Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren! Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden um die
Wahl der Schriftführer gemäß § 3 der Geschäftsordnung
— Drucksache VI/67 —
Ist das Haus damit einverstanden? — Dann wird dies auf die Tagesordnung gesetzt. Kann ich davon ausgehen, daß wir diesen Punkt gleich vorweg behandeln? — Ich höre keinen Widerspruch. Der Wahlvorschlag liegt Ihnen auf Drucksache VI/67 vor. Widerspruch erhebt sich nicht; dann sind die Schriftführer entsprechend gewählt.
Ich komme damit zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
— Drucksachen VI/49, VI/64 —
Sie beginnt mit zwei Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit. Ich rufe zuerst von Drucksache VI/49 die Frage 32 des Abgeordneten Härzschel auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach die Bundesregierung beabsichtigt, ein Weihnachtsgeld an die Rentner zu zahlen, weil die Preise gestiegen seien, und wie will die Bundesregierung gegebenenfalls diese Zuwendungen in Höhe von ca. 500 Millionen DM finanzieren?
Herr Staatssekretär, ich darf bitten!
Herr Präsident, ich bitte darum, daß ich gleichzeitig mit der Frage 32 des Kollegen Härzschel die Dringliche Mündliche Frage Nr. 1 des Abgeordneten Ruf beantworten darf.
Sie wollen die Frage des Abgeordneten Härzschel, die ich aufgerufen habe, und die Frage 1 des Abgeordneten Ruf aus der Drucksache VI/64 zusammen beantworten? — Die Herren Abgeordneten haben nichts dagegen? — Dann rufe ich zusätzlich die Dringliche Mündliche Frage Nr. 1 des Abgeordneten Ruf auf:
Wer soll die Aufwendungen tragen, die durch die nach Pressemitteilungen von der Bundesregierung beabsichtigte Streichung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrages ab 1. Januar 1970 entstehen?
Bitte sehr!
Ich bitte um Verständnis dafür, Herr Kollege Härzschel, daß ich heute nicht auf Pressemitteilungen und Spekulationen der letzten Wochen und ihre Vorgeschichte eingehe. Ich möchte mich auf den konkreten Beschluß beziehen, den gestern die Bundesregierung gefaßt hat. Er beinhaltet, daß der Rentnerkrankenversicherungsbeitrag in Höhe von 2 % ab 1. Januar 1970 entfallen soll. Das wird sich auf die Bezüge von rund 9 Millionen Rentnern auswirken. Die Belastungen der Rentner durch den Krankenversicherungsbeitrag, die seinerzeit im Zusammenhang mit der Finanzmisere des Bundeshaushalts eingeführt wurden, sind, wie allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses bekannt ist, ein Gegenstand ständigen Ärgernisses und ständiger Anfragen gewesen. Auch die Bundesregierung hat eine Fülle von Eingaben dazu erhalten. Sie sieht sich nunmehr nach Prüfung der finanziellen Möglichkeiten in der Lage, dem Hause vorzuschlagen, diese Belastung abzuschaffen.Zur Frage des Herrn Kollegen Ruf nach den finanziellen Aufwendungen möchte ich folgendes ausführen. Alle Rentner erhalten 1970 insgesamt rund 800 Millionen DM mehr ausgezahlt. Davon kommen auf die Rentner der Arbeiterrentenversicherung 436 Millionen DM, auf die Rentner der Angestelltenversicherung 264 Millionen DM und auf die Rentner der Knappschaftsrentenversicherung rund 92 Millionen DM. Die Mehrausgaben der knappschaftlichen Rentenversicherung gehen zu Lasten des Bundes; die anderen 700 Millionen DM werden von der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten getragen.Die Bundesregierung konnte sich zu diesem Schritt entschließen, weil die Einnahmen der genannten Rentenversicherungsträger höher sind, als der frühere Arbeitsminister in der langfristigen Vorausschau für die Rentenversicherung mitgeteilt hatte. Bei den früheren Vorausschätzungen war beispielsweise eine Erhöhung des durchschnittlichen Bruttojahresentgelts von 7 % für 1969 und 5,3 % für 1970 angenommen worden. Der interministerielle Arbeitskreis für die gesamtwirtschaftlichen Voraus-
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Parlamentarischer Staatssekretär Rohdeschätzungen rechnet dagegen seit längerem mit einer Zuwachsrate von 9,3 % für 1969, die im kommenden Jahr weiter anwachsen wird.Meine Damen und Herren, selbstverständlich werden im Zusammenhang mit der Beratung des Gesetzentwurfes dem Hohen Hause im einzelnen die revidierten Berechnungen vorgelegt. Aus ihnen wird hervorgehen, daß der Vorschlag der Bundesregierung auch langfristig abgesichert ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Härzschel.
Herr Staatssekretär, darf ich trotzdem fragen: Halten Sie es für einen soliden sozialpolitischen Weg, wenn der Herr Arbeitsminister, ohne sich mit dem Finanzminister abzustimmen und ohne Deckung des Kabinetts Vorschläge unterbreitet, die bei Millionen Menschen Hoffnungen erwecken, die dann nicht erfüllt werden können?
Herr Kollege Härzschel, ich darf Ihnen dazu folgendes mitteilen. Die Frage der Überbrückungshilfe war eine Möglichkeit unter anderen, die hinsichtlich ihrer Auswirkung und Praktikabilität in unserem Hause untersucht worden sind. Sie ist durch die Pressemitteilungen bekanntgeworden. Nach reiflicher Prüfung haben wir uns entschieden, den Weg der Beseitigung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags zu gehen, weil er eine dauerhafte Entlastung der Rentner bringt und eine Belastung beseitigt, die seinerzeit, wie Sie wissen, im Zusammenhang mit der Finanzmisere des Bundes eingeführt worden ist.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Härzschel.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir dann zustimmen, daß die jetzige Entlastung, die Sie eben hier dargelegt haben, zu Lasten der Versicherten geht und nur ein Geschenk von den Arbeitnehmern zu den Rentnern hin bedeutet?
Sie führt nicht zu neuen Lasten der Versicherten, sondern wird aus den Mehreinnahmen der Rentenversicherungsträger auf Grund der Entwicklung der Entgelte finanziert.
Jetzt Herr Abgeordneter Ruf zu einer Zusatzfrage.
Herr Kollege Rohde, ist Ihnen nicht bekannt, daß der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner seinerzeit nicht nur, wie Sie sagen, wegen der damaligen Finanzmisere des Bundes eingeführt worden ist, sondern auch mit der notwendigen langfristigen Konsolidierung der Rentenversicherung zusammenhing, und können Sie mir sagen, wie sich die Belastung bis zum Jahre 1985 auswirken wird, nämlich bis zu dem Jahr, das wir dem dritten Rentenversicherungsänderungsgesetz zugrunde gelegt haben?
Ich darf Ihnen sagen, Herr Kollege, daß der Rentnerkrankenversicherungsbeitrag damals im Zusammenhang mit dem Finanzänderungsgesetz eingeführt wurde und daher seinen Bezug zu der Finanzmisere des Bundes im Herbst 1966 hatte.
Ich darf im übrigen darauf hinweisen, daß der Sprecher Ihrer Fraktion in der Debatte über die Regierungserklärung noch einmal ausdrücklich an diesen Zusammenhang erinnert und von dem sozialen Bezug gesprochen hat, den der Rentnerkrankenversicherungsbeitrag im Hinblick auf andere Belastungen aus der damaligen Zeit hatte.
Eine zweite Zusatzfrage.
Darf ich Sie, Herr Kollege Rohde, an den Schriftlichen Bericht des Abgeordneten Schoettle auf Drucksache V/2341 erinnern, in dem ausdrücklich gesagt wird, daß hinter dem Beschluß, einen Rentnerbeitrag zu erheben, zwei Motive stehen, nämlich erstens „die Entlastung des Bundeshaushalts" und zweitens „gleichgewichtig die notwendige Konsolidierung der Rentenversicherung" ?
