Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichnete Vorlage. — Das Haus ist damit einverstanden; die Erweiterung der Tagesordnung ist somit beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
— Drucksache VI/76 —
Ich rufe die Frage 111 des Abgeordneten Kiechle aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Zollabfertigung der deutschen LKW von und nach Italien, insbesondere am Brenner, teilweise bis zu 30 Stunden Wartezeit verursacht, was einen Sprecher des ADAC zu der Bezeichnung „katastrophal und mittelalterlich" veranlaßte?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Herr Präsident, ich bitte, die Fragen 111 und 112 zusammen beantworten zu dürfen.
Keine Bedenken. Ich rufe ferner die Frage 112 des Abgeordneten Kiechle auf:
Was gedenkt die Bundesregierung konkret zu unternehmen, um diese bedauerliche Situation zu ändern?
Der Bundesregierung ist seit mehreren Jahren bekannt, daß verschiedene deutsche Stellen Klage über die schleppende Abfertigung von Lkws am Brennerübergang führen. Zu den Gründen für ,die bestehenden Schwierigkeiten gehörten nach italienischer Angabe die notwendigen strengen Kontrollen auf Grund der Sprengstoffanschläge in Südtirol sowie die ungenügenden Arbeitsbedingungen der italienischen Zollbeamten.
Darüber hinaus scheint es Kompetenzstreitigkeiten zwischen den zivilen und den kasernierten Zollbeamten gegeben zu haben. Am schwersten wogen wahrscheinlich die italienischen Zollgesetze, die z. B. die Abfertigung außerhalb der Dienstzeiten, also in den Abend- und Nachtstunden, verboten.
Die Bundesregierung hat sich auf mancherlei Weise in den letzten Jahren bemüht, hier Abhilfe zu schaffen bzw. dazu beizutragen, daß Abhilfe geschaffen wird. Sie werden wahrscheinlich den heutigen Zeitungen schon entnommen haben, daß diese Abhilfe in einem entscheidenden Punkt unmittelbar bevorsteht, nämlich was die hinderlichen italienischen Zollgesetze angeht. Eine Stellungnahme des obersten Verwaltungsgerichts in Italien wird bereits ab Weihnachten die Abfertigung an den Grenzen zwischen Österreich und Italien leichter machen.
Ferner kann man feststellen, daß die Zahl der qualifizierten und deutschsprechenden Zollbeamten an den Grenzen erhöht wird. Auch dadurch werden Erleichterungen eintreten.
Das Bundesfinanzministerium bemüht sich weiterhin im Rahmen der europäischen Gemeinschaften um eine Vereinfachung der Zollgesetze.
Eine Zusatzfrage? — Nein.
Dann rufe ich die Frage 113 der Frau Abgeordneten Klee auf:
Wann wird die Bundesregierung das Europäische Übereinkommen über au-pair-Beschäftigte unterzeichnen, dessen endgültiger Text fertiggestellt und zur Unterzeichnung aufgelegt ist, wie im Halbjahresbericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarates mitgeteilt wird?
Die Fragestellerin ist erkrankt; die Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 114 des Abgeordneten Dr. Schulz auf:
Wird sich die Bundesregierung auf der Sitzung des Ministerkomitees des Europarates im kommenden Dezember dafür einsetzen, daß die in der Empfehlung 573 der Beratenden Versammlung gemachten Vorschläge für eine effektivere europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technologie vom Generalsekretär des Europarates verwirklicht werden können?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die in der Empfehlung 573 der Beratenden Versammlung
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524 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Dahrendorfdes Europarates unterbreiteten Vorschläge geeignet sind, die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technologie wesentlich zu fördern.Die von dem früheren Generalsekretär des Europarates erstrebte Bestandsaufnahme der Zuständigkeiten und Arbeiten der verschiedenen europäischen Organisationen auf wissenschaftlichtechnologischem Gebiete erscheint als eine nützliche Basis für eine engere, fruchtbarere und besser koordinierte Zusammenarbeit im Bereich der Technologie. Ein solches Inventar könnte wesentlich dazu beitragen, Doppelarbeit und Lücken in der Forschung und Entwicklung der Technologie zu vermeiden.Die Bundesregierung hält daher ihre schon in der 43. und 44. Sitzung des Ministerkomitees zum Ausdruck gebrachte grundsätzlich positive Einstellung zu diesem Projekt des Inventars aufrecht. Sie wird auch in der kommenden Ministerkomiteesitzung dafür eintreten, daß die Initiative des Generalsekretärs unterstützt wird.Da der theoretische Nutzen des Inventars zwar weithin unbestritten zu sein scheint, der praktische Wert des Projektes, seine Durchführbarkeit, die Verwendbarkeit, die Gesamtkosten des Vorhabens sowie das Verhältnis von Nutzen und Kosten erst nach Vorlage der sogenannten feasibility-study erkennbar sind, wird die Bundesregierung ihre endgültige Zusage zu dem Gesamtvorhaben jedoch erst dann geben können, wenn die Arbeit des Battelle-Instituts abgeschlossen ist. Die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, sich an den für die Vorstudie veranschlagten Kosten in Höhe von 100 00 Dollar anteilmäßig zu beteiligen.In der 44. Sitzung des Ministerkomitees ist der Generalsekretär beauftragt worden, weitere Gespräche mit den Generalsekretären der anderen internationalen Organisationen über dieses Projekt zu führen, um einige bei der Erörterung dieses Punktes offengebliebene Fragen zu klären. Der Generalsekretär soll darüber auf der Sitzung des Ministerkomitees im Dezember dieses Jahres berichten. Auch dieser Bericht wird zur Meinungsbildung der Bundesregierung über das Projekt beitragen.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Schulz.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß auf dem Gebiet der künftigen wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit eine Umgestaltung und zunächst einmal eine entschiedene Aufwertung der dahinsiechenden Euratom-Behörde für eine hoffentlich bald zu erweiternde Gemeinschaft eine ganz entscheidende Voraussetzung für die Verwirklichung der Tendenz der Empfehlung 573 sein würde?
Ich teile die Auffassung, daß der Euratom-Behörde im Zusammenhang der europäischen technologischen Zusammenarbeit eine besondere Bedeutung zukommt, und füge dem sogar die Hoffnung hinzu, daß diese Frage auch auf der kommenden Gipfelkonferenz gebührend behandelt werden wird. Zugleich möchte ich aber noch einmal betonen, daß es mir wichtig scheint, daß vorweg jenes Inventar erstellt wird, das es erlaubt, Doppelungen zu vermeiden, das heißt, daß wir vorweg eine Ubersicht darüber bekommen, an welchen Punkten und in welchen Formen in Europa technologische Zusammenarbeit stattfindet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Staatsskretär, teilen Sie die Auffassung, daß über die Zusammenarbeit in der Sechser-Gemeinschaft hinaus die wissenschaftlichtechnische Arbeitsteilung — vor allen Dingen auf dem Gebiet der Großforschung — mit Großbritannien und den skandinavischen Staaten ebenso wichtig ist wie eine Wiederbelebung von Euratom?
Herr Kollege Moersch, die Bundesregierung wird in der Frage der technologischen Zusammenarbeit keiner Form der Zusammenarbeit irgendeinen Ausschließlichkeitscharakter geben, sondern neben den multilateralen Formen auch bilaterale und trilaterale — wenn ich jetzt an die deutsch-niederländisch-britische Zusammenarbeit denke — Projekte fördern. Bei alledem kommt es nur darauf an — und das war der wesentliche Sinn meiner Beantwortung der Frage des Kollegen Schulz , daß bei diesen Formen der Zusammenarbeit keine unnötigen Doppelungen entstehen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Moersch.
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, bei der bevorstehenden Haager Konferenz die Vertragspartner für eine über den SechserRahmen hinausgehende europäische Forschungsplanung zu gewinnen?
Die bevorstehende Haager Konferenz hat eine Fülle von Themen. Wenn sie dieses Thema erschöpfend behandeln würde, dann könnte sie einige der entscheidenden Fragen für die Zukunft Europas nicht so behandeln, wie wir es uns wünschen. Insofern verspreche ich mir von der bevorstehenden Haager Konferenz in diesem Bereich vor allem eine grundsätzliche Anregung, noch nicht eine abschließende Regelung.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Geisendörfer.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969 525
Teilt die Bundesregierung meine Meinung, daß möglichst jetzt rasch eine Entscheidung gefällt werden muß, weil unsere deutschen Mitarbeiter bei Euratom schon seit vielen Jahren in der Ungewißheit nicht nur über ihre persönliche, sondern auch über ihre wissenschaftliche Zukunft verharren und zu befürchten ist, daß die ganzen Teams auseinandergehen, weil sie zu sehr guten Arbeitsbedingungen ins Ausland abgeworben werden?
Ja, die Bundesregierung teilt diese Meinung und hat aus diesem Grunde zu dem Verhältnis von Gipfelkonferenz und Euratomfragen die Position eingenommen, die ich soeben angedeutet habe.
Eine zweite Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Geisendörfer.
Sieht sich die Bundesregierung in der Lage, auch mit den deutschen Mitarbeitern so Kontakt aufzunehmen, daß sie ihnen diese ihre Stellungnahme mitteilt und ihnen einen Weg aufzeigt, wie sie sich verhalten sollen und was sie zu erwarten haben?
Frau Kollegin, wir hoffen, daß auf der Grundlage des Haager Abschlußkommuniqués eine solche beruhigende und die Fortarbeit ermöglichende Stellungnahme sofort möglich ist, die dann auch die Unsicherheiten beseitigt, die gegenwärtig dort bestehen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär hat mir mitgeteilt, daß er zur Stunde den Herrn Bundesminister der Finanzen, der zur Bundesfinanzministerkonferenz in Berlin weilt, im Kabinett vertreten muß und daß Herr Staatssekretär Dr. Emde erkrankt ist. Aus diesem Grunde hatte der Ältestenrat die Fragen dieses Geschäftsbereichs für gestern, Donnerstag, vorgesehen, wo sie jedoch wegen der Beantwortung der Dringlichkeitsfragen nicht behandelt werden konnten. Nach Ziffer 8 der Richtlinien werden die Fragen am Mittwoch, dem 3. Dezember, zu Beginn der Fragestunde beantwortet.
Wir kommen damit zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Die Fragen des Abgeordneten Bewerunge — er ist nicht da — werden schriftlich beantwortet.
Die Frage 68 des Abgeordneten Dr. Reinhard:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch die Grenzausgleichsabgaben bei der Einfuhr tierischer Veredelungserzeugnisse nur die Getreideinzidenz gedeckt wird, wodurch nur ein Teil des Schadens, der durch die Aufwertung entstanden ist, ausgeglichen wird?
Herr Staatssekretär, ich darf bitten.
Ich beantworte die Frage des Abgeordneten Reinhard wie folgt. Der Bundesregierung ist bekannt, daß die geltende Grenzausgleichsregelung bei der Einfuhr tierischer Veredelungserzeugnisse lediglich die Getreideinzidenz erfaßt. Ein weitergehender Schutz der deutschen Landwirtschaft ist vom Rat der EG nicht bewilligt worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reinhard.
Darf ich fragen, wie sich die Bundesregierung darauf einlassen konnte, daß die Kommission diese Regelung getroffen hat.
Eine ähnliche Regelung ist ja schon einmal in Kraft gewesen nach dem ersten Katalog, der vorlag. Die Bundesregierung — ich glaube, ich darf dazu gleichzeitig auf Ihre zweite Frage hinweisen sagt ja dazu noch etwas.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reinhard.
Auf welche Weise gedenkt die Bundesregierung den entstandenen Verlust, insbesondere den bei der Geflügelwirtschaft entstandenen Verlust auszugleichen?
Diese Frage wird in unserem Hause noch geprüft.
Nein, drei Zusatzfragen gibt es nicht.
Wir kommen zur nächsten Frage, Frage 69 des Abgeordneten Reinhard:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß auch nach dem Auslaufen des Grenzausgleichs eine Übergangsregelung notwendig ist, um den Abbau der Bestände der Veredelungsproduktion ohne noch weitere Verluste zu ermöglichen, wie dies seinerzeit bei der Getreidepreisharmonisierung auch geschehen ist?
Herr Staatssekretär!
Die Bundesregierung hat die Notwendigkeit einer Preisbruchvergütung für Lagerbestände bei bestimmten Waren in Brüssel mit Nachdruck vertreten. Dementsprechend hat sich der Rat in seiner Sitzung vom 10. November 1969 auf einen entsprechenden Grundsatz geeinigt. Detaillierte Vorschläge hierzu wird die Kommission in Kürze vorlegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reinhard.
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526 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969
Darf ich die Antwort so verstehen, daß die Bundesregierung mit allen ihren Möglichkeiten darauf bestehen wird, daß nach dieser Übergangszeit eine Schutzzeit zur Abwicklung der Bestände erreicht wird?
Davon können Sie ausgehen, Herr Kollege Dr. Reinhard.
Eine zweite Zusatzfrage? — Nein. Dann Herr Abgeordneter Dasch zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die deutsche Geflügelwirtschaft bzw. die Geflügelschlächtereien sehr wohl Lagerbestände haben, die dadurch entstehen, daß der Handel gegenwärtig zu wenig abnimmt, weil er auf niedrigere Preise spekuliert? Will die Bundesregierung beim Abbau dieser Lagerbestände nach dem 1. Januar entsprechende Hilfen leisten, damit keine allzu großen Schäden entstehen?
Herr Kollege, der Tatbestand ist durchaus bekannt. Ich habe soeben schon gesagt, daß wir uns bemühen werden, die Schäden auszugleichen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dasch.
Werden Sie dabei berücksichtigen, daß den deutschen Geflügelschlächtern bereits Preisabschläge bis zu 30 Pf pro Kilo zugemutet werden und daß andererseits beim Grenzausgleich nur eine Summe von knapp 8 Pf berücksichtigt wird?
Herr Kollege, auch diese Vorgänge sind uns bekannt. Wir werden sicherlich bei den Ausgleichsmöglichkeiten darauf Rücksicht nehmen.
Herr Abgeordneter Ehnes!
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Berichte vor, wonach Schlächtereien bereits die Schlachtung einstellen müssen?
Mir ist ein solcher Bericht noch nicht bekannt. Ich will aber gern im Hause nachfragen lassen und könnte Ihnen dann eine schriftliche Mitteilung geben.
Ich komme zur Frage 70 des Abgeordneten Dr. Jobst:
Wie gedenkt die Bundesregierung die Verluste auszugleichen, die den deutschen Hähnchenerzeugern und den Geflügelschlachtereien durch die Aufwertung der DM und die dadurch möglich gewordenen spürbaren Preisunterbietungen bei Eintuhren, insbesondere aus Holland, entstanden sind und die die Existenz der Geflügelwirtschaft auf das äußerste gefährden, nachdem mit den Ausgleichsabgabesätzen nach der Verordnung vom 3. November 1969 der hohe Wettbewerbsnachteil der einheimischen Geflügelwirtschaft nicht genügend aufgefangen werden konnte?
Die Bundesregierung prüft zur Zeit die Frage, ob und in welchem Umfange Ausgleichsmaßnahmen zugunsten derjenigen Warenbereiche, die durch die Aufwertung der D-Mark Schäden erleiden, welche im Rahmen der gemeinschaftlich testgesetzten Schutzmaßnahmen nicht ausgeglichen werden, erforderlich sind und wieweit derartige Maßnahmen durchgeführt werden können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Schäden auszugleichen, die seit der Freigabe des Wechselkurses, also vor der Abgabeverordnung, entstanden sind?
Auch diese Schäden werden in die Prüfung einbezogen. Wir werden Überlegungen anzustellen haben, wie man hier einen Ausgleich vornehmen kann.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jobst.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Bestände bei verschiedenen Geflügelschlachtereien dermaßen angewachsen sind, weil infolge der Auslandsangebote einfach kein Absatz mehr möglich ist, und ist Ihnen bekannt, daß die Auszahlung der Mästerpreise vielfach eingestellt worden ist?
Mir sind diese Vorgänge durchaus bekannt, wir erhalten auch laufend Berichte darüber. Ich kann Ihnen also sagen, daß die Bundesregierung darüber bestens informiert ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Reinhard.
Wird die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, dafür Sorge tragen, daß nach Ablauf der Übergangszeit auch für die Betriebe, von denen mein Kollege Jobst gesprochen hat, ein Ausgleich erfolgt, damit sie — wie das von der Bundesregierung versprochen worden ist — keinen Schaden erleiden?
Herr Kollege Dr. Reinhard, Sie können davon ausgehen, daß die Bundesregierung
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969 527
Parlamentarischer Staatssekretär Logemanndurchaus zu ihren Aussagen in der Regierungserklärung steht. Die Bundesregierung ist hier bezüglich des Verlustausgleichs im Wort, und sie wird ihr Wort halten.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Reinhard.
Ich freue mich über Ihre Erklärung, Herr Staatssekretär. Aber ich darf sie auch auf diese Betriebe beziehen, von denen ich soeben gesprochen habe?
Herr Abgeordneter, Sie dürfen sich hier nicht öffentlich freuen, Sie dürfen nur öffentlich fragen. Die Freude müssen Sie in Ihrem Herzen bewahren.
Darf ich meine Freude hier so ausdrücken, daß ich frage: Ist meine Freude berechtigt?
— Verzeihung: das ist eine Frage!
Die Frage ist berechtigt. Wir sind immer Optimisten, Herr Dr. Reinhard.
Herr Abgeordneter Dasch zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, geht die Bundesregierung davon aus, daß es sich bei den Geflügelmastbetrieben und den eiererzeugenden Betrieben um höchstrationalisierte deutsche landwirtschaftliche und ernährungswirtschaftliche Betriebe handelt, denen nur so lange in irgendeiner Form Hilfe für die großen Aufwertungsverluste gewährt werden kann, wie die mehrwertsteuer- und die einkommenswirksamen Maßnahmen laufen? Maßnahmen der Strukturverbesserung — so frage ich Sie können ja bei diesen hochrationalisierten Betrieben nicht mehr zum Tragen kommen.
Herr Kollege, das ist uns durchaus bekannt. Auch wir wissen, daß man mit allgemeinen Ausgleichsmaßnahmen speziell kapitalintensive Betriebe nicht erreichen kann. Die Bundesregierung wird also prüfen, welchen Weg man einzuschlagen hat.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dasch.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen weiter bekannt, daß sich in bezug auf die Betriebe, die weiter weg von den Häfen liegen, in der Zukunft noch verschärft die Tendenz entwickeln kann, daß
beispielsweise die holländische Landwirtschaft gegenüber der deutschen Geflügelwirtschaft einen noch stärkeren Wettbewerbsvorteil als bisher erringen kann?
Das ist uns durchaus bekannt. In der Tat tritt die holländische Geflügelwirtschaft sehr stark als Wettbewerbspartner auf. Aber ich glaube, Sie müssen dabei mit sehen, daß wir in der Tat mit den Maßnahmen, die wir zum Ausgleich der durch die Währungsveränderungen entstandenen Verluste treffen, nicht die allgemeine Marktsituation, die sich aus Wettbewerbsgründen ergibt, ausgleichen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Ritz.
Herr Staatssekretär, treffen Informationen zu, nach denen im Bereich des Mastgeflügels die Verluste nur bis zu 50 % und bei Eiern nur his zu 30 % ausgeglichen werden?
Herr Kollege, die von Ihnen genannten Informationen sind mir noch nicht bekannt. Ich werde gern gelegentlich, wenn Sie noch weitere Fragen dazu haben, versuchen, sie zu beantworten.
Ich komme zur Frage 71 des Abgeordneten Bittelmann:
Trifft es zu, daß bei der Einfuhr von Stärke und Stärkeerzeugnissen ab 27. Oktober 1969 keine Ausgleichsabgaben erhoben werden, wie dieses in der Zeit vom 29. September bis 26. Oktober 1969 geschehen ist?
Die Frage 1 beantworte ich wie folgt. Es trifft zu, daß seit dem 27. Oktober 1969 Ausgleichsabgaben bei der Einfuhr von Stärke und Stärkeerzeugnissen nicht mehr erhoben werden. Es fehlt dazu an einer Ermächtigung durch die EWG-Kommission.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung den bis jetzt bereits durch die Nichteinbeziehung von Stärke in die Ausgleichsregelung entstandenen Schaden beziffern, und wie gedenkt sie ihn auszugleichen?
Den Schaden bzw. seine Höhe kann ich Ihnen heute noch nicht angeben. Die Bundesregierung wird sich aber bemühen, in den Rahmen der allgemeinen Ausgleichsmaßnahmen auch die hier aufgetretenen Schäden mit einzubeziehen und in ihre Rechnung mit hineinzunehmen.
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528 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969
Frage 72 des Abgeordneten Bittelmann:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, urn die Wettbewerbsgleiehheit auf dem Stärkemarkt und damit beim Anbau von Stärkekartoffeln wiederherzustellen?
Nach mehrmaligen energischen Vorstellungen der Bundesregierung beabsichtigt die EWG-Kommission, die Bundesregierung zu ermächtigen, die Produktionserstattung für die Rohstoffe von Getreide und Kartoffelstärke auf das Niveau vor der D-Mark-Aufwertung anzuheben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Kartoffelstärke in vollem Umfang in die Ausgleichsregelung einbezogen wird, auch wenn die EWG-Kommission die Ermächtigung nicht erteilt? Wird dann die Bundesregierung für den vollen Schadensausgleich sorgen?
Dazu müßte ich Rückfragen stellen. Darauf kann ich Ihnen in diesem Augenblick leider eine konkrete Antwort noch nicht geben.
Wir kommen zu den Fragen 73 und 74 des Abgeordneten Dr. Siemer. Er ist nicht im Saal. Dann werden die beiden Fragen schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 75 des Abgeordneten Dr. Ritz:
Kann die Bundesregierung angeben, ob und in welcher Höhe seit dem 29. September 1969 bereits Einkommensverluste für die deutsche Landwirtschaft eingetreten sind und wie sie diese auszugleichen gedenkt?
Herr Kollege Dr. Ritz, ich beantworte Ihre Frage 1 wie folgt. Die Bundesregierung prüft zur Zeit, welche Schäden der deutschen Landwirtschaft durch die D-Mark-Aufwertung entstanden und nicht durch die gemeinschaftlich festgesetzte Ausgleichsregelung abgedeckt sind.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß Sie dieses Haus bzw. den Ausschuß über die Ergebnisse Ihrer Prüfung zu gegebener Zeit informieren?
Ich bin gern bereit, im Ernährungsausschuß dann über Einzelheiten zu berichten.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Dr. Ritz? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Peters!
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung auch bereit, dem Hohen Hause eine Aufstellung über Vergünstigungen vorzulegen, die durch die Aufwertung eingetreten sind, weil die Preissteigerungen auf dem Kostensektor durch die Aufwertung geringer geworden sind und das Unterlaufen der deutschen Marktordnungspreise nunmehr beredet ist?
Herr Kollege Peters, eine solche Bilanz wäre durchaus interessant. Wir werden in unserem Hause prüfen, inwieweit man hier im einzelnen jetzt schon entsprechende Feststellungen treffen kann.
