Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Zunächst eine amtliche Mitteilung. Für den verstorbenen Abgeordneten Wellmann ist der Abgeordnete Sieglerschmidt am 4. Juni in den Deutschen Bundestag eingetreten. Ich begrüße ihn in unserer Mitte und wünsche ihm Glück und Erfolg in unserem Hause.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft hat am 6. Juni 1969 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Internationale Kontingentierung des Stahlimports in die USA — Drucksache V/4193 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/4314 verteilt.Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 3. Juni 1969 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stücklen, Wagner und Genossen betr. Haushaltsmittel aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache V/4205 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/4339 verteilt.Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen hat am 2. Juni 1969 mitgeteilt, daß der Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen und der bei den Verordnungen Nr. 551/69 und 729/69 mitberatende Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gegen die nachstehenden Verordnungen keine Bedenken erhoben haben:Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung des Rates Nr. 2041/68 vom 10. Dezember 1968 zur Aufstellung einer gemeinsamen Liste für die Liberalisierung der Einfuhr in die Gemeinschaft gegenüber dritten Ländern— Drucksache V/4064 —Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 766/68 in bezug auf die Marge für die Änderung der Ausfuhrerstattung für bestimmte Erzeugnisse auf dem Zuckersektor— Drucksache V/4074 —Verordnung Nr. 551/69 des Rates vom 25. März 1969 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 204/69 zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Gewährung von Ausfuhrerstattungen für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse, die in Form von nicht unter Anhang II des Vertrages fallenden Waren ausgeführt werdenZu den in der Fragestunde der 236. Sitzung des Deutschen Bundestages am 11. Juni 1969 gestellten Fragen des Abgeordneten Dr. Giulini, Drucksache V/4306 Nrn. 92 und 93, ist inzwischen die schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 11. Juni 1969 eingegangen. Sie lautet:Zu Frage 92:Da die gegenwärtige Knappheit an Kokskohle stärker nachfrage- denn angebotsbedingt ist: nein.Im übrigen gibt es für die Schließung von Kokereien keine Stillegungsprämien.Zu Frage 93:Die Zunahme der Nachfrage im Jahre 1969 wird vor allem durch eine höhere Auslastung der Kokereienkapazität gedeckt werden. Außerdem ist mit einer leichten Zunahme der Einfuhr und mit einer weiteren Verringerung der Halden zu rechnen.Auf längere Sicht sind Ersatzinvestitionen bei den Kokereien notwendig. Die Bundesregierung begrüßt daher den Beschluß, eine Ruhrkokerei um eine zusätzliche Kapazität von 600 000 t im Jahr zu erweitern; sie ist ferner der Überzeugung, daß die Ruhrkohle AG die Produktionskapazität auf die Absatzmöglichkeilen abstimmen wird.Zu den in der Fragestunde der 236. Sitzung des Deutschen Bundestages am 11. Juni 1969 gestellten Fragen des Abgeordneten Richarts, Drucksache V/4306 Nrn. 102 und 103, ist inzwischen die schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 11. Juni 1969 eingegangen. Sie lautet:In der Vergangenheit wurden keine Aufträge über geologische, geophysikalische und Bodengrunduntersuchungsarbeiten, die der Bund als Auftraggeber vergab, öffentlich ausgeschrieben. Es ist auch nicht beabsichtigt, solche Arbeiten zukünftig öffentlich auszuschreiben. Vielmehr werden derartige Aufträge des Bundes nach § 3 Abs. 2 der Verdingungsordnung für Leistungen nach beschränkter Ausschreibung vergeben. Sie sind insoweit der Privatwirtschaft zugänglich. In der Vergangenheit sind qualifizierte Unternehmen jeweils zur Abgabe von Angeboten aufgefordert worden.Über die Vergabepraxis der Länder sind keine Einzelheiten bekannt.Es trifft nicht zu, daß die in der Frage 1 genannten Aufträge bisher allein von der Bundesanstalt für Bodenforschung im Inland und Ausland durchgeführt werden. Die BfB wird lediglich im Rahmen ihrer durch Gründungserlaß vom 26. November 1958 festgelegten Aufgaben mit besonderen Aufträgen betraut, die der Bund finanziert.Die in der Frage genannten Untersuchungsarbeiten werden in der Regel nur dann an die BfB vergeben,— wenn die Aufgabe nur mit der Spezialausrüstung oder den Spezialistenteams der BfB gelöst werden kann, oder— wenn besondere Gründe vorliegen, wie z. B. überwiegende Aspekte der Forschung oder Erfordernis der Geheimhaltung.Auch Bodenforschungsarbeiten im Rahmen der Entwicklungshilfe werden zu einem erheblichen Teil im Wege der beschränkten Ausschreibung an private Unternehmen vergeben. Firmen, die sich an solchen Ausschreibungen beteiligen möchten, können ihr Interesse dem Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft in Frankfurt mitteilen.Es trifft nicht zu, daß durch die BfB hochbezahlte Privatgutachten erstellt werden. In Ausnahmefällen, die nach sehr strengen Maßstäben beurteilt werden, wird den Bediensteten der BfB die Erlaubnis zur privatgutachtlichen Beratung erteilt. Die Anzahl derartiger Beratungen wie auch die durchschnttliche Höhe der Honorare sind gering.Dann zur Tagesordnung. Wir haben vorgesehen, jetzt zunächst die dritte Beratung des Lohnfortzahlungsgesetzes vorzunehmen, dann die dritte Beratung des Berufsbildungsgesetzes und, wenn ich recht verstanden habe, anschließend die Fragestunde; danach Schluß der Plenarsitzung und frei für Ausschußsitzungen.Abg. Rasner: Wenn wir noch was erledigen können, ist es gut, Herr Präsident!)— Das können wir immer. Die Frage ist nur, ob wirdas auf Kosten der Ausschüsse, die tagen, wollen.
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13140 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969
Vizepräsident Dr. MommerIch bitte um Klarheit, damit die Vertreter der Bundesregierung sich wegen der Fragestunde auf unsere Arbeit einstellen können. Wir verbleiben also zunächst so, daß wir nach den beiden dritten Lesungen auf jeden Fall die Fragestunde vornehmen. Wann das nach der Uhrzeit sein wird, können wir genau nicht sagen. Aber ich hoffe, daß wir in zwei Stunden so weit sein werden.Ich rufe dann auf;Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle und über Änderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung— Drucksachen V/3983, V/3985 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache V/4318 — Berichterstatter: Abgeordneter Seidelb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit
— Drucksachen V/4285, zu V/4285 —Berichterstatter: Abgeordneter Behrendt Abgeordneter Exner
Ich frage das Haus, ob eine allgemeine Aussprache in dritter Beratung gewünscht wird. — Es wird keine allgemeine Aussprache gewünscht. Dann rufe ich nur die Bestimmungen des Gesetzentwurfs auf, zu denen Änderungsanträge vorliegen. — Ich höre, daß diese Anträge noch nicht verteilt worden sind.
Darf ich vielleicht einen der Herren Berichterstatter bitten, das Haus über die Geschäftslage zu unterrichten. Was liegt an Änderungsanträgen vor, und wie wollen wir jetzt verfahren? Wenn einige Änderungsanträge noch nicht vorliegen, können wir darum nicht müßig sein, sondern müssen vielleicht diejenigen Anträge vorziehen — sofern das sachlich möglich ist —, die vorliegen.Bitte, Herr Abgeordneter Behrendt, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Nach meiner Ansicht kann die dritte Lesung sofort beginnen, denn die Änderungsanträge der FDP sind verteilt. Wir fangen mit dem Grundsatz des § 1 an. Es sind noch andere Anträge zu erwarten, die von der Fraktion der SPD sicherlich noch kommen. Auf jeden Fall kann die Beratung mit der Behandlung des Antrags der FDP-Fraktion auf Umdruck 695 *) beginnen.
Danke sehr. — Das heißt, daß ich jetzt den Art. 1 § 1 und dazu den FDP-Antrag aufrufe. Wird der FDP-Antrag begründet? — Herr Spitzmüller begründet ihn.
*) Siehe Anlage 2
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Um im Sinne der optimistischen Darlegungen des Herrn Präsidenten das Verfahren zu beschleunigen und nach zwei Stunden vielleicht mit den beiden dritten Lesungen fertig zu sein, darf ich nur noch kurz erklären: Die FDP legt Ihnen zu Art. 1 Änderungsanträge zu den §§ 1, 2, 10, 11, 12 und 13 vor, die in einem inneren Zusammenhang stehen. Es geht um das Problem, über das wir uns gestern bereits lange auseinandergesetzt haben. Wer für eine versicherungsrechtliche Lösung ist, stimmt diesem FDP-Antrag zu. Wer für eine arbeitsrechtliche Lösung ist, lehnt ihn ab und beläßt es damit bei den Beschlüssen der zweiten Lesung. Wir haben im Gegensatz zum gestrigen Antrag einige Ergänzungen gemacht, um auch hier klarzustellen — man kann offensichtlich gar nicht deutlich genug sein —, daß selbstverständlich einzig und allein die versicherungsrechtliche Lösung von der Arbeitgeberschaft getragen werden kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Franke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verweise auf das, was ich gestern zu diesem Problem gesagt habe. Herr Kollege Spitzmüller hat, trotz einer kleinen Variante, in diesem neuen Antrag keine neuen Argumente. Ich bitte, den Antrag abzulehnen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 695 , Abschnitt I Ziffern 1, 2 und 3. Wer diesen Anträgen zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich komme zu Abschnitt II des Antrages der FDP- Fraktion: „Artikel 2 wird wie folgt geändert und ergänzt: ... usw. Wird der Antrag begründet? — Herr Spitzmüller hat das Wort zur Begründung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Auch dieses Problem ist bekannt, und es ist gestern ausführlich behandelt worden. Nach allen Erfahrungen der Vergangenheit kommen wir nach wie vor zu der Überzeugung, daß es nicht gut ist, bei dieser Änderung wieder eine feste Versicherungspflichtgrenze festzulegen. Aus diesem Grunde schlagen wir Ihnen heute noch einmal vor, an Stelle einer festen Grenze 65% der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung zu nehmen.Daß dieser Antrag nicht so aus der Welt ist, können wir auch daraus entnehmen, daß die Gesetzentwürfe sowohl der CDU wie der SPD in der Form, in der sie ursprünglich eingebracht waren, von einer prozentualen, d. h. einer dynamischen Versicherungspflichtgrenze ausgingen. Die Erfahrungen der Vergangenheit lehren, daß, wenn Reformen nicht auf dem Fuße folgen, die feste Grenze der Versicherungspflicht bald wieder ins Rutschen kommt und große politische Schwierigkeiten aufwirft. Aus diesem Grunde und weil ein Reformgesetz frühestens
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Spitzmüllerzum 1. Januar 1973 in Kraft treten kann, halten wir die Festsetzung der Grenze von 65 % für absolut gerechtfertigt und bitten um Ihre Zustimmung.
Das Wort zu diesem Antrag wird nicht gewünscht.
Zum selben Punkt liegt ein Antrag der SPD-Fraktion auf Umdruck 697 *) vor. Dazu hat das Wort Herr Professor Schellenberg.
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion beantragt auch in der dritten Lesung, die Versicherungspflichtgrenze ab 1. August dieses Jahres auf 1200 DM festzusetzen. Aus zwei Gründen:
1. Die niedrigere Versicherungspflichtgrenze, die gestern ab 1. August beschlossen wurde, bleibt hinter der tatsächlichen Einkommensentwicklung der Angestellten zurück. Sie ist deshalb gegenüber den Angestellten ungerecht.
2. Die Regelung, die gestern von der Mehrheit des Hauses beschlossen wurde, ab 1. August die Versicherungspflicht- und Beitragsbemessungsgrenze auf 990 DM festzusetzen, wird in Verbindung mit dem Beschluß, die Beitragsobergrenze auf 8% zu fixieren, zu einer unmöglichen Finanzsituation der Kassen führen. Das wird sich schon im Laufe der Monate August und September zeigen.
— Ich fürchte, die Finanzfragen werden, da braucht man kein Prophet zu sein, mit dieser Lesung nicht beendet sein. Es war ein unkluger Beschluß, die Versicherungspflichtgrenze von 990 DM bei einer Beitragsobergrenze von 8 % festzusetzen. Ich sage Ihnen das in Kenntnis der Sachlage. Andere Erklärungen wurden aus dem Handgelenk gegeben und berücksichtigen nicht voll die Finanzsituation der zweitausend Kassen; eine solche Entscheidung sollte das Haus nicht treffen.
Deshalb unser Antrag, die Versicherungspflicht- und Beitragsbemessungsgrenze ab 1. August auf 1200 DM festzusetzen, weil das automatisch die Beitragssituation erheblich verbessert. Das vermeidet Schwierigkeiten, die sonst noch im August und September unabweisbar kommen. Ich warne.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Götz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe hierzu nur wenige Bemerkungen zu machen, denn wir haben gestern über die Frage der Versicherungspflichtgrenze sehr ausführlich diskutiert, und ich habe dem, was meine Kollegen Gewandt und Frau Kalinke dazu gesagt haben, nichts hinzuzufügen. Nur zu einigem darf ich doch noch eine Bemerkung machen. Herr Kollege Professor Schellenberg meinte, daß diese gespaltene Anhebung der Versicherungs-
*) Siehe Anlage 3
pflichtgrenze ab 1. August auf 990 DM und ab 1. Januar auf 1200 DM eine Ungerechtigkeit gegenüber den Angestellten sei. Dem vermag ich nicht beizupflichten. Auch Sie, Herr Professor Schellenberg, haben gestern zu der Frage der Weiterentwicklung der Versicherungspflichtgrenze von sich aus darauf hingewiesen, daß dies wegen der damit verbundenen verschiedenartigen Konsequenzen nur Zug um Zug geschehen kann.
Was nun die Finanzlage der Krankenversicherung betrifft, so ist sie gewiß prekär. Aber ich meine, daß die Zahlen, die der Herr Bundesarbeitsminister gestern hier bekanntgegeben hat, kein Anlaß sind, die Situation so pessimistisch zu beurteilen, wie es geschehen ist. Wir bagatellisieren die kritische Finanzsituation der Krankenversicherung keineswegs, aber wir brauchen sie auch nicht zu dramatisieren.
Wir bleiben bei unserem Antrag und bitten, den Antrag der SPD abzulehnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Spitzmüller.
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich hätte eigentlich eine Frage an den Herrn Kollegen Professor Dr. Schellenberg, nämlich ob er angesichts der Ausführungen, die er hier gemacht hat, seiner eigenen Regierung so wenig zutraut. Es handelte sich letzten Endes um den Arbeitsminister der CDU/ SPD-Regierung
— CDU/CSU- und SPD-Regierung — und nicht den Arbeitsminister einer andersgearteten Koalition. Ich muß also die Frage aufwerfen: Sind Sie eigentlich in der Regierung oder sind Sie es noch oder sind Sie schon draußen, wenn Sie solche Ausführungen machen?
Herr Kollege Schellenberg, ich habe ebenso wie Sie die Sorge, daß bei den Kassen eine schwierige Situation eintritt, obwohl natürlich das, was Sie ausgeführt haben, nur dann zutrifft, wenn die Mehrheit des Hauses Ihrem weiteren Änderungsantrag zustimmt, nämlich das Gesetz am 1. August in Kraft zu setzen, wie es der Ausschuß für Arbeit ursprünglich vorgeschlagen hatte. Wenn das nicht geschieht — das wissen wir letzten Endes erst dann, wenn über den Art. 4 § 9, d. h. über den letzten Paragraphen, abgestimmt ist —, ist die Finanzsituation der Krankenversicherungen nicht so dramatisch, wie Sie sie dargestellt haben.Ich mache Ihnen aber einen Kompromißvorschlag, Herr Kollege Schellenberg: Wenn Sie der Meinung sind, daß der gestrige Beschluß bezüglich der Versicherungspflichtgrenze nicht ausreichend ist, haben Sie ja die Möglichkeit, dem Antrag der FDP-Opposition zuzustimmen.
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Spitzmüller— Oh nein, wir sind sogar einmal 35 DM höher als die SPD, und im Jahre 1973 sind wir 100 DM höher als die SPD, wenn bis dahin noch keine Krankenversicherungsreform durchgeführt ist. Das ist natürlich die Prämisse: wenn sie bis dahin nicht durchgeführt ist. Herr Kollege Schellenberg, ich möchte diese Aufforderung an Sie richten. Denn es scheint eine weitverbreitete Meinung in Deutschland zu sein, daß eine dritte oder eine kleinere Partei im Parlament immer nur die Möglichkeit hat, entweder der einen großen, d. h. der CDU/CSU, oder der anderen großen, der SPD, Recht zu geben. Ich glaube, es wäre gut, wenn auch einmal eine große Partei einer kleinen Partei gegenüber zugäbe, daß ihr Vorschlag eine brauchbare Lösung darstellt, und deshalb dem Vorschlag einer kleineren Partei zustimmte.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Professor Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Spitzmüller, Sie haben oft, insbesondere auch in Ausschußberatungen, erfahren können, daß die Sozialdemokraten und auch die Christlichen Demokraten überzeugenden Argumenten auch der kleinen Oppositionspartei entsprechen.
— Jawohl, das ist jedenfalls der Stil unserer gemeinsamen Arbeit im Ausschuß für Sozialpolitik.
Herr Kollege Spitzmüller, wir können Ihrem Antrag deshalb nicht zustimmen, weil er faktisch dadurch, daß er die Versicherungspflicht bei 65 % Rentenbeitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung dynamisiert, auf Dauer 31/2 Millionen Angestellte außerhalb der Pflicht der gesetzlichen Krankenversicherung läßt.
Das wollen wir nicht. Deshalb sind also diese kleinen Beträge, bei denen Sie über der Pflichtgrenze der CDU liegen, für uns nicht akzeptabel.
Wir bitten um Annahme unseres Antrags.
Herr Kollege Schellenberg, Frau Kalinke würde gerne eine Frage stellen. — Schon zu spät, Frau Kalinke.
Herr Abgeordneter Spitzmüller hat wieder das Wort.
Hochverehrter Herr Kollege Schellenberg, falsche Argumente werden nicht dadurch besser, daß man sie ständig wiederholt.
— Sie haben diese Behauptung gestern schon aufgestellt, und ich hatte Ihnen gestern nachgewiesen und muß es heute wieder tun: Mit Ihrem fixen Betrag von 1200 DM monatlicher Versicherungspflichtgrenze bis zum Zeitpunkt der Reform schließen Sie wenn nicht 3,5, dann 3,4 Millionen Angestellte von der Möglichkeit der gesetzlichen Sozialversicherung aus. Sie dürfen das also nicht so sehr überbewerten. Ich persönlich bin sogar der Meinung, Herr Kollege Schellenberg, daß durch unseren Antrag, wenn er angenommen wird und wenn die Reform im Jahre 1973 nicht in Kraft tritt, dann sogar durch unseren Antrag noch ein paar tausend Angestellte erfaßt werden, die jetzt nach Ihrem Antrag nicht erfaßt werden, wenn sich das Parlament erst im Jahre 1974 oder 1975 zu einer Reform entschließen sollte.
— Herr Kollege Schellenberg, ich bin gar nicht pessimistisch bezüglich der Reform der .Krankenversicherung; ich weiß nur eines: Wenn diese Reform der Krankenversicherung unter Mithilfe der CDU/ CSU oder der FDP geschehen muß, dann wird sie nicht so einfach sein, wie wenn sie die SPD, ausgestattet mit der absoluten Mehrheit, alleine gestalten könnte. Aber eines ist klar: Wenn die CDU/CSU oder die FDP die Reform mitgestaltet, wird diese auch mit Sicherheit nicht so wahnsinnig teuer, wie wenn sie von der SPD alleine gemacht wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe in den letzten Tagen den Kollegen Spitzmüller als glänzenden Debatter schätzen gelernt.
Aber darf ich Sie plagiieren: Argumente werden dadurch nicht wirksamer, daß man sie wiederholt. — Ich habe ein Adjektiv herausgelassen, Herr Spitzmüller.
Ich meine, wenn ich nun vom Speziellen ins Allgemeine kommen darf, meine Damen und Herren, dieses Haus ist im Augenblick in Gefahr, sich selbst, der öffentlichen Meinung und den durch dieses Gesetz Begünstigten und Belasteten, den Betroffenen insgesamt, einen falschen Eindruck von dem zu geben, was hier wirklich zur Entscheidung steht. Ich war gestern schon und bin heute erst recht betrübt über das zeitlich allzu ausgedehnte Hickhack über Details, während es sich hierbei in Wirklichkeit um eine säkulare gesellschaftspolitische Veränderung handelt.
Ich sage das in Richtung auf alle drei Fraktionen. Ich bitte an jene Damen und Herren Kollegen,
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Schmidt
die von diesem Fachgebiet natürlich unendlich viel mehr verstehen als die Masse der Kollegen und als ich
und die natürlich auf ihrem Fachgebiet nun bis in jede letzte Einzelheit ziselieren möchten, appellieren zu dürfen, daß sie durch die Art der Debatte nicht dazu beitragen, daß hier völlig verdunkelt wird, daß zum erstenmal seit — ich weiß nicht wieviel -- 30 oder 40 oder noch mehr Jahren — —
.
— Ja, seit 37 Jahren, so ruft mir Herr Stücklen zu; er muß es wissen, er ist ein Handwerker oder vertritt jedenfalls gewisse Auffassungen — —
— Ja sicherlich, aber Sie sind außerdem noch Elektrohändler, denke ich.
— Lieber Herr Stücklen, ich will ja gerade nicht polemisieren, und Sie wollen es auch nicht. Wir sind uns beide einig. Ich wollte ja Ihren Zwischenruf aufnehmen: Seit 37 Jahren, sagt Herr Stücklen, wird um dieses Problem gerungen. Mir hat hier eben jemand einen Zettel heraufgereicht, aus dem ich ersehe, daß z. B. meine Fraktion, der- ich damals schon angehört habe, im Jahre 1956 erstmalig eine gesetzgeberische Initiative in dieser Richtung hier ergriffen hat.
— 1955 wird mir hier gerade zugerufen.
— Seien Sie doch bitte so lieb, mich diese wenigen Sätze, die niemanden reizen sollen und die an alle drei Fraktionen eine Bitte aussprechen möchten, in Ruhe und ohne Unterbrechung sagen zu lassen.
Dies ist also eine Sache, die seit Jahrzehnten geschwelt hat und die hier heute in Ordnung gebracht wird. Und ich bitte die Damen und Herren Sozialpolitiker, nicht in der öffentlichen Meinung und nicht, was die stark besetzte Pressetribüne des Deutschen Bundestages angeht, einen unzutreffenden Eindruck — —
Einmal im Leben, meine Damen und Herren Journalisten, darf man es wohl sagen: Sie werfen es uns häufig vor, wenn wir nicht ganz vollständig sind; ihr lest dpa, wie ich sehe.
Ich habe alles gesagt, was mir am Herzen lag: Zerredet bitte nicht diese ganz große Sache, die der Deutsche Bundestag heute in dritter Lesung verabschiedet!
Wir kommen zur Abstimmung. Gestern wurde geklärt, daß der Antrag der FDP-Fraktion der weitergehende ist. Wir stimmen zuerst über Abschnitt II Ziffer 1 des FDP- Antrages auf Umdruck 695 ab. Wer diesem Antrag zustimmen will, gebe das Handzeichen! — Danke. Gegenprobe! — Dieser Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen dann über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 697 ab. Wer diesem Antrag zustimmen will, gebe das Handzeichen! — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe Art. 2 Nr. 9 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 695 Abschnitt II Ziffer 2 vor. Herr Spitzmüller begründet den Antrag.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir schlagen Ihnen vor, in § 188 die Absätze 2, 3 und 4 zu streichen. Hier wird eine neue Leistung in die Krankenversicherung eingeführt, die erhebliche Kosten verursacht. Nachdem gestern das Hohe Haus auf Antrag der CDU einstimmig 8% als Obergrenze für die gesetzliche Krankenversicherung beschlossen hat, hat der Herr Bundesarbeitsminister überzeugend dargetan, daß die Finanzmöglichkeiten der gesetzlichen Krankenversicherungen außerordentlich knapp werden. Wir glauben, nachdem wir die Zahlen noch einmal nachgeprüft haben, zu dem Ergebnis kommen zu können, daß bei dieser knappen Finanzdecke, die wir den gesetzlichen Krankenversicherungen gelassen haben, für eine zusätzliche neue Leistung an Gesunde durch die Krankenkasse kein Raum mehr ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann sagen: das ist ein Modell, das ist der Beginn einer Krankenversicherungsreform. Wir können ein Modell oder den Beginn einer Reform in der Regelung der Rückgewährung für nicht benutzte Krankenscheine nicht erkennen. Dieser Weg ist falsch, er führt nicht zur Selbstverantwortung. Die Selbstverantwortung erreichen Sie nur über ein Kostenerstattungs- oder Kostenbeteiligungssystem.Bei der Sachverständigenanhörung haben sich alle Sachverständigen, ob Gewerkschaftler, ob Arbeitgeber, ob Ortskrankenkassen, Innungs- oder Ersatzkrankenkassen, gegen diese Form ausgesprochen. Der Vertreter der Arbeitgeberschaft hat überzeugend dargelegt, daß ein Modellversuch in einem kleinen Bereich, nämlich in einem Großbetrieb mit der Betriebskrankenkasse, zweieinhalb Jahre lang lief und dann schnell abgebrochen werden mußte, weil er zu großen Unzuträglichkeiten innerhalb des Betriebs und auch zu gesundheitlichen Unzuträglichkeiten geführt hatte. Es hatte sich nämlich herausgestellt, daß der Kreis der Begünstigten beinahe zu 90 % immer derselbe war und der vorgesehene Effekt nicht erreicht worden ist. Weshalb wollen wir, wenn ein solcher Versuch negativ verlaufen ist, ihn auf die gesamte Masse aller Versicherten ausdehnen?
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SpitzmüllerMeine Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß diese Absätze aus dem Gesetz gestrichen werden müssen, allein schon im Hinblick auf die finanzielle knappe Ausstattung, die dieses Haus gestern mit den 8 % für die gesetzlichen Krankenversicherungen beschlossen hat.
Das Wort zu diesem Änderungsantrag wird nicht weiter gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über Abschnitt II Ziffer 2 des Antrags der FDP-Fraktion. Wer zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen! — Danke. Gegenprobe! — Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Einige Abgeordnete legen Wert darauf, ihre Stimmenthaltung zum Ausdruck zu bringen.
Ich rufe dann die Nr. 16 auf, zu der ein Änderungsantrag auf Umdruck 695 Abschnitt II Ziffer 3 vorliegt.
Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Bei diesem Antrag handelt es sich darum, daß wir im Gesetz verankert wissen wollen, daß die Angestellten zwischen 1200 DM — der ja nun beschlossenen Versicherungspflichtgrenze für das nächste Jahr — und 1800 DM — der Beitragsbemessungsgrenze im nächsten Jahr — einen gesetzlichen Anspruch auf Arbeitgeberzuschuß haben.
Wir haben mit großer Freude zur Kenntnis genommen, daß CDU/CSU-Fraktion und SPD-Fraktion in einem Entschließungsantrag fordern, daß solche Beiträge, wenn sie freiwillig gezahlt werden, von der Lohnsteuer befreit werden sollten, was bis jetzt leider nur für einen Betrag von 26 DM möglich ist. Ich bin aber der Meinung, daß wir das, was wir im Gesetz regeln könnten, im Gesetz regeln sollten, und hier können wir eben die Lohnsteuerfreiheit für solche Arbeitgeberbeiträge hier und heute regeln.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind uns der Tatsache bewußt, daß dieser Antrag für die Wirtschaft Mehrkosten beinhaltet. Der Herr Arbeitsminister hat hier gestern erschreckende Zahlen genannt, und ich habe erklärt, daß leider nicht feststeht, wie diese Zahlen des Herrn Arbeitsministers zustande gekommen sind. Von welchem Kreis der Anspruchsberechtigten ist er zahlenmäßig ausgegangen? Welcher durchschnittliche Arbeitgeberanteil wurde dabei pro Anspruchsberechtigten veranschlagt? Welche Anzahl von Angestellten entfällt davon auf den Kreis derer, die 900 bis 990 DM monatlich verdienen, welche auf die, die zwischen 990 und 1200 DM verdienen? Wir hoch schätzt die Bundesregierung den Anteil bzw. die Zahl der Angestellten, die auf freiwilliger Basis bereits heute den Arbeitgeberanteil erhalten? Hier gibt es von der Bundesvereinigung der Arbeitgeber und der Versicherungswirtschaft veröffentlichte Zahlen; sie sagen, 50 % bekämen diesen Anteil schon heute.
Also müssen die Zahlen des Arbeitsministers vorab schon einmal um 50 % gekürzt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind uns bewußt, daß dieser Antrag eben die Lücke zwischen der nicht weiter erhöhten Versicherungspflichtgrenze und den anderen Angestellten, die in den Genuß eines Arbeitgeberzuschusses kommen sollten, schließen würde. Selbst wenn die Zahlen, die der Herr Arbeitsminister gestern genannt hat, stimmen würden — ich bezweifle sie und sage: 50 % sind nach den eigenen Verlautbarungen der Arbeitgeberverbände sowieso schon abzuziehen, weil 50 % diesen Zuschuß schon erhalten —, ist in diesen Zahlen zum Ausdruck gekommen, in welchem Rückstand sich die Angestellten in diesem Versicherungsbereich gegenüber den Regelungen, wie sie für die Arbeiter getroffen sind, bisher befand.
Ich glaube, auch das sollte man bei der Abstimmung
über unseren Antrag nicht aus dem Auge verlieren.
Das Wort zu diesem Antrag wird nicht weiter gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Antrag der FDP-Fraktion auf Umdruck 695 Abschnitt II Ziffer 3. Wer zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Im Falle der Ablehnung wird 'auf diesem Umdruck unter Abschnitt II Ziffer 3 ein Eventualantrag gestellt. Wird ,er 'besonders begründet? — Herr Spitzmüller hat das Wort zur Begründung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Bei diesem Antrag— die Ziffern 3 und 4 gehören zusammen — handelt es sich darum, daß durch die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze jetzt neu Angestellte in die Versicherungspflicht hineingenommen werden, die die Möglichkeit haben, sich von der gesetzlichen Versicherungspflicht befreien zu lassen, wie auch Sie das hier beschlossen haben. Diese Angestellten wachsen also in die Versicherungspflicht hinein; sie werden Versicherungspflichtige. Sie können sich befreien lassen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, können sie sich denn befreien lassen, wenn ihnen nicht der gesetzliche Anspruch auf Arbeitgeberzuschuß für die Befreiungsversicherung gegeben 'wird?
Wenn sie sich nämlich befreien lassen, müssen sie die Beiträge selbst aufbringen, es sei denn, der Arbeitgeber ist bereit, aus eigener Initiative die andere Hälfte zu zahlen, die er sowieso zahlen müßte, wenn der Arbeitnehmer in der gesetzlichen Versicherung bliebe.Hier sind wir also der Meinung, ,daß diejenigen, die jetzt versicherungspflichtig werden und sich befreien lassen, nicht dafür bestraft werden sollten, daß sie sich befreien lassen und ihrer Privatkasse, bei der sie waren, die Treue halten. Es ist, glaube
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969 13145
Spitzmüllerich, ein Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit, daß für diesen begrenzten Personenkreis wenigstens der Arbeitgeberanspruch fixiert wird, der so oder so fällig wird, wenn sich der Arbeitnehmer von der Pflichtversicherung erfassen lassen will und keinen Befreiungsantrag stellt.Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag.
