Absicht der kassenärztlichen Vereinigungen, diesem von mir aufgezeigten Trend entgegenzuwirken, und der Praxis doch noch Diskrepanzen bestehen?
Das
ist sicherlich ein Problem, das noch eingehender Erörterung und Beobachtung der weiteren Entwicklung bedarf. Ich habe ja schon darauf aufmerksam gemacht, in welcher Weise wir auf diesem Felde vorgehen wollen.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Fuchs.
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeit sehen Sie, in Fällen, in denen ein katastrophaler Ärztemangel festzustellen ist, z. B. bei einer Dichte pro Arzt von 2800, wenigstens vorübergehend Abhilfe zu schaffen?
Herr Kollege, das ist eine der Fragen, die wir mit den für diesen Sachbereich zuständigen Länderministern besprechen wollen.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch auf einen Punkt ergänzend hinweisen. Es ist beabsichtigt, künftig im Rahmen der Finanzierungshilfen für Angehörige der freien Berufe durch eine Änderung der Zinsverbilligungsrichtlinien vor allem die Gründung von Praxen, an deren Leistungen ein dringender Bedarf besteht, insbesondere also auch dringlich zu besetzende Kassenarztstellen, bevorzugt zu fördern.
Keine Zusatzfrage?
— Dann kommen wir zur Frage 72 des Abgeordneten Fuchs:
Ist die Bundesregierung bereit, durch Änderung der Ausführungsbestimmungen dafür zu sorgen, daß bei der Gewährung von Ausgleichsrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz die erhebliche Verschlechterung der Einkommensverhältnisse in der Landwirtschaft berücksichtigt wird?
Wenn ich Sie recht verstehe, Herr Kollege Dr. Fuchs, bezieht sich Ihre Frage auf die Feststellung der Ausgleichs- und Elternrenten von Landwirten, deren Gewinne nach Durchschnittssätzen ermittelt werden, also auf die Renten der sogenannten nicht buchführenden Landwirte. Die Bundesregierung ist daran interessiert, daß die für die Berechnung dieser Renten maßgebliche Einkommensfeststellung den tatsächlichen Verhältnissen gerecht wird. Zu diesem Zweck ist vorgesehen, die einschlägige Vorschrift des § 9 der Durchführungsverordnung zu § 33 des Bundesversorgungsgesetzes in gewissen Zeitabständen durch die beteiligten Ressorts überprüfen zu lassen. Die letzte Prüfung hat in der zweiten Hälfte des Jahres 1969 stattgefunden mit dem Ergebnis, daß eine Anpassung unterbleiben konnte. Die nächste Prüfung ist spätestens bis Ende 1970 durchzuführen. Dabei sollen auch die Ergebnisse des Grünen Berichts 1970 verwertet werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Fuchs.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir nicht bei, daß angesichts der erheblich
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Dr. Fuchsverschlechterten Einkommensverhältnisse in der Landwirtschaft eine frühere Prüfung im Sinne und zum Besten des betroffenen Kreises notwendig wäre?
Herr Kollege, ich bin bereit, die notwendigen Maßnahmen alsbald in die Wege zu leiten. Aber ich empfehle aus der Sache heraus, in diese Prüfung die Ergebnisse des Grünen Berichts mit einzubeziehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Maucher.
Herr Staatssekretär, sind Sie auf Grund der Erfahrungen in der Vergangenheit bereit -- denn es hat sich gezeigt und ist Ihnen sicher auch bekannt, daß auf Grund der neuen Rechtsverordnung, die nach dem Dritten Neuordnungsgesetz erlassen wurde, Kürzungen zum Teil bis zu 100 DM erfolgt sind —, dafür zu sorgen, daß die Verwaltungsvorschriften, die Rechtsverordnungen zu dieser Frage, erheblich vereinfacht werden? Ich frage Sie das vor allem im Blick auf die alljährliche Anpassung, weil sonst unüberwindliche Schwierigkeiten entstehen. Sind Sie bereit, wenigstens dafür einzutreten, daß z. B. die Frage nach der Tierhaltung wegfällt, die viele unliebsame Fragereien und Schwierigkeiten verursacht?
Herr Kollege, diese Gesichtspunkte wollen wir in die Besprechungen mit den mit diesem Sachverhalt auch befaßten anderen Ressorts der Bundesregierung einbeziehen.
Die Fragen 73 und 74 sind zurückgezogen worden. - Wir kommen zur Frage 75 des Abgeordneten Dr. Schwörer:
Welche Möglichkeit besteht im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes von seiten der Bundesanstalt für Arbeit, die Einrichtung von Kindertagesstätten mitzufinanzieren, um Frauen, deren Unterbringung am Arbeitsmarkt durch ihre häuslichen Pflichten sonst nicht möglich ist, wieder in das Berufsleben einzugliedern?
Herr Staatssekretär, bitte!
Herr Präsident, ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß ich die beiden Fragen wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantworte.
Bitte sehr! — Dann rufe ich noch die Frage 76 des Abgeordneten Dr. Schwörer auf:
Inwieweit ist vorgesehen, mit Hilfe des Arbeitsförderungsgesetzes die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen zu fördern, uni verheirateten Frauen die Möglichkeit zu geben, neben ihren familiären Pflichten noch einen Beruf auszuüben?
Im Gegensatz zum früheren Recht kann nach § 220 des
Arbeitsförderungsgesetzes die Bundesanstalt für Arbeit aus ihren Rücklagen auch die Errichtung von Teilzeitarbeitsplätzen fördern. Darüber hinaus enthält das Gesetz noch Möglichkeiten, indirekt auf die Errichtung von Teilzeitarbeitsplätzen hinzuwirken. So kann z. B. die Bundesanstalt gezielt die berufliche Fortbildung von Frauen fördern, die in Teilzeitarbeit wieder tätig werden wollen. Zum anderen können Arbeitgebern unter bestimmten Voraussetzungen Zuschüsse und Darlehen gegeben werden.
Zum zweiten Sachverhalt: Die Errichtung von Kindertagesstätten kann von der Bundesanstalt für Arbeit ebenfalls nach dem bereits erwähnten § 220 des Arbeitsförderungsgesetzes gefördert werden, wenn ein solches sozialpolitisches Vorhaben im Zusammenhang mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen steht. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind insbesondere dann erfüllt, wenn es Frauen mit Kindern nur bei Inanspruchnahme einer Tagesstätte möglich ist, beruflich tätig zu sein.
Eine Zusatzfrage? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Dr. Schwörer.
Herr Staatssekretär, könnte vielleicht bei der Handhabung dieser Vorschrift darauf geachtet werden, daß diese Mittel vor allem mittelständischen Betrieben, also kleinen und mittleren Betrieben, zur Verfügung stehen, da sie nicht die Möglichkeit haben, aus eigener Kraft Kindertagesstätten einzurichten?
Herr Kollege, ich werde diesen Gesichtspunkt an die Bundesanstalt für Arbeit herantragen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schwörer.
Herr Staatssekretär, ist es auch möglich, daß Kommunen, die solche Kindertagesstätten einrichten, in den Genuß von Zuschüssen der Bundesanstalt kommen?
Herr Kollege, das ist eine Frage, die im weiteren Verlauf der Entwicklung geprüft werden muß. Sie wissen ja, daß es sich um ein Gesetz handelt, das erst vor kurzer Zeit in Kraft getreten ist. Aus diesem Grunde müssen solche Fragen, die von erheblicher Bedeutung sind, eingehend mit der Bundesanstalt erörtert werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schwörer.
Darf ich aber grundsätzlich ihre Bereitschaft daraus erkennen, auch an diesen Tatbestand heranzugehen und ihn bei der Neufassung oder Auslegung dieses Gesetzes mit zu berücksichtigen?
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1060 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Herr Kollege, ich muß sagen, daß die Bereitschaft im Rahmen dessen gesehen werden muß, wozu das Gesetz die Bundesanstalt legitimiert.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär!
Wir stehen am Ende der Fragestunde. Nach einer Vereinbarung in der Sitzung des Ältestenrates vom 19. Januar werden die Fragen der nicht aufgerufenen Ressorts nicht schriftlich beantwortet, sondern auf die nächste Woche übertragen, es sei denn, daß ein Fragesteller ausdrücklich um schriftliche Beantwortung bittet.
Meine Damen und Herren, wir haben vorhin die Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments auf die Tagesordnung gesetzt. Ich möchte den Punkt jetzt aufrufen:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP betr. Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Europäischen Parlament
— Drucksache VI/250 —
Das Wort wird nicht gewünscht. Abzustimmen ist über den Antrag Drucksache VI/250, der interfraktionell vereinbart ist. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Dann ist im Sinne dieses Antrags beschlossen.
Meine Damen und Herren, bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, habe ich leider eine traurige Pflicht zu erfüllen.
In den Abendstunden des 20. Januar 1970 ist, wie erst heute Vormittag bekannt wurde, unser Kollege Herr Staatsminister a. D. Dr. Christian Albrecht Haas im Alter von 64 Jahren im Krankenhaus in Schwabach an Herzversagen gestorben.
Dr. Haas wurde am 8. März 1906 in Pegnitz geboren. Nach Abschluß seines juristischen Studiums im Jahre 1933 war er bis zur Einberufung zum Wehrdienst sieben Jahre Rechtsanwalt in Nürnberg. Ab Sommer 1945 war er im richterlichen Dienst als Leiter eines größeren Amtsgerichts tätig und wurde dann wieder Rechtsanwalt.
Schon unmittelbar nach Ende des Krieges nahm Dr. Haas tatkräftig am politischen Wiederaufbau teil. Er gehörte zu den Mitbegründern der Freien Demokratischen Partei in Bayern, wurde 1948 Bezirksvorsitzender und 1964 Landesvorsitzender der bayerischen FDP. In der Nachkriegspolitik des Freistaates Bayern hat Dr. Haas eine entscheidende Rolle gespielt. Von 1950 bis 1965 gehörte er dem Bayerischen Landtag an. Acht Jahre war er Mitglied der Bayerischen Staatsregierung, davon vier Jahre als Staatssekretär im Staatsministerium der Finanzen und in der Staatskanzlei. Von 1958 bis 1962 leitete er als Staatsminister das Justizressort.
Dem Deutschen Bundestag gehörte Dr. Haas seit 1965 an. Er war in der 5. und in dieser 6. Wahlperiode Mitglied des Haushaltsausschusses. Durch seine umfassende politische Erfahrung und seine
fachkundige Mitarbeit, aber auch durch seine menschliche Aufrichtigkeit erwarb er sich allgemein Achtung und Anerkennung.
Ich spreche der Familie unseres Kollegen Dr. Christian Albrecht Haas und der Fraktion der Freien Demokratischen Partei im Deutschen Bundestag meine und des ganzen Hauses herzliche Anteilnahme aus.
Meine Damen und Herren, Sie haben sich zu Ehren des verstorbenen Kollegen erhoben. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, wir fahren nunmehr im Punkt 3 der Tagesordnung — der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend Numerus clausus — fort. Das Wort hat der Abgeordnete Moersch. — Herr Abgeordneter Moersch, Sie haben das Wort.
— Ich verstehe, daß es etwas schwierig ist, von dem Nachruf auf einen sehr geschätzten Kollegen in die rauhe Wirklichkeit der Auseinandersetzung hier zu finden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich bitte um Entschuldigung; ich hatte vermutet, daß mein Kollege Dr. Meinecke vor mir gemeldet gewesen sei. Deshalb muß ich zu Beginn die Gelegenheit benutzen, um einige Anmerkungen zu der Ausführung von Frau Dr. Walz von heute morgen zu machen, die sie im Namen der CDU/CSU-Fraktion vorgetragen hat, nur zur Klarstellung einer Frage, die in einem kleinen Zwischenspiel zur Geltung kam. Frau Dr. Walz hat für Steuererhöhung oder mindestens nicht für Steuersenkungen plädiert. Ich möchte hier ausdrücklich betonen, daß die Frage einer Bildungsfinanzierung keine Frage der Steuerpolitik ist und daß bildungspolitische Maßnahmen nicht mit der Steuerpolitik allein gefördert oder behindert werden können. Es ging mir um etwas ganz anderes, nämlich um die Feststellung — und das sollte eigentlich auch gerade die Kollegen von der CDU/CSU interessieren, die sich hier für kompetent halten —, daß man durch eine Erhöhung der Steuerlastquote, d. h. der prozentualen Gesamtsteuerbelastung, lediglich erreicht, daß die Vermögensbildung zugunsten der öffentlichrechtlichen Einrichtungen gefördert und die private Vermögensbildung geschädigt wird. Es ist nicht notwendig, Bildungsinvestitionen nur aus laufenden Steuereinnahmen zu finanzieren. Man kann sehr wohl Kapitalmarktmittel in Anspruch nehmen. Die hat man eben nicht zur Verfügung, wenn man durch die Steuerprogression am Ende eine ganz erhebliche Ausweitung der Steuerlastquote hat. Ich meine, es wäre doch äußerst nützlich für dieses Hohe Haus, zu hören, ob die CDU/CSU vielleicht für eine Bildungsteuer eintritt und ob sie nach den Auskünften von heute morgen der Meinung ist, daß man die Steuerlastquote insgesamt erhöhen könne. Das würde zweifellos der bisher in diesem Hause vorherrschenden Meinung über die Nützlichkeit einer breit gestreuten Vermögensbildung widersprechen. Deswegen möchte ich das hier anführen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1061
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ott?
Herr Kollege Moersch, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Gedanke einer Bildungsteuer nicht von der Fraktion der CDU/CSU stammt, sondern vom Wissenschaftsminister, der Ihrer Koalitionsregierung angehört, und zwar der Gedanke einer Bildungsteuer als Ablösung der Ergänzungsabgabe?
Herr Kollege Ott, das ist gar nicht das Problem, um das es geht. Außerdem stimmt es nicht, was Sie sagen. Die Bildungsteuer ist ein uralter Hut. Sie ist nicht von irgend jemand hier erfunden worden. Ich nehme Bezug auf das, was hier in diesem Hause heute morgen von der Sprecherin Ihrer Fraktion auf meine Zwischenfrage gesagt worden ist. Unter Beifall ihrer Fraktionskollegen ist festgestellt worden, daß offensichtlich von der CDU/CSU Steuersenkungen, auch wenn sie konjunkturpolitisch notwendig würden — das könnte ja einmal passieren — nicht gewünscht werden, daß also — im Umkehrschluß — die CDU der Meinung ist, daß die Steuerlastquote erhöht werden solle; eine Meinung, die ich als Liberaler jedenfalls nicht teile, weil ich glaube, daß Sie dann von Vermögenspolitik und breiter Streuung des Eigentums nicht mehr reden können.
Die Frage ist doch, wie man innerhalb eines Haushalts die Mittel anders verteilt. Es gibt ja der CDU angehörende Kultusminister, die uns vor wenigen Tagen im Gespräch gesagt haben, daß sie nicht glauben, daß man Steuererhöhungen brauche, um die schnell wachsenden Bildungsausgaben finanzieren zu können, sondern daß ja die Steuereinnahmen bei Wirtschaftswachstum ohnedies so ansteigen, daß man damit auch die stark gestiegenen Bildungsausgaben finanzieren könne, wenn man entsprechende haushaltsrechtliche und Haushaltsbeschlüsse fassen werde. Da sollten Sie also in der CDU/CSU einmal Ihre Meinungen klären, bevor Sie hier mit verschiedenen Zungen reden. Das würde jedenfalls der Sache und der Klarheit nützen.Das andere, was ich hier anmerken möchte — es ist eigentlich eine Frage an die CDU-Fraktion —, ist, daß Frau Dr. Walz die Hochschulkonzeption des Kollegen Mikat als vorbildlich erwähnt hat. Ich schätze den Kollegen Mikat sehr und hoffe, daß wir ihn dann selber in der Debatte hier hören werden, um festzustellen, ob die Nennung des Namens Mikat eine Bestätigung seines Programms ist oder lediglich eine Verzierung in dieser Debatte sein sollte, ohne daß man sich in der CDU/CSU-Fraktion mit dem auseinandersetzt, was der Kollege Mikat bisher bildungspolitisch vertreten und auch in diesem Hause als Meinung kundgetan hat, was ich sehr beachtenswert fand. Ich habe jedenfalls in der Rede heute morgen keine Hinweise auf die von Herrn Professor Mikat hier in diesem Hause geäußerte Meinung — was den Inhalt betrifft — gehört, sondern eine erhebliche Differenz der Ansichten feststellen können. Vielleicht wäre das von den nächsten Sprechern der CDU/CSU zu klären.
— Das werde ich Ihnen gleich erklären, Herr Dr. Martin. Ich bin Ihnen dankbar für diese Neugierde; ich kann sie befriedigen.
Nun möchte ich aber zu der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage einige Anmerkungen machen. Da heute morgen schon von dem auch für mich betrüblichen Fall gesprochen worden ist, daß man in einem Bundesland angeblich wieder ein Reifezeugnis mit der Note „mangelhaft" in Deutsch erwerben könne, muß ich hier zunächst einmal feststellen, daß die Antwort der Bundesregierung vom Wissenschaftsministerium in einem Deutsch abgefaßt ist, das vorbildlich ist und vor allem im Vergleich zu früheren Verlautbarungen zum gleichen Thema aus dem gleichen Hause unter einem anderen Minister wesentlich besser geworden ist.
Das halte ich für einen entscheidenden Fortschritt, weil diese Darstellung nun allgemein verständlich, sehr instruktiv und sehr lesbar geworden ist.
Ich möchte den Mitarbeitern des Hauses ausdrücklich dafürdanken, weil ich glaube, daß sich hinter der sprachlichen Klarheit auch eine gedankliche Klarheit verbirgt, was man nur positiv anmerken kann. Ich meine, daß diese Antwort eine gute Leistung des doch durchaus kleinen Apparats darstellt; denn das Haus ist ja bisher nicht für die umfassende Aufgabenstellung, die jetzt gefordert ist, ausgebaut gewesen und konnte es auch verfassungsrechtlich nicht sein. Die Neuzusammenfassung von Bildungskompetenzen, wenigstens auf Teilgebieten, erfordert selbstverständlich auch den Aufbau einer entsprechenden Verwaltungsapparatur. Um so mehr ist anzuerkennen, daß in so kurzer Zeit eine so ausgewogene Antwort gegeben werden konnte. Das ist ursprünglich nicht ohne weiteres sicher gewesen.Heute morgen ist dankenswerterweise in der „Frankfurter Allgemeinen" schon eine Berichterstattung über die Antwort der Bundesregierung zu lesen, die ja schriftlich vorlag, und gleichzeitig ein redaktioneller Kommentar, hinter dem ich einen klugen Kopf vermute — wie bei dieser Zeitung üblich.
In diesem Kommentar heißt es:
— sind Sie ganz sicher, Herr Dr. Martin? —Es ist müßig, festzustellen, was in den vergangenen Jahren versäumt worden ist, um das Bildungssystem in seinem Zusammenhang gleichmäßig zu erweitern. Das wissen wir; dies wol-
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Moerschlen wir aus dem Bundestag nicht nochmals hören. Jetzt geht es um die Therapie.
Ich höre von der CDU zustimmende Zwischenrufe. Die habe ich erwartet; denn es ist Ihnen selbstverständlich unangenehm, hier über Vergangenes noch einmal debattieren zu müssen. Das kann für Sie nicht sehr ruhmreich werden.
— Ihre voreiligen Zwischenrufe weisen darauf hin, daß Sie in der medizinischen Diagnostik nicht so ganz bewandert sind — ich nehme Herrn Dr. Martin aus —; denn welcher Arzt könnte eigentlich eine Therapie, die wirklich anschlagen soll, verordnen, wenn er sich scheute, vorher die Diagnose zu stellen?
Herr Abgeordneter Moersch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg? - Bitte.
Herr Kollege Moersch, stimmen sie auch den Feststellungen der von Ihnen gelobten Antwort der Bundesregierung zu, daß Bundesregierung und Bundestag erstmals im Sommer vergangenen Jahres mit der Finanzreform und dem Hochschulbauförderungsgesetz eine sachliche Einwirkungsmöglichkeit auf diese zentralen Fragen gewonnen haben, und glauben Sie, daß es deshalb angemessen ist, wieder in der bewährten, etwas billigen Weise frühere Regierungen und Mehrheiten dieses Hauses verantwortlich zu machen?
Herr Dr. Stoltenberg, Sie hätten sich den Schuh gar nicht so schnell anzuziehen brauchen. Ich wäre noch darauf gekommen; Sie sind sehr eilig gewesen. Ich möchte Ihnen nur sagen, daß diese Verfassungsänderungen, die mit Recht in dem Bericht gelobt worden sind, von Ihnen zunächst einmal jahrelang verzögert worden sind. Damit fing das schon an. Es war die damalige Opposition, die darauf hinwirken mußte, daß überhaupt diese Bundeskompetenzen zustande kamen, die deute drin sind.
— Wenn Sie das nicht glauben, dann lesen Sie es halt nach!
— Das ist keine Legende, das ist die reine Wahrheit. Sie können das in den Anträgen, die in diesem Hohen Hause gestellt wurden, nachlesen. Sie mußten doch zur Jagd getragen werden. Sie sind doch nicht von sich aus vorgeprellt. Sie haben alle möglichen Einwände gehabt, um das zu verhindern. Fragen Sie einmal Ihre Kollegen von der CSU, wie die sich angestellt haben, bis sie hier überhaupt einmal zu ihrem Glück gezwungen werden konnten. Das vergessen wir nicht. Sie waren doch diejenigen, die die Fahne des mißverstandenen Föderalismus noch hochgehalten haben, als längst der Wind aus einer anderen Richtung wehte.
— Nein, nein! Sie können ja nachher dazu Ihre Meinung sagen. Sie können die Geschichte darlegen, wie Sie wollen, aber Sie haben doch heute den Versuch gemacht, selbst in die Geschichtslosigkeit auszuweichen, weil Ihnen die Vorgeschichte dieser Debatte unangenehm ist. Daraus werden wir Sie nicht so schnell entlassen.
Ich sage es nämlich deshalb, weil Sie ja sofort mit irgendwelchen Palliativmittelchen eingreifen möchten, wo es darum geht, erst einmal die wirkliche Diagnose zu haben, um dann das Richtige zu tun. Das Schlimmste, was uns jetzt passieren könnte, wäre, daß wir einige hundert Millionen Mark bereitstellen und ausgeben, um damit weder eine Reform des Bildungswesens voranzubringen, noch für den beklagenswerten Numerus clausus irgendeine Besserung zu erreichen, sondern daß damit lediglich bestimmte Strukturen befestigt würden, die wir jedenfalls nicht für zeitgemäß halten und die einem modernen Bildungswesen nicht angemessen sind.
— Sie waren j a gar nicht dabei. Sie sind ja hinausgegangen. Woher wollen Sie das denn überhaupt wissen?
Sie sind Herr Pfeifer, wenn ich nicht irre. Sie haben damals, ohne dabei gewesen zu sein, einige lichtvolle Sätze geschrieben. Sie waren Referent von Professor Hahn, wenn ich nicht irre, dem Kultusminister. Zum Beispiel dies schrieben Sie:So wundert es niemand, daß an der Spitze des Koalitionsprogrammes nicht die Beseitigung, sondern die bessere Verwaltung des Numerus clausus steht.Das haben Sie damals alles schon gewußt. Sie haben geschrieben, es käme auf eine Strategie der Reform mit klaren finanziellen Absicherungen an, auf die die CDU/CSU drängen müsse. — Das hat sie nie getan.
Wenn Sie nicht Pfeifer aus Tübingen wären, würdeich sagen, Sie sind der Trompeter von Säckingen.
Denn das, was Sie hier im CDU-Pressedienst geschrieben haben, war in vollem Umfang lautstark, aber unseriös.Moersch
— Herr Stoltenberg, ich weiß, daß Sie ein ernstes Gemüt haben, aber die Rheinländer können Sie natürlich nur beleidigen, wenn Sie in diesem Zusammenhang den Karneval verdächtigen wollen. Ich gehöre nicht zu den Rheinländern und habe mit dem Karneval nichts zu tun. Aber das werden wir uns doch noch erlauben dürfen, das für eine ziemliche Unverschämtheit zu halten, wenn der frühere Referent eines Kultusministers, der auf diesem Gebiet gerade auch dem Bund gegenüber Schwierigkeiten gemacht hat, sich nun hinstellt und in einem Artikel auf Grund einer Sitzung, an der er gar nicht teilgenommen hat, solche Behauptungen in die Welt setzt. Das wird man ja doch hier noch einmal sagen dürfen.
— Ich habe Herrn Pfeifer nicht gebeten, die Zwischenrufe zu machen. Er hat das von selbst gemacht, dann muß er sich das schon einmal anhören können und Sie mit.
— Herr Schober, den frommen Wunsch will ich Ihnen gern erfüllen. Ich kann mir vorstellen, daß Sie das nicht so gern hören, aber Sie sollten es sich trotzdem einmal anhören. Sie waren ja übrigens gar nicht gemeint.
— Ich bin gerade bei den Heilberufen, Herr Dr. Martin,
das trifft sich gut. Sehen Sie, Sie erinnern mich immer an die Tatsache, daß Psychoanalyse möglicherweise die Krankheit ist, deren Therapie zu sein sie vorgibt.
— Nein. Ich weiß nicht, ob es von Adler oder von Jung ist.
— Von Karl Kraus. Karl Kraus hat ja auch den berühmten Spruch getan: Je größer der Stiefel, desto größer der Absatz. Auch eine Devise, — —
— Es liegt an Ihnen. Wenn Sie solche neugierigen Zwischenfragen stellen, fühle ich mich immer verpflichtet, sie zu beantworten, Herr Dr. Schober.
Ich plagiiere nicht. Ich habe ja nicht gesagt, daß ich es erfunden hätte.
— Ich möchte jetzt mit dem zurückhalten, was ich Herrn Dr. Stoltenberg eigentlich über die alten Germanen sagen wollte; das machen wir später.Nein, meine Damen und Herren, in dieser Debatte geht es vor allem darum, daß man im öffentlichen Bewußtsein einmal klärt, wo die wirklichen Schwierigkeiten beim Numerus clausus liegen. In der Antwort ist das Problem der Heilberufe ausführlich dargestellt worden. Vor allem geht es um die Schwierigkeiten bei den Zahnärzten in den Einzelfächern, besonders in den vorklinischen Fächern. So wichtig es ist, daß gerade auf diesem Gebiet auch durch Baumaßnahmen Abhilfe geschaffen wird— das wird gerade dort nicht ganz billig sein, wo man Laboreinrichtungen braucht —, so wichtig scheint es mir auch zu sein, daß man zugleich die Ausbildungsmethodik und die Ausbildungsart im Bereich der Heilberufe überprüft und auch hier nicht davon ausgeht, daß es so bleiben muß, wie es bisher war, sondern daß man sich zu moderneren Formen der Ausbildung durchringt.Aber die Hauptsorge, die wir haben, meine Damen und Herren, ist ja nicht nur die Überfüllung der Hochschulen, sondern die gleichzeitige außerordentlich bedauerliche Lage an den Schulen, die sich in dem enormen Lehrermangel ausdrückt. Wir finden in der Antwort der Bundesregierung einige Zahlen — die noch nicht einmal auf dem neuesten Stand sind; sie werden sicherlich noch ergänzt werden — über die Verlängerung des Studiums bei Lehrern. Diese Verlängerung ist sehr beachtlich. Die Studiendauer hat sich innerhalb von vier Jahren etwa um ein ganzes Jahr erhöht, was selbstverständlich den Lehrermangel verschärft, insbesondere an den höheren Schulen.Man sollte nicht verkennen, daß ein großer Teil dieser Schwierigkeiten unter anderem dadurch zustande gekommen ist, daß es zwar offiziell keinen Numerus clausus beim Zugang zum Studium in diesen Fächern gibt, statt dessen aber einen inneren Numerus clausus, der darin besteht, daß bestimmte Professoren die Teilnahme an Seminaren, Hauptseminaren und Oberseminaren von Eingangsprüfungen abhängig machen, die je nach Angebotsdruck verschärft werden, so daß hier also überhaupt kein objektiver Maßstab für den Besuch solcher Veranstaltungen mehr gegeben ist, sondern an diesen Hochschulen manchmal die reine Willkür herrscht, was wiederum dazu führt, daß der zu erwartende Lehrernachwuchs wegen der Verlängerung dieses Studiums ausbleibt.Die Bundesregierung hätte oder wird sicherlich auch noch einige Zahlen beibringen können, wenn die Kultusminister ihre Meldungen über die Gesamtsemesterzahl abgegeben haben, die im Augenblick bei Philologen notwendig ist, um einen Lehrer zu gewinnen. Wenn Sie diejenigen hinzurechnen,1064 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970Moerschdie das Studium vorzeitig abbrechen oder nicht den Lehrerberuf ergreifen oder in einen anderen Beruf übergehen, dann kommen Sie ziemlich schnell darauf, daß wir heute für jeden Gymnasiallehrer, der neu in den Schuldienst eintritt, einen Aufwand von etwa 20 Semestern rechnen müssen, d. h. daß eine zehnjährige Ausbildungsdauer für einen Lehrer angesetzt wird, nicht für „den" Lehrer, sondern im Durchschnitt. Zehn Jahre lang wird die Universität von einem Studenten belegt, wenn wir mit ihm einen Lehrer an einer höheren Schule bekommen sollen. Das ist eine Zahl, die sich einfach ermitteln läßt, wenn man die Angaben, die in den verschiedenen Bereichen gemacht worden sind, addiert.Ich meine, als Gegenrezept muß man zwei Dinge überlegen. Einmal: Wie schaffen wir es, daß — im Durchschnitt — schon ein 25jähriger Lehrer auch an einer höheren Schule sein kann? Ich glaube, das ist möglich; das gibt es auch in anderen Ländern. Zum zweiten: Wie kann ich die Lehrerausbildung insgesamt so reformieren, daß man überhaupt zu einer vernünftigen Ausbildungsdauer in Deutschland gelangt?Ich glaube ein weiteres hier anmerken zu sollen. Die Einrichtung einer Gesamthochschule kann gerade auf dem Gebiet der Lehrerbildung außerordentlich fortschrittlich sein. Diese Idee der Gesamthochschule ist heute morgen von der Sprecherin der CDU/CSU mit dem Begriff der Ideologie versehen worden. Ich halte gar nichts von dem IdeologieEtikett. Ich halte die gründliche Veränderung des Hochschulbereiches für eine enorm gute und praktische Sache. Die FDP tritt aus Überzeugung für die differenzierte Gesamthochschule ein. Es gibt genügend wissenschaftliche Untersuchungen und auch Erfahrungen in anderen Ländern, die erlauben, daß man eine solche Änderung unseres Bildungssystems vornimmt. Man wird dann auch ohne allzu großen Aufwand gerade etwa bei der Lehrerausbildung sicherlich auf öffentliche Gebäude zurückgreifen können, um die Ausbildungskapazitäten, die bereits vorhanden sind, zu erweitern. Ich darf nur aus meiner Heimatstadt etwa die Anregung geben, daß wir über ein Schloß verfügen, das in der Größe etwa dem Bonner oder dem Mannheimer Schloß entspricht, das nur zu einem geringen Teil belegt ist und ohnedies mit öffentlichen Mitteln unterhalten werden muß. Es wird bald frei. Es eignet sich selbstverständlich vorzüglich zum Ausbau, zur Ergänzung der bereits bestehenden neuen Pädagogischen Hochschule, und zwar ohne riesige Investitionen; denn die Erhaltungsinvestitionen wären ohnedies nötig.