Wir kommen damit zur Frage 76 des Abgeordneten Dr. Ritz:
Kann die Bundesregierung angeben, wie sie die dem deutschen Agrarexport durch die Abwertung des französischen Franc und die Aufwertung der DM entstandenen Schäden auszugleichen gedenk t?
Der deutsche Agrarexport nach Frankreich ist durch die Abwertung des französischen Franc nur unwesentlich beeinträchtigt worden, weil Frankreich durch Ratsbeschluß gehalten ist, auf alle eingeführten Waren des Agrarbereichs, die gemeinsamen Marktorganisationen und der Regelung nach Art. 235 des EWG-Vertrags unterliegen, Einfuhrsubventionen zu gewähren.
Nach der Aufwertung der D-Mark hat die Kommission die Bundesrepublik Deutschland für eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 1969 ermächtigt, Ausfuhrsubventionen für diejenigen Waren zu gewähren, für die in der Bundesrepublik Deutschland gemäß den gemeinsamen Marktorganisationen ein Interventions- oder Ankaufspreis gezahlt wird. Gleichermaßen sind Ausfuhrerstattungen für die Erzeugnisse der Handelsregelung nach Art. 235 des EWG-Vertrags zugelassen worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Ritz.
Herr Staatssekretär, ich darf wohl davon ausgehen, daß Ihnen die Schwierigkeiten bekannt sind, die dem Agrarexport vor allem im Bereich der Altkontrakte entstanden sind, also dort, wo die Lieferung vor dem Währungsschnitt und die Zahlung nachher erfolgt ist. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese Schwierigkeiten zu mildern bzw. abzubauen?
Wir werden uns bemühen, auch die Altverträge beim Verlustausgleich in irgendeiner Form mit einzubeziehen. Wir müssen allerdings erst feststellen, welche Schäden in der Tat aufgetreten sind. Das bedarf einer besonderen Prüfung.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969 529
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß dem Agrarexport durch die gegenwärtige recht unsichere Lage der Verlust von Marktanteilen droht, und was gedenkt Ihr Haus zu tun, um den Agrarexport vor allem auch nach der Umstellung auf das neue Ausgleichssystem in die Lage zu versetzen, mit den kommenden Schwierigkeiten fertigzuwerden?
Wie Sie zutreffend sagen, Herr Kollege Dr. Ritz, können in der Tat beim Agrarexport ebenso wie auch bei anderen Exporten aus der Bundesrepublik Schwierigkeiten auftreten. Die Bundesregierung hat vor, besondere Unterstützungen zu gewähren. Um den Rückschlag in der deutschen Agrarexportwirtschaft auf Grund der Freigabe des Wechselkurses der D-Mark wieder auszugleichen, haben wir z. B. eine Werbekampagne für Agrarexportwaren begonnen. Der Arbeitsgemeinschaft Agrarexport sind dafür z. B. 5 Millionen DM zur Verfügung gestellt worden.
Eine Zusatzfrage, herr Abgeordneter Dasch.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß beim Milchpulverexport für süddeutsche Molkereien, die bisher bereits sehr gut mit Italien im Geschäft waren, besonders katastrophale Auswirkungen entstehen?
Es ist uns durchaus bekannt, daß das zum Teil der Fall ist. Aber ich möchte hier heute morgen nicht auf Einzelheiten eingehen. Es gibt einen Katalog derjenigen — ich könnte sie Ihnen aufzählen --, die vielleicht benachteiligt worden sind.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dasch.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Futtermittelfirmen — ich beziehe das jetzt auch auf die Milchproduktion — mitgeteilt haben, daß sie für eingeführte Grundprodukte, die die deutsche Landwirtschaft zur Veredlungsproduktion braucht, keine niedrigeren Preise oder zumindest nur ganz geringe Abschläge anbieten können?
Das ist mir in der Tat noch nicht bekannt, Herr Kollege Dasch.
Herr Abgeordneter Dr. Reinhard zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht auch — wie ich —, daß die von Ihnen soeben angekündigten Werbemaßnahmen für den Agrarexport keinen Erfolg haben werden, wenn unsere Produkte auf Grund der Paritätsänderung einfach nicht mehr wettbewerbsfähig sind?
Herr Dr. Reinhard, ich unterstelle nicht, daß die deutschen Agrarexporte - besonders die Spezialitäten — künftig nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Ich glaube, man muß hier auch die jeweilige Wettbewerbssituation richtig darstellen. Nach meiner Auffassung haben wir auch weiterhin durchaus gute Chancen für eine Steigerung des Agrarexports, z. B. bei deutschen Spezialitäten.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Reinhard.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß der Agrarexport auf den Export von Spezialitäten zurückfallen darf?
Nein, damit rechne ich nicht. Ich bin der Meinung, daß wir auf Grund der schon jetzt eingeleiteten Maßnahmen auch in Zukunft den Anteil des deutschen Agrarexports halten werden bzw. verbessern können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der deutsche Agrarexport die 4-MilliardenGrenze überschritten hätte, wenn nicht die Aufwertung gekommen wäre?
Darauf möchte ich Ihnen, wenn Sie es wünschen, schriftlich antworten. Ich habe diese Zahlen nicht im Kopf.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß alle diese Fragen der Kollegen von der CDU/CSU völlig überflüssig wären, wenn eben diese Kollegen früher nicht — entgegen den Einwänden, die sie selbst gemacht haben — auf dem gemeinsamen Agrarmarkt beharrt hätten?
Herr Kollege Moersch, ich möchte hier nicht auf die Bewältigung der Ver-
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530 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969
Parlamentarischer Staatssekretär Logemanngangenheit zu sprechen kommen, aber in der Tat haben Sie recht.
Herr Abgeordneter Mertes zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da hier in diesem Hause zweimal eine ausführliche Debatte darüber stattgefunden hat, wie notwendig die Aufwertung für die Preisstabilität war: Glauben Sie, daß dem Hause mit Ihren Antworten auf diese Fragen heute in der Fragestunde noch neue Gesichtspunkte bekanntgegeben werden können?
Davon bin ich eigentlich nicht überzeugt. Aber ich habe hier Fragen zu beantworten, und das tue ich gerne, Herr Kollege.
Herr Abgeordneter Dr. Jobst!
Herr Staatssekretär, ist die Sachlage nicht so, daß die ganzen Schwierigkeiten für die Landwirtschaft nur durch die Aufwertung entstanden sind?
Nein, das trifft nicht zu. Wir hätten auch ohne Aufwertung — ich habe das in diesem Hohen Hause neulich schon einmal ausgeführt — große Einkommensverluste erlitten. Man darf einfach nicht unterstellen, daß das alles Folgen der D-Mark-Aufwertung sind. Es ist sicher nachzuweisen, daß schon vor der D-Mark-Aufwertung, nach der Franc-Abwertung bei unseren Preisen erhebliche Verluste entstanden sind, z. B. durch das Unterlaufen französischer Weizenpreise.
Herr Abgeordneter Dr. Jobst zu einer zweiten Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, geben Sie mir nicht recht, daß durch die Aufwertung neuerliche erhebliche Schwierigkeiten für die Landwirtschaft entstanden sind?
Diese Schwierigkeiten sind natürlich zwangsläufig entstanden. Die Bundesregierung hat in der Regierungserklärung klar gesagt, daß sie diesen aufgetretenen Schwierigkeiten begegnen will und daß sie für einen Verlustausgleich eintritt.
Meine Damen und Herren, ich glaube, der Punkt ist für heute ausdiskutiert.
Ich komme zur Frage 77 des Abgeordneten Klinker:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und der Partnerstaaten der EWG, daß bei Währungsparitätsänderungen ein Grenzausgleichssystem bei Agrarprodukten und die Erhaltung des bisherigen, in Landeswährung ausgedrückten Agrarpreisniveaus die Grundlage der gemeinsamen Agrarpolitik und des gemeinsamen Marktes in Frage stellt?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Zu Ihrer ersten Frage, Herr Kollege Klinker: Nein. Deshalb hat sich die deutsche Bundesregierung in Brüssel dafür eingesetzt, ein Grenzausgleichssystem einzuführen. Der deutsche Vorschlag ist jedoch vom Agrarministerrat nur bis zum Jahresende genehmigt worden. Danach werden andere Ausgleichsmaßnahmen zugunsten der Landwirtschaft gewährt.
Zusatzfrage: Herr Abgeordneter Klinker!
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß die Kommission nach der Prüfung, die ja jährlich stattfindet, noch bereit sein wird, dieselben Ausgleichszahlungen zuzulassen?
Dazu kann ich keine konkrete Aussage machen. Ich kenne die Absichten der Kommission nicht. Sie müssen also später noch einmal darauf zurückkommen.
Jetzt komme ich zur Frage 78 des Abgeordneten Klinker:
Kann die Bundesregierung, falls sie die in Frage 77 dargestellte Auffassung teilt, angeben, welche unabänderliche Rechtsnorm einer Aussetzung der europäischen Rechnungseinheit oder einer Änderung der Berechnungsgrundlage der gemeinsamen Agrarpreise bis zur Verwirklichung einer gemeinsamen Währungspolitik entgegenstehen?
Wegen der Verneinung Ihrer ersten Frage wird eine Beantwortung eigentlich hinfällig, Herr Kollege Klinker.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klinker.
Sind Sie nicht der Meinung, Herr Staatssekretär, daß es jetzt an der Zeit wäre, daß die Regierung eine Alternative zur jetzigen Lösung in der EWG entwickelt, da der Art. 40 ja durchaus andere Auslegungen zuläßt?
Die Bundesregierung wird hier durchaus Überlegungen anstellen. Sie waren ja gestern Teilnehmer der Sitzung des Ernährungsausschusses. Sie hatten Herrn Bundesminister Ertl entsprechende
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969 531
Parlamentarischer Staatssekretär LogemannFragen hierzu gestellt und auch bestimmte Antworten bekommen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klinker.
Wann können wir mit der Vorlage dieser Vorstellungen der Bundesregierung rechnen?
Dazu kann ich Ihnen heute noch keinen Termin sagen.
Ich komme zur Frage 79 ,des Abgeordneten Susset:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß infolge der DM-Aufwertung die an deutsche Unternehmer und Körperschaften aus dem Europäischen Ausrichtungs. und Garantiefonds bewilligten in ihrer Höhe nach Rechnungseinheiten festgesetzten Zuschüsse nunmehr auf einen geringeren Betrag in Deutscher Mark lauten?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Zu Ihrer ersten Frage: Ja, diese Tatsache ist der Bundesregierung bekannt.
Dann zur Frage 80 des Abgeordneten Susset:
Kann die Bundesregierung angeben, wie hoch diese Verluste — ausgedrückt in Deutscher Mark — sind, und wie gedenkt die Bundesregierung nach ihrer Zusage, daß der deutschen Landwirtschaft keine aufwertungsbedingten Verluste entstehen sollen, diesen Schaden auszugleichen?
Die Bundesregierung 'hat errechnet, daß der Differenzbetrag zwischen den auf Grund der ursprünglichen Kostenvoranschläge errechneten Zuschüssen und den nunmehr nach der Aufwertung als Gegenwert für die bewilligten Rechnungseinheiten erzielbaren D-Mark-Beträgen für alle bisher bewilligten und noch nicht ausgezahlten deutschen Vorhaben 14,1 Millionen DM ausmacht. Die Bundesregierung hat bereits fernschriftlich bei der Kommission der EG den Ausgleich dieser Verluste aus Mitteln des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Ausrichtung, beantragt. Die zuständige Abteilung der Kommission hat diesen Antrag den Kommissaren als beschlußfassendem Gremium zugeleitet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Susset.
Was gedenkt die Bundesregierung für den Fall zu tun, daß die EWG-Kommission nicht bereit ist, diese 14,1 Millionen DM, die Sie in Ihrem Hause errechnet haben, auszugleichen?
Dann werden wir versuchen müssen, andere Lösungen zu finden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Susset.
Werden diese Lösungen so aussehen, wie sie uns in der letzten Fragestunde auf dem Sektor Obst zugesagt wurden? Gestern wurde gesagt, es gebe keine Möglichkeit, diese Verluste auszugleichen.
Die Lösungen werden so aussehen, daß man sich bemühen wird, die entstandenen Ausgleichsverluste in irgendeiner Form wieder auszugleichen.
Dann die Frage 81 des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß viele Landwirte mit Aussiedlerhöfen bereit wären, im Rahmen der Verbesserung der Agrarstruktur ihre Höfe aufzugeben, wenn sie wüßten, wie die langfristigen Zinsverpflichtungen von ihnen und ihren Familien erfüllt werden könnten?
Die Frage wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet.
Dann die Frage 82 des Abgeordneten Dröscher:
Ist die Bundesregierung bereit, die Richtlinien über die Investitionsbeihilfen für landwirtschaftliche Betriebe insoweit abzuändern, daß als wesentliche Voraussetzung für die Beihilfefähigkeit nicht mehr allein die Steigerung der Produktion, sondern vor allem auch die Steigerung des persönlichen Einkommens durch Rationalisierung des Betriebs — also Unkostensenkung — hei gleichbleibender Produktion berücksichtigt werden kann?
Die Frage wird ebenfalls auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet.
Ich komme damit zur Frage 83 des Abgeordneten Zebisch. Ist Herr Zebisch im Saal? — Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, zuerst zur Frage 84 des Abgeordneten Jung. - Herr Jung ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich komme zu den Fragen 85 und 86 des Abgeordneten Dr. Beermann. Er ist nicht im Saal; die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Die Frage 87 des Abgeordneten Dr. Schmidt
wurde zurückgezogen.
Ich komme zur Frage 88 des Abgeordneten Dr. Enders:
Ist die Bundesregierung bereit, eine einheitliche Regelung für den Bereitschaftsdienst der Bundeswehr einzuführen, damit Soldaten einzelner Standorte nicht mehr Bereitschaftsdienst leisten müssen als ihre Kameraden?
Herr Staatssekretär, ich darf bitten!
Zur Sicherstel-
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532 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969
Parlamentarischer Staatssekretär Berkhanlung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr ist es erforderlich, über die regelmäßigen Dienststunden hinaus Personal in angemessener Stärke und in zweckmäßiger, von der Funktion bestimmter Zusammensetzung als Bereitschaftsdienst verfügbar zu halten. Die Zusammensetzung des Personals im Bereitschaftsdienst richtet sich nach der Lage, nach dem Auftrag, nach der Eigenart des jeweiligen Truppenteils und insbesondere nach den örtlichen Gegebenheiten.Diese von dem Zweck des Bereitschaftsdienstes bestimmten Merkmale zeigen, daß eine einheitliche Regelung des Bereitschaftsdienstes im Sinne einer völlig gleichmäßigen Belastung aller Einheiten kaum möglich sein wird. Die Disziplinarvorgesetzten sind jedoch bemüht, solche ungleichmäßigen Belastungen im Rahmen des Möglichen durch entsprechende Dienstplangestaltung und auch durch Geldzulagen besonderer Art auszugleichen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Enders.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß gerade Standorte im Zonengrenzbereich stärker mit Bereitschaftsdienst belastet sind als andere?
Herr Kollege Enders, mir ist das bekannt, aber ich möchte auf ) diese Frage aus näherliegenden politischen Gründen heute morgen hier nicht eingehen. Ich bitte Sie, die Kollegen im Verteidigungsausschuß zu beauftragen, mit mir hierüber ein Gespräch zu führen.
Ich komme zu der Frage 89 des Abgeordneten Hansen:
Ist die Bundesregierung — angesichts des z. T. katastrophalen Lehrermangels in einzelnen Bundesländern — bereit, Studierende für ein Lehramt an allgemeinbildenden und/oder berufsbildenden Schulen auf Antrag vom Grundwehrdienst freizustellen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Die Frage, ob Wehrpflichtige vom Wehrdienst freizustellen sind, die in der Ausbildung zum Lehrer stehen oder diesen Beruf bereits ausüben, ist in der Vergangenheit von der Bundesregierung wiederholt geprüft und insbesondere auch mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister eingehend erörtert worden.
In Übereinstimmung mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister ist die Bundesregierung nach wie vor der Auffassung, daß der Lehrermangel allein kein Grund sein kann, die betreffenden Wehrpflichtigen generell vom Wehrdienst freizustellen. Eine entsprechende Sonderregelung wäre auch kaum mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar. Im übrigen bin ich der Ansicht, daß gerade diejenigen jungen Männer, denen die Erziehung der Jugend anvertraut ist, ihren staatsbürgerlichen Pflichten genügen und den Wehrdienst oder eine andere Art von Dienst leisten sollten.
Die Frage 90 des Abgeordneten Schwabe ist zurückgezogen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich komme damit zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Zuerst die Frage 97 des Abgeordneten Höcherl. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Fragen 97 und 98 werden schriftlich beantwortet.
Ich komme zu der Frage 99 des Abgeordneten Biechele:
Wie ist der gegenwärtige Stand der Beratungen über die Revision der Internationalen Schiffahrts- und Hafenordnung für den Bodensee?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, wegen des Sachzusammenhangs bitte ich, die beiden Fragen des Herrn Kollegen Biechele gemeinsam beantworten zu dürfen.
Ich rufe dann noch die Frage 100 des Abgeordneten Biechele auf:
Kann damit gerechnet werden, daß die Beratungen, die am 8. und 9. November 1966 in Bonn aufgenommen wurden, bald abgeschlossen werden?
Bitte sehr!
Herr Kollege, die im Jahre 1968 zum Stillstand gekommenen Verhandlungen der drei Bodenseeuferstaaten Österreich, Schweiz und Deutschland über die Revision der internationalen Schiffahrts- und Hafenordnung für den Bodensee sind noch nicht wieder aufgenommen worden. Zur Zeit sind zweiseitige Gespräche insbesondere zwischen Österreich und der Schweiz im Gange mit dem Ziel, die unterschiedlichen Auffassungen über den Umfang der Revisionsarbeiten einander anzunähern und eine gemeinsame Diskussionsgrundlage zu schaffen. Im Augenblick ist nicht abzusehen, wann die dreiseitigen Beratungen wieder aufgenommen werden. Eine Aussage darüber, wann die Verhandlungen abgeschlossen sein werden, ist daher nicht möglich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Biechele.
Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß man am Bodensee über die bisherigen Arbeitsergebnisse der Kommission tief enttäuscht ist? Ich darf auf die lebhafte, ja stürmische Diskussion dieser Probleme in der jüngsten Sitzung des Kreistages von Konstanz in dieser Woche hinweisen. Ist Ihnen weiterhin bekannt, daß man, um ein Chaos auf dem Bodensee zu verhindern, eine
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969 533
BiecheleArbeitsgemeinschaft aus den Bodenseelandkreisen, den Anliegergemeinden und den betroffenen Verbänden bilden will, die ein ,,Bodensee-Ordnungsrecht" erarbeiten sollen, damit die Erholungslandschaft Bodensee erhalten und gesichert werden kann?
Herr Kollege, ich habe in meiner ersten Antwort ja deutlich gemacht, daß die Bundesregierung an sich interessiert sei, diese Verhandlungen zum Abschluß zu bringen, daß wir hier aber nicht die allein Bestimmenden sind. Ich bitte Sie, einzusehen, daß wir uns zur Zeit darauf beschränken müssen, zu hoffen, daß gewisse bilaterale Gespräche einen günstigen Abschluß finden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Biechele.
Herr Staatssekretär, ist zu beurteilen, bis wann diese bilateralen Gespräche zu einem Erfolg führen, so daß man endlich auch absehen kann, bis wann die Revision der Internationalen Schiffahrts- und Hafenordnung für den Bodensee erfolgt?
Herr Kollege, die Bundesregierung ist bemüht, im Interesse der von Ihnen genannten Zielsetzung und zur Überwindung der Bedenken und Sorgen der betroffenen Bevölkerung diese Gespräche im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach Kräften zu fördern.
Ich rufe die Frage 101 des Abgeordneten Härzschel auf:
Warum wurden bei der Beantwortung der Frage 41 - Drucksache VI 49 — in der Fragestunde vom 12. November 1969 bei der Aufzählung der geplanten Rheinübergänge die vorgesehenen Brücken in Weil Rhein und Märkt nicht erwähnt, obwohl der Bundesverkehrsminister bei seinem Besuch in Weil versichert hat, daß heide Brücken eingeplant seien?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, wegen des Sachzusammenhangs bitte ich auch hier, die beiden Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.
Keine Bedenken. Ich rufe auch die Frage 102 des Abgeordneten Härzschel auf :
Steht der Bundesverkehrsminister noch zu dieser Zusage, und in welchem Zeitraum ist mit der Verwirklichung zu rechnen im Blick auf eine gemeinsame Sitzung französischer und deutscher Vertreter bei der Planungsgemeinschaft Hochrhein, wo in einer Resolution die einhellige Auffassung vertreten wurde, daß eine schnelle Lösung dieser Brückenprobleme von vorrangiger Bedeutung für den zwischenstaatlichen Verkehr und für die Entwicklung der Region sei?
Herr Kollege, der Bau der Rheinbrücken bei Märkt im Zuge der Bundesstraße 316 und bei Weil an der Bundesstraße 317 ist geplant und mit französischen Vertretern erörtert. Das Abschlußkommuniqué über die Auswertung der Verkehrsuntersuchung ist von Frankreich aber noch nicht abschließend anerkannt. Daher wurden diese heiden Brücken bisher nicht genannt. Bautermine können erst genannt werden, wenn die Zustimmung der französischen Regierung vorliegt und die laufenden Verhandlungen mit den Auftragsverwaltungen über die Dringlichkeitseinstufung abgeschlossen sind.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Härzschel.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß auf jeden Fall von deutscher Seite die Brücken eingeplant sind?
Ja; ich habe angedeutet, daß wir sie aus unserer Verkehrssituation heraus für nötig halten. Aber Sie werden verstehen, daß bei Rheinübergängen immer auch ein volles Einverständnis mit dem Nachbarn nötig ist. Wir bemühen uns, diese Einigung bald auch formell herbeizuführen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird, wenn dieses Einverständnis vorliegt, eine Verwirklichung sehr schnell möglich sein?
Davon können Sie ausgehen, vorausgesetzt, daß die Auftragsverwaltungen die entsprechenden technischen Voraussetzungen schaffen.
Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Staatssekretär, bis wann wird die Vereinbarung mit Frankreich abgeschlossen werden können?
Ich hoffe, Frau Kollegin, daß das in den nächsten Monaten der Fall sein wird.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Burger.Burger ; Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung grundsätzlich bereit, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um in den Verhandlungen weiterzukommen, damit auch die Rheinbrücken bald gebaut werden können, um die Ost-West-Verbindungen auszubauen und damit der EWG und einem zukünftigen geeinten Europa die denkbar besten
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534 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969
BurgerMöglichkeiten auf dem Sektor des Verkehrs zu geben?