Herr Kollege Ruf, das Zahlenmaterial, das wir Ihnen für die Beratungen des Gesetzentwurfs, den die Bundesregierung gestern verabschiedet hat, vorlegen werden, wird zeigen, daß dieser Gedanke der Konsolidierung auch für die Zukunft ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt unserer Arbeit ist.
Nunmehr eine Zusatzfrage des Abgeordneten Müller .
Herr Staatssekretär, darf ich im Zusammenhang mit der Frage 32 des Herrn Kollegen Härzschel die Frage wiederholen, die ich dem Bundesminister gestellt habe, die aber nicht von ihm beantwortet worden ist, nämlich: Ist die Bundesregierung bereit, auch den Rentnern aus Steuermitteln — ich sage ausdrücklich: aus Steuermitteln — ein entsprechendes Weihnachtsgeld zu zahlen? Falls nein, warum nicht? Diese Frage ist nicht beantwortet worden. Darf ich sie jetzt Ihnen stellen?
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Bundes-
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Parlamentarischer Staatssekretär Rohderegierung im Zusammenhang mit der Beratung des Gesetzentwurfs im einzelnen die Finanzgrundlagen dieses Entwurfs darlegen wird. In diesem Zusammenhang darf ich anmerken, daß sich der Bund z. B. an den Ausgaben der Knappschaft mit rund 100 Millionen DM beteiligt.
Eine zweite Zusatzfrage.
Die Frage ist damit nicht beantwortet. Aber eine zweite Zusatzfrage —
Sie können die Antwort des Staatssekretärs nicht werten. Sie dürfen nur eine neue Frage stellen.
Herr Staatssekretär, um wieviel Milliarden DM wird sich die Ausgleichszahlung der Angestelltenversicherung an die Arbeiterrentenversicherung bis 1985 erhöhen, wenn man die abgestimmten Schätzungen zum dritten Rentenversicherungsänderungsgesetz zugrunde legt?
Herr Kollege, nach den Vorausschätzungen, die im Sozialbericht 1969 enthalten sind, sollte ein Finanzausgleich zwischen Arbeiter- und Angestelltenversicherung erst im Jahre 1972 und in beträchtlichem Umfang in den folgenden .Jahren stattfinden. Die von mir genannten Sachverhalte haben zur Folge, daß der Finanzausgleich auch bei Wegfall des Beitrags der Rentner zu ihrer Krankenversicherung nicht früher als vorgesehen eintritt. Sie werden das in den Beratungen des Gesetzes an Hand des konkreten Zahlenmaterials erkennen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Varelmann.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung bewußt, daß der Fortfall des Beitrags der Rentner zur Krankenversicherung für die Bezieher von niedrigen Renten relativ wenig einbringt?
Herr Kollege Varelmann, ich darf darauf hinweisen, daß gerade auch die Bezieher geringerer Renten die Belastungen, die mit dem Rentnerkrankenversicherungsbeitrag verbunden sind, oft und hartnäckig kritisiert haben.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Varelmann.
Herr Staatssekretär, berücksichtigen Sie dabei, daß der Bezieher einer Rente von 1100 DM ein Plus von 22 DM hat, der Bezieher einer Rente von 200 DM dagegen nur ein Plus von 4 DM?
Herr Kollege Varelmann, die einzelnen Rentnergruppen sind ja durch diesen Krankenversicherungsbeitrag in den vergangenen Jahren auch unterschiedlich belastet worden. Sie werfen hier eine Frage auf, die über den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag weit hinausgeht und die die allgemeine Sozialgesetzgebung berührt.
Herr Abgeordneter Dr. Böhme!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß in der Rentenversicherung wesentlich langfristiger zu denken ist als bis 1973, und ergibt sich nicht im Rahmen der von Ihnen jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen nach diesem Zeitpunkt eventuell doch eine wesentliche Steigerung der Beitragssätze?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung 7 Herr Kollege, Sie haben völlig recht, daß in der Rentenversicherung langfristig zu denken ist. Ich darf darauf hinweisen, daß meine Fraktion im Sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages nachdrücklich Wert darauf gelegt hat, eine langfristige Rentenfinanzierung zu erreichen. Der Entwurf, den die Bundesregierung im Herbst 1966 für das dritte Rentenänderungsgesetz eingebracht hat, enthielt noch keine langfristige Perspektive. Wir haben damals zusammen, Herr Kollege Katzer, das im Sozialpolitischen Ausschuß aufgearbeitet. In diesen Grundgedanken und Grundlinien einer langfristigen Perspektive wird sich auch die Einpassung dieses Rentnerkrankenversicherungsbeitrags bewegen.
Herr Abgeordneter Katzer!
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, der frühere Arbeitsminister habe Zahlen bekanntgegeben, die sich mittlerweile günstiger darstellten, was wir alle wissen, auf Grund der größeren Zahl von Gastarbeitern und der gestiegenen Lohnkosten.
Ich bitte, eine Frage zu stellen.
Ich frage Sie, Herr Staatssekretär. In der Pressemitteilung gestern sprechen Sie von überschlägigen Berechnungen. Sind das überschlägige Berechnungen Ihres Hauses, oder sind Sie bei der Vorlage des Kabinettsbeschlusses so verfahren, wie ich es damals eingeführt habe, im übrigen mit sehr großer Zustimmung Ihrer Fraktion, daß alle Zahlen, die wir hier vorlegen, nicht kurzfristig, sondern langfristig abgestimmt sein müssen, und zwar nicht nur vom Arbeitsministerium aus,
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Katzersondern auch mit dem Bundesministerium der Finanzen, dem Bundesministerium für Wirtschaft, der Bundesbank und dem Verband der Rentenversicherungsträger? Ist dies hier erfolgt?
Herr Kollege Katzer, ich darf ganz allgemein darauf hinweisen, daß die langfristigen Vorausschätzungen, von denen heute morgen hier mehrfach die Rede war, auch in Zukunft genauso abgestimmt werden wie bisher.
Herr Abgeordneter Katzer! Ich darf nur bitten, daran zu denken, daß Zusatzfragen kurz gefaßt werden sollen.
Sie wird sehr kurz sein. Ich frage, ob diese Zahlen so abgestimmt sind, wie wir das eingeführt haben.
Die Zahlen, Herr Kollege Katzer, die dem Hause für die Beratungen vorgelegt werden, werden genauso abgestimmt sein wie bisher, — natürlich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Kollegen Katzer und den Kollegen von der CDU/CSU bestätigen, daß die notwendige Veränderung der Zahlen dadurch Leingetreten ist, daß durch die Vermeidung der Aufwertung durch die CDU-Mehrheit und Bundeskanzler Kiesinger vor einem Jahr eine Inflationsrate zu berücksichtigen ist, die in den vorherigen Zahlen nicht enthalten war?
Herr Kollege, bei der Fortschreibung der Vorausberechnungen, die im Sozialbericht 1969 vorgesehen sind, ergibt sich die Notwendigkeit, eine ganze Reihe von Daten hinsichtlich der Entgeltentwicklung, der Beschäftigungsquote und auch der von Ihnen genannten Sachverhalte zu berücksichtigen. Das wird für die Beratungen über den Gesetzentwurf, den die Bundesregierung gestern vorgelegt hat, zugrunde gelegt.
Herr Abgeordneter Schmidt !
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß die Diskussion über diese Frage
deshalb etwas länger gelaufen ist und erst gestern der Kabinettsbeschluß erfolgte, weil man sich eben erst genau über das Zahlenmaterial orientiert hat?
Natürlich, Herr Kollege Schmidt , hat das mit eine Rolle gespielt.
Herr Dr. Götz!