Das wird in anderen Städten ähnlich sein. Hier wird man also auch ein bißchen Phantasie brauchen, um solche Erweiterungsbauten rasch zu bekommen.
Ein Punkt, der ebenfalls nicht genug betont werden kann, wenn es um die Frage geht, wie wir zu mehr Lehrern an den Hochschulen kommen, ist die Änderung des Laufbahnrechts. Herr Dr. Stoltenberg wird sicherlich sofort widersprechen, wenn ich sage, daß seine Initiative in den letzten vier Jahren jedenfalls nicht ausgereicht hat, das, was er hier hätte tun können, in der Bundesregierung durchzusetzen. Das Innenministerium hat sich in den letzten vier Jahren immer wieder dagegen gewehrt, das Laufbahnrecht im Beamtenrechtsrahmengesetz zu ändern, und der Wissenschaftsminister hat offensichtlich nichts Wirksames dagegen unternommen. Ich stelle das nur fest. Das konnte man ohne Verfassungsänderung tun. Von dieser Verfassungsänderung können Sie auf die Dauer sowieso nicht leben. Sie ist in der Tat ziemlich jung. Aber das Laufbahnrecht, das Beamtenrechtsrahmengesetz hätten Sie damals in der Bundesregierung ändern können, so wie es jetzt ohnedies geändert werden muß. Es ist etwas merkwürdig, wenn nun gerade die Kultusminister die Bundespolitiker deswegen kritisieren, weil der Bund da noch nichts geändert habe, und wenn diese Kritik aus den Reihen von Parteien kommt, die in den letzten Jahren nicht nur den Wissenschaftsminister, sondern auch den Bundesinnenminister gestellt haben. Das möchte ich hier doch einmal anmerken.Zum weiteren glaube ich, daß es gut ist, wenn in einer Rahmengesetzgebung des Bundes oder durch Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes künftig klargestellt wird, daß es sehr verschiedene Arten des rechtlichen Status von Hochschullehrern geben muß, nicht nur den Beamtenstatus, sondern auch weit mehr als bisher den Angestelltenstatus und den Status des Beamten auf Zeit, und daß man weit mehr als bisher auf Leute aus der Industrie und der Verwaltung, wenigstens für einige Teilgebiete und für eine bestimmte Zeit, zurückgreifen müßte, daß man insgesamt die Mobilität fördern muß, was sicherlich nicht nur unserer Gesellschaft, sondern auch der Hochschule selbst insgesamt zugute käme.
— Herr Dr. Schober, natürlich hat es die Ansätze gegeben. Aber die Tat blieb in den vergangenen Jahren aus. Das muß hier noch einmal gesagt werden, weil von Ihrer Seite in jüngster Zeit permanent versucht worden ist, so zu tun, als ob wir jetzt gerade bei der Stunde Null angekommen wären und es vor Ihnen überhaupt nichts gegeben habe, was etwa Sie selbst belasten könnte, und als ob man jetzt mit voller Kritik gegenüber der neuen Bundesregierung feststellen könnte, daß sie in 100 Tagen noch nicht das Wunder vollbracht hat, daß Sie mindestens vier Jahre lang — oder acht — verschlafen haben.
Es ist auch von Ihrer Seite nichts unternommen worden, um etwa — auch dazu brauchten Sie keine Verfassungsänderung; da hätten ein paar gute Gedanken genügt — das Problem in der Öffentlichkeit darzulegen, das nach 1960/61 entstand, als sich auf Grund der damaligen Empfehlung des Wissenschaftsrates etwa in einem Land wie Baden-Württemberg die Zahl der Hochschullehrer dankenswerterweise in wenigen Jahre verdoppelte, ohne daß das Angebot in der Lehre entsprechend gestiegen wäre, wie wir das jetzt aus der Statistik sehen. Dafür
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1065
Moerschhaben sich die Anforderungen an Forschungsmitteln bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft erheblich gesteigert. Die neu installierten Hochschullehrer haben sich in erster Linie auf ihre Forschungstätigkeit eingerichtet und nicht so sehr die Lehre bevorzugt.
— Das ist allerdings eine Art von Fatalismus, wenn Sie sagen, daß das immer so sein werde. Da wird es wohl noch Möglichkeiten geben, vertraglich oder gesetzlich festzulegen, daß ein bestimmtes Verhältnis zwischen dem Aufwand für Forschung und dem für Lehre bestehen muß. Es ist sinnlos, hunderte von neuen Stellen zu bewilligen und sich dem Glauben hinzugeben, man habe jetzt für die Verbesserung der Lehre etwas getan, und am Ende festzustellen, daß trotz doppelter Mannschaft, wenn ich so sagen darf, keineswegs die doppelte Zahl von Lehrveranstaltungen herausgekommen ist, daß also die Schwierigkeiten auf diesem Gebiet größer geworden sind, statt daß man den Mangel beseitigt hätte. Das sind Notwendigkeiten, die wir beachten müssen, wenn wir in Zukunft zu einem überschaubaren und vernünftigen Verhältnis von Lehre, Forschung und Ausbildungskapazität insgesamt kommen wollen.Den inneren Numerus clausus mit seinen Folgen für die Studienzeitverlängerung habe ich hier schon genannt. Das hängt miteinander zusammen. Das heißt natürlich, daß es in weiten Gebieten hier überhaupt keine Gerechtigkeit gegeben hat, sondern mehr oder weniger Willkür.Ich darf noch einmal feststellen, daß die jetzt vorgesehenen Geldausgaben, die von der Opposition sehr gering veranschlagt worden sind, unter diesen Umständen nicht zu gering sind. Sie sind übrigens recht beachtlich gestiegen, was immer man hier an Prozentrechnung vorweisen mag. Für mich ist entscheidend, ob die Bundesregierung in der kurzen Zeit, in der sie diese Verfassungskompetenzen hat, überhaupt in der Lage sein wird, einen Apparat aufzubauen, der es erlaubt, das Geld sinnvoll auszugeben. Es ist doch viel besser, wir sind jetzt die ersten Monate im Ausgeben dieses Geldes etwas vorsichtig und machen unter Umständen sogar Rückstellungen für das nächste Haushaltsjahr, wenn wir es jetzt nicht gut unterbringen können, als daß man sich zunächst damit beruhigt, soundso viele Millionen ausgegeben zu haben, und sich dann nach zwei oder drei Jahren fragen lassen muß, ob man es nicht genau an der falschen Stelle ausgegeben und den falschen Leuten gegeben hat. Diese Frage werden wir uns sicherlich noch zu stellen haben. So einfach ist es nicht, Etaterhöhungen von 30 und 40 % im Jahr vorzunehmen und dann noch zu garantieren, daß das Geld effektiv ausgegeben wird. Auch das möchte ich den Ungeduldigen in der CDU/ CSU einmal deutlich sagen.
— Was heißt „planlos"? Wenn Sie überhaupt klareVorstellungen hätten, wie die Hochschule und dasBildungssystem der Zukunft aussehen sollen, wäreich Ihnen schon ganz dankbar. Was ich bisher gehört habe, hat mich jedenfalls erstens nicht überzeugt, daß Sie die nach meiner Meinung richtige Vorstellung haben. Zum zweiten bin ich der Meinung, daß Sie überhaupt keine klare Vorstellung insgesamt haben, sondern daß es bei Ihnen verschiedene Leute mit sehr verschiedenen Vorstellungen gibt. Das ist keine gute Grundlage für das Geldausgeben auf diesem Gebiet.
- Das mag sein, aber ich lasse mich gerne belehren.Das wird sich herausstellen, wenn wir nachher die Debatte einmal durchgehen und sehen, was Sie an verschiedenartigen Vorschlägen zu machen haben. Ich bin jedenfalls gespannt und sehr neugierig auf Ihre guten Ideen.Die Idee, den Planungsausschuß, der in den Gemeinschaftsaufgaben drinsteckt und der ja jetzt schon konstituiert worden ist, sowohl politisch als auch rechtlich zu einem umfassenden bildungspolitischen Lenkungsorgan zu machen, halte ich insgesamt nicht für realistisch. Das wird nicht ausreichen, nicht nur aus rechtlichen Gründen — wenn die Länder mitmachen, kann man hier ja sicher großzügig sein, obwohl ich da meine Bedenken habe —, sondern ganz einfach deshalb, weil ich nicht recht einsehen kann, daß die zuständigen Parlamente diese ihre Kompetenzen in solchem Umfang in derartige Gremien verlagert sehen wollen. Ich bin ein Anhänger der parlamentarischen Kontrolle. Es mag jetzt verfassungsrechtlich oder verfassungspolitisch notwendig gewesen sein, ein solches Organ zu schaffen. Aber von meinem Demokratieverständnis her ist es nicht optimal, weil hier eine Einrichtung entsteht, die sich zwischen Bund und Ländern bewegt und die eigentlich von keinem Parlament klar kontrolliert werden kann. Nicht einmal die in den Parlamenten gerade bei Haushaltsdebatten entwickelten Vorstellungen und Ideen müssen sich hier vernünftigerweise niederschlagen. Das ist vielleicht eine unberechtigte Sorge, aber ich möchte sie hier gleich aussprechen, damit man nicht am Ende von einem solchen Gremium zuviel erwartet. Es wird notwendig sein ich bin dankbar, daß wir das heute tun können , in Zukunft regelmäßig gerade dieses Gebiet parlamentarisch zu erörtern, nicht nur wegen der Kontrolle hier, sondern auch damit überhaupt eine Meinung in wichtigen Fragen entstehen kann, die ja bisher auch wegen der mangelnden Bundeskompetenz nicht entstehen konnte. Jedenfalls hat eine Erörterung in diesem Hause nicht die Durchschlagskraft gehabt, wie sie sie jetzt haben wird, wo wir nun mit diesen Fragen unmittelbar verfassungsrechtlich verbunden sind.Ein weiterer Punkt, den Sie am Ende beantworten müssen — auch die CDU/CSU wird das tun müssen, wenn Sie moderne Bildungspolitik machen wollen —, ist, welchen Sinn eigentlich das Abitur in diesem Konzept haben soll. Das Abitur ist durch die bisherige Praxis des Numerus clausus in seinem Wert zweifellos völlig denaturiert worden. Die Zulassungspraxis heute ist Willkür, gleichgültig welche Kriterien angelegt werden. Wir haben vor einem
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1066 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
MoerschJahr, wenn ich mich recht entsinne, einige Hinweise über eine Untersuchung über Mediziner bekommen, die das Vorexamen bestanden hatten. Ich erinnere mich daran, daß neun Zehntel derjenigen, die die Prüfung mit Auszeichnung oder mit Gut bestanden hatten, nach den jetzigen Bestimmungen des Numerus clausus für Mediziner nicht zum Medizinstudium zugelassen worden wären, weil sie die Durchschnittsnote, die heute gefordert wird, im Abitur gar nicht erreicht hatten. Ganz eindeutig sind hier einseitig Begabte zu Medizinstudenten geworden. Durch die einseitige Begabung haben sie in bestimmten Hauptfächern schlechte Noten im Abitur erhalten und erreichten vielleicht einen Notendurchschnitt von 3, während sie heute einen Durchschnitt von 1,8 oder 2,0 haben müßten. Ausgerechnet diejenigen, die sich im Vorexamen als besonders geeignet ausgewiesen haben — wenn man dem Vorexamen trauen will —, kämen also jetzt gar nicht mehr zum Studium der Medizin. Das ist ein Musterbeispiel für den Unsinn und die Willkür dieser Art von Ausleseverfahren, das mit dem Abitur alter Art nicht mehr vereinbart werden kann.
Herr Kollege, ich wollte Sie nur auf den bevorstehenden Zeitablauf aufmerksam machen.
Ich bin gleich zu Ende, Herr Präsident.
— Meine Damen und Herren, Sie haben doch eine Große Anfrage gestellt.
- Sie müssen doch wissen, was Sie wollen, wenn
Sie hier eine Debatte entfachen!
Ich kann Ihnen nur sagen — —
- Ich weiß, was ich will!
— Die hat Ihnen die Bundesregierung doch gegeben! Sie werden doch hoffentlich noch lesen können.
Soll ich denn die Regierungsantwort hier vorlesen, um Ihre Neugierde zu befriedigen? Das wäre doch kein rationelles Verfahren. Es ist doch vielmehr so, daß Sie eine Frage gestellt haben — möglicherweise an sich selber; das wäre ja auch ganz verdienstvoll gewesen, nicht wahr.
Ich habe das Recht, hier zu reden, ob's Ihnen paßt oder nicht. Merken Sie sich das!
Hier haben wir zu erörtern, was Sie hier vorgetragen haben. Das ist der Sinn dieser Debatte. Sie haben sie begonnen.
Herr Kollege, Ihre Fraktion hatte um Verlängerung Ihrer Redezeit auf 30 Minuten gebeten, und der amtierende Präsident hat dem gern entsprochen. Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt zum Ende kämen.
Herr Präsident, ich ging davon aus, daß man bei der ersten Rede bis zu 45 Minuten verbrauchen kann. Entschuldigen Sie, es war vielleicht ein Irrtum.
Herr Kollege, ich muß mich an das halten — ich bitte dafür um Verständnis —, was angemeldet worden ist. Diese Zeit ist bereits überschritten. Ich wäre Ihnen daher dankbar, wenn Sie zum Ende kämen.
Ich bin gleich zu Ende. — Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat kein Recht, von uns zu erwarten, daß wir heute ein fertiges Konzept vorlegen. Wir haben ganz entscheidende Vorarbeiten dafür geleistet. Aber den Zeitpunkt für eine Vorlage von 'Hochschulgrundsätzen bestimmen wir und nicht Sie in diesem Hause. Die Regierung wird diese Vorlage machen, und dann werden wir uns dazu äußern. Heute äußere ich mich dazu, daß Sie Fragen gestellt haben, die Sie im einzelnen nicht genügend begründet haben.
— Ach, Sie können Zwischenrufe machen, soviel Sie wollen, mich geniert das nicht. Sie charakterisieren ja sich selbst, nicht den Redner, der hier spricht.
- Falls Sie ruhig sein sollten, bin ich gern bereit, weiterzusprechen. Dann wird's nämlich sehr viel kürzer. Wir können zwar gemeinsam singen, aber nicht gemeinsam reden.
Nach der Geschäftsordnung hängt das in dieser Situation natürlich auch von der Leitung ab, und ich muß Ihnen sagen, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie im Hinblick auf die Geschäftsordnung nunmehr zum Ende kämen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1067
Ich möchte hinzufügen, daß die Veränderungen des Abiturs und das Nachdenken über den Sinn einer Zulassungsprüfung zur Hochschule vielleicht eine wohltätige Folge der jetzigen Situation der Hochschulen mit dem jetzt praktizierten Numerus clausus sind. Ich hätte es jedenfalls sehr begrüßt, wenn die CDU/CSU uns auch gesagt hätte, ob sie das jetzige Abitur für sinnvoll hält. Sie hat ein Abitur I und II in Vorbereitung. Darüber näheres zu hören würde uns interessieren. Vielleicht kommt das noch.
Ich meine, die CDU wird dann auch zur Kenntnis nehmen müssen, daß man Abschied nehmen muß von einer Universität, die ursprünglich für die Ausbildung von Pfarrern, von Juristen für den Staat und von Ärzten konstruiert war — das war ja die Hauptaufgabe der alten Universität gewesen —, daß man die Zwangsvorstellung aufgeben muß, daß die akademische Bildung eine Perfektion für das ganze Leben bieten könne und daß man dann mit dem Abschluß eines solchen Studiums, mit dem Examen, ein für allemal ausgelernt habe.
Ich spreche davon, Herr Dr. Schober, weil die Beseitigung der Engpässe und des Numerus clausus natürlich auch ganz entscheidend davon abhängt, welche Studienordnung künftig hier gelten soll, und weil sie ganz entscheidend davon abhängt, ob Sie eine permanente Weiterbildung befürworten, ob Sie ein Kontaktstudium insgesamt befürworten oder ob Sie das im althergebrachten Sinne machen wollen, ) ob Sie beispielsweise die frühere Art der Ausbildung beibehalten wollen, die doch sehr stark etwa auf den Besoldungsanspruch zugeschnitten gewesen ist.
Ich glaube — damit darf ich schließen, weil die Redezeit nun tatsächlich überschritten ist; ich bedauere das —, daß die CDU mit ihrer Großen Anfrage jedenfalls eines sehr klar gemacht hat: daß sie hier Symptome aufgezeigt hat, die uns zu der Folgerung zwingen, daß wir eine Gesamtbildungsreform brauchen, daß es nicht nur eine Frage des Kurierens an den Hochschulen ist, sondern daß wir unser gesamtes Schul- und Bildungswesen zu überprüfen haben und unsere Vorstellung von Bildung insgesamt revidieren müssen, nämlich für die Industriegesellschaft, in der wir uns befinden, und daß mit dem, was Sie traditionsgemäß aus dem 19. Jahrhundert noch retten wollen, jedenfalls unsere Hochschulen nicht zu retten sind. Und wenn Sie die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen in dem Bemühen unterstützen, diese Reformen durchzusetzen, sind wir Ihnen dankbar. Aber der Ruf nach dem Geld, meine Damen und Herren, ist nicht besonders sinnvoll, wenn Sie uns nicht ganz genau sagen, wie Sie es ausgeben wollen.
Meine Damen und Herren, da wir hier natürlich keinen Numerus clausus haben, haben wir inzwischen zwölf weitere Wortmeldungen vorliegen. Damit wollte ich Ihnen nur die Geschäftslage des Hauses darlegen. Unter den Wortmeldungen befinden sich auch solche von Mitgliedern der Bundesregierung und des Bundesrats.
Der nächste Redner ist Herr Kollege Meinecke. Ich gebe ihm hiermit das Wort. Die Fraktion der SPD hat eine Redezeit von 30 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der äußere Numerus clausus ist hier noch nicht eingeführt, aber ich hoffe, daß der Fortgang der Debatte hier nicht zu einem inneren Numerus clausus führen wird und die Aufmerksamkeit des ganzen Hauses den weiteren Ausführungen gilt.
Das liegt gelegentlich auch am Redner!
Ich werde mich bemühen, Herr Präsident; ich nehme Mahnungen immer gern entgegen.Meine Damen und Herren, ich hatte die Absicht, diese Debatte nicht rückwirkend apologetisch zu führen und auf vergangene Dinge nicht einzugehen. Als Sozialdemokrat kann ich allerdings einige Bemerkungen der Oppositionsrednerin hier nicht im Raum stehenlassen.Die rührende Behauptung, daß die CDU bildungsfreundlicher sei als die Sozialdemokraten, dürfte ein wenig übertrieben sein. Immerhin muß man in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß wir bereits über die Förderstufe diskutierten, als Sie noch über Konfessions- und Zwergschulen debattierten.
Immerhin muß man hier zugeben und dem Hause der historischen Gerechtigkeit halber sagen, daß der Plan Z bereits im Jahre 1956 von den Sozialdemokraten erarbeitet wurde.Ich verstehe auch nicht, Frau Kollegin Walz, warum Sie hier die Gesamthochschule oder die Gesamtschule verteufeln, obwohl Sie die Einwände und die Auffassung Ihres Kollegen Mikat kennen und obwohl Sie wissen, daß die Gesamtschule in einem sehr engen Zusammenhang mit dein Grundgesetzauftrag der Chancengleichheit zu verstehen ist. An diese Chancengleichheit appellieren Sie doch mit Ihrem Entschließungsantrag. Wir geben Ihnen ja zu, daß verschiedene Wege dazu führen können, diese Chancengleichheit zu verwirklichen, aber Ideologie ist das nicht.Warum, Frau Kollegin, reden Sie so geringschätzig über den Katalog des Ministeriums? Es ist das erstemal in diesem Haus ein Katalog vorgelegt worden, der, wenn er verwirklicht wird, uns in der Bewältigung dieses Problems weiterführen kann. Warum diese zynische Bemerkung, das alles sei ja schon bekannt gewesen? Das verführt dann natürlich dazu, hier apologetisch zu werden und zu sagen: Ja, alles, was hier gesagt und vorgeschlagen wurde, haben wir - darauf habe ich schon einmal hingewiesen — bereits in der Debatte 1966 von diesem
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1068 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Dr. MeineckePodium aus gesagt. Es gibt keinen Vorschlag, den wir damals nicht schon angedeutet haben.Ich könnte — ich würde das sehr freundlich tun — zu Herrn Kollegen Stoltenberg sagen: Herr Kollege von der einen Wasserkante, warum haben Sie nicht die Rede des Kollegen von der anderen Wasserkante — so würde Herr Wehner sagen — damals ein wenig näher analysieren lassen und ohne Gesetzesauftrag, aber in der politischen Verantwortung des Ministeriums die Dinge einmal durchrechnen lassen?Ich will hier auf diese Dinge nicht weiter zurückkommen, aber ein wenig muß man es schon richtigstellen.
Herr Kollege Dr. Meinecke, würden Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Dr. Walz zulassen?
Gern, Frau Kollegin.
Herr Kollege, auf Grund welcher meiner Äußerungen kommen Sie dazu, zu sagen, daß wir die integrierte Gesamthochschule verteufeln? Ich sagte Ihnen ja gerade, daß in Baden-Württemberg das kooperative neben dem integrierten Gesamthochschulsystem erprobt wird.
Zwischen den Zeilen Ihrer Äußerungen zu dem Problem der Gesamtschule und der Gesamthochschule lag eine gewisse Verteufelung.
— Sie können es ja im Protokoll nachlesen.Meine Damen und Herren, ich bin sehr glücklich und sehr dankbar, daß die Redner aller Fraktionen hier noch einmal vor der deutschen Öffentlichkeit klargemacht haben, daß die Tatsache, daß sich der Deutsche Bundestag in einer der ersten bildungspolitischen Debatten mit den Fragen der Hochschule und der Zulassungsbeschränkungen beschäftigt, nicht bedeuten soll und nicht bedeuten darf, daß wir die vielen anderen schulpolitischen Probleme nicht gleichzeitig im Auge behalten, und wir die Wichtigkeit und Bedeutsamkeit akzeptieren. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf den in der letzten Legislaturperiode erschienenen Bericht über das Bildungsgefälle in der Bundesrepublik und auf die vielen, vielen in diesen Zahlen zum Ausdruck kommenden Mängelzustände, z. B. Lehrangebot an Berufsschulen, Lehrermangel und dergleichen. Wir berücksichtigen und wir sehen, wenn wir mit den Vertretern der Länder und der Bundes-Rats-Bank diskutieren, welche finanziellen Belastungen den Ländern zuwachsen, auch aus der Problematik des allgemeinbildenden Schulwesens. Wir wollen das hier nicht vergessen, damit auch in der Öffentlichkeit klar wird, worüber wir reden und daß wir heute gezwungen sind, gewissermaßen nur durch
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1069
— Herr Vogel wird nachher dazu Stellung nehmen — bei 200 000 bis 250 000 DM.
— Ja, Moment, ich fange unten an und gehe nach oben. Ich will Sie doch nicht gleich schockieren, Herr Kollege.In diesen Kosten ist der Multiplikator nicht enthalten, der sich durch Folgekosten in den Haushalten der Länder niederschlägt. Welch astronomische Zahlen haben wir da vor uns, und wie hoch ist hier die Diskrepanz auch in der Betrachtung aller betroffenen Kreise?! Ich wäre dankbar, wenn der hier anwesende Präsident der Kultusministerkonferenz hierzu einige sehr deutliche Worte sagen würde.
Meine Damen und Herren, unklar und völlig undifferenziert betrachtet werden z. B. gewisse flankierende Maßnahmen wie Studienzeitverkürzung, die inneruniversitären Reformen und die Einführung des Fernstudiums im Medienverbund hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, uns bei diesem Problem zu entlasten. Dabei muß man natürlich wissen, daß die Einzelbetrachtung eines Problems — z. B. der Wirksamkeit des Fernstudiums oder der Negierung einer solchen Wirksamkeit — völlig uninteressant ist und nicht das Problem trifft, weil wir nämlich den Effekt aller dieser Maßnahmen in der Komplexität und im Zusammenwirken betrachten müssen.Ich komme noch einmal ganz kurz zurück auf die Projektgruppe: „Numerus clausus", und zwar deshalb, meine Damen und Herren, weil es uns offenbar nicht gelingt, die unseren Entscheidungen vorauszusetzende transparente sogenannte Formel des Numerus clausus wirklich einmal zu erarbeiten und dann auch durchsichtig zu machen. In dieser Formel gibt es eine Fülle voneinander abhängiger Faktoren, die sich gegenseitig beeinflussen.Was wir wissen, ist die zur Zeit vorhandene Zahl der Studierenden, von der auszugehen ist. Was wir wissen, ist die Zahl derjenigen, die einen Studienplatz haben wollten und die eben keine Studierenden sind, weil sie abgelehnt wurden, also die Zahl der abgelehnten Abiturienten. Aber wir kennen diese Zahlen nur in drei Disziplinen. In allen anderen Disziplinen ist diese Zahl unbekannt. Was wir nicht wissen, ist die Zahl der vorauszuschätzenden Abiturienten in zehn Jahren. Ich habe auf die Schwankungsbreite hingewiesen. Was wir nicht wissen, ist das große Kapital der in diese Formel einzubringenden Kapazitäten. Dabei ist uns klar, daß diese Kapazität abhängig ist von der Qualität des Instituts, von dem zeitlichen Durchlauf, von der Notwendigkeit, soundso viele Jahre im Institut zu bleiben. Wir wissen nicht, wie sich diese Kapazität berechnet — es wurde schon gesagt —, und hier brauchen wir ganz dringend objektive Maßstäbe. Diese objektiven Maßstäbe müssen für alle Hochschulen verbindlich sein.
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1070 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Dr. MeineckeWas wir nicht wissen, ist eben die Wirkung flankierender Maßnahmen oder — ich möchte es einmal verkehrspolitisch sagen — die Möglichkeiten des Ausweichens auf ein Nebengleis in seiner Effektivität für die Hochschulen. Aber es müßte, so meine ich wohl, einem guten Team von Systemanalytikern möglich sein, innerhalb ein bis zwei Jahren die Numerus-clausus-Formel darzustellen, nach der wir dann hier unsere Entscheidungen zu treffen haben.Nichts, meine Damen und Herren — das ist mein Schluß — ist so manipulierbar wie der Numerus clausus, und zwar mit der Veränderung schon einer Größe — ob das nun hier geschieht, ob das in einem Landesparlament oder ob es inneruniversitär geschieht. Hier verlangen wir eine Mitarbeit von denjenigen, die im Zug sitzen und ja wohl auch wollen, daß die, die vor der Tür stehen, in den Zug einsteigen können. Wir glauben, daß sich hier im gemeinsamen Zusammenwirken und in der Verwirklichung der Vorschläge Lösungsmöglichkeiten anbieten.
— Unter „Nebengleisen" würde ich z. B. die Möglichkeiten der Ausgestaltung des Studiums durch Bildungsfernsehen, durch Ausweichen auf gewisse Institutionen und Akademien verstehen. Es gibt eine ganze Menge davon. Man müßte den gesamten Katalog einmal zusammenstellen. Das wäre Sache einer Ausschußsitzung.Ich glaube, meine Damen und Herren, man darf sagen, daß der Numerus clausus aber auch eine Infektionskrankheit ist, deren Eigentümlichkeit darin besteht, daß sich der gefährdete Patient, sprich: Fachbereich oder Fachdisziplin, vorzeitig selbst infiziert und dann ins Bett legt, um nicht von den virulenten Bazillen und der schwersten Krankheit überrollt zu werden, indem die Fakultät einer Universität, deren Nachbaruniversität die Türen zusperrt, sagt: Ich sperrre auch zu, denn sonst kommen alle zu mir, und dann habe ich die Überschwemmung, mit der ich nicht fertigwerden kann. Das ist auch eine Methode, sich vorzeitig ins Bett zu legen. Ich glaube, daß hier nur eines hilft, nämlich ein „Bundesseuchengesetz" gegen diese unreflektierte und unkritische Art, den Numerus clausus einzuführen. Wir erwarten von dem Bundesrahmengesetz Maßnahmen, Herr Minister, bei denen allerdings bestimmte allgemeinverbindliche Regeln bei der Betrachtung der Kapazitäten und der Anwendbarkeit des Numerus clausus beachtet werden müssen.Ich glaube, daß wir politisch dahin kommen müssen, daß man von dem fast schon selbstverständlich gewordenen Begriff des Numerus clausus abgeht und ihn zurückspult, zurückführt auf das, was er ursprünglich gewesen ist und was wohl auch jetzt noch rechtlich unumstritten ist, nämlich daß es ausschließlich einen technisch bedingten Numerus clausus gibt, der zeitlich zu begrenzen ist und sich nur durch den Mangel an Labor- und exakt definierbaren Arbeitsplätzen und nicht durch etwas anderes motivieren läßt.Wenn wir, meine Damen und Herren, die Beschlüsse fassen, die hier zu fassen sind, und wenn es uns gelingt, eine Fülle auch finanzpolitischer Maßnahmen zu beschließen — mein Kollege Wichert wird darauf sicher noch zu sprechen kommen —, mit denen wir die Zulassungsbeschränkungen überwinden können, sind die von Bund und Ländern zu treffenden Entscheidungen — das muß ich hier ganz ernsthaft sagen — in ihren finanziellen Konsequenzen als gleichrangig mit der seinerzeit getroffenen Entscheidung zur Einführung der allgemeinen Schulpflicht zu betrachten.