Das Wort wird zu diesen Anträgen nicht gewünscht. Wir stimmen dann über den Antrag der FDP Umdruck 695 Ziffer 3 auf Seite 6 und, wenn ich es recht verstanden habe, gleichzeitig über Ziller 4 ab. In Ziffer 4 des Antrags muß übrigens eine Verbesserung vorgenommen werden: Statt „Nr. 24 angefügt" muß es „Nr. 23 angefügt" heißen. Wer diesen Anträgen zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Anträge sind mit großer Mehrheit abgelehnt.
Dann rufe ich Art. 4 auf. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor: Umdruck 695 Abschnitt III von der FDP-Fraktion und Umdruck 6961 von der SPD-Fraktion. Zur Begründung des Antrags der SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Professor Dr. Schellenberg das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag bezweckt das Inkrafttreten der Lohnfortzahlung zum 1. August. Das entsprach den Beschlüssen aller beteiligten
Ausschüsse. Es war auch der Inhalt beider Vorlagen der Regierungsparteien. Das vom Plenum gestern beschlossene Inkrafttreten zum 1. Januar 1970 muß zu einer Enttäuschung der Arbeiter führen, weil ihnen bisher erklärt wurde, das Gesetz trete schon am 1. Juli 1969 in Kraft. Das Inkrafttreten führt weiter — darauf hat auch der Kollege Spitzmüller hingewiesen — zu einer weiteren Erschwernis der Finanzlage der Krankenkassen. Schließlich führt es, wie wir heute morgen im Ausschuß von den Sachverständigen gehört haben, zu einer weiteren Komplizierung der Finanzlage der Rentenversicherung der Arbeiter.
Alle Vorausberechnungen der Bundesregierung gehen davon aus, daß die Arbeiterrentenversicherung am 1. August die Beitragszahlung für Kranke weiter erhält. Dadurch verliert die Arbeiterrentenversicherung 350 Millionen DM.
Wir halten es deshalb für erforderlich, unseren Antrag aus der zweiten Lesung zu wiederholen und beantragen: Inkrafttreten der Lohnfortzahlung am 1. August dieses Jahres.
Wie ich höre, hat sich der Antrag III der FDP-Fraktion auf Umdruck 695 durch vorhergegangene Ablehnung erledigt.
Das Wort zu dem Antrag der SPD-Fraktion wird nicht mehr gewünscht. Dann kommen wir zur Ab*) Siehe Anlage 4
Stimmung über den Antrag der SPD-Fraktion auf Umdruck 696 Ziffer 1. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Der Antrag der SPD-Fraktion auf Umdruck 696 Ziffer 2 ist bereits begründet. Wir stimmen über diesen Antrag ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt. Damit ist auch der Änderungsantrag, der das Inkrafttreten betrifft, erledigt.
Wird noch das Wort gewünscht, bevor wir zur Schlußabstimmung kommen? — Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor der Abstimmung in der dritten Lesung gebe ich im Namen der Fraktion der CDU/CSU folgende Erklärung ab. Nach langen Jahren dies Ringens um eine gesellschaftliche Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten im Fall der Krankheit wird heute mit der Verwirklichung dieses wichtigen Anliegens der Schlußstein dieser Entwicklung gesetzt. Ich bin dem Herrn Fraktionsvorsitzenden der SPD sehr dankbar, daß er in seiner kurzen Zwischenerklärung noch einmal den Grundsatz dieses Gesetzes deutlich gemacht hat. Er hat den Schwerpunkt des gesamten Gesetzes noch einmal hervorgehoben.
Wir haben die Konsequenz aus dem Wandel der Industriegesellschaft gezogen und mit diesem Gesetz die hochqualifizierte Tätigkeit der Arbeiter und ihre Verantwortung in der Wirtschaft anerkannt. Wir sind uns darüber im klaren, daß noch weitere Unterschiede in der gesellschaftlichen Bewertung der Arbeiter und Angestellten beseitigt werden müssen, aber nicht dadurch, daß wir nivellieren, sondern dadurch, daß wir die Arbeiter ihrer Bedeutung entsprechend im gesellschaftlichen Rang anheben. Das ist unser Anliegen: nicht nivellieren, sondern anheben.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es geht — das müssen sich alle diejenigen gesagt sein lassen, die die versicherungsrechtliche Lösung der Lohnfortzahlung wollten — nicht allein um die materielle Gleichstellung. So materialistisch sollte man die deutschen Arbeiter nicht einschätzen. Es geht auch um ihre gesellschaftspolitische Stellung. Aus diesem Grunde bejahen wir es, daß im ersten Teil des Gesetzes die Lohnfortzahlung für kranke Arbeiter für die Dauer von sechs Wochen verankert ist.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hatte es nicht leicht, und sie hat es sich nicht leicht gemacht. Vor allen Dingen die Frage der lohnintensiven Betriebe, der Kleinbetriebe — —
Einen Augenblick, Herr Kollege, darf ich einmal unterbrechen. Eben wurden mir aus der Mitte des Hauses Klagen zugetragen, daß es im Saal so laut sei, daß man den Redner nicht verstehe. Ich bitte doch um etwas
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13146 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969
Vizepräsident Dr. Mommermehr Aufmerksamkeit und Ruhe. Bitte fahren Sie fort, Herr Abgeordneter.
Danke sehr, Herr Präsident.
Ich hatte gesagt, die CDU/CSU hatte es nicht leicht, und sie hat es sich nicht leicht gemacht. Es geht vor allen Dingen um die Frage der lohnintensiven Betriebe, vor allem der Kleinbetriebe, die zweifellos prozentual stärker belastet werden als die Betriebe der Wachstumsindustrie. Alle Versuche, eine andere Bezugsgröße für die Berechnung der sozialen Abgaben zu finden als den Lohn, sind bisher gescheitert, weil sie letzten Endes darauf hinauslaufen, daß alles aus Steuermitteln gezahlt werden würde und damit die Gefahr der Verstaatlichung der Sozialversicherung gegeben wäre. Trotzdem müssen wir im Hinblick auf die Frage der prozentualen Mehrbelastung der lohnintensiven Betriebe weiter prüfen, ob wir hier eine andere Regelung finden. Aber aus dieser Mehrbelastung der arbeitsintensiven Betriebe, insbesondere der Kleinbetriebe, folgt, .daß wir diesen Betrieben den Start für die arbeitsrechtliche Lohnfortzahlung durch den überbetrieblichen Ausgleich für Kleinbetriebe bis zu 20 Arbeitnehmern, mit der Zahlung einer Überbrückungsbeihilfe des Bundes in Höhe von 525 Millionen DM im Laufe von drei Jahren und auch durch die Öffnungsklausel für den überbetrieblichen Ausgleich für alle Betriebe auf freiwilliger Basis erleichtern.
Ein dritter Punkt. Die Reform der Krankenversicherung — ich glaube, darüber ist sich dieses Haus einig — wird Aufgabe des nächsten Deutschen Bundestages sein. Aber im Interesse einer gesunden Krankenkasse war schon jetzt ein Einstieg notwendig. Dabei mußten folgende Grundsätze beachtet werden.
Einmal mußte der Weg zum Arzt für den Versicherten frei bleiben.
Zweitens mußten die Kinder aus wichtigen gesundheitspolitischen Gründen aus möglichen Erstattungsverpflichtungen ausgenommen werden.
Drittens mußten die wirtschaftliche Lage des Rentners und insbesondere die der langfristig Kranken beachtet werden.
Uns scheint, daß das gelungen ist. Die gefundenen Lösungen und die darauf basierenden Erfahrungen müssen bei einer endgültigen Reform der Krankenversicherung beachtet werden.
Die Frage der Versicherungspflichtgrenze war Schwerpunkt dieses Ringens. Darüber ist gestern und zum Teil auch heute noch in diesem Hohen Hause genug diskutiert worden, so daß ich mir jetzt weitere Ausführungen dazu ersparen kann.
Aber, meine Damen und Herren, über diesen ganzen Auseinandersetzungen darf, um es noch einmal zu sagen, der Schwerpunkt dieses Gesetzes nicht vergessen werden, und dieser Schwerpunkt heißt Lohnfortzahlung, heißt gesellschaftliche Anhebung der Arbeiter, die Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten. Wir werten das als eine wichtige sozialpolitische Tat und als eine gemeinsam gelöste Aufgabe dieser Koalition.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Behrendt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gebe ich folgende Erklärung ab.Seit 14 Jahren war die Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfall eine der umstrittensten politischen Fragen im Deutschen Bundestag. Professor Nell-Breuning hat zu diesem Problem einmal gesagt, es gehe hierbei um einen echten Ehrenpunkt für die Arbeiter, die ihre Zurücksetzung gegenüber der Gruppe der Angestellten als ungerechtfertigt und wegen des großen Widerstands, der sich gegen die Lohnfortzahlung wandte, als kränkend empfinden mußten.Die Lohnfortzahlung steht an der vordersten Stelle einer Reihe von Ansprüchen der Arbeiter auf Eingliederung in unsere Gesellschaft. Die Verdienste und die Funktionen der Arbeiter in der Wirtschaft und in unserer Gesellschaft, die unumstritten von jedermann anerkannt werden, machen den krassen Gegensatz ganz besonders deutlich, der zwischen dem Recht und der Leistung der Arbeiterschaft besteht.Nach jahrelangen Auseinandersetzungen beschließen wir heute endlich die Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfall. Das Recht der Arbeiter auf arbeitsrechtliche Lohnfortzahlung ist mehr als nur ein Fürsorgeanspruch gegenüber dem Arbeitgeber. Es ist der Ausdruck des gleichen Rechts aller Menschen. Die durch die Lohnfortzahlung gewonnene Sicherheit des einzelnen Arbeiters wird aber um so größere Bedeutung erhalten, je mehr die Zahl der Arbeiter gegenüber der Zahl der Angestellten absinkt.Wie das heutige Beratungsergebnis bewiesen hat, wurde den Arbeitern seit 1931 — und davor allen Arbeitnehmern — völlig unbegründet die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verwehrt. Ich möchte hier an die Verbissenheit derer erinnern, die sich gegen die Initiativanträge meiner Fraktion im Jahre 1955 und im Jahre 1960 ausgesprochen haben. Bei allem Verständnis für gegenseitige Positionen wird die Zurücksetzung der Arbeiter in der Frage der Lohnfortzahlung eine Sinnlosigkeit, wenn man weiß, daß der Begriff Arbeiter nur noch einen historischen Wert besitzt. Wen wundert es, daß die Industriearbeiter in Schleswig-Holstein unter Führung der Industriegewerkschaft Metall im Jahre 1956 ein sichtbares Zeichen gesetzt haben und durch Streik der Forderung nach Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Nachdruck verliehen haben?Das Lohnfortzahlungsgesetz wird für Arbeiter u. a. folgende Vorteile haben.Erstens. Die Arbeiter haben im Krankheitsfall einen unabdingbaren Lohnfortzahlungsanspruch bis
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969 13147
Behrendtzur Dauer von höchstens sechs Wochen gegen ihren Arbeitgeber. Das ist die arbeitsrechtliche Lösung.Zweitens. Die bisherigen Karenztage für Arbeiter fallen fort.Drittens. Beim Krankenhausaufenthalt erhält der Arbeiter an Stelle des niedrigeren Hausgeldes volle Lohnfortzahlung.Viertens. Der Arbeiter hat einen Lohnfortzahlungsanspruch für Vorbeugungs-, Heil- oder Genesungskuren.Fünftens. Krankheitszeiten mindern nicht mehr die spätere Rente.Sechstens. Die Massenvorladungen von Arbeitern zum Vertrauensarzt hören auf.Siebtens. Von der Rezeptblattgebühr sind befreit a) alle mitversicherten Kinder, b) alle Versicherten mit einer Erwerbsminderung von mindestens 50 %, c) alle Versicherten, die über sieben Wochen hinaus arbeitsunfähig sind, d) weiterhin — wie bisher — Rentner und e) Ehegatten und andere mitversicherte Familienangehörige mit langfristigen Krankheiten.Daß die Lohnfortzahlung für die lohnintensiven Kleinbetriebe, nicht zuletzt auch des Handwerks, Probleme aufwerfen würde, ist von uns immer gesehen worden. Bereits in der ersten Vorlage der SPD zur Lohnfortzahlung hat die SPD deshalb die Forderung ausgesprochen, daß ,die lohnintensiven Kleinbetriebe durch die Lohnfortzahlung keine unzumutbaren Belastungen haben dürfen.
Diese Forderung hat in den 'Beschlüssen zum vorliegenden Gesetzentwurf ihren Niederschlag gefunden.Trotz gewisser Bedenken haben wir der im Gesetz vorgesehenen Regelung einer Übergangshilfe des Bundes in Höhe von 525 Millionen DM an Kleinbetriebe bis zum Jahre 1972 zugestimmt. Das kommt auch darin zum Ausdruck, daß meine Fraktion mit dem Koalitionspartner eine Anregung aus Arbeitgeberkreisen aufgegriffen hat, zusätzlich ein freiwilliges Ausgleichsverfahren in das Gesetz einzufügen.Der sozialdemokratische Bundeswirtschaftsminister Schiller hat im Sommer 1968 die Lohnfortzahlung an Arbeiter im Krankheitsfall in der konzertierten Aktion angesprochen und ihre gesamtwirtschaftliche Bedeutung hervorgehoben. Im Vordergrund des Interesses stand die Verringerung der Lohndrift. Die Lohnfortzahlung als Beitrag zur sozialen Symmetrie scheint geeignet, den Abstand zwischen Tarif- und Effektivlöhnen kleiner werden zu lassen, als sonst in der Konjunktur zu erwarten ist.In der gegenwärtigen Konjunkturlage wirkt die Lohnfortzahlung stabilisierend, da die Sozialversicherung auf Grund dieser Mehreinnahmen auf kostensteigernde Beitragserhöhungen und den Kapitalmarkt störende Vermögensüberlastungen verzichten kann.Es wird von meiner Fraktion nicht übersehen, daß die Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfall der SPD insofern eine hochpolitische Entscheidung abverlangt hat, als es abzuwägen galt, ob die Lohnfortzahlung mit dem von der CDU/CSU geforderten Einstieg in die Krankenversicherungsreform verbunden werden sollte.Die große gesellschaftspolitische Bedeutung, die wir der Lohnfortzahlung zumessen, rechtfertigt die Beschlüsse im krankenversicherungsrechtlichen Teil in bezug auf die Rückerstattung nicht benutzter Krankenscheine und der differenzierten Rezeptblattgebühr.Ich erkläre mit allem Nachdruck für meine Fraktion, daß sie die noch bestehende Differenzierung in der Versicherungspflichtgrenze bei den Angestellten gegenüber den Arbeitern als diskriminierend empfindet und auf ihre baldige Beseitigung drängen wird. Ebenso wird sie die im krankenversicherungsrechtlichen Teil gefaßten Beschlüsse bei der Durchführung der Krankenversicherungsreform einer eingehenden Überprüfung unterziehen.In der Regierungserklärung der Bundesregierung vom Dezember 1966 war die Lohnfortzahlung nicht als zu lösende Aufgabe enthalten. Daß sie dennoch möglich wurde, ist in erster Linie der raschen Erholung aus der Rezession des Jahres 1966, der erfolgreichen Politik unseres Wirtschaftsministers Schiller zu verdanken.
Aus diesem Grunde können wir heute durch die Initiative meiner Fraktion — und durch anerkennenswerte Unterstützung unseres Koalitionspartners —
die arbeitsrechtliche Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfall verabschieden.
Das ist ein großartiger Erfolg der Regierungsparteien in der Großen Koalition,
auch wenn es sachlich geboten gewesen wäre, das Gesetz nicht erst am 1. Januar 1970, sondern, wie wir gefordert haben, bereits am 1. Januar 1969 in Kraft treten zu lassen.
Für uns Sozialdemokraten ist die Verabschiedung dieses Gesetzes ein historischer Meilenstein auf dem seit einem Jahrhundert beschrittenen Weg, aus dem unterdrückten Arbeiter des 19. Jahrhunderts den vollwertigen, gleichberechtigten und gesellschaftlich gleichgestellten Mitbürger in der Leistungsgesellschaft des 20. Jahrhunderts zu machen.
Namens der sozialdemokratischen Fraktion erkläre ich, daß wir dem Gesetz zustimmen.
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13148 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten bedauert, daß es während der zweiten und dritten Lesung nicht möglich war, das Gesetz zu verbessern bzw. den entsprechenden Anträgen der Freien Demokraten zu einer Mehrheit zu verhelfen. Die FDP-Fraktion kommt deshalb zu folgenden Feststellungen:•Dieses Gesetz ist infolge der sogenannten arbeitsrechtlichen Lösung wesentlich teurer und schwieriger zu handhaben als die von uns vorgeschlagene versicherungsrechtliche Lösung. Dabei hätte die versicherungsrechtliche Lösung für die Arbeiter selbst materiell keinerlei Unterschied bedeutet.
10. Dieses Gesetz wird um eine Milliarde teurer als die versicherungsrechtliche Lösung. Ob diese zusätzliche Belastung für die Arbeitgeber, so wie es hier gesagt worden ist, das Sozialprestige der Arbeiter hebt, kann man füglich bezweifeln.
Die Frage des Sozialprestiges hängt von anderen Dingen ab. Wer mit Arbeitern über diese Fragen gesprochen hat und sich nicht durch Resolutionen und Erklärungen hat irritieren lassen, wird feststellen, daß der Arbeiter von der Form der Leistungen im Krankheitsfall überzeugt ist, die ihm a) die größte soziale Sicherheit geben und b) die beste Gewähr geben, daß diese Leistungen in jedem Fall auch gezahlt werden. Das sind die Fragen, die für ihn in erster Linie interessant sind.
Die versicherungsrechtliche Lösung hätte diesem Petitum eher Rechnung getragen als die arbeitsrechtliche Lösung.11. Die möglichen Mehrkosten sind in weiten Bereichen kaum kalkulierbar. Man hätte doch zumindest annehmen sollen, daß die Koalitionsfraktionen sich ihrer Verantwortung auch gegenüber den selbständigen Existenzen bewußt gewesen wären
und sie nicht mit unkalkulierbaren Risiken belastet hätten, wie es mit diesem Gesetz geschieht.
Die vorgesehenen Ausgleichsregelungen, meine verehrten Damen und Herren von der Koalition, tragen dieser Forderung nicht ausreichend Rechnung, zumal doch die beschlossenen Zuschüsse von Jahr zu Jahr sinken sollen. Sie machen doch hier den Betroffenen nur etwas vor.12. Es ist behauptet worden, daß ein Verzicht auf die Besteuerung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall aus systematischen Gründen nicht möglich sei. Im Rahmen einer versicherungsrechtlichen Lösung — das ist offensichtlich bei vielen leider noch nicht verstanden worden — handelt es sich doch um Leistungen aus einem Solidarfonds, und zwar Leistungen in der Höhe, wie sie dem Arbeitnehmer im Falle der Arbeitsfähigkeit direkt durch das Nettoentgelt und indirekt durch die Sozialbeiträge zugute kommen. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß wir doch andere Solidareinrichtungen haben, die nicht steuerpflichtig sind, daß daran aber bisher niemand in diesem Hohen Hause Anstoß genommen hat. Wir zahlen z. B. Sozialbeiträge von der Rentenversicherung an die Krankenversicherung für die Krankenversicherung der Rentner. Wir zahlen von der Arbeitslosenversicherung für die Krankenversicherung Beiträge, ohne daß jemand auf die Idee käme, das müsse dann versteuert werden. Es wäre also möglich gewesen, die Steuerfreiheit zu beschließen. Sie haben diese einfachste und billigste Lösung abgelehnt; aus politischen Gründen wollten Sie sie nicht. Sie sind damit einen Weg gegangen, der uns insgesamt gesehen in der Sache selbst nicht auf dem billigsten Wege dem Ziel zuführt, das wir uns gemeinsam gestellt hatten.13. Von einem „Einstieg in die Krankenversicherungsreform", wie es hier gesagt worden ist, kann doch beim besten Willen keine Rede sein. Das Junktim, das sich die CDU/CSU noch in Berlin gesetzt hatte — Krankenversicherungsreform und Lohnfortzahlung —, ist doch von der CDU/CSU selbst nicht mehr eingehalten worden. Das, was man hier beschlossen hat, kann man doch bestenfalls einen Einstieg in ein Scheinreförmchen nennen. Wir haben die Sorge, daß mit dem, was Sie beschließen, eine wirkliche Krankenversicherungsreform blockiert wird, statt sie voranzutreiben.
Das wechselvollste Spiel, sowohl in der politischen Diskussion wie auch bei den einzelnen Stationen der Entscheidung, hat es um die Beitragsbemessungsgrenze und um die Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung gegeben. Ich will hier nicht das Hin und Her in den Ausschüssen, in der Plenarsitzung mit Vertagung usf. noch einmal darlegen. Wir haben Vorschläge unterbreitet, die bei einer materiellen Gleichstellung des größten Teiles der Angestellten die Wahlfreiheit für die Form der Vorsorge in optimaler Weise gewährleistet hätte. Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, haben uns überrascht, daß Sie auch diesen unseren Antrag abgelehnt und damit deutlich gemacht haben, daß Sie der Zwangsversicherung den Vorzug vor der Wahlfreiheit geben. Das bedauern wir.
Wir müssen feststellen, daß sich die Koalition in traditionellem Recht und — das möchte ich hinzufügen — in traditionellem Ballast gefangen hat, als sie diese Vorschläge ablehnte, statt mit uns einen Schritt nach vorn zu tun und Lösungen zu schaffen, die die Menschen tatsächlich gleichstellen.
Herr Kollege Behrendt, mit dem, was hier geschieht,wird eben keine Gleichstellung von Arbeitern undAngestellten sowie von Angestellten und Arbeitern
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Mischnickerreicht. Unsere Anträge hätten die Erreichung dieses Zieles ermöglicht. Sie haben es verhindert.
— Wenn Sie sagen „Das glauben Sie doch selbst nicht!", dann bitte ich Sie, nachzulesen, was Sie beschlossen haben. Ich habe das Gefühl, im Augenblick wissen Sie gar nicht, daß Sie die Gleichstellung der Angestellten mit den Arbeitern selbst mit abgelehnt haben. Das ist doch das Bedauerliche.
Unser Vorschlag sah eine Einbeziehung der Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung mit vor. Das hätte für die Kassen und für die Versicherten bedeutet, daß sie kontinuierlich Jahr für Jahr bei der allgemeinen Einkommensentwicklung jeweils genau gewußt hätten, wie es mit der Versicherungspflichtgrenze steht.
Die heutigen Beschlüsse werden nach meiner Überzeugung weder die grundsätzlichen Probleme lösen noch dieser Lösung förderlich sein. Wir sind fest davon überzeugt: schon in den nächsten Wochen und Monaten wird, vor und nach Inkrafttreten dieses Gesetzes deutlich werden, daß es zahlreiche Mängel enthält, sichtbare Mängel — die wir durch Anträge zu vermeiden versucht haben — und unsichtbare Mängel, die auch auf die hektische Beratung in den letzten Tagen zurückzuführen sind.
Verantwortlich dafür, daß es überhaupt dazu kam, ist in erster Linie die Bundesregierung, die zwar in großen Ankündigungen von Perspektivplanungen, von mittelfristiger Finanzplanung, von Vorschau, von Konzertierter Aktion und ähnlichem gesprochen hat, die aber diese Kosten, z. B. die viereinhalb Milliarden, weder in die Finanzplanung noch ins Sozialbudget einbezogen hat und die uns in manchen Dingen keine genaue Auskunft über die Entwicklung geben konnte. Die schlechte Gesetzgebung, die wir mit dem Finanzänderungsgesetz vor kurzem schon erlebt haben, ist mit all ihren negativen Erscheinungen hier fortgesetzt worden. Wir haben durch unsere Anträge deutlich gemacht, welche anderen Vorstellungen wir haben mit dem gleichen Ziel der materiellen Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten und — ich wiederhole es — Angestellten und Arbeitern. Sie haben nein dazu gesagt.Wir sehen uns deshalb nicht in der Lage, diesem Gesetz zuzustimmen.Ich beantrage namentliche Abstimmung.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Barzel.
Nur drei kurze Bemerkungen!Herr Kollege Mischnick hat die Argumente wiederholt, die wir aus der ersten Lesung kennen. Diese Argumente sind in der ersten Lesung, in der Ausschußberatung und in der zweiten Lesung widerlegt worden.
Es wird durch Wiederholungen nicht besser, wenn Sie hier die Behauptung von einer „Zwangsversicherung" aufstellen.
Wenn Sie gestern dem zugehört haben, was Frau Kollegin Kalinke gesagt hat, dann, glaube ich, sind Sie völlig im Bilde. Herr Kollege Mischnick — und das ist ein ganz ernster Punkt —, was die deutsche Arbeitnehmerschaft selber hier für richtig hält, das wird sie selber besser zu artikuliern wissen als durch den Mund des Sprechers der Opposition.
Ein Zweites. Herr Kollege- Behrendt, Sie sagten, das sei eine Initiative der Sozialdemokratischen Partei.
— Lassen Sie doch erst einmal!
— Da rief einer: Wahlkampf. Aber der Zuruf kam aus Ihrer Fraktion. Das war eine Abqualifizierung von Herrn Behrendt. Das hat er nicht verdient. Er hat in dieser Sache gut gearbeitet. Aber wären Sie nicht alle glücklicher, wenn Sie den Versuch, auch diese Sache bis zum letzten Augenblick miteinander zu machen, auch bis zum letzten Augenblick fortgesetzt hätten? Jetzt ist es doch nicht so schön für Sie, Herr Behrendt. Deshalb sollten Sie nicht den Fehler machen, sich hier Sachen selber und alleine an den Hut zu stecken. Das ist eine gemeinsame Arbeit,
und ich habe nicht die Absicht, die Politik des Bundeswirtschaftsministers jetzt schlechtzumachen, weil Herr Behrendt sie lobt. Nein, meine Damen und Herren! Aber es ist doch ganz töricht, jetzt eine gemeinsame Arbeit, die keiner zerreden sollte, zu zerreden. Das ist doch nicht gut für uns alle.
Wenn schon gedankt wird, dann danken wir, meine Damen und Herren, dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung,
und wir danken — sehen Sie, das wäre etwas Schönes gewesen, Herr Behrendt! — unserem Freunde Theo Blank,
der als erster aus einer Regierung so eine Vorlage in dieses Haus gebracht hat.Eine Schlußbemerkung!
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13150 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969
Dr. Barzel— Wir sind hier die stärkste Fraktion, Herr Dorn; das haben Sie auch mal erfahren, und Sie würden es ja gern wieder erfahren, nicht?
Meine Damen und Herren, zuletzt ein Blick in dieses Haus und in die Debatte draußen und keine parteipolitische Bemerkung. Man redet von Reformen. Wir führen sie durch, nur zeigen wir, wie schwer es ist, das zu tun. Manch einer hat uns in den letzten Tagen gesagt: Ihr redet jetzt von Finanzen, von Geld, von Belastung und Verteilung. Ja, sonst geht's halt nicht. Hier wird deutlich: Es genügt eben nicht, irgendwann einmal eine Reform zu konzipieren, sondern zwischen die Realisierung und das Konzept sind nun einmal eine große Zahl grauer Alltage mit Werktagsarbeit und die Notwendigkeit gesetzt, sich in Kompromissen zu finden. Nur mit Kompromissen kommt man weiter, meine Damen und Herren. Das war früher so, das ist heute so, und das wird morgen so bleiben. Wenn wir nicht einen Kompromiß für das kleine und mittlere Gewerbe gefunden hätten, hätten wir diese Gesetzgebung heute nicht machen können. Das wollte ich hier doch noch im Hinblick auf diese Töne in der dritten Lesung gesagt haben.
Das Wort hat noch einmal Herr Abgeordneter Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Barzel, die Argumente, die wir gebracht haben, sind nicht widerlegt worden. Es hat sich gezeigt, daß in weiten Teilen unserer Anträge vällige Übereinstimmung zwischen den außerhalb des Parlaments stehenden Sachverständigen und der FDP war. Sie haben wider diesen Sachverstand entschieden.
Zweitens haben Sie in diesem Hause vor wenigen Minuten — offensichtlich haben Sie das übersehen, Herr Kollege Barzel — den Antrag der FDP unter Ziffer 3 abgelehnt, der lautete, daß jedem, der sich freiwillig versichert, der gleiche Arbeitgeberanteil gezahlt wird wie den Pflichtversicherten. Damit werden die Betreffenden daran gehindert, in die freiwillige Versicherung zu gehen, weil sie den Gesamtbetrag selbst zu zahlen haben. Das habe ich Ihnen .gesagt. Ich bedaure, daß Ihre Fraktion diese Haltung eingenommen hat.
Drittens. Das, was ich über die Haltung der Arbeiter zur Lohnfortzahlung sagte, resultiert aus direkten Gesprächen, die wir in vielen Betrieben geführt haben. Es gibt niemanden in dieser Bundesrepublik — —
— Sie sollten einmal von Ihren Kollegen, die das wissen, in den Betrieben, in denen wir gewesen sind, nachrechnen lassen, wie viele das gewesen sind. Sie werden sich wundern. — Es gibt niemanden in dieser Bundesrepublik, der sagen kann, er vertrete mit seiner Meinung alle Arbeiter. Ich habe nicht behauptet, alle Arbeiter seien dieser Meinung, 'sondern die, mit denen wir uns unterhalten haben. Wir sind überzeugt, daß es ein größerer Teil sein wird, als es Ihnen lieb ist.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gar keine Frage, daß wir vor der Verabschiedung eines der bedeutungsvollsten sozialpolitischen Gesetze stehen. Ich bin dankbar, daß nach jahrzehntelangen Bemühungen die Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten im Krankheitsfalle nunmehr verwirklicht werden kann. Herr Kollege Mischnick, wir sind uns absolut darüber im klaren, daß nicht alle Angleichungsmöglichkeiten in einem Prozeß erschöpft werden können. Nur warte ich auf Ihre Hilfe und Unterstützung, daß die Angestellten nicht 40 Jahre lang warten müssen, wie die Arbeiter gewartet haben, bis sie in dieser entscheidenden Frage mit den Angestellten gleichgestellt wurden.
Meine Damen und Herren, ich weiß um die unendlichen Mühen und die Arbeiten, die besonders in den letzten Wochen in den Ausschüssen für Arbeit und Sozialpolitik geleistet wurden. Ich darf mich für die Bereitschaft bedanken, tragbare und vorwärtsweisende Lösungen zu finden. Ich möchte an dieser Stelle den Damen und Herren der Ausschüsse für Arbeit und Sozialpolitik, insbesondere den Vorsitzenden, Herrn Professor Dr. Schellenberg und Herrn Kollegen Müller , meinen herzlichen Dank für diese Arbeit aussprechen.
In der hin und her wogenden Diskussion von gestern und angesichts der zahlreichen Änderungsanträge war es nicht ganz einfach, noch die Ziele und Auswirkungen der anstehenden Gesetze voll zu übersehen. Deshalb möchte ich hier mit ganz wenigen Worten die Kernpunkte des Gesetzes noch einmal herauszustellen versuchen.Erstens. Bei allen Einzelproblemen muß die Zielsetzung, die die beiden Koalitionsparteien im Auge haben, immer wieder deutlich gesehen werden. Es geht, Herr Kollege Mischnick — und das zeigt, daß Sie eine andere Wellenlänge haben — um die Beseitigung überholter Unterschiede im gesellschaftlichen Status der Arbeiter und Angestellten. Es geht darum, daß Rang, Würde und Stellung des Arbeiters in dieser unserer industriellen Gesellschaft nicht schlechter gewertet werden als Rang, Würde und Ansehen des Angestellten.