Herr Staatssekretär, zu Ihrem Hinweis auf die Beitragsmehreinnahmen und den optimistischen Schlußfolgerungen, die Sie daraus ziehen, möchte ich Sie fragen: trifft es zu, daß im ersten Halbjahr 1969 trotz der Beitragsmehreinnahmen das Defizit in der Arbeiterrentenversicherung immer noch 885 Millionen betrug und nach Aussagen der Bundesbank im Jahre 1969 trotz der Beitragsmehreinnahmen zwischen einer halben und einer Milliarde liegen wird?
Herr Kollege Dr. Götz, die Entwicklung ändert sich schon im zweiten Halbjahr 1969. Soweit es das nächste Jahr angeht, stellt es sich so dar: im Jahr 1970 wird gegenüber den Zahlen, die der frühere Arbeitsminister im Sozialbericht vorgelegt hat, eine Mehreinnahme in der Arbeiter- und Angestelltenversicherung zusammen von rund 2,3 Milliarden DM, insgesamt also ein Überschuß von 2,9 Milliarden DM eintreten. Die Überschüsse für 1971 bis 1973 werden sich entsprechend verändern.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Götz.
Darf ich fragen, Herr Staatssekretär Rohde, ob diese Zahlen, die Sie soeben nannten, und Ihre überschlägigen Berechnungen mit dem Bundeswirtschaftsministerium, dem Bundesfinanzministerium, ,der Bundesbank usw. abgestimmt wurden. Wir haben immer großen Wert darauf gelegt, auch deren Meinung zu hören. Darf ich fragen, ob deren Meinungsäußerung dazu vorliegt.
Herr Kollege Dr. Götz, diesen Schätzungen sind interministerielle Besprechungen und Berechnungen voraufgegangen.
Im übrigen, Herr Dr. Götz, darf ich doch darauf hinweisen, daß diese Entwicklung der Beitragseinnahmen auch dem Kollegen Katzer schon bekannt gewesen ist, als er sich noch im Amt befand. Das ist kein neuer Sachverhalt, der erst in den letzten 14 Tagen zutage getreten ist.
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Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schellenberg.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß der damalige Arbeitsminister bei Einführung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags keine Abstimmung mit dem sogenannten „Abstimmungskreis" vorgenommen hat?
Ich weiß das aus den Verhandlungen der damaligen Tage noch ganz genau, Herr Kollege Schellenberg. Beispielsweise ist auch keine Abstimmung vorgenommen worden, als uns der ursprüngliche Plan der CDU/CSU-Fraktion, den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag auf 4 % festzusetzen, unterbreitet wurde, ebenfalls nicht, als wir dann in den Gesprächen darauf hinwirkten, diesen Beitrag auf 2 °/o zu ermäßigen.
Herr Abgeordneter Franke!
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß nicht die CDU-Fraktion die 4 °/o gefordert hat, sondern Herr Schiller im Finanzkabinett?
Herr Kollege Franke, ich bedaure, daß ich das jetzt so sagen muß, aber Sie fordern das durch Ihre Frage heraus. Ich bitte Sie, einmal die Offenburger Entschließung der Sozialausschüsse der CDU nachzulesen. Da werden Sie in puncto Autorenschaft viel Nachhilfe finden können.
Eine zweite Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, in welcher Höhe werden in diesem Jahre voraussichtlich die Lebenshaltungskosten für Rentner steigen?
Ich glaube, daß diese Frage nicht als Zusatzfrage in den Rahmen der Fragestunde paßt.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie um Verständnis dafür, daß wir hier nicht alle Details, die im Zusammenhang mit dem Entwurf zu behandeln sind und die in Tabellenwerte und Statistiken hineingehen, erörtern können. Ich werde Ihnen diese Antwort schriftlich nachreichen.
Ich glaube auch, daß es eigentlich der Text einer neuen Frage und nicht einer Zusatzfrage wäre.
Herr Abgeordneter von Guttenberg!
Herr Staatssekretär, nach einer Zeitungsmeldung hat Herr Bundesminister Arendt den 2%igen Krankenversicherungsbeitrag der Rentner ein Unrecht genannt. Darf ich also annehmen, daß der Herr Bundesarbeitsminister als ein „Unrecht" ansieht, was Ihre Fraktion seinerzeit mit beschlossen hat?
Herr Abgeordneter von Guttenberg, Sie können nur nach dem Verhalten der Bundesregierung fragen und nicht nach dem Verhalten einer Fraktion.
— Das ist auch ein Fehler.
Herr Kollege Guttenberg, ich will darauf antworten. Wir haben damals keinen Zweifel darüber gelassen, daß wir in diesen 2 °/o eine harte Belastung der Rentner sehen, die seinerzeit in Zusammenhang mit der Finanzmisere beschlossen worden ist, und haben auch als sozialdemokratische Bundestagsfraktion — wenn ich das nun sagen darf — darauf hingewiesen, daß wir nach Wegen suchen würden, um diese Belastung, sobald dies bei der wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklung möglich ist, wieder zu beseitigen.
Eine zweite Frage!
Geben Sie mir recht, Herr Staatssekretär, wenn ich sage, daß ein qualitativer Unterschied zwischen dem Ausdruck „harte Belastung", dem ich zustimmen möchte, und dem Ausdruck „Unrecht" besteht?
Herr Kollege, ich will hier keine Interpretation von Begriffen vornehmen; dann kämen wir nämlich wieder auf das, was der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion den „sozialen Bezug" der Belastungen aus den Jahren 1966/1967 genannt hat. Mir scheint, viel wichtiger als das Abwägen des Gewichts von Worten ist die Sache selbst, die die Bundesregierung hier beschlossen hat.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Es dreht
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Vizepräsident Dr. Jaegersich um die Frage 33 des Abgeordneten Härzschel aus der Drucksache VI/49 und um die Frage 2 des Abgeordneten Ruf aus der Drucksache VI/64:Was gedenkt die Bundesregierung außerdem z. B. bei den Kriegsopfern, den Familien, den Unterhaltshilfeempfängern und bei anderen Gruppen zu tun, um die soziale Symmetrie zu erhalten?Beabsichtigt die Bundesregierung, auch andere Gruppen von Leistungsempfängern — z. B. Kriegsopfer, Bezieher von Kindergeld, Sozialhilfeempfänger, Empfänger von Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz — wirtschaftlich gleichzubehandeln?Der Herr Staatssekretär Reischl beantwortet. Wollen Sie getrennt oder gemeinsam beantworten?
Gemeinsam, wenn ich bitten darf.
Sind die Herren einverstanden? — Gemeinsame Beantwortung.
Zu den beiden Fragen erkläre ich namens der Bundesregierung folgendes. Ein Beitrag zur Krankenversicherung ist durch das Finanzänderungsgesetz 1967 allein für die Rentner der gesetzlichen Rentenversicherung eingeführt worden. Die genannten anderen Leistungsempfänger zahlen — jedenfalls im Zusammenhang mit den ihnen gewährten Leistungen — keinen Beitrag zu ihrer gesetzlichen Krankenversorgung. Die beabsichtigte Streichung des Beitrags bezieht sich somit ausschließlich auf den Kreis der Rentner der Rentenversicherung und stellt diese den genannten Leistungsempfängern nun wieder gleich. Soweit diese Personen zugleich Renten aus der Rentenversicherung beziehen, erfolgt die Streichung des Beitrags natürlich auch für sie.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Härzschel.
Herr Staatssekretär würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß in den genannten Bereichen, z. B. bei den Kriegsopfern seit drei Jahren, keine Anpassung erfolgt ist, beim Kindergeld seit fünf Jahren keine Anpassung erfolgt ist?
Nach den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Rohde ist ja die Streichung des Krankenversicherungsbeitrages darauf zurückzuführen, daß die Preise gestiegen sind. Gilt das nicht auch für die anderen Gruppen?