Als nächster Redner hat sich der Herr Kollege Pfeifer zu Wort gemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Debatte über die Beseitigung des Numerus clausus ist im Grunde genommen nutzlos, wenn sie nicht zu einem möglichst breiten Konsensus der politisch Verantwortlichen hier im Bundestag und überhaupt in der politischen Öffentlichkeit führt.
Deswegen war ich einigermaßen bestürzt über die Polemik und die Tendenz, die zumindest teilweise in diese Debatte hineingebracht worden ist. Daher verstehe ich es im Grunde genommen auch nicht, warum etwa unter Ziffer III der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage die Verantwortung für die Versäumnisse der vergangenen 20 Jahre derart einseitig verteilt wird. Meine Damen und Herren, da das nun aber in der Debatte ist, ist es, glaube ich, notwendig, dazu wenigstens einige Worte zu sagen.Zunächst stellt die Bundesregierung selbst fest, daß der Vorwurf der Untätigkeit in der Vergangenheit weder gegenüber den Ländern noch gegenüber den Hochschulen noch gegenüber dem Bund Berechtigung hat. Ich glaube, daß diese Feststellung schon deswegen richtig ist — darauf ist heute morgen in einer Zwischenfrage hingewiesen worden —, weil eben der Bund in der Vergangenheit keine Kompetenz auf hochschulpolitischem Gebiet gehabt hat. Deswegen sind die Vorwürfe an die Vorgängerin der jetzigen Bundesregierung meines Erachtens völlig ungerechtfertigt.
Es kommt aber noch ein Zweites hinzu. Wenn die jetzige Bundesregierung in ihrem Bericht auf Seite 4 ebenfalls anerkennt, daß es ein Verdienst der letzten Bundesregierung gewesen sei, daß sie hier eine andere Kompetenzverteilung erreicht habe, wäre es unter diesem Aspekt politisch klüger gewesen, den Versäumniskatalog in der Ziffer III zu unterlassen.Noch etwas in diesem Zusammenhang! Wenn man über Versäumnisse in der Vergangenheit spricht, dann kann man wohl nicht übersehen, was etwa der Vorsitzende der Bundesassistentenkonferenz wäh-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1071
Pfeiferrend des Hearings im Wissenschaftsausschuß gesagt hat. Ich darf das mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten kurz zitieren. Der Vorsitzende der Bundesassistentenkonferenz führte aus:Ich sehe die Hauptursache dafür, daß es nicht zum Abbau oder zur Verhinderung des Numerus clausus gekommen ist, darin, daß wir keine innere Strukturreform der Universitäten gehabt haben.Und er fährt dann fort:Meines Erachtens hat der Wissenschaftsrat mit seinen Empfehlungen bis 1970 immer nur die bestehenden Strukturen und die Perpetuierung der bestehenden Strukturen im bisherigen System als Ausgangspunkt gehabt.In diesem System ist in der Tat mit zusätzlichen Personalmitteln wenig zu machen.Sicherlich wird man auch zu dieser Kritik manches sagen müssen.Aber ich glaube, daß man auch kritisch durchleuchten muß, was der Wissenschaftsrat an Vorschlagen in den letzten zehn Jahren gebracht hat, wenn man ein gerechtes Urteil über das fällen will, was sich an Versäumnissen in der Vergangenheit erwiesen hat.
Wenn es einen Vorwurf an die politisch Verantwortlichen gibt, dann vielleicht den, daß vielerorts allzu unkritisch Thesen des Wissenschaftsrates übernommen wurden. Aber diesen Vorwurf sollten gerade die Koalitionsfraktionen in der jetzigen Situation nicht an die letzte Bundesregierung richten.
Ein Drittes! In dem Bericht der Bundesregierung über die Versäumnisse der letzten Jahre heißt es, man habe die bestehenden Hochschulen ständig vergrößert, ohne neue Hochschulen in ausreichendem Maße zu gründen. Das ist auch meine Auffassung. Aber dann möchte ich doch einmal fragen: in welchen Ländern sind denn in den vergangenen zehn Jahren Universitäten gegründet worden?
Das war doch Baden-Württemberg, das war Bayern, und das war Nordrhein-Westfalen, solange unser Kollege Mikat dort Kultusminister gewesen ist,
während demgegenüber beispielsweise in Bremen seit zehn Jahren der Versuch, eine Universität zu gründen, im Grunde genommen nicht von der Stelle kommt.
Das sind Dinge, die man auch einmal ausführen muß.
Dann noch etwas! Da heißt es im Bericht der Bundesregierung, die Tatsache sei zu wenig berücksichtigt worden, daß die Bildungsexpansion in den Schulen vor den Toren der Hochschule nicht Haltgemacht habe und daß es im Grunde genommen falsch gewesen sei, daß erst in den letzten vier Jahren so etwas wie eine gemeinsame Schul- und Hochschulplanung eingesetzt habe. Sicherlich, der Versuch, diese Planungen in Übereinstimmung zu bringen, ist vielerortens zu spät erfolgt. Aber auch hier muß man wiederum zunächst an die Adresse des Wissenschaftsrats die Frage richten: warum hat er nicht selbst dafür gesorgt, daß hier früher eine Übereinstimmung zustande gekommen ist. Und man muß insbesondere zweitens bemerken, daß beispielsweise in Baden-Württemberg bereits lange vor dem Jahre 1966, nämlich im Grunde genommen schon im Jahre 1964, der Versuch unternommen wurde, Schulplanung und Hochschulplanung miteinander in Einklang zu bringen. Der Kultusminister des Landes Baden-Württemberg hat deswegen im Jahre 1964 ja auch vorgeschlagen, nicht den Bildungsrat neben dem Wissenschaftsrat, sondern einen gemeinsamen Bildungs- und Wissenschaftsrat zu gründen.
Dieser Vorschlag ist jedoch entschieden gescheitert am damaligen Widerstand auch der SPD-Kultusminister.Sehen Sie, Herr Moersch, wenn Sie hier schon Vorwürfe an die Adresse von Baden-Württemberg richten, dann müssen Sie der Gerechtigkeit halber auch einmal diese Dinge nennen. Dann werden Sie feststellen, was auch der Kultusminister von BadenWürttemberg festgestellt hat: daß von den Vorwürfen, die wegen einer ganzen Reihe von Versäumnissen in der Vergangenheit sicherlich nicht zu Unrecht an manche Adresse gerichtet werden müssen, gerade die CDU-regierten Länder nicht betroffen sein können.
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Moersch zu? — Bitte, Herr Kollege Moersch.
Herr Kollege Pfeifer, würden Sie bestätigen können, daß erstens der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung Dr. Stoltenberg vier Jahre im Wissenschaftsrat vertreten war und daß zweitens die Fraktionen der FDP und der SPD im Gegensatz zu einem Teil Ihrer Parteifreunde hier im Hause für die Vereinigung von Wissenschaftsrat und Bildungsrat eingetreten sind?
Daß der Herr Bundeswissenschaftsminister im Wissenschaftsrat vertreten gewesen ist, ist sicher richtig. Aber worum es geht, ist doch erstens, daß er keine staatlichen Kompetenzen im Rahmen des Bundesaufbaues gehabt hat, sondern nur eine Art Beraterfunktion,
und zweitens, daß der Vorschlag, Bildungsrat und Wissenschaftsrat zu vereinigen, bestimmt nicht am Widerstand der CDU oder der CDU-Kultusminister gescheitert ist.
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1072 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Pfeifer
Das ist einfach nicht richtig.
Meine Damen und Herren, ich will jetzt diesen Teil verlassen, weil ich glaube, daß es vielleicht notwendig ist, sich noch einigen konstruktiven Gedanken zuzuwenden.Die Koalitionsparteien haben im Wissenschaftsausschuß einen Beschluß gefaßt, der sozusagen Programmpunkte zum Abbau des Numerus clausus enthält. Ich bin sicher, daß eine ganze Reihe dieser Punkte auch von uns befürwortet und übernommen werden können, wenn ich vielleicht auch nicht an die Spitze dieses Programms den Punkt „Ausweitung der zentralen Registrierstelle in Hamburg" gestellt hätte. Sicher, diese Ausweitung kann man machen, und man soll das tun. Man muß sich aber darüber im klaren sein, daß die Ausweitung dieser Stelle im Grunde genommen nicht einen einzigen neuen Studienplatz, sondern allenfalls eine bessere Verwaltung des Numerus clausus bringt und insofern eben kein Vorschlag unmittelbar zum Abbau des Numerus clausus ist. Aber, wie gesagt, es gibt in diesem Beschluß Punkte, die wir sicherlich mit unterstreichen.Was meines Erachtens ein Streitpunkt sein könnte - ich bin mir nicht sicher, ob es so ist —, ist etwas anderes. Sie sehen in dem vorrangigen Ausbau der Kapazitäten in den Hochschulen sozusagen das erste Heilmittel, um die Notsituation des Numerus clausus abzubauen. Ich bin der Meinung, daß die Kapazitätserweiterungen sein müssen. Aber es ist doch auch nicht zu bestreiten, daß etwa seit dem Jahre 1961 die Kapazität im Lehrpersonal und auch die Raumkapazitäten in den Universitäten wesentlich schneller gewachsen sind als die Studentenzahlen und wir trotzdem seit dem Jahre 1961 eine ständige Zunahme und Verschärfung des Numerus clausus an den Universitäten erlebt haben. Das heißt doch, daß eine Ausweitung der Kapazitäten allein für eine Verbesserung der Situation nicht ausreicht, sondern mindestens ebenso notwendig ist eine gleichzeitige grundsätzliche Reform etwa der Studienstruktur, der Studiengänge, eine Reform der Berufsbilder, also der Studienziele, und — ich lege noch einmal Wert darauf — eine gleichzeitige Reform auch der Lehrkörperstruktur. Genau das wollen wir in den Mittelpunkt des Antrages stellen, den wir uns erlauben heute auf den Tisch des Hauses zu legen, damit hier der Zusammenhang zwischen der Reformnotwendigkeit und der Notwendigkeit, Kapazitäten auszubauen, nicht verlorengeht.Als Kernstück dieser Reform sehe ich nach wie vor die Studienreform mit dem Ziel an, die Studiengänge so umzugestalten, daß es möglich wird, in einem wesentlich kürzeren Zeitraum als im Augenblick zu einem Studienabschluß zu gelangen, der ausreicht, um später in ein akademisches Berufsleben einzutreten.
Wir sind der Meinung, daß es hier bei der Beratung des Hochschulrechtsrahmengesetzes notwendig sein wird, sehr deutlich die Verpflichtung der Universitäten zu diesen Studienreformen zu manifestieren und zum Ausdruck zu bringen.In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf ein anderes Problem kurz eingehen. Wir haben zur Zeit eine Fülle von Vorschlägen für die Studienreform; eine Fülle von Vorschlägen sowohl im politischen Raum als auch in den Universitäten. Ich sehe die Gefahr, daß das zur Folge hat, daß sich die Studienreformbestrebungen in den einzelnen Universitäten, ja sogar in den einzelnen Fachrichtungen in den Universitäten, in ganz unterschiedliche Richtungen entwickeln können, so daß im Grunde genommen in Zukunft jeder Wechsel des Studienorts eine Verlängerung des Studiums zur Folge haben wird. Ich glaube, wir müssen versuchen, bei der Verabschiedung des Hochschulrechtsrahmengesetzes ein Verfahren zu finden, das es erlaubt, die Studienreform sowohl innerhalb der Universitäten als auch zwischen den Universitäten zu koordinieren; denn es kann ja wohl nicht so weitergehen, daß beispielsweise die Westdeutsche Rektorenkonferenz eine Reihe von Rahmenstudienordnungen verabschiedet, die dann von einer gewissen Zahl von Universitäten einfach nicht übernommen werden. Hier müssen wir einfach ein besseres Koordinationsverfahren zustande bringen.Die Verminderung des Numerus clausus setzt die Bereitschaft des Bundes zu einer wirksamen finanziellen Hilfe an die Länder voraus.
Das ist ein Punkt, der beispielsweise in dem Beschluß des Wissenschaftsausschusses mit keinem Wort erwähnt worden ist. Daß wir darüber keine Auskunft bekommen haben und dennoch im Ausschuß einen Beschluß über die Maßnahmen zur Minderung des Numerus clausus verabschieden sollten, war ja auch der Grund, weshalb wir dort gesagt haben: So hat es keinen Sinn, in die Beratungen einzutreten bzw. sie fortzusetzen.Wir hätten erwartet, daß die Bundesregierung den Ländern eine konkrete, wirksame finanzielle Hilfe so rechtzeitig angeboten hätte, daß noch für die beiden kommenden Semester in diesem Jahre 1970 eine spürbare Vermehrung der Studienplätze möglich gewesen wäre. Langfristige Konzeptionen zum Abbau des Numerus clausus sind notwendig. Aber ebenso notwendig ist es, daß man kurzfristig in einem Sofortprogramm den Abiturienten hilft, die im Jahre 1970, 1971 und 1972 nach mehr Studiengängen suchen. Die Bundesregierung ist in ihrer Antwort auf die Große Anfrage die Antwort auf die Frage, was sie für diese Abiturienten tun will, schuldig geblieben.
Natürlich erfordern der Ausbau und die Reform der Universitäten wesentlich mehr finanzielle Mittel, als wir in der Vergangenheit aufgewendet haben. Man muß einmal in aller Deutlichkeit sagen, daß auch Reformen Geld kosten, wenn sie auch auf die Dauer Geld einsparen. Gerade deswegen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1073
Pfeiferhabe ich im Grunde genommen wenig Verständnis dafür — und ich nehme das auf, was Frau Kollegin Walz heute morgen gesagt hat —, daß die Bundesregierung immer wieder sagt, über die Finanzen könne sie im Augenblick keine klaren Angaben machen. Ich habe dafür um so weniger Verständnis, als soundso viele Länder darauf angewiesen sind, möglichst früh konkrete Angaben zu bekommen.In diesem Zusammenhang zeigt sich eben, daß es falsch gewesen ist, daß die Bundesregierung zu Beginn ihrer Amtszeit Steuergeschenke in der Größenordnung von mehreren Milliarden Mark bis 1972 angeboten hat, ohne zuvor die Bildungsfinanzierung auch nur einigermaßen geklärt zu haben.
— Ich jedenfalls, Herr Moersch, habe kein Verständnis dafür, daß mit dem Wegfall der Ergänzungsabgabe Steuererleichterungen auch für hohe und höchste Einkommen vorgeschlagen werden, solange niemand sagen kann, woher das Geld kommen soll, das notwendig ist, um unseren Abiturienten die Studienplätze zu sichern.
Abschließend möchte ich noch einmal das wiederholen, was ich am Anfang gesagt habe: die Überwindung des Numerus clausus wird nur möglich sein, wenn alle diejenigen, die in diesem Hause und auch in den Ländern Verantwortung tragen, sich auf ein gemeinsames Konzept zur Überwindung der Schwierigkeiten einigen. Deswegen sind auch wir in der Opposition in der Zukunft in dieser Hinsicht zu jeder Kooperation mit der Bundesregierung bereit.
Ich höre gerade, daß der Kollege Pfeifer seine erste Rede in diesem Hohen Hause gehalten hat. Herr Kollege, ich beglückwünsche Sie dazu im Namen des Hauses.
Meine Damen und Herren, gemäß Art. 43 Abs. 2 des Grundgesetzes erteile ich Herrn Staatsminister Vogel von Rheinland-Pfalz als Mitglied des Bundesrates das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich darf mich zunächst für die Möglichkeit bedanken, vor diesem Hohen Hause einige kurze Bemerkungen zu dem uns Kultusminister natürlich außerordentlich bewegenden Thema zu machen.
Vorweg eine mehr technische Bemerkung: Wir bedauern, daß die Antworten der Länder zu einer Reihe von Fragen, die beantwortet werden müssen, nicht zur Verfügung standen. Es liegt das ganz einfach an der Umdisponierung dieses Hohen
Hauses, die zu anderen Terminsetzungen führte. Selbstverständlich werden wir, wie von Herrn Minister Leussink erbeten, die Antworten geben. Ich hoffe, es wird möglich sein, Sie dann, wo das gewünscht wird, noch als Anlage den Äußerungen von Herrn Minister Leussink beizufügen.
Ich bin dankbar, daß in der genannten Antwort des Herrn Bundesministers sehr deutlich dargestellt wird, daß die Verantwortlichen, insbesondere die Länder, in der Vergangenheit keineswegs untätig gewesen sind, wenngleich ich hinzufügen muß, daß wir sehr wohl wissen, daß das, was getan worden ist, fraglos und sichtbar nicht ausreicht. Wir müssen darauf hinweisen, daß auch hier erhebliche Kriegsfolgelasten — personell und sachlich — zu bewältigen waren und daß wir trotz größter Anstrengungen heute wissen, daß uns wesentlich mehr an Unterstützung zuteil werden muß, wenn wir unsere Aufgabe tatsächlich erfüllen sollen. Deswegen fürchten wir meine Damen und Herren auch keineswegs Ihre Beteiligung und Ihre Unterstützung, sondern wir bitten sogar darum. Wir bitten um die Aufmerksamkeit dieses Hohen Hauses und der ganzen Öffentlichkeit. Wir bitten um Ihre tatkräftige Hilfe, weil wir wissen, daß wir allein nicht nur der Kompetenzen wegen, sondern auch der Größe des Problems wegen diese Aufgabe nicht bewältigen können.
Wir fügen hinzu, daß wir auch wissen, daß der Höhepunkt der Schwierigkeiten im gesamten Bildungsbereich und auch im Bereich der Hochschule keineswegs schon gekommen ist, sondern uns erst für die Jahre 1972 bis 1975 bevorstehen wird.
Ich glaube, ich sollte hinzufügen, daß der gelegentlich vorhandene Eindruck, bei uns auf Länderseite herrschte Scheu und Zurückhaltung, zumindest nicht das wahre Bild der gegenwärtigen Stimmung in der Kultusministerkonferenz wiedergibt. Wir sind zur Kooperation, wir sind zur Mitarbeit und zur Zusammenarbeit bereit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es herrscht Einmütigkeit darin, daß wir nicht für einen Hochschulbereich, für die Universitäten, beschränkt planen können, sondern daß Planung und Diskussion im Planungsausschuß breiter auf den ganzen tertiären Hochschulbereich bezogen sein müssen,
daß wir aber andererseits in unserer Entscheidungskompetenz auf dem Bereich der wissenschaftlichen Hochschulen durch das Gesetz festgelegt sind.
Ich bitte den Bund um Verständnis dafür, daß es für uns von elementarer Bedeutung ist zu wissen, wo
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Staatsminister Dr. Vogelwir mit freundlicher Hilfe und Unterstützung des Bundes rechnen können und wo wir tatsächlich mit einer gesetzlich abgesicherten Verpflichtung des Bundes rechnen können.
Natürlich ist uns die Hilfe in beiden Fällen hoch willkommen wenn ich es so ausdrücken darf —, aber die Hilfe ist für uns von unterschiedlicher Entlastung, weil sie uns in einem Fall zusätzliche Möglichkeiten gibt und in anderem Fall unsere Bildungsetats auf längere Zeit tatsächlich entlastet und eine Umakzentuierung möglich macht.
Es gilt vielleicht noch anzumerken, daß dort, wo der Herr Bundeswissenschaftsminister von der Gesamthochschule spricht und wo er sagt, daß der Schwerpunkt auf der Ausbildung liegen müsse, hinzugefügt werden darf, daß wir bei aller Problematik des Numerus clausus von heute die Probleme des Ausbaus der Forschung nicht dahinter zurückstellen dürfen, weil wir uns wohl alle darin einig sind, daß die Forschung von heute die Lehre von morgen darstellt.
Auch möchte ich ohne jeden Unterton der Verteidigung, sondern vielleicht nur zur Ergänzung sagen, daß der Gedanke der „Vergrößerung ohne Veränderung" vielleicht ein wenig die Schwierigkeit übersieht — um es im Bild zu sagen —, ein Haus umzubauen, während es nicht nur bewohnt, sondern in allen Zimmern stark überbelegt ist. Es wird die Schwierigkeit übersehen, daß dieses Haus der Hochschulen eben nicht nur der Reform, sondern auch einem noch nie gekannten Zustrom an Studenten ausgesetzt. ist. Daß wir Versuche von Veränderungen unternommen haben, mögen Namen wie Konstanz, Ulm, Bielefeld, Bochum, Regensburg oder was Sie nennen mögen, verdeutlichen.Vorhin ist häufig die Registrierstelle in Hamburg zitiert worden. Die Kultusministerkonferenz hat vor einigen Wochen den Beschluß gefaßt, diese ihre Registrierstelle umzuwandeln von einer Stelle, die nur den Mangel erfaßt, zu einer Stelle für den Nachweis freier Studienkapazitäten, auch in jenen Fächern, wo wir nur an einigen Stellen den Numerus clausus haben, aber dem Abiturienten sagen wollen, an welchen anderen Plätzen er das gewünschte Studium beginnen und durchführen kann.
— Manches hat in der Kultusministerkonferenz lange gedauert, Herr Abgeordneter, ganz fraglos. Aber selbst dieser Vorwurf, den ich gar nicht entkräften kann, schwächt doch wohl nicht die begrüßenswerte Tatsache, daß wir nun wenigstens diesen Beschluß Gott sei Dank gefaßt haben.
Hinsichtlich der Kriterien der Beschränkung wissen wir, daß es die zwei Extremforderungen gibt: Los, d. h. eigentlich Kapitulation, überhaupt irgend- weiche Kriterien festzulegen; oder aber ausschließlich Leistungskontrolle. Nach langen Diskussionen haben wir eine Mischform von Leistungskontrolle und Anciennität mit einer Härteklausel gewählt: 60 % nach Leistung, 40 % nach der Dauer des Wartens. Aber ich möchte ausdrücklich sagen: Weil der Numerus clausus eine schlechte Sache ist, ist natürlich jede Formel jeder Registrierstelle auch eine schlechte Sache. Wir können uns allerhöchstens darüber unterhalten, wo das Übel am geringsten ist. Den Numerus clausus mit einer überzeugenden Formel tatsächlich durchzuführen, wird nie gelingen.Das Problem der gleichmäßigen Kapazitätserfassung hat uns schließlich gerade in der vergangenen Woche zu dem Beschluß der Kultusministerkonferenz geführt, eine einheitliche Kapazitätsfeststellung auf der Basis der sogenannten Formel Braun durchführen zu lassen und das Hochschulinformationssystem mit der Durchführung zu beauftragen.Ich darf in diesem Zusammenhang auf Ihre Frage, Herr Abgeordneter, nach den Kosten eines Studienplatzes antworten. Ich muß vorausschicken, daß die Antwort natürlich einer gewissen Einschränkung bedarf. Sie wissen, wie schwer exakte Zahlen hier zu nennen sind. Ich will es aber doch versuchen. Die Kosten eines Studienplatzes — nicht für einen Studenten, der z. B. ein Semester Anglistik hört, sondern für einen Studienplatz, der ein volles Studium vom ersten Semester bis zum Examen ermöglicht — liegen in den einzelnen Disziplinen verständlicherweise völlig unterschiedlich. Bei den Geisteswissenschaften müssen wir mit Kosten von 25 000 bis 30 000 DM rechnen, hei den Naturwissenschaften mit Kosten zwischen 75 000 und 80 000 DM und bei den Medizinern mit Kosten von etwa 200 000 DM. Das Übel an unserer Situation ist, daß der größte Bedarf im Augenblick genau dort liegt, wo die Studienplatzkosten am höchsten sind, daß wir also gerade dort besondere Investitionen vornehmen müssen. Ich darf hinzufügen: Diese Kosten sind ohne jede Folgekosten genannt; es kommen durchschnittlich etwa 16 bis 20 % Folgekosten hinzu, mit denen wir bei den Einrichtungen im Hochschulbereich rechnen müssen, zumindesten im Bereich der wissenschaftlichen Hochschulen.Zu dem Themenkreis Fernstudium im Medienverbund gestatten Sie mir nur zwei Bemerkungen. Zunächst zu dem Vorwurf, wir liefen Gefahr, die Hochschulen an der Entwicklung dieser Modellvorstellungen nicht genug zu beteiligen. Meine Damen und Herren, zwanzig Jahre hätte jede deutsche Hochschule Zeit gehabt, einen Modellvorschlag zu machen. Wenn wir jetzt von uns aus hier Anregungen gegeben haben, dann bestimmt nicht in der Absicht, die Hochschulen auszuschalten, sondern nur — wenn ich es einmal so ausdrücken darf —, um die Hochschulen nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß sie sich auch dieser Aufgabe annehmen müssen, einer Aufgabe, von der wir nicht glauben, daß etwa durch Fernstudium im Medienverbund das Kapazitätsproblem zu lösen sei. Hier ist nicht die Wunderwaffe, die uns alle Sorgen vom Halse schafft, aber hier ist eines unter vielen anderen Mitteln, das wir gebrauchen und das wir nützen müs-
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Dr. Vogelsen, und hier ist ein Mittel, dessen Einsatz Jahre brauchen wird. Dieses Mittel muß deswegen jetzt von uns wenigstens in die Erprobung und ins Experiment geschickt werden, damit wir es in einigen Jahren, wenn die Schwierigkeiten auf den Höhepunkt kommen — ich sprach vorhin davon —, miteinsetzen können.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Numerus clausus ist eine Notmaßnahme; aber ich sollte vielleicht hinzufügen: nicht zur Abwehr von Studenten, sondern zunächst einmal zur Sicherung der Studiermöglichkeiten für die, die die Zulassung tatsächlich erhalten. Der Numerus clausus darf, wenn er in einzelnen Disziplinen schon eingeführt wird, nur in Verbindung mit gesicherten, rasch wirksamen Ausbaumaßnahmen und Ausbauplänen eingeführt werden, und ich meine, er dürfte nirgends länger als für ein Semester, allerhöchstens ein Studienjahr genehmigt werden. Dann muß erneut über die Berechtigung seines Fortbestands im einzelnen Fach entschieden werden.Trotzdem sollte man ein wenig vorsichtig sein, das Abitur wegen des Numerus clausus generell bereits als denaturiert zu bezeichnen.
Es entsteht leicht der Eindruck, als überwögen der Numerus clausus und die Formel der Registrierstelle in Hamburg. Gott sei Dank ist das nicht so. Die Mehrzahl der Studienplätze wird nicht über den Numerus clausus, sondern ohne ihn vergeben. Natürlich müssen wir über die Umgestaltung des Abiturs sprechen. Aber das geht eigentlich nur über eine Debatte über die Umgestaltung der Oberstufe des Gymnasiums. Nicht dieses Papier und dieses Examen allein kann in die Debatte geraten, sondern die Frage, wie wir den letzten Abschnitt — ich bin etwas vorsichtig, ob ich drei Jahre oder zwei Jahre sagen soll —, die Oberstufe also des Gymnasiums, künftig ordnen wollen.Es ist vorhin schon gesagt worden: dieser Numerus clausus ist ein Symptom der Schwierigkeiten und ist nicht eigentlich die Schwierigkeit selbst, über die wir hier zu sprechen haben.
Es gehört die Reform der Hochschule dazu, und es gehören die Gesetze dazu, obwohl ich auch da ein wenig warnen möchte, etwa neue Hochschulgesetze schon als Abschluß der Hochschulreform zu betrachten. Gesetze vermögen, wenn sie gelingen, die Hochschule in den Stand zu setzen, sich zu reformieren, vermögen nicht selber schon die Reform darzustellen.Das geht hier nicht mit einer Maßnahme und einem Maßnahmenkatalog, sondern nur durch die Lösung einer ganzen Summe von gestellten Aufgaben. Dieses Werk werden wir allerdings, meine Damen und Herren, allesamt nicht zum Erfolg führen können, wenn sich die Studentenschaft der Mitarbeit an der Lösung dieser Aufgaben versagen sollte.
Wir werden die Aufgaben nur meistern, wenn die Kooperationsbereitschaft auch von seiten der Studentenschaft sicher mit einkalkuliert werden kann und wenn für die Universitäten nicht nur mehr Geld und mehr Raum und mehr Studienplätze bereitgestellt werden, sondern wenn auch ein entsprechender Geist für diese neue Reform dazu beiträgt, das Problem zu bewältigen.Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, das hier vor Ihnen zu sagen. Ich möchte noch einmal sagen: von uns, von seiten der Kultusminister unserer Länder, ist die Bereitschaft zur Kooperation uneingeschränkt vorhanden.