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Bundesminister KatzerDenn die bisherige Position des Arbeiters im Krankheitsfalle ist in einer modernen Industriegesellschaft überholt. Sie stammt aus dem vorigen Jahrhundert. Sie, die Sie so gern „Zöpfe" abschneiden wollen, hätten hier die Chance gehabt, einen wirklich ganz alten „Zopf" abzuschneiden.
Meine Damen und Herren, ich möchte ein zweites sagen.
— Da geht es mir wie Herrn Kollegen Scheel, Herr Kollege; bei dem ist da nicht viel mehr abzuschneiden. Hier befinden wir uns in derselben Lage, würde ich meinen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine zweite Bemerkung machen, die mir von Bedeutung zu sein scheint. Die Arbeiter haben die bisher praktizierte Handhabung der Vorstellung beim vertrauensärztlichen Dienst zu Recht als diskriminierend und Unrecht empfunden. Das soll jetzt geändert werden. Die bisherigen Massenvorstellungen sollen wegfallen. Jeder Arbeiter wie Angestellte kann und soll gezielte und individuelle Spezialuntersuchungen erwarten.Diese Regelungen liegen ganz im Zuge einer gesellschaftlichen Entwicklung, in der über den sozialen Status des einzelnen nicht etwa der Stand, das Herkommen oder Privilegien, sondern allein und ausschließlich die Leistung entscheidet. In die Reihe dieser Gesetze gehört nicht nur das Gesetz über die Lohnfortzahlung, sondern es muß im Zusammenhang mit dem Arbeitsförderungsgesetz, dem Berufsbildungsgesetz, das gleich verabschiedet wird, und unseren Bemühungen um verstärkte Rehabilitation gesehen werden.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich drittens noch eine Bemerkung zu den finanziellen Auswirkungen machen, Herr Kollege Mischnick, weil Sie fast nur die finanziellen Auswirkungen gestern und auch heute in den Mittelpunkt Ihrer Überlegungen gestellt haben. Ich habe dazu schon in der ersten Lesung Stellung genommen. Aber offenbar haben Sie meine Ausführungen nicht ganz gelesen. Deshalb möchte ich wenigstens noch eine Bemerkung zu diesem Punkt machen.Seit Oktober vorigen Jahres liegen alle Zahlen auf dem Tisch. Diese Zahlen sind mit allen Beteiligten, den Arbeitgebern und den Gewerkschaften, abgestimmt. Sie sind vor allem in eine gesamtwirtschaftliche Kreislaufbetrachtung eingearbeitet. Deshalb, Herr Kollege Mischnick, müssen wir zwischen den rechnerischen Mehrkosten der Lohnfortzahlung auf der einen Seite und der effektiven Belastung der Wirtschaft auf der anderen Seite unterschdiden. Nach dieser Rechnung, die allen bekannt ist und die Sie selbst zitiert haben, würde die Lohnfortzahlung 1969 4,2 Milliarden DM rechnerische Kosten verursachen. Darin stimmen wir überein. Die Zahl hatten Sie vorhin ebenfalls genannt. Diese Größenordnung gilt auch für das Jahr 1970, weil die Unternehmen beim Beitrag zur Krankenversicherung entlastet werden.Die Erhöhung der Einkommensgrenzen bei der gesetzlichen Krankenversicherung auf 1200 DM wird im Jahre 1970 einen rechnerischen Mehraufwand von rund 1,6 Milliarden DM erfordern. Diese Zahlen, Herr Kollege Mischnick — jetzt kommt der Punkt, um den es mir geht und den ich gern klarstellen möchte —, besagen aber noch nichts über die tatsächliche Belastung, die die Unternehmen mit Inkrafttreten des Gesetzes zu tragen haben, und zwar deshalb nicht, weil bei einer Erhöhung der Lohnkosten auf der einen Seite zwangsläufig eine Minderung der Ertragsteuern auf der anderen Seite eintritt. Das muß in diese Berechnung mit einbezogen werden.Lassen Sie mich eine vierte Bemerkung machen, meine Damen und Herren. Für die Einführung der Lohnfortzahlung gab es bereits im Vorjahr eine klare verteilungspolitische Begründung. Die Löhne blieben im Aufschwung stark hinter den Gewinnen zurück. Das gilt auch heute noch. Das Ergebnis ist, daß die Effektivlöhne den Tariflöhnen gegenwärtig weit vorauseilen. Und hier möchte ich sagen, meine Damen und Herren: Wenn die Wirtschaft dank der guten Marktlage und der Produktivität bereit ist, freiwillig höhere Lohnkosten auf sich zu nehmen, dann wird, glaube ich, der Gesetzgeber erwarten dürfen, daß sie ihren Beitrag zur Verwirklichung eines längst überfälligen Gesetzgebungsverfahrens ihrerseits ebenfalls leistet.Meine Damen und Herren, noch eine fünfte Bemerkung zur Verzahnung mit der Rentenversicherung. Herr Kollege Schellenberg. Sie haben auf die 500 Millionen hingewiesen, die uns in dieser Phase durch die Verschiebung des Inkraftsetzungstermins vorerst fehlen, die aber auf die Berechnung bis 1985 keine so große Auswirkung haben. Aber ich werde natürlich sofort die Neuberechnungen vornehmen lassen, um für die Verabschiedung des Dritten Rentenversicherungsänderungsgesetzes die auf Grund dieses Tatbestandes veränderten Daten auf den neuesten Stand zu bringen.Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung hinzufügen. Wir sind uns darüber klar, daß wir einen Einstieg in die Reform der sozialen Krankenversicherung gemacht haben, einen ersten, wenn Sie so wollen, bescheidenen Schritt. Ich will das hier gar nicht überbewerten. Aber Sie sehen schon bei diesen Schritten, wie schwer es ist, in diesem Hohen Hause eine Mehrheit für solche Gesetzesvorhaben zu finden. Deshalb meine ich, es ist sehr viel sinnvoller und besser, zuerst einen Anfang zu machen, als daß wir überhaupt nichts machen. Wir werden jedenfalls auf Grund der praktischen Maßnahmen in der Reform der sozialen Krankenversicherung in ein oder zwei Jahren genau wissen, welche praktischen Erfahrungen wir gesammelt haben, und dann wird es notwendig sein — das ist das harte Problem —, mit allen Beteiligten, mit Ärzten, Apothekern, Krankenkassen, Krankenhäusern und mit der Arzneimittelindustrie, in einen Dialog zu kommen, um die zweite
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Bundesminister Katzer Stufe der Reform der sozialen Krankenversicherung anzufangen und zu einem guten Ende zu führen.Diejenigen, meine Damen und Herren, die glauben, mit dieser heutigen Verabschiedung sei etwa die Krankenversicherungsreform auf lange Sicht erledigt, die irren ganz gewaltig. Diese Frage bleibt als permanente Aufgabe vor uns, und die Beschlüsse, die wir heute dazu gefaßt haben, geben diesem permanenten Reformprozeß nur noch eine starke Unterstützung, so daß alle Bemerkungen, die darauf zielen, wir vertagten damit die Krankenversicherungsreform, absolut falsch sind. Im Gegenteil, wir machen einen Einstieg, und wir werden gezwungen sein, zu einer zweiten, vielleicht dritten Stufe der Reform der sozialen Krankenversicherung zu kommen.Ich darf dem Hohen Hause zum Schluß noch einmal meinen herzlichen Dank für die Arbeit bei der Vorbereitung dieser schwierigen Gesetzesvorlage sagen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will in keiner Weise den sehr freundschaftlichen Dialog zwischen Herrn Kollegen Dr. Barzel und Herrn Kollegen Behrendt verkomplizieren; im Gegenteil, ich will ihn nur ergänzen. Ich will hier nicht besondere Autorenschaften herausstreichen, sondern möchte, gerade weil Sie Herrn Kollegen Blank genannt haben, andere wesentliche Mitwirkende erwähnen, die nicht in diesem Hause sind.
Nachdem Herr Blank seinerzeit mit seinen Plänen keinen Erfolg gehabt hat, hat dieses gesellschaftspolitisch so wichtige Thema der arbeitsrechtlichen Regelung der Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfalle lange Jahre geruht. Es ist erst wieder an einem ganz bestimmten Tag akut geworden, nämlich am 5. Juli 1968, und zwar dadurch, daß der damalige stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Hermann Beermann, in der Konzertierten Aktion im Bundeswirtschaftsministerium im Beisein des Vertreters des Arbeitsministeriums dieses Thema neu auf den Tisch legte.
— Jawohl, und zwar aus einem akuten Anlaß — —
Ich weiß nicht, meine Damen und Herren, warum Sie bei der Erwähnung des früheren stellvertretenden Vorsitzenden des DGB so erregt sind. — Ich wollte ein Zweites erwähnen: in demselben Augenblick haben zwei — —
Meine Damen und Herren, ich bitte doch um Ruhe. — Herr Minister, Herr Kollege Illerhaus will Ihnen eine Frage stellen.
Herr Bundesminister, Sie wissen, daß ich dieser Konzertierten Aktion angehöre?
Ja, und ich freue mich darüber.
Würden Sie bereit sein, mir das Protokoll zu zeigen, in dem verzeichnet ist, daß Herr Beermann diesen Antrag gestellt hat?
Natürlich.
Mir ist darüber nichts bekannt.
Ich wollte noch etwas hinzufügen, und ich glaube, dann sind Sie etwas mehr zufrieden. Es haben sich im Anschluß an diesen Antrag zwei Vertreter sehr großer Unternehmerverbände bereit erklärt — der Herr Arbeitsminister und sein Staatssekretär wissen das --, mitzuwirken. Dann ist in jenem Kreise eine gemeinsame Arbeitsgruppe zur Berechnung der Kosten unter dem Vorsitz des Staatssekretärs Kattenstroth gebildet worden. So ist die Initiative in Gang gekommen, und daran sollte man auch denken, Herr Illerhaus.
Diese Initiative aus jenem Kreise hatte dazu geführt, daß die Bundesregierung sich ihrerseits mit dem Thema befaßt hat.
— Herr Barzel, Sie sollten auch so großzügig sein, der freiwilligen Vorarbeit, der beratenden Vorarbeit anderer bei einem so wichtigen Werk zu gedenken, bei dem wir doch wissen, daß es gesellschaftspolitisch und wirtschaftspolitisch von Bedeutung ist. Das sollten Sie doch zugeben.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem zwei Bundesminister hier die Debatte wieder eröffnet haben, fühle ich mich ihnen gegenüber als ein Kollege von 500 in diesem Hause zu einer Feststellung veranlaßt. Wenn hier schon Dankadressen ausgetauscht werden sollen und wenn hier schon Ursprungszeugnisse ausgestellt werden sollen, dann beanspruche ich für 500 Kollegen dieses Hauses festzustellen, daß das Gesetz
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969 13153
Schmidt
vom Bundestag und nicht von der Bundesregierung gemacht worden ist.
Ich erteile Herrn Genscher das Wort.
Ich bitte um Gehör für den Redner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beabsichtige nicht, mich in den Kreis derjenigen einzureihen, die darum wetteifern, Initiatoren einer von uns für falsch gehaltenen politischen Entscheidung zu sein.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat hier eine Aufwertung vorgenommen, allerdings nur für die konzertierte Aktion. Wenn Sie sich aber schon zu Wort melden, Herr Bundeswirtschaftsminister, dann hätte ich erwartet — und jetzt bitte ich Sie darum —, daß Sie hier vor diesem Hohen Hause sagen, ob Ihre Behauptung, die arbeitsrechtliche Lösung der Lohnfortzahlung passe in der gegenwärtigen Situation in die konjunkturpolitische Landschaft, noch zutreffend ist oder nicht.
Das Wort wird nicht verlangt.
— Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Genscher, ich hatte vor, auch dazu etwas zu sagen, hatte aber den Eindruck, daß hier eine gewisse Bedarfssättigung eingetreten war
in bezug auf Reden. Ich will Ihnen aber ein Wort sagen: Die Bundesregierung hat in ihrem Jahreswirtschaftsbericht klar und deutlich auch unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten die arbeitsrechtliche Lösung der Lohnfortzahlung befürwortet.
Im Januar dieses Jahres! Ich gebe Ihnen freimütig zu, daß heute die konjunkturpolitische Lage anders ist als im Januar dieses Jahres.
Dennoch muß ich Ihnen folgendes sagen: Eine Weitergabe von Mehrkosten -- und nur ein Teil der Gesamtsumme für die Lohnfortzahlung bedeutet ja Mehrkosten für die Wirtschaft — über die Preise an die Verbraucher hängt nicht von der Lohnfortzahlung ab, sondern hängt davon ab, in welcher Weise wir die zu große Gesamtnachfrage zurückdrängen Dies Problem hat nichts mit der Lohnfortzahlung zu tun.
Ich möchte noch eines sagen, lieber Herr Genscher: Alle unsere Analysen im Wirtschaftsministerium kommen zu dem Ergebnis — ich will nicht eine alte Debatte, die vorhin durch eine Abstimmung abgeschlossen worden ist, wiederholen —, daß es konjunkturpolitisch besser wäre, die Lohnfortzahlung heute einzuführen und nicht erst am 1. Januar 1970: je eher, desto besser. Das ist das Resultat unserer Konjunkturanalysen.
Und das war meine kurze Antwort auf Ihre Frage.
Jetzt kommen wir zur Schlußabstimmung. Es wurde namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag ist ausreichend unterstützt. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer die Stimmkarten einzusammeln.
Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Gesetz über die Lohnfortzahlung bekannt. 433 uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete und 19 Berliner Abgeordnete haben abgestimmt. Mit Ja haben 388 uneingeschränkt stimmberechtigte Mitglieder des Hauses und 18 Berliner Abgeordnete gestimmt. Mit Nein haben 38 uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete und 1 Berliner Abgeordneter gestimmt. Enthalten haben sich 7 Abgeordnete. Das Gesetz ist also mit 388 Stimmen angenommen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 431 und 19 Berliner Abgeordnete; davonJa: 386 und 18 Berliner AbgeordneteNein: 38 und 1 Berliner AbgeordneterEnthalten: 7 AbgeordneteJa CDU/CSUDr. Abelein AdornoDr. AignerDr. AlthammerDr. Arnold Dr. Artzinger BaierBalkenhol Dr. Barzel BauknechtDr. Becher BeckerBerendsen BergerBewerunge BiecheleDr. Birrenbach BlankBlöckerFrau Blohm Blumenfeld BrandBremerDr. Brenck Brück BuddeDr. BurgbacherBurgemeisterBurgerDr. Conring Dr. Czaja Dammvan Delden Dichgans Diebäcker Dr. Dittrich Draegervon Eckardt Dr. ElbrächterEnkFrau EnselingDr. ErhardErhard ErnestiErpenbeck ExnerFranke
Dr. Franz FranzenDr. Freiwald Dr. Frerichs Dr. FreyFrielerFritz
Dr. FurlerFrau GeisendörferGeisenhoferD. Dr. GerstenmaierGewandt
Metadaten/Kopzeile:
13154 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969
Vizepräsident SchoettleGierensteinGlüsing Dr. GötzGotteslebenFrau GriesingerDr. h. c. GüdeHaase
Dr. Häfele Härzschel Häussler Hahn
Dr. HammansHanz
von HasselHauser Dr. Hauser (Sasbach)Dr. Heck Dr. HesbergHilbertHörnemann HöslDr. Hofmann
Frau Holzmeister HorstmeierHortenDr. Hudak IllerhausFrau Jacobi
Dr. JaegerDr. Jahn JostenDr. JungmannFrau KalinkeKatzerDr. KempflerKiepFrau Klee KleinDr. KlepschDr. Kliesing KlinkerKnobloch Köppler Dr. Kopf Krammig KrampeDr. KraskeDr. Krone KrugFrau Dr. KuchtnerKühn Kuntscher LampersbachLeichtLemmrichDr. Lenz
Lenz
Lenze
LeukertDr. LindenbergDr. Löhr Dr. Luda Lücke
Lücker MajonicaDr. MartinDr. Marx MaucherMeisMeister Memmel MickFrau MönikesMüller
Dr. Müller-Hermann MüserNiederaltDr. von Nordenskjöld OrgaßOttPetersen PicardFrau Pitz-SavelsbergPortenDr. Preiß ProchazkaRainerRasner RaweDr. ReinhardRichartsRiedel
Dr. RinscheDr. RitgenDr. Ritz RockRöhner RösingRollmann RommerskirchenRufRusse
Prinz zu Sayn-WittgensteinHohensteinSchlager SchleeDr. Schmid-Burgk SchmidhuberSchmitt SchmückerDr. SchoberFrau Schroeder Schröder (Sellstedt)Dr. Schulze-VorbergFrau Dr. SchwarzhauptDr. SchwörerDr. Serres Dr. SiemerDr. Sinn SpringorumStahlbergDr. Stark
Stein
Dr. SteinmetzFrau StommelStooßStormStruveStücklenDr. SüsterhennTeriete TobabenDr. Dr. h. c. Toussaint UnertlVarelmannDr. Freiherrv. Vittinghoff-SchellVogtWagner Dr. Wahl WeiglWeiland Weimer WendelbornFrau Dr. WexWieningerWindelen WinkelheideDr. WörnerFrau Dr. WolfBaron von WrangelDr. Wuermeling WullenhauptZieglerDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteBendaDr. GradlLemmerMüller Frau PieserSPDAdamsAhrens (Gast) Frau AlbertzDr. ApelDr. Arndt
Auge Bading BäuerleBaltes Barche Dr. BardensBauer
Dr. BayerlDr. Bechert BehrendtBerkhanBerlin Beuster BiermannBlume Böhm Börner Brück
Brünen BuchstallerBüttner BuschfortCollet Cramer DiekmannDröscherEckerlandFrau EilersFrau Dr. ElsnerDr. EndersEschmannEsters Faller Felder FellermaierFeuringFolgerFranke
FrehseeFreu FreyhFritsch
Fritz
Geiger GertzenGlombigGscheidleHaage
Haar
Haase HaehserHansingHauck Hauffe HerbertsFrau HerklotzHermsdorfHerold Hirsch Höhne Hölzle HöraufHörmann Hofmann (Kronach)Frau Dr. Hubert'HufnagelDr. Ils IvenJacobi
JaschkeJürgensenJunghansJunker Kaffka Kahn-AckermannKernKillatFrau KleinertDr. KochKönen KohlbergerFrau KorspeterDr. Kreutzmann KriedemannDr. KüblerKulawig KurlbaumFrau Kurlbaum-Beyer LangeLangebeckLemper Lenders Liedtke Löbbert Maibaum MarquardtMarx
Matthes MatthöferFrau MeermannDr. MeineckeMetzgerDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Dr. MommerMüller
Dr. Müller Müller (Ravensburg)Müller
Dr. Müller-EmmertDr. MüthlingDr. Nann Neemann NellenNeumann
PaulPeiterPöhlerPorzner Raffert Dr. Rau Ravens Regling Dr. ReischlReitzFrau RengerRichterRiegel
Dr. RinderspacherRohdeRoßFrau RudollSänger SaxowskiFrau SchanzenbachFrau SchimschokSchmidt
Dr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Dr. Schmidt (Offenbach) Schmidt (Würgendorf) Schmitt-Vockenhausen SchoettleSchonhofenSchulte Schwabe Seibert SeidelSeifrizSeither Frau SeppiSpilleckeDr. StammbergerStephan Frau StrobelStrohmayrTallertDr. TambléTönjes
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969 13155
Vizepräsident Schoettler VitWelke Welslau Wendt WestphalWiefel WienandWilhelmWischnewskiWolfWuwerBerliner AbgeordneteBartschFrau Berger-Heise BühlingFrau KrappeLiehrFrau LöscheMattickNeumann
Dr. SchellenbergDr. SchillerDr. Schultz
Dr. SeumeUrbanNein FDPDr. AchenbachDr. Bucher Busse
Dr. DahlgrünFrau Dr. Diemer-Nicolaus DornDr. Emde Frau FunckeGeldnerFreiherr von Gemmingen GenscherDr. HaasFrau Dr. Heuser Dr. ImleJungKubitzaFreiherrvon Kühlmann-Stumm LogemannMaukDr. MendeMertesDr. Miessner MischnickMoerschDr. Mühlhan OlleschOpitzPeters
PorschRammsSchmidt
Schultz SpitzmüllerDr. Staratzke WächterWalterWurbsZoglmannBerliner Abgeordnete BormEnthalten CDU/CSUBreseBühlerDeringerFalkeDr. Gleissner SchulhoffStillerMeine Damen und Herren, wir haben nun noch in Zusammenhang mit dem Lohnfortzahlungsgesetz über Nr. 2 des Ausschußantrags abzustimmen, die zu den Gesetzentwürfen eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer diesem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke; es ist so beschlossen.Dann haben wir über die Entschließungsanträge zu entscheiden, zunächst über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Umdruck 682 *). Wie ich höre, werden die Entschließungsanträge nicht mehr begründet. Wir können also gleich darüber .abstimmen. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? Ich bitte um ein Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Offenbar ist niemand an einer Stimmenthaltung interessiert. Der Antrag ist mit großer Mehrheit angenommen.Ich rufe nun den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Umdruck 683 **) ,auf. Wir stimmen ab. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.*) Siehe Anlage 5 **) Siehe Anlage 6Ich rufe ferner den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD ,auf Umdruck 684 I) auf. Wir stimmen ab. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist auch dieser Antrag angenommen.Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 693 **). Wird dieser Entschließungsantrag begründet? — Das ist offenbar nicht der Fall. Es wird vorgeschlagen, diesen Antrag an den Ausschuß für Sozialpolitik als federführenden Ausschuß und an den Finanzausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Wirddiesem Antrag widersprochen? — Das ist nicht .der Fall; dann ist so beschlossen.Ich rufe nun den Punkt 5 der Tagesordnung auf:Dritte Beratung des Entwurfs eines Berufsbildungsgesetzes— Drucksachen V/887, V/1009, V/4351 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache V/4320 — Berichterstatter: Abgeordneter Krampeb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit
— Drucksache V/4260 —Berichterstatter: Abgeordneter WolfAbgeordneter Diebäcker
Es liegt nur der Antrag auf Umdruck 698 ***) vor. Wird dieser Antrag begründet? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Behrendt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern ist durch die Annahme des Antrags Umdruck 680 eine Änderung der inneren Systematik des Berufsbildungsgesetzes in der Fassung der Ausschußbeschlüsse vorgenommen worden. Durch diese Änderung ist die Struktur der Ausschüsse betroffen worden und ein Beschluß gefaßt worden, der von den Gewerkschaften nach unserer Auffassung als diskriminierend empfunden werden muß.So ist bei § 100 z. B. beschlossen worden, daß nach § 34 der Handwerksordnung die Arbeitnehmer im Prüfungsausschuß statt auf Vorschlag der Gewerkschaften auf Vorschlag der Gesellenvertreter in der Vollversammlung der Handwerkskammer bestelli werden sollen.Für den Berufsbildungsausschuß ist vorgesehen, daß die Arbeitnehmervertreter, statt auf Vorschlag der Gewerkschaften bzw. selbständiger Arbeitnehmervertretungen berufen zu werden, von den Ver-*) Siehe Anlage 7 **) Siehe Anlage 8 ***) Siehe Anlage 9
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13156 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969
Behrendttretern der Gesellen in der Vollversammlung der Handwerkskammer gewählt werden. Diese beiden sollen also jeweils von den Gesellenvertretern berufen oder bestellt werden.Noch entscheidender ist aber die Änderung der Aufgabe des Berufsbildungsausschusses nach § 44 der Handwerksordnung. Die Ausschußfassung sah vor, daß dieser Ausschuß echte Beschlußfunktionen mit einem Einspruchsrecht der Kammer erhalten sollte. Nunmehr ist vorgesehen, daß die Vollversammlung die Beschlußrechte behält und daß vor der Beschlußfassung durch die Vollversammlung, in der bekanntlich nur ein Drittel Arbeitnehmer und zwei Drittel Arbeitgeber sind, lediglich eine Stellungnahme des Ausschusses eingeholt werden soll. Zwar soll diesem Ausschuß ein Initiativrecht gegenüber der Vollversammlung eingeräumt werden; das bedeutet aber eindeutig, daß der Berufsbildungsausschuß kein Beschlußrecht mehr haben soll.
— Ich bin gespannt auf Ihre Interpretierung, Herr Kollege Schulhoff.Damit wird ein unterschiedliches Recht geschaffen. Das ist das große Bedenken, das wir haben. Wir haben uns von Anfang an darum bemüht, in dieses Berufsbildungsgesetz keine weitere Rechtszersplitterung hineinzubekommen. Durch eine solche Fassung aber werden wir die Rechtszersplitterung beginnen. Ich möchte mit unmißverständlicher Deutlichkeit sagen, daß das angesichts der ganzen Systematik des Berufsbildungsgesetzes nicht geschehen sollte, sondern daß man den Grundsatz, daß keine Rechtszersplitterung eintreten soll, aufrechterhalten sollte.In dem Wegfall des Vorschlagsrechts der Gewerkschaften liegt eindeutig eine Diskriminierung der Gewerkschaften. Gerade unter dem Gesichtspunkt der Weiterentwicklung der Gesellschaftspolitik ist es unbegreifbar, daß man das hier zurückschraubt. Die genannten Beschlüsse der zweiten Lesung sind ein Schritt zurück in das Gestern und nicht ein Schritt zum Morgen.Ich möchte Sie, meine Damen und Herren, sehr herzlich bitten, unserem Antrag folgend die Ausschußvorlage wiederherzustellen, um eine Rechtszersplitterung im Berufsbildungswesen und eine Diskriminierung der Gewerkschaften zu verhindern.
Das Wort hat der Abgeordnete Stücklen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Behrendt, von einer Diskriminierung kann schon deshalb keine Rede sein, weil die Gesellenvertretung in der Vollversammlung der Handwerkskammer in einer Urwahl gewählt wird, an der selbstverständlich auch die Gewerkschaften und die Verbände, die hier aufgeführt sind, mitwirken. Unser Antrag will bewirken, daß die durch eine freie Wahl zustande gekommene Gesellenvertretung bei der Handwerkskammer voll wirksam sein kann. Diese Gesellen sollen auch berechtigt sein, ihre Vertreter in den Prüfungsausschüssen zu benennen. Deshalb geht es uns nicht darum, daß man hier eine neue gesellschaftspolitische Frage aufwirft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben gestern bereits argumentiert. Außer dem Wort „Diskriminierung" sind hier keine neuen „Argumente" vorgebracht worden.
— Das hat mit Rechtszersplitterung natürlich nichts zu tun, weil .die Handwerksordnung in sich eine geschlossene Gesetzgebung ist und die neuen Bestimmungen in diese geschlossene Gesetzgebung sinnvoll und auch systematisch eingebaut worden sind. Neue Argumente brauche ich also hier nicht aufzuführen.
Ich bitte, 'den Antrag der SPD abzulehnen und beantrage namentliche Abstimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Schulhoff.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Freien Demokraten teilen nicht die Auffassung des Kollegen Behrendt und der sozialdemokratischen Fraktion,
daß hier eine Diskriminierung der Gewerkschaften vorliegt. Wir teilen vielmehr die Auffassung, daß mit der in der Handwerksordnung vorgesehenen Wahl über die Arbeitnehmervertreter — die Gesellenvertreter sind ja auch Arbeitnehmervertreter — eine glückliche Lösung gefunden ist.