Hinsichtlich des ersten Teiles Ihrer Frage ist zuzugeben, daß bei den beiden anderen Gruppen in den von Ihnen genannten Zeiten keine Anpassungen erfolgt sind. Das liegt an der dortigen Gesetzgebung. Ich darf daran erinnern, daß von weiten Teilen dieses Hauses schon früher eine laufende Anpassung z. B. der Kriegsopferrenten gefordert worden ist. Wie Sie wissen, wird aber ja auch auf diesen Gebieten - dies ist in der Regierungserklärung angekündigt worden — einiges geschehen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Härzschel.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir in der Meinung zu, daß auch in diesen Bereichen unbedingt etwas geschehen muß, damit die soziale Symmetrie erhalten bleibt? Sind Sie mit mir der Meinung, daß es gerade unter den Sozialhilfe- und den Lastenausgleichsempfängern Personengruppen gibt, die am Ende der sozialen Skala stehen?
Herr Kollege, diese Fragen können doch, wenn man eine solide Finanzgebarung einhalten will, nur für jeden Bereich gesondert und dann in einen großen Zusammenhang gestellt behandelt werden. Sie können von einer Bundesregierung, die erst knapp drei Wochen im Amt ist und ja noch keinen neuen mittelfristigen Finanzplan aufgestellt hat, nicht heute schon verlangen, daß sie bis ins letzte über alle Einzelleistungen Auskunft gibt. Ich darf noch einmal auf die Regierungserklärung hinweisen, in der die einzelnen Erhöhungen genau angekündigt sind. Ich teile Ihre Meinung, daß z. B. die Kriegsopferrenten angepaßt werden müssen. Das wird ja auch geschehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller .
Herr Staatssekretär, habe ich Ihre bisherigen Ausführungen richtig verstanden, wenn ich ihnen entnehme, daß die Bundesregierung einen Unterschied zwischen der Sonderzahlung an die Versorgungsempfänger und den Zahlungen an alle anderen Sozialleistungsempfänger macht?
Aber Herr Kollege, hier handelt es sich doch einfach um zwei verschiedene Dinge. Jede einzelne dieser Zahlungen muß doch getrennt behandelt werden. In dem einen Fall, von dem hier die Rede ist, handelt es sich doch um die Aufhebung einer Notmaßnahme: diese 2 %, die damals wegen der Finanzlage eingeführt worden sind, sollen jetzt wieder gestrichen werden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller .
Ich habe nicht nur nach den Rentnern gefragt, sondern ich habe — ich darf meine Frage insoweit wiederholen — einen Unterschied zwischen ihnen und den anderen Sozialleistungsempfängern, wie Kriegsopfern und all denen, die hier aufgeführt worden sind, gemacht.
Herr Kollege, jetzt nehmen wir einmal das Beispiel der Kriegsopfer. Bei ihnen erfolgt etwas ganz anderes. Bei den Sozialrentnern wird die Rente doch laufend ange-
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Parlamentarischer Staatssekretär Reischlpaßt, und bei ihnen wird dieser Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 2 % gestrichen. Bei den Kriegsopfern muß eine Anpassung erfolgen. Eine solche Anpassung ist vor fünf Jahren zum letztenmal erfolgt. Das ist doch etwas ganz anderes.
Herr Abgeordneter Maucher zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich darf vorweg sagen: Sie meinen nicht vor fünf, sondern vor drei Jahren. Ich möchte hier jetzt aber ganz klar folgende Frage stellen: Sind Sie nicht der Auffassung, daß, wenn die Bundesregierung, was wir durchaus begrüßen, den Rentnern mit Rücksicht auf die Entwicklung — und das scheint das Entscheidende zu sein — einen Ausgleich gewähren will, der gleiche Grundsatz auch für die Kriegsopfer gelten muß? Sind Sie nicht der Meinung, daß die Anpassung damit nichts zu tun hat, sondern daß es sich hier um einen Ausgleich für die Entwicklung handelt, die doch als Begründung für die Zuwendung an die Rentner angeführt wird?
Nein, das ist ganz anders. Eine Zeitlang war, jedenfalls in der Presse, von Ausgleichsleistungen für die Rentner die Rede. Was hier geschieht, ist doch kein Ausgleich für irgend etwas, sondern das ist die Aufhebung einer aus einer Finanzlage geborenen Notmaßnahme, weil dies jetzt eben möglich ist.
— Nein, diese Begründung ist auch nicht gegeben worden.
Herr Abgeordneter Maucher zu einer zweiten Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sagen bei der einen Gruppe, daß die Notmaßnahme aufgehoben werden soll, weil die Gründe, die zu ihr geführt haben, nicht mehr bestehen. Sind Sie nicht der Meinung, daß diese Notmaßnahme auch bei der Verabschiedung des dritten Neuordnungsgesetzes eine entscheidende Rolle gespielt hat und daß dieser Nachholbedarf, der vorhanden war — und zwar auf Grund der Zustimmung Ihrer Fraktion und unserer Fraktion —, eben auch hier ausgeglichen werden muß?
Herr Kollege, das habe ich doch nie bestritten. Ich habe ja gesagt, das muß angepaßt werden. Das braucht man doch jetzt nicht weiter zu begründen. Dort handelt es sich um einen dreijährigen Nachholbedarf und hier um etwas völlig anderes, nämlich um die Aufhebung einer Notmaßnahme.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ruf.
Wie kann es die Bundesregierung verantworten, ausgabewirksame Gesetze vorzulegen, ohne, wie Sie selber sagen, eine Finanzplanung zu haben und ohne Klarheit über die Prioritäten in ihrer Politik geschaffen zu haben?
Herr Kollege Ruf, jetzt schlagen Sie aber eigentlich Ihre eigenen Fragen aus dem Feld. Denn das ist genau das, was ich vorhin gesagt habe. Alle diese Gesetze können — korrekterweise — doch erst vorgelegt werden, nachdem wir uns Klarheit darüber verschafft haben, wie sie bezahlt werden sollen. Das trifft hier doch nicht zu. Die Aufhebung der 2 % belastet den Bundeshaushalt jedenfalls nicht nennenswert.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ruf.
Das halte ich aber für sehr bequem. Sie wissen selber — das steht in Ihrer Vorlage — -
— Ist Ihnen nicht bekannt, daß z. B. über die Knappschaftsversicherung eine Belastung des Bundes eintritt?
Ich bitte um Ruhe. Es war jetzt zum Schluß ganz zweifellos eine Frage.
Herr Kollege Ruf, ich weiß, daß die 92 Millionen DM in den zwei Jahren auf uns zukommen. Sie werden mir aber zugestehen, daß bei einem Haushaltsvolumen von über 80 Milliarden DM, das ja wahrscheinlich auch noch etwas steigen wird, die 92 Millionen DM jedenfalls keine so schreckliche Rolle spielen, dagegen z. B. Milliardenleistungen an andere sehr wohl.
Herr Abgeordneter Franke zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von der Aufhebung von Notmaßnahmen. Wann gedenken Sie denn z. B. das Kindergeld, das seit fünf Jahren nicht angehoben worden ist, anzuheben?
Herr Kollege, ich habe doch schon gesagt: in der Regierungserklärung steht, daß z. B. das Kindergeld erhöht werden soll. Sie werden eine solche Vorlage bekommen. Aber alles zu seiner Zeit.
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446 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. November 1969
Eine zweite Zusatzfrage.
: Darf ich fragen, wann, Herr Staatssekretär?
Das habe ich Ihnen doch die ganze Zeit schon gesagt. Ich muß ja nicht immer dieselbe Frage wieder beantworten. Ich habe Ihnen gesagt: sobald wir einen Überblick darüber haben, was wir im nächsten Jahr leisten können.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, und komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes.
Frage 83 des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Feststellung des ehemaligen amerikanischen Unterstaatssekretärs Rostow, der von einer „gewaltigen isolationistischen Welle" in den Vereinigten Staaten spricht?
Herr Bundesminister, ich darf bitten.