Das Wort hat der Herr Kollege Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich bin der Meinung, daß es uns nicht weiterführt, wenn wir allzusehr in die Vergangenheit zurückkehren und die Versäumnisse der Vergangenheit aufzählen. Aber nachdem zumal Herr Kollege Pfeifer soeben den Vorwurf des Kollegen Meinecke als unberechtigt zurückgewiesen hat, weil der Bund in der Vergangenheit keine Kompetenzen gehabt habe, und nachdem auch die Frau Kollegin Walz heute früh ausgesagt hat, daß die CDU ihre Konzeption in der Vergangenheit nicht so gut verkaufen konnte — Sie haben dabei ein bißchen laut gedacht, Frau Kollegin —, wie es die SPD derzeit tut, und dabei darauf hinwies, daß man von seiten der CDU Rücksicht auf das Verhältnis Bund—Länder haben nehmen müssen, bin ich der Meinung, daß einige Dinge hier richtiggestellt werden müssen.Sie beide sind neu in diesem Haus. Aber ich glaube nicht, daß Ihnen die Haltung der CDU/CSU-Fraktion in der Vergangenheit unbekannt ist. Wenn Sie das Argument des Verhältnisses Bund—Länder als Entschuldigung hier in den Vordergrund stellen, dann muß ich Sie auf die Debatten in der letzten Legislaturperiode verweisen, wo es die Fraktion der Freien Demokraten war, die vorgeschlagen hat, dieses Verhältnis zu ändern. Sie erinnern sich an die Debatte urn die Art. 74 und 75. Diese unsere Vorschläge sind doch gerade von Ihrer Fraktion abgelehnt worden. Deswegen ist es durchaus berechtigt, zu sagen, wie es an dieser Stelle schon geschehen ist, daß die CDU/CSU-Anfrage im Grunde eine Anfrage an ihre eigenen Versäumnisse über 20 Jahre hinweg ist. Denn das Ergebnis, daß nämlich die Bundesrepublik Deutschland weit hinter der internationalen Entwicklung zurückliegt, stellte die FDP schon seit Jahren fest. Hier darf ich an die verdienstvollen Untersuchungen unserer Freundin Frau Dr. HammBrücher erinnern.Die CDU/CSU — daran besteht für mich kein Zweifel — war auf Grund gewisser ideologischer oder gesellschaftspolitischer Konzeptionen, die sie hatte, nicht in der Lage, das demokratische Bewußtsein hinsichtlich des Grundgesetzauftrages zur Verwirklichung der Grundrechte auch entschieden durchzusetzen. Dafür gibt es Beispiele, die in diesem Hause von Kollegen der CDU/CSU-Fraktion prakti-
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Jungtiziert wurden. Hier wurde z. B. einmal gesagt, daß man „hinausprüfen" müsse, wörtlich: hinausprüfen müsse! Herr Kollege Martin hat das ein bißchen anders ausgedrückt, indem er sagte, man müsse „begrenzen und auf andere Ausbildungswege umlenken." Hier ist der Beweis, daß diese Vorstellungen von einem irrealen Gesellschaftsbild ausgehen, weil ja in den verschiedenen Gebieten der Bundesrepublik keine Chancengleichheit besteht. Sie wissen: verschiedene Schulsysteme, Bildungsgefälle usw. Diese beiden Beispiele zeigen, daß die CDU nicht vom Willen, die Gesellschaft zu emanzipieren, ausging, sondern daß hier eine gewisse obrigkeitsstaatliche Einstellung zu erkennen ist.Nachdem also in den letzten 20 Jahren die CDU vor klarer Erkenntnis von Notwendigkeiten einer Reform des Bildungssystems sich gedrückt und keine oder nur geringe Konsequenzen aus den Empfehlungen des Wissenschaftsrates gezogen hat, der ja vor zehn Jahren schon befand, daß jede Einschränkung des Zugangs zu Universitäten als Eingriff in die freie Berufswahl zu bezeichnen sei und statt dessen eine Erweiterung der Kapazitäten realisiert werden müsse, fragt man nun in entwaffnender Naivität kaum zwei Monate nach der Regierungserklärung kritisch bei der neuen Regierung an, was sie denn schleunigst zu tun gedenke.Meine Damen und Herren! Die Regierung hat erfreulicherweise konkret geantwortet, und schon in der Regierungserklärung wurde deutlich, daß sie nicht wie die CDU in ihrer gesellschaftspolitischen Konzeption vom Bild einer kritiklosen Konsumgesellschaft, in welcher der Bildungswille in allen Schichten nicht gerade gefördert wurde, ausgeht. Sie hat vielmehr sofort — z. B. der Etaterhöhung im Bildungsbereich — Voraussetzungen geschaffen, um eine umfassende Bildungskonzeption im Sinne einer demokratischen, liberalen Gesellschaftsentwicklung durchzusetzen.Die Fragen der CDU/CSU sind also durchaus nicht neu. Im wesentlichen wurden sie schon in der Debatte am 8. November 1966, die sehr kritisch geführt wurde, in diesem Hause diskutiert. Damals stand ja auch der Numerus clausus, vorwiegend zwar im Bereich des Medizinstudiums, im Mittelpunkt, aber schon damals ist auch die Fragwürdigkeit der Zulassung zum Universitätsstudium allein über Abiturzeugnisnoten deutlich geworden. Heute kann es sich also nur darum drehen, daß wir zusätzlich zu den Antworten und den Initiativen der Regierung fragen: Was kann in der Praxis noch mehr getan werden, um den Engpaß, der nun einmal aus diesen Versäumnissen der Vergangenheit entstanden ist, zu überwinden?Bezeichnend ist, daß in den beiden ersten der von der Regierung angeführten Gruppen, in denen der Numerus clausus vollständig oder zu einem hohen Prozentsatz verwirklicht wird, vorwiegend Fakultäten der Naturwissenschaften zu finden sind. Mag sein, daß dafür das Fehlen von Laborplätzen einer der Hauptgründe ist, und mag sein, daß die von Herrn Minister Leussink angekündigten Schnellbaumaßnahmen hier möglicherweise Teilabhilfe schaffen, aber, meine Damen und Herren, damit können wir das Problem nicht beseitigen. Wir müssen langfristig vorplanen! Man kann jetzt hier nicht die Bundesregierung allein dazu auffordern. Ich meine, man kann bei dieser Gelegenheit Herrn Kultusminister Vogel, der jetzt im Lande RheinlandPfalz vor dem Problem steht, eine neue Landesuniversität zu errichten und alle anderen Landesregierungen von dieser Stelle aus auffordern, langfristig vorzuplanen. Jetzt müssen Programme, Programmdiskussionen — wie sie dankenswerterweise im Lande Rheinland-Pfalz derzeit ermöglicht werden —, Programmwettbewerbe und Ideenwettbewerbe vorbereitet werden, um langfristig das Problem, wie Modelle einer neuen Hochschule aussehen und verwirklicht werden könnten, in diesem Jahrzehnt zu lösen.Gleichzeitig aber muß das Problem auch von der Wurzel her angegangen werden. Das wurde soeben auch von Herrn Pfeifer gesagt. Dazu gehört der Abbau gewisser Privilegien der Ordinarien zugunsten des Mittelbaues und studentischer Arbeitsgruppen. Nur dadurch können wir dem Massenstudium entgegenwirken und bessere Studienbedingungen für den einzelnen schaffen, daß wir den Begriff des Teamwork auch im Universitätsstudium mehr und mehr einführen. Wir kennen ja alle die Beispiele überlasteter Professoren. Ich habe mir selbst an einer Fakultät für Architektur ein Bild darüber machen können, wie sehr diese Professoren überlastet sind und wie sehr die Arbeit auf die Assistenten und Hilfskräfte übertragen ist. Diese übernehmen ja in der Praxis die eigentliche Funktion der Lehrer.Da ich gerade bei diesem Beispiel bin und da ausgerechnet die Architekten in der ersten Gruppe mit den strengsten Bestimmungen zu finden sind, lassen Sie mich einmal etwas sagen, was vielen von Ihnen nicht bekannt ist. Aus dieser ersten Gruppe haben Mediziner, Pharmazeuten usw. auch draußen gewisse Zulassungsbeschränkungen oder -verpflichtungen.
Bei den Architekten — Herr Martin, ich weiß nicht, ob Ihnen das bekannt ist — ist es so, daß jeder, auch jeder unausgebildete in diesem Fach, draußen tätig sein kann. Das ist das Überraschende für mich und für uns alle, die wir aus diesem Beruf kommen, daß ein hoher Prozentsatz von Nichtarchitekten draußen tätig ist, während diejenigen, die eine Ausbildung dergestalt haben, wie wir sie fordern und brauchen, die aber auch unter dem Numerus clausus steht, nur einen geringen Prozentsatz der Tätigkeit draußen erfüllen.Neben den Schnellbaumaßnahmen muß also, wie ich eben sagte, vorbereitend geplant werden, damit wir nicht immer wieder, widriger Umstände wegen, reagieren, sondern endlich vorbereitend aktiv werden. Als eine Zwischenlösung — ich stelle das jetzt hier nur zur Diskussion — böte sich an, wenn wir die Teamworks und die studentischen Arbeitsgruppen z. B. leerstehende Schulgebäude benutzen ließen. Auch das soll es ja geben. Ich wende mich hier noch einmal an den Kultusminister des Landes
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JungRheinland-Pfalz. Dort ist in der Tat die Situation in einzelnen Bereichen so, daß auf Grund einer verfehlten CDU-Schulpolitik der vergangenen Jahre oder Jahrzehnte neu gebaute Schulen zum Teil nicht mehr benutzt werden, weil sich in der Zwischenzeit ein verändertes Schulsystem auf Drängen der FDP durchgesetzt hat.Es wäre also zu überlegen, ob man dort nicht die Möglichkeiten dafür schaffen sollte, daß Seminare und studentische Arbeitsgruppen tätig werden können, wodurch der räumliche Engpaß, wenn auch nur zu einem kleinen Teil, überwunden werden könnte. Aber auch Universitätsräume stehen z. B. in den Ferien zum Teil leer. Es erhebt sich also die Frage, ob nicht in der Praxis mehr Sommerkurse als bisher angesetzt werden sollten, natürlich unter der Voraussetzung, daß diese Kurse auch auf die geleistete Semesterzahl angerechnet werden können. In diesem Zusammenhang wäre durchaus erwägenswert, einmal das Trimestersystem zu überprüfen.Auch die Öffnung der Universitäten nach unten in den Bereich der Akademien oder Fachhochschulen hinein, d. h. also die Integration dieser Einrichtungen in eine Gesamthochschule, wäre geeignet, sowohl vom Räumlichen als auch vom Personellen her gewisse Entlastungen zu bringen. Durch das vom Wissenschaftsrat ohnehin empfohlene ,Stufenstudium würde zunächst eine geringere Zahl von Studenten direkt in die Hochschule gehen, viele andere aber würden über diesen Fachhochschulbereich in die Universität weitergeführt werden. Außerdem könnten die teilweise vorzüglichen Einrichtungen dieser Akademien — hier denke ich z. B. an die Ingenieurakademien — durchaus für die Universitäten genutzt werden.Die verstärkte Nutzung der Bildungstechnologie — ich meine damit technische Einrichtungen, angefangen von der Lehrmaschine bis hin zum Fernsehen; Herr Kultusminister Vogel hat ja eine Andeutung in dieser Richtung gemacht — würde ebenfalls personelle als auch räumliche Entlastungen bringen können.Meine Damen und Herren, ich kann hier feststellen — darin sind sich, glaube ich, auch die Vorredner sowohl von der CDU/CSU als auch von der SPD mit mir einig —, daß die Regierung erkennbar bemüht ist, diese Probleme zu bewältigen. Das geht auch aus ihrer Antwort auf die Anfrage der CDU/ CSU eindeutig hervor. Ich wäre dankbar, wenn Bund und Länder die hier gegebenen Anregungen durchdiskutieren und auf ihre Realisierung hin überprüfen würden, Ich bin überzeugt davon, daß sie für die Losung dieses so wichtigen Problems in unserem Jahrhundert hilfreich sein können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung wird Punkt 6 der heutigen Tagesordnung — Beratung der Ubersicht 1 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem
Bundesverfassungsgericht, Drucksache VI/189 — abgesetzt.
Als nächster Redner hat Herr Kollege Gölter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh, daß sich das, was Herr Kollege Dr. Meinecke ausgeführt hat, sehr vorteilhaft von einigen anderen Ausführungen abhebt, die wir uns heute nachmittag hier anhören mußten. Ich schließe an das an, was Herr Kollege Pfeifer zum Schluß gesagt hat. Wir sind zur Kooperation mit der Bundesregierung und zur Kooperation mit den Fraktionen der Regierungsparteien im Ausschuß bereit. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß es einige Leute gibt, die sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen haben, was von sozialdemokratischer Seite viele Jahre lang über parlamentarischen Stil, über die Rolle der Opposition und über die Aufgabe der Ausschüsse gesagt worden ist. Ich meine, daß das in diesem Jahr etwas mehr berücksichtigt werden sollte, als es im Dezember — bedauerlicherweise — geschehen ist.
Aber im übrigen sollten wir, glaube ich, diesen Zwischenfall — wenn ich ihn so nennen darf — vom vergangenen Dezember auf sich beruhen lassen, sofern es wirklich zu einer Änderung kommt.Meine Damen und Herren, ich möchte einen Punkt aus der Beantwortung der Großen Anfrage aufgreifen, der mir in der derzeitigen Diskussion über den tertiären Bereich in unbefriedigender Weise behandelt zu werden scheint und der auch in den kommenden Jahren sicher noch große Bedeutung haben wird. Ich meine die Frage nach dem zukünftigen Bedarf an Studienplätzen. Wir wissen alle, daß wir diesen Bedarf nach drei Modellen berechnen können. Wir können global und strukturell nur von der Nachfrage ausgehen. Wir können global und strukturell nur von dem gesellschaftlichen Bedarf ausgehen. Wir können schließlich global von der Nachfrage und strukturell von dem gesellschaftlichen Bedarf an Absolventen in den verschiedenen Fachbereichen ausgehen. Die Bundesregierung hat auf Seite 8 ihrer Antwort unter Nr. 6 geschrieben:Es wäre falsch, einfach die bestehenden Nachfrage und Bedarfstrends bis 1980 fortschreiben zu wollen.Das ist richtig. Es ist selbstverständlich auch richtig, wenn in dem gleichen Absatz gesagt wird, daß es nur dann gelingen wird, genügend Studienplätze zur Verfugung zu stellen, wenn wir einerseits zu einer Änderung der Hochschulstruktur und andererseits zu einer Änderung der Studiengänge kommen. Wenn es dann aber heißt, daß diese Veränderungen zusammen mit den Schulreformen zu einem neuen Angebot an Studienplätzen führen werden, dann ist das eine sehr unklare Formulierung und in ihrer Unklarheit auch bezeichnend für die Unverbindlichkeit der ganzen Situation, in der wir uns in dieser Frage befinden.Herr Kollege Dr. Meinecke hat eine Berechnung aufgegriffen, die einseitig von der Nachfrage nach
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Dr. GölterStudienplätzen ausgeht, nämlich die Berechnung, die in Kreisen der Kultusministerkonferenz erstellt worden ist. Man geht dort für 1980 von einem Satz von 20,5 % der Absolventen des sekundären Bereichs aus. Diese Berechnung ergibt bei 20,5 % für 1980 einen Bedarf von 670 000 bis 680 000 Studienplätzen. Wenn man dieser Zahl von 670 000 bis 680 000 die derzeitige Kapazität von ungefähr 400 000 gegenüberstellt — bei einer sehr milden Berechnung, bei einer Berechnung, die von Kriterien ausgeht, die auch das gerade noch Zumutbare mit einbeziehen , dann ergibt sich ein Defizit von 270 000. Das ist ein Beispiel für eine Berechnung, die einseitig von der Nachfrage ausgeht.Das klassische Beispiel für Berechnungen, die einseitig vom Bedarf ausgehen, sind die Strukturquoten, die der Wissenschaftsrat zur Zeit überlegt. Es ist ja bekannt: 50 % an Absolventen des sekundären Bereichs; 25 % sollen dann ein wissenschaftliches Studium aufnehmen und weitere 25 % sollen in den Beruf eintreten. Eine kurze Bemerkung zu diesen letzten 25 %: Hier scheint mir in der Tat der kritischste Punkt zu liegen. Wir haben zur Zeit eine Berufseintrittsquote von 6%. Es erscheint mir völlig ausgeschlossen, in einem kurzen Zeitraum von zehn Jahren diese Berufseintrittsquote von 6 % auf eine Berufseintrittsquote von 50 % zu steigern, es sei denn, man würde zu Mitteln greifen, die einer sehr problematischen Reglementierung und einer sehr problematischen Schematisierung entsprächen. Aber das halte ich beim besten Willen nicht für möglich.Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister Leussink hat selber eine Reihe von Zahlen genannt. Wir hoffen, daß wir demnächst Gelegenheit haben werden, über diese ganz entscheidenden Fragen einmal im Ausschuß mit ihm zu diskutieren. 19 % in den Kurzstudiengängen, das würde bedeuten: in den Kurzstudiengängen im Jahre 1980 eine Nachfrage von 650 000, also eine Vervier- bis Verfünffachung der derzeitigen Kapazität.Ich muß hier in dem Zusammenhang doch sagen, daß wir uns der Problematik solcher Strukturquoten bewußt sein müssen, um nicht übertriebene Hoffnungen zu wecken, die wir dann nicht realisieren können, Hoffnungen auf Strukturquoten, die im Augenblick weder von der Nachfrage noch vom Bedarf her theoretisch genau begründet werden können, die nicht verlaufsanalytisch aus unserem bisherigen Schul- und Hochschulsystem heraus entwickelt sind und die vor allen Dingen die schwierige Phase auch des Übergangs von unserem bisherigen Schul- und Hochschulsystem auf ein anderes, das solche Leistungen erbringen soll, nicht berücksichtigen. Wenn man solche Strukturquoten in den Raum stellt, dann muß man dazu gleichzeitig auch sagen, daß man damit den Numerus clausus zur Dauereinrichtung machen muß, daß man ihn damit verewigen muß.
Das ist eine ganz klare Konsequenz solcher Zahlen. Das muß in dieser Debatte in diesem Zusammenhang auch einmal gesagt werden.Es kommt darauf an, die individuelle Nachfrage, die Kapazität und den gesellschaftlichen Bedarf sowohl organisatorisch wie pädagogisch unter optimalen Gesichtspunkten in Übereinstimmung zu bringen. Wir brauchen dazu selbstverständlich genaue Kapazitätsberechnungen. Wir brauchen dazu aber auch wenigstens einigermaßen verläßliche Bedarfsprognosen, die so oft wie nur möglich gegengeprüft sind.Meine Damen und Herren, wir sind hier in der Tat an einem der kritischsten Punkte der ganzen weiteren Entwicklung. Wir meinen, daß solche Bedarfsprognosen unter gar keinen Umständen allein zum Kriterium der weiteren Ausbauplanung gemacht werden können,
und zwar ganz einfach deshalb nicht, weil solche Bedarfsprognosen immer in der Gefahr stehen, zu einem Prokrustesbett zu werden, da sie die zukünftige Entwicklung einspannen und nicht richtig erfassen können, weil neue Ausbildungsgänge, neue Ausbildungsvorstellungen und neue Ausbildungswünsche in solchen Bedarfsprognosen nur sehr schwer ihren Niederschlag finden und deshalb eben von der gesellschaftlichen Entwicklung sehr schnell überholt werden. Ich meine, gründliche Bedarfsprognosen können die Festlegung von Ausbauprioritäten beeinflussen. Ansonsten aber muß für den weiteren Ausbau der Kapazitäten in erster Linie die individuelle Nachfrage bestimmend sein, ein Gesichtspunkt, der auch mit Art. 12 des Grundgesetzes in Übereinstimmung steht, der die Frage Bildung und Ausbildung eindeutig zuerst an der Person orientiert und das Kriterium der Person über andere Kriterien, wie beispielsweise das Kriterium i des Bedarfs, stellt.Worauf kommt es im Augenblick an? Wir müssen im Augenblick bei der ungeklärten Situation insbesondere im Bereich der Bedarfsprognosen die Engpässe dort beseitigen, wo Nachfrage und Bedarf völlig oder doch weitgehend übereinstimmen: in den medizinischen Bereichen, den naturwissenschaftlich-technischen Bereichen und einigen Bereichen der Lehrerbildung. Wir können uns dabei — das ist heute schon gesagt worden, aber ich möchte es doch wiederholen - nicht darauf beschränken, die bestehenden Universitäten auszubauen, sondern es kommt darauf an, bei Neugründungen an vorhandene Einrichtungen anzuschließen, die dann zum Kern einer neuen Universität werden könnten.In diesem Zusammenhang sollten natürlich auch die Länder und der Bund gemeinsam weniger ihren Blick auf die publikumswirksamen geisteswissenschaftlichen Disziplinen — einige Mangelerscheinungen im Bereich der Lehrerbildung ausgenommen -, sondern vor allem auf die technisch-mathematischnaturwissenschaftlichen Disziplinen richten, eben weil das wesentlich mehr Geld kostet. Ich meine, das, was Rheinland-Pfalz in Kaiserslautern mit einer Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, die sehr stark pädagogisch orientiert ist, tut, ist ein Beispiel dafür, was in der derzeitigen Engpaßsituation getan werden kann.Meine Damen und Herren, ich möchte hier aber noch einmal auf eine Bemerkung zurückkommen, die
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Dr. Gölterder Präsident der Kultusministerkonferenz gerade gemacht hat, und zwar eine Bemerkung im Zusammenhang mit unserem Antrag zur Änderung des Art. 91 a und zur Änderung des Hochschulbauförderungsgesetzes. Wir haben in der letzten Debatte im Dezember bis zum Überdruß betont, daß es uns bei dieser Frage nicht darum geht, irgend etwas zu zementieren, zu reglementieren oder irgendwelche ideologischen Verkrustungen zu schaffen oder aufrechtzuerhalten, sondern daß es darum geht, klare Verhältnisse, klare rechtliche Verpflichtungen zu schaffen. Ich meine, daß in der heutigen Debatte deutlich geworden ist — beide Fragen, Art. 91 a, Hochschulbauförderungsgesetz und Numerus clausus, gehören ganz eng zusammen —, daß wir ohne solche klaren rechtlichen Verpflichtungen nicht auskommen.
Der Bund muß den Ländern klipp und klar sagen, womit sie rechnen können.Meine Damen und Herren, die Tatsache, daß diese unsere Vorschläge sowohl bei der Bundesregierungals auch bei den Regierungsfraktionen auf einen soentschiedenen Widerstand gestoßen sind, legt einen ganz bestimmten Verdacht nahe.
- Bis jetzt ist das so, Herr Kollege Lohmar, nämlichden Verdacht, daß sich die Bundesregierung und die Regierungsfraktionen scheuen oder fürchten, bestimmte Verpflichtungen zu übernehmen, die sie nach einiger Zeit in Schwierigkeiten bringen könnten oder die Ihnen keinen Spielraum lassen, um bestimmten Ländern auf dem Wege wechselseitiger Absprachen bestimmte Wohlverhaltensbeträge zukommen zu lassen. Deshalb meine ich, daß wir in dem Zusammenhang wirklich darauf dringen sollten, daß diese Frage demnächst geklärt wird, damit auch die Länder wissen, in welchen Bereichen sie mit langfristigen gesetzlichen Verpflichtungen des Bundes tatsächlich rechnen können.
Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lohmar zulassen?
Ja, selbstverständlich.
Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Kollege Gölter, darf ich Ihnen in bezug auf diese beiden Fragen vorschlagen, die Beratungen in den beiden damit befaßten Ausschüssen, die in dieser Woche stattfinden, abzuwarten. Darf ich Sie zweitens darum bitten, sich an das zu erinnern, was der Herr Staatsminister für Kultusfragen in Bayern in der gemeinsamen Aussprache des Wissenschaftsausschusses und der Kultusminister zu diesem Punkt bemerkt hat, nämlich daß es sehr unpraktisch sein könnte,
verfassungsrechtliche Kompetenzfragen aufzugreifen, die man gemeinsam auch praktisch einfacher lösen könne.
Herr Kollege Lohmar, erstens bin ich gern bereit, das abzuwarten, was sich in den zuständigen Ausschüssen hier tun wird. Warum sollte ich dazu nicht bereit sein? Ich beziehe mich insbesondere auf die Debatte am 10. Dezember, die ich noch einmal sehr gründlich nachgelesen habe. Auf diese Debatte vom 10. Dezember in diesem Hause trifft meine Charakterisierung voll und ganz zu. Im übrigen gehe ich davon aus, daß die Konferenz der Kultusminister eine Zustimmung zu Art. 91 a gegeben hat, so wie es auch aus den Worten von Herrn Präsident Dr. Vogel deutlich geworden ist.
Wenn der Bund mehr Kompetenzen und Zuständigkeiten im Bildungswesen, insbesondere im tertiären Bereich, will - - und wir wollen das alle hier in diesem Hause —, dann gilt die Devise „mitgegangen - mitgefangen", und dann kann man den Gesamthochschulbereich nicht nur „begrüßen" oder, wie es hier auf Seite 4 etwas seigneural heißt, „vielversprechende Ansätze" feststellen, sondern dann muß man auch ganz klar sagen, was in den kommenden Jahren zu erwarten ist.
Wir hoffen, daß in diesem Punkt in diesem Hause doch noch eine Einigung erzielt werden kann, die nicht zuletzt eine wesentliche Voraussetzung ist, bei diesem Tagesordnungspunkt heute weiterzukommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wichert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts einiger kritischer Anmerkungen der Opposition gegenüber der Bundesregierung scheint es mir wichtig, folgendes festzustellen. Man muß es uneingeschränkt begrüßen, daß die Bundesregierung sich entschlossen hat, ihrem Versprechen aus der Regierungserklärung, zur Beseitigung des Numerus clausus beizutragen, bereits die ersten praktischen Schritte zur Erfüllung hat folgen lassen und daß sie damit begonnen hat, bevor die Haushaltsberatungen innerhalb des Bundeskabinetts zu einem Abschluß gekommen sind.Wenn man ihr deswegen einen Vorwurf machen will, muß man bedenken, daß die Bundesregierung sonst, ohne im Planungsausschuß mit den Ländern Verhandlungen über die Modalitäten, über die notwendigen Baukapazitäten und finanziellen Anforderungen geführt zu haben, im Haushalt eine Summe hätte einsetzen müssen, über die sie keine genauen Unterlagen gehabt hätte. Der Bundesregierung den Vorwurf zu machen, sie nenne keine Zahlen, scheint mir daher nicht recht zulässig.
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1080 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Dr. WichertMan muß auch die Absicht der Regierung, das Problem des Numerus clausus nicht isoliert zu behandeln, unterstützen, weil es richtig ist, dieses Problem nur im Zusammenhang mit denjenigen Maßnahmen zu betrachten, die in einem Hochschulrahmengesetz zu regeln sind. Hierüber dürfte auch mit der Opposition Übereinstimmung zu erzielen sein, nachdem in dem öffentlichen Hearing zum Numerus clausus deutlich wurde, daß alle am Hearing beteiligten Gruppen sich zu einem ähnlichen Vorgehen bekannten.Daß in einer Phase, in der die Universitäten und Hochschulen beschleunigt ausgebaut werden sollen, es darauf ankommt, diesen Gesichtspunkt mit im Auge zu behalten, um nicht, wie in der Vergangenheit, alte, vordemokratische Strukturen weiter zu verfestigen, scheint mir daher eine unabweisbare Konsequenz. Deshalb ist es auch begrüßenswert, daß die Bundesregierung ihren ersten Schritten zur Beseitigung des Numerus clausus in Kürze ihre Thesen zu einem Hochschulrahmengesetz folgen lassen wird.
— Darauf muß wohl die Regierung antworten. — Die Regierung will den Numerus clausus beseitigen, und Sie haben keinen Grund, daran zu zweifeln, daß sie die aus dem Grundgesetz erwachsenden Forderungen auf freie Wahl des Ausbildungsplatzes und des Ausbildungsortes nicht ernst nimmt. Sie hätten deswegen gar nicht zu einer Entschließung, die das noch einmal bekräftigt, kommen müssen. Sie können das aus der Tatsache ablesen, daß sich die Bundesregierung bereit erklärt hat, unkonventionell über die im Hochschulbaugesetz vorgelegten festen Anteile von 50 %weitere Maßnahmen zu finanzieren, die der Beseitigung des Numerus clausus dienen. Diese Bereitschaft ist in einer Notsituation sinnvoll. Ihre Problematik wird sich vielleicht in den Jahren zeigen, in denen die unterschiedlich finanzstarken Länder ihren Anteil nachträglich aufbringen sollen. Man kann angesichts der wachsenden Bildungsaufgaben daran zweifeln, ob die Länder je dazu in der Lage sein werden, und das Problem der Lastenverteilung im Bildungswesen insgesamt wird von uns erneut und grundsätzlich überdacht werden müssen. Es weist auf die Schwäche der gegenwärtigen Finanzierungsstruktur im Bildungswesen hin, wenn in der politischen Öffentlichkeit ständig weitere Vorschläge zur Erweiterung der Leistungen des Bundes über die Hochschulbaufinanzierung hinaus gemacht werden, wenn vorgeschlagen wird, daß sich der Bund über den Ausbau hinaus auch an den Folgekosten beteiligen oder die Kosten für das Studium der ausländischen Studenten an deutschen Ausbildungsstätten übernehmen soll. Statt solche Vorschläge zu vermehren, sollte man lieber zu klaren Kompetenzabgrenzungen zwischen Bund und Ländern kommen.Eine der Möglichkeiten wäre, und ich will es hier Bundesregierung und Parlament vorschlagen, in einem Forschungsförderungsgesetz dem Bund die ausschließliche Kompetenz zur Forschungsförderungzuzuschreiben und ihm damit selbstverständlich auch die Lasten dafür aufzubürden. Ein solches Gesetz hätte den Vorteil, daß dann auf einer einheitlichen Grundlage rational über die Prioritäten in der Forschungspolitik diskutiert und entschieden werden könnte. Es hätte zudem den Vorteil, daß man im gleichen Zusammenhang auch eine Lösung zur Überwindung der hierarchischen Struktur in den Forschungsinstituten des Bundes würde vorlegen können, denn in diesem Bereich muß noch in dieser Legislaturperiode eine Regelung gefunden werden.Alle zusätzlichen Verpflichtungen des Bundes würden jedoch angesichts der wachsenden Ausgaben zur Bildungs- und Wissenschaftsfinanzierung wahrscheinlich in Zukunft nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Spätestens der Nationale Bildungsplan, den die Bundesregierung angekündigt hat, wird uns dieses Finanzierungsdilemma vor Augen führen. Wir können uns überlegen, ob wir zu einer neuen Prioritätensetzung innerhalb des Bundeshaushalts kommen können.