Wir werden deshalb den Antrag der SPD ablehnen.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir stimmen über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 698 in namentlicher Abstimmung ab.Ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 698 bekannt. Insgesamt haben abgestimmt 423 uneingeschränkt Stimmberechtigte und 16 Berliner Abgeordnete. Mit Ja haben gestimmt 185 uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete und 13 Berliner Abgeordnete, mit Nein 233 unbeschränkt stimmberechtigte — es fällt einem schwer, diese Charakterisierung immer wieder anzuwenden, trotzdem ist sie notwendig — und 3 Berliner Abgeordnete bei 5 Enthaltungen. Der Antrag ist also mit Mehrheit, mit 233 Stimmen, abgelehnt. Es bleibt bei der Fassung der zweiten Beratung.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969 13157
Vizepräsident SchoettleEndgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 419 und 16 Berliner Abgeordnete; davonJa: 184 und 13, Berliner AbgeordneteNein: 229 und 3 Berliner AbgeordneteEnthalten: 5 AbgeordneteUngültig: 1 AbgeordneterJa CDU/CSUBurger Härzschel Häussler Köppler MickMüller
OrgaßFrau Pitz-SavelsbergRusse
Weimer WinkelheideZinkSPDAdamsAhrens (Gast) Frau AlbertzDr. ApelDr. Arndt
AugeBading Bäuerle BaltesBarcheDr. BardensBauer
Dr. BayerlDr. Bechert BehrendtBerkhan BerlinBeuster Biermann BlumeBöhmBörnerBrück
BuchstallerBüttner Buschfort ColletCramer DiekmannDröscher EckerlandFrau EilersFrau Dr. ElsnerDr. EndersEschmannEstersFallerFelderFellermaierFeuring FolgerFranke
Frehsee Freu FreyhFritsch
Fritz
Geiger Gertzen GlombigGscheidleHaage Haar (Stuttgart) Haase (Kellinghusen) HaehserHansingHauckHauffeHerbertsFrau Herklotz HermsdorfHeroldHirschHöhneHölzleHöraufHörmann Hofmann (Kronach) Frau Dr. Hubert HufnagelDr. IlsIvenJacobi
Jahn JaschkeJürgensenJunghansJunkerKaffkaKahn-Ackermann KernKillatFrau Kleinert Dr. KochKönen KohlbergerFrau Korspeter Dr. Kreutzmann KriedemannDr. KüblerKulawigKurlbaumFrau Kurlbaum-BeyerLangeLangebeckLemperLendersLiedtkeLöbbertMaibaumMarquardtMarx MatthesMatthöferFrau Meermann Dr. MeineckeMetzgerDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Dr. MommerMüller
Dr. Müller Müller (Ravensburg)Müller Dr. Müller-Emmert Dr. MüthlingDr. NannNeemannNellenNeumann PaulPeiter Pöhler Porzner Raffert Dr. Rau Ravens Dr. ReischlReitzFrau RengerRichterRiegel
Dr. Rinderspacher RohdeRoßFrau RudollSänger SaxowskiFrau Schanzenbach Frau Schimschok Schmidt Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Hamburg)Dr. Schmidt Schmidt (Würgendorf) Schmitt-Vockenhausen SchoettleSchonhofenSchulte SchwabeSeibert Seidel Seifriz Seither Frau SeppiSpilleckeDr. Stammberger StephanFrau Strobel StrohmayrTallertDr. TambléTönjes VitWelke Welslau Wendt WestphalWiefel WienandWilhelmWischnewskiWolfWuwerBerliner AbgeordneteBartschFrau Berger-Heise BühlingFrau KrappeLiehrFrau LöscheMattickNeumann
Dr. SchellenbergDr. SchillerDr. Schulz
Dr. Seume SieglerschmidtUrbanNein CDU/CSUDr. Abelein AdornoDr. AignerDr. AlthammerDr. Arnold Dr. Artzinger BaierBalkenhol Dr. Barzel BauknechtDr. Becher BeckerBerendsenBergerBewerunge BiecheleDr. Birrenbach BlankBlöckerFrau Blohm Blumenfeld BrandBremerDr. Brenck BreseBrück BühlerDr. Burgbacher Burgemeister Dr. Conring Dr. CzajaDammvan Delden DeringerDichgansDraegervon Eckardt Dr. Elbrächter EnkFrau Enseling Dr. ErhardErhard ErnestiErpenbeck ExnerFalkeFranke
Dr. FranzFranzenDr. Freiwald Dr. Frerichs Dr. FreyFrielerFritz
Dr. FurlerFrau Geisendörfer GeisenhoferD. Dr. Gerstenmaier GewandtGierenstein Dr. GleissnerGlüsing Dr. GötzGottesleben Frau GriesingerDr. h. c. Güde Haase Dr. Häfele Hahn (Bielefeld)Dr. Hammans Hanz
Hauser Dr. Hauser (Sasbach)Dr. HeckDr. Hesberg HilbertHörnemann HöslDr. Hofmann
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13158 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969
Viezepräsident Schoettle Frau Holzmeister HorstmeierHortenDr. Hudak IllerhausFrau Jacobi
Dr. JaegerDr. Jahn JostenDr. JungmannFrau KalinkeDr. KempflerKiepFrau Klee Dr. KlepschDr. Kliesing KlinkerKnobloch Dr. Kopf Krammig Dr. Kraske Dr. Krone KrugFrau Dr. KuchtnerKühn Kuntscher LampersbachLeichtLemmrichDr. Lenz
Lenz
Lenze
LeukertDr. LindenbergDr. Löhr Dr. Luda Lücke
Lücker
Majonica Dr. MartinDr. Marx MaucherMeisMeister Memmel Frau MönikesDr. Müller-HermannMüserNiederaltDr. von NordenskjöldOttPetersen PicardPortenDr. Preiß Prochazka RainerRasnerRaweDr. ReinhardRichartsRiedel
Dr. Rinsche Dr. Ritgen Dr. Ritz RockRasingRommerskirchenRufPrinz zu Sayn-WittgensteinHohensteinSchlager SchleeDr. Schmid-Burgk SchmidhuberSchmitt
Dr. SchoberFrau Schroeder Schröder (Sellstedt) SchulhoffDr. Schulze-VorbergFrau Dr. SchwarzhauptDr. SchwörerDr. Serres Dr. SiemerDr. Sinn SpringorumStahlbergDr. Stark
Stein
Dr. SteinmetzStillerFrau StommelStooßStormStruveStücklenDr. SüsterhennTobabenDr. Dr. h. c. Toussaint UnertlDr. Freiherrv. Vittinghoff-Schell VogtWagner Dr. Wahl WeiglWeiland WendelbornFrau Dr. WexWieningerWindelen Dr. WörnerBaron von Wrangel WullenhauptZieglerDr. ZimmermannBerliner AbgeordneteMüller Frau PieserFDPDr. AchenbachDr. BucherBusse
Dr. DahlgrünFrau Dr. Diemer-Nicolaus DornDr. Emde ErtlFrau FunckeGeldnerFreiherr von Gemmingen GenscherDr. HaasFrau Dr. HeuserDr. Imle JungKubitza Logemann MaukDr. MendeMertesMoerschDr. MühlhanOllesch OpitzPeters
PorschRammsSchmidt
Schultz SpitzmüllerDr. StaratzkeWächter WalterWurbsBerliner Abgeordnete BormEnthaltenCDU/CSUDiebäcker KrampeTerieteVarelmannSPD ReglingUngültigCDU/CSU RollmannMeine Damen und Herren, damit sind die Anträge in der dritten Beratung beschieden.Ich eröffne die allgemeine Aussprache in der dritten Beratung. Das Wort hat der Abgeordnete Liehr.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bis zum heutigen Tage, an dem die Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes ansteht, haben wir einen langen Weg hinter uns gebracht, einen Weg, den in besonderer Weise die Gewerkschaften unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg wiesen und markierten, der dann nach zweijährigen, in aller Öffentlichkeit geführten Diskussionen 1929 zur Vorlage eines Entwurfs im Deutschen Reichstag führte. Aber wir wissen alle, daß ein Berufsausbildungsgesetz, wie es damals hieß, nicht zustande kam. Die Schwierigkeiten waren unüberbrückbar. Dies war ein beschwerlicher Weg, wir merken das bis in die letzten Stunden der Beratung hinein. Es war ein Weg, der gepflastert war und vielleicht auch noch ist mit Unverständnis, mit Voreingenommenheit, zum Teil auch mit Anmaßung und Feindseligkeit. Dies alles ist einer modernen demokratischen Industriegesellschaft, wie sie die Bundesrepublik Deutschland darstellt, unwürdig.Gegenseitiges Mißtrauen und engstirniges Prestigedenken, von welcher Seite auch immer, müssen überwunden werden, wenn es um das Gemeinwohl geht. Und wer wollte leugnen, daß es bei den Fragen des beruflichen Bildungswesens um Fragen von besonderer Bedeutung für uns alle, für das Gemeinwohl geht. Berufliche Bildung muß in unserer Zeit als eine öffentliche Aufgabe verstanden werden, und ihr muß dieser Rang auch zuteil werden. Wir haben, zumal auch nach dem Abstimmungsergebnis, keine Veranlassung zu Selbstzufriedenheit. Vieles ist weit davon entfernt, vollendet zu sein, was in mühevoller Kleinarbeit in diesem Entwurf zusammengestellt worden ist. Aber wir können mit Genugtuung feststellen, daß uns endlich nach fünfzigjährigen Bemühungen auf diesem Felde der Durchbruch gelungen ist und wir heute den Entwurf eines Berufsbildungsgesetzes zur Verabschiedung im Deutschen Bundestag anstehen haben.
Die Große Koalition hat hier ein sichtbares Zeichen zur Neuordnung des beruflichen Bildungswesens gesetzt. Wir Sozialdemokraten haben dabei einen vorwärtsdrängenden Anteil durch die sehr weit gesteckten Ziele des Entwurfs unseres Arbeitsmarktanpassungsgesetzes, das sowohl das Arbeitsförderungsgesetz als auch des Berufsbildungsgesetz konstruktiv beeinflußt hat. Aber entwickeln
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969 13159
Liehrkonnten sich diese progressiven Vorstellungen letzthin nur auf dem Boden vernünftiger Sachentscheidungen und — das muß ich auch sagen — durch ein eindrucksvolles Zusammenwirken von Parlament und Bundesregierung. Ich stehe nicht an, dafür ausdrücklich Dank zu sagen, besonders auch den Mitgliedern des Unterausschusses, die in ganz besonderer Weise weder Zeit noch Mühe gescheut haben, um den Entwurf so rechtzeitig zustande zu bringen, daß wir ihn heute abschließend beraten können.Während der Beratungen im Ausschuß für Arbeit wurden uns Empfehlungen der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates zugestellt. Sie kamen gerade noch zur rechten Zeit, um die Beratungen des Unterausschusses und auch des federführenden Ausschusses zu beleben und anzureichern. Wir haben dies sehr begrüßt. Mir liegt daran, deutlich zu machen, daß sich das Berufsbildungsgesetz weithin in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Empfehlungen der Bildungskommission befindet. Das trifft insbesondere für folgende Grundsätze zu:1. Das duale System der Berufsausbildung ist weiterhin zu fördern und den Veränderungen von Wirtschaft und Technik anzupassen; neue berufliche Entwicklungen bedürfen der gesetzlichen Flexibilität.2. Die Voraussetzungen für ein möglichst hohes Maß beruflicher Mobilität sind bereits durch die Grundanlage der Berufsausbildung sicherzustellen. Die Berufsausbildung ist zu intensivieren; Form, Inhalt und Methodik zu verbessern.3. Die Chancengleichheit ist zu fördern; Verbesserung der Aufstiegschancen im Beruf und im Bildungswesen.4. In möglichst enger Verzahnung mit der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ist Berufsbildungsforschung zu betreiben. Durch sie sind insbesondere die Grundlagen der Berufsbildung zu klären, Inhalte und Ziele zu ermitteln.5. Die Ausbildenden bedürfen der pädagogischen Qualifikation; sie müssen die Möglichkeit erhalten, sich fachlich und pädagogisch fortzubilden.6. Die Eignung der Ausbildungsbetriebe und die prinzipielle Beschränkung, nur in anerkannten Ausbildungsberufen oder in bestimmten Teilbereichen nach der Ausbildungsordnung auszubilden, ist unabweisbar.3. Der Ausbau und die Errichtung überbetrieblicher Ausbildungsstätten ist für die optimale Qualifizierung der Auszubildenden von besonderer Bedeutung.8. Durch haupt- und ehrenamtliche Ausbildungsberater sind Ausbildende und Auszubildende zu beraten und die betriebliche Ausbildung zu überprüfen.9. Das berufliche Bildungswesen ist eine öffentliche Aufgabe. Arbeitgeber, Arbeitnehmer und öffentliche Hand sind gleichberechtigt zu beteiligen.Das hohe Maß an sachlicher Übereinstimmung ist bemerkenswert. Die Beratungen im zuständigen Parlamentsausschuß haben durch die Empfehlungen derBildungskommission ihre unvorhergesehene Bestätigung erhalten. Ich verhehle nicht, daß es sehr zu wünschen wäre, wenn die Bildungskommission durch ihre Empfehlungen auch im Vorraum beruflicher Bildung Wirkungen erzielen würde. So kommt es besonders auf die Verbesserung der schulischen Voraussetzungen, auf eine qualifiziertere Vorbereitung des erwählten Berufs — zu der auch Eignungsuntersuchungen gehören — und nicht zuletzt auf den Ausbau der Berufsberatung an.Meine Damen und Herren, im außerparlamentarischen Bereich ist Unverständnis gezeigt und die Frage gestellt worden, warum das Parlament nicht das berufliche Schulwesen stärker in diesen Entwurf einbezogen habe. In der Tat — darüber gibt es wohl keinen Zweifel — wäre das duale System der Berufsausbildung zum Scheitern verurteilt, wenn die betriebliche Ausbildung bundeseinheitlich wäre und es für den Bereich der berufsbildenden Schulen etwa elf verschiedene Rahmenpläne für ein und denselben Beruf gäbe. Damit würde — daran gibt es keinen Zweifel — die Chancengleichheit der jungen Generation ganz entschieden eingeschränkt und verschüttet werden.Wir glauben, daß auch durch die Empfehlungen der Bildungskommission deutlich gemacht worden ist, daß eine solche Dezentralisierung des beruflichen Schulwesens weder im Interesse der Länder noch im Interesse der Wirtschaft und auch nicht im Interesse der Auszubildenden liegt. Wir glauben deshalb, daß wir uns in völliger Übereinstimmung mit den Ländern befinden, daß durch die Konstruktion des Bundesausschusses und der Länderausschüsse ein Höchstmaß an Kooperation zwischen Schule und Betrieb herbeigeführt werden kann und herbeigeführt werden muß.Meine Damen und Herren, wenn sich der Unterausschuß ebenso wie der Ausschuß für Arbeit in einem völlig einig war, dann war es die Notwendigkeit einer Bundeseinheitlichkeit des beruflichen Bildungswesens und gleicher Bildungsmaßstäbe und -grundsätze für den gleichen Beruf. Wir gehen also davon aus, daß dieser Grundsatz, in dem sich alle Beteiligten völlig einig waren, auch von diesem Hause und anderen voll mitgetragen wird, damit hier eine verständnisvolle Zusammenarbeit ermöglicht wird.Im außerparlamentarischen Bereich ist auch die beratende Funktion insbesondere des Bundesausschusses und der Länderausschüsse sehr kritisch betrachtet worden. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir haben den Eindruck, daß eine Verkennung der Gewichtigkeit dieser Ausschüsse vorliegt. Denn anders als bei anderen Ausschüssen kommt es hier nicht auf den formalen Grad der Mitwirkung an; nicht das ist das allein Ausschlaggebende. Bedeutsamer sind die Qualität und das Engagement, kurzum die Persönlichkeit derjenigen, die Mitglieder dieser Ausschüsse werden.Wem das im Augenblick ein wenig zu theoretisch erscheint, den möchte ich darauf hinweisen, daß das Berliner Berufsausbildungsgesetz, das seit 1951 in Kraft ist, ja auch ausdrücklich an dieser Stelle der Zusammenarbeit einen Beirat vorsieht und daß
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13160 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969
Liehrdennoch während des mehr als 18jährigen Bestehens dieses Gesetzes und damit auch dieses Beirats praktisch kein einziger von diesem Beirat in seiner Gesamtheit gefaßter Beschluß bekannt ist, der nicht auch in die Entscheidungen des zuständigen Ministers, der zuständigen obersten Landesbehörde, eingegangen wäre. Das gilt in ganz besonderem Maße auch für die Durchführungsverordnungen.Es gibt also gar keinen Grund, davon auszugehen, daß dies für den Bundesausschuß und für die Landesausschüsse — so, wie sie nach dem Entwurf vorgesehen sind — nicht so sein könnte. Im Gegenteil: Wenn man die Konstruktion des Gesetzes richtig sieht, so wird die Funktion des Bundesausschusses, der im Gesamtgesetz herausragende Bedeutung hat, in ganz wesentlichen Teilbereichen durch das zu errichtende Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung gestärkt. Damit werden zugleich auch die Entscheidungsgrundlagen versachlicht, konkretisiert, mit anderen Worten: auch wissenschaftlich fundiert. Wir sind der Überzeugung, daß dies zur Rationalisierung und hoffentlich auch zur Verkürzung bestimmter Entscheidungsvorgänge führen kann.Nachdem das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung unlängst im Arbeitsförderungsgesetz legalisiert worden ist, ist nun auch durch die Schaffung dieses Bundesinstitutes für Berufsbildungsforschung eine weitere spürbare Lücke geschlossen worden. Wir dürfen auch hier keine Wunder erwarten, aber wir haben endlich das wissenschaftliche Instrumentarium geschaffen, das einer bedeutenden Industrienation wie der Bundesrepublik angemessen ist.Zu bedauern bleibt — auch darauf möchte ich Bezug nehmen —, daß es trotz vielfältiger Bemühungen nicht gelungen ist, die Arbeitsstelle für betriebliche Berufsbildung mit ihren bewährten Kräften dem neu zu errichtenden Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung zuzuführen. Ich glaube, daß wir alle Veranlassung haben, bei dieser Gelegenheit den Trägern und den Mitarbeitern dieser Arbeitsstelle für eine viele Jahre andauernde fruchtbringende Tätigkeit im Bereich des beruflichen Bildungswesens zu danken. Was dort eigenverantwortlich und in Zusammenarbeit auch mit den Gewerkschaften geleistet worden ist, verdient gewiß auch die Anerkennung dieses Hauses. Man kann nur hoffen, daß künftighin nicht ein farbloses Nebeneinander, sondern auch hier ein konstruktives Miteinander im Interesse der gemeinsamen Sache möglich wird.Nun möchte ich mich einer Frage zuwenden, die die Öffentlichkeit in ganz besonderer Weise bewegt hat; ich meine den Bereich der Bundeseinheitlichkeit der gesetzlichen Regelungen. Ich habe in bezug auf einen wesentlichen Teilaspekt, nämlich in bezug auf das berufliche Schulwesen, schon gesagt, wie wir als Gesetzgeber die Zusammenhänge dieses Gesetzes sehen und es praktiziert wissen wollen. Ich möchte dies nun durch ein Eingehen auf die Fragen, die mit der handwerklichen Berufsausbildung zu tun haben, erweitern. Wir haben den Eindruck — ich sage dies auch für die Fraktion —, daß in der Öffentlichkeit die Berufsausbildung im Handwerk mitunter ein wenig zu leichtfertig über einen Kamm geschoren wird, daß das Handwerk dadurch auch in seiner Gesamtheit verunglimpft wird, indem bedauerliche Mißstände im Bereich der beruflichen Bildung verallgemeinert werden. Ich denke, daß wir demgegenüber im Zusammenhang mit den Gesetzesberatungen durchaus Veranlassung haben, dem Handwerk angesichts der Vielfältigkeit seiner Maßnahmen und Möglichkeiten auch einmal für die positiven Leistungen zu danken, die es vollbracht hat. Ich denke, daß wir nicht daran vorbeigehen können, daß das Handwerk ein außerordentlich bedeutsamer Faktor der Volkswirtschaft ist und auch großen Anteil an der Ausbildung des Facharbeiternachwuchses hat.Meine Damen und Herren, damit möchte ich mich nun den Ausschüssen bei der zuständigen Stelle zuwenden und feststellen, daß sie auch unter Berücksichtigung des vorher Gesagten ein ganz besonderes Gewicht erhalten. Vieles ist dazu im Detail auch im Schriftlichen Bericht gesagt worden. Es wird ganz generell auf neue Formen der Zusammenarbeit ankommen. Ich würde meinen: was speziell die Ausschüsse des Handwerks anlangt — auch in der Vielschichtigkeit, wie sie im Abänderungsantrag mit zur Geltung kamen —, bleibt es nicht nur beim alten, sondern das alte, das ohnehin nach weitverbreiteter Auffassung nicht mehr zeitgemäß ist, wird durch das, was wir hier in der Änderung beschlossen haben, sogar noch ausdrücklich zementiert. Ich kann nicht umhin, diesen Vorgang im Namen meiner Fraktion zutiefst zu bedauern. Wir sehen in dem, was durch den Änderungsantrag der CDU/CSU- und FDP-Fraktion herbeigeführt worden ist, eine wesentliche Einengung und Verschlechterung der Ausschußvorlage.Schon jetzt kann man sagen, daß die Arbeitgeber des Handwerks keine Veranlassung haben, darüber zu frohlocken, daß dieser Antrag hier eine Mehrheit gefunden hat. Ich würde sogar sagen, die Arbeitgeber des Handwerks und das Handwerk in seiner Gesamtheit — das wird sich sicher schon in Kürze herausstellen — haben sich keinen Gefallen damit getan, einen solchen Änderungsantrag hier im Plenum mit einem solchen Nachdruck zu vertreten. Denn diejenigen, denen die ganze Kammerkonstrution mit ihrem nicht ausgereiften Verhältnis einer Repräsentanz von einem Drittel Arbeitnehmer zu zwei Drittel Arbeitgeber bisher schon ein Dorn im Auge war, müssen Verschlechterungen dieser Art letzten Endes als eine zusätzliche Herausforderung empfinden. Ich finde, hier hätten insbesondere auch die Vertreter der CDU/CSU und der FDP Gelegenheit gehabt, nicht nur von der Sozialpartnerschaft zu reden, sondern bei dieser Gelegenheit und in diesem Hause auch etwas für die Sozialpartnerschaft zu tun.
Damit wir uns hier ganz recht verstehen, meine Damen und Herren — ich sage das auch besonders an die Adresse des einen Teils dieses Hauses —: es geht bei dieser Auseinandersetzung und bei den Feststellungen, die ich in diesem Zusammenhang hier für meine Fraktion treffe, bei weitem nicht um eine Herabsetzung des Handwerks, sondern es kommt hier darauf an, den Gewerkschaften auch
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Liehrbei dieser Gelegenheit und in diesem Sachzusammenhang zu einer öffentlichen Anerkennung zu verhelfen; zu einer Anerkennung auch ihrer Ordnungsfunktion, die sie doch unbestrittenermaßen in diesem demokratischen Staat haben.
Es maßt sich, meine Damen und Herren, niemand an, etwa das Verhältnis der Arbeitgeber zu ihren Organisationen von außen her zu bestimmen. Aber bei den Arbeitnehmern wird genau das in unerträglicher Weise reglementiert.Dies war ein Zustand, von dem wir hofften, ihn wenigstens in einem entscheidenden Ansatz durch die Ausschußvorlage überwunden zu haben. Wir können auch insoweit nur mit großem Bedauern feststellen, daß das Abstimmungsverhalten der Fraktionen der CDU/CSU und FDP hier wieder die ganze Breite der Auseinandersetzungen mit aufgerissen hat. Es hat selten zu etwas geführt, wenn man sich unabweisbaren Notwendigkeiten gegenüber so verhält, daß man sie sich Stück für Stück abtrotzen läßt, statt sich hier vernünftig und konstruktiv zu einer gleichberechtigten Zusammenarbeit auch mit den 'Gewerkschaften bereit zu finden.Meine Damen und Herren, überlegen wir bitte auch dies: Zerstören wir uns nicht die Basis für Anlässe, in die wir alle miteinander gestellt werden könnten, wo alle Demokraten, wo alle demokratischen Parteien und Organisationen dringend der Gegenseitigkeit bedürfen.Nun ein paar Worte zur Frage der Finanzierung. Auch das ist ein Punkt, der in der öffentlichen Auseinandersetzung eine große Rolle gespielt hat und den wir für sehr wichtig halten. Mein Kollege Kohlberger hat diesen Entschließungsantrag begründet. Ich möchte Sie sehr darum bitten, diesen Entschließungsantrag zu unterstützen, um so mehr als wir offenbar in der Sache alle einer Meinung sind, daß dieser Fragenkomplex der überbetrieblichen Finanzierung der beruflichen Bildung noch nicht entscheidungsreif ist, daß es zur Stunde kein Modell gibt, dem wir hier unterstützend beitreten könnten, daß wir aber zugleich wohl auch übereinstimmend der Meinung sind, daß es sich hierbei um eine berechtigte Forderung handelt, die nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden darf. Wir glauben, daß es gut wäre, die Entscheidungen über einen überbetrieblichen „Ausgleichstopf" auf die Empfehlungen und das Gutachten einer unabhängigen Sachverständigenkommission zu gründen, die wir angeregt haben und die dann auch mit Vorschlägen der Bundesregierung versehen werden soll.Obwohl eine ganze Reihe von wichtigen Sachfragen noch der Behandlung bedürfen, muß ich mich hier schließlich auf die Frage der Zuständigkeit verschiedener Ministerien beschränken. Natürlich sind auch andere Lösungsmöglichkeiten in bezug auf die Frage der Zuständigkeit der Ministerien denkbar. Aber hier wie en anderer Stelle auch geht es eben nicht nur um denkbare Lösungen, sondern es geht um durchsetzbare und nicht zuletzt auch um praktikable Lösungen, und diesen Anspruch erfüllt der Gesetzentwurf. Es spricht vieles dafür — derAuffassung war der Ausschuß in seiner Gesamtheit —, zunächst einmal den zuständigen Fachminister 'einzuschalten, wobei unabdingbar ist, daß die Grundsätze der Ausbildung eben deshalb nicht auseinanderklaffen können, weil ja das Einvernehmen all dieser Fachminister im Einzelfall mit dem Bundesarbeitsministerium als dem Ministerium, das zu koordinieren hat, gewährleistet ist. Wir halten dies für eine durchaus .sachgerechte Lösung.Zum Schluß bleibt mir Dank zu sagen. Ich tue das dm Namen der Fraktion, möchte dies aber auch als Vorsitzender des Unterausschusses für diesen Gesetzentwurf tun. Ich habe Dank zu sagen für die Hilfe und Unterstützung der Bundesregierung; Minister und Staatssekretäre waren unmittelbar engagiert. Ich habe den Stellen der Regierung Dank zu sagen, die die Fraktionsentwürfe, die der heutigen Entscheidung zugrunde liegen, auf Grund eines öffentlichen Hearings im Jahre 1967 so sorgfältig und gewissenhaft 'im Auftrage des Parlamentsausschusses ausgewertet haben, daß daraus eine Formulierungshilfe entstand, die unmittelbarer Vorgänger dieses Entwurfs ist.Ich möchte, weil ich glaube, daß es auch in der Art ein wenig ungewöhnlich ist, was hier an Mitarbeit geleistet worden ist, insbesondere folgenden Herren Dank sagen: Herrn Dr. Haase, Herrn Dr. Siegert, Herrn Fredebeul und — last, not least — Herrn Dr. Hardenacke, die sich alle — und ich nenne sie nur stellvertretend für viele — auch außerhalb der üblichen Arbeitszeit persönlich engagiert fühlten. Dafür sollten wir danken, ebenso dem Ausschußsekretariat und dem Ausschußsekretär.
Alles in allem, meine Damen und Herren, sieht die sozialdemokratische Bundestagsfraktion diesen Entwurf als einen beachtlichen Fortschritt en, der weitere Konkretisierungen und Verbesserungen der beruflichen Bildung nicht nur möglich, sondern — dessen sind wir heute eher gewiß denn zuvor — zur unerläßlichen Notwendigkeit macht. Wir stellen mit Genugtuung fest, daß mit der Annahme dieses Gesetzes nach einer mehr als 50jährigen Auseinandersetzung zunächst einmal — trotz aller Mängel, die dieser Entwurf zweifellos aufweist — in beachtlicher Weise die heute optimal mögliche Lösung so weit zusammengefaßt ist, daß auch dies ein Erfolg gemeinsamer Bemühungen in diesem Hause ist, der von seinem Ansatz her nicht gering einzuschätzen ist.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird deshalb diesem Entwurf trotz mannigfacher Bedenken und trotz der mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP verursachten Verschlechterung in der Schlußabstimmung die Zustimmung geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf
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Müller
namens der Fraktion der CDU/CSU vor der Verabschiedung dieses wichtigen bildungspolitischen Gesetzes Stellung nehmen.Das Berufsausbildungsgesetz hat, obwohl die Entwürfe der Fraktionen in dieser Legislaturperiode eingebracht worden sind, eine lange Geschichte. Seit über 50 Jahren laufen die Bemühungen, insbesondere der arbeitenden Jugend — und gleichzeitig für die Wirtschaft —, ein Gesetz über Berufsbildung zu schaffen. Ich möchte insbesondere zu dem, was Herr Kollege Liehr ausgeführt hat — aber nicht zu ihm, sondern vor allem auch mit dem Blick auf die Öffentlichkeit — sagen: Die Auseinandersetzungen über manches, was dem einen oder anderen an diesem Entwurf nicht gefällt — auch mir gefällt etwas nicht, und ich persönlich muß sagen, mir gefällt auch die Änderung nicht, die die Ausschußvorlage hier erfahren hat —, sollten nicht den positiven Ansatz dieses wichtigen Gesetzes überdecken.Meine Damen und Herren, wenn ein Berufsausbildungs- oder Berufsbildungsgesetz bisher nicht bestanden hat, dann bedeutet das ja nicht, daß die Berufsausbildung in Deutschland etwa generell schlecht gewesen sei. Aber trotz aller Anerkennung der Leistungen auf dem Gebiete der Berufsausbildung mußte man auch Mängel feststellen. Man mußte vor allen Dingen anerkennen, daß die Voraussetzungen für eine moderne Entwicklung der Berufsausbildung in dem jetzt zersplitterten Recht einfach nicht gegeben waren.Die bisherigen Ansätze, ein einheitliches Berufs bildungsrecht zu schaffen, sind in den vergangenen Legislaturperioden zum Teil an Kompetenzschwierigkeiten zwischen den Ministern für Arbeit und für Wirtschaft gescheitert. Das war keine persönliche Sache dieser Minister, aber daran erkennen Sie schon die zweifache Aufgabe eines solchen Gesetzes; es sollte nämlich ein Berufsbildungsgesetz für den jungen Menschen und gleichzeitig für die Wirtschaft geschaffen werden. Ich glaube, man sollte zunächst den beiden Ministern persönlich ein Wort des Dankes und der Anerkennung dafür sagen, daß sie sich unter Hintanstellung bisheriger Kompetenzschwierigkeiten auf eine Zuständigkeit geeignet haben, die einen gesunden Kompromiß darstellt und für uns im Ausschuß auch die Grundlage für die Beschlüsse war.Lassen Sie mich einen zweiten Punkt ansprechen. Die bisherigen Entwürfe trugen den Titel Berufsausbildungsgesetz. Heute legt Ihnen der Ausschuß für Arbeit den Entwurf eines Berufsbildungsgesetzes vor. Wir bejahen die in dieser Änderung liegende Grundsatzaussage, weil dadurch zum Ausdruck kommt, daß Berufsbildung mehr als nur Berufsausbildung ist, daß Berufsbildung den ganzen Menschen umfassen muß und auch heute nicht mit dem Abschluß der beruflichen Lehre beendet ist, sondern eine permanente Aufgabe sein muß.Ich möchte nur noch zu einigen Punkten des Gesetzes Stellung nehmen. Wir bejahen die umfassende Lösung eines einheitlichen Berufsbildungsgesetzes auch unter Einbeziehung des Handwerks. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß wir aus organisatorischen Gründen vorschlagen, die Berufsbildung in der Handwerksordnung zu belassen, weil wir ja mit diesem Gesetz — im Allgemeinen Teil — die Handwerksordnung geändert haben.Allerdings möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, daß das Handwerk in seinen Ausbildungsformen auch der Tatsache Rechnung trägt, daß fast die Hälfte der im Handwerk ausgebildeten Lehrlinge den späteren Arbeitsplatz in der Industrie findet und daß aus diesem Grunde in gleich gelagerten Berufen ohne Schwierigkeiten ein Wechsel vom Handwerk zur Industrie, also eine berufliche Mobilität möglich sein muß. Von daher scheint mir eine Überprüfung der Anlage A zur Handwerksordnung auch eine laufende Aufgabe zu sein.Ein Zweites, was wir nicht zur Zufriedenheit gelöst haben — Herr Kollege Liehr hat schon davon gesprochen —, ist die Einbeziehung der berufsbegleitenden Schule in den Geltungsbereich dieses Gesetzes. Sie wissen, die Berufsschule gehört zum Kulturbereich und ist daher Ländersache. Ohne eine Grundgesetzänderung wäre es uns nicht möglich gewesen, diese Frage zu lösen. Das war nicht erreichbar. Wir haben aber in einer engen Abstimmung mit dem Vorsitzenden der Ständigen Konferenz der Kultusminister einen Weg gefunden, der unter den obwaltenden Umständen sicherstellen soll, daß die Erkenntnisse einer einheitlichen Berufsausbildung auch in den berufsbegleitenden Schulen ihren Niederschlag finden. Wir begrüßen daher, daß dem Bundesausschuß für Berufsausbildung als Ländervertreter Fachleute aus dem Bereich des berufsbildenden Schulwesens angehören sollen und daß den Länderausschüssen im wesentlichen die Übertragung solcher Grundsätze auf den Bereich der Berufsschule — unter Aufrechterhaltung der einheitlichen Berufsausbildung — obliegt. Wenn man sich weiter vergegenwärtigt, daß ein Drittel der Lehrer in den Berufsbildungsausschüssen bei den zuständigen Stellen, den Kammern, berufsbildenden Schulen angehört, sollte es, wie wir glauben, möglich sein, den Mangel, daß diese Frage nicht im Gesetz gelöst werden kann, durch die Zusammenarbeit von Praxis und Schule in etwa zu beheben.Meine Damen und Herren, Voraussetzungen für eine gute Berufsausbildung sind die Anforderungen an die persönliche, fachliche und berufspädagogische Eignung des Ausbilders und die materielle Einrichtung der Ausbildungsbetriebe. Wir geben der Hoffnung Ausdruck, daß die hier gefundenen Lösungen in der Praxis dazu führen, daß weder ungeeignete Betriebe noch ungeeignete Ausbilder in der Zukunft in der Lage sein werden, Berufsausbildung zu betreiben.Hier, meine Damen und Herren, ist, glaube ich, ein sehr deutliches Wort an die Mitglieder der Ausschüsse zu sagen. Diese zu bildenden Ausschüsse haben eine große und verantwortungsvolle Aufgabe. Vielleicht ist es notwendig, gerade an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß wir kein perfektionistisches Gesetz schaffen wollten und auch keins schaffen konnten, sondern daß wir der Mitarbeit der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer unter Ein-
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Müller
schluß der Berufsschullehrer größere Bedeutung beimessen als etwa einem Gesetz, das in den Einzelheiten kaum praktikabel wäre.Wegweisend für die Zukunft ist die Einrichtung des Bundesinstituts für Berufsbildungsforschung. Meine ständige Bemühungen, die Arbeitsstelle für betriebliche Berufsaubildung — Herr Kollege Liehr hat schon von der vorzüglichen Arbeit dieser Einrichtung gesprochen — in das Gesetz einzubeziehen, die ich in vielen Einzelgesprächen mit den Vertretern der Sozialpartner unternommen habe, sind leider gescheitert. Aber vielleicht findet sich doch ein Weg, daß die Träger der bisherigen Arbeitsstelle dem neu zu errichtenden Bundesinstitut für Berufsbildung durch ihre Fachleute beratend zur Seite stehen. Dieses Institut soll die Erkenntnisse der Berufsbildungsforschung und die Notwendigkeiten der Berufsbildung beobachten, untersuchen und auswerten und die Anpassung der Berufsbildung an die technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung vorbereiten. Die von uns so dringend gewünschte Zusammenarbeit der Sozialpartner auf dem Gebiet der Berufsausbildung aber auch die Zusammenarbeit mit den Ministerien und der Wissenschaft werden sicher dazu beitragen, daß die Berufsbildung in der gesamten öffentlichen Diskussion nicht wie bisher Stiefkind bleibt. Wir wünschen keine Festlegung der Berufsausbildung auf bestimmte Systeme. Wir wünschen vielmehr eine Berücksichtigung der rasanten technischen Entwicklung in der Möglichkeit der Gestaltung eines Berufsausbildungsergebnisses. Das wird eine besondere Aufgabe sein, die neben diesem Institut auch den Länderausschüssen und den Berufsbildungsausschüssen bei den zuständigen Stellen obliegt.Die Frage der Mitbestimmung der Arbeitnehmerschaft in Fragen der Berufsbildung hat in der bisherigen Diskussion eine große Rolle gespielt. Wir bejahen auch die jetzt gefundene Form der Zusammenarbeit der Sozialpartner in Fragen der Berufsausbildung in den Ausschüssen auf Bundes-, Landes- und Bezirksebene. Wir können nur hoffen, daß keine Stelle ausgerechnet aus der Frage der Berufsausbildung eine Prestigefrage macht, sondern daß auch hier die doppelte Funktion der Berufsausbildung für den Menschen und für die Wirtschaft gesehen wird.Wir sind in den letzten Tagen und Wochen wegen dieses Entwurfs eines Berufsbildungsgesetzes sehr heftig kritisiert worden. Zum Teil wollte man weitergehende Lösungen. Zum Teil glaubt die Kritik uns vorwerfen zu sollen, wir seien in der gesetzlichen Regelung der Berufsbildung zu weit gegangen. Ich möchte betonen, daß der Ausschuß für Arbeit angesichts der diesem Gesetz zugrunde liegenden Entwürfe der Fraktionen, angeregt durch die mehrtägige Sachverständigenanhörung und durch viele Gespräche in langen und teilweise auch sehr harten Auseinandersetzungen einen Entwurf geschaffen hat, der einen Kompromiß zwischen den extremen Auffassungen darstellt.Meine Damen und Herren, so wie die Berufsbildung nie zu Ende sein kann, so kann auch dieArbeit an der gesetzlichen Regelung der Berufsbildung nie zu Ende sein. Auch das ist eine ständige Aufgabe, insbesondere wenn wir uns die Entwicklung in Europa ansehen. Aus diesem Grunde müßten wir eine Regelung schaffen, die für weitere Entwicklungen offen ist, die auch für die Entwicklung im internationalen Bereich offen ist. Das, glauben wir, ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geschehen.Ich darf mich auch im Namen meiner Fraktion dem Dank des Vorsitzenden des Unterausschusses an die Mitarbeiter in den Ministerien und an das Ausschußsekretariat anschließen. Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist meine Pflicht als Ausschußvorsitzender, dem Unterausschuß und insbesondere seinem Vorsitzenden, dem Kollegen Liehr, den Dank auszusprechen. Wenn man dèn Kollegen Liehr an anderer Stelle angegriffen hat und von diesem Gesetz als einem Machwerk gesprochen hat, hat man offensichtlich nicht die notwendige Zeit gefunden, einen solchen Entwurf und die ihm zugrunde liegende Arbeit aller, die daran mitgewirkt haben, richtig zu würdigen.