Herr Kollege, der jetzige Universitätsprofessor Eugene Rostow hielt am 20. Oktober 1969 vor der 15. Jahrestagung der Nordatlantischen Gesellschaft in Washington eine Rede, in der er die Perspektiven der politischen und wirtschaftlichen Zukunft für die Nordatlantische Allianz entwirft. Herr Rostow erwähnt die Ansicht mancher Europäer, wonach eigene miltiärische und politische Anstrengungen deswegen nicht nötig seien, weil man sich darauf verlassen könne, daß die Vereinigten Staaten aus offensichtlichem nationalem Interesse verhindern würden, daß Westeuropa in den sowjetischen Machtbereich gelange. Rostow hält diese Ansicht für gefährlich, weil die politische Entwicklung nicht allein von logischen Gesetzen bestimmt werde und in den Vereinigten Staaten zur Zeit eine starke irrationale Strömung zu erkennen sei, die auf Rückkehr in die isolationistische Vergangenheit dränge.
In der Tat ist nicht zu verkennen, daß die isolationistischen Strömungen in den Vereinigten Staaten zunehmen. Einsichtige Kreise mit Überblick über die Weltsituation heben daher immer stärker die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit hervor. In diesem Sinne hat auch Herr Rostow, der zu diesen Kreisen gehört, seine Zuhörer aufgerufen, den Präsidenten Nixon in seinem Widerstand gegen den Isolationismus zu unterstützen. Es komme darauf an, daß auf beiden Seiten des Ozeans die Verantwortung für das Bündnis erkannt und auch getragen wird.
Die Bundesregierung teilt diese Auffassung. Der Bundeskanzler hat daher in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 die Fortsetzung der bisherigen deutschen Politik im Nordatlantischen Bündnis unterstrichen und die Notwendigkeit gemeinsamer Sicherheitsanstrengungen betont. Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß die amerikanische Regierung und das amerikanische Volk weiterhin von der Schicksalsverbundenheit der Vereinigten Staaten und Europas ausgehen, deren Ausdruck die gemeinsame Verteidigung und Sicherheit im Rahmen der Atlantischen Allianz ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg.
Hält die Bundesregierung es für eine realistische Politik, Herr Bundesaußenminister, wenn angesichts des Tatbestandes, den Sie schilderten, wir damit rechnen, daß die Amerikaner wie in der Vergangenheit, so auch in der Zukunft langfristig zu ähnlich großen Anstrengungen im Interesse auch Europas bereit sind? Gehen Sie davon aus, oder müßte nicht auf Grund dieser Erkenntnisse da ein gewisser Wandel im europäischen Denken eintreten?
Herr Abgeordneter, wir gehen davon aus, daß das Interesse der Vereinigten Staaten an gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen gleichbleibend sein wird. Ob das amerikanische Engagement im Zuge strategischer und militärpolitischer Überlegungen in der Zukunft gewisse Änderungen zeigen wird, ist zweifellos nicht mit Sicherheit vorauszusagen; es muß aber Gegenstand ständiger gemeinsamer Überlegungen sein, die das Ziel haben müssen, daß die Gesamtkapazität unseres Verteidigungsbündnisses auf dem Stand bleibt, auf dem sie angesichts der Bedrohung von der anderen Seite bleiben muß.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Bundesaußenminister, könnten Sie Ihre Antwort vielleicht noch etwas ergänzen im Hinblick auf Überlegungen, wie eine realistische deutsche Ostpolitik angesichts der Entwicklungen im Westen, die Sie gerade skizziert haben, aussehen müßte?
Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie gesagt haben: „deutsche Ostpolitik"?
— Sie meinen die Ostpolitik im Zusammenhang mit den Verteidigungsbemühungen?
— Nun, Herr Kollege, unsere Ostpolitik ist eindeutig darauf abgestellt, die Konfrontation in Europa und die Spannungen abzubauen, und das selbstverständlich nicht zuletzt dadurch, daß wir immer wieder vorschlagen, den Stand der Rüstungen auf beiden Seiten der Demarkationslinie zu vermindern, und zwar gleichwertig und gleichzeitig zu vermindern. Wenn uns das gelingt — und das ist das Ziel unserer Politik —, sehen allerdings auch die Bemühungen innerhalb unseres Bündnisses entsprechend aus.
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Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Guttenberg.
Herr Bundesaußenminister, da auch Sie, wenn ich Sie recht verstanden habe, der Meinung sind, daß es eine solche isolationistische Bewegung in Amerika gibt, möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht der Auffassung sind, daß angesichts dieser in Amerika zu beobachtenden Entwicklung eine gewisse Problematik darin zu sehen ist, daß die Bundesregierung dabei ist, einen Vertrag zu unterschreiben, der die Abhängigkeit der Europäer und der Bundesrepublik von Amerika nur verstärken würde.
Sie meinen den NV-Vertrag.
Herr Kollege, der NV-Vertrag hat das Ziel, die Weitergabe von Atomwaffen zu verhindern. Das ist das politische Ziel dieses Vertrages, der damit zugleich dem Ziele dient, die Spannungen und die Gefahren in der Welt zu vermindern. Das ist das politische Ziel, dem wir in voller Übereinstimmung mit unseren Verbündeten zustreben. Letzten Endes ist der Vertrag von den Vereinigten Staaten in Zusammenarbeit mit der Sowjetunion auf Vorschlag eines anderen Staates, wie Sie wissen, konzipiert worden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Guttenberg.
Herr Bundesaußenminister, geben Sie mir recht, wenn ich sage, daß Ihre Antwort keine Antwort war?
Nein, ich gebe Ihnen nicht recht. Diese Antwort war die Antwort auf Ihre Frage.
Herr Abgeordneter Wischnewski!
Her Bundesaußenminister, sind Sie mit mir der Auffassung, daß durch die Nichtunterschreibung des NV-Vertrages die isolationistischen Bestrebungen in den Vereinigten Staaten gegenüber Europa und der Bundesrepublik entscheidend verstärkt würden?
Da die Unterschrift der Bundesrepublik unter diesen Vertrag für die Vereinigten Staaten eine besonders große Bedeutung hat, vermute ich, daß Ihre Ansicht berechtigt ist, Herr Kollege Wischnewski.
Herr Abgeordneter von Wrangel!
Herr Bundesminister, wenn Sie schon von isolationistischen Bestrebungen und Tendenzen sprechen, können Sie dann einmal sagen, was Sie konkret tun wollen, um die europafreundlichen Tendenzen in den Vereinigten Staaten zu mobilisieren?
Ich habe nicht von diesen Tendenzen gesprochen, sondern habe aus der Anfrage eines Kollegen Passagen einer Rede eines amerikanischen Wissenschaftlers übernommen. Das zunächst einmal dazu.
Ich habe in meiner Antwort klar gesagt, daß die Bundesregierung alles daransetzt, die bisherige Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten im Bereich der Verteidigungspolitik auf dem gleichen Stand zu halten wie jetzt. Ich habe ferner gesagt: Die Bundesregierung geht davon aus, daß beide Vertragspartner bei ihrer Zusammenarbeit von der gleichen Überzeugung beseelt sind, von der Überzeugung nämlich, daß es eine Schicksalsverbundenheit zwischen den Vereinigten Staaten und Europa in der Verteidigung ihrer gemeinsamen Interessen und in der Verteidigung ihrer Freiheit gibt. Davon ausgehend glaube ich, daß es überhaupt keinen Anlaß gibt, daran zu zweifeln, daß diese Zusammenarbeit in der Zukunft genauso funktionieren wird wie gegenwärtig und auch von genau dem gleichen gegenseitigen Vertrauen getragen sein wird.
Wenn Sie allerdings glauben, Sie müßten in einem
ganz bestimmten Rhythmus, etwa alle drei Monate
und ich habe jetzt das Gefühl: monatlich —, dieses Vertrauen von den Vereinigten Staaten bestätigt bekommen, dann gehen Sie genau den falschen Weg.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr von Wrangel.