Herr Kollege, ich habe vorhin schon gesagt, daß die Bundesregierung das für notwendig hält. Ich habe aber auch darauf hingewiesen, daß gerade Verknüpfungen zwischen EWG-Partnern im Straßennetz natürlich auch beinhalten, daß der Partner auf der anderen Seite des Rheins die Straße in seinem Bereich im gleichen Zuge ausbauen kann.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie in etwa sagen, welche Mittel Sie bereitstellen können, um bereits in den nächsten Jahren an die Realisierung zu gehen?
Herr Kollege, Sie wissen, daß wir uns zur Zeit in sehr detaillierten Verhandlungen über den neuen Ausbauplan des Bundesfernstraßennetzes befinden und daß die haushaltsmäßigen Absicherungen dieses Plans im Zusammenhang mit Haushaltsberatungen des nächsten Jahres diskutiert werden. Ich möchte dem nicht vorgreifen. Sie können aber sicher sein, daß die Dringlichkeit dieser Rheinübergänge ihre entsprechende Würdigung in unserem Vorschlag finden wird.
Ich rufe die Frage
103 des Abgeordneten Strohmayr auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Einsatz der lange Zeit versuchsweise in Köln-Fühlingen und später im Ausland, so in Japan, gebauten Einwegbahn?
Herr Kollege, die Alwegbahn hat sich nach umfangreichen Versuchen und einer Reihe von Probeausführungen in Italien, Japan und den USA bisher nicht bewährt. Die in Betracht kommenden Verkehrsunternehmen sind nach gegenwärtiger Sachlage nicht bereit, Verkehrsanlagen nach dem Prinzip der Alwegbahn zu schaffen. Die Bundesregierung ist nicht in der Lage und sieht auch keinen Anlaß, auf die Verkehrsunternehmungen einzuwirken.
Ich rufe die Frage
104 des Abgeordneten Pieroth auf:
ist die Bundesregierung bereit, durch niedrigere Tarife für die betreffenden Bundesbahnstrecken die Diskrepanz auszugleichen, die darin besteht, daß für eine Reihe von Bundesbahnstrecken mit einer Entfernung von über 80 km der erhöhte Tarif einschließlich Zuschlag berechnet wird, obwohl auf ihnen die Möglichkeit, einen Schnellzug zu benutzen, nicht gegeben ist?
Bitte sehr!
Herr Kollege, hierzu ist die Bundesregierung leider nicht in der Lage. Die Deutsche Bundesbahn setzt ihre Tarife selbst fest. Die Bundesregierung kann ihr also nicht aufgeben, für einen Teilbereich ihres Personenverkehrs die Fahrpreise zu senken. Die Deutsche Bundesbahn hat diese Tarifänderung, bei der der Zuschlag in den Tarif einbezogen wurde, nicht zum Anlaß genommen, insgesamt ihren Personenverkehr zu verteuern.
Damals, am 1. Juni 1969, sind für die Schnellzugreisenden 2. Klasse die Preise zum Teil gesenkt worden. Relativ geringe Verteuerungen sind nur für die Reisenden entstanden, die über 80 km hinaus Züge benutzen, die schon bisher zuschlagfrei waren, d. h. Eil- und Personenzüge. Das ist — gemessen an der Gesamtzahl des reisenden Publikums — ein recht kleiner Kreis. Im Ergebnis hat sich die finanzielle Situation der Deutschen Bundesbahn in diesem Bereich nicht geändert.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Pieroth.
Herr Staatssekretär, da die Klagen aber offensichtlich zunehmen, frage ich, ob die Möglichkeit besteht oder ob beabsichtigt ist, die Bundesbahn dahingehend anzuregen, zumindest eine Überprüfung vorzunehmen.
Herr Kollege, die Überprüfung würde, wenn sie mit Einnahmeminderungen verbunden ist, gegebenenfalls den Ausgleichsanspruch der Bundesbahn nach § 28 a des Bundesbahngesetzes auslösen. Ich sehe mich leider nicht in der Lage, Ihnen hier eine Zusage zu geben, und muß darauf hinweisen, daß die jetzt eingeführte Regelung ihre Parallele auch im Verhalten anderer westeuropäischer Eisenbahngesellschaften hat, die dieses System der Fahrkarte schon seit längerer Zeit besitzen.
Ich rufe die Frage105 des Abgeordneten Dr. Riedl auf. — Er ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet.Der Abgeordnete Schwabe hat die Frage 106 zurückgezogen. — Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Ich rufe die Frage 107 des Abgeordneten Pfeifer auf. — Er ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet.Ich rufe die Frage 108 des Abgeordneten Graaff auf. — Er ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet.Ich rufe die Fragen 109 und 110 des Abgeordneten Dr. Bechert auf. — Er ist nicht im Saal; die Fragen werden schriftlich beantwortet. Damit ist dieser Bereich erledigt, ohne den Herrn Staatssekretär in Anspruch genommen zu haben.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969 535
Vizepräsident Dr. JaegerWir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Ich rufe die Frage 91 des Abgeordneten Dr. Rutschke auf:Ist es richtig, daß nach den Feststellungen der Standesorganisation der Zahnärzte im Bundesgebiet derzeit etwa 6000 approbierte Zahnärzte fehlen, um eine ordnungsgemäße zahnärztliche Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten?Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, nach meinen Informationen trifft es nicht zu, daß derzeit 6000 approbierte Zahnärzte fehlen. Eine solche Behauptung ist auch vom Bundesverband der deutschen Zahnärzte nicht aufgestellt worden. Nach den Feststellungen des Wissenschaftsrates und seinen Empfehlungen zur Struktur und zum Ausbau der medizinischen Forschungs- und Ausbildungsstätten wird eine Zahnarztdichte von einem Zahnarzt je 2000 Einwohner für erforderlich angesehen. Diese Auffassung wird auch vom Bundesverband der deutschen Zahnärzte geteilt. Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes differierte die Zahl der Einwohner je Zahnarzt Ende 1967 in den Ländern zwischen etwa 1285 in Hamburg und 2828 im Saarland. Im Durchschnitt betrug sie 1911 und lag damit günstiger als die vom Wissenschaftsrat für erforderlich gehaltene Relation.
Um eine Zahnarztdichte von 2000 Einwohnern je Zahnarzt zu halten, ist nach den Berechnungen des Wissenschaftsrates langfristig durchschnittlich ein jährlicher Nachwuchs von rund 1300 Zahnärzten erforderlich. Im Jahre 1968 sind aber nur 759 zahnärztliche Bestallungen erteilt worden. Hier liegt also das Problem. Diese Lücke kann zur Zeit noch durch Zuwanderung von Zahnärzten aus dem Ausland weitgehend geschlossen werden. Es muß allerdings damit gerechnet werden, daß in absehbarer Zukunft — etwa in fünf Jahren — ein Mangel an Zahnärzten eintritt, so daß eine ausreichende zahnärztliche Versorgung der Bevölkerung nicht mehr überall gewährleistet ist.
In Erkenntnis dieser drohenden Situation hat sich das Bundesministerium für Gesundheitswesen an den Präsidenten der Ständigen Konferenz der Kultusminister sowie an den Vorsitzenden der Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Länderminister und Senatoren gewandt und sie ersucht, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um rasch eine Vermehrung der Ausbildungsplätze für Studierende der Zahnmedizin zu erreichen. Wir haben uns außerdem mit dem Vorsitzenden des Wissenschaftsrates in Verbindung gesetzt und ihn auf den Mangel an Ausbildungsplätzen in der Zahnmedizin hingewiesen. Dem ist inzwischen auch in den Empfehlungen des Wissenschaftsrates Rechnung getragen worden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Rutschke.
Herr Staatssekretär, welche Zahl von fehlenden Stellen können Sie bei den
Unterlagen und bei der Begründung, die Sie gegeben haben, nennen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sagte Ihnen soeben, daß wir mit einem Nachwuchs von 1290 Stellen rechnen müssen, daß aber im Jahre 1968 nur rund 760 Stellen besetzt werden. Aus dieser Differenz ergibt sich schon das Minimum an zusätzlichen Ausbildungsplätzen. Inzwischen sind aber schon, soweit ich mich in der Zwischenzeit habe unterrichten können, etwa 350 neue Ausbildungsplätze geschaffen worden. Das reicht noch nicht aus. Wir sind deshalb mit den Kultusministerien darum bemüht, mit Nachdruck die Ausbildungskapazität insbesondere in den vorklinischen Fächern zu erweitern.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe gefragt, wieviel Zahnärzte für eine ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung im Augenblick fehlen. Können Sie diese Zahl nennen oder können Sie sie nicht nennen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Im Augenblick fehlen keine Ärzte. Im Gegenteil, wir haben alles in allem mehr Ärzte als nach den Richtzahlen erforderlich. Der Mangel tritt erst in fünf bis zehn Jahren durch eine relativ starke Überalterung dieses Berufes und das infolgedessen zu erwartende Ausscheiden vieler Zahnärzte ein, dem man seinerzeit durch das Zahnheilkundegesetz Rechnung tragen konnte. Damals sind die Dentisten kurzerhand in den zahnärztlichen Beruf überführt worden. Wir müssen uns aber jetzt darum bemühen, die Ausbildungskapazität an den Universitäten zu erweitern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Burger.
Herr Staatssekretär, stehen Sie noch zu dieser Behauptung, daß keine Zahnärzte fehlen, angesichts der Pressemeldungen und Klagen, daß es nicht möglich sei, in den Schulen genügend Zahnärzte für die angeordneten Vorsorgeuntersuchungen zu finden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe eben darauf hingewiesen, daß die Zahl, die ich nannte, lediglich eine Durchschnittsziffer ist und daß es durchaus regionale Differenzen gibt. Wir haben gehört: im Saarland fehlt es an Zahnärzten, in Hamburg haben wir eine weit über der Durchschnittsziffer liegende und damit relativ gute zahnärztliche Betreuung. Das von Ihnen angeschnittene Problem des Mangels an Zahnärzten etwa für den Schul- und Jugendzahnpflegedienst liegt zum Teil auch an den
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536 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969
Staatssekretär Dr. von Manger-Koenigwenig attraktiven Bedingungen, die den Ärzten im öffentlichen Dienst geboten werden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Burger.
Herr Staatssekretär, wie wollen Sie die Bedingungen attraktiver machen? Was haben Sie da vor?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Ländergesundheitsminister und die Träger der kommunalen Gesundheitsämter können Zahnärzten Sonderverträge unterbreiten. Wenn Sie aber in die Statistiken sehen, werden Sie feststellen, wie stark der Durchschnittsumsatz der Ärzte und Zahnärzte in den letzten Jahren gewachsen ist und daß wir mit der derzeitigen Besoldungsstruktur kaum ein Äquivalent geben, das einen hinreichenden Anreiz zum Abwandern aus der Praxis in den öffentlichen Dienst geben könnte.
Ich rufe die Frage 92 des Abgeordneten Dr. Rutschke auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die zuständigen Landesbehörden zu veranlassen, daß bei Verlängerungen von Arbeitsgenehmigungen der schon im Bundesgebiet erfolgreich tätigen ausländischen Zahnärzte großzügiger verfahren wird, um somit die zahnärztliche Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es ist zunächst zu unterscheiden zwischen den Arbeitsgenehmigungen, die von den Behörden der Arbeitsverwaltung erteilt werden, und den berufsrechtlichen Voraussetzungen für eine Tätigkeit ausländischer Zahnärzte in der Bundesrepublik.
Voraussetzung für die Erteilung der Arbeitsgenehmigung ist die Erteilung der Erlaubnis zur Ausübung der Zahnheilkunde durch die Gesundheitsbehörde, die von den für das Gesundheitswesen zuständigen Behörden der Länder gegeben wird. Sofern die Erlaubnis zur Ausübung vorliegt, wird nach meinen Informationen auf Grund der geschilderten Arbeitsmarktlage, wie sie eben angesprochen worden ist, in aller Regel auch die Arbeitsgenehmigung erteilt.
Die Erlaubnis zur Ausübung der Zahnheilkunde an Ausländer — die im allgemeinen auf zwei 'Jahre befristet wird — kann von den Landesgesundheitsbehörden nur im Benehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheitswesen erteilt oder versagt werden, so daß mir jeder Antrag auf Erteilung der Erlaubnis von den Ländern zugeleitet werden muß.
Dabei ist eine Zahl von Interesse. Seit dem 1. Juli 1965 sind mir 704 Anträge auf Erteilung einer solchen Erlaubnis zugeleitet worden. Von diesen waren 697 Anträge von den Ländern befürwortend vorgelegt worden, und der Bundesminister für Gesundheitswesen bzw. jetzt der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat sich in allen Fällen der Auffassung der Länder angeschlossen. An-
träge auf Verlängerung der Erlaubnis werden uns im allgemeinen nicht zugeleitet. Nach meinen Informationen gehen die Länderbehörden aber bei derartigen Anträgen sehr großzügig vor und verlängern die Erlaubnis sogar mehrere Male, sofern das im Hinblick auf die zahnärztliche Versorgung der Bevölkerung indiziert erscheint.
Sollten Sie, Herr Abgeordneter, einen besonderen Einzelfall im Auge haben, bitte ich, mir das mitzuteilen. Ich bin gerne bereit, dem nachzugehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Rutschke.
Herr Staatssekretär, welchen Einfluß üben die Landeszahnärztekammern bei der Genehmigung von Arbeitserlaubnissen für ausländische Zahnärzte aus?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach den Landesgesetzen über die Kammern der Heilberufe haben die Landeszahnärztekammern im allgemeinen das Recht oder die Möglichkeit, zu solchen Anträgen gehört zu werden. Mir sind das Beziehungsverhältnis bzw. die internen Absprachen zwischen den Landesministerien und den Landeszahnärztekammern im einzelnen natürlich nicht bekannt, so daß ich nicht weiß, ob Absprachen restriktiven oder fördernden Charakters bestehen.
Ich rufe die Frage 93 der Frau Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Kindergeld vielfach
nicht für die Kinder, sondern zweckfremd verwendet wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, nach der Erfahrung kommt es vor, daß öffentliche Leistungen auch unter Mißachtung ihrer Zweckbestimmung verwendet werden. Das gilt leider auch für das Kindergeld.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen das Schreiben der Evangelischen Frauenarbeit vom 26. Oktober 1969 bekannt, das an den Bundesminister für Familie und Jugend gerichtet ist und in dem sehr eingehend dargelegt wird, in welchem Umfang das Kindergeld zweckfremd verwendet wird? Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, durch eine Änderung des § 3 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes dafür zu sorgen, daß die Gefahr einer Zweckentfremdung vermieden wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, das Kindergeldgesetz versucht heute bereits solchen Rechtsmißbrauch dadurch zu vermeiden, daß es als Kindergeldberechtigten denjenigen bestimmt, der durch die Betreuung bzw.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969 537
Staatssekretär Dr. von Manger-Koenig) den Unterhalt des Kindes erfahrungsgemäß am stärksten belastet ist, daß es die Möglichkeit einräumt, das Kindergeld auch an einen anderen als den Berechtigten auszuzahlen, falls dieser das Kind überwiegend unterhält, und daß es die Pfändung des Kindergeldes nur zur Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen zuläßt. Ich darf Ihnen aber versichern, daß die von Ihnen vorgeschlagene Regelung erneut geprüft wird. Sofern man mit dieser Regelung allgemein zu besseren Ergebnissen als nach dem geltenden Recht gelangen kann, bin ich bereit, mich für Ihren Vorschlag einzusetzen.
Herr Abgeordneter Josten zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß Kindergeld als Familienlastenausgleich gezahlt wird und die Verwendung des Kindergeldes allein in die Zuständigkeit der Eltern gehört?
Dr. von Manger-Koenig, Staatssekretär im Bundesministerium für Jugend. Familie und Gesundheit: Ich glaube, hier muß auch das Recht des Kindes beachtet werden. Deshalb sind im Gesetz Maßnahmen vorgesehen, die nach Möglichkeit einer Zweckentfremdung der Mittel begegnen sollen.
Eine Zusatzfrage, ) Herr Abgeordneter von Bockelberg.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Kindergeld bei geschiedenen Ehen auf die Unterhaltsleistungen des Vaters angerechnet wird und daher praktisch dem geschiedenen Vater zugute kommt, und was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um das zu verhindern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir wissen, wie ich eben schon sagte, daß hier und dort Zweckentfremdung vorkommt, so daß es notwendig ist, solchen Erfahrungen der Praxis bei einer weiteren Novellierung zu entsprechen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie dies nicht für eine generelle Angelegenheit, die sich die Bundesregierung angelegen sein lassen müßte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sagte eben, bei einer Novellierung ist es ohnehin Sache der Bundesregierung, diesen ganzen Fragenkomplex mit den Beteiligten eingehend zu erörtern.
Ich bitte die Damen und Herren, die keine Frage stellen wollen, sich
zu setzen und damit den Blick out die anderen, die Fragen stellen wollen, nicht zu verbauen.
Ich komme nunmehr zur Frage 94 der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Ist die Bundesregierung bereit, das Bundeskindergeldgesetz in der Weise zu ändern, daß grundsätzlich die Mutter das Kindergeld erhält, wenn sie die Kinder betreut?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, daß die Frage im Zusammenhang mit der Zusatzfrage eben schon beantwortet ist, Frau Abgeordnete.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr!
Herr Staatssekretär, ist es nicht dringend notwendig, daß in erster Linie die Mutter das Kindergeld erhält, und zwar unabhängig von der Unterhaltspflicht? In den meisten Ehen sind doch die Frauen nicht berufstätig, und dann wird das Kindergeld an den Vater ausgezahlt. Ist Ihnen bekannt, daß die Verhältnisse sich insofern gerade in gestörten Ehen zum Nachteil der Kinder auswirken, weil der Vater dann, da er den Unterhalt zahlt, das Kindergeld bekommt und nicht die Mutter, die dringend darauf angewiesen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, diese Fragen sind außerordentlich vielschichtig, so daß es schwierig ist, jetzt auf jeden Einzelfall einzugehen. So wäre z. B. zu klären, unter welchen Voraussetzungen Ausnahmen von dem von Ihnen zitierten Grundsatz zuzulassen wären. Ferner wäre die praktische Konsequenz zu bedenken, daß Väter, denen auf Grund der neuen Regelung das Kindergeld entzogen würde, mit Rücksicht hierauf eine Kürzung ihrer Unterhaltszahlungen für angemessen halten würden. Schließlich sind auch noch andere Lösungsmöglichkeiten im Gespräch, so etwa die Möglichkeit, den beiden Elternteilen das Kindergeld je zur Hälfte zu gewähren. Es wird auch erwogen, den § 3 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes dahin zu ändern, daß ein Vorrang des Elternteils, der das Kind betreut, nur für den Fall des Getrenntlebens noch nicht geschiedener Eltern begründet wird.
Eine zweite Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Diemer-Nicolaus.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht an der Zeit, die grundsätzliche Entscheidung zugunsten der Mütter zu treffen, die doch im wesentlichen die Betreuung der Kinder und die Sorge für sie haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, wir werden diese Anregung von Ihnen gern in einem von einer Frau und Mutter geleiteten Ressort weiter prüfen.
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2 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969
Wir kommen zur Frage 95 des Abgeordneten Strohmayr:
Warum sieht das Bundesseuchengesetz oder eine andere gesetzliche Regelung nicht die regelmäßige Röntgenuntersuchung auf Tbc-Gefahr für Bäcker, Kellner, Ärzte und Pflegepersonal vor?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die §§ 17 und 18 des Bundes-Seuchengesetzes sollen einer Verbreitung übertragbarer Krankheiten durch Lebensmittel vorbeugen. Um die nach diesen Vorschriften vorzunehmenden Untersuchungen in praktisch tragbaren Grenzen zu halten, beschränken sie sich sowohl hinsichtlich des Personenkreises als auch hinsichtlich der Zweige des Lebensmittelgewerbes auf die wesentlichen Risiken. Diese liegen bei Personen, die mit Lebensmitteln tierischer Herkunft in direkte Berührung kommen; solche Lebensmittel bieten Bakterien einen besonders guten Nährboden. Zu dem genannten Personenkreis gehören Kellner nach aller Erfahrung nicht. Es hat sich allerdings gezeigt, daß von Konditorwaren eine gewisse Gefahr ausgehen kann. Für eine Novellierung des Bundes-Seuchengesetzes ist deshalb vorgesehen, Personen, die in Bäckereien oder Konditoreien Konditorwaren herstellen, in den Katalog nach § 17 des Bundes-Seuchengesetzes aufzunehmen. Ärzte und Pflegepersonal sind nach den berufsgenossenschaftlichen Vorschriften regelmäßig zu untersuchen. Die Abstände zwischen den einzelnen Untersuchungen dürfen zwölf Monate nicht überschreiten. Dabei wird auch eine Lungenaufnahme angefertigt und damit Ihrer Frage der Fahndung nach einer möglichen Tuberkulosegefährdung Rechnung getragen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Strohmayr.
Herr Staatssekretär, ist bald damit zu rechnen, daß Kellner, die bis jetzt außerhalb dieses Gesetzes stehen, in die obligatorischen Untersuchungen einbezogen werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wir müssen uns bei einer solchen Untersuchungspflicht auf die wesentlichen Risiken beschränken, allein aus Gründen der Praktikabilität. Bisher sind wir und auch die uns beratenden Hygieniker davon ausgegangen, daß das erhöhte Risiko einer Gefährdung Dritter bei Kellnern im allgemeinen nicht vorliegt.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Strohmayr.