Wir geben diesem Gesetz unsere Zustimmung in der Hoffnung, daß diejenigen, ,die es handhaben, von dem gleichen Geist der Zusammenarbeit erfüllt sein werden, die im Ausschuß für Arbeit bei diesem Gesetz eine große Rolle gespielt hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor knapp einer Stunde wurde hier bereits einmal davon gesprochen, daß heute eine besondere Stunde sei und daß ein besonderes Gesetz von großer Bedeutung verabschiedet werde. Ich meine, das kann man eher von dieser Stunde jetzt sagen. Die Verabschiedung dieses Berufsbildungsgesetzes, das zweifellos das Ziel noch nicht voll erreicht hat — auf einige Punkte darf ich noch kommen —, kann nach der Auffassung der Freien Demokraten nur mit der Verabschiedung des Arbeitsförderungsgesetzes vor wenigen Wochen verglichen werden, weil es genauso wie dieses ein Gesetz für die Zukunft ist. Deshalb sehen wir auch hier auf Grund der guten Zusammenarbeit im Unterausschuß eine Möglichkeit, ja sogar die Notwendigkeit der Zustimmung zu diesem Gesetz, an dem wir anfangs bereits mitgearbeitet haben. Nach unserer Meinung ist es wichtiger, daß der Deutsche Bundestag in seinen Beratungen Gesetze mit Zukunftswirkung gerade für die zukünftige Entwicklung unter Berücksichtigung der .augenblicklichen Realität verabschiedet als manches, was vielleicht antiquiert ist und von Illusionen und Ideologien getragen wird. Davon wird dieses Gesetz nicht getragen.Es ist, glaube ich, ein gutes Gesetz geworden, weil man sich sehr lange, sehr ausführlich und — das können wir, Kollege Liehr, Kollege Müller, wohl sagen — in sehr guter Zusammenarbeit mit den
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Schmidt
Problemen auseinandergesetzt hat. Hier wurde wirklich Team-Arbeit geleistet — ich darf auch namens der FDP-Fraktion dem Ministerium den Dank aussprechen —, die fern von Druck, fern von zu großen Interessenvorstellungen und auch fern von Illusionen war.Meine Damen und Herren, wir hatten gestern hier im Hause einen kleinen Zwischenfall. Junge Menschen üben zum Teil berechtigte Kritik an manchen Zuständen in der Berufsausbildung in den letzten Jahren. Darauf werde ich noch kommen. Ich habe Verständnis dafür, daß diese jungen Menschen darauf drängen, ein Gesetz zu bekommen, das möglichst weit geht, und eine Berufsausbildung zu bekommen, die möglichst alle Wünsche erfüllt.
— Ich werde gleich noch etwas dazu sagen. Ich habe Verständnis dafür. Aber ich glaube auch, daß diejenigen, die jetzt mit Protestkundgebungen noch einmal versucht haben, den Bundestag etwas in Pression zu bringen, ja, die sogar vorgeschlagen haben, das Gesetz sollte man lieber gar nicht mehr verabschieden, sondern in den Papierkorb werfen und ein anderes machen — das entnehme ich einem Fernschreiben, das ich heute bekommen habe —, gar nicht genau wissen, was in diesem Gesetz steht, gar nicht genau wissen, was für fortschrittliche Maßnahmen, die der technischen Entwicklung und den berufspädagogischen Notwendigkeiten Rechnung tragen, in Zukunft in der Berufsbildung vorgeschrieben sein werden, daß sie gar nicht genau wissen, wie stark sich dieses Gesetz von den bisherigen Gegebenheiten unterscheidet, ohne dabei nun mit den guten Traditionen der Berufsausbildung, insbesondere im handwerklichen Bereich, völlig zu brechen, wie es der Wunsch mancher Kreise war. Denn auch das muß hier wohl einmal gesagt werden: Ausgangspunkt für die Schaffung eines Berufsausbildungsgesetzes war einmal zweifellos die Kritik an manchen Mißständen, die Kritik an der Tatsache, daß die Entwicklungen bisher nicht berücksichtigt wurden, die Kritik daran, daß die Ergebnisse nach der Lehrzeit schlecht wurden, und dergleichen mehr. Ausgangspunkt mußte und sollte auch sein — jedenfalls für uns Freie Demokraten — die gute Tradition der Berufsausbildung in Deutschland seit 50, ja 100 Jahren. Diejenigen, die Kritik geübt haben, sollten nicht ganz vergessen, daß immerhin ein großer Teil der Länder in der Welt ihre Berufsausbildungsgesetze vor Jahren und Jahrzehnten nach der deutschen Berufsausbildung ausrichteten.
Es gab also zahlreiche gute Entwicklungen. Lediglich durch mancherlei Mißstände, auch persönliche — wir kennen sie alle —, mußte eine berechtigte Kritik entstehen, die zu dieser Gesetzesvorlage führte.Bis zur heutigen Stunde führte ein langer Weg, der noch dadurch etwas länger wurde, daß man zunächst einmal für ein Jahr eine Denkpause einschaltete. Am Anfang dieses Entwurfs standen — auch das darf vielleicht gesagt werden — die alten Regierungsverhältnisse in der Bundesrepublik, und zugrunde lagen ein Entwurf der damaligen sozialdemokratischen Opposition — das Arbeitsmarktanpassungsgesetz — und ein Entwurf eines Berufsausbildungsgesetzes der CDU/CSU und der FDP. Hier gibt es also eine gewisse Übereinstimmung mit dem, was beim Arbeitsförderungsgesetz der Fall war. Merkwürdigerweise gelingt es dann, Gesetze in guter, zukunftsweisender Form zu verabschieden, Gesetze, die von allen drei Fraktionen dadurch getragen werden, wenn ihre Ursprünge eben noch in der alten Regierungszusammensetzung liegen. Das war beim Arbeitsförderungsgesetz der Fall und ist auch beim Berufsausbildungsgesetz der Fall. Vielleicht hat das zu dem guten Klima der Beratungen und auch zu dem guten Ergebnis im Unterausschuß beigetragen, Kollege Liehr, wo wir ja in sehr vielen Dingen übereinstimmten.Bedauerlich allerdings, daß diese Tatsache auch dazu führte, ,daß wir ein Jahr weniger Beratungszeit hatten, weil wir natürlich noch einen, na, sagen wir, Koalitionsentwurf brauchten, der die Gegensätzlichkeiten etwas kaschierte, und weil wir nach der Sachverständigenanhörung genau ein Jahr warten mußten, bis es dann gelang, auf dem Weg der sogenannten Formulierungshilfe der Bundesregierung — darüber schweigt der Bericht vorsichtshalber — eine gemeinsame Vorlage zu erstellen. Das nur zur Darstellung der chronologischen Entwicklung, Herr Kollege Müller. Ich habe mich über diese Formulierungshilfe nicht aufgeregt, sondern war sehr froh darüber; aber es sollte doch festgestellt werden, daß diese Formulierungshilfe dann die Grundlage wurde.Die Kollegen Liehr und Müller haben schon über verschiedene Detailfragen gesprochen. In den meisten Fragen sind wir einer Meinung gewesen. Es würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen, wenn ich das jetzt alles aus der Sicht der Opposition wiederholen wollte. Für uns kam es darauf an — das wurde auch bei der Vorberatung des damaligen Entwurfs der CDU/CSU und der FDP zum Ausdruck gebracht —, die Zersplitterung zu beseitigen und die Berufsausbildung auf eine einheitliche Linie zu führen. Für uns kam es auf die Möglichkeit einer Stufenausbildung in der Berufsbildung an. Für uns kam es darauf an, Maßnahmen zur Fort- und Weiterbildung — die dann weitgehend in das Arbeitsförderungsgesetz übernommen worden sind — zu treffen. Für uns kam es darauf an, die Berufsforschung stärker in die Berufsbildung einzubeziehen. Für uns kam es aber auch darauf an, das duale System so weit als möglich zu verwirklichen, nämlich unter Beibehaltung der betriebsnahen praktischen Ausbildung die berufsbegleitende schulische Ausbildung heranzuziehen. Hier liegt ja auch der Grund für unseren gestrigen Antrag — ich komme nachher noch kurz darauf —, die Landesausschüsse zu streichen, weil wir darin einen Anachronismus sehen, wenn das duale System kommt.Diese von uns als grundsätzliche Vorstellung für die Berufsausbildung bereits in erster Lesung vorgetragenen Gedanken sehen wir Freien Demokraten in der Gesamttendenz des Gesetzes verwirklicht. Wir sehen, daß dieses Gesetz die Möglichkeiten und die Notwendigkeiten der technischen
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Schmidt
Entwicklung berücksichtigt und die berufspädagogischen Überlegungen stärker einbaut.Hier möchte ich mich ganz kurz mit den drei wesentlichsten Punkten der Politik auseinandersetzen, die in den letzten Tagen an uns herangetragen worden sind. Wir sind nicht der Meinung, daß dieses Gesetz bezüglich der Eignung des Betriebes und der Ausbilder zu wenig sagt. Es sagt genügend in seiner Rahmenkompetenz. Es kommt darauf an, daß diese Dinge von denen, denen es übertragen worden ist, entsprechend ausgefüllt werden. Ich gebe Ihnen recht, Herr Kollege Liehr, daß diejenigen, die in den Kammern und in den Ausschüssen die Aufgaben dieses Gesetzes zu erfüllen haben, das mit all den Möglichkeiten tun, die das Gesetz ihnen gibt, sonst könnten — —
— Ja, ich bin Optimist Herr Kollege. Ich habe die Hoffnung — aus vielen Gesprächen — daß die Kammern und die Ausschüsse ihre Aufgaben erfüllen; ein Teil der Kritik in der Vergangenheit war da zumindest unberechtigt. Wenn man den Kammern beispielsweise vorwerfen wollte, sie hätten nichts getan, ist dem entgegenzuhalten: sie hatten auf Grund der bisherigen Gesetzeslage zuwenig Möglichkeiten. Die Widerspruchsmöglichkeiten waren zu groß. Wenn — sagen wir es doch einmal hart— jemand auf Grund von Erfahrungen die Eignung abgesprochen wurde, Lehrlinge zu haben, hatte der Betreffende zuviel Möglichkeiten des Widerspruchs. Infolgedessen wurde die Sache leider Gottes nicht so durchgeführt, wie es sein sollte. Jetzt haben wir ) diese Rahmenvorschriften. Sie müssen ausgefüllt werden. Dann ist das, was hier darinsteht, für die Eignung der Betriebe und Ausbilder genügend. Es kommt auf die Menschen an, die das nun darstellen.Die zweite Kritik, daß die volle Mitbestimmung nicht hineingebracht worden sei, kommt auch in dem Fernschreiben an mich zum Ausdruck. Dazu muß ich sagen: mit der paritätischen Besetzung Arbeitgeber/ Arbeitnehmer ist für meine Begriffe die Mitbestimmung — es sei denn, man will die Alleinbestimmung — darin verankert. Nun komme ich — — Ich weiß schon, weshalb Sie so schauen, Herr Liehr: weil wir anders gestimmt haben, als Sie es gewollt haben. Ich komme schon darauf.
— Moment! Herr Kollege Wolf, wenn Sie von Mitbestimmung sprechen, meinen Sie doch Partnerschaft: eins zu eins, zwei zu zwei. Nun, wie ist die Zusammensetzung in den Ausschüssen? Sechs zu sechs und dergleichen mehr. Ist das nun Mitbestimmung oder ist das keine Mitbestimmung, ist das Parität oder ist das keine Parität?
— Moment! Als Sie heraufschauten, habe ich gesagt: Dazu will ich gleich etwas sagen.Warum wollten wir — ich habe es vorhin nicht nochmals begründet, nachdem der Herr Kollege Stücklen dazu genug gesagt hatte —, daß imHandwerk die Dinge so geregelt würden, wie es jetzt durch die Mehrheit des Hauses geschehen ist? Weil wir der Auffassung sind, daß es um die Parität von Arbeitgebervertretern/ Arbeitnehmervertretern geht. Nun sagen Sie mir: sind die durch die Gesellenausschüsse gewählten Gesellenvertreter keine Arbeitnehmervertreter? Haben sie nicht die gleiche Art der Sozialpartnerschaft Arbeitgeber/ Arbeitnehmer? Bloß daß hier die Gesellenausschüsse wählen, die nun einmal, Herr Kollege Wolf, schon bestanden. Man muß sogar anerkennend sagen, daß das Handwerk eine gewisse Partnerschaftsart schon zu einer Zeit eingeführt hatte, als es das in der übrigen Berufsausbildung noch nicht gab.
— Eben.
— Komme ich auch noch drauf! Ich habe ja gestern schon einiges dazu gesagt. Was zunächst einmal die volle Mitbestimmung in der Form der Partnerschaft anlangt, so sehen wir die Dinge als gut geregelt an.Der dritte Punkt der Kritik noch — auch ganz kurz — ist der immer wieder gemachte Vorwurf: Warum bleibt das Handwerk ausgeklammert, warum ist die Sache für das Handwerk in der Handwerksordnung geregelt und nicht, wie es eigentlich sein sollte oder wie gefordert wird, mit hineingenommen, nachdem alle anderen Berufsgruppen darin sind? — Nun, kommt es eigentlich bei diesen Fragen auf die Konstruktion an? Oder kommt es nur darauf an, daß das Handwerk nach der Handwerksordnung genau dieselben Auflagen bekommt wie die übrigen, bloß daß es eben nach der nun einmal bestehenden Handwerksordnung durchgeführt wird? Sind wir eigentlich Formalisten, die sagen: „Es muß nach dem Buchstaben unter den und den Paragraphen fallen!"? Oder kommt es darauf an, daß in Zukunft in der Handwerksordnung die gleichen Dinge verlangt werden, die im übrigen Teil des Gesetzes für die anderen Bereiche verlangt werden?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte!
Herr Kollege Schmidt, würden Sie nicht doch zugeben, daß Sie durch den Antrag, den Sie für Ihre Fraktion mit der CDU/CSU zusammen unterstützt haben, die Qualität auch dieses Ausschusses ganz entscheidend verändert haben?
Herr Kollege, zunächst muß ich etwas feststellen. Heute wurde ein Antrag von Ihnen, also weder von der CDU/CSU noch von der FDP, gestellt. Sie haben vorhin schon einmal von einem Antrag gesprochen, der von der CDU/CSU und der FDP in der Schlußabstimmung gestellt worden sei. Ist gar nicht der Fall! S i e haben einen Antrag gestellt — heute —, der abgelehnt wurde.
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Schmidt
— Herr Kollege Wolf, ich habe gesagt: Zuerst einmal. Kann man denn nicht zuhören? Ich wollte ja zunächst nur richtigstellen.Nun ein zweites zur sachlichen Seite. Ich habe bereits gesagt: die Leute, die über die Gesellenausschüsse gewählt sind, sind zunächst einmal auch Arbeitnehmervertreter. Das leugnen Sie doch nicht. Wollen Sie den Gesellen, die diese Gesellenvertreter zunächst in die Kammer hineinwählen und daraus wieder die Vertreter in die Berufsbildungsausschüsse wählen, die Qualität absprechen, daß sie in der Lage sind, ihre besten Leute in die Berufsbildungsausschüsse zu schicken? Es handelt sich dort genauso um entweder gewerkschaftlich Organisierte oder nicht Organisierte.
— Das ist keine falsche Vorstellung. Er kann es sein. Wenn er es nicht ist — —
— Aber, meine Damen und Herren, es sollte ja nur eine Erklärung werden. Ich wollte nicht so weit gehen. Aber wenn man mich dazu zwingt, muß ich etwas weiter gehen.Ich komme zum Schluß.
— Ich hätte auch Zwischenfragen ablehnen können— aber das tue ich lieber nicht —, dann wäre ich schneller fertig geworden. Außerdem war es vielleicht ganz gut, einiges noch einmal zu klären.Auf Grund der Tatsache, daß wir Freie Demokraten den größten Teil dessen, was wir als Ziel eines der jetzigen Zeit entsprechenden Berufsbildungsgesetzes betrachten, gewahrt sehen, daß wir die primäre Aufgabe der Wirtschaft weiterhin verankert sehen, daß wir weiterhin ein Erziehungs- und Ausbildungsverhältnis und nicht — wie das gewünscht wurde — ein Arbeitsverhältnis bereits während der Lehre haben, und auf Grund der Tatsache, daß mit einer kleinen Einschränkung, die wir bedauern, die Selbstverwaltung im Rahmen der Berufsausbildung erhalten geblieben ist — warum wir die Einschränkung bedauern, habe ich gestern dargelegt: wir halten das Überstimmen der Vollversammlung nicht für gut —, sind wir mit dem Gesetz zufrieden. Wir hätten die Landesausschüsse lieber draußen gehabt; sie widersprechen dem echten dualen System, sie zersplittern wieder. Aber gut — die Mehrheit des Hauses war anderer Meinung.Auf Grund der dargelegten Tatsachen wird die FDP dem Gesetz geschlossen zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schulhoff.
Ich möchte nur eine kurze Erklärung abgeben. Ich hatte nicht die Absicht zu sprechen. Ich habe auch heute morgen mit Rücksicht auf meine Partei nicht gesprochen.
Hier ist immer wieder über die Kammern gesprochen worden. Hier ist immer wieder darüber gesprochen worden, daß das Handwerk die Gewerkschaften diskriminieren wolle. Das ist doch nicht wahr. Ich frage Sie: Wie kommen eigentlich die Gesellen in die Handwerkskammern? Sie kommen dadurch in die Handwerkskammern, daß die Gewerkschaften, die Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes, zusammentreten und von sich aus die Leute benennen, die als Gesellen in der Vollversammlung im Vorstand und im Präsidium der Handwerkskammern tätig werden sollen. Sie bilden ein Drittel der Vollversammlung. Wir wollen, daß die Gesellen, so wie es bisher der- Fall ist, selbst bestimmen, wer von ihnen in den einen oder anderen Ausschuß kommt.
Es hat übrigens zwei Anträge gegeben, einen Antrag des Wirtschaftsausschusses — das ist der Antrag, den wir wiederhergestellt haben — und einen Antrag des Arbeitsausschusses. Wer wird denn nun diskriminiert? Werden die Gewerkschaften diskriminiert, oder werden nicht die Gesellen diskriminiert, wenn Sie jetzt beschließen, daß die Gewerkschaften ganz unabhängig davon, daß sie praktisch schon vertreten sind, irgend jemanden in die Prüfungsausschüsse oder in den Berufsausbildungsausschuß delegieren können, der mit der Handwerkskammer überhaupt nichts zu tun hat?
Und dann haben Sie gesagt, die Parität in dem Berufsausbildungsausschuß werde durch uns gestört. Das ist doch gar nicht wahr. Seit 1953 haben wir die volle Parität in dem Beruf sausbildungsausschuß.
— Das stimmt nicht, wir haben volle Parität 50 : 50!
Im übrigen habe ich folgende Erklärung abzugeben. Wir, die Kammern, sind wahrhaftig nicht mit allem zufrieden, was im Gesetz steht, aber wir werden — ich spreche jetzt auch mit für meine Kollegen —, bzw. ich werde für dieses Gesetz stimmen. Aber ich möchte Sie doch herzlich bitten, es uns nicht dadurch schwer zu machen, daß Sie uns unnötig angreifen.
Aber, meine Damen und Herren, Herrn Schulhoffs Temperament ist doch bekannt. Es ist ja nicht notwendig, alles zu dramatisieren.
— Ich verfüge Gott sei Dank noch über ein beträchtliches Quantum von dieser Ware.Meine Damen und Herren, damit ist die Rednerliste erschöpft. Ich darf noch hinzufügen, daß der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung eine Rede zu Protokoll `) , gegeben hat, die er hal-*) Siehe Anlage 13
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Vizepräsident Schoettle ten wollte, die er aber nicht halten kann, weil er in Godesberg bei der Tagung des VdK sein muß. Dasselbe gilt für eine Rede des Herrn Staatssekretärs im Bundesministerium für Wirtschaft Dr. von Dohnanyi *).Damit ist die allgemeine Aussprache in der dritten Beratung geschlossen.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Berufsbildungsgesetz, so wie es aus den beiden Beratungen hervorgegangen ist, zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist bei einer Enthaltung gegen 21 Stimmen angenommen.Wir haben noch über die Ziffer 2 des Ausschußantrags zu beschließen, die Petitionen, die zu diesem Gesetzentwurf eingegangen sind, für erledigt zu erklären. — Diesem Vorschlag wird nicht widersprochen; es ist im Sinne dieses Antrags beschlossen.Wir müssen noch die Entschließungsanträge auf den Umdrucken 686"), 687 ***) und 688 ****) verabschieden. Das Wort zu den Anträgen hat der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vom Herrn Präsidenten aufgezählten Entschließungsanträge Umdrucke 686, 687 und 688 sind bereits gestern von Herrn Kollegen Kohlberger begründet worden. Sie enthalten im großen und ganzen Aufforderungen an die Bundesregierung, denen wir uns von der CDU/ CSU-Fraktion grundsätzlich nicht widersetzen wollen. Wir glauben jedoch, daß noch einiges zu überprüfen ist, und würden uns freuen, wenn Sie damit einverstanden wären, daß wir uns darüber bei Gelegenheit noch einmal im Ausschuß für Arbeit unterhalten. Auf Einzelheiten möchte ich jetzt nicht eingehen.
Eine Ausnahme macht der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 687. Ich freue mich, gerade als Berliner sagen zu können, Herr Kollege Liehr, daß wir diesem Antrag gleich zustimmen werden.
Ich stelle also im Namen der CDU/CSU-Fraktion den Antrag, die Entschließungsanträge der Fraktion der SPD auf Umdruck 686 und 688 an den Ausschuß für Arbeit zu überweisen.
Sie haben die Vorschläge des Herrn Kollegen Müller gehört. Danach sollen der Entschließungsantrag auf Umdruck 686 und der Umdruck 688 an den Ausschuß für Arbeit überwiesen werden. — Diesem Vorschlag wird nicht widersprochen; es ist so beschlossen. -
Über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 687 können wir gleich abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen wollen, um ein Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig beschlossen. Damit sind wir am Ende dieses Punktes.
Die Fraktion der SPD hat jetzt eine Sitzung. Das erklärt, warum ein Teil der Kollegen den Saal verläßt.
Wir kommen nun zum letzten Punkt der heutigen Tagesordnung, der normalerweise der erste wäre, nämlich zur
Fragestunde
— Drucksache V/4306 —
Wir kommen zunächst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers deis Innern.
Zu den Fragen 55, 56 und 57
Hat die Bundesregierung konkrete Vorstellungen, in welcher Form die Förderung des Sports durch den Bund und die Bundesländer gesetzlich verankert werden kann?
Wird die Bundesregierung im Rahmen eines möglichen Gesetzgebungsvorhabens die positiven Erfahrungen berücksichtigen, die in diesem Zusammenhang in verschiedenen europäischen Staaten, insbesondere der Schweiz, gemacht worden sind?
Welche Initiativen hat die Bundesregierung im Bereich des Schulsports, besonders im Hinblick auf die Talentförderung auf breiter Ebene, in den vergangenen zwei Jahren bei der ständigen Konferenz der Kultusminister angeregt?
hat sich der Fragesteller Herr Dr. Müller-Emmert mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Staatssekretärs Gumbel vom 11. Juni 1969 lautet:
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß gegenwärtig kein hinreichendes Bedürfnis besteht, die Förderung des Sports auf Bundesebene gesetzlich zu regeln. Der Bund hat ohnehin lediglich die ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz für die Förderung des Spitzensports. Die Gesetzgebungskompetenz für die
übrigen Bereiche des Sports steht den Ländern zu.
Die Förderung des Spitzensports bedarf nach Umfang und Art ständig der Anpassung an die rasch fortschreitenden Entwicklungen im Sport und die unterschiedliche finanzielle Leistungskraft der Sportverbände. Daher müßte sich eine gesetzliche Regelung auf wenige allgemeine Grundsätze beschränken. Ein solches Gesetz erscheint nicht sinnvoll.
Soweit in anderen europäischen Staaten die Sportförderung gesetzlich verankert ist, beziehen sich diese Gesetze auf den Schulsport oder Breitensport und damit auf Gegenstände, die in der Bundesrepublik zur Gesetzgebungskompetenz der Länder gehören.
In der Schweiz bestehen gesetzliche Bestimmungen über die Sportförderung nur im Rahmen der sogenannten Militärorganisation . Diese Vorschriften, die aus dem Jahre 1907 stammen, befassen sich mit dem Sport der männlichen Bevölkerung im militärischen Interesse und werden auch in der Schweiz allgemein nicht mehr als zeitgemäß angesehen. Zur Zeit werden daher neue Regelungen erwogen.
Ob sich Landesgesetze über die Sportförderung empfehlen, müssen die einzelnen Bundesländer nach den jeweiligen Gegebenheiten selbst prüfen.
Die Bundesregierung hat sich wiederholt dafür ausgesprochen, daß der Schulsport entsprechend seiner großen Bedeutung für die Bildung und Erziehung unserer Jugend gefördert werden sollte. Diesen Standpunkt hat vor allem Bundeskanzler Kiesinger in seiner Rede vor dem Bundestag 1968 des Deutschen Sportbundes in Stuttgart bekräftigt.
Dem Schulsport fällt nach Ansicht der Bundesregierung auch eine sehr wesentliche Aufgabe im Rahmen der sportlichen Talentsuche und Talentförderung zu. Sie hat es daher begrüßt, daß die Kultusministerkonferenz am 19. März 1968 folgenden Beschluß gefaßt hat:
„Die Kultusminister der Länder sind der Auffassung, daß die Förderung sportlich talentierter und leistungswilliger Jungen und Mädchen eine gemeinsame Aufgabe der Schule und der Sportverbände ist. Die Schulen sind dazu aufzufordern, Schüler und Schülerinnen mit herausragenden Leistungen oder besonderer sportlicher Veranlagung zu benennen, damit sie im Einvernehmen mit den Erziehungsberechtigten gefördert werden. Durch Differenzierung des Unterrichts nach Neigung und Leistung und durch Einräumung freier Wahl der Übun-
s) Siehe Anlage 14 **) Siehe Anlage 10 ***) Siehe Anlage 11 ****) Siehe Anlage 12
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Vizepräsident Schoettle
gen bei Wettkämpfen, insbesondere bei den Bundes-Jugendspielen, wird die Talentfindung erleichtert. Die Mitarbeit der Leibeserzieher an den Maßnahmen der Talentförderung im außerschulischen Bereich ist erwünscht."
Die Bundesregierung betrachtet diesen Beschluß als eine brauchbare Grundlage für eine stärkere Beteiligung der Schulen bei der Talentförderung. Sobald Erfahrungen mit den verschiedenen in letzter Zeit eingeleiteten neuen Maßnahmen der Talentförderung in den Schulen vorliegen, sollte geprüft werden, ob die Kultusministerkonferenz weitere Empfehlungen zur Talentförderung herausgeben kann. Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn diese Frage und die weiteren vordringlichen Probleme des Schulsports in dem vorgesehenen Koordinierungsgremium für den Sport, für das sich auch der Innenausschuß des Deutschen Bundestages ausgesprochen hat, erörtert werden.