Herr Bundesminister, ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß Sie mir etwas unterstellen, was ich nicht gesagt habe. Ich frage Sie, ob Sie über den NV-Vertrag hinaus — den Sie so bewerten, wie Sie sagten — präzise Pläne haben, um die europafreundlichen Kräfte in den Vereinigten Staaten zugunsten der deutschen Politik zu mobilisieren. Das hat ja nichts mit dem Rhythmus zu tun.
Haben Sie etwa den Eindruck, wir könnten eine Propagandakampagne planen, die in die inneramerikanische Politik eingreift? Wir haben es mit einem Partner zu tun, dem wir volles Vertrauen schenken und dessen Vertrauen in uns wir durch unsere Politik rechtfertigen. Das ist das beste, was wir tun können. Aber etwa Kräfte dieser und jener Art in
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448 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. November 1969
Bundesminister Scheeleinem anderen Land zu stützen, kann ja wohl nicht die Aufgabe einer Regierung sein.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Minister, sind Ihnen Berichte deutscher und europäischer Korrespondenten aus den Vereinigten Staaten bekannt, aus denen hervorgeht, daß das Vertrauen der Vereinigten Staaten in die deutsche und europäische Politik seit dem Regierungswechsel in Bonn zugenommen hat und daß gleichzeitig die isolationistischen Bestrebungen mit diesem Regierungswechsel abgenommen haben?
Herr Kollege, es gibt Meinungen in den Vereinigten Staaten, die dahin gehen, daß die in der Regierungserklärung dieser Bundesregierung definierte Politik eine besonders gute Basis für die Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik darstellt. Ich glaube, darüber sollten wir alle gemeinsam zufrieden sein.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Mattick.
Herr Minister, würden Sie sagen, daß das Auftreten des Herrn Strauß in den Vereinig) ten Staaten während der Regierungsbildung in der Bundesrepublik die isolationistischen Bestrebungen gefördert oder gehindert hat?
Es kommt mir als Vertreter der Bundesregierung nicht zu, das Verhalten einzelner Kollegen des Bundestages zu werten. Ich möchte daher über die Definition „ungewöhnlich" nicht hinausgehen.
Ich komme nunmehr zur Frage 84 des Abgeordneten Kiep:
Wertet die Bundesregierung die völkerrechtliche Anerkennung der „DDR" durch dritte Staaten im Sinne der Erklärung ihrer Vorgängerin vom 30. Mai 1969 als „unfreundlichen Akt" und entspricht die vom Bundesaußenminister nach der Bildung der Bundesregierung an die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland ergangene diesbezügliche Weisung dieser Grundlinie?
Herr Bundesminister, ich darf bitten.
Herr Kollege Kiep, wir haben diese Frage bereits in der Debatte über die Regierungserklärung erörtert. Die Konsequenzen, die die Bundesregierung aus einer eventuellen Anerkennung der DDR durch dritte Staaten ziehen wird, haben wir in Instruktionen an die deutschen Botschafter verdeutlicht. Teile dieser Instruktionen haben Sie — sicher mit der gleichen Überraschung wie ich — in der Presse lesen können. Soweit sie abgedruckt worden sind, sind sie größtenteils sogar korrekt wiedergegeben.
Die Grundlinie unserer Politik ist das Bemühen um die Einheit der Nation im Rahmen einer europäischen Friedensordnung. Diesem Ziel dient auch unsere Absicht, zu vertraglichen Regelungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR zu kommen. Es liegt auf der Hand, daß eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch dritte Staaten während dieses Prozesses eine innerdeutsche Regelung stören und damit gegen unsere Interessen verstoßen würde. Unsere Beziehungen zu dem betreffenden dritten Land würden dadurch einer besonderen Belastung unterworfen. Die Bundesregierung wird in einem solchen Fall ihre Haltung jeweils nach den deutschen Interessen bestimmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kiep.
Herr Bundesminister, erhoffen Sie sich von dieser Instruktion an die Botschafter, die ja an die Regierungen der Länder, bei denen sie akkreditiert sind, weitergegeben werden soll, ein größeres Verständnis für die Lage unseres geteilten Landes, eine stärkere Einwirkung auf die DDR, innerdeutsche Regelungen möglich zu machen und ihnen zuzustimmen, oder befürchten Sie nicht vielmehr, daß diese Note dazu führen kann, daß diese Staaten bei größerem wirtschaftlichem oder politischem Druck oder dem Angebot wirtschaftlicher Vorteile doch den Schritt zur Anerkennung unternehmen, nachdem sie auf Grund der Note den Eindruck gewinnen mußten, daß unsere Interessen durch einen solchen Schritt nicht mehr so stark berührt würden, wie das vorher der Fall war?
Ich kann diese Frage ganz eindeutig beantworten. Ich erhoffe nicht nur ein Verständnis unserer Partner in der Welt, sondern ich sehe Anzeichen dafür, daß dieses Verständnis vorhanden ist, weil nämlich die Politik, die die Bundesregierung in der Frage der Normalisierung der Verhältnisse in Europa, in der Frage der europäischen Friedensordnung und in der Frage der Regelung des Verhältnisses zwischen den beiden Teilen Deutschlands treibt, eine Interessengleichheit mit der Politik der meisten unserer Partnerstaaten in der Welt aufweist. Es ist für unsere Partner in der Welt zum erstenmal sichtbar, daß wir eine dynamischere Politik treiben, die ihren eigenen Vorstellungen über die Veränderungen in Europa entgegenkommt, und das honorieren sie, wie sichtbar ist, auch durch ihr Verhalten in der schwierigen Phase, in die die Bundesrepublik hineingeht.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kiep.
Herr Bundesminister, geben Sie zu, daß diese neue dynamische Politik, von der Sie eben sprachen, im Grunde durch nichts anderes gekennzeichnet ist als dadurch, daß das Wort „unfreundlicher Akt" durch — mit den Worten des Außenministers — „Akt, der weder hilfreich noch freundlich ist" ersetzt worden ist, und glauben Sie,
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Kiepdaß durch diese Änderung lediglich des Vokabularsetwa eine Änderung der Interessenlagen unsererPartnerländer gegenüber der DDR eintreten könnte?
Herr Kollege, Sie haben eins vergessen. Dieser ganze Komplex ist etwas weiter gespannt, als Sie es jetzt dargestellt haben. Es geht ja nicht allein darum, wie unsere Einstellung zum Verhältnis Dritter zur DDR ist, sondern es geht auch darum, was wir in der Regierungserklärung zum direkten Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR gesagt haben. Das sind zwei Seiten, die unmittelbar miteinander zusammenhängen.
Hier haben wir natürlich Hindernisse zu beseitigen versucht, die der Regelung der Beziehungen entgegenstehen.
Herr Abgeordneter von Guttenberg!
Herr Außenminister, was ist der Unterschied zwischen einem „unfreundlichen" Akt, den ein dritter Staat gegenüber der Bundesrepublik vollzieht, und einem Akt, der das Verhältnis der Bundesrepublik zu einem solchen dritten Staat „belastet"?
Wenn Sie wollen, Herr Kollege, ist das eine sprachliche Bereinigung.
Es liegt mir nicht, das Verhalten anderer Länder mit Prädikaten zu versehen, etwa im Sinne des Praeceptor Germaniae.
Es geht hier um die nüchterne Ausdrucksweise für einen Tatbestand.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Guttenberg.
Können wir also davon ausgehen, Herr Außenminister, daß es, da es sich nach Ihren Worten lediglich um eine terminologische und nicht um eine sachliche Änderung handelt, keine sachlichen Unterschiede in der Politik der Bundesregierung, wie sie sich in dem von Ihnen an unsere Missionen herausgegebenen Erlaß darstellt, einerseits und dem Kabinettsbeschluß der vergangenen Regierung vom Mai andererseits gibt?
Nein, ich muß Ihnen widersprechen. Es besteht in der Sache ein Unterschied, und zwar - ich wiederhole es noch einmal — sowohl was die in der Regierungserklärung erwähnte Haltung zum Problem der Beziehungen der beiden Teile Deutschlands zueinander angeht als auch was unsere Wertung der Beziehengen Dritter zur DDR angeht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Blumenfeld.