Herr Staatssekretär, Sie sind aber doch wohl mit mir der Auffassung, daß gerade bei Kellnern die Gefahr der Übertragung von Tbc sehr groß ist, und zwar deswegen, weil der Kellner direkt mit den Lebensmitteln, die der Mensch zu sich nimmt, in Berührung kommt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es gibt eine ganze Reihe von Berufen, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen. Hier kommt es auf die Intensität des Kontaktes an, auf das Lebensmittel selbst und ebenso auf die Möglichkeit einer Keimvermehrung. Diese Möglichkeit besteht wohl kaum in der kurzen Zeitspanne, in der der Kellner Speisen von der Ausgabe in der Küche bis zum Tisch des Gastes bringt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Wir stehen am Ende der Fragestunde; die übrigen Fragen werden schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Enquete-Kommission Auswärtige Kulturpolitik
— Drucksache VI/57 -
Das Wort zur Begründung des Antrags hat der Abgeordnete Dr. Martin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion wünscht eine Enquete-Kommission zur auswärtigen Kulturpolitik, um notwendige Entscheidungen des Bundestages vorzubereiten. Dabei geht es uns um das Ganze: um die Rolle der auswärtigen Kulturpolitik, um die Organisation, um die Finanzierung, insgesamt also um eine Konzeption für die nächsten Jahre.Unter Dieter Sattler haben wir eine fruchtbare Periode auswärtiger Kulturpolitik erlebt. Danach sind aber, wie wir glauben, eine Stagnation und seit geraumer Zeit auch ein gewisser Rückgang eingetreten. Man braucht das gar nicht polemisch zu nehmen, wenn man sich an den Satz des damaligen Außenministers, des jetzigen Bundeskanzlers, erinnert, der sagte: Ich bin der erste, der zugibt, daß wir uns mit dem Erreichten nicht zufriedengeben können. Jedenfalls ist die Situation gegenwärtig so, daß hinsichtlich der Finanzierung, der Beweglichkeit, der Anpassung an neue politische Situationen und kulturelle Gegebenheiten ein erheblicher Mangel eingetreten ist.Ich will kurz die Motive nennen, aus denen wir zu diesem Antrag betreffend eine Enquete-Kommission gekommen sind. Zunächst ist es, glaube ich, notwendig, die bei uns immer noch vorhandene Vorstellung von Kultur auszuräumen, die objektiv mit den schönen Künsten und subjektiv mit Kultiviertheit gleichgesetzt wird. Wir müssen davon ausgehen, daß, wie immer man definiert, heute Kultur extensiv auszulegen ist. Zu ihr gehören: Schule, Bildung, Wissenschaft, Zeitung, Funk, Film, Fersehen, öffentliche Meinungen, Weltanschauungsfragen, Frauenfragen, Sport usf., kurz: das Ganze des menschlichen Lebens.Wir gehen zweitens davon aus, daß wohl noch nie in der Geschichte Politik und Kultur so eng miteinander verflochten waren und so aufeinander eingewirkt haben. Man braucht sich nur das Vorgehen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969 539
Dr. Martinder Chinesen anzusehen, die mit kulturellen Waffen die aufgeweichten marxistischen Imperien angehen; man braucht nur den umgekehrten Vorgang in der Tschechoslowakei zu beobachten. Man kann darauf hinweisen, was die sowjetische Literatur gegenwärtig an politischen Rückwirkungen ausübt. Man muß auch darauf hinweisen, was der Neomarxismus in den westlichen Gesellschaften politisch und weltanschaulich in Gang bringt.Man kann im ganzen sagen, daß das ökonomische Element in den auswärtigen Beziehungen gegenwärtig zurückzutreten beginnt hinter den kulturellen Beziehungen und den Möglichkeiten, die darin stecken.Auch ein Drittes glaube ich noch sagen zu sollen. So richtig es ist, daß die Industriekultur egalitäre Tendenzen über die ganze Welt verbreitet, so richtig ist es aber auch, daß sich die Nationen gegen die Einebnung wehren und überall bestrebt sind, ihre nationale Identität neu festzustellen. Das tun die Russen und die Amerikaner, die Franzosen und die Tschechen, die Rumänen und im Grunde genommen alle anderen auch. Es ist nicht so, daß die Industriekultur das nationale Bewußtsein zerstört. Umgekehrt ist es: wie sich das Individuum vor den Zwängen der Kultur in die Subjektivität zurückzieht, so ziehen sich die Völker anscheinend bei den Zwängen einer internationalen Industriekultur auf ihre Geschichte zurück. Das mag dem einen oder anderen paradox erscheinen; aber das sind die Tatsachen, mit denen wir es zu tun haben.Ich sage das deshalb, weil wir in den Debatten der letzten Wochen hier von allen Parteien und Fraktionen festgestellt haben, daß Deutschland zwar geteilt ist, aber als Nation weiterlebt. Von daher sind neue Überlegungen über die Repräsentation der deutschen Kultur im Ausland anzustellen. Das alles sind die Gründe, die es notwendig machen, über eine Konzeption neu nachzudenken.Nun haben wir in den letzten Jahren viele Deklamationen darüber gehört, daß die auswärtige Kulturpolitik die dritte Säule der Außenpolitik, die zweite Bühne oder gar die vierte Dimension sei. Aber das zu realisieren, ist schwer. Ich möchte die Hindernisse nennen, die es bei uns in spezifischer Weise gibt.Erstens einmal besteht bei uns eine mangelnde Wahrnehmung der von mir soeben nur kurz skizzierten Änderungen, die durch die Welt gehen. Zweitens ist die Kulturabteilung des Auswärtigen Amts immer noch unterbesetzt; sie wird routinemäßig besetzt, gilt als Abstellgleis. Es fehlen die Spezialisten, wie sie die Wirtschaftspolitik im Auswärtigen Amt längst zur Verfügung hat. Schließlich ist der Kulturetat eingefroren und rückläufig. Um es zuzuspitzen: die Organisationen werden am Leben erhalten, — Mobilität, Dynamik ersticken in der Knappheit der finanziellen Mittel.Wir heben nicht darauf ab, das System der deutschen Kulturpolitik im Ausland dem Grunde nach zu ändern. Diejenigen unter uns, die die Entwicklung mitgemacht haben, wissen, daß wir die Wahl hatten — theoretisch — zwischen dem französischen Zentralismus und dem System des British Council. Beides war für uns nicht durchführbar. Wir haben uns für ein Mischsystem entschieden, bei dem eine diskrete Steuerung der Organisationen der Kultur durch den Staat erfolgt, die ihrerseits spontan nach autonomen Gesetzen handeln. Diese Entscheidung ist gefallen und soll nicht rückläufig gemacht werden.Aber es ist die Frage, ob wir die Delegierung, der wir alle zugestimmt haben, vor allem auch der Bundestag, richtig durchgeführt haben. Man muß davon ausgehen, daß das Goethe-Institut, Inter Nationes, das Büro für internationale Beziehungen und anderes mehr Eigengewichte entwickelt, ihre eigene Philosophie haben. Das ist im Grunde genommen auch richtig. Denn Sprachförderung kann nur von Sprachwissenschaftlern, Wissenschaftsförderung nur von Wissenschaftlern gemacht werden. Was der Staat zu machen hat, ist, zu entscheiden, ob er solche Aufgaben betreuen, finanzieren und zu Staatsaufgaben machen will.Wir möchten der Meinung widersprechen, die immer wieder laut wird, daß die Delegierung quasi vorläufig sei und wieder zurückzunehmen sei, und auch der Neigung, unnötige Vorbehalte und Kontrollen mit der Neigung einzuführen, die Zuwendungsempfänger auch als Weisungsempfänger zu behandeln. Die Konsequenz ist nicht der Rückzug des Staates aus diesen Dingen, sondern ein ausgewogenes Verhältnis von diskreter Steuerung und gesellschaftlicher Spontaneität. Das, worauf es ankommt, ist, das ungeheure Nebeneinander und Durcheinander, das kaum noch registrierbar ist, in die Hand zu bekommen, überschaubar zu machen und zu koordinieren. Wenn man weiß, daß es über 250 Organisationen in diesem Lande gibt, die sich damit beschäftigen, versteht man wohl, worum es geht.Es geht also darum, in einer Enquete-Kommission das Verhältnis von Staat und Gesellschaft auf diesem Gebiet neu zu durchdenken und dabei darauf zu achten, daß die meisten Bereiche der Kulturarbeit autonom sind und autonom bleiben müssen.Ohne in die Einzelheiten zu gehen, möchte ich feststellen: es kommt darauf an, im Benehmen mit den Organisationen, mit dem Sachverstand in unserem Lande, im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt die bisherige Politik zu überprüfen und zu einem Konzept für die nächsten Jahre zu kommen. Nötig ist es, eine solche Gesamtplanung in die Außenpolitik einzubetten. Voraussetzung ist natürlich die Lebendigkeit des kulturellen Lebens im eigenen Lande. Dieses Gebiet zeigt wie kein anderes, daß sich Innenpolitik und Außenpolitik nicht mehr trennen lassen. Wirtschaft und Kultur sind die entscheidenden Faktoren der Außenpolitik, mindestens für uns.Ich möchte mit der Bemerkung schließen, daß das alles natürlich nicht neu ist, sondern unter veränderten Verhältnissen durchzuführen ist. Ich erinnere an die schöne Bemerkung von Bismarck: „Das ist ja das Wesen der Diplomatie, daß man sich in der Welt Freunde schafft."
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Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht darf ich mit der Bemerkung beginnen, mit der Herr Kollege Martin geschlossen hat. Die sogenannte auswärtige Kulturpolitik gehört ja zu den Themen, bei denen auch die hilfsreichste Opposition ein wenig außerparlamentarisch werden könnte. Alle Informierten sind sich darüber einig, daß Veränderung nötig ist. Alle in diesem Bereich Tätigen sind voll von gutem Willen zu solchem Wandel. Es gibt sogar eine breite Übereinstimmung über die Richtung, in die die Veränderungen gehen sollen. Und dennoch vermerkt der erstaunte Beobachter Jahr um Jahr aufs neue, daß im Grunde genommen alles beim alten geblieben ist.
Die Lektüre früherer Debatten zum Thema der auswärtigen Kulturpolitik in diesem Hause hat mir nicht nur gezeigt, daß es fast unmöglich ist, zu diesem Bereich etwas Neues zu sagen, sondern auch, daß sukzessive und verschiedene Regierungskoalitionen sich denselben Problemen gegenübergesehen haben. Schon aus diesem Grunde verbietet sich, wie ich meine, der Versuch, Einzelne als Schuldige für die verhinderten Neuerungen zu finden. So möchte ich insbesondere und ausdrücklich die allenfalls betroffenen Abteilungsleiter, Staatssekretäre und Minister des Auswärtigen Amtes gegen den Vorwurf in Schutz nehmen, sie hätten systematisch oder gar durch ihr Desinteresse verhindert, daß das Vernünftige wirklich wird.
Die Ursachen dafür, daß unsere auswärtige Kulturpolitik vielfach mit den inneren Entwicklungen im Lande nicht Schritt gehalten hat, geschweige denn zu ihrem Schrittmacher geworden ist, liegen tiefer, sie sind komplizierter. Auch diese Erkenntnis ist nicht neu.
Neu ist eher schon, daß diese Bundesregierung schon in den ersten Wochen ihrer Tätigkeit weitreichende Schlüsse aus dieser Erkenntnis gezogen hat. Für die Bewertung des Antrages der Fraktion der CDU/CSU mag es sinnvoll sein, wenn ich Ihnen in aller Knappheit diese Schlüsse mitteile.
Erstens. Die Ziele der auswärtigen Kulturpolitik sind auch in diesem Hause vielfach teils ein bißchen verlegen, teils auch ein bißchen pompös diskutiert worden. Verlegenheit spricht aus all jenen noch von vornehmer Unsicherheit gegenüber dem Verhältnis von Geist und Macht geprägten Äußerungen, von denen man in den Protokollen der Debatten dieses Hauses in der Vergangenheit manche findet: Kultur dürfe „nicht zum Vorspann der Politik gemacht" werden, die „objektive Darstellung kultureller Werte" verleihe ihnen „ihre Wirkung". Pompös scheint es mir, wenn hier im Hause einmal ein Sprecher davon geredet hat, „der Volkswagen und die Ausstellungen", der Sport und vor allem „alle vorläufigen Interessengemeinschaften" wie die EWG hätten nichts zu tun mit dem, was wir in der auswärtigen Kulturpolitik leisten wollten, hier gehe es vielmehr ausschließlich um die entscheidenden Grandlagen des Abendlandes; und ähnliches mehr.
Beides dürfte heute für keine Fraktion dieses Hauses mehr kennzeichnend sein, ebensowenig wie — darauf vertraue ich — die Fraktionen dieses Hauses das gelegentlich erkennbare nationale Imponiergehabe deutscher Vertreter im Ausland gutheißen.
Dennoch heißt es aus gutem Grund in der Regierungserklärung der aus SPD und FDP gebildeten Bundesregierung — ich darf das zitieren —:
Die Darstellung der deutschen Kultur im Ausland wird sich künftig stärker darauf richten, anderen Völkern neben den unvergänglichen Leistungen der Vergangenheit ein Bild dessen zu vermitteln, was in dieser Zeit des Überganges auch in Deutschland an geistiger Auseinandersetzung und fruchtbarer Unruhe tägliche Wirklichkeit ist.
Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen und sagen: erfolgreiche äußere Politik verlangt in unserer Zeit im Kern das wechselseitige Verständnis der inneren Entwicklungen der Völker. Außenpolitik ist so gut wie das ihr zugrunde liegende Verständnis anderer Länder und so erfolgreich wie das aus ihr resultierende Verständnis des eigenen Landes durch die anderen.
Im Organisationsplan des Auswärtigen Amtes habe ich an einer einstweilen noch etwas versteckten Stelle den Begriff einer „zwischenstaatlichen Gesellschaftspolitik" gefunden. Wenn schon nicht der Name, so sollte doch die Sache zunehmend an die Stelle der alten Verlegenheiten rings um den Begriff der auswärtigen Kulturpolitik treten. Das heißt, daß unsere Tätigkeit in diesem Bereich konkreter, umfassender und politischer werden muß. Ist auch der Volkswagen selbst kein Gegenstand zwischenstaatlicher Gesellschaftspolitik, so gehören doch die Entwicklungen der Wissenschaften und ihrer technischen Anwendungen mitten hinein in diesen Bereich. Der unsinnige Versuch, zwischen Information und Kultur eine Grenze zu ziehen, also, sagen wir, Herrn Grass als Dichter und Herrn Grass als politischen Rhetor auf zwei verschiedene Ressorts zu verteilen, sollte aufhören. Die gemeinsamen Interessen der europäischen Länder müssen im Austausch mit anderen stärker sichtbar werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg?
Sehr gern, Herr Kollege Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, wer hat diese, wie Sie gerade sagten, unsinnige Trennung in diesem speziellen Fall eigentlich vorgenommen?
Diese
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Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Dahrendorf unsinnige Trennung ist eines der Ergebnisse fehlender organisatorischer Koordination in der Geschichte diverser Bundesregierungen, gehört also in das Kapitel, bei dem ich darauf verzichten würde, Schuld auf irgendeinen einzelnen zu schieben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Dr. Schulze-Vorberg CDU/CSU) : Wer hat denn nun, da Sie, Herr Staatssekretär, gerade den Fall Grass angesprochen haben, diesen Unsinn konkret gemacht?
Ich habe nicht davon gesprochen, daß wir Herrn Grass „teilen", sondern davon, daß die verschiedenen Kompetenzen, die heute zum Teil bei der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, zum anderen Teil beim Bundespresse- und Informationsamt liegen, in manchen Punkten zu Überschneidungen geführt haben, von denen ich wünschte, daß wir sie gemeinsam beseitigen könnten. Das war der Sinn meiner Bemerkung.
Vielleicht kann ich das mit diesen Bemerkungen Gemeinte nicht besser kennzeichnen als durch den Hinweis auf die Vorstellungen des amerikanischen Präsidenten Nixon, im Rahmen der NATO ein eigenes Gremium zu schaffen, das sich mit sogenannten Umweltproblemen beschäftigt, also mit jenen Fragen, die die Stellung des Menschen in der Umwelt der modernen Gesellschaft betreffen. Ich möchte meinen, daß man, wenn man auswärtige Kulturpolitik in dem weiten Sinne versteht, in dem das durch dieses NATO-Gremium gekennzeichnet wird, dann dem Rang und dem Inhalt dieses Bereichs besser gerecht wird als durch manche verlegene Definitionen der Vergangenheit. Die Bundesregierung wird gerade diese Initiative des amerikanischen Präsidenten mit eigenen Initiativen aufnehmen und dadurch ihr Interesse daran zeigen.
Zweitens. Ziele, Herr Präsident, meine Damen und Herren, sind leichter formuliert als realisiert. So wichtig es daher ist, sie im Hinblick auf den vorliegenden Antrag klar zu bestimmen, ist die Mitteilung möglicherweise interessanter, daß im Auswärtigen Amt die Arbeit an einem Gesamtplan für die auswärtige Kulturpolitik bereits aufgenommen worden ist, an einem Gesamtplan, der im Lichte der Absichten dieser Regierung — und nun zitiere ich aus dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU —„Inhalt, Organisation und Finanzierung der bisherigen auswärtigen Kulturpolitik zu überprüfen und gegebenenfalls entsprechende Reformvorschläge vorzulegen hat".
Man könnte an diesem Wortlaut eine Streichung vornehmen oder ihm etwas hinzufügen. Man wird vermuten dürfen, daß der „Fall" der Notwendigkeit von Reformen bereits „gegeben" ist. Solche Vorschläge können im übrigen durchaus in Fortentwicklung vorhandener Ansätze erfolgen. Der Gesamtplan kann also auf der Basis von Überlegungen der zuständigen Abteilung und in Abstimmung mit der
Kommission zur Reform des auswärtigen Dienstes aufgestellt werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Martin?
Ja, gern!
Herr Staatssekretär, Sie sagten, Sie arbeiteten an einem Gesamtplan. Sind dabei die wesentlichen Organisationen konsultiert worden? Oder haben Sie sich anderen Sachverstand, beispielsweise den von Universitäten, zunutze gemacht, wenn ja, in welcher Weise?
Herr Kollege Martin, ich bitte Sie, mir zu gestatten, das im Zusammenhang zu beantworten. Ich war gerade dabei, genau auf diese Frage einzugehen. Wenn Sie vorweg den Kern meiner Antwort wissen wollen, möchte ich folgendes sagen. Den Sachverstand der betroffenen Organisationen wird man sich im Verlauf der Arbeit ständig zunutze machen müssen. Anderen Sachverstand haben wir uns jetzt schon zunutze gemacht. Wir sind davon überzeugt, daß man bei der Entwicklung eines solchen Gesamtplanes vor allem auch auf den kritischen Rat derer nicht verzichten kann, die selbst nicht im täglichen Betrieb der auswärtigen Kulturpolitik stehen, sondern die aus einigem Abstand in der Lage sind, manches möglicherweise etwas deutlicher zu sehen, als jemand es sehen kann, der, wie das überall geschieht, im Betrieb ein kleines bißchen blind wird.
Wenn ich von dem kritischen Rat der Außenstehenden — ich bitte für das Wort „Außenstehenden" um Nachsicht — spreche oder wenn ich von dem kritischen Rat derer spreche, die nicht im täglichen Betrieb stehen, verstehe ich darunter vor allen Dingen auch den kritischen Rat der Mitglieder dieses Hohen Hauses, die unter den Gesichtspunkten der politischen Entscheidung gewisse Leitlinien für die Arbeit in den Behörden liefern können. Ich verstehe darunter aber auch den kritischen Rat derjenigen Außenstehenden, die nicht Mitglieder dieses Hauses sind und die sachverständig sind.Im übrigen hat sich ein bekannter deutscher Wissenschaftler aus dem Bereich der Bildungswissenschaft bereit erklärt, als Gutachter in diesen Gesamtplan für die auswärtige Kulturpolitik gerade auch die innerdeutschen Entwicklungen in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik einzubringen, so daß ein möglicherweise noch vorhandener Hiatus zwischen innerdeutschen Entwicklungen und auswärtigen Entwicklungen leichter überbrückt werden kann. Der Gesamtplan, den wir hier vorbereiten, kann sicher weder endgültig noch im einzelnen völlig verbindlich sein. Ich sage das im Sinne einer Vorwegwarnung, was die Umsetzung dieses Gesamtplanes in Haushaltsentscheidungen angeht.
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Parlamentarischer Staatssekretär Dr. DahrendorfDie Leitlinien eines solchen Planes dürften dennoch eine wichtige Entscheidungshilfe darstellen. Daher sollten die wesentlichen Umrisse des Gesamtplanes für die auswärtige Kulturpolitik bis zur Sommerpause vorliegen, wenn auch einzelne notwendige Untersuchungen — z. B. die über deutsche Auslandsschulen — erst Ende 1970 abgeschlossen werden können.Drittens. Es ist an dieser Stelle häufig — auch heute wieder von Herrn Kollegen Martin — darüber Klage geführt worden, daß der Bereich der zwischenstaatlichen und kulturellen und gesellschaftlichen Beziehungen im Rahmen unserer auswärtigen Politik nicht ganz den Rang hat, der ihm zukommt. In diesem Zusammenhang sind — vielleicht mit einem gewissen Recht — die viel zitierten Begriffe der „dritten Bühne" oder „dritten Säule" ironisch betrachtet worden. Ich bitte es mir nicht als Arroganz auszulegen, wenn ich Ihnen sage, daß dieser Unterschied nunmehr auch organisatorisch insofern beseitigt ist, als der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen, wie dies von vornherein bei der Regierungsbildnug beabsichtigt war, neben seinen Aufgaben in der politischen Vertretung des Ministers die direkte Zuständigkeit für die Abteilung IV des Auswärtigen Amtes übernommen hat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich übersehe nicht, daß wir damit einen weiteren Beitrag zur Erschwerung der ohnehin für Montesquieu ungewöhnlich belastenden Frage der präzisen Stellung der Parlamentarischen Staatssekretäre geliefert haben; aber ich hoffe, daß Sie mir dennoch zustimmen, wenn ich sage, daß in der Sache hier eine Lösung gefunden worden ist, die manchen von Ihnen seit langem als Wunsch vorschwebte und die unterstreicht, wie ernst es uns mit der Absicht ist, von einer Außenpolitik der Staaten zu einer Außenpolitik der Gesellschaften zu kommen.Viertens. Der Antrag der CDU/CSU ist von freundlicher Vorsicht, um nicht zu sagen, Nachsicht gegenüber dem, was man die inneren Bedingungen einer recht verstandenen auswärtigen Kulturpolitik nennen könnte. Dennoch dürfte klar sein — und ich freue mich, daß Herr Kollege Martin das noch einmal unterstrichen hat —, daß die organisatorischen Voraussetzungen der Arbeit im Inneren in diesem Bereich in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem, was nach außen hin geschieht und getan wird, stehen. Es ist daher unsere Absicht — in Verbindung mit den Vorschlägen der Herwarth-Kommission —, in dem Gesamtplan, den ich angekündigt habe, gerade in diesem Punkt eine deutliche Sprache zu sprechen. Fragen der Abgrenzung der Referate und Ressorts, des Verhältnisses zu den Instituten und Organisationen, auch und besonders Fragen eines sinnvollen Verhältnisses zwischen Bund und Ländern in diesem Bereich
müssen nicht nur gestellt, sondern auch beantwortet werden. Ich hoffe, wir werden dazu in der Lage sein.Wenn der Gesamtplan in Fortentwicklung bisheriger Ansätze einen Weg findet, um auf die von dem auch von mir verehrten Dieter Sattler 1964 schon dargestellten drei Epochen deutscher kultureller Beziehungen zum Ausland eine vierte Epoche einer zwischenstaatlichen Kultur- und Gesellschaftspolitik folgen zu lassen, dann müßte das an den organisatorischen Veränderungen im Innern sinnfällig werden.