Wir haben auch mit Interesse festgestellt, daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, notfalls dazu bereit wären, zu unkonventionellen Maßnahmen wie etwa einer Steuererhöhung zu greifen.
Wir wären schon froh, wenn Sie uns dabei unterstützen würden, wenn wir beim folgenden Subventionsbericht der Bundesregierung die Subventionen kritisch mit durchforsten oder wenn wir die Bundesregierung dabei unterstützen, sich zur Finanzierung der Bildungsaufgaben verstärkt zu verschulden.Wenn das Erziehungswesen wirklich und an finanziellen Prioritäten ausgewiesen die Schule der Nation werden soll, müssen wir auch bereit sein, diese Prioritäten zu setzen. Ich hoffe, daß auch Sie uns bei dieser Prioritätensetzung behilflich sein werden.
Das Wort hat der Staatssekretär von Dohnanyi.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zeit ist weit vorgeschritten; aber die Regierung ist der Auffassung, daß an dieser Stelle einige grundsätzliche Fragen, die vielleicht in der Debatte etwas in den Hintergrund gedrängt worden sind, noch einmal gestellt und noch einmal debattiert werden müßten.Regierung und Opposition sind sicherlich einer Meinung darin, daß der Numerus clausus gestoppt
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1081
Staatssekretär Dr. von Dohnanyiund so bald wie möglich beseitigt werden sollte. Man hat heute morgen von der Sprecherin der Opposition, der Kollegin Walz, zunächst gehört, daß sie konkretere Vorschläge, mehr Einzelheiten erwartet hätte. Ich glaube, daß der Katalog, der im Zusammenhang mit der Antwort auf die Große Anfrage vorgelegt worden ist, Frau Kollegin Walz, und alles das, was der Minister nachgetragen hat im Zusammenhang mit den Erörterungen im Planungsausschuß, eine Vielzahl von Einzelheiten darstellt, über die wir sicherlich in diesem Hohen Hause intensiv debattieren werden. Es hat wenig Sinn, noch einmal in die Vergangenheit zu schauen und zu sagen, wer hätte was, wann, wo schneller und besser machen können.Nur ein Punkt: Wenn man heute darauf hinweist, daß die Verfassungsänderungen, wie der Kollege Stoltenberg vorhin in einer Frage angedeutet hat, ja doch erstmals durch den Art. 91 a geschaffen wurden und erst die Möglichkeiten des Hochschulbauförderungsgesetzes die Grundlage gegeben haben, muß man natürlich auch die Frage stellen, warum das erst im Jahre 1969 zustande gekommen ist. Dieser Frage kann man sich allerdings dann nicht entziehen.Es gibt aber drei entscheidene Fragen, von denen die Regierung sich in dieser Debatte eine Antwort von der Opposition erhofft hat, eine Antwort, die wir glauben noch nicht bekommen zu haben.Die erste Frage zielt auf folgenden Punkt: Ist die CDU/CSU heute mit uns der Auffassung, daß der Stand unseres Bildungssystems nicht nur ein Skandal ist, weil Studenten vor den Türen der Universität stehen, sondern auch und insbesondere deshalb, weil der weitaus größte Teil unserer Jugend überhaupt gar keine Chancen hat, auch nur in die Nähe der Hochschultüren zu kommen?
Wir kämpfen heute gegen den räumlichen, gegen den quantitativen Numerus clausus, aber — und das muß ich an die Adresse der Opposition sagen — den gesellschaftlichen, den sozialen Numerus clausus haben Sie mit sehr viel mehr Geduld jahrzehntelang ertragen.
Was ist das für eine Gesellschaft — das müssen wir uns alle fragen —, in der Zukunftschancen zwar eindeutig von der Ausbildung abhängen, aber gleichzeitig die Hälfte unserer Jugend — ich meine insbesondere die Kinder der Arbeiter — nach den Statistiken des Berichts zur Lage der Bildung im geteilten Deutschland im Jahre 1967 kaum 7 % der Studentenschaft ausmachte! Ein Teil des Problems, vor dem wir heute stehen, ist die rapide Erweiterung der Bildungspyramide, ist die Ausweitung der Bildung auf einen breiteren Teil der Bevölkerung. Auf die Frage der 50 %, 25 % usw. möchte ich hier nicht noch einmal eingehen. Aber ich habe heute morgen etwas den Eindruck gehabt, als ob an dieser Stelle die Kollegin Walz wieder auf Fragen der lange debattierten sogenannten Begabungsreserven unddergleichen mehr zurückfallen könnte. Ich halte das für eine fatale und gefährliche Form der Debatte.
Es muß doch klar sein, daß soziale Gerechtigkeit, nämlich die Gleichheit der Chancen, im Mittelpunkt der Bildungspolitik stehen muß, und zwar auch aus Gründen gesellschaftlicher Produktivität und Effizienz. Hier bin ich mit dem Präsidenten der Kultusministerkonferenz, mit Herrn Minister Vogel, doch nicht ganz einer Meinung, wenn er sagt, daß der Numerus clausus an den Hochschulen das Symptom sei und dahinter nur die Struktur der Hochschulen gewissermaßen als Problem stehe. Dahinter steht im Grunde genommen die Struktur des gesamten Bildungswesens, und das müssen wir anpacken, wenn wir mit den Fragen des Numerus clausus fertigwerden wollen. Man muß also erkennen, daß es eine Erfüllung des Gleichheitsgrundsatzes der Verfassung nicht ohne eine Reform des Bildungssystems und, wie wir meinen, auch nicht ohne eine grundsätzliche Reform in der Struktur der integrierten Ausbildungsstätten, also hier der Gesamthochschule, geben wird. Darüber wird man debattieren. Ich habe meinen „Stoltenberg" immer bei mir in der Tasche. Einen Punkt möchte ich doch daraus hier zitieren. Wenn es in seinem Buch „Staat und Wissenschaft" heißt:Die Lösung der Folgeprobleme— nicht der ausgelösten, gemachten Entwicklungs- und Bildungsexpansion, sondern der Folgeprobleme der ersten Bildungsexpansion!muß klaren Vorrang vor anderen legitimen Erwägungen einer strukturellen Neuorganisation des Bildungswesens haben,dann müssen wir die Opposition an dieser Stelle eben doch fragen, ob der Konsensus, von dem der Kollege Pfeifer vorhin sprach und den wir herstellen müssen, herstellbar ist und ob die Opposition mit uns der Auffassung ist, daß ohne eine Strukturreform des Bildungswesens kein Fortschritt, kein entscheidender Fortschritt in der heute hier debattierten Frage gemacht werden kann.Die zweite Frage, die wir für uns unbeantwortet finden und von der wir uns in dieser Debatte mehr Sicherheit und Klarheit erhofft haben, ist die Frage der Reform des Bildungswesens in seiner Tiefe. Wir werden an der Wurzel, wie ich gesagt habe, reformieren müssen. In der Debatte über die Lage der Nation gab es aber, so schien uns, zwei schockierende Fragen. Schockierend, weil der Bundeskanzler darauf angesprochen wurde, daß er in einem Buch an einer Stelle geschrieben hatte, man habe leider in der Bundesrepublik nach dem Ende des zweiten Weltkrieges einen restaurativen Kurs gesteuert und sei dem radikalen Bruch mit der Vergangenheit ausgewichen. Ich will diesen Punkt an dieser Stelle nicht vertiefen, aber ist uns nicht allen klar, daß eine Reform des Bildungswesens, so wie sie vor vielen Jahren notwendig gewesen wäre, einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit in diesen Fragen hätte bringen müssen,
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1082 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyiund stehen wir nicht heute vor einer Problematik, die eben aus dem restaurativen Kurs, aus dem Fortsetzen der Vergangenheit unter veränderten Umständen entstanden ist?
Nur durch radikale, eben an die Wurzel gehende Reformen werden wir unser Bildungssystem den Anforderungen des Grundgesetzes nähern und den Notwendigkeiten einer technologisch orientierten Gesellschaft anpassen können.
Die Bundesregierung muß also für die Frage des Konsensus in diesem Hause von der Opposition auch wissen, ob wir hier mit der Bereitschaft zu einer radikalen Reform rechnen können und ob sie — ich will das ganz offen sagen — die Vorurteile der fünfziger und sechziger Jahre verlassen hat.Die dritte Frage. Eine Bildungsreform, wie wir sie brauchen, braucht einen langfristigen Plan, einmal, weil der Vollzug langfristig ist, und zum anderen deswegen, weil die Wirkung von Bildung und Ausbildung ja weit in die Zukunft reicht. Die Kinder, die dieses Jahr zur Schule kommen, stehen im Jahre 2000 — dem berühmten, immer wieder zitierten Jahr — im ersten Drittel ihres Berufslebens. Die Regierung muß wissen, ob man auch in dieser Beziehung zu einem Konsensus finden kann.Der frühere Bundesforschungsminister hat in der Debatte über die Regierungserklärung zu diesem Punkt, nämlich zur Länge, zur Fristigkeit des Vorhabens der Bildungsplanung, Zweifel angemeldet. Wir wären froh, wenn wir wüßten, ob diese, ja in die Geschichte der Opposition passende Planungsphobie, wie es die Antwort auf die Große Anfrage nennt, fortbesteht.
- Ich spreche hier in erster Linie, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht zum Lande Baden-Württemberg, sondern zu Ihnen. Meine Frage ist, ob Sie, die sie eine Grundgesetzerweiterung verlangen, bereit sind, auch in dieser Weise nach vorne planend zu arbeiten, nicht, was das Land Baden-Württemberg in dieser Richtung bereit ist zu tun.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Walz? — Bitte.
Herr Staatssekretär, verstehen Sie eigentlich unter Zusammenarbeit, daß die eine Gruppe der anderen vorschreibt, was sie zu denken hat?
Frau Kollegin Walz, ich verstehe — aus
Ihrer Frage geht das hervor —, daß Sie offenbar solche Vorstellungen aus der Vergangenheit heute noch für möglich halten.
Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: für uns und diese Regierung ist ein solcher Gedanke undenkbar, aber es ist interessant, daß Sie die Frage stellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, die Regierung, und ich meine, auch die Öffentlichkeit ist an Unsicherheit über diese drei Fragen in Ihren Reihen nicht interessiert. Wir hoffen auf eine klare Linie in der Opposition. Aber ich will sagen: Wir befürchten ein bißchen — und ich sage das ganz offen —, daß Sie mit jüngeren Köpfen und damit natürlich auch mit stärkeren Armen Kraft gewonnen haben für zeitraubende und teure Rückzugsgefechte eines bildungspolitischen Konservativismus.
Diese Frage, meine Damen und Herren, steht im Zusammenhang mit dem Schul- und dem Hochschulkonzept offen.
Meine Damen und Herren, die Regierung hofft auf die Kräfte der Reformer
und hofft, daß auch bei Ihnen die Stimme der Reformer zu Wort kommt. — Bitte!
Herr von Dohnanyi, sind Sie bereit mir zuzustimmen, wenn ich sage, daß das, was die Regierung schriftlich erklärt hat, eine Kompilation von Angaben der Länderregierungen und der wissenschaflichen Organisationen ist? Glauben Sie, daß das Ihr Plan ist? Sind Sie bereit, hier zu sagen, was Sie an Planung haben? Aus dieser Antwort ist das jedenfalls nicht erkennbar. Sagen Sie bitte jetzt in fünf Sätzen, was Sie meinen.
Herr Kollege Martin, Sie wissen so gut wie ich, daß jeder, der in dieser Gesellschaft den Versuch machen würde, einen Plan allein zu schreiben, ohne z. B. die Länder zu fragen und sich dort zu informieren, sich weder im Rahmen der Verfassung bewegen noch klug handeln würde. Wir geben also durchaus zu, daß wir nicht in allen Punkten originell sind. Wir unterschieden uns von Ihnen dadurch, daß wir die Sache anpacken.
Herr von Dohnanyi, Sie werden mir recht geben müssen, wenn ich feststelle, daß Sie den Plan, den Sie nicht haben und den Sie für so schwierig halten, von der Opposition verlangen.Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wis-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1083
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi senschaft: Herr Kollege Martin, ich kann feststellen, daß Sie das gesagt haben. Aber ich kann Ihnen leider nicht recht geben. Worauf es ankommt, ist doch, daß im Rahmen des Machbaren — und das sind die Vorschläge, die wir vorgelegt haben — etwas geschieht. Ich frage Sie zurück, wo denn in den vergangenen Jahren in diesen Punkten durch die frühere Bundesregierung, die die entscheidenden Stellen hierfür besetzt hatte, etwas geschehen ist!
Das Wort hat der Abgeordnete Dichgans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr von Dohnanyi hat drei Fragen gestellt, und ich will auch gleich drei Antworten darauf versuchen.
— Die Polemik würzt die Debatte, Herr Martin, und wir sollten nichts gegen Polemik haben. Ich glaube nur, Herr von Dohnanyi, das Wort „Skandal" führt irre. „Skandal" erweckt die Vorstellung, als wäre es möglich, etwas durch einen bloßen Willensakt kurzfristig abzustellen.
Das ist aber nicht der Fall. Bildungsveränderung ist ein biologischer Prozeß. Wir müssen zunächst mehr Lehrer ausbilden, um mehr Schüler ausbilden zu können. Wir müssen — das haben eben die Kollegen von der FDP völlig mit Recht gesagt — wissen, wie wir das Geld, das wir zur Verfügung haben, vernünftig ausgeben wollen. 1 Milliarde DM auszugeben ist, wie ich Ihnen aus Erfahrung sagen kann, gar nicht so ganz einfach.Herr von Dohnanyi, Sie fordern, daß sich die Bildungschancen, auch der Bildungsumfang insgesamt verändern. Ich stimme dem voll zu. Ich frage Sie aber: Sollten Sie nicht doch anerkennen, daß die Entwicklung, die wir auf diesem Gebiet in den letzten vier Jahren erlebt haben zu einer Zeit, in der die CDU durch ihren Wissenschaftsminister an der Regierung maßgebend beteiligt war, alle unsere Erwartungen, auch meine Erwartungen, aus dem Jahre 1965 weit überstiegen hat, daß die Kurve viel steiler aufwärts gegangen ist, als es vernünftigerweise zu erwarten war? Sie sehen das ja an den Schwierigkeiten, die wir allenthalben in den Sexten haben. Es gibt an vielen Gymnasien heute vier Sexten, wo es vor wenigen Jahren nur eine gab. Kann das eigentlich noch schneller gehen? Meine Antwort: Nein.Herr von Dohnanyi, zu Ihrer zweiten Frage, zu den radikalen Reformen. Ich fürchte, daß auch das ein verkehrter Denkansatz ist. Es kommt nämlich nicht auf die Methoden des Bildungssystems an, die bekanntlich in den einzelnen Ländern, von Rußland bis Amerika sehr unterschiedlich sind, wo mit sehr verschiedenen Methoden oft sehr gute Ergebnisse erreicht werden, sondern es kommt auf die Bewußtseinsbildung an. Unsere Schwierigkeiten bestehen zur Zeit nicht darin, daß wir nicht genug Bildungschancen anbieten — diese Bildungschancen sind sehr groß —, sondern darin, daß wir einen großen Teil unserer Bevölkerung — zu unserem Bedauern, kann ich nur sagen — noch nicht dazu gebracht haben, von diesen Bildungschancen Gebrauch zu machen.
Herr von Dohnanyi, darum sollten wir uns allgemein bemühen. Das Gerede von der radikalen Reform führt von diesem Thema nur ab.Das dritte ist die langfristige Planung. Sie fordern sie. Ich kann dazu nur kurzfristig sagen: ja.Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch einige zusätzliche Bemerkungen zu dieser Debatte.Zunächst einmal: Der viel beklagte Numerus clausus darf unter keinen Umständen ein Mittel für die Hochschulen werden, es sich bequem zu machen. Herr Kollege Meinecke hat mit Recht von der Eisenbahnmentalität gesprochen: Wer draußen steht, drängt in den überfüllten Zug hinein, und wer drin ist, möchte sich vor weiterer Überfullung schützen. Auch Herr Kollege Pfeifer hat dieses Phänomen, das sich in der Statistik abzeichnet, angesprochen. Ich möchte es noch etwas präziser sagen. Nach den Statistiken, die Sie, Herr von Dohnanyi, mir freundlicherweise zugeleitet haben, hat sich bei den Humanmedizinern — ich nehme das jetzt einmal durchgehend als Beispiel — folgendes ereignet. Numerus clausus im laufenden Studienjahr: 4000. Die gleichen Universitäten haben Anfang der sechziger Jahre maximal 7000 Studienanfänger ausgebildet,
3000 mehr als heute. Da gibt es eine sehr interessante Streuung. Die Universität Marburg erreichte in diesem Jahr nur noch 21 % ihrer damaligen Höchstleistung. Sie haben recht gehört: ein Fünftel ihrer maximalen Leistung.
Erlangen und Heidelberg liegen bei je 38 %. DerDurchschnitt liegt bei 58 % seiner Maximalleistung.Die Zahl der Lehrkräfte hat sich in der gleichen Zeit um rund 50 % erhöht. Wenn Sie jetzt die Zahl der Studenten je Lehrkraft vergleichen, so kommen Sie bei der Humanmedizin zur Zeit auf 40 %o einer Leistung, die vor etwa 7 Jahren schon einmal erreicht war.Meine Damen und Herren, das hat im einen oder anderen Fall gute Gründe, die ich nicht leugnen will. Aber als Gesamtdurchschnitt für die deutschen Hochschulen ist das schlicht unerträglich.
Ich habe sehr viel Verständnis dafür — das hat auch die Bundesregierung in ihrer Antwort geschrieben —, daß es die Studenten heute etwas bequemer haben möchten als die Studenten aus dem Jahre 1960. Jedermann von uns hat diesen Wunsch. Aber wir müssen uns darüber klar sein, daß wir diesen
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1084 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
DichgansWunsch nur auf Kosten der Studenten erfüllen können, die wir auf diese Weise vom Studium ausschließen. Ich kann nur sagen: Wir müssen bei allem Verständnis dafür, daß die jetzigen Studienbedingungen wahrhaft unzulänglich sind, an unsere Studenten die herzliche Bitte richten, sich in den kommenden Jahren — es wird sicher noch 5 oder 6 Jahre dauern — mit schwierigen Bedingungen abzufinden um der Gleichaltrigen willen, denen sie auf diese Weise den Zugang zu den Hochschulen ermöglichen.Mein erster Vorschlag also, Herr Minister: Sorgen wir dafür, daß die Universitäten, die heute mehr Lehrkräfte und auch bessere Bauten haben, mindestens zu ihren Ausbildungsleistungen vom Anfang der sechziger Jahre zurückkehren!
Dafür gibt es Hilfsmittel. Der Kollege Jung hat mutig gesagt: mehr Ausbildungswochen im Jahr! Ich bin damit sehr einverstanden. Ich möchte einen Zusatzvorschlag machen. Ich möchte dafür plädieren, daß wir an unseren Universitäten die 5-Tage-Woche einführen. Im Augenblick haben wir bei den meisten Universitäten — ich weiß nicht, ob Sie das wissen — die 4-Tage-Woche. Der Unterricht beginnt montags mittags und endet freitags mittags.
Gehen Sie mal montags morgens — der Staatssekretär Lübbe hat das neulich in einer Ausschußsitzung plastisch geschildert — in eine Universitätsbibliothek, in eine Vorlesung hinein und versuchen Sie das am Freitagnachmittag wieder, dann werden Sie sehen, daß hier noch eine Menge Ausbildungskapazität brachliegt. Da wir in unseren Universitäten nur etwa 26 Vorlegsungswochen im Jahr haben, finde ich, ist die Zumutung an unsere Studenten, nun an fünf Tagen zu studieren, nicht unbillig.3000 Studienplätze Medizin im Jahr zusätzlich, die wir schon einmal gehabt haben, würden uns auch die Lösung eines schwierigen Problems erleichtern, des der Sanitätsoffiziersanwärter der Bundeswehr. Die Bundeswehr bildet jährlich 400 Sanitätsoffiziersanwärter aus. Die Universitäten sind sehr zögernd, diesen jungen Leuten Prioritäten zu gewähren. Sie sagen, auf diese Weise könnten möglicherweise Wehrpflichtige vorzugsweise in die Universität hineinkommen, die weniger geeignet seien als junge Leute, die nicht gedient haben. Meine Damen und Herren, was ist denn jetzt der Maßstab? Jetzt ist der Maßstab das Abitur, dessen Zensuren doch ungemein problematisch sind. Sollte nicht ein erfolgreicher Abschluß der Spezialausbildung der Bundeswehr, die ja mit einer Prüfung abschließt, ein besseres Kriterium sein als das Abitur? Wenn wir 6000 Studienplätze für Mediziner schaffen — die müssen wir sicher schaffen —, und dann Prioritäten für 400 Leute aus der Bundeswehr einbauen, von denen ja ein großer Teil schon nach dem jetzigen System zum Studium kommt — kann man ernsthaft sagen, daß das die mittlere intellektuelle Qualität unserer Medizinstudenten verschlechtern würde? Das ist doch barer Unsinn. Also, mein zweiter Vorschlag: zusätzliche Prioritäten für die Sanitätsoffiziersanwärter, die die Bundeswehr als geeignet ansieht.Letzte Überlegung: wer mehr Plätze für Studenten schaffen will, darf nicht achselzuckend zusehen, wie militante Minderheiten vorhandene Ausbildungskapazitäten stillegen. Diese Vorgänge führen zum Verlust von Semestern — Sie wissen das alles von den Ingenieurstudenten —, zur Verlängerung der Studien und natürlich zu weniger Plätzen für Leute, die zur Universität kommen möchten. Die Autonomie ist mit diesem Problem nicht fertig geworden. Meine Damen und Herren, überlegen wir doch einmal, ob wir nicht die bewährte Methode der kommunalen Selbstverwaltung auf die Hochschulen übertragen sollten. Bei der kommunalen Selbstverwaltung läuft das bekanntlich so: wenn die Selbstverwaltung mit den Problemen nicht fertig wird, dann ernennt der Regierungspräsident einen Staatskommissar. Dessen bloße Existenz führt in den meisten Fällen dazu, daß die Leute in der Kommune sich sehr schnell einigen, um den Staatskommissar wieder loszuwerden.
Meine Damen und Herren, das, was in der kommunalen Selbstverwaltung seit dem Freiherrn vom Stein, seit 150 Jahren, ganz reibungslos funktioniert, was dort niemand als autoritär anprangert, sollte das nicht auch bei den Hochschulen funktionieren?Aber auch das reicht noch nicht aus. Wir müssen auch etwas an der Bewußtseinsbildung tun, auch an der Bewußtseinsbildung der Abgeordneten. Es ehrt die Demokratie, daß sie sich gegenüber den überraschenden Gewaltakten zunächst sehr zurückhaltend verhielt. Wir sollten uns in der Tat überlegen, wie wir da reagieren sollten. Aber diese Wartezeit ist nunmehr vorbei. Wer die Ausbildung an Schulen und Hochschulen gewaltsam stört, muß an diesen Störungen notfalls gewaltsam, mit Mitteln der Repression gehindert werden. Wer einen Produktionsprozeß gewaltsam stört, wird mit voller Zustimmung des Arbeitsgerichts in demokratischen Formen fristlos entlassen, und ich habe noch niemanden gefunden, der das als eine unzulässige Form der Repression bezeichnet hätte. Ist Bildung nicht mindestens ebenso wichtig wie Produktion? Sollten wir die Bildung nicht ebenso schützen wie die Produktion von Industriegütern?Meine Damen und Herren, ich weiß, diese Überlegungen sind nicht populär, auch nicht bei den Politikern; und ich habe Ihren skeptischen Gesichtsausdruck nicht übersehen.Seit Jahren gibt es in allen Parteien eine Tendenz, die allen Forderungen der Studenten, vernünftigen wie unvernünftigen, nachzugeben geneigt ist, die Tendenz, immer ja zu sagen. Ich habe schon vor sechs Jahren zu vielen damaligen Forderungen der Studenten ja gesagt, zu einer Zeit, als mir das lebhafte Kritik der Professoren eingetragen hat. Ich sage heute zu manchen Forderungen der Studenten ebenso deutlich nein, obwohl mir das diesmal die ebenso heftige Kritik der Studenten einträgt.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1085
DichgansDie Autonomie mit Drittelparität der Studenten, die gar nicht kooperieren wollen, legt wertvolle Unterrichtskräfte brach.
Heute morgen hat mich Professor Schmidt-Kahler angerufen, der Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät in Bochum, und mir gesagt, die Diskussion mit Studenten in der Autonomie, mit Studenten, die von Semester zu Semester wechseln, erfordere bei jedem Mitglied der Fakultät im Mittel etwa zwölf Stunden in der Woche. Ich habe dann als vorsichtiger Abgeordneter, um das nachzuprüfen, mit mehreren Professoren telefoniert, und die haben mir übereinstimmend gesagt: Diese Zahl ist viel zu niedrig.Meine Damen und Herren, damit komme ich zu meinen letzten Vorschlägen. Viertens: die Hochschulverwaltung so zu gestalten, daß der Zeitaufwand der Professoren dafür auf ein rationelles Maß zurückgeführt wird, und fünftens die Überwindung der Mentalität unserer Mentalität — zu erreichen, die dazu neigt, zu sagen: Studenten haben immer recht. Wer recht hat, sollten wir ganz rationell prüfen. Meine Damen und Herren, noch einmal: Ich übersehe Ihre Skepsis nicht. Aber meine Prognose: In drei Jahren werden Sie alle dieser Meinung sein. Ihre Wähler werden Sie dazu zwingen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Martin.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte den Versuch machen, nach dem vielen Guten und Nützlichen, das hier gesagt worden ist, noch einmal auf den Grund der Debatte zu dringen, so wie wir uns das vorgestellt hatten.Es wird hier in dieser Erklärung gesagt, es sei im Quantitativen viel geschehen, aber nichts im Qualitativen. Herr Minister Leussink, ich glaube, das ist so nicht richtig. Das kann eigentlich nur ein homo simplex sagen, der sich die Differenziertheit der ganzen Dinge nicht gegenwärtig gemacht hat.
Wir wollen nach dem homo faber und dem homo sociologicus nicht auch noch den homo simplex zum Subjekt kulturpolitischer Debatten machen.
Herr Minister Leussink, wir beide haben das letzte Jahrzehnt deutscher Kulturpolitik miterlebt, und wenn ich an Ihre eigenen Wandlungen denke, die parallellaufen mit denen unserer Gesellschaft, wenn ich noch einmal Ihre Rede in Freiburg nachlese, wo Sie sagten, daß das humanistische Gymnasium eigentlich der Prototypus aller Bildung sei und daß gerade auch der Techniker darauf angewiesen sei, auf einen großen Fundus von allgemeiner Bildung zu stoßen, und wenn ich dann sehe, was Sie heute — mit guten Gründen — vertreten, dann, meine ich, wir sollten uns eingestehen, daß sich das deutscheBildungswesen inhaltlich und qualitativ auch geändert hat. Wir sind noch lange nicht am Ende, aber das sollten wir uns eingestehen und sollten nicht mit dieser scharfen Rasur halbe Wahrheiten hier im Parlament vertreten.
Das zweite, meine Damen und Herren, ist, daß in dieser Erklärung den zentralen Fragen ausgewichen wird. Jedermann, der über den Numerus clausus nachdenkt, weiß, daß es hier einer nachhaltigen Anstrengung des Bundes in finanzieller und organisatorischer Hinsicht bedarf. Wenn wir dann in der Antwort die schlichte Bemerkung lesen: Ich kann auch diesmal wieder nichts dazu sagen, dann ist das einfach unbefriedigend. Wenn man in der Öffentlichkeit sagt, daß man genau weiß, was 1980 nötig ist, nämlich 50 Milliarden DM — Herr von Dohnanyi sagt: 100 Milliarden DM —, und man dann in einer entscheidenden Debatte sich nicht über 300 oder 400 Millionen DM zu äußern vermag, dann stimmt da etwas nicht!
Ich möchte sagen: nicht nur im Lateinischen, sondern auch in der Politik kommt es auf die consecutio temporum an.
Wir sind nicht so furchtbar an 1980 interessiert, sondern an 1970, 1971, 1972, 1973. In dieser Hinsicht vermissen wir jede Zahl und auch jede Planung.Es gibt doch Länder, wie z. B. Bayern, die ein komplettes Programm in Höhe von 1,7 Milliarden DM vorlegen und genau wissen, was sie zu tun haben. Sie haben also geplant, Herr Dohnanyi; es ist doch nicht so, wie Sie es darstellen.
— Ja, ausgerechnet die Bayern haben geplant; sie wissen genau, was notwendig ist.Diese Länder warten aber darauf, daß die Bundesregierung sagt, was sie meinte, als sie sagte: Wir wollen den Ländern bei der Lösung ihrer schwierigen Aufgaben helfen. Diese Antwort ist heute nicht gekommen.