Herr Minister, welche Weisungen haben Sie gegeben, nachdem in einigen Hauptstädten Europas bekanntgeworden ist, daß die betreffenden Länder mit dem Gedanken umgehen, in der DDR — natürlich wechselseitig - Handelsbüros oder Handelsmissionen einzurichten?
Herr Abgeordneter, in der Regierungserklärung ist ja der Satz enthalten, daß wir die Bemühungen um Handelsaustausch und um kulturellen Austausch nicht schmälern, nicht einschränken wollen. Wir haben bei unseren Freunden in der Welt durch direkte Kontakte und durch eine Demarche, die bei allen Ländern unternommen worden ist, unsere Position auf Grund der Weisung, auf die sich der Kollege Kiep bezogen hat, klargestellt. Dies hat zu dem Ergebnis geführt, das wir erwartet haben.
Daneben laufen zwischen der DDR und auch Ländern in Europa Versuche, Handelsmissionen einzurichten. Man muß das Ergebnis, das hier noch nicht sichtbar ist, abwarten. Ich bin davon überzeugt, daß alle unsere europäischen Freunde den Handelsverkehr mit der DDR in dem Bereich abwickeln, der unseren Interessen nicht entgegensteht.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Blumenfeld.
Würden Sie mir zustimmen, Herr Minister, daß ein Unterschied besteht zwischen den bisherigen Handelskammereinrichtungen und der offiziellen Einrichtung von Handelsmissionen, die ja dann sehr schnell in einen politischen Rang erhoben würden?
Es besteht ganz ohne Zweifel ein Unterschied, wenn sich auch beides unter der Schwelle abspielt, die wir normalerweise in der Vergangenheit als eine Belastung, die wir in irgendeiner Form in unserem Verhältnis berücksichtigen müßten, bezeichnet haben. Ich darf noch einmal wiederholen, daß solche Anzeichen vorhanden sind, aber sie haben sich nicht konkretisiert, und ich nehme auch sicher an, daß sie sich nicht konkretisieren werden.
Herr Abgeordneter Dr. Hallstein!
Herr Bundesminister, fürchten Sie nicht, wenn, wie Sie sagen, die Lockerung unserer Reaktion auf eine Anerkennung durch Drittstaaten zu einer Interessengleichheit zwischen • uns und diesen Drittstaaten führt, daß es eine Inter-
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Dr. Hallsteinessengleichheit ist, die eine Erschwerung der Wiedervereinigung in Freiheit herbeiführt?
Herr Abgeordneter, wir haben seit über 20 Jahren versucht, die Wiedervereinigung in Freiheit zu erreichen. Ich darf ganz nüchtern feststellen, daß dieser Versuch bis heute mißlungen ist, nicht weil wir keine Bemühungen unternommen hätten, sondern er ist durch die Machtkonstellation auf der Welt mißlungen, mit der wir es zu tun haben.
Aber die Wege, die wir bisher gegangen sind, haben sich als unwirksam erwiesen, denn die beiden Teile Deutschlands sind in dieser Zeit weiter auseinandergerückt, der Graben zwischen beiden Teilen Deutschlands ist tiefer geworden. Die Politik der Bundesregierung ist darauf gerichtet, durch eine neue Akzentuierung der Politik alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die beiden Teile Deutschlands sich nicht weiter auseinanderbewegen zu lassen. Das Ziel unserer Politik ist, die Einheit der Nation dadurch zu erhalten, daß wir die Entwicklung sich nicht verschlechtern lassen, sondern den Versuch unternehmen, die beiden Teile Deutschlands auf bestimmten Sektoren wieder etwas näher zueinanderzuführen. Dem dient auch unser Bemühen, jetzt vertragliche Regelungen mit der DDR zu suchen, und dem dient die Politik der Entspannung als Voraussetzung für eine europäische Friedensordnung.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hallstein.
Fürchten Sie nicht, Herr Bundesminister, daß die Erlangung einer völkerrechtlich anerkannten Souveränität durch die DDR das Ergebnis hat, daß die bisher bestehende Möglichkeit der Wiedervereinigung in Freiheit — eine selbstverständlich nur langfristig bestehende Möglichkeit, das gebe ich Ihnen zu — dadurch ganz ausgeschlossen wird?
Die Grundlage unserer Politik ist das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen, an dem wir festhalten. Wir haben den Willen, daß wir daran und an der Einheit der Nation festhalten, ausdrücklich betont. Alles, was wir tun, ist auf dieses Ziel ausgerichtet. Die Wege, die wir gehen, sind neue Wege; man mag darüber streiten, ob sie wirkungsvoller sind als andere Wege. Aber wir gehen sie mit der festen Überzeugung, einen Schritt mehr zu erreichen, als in 20 Jahren der Vergangenheit erreicht worden ist.
Herr Abgeordneter Dr. Marx!
Herr Bundesminister, da Sie eben in einer Ihrer Antworten
die Formel „Entspannung" gebraucht haben, wollte ich versuchen, zur Verdeutlichung zu fragen: Stimmen Sie mit mir überein, daß eine Politik den Begriff „Entspannung" erst dann wirklich verwenden kann, wenn beide Seiten entspannen, weil, wenn nur eine Seite entspannt und die andere nicht, an der Scheidelinie beider eigentlich neue Spannungen entstehen?
Ich stimme Ihnen in dieser Auffassung völlig zu. Aber wir haben nie etwas anderes zur Grundlage unserer praktischen Politik zu machen versucht. Sie werden mir andererseits zugeben, daß in dieser Zeit, in der wir Initiativen in der Zusammenarbeit der Bundesrepublik auch mit den Ländern Osteuropas beginnen wollen, die Voraussetzungen und die Chancen für eine Politik der Entspannung größer sind als vorher. Ich will nicht verhehlen, daß auch die Bildung dieser Bundesregierung eine günstige Voraussetzung für Entspannungsbereitschaft auf der anderen Seite bedeutet. Wir sollten solche Möglichkeiten auf keinen Fall vorübergehen lassen, sondern wir müssen, wenn sich eine Chance zu einer wirklichen Entspannung, die von beiden Seiten gleichermaßen kommen muß — das kann kein einseitiges politisches Bemühen bleiben —, bietet, sie mit Mut und auch mit einem kalkulierten, begrenzten Risiko nutzen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Bach.
Ich möchte zur ursprünglichen Frage zurückkommen, Herr Minister. Sie haben von der Schwelle gesprochen, bei der die deutschen Interessen tangiert werden. Können Sie mir den Unterschied sagen, wo die Schwelle liegt, die Sie in der Regierungserklärung festgelegt haben oder wo wir früher von einem unfreundlichen Akt gesprochen haben?
Ich kann in diesem Zusammenhang wiederholen, Herr Abgeordneter, daß die Bundesregierung in jedem Einzelfall abzuwägen hat, wie ihre Interessenlage berührt ist.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Bach.
Liegt die Schwelle höher oder niedriger als bisher?
Das wird im Einzelfall zu prüfen sein, Herr Abgeordneter.
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Ich rufe die Frage 85 des Abgeordneten Kiep auf:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß die Beziehungsaufnahme dritter Länder mit der „DDR" nicht nur den deutschen Interessen nicht schaden, sondern dazu beitragen würde, ein Element der Spannung auszuräumen?
Herr Kollege, ich habe die Frage 85 sehr wohl durchgelesen und hatte gleich den Eindruck, daß Sie offenbar ein sorgfältiges Aktenstudium über Äußerungen des Vorsitzenden der Freien Demokratischen Partei, die er vor der Wahl gemacht hat, betrieben haben.
Herr Kollege, Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich hier die Politik der Bundesregierung vertrete. Es wird Ihnen aber auch nicht entgangen sein, daß das, was der Vorsitzende der Freien Demokratischen Partei in manchen Bereichen vor der Wahl gesagt hat, auf die Außenpolitik der Bundesregierung Einfluß ausgeübt hat.