Die Fragen 58 und 59 stellt der Abgeordnete Jung. Ist der Abgeordnete Jung anwesend? — Das ist nicht der Fall. Dann werden die Fragen schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Fragen 60, 61 und 62 des Abgeordneten Müller auf:
Wie erklärt die Bundesregierung, daß über den Prüfungsauftrag des Bundestagsinnenausschusses vom 8. Mai 1969 hinaus der Bundesinnenminister bereits einen Sportbeirat konstituieren will?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Art der Publizierung von ministeriellen Plänen — wie die Errichtung einer „Bundeszentrale für Sport" und des vom Bundesinnenminister Benda angekündigten „Sportbeirates" — eine sachdienliche Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Sportbund und dem Bundesinnenministerium erheblich beeinträchtigen?
Befürchtet die Bundesregierung nicht, daß durch solche „Initiativen" der Eindruck einer Mißachtung des Deutschen Sportbundes in der Öffentlichkeit entstehen kann?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt die Antwort des Bundesministers Benda vom 12. Juni 1969 lautet:
Die Bundesregierung plant seit längerem, beim Bundesminister des Innern einen Sport-Beirat zu dessen fachlicher Beratung bei der Erfüllung seiner Aufgaben im Bereich des Sports einzurichten. Ich habe die Bildung des Beirats bereits beim öffentlichen Sport-Hearing des Innenausschusses des Bundestages am 23. Januar 1969 angekündigt. Die Bundesregierung verspricht sich von einem solchen Gremium, dem aktive Sportler, Trainer und andere Personlichkeiten aus dem Bereich des Leistungssports angehören sollen, eine wesentliche Hilfe bei der Förderung des Leistungssports vor allem im Hinblick auf die Olympischen Spiele in München. Nach mehreren Gesprächen mit dem Deutschen Sportbund habe ich zwölf Persönlichkeiten um ihre Mitwirkung in dem Beirat gebeten und zur ersten Sitzung eingeladen.
Der Wunsch des Innenausschusses, das Gremium nach Möglichkeit in Verbindung mit dem vom Innenausschuß vorgeschlagenen Koordinierungsgremium zu bilden, ließ sich nicht verwirklichen, weil die Verhandlungen wegen der Bildung des Koordinierungsgremiums noch nicht abgeschlossen sind und sich gegenwärtig nicht absehen läßt, wann dieses Gremium seine Arbeit aufnehmen kann. Andererseits haben die sportlichen Vorbereitungen auf die Olympischen Spiele in München, denen der Beirat u. a. dienen soll, bereits begonnen, so daß die Bildung des Beirats nicht verzögert werden sollte.
Das im Jahre 1968 in meinem Hause angefertigte Arbeitspapier über die Errichtung einer „Bundeszentrale für Sport" sollte lediglich als Grundlage für Gespräche mit dem Deutschen Sportbund dienen und ist von der Bundesregierung nicht veröffentlicht worden.
Bei der Bildung eines Sportbeirates beim Bundesminister des Innern liegt der Sachverhalt anders. Mein Haus hat in einer Pressenotiz auf die bevorstehende Bildung dieses Beirates hingewiesen. Ich bin nicht der Auffassung, daß hierdurch die sachdienliche Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Sportbund und dem Bundesinnenministerium beeinträchtigt wird. Die mit der Bildung des Sportbeirates zusammenhängenden Fragen sind in mehreren Gesprächen vorher mit dem Deutschen Sportbund erörtert worden. Dem Vorschlag des DSB, die Mitglieder des Vorstandes des Bundesausschusses zur Förderung des Leistungssports hinzuzuziehen, bin ich gefolgt.
Gestern habe ich in einem mehrstündigen Gespräch mit dem geschäftsführenden Präsidium des Deutschen Sportbundes die mit der Bildung des Sportbeirates zusammenhängenden Fragen erörtart. Es ist vorgesehen, die Gespräche in drei Wochen fortzusetzen. Wegen der bevorstehenden weiteren Gespräche mit dem DSB möchte ich auf Einzelheiten nicht eingehen.
Unter Hinweis auf meine vorstehenden Ausführungen beantworte ich die letzte Frage mit: Nein.
Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Schmidt auf. Ist der Abgeordnete Schmidt (Kempten) nicht mehr im Saal? — Dann wird die Frage schriftlich beantwortet.
Die Frage 64 stellt der Abgeordnete Peiter. Ist der Abgeordnete Peiter anwesend? — Die Frage wird ebenfalls schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Fragen 65, 66 und 67 des Abgeordneten Stein auf:
Hat die Bundesregierung mit der Durchführung des Prozesses beim Bezirksgericht des New Yorker Stadtteils Brooklyn gegen den jetzigen Besitzer, Anwalt Edward Elicofon, der beiden Dürerbilder , die anläßlich der amerikanischen Besetzung aus dem Bestand des Weimarer Museums im Jahre 1945 verschwunden waren und vor einigen Jahren wieder aufgetaucht sind, hervorragende Anwälte betraut?
Hat die deutsche Bundesregierung mit den mutmaßlichen Eigentümern der beiden Dürerbilder Vereinbarungen getroffen, wonach diese Eigentümer dem Prozeß auf Herausgabe der Dürerbilder beitreten?
Ist die Bundesregierung bereit, nach einem obsiegenden Urteil auf Herausgabe der Bilder durch den jetzigen Besitzer dieselben den mutmaßlichen deutschen Eigentümern wieder zur Verfügung zu stellen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Köpple vom 12. Juni 1969 lautet:
Im Zusammenwirken mit der Deutschen Botschaft in Washington. und dem Deutschen Generalkonsulat in New York ist ein Vertrauensanwalt des Generalkonsulats New York mit der Durchführung des Prozesses betraut worden.
Angesichts des schwebenden Prozesses möchte ich mich auf die Mitteilung beschränken, daß Fragen des Eigentums und des Verbleibs der Bilder zwischen den Beteiligten, auch im Hinblick auf prozessuale Folgerungen, erörtert werden.
Frage 68 stellt der Abgeordnete Kahn-Ackermann. Er ist .ebenfalls nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Wieviel deutsche kommunistische Parteien gibt es gegenwärtig?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern.
Der Bundesregierung sind folgende deutsche Parteien bekannt, die sich .als „kommunistisch" oder „marxistisch-leninistisch" bezeichnen: die „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands" in der sowjetischen Besatzungszone, die „Sozialistische Einheitspartei West-Berlin" (SEW) im Land Berlin, die „Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) !im westlichen Bundesgebiet und die „Kommunistische Partei Deutschlands/ Marxisten-Leninisten" (KPD/ ML), eine unter rotchinesischem Einfluß stehende Splittergruppe.
Darüber hinaus ist bekannt, daß die vom Bundesverfassungsgericht verbotene Kommunistische Partei Deutschlands ihre Organisation und Tätigkeit innerhalb und außerhalb des Bundesgebietes fortsetzt.
Herr Dr. Marx!
Herr Bundesminister, darf ich fragen: Haben Sie von Ihrer Sicht her irgendwelche Nachweise dafür, daß es zwischen einzelnen dieser genannten Parteien unterirdische Verbindungen und Kanäle gibt?
Es gibt, Herr Kollege Dr. Marx, nicht nur solche unterirdischen
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969 13169
Bundesminister BendaVerbindungen, sondern es gibt ganz offensichtliche Verbindungen — z. B. zwischen der SED und der verbotenen KPD — und auch andere Querverbindungen sowohl ober- als auch unterirdischer Art zwischen den anderen genannten Parteien, vielleicht •mit Ausnahme dieser maoistischen Gruppe, die ich erwähnt habe.
Herr Dr. Marx!
Ich möchte in der zweiten Frage gern präzisieren: Gibt es Verbindungen zwischen der verbotenen KPD und der DKP, die so geartet sind, daß man sie offenlegen kann?
Es gibt zweifellos personelle Verbindungen, die sich daraus ergeben, daß ein beträchtlicher Teil der Funktionäre der DKP-Funktionäre — zum Teil führende Funktionäre — der verbotenen KPD jedenfalls gewesen sind; darunter sind auch Personen, von denen wir wissen, daß sie diese illegale Tätigkeit bis in die jüngste Zeit hinein fortgesetzt haben.
Ich rufe die Fragen 70 und 71 des Abgeordneten Prinz von Bayern auf:
Erachtet die Bundesregierung bei ihren Überlegungen zur Reform der Struktur von Regierung und Verwaltung auch Reformen in der Arbeitsweise und Instrumentierung des Deutschen Bundestages für notwendig, die mit den beabsichtigten Reformüberlegungen der Bundesregierung in Wechselbeziehung stehen?
Ist die Durchführung des Artikels 29 des Grundgesetzes mit dem Ziel, funktionsfähigere Ländereinheiten zu schaffen, dazu geeignet, dem Bundesrat eine zusätzliche Kontrollfunktion gegenüber der Bundesregierung zu verleihen?
Die Fragen werden mit dem Einverständnis de's Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort des Herrn Bundesministers Benda vom 12. Juni 1969 lautet:
Bei den Überlegungen zur Reform der Regierungs- und Verwaltungsarbeit nimmt die Bundesregierung in besonderem Maße darauf Bedacht, die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bundestag auch in verfahrensmäßiger Hinsicht weiter zu verbessern. Die Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform beim Bundesminister des Innern verfolgt daher auch die Reformarbeiten im Deutschen Bundestag im Hinblick auf diese Frage mit besonderer Sorgfalt.
Konkrete Vorschläge zur Abstimmung der Arbeitsweise und Instrumentierung von Bundestag und Bundesregierung sind jedoch noch nicht erarbeitet.
Die Neugliederung des Bundesgebietes würde gemäß Art. 29 Abs. 1-6 GG auf Grund eines Bundesgesetzes erfolgen, das der Zustimmung des Bundesrates nicht bedarf.
Die Durchführung der Neugliederung des Bundesgebietes mit dem Ziel, funktionsfähigere Ländereinheiten zu schaffen, wird dem Bundesrat rechtlich keine zusätzliche Kontrollfunktion gegenüber der Bundesregierung verleihen. Die politischen Auswirkungen einer Neugliederung auf das Verhältnis von Bundesregierung und Bundesrat sind derzeit noch nicht absehbar.
Ich rufe die Frage 72 des Abgeordneten Dr. Becher auf:
Teilt die Bundesregierung die Überzeugung, daß der am 27. Mai 1969 im 1. Deutschen Fernsehen gesendete Kommentar des Herrn Dieter Gütt über die Pfingsttreffen von 600 000 Vertriebenen durch die Übereinstimmung seiner Ausführungen mit gleichlautenden Verleumdungskommentaren sowjetischer und sowjetzonaler Herkunft die Frage nach dem Mißbrauch der Nachrichtensendungen des 1. Deutschen Fernsehens durch bestimmte Publizisten bzw. Publizistengruppen aufwirft?
Bitte, Herr Bundesminister, wollen Sie antworten!
Das Bundesverfassungsgericht, Herr Kollege Becher, fordert in seinem Urteil vom 28. Februar 1961, daß Veranstalter von Rundfunkdarbietungen so organisiert sein müssen — ich zitiere jetzt das Gericht —, daß für den Inhalt des Gesamtprogramms Leitgrundsätze verbindlich sind, die ein Mindestmaß von inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung gewährleisten. Die von den Ländern erlassenen Gesetze sehen solche Leitgrundsätze auch vor. Sie gelten selbstverständlich auch für das Erste Deutsche Fernsehen, das ausschließlich von Rundfunkanstalten des Landesrechts veranstaltet wird. Die Intendanten der Rundfunkanstalten sind für die Beachtung dieser Gesetzesvorschriften verantwortlich. ,Die Intendanten wiederum haben sich gegenüber den Aufsichtsorganen ihrer Anstalten zu verantworten. Darüber hinaus sehen fast alle Landesgesetze vor, daß die jeweilige Landesregierung die Rechtsaufsicht ausübt, also Rechtsverletzungen rügen und die zu ihrer Behebung erforderlichen Maßnahmen treffen kann. Danach hat also nicht die Bundesregierung, sondern haben Intendanten, Aufsichtsorgane und gegebenenfalls Landesregierungen zu prüfen, ob das Gesamtprogramm dieses bedeutsamen Mediums 'mißbraucht wird oder nach dem geforderten Mindestmaß von inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung gestaltet ist.
Herr Dr. Becher!
Herr Bundesminister, sind Sie nicht der Meinung, daß der zitierte Kommentar von Dieter Gütt genau die Bestimmungen, die Sie vorgetragen haben, nämlich die Leitsätze des Urteils des Bundesverfassungsgerichts und die Richtlinienbestimmungen der Landesrundfunkgesetze, gröblich verletzt hat, indem er eben kein Kommentar, sondern eine Haßtirade und eine Beschimpfung großer Bevölkerungsgruppen war?
Ich habe, Herr Kollege Becher, zunächst die Zuständigkeit und damit auch die Verantwortlichkeit klarstellen wollen. Auf die Sache selbst und auf Ihre Frage konkret eingehend, darf ich mich auf die Ausführungen beziehen, die Herr Bundesminister Windelen in seinem offenen Brief an Herrn Gütt gemacht hat. Er hat in diesem Brief — und ich möchte das hier ausdrücklich unterstreichen und wiederholen — unter anderem gesagt, daß Herr Gütt Behauptungen aufgestellt hat, die er weder bewiesen hat noch beweisen kann, daß Herr Gütt, anstatt sachlich zu argumentieren, zu dem Mittel der Beleidigung und Unwahrheit gegriffen hat. Herr Kollege Windelen hat das als politische Brunnenvergiftung gekennzeichnet, die nicht hinnehmen könne, wer die Demokratie ernst nimmt. — Ich habe diesen — wie ich glaube — eindeutigen und zutreffenden Aussagen nichts hinzuzufügen.
Herr Dr. Becher!
Herr Bundesminister, sind Sie nicht mit mir der Überzeugung,
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Dr. Becher
daß dann, wenn in Kommentaren des Fernsehens, das immerhin in der ganzen Bundesrepublik gesehen und gehört wird, Denunzierungsparolen gegen ganze Bevölkerungsgruppen verbreitet werden, die fast wörtlich genau den Denunzierungsparolen entsprechen, die von sowjetischen Funkanstalten zum selben Anlaß verbreitet wurden, die Gefahr der Unterwanderung deutscher Fernsehanstalten zumindest in den Abteilungen gegeben ist, die über die außerordentlich wichtige Kommentierung von Ereignissen zu entscheiden und die Kommentare auszuwählen haben, und daß diese Gefahr doch auch uns im Bund sowie den Minister angeht, der für die innere Sicherheit zuständig ist?
Ich würde es vorziehen, Herr Kollege Becher, von den Leitsätzen und Grundsätzen auszugehen, die das Bundesverfassungsgericht in der erwähnten Entscheidung aufgestellt hat, und durchaus diese Gelegenheit dazu zu benutzen, die zuständigen Stellen auf die Verantwortung, die sich daraus ergibt, hinzuweisen.
Sie haben zunächst Ihre zwei Fragen zu dieser Frage erschöpft. Sie kommen gleich noch einmal dran. — Herr Müller !
Herr Bundesminister, auch unter Berücksichtigung dessen, daß, wie Sie schon erwähnten, die Bundesregierung nicht zuständig sei, darf ich — da es in dem anstehenden I Kommentar heißt: Die Frage ist deshalb an diese Bundesregierung zu richten, wie lange sie es noch dulden will, daß eine geifernde Kamarilla von Volksverführern das Messer schwingen darf, usw. — die Frage an die Bundesregierung richten, ob sie das einfach nur überhören will oder was sie bei einer solchen Frage im Rahmen einer öffentlichrechtlichen Einrichtung zu tun gedenkt?
Herr Kollege Müller, die Bundesregierung hat das nicht hingenommen, sondern Herr Kollege Windelen hat sich in der erwähnten und zitierten und, wie ich glaube, eindeutigen und — ich wiederhole es — zutreffenden Weise dazu geäußert.
Herr Müller !
Herr Bundesminister, stimmen Sie mit mir überein, daß solche Methoden, solche Ausdrücke, wie sie hier gefallen sind, eine Art gegenseitiger Verhetzung größerer Volksgruppen sind, die für den Staat gefährlich werden könnten?
Das ist, wie ich bereits erwähnt habe, in den Äußerungen von Herrn Windelen in ganz präziser Weise gesagt worden.
Frau Holzmeisterl
Herr Bundesminister, hält die Bundesregierung die gegenwärtigen Statuten und Satzungen der Deutschen Rundfunk- und Fernsehanstalten für eine objektive Berichterstattung für ausreichend?
Ich glaube, daß sich die Statuten und Satzungen der Rundfunkanstalten an dem ausrichten müssen, was in dem erwähnten Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts festgelegt ist. Vorgänge wie dieser werden den beteiligten und zuständigen Stellen Veranlassung geben, gegebenenfalls ihre Bestimmungen daraufhin zu überprüfen, ob die Einhaltung dieser Grundsätze überall und ausnahmslos gewährleistet ist.
Frau Holzmeister!
Herr Bundesminister, trifft es zu, daß in bestimmten Positionen in öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten Arbeitsverträge für bestimmte Mitarbeiter geschlossen werden, die eine Unkündbarkeit bis zu zehn Jahren beinhalten?
Das ist wahrscheinlich der Fall. Ich bin dabei jedoch nicht über alle Einzelheiten unterrichtet. Ich möchte aber meinen, daß solche Unkündbarkeiten oder sehr lange Kündigungsfristen in vergleichbaren Bereichen sowohl des öffentlichen Dienstes als auch der Wirtschaft an sich nichts Ungewöhnliches sind. Im übrigen bleibt im Falle einer solchen Kündigungsfrist — rechtlich gesprochen — die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung aus gegebenem Anlaß unberührt.
Herr Raffert!
Herr Bundesminister, Sie haben eine Frage beantwortet, in der der Begriff geifernde Kamarilla vorkam. Wen haben Sie in Ihrer Antwort gemeint, als Sie auf diese Frage geantwortet haben? Was könnte Ihrer Meinung nach darunter zu verstehen sein?
Diese Formulierung, Herr Kollege, kommt weder von mir noch von dem hier zitierten Herrn Kollegen Windelen, sondern sie kommt von Herrn Gütt, und ich glaube, für diese Formulierung trägt Herr Gütt auch vor der Öffentlichkeit die Verantwortung. Ich kann und möchte seine Motive, die ihn zu dieser Äußerung gebracht haben, hier nicht untersuchen.
Herr Sänger!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, da ich die Äußerung des Herrn Gütt nicht kenne, den Kommentar nicht gehört habe, möchte ich gerne die Frage beantwortet haben: muß ich Ihrer Antwort von vorhin, daß Sie die Ausführungen des Herrn
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Sänger Bundesministers Windelen für zutreffend halten, entnehmen, daß diese Ausführungen im Namen der Bundesregierung gemacht worden sind, oder waren das Ausführungen der Person?
Herr Kollege Windelen hat — das ist mir bekannt — über diese Frage keine Beschlußfassung der Bundesregierung herbeigeführt. Aber ich kann davon ausgehen, daß das, was er gesagt hat, die Auffassung der ganzen Bundesregierung wiedergibt.
Herr Sänger!
Herr Bundesminister, wir sind doch sicherlich — so darf ich fragen — übereinstimmend der Auffassung, daß die Rundfunkanstalten der Länder Anstalten des öffentlichen Rechts, also nicht Staatsanstalten sind und unter eigener Verantwortung mit entsprechend zusammengesetzten Aufsichtsgremien arbeiten?
Ich habe die Rechtslage bereits skizziert: sie arbeiten in der Tat unter eigener Verantwortung, aber unter der Rechtsaufsicht auch der Landesregierung nach den gesetzlichen Bestimmungen.
Herr Berkhan!
Herr Minister, können Sie dem ij Hause mitteilen, welcher Intendant zuständig ist?
In diesem Bereich ist Herr Klaus von Bismarck zuständig.
Herr Dr. Czaja!
Herr Bundesminister, meinen Sie nicht, daß es angesichts der Tatsache, daß die von Ihnen genannten Leitsätze, die das Bundesverfassungsgericht ja noch einmal unterstrichen und bestätigt hat, immer wieder durchbrochen werden, ohne daß dies abgestellt wird, und zwar in einer Weise durchbrochen werden, die den Staat gefährdet — ich halte das Ganze für eine ausgesprochene Propaganda für rechtsradikale Kräfte —, doch notwendig ist, die Frage der Diskriminierung oder Nichtdiskriminierung großer Bevölkerungsgruppen durch öffentlich-rechtliche Körperschaften mit Monopolcharakter zur Festigung unseres gesamten Staates und des Gemeinwohls in der Gesetzgebung einer Überprüfung zu unterziehen und eine Gegendarstellung zu erwägen?
In dem konkreten Falle, von dem wir sprachen, Herr Kollege Dr. Czaja, hat der erwähnte Intendant, Herr von Bismarck, öffentlich zu dem Vorgang Stellung genommen. Er hat in kritischer Weise zu dem Vortrag von Herrn Gütt Stellung genommen. Herr Kollege Windelen hat eine Diskussion über dieses Thema und über die Ausführungen von Herrn Gütt angeboten und darum nachgesucht. Soviel mir bekannt ist, wird der Westdeutsche Rundfunk diese Diskussion auch durchführen. Ich halte dies für eine geeignete Methode — wenn Sie meine persönliche Meinung dazu hören wollen —, um eine Auseinandersetzung so zu führen, daß die unterschiedlichen Auffassungen zu Worte kommen.
Herr Dr. Czaja!
Herr Minister, Sie gehen von dem Standpunkt aus, daß es dazu kommt. Wollen wir es hoffen! Müßten aber, wenn es nicht dazu kommt und wenn sich diese Fälle — es ist ja nicht der erste — dauernd wiederholen, nicht doch Umfang und Inhalt der Rechte und der Pflichten dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaft einer Überprüfung unter diem Gesichtspunkt der Wahrung der Würde des Menschen, der Würde der Gruppen und des 'Gemeinwohls des Staates unterworfen werden?
Herr Kollege, ich muß insoweit noch einmal auf die Zuständigkeit hinweisen, die nicht beim Bunde liegt. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß Ihre Befürchtung, es werde nicht zu dieser Diskussion kommen, sich nicht bewahrheiten wird, sondern daß es zu dieser von mir als 'sachgemäß empfundenen Methode kommt. Sollte das wider Erwarten nicht der Fall sein, werden sich in der Tat idle zuständigen Stellen die Frage vorzulegen haben, die Sie eben aufgeworfen haben.
Herr Glombig!
Herr Bundesminister, halten Sie die Ausführungen von Herrn Gütt in diesem Kommentar des Fernsehens für einen Angriff gegen den Staat oder halten Sie sie nicht vielmehr für einen Angriff gegen Funktionäre eines bestimmten Verbandes oder vielleicht für einen Angriff auf eine bestimmte Gruppe?
Der Vorgang ist für mein Empfinden ein Verstoß gegen den vorhin erwähnten Leitsatz des Bundesverfassungsgerichts, der den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Pflicht auferlegt, alle Meinungen zu Worte kommen und ihre Tätigkeit vom Prinzip der gegenseitigen Achtung und Toleranz leiten zu lassen. Hierin würde ich den Kern der Problematik dieses Vorgangs sehen.
Bitte, Herr Glombig!
Herr Bundesminister, da stimme ich mit Ihnen völlig überein, aber das war nicht meine Frage. Ich darf meine Frage wiederholen: Sind auch Sie der Meinung — es ist hier behauptet worden, es handle sich dabei um einen Angriff auf den Staat —, daß es sich dabei um einen Angriff gegen diesen Staat oder gegen bestimmte Gruppen in diesem Staat gehandelt hat?
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Herr Kollege, zunächst würde ich es in der Tat vorziehen, meine Meinung in dem Rahmen, in dem ich dazu von der Zuständigkeit des Bundes her befugt bin, hier zu sagen, statt zu Meinungen anderer Stellung zu nehmen. Wenn Sie aber insistieren, muß ich Ihnen sagen, daß ich in der Tat — und das gilt über diese Vorgänge hinaus für andere aktuelle Vorgänge, z. B. Vorgänge im Bereich der Universität Frankfurt gerade vorgestern — in der Tat große Sorge über die wachsende Intoleranz bei einzelnen Menschen und Bevölkerungsgruppen in unserem Lande habe,
die meinen, daß man nicht miteinander oder meinetwegen auch gegeneinander sachlich argumentieren soll, sondern die, sei es durch die akustische Unterdrückung von Meinungen, sei es durch Äußerungen, die ich nur als polemisch und unsachlich bezeichnen kann, versuchen, Meinungen anderer nicht zu Worte kommen zu lassen bzw. diese zu diskriminieren. Sollte sich diese Methode in unserem Lande durchsetzen, würde ich darin in der Tat eine Gefahr, wenn nicht für den Staat, so doch für die demokratische Ordnung dieses Staates — und beides ist schließlich identisch — sehen.
Herr Dr. Marx!
Herr Bundesminister, darf ich zur Klarstellung fragen: Ist Herr Gütt nur Kommentator, oder welche Stellung bekleidet er eigentlich in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt?
Soviel mir bekannt ist, Herr Kollege, ist er Kommentator unter einer Reihe von Kommentatoren, die nach einem bestimmten Prinzip ausgewählt worden sind. Darüber hinaus übt er, soviel mir bekannt ist — aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen —, eine andere offizielle Funktion im Rahmen des WDR nicht aus.
Herr Abgeordneter Dröscher!
Herr Bundesminister, halten Sie es nicht auch vielleicht für gefährlicher für den Staat, einen Mann, der bei einem Kommentar unter Umständen eine vielleicht über das Ziel hinausschießende Äußerung macht, mit Mitteln einschüchtern zu wollen, wie es in dieser Fragestunde versucht worden ist? Und wird damit nicht ein Angriff auf die Pressefreiheit und die Meinungsfreiheit in einer dynamischen Gesellschaft, die ja einen weiten Spiegel der Meinungsäußerung braucht, geführt?
Herr Kollege, es steht einem Mitglied der Bundesregierung sicher nicht zu, Fragen, die in diesem Hohen Hause gestellt werden, in dieser Weise zu qualifizieren. Ich nehme an, daß, wenn eine solche Befürchtung berechtigt wäre, der Herr Präsident das nach den Regeln für die Fragestunde ohnehin eventuell Notwendige getan hätte. Ich persönlich glaube nicht, daß von irgendeiner Seite der Versuch einer Einschüchterung unternommen worden ist. Die Herren Kollegen haben für mein Empfinden — es steht mir nicht zu, das hier zu beurteilen — von dem Recht, ihre Meinung zu dieser Sache zu sagen, Gebrauch gemacht.
Der Präsident hat jedenfalls keinen Anlaß gesehen, gegen irgendeinen der Fragesteller oder der Beantwortenden hier vorzugehen. Über Geschmacksfragen läßt sich bekanntlich streiten.
Jetzt rufe ich die Frage 73 des Abgeordneten Dr. Becher auf:
Ist die Bundesregierung der Überzeugung, daß die Verwendung des Herrn Dieter Gütt in der Koordinationszentrale des 1. Deutschen Fernsehens für politische Kommentare des weiteren die Fragen aufwirft, wer für die Berufung der Kommentatoren des 1. Deutschen Fernsehens zuständig ist, welches Gremium ihnen gegenüber die Einhaltung der Richtlinienvorschriften der Länderrundfunkgesetze allgemein sowie im gegebenen Fall überwacht und welche Vorkehrungen dafür getroffen sind, daß große Bevölkerungsgruppen — wie die Vertriebenen — nicht ausschließlich mit Negativ-Kommentaren bedacht werden?
Für die Berufung der Kommentatoren gilt das gleiche wie für die Programmverantwortung. Insoweit beziehe ich mich auf meine Antwort zur Frage 72. Verantwortlich ist auch hier der Intendant, kontrolliert von den Aufsichtsorganen und bei Rechtsverletzungen auch von der jeweiligen Landesregierung. Niemand kann den Intendanten ihre primäre Verantwortung abnehmen, und zwar weder für die Berufung der Kommentatoren noch dafür, daß alle in Betracht kommenden Bevölkerungsgruppen in einem inhaltlich ausgewogenen Gesamtprogramm zu Wort kommen. Dabei kommt es letztlich nicht darauf an, welche Anstalt einen bestimmten Teil des Gemeinschaftsprogramms geliefert hat. Der Intendant ist für die im Bereich seiner Anstalt verbreiteten Sendungen des Ersten Deutschen Fernsehens auch dann verantwortlich, wenn sie von einer anderen Anstalt hergestellt sind.
Herr Dr. Becher!
Herr Minister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß eine besondere Schwierigkeit darin liegt, daß wir es hier mit einer politisch und publizistisch vielleicht höchst wichtigen Zentralstelle überhaupt zu tun haben: mit der sogenannten Koordinierungsstelle des ARD für Kommentare und politische Sendungen, daß niemand recht weiß, wer diese Koordinierungsstelle kontrolliert, da sie für sämtliche Anstalten zuständig ist und auch im konkreten Fall keiner der Intendanten eine klare Auskunft darüber geben konnte, wer Herrn Dieter 'Glitt — der nach meinem Wissen im übrigen nicht nur Kommentator, sondern hauptberuflich in dieser Koordinierungsstelle mitbestimmend ist — oder wer diesen Kommentar überprüfte, wer ihn gelesen hat und welche demokratische Institution es außerhalb der einzelnen Rundfunkanstalten, Rundfunkausschüsse und Rundfunkräte gibt, die eigentlich über diese politische höchst wichtige Institution eine Oberaufsicht führt?
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Über die große Bedeutung dieser Stelle und auch die damit verbundene Verantwortung kann es natürlich gar keinen Zweifel geben. Ich glaube aber, daß es jedenfalls nach der rechtlichen Seite hin schon klar ist, wer die Verantwortung trägt, nämlich die in meiner Antwort auf Ihre Frage bezeichneten Stellen.
Herr Berkhan!
Herr Minister, stimmt es, daß in den zuständigen Kontrollinstanzen und Ausschüssen alle in diesem Hause vertretenen politischen Parteien durch Repräsentanten vertreten sind?
Ja, das trifft zu.
Keine weitere Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 74 des Abgeordneten Dr. Becher auf:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung einzuleiten, um die Gefahr der Manipulierung des Deutschen Fernsehens durch politische Monopolgruppen genauso zu untersuchen, wie dies im Hinblick auf entsprechende Gefahren im Bereich des Pressewesens bereits geschah?
Bei den Untersuchungen der sogenannten Michel-Kommission und der Pressekommission sowie den Untersuchungen über die Konzentration im Pressewesen ging es nicht um das Vorherrschen bestimmter Meinungen, sondern um Wettbewerbsfragen, freilich mit möglichen Auswirkungen auf die Meinungsbildung. Die Untersuchung über die Wettbewerbsgleichheit zwischen Presse, Funk, Fernsehen und Film erfolgte auf Ersuchen des Deutschen Bundestages. Die Tätigkeit der Pressekommission war letztlich nur Folge und Ergänzung dieser vom Parlament gewünschten Untersuchung, wobei der Bund sowohl für das Presserecht wie für das Recht der Wirtschaft Gesetzgebungsbefugnisse hat. Bei den Untersuchungen im Pressebereich lagen also wesentlich andere Voraussetzungen vor als bei den Untersuchungen, die Sie offenbar im Auge haben.
Herr Dr. Becher!
Herr Minister, ich möchte in diesem Zusammenhang eine Frage an die Bundesregierung richten, die ich schon vor einem Jahr an sie gerichtet habe. Ich frage die Bundesregierung, ob die Gefahr der Manipulierung des Fernsehens, welches ja für die gesamte Bevölkerung da ist und auch von der gesamten Bevölkerung — also auch von denen, die angegriffen werden — finanziert wird, oder bestimmter Sendungen des Fernsehen durch bestimmte Gruppen nicht ebenso groß — oder sogar größer — ist wie die Gefahr von Monopolbildungen im, Bereich der Presse und ob die Bundesregierung aus dem Gefühl der Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber dem gesamten Volk deshalb nicht die Zustände in ähnlichem Sinne überprüfen müßte und sollte, wie es im Bereich der Presse geschehen ist.