Jedermann hat dafür Verständnis, wenn Herr Minister Leussink sagt: Ich will dem Kabinett nicht vorgreifen. Das würden wir akzeptieren. Aber, meine Damen und Herren, man muß doch zumindest die Dimension zu greifen wissen, und man muß sich zu der Frage äußern, wie man denn die Priorität im Kabinett sichern will.Herr Minister Leussink soll doch bitte einmal die Frage, aus seinen eigenen Reihen, aus Göttingen, sehr intelligent und sachverständig gestellt, beantworten, was er für notwendig hält und womit die Länder gegebenenfalls rechnen können. Dies muß geschehen, damit die Länder sich einigermaßen einzurichten vermögen. Ich muß Ihnen sagen: Wir sind mit dieser Antwort nicht einverstanden.Sie, meine Damen und Herren, die Sie Verantwortung tragen, dürfen die Fragen auch nicht zu-
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1086 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Dr. Martinrückgeben; ich weiß nicht, welcher Kollege es war. Warum wird z. B. die Frage der Bildungssteuer, prominent von dem Ministerpräsidenten in Düsseldorf aufgeworfen, warum wird die Frage der Bildungsanleihe, nicht weniger prominent von Herrn Dohnanyi aufgeworfen, hier in aller Welt nicht behandelt und beantwortet? Man gibt sie zurück an die Opposition!
— Warten Sie doch einen Moment; Sie sind zu schnell, Sie überholen sich immer selbst.Meine Damen und Herren, der Begriff des „Mehr an Demokratie" hat heute eine neue Auslegung erfahren, indem nämlich Herr Dohnanyi die Fragen, die er nicht zu beantworten vermochte, schlicht uns in der Opposition zurückgibt. So kann man das natürlich nicht machen.
Herr Dohnanyi hat danach gefragt, wo die Gemeinsamkeit liege. Wir wollen uns hier nicht in Allgemeinheiten verlieren; wir haben morgen im Rechtsausschuß unseren Antrag bezüglich der Erweiterung des Art. 91 a des Grundgesetzes auf die Fachhochschulen zu behandeln. Wir haben diesen Antrag bewußt eingebracht, um den Ländern den Gesamthochschulbereich finanziell zu erschließen. Wir haben es nicht verstanden, daß Sie dem widersprochen haben. Wir hatten vorige Woche auf Grund der Initiative von Herrn Lohmar ein Gespräch mit den Kultusministern. Wir haben von den Kultusministern fast einstimmig gehört, daß sie die Ergänzung von Art. 91 a des Grundgesetzes im Interesse der Fortentwicklung des Hochschulwesens und im Interesse der Schaffung von Studienplätzen für dringend erforderlich halten, ohne Rücksicht auf die Partei.Es ist heute auch durchgeklungen, daß Sie, Herr Minister Leussink, im Planungsausschuß mit Ihrer unkonventionellen Art, wie Sie die Dinge zu machen versuchen — worüber man unter Umständen reden kann —, offensichtlich nicht durchgekommen sind und daß hei dieser neuen Lage Regierung und Opposition wieder miteinander sprechen müßten.Ich halte die Erweiterung des Art. 91 a des Grundgesetzes für einen echten Fortschritt. Ich sage hier noch einmal ausdrücklich: es ist von uns nicht an die Vorwegnahme eines bestimmten Gesamthochschulbereichs gedacht. Das variiert übrigens auch im Regierungslager: Herr Moersch sprach heute vom „differenzierten" Hochschulbereich und nicht vom „integrierten" Hochschulbereich. Vielleicht haben Sie die Güte, uns in der nächsten Debatte zu sagen, wie Sie sich auf diesem Gebiet zu einigen gedenken.
— Herr Moersch, das haben Sie gesagt. Ich habe Sie gewarnt. Sie sprechen so schnell, daß Ihnen falsche Wörter aus dem Munde fallen.
Herr von Dohnanyi, was Sie gesagt haben, hat mir nicht so sehr gefallen.
Es ist ein bißchen arg, die Opposition auf die Banalitäten der Bildungsdiskussion abzufragen.
Meine Damen und Herren, wie oft sollen wir hier noch sagen, daß wir für die Gleichheit der Bildungschancen sind? Wie oft sollen wir noch sagen, daß wir bereit sind, jeden so lange auszubilden, bis seine individuellen Möglichkeiten erschöpft sind? Es ist doch einfach zu billig zu sagen, mit der Gesamtschule seien alle sozialen Probleme im Bildungswesen gelöst und die Milieusperre beseitigt. Die Dinge sind leider viel komplizierter und differenzierter. Der entscheidende Punkt ist die Einrichtung der vorschulischen Bildung und Ausbildung. Jeder, der etwas von Intelligenzentwicklung versteht und die Gutachten des Bildungsrates gelesen hat, weiß das doch. Dafür sind, wenn ich von 925 000 Kindern ausgehe, Investitionen in Höhe von 4 Milliarden DM und 1,7 Milliarden DM an laufenden Kosten pro Jahr erforderlich. Wenn Sie modern sein wollen, wenn Sie radikal sein wollen, wenn Sie die Bildungssperren beseitigen wollen, dürfte es über diese 6 Milliarden DM keinen Streit geben. Halten Sie uns dann also nicht Vorträge über die Notwendigkeit der radikalen Reform.
Meine Damen und Herren, ich will der Gesamtschule nicht den Titel „ideologisch" ankleben.
— Ich kann die Diskussion abkürzen. Herr Leussink hat in dieser Sache das einzig Richtige gesagt: Der Kern der Bildungsreform ist die Gleichheit der Chancen für alle. Wie sie hergestellt wird, ist eine offene Frage. Es gibt keine Patentlösung. Ich bin einverstanden, wenn das eine Land es so und das andere Land so macht. Das ist wirklich voller Liberalität und voller sachlicher Einsicht.Herr von Dohnanyi, Sie können einfach nicht sagen: Wir sind fortschrittlich, weil wir die Gesamtschule vertreten. — Je differenzierter ein Schulwesen ist, je größer und mannigfaltiger das Bildungsangebot ist, desto größer ist doch auch der bildungsfördernde Effekt und nicht etwa umgekehrt. Es geht nicht an, uns hier so etwas in einem fast moralisierenden Ton zu erzählen.Herr von Dohnanyi, Sie haben eine klare Linie der Opposition verlangt. Diese klare Linie will ich Ihnen jetzt genau aufzeigen. Wir werden es Ihnen nicht erlauben, wie Sie es heute versucht haben, auf Nebengleise auszuweichen.
Wir werden uns nicht mit weltanschaulichen Exkursen zufriedengeben, sondern wir wollen wissen, was der Bund dazu beitragen will, um den Ländern in ihrer sehr schweren Lage finanziell und administrativ zu helfen. Das ist die klare Linie der Opposition.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1087
Das Wort hat der Abgeordnete Lohmar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, in dieser Debatte auf drei Aspekte zurückzukommen.Erstens. Wahrscheinlich haben wir Grund, unserem Kollegen Dichgans für einen Aspekt, den er in die Debatte gebracht hat, dankbar zu sein. Er hat die Aufmerksamkeit des Parlaments auf den Umstand gerichtet, daß die Überwindung des Numerus clausus als ein Stück Wissenschafts- und Hochschulpolitik wohl in vieler Hinsicht vorwiegend, aber nicht nur eine Sache des Staates ist. Sein Beispiel einer möglichen rationelleren Ausschöpfung und Ausnutzung vorhandener Kapazitäten könnte man umeinige andere vermehren, z. B. um den Hinweis, daß der Entwurf einiger Reformhochschulen, auf die Herr Dr. Vogel sich in seiner Rede bezogen hat, noch nicht ein Maximum an Anstregung von seiten der Hochschulen bedeutet, selber das zur Reform beizutragen, was ihnen möglich ist.Es ist heute eine merkwürdige Schizophrenie in den Beziehungen zwischen den Hochschulen und dem Staat zu verzeichnen. Auf der einen Seite erwarten viele an den Hochschulen — Professoren, Studenten, Assistenten — vom Staat, daß er die inhaltliche Regelung der Probleme übernimmt. Auf der anderen Seite erwarten sie gleichzeitig, daß man ihnen eine völlige Freiheit in der Gestaltung der Beziehungen an den Hochschulen läßt. Beides paßt nicht zusammen.Das Konzept für Reformhochschulen hat dazu geführt, daß sich die große Mehrheit der übrigen, sozusagen normalen Hochschulen zunächst einmal damit beruhigt hat, daß ja ein paar Hochschulen über Reformen nachdenken. Das reicht offensichtlich nicht aus. Wir müssen den Numerus clausus genauso wie die Hochschulreform und die Wissenschaftspolitik im ganzen als eine kooperative Aufgabe begreifen.Daraus folgt die zweite Überlegung: Die Überwindung des Numerus clausus ist nicht nur ein finanzielles und noch weniger ein nur technisch-organisatorisches Problem. Die Hamburger Universität macht in diesen Tagen eine Informationswoche und hat in einer Zeitung, die die Universität über das Problem des Numerus clausus herausgebracht hat, darauf hingewiesen, daß man das Problem des Numerus clausus weder verstehen noch aus der Welt schaffen könne, wenn man nicht die ideologischen Hintergründe mit einbeziehe, die überhaupt zu diesem Tatbestand geführt haben.Diejenigen Kollegen hier im Hause, die das Vergnügen gehabt haben, schon über mehrere Jahre die Duelle zwischen früheren Oppositionen und früheren Regierungen zu verfolgen, werden sich an die Zeiten erinnern, in denen es hier eine Regierungspartei gegeben hat — die heute die Opposition stellt —, von der maßgebliche Sprecher Elitheorien am Beispiel der Gestaltung des Honnefer Modells, am Beispiel der Hochbegabtenförderung, am Beispiel von Denkschriften der Bundesregierung entwickelt und nachzuweisen versucht haben, daß der Numerus clausus vielleicht gar keinso großes Übel sei, sondern eine elegante Methode, um eine elitäre Form des Leistungsbegriffes zu praktizieren.
Wir haben heute — worüber ich mich freue — von keinem Sprecher der CDU/CSU auch nur andeutungsweise noch solche Ideen gehört. Das ist ein Fortschritt, den man festhalten und begrüßen sollte.
Nur, der Numerus clausus ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern er ist durch eine Bildungspolitik mit ihrem dazugehörigen ideologischen Hintergrund in zwanzig Jahren als ein politisch heute aktuell gewordenes Problem entstanden.
Man kann leider aktuelle politische Analysen und auch die Bewältigung politischer Schwierigkeiten nicht immer ganz ohne den Versuch unternehmen, die Ahnenreihe festzuhalten, aus der heraus sich ein Problem stellt und gebildet hat.Ich will hier jetzt nicht lange verweilen, sondern eine Konsequenz daraus ziehen: Wenn es stimmt, daß man den Numerus clausus nicht nur technischorganisatorisch und auch nicht nur finanziell verstehen und beseitigen kann, dann stellt sich die Frage nach den Maßstäben, die wir diskutieren, die wir klären und die wir anweden müssen, um zu einer in sich klaren, in sich schlüssigen Hochschulpolitik, wovon der Numerus clausus nur ein Teil ist, kommen zu können.Ich sagte: für meine Person stimme ich dem Kollegen Dichgans in vielem zu, in einem jedoch nicht. Er hat gesagt, es sei in allen Parteien Mode geworden, sich allen Forderungen der Studenten mehr oder weniger anzupassen, Herr Dichgans, ich glaube, man kann diesen Satz nicht aussprechen ohne einen Vorsatz: In den Jahren 1957 bis 1965 haben die Studenten mit einer beinahe grenzenlosen Geduld und einer nicht zu überbietenden Sachlichkeit der deutschen Öffentlichkeit Reformvorschläge vorgelegt und sie immer und immer wieder zur Debatte gestellt, ohne das eine politisch hinreichend klare Reaktion darauf erfolgt ist.
Der Satz, den Sie hier gesprochen haben, gewinnt eine teilweise Berechtigung nur dann, wenn man diesen Vorsatz ausspricht und auch bereit ist, zu akzeptieren, daß hier ein politisches Versagen der Führung unseres Staates vorliegt, mit dessen Spätfolgen wir uns heute auseinanderzusetzen haben. Man kann, glaube ich, jetzt nicht einseitig den Studenten etwas anlasten.
Was mich in bezug auf die inhaltlichen Maßstäbe dabei bewegt, meine Damen und Herren, ist die Beziehung, in die zwei Strukturmerkmale unserer Gesellschaft in der Diskussion der beiden letzten Jahre zueinander geraten sind. Ich meine die Demokrati-
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1088 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Dr. Lohmarsierung als weitere Entwicklungsrichtung unserer Gesellschaft und die Leistung, auf die eine Industriegesellschaft nicht verzichten kann. Demokratisierung wird von denen, die sie heute gern für sich pachten, von den progressiven Reformen an den Universitäten bis hin zu den Revolutionären, gelegentlich so mißverstanden, als ob Demokratisierung eine Mischung von Anarchie und Utopie sein könnte. Das kann sie nicht sein. Aber wenn wir diese Verfälschung des Inhalts von Demokratisierung verhindern wollen, dürfen wir nicht mit Zynismus oder mit Achselzucken auf diese Fehldeutung einer Demokratisierung reagieren, sondern wir müssen darauf mit einer präzisen Definition dessen reagieren, was wir selber unter Demokratisierung verstehen.Das gleiche gilt für die Leistung. Das sogenannte Establishment, das von den Studenten berannt wird, versteht unter Leistung vielfach eine Mischung von hierarchischer Unterordnung und intellektueller Anpassung. Daß die Studenten gegen diesen verengten Leistungsbegriff Sturm laufen, wundert mich nicht. Ich würde es mit ihnen gemeinsam tun. Das heißt, auch hier stehen wir vor der Frage: Wie können wir einen Leistungsbegriff offener, kooperativer formulieren — und z. B. beamtenrechtliche Konsequenzen daraus ziehen —, der nicht auf Unterordnung und auf Anpassung gerichtet ist und damit zu Recht die Kritik der Studenten herausfordert?
Zusammenfassend darf ich zu diesen beiden Punkten sagen: Die Gefahr, die in der augenblicklichen Diskussionslage in unserem Staat und in unserer Gesellschaft, zugespitzt bei der Debatte über den Numerus clausus, liegt, ist die, daß Demokratisierung und Leistung als zwei Begriffe verstanden und gebraucht werden, die miteinander unvereinbar seien. Ich meine, daß außerordentlich viel für das politische Selbstverständnis und für die politische und intellektuelle Operationsfähigkeit unseres Staates von dem Nachweis abhängt, daß Demokratisierung und Leistung nur scheinbar unvereinbar sind, daß sich in Wirklichkeit beide Begriffe nicht ausschließen, sondern daß sie zusammengehören. Aber dann muß man Demokratisierung und Leistung auch so 'bestimmen, daß sie zueinander passen.Die letzte Bemerkung. Mein Fraktionskollege Dr. Meinecke hat in dem Vergleich des Beschlusses, den der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft gefaßt hat, mit seinen fünf Punkten zur Überwindung des Numerus clausus, und der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/ CSU festgestellt, daß die Regierung in dankenswerter Weise den Anregungen des Ausschusses in den meisten Punkten gefolgt sei, in einem von zwei genannten Punkten allerdings nicht, nämlich in dem der Bildung einer Projektgruppe. Nun war dieser Vorschlag zur Bildung einer Projektgruppe für den Numerus clausus nicht eine Überlegung, die irgend jemand sozusagen in einer wachen Stunde eingefallen wäre. Der Sinn dieses Vorschlages ist der, daß man Menschen, die im Bereich der Forschung, die im Bereich der Planung oder im Bereich der politischen Entscheidung an der Überwindung dieses Problems arbeiten oder arbeiten sollten, an einen runden Tisch zwingt und sie nicht eher wieder aus der Kemenate herausläßt, bis sie sich über eine Tatbestandsaufnahme, eine Zielformulierung und politische Entscheidungsalternativen geeinigt haben.
— Na, es könnten ja ein paar Damen dabeisein, Herr Kollege Raffert; das würde vielleicht die Atmosphäre etwas angenehmer gestalten. — Anders ausgedrückt: ich teile nicht die Meinung derjenigen, die glauben, daß die Schwierigkeit in der politischen Meinungsbildung in diesem Bereich „Numerus clausus" vorwiegend in der Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern begründet liege, und die ein Allheilmittel dann darin suchen, dem Bund möglichst alles zu geben und den Ländern alles zu nehmen.Das Problem ist ein anderes. Das Problem ist das Nebeneinander von vielen Einrichtungen auf der Ebene der Forschung, der Planung und der politischen Entscheidung, deren Informationsströme, deren Meinungsbildung und deren Entscheidungen völlig nebeneinander herlaufen. Diese verschiedenen Einrichtungen auf allen drei Ebenen müssen durch eine angemessene organisatorische Form zur Kooperation gezwungen werden. Nichts anderes hat die Koalition im Wissenschaftsausschuß mit ihrem Vorschlag zur Projektgruppe gemeint. Wir möchten vermeidbaren Kompetenzstreitigkeiten aus dem Wege gehen, aber wir möchten auch nicht das Ausmaß an sachlichen und zeitlichen Reibungsverlusten weiter in Kauf nehmen müssen, das durch dieses Nebeneinander in den letzten 20 Jahren in der Bildungs- und Hochschulpolitik entstanden ist.Deshalb eine Bitte an den Herrn Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, ergänzend oder abrundend zu der Antwort, die er dem Bundestag gegeben hat, über diesen Punkt noch einmal nachzudenken und uns das wissen zu lassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bemerkungen des Herrn Kollegen Dr. Martin machen es notwendig, daß ich mich noch ein bißchen deutlicher ausdrücke, als es bisher geschehen ist, was ich bedauere. Herr Dr. Martin, ich bin der Meinung — ich will es noch einmal ganz deutlich sagen —, daß das Ausgeben von Geld in diesem Bereich nur dann politisch sinnvoll ist, wenn die Garantie besteht, daß die Geldausgabe im reformerischen Sinne auch effektiv wird.
— Sie sind einverstanden?
— Gut. Da haben wir eben über das, was der Inhalt der Reform sei, offensichtlich durchaus verschiedene Meinungen auf einigen Gebieten. Ich bedauere,
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Moerschdaß man hier mit großem Aplomb eine Debatte über Summen führt, die noch nicht im Haushalt endgültig fixiert sind, und daß man auch über die Frage streitet, was man an Reform tun könne und werde, ehe der Gesetzentwurf der Regierung über die Grundsätze des Hochschulwesens hier auf dem Tisch liegen kann. Es ist gar keine Frage, daß an Hand einer solchen Vorlage manches in der Debatte kürzer ausgefallen wäre, weil man präziser auf den Punkt gekommen wäre, wo die Meinungen auseinandergehen. Da gehen sie sicherlich — das wird man sehen — auseinander, wenn der Entwurf vorliegt. Aber das ist für mich der politische Maßstab. Ich möchte, daß dieses Haus sich bei der Geldausgabe für den Hochschulbau an den Grundsätzen orientiert, die hier für die Reform und für die Gesamtstruktur des Hochschulwesens beschlossen werden. Dabei, das muß ich sagen, wäre eine einengende Gesetzgebung schlecht. Sie muß so sein, daß sie nicht den bestehenden Zustand festschreibt, sondern so, daß Entwicklungen möglich sind.Wenn ich von der differenzierten Gesamthochschule gesprochen habe, dann heißt das: eine Differenzierung innerhalb der integrierten Gesamthochschule, jedenfalls nicht der korporativen, die Sie meinen. Daß da Differenzierungen notwendig sind, ist doch eine bare Selbstverständlichkeit. Da braucht man keine Wortklauberei zu betreiben. Es wird Schwerpunkte der Forschung und Schwerpunkte der Lehre geben. Das ergibt sich schon aus der Einbeziehung der Fachhochschulen.Nun kommen Sie wieder mit dem alten Dreh, dem Art. 91 a, und sagen: Da muß das Wort „wissenschaftlich" gestrichen werden. Herr Dr. Martin, haben Sie eigentlich nicht gehört, was z. B. der Kultusminister Dr. Huber gesagt hat? Der hat sich am letzten Donnerstagabend dagegen verwahrt, daß man etwa seine Pädagogischen Hochschulen nicht für wissenschaftlich hält; was Sie ja offensichtlich sehr bewegt hat. Der war ganz einverstanden mit der jetzigen Formulierung. Ich bin den Meinung, man hätte das Gesetz durchaus anders formulieren können. Wir Freien Demokraten waren damals dieser Ansicht gewesen.Aber die Sorgen, die Sie hier geäußert haben, sind offensichtlich gar nicht die Sorgen der Leute, die im Planungsausschuß sitzen. Das ist doch ein Scheingefecht, das Sie auf diesem Gebiet führen. Wenn die Grundgesetzänderung notwendig sein sollte, gut, dann wird sie gemacht werden. Aber Sie werden doch auch nicht ernsthaft behaupten wollen — da sind Sie offensichtlich einigen Mißverständnissen aufgesessen —, daß etwa ein Land wie Bayern nicht nur die Planung fertig habe für, ich glaube, 1,7 Milliarden DM, sondern auch sofort in der Lage wäre, das Geld sinnvoll auszugeben. Herr Huber hat es nämlich bestritten.
— Ja, bitte, in vier Jahren. Dann tun Sie doch nicht so, als ob das ganz anders gewesen wäre. Ich will ja nur einmal feststellen, was in dem Gespräch mit den Kultusministern gesagt worden ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte!
Herr Moersch, ist Ihnen nicht aufgefallen, daß es uns bei der Änderung des Art. 91 a, der Streichung des Wortes „wissenschaftlich", in erster Linie auf die Fachhochschulen ankommt und nicht so sehr auf die pädagogischen Hochschulen, deren Status ja heute ziemlich klar ist?
Mir ist aufgefallen, daß dieses Problem nicht existiert, wenn Sie unseren Vorstellungen über die Gesamthochschule folgen.
— Das habe ich ja vorhin dargelegt. Das wollen wir dann bei der Hochschulgesetzgebung machen. Ich bin bereit, Ihnen einige Aufsätze darüber zu geben. Ich dachte, die, die hier diskutieren, wüßten ganz genau, worum es sich handelt. Wir haben es jedenfalls in der Öffentlichkeit schon ausführlich erörtert.Ich habe nur noch ganz wenige Minuten Redezeit; deshalb muß ich mich hier auf die paar Punkte konzentrieren, die mir bei Herrn Dr. Martin unklar gewesen sind. Es sind noch eine Menge anderer. Er hat ja sowieso mit einem neuen Begriff operiert. Ich finde ihn sehr eingängig, Herr Dr. Martin. Sie haben vom „Homo simplex" gesprochen.
— Ja. ja, ich weiß; aber wenn ich Sie so sehe, finde ich das eigentlich ganz gut.
— Nein, nein — ich meine, das ist eine gute Sache. Wir hatten einen Mathematiklehrer, der hat uns immer gesagt, daß einfach und doch simpel eine gute Lebensdevise sei. Der ist gut damit durchgekommen, glauben Sie es mir.Sehen Sie, das Einfache ist nämlich einfach deswegen notwendig
— das wollte ich nicht unterstreichen, Herr Dr. Lohmar —, weil hier z. B. darinsteht, daß es in bestimmten Fächern keine Zulassungsbeschränkungen gibt. Es ist eines dabei, das finde ich ganz amüsant; deswegen zitiere ich es hier noch einmal. Ich kann nicht Griechisch; Sie werden es sicher übersetzen können. Man kann in Deutschland an vier Ausbildungsstätten das Fach der Ökotrophologie studieren.
Das sollten Sie einmal ein bißchen studieren, um nicht nur Hauswirtschaft, sondern allgemeine Wirtschaftszusammenhänge dabei zu erfahren. Ökotrophologie heißt Hauswirtschaft, wenn ich das richtig sehe.Sie haben hier soeben über Finanzierungsprobleme in einer Weise gesprochen, bei der es jeder Hausfrau grausen würde. Sie haben nämlich Ansichten über die Finanzierung von Bildungsausgaben
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Moerschmitgeteilt, die ganz und gar unökonomisch sind. Sie müssen sich schon einmal bei Ihren Konjunktur- und Haushaltspolitikern erkundigen, was das eigentlich soll. Daß jemand von „Bildungsteuer" oder von „Bildungsanleihe" spricht, halte ich nicht für gut, ich sage das ganz offen. Erstens deshalb, weil es sich um eine Abgabe handelt und nicht um eine Steuer, wenn ich eine zweckgebunde Abgabe erhebe. Das gibt es in Kalifornien, dort können Sie das studieren; das hat dort einen gewissen Sinn. Zum zweiten: Die Anleihen des Bundes sind von allgemeiner Art und nicht spezieller Natur.
Herr Abgeordneter Moersch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Martin? — Bitte!
Herr Moersch, Sie sind doch sicher intelligent genug, um verstanden zu haben, daß der Nerv meiner Ausführungen nicht darauf hinauslief, mich in Volkswirtschaft zu verlieren, von der ich so viel verstehe wie Sie etwa, sondern darauf, zu sagen, daß diese Regierung, die die grundlegenden finanziellen und wirtschaftspolitischen und konjunkturpolitischen Entscheidungen bis jetzt nicht hat treffen können und demzufolge auch keine Aussage zur Bildungspolitik machen kann, insgesamt zu einer Lähmung der Kulturpolitik führt.
Herr Dr. Martin, diese Regierung wäre leichtsinnig, wenn sie ohne genaue Angaben derer, die von ihr aus dem Bundeshaushalt Geld bekommen sollen, hier präzise Voraussagen machte.
— Das können Sie nicht;
denn die Kriterien für die Geldausgabe sollen ja erst erarbeitet werden. — Sie können sich nachher noch einmal zu Wort melden; meine Redezeit ist leider begrenzt.
— Natürlich. Aber Sie haben doch schon einmal etwas davon gehört, daß wir ein föderales System haben, in dem die Länder mitwirken und die Ausführenden sind. Da sind wir uns doch wohl einig. Das können Sie doch nicht par ordre du moufti machen, sondern da müssen Sie mit den Ländern darüber gesprochen haben, wie das eigentlich organisiert werden soll. Die Strukturen, die wir bisher in den Ländern, etwa in Baden-Württemberg, für Hochschulneugründungen hatten, waren nicht gerade sinnvoll, Herr Dr. Hauser. Das wissen Sie doch am allerbesten. Diese Neugründungen sind zum Teil nach altbadischen Gesichtspunkten vorgenommen worden und nicht nach Gesichtspunkten der Heimatorte der Studenten. Das soll künftig nicht mehr geschehen. Das Atlbadener Problem werden wir dann vielleicht einmal hinter uns haben.
— Herr Pfeifer, welche Ansichten die FDP im Stuttgarter Landtag vertreten hat, steht hier nicht zur Debatte. Jedenfalls hat sie eine Ansicht immer vertreten, nämlich daß die Gründung der Universität Konstanz nicht rational zu begründen war. Das wissen Sie auch.
— Ja, hinterher, nachdem es passiert war durch den Ministerpräsidenten. Die „Kurt Georgiana" wäre dort niemals entstanden, wenn nicht gerade ein paar Altbadener beim Kaffeenachmittag darum gebeten hätten. So sind doch in Deutschland schon Hochschulen gegründet worden, und das wollen wir nicht fortsetzen.
Herr Abgeordneter Moersch, ich glaube, durch die Beantwortung von Zwischenfragen ersparen Sie sich mehr Zeit als durch Dialoge.
Gut.Die Frage ist doch, Herr Dr. Martin — und das möchte ich von der CDU/CSU-Fraktion wissen —, ob Sie bereit sind, innerhalb der gesamten Steuer-lastquote, die wir heute haben, die Bildungsausgaben und die Bildungsinvestitionen zu finanzieren, wobei nicht nur laufende Steuereinnahmen möglich sind, sondern auch Anleihen auf dem Kapitalmarkt, ob Sie das nun „Bildungsanleihen" oder wie auch immer nennen; man sieht es dem Geld nicht an, wofür es ausgegeben wird. Diese Frage müssen Sie beantworten. Wir möchten auch wissen, ob Sie hier Ihren Sprechern folgen, die sagen — das ist ja hier auch geschehen, und das möchte ich doch einmal gern erkunden —: Wir müssen praktisch die Steuern erhöhen, um diese Aufgaben bewältigen zu können. Das müssen Sie uns hier sagen; daran haben wir doch ein Interesse.
— Für einige Leute ist es ,ein bißchen schwierig, zu begreifen, daß bei einer sehr schnell wachsenden Wirtschaft und vor allem bei einer Geldentwertung— an der Sie ja nicht ganz unschuldig sind; ich will jetzt nicht auf dieses Thema zurückkommen — die Progression der Steuern bedingt, daß der Anteil des Gesamtsteueraufkommens am Volkseinkommen relativ größer wird und daß damit eine Vermögensumschichtung zugunsten der öffentlichen Hand und auf Kosten des einzelnen Bürgers eintritt. Ich bin der Meinung, daß das nicht notwendig ist, sondern daß man von Zeit zu Zeit in diesem System in der Tat, wenn der konjunkturpolitisch richtige Zeitpunkt gekommen ist, die Steuern senken muß, z. B. den Grundtarif der Einkommen- und Lohnsteuer. Da müssen Sie sich deutlich ausdrücken. Sie haben Kollegen in diesem Hause, die ganz anders denken.Wenn Sie solche zunächst populär klingenden Forderungen erheben, daß man für die Bildung auch höhere Steuern vereinnahmen müsse, dann müssen Sie den Leuten auch einmal sagen, daß die Steuern ohne formelle Steuererhöhung ständig höher gewor-
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Moerschden sind und noch höher werden, und wenn Ihnen dieser Gesichtspunkt nicht einleuchtet, dann erkundigen Sie sich bitte einmal bei Ihren Haushaltsexperten und bei den Mitgliedern des Finanzausschusses darüber, bevor Sie hier neue Legenden in die Welt setzen. Darum ging es doch nur.