Fünftens. Für die sichtbaren Wirkungen solcher Veränderungen haben unsere Pläne Konsequenzen, die ich knapp andeuten möchte. Auswärtige Gesellschaftspolitik kann andere politische Beziehungen und Bündnisse begleiten. Sie kann sie auch vorbereiten, und sie kann zumindest zeitweise an deren Stelle treten. Daraus ergeben sich im Zusammenhang der außenpolitischen Absichten dieser Regierung besondere Aufgaben in den Ländern des europäischen Ostens, in denen eine neue Generation von Deutschen vielleicht beginnen kann, die trotz des Massenmordes des letzten Krieges noch verbliebenen Erinnerungen an gemeinsame Traditionen zu wecken und zu erneuern, um auch so das größere Europa, in dem wir die Lösung bestehender Gegensätze und Spannungen suchen, sichtbar zu machen. Andersartig und doch ähnlich stellen sich uns die Aufgaben in den Ländern der arabischen Welt, aber auch in all jenen Ländern, die erst durch die Entwicklung einer kultur- und gesellschaftspolitischen Infrastruktur die Chance bekommen, an den Möglichkeiten des Lebens in der modernen Welt teilzunehmen.Sechstens. Ein knappes Wort zu dem ältesten und wohl schwierigsten Thema der internationalen Beziehungen auf sozialem und kulturellem Gebiet, ein Wort, bei dem ich ebenfalls Herrn Kollegen Martin dankbar dafür bin, daß er dieses Thema hier aufgenommen hat. Ich möchte es mir nicht so leicht machen, aus einem Ressort gewissermaßen mit Hilfe dieses Hohen Hauses Druck auf den Finanzminister auszuüben; ich möchte vielmehr von mir aus sagen, daß ich den Gesamtplan, den wir vorbereiten, auch so verstehe, daß wir einmal prüfen, ob im Rahmen der zweifellos geringen Elastizität der finanziellen Mittel im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik nicht gewisse Umschichtungen nach neuen Zielsetzungen möglich sind, ja mehr, ich möchte sagen, daß wir prüfen wollen, ob nicht auch im Kernbereich der scheinbar feststehenden Ausgaben durch Veränderungen in den Entscheidungsleitlinien neue Wege gefunden werden können. Das ändert nichts daran, daß Ausgaben für diesen Bereich besonders wichtig sind und daß wir gemeinsam gute Argumente suchen können und suchen werden, um hier in diesem Bereich ein möglicherweise überproportionales Anwachsen der Ausgaben zu bewirken.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entwicklungen, die ich in diesen sechs Punkten angedeutet habe, sind zum Teil schon vor der Bildung
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Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Dahrendorfdieser Regierung eingeleitet worden. Im Zuge der Regierungsbildung und nachher haben wir sie rasch vorangetrieben, so rasch, daß ich sagen möchte, der Antrag der Fraktion der CDU/CSU zeigt, daß die Opposition den Weg der Regierung nicht nur kritisch begleitet, sondern gleichsam ahnungsvoll vorwegzunehmen sucht — wobei ich mich in diesem besonderen Fall in der glücklichen Lage finde, zu sagen, daß die Regierung selbst den Divinationen der Opposition noch vorausgeeilt ist.
Sie hat also zum Teil schon jetzt getan, was in dem Antrag für die nächsten Monate gefordert wird. Diese Feststellung — das möchte ich betonen — macht uns den Antrag keineswegs weniger willkommen.Abschließend muß ich zwei kleine Zweifel an dem Antrag VI/57 anmelden. Es handelt sich hier um Punkte, die, wie ich meine, im Ausschuß in aller Sachlichkeit zu erörtern sind.Inhaltlich gilt ein kleiner Zweifel der Art der Überprüfung der bisherigen Arbeit. Es erscheint mir doch mißlich, wenn — sicher im Einklang mit § 74 a der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages — die außenstehenden Mitglieder einer Kommission ausgerechnet den Einrichtungen entstammen sollen, die neben dem Hauptangeklagten, also dem Auswärtigen Amt, diejenigen sind, die Gegenstand der Überprüfung sein müssen.
Ich würde zumindest die Frage stellen wollen, ob der federführende Ausschuß, wenn er geneigt sein sollte, dem Antrag stattzugeben, nicht überprüfen müßte, ob 'nicht auch eine andere Zusammensetzung der Kommission sinnvoll wäre. Hier wäre zum Beispiel möglicherweise ein Ort für Mitglieder des Kulturpolitischen Beirats. Ich könnte mir auch denken, daß angesichts dessen, was ich Ihnen über die Arbeit der Regierung hier mitgeteilt habe, überhaupt andere Wege als der einer Enquete-Kommission, z. B. die Wiedergründung eines Unterausschusses für auswärtige Kulturpolitik mit einem bestimmten Auftrag, erwogen werden.Diese letztere Frage werfe ich noch aus einem anderen Grunde auf: Die Ungeduld der Opposition kann in diesem Bereich — wie in manchen anderen — gar nicht größer sein als die der Regierung. In dem Bereich, von dem wir sprechen, ist die Regierung an die Arbeit gegangen. Sosehr wir dabei jede sachkundige Unterstützung brauchen, sowenig kann irgend jemandem in diesem Hause an einer Doppelung der Arbeit gelegen sein. Daher ist es meine Bitte, in den Ausschüssen zumindest zu prüfen, ob nicht der Weg, den die Regierung im Hinblick auf die aufgeworfenen Fragen bereits beschreitet, in enger und möglicherweise formalisierter Fühlungnahme mit den Fraktionen dieses Hauses zunächst fortgeführt werden sollte, ohne daß eine konkurrierende Einrichtung aus der Mitte des Hauses geschaffen wird.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Bundesregierung versteht sich als eine Regierungder inneren Reformen. Sie weiß aber auch, daß innere Reformen sowohl Voraussetzungen als auch Folgen im Bereich der äußeren Politik haben. Was die Voraussetzungen betrifft, so ist unsere Sicherheitspolitik und das, was im Zusammenhang der Sicherheitspolitik an äußerer Politik zu geschehen hat, eine Grundbedingung dafür, daß innere Reformen möglich werden. Was Wirkungen und Folgen betrifft, so scheint mir die zwischenstaatliche Kultur- und Gesellschaftspolitik, also die wechselseitige Vermittlung von Informationen aus allen Bereichen des sozialen Lebens, eine Schlüsselstellung einnehmen zu müssen. Vielleicht kann dieses neue Verständnis der auswärtigen Kulturpolitik uns helfen, Wege zu finden, die wir, getragen vom Vertrauen dieses Hauses, gemeinsam beschreiten wollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Raffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier ist nicht Anlaß — die SPD-Fraktion sieht ihn jedenfalls nicht —, Stellung zu nehmen zu grundsätzlichen Fragen der auswärtigen Kulturpolitik, zu ihrem Inhalt, zu ihrer Organisation und zu ihren Zielen. Ich will mich für unsere Fraktion strikt an den Tagesordnungspunkt halten und zu dem sprechen, was die CDU beantragt hat, nämlich zur Einsetzung einer Enquete-Kommission für auswärtige Kulturpolitik.Wir stehen einer solchen Kommission, die die künftigen Aufgaben der auswärtigen Kulturpolitik und die dazu zu fällenden Entscheidungen durch das Parlament vorbereiten soll, grundsätzlich positiv gegenüber. Ich sage das nicht nur deshalb, weil wir wissen, daß wir die Einsetzung einer solchen Kommission nach der Geschäftsordnung ohnehin nicht verhindern könnten - denn Sie haben ja genug Mitglieder, um sie durchzusetzen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU —, sondern ich sage es, weil ich der Auffassung bin, daß für das Parlament und durch das Parlament dieses vielleicht allzu weite Feld oder, vielleicht besser gesagt, dieser Dschungel der Kompetenzen und Tendenzen, der Organisationen und Institutionen innerhalb der auswärtigen Kulturpolitik durchaus der Ausleuchtung bedarf.Wir gehen davon aus, daß das Parlament mit dieser Kommission und den aus ihren Beratungsergebnissen abzuleitenden und sich darin andeutenden Entscheidungen nicht der Regierung die Arbeit abzunehmen haben wird. Daß es das auch nicht braucht, ist, denke ich, aus den Worten des Kollegen Dahrendorf deutlich geworden, der klargemacht hat, daß die Regierung in diesem Felde nicht nur zufällig, sondern ganz planvoll tätig ist.Ich bin aber der Meinung, daß wir die Tätigkeit der Regierung, wenn wir ihr die Arbeit nicht abnehmen können, in diesem Felde durch eine solche Kommission gut unter die Lupe nehmen könnten. Es würde aber nicht ausreichen, hier nur eine ver-
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Raffertfeinerte Kontrolle von Exekutive und Administration zu schaffen. Es ist vielmehr möglich, daß solche Kommissionen es dem Parlament auch erleichtern, als Ideenproduzent aufzutreten. Auf jeden Fall — und das war ja damals die Absicht der Parlamentsreformer, die den § 74 a in die Geschäftsordnung des Bundestages gebracht haben — muß es mit Hilfe solcher Kommissionen ganz allgemein auch möglich sein, den Informationsstand des Parlaments auf das höchstmögliche Niveau zu bringen.Ich sehe also diese dreifache Funktion: erstens der verfeinerten Kontrolle, zweitens der Information und schließlich der Anregung zu Initiativen aus dem Parlament heraus. Das wäre die Aufgabe solcher Kommissionen.Ich frage mich allerdings — und das sage ich für mich als Person, nicht für meine Fraktion, weil wir in dieser Form nicht darüber gesprochen haben —, ob gerade das Gebiet der auswärtigen Kulturpolitik dasjenige ist, mit dem wir, gewissermaßen als Übungsfeld, anfangen sollten. Es ist nämlich ein sehr kompliziertes und schwieriges Gebiet, und gerade in diesem Feld ist für eine solche Kommission keine sehr klar eingegrenzte Aufgabenstellung möglich. Das soll Sie natürlich nicht ermuntern, nun jede Menge anderer Kommissionen in anderen, klarer abgrenzbaren Feldern zu beantragen. Ich will damit nur auf Schwierigkeiten hinweisen, die sich dadurch ergeben können, daß wir mit den Kommissionen gerade hier beginnen.Ein Problem besteht darin, daß es ohnehin nicht sehr leicht ist, mit solchen Kommissionen zu arbeiten, weil uns dabei noch eine Menge rechtlicher Voraussetzungen fehlen. Sie erinnern sich wahrscheinlich daran, daß wir seinerzeit einen Gesetzentwurf über die Befugnisse von Enquete-Kommissionen eingebracht hatten. Er ist damals In der allgemeinen Vorwahlstimmung nicht mehr verabschiedet worden und ist genauso wie ein nach meiner Meinung für unsere Bürger allerdings wichtigerer Entwurf — der Gesetzentwurf für die Befugnisse des Petitionsausschusses — zusammen mit diesem den merkwürdigen Hammelspringereien, die wir da zu veranstalten anfingen, zum Opfer gefallen. Das war bedauerlich; wir werden die Auswirkungen schnell merken.Wir wissen nämlich noch nicht sehr viel und nichts Abgesichertes über die Rechte und Möglichkeiten, aber auch über die Verpflichtungen der Mitglieder solcher Kommissionen. Welches Recht haben sie gegenüber Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts und anderen Einrichtungen, Auskünfte, statistische Unterlagen usw. schriftlich oder mündlich einzuholen? Welche Möglichkeiten haben sie, von Behörden Amtshilfe zu verlangen? Das wird in dieser Kommission nicht nötig sein, aber in anderen kann es vorkommen. Es kann auch vorkommen, daß solche Kommissionen einmal Leute unter Eid hören müssen. Wir wissen noch nicht, ob sie dazu in der Lage sind. Aber auch das wird in dieser Kommission nicht nötig sein. Wir wissen ferner noch nicht, wieweit wir Mitglieder, die wir von außerhalb des Parlaments berufen, auf Verschwiegenheit usw. verpflichten können.Es ist also eine komplizierte Rechtslage, so daß wir möglicherweise in den Ausschüssen zu überlegen haben werden, ob wir uns hinsichtlich der Zusammensetzung dieser ersten Kommission nichtsogar beschränken müssen - das gebe ich nur zuüberlegen - auf Mitglieder des Parlaments selber.Bei der ungeklärten Rechtslage für diese Kommission müssen wir zunächst vielleicht davon ausgehen, daß wir die Experten nur hören, aber nicht als Mitglieder der Kommission beschäftigen können.
Das sind, wie gesagt, Anregungen, die wir in den Ausschüssen prüfen müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Müssen es unbedingt Vertreter der mit der auswärtigen Kulturpolitik befaßten Organisationen sein, die wir als Experten einbeziehen oder hören? Da gehe ich mit seiner Argumentation ganz einig, und jeder, der in diesem Feld ein bißchen tätig gewesen ist, weiß gewiß, warum.Der zweite Problemkreis, den wir in den Ausschüssen beraten müssen, ist, ob in dem Antrag der CDU/CSU der Aufgabenbereich der Kommission schon optimal formuliert ist: was diese Kommission erkunden, wie sie es erkunden und zu welchem Zweck sie es erkunden sollte. Wer z. B. Erhebungen -- so heißt es wörtlich „über die Finanzmittel" anstellen soll, „die für die Aufgaben der auswärtigen Kulturpolitik künftig notwendig werden", muß vorher nicht nur über die Aufgaben, sondern auch über die Prioritäten Klarheit haben, denen entsprechend diese Aufgaben erfüllt werden sollen, und er muß eine ganze Menge anderer Fragen klären: wo Entscheidungen gefällt werden sollen, für wen und alle diese Dinge. Das ist notwendig.Herr Dr. Martin, wenn Ihre einleitende Formulierung, daß „Zielsetzung, Inhalt, Organisation und Finanzierung" zu prüfen sind, das abdeckt, einverstanden! Das muß aber in den Ausschüssen noch einmal geprüft werden; das wird nicht leicht herauszufinden sein. Ich bin froh darüber, daß wir sicher sein können, von der Regierung gut ins Bild über ihre Vorstellungen gesetzt zu werden.Wir müssen bei der endgültigen Beauftragung der Kommission wahrscheinlich aber auch versuchen, Felder zu meiden, die allzusehr von Glatteis überzogen sind. Ich habe einige Bedenken, ob wir mit der Formulierung des Punktes 2 „Vorschläge dafür zu unterbreiten, wie die Bildungshilfe für die Entwicklungsländer zu einem Hauptziel auswärtiger Kulturpolitik gemacht werden kann" nicht schon ein bißchen zuviel Schmierseife unter die Fülle der Kommission streichen. Da kann man ausrutschen. Da kann man jedoch wahrscheinlich durch eine präzisere Formulierung klarer kommen und es der Arbeit der Kommission leichter machen.Sie sehen: sowohl von den rechtlichen Voraussetzungen für Enquete-Kommissionen im allgemeinen als auch von den Aufgaben für die hier beantragte Kommission her wird eine pflegliche Beratung in den Ausschüssen notwendig sein. Ich sage abschließend, daß wir diese Schwierigkeiten nicht zum Anlaß nehmen werden, die Beratungen in den Aus-
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Raffertschössen zu verzögern. Uns liegt daran, daß eine solche Kommission zustande kommt. Wir möchten sie nur nach allen Seiten hin von der Besetzung her, von den Rechten und von der Aufgabenstellung her klar begrenzt wissen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn hier von seiten der Regierung mehr die Notwendigkeit der auswärtigen Kulturpolitik, von seiten der SPD-Fraktion mehr die rechtlichen Schwierigkeiten der Kommission beleuchtet worden sind, so stimmen wir mit beiden Meinungen grundsätzlich überein. Weil das Gebiet so notwendig bearbeitet werden muß, schrecken uns die Schwierigkeiten nicht, sondern wir möchten sie gerade auf diesem Gebiet angehen. Es ist für uns wichtig zu wissen, wie die Welt uns sieht; und zu wirtschaftlichen Aktivitäten draußen muß notwendigerweise der kulturelle Ausgleich kommen. Wir sind der Meinung, daß das bisher nicht ganz zureichend geschehen ist.Heute morgen ist hier immer wieder die DreiSäulen-Theorie angesprochen worden. Wir sollten uns darüber im klaren sein, daß die Basis dieser einen Säule der auswärtigen Kulturpolitik, die deutsche Sprache ist und ihr infolgedessen besondere Bedeutung gegeben werden muß. Die kulturelle Bedeutung und auch die wissenschaftliche Ausstrahlung Deutschlands verlieren im Bewußtsein des Auslandes, und gerade darum sollten wir uns diesem Gebiet nun mit besonderer Aufmerksamkeit zuwenden. Wir sollten uns freuen, daß in der deutschen Wirtschaft die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftspolitik, Außenpolitik und auswärtiger Kulturpolitik so betont gesehen werden. Man weiß, daß der Qualitätsbegriff unserer Waren vom wirtschaftlichen, kulturellen und natürlich vor allem von unserem wissenschaftlichen Ruf abhängt. Die Sprache folgt heute nicht mehr nur der politischen oder der wirtschaftlichen Stärke, sondern mehr und mehr der wissenschaftlichen Bedeutung eines Landes.Die Bundesrepublik wird draußen weitgehend als wirtschaftliche, womöglich sogar als politische Macht gesehen, wobei wir „Macht" von mir aus in Anführungszeichen setzen mögen. Wir sind mit diesem Antrag bemüht, unsere kulturelle und wissenschaftliche Bedeutung draußen angemessen darzustellen. Wir haben über 200 Auslandsschulen zu betreuen, zum Teil für große deutsche Kolonien, zum Teil als Modellschulen. Wir wissen, daß die Ausbildung von ausländischen Deutschlehrern außerordentlich wichtig ist, daß es dabei aber hapert. Um ein Beispiel zu nennen: Wir haben in Nepal eine große Ingenieurschule, und die Thyssen-Stiftung ist mit einem eigenen Haus vertreten; aber in ganz Nepal kann nirgendwo die deutsche Sprache erlernt werden. Hier besteht ein Mißverhältnis.Erfreulicherweise hat das Auswärtige Amt seit 1963 — damals war Dr. Schröder Außenminister — die Dienstellung der Kulturattachés gehoben. Wenn das in Ihrer Amtszeit, da Sie, Herr Staatssekretär, sich besonders der auswärtigen Kulturpolitik annehmen wollen, weiter beachtet wird, daß wir die richtigen Leute für die richtigen Positionen finden, dann wäre das gut.Heute morgen ist hier vom „Hauptangeklagten" und von „Schuldigen" bei der auswärtigen Kulturpolitik gesprochen worden. So möchten wir es gar nicht sehen. Wir haben heute morgen wiederholt den Namen Dr. Dieter Sattler gehört. Sattler war ein Mann mit besonderer Begabung auf diesem Feld. Wir bedauern, daß es z. B. in den letzten Jahren nicht möglich war, einen Mann mit solch besonderer Begabung zu finden und ihn an die Spitze zu stellen. Es ist nun einmal leider so, daß in Reibungen zwischen dem Auswärtigen Amt und den Organisationen viel Kraft und viel Energie verlorengegangen ist bis hin zu dem Vertragsschluß zwischen dem Auswärtigen Amt und dem GoetheInstitut, der vielleicht noch einmal im Lichte der neuen Überlegungen geprüft werden müßte, ob er denn wirklich das Optimale darstellt.Wir möchten die Bedenken, die hier in bezug auf die Beteiligung der Organisationen angemeldet worden sind, sicher nicht voll zurückweisen. Man braucht sich nicht n u r auf die Organisationen zu stützen, aber man sollte sich der Erfahrungen dieser Institute bedienen, man sollte sie nutzen, so gut das geht.Ich möchte einmal die Bemühungen des GoetheInstituts herausheben, ein Grunddeutsch zu schaffen. Neben dem basic english, das in der Welt tatsächlich für die englische Sprache sehr viel bedeutet, könnte ein solches Grunddeutsch in vielen Fällen hilfreich sein, vor allen Dingen dort, wo technische Kenntnisse und die Fähigkeit, Fachbücher zu lesen, vermittelt werden müssen. Wir haben im Auswärtigen Amt — und das geht noch auf die Zeit von Dieter Sattler zurück — einen großen Erfolg mit dem Sprachfilm „Guten Tag", der vom amerikanischen Universitätsfernsehen und ich weiß nicht von welchen Ländern Lateinamerikas, Asiens und Afrikas in einem unwahrscheinlichen Spektrum gerne aufgenommen worden ist. Ein Sprachfilm, der — vom Auswärtigen Amt in Auftrag gegeben —in Zusammenarbeit des Bayerischen Rundfunks und des Goethe-Instituts hergestellt worden ist. Das ist ein Weg, uns modern darzustellen, den wir weitergehen sollten.Bei den Dozenten sollten wir darauf achten, daß nicht nur die geisteswissenschaftliche Richtung berücksichtigt wird, sondern entsprechend der besonderen Bedeutung in unserer Zeit auch naturwissenschaftliche und technische Berufe.Lassen Sie mich kurz den Deutschen Akademischen Austauschdienst ansprechen, dessen Vermittlungsfunktion sich schon im Namen andeutet. Er betreut draußen 150 deutsche Wissenschaftler.Die Humboldt-Stiftung darf stolz darauf sein, Nobelpreisträger hervorgebracht zu haben, und
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Dr. Schulz-Vorbergunter den von ihr Betreuten den japanischen Physiker Yukawa und den argentinischen Mediziner Houssay zu wissen. Professor Heisenberg, der an der Spitze steht, wird seine Erfahrungen weitergeben. Ich bin der Meinung, daß auch hier die persönliche Erfahrung eines solchen Mannes genutzt werden sollte, der weiß, wie wichtig wissenschaftliche Wanderjahre sein können.Herr Staatssekretär, Sie haben Osteuropa angesprochen. Hier sollte man zu Unternehmen in der Art der deutschen Architekturausstellung in Moskau ermuntern. 700 000 Russen haben dort ein Bild von der Bundesrepublik Deutschland bekommen. Ich glaube, das ist in seiner Bedeutung gar nicht zu überschätzen. Dabei sollten wir uns daran erinnern — und für die künftige Arbeit verwerten —, daß der Katalog der Architekturaustellung zwar recht schön gewesen sein mag — er war auch ziemlich aufwendig —, daß der Katalog von Versandhäusern, den man bei der Gelegenheit unter die Leute bringen konnte, aber viel begehrter gewesen ist.Zum Schluß darf ich sagen: wir sind uns alle darüber im klaren, daß auswärtige Kulturpolitik kein Luxus ist und daß wir hier Steigerungsraten im Etat brauchen, die denen der Wissenschaften in etwa entsprechen sollten. Wir sind uns klar darüber, daß wir das moderne Deutschland darzustellen haben, das Deutschland von heute und die Entwicklungslinien von morgen, und nicht nur das 18. und 19. Jahrhundert. Leider war das aber in den letzten Jahren so. Die klassische Vergangenheit ist meiner Meinung nach von der offziellen Kulturpolitik des Auswärtigen Amtes zuviel betont worden.Ich persönlich wünsche, daß unsere auswärtige Kulturpolitik nicht zu gewichtig, nicht zu schwer auftritt, sondern daß man auch einmal das Leichte hinzunimmt. Ich habe vor einiger Zeit einmal gesagt, als die Russen mit ihrem Staatszirkus hier waren: Uns fehlte ein deutscher Popow. Ich glaube, das wäre ein Mann, der viel für unser Land tun könnte.
— Herr Moersch, die Rolle ist für Sie noch frei.