Auch hier möchte ich sagen, daß über die Wichtigkeit des Problems sicher keine Meinungsverschiedenheit zwischen uns bestehen wird. Aber die Bundesregierung ist natürlich gehalten, mögliche Überlegungen nur im Rahmen ihrer rechtlichen und verfassungsmäßigen Zuständigkeiten anzustellen, und diese setzen derartigen Überlegungen eine deutliche Grenze.
Herr Dr. Czaja!
Ist es aber nicht im Interesse der Wahrung des Grundgesetzes, zum Schutz der Würde des Menschen und der Gruppen, zum Schutz der Toleranz und zum Schutz vor Äußerungen, die unbedingt zu radikalen Gegenäußerungen führen, erforderlich, daß sich auch der Gesamtstaat mit dieser Frage befaßt?
Herr Kollege, derartige Überlegungen können nichts an der im Grundgesetz in den entsprechenden Bestimmungen festgelegten Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern ändern. Im übrigen ist diese Frage einer gewissen Zuständigkeit auch in dem mehrfach erwähnten Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts behandelt und beantwortet worden. Niemand, auch nicht die Bundesregierung, ist in der Lage, sich über solche rechtlichen Entscheidungen hinwegzusetzen.
Herr Dr. Czaja!
Herr Minister, ich möchte meine Frage konkretisieren. Ich habe nicht die Frage der Lizenzen, die durch das Bundesverfassungsgericht entschieden ist, aufgeworfen, sondern ich habe gefragt, inwieweit öffentlich-rechtliche Körperschaften ebenfalls grundgesetzliche Vorschriften über die Würde des Menschen und deren Schutz beachten müssen. Muß nicht auch auf Bundesebene dafür gesorgt werden, daß das geschieht, unabhängig davon, wer die Lizenzen vergibt?
Meine Antwort, die ich eben gegeben habe, bezog sich genau auf diese Frage, die ich schon richtig verstanden habe.
Herr Berkhan!
Herr Minister, sind Sie bereit, den WDR zu bitten, in seiner Rechtsabteilung prüfen zu lassen, ob die Vorwürfe, die hier eben in einer Frage erhoben wurde, zu Recht erhoben wurden und was die Rechtsabteilung zu tun gedenkt, sofern die Frage bejaht wird?
13174 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, ,den 12. Juni 1969
Herr Kollege Berkhan, ich würde es für richtiger halten, daß das zunächt die für den Bereich dieser Rundfunkanstalt zuständige Landesregierung nach den gesetzlichen Bestimmungen in ihrer Zuständigkeit tut und damit ihrer Verantwortung nachkommt.
Herr Berkhan!
Herr Minister, sind Sie bereit, im Rahmen Ihrer Möglichkeiten als Mitglied einer Partei auf Ihre Freunde in Nordrhein-Westfalen hinzuwirken, daß sie versuchen, diese Klärung herbeizuführen?
Dazu bin ich bereit; solche Bemühungen gibt es selbstverständlich bereits.
Herr Raffert!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, ist es richtig, daß die beiden Untersuchungen im Bereich des Pressewesens, in denen ja auch der Rundfunk vergleichsweise als ein konkurrierendes Medium mit untersucht worden ist, wenn auch aus anderen Gesichtspunkten, auf eine Iinitiative aus dem Parlament und nicht auf eine Initiative der Regierung hin erfolgt sind?
Das hatte ich in meiner Antwort auf die Frage bereits gesagt, Herr Kollege.
Herr Glombig!
Herr Bundesminister, darf ich Ihnen in Zusammenhang mit den Äußerungen, die hier zum Schutz der Würde des Menschen und zur Manipulierbarkeit des Fernsehens gefallen sind, die Frage stellen, ob Sie denn tatsächlich der Ansicht sind, daß dieser Kommentar von Herrn Gütt mit dem gleichzusetzen ist, was sich vor einigen Tagen an zwei deutschen Universitäten in einem anderen Zusammenhang abgespielt hat?
Ich würde solche Vergleiche, Herr Kollege, für prinzipiell falsch halten. Ich glaube nicht, daß, wenn an einer Stelle die Menschenwürde beeinträchtigt ist, dies ein ähnliches oder vergleichbares Verhalten an anderer Stelle entschuldigen könnte. Ich glaube, daß das ganz unvergleichbare Dinge sind. Jeder Vorgang ist für sich isoliert zu betrachten und zu beurteilen.
Herr Sanger!
Herr Bundesminister, ist meine Rechtsauffassung richtig, daß es nur eine Möglichkeit gibt, Einfluß auf die Sendeinhalte der Rundfunkanstalten, auf ihre Personalpolitik und Ähnliches zu nehmen, nämlich clie, einen Antrag auf Änderung der freiheitlichen Ordnung unserer Verfassung zu stellen?
In dieser Form halte ich Ihre Rechtsauffassung nicht für richtig, Herr Kollege Sänger. Es ist theoretisch rechtlich denkbar, daß die entsprechenden Bestimmungen über die Zuständigkeitsverteilung geändert werden. Das ist natürlich ein Thema, das der Diskussion und der Entscheidung der hierfür zuständigen gesetzgebenden Körperschaften offensteht. Ob es politisch realisierbar wäre, ist keine Rechts-, sondern eine politische Frage.
Herr Sänger!
Herr Bundesminister, wir stimmen aber doch sicherlich darin überein, daß nach dem, was im Grundgesetz und in dien Gesetzen der Länder festgelegt ist, eine Ordnung für die Aufsichtsgremien der Anstalten gefunden worden ist, durch die alle relevanten Kräfte der Gesellschaft die Möglichkeit der Einflußnahme, der Beobachtung, der Wertung und auch dier Sorge für Ordnung erhalten?
Es gibt sicherlich ein Instrumentarium. Ich habe mehrfach im Verlauf der Fragestunde auf dieses Instrumentarium hingewiesen. Natürlich bedeutet das Bereitstehen von Instrumenten noch nicht, daß sie im konkreten Fall überhaupt oder richtig angewendet werden, sondern natürlich besteht zwischen der rechtlichen Ordnung und der tatsächlichen Situation potentiell ein gewisses Spannungsverhältnis. Das ist ein Vorgang, den wir alle auch aus anderen Bereichen kennen.
Herr Dr. Becher!
Herr Bundesminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß das eigentliche Problem darin liegt, ob und inwieweit infolge des Nichtvorhandensein der gesetzlich geforderten Kontrolle genau die freiheitlich-demokratische Ordnung verletzt und manipuliert wird, von der mein Kollege Sänger eben gesprochen hat?
Das ist wiederum die Frage der Anwendung der gegebenen Möglichkeiten im konkreten Fall. Hier möchte ich erneut primär auf die Verantwortung der hierfür zuständigen Stellen verweisen.
Herr Glombig!
Herr Bundesminister, ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß nicht ich die Vergleichbarkeit des Kommentars von Herrn Glitt und der Vorgänge an den beiden deutschen Universitäten hier festgestellt habe, sondern daß Sie das in einer vorigen Antwort auf meine Frage getan haben?
Ich glaube nicht, daß ich das getan habe. Aber da hier Protokoll geführt wird, besteht ja die Möglichkeit, nach-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969 13175
Bundesminister Bendaher nachzulesen, ob das der Fall gewesen ist oder nicht.
Wir kommen zu den Fragen des Herrn Abgeordneten Damm, zunächst der Frage 75:
Warum hat die Abteilung ZV im Bundesinnenministerium das Bundesamt für den zivilen Bevölkerungsschutz gebeten, den Bundesverband für den Selbstschutz zu veranlassen, seine Mitwirkung bei den Aufgaben des Katastrophenschutzes, insbesondere bei der Deichverteidigung in Hamburg einzustellen?
Herr Bundesminister, bitte, wollen Sie antworten.
Nach dem Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes vom 9. Juli 1968, der neuen Rechtsgrundlage für den Selbstschutz, hat der Bundesverband für den Selbstschutz weder im Frieden noch im Verteidigungsfall Einsatzaufgaben. Ihm obliegt vielmehr ausschließlich die Aufklärung der Bevölkerung auf dem Gebiet des Zivilschutzes sowie ihre Unterrichtung und Ausbildung im Selbstschutz im Auftrag der Gemeinden oder von Behörden und Betrieben. Die durch die Haushaltslage bedingte Straffung des Verbandes macht es unmöglich, ihm noch zusätzliche Funktionen zu übertragen. Er muß sich, wenn er die Erfüllung seines Auftrags nicht vernachlässigen will, auf seine gesetzlich fixierten Aufgaben konzentrieren. Im übrigen steht für Einsatzaufgaben auf dem Gebiet des Katastrophenschutzes als Bundeseinrichtung das Technische Hilfswerk mit entsprechend ausgebildeten und ausgerüsteten Helfern zur Verfügung.
In Schleswig-Holstein wirkt das Technische Hilfswerk bereits seit langem in kritischen Situationen bei der Deichverteidigung mit. Der Bundesminister des Innern hatte im Jahre 1964 der Mitwirkung ehrenamtlicher Helfer des Bundesluftschutzverbandes bei der Deichverteidigung in Hamburg nur bis zur Verabschiedung einer neuen gesetzlichen Grundlage für den Selbstschutz zugestimmt. Voraussetzung war jedoch, daß der Verband dadurch in der Wahrnehmung seiner gesetzlichen Aufgaben nicht beeinträchtigt werden dürfe. Aus beiden Gründen muß nunmehr die aktive Mitarbeit des BVS an der Deichverteidigung auslaufen.
Herr Damm!
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß die tatsächlich auftretenden Unkosten für die Teilnahme des Bundesverbandes für den Selbstschutz an der Deichverteidigung von der Hansestadt ersetzt werden?
Dies ist nicht nur eine finanzielle Frage, Herr Kollege Damm, sondern auch eine Frage des sinnvollen Einsatzes der in den verschiedenen Bereichen tätigen ehrenamtlichen Helfer. Welche ungeheuren praktischen Probleme es dort gibt, ist Ihnen ja zweifellos bekannt.
Herr Damm!
Nachdem ich, Herr Minister, zunächst einmal nach der finanziellen Auswirkung gefragt habe, weil Sie auf die angespannte Haushaltslage aufmerksam gemacht haben, und Sie mir nur indirekt geantwortet haben, gehe ich davon aus, daß die finanzielle Seite ohnehin nicht das Problem ist. Aber sind Ihnen konkrete Mitteilungen des Bundesverbandes für den Selbstschutz aus Hamburg bekannt, daß die eigentliche, gesetzlich fixierte Aufgabe dieses Verbandes durch die Teilnahme an der Deichverteidigung gestört oder sogar beeinträchtigt würde?
Nein, ich habe nicht solche konkreten Hinweise, speziell aus Hamburg erhalten. Aber ich habe natürlich eine klare gesetzliche Regelung, die die Aufgaben des BVS festlegt, und ich bin selbstverständlich gehalten, derartige gesetzliche Anordnungen auch zu beachten,
Jetzt haben Sie zwei Fragen gehabt.
— Bis jetzt ist nicht darauf abgehoben worden.
Ich hatte erst die Frage 75 beantwortet, Herr Präsident. Aber ich bin gerne bereit, die beiden nächsten Fragen hintereinander zu beantworten, um vielleicht dem Herrn Kollegen Gelegenheit zu geben, seine Zusatzfragen im Zusammenhang zu stellen.
Ich rufe dann die Fragen 76 und 77 des Abgeordneten Damm auf:Hat die zuständige Abteilung des Bundesinnenministeriums bei seiner in Frage 75 genannten Entscheidung berücksichtigt, daß es in der Öffentlichkeit wie in der Bevölkerung kaum auf Verständnis stoßen dürfte, wenn der BVS, dessen erklärtes Ziel der „Selbstschutz" der Bürger ist, gezwungen werden soll, bei Katastrophen zur Untätigkeit verurteilt zu sein?Trifft es zu, daß die Dienststellen des BVS im Verteidigungs fall stillgelegt werden sollen, obwohl keine Rede davon sein kann, daß der Selbstschutz ausreichend organisiert ist und genügend Helfer ausgebildet sind?Benda, 'Bundesminister des Innern: Zunächst Frage 76: Die Weisung an das Bundesamt für Zivilen Bevölkerungsschutz beruht auf der Entscheidung des Gesetzgebers, dem BVS nur ganz bestimmte, im Gesetz abschließend aufgezählte Aufgaben zuzuweisen. Der BVS ist eine Hilfsorganisation für den Selbstschutz, der den Bürger durch Aufklärung und Ausbildung befähigen soll, sich u. a. in Katastrophensituationen selbst zu schützen und zu helfen. Der Verband soll aber nicht selbst Schutz- und Hilfsfunktionen übernehmen. Hierfür sind die Katastrophenschutzorganisationen, z. B. Feuerwehren, Technisches Hilfswerk, Deutsches Rotes Kreuz usw., besser geeignet. Wenn in der Fragestellung vom erklärten Ziel des BVS gesprochen wird, so muß ich darauf hinweisen, daß seine Aufgaben und Ziele vom Gesetzgeber festgelegt worden sind.Frage 77: Es trifft zu, daß die Dienststellen des BVS im Verteidigungsfalle ihre friedensmäßigen
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13176 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969
Bundesminister BendaFunktionen nicht mehr ausüben werden. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Fachkenntnis des BVS dem Katastrophenschutz dann nicht mehr zur Verfügung stehen würde. Vielmehr ist sichergestellt, daß zum Stabe des Hauptverwaltungsbeamten einer jeden Gemeinde für die Wahrnehmung seiner Aufgaben im Krisenfall auch Fachpersonal des BVS für die Leitung des Selbstschutzes hingezogen wird. Diese Maßnahme entspricht dem Erfordernis, im Verteidigungsfall alle Kräfte zu konzentrieren.
Herr Damm! — Im übrigen bitte ich, sich an die Richtlinien für die Fragestunde zu erinnern, wonach der Fragesteller ebenfalls am Mikrophon stehen sollte. Auch wenn die Antwort gegeben wird, wäre es vielleicht ganz gut.
Herr Präsident, Sie haben völlig recht. Bei der ersten Antwort habe ich das getan. Nachher habe ich es vergessen. Ich bitte um Entschuldigung.
Bitte, Herr Damm!
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß in Hamburg für die normale Gefahrenstufe bei Hochwasser vom Bundesverband für den Selbstschutz jeweils 450 Helfer freiwillig zur Verfügung stehen, um die längstens noch bis 1971 vorhandenen Lücken in der Deichverteidigung — das hängt mit dem noch nicht vollendeten Ausbau der Deiche zusammen — zu schließen?
Herr Kollege Damm, Sie haben sehr viel detailliertere Kenntnisse über die Situation in Hamburg, als ich sie habe oder haben kann. Ich halte das, was Sie gesagt haben, durchaus für möglich und nehme es gern als Information hin. Ich muß aber auch mit der Möglichkeit rechnen und Sie bitten, vielleicht auch das mit zu überlegen — wie wir es in anderen Bereichen jedenfalls vielfach feststellen —, daß ehrenamtliche Helfer gleichzeitig in den verschiedenen Organisationen, die ich erwähnt habe, tätig sind, aber im Ernstfall ja nur an einer Stelle eingesetzt werden können. Das ist eines der Hauptprobleme, das uns Schwierigkeiten macht.
Herr Damm!
Herr Minister, da sich dort eine so große Zahl von Freiwilligen zur Verfügung stellt und die Hamburger Deichverteidigung ohne diese Männer und Frauen nicht auskommen kann, darf ich Sie fragen: Sind Sie angesichts der Tatsache, daß es bislang zwischen der Erfüllung der gesetzlichen Aufgabe und der Erfüllung dieser zusätzlichen Aufgabe keine Friktionen gegeben hat, bereit, Ihre Abteilung ZV zu bitten, die Angelegenheit noch einmal zu prüfen, so daß Hamburg bis Ende 1971 damit rechnen kann, diese Kräfte auch noch weiterhin zur Verfügung zu haben?
Mit der Einschränkung, daß die gesetzliche Zuständigkeit und Aufgabenstellung festgelegt ist, darf ich vielleicht anregen, daß man die Frage prüft — soweit das noch nicht geschehen sein sollte —, ob die Annahme, die den Überlegungen meines Hauses zugrunde liegt, richtig ist, daß das Technische Hilfswerk in der Lage wäre, die erforderlichen Kräfte und die technischen Mittel für die Deichverteidigung, die eine selbstverständliche und notwendige Aufgabe ist, bereitzustellen, so daß sich insoweit die Notwendigkeit des Einsatzes anderer Kräfte nicht ergeben würde. Sollte das nicht der Fall sein, wäre in der Tat Anlaß zu neuen Überlegungen.
Noch eine Frage?
Ja, Herr Präsident. Rein rechtlich gesehen — wenn ich einmal so sagen darf — habe ich noch zwei Zusatzfragen, und die beziehen sich auf die Frage 77; mit der Deichverteidigung haben sie nichts mehr zu tun.
Ich habe Ihnen Ihr Fragerecht nicht bestritten, Herr Kollege.
Herr Minister, Sie haben gesagt, daß im Verteidigungsfall der Bundesverband für den Selbstschutz auf Grund der Gesetzeslage keine Aufgabe mehr habe. Sind Sie bereit, auf Grund der Einwände verschiedener Länder gegen die vorgesehene Stillegung des BVS im Verteidigungsfall erneut zu prüfen, ob es nicht sinnvoll wäre, die Tätigkeit dieses Bundesverbandes für den Selbstschutz auch im Spannungs- und Verteidigungsfall aufrechtzuerhalten?
Dieses Thema ist sehr lange und sehr eingehend zwischen allen beteiligten Stellen diskutiert worden. Man kann natürlich immer wieder neue Überlegungen anstellen. Ich fürchte aber, Herr Kollege Damm, daß in dieser Frage die für und gegen eine bestimmte Regelung sprechenden Argumente erschöpfend von allen Beteiligten vorgetragen worden sind. Ich verspreche mir also nicht sehr viel Neues von solchen Gesprächen.
Herr Damm!
Eine letzte Frage. Wie mir berichtet wird, wurde zu Beginn des zweiten Weltkrieges die Auffassung vertreten, daß der damalige Luftschutz und die Ausbildungseinheiten dafür nicht notwendig seien. Später, im eigentlichen Kriegsfall, sind die Verantwortlichen für diese Ausbildungseinrichtungen zu einer anderen Auffassung gekommen. Könnte das vielleicht den zuständigen Abteilungsleiter in Ihrem Hause bewegen, noch einmal über diese Frage nachzudenken und sich mit den Ländern darüber erneut zu unterhalten?
Herr Kollege Damm, ich halte das für kein sehr gewichtiges
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969 13177
Bundesminister BendaArgument, weil gar kein Streit über die Notwendigkeit auch der Heranziehung ehrenamtlicher, hierfür ausgebildeter Helfer im Katastrophen- oder Verteidigungsfall besteht. Meinungsverschiedenheiten bestehen nur in der Frage, welches die geeigneten Organisationen dafür sind. Nur darüber wird seit langer Zeit diskutiert mit dem Ergebnis, das ich skizziert habe.
Herr Berkhan!
Herr Minister, gibt es ein Hilfsersuchen der Freien und Hansestadt Hamburg an Sie mit der Bitte, die Mitglieder des BVS für die Deichverteidigung in den Fällen, die hier soeben fragend diskutiert wurden, bereitzustellen?
Von einem solchen aktuellen Hilfsersuchen ist mir nichts bekannt. Vor einigen Jahren hat es, wie ich vorhin erwähnt habe, eine Regelung gegeben, die einstweilen, vorbehaltlich der damals noch ausstehenden gesetzlichen Regelung, dieses Verfahren vorgesehen hat. Ich gehe davon aus, daß die Regelung, wie ich sie hier vorgetragen habe, mit den zuständigen Stellen der Freien und Hansestadt Hamburg erörtert worden ist.
Herr Berkhan!
Herr Minister, sind Sie bereit, mit dem zuständigen Innensenator Kontakt aufnehmen zu lassen, um festzustellen, ob Hamburg noch weiter der Hilfe bedarf?
Ich habe mit Herrn Senator Ruhnau ohnehin laufend einen engen Kontakt, und ich bin gern bereit, im Rahmen dieser Kontakte auch diese Frage noch einmal zu erörtern.
Wir kommen zur Frage 78 des Abgeordneten Hirsch. Ist er im Saal? — Die Frage wird schriftlich beantwortet.Damit ist dieser Fragenkomplex erledigt.Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung sind zum Teil bereits beantwortet. •Ich rufe die Frage 115 des Abgeordneten Dr. Marx auf:Wie kann nach Vorstellung der Bundesregierung der gegenwärtige mangelhafte Zustand von COMNAVBALTAP in Kiel und COMNAVSOUTH in Malta, der darin besteht, daß bei den NATO-Stäben in Friedenszeiten kein einziges Kriegsschiff unterstellt ist, alsbald behoben werden?Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Adorno vom 11. Juni 1969 lautet:Der gegenwärtige Zustand im NATO-Kommando-Bereich NAVBALTAP entspricht den Vorstellungen der Bundesregierung und ist die derzeit günstigste Form der Integration in die NATO.In bezug auf das Mittelmeer wird die Bundesregierung im NATO-Rat jede Regelung befürworten und unterstützen, welche die Einsatzbereitschaft dort erhöht. Sie sieht jedoch keinen Anlaß, in Angelegenheiten initiativ zu werden, die primär Sache der direkt betroffenen Mitgliedstaaten sind.Der Führungsstab der Marine ist gerne bereit, Ihnen die NATO-Dokumente, mit denen die Unterstellungsgrundsätze geregelt sind, zu erläutern.Ich rufe die Fragen 116, 117 und 118 des Abgeordneten Westphal .auf:Trifft es zu, daß zahlreiche Kommandeure der Bundeswehr wehrpflichtigen Soldaten Sonderurlaub zur Teilnahme an Jugendleiter-Lehrgängen oder jugendpflegerischen Veranstaltungen gewährt haben, um dadurch — ebenso wie bei Zeitsoldaten oder Berufssoldaten -- den jungen Männern die Möglichkeit zu geben, wichtige ehrenamtliche Funktionen in der außerschulischen Bildungsarbeit der Jugend weiter auszuüben?Trifft es andererseits auch zu, daß Beurlaubungsgesuchen der in Frage 116 genannten Art deshalb vielfach nicht entsprochen wurde, weil eine generelle Regelung für wehrpflichtige Soldaten fehlt, die vergleichbar mit der auf Berufs- und Zeitsoldaten anwendbaren Sonderurlaubsregelung für Beamte ist?Ist der Bundesverteidigungsminister bereit, eine Sonderurlaubsregelung für wehrpflichtige Soldaten zu erlassen, wenn sichergestellt ist, daß der Sonderurlaub nur für Maßnahmen gewährt wird, die nach den Richtlinien des Bundesjugendplans bzw. der Landesjugendpläne förderungswürdig sind, und wenn eine Befürwortung der Teilnahme des Wehrpflichtigen von einer Bundes- oder Landeszentralstelle eines anerkannten Jugendverbandes bzw. einer anerkannten Bildungsstätte oder einer Jugendbehörde vorliegt?Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Adorno vom 11. Juni 1969 lautet:Es mag zutreffen, daß vereinzelt Kommandeure der Streitkräfte auch wehrpflichtigen Soldaten Sonderurlaub zur Teilnahme an Jugendleiter-Lehrgängen oder jugendpflegerischen Veranstaltungen gewährt haben, obwohl ein solcher Urlaub an sich nur Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit gewährt werden konnte.Andererseits trifft es sicherlich auch zu, daß solche Urlaubsgesuche wehrpflichtiger Soldaten von Kommandeuren wegen des Fehlens einer entsprechenden Bestimmung in der Soldatenurlaubsverordnung abgelehnt worden sind.Durch ein in diesen Tagen an die Truppenteile und militärischen Dienststellen der Bundeswehr hinausgehendes Fernschreiben wird angeordnet, daß Soldaten, die auf Grund der Wehrpflicht Wehrdienst leisten, in gleichem Umfange wie Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit Sonderurlaub, d. h. bis zu 12 Werktagen im Urlaubsjahr, für Maßnahmen gewährt werden kann, die nach den Richtlinien des Bundesjugendplanes bzw. eines Landesjugendplanes förderungswürdig sind. Voraussetzung ist ferner, daß eine Befürwortung der Teilnahme des Wehrpflichtigen von einer Bundes- oder Zentralstelle eines anerkannten Jugendverbandes bzw. einer anerkannten Bildungsstätte oder einer Jugendbehörde vorliegt.Ihrem Anliegen, Herr Abgeordneter Westphal, dürfte damit in vollem Umfange Rechnung getragen sein.Ich rufe die Fragen 119 und 120 des Abgeordneten Felder auf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß das von der Bundeswehr geforderte Areal auf der Garchinger Gemeindeflur zur geplanten Anlage eines militärischen Schießplatzes und eines Munitionsdepots das bereits seit langem ausgewiesene Erholungsgelände und ferner den für 1970 vorgesehenen Bau des äußeren Fernstraßenringes entscheidend beeinträchtigen würde?Beabsichtigt die Bundesregierung, die zunächst vorgesehene Abtretung von 12 ha Grund auf dem Gelände in Hochbrück etwa auf dem Wege des Raumordnungsverfahrens durchzusetzen?Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Adorno vom 11. Juni 1969 lautet:Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß durch die genannten Planungen der Bundeswehr ein von der Gemeinde Garching ausgewiesenes Erholungsgebiet berührt wird. Immerhin liegt der Standort der geplanten Schießanlage ca. 3 km westlich der Gemeinde Garching. Diese Frage wird aber im Raumordnungsverfahren noch eingehend geprüft werden.Es kann schon jetzt gesagt werden, daß durch die geplanten Standortanlagen das Projekt des äußeren Fernstraßenringes nicht berührt wird. Die Trasse des Rings soll südlich des Schleißheimer Kanals verlaufen, während die Bundeswehranlagen nördlich davon geplant sind.Die Formulierung dieser Frage läßt nicht eindeutig erkennen, welches Vorhaben angesprochen werden soll.Das Verteidigungsressort benötigt im Bereich der Truppenunterkunft Hochbrück kein zusätzliches Gelände.Ich nehme an, daß sich die Frage auf die Bereitstellung von Gelände aus dem derzeitigen Standortübungsplatz München-Freimann für den Bau des äußeren Fernstraßenringes beziehen soll.
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13178 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969
Vizepräsident SchoettleDurch die geplante Straßentrasse wird der Übungsplatz in zwei Teile zerschnitten und in seiner militärischen Verwendbarkeit stark eingeschränkt. Die Wehrbereichsverwaltung VI hat daher im Raumordnungsverfahren die Zustimmung der Bundeswehr davon abhängig gemacht, daß dem Bund zu gegebener Zeit der Erwerb des Ersatzübungsplatzes ermöglicht wird und zunächst mehrere Verbindungen zwischen den verbleibenden Teilen des derzeitigen Übungsgeländes geschaffen werden. Diese Vorbehalte sind zur Sicherstellung einer geordneten Ausbildung der Bundeswehrsoldaten im Raum München notwendig. Sie stellen kein entscheidendes Hindernis für die Durchführung des Straßenbaues dar.Ich rufe die Fragen 121, 122 und 123 des Abgeordneten Haase auf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Geschäftsbereich des Bundesverteidigungsministers wegen der Abgelegenheit einer großen Anzahl von Dienststellen für die dort tätigen Soldaten und Zivilbediensteten Kosten für Fahrten zwischen Wohn- und Dienstort entstehen, die ein normales Maß zum Teil weit überschreiten?Wenn das so ist, welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen oder was gedenkt sie zu tun, um die Betroffenen von diesen unangemessen hohen Kosten zu entlasten?Sind durch die Nichtübernahme der Kosten im Hinblick auf die zur Zeit günstige Konjunkturlage zusätzliche Personalschwierigkeiten entstanden?Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Adorno vom 11. Juni 1969 lautet:Der Bundesregierung ist bekannt, daß im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung die Kosten für die arbeitstäglichen Fahrten zwischen Wohnung und abgelegener Dienststelle das normale Maß zum Teil weit überschreiten.Für abgelegene Standorte hat die Bundesregierung bereits Regelungen getroffen, durch die Härten weitgehend vermieden werden. So wird nach Nr. 9 der Allgemeinen Fahrkostenzuschußregelung des Bundes vom 13. Mai 1965 allen bei abgelegenen Dienststellen Beschäftigten, denen das Wohnen in der Nähe der Dienststelle nicht möglich oder nicht zumutbar ist, ohne Rücksicht auf die Höhe ihrer Dienstbezüge ein Fahrkostenzuschuß gewährt. Der für diese Dienstkräfte verbleibende Eigenanteil an den Fahrkosten beträgt monatlich höchstens 28,— DM. Außerdem ist für Arbeitnehmer der Bundeswehr, die am 31. Dezember 1966 einen Arbeitsvertraglichen Anspruch auf Fahrkostenersatz hatten, dieser Besitzstand gewährleistet worden.Durch die Wiedereinführung des sogenannten Einzugsgebietes sind aber die Möglichkeiten der Fahrkostenerstattung allgemein erheblich eingeschränkt worden. Zudem haben sich im Zusammenhang mit der vorerwähnten Sonderregelung für die Arbeit-. nehmer der Bundeswehr gewisse Schwierigkeiten ergeben. Der Bundesminister der Verteidigung hat deshalb eine neue Regelung vorgeschlagen, die den besonderen Bedürfnissen der Bundeswehr Rechnung tragen soll. Dieser Vorschlag wird zur Zeit von den zuständigen Ressorts geprüft.Es ist nicht genau festzustellen, in welchem Umfang die Nichtübernahme der Fahrkosten mit verursachend für die bekannten Personalschwierigkeiten der Bundeswehr ist. Sicher ist aber, daß dieser Frage dann Bedeutung zukommt, wenn am Dienstort oder in seiner Nähe private Arbeitgeber die Fahrkosten voll erstatten oder die Arbeitnehmer unentgeltlich von der Wohnung zur Arbeitsstätte befördern.Die Frage 1 des Abgeordneten Ertl zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.Frage 4 des Abgeordneten Dröscher zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz:Gibt es für die Bundesregierung eine Möglichkeit, den Inhabern von Einzelhandelsgeschäften in Stationierungsorten der US-Streitkräfte zu helfen, von denen über die schlechte Zahlungsmoral der amerikanischen Kunden geklagt wird und vor allem darüber Beschwerde geführt wird, daß die Einheiten und die Truppenführer die deutschen Gläubiger in der Regel nicht nur nicht unterstützen, sondern die Dinge so lange hinausziehen, bis die Schuldner versetzt oder in die Staaten zurückgekehrt sind?Die Frage wird im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.Wir kommen zum Geschäftsbericht des Bundesministers für Wohnungswesen und Städtebau. Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Geldner auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß angeblich im Durchschnitt 50 Prozent des Betrags der Mieterhöhungen auf steigende Steuer- und Gebührenlasten zurückzuführen sind, die im wesentlichen von der öffentlichen Hand ausgehen?Zur Beantwortung ist Herr Staatssekretär Dr. Schornstein anwesend.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundestagsabgeordneter, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Die Frage, ob Mieterhöhungen der letzten Jahre im Schnitt zu 50 °/o auf steigende Steuer- und Gebührenlasten zurückzuführen sind, kann nicht pauschal beantwortet werden. Die amtliche Statistik gibt keine Auskunft darüber, welchen Anteil die Steuer- und Gebührenlasten an den Mieten und deren Veränderungen haben. Den Mietern, aus deren Angaben der Mietenindex gewonnen wird, ist in sehr vielen Fällen gar nicht bekannt, welcher Anteil in der Miete auf Steuern und Gebühren entfällt. Hierüber könnten allenfalls die Eigentürmer Aufschluß geben. Entsprechende Erhebungen werden aber nur im Bereich der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen durchgeführt.