— Sie werden nicht bestreiten können, daß beispielsweise die Steuereinnahmen in Baden-Württemberg, verglichen mit dem letzten Quartal, um 22 % gestiegen sind. Das ist eine überproportionale Steuerzunahme. Herr Dr. Vogel hat uns mitgeteilt, daß es. seiner Ansicht nach möglich ist, in den Länderhaushalten in wenigen Jahren 50 °/o der Einnahmen für Bildungsausgaben bereitzustellen, und zwar ohne Steuererhöhung. Das sollten wir Herrn Dr. Vogel glauben; denn er hat sich das durchrechnen lassen.Ich meine, daß Sie hier nicht über Dinge reden sollten, die überhaupt nicht zur Debatte stehen. Sonst müssen Sie nämlich gewärtig sein, daß man Fragen stellt zu Ausgabepositionen, die Ihnen in der Vergangenheit ganz besonders wichtig erschienen sind und noch in der Gegenwart wichtig erscheinen, die aber anderen Leuten gar nicht wichtig erscheinen. Sie müssen die Priorität der Bildungsinvestition schon an Hand der gegebenen Größenordnung der Steuereinnahmen begründen. Darum möchte ich Sie bitten, und wenn Sie sich dazu klar bekennen, wäre das eine deutliche Klärung dieser Debatte. Darauf kam es mir an.
Das Wort hat der Abgeordnete Ott.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär von Dohnanyi hat vorhin in Zusammenhang mit der prozentualen Quote der Arbeiter von „Skandal" gesprochen. Herr Staatssekretär, ich glaube, das Wort „Skandal" wäre angebracht, wenn man berücksichtigt, in welcher Weise manchmal Statistiken gemacht und wie sie ausgewertet werden. Wenn Sie beispielsweise an allen Hochschulen die Studenten frauen, welchen Beruf der Vater erlernt hat, werden Sie zu einem ganz anderen Prozentsatz kommen, als wenn Sie nach dem Beruf des Vaters fragen. In einer Reihe von Fällen haben sich Arbeiter und Angestellte emporgearbeitet und heute einen anderen Beruf als damals. Wenn ich beispielsweise an dieses Haus denke, in dem eine Reihe von Gewerkschaftssekretären früher Arbeiter waren und deren Kinder heute an der Hochschule studieren, dann schreiben die hinein: Geschäftsführer. Ich möchte wissen, was der Sohn des Herrn Bundeskanzler hineinschreibt. Der war auch der Sohn eines Arbeitnehmers. Der ist aber heute schon nicht mehr als Arbeitnehmer anzusprechen. Wo kämen denn sonst die 179 000 mehr Studenten her, wenn das so wäre, wie Sie sagen, daß angeblich nur jeweils die Kinder der herrschenden Schicht auf die Hochschulen gingen? Soviel hätte die herrschende Schicht an zusätzlichen Studentenkindern gar nicht aufbringen können.
Zum zweiten. Herr Kollege Moersch, Sie haben versucht, meiner Frau Kollegin Walz aus Hessen —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sperling? — Bitte!
Ist Ihnen bekannt, daß die Zuwachsraten der Studentenzahlen aus den Schichten der mittleren und höheren Angestellten und mittleren und höheren Beamten stammen, sowie aus dem selbständigen Mittelstand, und ist Ihnen bekannt, daß die Zuwachsraten heute immer noch nicht aus der Arbeiterschaft stammen?
Herr Kollege, ich bitte darum, daß man in der Zukunft in der Statistik von anderen Maßstäben ausgeht und einmal nach dem erlernten Beruf des Vaters fragt, um präzisere Unterlagen zu bekommen, als es gegenwärtig der Fall ist. Es gibt eine Reihe von Fällen, wo sich Arbeiter und Angestellte als Arbeitnehmer zwischenzeitlich auch zu Unternehmern entwickelt haben. Dann heißt es in der Statistik: selbständige Unternehmer. Dagegen ist der erlernte Beruf des Vaters früher Arbeitnehmer, Angestellter oder Arbeiter gewesen.
Eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Sperling.
Wissen Sie, seit wie langer Zeit das Statistische Bundesamt eher nach der Größe der Schnittblumenfläche als nach der Herkunft von Studenten der sozialen Schichtung nachfragt, und wie kann es wohl verantwortet werden, daß solche Fragen, die heute für unsere bildungspolitische Diskussion relevant wären, eigentlich 20 Jahre überhaupt nicht gestellt wurden?
Herr Kollege, die Frage ist fälschlicherweise an mich gerichtet. Ich bitte, daß Sie sie nach Wiesbaden oder sonstwo richten.Zum dritten —, Herr Kollege Moersch. jetzt bin ich bei Ihnen: Sie haben wiederholt versucht, uns unter die Weste zu jubeln, daß wir für die Bildungssteuer sind. Ich habe fälschlicherweise den Herrn Bundeswissenschaftsminister dafür verantwortlich gemacht, habe mir aber zwischenzeitlich die Unterlagen besorgen können. Für die Bildungssteuer als Ablösung der Ergänzungsabgabe sind nach einer Meldung der Herr Ministerpräsident Osswald aus Hessen, Herr Ministerpräsident Kuhn aus Nordrhein-Westfalen ; für Steuererhöhungen war auch Herr Minister Schiller.
— Moment, lassen Sie mich doch reden. Wir haben die Sache jetzt umgedreht. Wir haben einmal festgestellt, wer von der anderen Seite von Steuererhöhungen spricht. Sie von der FDP waren sogar dafür, wegen der vorübergehenden konjunkturellen Situation darauf zu verzichten, die Ergänzungsabgabe zu senken und den Arbeitnehmerfreibetrag
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1092 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Ottzu verdoppeln. Es war also falsch, Herr Kollege Moersch, uns etwas in die Schuhe zu schieben, was Sie und Ihr Koalitionspartner seit Wochen in der Öffentlichkeit sagen. Das wollte ich bloß festgestellt haben, damit von Ihnen keine Legendenbildung in die Öffentlichkeit kommt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Moersch? - Bitte.
Herr Kollege Ott, vielleicht sind Sie bereit nachzulesen, was Ihr Fraktionsvorsitzender Dr. Barzel verkündet hat, und das mit Ihren Ausgabeanträgen zu vergleichen. Und sind Sie bereit, mir zuzugestehen, daß die Verschiebung der Senkung der Ergänzungsabgabe mit einer Rücklagenbildung gekoppelt werden soll, d. h. mit einer Stillegung von Geldern aus konjunkturpolitischen Gründen, und ist das nicht etwas völlig anderes als das, was Sie eben hier gesagt haben?
Herr Kollege Moersch, das, was Sie jetzt sagen, ist ja wesentlich später erfolgt, nämlich zu der Zeit, als Kollege Barzel der Regierung vorgeschlagen hat, mit der Steuersenkung so lange zu warten, bis der Bundeshaushalt ausweist, ob soviel Geld überhaupt vorhanden ist. Das ist doch die Tatsache.
— Nein, das ist alles erst später gekommen. Sie sind erst später gescheit geworden, nachdem Sie festgestellt haben —
— Sie können auch sagen: Was geht mich das dumme Geschwätz von gestern an.
Das würde ich Ihnen durchaus abnehmen.
Herr Kollege Moersch, wir hätten statt Ihrer Senkung um 2 Milliarden DM andere Verwendungszwecke gehabt. Wir waren von Anfang an nicht dafür, weil wir gesehen haben, daß Bildungsausgaben vor uns stehen. Das haben wir nämlich längst vor Ihnen erkannt, daß wir hierfür Geld brauchen.
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Wenn Sie der Meinung sind, daß man alles auf Schulden machen und in die Zukunft verlegen kann, dann müssen Sie auch darauf Rücksicht nehmen, daß öffentliche Ausgaben, die wir mit Schulden finanzieren und die nicht wirtschaftlicher Art sind, in der Zukunft durch die Folgelasten neben dem erheblichen Schuldendienst auch noch die laufenden, erhöhten Betriebskosten erfordern. Es ist keine Kunst, meine Herren, Steuergeschenke zu machen und auf der anderen Seite diese Dinge mit Schulden zu finanzieren.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte hier in meiner Eigenschaft als Abgeordneter des Deutschen Bundestages ein paar Worte sagen. Für einen Abgeordneten, der diese Diskussion erlebt und der viele Jahre einem Landesparlament angehört hat, ist es doch irgendwie sehr erschreckend, den ganzen Verlauf der Vorwürfe hier zur Kenntnis nehmen zu müssen.
— Ich will gerade untermauern, was Herr Moersch schon heute nachmittag in seiner Rede gesagt hat. Ich habe den Eindruck, viele Ihrer Kollegen bei der Christlich Demokratischen Union haben das leider noch nicht begriffen.
— Ich werde versuchen, es Ihnen so deutlich zu machen, daß Sie es begreifen können; Sie können dabei unbesorgt sein.
— Ja; denn ich kann nicht immer auf Ihr Niveau hinabsteigen.Schauen Sie, wir haben in Nordrhein-Westfalen eine Verfassung und ein Schulgesetz bekommen, das uns, von der Christlich Demokratischen Union in der Verfassung verankert, im Jahre 1950 serviert worden ist. In diesem Schulgesetz waren Bestimmungen enthalten, wonach die Unterschrift von 40 Erziehungsberechtigten ausreichte, damit konfessionelle Schulen in unseren Städten und Ländern eingerichtet wurden. Ich habe als Bürgermeister in meiner Heimatstadt, obwohl die Mehrheit des Parlaments aus Sozialdemokraten und Freien Demokraten bestand und das Stadtparlament diese Entscheidungen nicht zu treffen bereit war, auf Grund der Entscheidungen des Landesgesetzgebers und auf Grund des Schulgesetzes selber den Grundstein für eine Vielzahl solcher konfessioneller Zwergschulen legen müssen; das war in den 50er Jahren bis in die 60er Jahre hinein.
— Keine Sorge, das gehört zu diesem Thema! — Was allein auf diesem Gebiet in Deutschland in den letzten 20 Jahren auf Grund der gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Christlichen Demokraten an Fehlinvestitionen geleistet worden ist, zu denen wir auf Grund der Gesetze verpflichtet waren, die Sie in diesen Ländern entscheidend geschaffen haben, hätte ausgereicht, um in diesen Jahren eine Fülle von Hochschulen bauen zu können, um die Misere, die wir heute haben, weitgehend früh genug abwenden zu können.
Das ist doch die Situation, vor der wir stehen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1093
DornWir, meine Damen und Herren, haben uns in Nordrhein-Westfalen, in Bayern und anderen Ländern — auch in Rheinland-Pfalz — jahrzehntelang bemühen müssen, Sie davon zu überzeugen, daß der Weg der Zersplitterung der Erziehung in unserem Lande für die Kinder völlig unzumutbar und völlig untragbar für die öffentlichen Haushalte ist. Was Sie uns an Verpflichtungen auferlegt haben, hat uns doch dazu gebracht, daß wir diese Misere erst bekommen haben, über die Sie mit uns heute gemeinsam klagen, für die Sie aber primär die Verantwortung tragen. Das wollte ich Ihnen noch einmal in aller Klarheit sagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kotowski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei vorgerückter Stunde hätte ich meinen Diskussionsbeitrag eventuell zurückstellen können, wenn nicht inzwischen in der Debatte einige Positionen bezogen worden wären, die nicht unwidersprochen bleiben können.Nun möchte ich gleich sagen, daß ich nicht zu denen gehöre, die Polemik für etwas Schändliches halten. Ein Parlament ohne Polemik ist eine Leichenhalle. Ich habe auch keine Bedenken, wenn Angehörige der Regierungsparteien oder natürlich auch der Regierung von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Allerdings wird Polemik um so eindrucksvoller sein, je mehr sie sich auf richtige Argumente stützt.Da muß ich mich zu meinem Bedauern zunächst mit den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs von Dohnanyi beschäftigen, die zu den immerhin vertretbaren Äußerungen des zuständigen Bundesministers, aber auch zu den sehr wichtigen Äußerungen des Herrn Abgeordneten Lohmar, mit denen ich mich gern ausführlich auseinandergesetzt hätte, was aber jetzt aus Zeitgründen nicht geht — ich hoffe, das nachholen zu können —, im Gegensatz standen. Der Herr Abgeordnete von Dohnanyi hat ein sehr bekanntes Experiment gemacht. Wenn ich das aufgreife, will ich den Herrn Bundesminister nicht in die Geschichte hineinziehen, aber doch seinen Staatssekretär.
Er hat uns im Grunde gesagt, daß er oder das Haus, das er vertritt, in den nächsten Jahrzehnten schon deswegen nicht notwendigerweise etwas tun muß, weil wir — er wies dabei zur CDU/CSU — uns 30 bis 40 Jahre mit dem sozialen Numerus clausus ganz gut abgefunden hätten. Herr Staatssekretär, ich möchte Sie nicht belehren. Aber ich darf Sie vielleicht darauf aufmerksam machen, daß es die CDU/CSU vor 30 oder 40 Jahren noch gar nicht gegeben hat.
Dagegen hat es Jahre 1929 sehr wohl eine Sozialdemokratie gegeben. Wenn Sie solche Argumentationen gebrauchen, Herr Staatssekretär, so ist das nicht recht glaubhaft.Ich möchte im Verlauf der weiteren Auseinandersetzung gleich darauf hinweisen, daß die ganze Problematik von Ihnen wirklich viel zu simpel gesehen wird. Das Problem hat, ähnlich wie das von Herrn Dorn angeschnittene Problem der sicher zum Teil überzogenen Festhaltung konfessioneller Bereiche, seine Wurzeln im 19. Jahrhundert. Es hat seine Wurzeln im Kampf gegen die Sozialdemokratie im Ausgang des 19. Jahrhunderts und dieser sehr starken Gruppenspaltung, die sich dadurch im deutschen Volk ergeben hat und die eine Art sozialistischer Subkultur mit allen Nebenwirkungen erzeugt hat, Dinge, über die Fachleute gar nicht streiten. Ähnliches gilt natürlich für bestimmte Gruppen in den katholischen Landesteilen. Das sind unter anderem Erbschaften der Vergangenheit. Das Problem selbst ist — das kann doch nicht ernsthaft geleugnet werden — in den letzten Jahren erheblich gefördert worden, wenngleich wir von zufriedenstellenden Zuständen natürlich weit entfernt sind.Nun, Herr Staatssekretär, haben Sie den Ausdruck „restaurativer Kurs" gebraucht und die sicher zulässige, aber eben nicht gerade tiefschürfende Bemerkung des derzeitigen Bundeskanzlers von dem versäumten radikalen Bruch mit der Vergangenheit wiederholt. Ich will darüber nicht polemisieren, nicht aus Angst, sondern weil ich glaube, daß Sie sich in einen Widerspruch begeben haben, wenn Sie dabei gesagt haben, diesen Bruch hätte man durch entschlossene Reformen durchführen können. Aber ein Bruch mit der Vergangenheit und Reformen schließen sich aus. Das sind kontradiktorische Positionen.
Ich glaube, daß das alles wirklich etwas sehr schwach ist, was Sie uns da gesagt haben.Der Herr Abgeordnete Kollege Moersch hat ein bißchen abfällig über die Universität Konstanz gesprochen.
— Nun bin ich sicher überzeugt davon, Herr Kollege Moersch, daß nicht nur Universitäten vom Typ Konstanz gebaut werden dürfen. Aber ich möchte hier einmal die Argumente des Herrn Kollegen Pfeifer aufgreifen. Während die CDU/CSU in aller Stille so Stücker 10 Universitäten gegründet und in Betrieb genommen hat, ächzt die deutsche Sozialdemokratie jetzt im 16. Jahr hinter ihrem Gründungsprojekt Bremen her.
Das ist Ihr Starunternehmen, und etwas anderes haben Sie nicht anzubieten; da gibt es gar nichts. Wenn Sie mit dieser Beschleunigung weiter arbeiten — der Gründungssenat ist wieder geplatzt, alle sind böse und gehen nach Hause —, ist gar kein Zweifel, daß unsere Nachfolger im Jahre 2070 hier sitzen und sich überlegen werden, ob man etwas zur Gründung einer Universität zu Bremen beitragen kann.
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1094 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Dr. KotowskiIch begreife nicht, wie Sie unter solchen Voraussetzungen die Kulturpolitik der CDU/CSU abqualifizieren, die natürlich ihre Mängel hat; wir sind doch nicht größenwahnsinnig und sagen nicht, wir hätten alles von Anfang an wunderbar gemacht und erkannt. Aber das Selbstgefühl, mit dem Sie hier von einer restaurativen oder ineffizienten Kulturpolitik der CDU/CSU sprechen, möchte ich einmal haben.
Ich weiß ja, meine Damen und Herren, Klappern gehört zum Handwerk, selbstverständlich. Aber nurKlappern ersetzt auf die Dauer die Politik doch nicht.
Diese kurzen Richtigstellungen waren jetzt leider noch erforderlich. Sie haben mir aber die wichtigen fünf Minuten genommen, die ich gebraucht hätte, um auf die Vorlage der Regierung und die Begründung durch den Herrn Bundesminister materiell einzugehen. Diese Zeit ist mir genommen worden. Aber ich bin ganz sicher, so wie sich die Regierungsparteien und wenigstens ein Staatssekretär heute in diesem Hause vorgestellt haben, wird es an munteren Unterhaltungen zu diesem Thema nicht fehlen, ich hoffe aber, mit dem Erfolg, daß die Bundesregierung, die erst jetzt die Möglichkeiten zu einer Bundeskulturpolitik auf diesem Sektor hat, nun von uns vorangetrieben wird. Alle Verweise auf die Zeit vor mehreren Jahrzehnten oder Jahrtausenden — ich weiß es nicht —, die sicher viel besser war, werden uns nicht daran hindern können, Sie darauf hinzuweisen, daß Sie dem deutschen Volke im Wahlkampf nicht nur irgendwie etwas Kulturpolitik versprochen haben, sondern diese Frage zum Zentrum Ihrer wahlpolitischen Diskussion gemacht haben. Dagegen sagen wir gar nichts, aber wir wollen doch alle der Hoffnung sein, daß Sie dieses Wahlkampfthema nicht nur als solches hochgezogen haben, sondern zumindest damals die Überzeugung hatten, daß Sie wenigstens etwas auf diesem Gebiet tun müssen.
Das Wort hat der Bundesminister Professor Leussink.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will nur zu ganz wenigen Punkten noch etwas sagen, weil ich den Eindruck habe, daß einige Dinge vielleicht sogar mißverstanden worden sind und daß von uns aus zu dem einen oder anderen Punkt etwas zu sagen wäre. Diese Themen werden sein: Wie sind Prozentzahlen zu bewerten? Abitur, Gesamthochschule, Verfassungs- und Gesetzesänderung, die in der Diskussion ist, Kapazitätsausschüsse und etwas zum Thema Lehre und Forschung. Ich werde es kurz machen.Ich habe heute vormittag und heute nachmittag sehr oft an diesen netten Slogan denken müssen, der heißt: Wunder geschehen bei uns sofort, das Unmögliche dauert etwas länger. Ich bin über das Alter der Wunder oder des Glaubens an Wunderhinaus. Wir stehen jetzt vor der Situation, daß wir versuchen, etwas bisher für unmöglich Gehaltenes möglich zu machen. Sie haben gesagt, Herr Martin, ich sei ein Homo simplex. Vielen Dank für das Kompliment! Sie erwarten offensichtlich von einem Homo simplex, daß er den Plan hier aus dem Ärmel schüttelt. Aber nicht einmal ein Homo simplex ist so mutig, wenn er in dem Amt, in dem er amtiert, nichts vorgefunden hat, hier nach noch nicht einmal hundert Tagen einen Plan auf den Tisch des Hauses zu legen.
Außerdem haben wir doch dafür Gremien, die Empfehlungen vorlegen. Wir haben gesagt, daß wir diese zu benutzen haben — denn da ist ja eine Menge gedacht worden —, um dann einen Plan daraus zu machen.
— Würden Sie meinen, daß ich draußen nichts mehr zu reden habe? Würden Sie es nicht für vernünftig halten, daß ich so wie jeder Bürger in diesem Staat sowohl vor meiner Berufung als auch heute noch sagen kann, was ich über dieses oder jenes denke?Zu den Prozentzahlen und ihrer Interpretation! Leider ist Frau Walz, die heute früh mit Verve die Anfrage vertreten hat und dabei einige Betrachtungen über die verschiedenen Zahlenangaben in der Presse gemacht hat, nicht mehr da.
— Ja, ich habe Verständnis dafür. Trotzdem hätte ich es ihr gerne gesagt. Prozentzahlen kann man doch, wenn man fünf oder zehn Jahre im voraus projiziert, nur als Größenordnungen ansehen. Diese haben natürlich ihre Bandbreiten. Wenn der eine Journalist meint, er müsse die untere Zahl nehmen, und der andere Journalist meint, die mittlere, und ein dritter, die höhere, dann können Sie mich nicht dafür verantwortlich machen. Es gibt die berühmte Rechenschieber-Genauigkeit; es gibt auch eine Bauingenieur-Geauigkeit — da ist die Bandbreite größer —; und es gibt die geländegängige Genauigkeit, Herr Martin; die ist noch etwas weniger genau. Und je weiter wir uns in dieses Gelände hinausbewegen, um so ungenauer werden wir, und zwar alle miteinander.Jetzt etwas zum Abitur. Hierzu ist gesagt worden, ich hätte eine Interpretation gegeben, die völlig außerhalb des Bisherigen sei. Ja, das stimmt. Aber ich bin schon in der Schule groß im Abschreiben gewesen und habe natürlich auch hier nur abgeschrieben. Ich habe nämlich das abgeschrieben, was der Bildungsrat, d. h. die Bildungskommission, in dieser Hinsicht bisher vorgeschlagen hat. Ich darf hier noch einmal sagen, daß ich das für sehr vernünftig halte und daß ich sogar den Eindruck habe, daß sich auch in den Ländern ein Konsensus dahingehend bildet, daß wir in Zukunft mehr oder weniger in Richtung der Empfehlungen der Bildungskom-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1095
Bundesminister Dr. Leussinkmission hinsichtlich der Abschlüsse im Sekundarschulwesen streben werden. Und wenn man wiederum etwas im voraus denkt, dann darf man doch nicht vom heutigen Abitur ausgehen, sondern dann sollte man versuchen, auch von dem, was sich als Neues, Zukunftsträchtiges anbietet, auszugehen, besonders wenn man sogar die Hoffnung haben kann, daß sich darüber ein gewisser Konsensus herausbildet.Im Zusammenhang mit dem Abitur ist die berühmte Frage nach der Begabungsforschung gestellt worden. Auf Grund welcher Angaben und Ergebnisse von Begabungsforschung, so ist dort gefragt worden — und das ist eine 'berechtigte Frage —, sagt der Herr Leussink, daß er es für notwendig hält, daß in absehbarer Zeit, nämlich in etwa zehn Jahren — es können auch zwölf Jahre sein; das ist wieder die Bandbreite —, etwa 50 % eines Jahrganges in diesem Volke bis zum 18. Lebensjahr in eine allgemeine Ausbildung gehen können? Ich kann darauf nur sagen: ich habe mit Begabungsforschung schon in den dreißiger Jahren zu tun gehabt, und da gab's in Dresden einen Ministerialrat, der mathematisch genau ausrechnete, daß nur bei so vielen jungen Menschen in diesem Volke eine Begabung vorlag, wie seinerzeit gerade in die höheren Schulen ging. Begabungsforschung ist eine außerordentlich schwierige Sache; es ist auch eine definitorische Schwierigkeit vorhanden. Glauben Sie nicht, daß wir z. B. mindestens das tun sollten, was in den östlichen Ländern, auch in der DDR, geschieht, daß wir auch — und jetzt werden Sie das wahrscheinlich von mir garnicht erwarten — die musische Begabung fördern sollten, auch bis zum 18. Jahr und noch weiter darüber hinaus?
Wenn Sie die Statistik einmal daraufhin durchsehen, was in ihr wirklich alles steckt, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, daß bereits heute zwischen 18 und 22 % der betreffenden Altersgruppe eine über die Schulpflicht hinausgehende, mehr oder weniger intensive allgemeine Weiterbildung erhalten. Dann ist doch wohl die Projektion auf 50 % eher zu kleinmütig als zu vage oder zu sehr nach dem Großmütigen hin.Wenn ich weiter gefragt werde, was für Begründungen ich dafür habe, dann ist die Antwort die schlichte Frage: Sind wir in diesem Volk wirklich so viel dümmer als der übrige Teil der Welt, als die Skandinavier, als die Nordamerikaner oder als die Russen? Wir brauchen meines Erachtens, um zu so bescheidenen Ansichten zu kommen, daß mindestens 50 % eines Jahrganges mindestens bis zum 18. Lebensjahr in die Schule gehen sollten, nicht noch lange auf Ergebnisse von Begabungsforschung zu warten, die sehr, sehr schwierig ist, weil man sich doch offensichtlich über den Begriff der Begabung erst einmal klarwerden muß.
Ein Wort noch zur Gesamthochschule. Ich habe mit großer Freude und Befriedigung heute hier gelernt, daß wir — Regierung, Koalition und Opposition — in diesem Punkt offensichtlich nicht weitauseinander sind. Selbstverständlich ist bei einem so schwierigen Gebiet heute ein wenig versucht worden, den einen etwas gegen den anderen abzusetzen. Es ist nie ein Hehl daraus gemacht worden, daß hier viele Wege nach Rom führen. Aber Sie können davon ausgehen, daß ich auch in dieser Hinsicht hinter dem sozialdemokratischen Programm stehe.Jetzt, Herr Kollege Kotowski, noch ein Wort zu Bremen, weil wir bei den Hochschulen sind. Ich glaube, die geschichtliche Wahrheit erfordert es — Sie haben ja gerade mit dieser Sparte etwas zu tun —, zu sagen: die Universität Bremen bestünde längst, wenn der Bund sich bisher nicht auf die verschiedenste Weise aus der Affäre gezogen und wenn er Bremen rechtzeitig mit auf die Beine gestellt hätte; denn daß dieser kleine Stadtstaat allein die Universität nicht gründen und betreiben kann, ist einfach eine Tatsache.
Nun noch ein paar Worte zu den Änderungen von Grundgesetz und Hochschulbauförderungsgesetz, die zur Zeit in der Debatte sind und morgen in den Ausschüssen beraten werden. Ich würde es nur logisch finden, daß man, wenn man in der Verfassung das Wort „wissenschaftlich" streicht — wir haben ganz klar erklärt, daß wir im Prinzip gar nichts dagegen haben; ich persönlich bin zwar der Meinung, man sollte nicht dauernd an der Verfassungsschraube drehen, aber wenn man meint, daß das jetzt notwendig ist, dann kann das zweifelsohne zur Verdeutlichung dessen, was wir anscheinend sogar zur selben Zeit meinen, nützlich sein —, dieses Wort dann auch im Gesetz streicht. Wozu dann dort noch einmal die Dreiklassentheorie der sogenannten wissenschaftlichen und pädagogischen Hochschulen sowie der sogenannten Fachhochschulen verewigen?
— Vielen Dank.Noch ein Wort zu den Kapazitätsausschüssen. Wahrscheinlich ist nicht genügend deutlich gemacht worden, Herr Kollege Meinecke, daß im Planungsausschuß die Debatte über den als „Arbeitskreis für die Probleme der Zulassungsbeschränkungen" firmierenden Ausschuß, der offensichtlich dasselbe meint wie Sie, bis zum 16. 3. zurückgestellt worden ist. Der gesamte Planungsausschuß ist der Meinung, daß das ein sehr wichtiges Thema ist.Nun noch etwas zu Lehre und Forschung. Es täte mir leid, wenn es wahr sein sollte, daß die Ausführungen auf Seite 4 meiner Antwort, wo es heißt: „Der Schwerpunkt der Gesamthochschule wird auf dem Gebiet der Ausbildung liegen", eine Verschiebung der Gewichte von Lehre und Forschung bedeutete. Aber, meine Damen und Herren, wir sind uns doch darüber im klaren, daß das Problem der Gesamthochschule nicht von der Forschung hergekommen ist, sondern von der Lehre, und genau das sollte es bedeuten.
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1096 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Bundesminister Dr. LeussinkIch würde bitten, daß man dann doch auch das liest, was am Ende dieses Absatzes steht, wo sogar über die bisherigen Möglichkeiten hinaus auch den Angehörigen des Teils der Gesamthochschule, den man heute vielleicht noch als Fachhochschule bezeichnen kann, Gelegenheit gegeben werden soll, alternativ auch an einem großen Forschungsunternehmen teilzunehmen.In diesem Zusammenhang ein paar Worte zu Herrn Dichgans. Herr Dichgans, diese Globalzahlen, die Sie genannt haben, stimmen natürlich. Ich glaube aber, nun muß man sich auch einmal — das fällt mir gar nicht so leicht — vor die medizinischen Fakultäten stellen. Würden Sie denn die Zustände von 1960, auf die Sie abgehoben haben, sowohl in der Lehre als auch in der Forschung perpetuieren wollen? Die medizinische Forschung war doch einfach — das habe ich nun in jahrelangen Verhandlungen mit allen möglichen Medizinern einfach gelernt — so weit hinter dem Weltmaßstab, daß man dazu zunächst einmal sehr viel tun mußte.Sie haben dankenswerterweise angedeutet, daß man die Sache differenziert sehen muß. Ich glaube, das muß man auch einmal ganz klar herausstellen.
— Bitte schön!
Herr Minister, sollten Sie in diesem Zusammenhang aber nicht auch anerkennen, daß der Lehrkörper der medizinischen Universitäten in dieser Zeit um etwa 50 % größer geworden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, aber doch mindestens zum Teil aus Gründen der Forschung.
Da wir gerade ein Zwiegespräch führen, Herr Dichgans, darf ich ein Wort zu dem sagen, was Sie hinsichtlich des Vergleichs mit den Kommunalverwaltungen ausgeführt haben. Ich glaube, daß das einer näheren Prüfung nicht standhält. Aber das ist sicher ein diskussionswertes Thema.
Bezüglich dessen, was Sie dann zum Staatskommissar gesagt haben, muß ich Ihnen ganz heftig widersprechen. Wenn Sie glauben, daß Sie mit Staatskommissiaren und ähnlichen Einrichtungen die deutsche Universität oder auch die deutsche Gesamthochschule wieder in Ordnung bekommen oder im Notfall auch nur regieren können, irren Sie sichschlicht. Spätestens da hinkt der Vergleich so sehr, daß mit ihm einfach nicht mehr zu arbeiten ist. Ich glaube, einer solchen Möglichkeit kann gar nicht scharf und oft genug widersprochen werden.