Jedenfalls glaube ich, daß die Schwergewichtigkeit, immer nur mit klassischen Dingen aufzutreten, endlich überwunden werden sollte. Deutschland muß sich der Welt friedlich präsentieren; denn — und damit schließe ich genauso wie mein Kollege Martin — der Sinn dieser unserer auswärtigen Kulturpolitik ist: Freunde gewinnen und Freunde behalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Behandlung der auswärtigen kulturellen Beziehungen, wie ich sagen möchte, gehört ein bißchen Phantasie. Meine Phantasie reicht aus, mir z. B. vorzustellen, daß es Herrn Dr. Martin lie-
ber gewesen wäre, er könnte als Staatssekretär diese Frage hier behandeln und Herr Dahrendorf hätte diesen Antrag gestellt, als umgekehrt.
— Ich weiß gar nicht, was Sie so erregt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Martin? — Bitte.
Herr Moersch, handelt es sich da nicht um einen Freudschen Projektionsmechanismus, und haben Sie das nicht sich selber gewünscht?
Herr Dr. Martin, da ich inzwischen 43 Jahre alt geworden bin und bis zur Änderung der einschlägigen Bestimmungen also aus dem Schwabenalter heraus bin, Sie aber Jugendpsychiater sind, trifft diese Diagnose auf mich nicht zu.
Gestatten Sie eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Martin?
Herr Moersch, da die meisten Schäden in der Jugend liegen, bin ich hier besonders zuständig für Traumata, die Sie hier produzieren.
Herr Dr. Martin, ich glaube nicht, daß das eine Frage war, Infolgedessen war dies geschäftsordnungsmäßig unzulässig.
Herrn Dr. Martins Äußerungen sind immer mit Fragen verbunden, die er sich selber stellt, Herr Präsident, z. B. die Frage, die ich hier gleich anzuschneiden habe.Herr Dr. Martin, wie wäre es eigentlich, wenn wir beim Reden über auswärtige Kulturpolitik sorgfältigeren Umgang mit der deutschen Sprache bei der Formulierung eines Antrags pflegten? In diesem Antrag stehen nämlich einige Dinge — darauf möchte ich hinweisen —, die sorgfältigerer Formulierung bedürfen. Ich stelle mir z. B. die Frage: was verstehen Sie denn unter kulturpolitischer Effizienz der deutschen Auslandsschulen? Was ist das? In diesem Hause haben wir gelegentlich darüber gesprochen — ich kann mich hier auf den ersten Bundespräsidenten beziehen —, daß man mit Kultur zwar Politik machen könne, aber mit der Politik keine Kultur, daß deshalb der Begriff der Kulturpolitik schon ein bißchen neben der Sache liegt und daß es nützlicher wäre, von kulturellen Auslandsbeziehungen zu sprechen. Dann könnte nämlich anderwärts gar nicht erst die Frage auftauchen, ob hinter dem Begriff „Politik" ein machtpolitischer Anspruch vermutet werden muß. In diesen Fragen zeigt sich in der Tat zwischen uns ein Unterschied im Denkan-
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Moerschsatz, den wir bei der Beratung des Antrags sicherlich im einzelnen noch behandeln müssen. Vielleicht ist das etwas Neues.Die Sprecher der CDU und der CSU haben hier vor allem von der Selbstdarstellung gesprochen. Wollen wir nicht einfach sagen, wir möchten über das kulturelle Leben in Deutschland und über das gesellschaftliche Leben in Deutschland besser informieren? Information ist die Grundlage all dessen, was wir zu tun haben. Man braucht das nicht mit Prätention zu verwechseln.Einige andere Begriffe sind in dem Antrag ebenso unklar formuliert. Mein Kollege Raffert ist schon auf die Frage der Zusammensetzung der Kommission eingegangen. Wahrscheinlich können wir einen solchen Antrag überhaupt erst verabschieden, wenn wir das Gesetz über die Enquete-Kommissionen ausgearbeitet haben. Ich vermute, daß wir schleunigst den alten Gesetzentwurf noch einmal einbringen und den Geschäftsordnungsausschuß befassen müssen. Vielleicht lassen Sie sich, Herr Dr. Martin, im Ausschuß davon überzeugen — ich weiß es nicht —, daß es zunächst sinnvoll wäre, in dem gewünschten Unterausschuß den Fragenkatalog zusammenzustellen. Da wir vom Staatssekretär des Auswärtigen eine Zusage über die dort bereits bestehenden Arbeiten bekommen haben, wäre das vielleicht ein nützlicher erster Schritt.Ich will mich auf diese Anmerkungen beschränken. Ich glaube, daß wir in der Tat allen Anlaß haben, das Durcheinander, von dem Sie als Antragsteller gesprochen haben, zu beseitigen. Ich sehe darin auch Ihren Willen zur Mitarbeit an einer Bereinigung von Organisationszuständigkeiten. Diese Vielfalt und dieses verwirrende Durcheinander sind ja in einer Zeit entstanden, in der gerade Ihre Partei die Hauptverantwortung für diesen Bereich getragen hat. Es läßt sich nie ausschließen, daß sich durch die wachsenden Aufgaben ein Mehr an solchen Organisationen bildet. Aber es ist sicher heute an der Zeit, zusammen mit einer Modernisierung der Tätigkeit der Bundesregierung durch Neuorganisation auch eine Vereinfachung und Übersichtlichkeit zu erreichen, die es dem Parlament erleichtern, seine Zuständigkeit wahrzunehmen.Zum Schluß meine ich, daß wir uns doch wohl gemeinsam darüber freuen sollten, daß nun ein langgehegter Wunsch erfüllt worden ist — und das war meine Anmerkung zu Ihren Ausführungen am Anfang, Herr Dr. Martin —, daß nämlich die kulturellen Auslandsbeziehungen im Auswärtigen Amt einem Staatssekretär unterstellt werden. Zum erstenmal in dieser Bundesregierung Brandt-Scheel ist es gelungen, etwas durchzusetzen, was früher, aus welchem Grunde auch immer, nicht möglich war.Zum zweiten - und deswegen sollte man sich zunächst hier mit der gestellten Aufgabe befassen — sind wir einen Schritt zur Stärkung der parlamentarischen Demokratie gegangen, indem wir gerade diese wichtigen Gebiete und entscheidenden Fragen direkt den Parlamentsmitgliedern in ihrer Funktion als Regierungsmitglied übertragen haben. Wir haben also bereits mit der Regierungsbildung diesen Bereich aus der Alleinzuständigkeit der Bürokratieherausgelöst. Vielleicht können wir auf dieser Basisim Ausschuß eine Einigung über den Antrag finden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Martin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin verschiedentlich angesprochen worden und möchte ganz kurz antworten.Zunächst einmal möchte ich der Genugtuung darüber Ausdruck geben, daß sich Herr Staatssekretär Dahrendorf der Sache mit Gewicht annehmen will, wenngleich das nicht das ist, was wir in unserem Schwerpunktprogramm gefordert hatten. Unsere Vorstellung war ein hauptamtlicher Staatssekretär, der die Dinge verantwortlich leitet. Immerhin ist hier ein Fortschritt zu verzeichnen. Sie können gewiß sein, daß wir Sie auf diesem Wege nicht nur mit guten Wünschen, sondern auch kritisch und hilfreich begleiten werden, wie sich das gehört.Der Kernpunkt ist freilich damit noch nicht getroffen. Das Dilemma in dieser Teilung liegt etwas tiefer, Herr Staatssekretär. Es ist die chronische Überlastung der Beamten, die heute noch mit derselben Zahl ein Vielfaches an Haushaltsvolumen und Organisation zu bewältigen haben.Das zweite ist die chronische Unterfinanzierung. Wir wünschen einen festen Anteil am Haushalt mit entsprechendem Wachstum, wie das auf allen anderen Gebieten auch der Fall ist. In der Wissenschaftspolitik z. B. ist das erreicht. Das muß auch für die Kulturpolitik durchgesetzt werden.Ich sprach von einem Gesamtplan. Sie haben dankenswerterweise gesagt, daß es hier im wesentlichen um eine Fortschreibung geht. Ihre Ausführungen, Herr Staatssekretär, hätten doch etwas präziser sein sollen, wenngleich ich Verständnis dafür habe, daß Sie in der ersten Runde zum Grundsätzlichen reden. Es hat mich auch nicht überrascht, daß der Homo sociologicus die Sache unter „internationaler Gesellschaftspolitik" abhandelt. Hier besteht ein interessanter Dissensus zwischen uns beiden, über den wir uns noch ausgiebig zu unterhalten haben werden.
Die Not liegt bei den Auslandsschulen. Und hier Herr Moersch, die Antwort. Wenn wir von „Kulturpolitischer Effizienz" sprechen, meinen wir die Frage: Bringen uns die Schulen im Ausland, so wie sie sind, unter der ständigen Nationalisierungstendenz in den Ländern noch die Sympathie, Freundschaft und Wirkung, die wir brauchen? Das ist die Frage. Es handelt sich um einen Riesenposten im Etat. Wir müssen uns fragen: Ist das kulturpolitisch in diesem Sinne wirksam? Diese Frage stammt ja im übrigen von Kollegen Kahn-Ackermann, der sie hier unentwegt gestellt hat, und das mit Recht.
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Dr. Martin— Herr Raffert, über Formulierungen läßt sich streiten. Das Sprachgefühl ist eine sehr subtile Sache. Ich habe Ihren Rückzug in die Philologie so verstanden, daß Sie sich zur Sache nicht äußern wollten oder konnten.
Dasselbe trifft für die deutsche Sprache zu. Wir kennen die Not beim Wissenschaftsaustausch. Das Geld ist nicht vorhanden, um bedeutende deutsche Wissenschaftler zu internationalen Kongressen zu entsenden. In solche Kleinigkeiten geht das hinab, Herr Professor Dahrendorf. Das möchte ich hier einmal sagen.
Dankbar bin ich für Ihren Hinweis auf Osteuropa. Sie müssen sich darüber klar sein, daß Sie hier eine neue Kulturpolitik entwickeln müssen, weil Sie mit den klassischen Methoden — Schule, Goethe-Institut — nicht arbeiten können. Aber ich muß sagen: wir sind da etwas im Defizit. Wenn ich sehe, daß ein Besuch von Nixon in Bukarest zur Gründung einer amerikanischen Bibliothek führt und der Besuch des deutschen Außenministers noch nicht einmal drei Sätze über Kulturpolitik zustande bringt, so würde ich sagen: hier ist ein echter Nachholbedarf und ein weites Feld der Betätigung.
Ebenso wäre auch der Zusammenbruch der Buchausstellung in Bukarest trotz diplomatischer Beziehungen zu diskutieren.Ich widerspreche ausdrücklich der Auffassung, daß man die Organisation nicht zu den Aufgaben der Enquete-Kommission nehmen solle. Auswärtige Kulturpolitik ist ein klassisches Beispiel, daß Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur zusammengeführt werden und kooperieren müssen. Ich sehe hier kein Hindernis. Ich halte die Regierung und die Abgeordneten für kritisch genug, einen unangemessenen Egoismus von dem Sachverstand zu unterscheiden, der beizutragen ist. Wer die Lage auf diesem Gebiet kennt, der weiß doch ganz genau, daß die Ideen zum großen Teil von daher stammen. Zum Beispiel ist ja doch die Idee „Sprache als Grundansatz der auswärtigen Kulturpolitik" in München und nicht in Bonn entstanden um das mal klipp und klar zu sagen. Sich dieses Sachverstandes nicht zu bedienen, wäre sträflich.Herr Raffert stellte die Frage hinsichtlich der Finanzmittel und der Prioritäten. Herr Raffert, die Frage ist berechtigt. Aber das ist ohne weiteres lösbar. Ich habe das schon angedeutet. Wir wollen einen festen Platz im Haushalt mit angemessenen Wachstumstendenzen. Wir wollen, daß die Dinge nicht nur fortgeschrieben werden, sondern daß für die Neuanpassung, für die Mobilität, für neue Initiativen auch wirklich eine mobile Masse noch vorhanden ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Moersch?
Ja.
Herr Kollege Dr. Martin, meinen Sie wirklich Vertreter von Organisationen, oder meinen Sie nicht viel eher, daß man sachverständige Personen, die Organisationen angehören können, berufen soll? Das ist doch wohl ein Unterschied.
Ja gut; ich danke für die Richtigstellung, Herr Moersch. Das ist in der Tat die Meinung.
— Sicher, sicher! Deutsche Sprache, sehr schwere Sprache.
Ich würde dem Formulierungsvorschlag „Information über kulturelles Leben in Deutschland" der Sache nach zustimmen. Es gibt viele Formulierungsvorschläge. Darüber brauchen wir uns nicht zu streiten.
Schließlich bin ich der Meinung, daß der Unterausschuß dennoch ins Leben gerufen werden sollte.
Insgesamt darf ich den Kollegen von den anderen Fraktionen und dem Herrn Staatssekretär, also der Bundesregierung, für die freundliche Aufnahme unseres Antrages danken. Ich bin jetzt ganz sicher, daß wir auf diesem Wege zu einem neuen Konzept für die auswärtige Kulturpolitik und zu einer größeren kulturpolitischen Effizienz kommen werden.
Ich habe keine weiteren Wortmeldungen mehr zu diesem Punkt.
Wir haben abzustimmen. Wird der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß gestellt?
- Auswärtiger Ausschuß — federführend — und
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zur Mitberatung. Ist das Haus einig? — Widerspruch? —Enthaltungen? — Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Herabsetzung des Wahlalters
— Drucksache VI/70 —Zur Begründung hat der Abgeordnete Rollmann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Sommer 1968 beantragte die CDU in der Hamburger Bürgerschaft die Herabsetzung des aktiven und des passiven Wahlalters.
Die Freie und Hansestadt Hamburg wurde das erste Land der Bundesrepublik Deutschland, in dem bei Landtagswahlen unsere 18jährigen Mitbürger wahlberechtigt und unsere 23jährigen Mitbürger wählbar wurden.
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RollmannVor einem Jahr nahm der Bundesparteitag der CDU in das Berliner Programm die Forderung auf: das aktive Wahlrecht und die Volljährigkeit sollen mit der Vollendung des 18. Lebensjahres, das passive Wahlrecht mit Vollendung des 23. Lebensjahres beginnen. Die wenigen Monate, die dem Deutschen Bundestag noch vor seiner Neuwahl verblieben, hätten nicht mehr ausgereicht, um diese Forderung des Berliner Programms, die eine Grundgesetzänderung beinhaltet, im Deutschen Bundestag mit der gebotenen Sorgfalt zu beraten und zu verwirklichen. Wir haben darum im letzten Bundestag davon abgesehen, noch einen entsprechenden Gesetzentwurf in diesem Hause einzubringen.Als ihre erste Gesetzesinitiative im 6. Deutschen Bundestag stellt die Bundestagsfraktion der CDU/ CSU heute ihren Antrag auf Herabsetzung des aktiven und des passiven Wahlalters auf 18 bzw. 23 Jahre zur Beratung. Diesem Antrag entspricht, daß die CDU inzwischen das Mindestalter für den Parteibeitritt auf 16 Jahre herabgesetzt hat. Wir stellen diesen Antrag so früh, damit der Bundestag ausreichend Zeit hat — und sich auch ausreichend Zeit nimmt —, sich mit allen Fragen der Herabsetzung des Wahlalters ausführlich zu beschäftigen und dann im Sinne unseres Antrages zu beschließen.Wir meinen, daß die Neufestsetzung des Wahlalters für dieses Hohe Haus Veranlassung sein sollte, andere Altersgrenzen, z. B. im Zivilrecht, im Familienrecht, im Strafrecht und im Prozeßrecht, auf ihren Sinn zu überprüfen. Vielleicht gelingt es uns dabei auch, diese höchst unterschiedlichen Altersgrenzen in den verschiedenen Bereichen unseres Rechtslebens stärker zu vereinheitlichen, als es bisher der Fall war. Insofern beinhaltet unser Antrag bedeutend mehr als das, was er besagt. In einer wichtigen Frage kann er ein Stück Reform unseres gesamten Rechtes zur Folge haben.Seit geraumer Zeit findet in unserem Lande eine lebhafte Diskussion über die Frage der Herabsetzung des Wahlalters statt. Ich darf an die umfängliche Debatte erinnern, die .wir bei der Beratung eines entsprechenden FDP-Antrags am 15. November 1968 in diesem Hause gehabt haben. Es kann sicherlich nicht der Sinn der heutigen Debatte sein, alle Argumente des Für und Wider noch einmal wieder vorzutragen und erneut zu wägen.Ich möchte dieses sagen: die CDU/CSU macht der jungen Generation in diesem Lande mit ihrem Gesetzentwurf kein Geschenk, und sie buhlt damit nicht um ihre Gunst. Wir sind der Meinung, daß die junge Generation sich das Anrecht auf die Herabsetzung des Wahlalters selbst erworben hat. In den 20 Jahren Bundesrepublik Deutschland stand die junge Generation unseres Landes unbeirrbar zum Grundgesetz, zur Demokratie. Ich möchte die älteren Kollegen unter uns fragen — und vielleicht besonders diejenigen, die mit einer Zustimmung zu diesem Antrag noch zögern: wann hat es jemals in diesem Lande eine junge Generation gegeben, die politisch informierter, interessierter, wachsamer und engagierter war als jene junge Generation, die heute in unserem Lande lebt? Das ist — das wissenwir alle - nicht immer einfach für uns und nichtimmer bequem. Aber diese junge Generation ist radikal demokratisch.
Die Abgeordneten des Reichstages aus den Zeiten der Weimarer Republik wären dankbar gewesen, wenn sie damals in ihrer Zeit und in ihrem Kampf gegen die Feinde der Republik eine so demokratische junge Generation auf ihrer Seite gewußt hätten, wie wir sie heute in unserem Lande haben.
Nein, meine Damen und Herren: wir machen mit diesem Entwurf der jungen Generation keine Geschenke, sondern wir stärken damit die deutsche Demokratie, wir sichern sie in die Zukunft hinein, wenn wir der ganzen so demokratischen jungen Generation in unserem Lande die vollen Staatsbürgerrechte geben, wenn wir ihr für den Wahltag auch die Möglichkeit der Wahlentscheidung gewähren.Lassen Sie mich ein Zweites sagen. Der Anteil der älteren Generation in diesem Lande steigt unaufhörlich. Alle Parteien müssen in ihrer Politik darauf Rücksicht nehmen. Damit kommt ein stark beharrendes Element in die deutsche Politik hinein. Was wir aber brauchen, ist weniger Beharrung als vielmehr Dynamik. Weit über das Heute und das Morgen hinaus muß unsere Politik auf die Zukunft gerichtet werden, auf die Gestaltung der Daseinsbedingungen in unserem Lande in der Wende vom zweiten zum dritten Jahrtausend. Die deutsche Politik braucht das dynamische Element der ganzen jungen Generation. Darum muß die ganze junge Generation in diesem Lande das Wahlrecht erhalten.Unbehagen und Unruhe unter der jungen Generation dieses Landes werden wir nicht durch die Herabsetzung des Wahlalters, sondern nur durch Inhalt und Stil unserer Politik überwinden können.
Aber die Zuerkennung des Wahlrechts an drei weitere Jahrgänge der jungen Generation würde die ganze Generation früher der politischen Praxis nahebringen. Wir glauben, daß das wichtig ist in einem Lande, in dem politische Ideale und politische Wirklichkeit mehr als in den alten Demokratien auseinanderklaffen.Meine Damen und Herren, Millionen von jungen Menschen stehen heute in unserem Lande ohne Rücksicht darauf, ob schon ob sie schon das 21. Lebensjahr vollendet haben, im Berufsleben, haben ein selbständiges Einkommen, schließen Rechtsgeschäfte, zahlen Steuern, leisten in der Bundeswehr ihre Wehrpflicht ab, sind oft genug schon verheiratet und haben eine eigene Familie, sie schaffen dies alles und sind verantwortungsbewußt. Warum sollen wir ihnen dann nicht auch die vollen Staatsbürgerrechte geben?In unserem Lande ist Wahlrecht keine Wahlpflicht. Wir zwingen niemanden zur Wahlurne. Wir meinen aber: wer von der jungen Generation am
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550 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969
RollmannWahltage mitentscheiden, mitbestimmen, mitwählen will, der soll die Möglichkeit dazu erhalten. Darum haben wir diesen Antrag auf Herabsetzung des Wahlalters eingebracht, und wir hoffen, daß er in der dritten Lesung in diesem Hause eine große Mehrheit finden wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Corterier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann sehr vielem von dem, was Sie, Herr Kollege Rollmann, soeben vorgetragen haben, vollauf zustimmen. Vor allem das, was Sie über weniger Beharrung und mehr Dynamik gesagt haben, klang sehr gut. Das war eigentlich ja das Wahlthema der Sozialdemokraten, weniger das Ihrer Partei. Ich freue mich, daß Sie das heute so sehen, wie wir es damals gesehen haben.
Sie haben völlig recht, daß es nicht Aufgabe der heutigen Debatte sein kann, die Argumente, die schon vor beinahe einem Jahr in der damaligen Debatte vorgetragen worden sind, die aber auch im Hearing des Innenausschusses im Mai dieses Jahres vorgetragen worden sind, noch einmal zu wiederholen. Das, was Sie noch zusätzlich für die Senkung des Wahlalters gesagt haben, kann ich nur unterstreichen. Ich meine nur, daß uns die zurückliegende Bundestagswahl einige zusätzliche Argumente für die Senkung des Wahlalters geliefert und gleichzeitig einige der Einwände, die damals noch in der Diskussion vorgetragen worden waren, widerlegt hat. Ich glaube, eindeutig wurde beispielsweise die noch in der Debatte des vergangenen Jahres vorgetragene Behauptung, es gebe in der Jugend eine gewisse Affinität zu radikalen Parteien, durch das Ergebnis der Wahl widerlegt. Auch die Befürchtung — oder soll ich sagen: bei manchen vielleicht die Hoffnung —, daß sich die Jugend in dieser Wahl ebenso wie früher einfach so wie ihre Eltern entscheiden würde, erfüllte sich nicht, sondern das Gegenteil war der Fall. Die junge Generation hat ihre Entscheidung erfreulich unabhängig und frei getroffen.Wenn natürlich auch die Wahlbeteiligung der Jungwähler noch einiges zu wünschen übrig läßt, so hat, meine ich, doch jeder von uns in diesem Wahlkampf das außerordentlich stark gestiegene politische Interesse der jungen Generation feststellen können. Diese junge Generation hat dem Wahlkampf mehr Leben und Farbe gegeben als je einem Wahlkampf in diesem Lande zuvor. Ich meine daher, daß der Verlauf des Wahlkampfs, aber auch die Wahl selbst mit ihrem Ergebnis, ein weiteres, kräftiges Argument für die Herabsetzung des Wahlalters auf 18 Jahre ist. Darüber, daß das aktive Wahlalter auf 18 Jahre gesenkt werden soll, sind sich alle Fraktionen des Hauses einig.Im Sinne dieses politischen Konsensus hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung die Absicht verkündet, eine Senkung des Wahlaltersherbeizuführen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat die Bundesregierung inzwischen dem Bundesrat zugeleitet. Ich glaube daher, daß die Frage berechtigt ist, warum es nun die CDU/CSU für erforderlich gehalten hat, ihrerseits so eilig noch einen Antrag im Bundestag einzubringen. An und für sich begrüßen wir es natürlich, wenn sich die Opposition politische Zielvorstellungen der Regierung zu eigen macht, und wir würden uns freuen, wenn sie auch in anderen Fragen unseren politischen Vorstellungen, wie sie in der Regierungserklärung vorgetragen worden sind, folgte.