— Ich sagte: Die Äußerungen des Bundesvorsitzenden der FDP haben Einfluß gehabt auf die Definierung der Außenpolitik der Bundesregierung. Aber hier vertrete ich ganz streng die Politik der Bundesregierung.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kiep.
Herr Minister, darf man dann davon ausgehen, daß derartige Gedanken, wie Sie sie selber geäußert haben, die ja eine völlig veränderte deutsche Politik in der Frage der Beziehungen dritter Länder zur DDR bedeutet hätten, daß eine derart veränderte Politik, die wir für verhängnisvoll halten würden, nicht die Politik dieser Bundesregierung in der Frage der Beziehungen dritter Staaten zur DDR ist?
Herr Kollege, ich habe sowohl in der Debatte zur Regierungserklärung als auch durch bekanntgewordene Weisungen, als auch durch Ihre zweifellos unterstützenden Fragen hier im Parlament sehr präzise definieren können, was die Politik der Bundesregierung ist; und das ist diejenige, auf deren Boden ich stehe, die ich hier verteidige.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Guttenberg.
Herr Außenminsiter, darf ich nach Ihren Worten also annehmen, daß sich der Einfluß, den Sie in diesem Zusammenhang auf die Politik dieser Bundesregierung ausgeübt haben, darin ausdrückt, daß das
Wort „unfreundlicher Akt" durch das Wort „nicht freundlicher Akt" ersetzt worden ist?
Herr Kollege Guttenberg, Sie dürfen natürlich annehmen, was Sie wollen.
Ich möchte Ihnen Ihr Wohlbehagen auf gar keinen Fall nehmen. Aber ich habe ja eben schon darauf hingewiesen, daß es nicht schwer ist, festzustellen, daß ein Einfluß in manchen Bereichen erkennbar ist — verständlicherweise!
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wienand.
Herr Minister, irre ich, wenn ich bisher von der Selbstverständlichkeit ausging, daß zur Politik auch so etwas wie eine psychologische Einstellung in Worten gehört?
Ich bedanke mich für die Unterstützung, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Gradl.
Herr Bundesminister, darf ich zur Präzisierung fragen: Ist es richtig, wenn ich davon ausgehe — und ich möchte das gern —, — —
Bitte, gehen Sie etwas mehr ans Mikrophon, Herr Abgeordneter Dr. Gradl!
Ist es richtig, wenn ich davon ausgehe — und ich möchte das gern —, daß der Herr Bundesminister Scheel die Auffassung nicht mehr teilt, die der FDP-Vorsitzende früher vertreten hat, daß die Aufnahme diplomatischer Beziehungen fremder Länder zur DDR ihn nicht interessiere?
Herr Abgeordneter, ich habe eben gesagt, welche Politik der Bundesregierung ich vertrete. Sie ist sehr deutlich, und sie ist hier auch noch einmal in den Konturen sichtbar geworden; und das ist die Antwort auf Ihre Frage.
Sie wollen ja hier wohl nur den Bundesminister fragen. Ich nehme an, daß Sie den FDP-Vorsitzenden
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452 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. November 1969
Bundesminister Scheelmöglicherweise noch in einem Privatissimum fragen könnten,
aber der Bundesaußenminister vertritt die Politik der Bundesregierung.
Und Sie als ehemaliges Mitglied des Bundeskabinetts kennen ebenso wie ich die Geschäftsordnung, die besagt, daß alles, was ein Minister einer Regierung zur Politik der Regierung sagt, im Namen der Regierung gesagt ist, und daß alles, was er sagt, sich im Rahmen der Richtlinien hält, die diese Regierung auszuführen hat. Genau daran beabsichtige ich mich zu halten, Herr Kollege.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Gradl.
Herr Bundesminister, stimmen Sie mir darin zu, daß die Politik, die Sie für die Bundesregierung in dieser wesentlichen Frage vertreten, um so wirksamer wahrgenommen werden kann, je überzeugender klar ist, daß sich auch der frühere Sprecher der FDP und Parteivorsitzende Scheel nunmehr persönlich diese Auffassung zu eigen gemacht hat?
Herr Kollege, Sie können ja immer nur die Regierung befragen, für die ich hier stehe, noch nicht einmal den Minister.
Nur die Bundesregierung können Sie hier fragen.
— Fragen an den Kollegen Scheel gibt es nicht in diesem Zusammenhang, Herr Gradl.
Ich habe den Bundesminister gefragt und nicht den Kollegen Scheel!
Bitte der Reihe nach! Jetzt der Herr Abgeordnete Moersch.
Herr Bundesminister, schließen Sie mit mir aus den letzten Fragestellungen der Kollegen von der CDU/CSU, die sich vor allem mit dem Problem des unfreundlichen Aktes befaßt haben, daß sich die CDU/CSU in den letzten Wochen mit dem Begriff der zwei deutschen Staaten in Deutschland angefreundet hat?
Herr Kollege, ich möchte nicht so weit gehen, wie Sie es ausgedrückt haben.
Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Mikat.
Herr Bundesminister, da ich mit Ihnen der Auffassung bin, daß in dieser Fragestunde nur die Bundesregierung befragt werden kann, darf ich nun vielleicht die Frage stellen, ob die Bundesregierung die Auffassung vertritt, daß die Aufnahme von Beziehungen mit der DDR durch dritte Länder den deutschen Interessen schadet —— ja oder nein?
Ich muß leider sagen, Herr Kollege, daß dies eine Zusatzfrage ist, die nicht zu dieser Frage gehört, sondern zur Frage 84 gehört hätte.
Aber ich habe gar keine Bedenken, diese Frage zu beantworten; Herr Kollege, Sie werden das sicherlich nicht vermutet haben.
Ich wiederhole noch einmal, daß die Bundesregierung in einem solchen Fall ihre Haltung ganz allein von der dann gegebenen Interessenlage der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen abhängig macht.
Mit anderen Worten: ich lehne die von Ihnen wieder ,eingeführte Schematik des Verhaltens der Bundesrepublik anderen Ländern gegenüber strikt ab.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mikat.
Darf ich Sie fragen, Herr Bundesaußenminister, ob nicht auch derjenige, der mit Ihnen der Auffassung ist, daß eine schematische Reaktion selbstverständlich nicht im deutschen Interesse liegen kann, dennoch sehr wohl davon ausgehen kann, daß die Aufnahme von Beziehungen mit der DDR durch dritte Länder als solche prinzipiell den deutschen Interessen schadet.
Herr Abgeordneter, das kann er, wenn er will.
Meine Damen und Herren, Sie mögen es bedauern, aber die Fragestunde ist abgelaufen. Die nicht erledigten Fragen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. November 1969 453
Vizepräsident Dr. Jaegerwerden schriftlich beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Dezember 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Kaiserreich Iran zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom VermögenDrucksache VI/16 —Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache VI/66 —Berichterstatter: Abgeordneter Krammig
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen Bericht. Eine mündliche Ergänzung ist nicht notwendig.Nach dem neugefaßten § 77 der Geschäftsordnung wird der Gesetzentwurf über einen solchen Vertrag grundsätzlich nur in zwei Beratungen verabschiedet. Es findet also, wenn das Haus nicht etwas anderes wünscht, keine dritte Beratung statt.Ich rufe daher in zweiter Beratung die Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke Ihnen.Ich komme zur Schlußabstimmung. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Soweit ich sehe, keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.Ich rufe nunmehr Punkt 17 der Tagesordnung auf:Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses— Drucksache VI/62 —Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich nehme an, daß Sie mit diesem interfraktionellen Antrag einverstanden sind. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Mitglieder entsprechend gewählt.Sonstige Punkte der Tagesordnung sind nicht mehr vorhanden. Wir stehen damit am Ende der Sitzung.Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 26. November, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.