Zu diesem Punkt liegt keine Wortmeldung mehr vor.
Von den Fraktionen der CDU/CSU ist ein Entschließungsantrag auf Umdruck 6 *) vorgelegt wor-
*) Siehe Anlage 2
den. Nach übereinstimmender Meinung der Fraktionen soll dieser Antrag an den Ausschuß für Wissenschaft und Bildung überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Reinhard, Dr. Preiß und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Lage der landwirtschaftlichen Fakultäten
— Drucksache VI/156 —
Wer begründet den Antrag? — Herr Martin hat das Wort zur Begründung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag zielt darauf ab, eine Empfehlung des Wissenschaftsrates hinsichtlich der Neuordnung der landwirtschaftlichen Fakultäten noch einmal zu überprüfen, weil wir die Überzeugung haben, daß die Entscheidungsgründe, die zu dieser Empfehlung geführt haben, heute so nicht mehr zutreffen. Wir widersprechen nicht der Tendenz, die der Wissenschaftsrat hatte, nämlich durch Rationalisierung mehr Kapazitäten zu schaffen oder freizustellen, wir glauben aber, daß dieses Ziel durch die Empfehlungen nicht erreicht wurde.Wir stellen den Antrag, den wir am 2. Juli gestellt haben, heute wieder. Inzwischen hat sich die Situation insofern verändert, als auch die Einstellung der hessischen Landesregierung in Entwicklung begriffen ist und es fruchtbare Gespräche zwischen der Landesregierung und der Gießener Universität über diese Frage gibt. Die Gießener landwirtschaftliche Fakultät kann nicht isoliert als einzelne betrachtet werden. Sie ist die einzige Fakultät, die zusammen mit einer veterinärmedizinischen Fakultät arbeitet. Die beiden Fakultäten befassen sich gemeinsam mit solchen Problemen wie Tierproduktion, Futterbau und Betriebslehre.Die Gießener Fakultät ist an vielen interfakultativen Instituten beteiligt, z. B. am Tropeninstitut, am Institut für kontinentale Agrar- und Wirtschaftsordnung. Sie ist am Sonderforschungsbereich Mikrobiologie beteiligt, der die Pathogenitätsmechanismen bei Krankheitserregern bei Mensch, Tier und Pflanzen erforschen soll. Schließlich sei noch die Ernährungswissenschaft, die regionale Planung bzw. ihre Projektierung genannt.Die Fakultät zeichnet sich dadurch aus, daß sie in der Entwicklungshilfe eine große Rolle spielt. Sie betreibt seit Jahren Projekte in Nairobi und Izmir.
— Nein, er ist in Frankfurt. Wenn diese Fakultät aufgelöst würde, bedeutete das auch die Zerstörung eines Forschungsverbundes und interdisziplinärer Zusammenarbeit. Unter diesem Gesichtspunkt glauben wir, daß es keinen Gewinn bedeuten würde, diese Fakultät aufzulösen.Ein Zweites, meine Damen und Herren. Diese Fakultät ist auf dem Wege, das, was in der Diskussion als „Hochschulbereich" bezeichnet wurde,
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Dr. Martinpraktisch in Gang zu setzen, indem sie sich mit Fachhochschulen in Witzenhausen und Geisenheim ins Benehmen setzt. Wir sollten diesen Versuch, auf einem Sektor einen Gesamthochschulbereich zu errichten, nicht außer acht lassen.Die Verflechtung und Verzahnung dieser Fakultät mit einer Reihe von anderen Disziplinen bedeutet auch finanziell keine große Belastung. Die Schließung dieser Fakultät — das ist ganz wichtig — würde nicht zu wesentlichen Einsparungen führen, sondern lediglich zur Auflösung von Forschungszusammenhängen.Wir vermissen in der Stellungnahme des Wissenschaftsrats auch eine exakte Erhebung, wie groß der Bedarf an Landwirten in den Entwicklungsländern ist und welche Verpflichtungen wir ihnen gegenüber haben. Ich würde denken, daß das wichtig ist.Wir glauben auch, daß eine Überprüfung notwendig ist, weil die damalige Zusammensetzung des Wissenschaftsrates so war, daß ausgerechnet die Vertreter der Fakultäten, deren Entschließungen überhaupt nicht zur Diskussion standen, im Wissenschaftsrat tätig waren. Ich halte es für angebracht, daß uns im Kulturpolitischen Ausschuß die Entscheidungsgründe, die damals geltend gemacht worden sind, zugänglich gemacht werden.Tch bitte, diesen Antrag wohlwollend und freundlich zu behandeln. Wir widersetzen uns nicht dem Bemühen tun Rationalisierung, aber wir widersetzen uns hier einem Weg, von dem wir glauben, daß er) nicht im Blick auf das, was ich soeben ausgeführt habe, genügend durchdacht ist. Er ist einer neuen Überprüfung wert, und wir bitten die Bundesregierung, diese Überprüfung im Interesse der Wissenschaft, des Hochschulbereichs und der Landwirtschaft durchzuführen und uns im Kulturpolitischen Ausschuß darüber zu berichten.
Der Antrag ist eingebracht. Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat der Abgeordnete Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir könnten den Antrag nahezu diskussionslos an den Ausschuß überweisen, wenn er nicht gewissermaßen eine Art Lehrstück für die vorangegangene Debatte wäre und einiges illustrierte. Schauen Sie, Herr Martin, da haben Sie also einen Plan. Der ist eigentlich in einem relativ komplizierten Verfahren behandelt worden. Bund und Länder waren im Wissenschaftsrat beteiligt. Er liegt in den Empfehlungen des Wissenschaftsrates als Plan vor. Nun liegt er vor. Und was wird daraus? — Wir müssen also den Plan neu diskutieren.
— Nun mag es sein, Herr Martin, daß hier ein schlechter Plan vorliegt.
— Sie meinen, nicht schlecht, aber ... Das ist so ungefähr der Stil, in dem man hier debattiert: nicht schlecht, aber ... Es mag sein, daß dieser Plan nicht sonderlich gut ist; drücken wir es also auf die feinere Art aus!
Nur, er ist auf jeden Fall in einem relativ komplizierten Verfahren zustande gekommen. Und welch komplizierte Pläne haben sie heute hier gefordert?! In einem wie schnellen Verfahren sollen die dargelegt werden?!Die landwirtschaftlichen Fakultäten haben kein Problem eines Numerus clausus. Das wäre dort also gar nicht zu lösen. Man könnte eher sagen, dort ist das Gegenteil eines Numerus clausus vorhanden. Nun werden wir in der Tat sagen müssen, was hier zur Schließung der landwirtschaftlichen Fakultät in Gießen vorgeschlagen wurde, ist überprüfenswert, und zwar, wie mir scheint, aus zwei Gründen.Der eine Grund ist, daß eine sich fortschrittlich dünkende Landesregierung, nämlich die von Schleswig-Holstein, schon aus der Planverwirklichung ausgeschert ist und gesagt hat: Wir werden auf keinen Fall die vorgesehene Schließung der landwirtschaftlichen Fakultät in Kiel mitmachen. Damit sind bestimmte Kapazitäts- und Wirtschaftlichkeitsberechnungen, die diesem Plan — wenn auch nicht ausdrücklich hineingeschrieben — zugrunde liegen, zunächst einmal in Frage gestellt.Aber mir scheint, es gibt noch einen wesentlicheren Grund zum Überprüfen; er hat mit der heutigen Debatte über den Numerus clausus zu tun, die wir bisher geführt haben. Wir werden in der Tat vordringlich alle Mittel, die wir verfügbar machen können, für die Beseitigung oder für die Milderung des Numerus clausus nutzen müssen. Würden wir den Empfehlungen des Wissenschaftsrates so ohne weiteres folgen, könnte es sein, daß wir Mittel, die eigentlich für die Bereinigung oder Milderung des Numerus clausus gebraucht werden, ausgeben, um Forschungskapazitäten, die in Gießen vorhanden sind, an eine andere Stelle zu verlagern. Ich sehe einmal davon ab, daß wir rund ein Drittel der ausländischen Studierenden in anderen Gebieten, und zwar in Ballungsgebieten — Stuttgart, München, Bonn und Göttingen —, unterbringen müßten, mit entsprechenden Problemen. Auch das würde sicher Geld kosten. Insofern lohnt es, zu überlegen, ob denn das, was sich der Wissenschaftsrat vorgestellt hat — kurzfristige, schnelle Durchführung seiner Empfehlung —, angesichts der Notwendigkeit, Geld für die Behebung des Numerus clausus zu sparen, eigentlich akzeptabel ist.Nun stimme ich dem Wissenschaftsrat zu: Wir müssen rationalisieren. Langfristig könnte dieses Konzept von Konzentration und Differenzierung im Zuge der Agrarwissenschaften zu Einsparungen führen. Nur würden wir jetzt, wie es scheint, in ganz kurzer Zeit erhebliche Mittel aufwenden müssen.Es gibt aber noch einen dritten Punkt, den Sie angeschnitten haben und der besagt, daß die Mehrzahl der Institutionen, die in Gießen für das Studium
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1098 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
Dr. Sperlingund die Forschung in den Agrarwissenschaften vorhanden sind, eigentlich beibehalten werden, daß also die Landwirtschaftliche Fakultät in den Gesamtkörper der Universität Gießen so integriert ist, daß eigentlich alles erhalten bleibt und schätzungsweise, so sagen die Gießener, nur 12 % der Kosten eingespart werden, wenn man es so macht.
Mir scheint, daß man überlegen sollte, ob nicht auch in Gießen das, worauf Sie wahrscheinlich weniger stolz sind als ich - ich würde sagen: auch in Gießen ist Hessen vorn; Sie können das nicht ganz mitmachen —, nämlich das, was den modernen Charakter der Agrarwissenschaften dort ausmacht, vorangetrieben werden sollte, weil man in Gießen mit dem agrarwissenschaftlichen Studium auf etwas lossteuert, was der Wissenschaftsrat ein bißchen in die weitere Ferne geschoben hatte, indem man nämlich die Möglichkeit andeutet, daß in Zukunft die Agrarwissenschaften als angewandte Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, als angewandte Naturwissenschaften, studiert werden könnten. Es kann sein, daß man, wenn wir nicht zu einer kurzfristigen Realisierung der Empfehlungen des Wissenschaftstes kommen, für Gießen gleich die langfristige Orientierung anpeilt und sagt, Gießen möge mit der weiteren Verschmelzung von agrarwissenschaftlichem Studium und dem Studium von Sozialwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und Naturwissenschaften vorangehen. Das scheint mir der Hintergrund zu sein.Ich wünschte, wir würden auch andere Probleme der Bildungspolitik ebenso sachlich erwägen. Dazu würde allerdings gehören — dieses Nachwort möchte in dieser Debatte doch noch anfügen —, daß wir uns eines weniger oberlehrerhaften Tons befleißigen. Es gab in dieser Debatte Ausdrücke, die Studenten bei ihren Ordinarien nicht dulden würden, und sie täten recht daran. Mich kränkt es, daß dieses sich manchmal „hoch" nennende Haus so Jetwas durchgehen läßt wie die Fragestellung: „Halten Sie sich für intelligent genug?"
— Das waren Sie, Herr Martin. Das haben Sie leider Herrn Moersch gefragt.
Oder Sie reden so schnell, daß Ihnen manchmal falsche Ausdrücke entschlüpfen.
Das sind unangemessene Erscheinungen in einer Debatte über Bildungspolitik, die in diese Problematik nicht hineingehören.Ich wünsche dem Hohen Hause, das sich gern „hoch" nennt, einen sachlicheren Umgangsstil, der für die Studenten im Umgang mit ihren Professoren beispielhaft wäre.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Sperling hat seine Jungfernrede gehalten.
Wir gratulieren ihm alle, insbesondere auch zu dem Eifer, den er an den Tag gelegt hat,
uns zu lehren, was richtige parlamentarische Manieren sind. Vielen Dank!
Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will dem Kollegen Dr. Sperling gern danken. Aber im Umgang mit dem Kollegen Martin sind keine besonderen Empfindlichkeiten angemessen, also auch hier nicht.
Das nehmen wir so hin, wie es ist. — Herr Dr. Martin, Sie sollten zuhören! Es geht um die tierärztliche Versorgung in Gießen.
— Unter anderem.
Herr Dr. Martin hat sich — es ist schwer, mit ihm zu diskutieren, weil er völlig absorbiert ist — —
Herr Abgeordneter Sperling, Sie halten den angesprochenen Abgeordneten Martin davon ab, zuzuhören.
Herr Dr. Martin, Sie haben heute Pech insofern, als Ihr Antrag — ich darf doch wohl unterstellen, daß Sie der Urheber dieses Antrags sind — eine Stunde nach Ihren lichtvollen Ausführungen über die Bildung als solche behandelt werden muß. Sie beweisen nämlich mit diesem Antrag, daß Sie, wenn es darauf ankommt, in den Ausgaben für die Wissenschaft Prioritäten zu setzen, Lokalpatriotismus statt Rationalität bevorzugen.
Denn Sie hätten — das ist unbestritten, und das können Sie auch nicht wegdiskutieren — diesen Antrag nicht eingebracht, wenn Sie nicht in Gießen wohnten.
Das läßt sich sehr leicht feststellen.
— Entschuldigung, Sie haben vorhin vom Geldausgeben gesprochen. Ich sage Ihnen nun: Wenn Sie nicht bereit sind, bestehende Einrichtungen sinnvoll zu ändern, nämlich sie etwa als Ausbildungskapazität teilweise für die Zahnmediziner und für die vorklinischen Semester der Mediziner nutzbar zu machen, dann dürfen Sie hier keine großen Angriffe auf die Regierung starten. Das eine schließt das andere aus. Ein bißchen mehr Redlichkeit wäre ganz gut gewesen; das wäre jedenfalls nützlich.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970 1099
MoerschWir haben sieben landwirtschaftliche Fakultäten im Bundesgebiet. Wir haben 2155 immatrikulierte Studenten im vergangenen Jahr an diesen sieben Fakultäten gehabt. Rechnen Sie das mal aus im Verhältnis Fakultäten/Studenten in anderen Bereichen! Dann werden Sie sicherlich mit mir der Meinung sein, daß der Wissenschaftsminister recht daran tut, wenn er sagt: diese sieben landwirtschaftlichen Fakultäten in der bisherigen Form mit öffentlichen Mitteln zu finanzieren, ist nicht vernünftig im Vergleich zu anderen Wissenschaftsausgaben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Moersch, würden Sie die Freundlichkeit haben, Ihrem Kollegen Hermann Stein, Landtagsabgeordneten, der mit großer Vehemenz die Erhaltung dieser Fakultät proklamiert, dasselbe zu sagen, was Sie mir gesagt haben? Es steckt in der Tat ein Problem darin, Ich habe versucht, in meinen Ausführungen dem gerecht zu werden, weil es ganz klar die Einwendung ist, die möglich ist. Aber machen Sie es dann einheitlich!
Ich kann nur mit Leuten reden, die hier sind. Da Sie sich vorhin selbst als ein Mann von globalem Überblick vorgestellt haben, kann ich Sie nicht mit dem Kollegen Hermann Stein vergleichen, sondern ich muß Sie schon an Ihren eigenen Worten messen. Da sind Sie diesmal mit einer ziemlich schlechten Note herausgekommen. — Ganz in Ehren: in Gießen mag Ihnen das ja alles guttun, nur müssen Sie wissen, daß Sie in diesem Hause nicht die Satire in dieser kurzen Form vorführen dürfen nach alldem, was wir heute erlebt haben. Dann hätten Sie das bitte von einem anderen Kollegen vertreten lassen müssen, der nicht kurz vorher sich selbst festgelegt hatte, als Anwalt der bildungspolitischen Vernunft hier aufgetreten war oder wenigstens das versucht hat. Das paßt nicht zusammen.
Deswegen, meine ich, sollten wir im Ausschuß diesmal durchaus würdigen, was der Wissenschaftsrat gesagt hat und was auch die zuständigen Fachministerien sagen: nichts gegen die landwirtschaftlichen Fakultäten, aber sie müssen verändert werden. Aber es ist vielleicht beruhigend für Sie, wenn ich Ihnen sage, daß eine Kommission des Bundestages vor zwei Jahren in England war und wir unter anderem — Sie waren nicht dabei — mit dem Chef des Grants-Comitee beraten haben, wie man das in England macht, alte Strukturen zu verändern und neue Ausbildungskapazitäten zu schaffen. Da hat dieser Mann gesagt, es sei ihm leider bei ihrem Hochschulrecht nicht gelungen, etwa die landwirtschaftliche Fakultät in Oxford so zu beschränken, wie es den jetzigen Notwendigkeiten entspreche, um dafür etwa mehr Chemiker oder mehr Biologen ausbilden zu können, man habe gar keine andere Möglichkeit, als durch Verweigerung von Mitteln diese Fakultäten und diese Institute mit der Zeit gewissermaßen auszutrocknen; es sei leider auch in England nicht möglich, diese Art von Selbstverwaltung zu beschränken oder zu verändern.
Aber damit, daß Sie uns ernsthaft zu dieser Abendstunde diesen Ihren Gießener Antrag noch vorlegen und uns einreden wollen, das sei eine ganz entscheidend wichtige Sache, daß man dem Wissenschaftsrat hier widerspreche, Herr Dr. Martin, haben Sie sich und Ihrer Fraktion einen schlechten Dienst getan, weil alles, was Sie hier stundenlang an Kritik an der Regierung vorgetragen haben, durch dieses Nachspiel ziemlich unglaubwürdig geworden ist.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann schlage ich Ihnen vor, den Antrag an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft — federführend — und zur Mitberatung dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Erste Beratung des von den Abgeordneten Ott, Stücklen, Dr. Kreile, Dr. Althammer und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes
— Drucksache VI/184 —
Wer spricht zur Begründung? — Herr Abgeordneter Ott.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag Drucksache VI/184 soll etwas mehr der steuerlichen Gerechtigkeit dienen und gleichzeitig der Verpflichtung des Grundgesetzes Rechnung tragen, daß Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates stehen. Nach der gegenwärtigen Rechtslage ist es so, daß das Gehalt einer im Betrieb eines Ehegatten mitarbeitenden Ehefrau von der Gewerbesteuer dann nicht betroffen wird, wenn der Güterstand der Zugewinngemeinschaft vorhanden ist, daß aber dieses Ehefrauengehalt gewerbesteuerlich belastet wird, wenn Gütergemeinschaft vorliegt.Die Gewerbesteuer ist eine Realsteuer. Die Steuerpflicht kann nicht davon abhängen, welchen Güterstand die Ehegatten haben. Aus diesem Grunde sieht der Antrag vor, daß dann, wenn die Ehefrau eine fremde Arbeitskraft ersetzt, wenn ein Arbeitsvertrag zwischen den Ehegatten so wie unter fremden Personen vorhanden ist, ohne Rücksicht auf den Güterstand das Gehalt der Ehefrau von der Gewerbesteuer nicht belastet ist.Das allein wäre die Begründung.Zur Frage der finanziellen Auswirkung: Seit dem 1. Januar ist durch die Gemeindefinanzreform eine geringfügige Verringerung der 40%igen Abgabe der Gemeinden aus der Gewerbesteuer an den Bund eingetreten; aber auf der anderen Seite hat der
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1100 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 25. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Januar 1970
OttBund bei den 14 0,%o an die Gemeinden weniger zu zahlen. Denn eine Verringerung der Gewerbesteuerbelastung bringt auf der anderen Seite eine stärkere Einkommensteuerbelastung mit sich. Per Saldo ist es nicht nennenswert.Ich bitte, diesen Antrag entsprechend dem Vorschlag des Ältestenrates an den Finanzausschuß zu überweisen.
Der Antrag ist begründet. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Koch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere zunächst, daß der Antrag rein äußerlich gesehen doch etwas oberflächlich begründet ist. Im Text ist von einem Ehegattengehalt die Rede, das im Betrieb eines anderen Unternehmers arbeitet. Das geht ja wohl beim besten Willen nicht. Er kann ein Ehegatte, aber nicht, wie im Antrag steht, ein Ehegattengehalt im Betrieb eines anderen arbeiten.
Ich bedauere dann weiter, daß die Antragsteller offenbar nicht wissen, daß es eine Gewerbesteuerpflicht von Personen überhaupt nicht gibt. Nach dem klaren Wortlaut des Gewerbesteuergesetzes gibt es nur eine Gewerbesteuerpflicht von Betrieben. Die Begründung ist also etwas oberflächlich gehalten.
Ich bedauere weiter, daß es in der Begründung so dargestellt wird, als sei der Güterstand der Ehegatten rein zufällig so. Eine rein zufällige Gütergemeinschaft gibt es überhaupt nicht. Denn in eine Gütergemeinschaft kommt man nur durch einen notariellen Ehegütervertrag hinein. Also von Zufälligkeit kann keine Rede sein.
Ich bedauere weiter, daß man versucht, über eine Änderung des Gewerbesteuergesetzes das bürgerliche Recht zu ändern, das davon ausgeht, daß eine Ehegütergemeinschaft ein Gesamtgut ist und daß dieses Gesamtgut bzw. diese Ehegütergemeinschaft nun diesen Betrieb betreibt.
In einer Gütergemeinschaft — dieser Gewerbebetrieb gehört ja nach dem Text des Antrags zu der Gütergemeinschaft — sind beide Ehegatten gleichberechtigt. Man kann sich davon nicht lösen. Wer durch einen notariellen Akt in eine Gütergemeinschaft hineingeht, der muß auch alle Nachteile dieses Vertrages gegen sich gelten lassen. In einer Gütergemeinschaft sind die beiden Ehegatten zur gesamten Hand gleichberechtigt. Darum kann man wohl kaum sagen, daß nun, während dieser Betrieb von den Ehegatten als Gesellschaftern betrieben wird, die dem einen Ehegatten für seine Arbeit in der Gemeinschaft zukommende Vergütung offenbar als Lohn behandelt werden soll.
Die Frage kommt theoretisch darauf hinaus, ob man Angestellter von sich selber sein kann. Denn die Ehefrau ist in der Gütergemeinschaft — und zur Gütergemeinschaft gehört ja nach Ihrem Antrag, Herr Ott, der Betrieb —, ist also Mitunternehmer. Das können Sie aus § 15 Ziff. 2 des Einkommensteuergesetzes, das ja hier für die Gewerbesteuer
über § 2 und § 7 des Gewerbesteuergesetzes absolut maßgebend ist, herauslesen.
Nun, was soll denn, wenn Sie sagen, das soll nicht der Gewerbesteuer unterliegen, die Vergütung dieser Ehefrau sein? Dann können Sie sie auch nur als Arbeitslohn behandeln, mit anderen Worten: hier kann die Ehefrau, die zusammen mit ihrem Mann Inhaber des Betriebes ist, gleichzeitig Angestellter dieser zur gesamten Hand beteiligten Ehegatten sein. Das ist die Frage, ob jemand im Grunde genommen Arbeitnehmer von sich selber sein kann. Dahin führt Ihre Erwägung. — Herr Ott, wenn Sie meinen Ausführungen nicht glauben, lesen Sie bitte die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 1. März 1966 — Bundessteuerblatt 66, Teil III, Seite 277 — nach. Da ist der Fall ganz genau behandelt, so wie ich ihn hier dargestellt habe.
Selbstverständlich haben wir gegen die Überweisung an den Ausschuß nichts einzuwenden. Gegen diesen Antrag spricht aber so viel, daß ihm meine Freunde wohl kaum zustimmen können, selbst wenn er noch umformuliert werden sollte.
Was steckt denn hinter dem Antrag? Da wird auf die GmbH-Geschäftsführer Bezug genommen. Man muß wohl annehmen, daß Sie die Tendenz verfolgen, über diesen Antrag den Unternehmerlohn in das Gewerbesteuergesetz hineinzubringen. Wenn Sie aber das wollen, müssen Sie das offen sagen und einen entsprechenden Antrag stellen. In dem Augenblick, wo wir den Unternehmerlohn als neuen Begriff und als abzugsfähig vom Gewerbeertrag in das Gewerbesteuergesetz bringen, sieht die Frage des Ausfalls für die Gemeinden ganz anders aus als jetzt. Ich fürchte — vielleicht unterstelle ich Ihnen zuviel —,
daß Sie incidenter eine Entscheidung über den Unternehmerlohn haben wollen und daß Sie, wenn wir das angenommen haben, dann sagen werden: So ist es recht; nun weiter, nun müssen wir den Unternehmerlohn in das Gewerbesteuergesetz bringen.
Also ich glaube kaum, daß dieser Antrag von uns im Finanzausschuß angenommen werden kann. Wir werden seiner Beratung dort nicht widersprechen; aber Bedenken sind genügend anzumelden.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Frau Funcke Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Antrag des Kollegen Ott ist natürlich in der Zielsetzung sehr begrüßenswert. Zweifelsohne liegt ein Problem darin, daß, wenn zwei aus der gleichen Familie in-einem Familienbetrieb tätig sind, nur für einen der Gewerbesteuerfreibetrag gewährt wird — heute sowieso nur in einer Größenordnung von bis zu 600 DM. Das ist selbstverständlich kein hinreichender Ausgleich gegenüber einer Kapitalgesellschaft, bei der das volle Gehalt des Geschäftsführers von der Gewerbesteuer
Frau Funcke
abgesetzt werden kann. Insofern hin ich mit Ihnen, Herr Ott, einer Meinung. Aber als Ihre Partei noch in der Regierung war und die FDP einen bescheidenen Antrag stellte, nämlich für zwei und mehr Gesellschafter innerhalb einer solchen Personengesellschaft einen Freibetrag zu gewähren, und zwar für jeden, da hat Ihre Fraktion gepaßt.
Es ist nun eben die Frage, ob wir uns nicht etwa über diese Größenordnung einmal unterhalten könnten. Nur, so wie Sie es jetzt machen - und da hat der Kollege Dr. Koch mit der rechtlichen Interpretation völlig recht , geht es natürlich nicht. Wenn Sie das jetzt anfangen, befinden Sie sich an der Spitze eines Eisberges. Der guckt gerade heraus. Aber dahinter steht doch die große Frage der Tätigkeit einer Hausfrau, z. B. einer Ehefrau im Geschäft, aber auch im Hause, dahinter steht die Frage: Wie vergüten wir denn eigentlich die selbständige, etwa hauswirtschaftliche Tätigkeit oder auch die Berufstätigkeit einer Frau? Ist die Ehe eine Produktionsgemeinschaft, oder haben wir zwei Selbständige? Wenn Sie jetzt das aufgreifen, meine Damen und Herren, dann haben wir ein Thema, mit dem wir uns nicht nur vier, sondern gleich acht Jahre beschäftigen können. Sämtliche Ausschüsse dieses Hauses mit Ausnahme allenfalls des Außenpolitischen Ausschusses würden damit eine Menge zu tun haben. Ich bin dazu bereit, und sicherlich werden wir diesen Eisberg an einigen Punkten einmal anpieken. Nur, an dieser Stelle, Herr Ott, ist nicht gerade der richtige Ansatzpunkt. Da müssen wir schon ein bißchen tiefer bohren. Hier würde die Lösung eher darin liegen, daß wir immer dann einen doppelten Freibetrag geben, wenn sich Ehepartner oder auch Vater und Sohn oder Mutter und Tochter, was immer Sie wollen, nach der heutigen Regelung gemeinsam diesen kümmerlichen Freibetrag von 600 DM teilen müssen. Das ist in der Tat unzulänglich, und Sie werden sicherlich unsere Unterstützung haben, wenn wir dieses Problem etwas konsequent angehen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Ott.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie brauchen keine Sorge zu haben. Ich will es ganz kurz machen.
Herr Kollege Dr. Koch, es soll gerade kein Unternehmerlohn sein, sondern wir wollen das Gehalt einer im Betrieb Ihres Ehemannes arbeitenden Ehefrau nicht schlechter stellen als wenn diese Ehefrau bei B arbeitet und die Frau des B bei A.
— Herr Kollege Dr. Koch, weshalb wollen Sie denn hier die Auffassung der Finanzverwaltung vertreten! Hier vertreten Sie doch die Auffassung der Bevölkerung und die Auffassung des Grundgesetzes, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates stehen. Sie können nicht sagen: eine Realsteuer, die an den Gewerbebetrieb anknüpft, wird unterschiedlich nach dem Güterstand der Ehegatten erhoben. Das ist doch einfach unmöglich. Wir werden uns im Ausschuß darüber unterhalten.
Ich danke für Ihren Hinweis auf den Unternehmerlohn, wir haben nicht so viel erwartet und uns nicht getraut, so viel zu verlangen, wie Sie jetzt zugestehen. Wir sind also durchaus bereit, hier weiterzumachen.
Frau Kollegin Funcke war außerordentlich großzügig und so liebenswürdig, zu sagen, sie wäre auch bereit, die Freibeträge bei im Betrieb mitarbeitenden Ehegatten entsprechend zu verdoppeln, was an sich das Richtige wäre.
— Ja, wenn Vater und Sohn güterstandsmäßig nicht irgendwie zusammenstünden, wäre es an sich gerechtfertigt. Sonst ist es ja meistens so, daß die Väter sehr ungern frühzeitig übergeben, weil sie dann von ihren Kindern abhängig werden.
Mancher zahlt lieber Einkommensteuer und ist etwas weniger abhängig von seinen zum Teil bereits erwachsenen Kindern, als daß er Steuern spart und den Kindern rechtzeitig etwas mehr zukommen läßt.
Frau Kollegin Funcke, wenn in der Vergangenheit etwas nicht möglich war, hindert das durchaus nicht, es in der Zukunft besser zu machen. Vielleicht können wir uns im Ausschuß doch zu einer Lösung durchringen, die vernünftig ist und die auch der Herr Kollege Dr. Koch mit seinen Freunden mittragen kann. Das hoffe ich.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schlage Ihnen vor, den Antrag an den Finanzausschuß zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir haben keinen Punkt mehr auf der Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 28. Januar, 14 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.