Für das Jahr 1967 haben Ermittlungen des Gesamtverbandes gemeinnütziger Wohnungsunternehmen tatsächlich ergeben, daß rund 50% der Mieterhöhungen auf den Anstieg der laufenden Aufwendungen für Grundsteuer und Gebühren entfielen. Ich nehme an, daß Ihre Frage auf eine Presseveröffentlichung über diese Feststellung zurückgeht.
Der Anstieg der Steuer- und Gebührenlasten ist wie folgt zu erklären. Erstens. Die Mehrbelastung durch Steuern beruht darauf, daß Jahr für Jahr bei einem weiteren Baujahrgang die zehnjährige Grundsteuervergünstigung ausfällt. Zweitens. Die Gebühren für kommunale Versorgungsleistungen, wie für Wasser, Straßenreinigung, Müllabfuhr und Entwässerung, werden von Zeit zu Zeit an die Mehrbelastung angepaßt, die den Gemeinden für diese Leistungen für höhere Löhne und höhere Investitionsaufwendungen entstehen.
Der hohe prozentuale Anteil der Steuer- und Gebührenlasten an den Mieterhöhungen im Jahre 1967 ist darauf zurückzuführen, daß den gestiegenen Steuer- und Gebührenlasten auf der einen Seite die im geringeren Umfange als in den Vorjahren gestiegenen anderweitigen Mieterhöhungen auf der anderen Seite gegenüberstehen. Die Gründe, die in den Jahren vor 1967 für Mieterhöhungen maßgebend waren, wie z. B. die Überführung des Altwohnungsbestandes in die Marktwirtschaft oder die Zinserhöhung bei den älteren Sozialwohnungen, haben 1967 keine oder nur eine sehr geringe Rolle gespielt.
Herr Geldner!,
Herr Staatssekretär, sehen Sie eine Möglichkeit, hier einmal eine Gesamtuntersuchung in gewissen Schwerpunkten und nicht nur auf einem Teil des Wohnungsbausektors vorzunehmen, um eine echte Analyse der Kostensteigerungen auf dem von mir angezeigten Gebiet zu haben? Ich denke hier z. B. an den Schwerpunkt einer Stadt oder eines gewissen Gebietes, um einen Querschnitt für die Kostensteigerung zu bekommen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969 13179
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich halte Ihre Anregung für sehr gut und für sehr zweckvoll. Wir wollen sie gern zum Gegenstand der in Kürze bevorstehenden Länderministerkonferenz machen. Ich muß allerdings darauf hinweisen, daß die Erhebungen über die Mietenentwicklung auf preisrechtliche Vorschriften zurückgehen, die in der federführenden Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministers liegen. Aber wir werden die Frage gern einmal mit unseren Fachministern in den Ländern erörtern und dann geeignete Vorschläge an das Wirtschaftsministerium herantragen.
Herr Dr. Czaja!
Herr Staatssekretär, würden Sie es angesichts der Tatsache, daß der Bundesminister für Wohnungswesen natürlich eine Mitverantwortung für die Kostenmiete im öffentlich geförderten Wohnungsbau trägt — also nicht das Bundeswirtschaftsministerium allein verantwortlich ist — und des Gesichtspunkts, daß kommunale Gebühren, wie berechnet wurde, oft nicht nur wiederholt, sondern bis zu zehn Mal im Jahr geändert werden und dadurch eine Neuberechnung der Kostenmiete notwendig machen, nicht wenigstens für gegeben erachten, sich mit den kommunalen Behörden mindestens zur Koordinierung solcher Anhebungs- und Erhöhungstermine in Verbindung zu setzen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
`Herr Bundestagsabgeordneter, Sie sprechen eine Frage an, die vor einigen Jahren sehr eingehend im zuständigen federführenden Ausschuß des Hohen Hauses erörtert worden ist. Wir haben diese Erörterung damals zum Anlaß genommen, sowohl an die Wohnungsbauminister der Länder wie auch an die kommunalpolitischen Spitzenverbände heranzutreten, und wir haben auch den Herrn Bundesminister des Innern gebeten, uns seinerseits bei den Innenministern der Länder in dieser Frage zu unterstützen. Wir haben ja nur die Empfehlung geben können, auf solche kurzfristigen Bescheide über Erhöhungen von Umlagen und Gebühren zu verzichten und solche Erhöhungen in größeren Zeitabständen, nach Möglichkeit nur einmal oder zweimal im Jahr, durchzuführen und dann den Mietern mitzuteilen. Außer bei der unternehmerischen Wohnungswirtschaft ist unsere Empfehlung leider nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Mir ist aber bekannt, daß in weiterem Umfange in der unternehmerischen Wohnungswirtschaft schon allein aus dem Gesichtspunkt einer Ersparnis von Verwaltungsaufwand solche in größeren Zeitabschnitten ,erfolgende Abrechnungen seitdem in der Tat stattfinden.
Aber ich bin gern bereit, an diese unsere damalige Empfehlung noch einmal zu erinnern.
Herr Abgeordneter Dr. Czaja!
Würden Sie die Frage prüfen lassen, ob es möglich wäre, gegenüber den kommunalen Stellen, die sich diesen Empfehlungen und Bitten nicht aufgeschlossen zeigen, die Verteilung der öffentlichen Mittel für neue Vorhaben mit der Aufforderung zur Beachtung solcher Empfehlungen zu verbinden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann die Frage im Augenblick nicht beantworten, aber wir wollen sie gerne prüfen, und wir wollen sie auch zum Gegenstand der Erörterung mit den Länderministern machen.
Keine weiteren Zusatzfragen.Die Fragen 6 und 7 des Abgeordneten Moerschwerden im Einvernehmen mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet:Ist der Bundesregierung der grundsätzliche Unterschied zwischen einer Ferienzweitwohnung und einer durch Berufsausbildung von Studenten und anderen in der Ausbildung befindlichen Personen notwendig bedingten Zweitwohnung bekannt?Ist die Bundesregierung bereit, auf dem Wege des Erlasses oder gegebenenfalls durch Novellierung des Wohngeldgesetzes für eine sinnvolle und großzügige Regelung der Wohngeldvergabe an den angesprochenen Personenkreis zu sorgen, der im Regelfall die Erstwohnung nur noch kurzzeitig benutzt und vielfach nicht mehr endgültig dorthin zurückkehrt?Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.Die Fragen des Abgeordneten Dr. Lenz aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Jugend:Sind die Richtlinien des Landes Hessen über den Bau von Kindergärten, worin vorgesehen wird, daß bei Neubauten die Gemeinde 50 % und die übrigen Träger nur 33 1/3 % Zuschüsse erhalten, mit dem Bundessozialhilfegesetz vereinbar, wonach den karitativen Trägern beim Neubau von Kindergärten der Vorrang gegenüber der Gemeinde oder Stadt einzuräumen ist?Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um eine Angleichung der hessischen Praxis an das geltende Recht herbeizuführen?Auch diese Fragen werden im Einvernehmen mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort des Staatssekretärs Dr. Barth vom 10. Juni 1969 lautet:Die von Ihnen angegebenen Vomhundertsätze für die Gewährung von Zuwendungen aus dem Jugendplan des Landes Hessen haben folgende Konsequenzen:a) Stellt ein freier Träger den Antrag, ihm Landesmittel aus dem Jugendplan für die Errichtung einer Kindertagesstätte zu gewähren, beträgt die Höhe des Landeszuschusses in der Regel 33 1/3 % der beihilfefähigen Gesamtkosten. Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß die Leistungen des freien Trägers selbst in einem angemessenen Verhältnis zu der beantragten Landesbeihilfe stehen und sich beispielsweise ferner das zuständige Stadtjugendamt in entsprechendem Umfang an der Finanzierung beteiligt. Im Ergebnis werden somit die Kosten zwischen Land, Stadt und freiem Träger aufgeteilt.b) Stellt andererseit ein Stadtjugendamt einen entsprechenden Antrag an das Land, erhält es in der Regel den von Ihnen richtig angegebenen Betrag in Höhe von 50 % der als beihilfefähig anerkannten Gesamtkosten. Voraussetzung ist aber auch hier, daß sich das Stadtjugendamt bzw. die betreffende Stadt in entsprechendem Umfang an der Finanzierung der Kosten beteiligt. Es werden somit die Kosten der Einrichtung zwischen Land und Kommune halbiert.Unabhängig von diesen Einzelfällen ist zu sagen, daß die Richtlinien des Landes Hessen generell die Verteilung von Landesmitteln im Sinne von § 64 a RHO regeln, während sie gegenüber dem Jugendamt und der ihm nach Maßgabe der §§ 5 Abs. 3 und 8 Abs. 3 JWG obliegenden Aufgaben unmittelbar nichts besagen. Die bundesrechtliche Regelung des Jugendwohlfahrtsgesetzes erscheint damit nicht beeinträchtigt.Das bedeutet für Ihre weitere Frage, daß zur Zeit Maßnahmen nach Art. 84 Abs. 3 GG gegenüber dem Land Hessen nicht erforderlich sind. Sollten sich jedoch in einem konkreten Einzelfall für einen freien Träger im Land Hessen Schwierigkeiten ergeben, bin ich gern bereit, vermittelnd tätig zu werden.
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13180 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969
Vizepräsident SchoettleWir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesschatzministers. Die Frage 10 des Abgeordneten Jung.Wie erklärt die Bundesregierung die Diskrepanz zwischen der Auskunft des Bundesschatzministers auf meine Fragen in der 215. Plenarsitzung am 12. Februar 1969, wonach der freie Architektenwettbewerb nach Festlegung des Bedarfs und nach Verhandlungen mit verschiedenen Behörden auch für das neue Regierungsviertel Vorrang haben soll und dem kritischen Bericht in der Bonner Rundschau vom 8. Mai 1969, unter dem Titel Meiner Meinung nach potenzierter Stumpfsinn, wonach das Regierungsviertel offenbar doch ohne Wettbewerb in Form von sieben Kreuzen auf eine Wiese gestellt wird?Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Herrn Bundesministers Schmücker vom 12. Juni 1969 lautet:Zwischen meiner Antwort, die ich Ihnen zu Ihren Fragen am 12. Februar 1969 gab, und dem Stand der Planungen im Baugebiet des Bundes in Bad Godesberg-Nord besteht keine Diskrepanz. Seit dem 12. Februar 1969 sind für das Gebiet in Bad GodesbergNord sowie für das Gebiet in der Gronau keine Planungsaufträge erteilt worden. Seit dieser Zeit sind 4 Bauwettbewerbe beschränkt ausgeschrieben bzw. ausgelobt worden. Es handelt sich um folgende Baumaßnahmen:1. Gedenkstätte Bundeskanzler- Adenauer- HausEs wurden 3 Architekten aufgefordert.2. Deutsche Schule BarcelonaEs wurden 10 Architekten aufgeforderti.3. Residenz der Botschaft in Teheran Es wurden 6 Architekten aufgefordert.4. Forschungsanstalt in KulmbachEs wurden 8 Architekten aufgefordert.Da es sich bei diesen Bauten um kleinere Projekte bzw. um Maßnahmen handelte, die eine besondere Sach- und Ortskenntnis erforderten, wurde von der Ausschreibung eines allgemeinen Wettbewerbs abgesehen.Zu den Planungen des Bundes in Bad Godesberg-Nord bzw. in der Gronau möchte ich Ihnen sagen, daß, wie ich bereits in meiner Antwort zu Ihren Fragen am 12. Februar 1969 ausführte, die Gesamtplanung für das Parlments- und Regierungsviertel noch nicht abgeschlossen ist.Diese Planung geht auf eine Zeit zurück, in der auf Beschluß dieses Hohen Hauses noch sehr behutsam mit derartigen Überlegungen umgegangen werden mußte. Die Leit-Linien für das Planungsgebiet sind unter Mitwirkung namhafter Architekten und Städteplaner und unter der Leitung der Bauabteilung meines Hauses erarbeitet worden.Wenn nunmehr in der Frage des Ausbaus des Parlaments- und Regierungsviertels, wie ich bereits in meiner letzten Antwort sagte, politisch ein Meinungswandel eingetreten ist, so kann dies nicht bedeuten, daß der damals eingeschlagene Weg falsch war und daß die vorliegenden Planungen, soweit sie den jetzigen Erfordernissen entsprechen und Anerkennung gefunden haben, einfach aufgegeben und neu erarbeitet werden müssen.In Kürze wird gemeinsam mit der Stadt Bonn ein Ideenwettbewerb für die städtebauliche und landschaftliche Gestaltung der Rheinaue ausgelobt, für die zukünftigen Bauten werden im Planungsgebiet des Bundes in Bad Godesberg-Nord Wettbewerbe ausgeschrieben. Auch im Planungsgebiet der Gronau werden sich nach Durchführung des oben genannten Ideenwettbewerbs Gelegenheiten für Wettbewerbe bieten. Sie wissen, Herr Kollege, daß Überlegungen zur weiteren Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Parlaments angestellt werden. Für diese sich daraus ergebenden Baumaßnahmen werden ebenso wie für den Bundesrat, der seit Jahren Raumsorgen hat, und auch für Baumaßnahmen der Bundesregierung in diesem Gebiet Wettbewerbe ausgelobt. Die hierfür erforderlichen Mittel sind im Entwurf der Haushaltspläne der kommenden Jahre beantragt.Grundsätzlich möchte ich aber zu der Frage Wettbewerbe für Bundesbauten folgendes sagen:Die Entscheidung, ob die Lösung einer Bauaufgabe einen Architektenwettbewerb verlangt, oder ob sie einem qualifizierten Architekten bzw. einer Architektengruppe direkt übertragen werden soll, oder ob die Bauaufgabe von der Bauverwaltung selbst zu bearbeiten ist, bleibt mir nie erspart. Ich stütze mich dabei auf die Erfahrungen der staatlichen Bauverwaltung mit ihren qualifizierten Fachkräften.Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf.Die Frage 11 des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg wird im Einvernehmen mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet:Ist die Bundesregierung bereit, meine Anregung einer durchgehenden Entlastungsautobahn noch einmal zu überprüfen — und unter Berücksichtigung nicht nur des örtlichen sondern auch des durchfließenden Verkehrsstromes —, die beschlossenen oder schon im Bau befindlichen Strecken aus dem Ruhrgebiet über GießenAschaffenburg und — von Süden her — von Bayreuth über Bamberg nach Schweinfurt so miteinander zu verbinden, daß die neue Entlastungsautobahn keinen Flaschenhals behält?Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 12. Juni 1969 lautet:Wie Ihnen bereits in der Fragestunde am 5. Februar 1969 mitgeteilt wurde, ist an eine Verknüpfung der Sauerlandlinie mit dem Raum Schweinfurt durch eine direkte Autobahnverbindung nicht gedacht. Die Überprüfung hat ergeben, daß der Bau einer solchen Autobahn weder verkehrlich notwendig noch wirtschaftlich zu vertreten ist.Frage 12 des Abgeordneten Wilhelm:Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß Bäume entlang von Bundesstraßen Verkehrsunfälle verursachen und sie entfernt werden müssen, damit nicht die Folgen solcher Unfälle verschlimmert werden, wie dies der schwere Verkehrsunfall am 8. Mai 1969 auf der Bundesstraße 40 zwischen Kirkel und Limbach im Saarland bei dem ein PKW auf einen Baum aufprallte und drei Todesopfer forderte, zeigt?Bitte, Herr Staatssekretär Börner!
Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß Bäume entlang von Bundesstraßen Verkehrsunfälle verursachen. Zu sogenannten Baumunfällen kommt es erst, wenn Fahrzeuge durch menschliches Versagen oder technische Mängel an Fahrzeug oder Straße von der Fahrbahn abkommen und dann mit einem Baum kollidieren. Menschliches Versagen war leider auch die Ursache des auf der Bundesstraße 40 zwischen Kirkel und Limbach eingetretenen Unfalles.
Soweit Bäume an Bundesfernstraßen eine besondere Gefahr bilden, etwa dadurch, daß ein Baum in das Lichtraumprofil der Straße hineinragt, werden sie selbstverständlich sofort entfernt.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß, abgesehen von menschlichem Versagen, beispielsweise auch Eis- und Schneeglätte solche Unfälle verursachen können?
Das ist durchaus richtig. Aber immer gehört dazu natürlich auch, daß der betreffende Verkehrsteilnehmer sich nicht nach der Forderung richtet, bei Eis und Schnee besonders langsam zu fahren, was er auf Grund des § 1 der Straßenverkehrsordnung ja müßte.
Herr Wilhelm!
Teilen Sie nicht die Auffassung, daß durch die steigende Verkehrsdichte und die Erhöhung der Zahl der Fahrzeuge die Unfallgefahr, abgesehen von menschlichem Versagen, immer größer wird und daß insbesondere bei Straßen, die niveaugleich mit angrenzedem Gelände sind, durch Bäume an den Seitenrändern erhöhte Gefahr von Unfällen besteht und daß solche Unfälle beim Abweichen von der Straße, wenn die Bäume nicht vorhanden wären, vermieden werden könnten?
Herr Kollege, diese Frage ist sehr vielschichtig. Ich bin gern bereit, Ihnen die Ergebnisse der Untersuchungen zur Verfügung zu stellen, die wir über diese Frage zusam-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1969 13181
Parlamentarischer Staatssekretär Börnermen mit den Ländern durchgeführt haben. Wir sind ja nur für Bundesfernstraßen sachlich zuständig. Ihnen ist sicher bekannt, daß wir uns bemühen, beim Neubau und beim Umbau von Bundesfernstraßen alle Gefahrenpunkte, die sich auf Grund der Entwicklung des Verkehrs oder aus dem Zustand der Straßen ergeben haben, zu beseitigen bzw. beim Neubau Straßenprofile herzustellen, die die Gefahren, von denen Sie sprachen, nicht haben. Wir sind aber nicht bereit, grundsätzlich alle Bäume an Bundesfernstraßen zu entfernen beziehungsweise keine neuen mehr anzupflanzen. Aber dort, wo sie gepflanzt werden, werden sie in weiterem Abstand und unter Vermeidung der Schwierigkeiten gepflanzt, die Sie eben angeführt haben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Ramms.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß besonders an Straßenkreuzungen und Straßeneinmündungen von Bundesfernstraßen die Bäume so weit zurückgenommen werden müssen, daß man eine Einsicht in die Bundesfernstraße hat, so daß man nicht selber gefährdet wird?
Aber natürlich, Herr Kollege. Dort trifft das zu, was ich schon in der vorherigen Antwort gesagt habe: Wo eine unmittelbare Gefahrenerhöhung durch einen solchen
Baum besteht, sind wir gern bereit, Ihren Anregungen zu folgen.
Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Dr. Arndt auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die staatliche niederländische Fluggesellschaft KLM ab Ende Mai 1969 einen regelmäßigen Liniendienst zum Ostberliner Flughafen Schönefeld aufzunehmen beabsichtigt?
Sie wird von Herrn Berkhan übernommen. Bitte Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, ich wäre sehr dankbar, wenn ich die drei Fragen wegen des Sachzusammenhangs zusammen beantworten könnte, sofern der Herr Kollege damit einverstanden wäre.
Ja, wir wären dankbar dafür. Ich rufe auch die Fragen 14 und 15 des Abgeordneten Dr. Arndt auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung diesen Entschluß der Fluggesellschaft unseres Bündnispartners Holland?
Ist der Bundesregierung bekannt, ob die niederländischen Flugzeuge durch die alliierten Luftkorridore oder auf einer anderen Route nach Berlin gelangen werden?
Herr Kollege, der Bundesregierung ist bekannt, daß die niederländische Luftverkehrsgesellschaft KLM beabsichtigt, eine noch nicht feststehende Zahl von Frachtcharterflügen nach Berlin-Schönefeld zu führen. Es handelt sich also nicht um Fluglinien-, sondern um sogenannten Gelegenheitsverkehr. Die KLM hat vorgesehen, die Charterflüge über die Nord- und Ostsee nach Schönefeld zu führen. Es werden daher weder das Bundesgebiet noch die Luftkorridore nach Berlin berührt.
Insgesamt bedauert die Bundesregierung diese Entwicklung.
Keine Fragen dazu. Ich rufe Frage 16 des Abgeordneten Dr. Althammer auf:
Trifft es zu, daß der Bundesverkehrsminister einen Zuschuß. in Millionenhöhe der Stadt Augsburg für einen Überführungssteg beim Hauptbahnhof in Augsburg zugesagt oder in Aussicht gestellt hat, obwohl der Präsident der Deutschen Bundesbahn ein Interesse an diesem Bauvorhaben verneint hat?
Sie wird von Herrn Lemmrich übernommen.
Herr Präsident, auch hier wäre ich dankbar, die beiden Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.
Ich habe nichts dagegen, wenn der Herr Fragesteller einverstanden ist.
Ich bin einverstanden.
Dann rufe ich auch die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer auf:
Aus welchen Mitteln und auf Grund welcher Rechtsvorschriften könnte der Bundesverkehrsminister eine verbindliche Zusage erteilen?
Herr Kollege, es trifft nicht zu, daß der Bundesminister für Verkehr einen Zuschuß für die Fußgängerüberführung über den Hauptbahnhof in Augsburg zugesagt oder in Aussicht gestellt hat. Er konnte es schon deswegen nicht tun, weil noch keine abgeschlossene Planung vorliegt.
Im übrigen ist es durchaus möglich — darauf wird sich die Frage wohl beziehen —, Vorhaben dieser Art nach den „Richtlinien für Bundeszuwendungen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden" zu fördern, sofern im übrigen die Voraussetzungen dieser Richtlinien erfüllt sind. Die Förderung könnte im Rahmen der dem Freistaat Bayern zur Verfügung stehenden Zuschußmittel erfolgen.
Eine Zusatzfrage, Herr Lemmrich.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß in Anbetracht der wahrscheinlichen Größe dieses Bauvorhabens die Entscheidung über die Mittelbereitstellung von der bayerischen Staatsregierung getroffen werden müßte?
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Ich habe angedeutet, daß es sich hier um eine Frage handelt, die im Rahmen des sogenannten bayerischen Kontingents dieser Mittel erledigt werden müßte.
Ich rufe Frage 18 des Abgeordneten Geldner auf:
Ist die Bundesregierung bereit, entsprechend dem Vorschlag des AvD zu prüfen, inwieweit der Schilderwald vor allem in unseren Städten dadurch gelichtet werden kann, daß an die Stelle der Park- und Halteverbotsschilder entsprechende farbige Bordsteine treten?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, das Bundesverkehrsministerium hat diese Frage bereits wiederholt geprüft, hält aber derartige Bordsteinmarkierungen nicht für zweckmäßig. Bei Schnee könnten derartige Bordsteinmarkierungen überhaupt nicht wahrgenommen werden.
Eine recht erhebliche Anzahl von Parkverbotszeichen wird in Zukunft auf andere Art eingespart werden können. In der neuen StraßenverkehrsOrdnung ist ein Zeichen Zonenhaltverbot vorgesehen. In einer so gekennzeichneten Zone, z. B. einer ganzen Innenstadt, ist das Parken nur befristet gestattet, ohne daß dort weitere Zeichen aufgestellt werden.
Ich weise noch darauf hin, daß das Anbringen farbiger Bordsteine sehr kostspielig wäre. Unsere Städte würden sich nicht in der Lage sehen, ohne weiteres derartige Kosten zu tragen.
Ich rufe Frage 19 des Abgeordneten Orgaß auf. Er ist nicht anwesend; die Frage wird schriftlich beantwortet.
Die Fragen 20 und 21 des Abgeordneten Baier:
Aus welchen Gründen ist die Neckar- Talstraße B 37 zwischen Heidelberg und Eberbach im badischen Landesteil fast vollständig ausgebaut und im hessischen Landesteil größtenteils noch in einem unzulänglichen, dem starken Straßenverkehr nicht Rechnung tragenden Zustand?
Welcher Zeitplan ist für den Ausbau der B 3 zwischen Heidelberg— Nußloch— Wiesloch einschließlich der notwendigen Ortsumgehungen nunmehr vorgesehen?
werden im Einvernehmen mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet.
Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom 12. Juni 1969 lautet:
Beim Ausbau der B 37 sind im Bereich des Landes Hessen insofern Schwierigkeiten aufgetreten, als
a) bei der Einmündung der Kreisstraße 36 von Darsberg auf Planungen der Stadt Neckar-Steinach Rücksicht genommen werden mußte, die hier einen Anschluß für ein neues Industriegebiet gefordert hat. Der Ausbau der B 37 mußte daher in diesem Abschnitt zurückgestellt werden. Das Planfeststellungsverfahren ist inzwischen eingeleitet.
b) gegen den Planfeststellungsbeschluß der Teilstrecke zwischen Neckarhausen und der geplanten Umgehungsstraße Hirschhorn beim Verwaltungsgericht geklagt worden ist. Die Bauarbeiten können jedoch nunmehr in diesem Jahre begonnen werden.
Im übrigen ist die B 37 in den letzten Jahren durch Zwischenausbau wesentlich verbessert worden.
Die Planung für den nördlichen Teil der Ortsumgehung Nußloch,
die aufgrund eines Einspruchs der Gemeinde Leimen im Planfeststellungsverfahren geändert werden mußte, ist jetzt abgeschlossen. Das erforderliche neue Planfeststellungsverfahren wurde bereits eingeleitet. Da für den südlichen Teil der Ortsumgehung der Planfeststellungsbeschluß bereits vorliegt, soll hier noch in diesem Jahr mit den Bauarbeiten begonnen werden. Die Arbeiten auf dem nördlichen Abschnitt der Ortsumgehung werden nach Abschluß des Planfeststellungsverfahrens ebenfalls umgehend aufgenommen. Als weiterer Bauabschnitt wird nach Fertigstellung der Ortsumgehung Nußloch die Verwirklichung der Ortsumgehung Wiesloch folgen.
Ich rufe die Fragen 22, 23 und 24 des Abgeordneten Dr. Abelein auf. Der Fragesteller ist nicht anwesend; die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Dr. Jahn auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die hauptamtlichen Bahnpolizeibeamten nach der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung und nach § 163 der Strafprozeßordnung im Rahmen ihrer örtlichen und sachlichen Zuständigkeit die Rechte und Pflichten von Beamten des Polizeidienstes haben und als Vollzugsbeamte des Bundes gemäß § 6 des Gesetzes über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes zur Anwendung unmittelbaren Zwanges befugt sind?
Herr Staatssekretär, wollen Sie bitte antworten.
Herr Kollege, der Bundesregierung ist dies bekannt.
Haben Sie noch eine Frage, Herr Kollege Jahn?
Warum wird den hauptamtlichen Bahnpolizeibeamten nicht der besondere beamtenrechtliche Status von Polizeivollzugsbeamten des Bundes zuerkannt, obwohl sie mit polizeilichen Aufgaben betraut und zur Anwendung unmittelbaren Zwanges befugt sind?
Herr Präsident, ich glaube, daß die Zusatzfrage, die Herr Kollege Jahn eben gestellt hat, durch die Antworten auf die beiden anderen Fragen beantwortet wird. Darf ich erst die beiden anderen Fragen beantworten.
Ja, bitte! Dann rufe ich noch die Fragen 26 und 27 des Abgeordneten Dr. Jahn auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die hauptamtlichen Bahnpolizeibeamten in ihrer Besoldung und Beförderung gegenüber den Polizeivollzugsbeamten des Bundes und der Länder erheblich benachteiligt werden, obwohl sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit die gleichen Rechte und Pflichten haben?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die hauptamtliche Bahnpolizei in der Dienstpostenbewertung gegenüber anderen Dienstzweigen des mittleren und gehobenen Dienstes bei der Deutschen Bundesbahn erheblich benachteiligt wird und in der A 8, A 9 , A 11, A 12 und A 13 Bewertung auch nicht annähernd den Stellenschlüssel nach dem Bundesbesoldungsgesetz erreicht?
Bitte!
Herr Kollege, nach der Eisenbahn- Bau- und Betriebsordnung vom 8. Mai 1967 ist Aufgabe der Bahnpolizei die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auf dem Gebiet der Bahnanlagen. Dabei bleibt jedoch die Zuständigkeit der allgemeinen Polizei, insbesondere hinsichtlich der Verfolgung kriminellen
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Parlamentarischer Staatssekretär BörnerUnrechts, unberührt. Die Aufgabenstellung der Bahnpolizei ist insofern mit den umfassenderen Funktionen der allgemeinen Polizei nicht vergleichbar.Auf die Frage 27 möchte ich folgendes antworten. Die hauptamtlichen Bahnpolizeibeamten bilden keine Sonderlaufbahn, sondern gehören dem gehobenen und mittleren nichttechnischen Bundesbahndienst an. Diese Laufbahnen setzen sich jeweils aus mehreren Dienstzweigen und Fachsparten zusammen, deren einzelne Dienstposten je nach ihrem Amtsinhalt bewertet werden. Eine rein rechnerisch anteilige Anwendung des Stellenschlüssels der Gesamtlaufbahn auf die einzelnen Dienstzweige und Fachsparten ist nach § 5 des Bundesbesoldungsgesetzes nicht zulässig.Außerdem sind diese Beamten nicht nur für den Bahnpolizeidienst, sondern für die umfassenden Aufgaben innerhalb der jeweiligen Laufbahn ausgebildet. Sie haben daher jederzeit die Möglichkeit, sich um ausgeschriebene Beförderungsdienstposten der einzelnen Gesamtlaufbahn zu bewerben.
Herr Dr. Jahn!
Eine Zusatzfrage, Herr Staatssekretär: Ist bekannt, daß rund 60 % der Bahnpolizeibeamten des mittleren Dienstes seit nahezu 20 Jahren nach der Besoldungsgruppe A 5 besoldet werden und bei dem derzeitigen Dienstpostenkegel im Bahnpolizeidienst keine Aussicht haben, in ein Amt über die Besoldungsgruppe A 6 hinaus aufsteigen zu können?
Herr Kollege, das ist keine Frage, die nur die Bahnpolizei betrifft. Das große Problem der Deutschen Bundesbahn auf Grund gewisser struktureller Änderungen in der Verkehrswirtschaft besteht doch darin, 'ihre Bedienstetenzahl senken zu müssen. Das wirkt sich natürlich auch auf Beförderungsstellen aus. Das ist ein Problem, wo sich die Bahnpolizeibeamten in einer ähnlichen Situation wie viele andere Bedienstete der Deutschen Bundesbahn befinden. Das ergibt sich aber aus den Entwicklungen in der Verkehrspolitik, die Ihnen bekannt sind, und aus der Notwendigkeit für das Unternehmen, im Laufe der nächsten Jahre eine ganze Anzahl von Bediensteten zu pensionieren bzw. frei werdende Dienstposten nicht wieder zu besetzen. Das verändert natürlich auch die Beförderungschancen.
Meine Damen und Herren, ,damit ist die Fragestundebeendet. Wir sind am Schluß der heutigen Sitzung.
Ich darf noch sagen, daß der Auswärtige Ausschuß heute keine Sitzung abhält, für den Fall, daß noch ein Interessent anwesend ist.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Freitag, den 13. Juni 1969, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.