— Wir sollten uns darin einig sein, daß wir alle in dieser Frage vorangegangen sind, vor allem wenn wir daran denken, was wir schon vor Jahren in den politischen Jugendorganisationen vertreten haben. Ich würde hier kein Erstgeburtsrecht in Anspruch nehmen wollen.Ich meine nur, daß die große Eile, mit der dieser Antrag eingebracht wurde, ein bißchen den Verdacht hervorrufen muß, daß man versuchen will, mit einer Geste — ich glaube, hier können Sie mir nicht widersprechen, Herr Kollege Rollmann — das doch etwas angeschlagene Verhältnis der CDU/CSU zur jungen Generation wenigstens oberflächlich ein wenig zu reparieren.
Denn schon damals, als Sie die Forderung nach Senkung des Wahlalters in Ihr Berliner Programm aufnahmen, haben Sie, Herr Kollege Rollmann, und andere dies als Beweis für die Fortschrittlichkeit und Modernität der CDU/CSU, als Beweis für Ihre Aufgeschlossenheit gegenüber der jungen Generation, dargestellt. Ich muß Sie daran erinnern, daß kurz danach der berühmte Vergleich von Gruppen der jungen Generation mit Tieren gekommen ist und Ihr Generalsekretär im Wahlkampf einen Demokratiebegriff vertreten hat, der weder modern noch fortschrittlich, sondern derjenige des 19. Jahrhunderts ist. Dieser Begriff ist sicherlich demjenigen diametral entgegengesetzt, der von der großen Mehrheit der jungen Generation in unserem Land vertreten wird.
Ich meine also, daß ein solcher Antrag allein keinErsatz für eine aufgeschlossene und fortschrittlichePolitik Gegenüber der jungen Generation sein kann.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt aber auf den Punkt eingehen — Herr Rollmann, ich habe es ein bißchen bedauert, daß Sie dazu weiter nichts ausgeführt haben —, der zwischen Ihnen und den Regierungsparteien noch kontrovers ist, nämlich das passive Wahlalter. Es geht um die Frage, wo die Grenze des passiven Wahlalters anzusetzen ist. Wir sind uns darüber einig, daß es weiterhin eine zeitliche Differenz zwischen dem aktiven und dem passiven Wahlrecht geben soll. Nach dem Vorschlag
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Corterierder CDU/CSU ware diese zeitliche Differenz aber größer als nach dem bisherigen Recht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Moersch?
Bitte sehr!
Herr Kollege, halten Sie überhaupt die Festsetzung des passiven Wahlalters durch Gesetz für notwendig? Könnte man es nicht wie in England machen, wo es überhaupt keine Vorschrift über das passive Wahlalter gibt und trotzdem Demokratie besteht?
Sicherlich, so kann man es auch machen.
Eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rollmann.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, Herr Kollege Corterier, daß wir die Grenze von 23 Jahren für das passive Wahlrecht mit Rücksicht darauf gewählt haben, daß verschiedene deutsche Bundesländer das passive Wahlalter auf 23 Jahre und nicht auf 21 Jahre heruntergesetzt haben?
Herr Kollege Rollmann, ich weiß, daß diese Grenze in einigen Bundesländern festgesetzt worden ist. Das allein ist aber für mich keine Begründung. Ich meine, daß man, wenn wir hier im Bundestag das Bundeswahlgesetz ändern wollen, trotzdem überlegen sollte, welche Gründe für die eine oder für die andere Grenze sprechen.
Ich meine, daß es keinen Grund dafür gibt, eine größere Differenz, nämlich eine Differenz von fünf Jahren anstatt von bisher vier Jahren zu wählen. Ich meine, man sollte eher eine kleinere Differenz nehmen. Ich kann mir keine einleuchtende Begründung außer der, die Sie eben genannt haben, vorstellen.
Man muß zunächst einmal darauf hinweisen, daß bei der jungen Generation der Verdacht aufkommen könnte, daß derjenige, der sich für eine Senkung des aktiven Wahlalters, aber nicht für eine entsprechend weitgehende Senkung des passiven Wahlalters ausspricht, zwar bereit ist, sich auf die Stimmen der Jugend zu stützen, daß er aber nicht bereit ist, ihr gleichzeitig einen entsprechenden Einfluß in den Parlamenten einzuräumen.
Weiter ist es doch auch so, daß wir uns von einer Senkung des passiven Wahlalters eine ähnliche Entwicklung wie von der Senkung des aktiven Wahlalters erhoffen, nämlich eine Steigerung des politischen Interesses der Jugend und ihrer Bereitschaft zur aktiven Teilnahme an der Politik. Dieser Effekt kann aber doch nur dann eintreten, wenn man sich zu einer deutlichen und für die junge Generation wirksamen Senkung auch des passiven Wahlalters entschließt.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU — Herr Kollege Moersch hat ja schon auf das englische Beispiel hingewiesen —, wäre es nicht eine schöne Sache, wenn wir eine so charmante 21jährige Politikerin wie etwa Bernadette Devlin auch hier im Bundestag begrüßen könnten?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, ich konnte nicht eher fragen, weil ich mich erst noch erkundigen mußte. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Bundesregierung beim Bundesrat ein solches Gesetz weder eingebracht noch angekündigt hat? Sie waren ja anderer Auffassung.
Nach meiner Information ist das Gesetz beim Bundesrat eingebracht. Sicherlich wird der Herr Innenminister uns über den genauen Stand des Verfahrens nachher Auskunft geben können.
Sind Sie gewillt, sich zu erkundigen, vielleicht unmittelbar nachdem Sie gesprochen haben? Dann werden Sie erfahren, daß es nicht so ist.
Ich bin gerne bereit, das zu tun.Ich meine auch, daß sich derjenige, der in der weitergehenden Senkung des passiven Wahlalters die Gefahr sieht, daß nun Abgeordnete ohne die notwendige Erfahrung und politische Urteilsfähigkeit gewählt werden könnten, vergegenwärtigen muß, daß die Verantwortung für die Kandidatenaufstellung nach wie vor bei den Parteien verbleibt und die letzte Entscheidung bei den Wählern liegt.Lassen Sie mich noch ein zusätzliches Argument anführen. Wir müssen ja davon ausgehen, daß der Deutsche Bundestag alle vier Jahre gewählt wird. Bisher war es doch dann so, daß tatsächlich nur einer von vier Jahrgängen mit 21 Jahren wählen konnte. Die anderen drei Jahrgänge waren älter. Der älteste dieser vier Jahrgänge konnte erstmals seine Stimme zur Wahl des Deutschen Bundestages überhaupt erst mit 24 Jahren abgeben. Beim passiven Wahlrecht ist das noch eindeutiger. Es gibt einen ganzen Jahrgang, der nach dem geltenden Recht erst mit 28 Jahren in den Deutschen Bundestag gewählt werden kann. Wenn wir also das aktive Wahlrecht auf 18 Jahre herabsetzen, bedeutet das, daß nur ein Jahrgang wirklich schon mit 18 Jahren wählen kann; ein Jahrgang wird erst im Alter von 21 Jahren zum Zuge kommen.Meine Damen und Herren, das gleiche gilt für das passive Wahlrecht. Wenn wir es auf 21 Jahre herabsetzen, gibt es auch einen ganzen Jahrgang, dessen Angehörige erst im 25. Lebensjahr die Chance
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Corterierhaben, ill den Deutschen Bundestag gewählt zu werden. Nach dem Vorschlag der Opposition bestünde diese Chance für einen Jahrgang erst im 27. Lebensjahr. Diese Haltung scheint mir zum Teil doch noch eine Anleihe aus jener Zeit zu sein, in der der gichtgeplagte Hofherr seinen längst erwachsenen Sohn deshalb nicht heiraten lassen wollte, weil damit eben die Hofübergabe verbunden war.Ich glaube daher, daß die beste Lösung für die Altersgrenze beim passiven Wahlrecht die im Regierungsentwurf vorgeschlagene von 21 Jahren ist. Damit wird auch an den Zeitpunkt angeknüpft, der schon bisher die Grenze für die Volljährigkeit war. Wenn es im Zusammenhang mit der Diskussion über die Senkung des Wahlalters eine Diskussion über die Volljährigkeit gibt, dann doch nur darüber, ob diese Altersgrenze gesenkt werden soll. Niemand ist der Auffassung, daß die Grenze für die Volljährigkeit gegenwärtig zu hoch angesetzt sei. Wenn es einen allgemeinen Konsens darüber gibt, daß der Mensch mit 21 Jahren als reif angesehen werden muß, dann meine ich, sollte man ihn auch als reif für die Übernahme politischer Wahlämter betrachten.In der Begründung zum Antrag der CDU/CSU wird noch auf den möglichen Zusammenhang zwischen dem Wahlalter und den Altersgrenzen, wie sie in anderen Rechtsgebieten bestehen, vor allem dem Volljährigkeitsalter, vor allem aber auch der Strafmündigkeit, hingewiesen. Sie, Herr Kollege Rollmann, haben das ja eben erwähnt. Auch wir sind der Auffassung, daß hier selbstverständlich ein Zusammenhang besteht, einfach deshalb, weil nicht wenige der Argumente, die für eine Senkung des Wahlalters sprechen, auch für die Senkung anderer Altersgrenzen angeführt werden können. Allerdings sind wir der Auffassung, daß es hier keinen zwingenden Zusammenhang gibt. Dies ergibt sich schon daraus, daß es bereits in der Weimarer Verfassung eine unterschiedliche Regelung für das Wahlalter und für die Volljährigkeit gab, und die gibt es ja auch jetzt in einer Reihe von Länderverfassungen.Gegen ein Junktim zwischen Wahlalter und Volljährigkeitsalter spricht meiner Ansicht nach aber auch, daß das Wahlalter sehr schnell gesenkt werden kann. Ich glaube, wir werden uns da rasch einigen, vor allem wenn Sie in der CDU/CSU in der Frage des passiven Wahlalters ein bißchen nachgeben. Ich meine aber, daß wir in der Frage der Volljährigkeit nicht zu schnell vorangehen sollten, weil hier die Möglichkeit besteht, eine Lösung auf europäischer Basis zu erhalten. Die Beratende Versammlung des Europarates hat inzwischen einen Unterausschuß des Ausschusses für rechtliche Zusammenarbeit beauftragt, die Voraussetzungen für eine einheitliche Festlegung der Altersgrenzen in den Mitgliedstaaten des Europarates zu erarbeiten. Dieser Ausschuß soll seine Arbeitsergebnisse bis 1971 vorlegen. Ich meine, daß wir diese Bestrebungen tatkräftig unterstützen sollten, um in ganz Europa zu einer einheitlichen Regelung zu kommen.Vor einer endgültigen Entscheidung des Europarates, aber auch des Bundestages, sollten die praktischen Erfahrungen mit den bisherigen Altersgrenzen und die Konsequenzen möglicher Veränderungen noch einmal eingehend untersucht werden. Ich glaube, es wäre eine Aufgabe für die Bundesregierung, durch entsprechende Forschungsaufträge die notwendigen Rechtstatsachen zu ermitteln; denn das Hearing des Innenausschusses am 12. Mai hat doch eindeutig gezeigt, daß derartige Unterlagen bisher nicht zur Verfügung stehen. Der Stand unserer Kenntnisse über die einschlägigen Rechtstatsachen scheint mir nicht viel größer zu sein als vor hundert Jahren bei der Verabschiedung des preußischen Gesetzes über das Alter der Großjährigkeit am 9. Dezember 1869.Lassen Sie mich zum Schluß kommen. So sehr ich darüber erfreut bin, daß auch die Opposition einer Herabsetzung des Wahlalters zustimmen will, so wie es die Regierung in ihrer Regierungserklärung angekündigt hat, gebe ich doch um der Sache willen zu bedenken, ob Sie sich nicht noch noch dazu durchringen können, wie wir eine Senkung des passiven Wahlalters auf 21 Jahre zu befürworten und damit den Vorschlag des Regierungsentwurfes zu übernehmen.
Eine Zwischenfrage.
Ist es Ihnen vielleicht möglich, verehrter Herr Kollege, aus der Tatsache, daß ich mich zu der Altersgrenze beim passiven Wahlalter nicht weiter geäußert habe, zu entnehmen, daß wir in dieser Frage offen sind?
Ich würde mich freuen, wenn es so wäre, Herr Kollege Rollmann. Ich habe allerdings von dem Kollegen Roser einen Artikel im „Bayernkurier" gelesen, in dem er von einer Kampfabstimmung in Ihrer Fraktion sprach, und da war doch wohl das Ergebnis, daß Sie sich erneut in der Fraktion auf 23 Jahre festgelegt haben. Ich würde mich freuen, wenn das noch umzustoßen wäre.
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluß!
Ja, ich komme zum Schluß.
Ich glaube, daß es in dieser Frage wie überhaupt in allen Fragen, die die junge Generation und mit ihr unseren Staat betreffen, nicht darum gehen kann, Halbheiten zu praktizieren. Hier müssen wir eine klare, vernünftige, für alle einsehbare Entscheidung treffen, auf die die junge Generation und nicht nur sie mit Recht schon lange gewartet hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Grüner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Fraktion der Freien Demokraten möchte ich eingangs mit großer
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GrünerBefriedigung die Feststellung treffen, daß mit diesem Antrag der CDU/CSU und mit den Darlegungen des Kollegen von der SPD-Fraktion in diesem Hause Einigkeit darüber besteht, daß die Herabsetzung des passiven und des aktiven Wahlalters hier übereinstimmend gefordert wird. Wir von der Freien Demokratischen Partei vermerken dankbar, daß diese Einheitlichkeit heute gegeben ist. Wir bedauern allerdings, daß das nicht zu allen Zeiten der Fall war. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Rollmann, waren wir ja in der letzten Legislaturperiode durchaus der Auffassung, daß es möglich gewesen wäre, schon damals den Antrag der Freien Demokratischen Partei zur Änderung des Wahlalters zu verabschieden. Sie wissen ebenso wie wir, daß diese Möglichkeit an der Uneinigkeit in Ihrer Fraktion gescheitert ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, sind Sie sich nicht darüber im klaren, daß vom Zeitpunkt der Einbringung Ihres Antrags an im ganz normalen beschleunigten Gesetzgebungsverfahren ein Wirksamwerden zur Bundestagswahl nicht mehr möglich gewesen wäre?
Ich bin der Meinung, daß es durchaus zu schaffen gewesen wäre. Ich glaube, daß Ihre Frage nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß es doch im Grunde genommen die Unsicherheit in Ihrer Fraktion war, die damals zu diesen Schwierigkeiten geführt hat.
Zwischenfrage des Abgeordneten Rollmann.
War es nicht so, Herr Kollege, daß die ersten Kandidaten für die Bundestagswahl bereits zu einem Zeitpunkt aufgestellt waren, als das Hearing des Innenausschusses zu dieser ganzen Frage noch in weiter Ferne lag?
Es trifft durchaus zu, daß das tatsächlich der Fall war, aber wir hätten keine Schwierigkeit gesehen, eine solche Wahlkreiskonferenz auch zu wiederholen, um ein so wichtiges Ziel wie die Herabsetzung des Wahlalters rechtzeitig vor den Bundestagswahlen noch zu erreichen.
Ich darf Sie kurz unterbrechen. — Meine Damen und Herren, warum streiten wir denn hier um Prioritäten von Wochen und von Tagen in einer Sache, in der alle gleicher Meinung sind und alle gleiches Verdienst haben?
— Ich weiß, daß immer einige noch gleicher sind; aber das gehört mit zum Leben. — Bitte, fahren Sie fort!
Ich nehme diese kleine Ermahnung des Präsidenten gern zur Kenntnis, bitte aber auch um Verständnis, da gerade die einleitenden Ausführungen des Herrn Kollegen Rollmann den Eindruck erwecken mußten, mindestens für den, der mit der Materie nicht vertraut ist, als ob die CDU in dieser Richtung besondere Aktivität entfaltet habe. Herr Kollege Rollmann, Hamburg ist in dieser Hinsicht nicht die Welt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Parteifreundes Moersch?
Herr Kollege Grüner, könnten Sie den Kollegen von der CDU in Erinnerung zurückrufen, daß vor allem sie es waren, die die Aufsetzung unseres Antrages auf die Tagesordnung so lange verhindert haben, bis tatsächlich die ersten Wahlkreiskonferenzen stattgefunden haben, so daß sie sich das Argument, das sie jetzt gebrauchen, zuerst einmal verschaffen mußten?
Herr Kollege Moersch, als Neuling bin ich Ihnen für diese hilfreiche Frage sehr dankbar.
Meine Damen und Herren, ich bin durchaus der Meinung, daß es nach der ausführlichen Debatte in der letzten Legislaturperiode über die sachliche Problematik des hier vorliegenden Antrags nicht sinnvoll und nicht notwendig ist, noch einmal auf alle Einzelheiten einzugehen.
Das Haus wird Ihnen dankbar sein.
Ich möchte nur einen Gedanken abschließend noch einmal ins Bewußtsein rufen, der mir für diese politisch wichtige Entscheidung doch von ganz besonderer und erheblicher Bedeutung zu sein scheint. Es ist dies die Tatsache, daß es für unsere Gesellschaft und für unsere politische Entwicklung von ausschlaggebender Bedeutung sein wird, daß wir den Kreis der jungen Menschen in unserer Bevölkerung sehr viel früher und stärker in die politische Arbeit und in die Mitwirkung an unserer Politik einschalten müssen, um auch ein natürliches Gegengewicht zu schaffen gegen die ständig größer werdende Alterspyramide in unserem Volke, nicht im Sinne einer negativen Abqualifizierung der älteren Menschen, sondern in dem Sinne, daß es für unsere Reformen, die wir anstreben müssen, von ausschlaggebender Bedeutung sein wird, daß dem natürlichen Beharrungsvermögen der älteren Generation Lauch der Wagemut und die Bereitschaft der jüngeren Generation zu Reform und Risiko im Bereich der Möglichkeit der Mitbestimmung durch Wahlen und durch Gewähltwerden gegenübersteht und daß es in diesem Bereich zu einer Ausgewo-
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Grünergenheit kommen kann, die für unsere künftige politische Entwicklung nur vorteilhaft sein kann.
Der Worte sind genug gewechselt. Wir Freien Demokraten freuen uns darüber, daß mit dieser Einheitlichkeit im Hohen Hause die Grundlage für die Taten geschaffen worden ist.
Ich habe den Eindruck, daß wir uns um die Kenntnis der deutschen Literatur keine Sorge zu machen brauchen...
Vielleicht darf ich darauf hinweisen, daß die beiden Kollegen, die eben gesprochen haben, Herr Corterier und Herr Grüner, heute ihre Jungfernrede gehalten haben.
Früher hätte man gesagt, sie haben ihre Feuertaufe erlebt, in unserem sanfteren Zeitalter spricht man aber bei Reden metaphorisch lieber von Jungfernreden. Ich möchte beiden Herren in Ihrer aller Namen herzlich zu dem Talent gratulieren, das sie hier soben an den Tag gelegt haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Roser.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bei Ihnen, Herr Präsident, sehr herzlich für Ihren Hinweis bedanken, daß es doch nicht viel Sinn hat, in einer Frage, in der prinzipiell Übereinstimmung besteht, jetzt durch den Versuch, Urheberrechte für sich in Anspruch zu nehmen, einen Streit vom Zaun zu brechen.
— Ich gehe jetzt auf die nächste Frage ein. Sie fragen: Wo bleibt Jaeger. Wir haben die Frage, die hier zur Diskussion steht, sehr gründlich innerhalb unserer Landesgruppe und innerhalb der Gesamtfraktion erörtert.
— Was der „Bayernkurier" geschrieben hat, hat Roser geschrieben. Ich darf Ihnen mitteilen, daß wir nach einer sehr gründlichen Diskussion zu dem Ergebnis gekommen sind: Wir treten - das sage ich zunächst für unsere Landesgruppe, für die ChristlichSoziale Union - für die Herabsetzung des aktivenWahlrechts auf 18 und für die Herabsetzung des passiven Wahlalters auf 21 Jahre ein.
— Ich bin sicher, daß die Dikussion über diese Frage noch nicht beendet ist.
— Ich sage das nicht für uns intern. Ich meine aber, daß wir der Gesamtproblematik noch einige Aspekte hinzufügen sollten, zu denen ich nun einiges sagen möchte.Zunächst einmal: Ich teile nicht die Auffassung einer großen politischen Wochenzeitung, die dieser Tage davon sprach, hier werde der jungen Generation ein „Bukett politischer Wohltaten" angeboten. Für uns ist das, was wir hier in Übereinstimmung mit den anderen Fraktionen dieses Hauses fordern, ein Akt des Vertrauens der jungen Generation gegenüber, im übrigen das füge ich hinzu — auch ein Akt des politischen Selbstvertrauens der Fraktion, für die ich hier spreche.Wir meinen, daß es eine der Möglichkeiten ist, in einem entscheidend wichtigen Punkt die selbständige Stellung der jungen Generation in dieser Gesellschaft zu festigen. Dabei gehen wir davon aus, daß es allein das Gespräch zwischen den Generationen ist, das unsere Gesellschaft und damit unseren Staat für die notwendige Weiterentwicklung offenhält. Wir sollten uns des großen und starken Mutationspotentials, das in der jungen Generation vorhanden ist, nicht begeben, sondern wir sollten es auf dem Wege des Gesprächs mit dieser jungen Generation nutzen.
— Das ist doch ein Zeichen für die innere Vitalität dieser Christlich-Sozialen Union. Sie sollten dem doch zustimmen. — Ich meine, wir brauchen nicht nur das Engagement der vielen Gruppen einer pluralistischen Gesellschaft auf horizontaler Ebene, wir brauchen auch den Consensus einer vertikal strukturierten Gesellschaft, und das heißt für mich: wir brauchen das Gespräch, das Hören aufeinander, das Reden miteinander um der Gesellschaft willen. Dieses Gespräch — das sage ich nicht im Sinne der Kritik an dem, was bisher getan und geleistet wurde— ist in den vergangenen Jahren — und das sollten wir quer durch die Fraktionen zugeben — nicht in der notwendigen Intensität mit der jungen Generation geführt worden. Ich sage das ganz bewußt, um einen ersten Beitrag dazu zu leisten, daß die Basis für den gegenseitigen Gedankenaustausch verbreitert wird, daß Voraussetzungen geschaffen werden, um mit dieser jungen Generation, insbesondere mit ihrem prononciert kritischen Teil, ins Gespräch zu kommen.Wir alle sind darin einer Meinung - und dazuist einiges gesagt worden —, daß im Zusammenhang mit dieser Frage alle Probleme im Bereich des Rechts mit diskutiert werden müssen. Aber wir sollten versuchen, uns auf einen Maßstab zu einigen, und ich meine, daß dieser Maßstab lauten muß: Wie können wir sicherstellen, daß die Stellung dieser großen Gruppe unserer Gesellschaft — eben der 18- bis 21jährigen — für die Zukunft ausgebaut wird, so daß sie die Chance hat, sich selbst zu erleben? Was wir hier beabsichtigen, ist ein erster Schritt dazu, nicht mehr, ein erster Schritt dazu, eine Antwort auf die Frage der jungen Generation zu finden, die auf der Suche nach ihrer Identität ist.Diese jungen Leute sind physisch und psychisch erwachsen, aber sie sind zugleich jung. Die Frage ist: Was heißt nun eigentlich jung sein?
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Roser- Ich weiß nicht, ob mich die Erheiterung, die mir da so etwas entgegenschlägt, zu gleicher Erheiterung provozieren darf. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in der Lage wären, jetzt, da wir in der Endstufe dieses großen abendländischen Emanzipationsprozesses sind,
da die junge Generation dabei ist, sich eine selbständige Stellung in dieser Gesellschaft zu sichern, wirklich hinzuhören.
- Ich denke, diese Fragen sind eines Parlaments durchaus würdig.
Gut, dann nehmen wir es von einer anderen Seite her. Es ist nicht nur, daß die junge Generation fragt: Worin liegt unser Wert und wie können wir durch Erleben unseres Wertes gewiß werden, wie können wir Verantwortung gewissermaßen wahrgenommen erleben? — Das ist die gleiche Frage, die im großen Bereich der älteren Generation genauso auf uns zukommt, die Frage: Was heißt eigentlich alt sein? Ich sehe diese Problematik sowohl im Zusammenhang mit der jungen Generation als auch mit der zunehmend größer werdenden Gruppe der Alten in unserer Gesellschaft. Darf ich es so sagen: ich habe den Eindruck, daß wir jetzt, nach einem halben Jahrhundert, endlich die Fragen beantworten müssen, die etwa auf dem Hohen Meißner von der freien deutschen Jugend gestellt wurden.
Es heißt nicht „hoher Meister", sondern „Hoher Meißner".
Wenn es falsch verstanden wurde, war es ein Artikulationsfehler meinerseits. Ich war dessen sicher, daß ich „Hoher Meißner" sagte.
Nein, Sie haben „Hoher Meister" gesagt. Das war ein Freudscher Verspruch ...
Damals wurde formuliert:
Die Jugend, bisher aus dem öffentlichen Leben der Nation ausgeschaltet und angewiesen auf eine passive Rolle des Lernens, nur ein Anhängsel der älteren Generation, beginnt, sich auf sich selbst zu besinnen. Sie sucht ihr Leben selber zu gestalten, sie sucht sich selbst und ihr Tun ernst zu nehmen.
Unsere Aufgabe ist es nun, hier diesen ersten
Schritt zu tun, dem nach meinem Dafürhalten weitere Schritte in weiteren Bereichen folgen müssen.
Sie können nicht früh genug folgen, aber darüber muß geredet werden.
Angesichts der großen Einheitlichkeit der Auffassung in diesem Hause meine ich, ist für dieses Gespräch eine gute Basis gegeben. Wir haben eben bislang zu wenig Bereiche, in denen diese 18- bis 21jährigen tatsächlich Möglichkeiten der Wahrnehmung von Verantwortung erleben können.
Die Frage der Herabsetzung des Wahlalters ist der Versuch, eine Antwort an einem Punkt zu geben. Es ist nur ein erster Schritt. Dem müssen andere folgen, sonst kommt es zu dem, meine sehr verehrten Damen und Herren, was sich bereits signalhaft abzeichnet, nämlich zur Verdrossenheit einer nicht unbedeutenden Gruppe an dieser Gesellschaft, wie sie sich z. B. in einem modernen Hippie-Song dartut. Da ist eine beängstigende Aussage, und ich möchte ihn wenigstens auszugsweise zitieren: „Wenn wir nur noch Affen wären, komm doch wieder schöne Zeit. Je weniger Gehirnzellen, Kleider und was sonst noch belastet, um so länger, um so mehr Frieden und Freiheit." Das sagt heute eine Minorität, die ausweicht, die sich isoliert, weil sie sich isoliert fühlt.
Es sind nicht die Schlechtesten, die sich ihre Antwort auf der Suche nach ihrer Identität so gegeben haben. Es könnte sein, daß dann, wenn wir diese Frage danach, was Jungsein in dieser Gesellschaft heute heißt, nicht beantworten, der Prozeß der Solidarisierung zwischen der kleinen Minderheit und der großen Mehrheit beängstigende Formen annimmt. Dem sollten wir entgegentreten. Für uns ist das, was hier beabsichtigt ist, ein erster Schritt dazu, der jungen Generation ein Feld der Einübung, der Bewährung und der Verantwortung, die wahrzunehmen sie sachlich und persönlich in der Lage ist, zu eröffnen. Wir setzen uns damit und das ist das Zweite, was wir erwarten, und ich denke, quer durch die Parteien erwarten — dem heilsamen Zwang aus, mit dieser jungen Generation das Gespräch zu führen, auf sie zu hören und so zur Weiterentwicklung, zur notwendigen evolutionären Verbesserung unserer Verhältnisse zu finden. Im übrigen meine ich, daß wir auf diesem Wege verhindern, daß eine Majorität der jungen Generation der Manipulation durch eine revolutionäre Minderheit ausgesetzt und ausgeliefert ist.
Mit der Herabsetzung des Wahlalters dokumentieren wir, daß diese Gesellschaft und dieser Staat, repräsentiert durch dieses Parlament, zur Reform fähig sind, und wir bringen unsere Kraft und unseren Willen zur evolutionären Veränderung, d. h. für mich zur Verbesserung der Verhältnisse, zum Ausdruck.
Meine Damen und Herren, wir haben auch hier einem Kollegen zu einer Jungfernrede zu gratulieren.
Wir sollten ihm auch für diesen feurigen Aufruf, Rang und Würde der Jugend zu bedenken, sehr danken.Das Wort hat der Herr Bundesminister Genscher.
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556 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei soviel Zuspruch zu Ankündigungen in der Regierungserklärung bedarf es eigentlich keiner Begründung mehr für die Absichten der Bundesregierung. Bekanntlich hat die Regierung ihren Entwurf nicht nur angekündigt, sie hat ihn am 13. November beschlossen. Wir freuen uns, daß nun, datiert mit dem 14. November, auch ein Entwurf der CDU CSU dem Deutschen Bundestag vorliegt.
Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag kann bei den Beratungen der Entwürfe der Bundesregierung, wenn sie den Gesetzgebungsgang bis hierher durchlaufen haben, und bei der Beratung des Entwurfs der Fraktion der CDU/CSU auf das Hearing zurückgreifen, das im letzten Bundestag abgehalten wurde und das, wie ich finde, eine ausgezeichnete Basis für die Verabschiedung eines Gesetzes zur Herabsetzung des Wahlalters bietet. Insbesondere mit der Feststellung, daß in der politischen Bewußtseinsbildung und im politischen Interesse mit dem 18. Lebensjahr ein einschneidender Wandel sich vollzieht, ist die Rechtfertigung für diese Gesetzesinitiative gegeben. Das war auch der Anlaß, warum die Bundesregierung in der Regierungserklärung die Herabsetzung des Wahlalters auf 18 Jahre zu einer ihrer entscheidenden politischen Forderungen gemacht hat. Es wird hier der Versuch unternommen, den Kreis der in unserer Demokratie Entscheidungsberechtigten auszudehnen, der jüngeren Generation eine frühere Mitwirkungsmöglichkeit in der Demokratie zu geben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?
Bitte sehr!
Herr Bundesminister, damit hier nicht die Gefahr entsteht, daß die Rechte nicht ganz weiß, was die Linke tut, würden Sie bemüht sein, innerhalb der Bundesregierung zu klären, ob der Antrag aus dem Bundesverkehrsministerium, jetzt im Verwaltungswege das Mindestalter für junge Menschen, die im Roten Kreuz mitarbeiten und dort Rettungswagen fahren, von 18 auf 21 Jahre heraufzusetzen, im Lichte dieser Überlegungen aufrechterhalten werden kann? Man erschwert die Arbeit dieser Organisationen. Man sollte doch gerade bei jungen Leuten, die sich für die Demokratie und für unsere Gesellschaft einsetzen wollen, davon ausgehen, daß diese Organisationen selbst entscheiden können, wer fähig ist, ein solches Rettungsfahrzeug zu fahren, wie es bisher der Rechtszustand war. Bisher war es mit 18 Jahren erlaubt.
Herr Kollege, wir sind uns alle darüber im klaren, daß im Zusammenhang mit der Herabsetzung des Wahlalters Altersgrenzen in anderen Bereichen überprüft werden müssen. Ich würde nur davor warnen, meine
Damen und Herren, ein Junktim herzustellen, was dazu führt, daß dieses Anliegen auf die lange Bank geschoben und auch für die nächste Bundestagswahl nicht verwirklicht werden kann.
Herr Bundesminister, damit ich nicht falsch verstanden werde —
Ich habe Sie richtig verstanden.
Hier soll das Mindestalter von derzeit 18 auf 21 Jahre heraufgesetzt werden. Würden Sie bereit sein, da das Rote Kreuz ja auch in Ihre Zuständigkeit fällt, bei Ihrem Herrn Kollegen Verkehrsminister einmal anzufragen, ob diese Bestimmung wirklich im Sinne der Bundesregierung und ihrer Bestrebungen und der Bestrebungen dieses Hauses liegt?
Herr Kollege, ich werde mich der Sache annehmen.
Ich glaube, wir können das für erledigt halten, was Sie eben gefragt haben.
Meine Damen und Herren, es sollte uns allen zu denken geben, daß die Radikalen, die alle möglichen Forderungen für junge Menschen erheben, bezeichnenderweise nicht fordern, das Wahlalter herabzusetzen. Sie haben nämlich das Interesse, eine Distanz zwischen junger Generation und parlamentarischer Demokratie zu schaffen. Unser Ziel ist es hier in diesem Hause, diese Distanz nicht nur zu überwinden, sondern die Jugend an den Staat, an die Demokratie heranzuführen. Wenn es gelungen sein sollte, im Laufe der letzten Monate auf allen Seiten des Hauses eine Bewußtseinsveränderung im Hinblick auf eine Mehrheit für diese Vorlage zu bewirken, begrüßt das niemand mehr als die Bundesregierung, Herr Kollege Rollmann.
- Ja, Herr Kollege Rollmann, ich kenne aber auchdas, was hier in der letzten Legislaturperiode gesagt worden ist.
— Ja. Ich erinnere mich noch genau der Debatte im letzten Bundestag, als der Kollege Dr. Jaeger erhebliche Einwendungen gegen die Herabsetzung des Wahlalters vorbrachte. Wenn jetzt die CSU in dieser Frage sogar weitergeht als die CDU, so kann ich nur sagen: schon in diesem Bereich und in dieser Frage hat sich der Funktionswechsel in der Demokratie gelohnt.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969 557
Herr Minister, gestatten Sie dem Herrn Abgeordneten Roser seine Jungfernzwischenfrage?
Bitte.
Herr Bundesinnenminister, erinnern Sie sich auch an die Unterstellungen, die Ihr früherer Parlamentskollege und jetziger Kabinettskollege Westphal Ihnen gegenüber geäußert hat, als er seinerzeit von wahltaktischen Überlegungen Ihrer Fraktion sprach, und wie denken Sie heute darüber?
Herr Kollege, ich kenne den Kollegen Westphal so gut, daß ich weiß, daß er nicht mit Unterstellungen arbeitet.
Darf ich dann annehmen, daß es keine Unterstellung war, sondern in der Tat eine richtige Umschreibung des seinerzeitigen Verhaltens?
Nein. Wie Sie sich erinnern werden, Herr Kollege, haben wir unseren Gesetzentwurf im Juni 1968 eingebracht. Unsere Entscheidung, dokumentiert durch Vorlage im Deutschen Bundestag, war viel weiter vom Wahltag entfernt als eine entsprechende Erklärung der CDU zum gleichen Thema, die sich allerdings nicht in diesem Parlament in einem Antrag oder gar in der Zustimmung zum Antrag der FDP-Fraktion niedergeschlagen hat.
Das ist der Unterschied zwischen verbalen Erklärungen draußen und dem Gesetzgebungsvorgang hier. — Bitte schön!
Wären Sie dann —
Der Herr Minister hört Sie sicher gern an; aber Sie haben schon zwei Zwischenfragen gehabt.
Darf ich zum Schluß noch darauf hinweisen, daß es nützlich sein wird, zu prüfen, ob wir nicht die Grundgesetzänderung allein vorziehen und die Änderung des Wahlgesetzes zurückstellen sollten, bis die anderen_ notwendig werdenden Änderungen wie etwa Wahlkreiseinteilung etc. möglich sind. Wir würden sonst entweder zweimal das Wahlgesetz ändern müssen oder aber die Grundgesetzänderung unnötig verzögern. Die Bundesregierung wird Gelegenheit nehmen, bei Einbringung des Entwurfs im Deutschen Bundestag ihre Absichten noch einmal ausführlich zu begründen. Wir danken aber jetzt schon der erdrückenden Mehrheit dieses Hauses für die generelle Zustimmung zu unseren Vorstellungen.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Westphal.Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An den Wettlaufübungen beim Einbringen eines Gesetzes über die Herabsetzung des Wahlalters, die sicher legitim sind, will ich mich jetzt nicht beteiligen.Das Herabsetzen des Wahlalters ist eine Materie, die die junge Generation unseres Landes besonders angeht. Sie geht nicht n u r die junge Generation an, aber die jungen Menschen in ganz besonderer Weise. Und da kann es, auch wenn für die Ausarbeitung des Gesetzentwurfs innerhalb der Ressorts der Bundesregierung ein anderer Minister zuständig ist, doch nicht so sein, daß derjenige Minister bzw. sein Vertreter, der innerhalb der Bundesregierung den besonderen Auftrag und die besondere Verantwortlichkeit für eine damit zusammenhängende Teilaufgabe, nämlich für ein Gespräch mit der jungen Generation hat, schweigend zuhört und nichts zu diesem so wichtigen Thema sagt.Es muß also um ein Moment Geduld gebeten werden für den Beitrag aus diesem Hause, zumal wir, die wir Gelegenheit hatten, in der vorigen Parlamentsrunde hier mit dabei zu sein, erlebt haben, daß in den kritischen Situationen der letzten zwei Jahre — als Teile der Jugend in unserem Lande gegen Erstarrungserscheinungen in der Gesellschaft aufbegehrten — der damals für das Ressort Jugend verantwortliche Minister hier schwieg, sich nicht zu Wort meldete. In den Debatten, die die Frage des Wahlalters betrafen, hat er zwar ein Wort gesagt, aber als es um die konkreten Auseinandersetzungen ging, die sich in der Öffentlichkeit in und mit der jungen Generation abspielten, hat er geschwiegen und ist auch draußen kein Gesprächspartner gewesen. Diese Zeit ist nun vorbei. Die neue Bundesregierung hat sich vorgenommen, den Dialog mit der jungen Generation direkt zu führen, diesen Dialog ernst zu nehmen und auch in den Vordergrund ihrer Aufgaben zu stellen. Das heißt, diese Bundesregierung will von der jungen Generation selbst wissen, wie sie sich die Zukunft, in der sie als Erwachsenengeneration leben wird, vorstellt, welche Kritik die junge Generation an gesellschaftlichen Tatbeständen und Entwicklungstendenzen und welche Zielvorstellungen sie hinsichtlich der Praxis und Methoden heutiger Politikgestaltung hat — welche Anregungen, welche Vorschläge und auch welche Wünsche und Forderungen und welche Fragen die jungen Menschen an die in der Verantwortung stehende Generation haben.Diese Bundesregierung möchte dabei aufgreifen, was aufzugreifen möglich ist. Sie will aber auch dann in die Diskussion gehen, wenn die junge Generation Vorschläge und Vorstellungen entwickelt, die nicht in Übereinstimmung mit dem sind, was sich die Regierung vorstellt. Dabei muß die Regierung das Gut, aber auch die Last der Erfahrungen in das Gespräch einbringen. Da Erfahrung ein bremsendes Element ist, gilt es, zur gleichen Zeit dafür zu sorgen, daß das Potential, das in Richtung auf Reformen
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Parlamentarischer Staatssekretär Westphaldrängt, größer wird. Es wird sich dabei ein gegenseitiger Lernprozeß ergeben, der für die zukünftigen Entwicklungen nützlich ist.Dieser Reformwille findet hier in einem ersten Schritt seinen Ausdruck bei der Herabsetzung des Wahlalters. Wir wagen mehr Demokratie, wie es in der Regierungserklärung heißt.
Eine Zwischenfrage, Herr Rollmann.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, diese Ode an die junge Generation, die Sie hier halten, ist außerordentlich begrüßenswert und wird von uns unterstützt. Aber meinen Sie nicht, daß es vielleicht einen anderen Punkt der Tagesordnung im Plenum des Deutschen Bundestages geben könnte, wo Sie eine solche Ode an die junge Generation halten, mit den guten Absichten und Wünschen der Bundesregierung? Davon sind wir doch hier alle überzeugt.
Herr Rollmann, ich habe gestern an anderer Stelle außerhalb dieses Hauses Ihren Versuch erlebt, sich in die Rolle hineinzubegeben, daß Opposition und Jungsein unbedingt einen Zusammenhang hätten, und ich habe dort Ihre Oden erlebt. Wenn Sie das, was ich hier sage, als eine solche einordnen, dann ist dies Ihre Sache. Ich habe den Eindruck: Das ist durchaus eine solche Stelle, an der es einmal zu sagen gilt, was sich diese Regierung in den angesprochenen Fragen vorgenommen hat. Sie waren es doch gerade, der gestern darauf hingewiesen hat, daß es Ihnen nicht schnell genug gehe mit der inhaltlichen Ausfüllung dessen, was die Bundesregierung in Beziehung auf das Gespräch mit der jungen Generation angekündigt hat und in der Regierungserklärung nur in einer Kurzfassung sagen konnte. Deswegen nutze ich diese Gelegenheit. Es geht um den ersten Schritt. Deswegen hoffe ich auf mehr Debatten, in denen dieses Thema erneut und intensiv angesprochen werden kann.
— Herr Rollmann, ich habe auch ein bißchen den Versuch gemacht, vielleicht dieses „überrollmannende" Pathos, das in Ihrer Rede doch auch anklang, mit Westphalschem Pathos zu begegnen. Wenn es Ihnen und vielleicht auch anderen nicht gefallen hat, so möchte ich sagen: ich bin schon am Ende dieses Teils.
Wir wagen mehr Demokratie. Wir machen, wenn wir über die Herabsetzung des Wahlalters sprechen, nicht den Versuch, aus der Kniebeuge heraus mit den jungen Menschen zu reden, sondern wir nehmen sie als junge Erwachsene ernst, auch bezüglich der Verantwortung, die diese jungen Menschen als Achtzehnjährige wahrzunehmen haben.
Ein Wort gilt es hier zu sagen, das in der Debatte bis jetzt noch keine Rolle gespielt hat. Parallel zu diesem Herabsetzen des Wahlalters muß es ein größeres Angebot der Gesellschaft - gerade auch der Regierung — geben an Möglichkeiten für politische Information, ein größeres Angebot an Anregungen zum politischen Mitdenken, zum Interesse-Gewinnen am Mittun in der Politik, zum Vorbereiten auf Entscheidungsfähigkeiten und auch ein Angebot in Richtung auf das Sich-engagieren für Entscheidungen. Wir müssen also in dieser Richtung unsere Aktivitäten setzen. Deshalb spricht hier auch derjenige, der im Jugendministerium Mitverantwortung dafür trägt. Der Großteil der Jungen wird uns in dieser Sache verstehen. Aber es ist sicher noch nicht die überwiegende Mehrheit unseres Volkes, die uns voll zustimmt, wenn dieses Parlament auf Grund der hier geführten Debatten den Entschluß faßt, das Wahlalter herabzusetzen. Das muß man sehen. Auch in dieser Frage muß mit unserer Hilfe ein Lernprozeß vollzogen werden, um draußen die älteren Generationen für das Ja zu dem Entschluß der Herabsetzung des Wahlalters zu gewinnen. Hier haben gerade wir eine Aufgabe. Wir müssen daran erinnern, daß wir jungen Menschen als jungen Erwachsenen in einem sehr frühen Stadium — mit dem 18. Lebensjahr - auch eine ziemliche Last an Pflichten aufladen, z. B. die gewichtige Pflicht des Soldatwerdens.
Lassen Sie uns der eigenen Rolle der jungen Generation mehr Beachtung geben. Es geht um den politischen Status junger Erwachsener. Die Herabsetzung des Wahlalters ist Ausdruck einer mündigen Gesellschaft, in der die Mitbestimmungsrechte ständig wachsen.
Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor.Der Vorschlag der Fraktionen ist, die Vorlage zu überweisen an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß und an den Innenausschuß als mitberatenden Ausschuß. Ist das Haus einverstanden? — Kein Widerspruch, keine Enthaltungen? — Dann ist so beschlossen.Ich rufe als nächsten Punkt auf:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung einer einmaligen Überbrückungszulage— Drucksache VI/84 —Ich habe hier keine Wortmeldungen. Wird auf Begründung verzichtet? — Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Dann ist die Vorlage zu überweisen. Der Vorschlag des Ältestenrates ist: Innenausschuß federführend, Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO. Das Haus ist einverstanden? — Dann ist so beschlossen.Ich rufe auf:Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses— Drucksache VI/85 —
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 15. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. November 1969 559
Vizepräsident Dr. SchmidSind dem Haus die Namen bekannt? — Es ist doch wohl besser, ich lese sie vor.
— Liegen sie vor? Dann ist es gut.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Wahl. Wer für die Wahl der in Drucksache VI/85 genannten Mitglieder des Hauses zu Mitgliedern des Wahlprüfungsausschusses einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle fest, daß das Haus die Damen und Herren einstimmig zu Mitgliedern des Wahlprüfungsausschusses gewählt hat.Dann sind noch die Zollvorlagen zu entscheiden. Ich rufe auf:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
über die von der Bundesregierung beschlossene Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
über die von der Bundesregierung beschlossene Verordnung zur Änderung des Deut-schen Teil-Zolltarifs
— Drucksachen VI/31, VI/36, VI/96 —Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Lange. — Sie verzichten auf den mündlichen Vortrag des Berichts. Wird das Wort gewünscht? — Dann kommen wir zur Abstimmung. Ich glaube, daß wir in einem einzigen Abstimmungsakt über den Ausschußantrag abstimmen können. Der Antrag lautet:Der Bundestag wolle beschließen,den Verordnungen — Drucksachen VI/31, VI/36 — zuzustimmen.Wer damit einverstanden ist, der möge das Handzeichen geben. — Enthaltungen? — Gegenstimmen? — Keine Enthaltung, keine Gegenstimme. Dieser Beschluß ist einstimmig gefaßt.Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der Tagesordnung.Die nächste Plenarsitzung berufe ich auf Mittwoch, den 3. Dezember, 9 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen.