Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Unser Kollege Bauer feiert heute seinen 60. Geburtstag. Ich spreche ihm die Glückwünsche des Hauses aus.
Nun zunächst einige amtliche Mitteilungen:
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die Beratung der in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen ergänzt werden. — Das Haus ist damit einverstanden; die Erweiterung der Tagesordnung ist beschlossen.
Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben .vom 26. März 1969 für den Abgeordneten Windelen, der als ordentliches Mitglied aus dem Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost ausgeschieden ist, den Abgeordneten Dr. Conring benannt. — Das Haus ist damit einverstanden. Damit ist der Abgeordnete Dr. Conring als ordentliches Mitglied des Verwaltungsrats der Deutschen Bundespost gewählt.
Zu der in der Fragestunde der 225. Sitzung des Deutschen Bundestages am 27. März 1969 gestellten Frage des Abgeordneten Weigl, Drucksache V/4020 Nr. 85 s), ist inzwischen die schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 27. März 1969 eingegangen. Sie lautet:
Wegen der Knappheit der bereitstehenden Mittel ist es nicht möglich, in den Maßnahmenkatalog des Regionalen Förderungsprogramms auch die Erschließung von Siedlungsgelände für Fachkräftewohnungen einzubeziehen.
Nach § 90 des 2. Wohnungsbaugesetzes können Gemeinden Darlehen für die Vorfinanzierung der Baulanderschließung erhalten. Diese Mittel dürfen 5 % der für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus verfügbaren öffentlichen Mittel nicht überschreiten. Die Richtlinien für den Einsatz dieser öffentlichen Mittel sehen zudem vor, daß der Wohnungsbau für gewerblich-industrielle Fachkräfte in den Bundesförderungsgebieten in angemessenem Umfang zu berücksichtigen ist.
Ferner werden Bundesmittel zur Zinsverbilligung von Kapitalmarktdarlehen in Höhe von 2,5 % für Heimstättengesellschaften und andere geeignete Unternehmen über die Bau- und Bodenbank bereitgestellt. Schließlich stellen auch verschiedene Länder Darlehen oder Zuschüsse zur Baulandbeschaffung bzw. -erschließung zur Verfügung.
*) Siehe 225. Sitzung, Seite 12357
Ich rufe Punkt I der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache V/4020 —
Wir kommen zunächst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Der neue Bundesminister der Justiz ist selber anwesend und beantwortet zum erstenmal in seiner neuen Eigenschaft und Würde die Fragen. Zunächst rufe ich die Fragen 65 und 66 des Abgeordneten Dr. Arndt auf, die wohl zusammen beantwortet werden können:
Welche Gründe rechtfertigen es nach Auffassung der Bundesregierung, daß im Widerspruch zur verfassungsrechtlich verbürgten Gleichberechtigung von Mann und Frau die heiratende Frau noch immer gezwungen ist, den Familiennamen des Mannes anzunehmen, wobei sie diesem Namen allenfalls ihren Geburtsnamen anfügen darf?
Ist die Bundesregierung bereit, den gesetzgebenden Körperschaften einen Gesetzentwurf zuzuleiten, der auch im Namensrecht die von der Verfassung unabdingbar gesicherte Gleichberechtigung herbeiführt?
Herr Kaffka übernimmt die Fragen. Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ob die Regelung in § 1355 BGB, wonach der Ehe- und Familienname der Name des Mannes ist, mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter vereinbart werden kann, ist nicht unbestritten. Die gesetzgebenden Organe haben bei der Verabschiedung des Gleichberechtigungsgesetzes in dieser Regelung keine verfassungswidrige Benachteiligung der Ehefrau gesehen. Diese Auffassung ist auch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung — Bundesgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht — bestätigt worden. Für die Bundesregierung besteht deshalb derzeit kein unmittelbarer Anlaß, eine Änderung der geltenden Regelung vorzuschlagen. Die Frage wird allerdings zur Zeit im Bundesministerium der Justiz erneut überprüft, und zwar im Zusammenhang mit einem beim Bundesverfassungsgericht zu dieser Frage anhängigen Normenkontrollverfahren. Dem Ergebnis dieser Prüfung möchte ich hier aber nicht vorgreifen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kaffka.
Herr Minister, bedeutet Ihre Antwort, daß Sie das Urteil des Amtsgerichts Bonn nicht so, wie es formuliert ist, akzeptieren können?
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12432 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wir müssen uns natürlich in diesen Fragen an die höchstrichterliche Rechtsprechung halten, die diese Regelung bisher sanktioniert hat. Es wird jetzt in diesem Verfahren auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ankommen.
Noch eine Frage, Herr Kaffka.
Hält es die Bundesregierung für gerecht, daß einer schuldig geschiedenen Frau die Weiterführung des Ehenamens untersagt werden kann und daß sie durch diese erzwungene Namensänderung vor aller Öffentlichkeit als schuldig geschieden gekennzeichnet wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hält die einseitige Befugnis des Mannes nach § 56 des Ehegesetzes, der Frau die Führung des Namens zu untersagen, für verfassungsrechtlich bedenklich. Diese Vorschrift wird jedoch voraussichtlich bei der Reform des Eherechts, an der ja eine vom Bundesjustizministerium eingesetzte Kommission arbeitet, ohnehin entfallen, weil die Arbeit der Kommission bisher in die Richtung geht, daß bei Scheidungen der Schuldspruch in Zukunft entfallen soll.
Noch eine Frage, Herr Kaffka.
Herr Minister, ist die Bundesregierung bereit, bei der Überwindung verwaltungsmäßiger Schwierigkeiten es nicht von vornherein als selbstverständlich anzusehen, dabei auftretende Nachteile den Frauen anzulasten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Anregung will ich gerne aufgreifen, Herr Abgeordneter.
Dann die Fragen 67 und 68 des Herrn Abgeordneten Baier — er ist im Saale —:
Ist dem Bundeswohnungsbauminister bekannt, daß die weitere Eigentumsbildung im Wohnungsbau dadurch erschwert wird, daß die vielen materiellen und rechtlichen Bindungen des Wohnungseigentums die immer stärker werdende Mobilität der Bevölkerung behindern?
Was hat die Bundesregierung getan, bzw. beabsichtigt sie zu tun, um den Umgang des Bürgers mit seinem Wohnungseigentum beweglicher zu gestalten?
Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich die beiden Fragen zusammen beantworten, Herr Präsident?
Ja, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach den der Bundesregierung vorliegenden Unterlagen kann nicht gesagt werden, daß die weitere Eigentumsbildung im Wohnungsbau aus Gründen der in der
Frage 67 erwähnten Art über Gebühr erschwert wird.
Schwierigkeiten bei der Veräußerung von Eigentumswohnungen sind in der Praxis allerdings zum Teil aufgetreten, wenn vereinbart worden ist, daß die Veräußerung der Zustimmung des im Wohnungseigentumsgesetz vorgesehenen Verwalters bedarf. In diesen Fällen haben sich verschiedentlich Erschwernisse bei dem gegenüber dem Grundbuchamt zu führenden Nachweis ergeben, daß der Zustimmende auch tatsächlich der Verwalter ist. Gleichwohl läßt sich dieser Nachweis jedoch auch im Rahmen des geltenden Rechts erbringen. Gesetzgeberische Maßnahmen erscheinen daher jedenfalls nicht vordringlich.
Eine Zusatzfrage, Herr Baier.
Herr Bundesminister, ich hatte meine Frage bewußt an den Bundeswohnungsbauminister gerichtet, weil ich eine etwas umfassendere Antwort erwartet habe.
Nun ist sie zuständigkeitshalber in Ihrem Bereich gelandet. Das macht mir Ihre Antwort etwas verständlich. Aber ich muß Sie dann fragen, ob nicht der Bundesregierung bekannt ist, daß beispielsweise durch die hohe Grunderwerbsteuer, die in Deutschland bei der Veräußerung von Wohnungseigentum gezahlt werden muß, oder beispielsweise durch die sehr langwierige und umständliche Umschreibung in den Grundbüchern doch erhebliche Erschwernisse bei der Veräußerung von Grundeigentum auftreten und daß nach vielen Äußerungen auch von Verbänden — ich verweise beispielsweise auf eine Verlautbarung der Kolpingsfamilie, die vor einiger Zeit herauskam — diese Forderung, —
Herr Abgeordneter Baier, Sie müssen fragen und keine Diskussionsrede halten.
Herr Präsident, das ist immer noch eine Frage, das ist nur zwischendurch die Kommentierung.
— Herr Bundesminister, daß doch allerorts diese Forderung nach mehr Mobilität im Wohnungseigentum erhoben wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich wäre dankbar, wenn Sie die Frage vielleicht so umformulieren könnten, daß sie eindeutig an den Herrn Bundeswohnungsminister gerichtet ist. Wir haben die Frage so verstanden, daß hier nach den rechtlichen Bindungen des Wohnungseigentums gefragt wird. Ich kann auf die Fragen, die Sie gestellt haben, keine Auskunft geben, weil in meinem Ressort darüber keine Unterlagen vorhanden sind.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969 12433
Eine weitere Frage.
Herr Bundesminister, mit meiner zweiten Frage frage ich die Bundesregierung ausdrücklich, was sie zu tun beabsichtigt, um den Umgang des Bürgers mit seinem Wohnungseigentum beweglicher zu gestalten, und ich möchte Sie jetzt fragen, ob das im Rahmen der Bundesregierung, die Sie hier vertreten, nicht entsprechend gewertet wurde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe darauf ja schon geantwortet und gesagt, daß wir diese Frage als Frage nach den rechtlichen Vorschriften über den Verkehr mit sowie die Belastung und Veräußerung von Wohnungseigentum verstanden haben. Wenn Sie die Frage jetzt in viel weiterem Sinn, auch hinsichtlich der materiellen und steuerlichen Bedingungen des Wohnungsbaus, verstanden wissen wollen — wir haben sie vielleicht in zu engem Sinn verstanden; ich bitte um Entschuldigung —, wäre ich dankbar, wenn Sie die Frage an den Kollegen vom Wohnungsbauressort stellen würden.
Das will ich gerne tun.
Ich rufe dann die Frage 69 des Abgeordneten Dr. Marx auf:
Zu welchen Ergebnissen haben die Untersuchungen der zuständigen Behörden über den Mordüberfall auf ein Bundeswehrdepot bei Lebach/Saar geführt?
Die Frage wird mit dem Einverständnis des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz beantwortet. Vielen Dank, Herr Minister.
Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen. Frau Minister Strobel ist zur Beantwortung anwesend. Ich rufe zunächst die Frage 54 des Abgeordneten Härzschel auf:
Wieviel Neuerkrankungen an Tuberkulose sind in den letzten Jahren registriert worden?
Ist er im Saale? — Er ist im Saale. Bitte, Frau Minister!
Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes sind 1962 58 968, 1963 57 305, 1964 55 204, 1965 55 010, 1966 60'019 und 1967 54 671 Neuerkrankungen an Tuberkulose in der Bundesrepublik registriert worden. Für 1968 liegen Zahlen leider noch nicht vor.
Eine Zusatzfrage, Herr Härzschel.
Frau Minister, haben Sie Unterlagen darüber, wie die Entwicklung in vergleichbaren Industriestaaten verläuft?
Ich habe sie nicht hier. Ich würde sie Ihnen gern schriftlich zur Verfügung stellen. Wahrscheinlich müssen wir allerdings erst über das Auswärtige Amt dort anfragen.
Noch eine Frage bitte!
Ich wäre Ihnen dankbar, Frau Minister, wenn Sie das täten. Es ist sicher von Interesse, ob die Entwicklung in anderen Staaten gleichläuft. Ich habe eine weitere Frage in der Richtung: Trifft es zu, daß die Zunahme von Neuerkrankungen in den Großstädten stärker ist als auf dem Lande?
Herr Kollege, wir müssen uns die Zahlen über die Länder und über das Statistische Bundesamt beschaffen. Insofern sind immer Rückfragen notwendig. Aus diesem Grunde kann ich auch auf diese Frage nicht mit Zahlenangaben antworten, für die ich geradestehen kann. Ich kann nur feststellen, daß die Neuzugänge auch an Ansteckungskrankheiten leider verhältnismäßig hoch sind.
Ich rufe dann die Fragen 55 und 56 des Herrn Abgeordneten Härzschel auf:
Trifft es zu, daß durch die zunehmende ambulante Behandlung von Tuberkulosen eine erhöhte Ansteckungsgefahr besteht und die Eindämmung der Krankheit damit erschwert wird?
Trifft es weiterhin zu, daß viele Erkrankte vorzeitig das Krankenhaus oder Sanatorium verlassen, obwohl noch keine restlose Ausheilung erfolgt ist und die Kranken zum Teil noch Bazillenträger sind?
Bitte, Frau Minister!
Auch die Frage 56 des Herrn Kollegen Härzschel kann ich nicht eindeutig beantworten. Die Exekutive bei der Seuchenbekämpfung liegt in der Hand der Länder, so daß ich mit einschlägigen Fällen nicht unmittelbar befaßt bin. Nach mir vorliegendem wissenschaftlichem Material scheint jedoch der Prozentsatz der abgebrochenen Heilverfahren zurückzugehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Härzschel.
Frau Minister, wie erklären Sie es sich dann aber, daß, wie Sie eben aus der Statistik belegt haben, der Rückgang doch scheinbar gestoppt worden ist und in dem einen Jahr sogar einerheblicher Zugang an Neuerkrankungen zu verzeichnen war?
Herr Kollege, ich glaube nicht, daß das direkt etwas mit den abgebrochenen Heilverfahren zu tun
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12434 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969
Bundesminister Frau Strobelhat. Es gibt einen geringen Prozentsatz von an ansteckender Tbc Erkrankten, die das Heilverfahren einmal, manchmal mehrmals abbrechen. Um mich darüber sehr genau zu unterrichten, habe ich mir in einer diesbezüglichen Anstalt auch angesehen, wie diese Menschen untergebracht sind und welche Möglichkeiten der Heilung für sie bestehen, aber ich kann weder die Frage, ob nur von ihnen die Ansteckung ausgeht, bejahen noch das Gegenteil behaupten.
Eine Zusatzfrage, Herr Härzschel.
Immerhin ist diese Behauptung, Frau Minister, bei einem Kongreß aufgestellt worden. Wären Sie nicht bereit, dieser Frage einmal nachzugehen, inwieweit es zutrifft, daß Heilverfahren vorzeitig abgebrochen werden und daß von daher eben doch zumindest eine verstärkte Ansteckungsgefahr besteht?
Herr Kollege, es ist ja so, daß das Bundesseuchengesetz den zuständigen Behörden der Länder die Möglichkeit gibt, in den Fällen, in denen eine Ansteckungsgefahr gegeben sein kann, den Kranken oder Krankheitsverdächtigen in entsprechenden Einrichtungen abzusondern. Es ist nach dem Bundesgesetz sogar vorgeschrieben, daß eine Absonderung erfolgen muß, wenn sich der Betroffene weigert, den seine Absonderung betreffenden Anordnungen Folge zu leisten, oder wenn die Gefahr einer solchen Weigerung besteht. Das Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentzug findet hier insoweit Anwendung.
Wegen der besonderen Natur der Tuberkulose kann es aber in einzelnen Fällen schwierig sein, über die Entwicklung der Krankheit eine zutreffende Prognose zu stellen, so daß es in der Praxis eben doch vorkommen kann, daß nicht in allen Fällen im Zeitpunkt der Reaktivierung des Prozesses eine Absonderung bereits gegeben ist.
Auf Grund des Zahlenmaterials, das wir uns in der kurzen Zeit, seit uns Ihre Frage vorliegt, verschaffen konnten, scheint es mir allerdings auf alle Fälle notwendig, daß man in bezug auf die Tuberkulose und die damit für die Bevölkerung verbundenen Gefahren eine entsprechende Aufklärungswelle startet. Es ist ja bekannt, daß immer in dem Maße, in dem eine früher sehr verbreitete anstekkende Krankheit zurückgegangen ist, auch die Wachsamkeit der Bevölkerung zurückgeht.
Wir haben auf Grund Ihrer Anfrage bereits Überlegungen angestellt, ob wir nicht die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung beauftragen sollten, dies auch mit zu einem Schwerpunkt ihrer Aufklärung, spätestens im nächsten Jahr, zu machen.
Noch eine Frage, Herr Härzschel.
Frau Minister, ich bin Ihnen für diese Ausführungen außerordentlich dankbar. Deshalb würde ich Sie noch einmal fragen: Wären Sie bereit, auf Aufklärung hinzuwirken und vielleicht noch einmal mit den Ländern Fühlung aufzunehmen, damit diese Fragen, die hier angesprochen worden sind, geklärt werden?
Wie ich schon gesagt habe, bin ich dazu gern bereit. Ich werde auch die obersten Landesgesundheitsbehördeh veranlassen, uns einmal einschlägiges Material zur Verfügung zu stellen. Aber es ist Ihnen sicher auch bekannt, daß das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose eine Enquete erarbeitet und daß man dann eben, von dieser Enquete ausgehend, auch entsprechend wird handeln müssen.
Damit ist auch Frage 56 beantwortet.
Frau Minister, Herr Dr. Meinecke wollte eine Zusatzfrage stellen.
Frau Minister, sind Sie in der Lage, die meines Erachtens einzige kardinale gesundheitspolitische Frage zu beantworten, ob es bei den feststellbaren Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern noch eine Rolle spielt, ob in den Ländern die Möglichkeit für Röntgenreihenuntersuchungen der Bevölkerung angeboten wird oder nicht, d. h. ob man in Zukunft auf Grund der f allen-den Tendenz der Erkrankungsziffern auf solche Untersuchungen verzichten kann oder ob sie fortgeführt werden sollten?
Herr Kollege Dr. Meinecke, ich hoffe, daß aus der Enquete der Deutschen Zentrale hervorgehen wird, ob in den Ländern, in denen die Röntgenreihenuntersuchungen auf Grund von Landesgesetzen eingeführt sind, die Tbc-Fälle im Verhältnis zur Bevölkerung geringer sind als in den Ländern, in denen es diese Reihenuntersuchungen nicht gibt. Die ganze Angelegenheit ist im Augenblick ein bißchen schwierig zu behandeln, weil beim Bundesverfassungsgericht wegen dieser teilweise bestehenden Pflicht zur Röntgenreihenuntersuchung Verfassungsklage eingereicht ist.
Ich rufe die Fragen 57 und 58 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Welche Stellungnahme hat der Bundesgesundheitsrat in seiner Sitzung am 11. März 1969 zu der Frage des Ärztebestandes, Ärztebedarfs und des ärztlichen Nachwuchses erarbeitet?
Bedeutet die jetzt erfolgte Stellungnahme des Bundesgesundheitsrates zum Problem des ärztlichen Nachwuchses, daß die Bundesregierung sich bisher um die Fragen nicht bemüht hat?
Bitte, Frau Minister!
Herr Kollege Meinecke, der Bundesgesundheitsrat hat in seiner Sitzung vom 11. März dieses Jahres die Auffassung vertreten, daß im Rahmen der Gesundheitspolitik der Bundesrepublik Deutsch-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969 12435
Bundesminister Frau Strobelland die Gewinnung von einwandfreien und tiefgegliederten Zahlen über Ärztebestand und Ärztebedarf erforderlich ist. Dabei wurde festgestellt, daß die bisher zur Verfügung stehenden Unterlagen aus der Volks- und Berufszählung von 1961 den Gesundheitsämtern und den Ärztekammern nur bedingt ausreichen. Sie geben insbesondere keinen Überblick über die strukturellen Veränderungen in der ärztlichen Berufstätigkeit. Da im Rahmen der zehnprozentigen Stichprobe bei der Volkszählung 1970 Angaben auch über Personen mit ärztlicher Ausbildung gewonnen werden, hat der Bundesgesundheitsrat empfohlen, an Hand des daraus gewonnenen Materials eine über das allgemeine Programm hinausgehende Sonderauswertung durchzuführen, um damit auch einen Vergleich mit den Ergebnissen der Volks- zählung von 1961 zu haben. Der Bundesgesundheitsrat war ferner der Auffassung, daß weitere Informationen über die ärztliche Berufsausübung in einer kleinen Repräsentativbefragung erhoben werden sollten. Dabei wäre u. a. der individuelle Berufsweg mit besonderer Berücksichtigung der Zeit seit 1961 zu erfragen. Außerdem sollte versucht werden, die Entscheidungsgründe für Art und Ort der Berufsausübung zu ermitteln.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Meinecke.
Frau Minister, aus der Fragestellung des Bundesgesundheitsrates geht hervor, daß er diese Frage aus gesundheitspolitischen Gründen behandelt. Würden Sie mit mir darin übereinstimmen, daß das gesundheitspolitische Interesse nur die eine Seite der Medaille ist und die andere Seite das gesamte bildungspolitische Problem ist, wie man den jungen Menschen, die dieses Studium ergreifen wollen, heute mit einiger Wahrscheinlichkeit sagt, wie groß das Risiko ist, wenn sie diesen Beruf ergreifen?
Sicher hängen beide Fragen damit zusammen. Aber damit hängt selbstverständlich auch zusammen, daß die Zahl der Studienbewerber für das Medizinstudium wesentlich höher ist als die Zahl der zur Verfügung stehenden Studienplätze. Deshalb hat ja auch der Wissenschaftsrat dazu ein Gutachten vorgelegt, um eine vernünftige Relation zu erreichen.
Noch eine Frage, Herr Dr. Meinecke.
Läßt sich die Frage heute grundsätzlich in . der gleichen Weise, wie es die ärztlichen Berufsorganisationen vor einigen Jahren getan haben, dahin beantworten, Frau Minister, daß man davor warnen muß, diesen Beruf zu ergreifen oder das Studium zu beginnen, weil das Risiko, das natürlich die Studierenden selbst tragen müssen und nicht die Gesellschaft, relativ groß ist?
Herr Kollege Meinecke, die Stellungnahme, die der Deutsche Ärztetag im vorigen Jahr in Wiesbaden durch den Mund seines Präsidenten abgegeben hat, stimmt nicht ganz mit der Stellungnahme des Wissenschaftsrates überein. Ich möchte mir aus diesem Grunde erlauben, ohne daß Sie die Frage direkt gestellt haben, darauf hinzuweisen, daß sowohl der Wissenschaftsrat als auch Herr Professor Koller, den wir beauftragt hatten, ein Gutachten über den Ärztebedarf in den nächsten zehn Jahren zu erstellen, in ihren gutachtlichen Äußerungen zu dem Ergebnis kommen, daß die ärztliche Versorgung der Bevölkerung bei einer Relation von 630 Einwohnern auf einen Arzt gesichert sei. Am 31. Dezember 1967 gab es in der Bundesrepublik Deutschland 88 559 berufstätige Ärzte, darunter rund 3000 Ausländer, zusätzlich 8841 medizinische Assistenten. Das entspricht einem Verhältnis von 677 Einwohnern auf einen Arzt. Nach den Vorausberechnungen des Wissenschaftsrates benötigen wir unter Zugrundelegung der Relation von 630 im Jahre 1975 93 000 Ärzte. Professor Koller kommt bei der gleichen Relation zu der Auffassung, daß wir im Jahre 1980 100 000 berufstätige Ärzte, im Jahre 1990 105 000 berufstätige Ärzte brauchen. Nach Professor Koller beträgt der Nachwuchsbedarf an Ärzten mit abgelegtem medizinischem Staatsexamen jährlich 4000. Im Jahre 1965/66 haben 4175 Medizinstudenten ihr Staatsexamen erfolgreich abgelegt. Das würde in etwa bedeuten, daß die gegenwärtigen Zahlen von abgelegten Staatsexamen mit der Bedarfszahl übereinstimmen, so daß die jetzt Zugelassenen nicht eine Gefahr eines Überhangs bedeuten, daß man aber bei der jetzigen Relation bleiben müßte. Ich meine, daß den Studienanfängern und den Studienbewerbern diese Zahlen bekanntgemacht werden müssen bzw. zum Teil schon bekannt sein können.
Noch eine Frage, Herr Meinecke.
Ich nehme an, daß meine beiden Fragen im Zusammenhang beantwortet worden sind. Demnach würden mir noch zwei Zusatzfragen zustehen, Herr Präsident. — Meine erste Frage ist die, Frau Minister — —
Ich hatte zwar die zweite Frage im Text nicht beantwortet, aber wir können angesichts der Beantwortung darauf verzichten, glaube ich.
Der Sache nach schon. — Ich darf also Ihrer Antwort entnehmen, daß sich das Ministerium schon seit längerer Zeit sehr intensiv mit der Frage beschäftigt hat und insofern der in der Öffentlichkeit auf Grund der Sitzungsberichte über die Zusammenkunft des Bundesgesundheitsrats erweckte Eindruck, das Ministerium sei erst durch den Bundesgesundheitsrat aufmerksam gemacht worden, irrtümlich ist.
Herr Kollege Meinecke, Professor Koller gehört selbst, weil er die bis jetzt zur Verfügung stehenden statistischen Unterlagen nicht für ausrei-
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12436 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969
Bundesminister Frau Strobelchend hält, dem Ausschuß des Bundesgesundheitsrates an, der diesen Beschluß gefaßt hat. Da wir das wußten, haben wir mit darum gebeten, daß bei der Zählung 1970 diese zusätzlichen Fragen gestellt werden.
Letzte Frage, Herr Meinecke.
Frau Minister, wäre Ihr Ministerium bereit, bei der weiteren Bearbeitung dieser Frage auch regionale Studien, wie sie beispielsweise im Bildungsplanungsbericht der Bundesregierung aufgeführt sind und von Riese in Baden-Württemberg durchgeführt wurden, zu berücksichtigen, aus denen allerdings hervorgeht — dabei muß man wissen, daß diese Studien im wesentlichen ökonomisch und sozialökonomisch fundiert sind —, daß von 1980 bis 1985 grundsätzlich eine weitere Steigerung des Akademikerbedarfs überhaupt nicht vorliegt?
Herr Kollege Meinecke, ich gebe Ihre Anregung gern an die Arbeitsgruppe weiter, die den Beschluß des Bundesgesundheitsrats verfolgt.
Ich rufe die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Fritsch auf:
Welche Erfahrungen liegen auf dem Gebiet der Hirnkammerluftfüllungen hinsichtlich möglicher, gesundheitsschädigender Folgen dieser Eingriffe und den rechtlichen Konsequenzen ihrer Verweigerung, insbesondere in der Kriegsopferversorgung und in der Unfallversicherung, vor?
— Ich habe die Frage schon aufgerufen. Ich bitte doch diejenigen Kollegen, die Zusatzfragen stellen wollen, sich zeitiger zu melden.
Bitte, Frau Minister!
Herr Kollege Fritsch, im Benehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, dem Bundesminister des Innern und dem Bundesminister der Justiz — Sie ersehen aus der Tatsache, daß ich mich mit den drei anderen Ministerien in Verbindung setzen mußte, daß die Frage viele Seiten hat — beantworte ich diese Frage wie folgt.
Die Beurteilung der Gesundheitsschädlichkeit der Hirnkammerluftfüllung muß in erster Linie der medizinischen Wissenschaft überlassen bleiben. Nach dem vorliegenden Schrifttum ist die Verträglichkeit jeweils abhängig vom Krankheitsprozeß. Der diognostische Wert dieser Untersuchungsmethode Ist abzuwägen gegenüber den Nachteilen, die hauptsächlich in Form von Kopfschmerzen nach dem Eingriff auftreten. Gesundheitsschädigende Folgen wurden bei strenger Indikationsstellung nicht wesentlich häufiger als bei anderen vergleichbaren diagnostischen Eingriffen beobachtet. Immerhin sollte diese Hirnkammerluftfüllung — entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung — grundsätzlich nur in Ausnahmefällen und auch dann nach Möglichkeit in
Übereinkommen mit dem Patienten vorgenommen' werden.
Die Frage nach den rechtlichen Konsequenzen einer Weigerung des Betroffenen, eine Hirnkammerluftfüllung an sich vornehmen zu lassen, stellt sich außer bei der Kriegsopferversorgung und dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung im Krankenversicherungsrecht, im Sozialhilferecht, im Beamtenrecht und im Rahmen von § 81 a der Strafprozeßordnung. Ärztliche Untersuchungsmaßnahmen, die einer Operation im Sinne des § 10 Abs. 7 des Bundesversorgungsgesetzes gleichkommen, können jedoch nach dem Kriegsopferrecht — § 17 Abs. 2 VFG — nicht verlangt werden. Aus einer Weigerung als solcher dürfen daher nicht ungünstige Folgen für den Antragsteller entstehen.
Aber — und das ist nun wieder ein Pferdefuß — in der Kriegsopferversorgung gilt der Grundsatz der objektiven Beweislast, wonach die Folgen, daß eine Tatsache nicht festgestellt worden ist, von demjenigen zu tragen sind, der aus dieser Tatsache ein Recht ableiten will. Es ist also möglich, daß ein Anspruch mangels der erforderlichen Klärung abgelehnt wird.
Ganz allgemein dürften hierbei folgende Grundsätze zu beachten sein: Die Mitwirkungspflicht eines Betroffenen an Maßnahmen, die sich wie die Hirnkammerluftftillung als Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit — Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes — darstellen, findet ihre Grenze in der Zumutbarkeit, der Verhältnismäßigkeit und in der Schwere des Eingriffs. Die Rechtsprechung zur Zumutbarkeit der Hirnkammerluftfüllung geht überwiegend davon aus, daß dieser Eingriff eine nicht ungefährliche Untersuchung ist und nicht angeordnet werden darf, solange nicht ausgeschlossen ist, daß andere weniger einschneidende Methoden, z. B. Anstaltsbeobachtung oder hirnelektrische Untersuchung, eine hinreichend zuverlässige Beurteilung ermöglichen.
Eine Zusatzfrage, Herr Fritsch.
Frau Minister, Sie haben bereits auf die Vielfalt der für die Beurteilung dieser Frage zuständigen Stellen hingewiesen. Halten Sie eine einheitliche Beurteilung der Rechtsfolgen bei der Verweigerung pines derartigen Eingriffes für möglich und nicht wie bisher mindestens in der Kriegsopferversorgung eine abweichende Einschätzung einer derartigen Haltung?
Herr Kollege Fritsch, ich habe schon auf die spezielle Bestimmung im Kriegsopferrecht aufmerksam gemacht, die wahrscheinlich die Ursache für die unterschiedlichen Entscheidungen ist. Wünschenswert ist sicher die einheitliche Rechtsprechung.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Fritsch.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969 12437
Frau Minister, die Furcht vor einem derartigen Eingriff ist bei den Betroffenen im allgemeinen sehr groß. Mir persönlich sind auch Fälle bekannt, wo es über die erwähnten Kopfschmerzen hinaus zu weiteren Folgen gekommen ist. Sehen Sie Möglichkeiten für einen Rechtsanspruch auf Entschädigung auf Grund der Folgen eines derartigen Eingriffs, auch wenn der Patient ihm zugestimmt hat?
Herr Kollege Fritsch, bitte erklären Sie sich damit einverstanden, daß diese Frage von mir im Einvernehmen mit den sonst noch beteiligten Ministerien schriftlich beantwortet wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Dröscher.
Frau Bundesminister, in meiner zwölfjährigen Praxis als Abgeordneter eines Wahlkreises ist mir über keine ärztliche Untersuchung so oft etwas Negatives vorgetragen worden wie über diese, und keine hat zu so vielen schrecklichen persönlichen Tragödien geführt. Gibt es eine Möglichkeit, in Zusammenarbeit der Ministerien Forschungsaufträge zu verteilen, damit dieser Eingriff, der sicher in vielen Krankheitsfällen notwendig ist, vielleicht schmerzloser oder auf irgendeine Art erträglicher gestaltet werden kann?
Herr Kollege Dröscher, ich muß fachlich prüfen lassen, ob das möglich ist. Ich habe schon darauf aufmerksam gemacht, daß Anstaltsbeobachtungen und hirnelektrische Untersuchungen unbedingt vorgezogen werden müssen, wenn sie ausreichend und beweiskräftig genug sind.
Die Frage 115 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet:
Ist die Bundesregierung bereit, die Verordnung zu § 16 der Gewerbeordnung dergestalt zu ergänzen, daß der Betrieb einer Kunststoffsinterei in den Katalog der lästigen Betriebe aufgenommen wird?
Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen aus diesem Geschäftsbereich.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung ist der Herr Parlamentarische Staatssekretär Köppler hier.
Zunächst Frage 60 des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen:
Wie ist der Stand der überall als dringlich angesehenen Ferienneuordnung?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, die Ferientermine in den Ländern der Bundesrepublik werden, wie Sie wissen, alljährlich von der Ständigen Konferenz der Kultusminister beraten und aufeinander abgestimmt. Dabei wird vor allem für die Sommerferien im Interesse der ausgeglichenen Belastung der Fernverkehrswege und der Kapazitätsausnutzung in den Fremdenverkehrsorten auf eine zeitliche und regionale Staffelung Wert gelegt. Gewisse Grenzen werden einer breiten Streuung dadurch gesetzt, daß die großen Ferien nicht in klimatisch weniger günstige Jahreszeiten fallen dürfen. In diesem Jahr beginnen die Sommerferien zwischen dem 28. Juni und dem 23. Juli, jeweils letzter Schultag. Der letzte Ferientag vor Beginn des neuen Schuljahres liegt zwischen dem 10. August und dem 10. September.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist dem Innenministerium bewußt, daß eine Reihe von Reformvorschlägen vorliegt — beispielsweise ein Vorschlag des Industrie- und Handelstages —, die auch mit dem Wirtschaftsministerium erörtert worden sind, ohne daß es bisher zu einer wirklich durchgreifenden Reform gekommen ist?
Herr Kollege, das Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister hat für die Regelung 1970 einen in wesentlichen Punkten über die bisherigen Erfahrungen und Regelungen hinausgehenden Vorschlag vorgelegt, über den aber noch keine Entscheidung gefallen ist. Danach ist u. a. vorgesehen, den Bereich, in den die Sommerferien fallen, von 73 Tagen auf 77 Tage zu erweitern, vor allen Dingen aber auch dafür zu sorgen, daß der Ferienbeginn nicht mehr mit dem Wochenende zusammenfällt.
Noch eine Frage, Herr Schmitt.
Teilen Sie meine Auffassung, Herr Staatssekretär, daß gerade solche mangelhaften Ergebnisse in der Zusammenarbeit zwischen den Ländern das Ärgernis bei den Bürgern draußen im Lande über die Kultusministerkonferenz im allgemeinen sehr verstärken und daß das eigentlich sehr bedauerlich ist? Sie haben ja in Ihrer Antwort auf die Anfrage von 42 CDU-Abgeordneten gerade auch auf diesen Komplex hingewiesen.
Ich teile Ihre Auffassung, Herr Kollege. Ich bin aber auch davon überzeugt, daß sich die Kultusminister und -senatoren der Länder ihrer Verantwortung gerade in diesem Punkt bewußt sind.
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12438 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969
Frage 61 des Abgeordneten Weigl:
Wann wird die ungleiche Behandlung von begabten Landkindern, deren Eltern pro Monat erhebliche Fahrkosten aufbringen müssen, damit die Kinder in zentralen Orten weiterführende Schulen besuchen können, beseitigt?
Die Frage wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort des Bundesministers Benda vom 27. März 1969 lautet:
Das in Vorbereitung befindliche Ausbildungsförderungsgesetz wird dem Bund eine Grundlage für die Erstattung von Fahrkosten für Fahrten zur Schule geben. Das wird auch und vor allem für notwendige Fahrten zu weiterführenden Schulen an zentralen Orten gelten. Alle Entwürfe zu diesem Gesetz, die z. Z. im Bundestagsausschuß für Familien- und Jugendfragen beraten werden, sehen eine derartige Möglichkeit vor, wenn sie auch im einzelnen hinsichtlich der Höhe des zu erstattenden Betrages und des Kreises der Berechtigten voneinander abweichen .
Nach der heute noch geltenden Rechtslage sind die Länder für eine entsprechende Gesetzgebung zuständig.
Frage 62 des Herrn Abgeordneten Dröscher:
Ist es zutreffend, daß berufsmäßige Angehörige des früheren Reichsarbeitsdienstes, die nachweisen können, daß sie am 8. Mai 1945 den Dienstgrad eines Feldmeisters oder Amtswalters hatten, nur deshalb keine Versorgungsbezüge nach § 55 in Verbindung mit § 53 G 131 erhalten, weil sie nicht den Beweis zu erbringen vermögen, daß die Beförderung in den gelben Personalveränderungsmitteilungen des früheren Reichsarbeitsdienstes bekanntgemacht worden ist?
Ernennungen und Beförderungen von Reichsarbeitsdienstführern vom Feldmeister an aufwärts sind nach den Art. 17, 18 Absatz 1 der Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Reichsarbeitsdienstgesetzes vom 29. September 1939 erst durch Veröffentlichung im Verordnungsblatt für den Reichsarbeitsdienst wirksam geworden.
Wie verlautet, erfolgte die Veröffentlichung in den Personalveränderungen, die auf gelbem Papier als amtliche Beilage zum Verordnungsblatt herausgegeben wurden. Auch soll das erwähnte Veröffentlichungserfordernis bis Kriegsende nicht mehr geändert worden sein.
Soweit bis zum 8. Mai 1945 eine wirksame Beförderung nicht vorlag, kann eine solche auch der Rechtsstellung und Versorgung eines berufsmäßigen Angehörigen des früheren Reichsarbeitsdienstes nach § 55 des Gesetzes zu Artikel 131 nicht zugrunde gelegt werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß diese gelben Personalveränderungsmitteilungen, also diese amtlichen Bekanntmachungen, unter den kriegseigentümlichen Umständen seit Anfang 1945 nicht mehr gedruckt wurden oder nicht mehr veröffentlicht wurden?
Nach den Mitteilungen, die mir darüber zugegangen sind, soll es bis zum Kriegsende, mindestens aber noch bis Ende Januar 1945, so, wie in dem damaligen Gesetz vorgesehen, gehandhabt worden sein.
Letzte Frage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Staatssekretär, dann wäre also jemand, der den individuellen Nachweis erbringt, etwa eine schriftliche Mitteilung über die stattgefundene Beförderung, und der in einer entsprechenden Stelle saß, aber nichts nachweisen kann, weil infolge der Kriegsverhältnisse die Veröffentlichung nicht mehr erfolgte, insofern benachteiligt, als seine Dienststellung und seine Beförderung nach dem 131 er-Gesetz nicht anerkannt wird.
Nicht ganz, Herr Kollege. Wir müssen uns, glaube ich, in diesem Zusammenhang von den im Beamtenrecht üblichen konstitutiven Wirkungen von Verwaltungsakten frei machen. Bei den Beamten genügt die Überreichung der Urkunde. Das ist nicht so bei den Arbeitsdienstführern, deren Ernennung oder Beförderung sich der damalige Reichsarbeitsdienstführer vorbehalten hat. Dort ist nicht mit der Überreichung der Urkunde, sondern, wie es das Gesetz ausdrücklich festlegt, erst mit der Veröffentlichung im Verordnungsblatt ides Reichsarbeitsdienstes die konstitutive Wirkung erreicht und praktisch die Beförderung wirksam geworden. Nur darüber muß ein Nachweis erbracht werden.
Frage 63 des Herrn Abgeordneten Fritsch :
Welches ist der gegenwärtige Stand der Verhandlungen hinsichtlich der Grenzöffnungen zur CSSR, insbesondere bei Bayerisch Eisenstein?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, seit der Beantwortung Ihrer Frage in der Fragestunde vom 18. Oktober 1968 haben sich die tschechoslowakischen Stellen zu der Wiedereröffnung des Straßenübergangs bei Bayerisch Eisenstein nicht geäußert. Auf der tschechoslowakischen Seite wird jedoch die zur Grenze führende Straße instand gesetzt. Daraus könnte geschlossen werden, daß die andere Seite nach wie vor gewillt ist, den Übergang im Sommer dieses Jahres wieder in Betrieb zu nehmen.
Zusatzfrage, Herr Fritsch.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß von Ihrer Seite oder auch von bayerischer Seite neuerdings Kontakt aufgenommen wird, um endlich einmal festzustellen, wann mit einer derartigen Lösung zu rechnen ist, nachdem die einander widersprechenden Äußerungen gerade der letzten Zeit keinen klaren Blick zulassen?
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969 12439
Herr Kollege, offenbar läßt sich an der Grenze selbst über die Absichten nichts Genaueres erfahren. Der Bundesminister der Finanzen hat mir mitgeteilt, daß er in diesen Tagen eine schriftliche Anfrage an die zuständigen Stellen in Prag richten werde, um den genauen Eröffnungstermin zu erfahren.
Noch eine Frage.
Herr Staatssekretär, dürfte ich um eine Mitteilung ,des Ergebnisses dieser Bemühungen bitten.
Selbstverständlich, Herr Kollege!
Frage 64 des Herrn Abgeordneten Strohmayr:
Billigt die Bundesregierung die Aufforderung eines Boulevardblattes: „Schützt euch selbst! Kauft euch Waffen!" als Selbsthilfe zur Verbrechensbekämpfung?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, die Bundesregierung tritt mit Nachdruck der dem Artikel zugrunde liegenden Auffassung entgegen, daß die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Bundesrepublik durch die Sicherheitsorgane des Staates nicht mehr gewährleistet seien. Sie warnt dringend davor, eine Psychose zu erzeugen, daß nur das Faustrecht des einzelnen vor dem Verbrecher zu schützen vermöge. Es ist die eigentliche Aufgabe der Polizei, die Bevölkerung vor dem Verbrecher zu schützen, und sie tut das mit großer Hingabe und, wie internationale Vergleiche ergeben, auch mit guten Erfolgen.
Selbstverständlich kann der einzelne dabei mithelfen, indem er selbst die Gelegenheit, Verbrechen zu begehen, weitgehend ausschließt. Er kann dies tun, indem er z. B. vorbeugende Schutz- und Sicherungsmaßnahmen für sein Eigentum trifft oder sich durch gesunde Skepsis vor Betrug oder anderen Straftaten bewahrt. Die Kriminalpolizei gibt monatlich wertvolle Hinweise in dem kriminalpolizeilichen Vorbeugungsprogramm.
Es wäre dringend erwünscht, wenn dieses Vorbeugungsprogramm eine möglichst große Verbreitung — auch durch Unterstützung der Presse — erfahren würde, damit hier ein nachhaltiger Erfolg erreicht wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Strohmayr.
Herr Staatssekretär, wie verträgt sich diese Äußerung in dem Boulevardblatt überhaupt mit der Möglichkeit eines Waffenkaufs?
Auch da ist etwas großzügig über die bestehenden gesetzlichen, insbesondere landesrechtlichen Bestimmungen hinweggesehen worden.
Zweite Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit solche Panikveröffentlichungen künftighin nicht mehr erfolgen?
Die Bundesregierung hat selbstverständlich keinen Einfluß und will auch keinen Einfluß auf die Gestaltung der Presse nehmen. Die freie Gestaltung der Presse ist Ausfluß eines Grundrechts unseres Grundgesetzes. Sie kann nur, wie sie es anläßlich Ihrer Frage getan hat, versuchen, an die Einsicht der Beteiligten zu appellieren.
Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet. Vielen Dank, Herr Staatssekretär!
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung ist der Herr Parlamentarische Staatssekretär Leicht hier. Ich rufe zunächst die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Schlager auf. Ist er im Saal? Er ist nicht im Saal. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet.
Ich rufe dann die Fragen 71, 72 und 73 des Herrn Abgeordneten Müller auf:
Ist der Bundesregierung die Verlautbarung der Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Februar 1969 bekannt, wonach es mit Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar ist, daß § 34 a des Einkommensteuergesetzes die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit davon abhängig macht, auf welcher Rechtsgrundlage sie beruhen?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, nachdem sie auf meine Fragen in der Fragestunde vom 28. März 1968 erklärt hatte, „daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten ist" (Stenographischer Bericht über die 163. Plenarsitzung am 28. März 1968, Seite 8531 D)?
Ist die Bundesregierung bereit, nach Vorliegen der für den Ersten Senat maßgebenden Entscheidungsgründe dem Deutschen Bundestag unverzüglich eine entsprechende Gesetzesänderung vorzuschlagen?
Die Fragen werden von Frau Enseling übernommen. Bitte, Herr Staatssekretär!
Ich darf die Fragen des Kollegen Müller wie folgt beantworten.Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Januar 1969 liegt im vollen Wortlaut vor. Das Bundesfinanzministerium hat von sich aus bereits veranlaßt, daß der Beschluß im Bundessteuerblatt veröffentlicht wird.In dem Beschluß wird festgestellt, daß die unterschiedliche steuerliche Behandlung der Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit je nachdem, ob sie auf gesetzlicher oder tariflicher Grund-
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12440 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969
Parlamentarischer Staatssekretär Leichtlage beruhen oder ob sie frei vereinbart wurden, gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG verstößt. Das Bundesverfassungsgericht hat davon abgesehen, die Vorschrift des § 34 a des Einkommensteuergesetzes insgesamt für verfassungswidrig zu erklären, sondern hat es ausdrücklich in das Ermessen des Gesetzgebers gestellt, selbst zu entscheiden, wie die steuerliche Gleichbehandlung herbeigeführt werden soll. Das kann — worauf in dem Beschluß hingewiesen wird — durch eine Aufhebung der Steuerfreiheit auch der bisher begünstigten Zuschläge oder durch eine Ausdehnung der Steuerfreiheit auf die bisher nicht begünstigten Zuschläge geschehen.Das Problem ist sehr vielschichtig. Es berührt nicht nur Fragen des Steuerrechts und der Steuersystematik, sondern auch Fragen des Arbeits-und Tarifrechts sowie der Arbeitsmarktpolitik schlechthin. Es ist deshalb erforderlich, das Gesamtproblem zuvor innerhalb der beteiligten Ressorts — und es ist eine ganze Reihe von Ressorts beteiligt, gnädige Frau —, aber auch mit den Spitzenverbänden der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen zu erörtern. Die Beratungen sind inzwischen aufgenommen worden. Sobald die Beratungen abgeschlossen sind, wird die Bundesregierung dem Bundestag einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Wie die Neuregelung gestaltet wird, läßt sich jedoch zur Zeit noch nicht übersehen.
Keine Zusatzfrage.
Wir kommen dann zu der Frage 74 der Abgeordneten Frau Funcke:
Ist die Bundesregierung bereit, Vorschläge zu machen, um beim Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen die Doppel- und Mehrfachbelastung mit Mehrwertsteuer entsprechend der Regelung in anderen Ländern zu vermeiden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Die Bundesregierung hält es nicht für systemwidrig, daß die Umsätze gebrauchter Kraftfahrzeuge der vollen Mehrwertsteuer unterworfen werden. Ich habe hierzu — gnädige Frau, Sie wissen das — im einzelnen schon in zahlreichen Fragestunden Ausführungen gemacht. Auch die wirtschaftliche Entwicklung der Automobilwirtschaft, die seit Einführung der Mehrwertsteuer besonders sorgfältig beobachtet worden ist, läßt es nicht als notwendig erscheinen, die Umsätze gebrauchter Kraftfahrzeuge zu begünstigen. Schließlich kann die Tatsache, daß die Mehrwertsteuergesetze anderer Länder — in dieser Frage ist das angesprochen — wie Frankreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark Sonderregelungen -unter- schiedlichen Ausmaßes für Gebrauchtwagen enthalten, keine zwingende Veranlassung für entsprechende Maßnahmen bei uns sein. Ich möchte bei dieser Gelegenheit nur darauf hinweisen, daß diese Länder die Personenkraftwagen in anderer Hinsicht wesentlich stärker mit Umsatzsteuer belasten als wir. In Schweden und Dänemark ist den Unternehmern der Vorsteuerabzug für die Anschaffung und die Unterhaltung von Personenkraftwagen versagt. In den Niederlanden tritt zur normalen Umsatzsteuer von 12 v.H. noch eine besondere Verbrauchsteuer von 15 v.H. hinzu. In Frankreich unterliegen Personenkraftwagen dem erhöhten Satz von 25 v.H., der nach unserer Bemessungsgrundlage einem Steuersatz von 331/s v.H. entspricht. Wenn man sich schon am Ausland mißt, verehrte Frau Kollegin, so müßte man wohl gerechterweise auch diese enorm hohen Belastungen in die Diskussion einbeziehen.
Eine Zusatzfrage, Frau Funcke.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß es etwas schief ist, sonstige Steuerbelastungen des Kraftfahrzeugs im Ausland in die Beurteilung einzubeziehen, weil wir ja außerdem die Kraftfahrzeugsteuer und die Mineralölsteuer haben, die in dieser Größenordnung bei den vergleichbaren Ländern nicht bestehen?
Ich habe von der Umsatzsteuer gesprochen und bewußt keine anderen Steuern mit herangezogen.
Zweite Zusatzfrage, Frau Funcke.
Herr Staatssekretär, Sie geben mir doch zu, daß, wenn Sie nur auf die Umsatzsteuer abstellen, kein echter Vergleich gegeben ist, weil bei uns eben andere Belastungen auf dem Kraftfahrzeug liegen und es von daher durchaus angemessen wäre, in der Frage der Altwagen auf die europäischen Lösungen einzugehen, d. h. eine gleiche Vergünstigung bei der Mehrwertsteuer zu geben wie in den anderen europäischen Ländern.
Ich würde das auch unter diesem Aspekt nicht so absolut sagen. Im übrigen, gnädige Frau, wissen Sie ja, daß diese Frage bei den Ausschußberatungen über das Mehrwertsteuergesetz eine wesentliche Rolle gespielt hat und der Ausschuß zur Ablehnung einer Begünstigung gekommen ist.
Ich rufe die beiden Fragen 75 und 76 des Herrn Abgeordneten Meister auf:Warum wird die sogenannte Lifo-Methode für die Bewertung der Edelmetalle in der Steuerbilanz der einschlägigen Wirtschaft von den Finanzbehörden nicht anerkannt, obwohl sie bei der Handelsbilanz allgemein üblich ist?Ist die Bundesregierung bereit, nachdem sich durch den gespaltenen Goldpreis die seitherigen Voraussetzungen geändert haben, den angesprochenen Fragenkomplex zu überprüfen und die Vorschriften für die Erstellung der Steuerbilanz edelmetallverarbeitender Betriebe und der Kreditinstitute, die sich zugleich industriell betätigen, sinngemäß zu ändern?Diese beiden Fragen werden auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort des Ministers Frau Strobel vom 26. März 1969 lautet:Im Bundesministerium für Gesundheitswesen wird zur Zeit eine Verordnung zur Änderung der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen nach § 16 der Gewerbeordnung vom 4. August
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969 12441
Vizepräsident Dr. Mommer1960 vorbereitet. Dabei wird auch geprüft, ob die von Ihnen genannten Kunststoff-Sintereien in die Verordnung einbezogen und damit der Genehmigungspflicht unterworfen werden sollen. Die Prüfung dieser Frage ist noch nicht abgeschlossen. Wenn Sie es wünschen, werde ich Sie zu gegebener Zeit von dem Ergebnis der Untersuchungen unterrichten.Wir kommen dann zu den Fragen des Herrn Abgeordneten Müller . Können diese Fragen zusammen beantwortet werden? — Ja. Ich rufe deshalb die Fragen 77, 78 und 79 des Herrn Abgeordneten Müller (Worms) auf:Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der Bewertungsabschlag gemäß § 80 EStDV eine steuerliche Vergünstigungsvorschrift darstellt, die den interessierten Firmen die Möglichkeit geben soll, im Sinne des Gesetzgebers erhöhte Vorratswirtschaft am Bilanzstichtag vorzunehmen, der Bewertungsabschlag aber in keiner Weise den Wert der Ware mindert und daher bei der Ermittlung des Wertes für die umsatzsteuerliche Entlastung der Altvorräte nicht berücksichtigt werden darf?Müssen Unternehmen, die zum Schluß des Kalenderjahres bilanzieren, für die Entlastung des Vorratsvermögens nach § 28 UStG 1967 den steuerlich zulässigen Wert ansetzen, so daß sich ein Bewertungsabschlag nach § 80 EStDV auf die Berechnung des Entlastungsbetrages ungünstig auswirkt?Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, falls die Vorschrift des § 28 UStG 1967 zu einer ungleichmäßigen Entlastung führt und diese somit als willkürlich angesehen werden müßte?Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Müller, welche Wertansätze für die Berechnung des Entlastungsbetrages maßgebend sind, ist erschöpfend in § 28 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 des Umsatzsteuergesetzes geregelt. Nach diesen Vorschriften müssen Unternehmer, die zum Schluß des Jahres 1967 für Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung eine Bilanz aufzustellen haben, bei der Berechnung des Entlastungsbetrages von dem in dieser Bilanz anzusetzenden Wert ausgehen. Dies ist der im Einzelfall tatsächlich angesetzte ertragsteuerlich zulässige Wert. In der Bilanz vorgenommene Bewertungsabschläge beim Vorratsvermögen haben daher eine entsprechende Minderung der Bemessungsgrundlage für den Entlastungsbetrag zur Folge.
Es ist zwar richtig, daß durch den Bewertungsabschlag das § 80 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung aus volkswirtschaftlichen Gründen für den Unternehmer ein Anreiz geschaffen werden soll, bestimmte Wirtschaftsgüter ausländischer Herkunft vorrätig zu halten. Doch kommt es im Rahmen des § 28 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes nicht darauf an, auf welchen gesetzgeberischen Motiven ein vom Unternehmer in Anspruch genommener Bewertungsabschlag letztlich beruht.
Deshalb muß man sagen, daß Unternehmer, die zinn Schluß des Jahres 1967 bilanziert und dabei von dem Bewertungsabschlag des § 80 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung Gebrauch gemacht haben, nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes eine entsprechende Minderung der Bemessungsgrundlage für den Entlastungsbetrag in Kauf nehmen müssen. Auf die Ausführungen, die ich eben gerade machte, darf ich verweisen.
Zum Schluß darf ich sagen: eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes und damit eine willkürliche Ungleichmäßigkeit der Entlastung kann in der Regelung des § 28 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes nicht erblickt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes beinhaltet der Gleichheitsgrundsatz das Gebot, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. Er ist nur dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, wenn also die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß.
Es liegt im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die Tatbestandsmerkmale auszuwählen, an denen er eine gesetzliche Regelung ausrichten will, und die für die Gleich- und Ungleichbehandlung maßgebend sein sollen. Von dieser Gestaltungsfreiheit hat der Gesetzgeber aus praktischen und technischen Erwägungen heraus bei der Ausgestaltung des Entlastungsverfahrens in der Weise Gebrauch gemacht, daß die zum Schluß des Jahres 1967 bilanzierenden Unternehmer bei der Berechnung des Entlastungsbetrages von dem gewählten Bilanzansatz ausgehen müssen. Die in § 28 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes getroffene Regelung kann hiernach nicht als willkürlich angesehen werden. Die Bundesregierung beabsichtigt deshalb nicht, eine Änderung des § 28 des Umsatzsteuergesetzes vorzuschlagen.
Eine Zusatzfrage, Herr Müller.
Ist es zutreffend, Herr Staatssekretär, daß für Unternehmen, die mit abweichendem Wirtschaftsjahr bilanzieren, die also die Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder den niedrigeren Teilwert bereits am letzten Bilanzstichtag -- also vor Schluß des Kalenderjahres — bilanziert haben, der Wertansatz am 31. 12. 1967 nicht über den Bilanzansatz am Schluß des letzten Wirtschaftsjahres hinausgehen darf?
Ich bin im Augenblick überfragt, Herr Kollege. Ich bitte, diese Frage schriftlich beantworten zu können.
Noch eine Frage, Herr Müller.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß aus Gründen der Gleichbehandlung von Unternehmen, die zum Schluß des Kalenderjahrs, und von Unternehmen, die mit abweichendem Wirtschaftsjahr bilanzieren, für Wirtschaftsgüter, die zwischen dem Bilanzstichtag und dem Schluß des Kalenderjahrs erworben sind, die Bindung an die letzte Steuerbilanz nicht möglich ist?
Ich habe hier ausgeführt, Herr Kollege Müller, daß wir der Auffassung sind, daß die Bestimmungen des § 28 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Insoweit kann ich Ihre Frage nicht bejahen.
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12442 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969
Noch eine Frage, Herr Müller.
Herr Staatssekretär, ist es dann nicht so, daß Unternehmen, die zu einem anderen Bilanzstichtag als zum Schluß des Kalenderjahres bilanzieren, gegenüber denen, die zum Schluß des Kalenderjahres bilanzieren, im Vorteil sind?
Ich würde das nicht absolut sagen.
Die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Cramer:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die in vielen Städten noch vorhandenen Trümmer von Luftwaffenbunkern zu beseitigen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Dr. h. c. Strauß vom 26. März 1969 lautet:
Die Fraktion der SPD hatte am 4. April 1962 eine Kleine Anfrage — Drucksache IV/334 — an die Bundesregierung gerichtet, die von der Bundesregierung am 9. Mai 1962 schriftlich beantwortet worden ist. In der Antwort ist auch der in der mündlichen Anfrage jetzt angesprochene Fragenkreis behandelt worden. An der Rechtslage hat sich seither nichts wesentlich geändert.
Die Frage einer Beseitigung von Luftwaffenbunkern in den Städten durch den Bund kann nicht isoliert betrachtet werden. Luftwaffenbunker sind nur ein kleiner Teil der ehemaligen Wehrmachtanlagen, zu denen der Westwall und ferner z. B. Flakstellungen, Geschützstellungen, Verteidigungssysteme usw. zu rechnen sind.
Nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz, das auch die Ansprüche aus 'der Errichtung solcher Anlagen gegen das Deutsche Reich regelt, werden
1. Ansprüche aus der Errichtung von Westwallanlagen, die auf eine Entschädigung für die in Anspruch genommenen Grundstücke gerichtet sind, erfüllt ;
2. Ansprüche, die auf einer Beeinträchtigung des Eigentums durch Wehrmachtanlagen beruhen nur dann erfüllt, wenn die Erfüllung des Anspruchs zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leben oder Gesundheit erforderlich ist (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 AKG). Voraussetzung ist hier im übrigen, daß die Schäden nicht unter das Lastenausgleichsgesetz fallen.
Diese Regelung erklärt sich aus der außerordentlichen Höhe der Verbindlichkeiten des Deutschen Reiches von rd. 800 Milliarden RM. Infolgedessen geht das Allgemeine Kriegsfolgengesetz grundsätzlich davon aus, daß alle Reichsverbindlichkeiten erlöschen , soweit nicht ausnahmsweise zwingende sachliche Gründe eine Erfüllung bestimmter Anspruchsgruppen notwendig erscheinen ließen.
Eine Beseitigung von Trümmern von ehemaligen Luftwaffenbunkern in den Städten durch den Bund würde .die Forderung auf Beseitigung von Trümmern von allen Wehrmachtanlagen nach sich ziehen. Allein die Kosten für die Beseitigung des Westwalls würden sich bereits auf mehrere Milliarden DM belaufen.
Die Bundesregierung sieht sich daher nicht in der Lage, über die durch das Allgemeine Kriegsfolgengesetz geregelten Verpflichtungen hinaus in dieser Sache weitere Maßnahmen zu treffen.
Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen aus diesem Geschäftsbereich.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung ist der Herr Bundesminister Höcherl hier.
Zunächst die Fragen 98, 99 und 100 des Herrn Abgeordneten Dr. Gleissner. Ist Herr Gleissner im Saal? — Herr Gleissner ist nicht im Saal. Dann werden die Fragen schriftlich beantwortet.
Die Frage 101 des Abgeordneten Weigl:
Welche Bundesländer beteiligen sich an den Kosten der Schulmilchspeisung?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Die Fragen 102, 103 und 104 der Frau Abgeordneten Blohm:
Trifft es zu, daß in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in den Niederlanden erhebliche Mengen an Margarine statt Butter von den Bauern verbraucht werden?
Kann die Bundesregierung Zahlenmaterial über den Margarineverbrauch der deutschen Landwirtschaft im Vergleich zu ihrem Butterverbrauch vorlegen?
Hält die Bundesregierung neben den anderen beabsichtigten Maßnahmen zur Angleichung von Angebot und Nachfrage auf dem EWG-Milchmarkt die Einführung einer angemessenen Butterrücknahmeverpflichtung der milchanliefernden Bauern zu vertretbaren Preisen als eine Maßnahme zur Abtragung des Butterberges für zweckmäßig?
Die Fragen werden von Frau Enseling übernommen. Bitte, Herr Minister!
Ich würde die beiden ersten Fragen wegen des Sachzusammenhanges gerne zusammen beantworten.
Uber den Butter- und Margarineverbrauch liegen nur Zahlenangaben zum Pro-Kopf-Verbrauch der Gesamtbevölkerung vor. Es wird angenommen, daß in der Bundesrepublik der Verbrauch in den landwirtschaflichen Betrieben nicht geringer ist als der Pro-Kopf-Verbrauch der Gesamtbevölkerung, insbesondere, weil die Landwirtschaft die Rückgabebutter von den Molkereien infolge der nicht anfallenden Handelsspannen preisgünstiger als die übrigen Verbraucher bezieht.
Im Wirtschaftsjahr 1967/68 betrug in der Bundesrepublik der Pro-Kopf-Verbrauch an Butter 8,5 kg und an Margarine 9,4 kg. Die Vergleichszahlen für die Niederlande betragen 3,6 kg bei Butter und 19,5 kg bei Margarine.
Im Wirtschaftsjahr 1962/63 wurde auf Grund einer Stichprobenerhebung der Verbrauch in der Landwirtschaft mit folgendem Ergebnis ermittelt: Bundesrepublik 11,3 kg Butter und 5,5 kg Margarine; Niederlande 6,5 kg Butter und 14,4 kg Margarine.
Jetzt kann die schon aufgerufene Frage 104 beantwortet werden. — Bitte, Herr Minister!
Eine erhöhte Abnahme von Butter durch die Landwirtschaft kann nicht erzwungen werden. Es besteht zur Zeit keine gesetzliche Ermächtigung, die Milcherzeuger zur Rücknahme zu verpflichten. Es ist überdies schwierig, eine sachliche Grundlage für eine derartige Verpflichtung zu schaffen. Naheliegend wäre die Personenzahl des bäuerlichen Betriebes. Sie allein ist aber kein Maßstab für die Beteiligung der Milchlieferanten an der Uberschußsituation. Eine über den Haushaltsverbrauch hinausgehende Rücknahmeverpflichtung könnte zum Wiedervermarkten dieser Butter Anlaß geben. Außerdem besteht in der Gemeinschaft bei
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969 12443
Bundesminister Höcherlder Milch eine sehr unterschiedliche Vermarktungsstruktur. In der Bundesrepublik und den Niederlanden werden über 80 und 90 % der erzeugten Milch bei den Molkereien erfaßt, in Frankreich sind es nur 63 %.
Keine Zusatzfrage.
Frage 105 der Frau Abgeordneten Herklotz. — Sie ist nicht im Saale. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Die Fragen 106 und 107 des Abgeordneten Zebisch:
Stimmen Informationen, daß eine 1966 mit einem Aufwand von 250 000 DM erstellte Sonderschau des Bundesernährungsministeriums für einen Aufwand von 1000 DM im Monat bei einer Amberger Speditionsfirma eingelagert ist?
Kann die Bundesregierung Möglichkeiten aufzeigen, wie sie diese Schau in Zukunft sinnvoll weiterverwenden will, um unnötige Ausgaben zu vermeiden?
Bitte, Herr Minister!
Die Sonderschau, die Mitte 1966 zu einem Preis von 174 100 DM gestaltet worden war, ist unter dem Thema „Aus deutschen Landen, frisch auf den Tisch" in Amberg eingesetzt gewesen. Nach Beendigung der Ausstellung vom 17. bis 27. Juni 1966 wurde die Schau zu einer monatlichen Lagermiete von 275 DM eingelagert, um sie auf weiteren Veranstaltungen zeigen zu können. Verschiedene Verhandlungen über weitere Einsätze zerschlugen sich zunächst, so daß eine erneute Verwendung erst wieder auf der IKOFA in München 1968 möglich war, wo die Schau nach Umdekoration unter das Thema „Ernährungsaufklärung für jedermann" gestellt wurde. Damit wurde die Einlagerung in Amberg beendet.
Das Kontaktbüro für Verbraucheraufklärung ist von mir beauftragt worden, die Ausstellung noch an weiteren Plätzen zu zeigen. Sie befindet sich augenblicklich in einem Bonner Lager, wird zur Zeit neu hergerichtet und kommt Ende April dieses Jahres auf den „Mannheimer Weinmarkt".
Zu einer Zusatzfrage Herr Zebisch.
Herr Minister, wenn ich Sie richtig verstanden habe, war diese gerade für unsere Landwirtschaft sehr wichtige Ausstellung zwei Jahre eingemottet. Mit welchen Firmen hat Ihr Ministerium während dieser Zeit verhandelt, um die Ausstellung in Deutschland erneut zu zeigen?
Wir haben nicht mit Firmen, sondern mit Ausstellungsveranstaltern verhandelt. Die Verhandlungen haben sich jeweils zerschlagen. In der Zwischenzeit wurde die Ausstellung auf der IKOFA wieder eingesetzt. Neuerdings geht sie einem weiteren Einsatz entgegen.
Noch eine Frage, Herr Zebisch.
Herr Minister, könnten Sie mir eventuell schriftlich mitteilen, mit wem verhandelt wurde?
Ja.
Keine Zusatzfrage mehr.
Das sind für heute alle Fragen aus diesem Geschäftsbereich. Vielen Dank, Herr Minister! In die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung sollten wir wohl nicht mehr eintreten; denn die Zeit ist abgelaufen.
Ich schließe die Fragestunde. Die nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet, soweit sie nicht zurückgezogen sind.
Ich rufe Punkt V unserer Tagesordnung auf:
Dritte Beratung des Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1969 — Drucksachen V/3300, V/3921 bis V/3951 —
Berichterstatter: Abgeordneter Schoettle
Die Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages in zweiter Beratung liegt uns auf Drucksache V/4047 vor.
Der Berichterstatter wünscht das Wort nicht. Dann eröffne ich .die allgemeine Aussprache. — Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Althammer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach einer strapaziösen Beratung von zwei Wochen will dieses Hohe Haus den letzten Jahreshaushalt der 5. Wahlperiode des Deutschen Bundestages verabschieden. Wenn es gelingt, das Haushaltsgrundsätzegesetz und die Bundeshaushaltsordnung in den letzten sieben Sitzungswochen dieser Legislaturperiode zu verabschieden, wird das unter Umständen der letzte Einjahreshaushalt sein, den das deutsche Parlament zu verabschieden hat. Angesichts der vielen Einzelgesetze und der großen Sachprobleme, die dieses Jahr mit den Haushaltsberatungen verbunden worden waren, haben sich eigentlich nur die Kollegen des Haushaltsausschusses darüber gewundert, daß in der zweiten Lesung über Geld kaum gesprochen worden ist. Ich möchte wenigstens zum Abschluß der Haushaltsberatungen etwas davon in den Grundzügen nachholen.Der Bundeshaushalt 1969 schließt mit einem Betrag von 83,3 Milliarden DM ab und liegt damit um 1 Milliarde DM höher als der Regierungsentwurf vom Herbst des Jahres 1968. Dennoch ist es, wenn man die gegenwärtig sich abzeichnende Hochkonjunktur berücksichtigt, richtig, das Ergebnis dieser Haushaltsberatungen als konjunkturneutral anzusprechen. Neben 500 Millionen DM erwarteter Mehreinahmen aus dem außenwirtschaftlichen Absicherungsgesetz, die zunächst voll wieder den betroffenen Wirtschaftszweigen zugewendet werden sollen
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12444 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969
Dr. Althammerund jetzt in einem Teilbetrag von 300 Millionen DM insbesondere zur Strukturverbesserung verwandt werden sollen, ergab sich die Erhöhung vor allem aus der Aufnahme eines neuen Titels in Form einer Anleihe bis zu 500 Millionen DM zur Finanzierung des Devisenausgleichs mit den USA und England in den kommenden zwei Jahren für entstehende Truppenstationierungskosten. Der Haushaltsausschuß ist damit einer Anregung .der Bundesregierung gefolgt, da es wegen der bevorstehenden neuen Devisenausgleichsabkommen nicht mehr möglich sein wird, 1969 auf anderem Wege die notwendigen Mittel bereitzustellen.Im Hinblick auf die laufenden Verhandlungen mit den USA erscheint es aber notwendig, eine erläuternde Anmerkung zu machen. Ich nehme an, daß ich in dieser Frage für alle Fraktionen dieses Hohen Hauses sprechen kann, wenn ich feststelle, daß wir uns darin einig sind, daß die Mittel nicht dazu verwendet werden dürfen, Haushaltshilfen an die verbündeten Staaten zu leisten. Wir erwarten also, daß allenfalls Darlehen oder Anleihen gewährt werden, soweit die noch auszuhandelnden Summen im Rahmen des Devisenausgleichsabkommens nicht ohnehin durch militärische oder zivile Beschaffungen belegt werden können.Der Haushaltsausschuß hat aus diesem Grunde in seiner letzten Sitzung noch einmal den Ansatz für die Devisenausgleichsabgaben geändert, um ganz eindeutig klarzustellen, daß hier Direktzuwendungen an die Haushalte anderer Staaten nicht vorge- sehen sind. Auf gar keinen Fall darf der Einsatz von Bundesmitteln im Rahmen des Devisenausgleichsabkommens auch nur den Anschein der Zahlung von Stationierungskosten erwecken, da sonst die geltenden Bestimmungen des NATO-Truppenstatuts und seiner Zusatzvereinbarungen ausgehöhlt würden. Eine Umverteilung der Stationierungslasten der verbündeten Streitkräfte in Deutschland kann - nicht Gegenstand von Devisenausgleichsvereinbarungen sein und damit Eingang in den Bundeshaushalt finden. Es besteht Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß dieses Hohe Haus seine Zustimmung zu einer direkten Haushaltshilfe nicht geben wird.Ich darf nun einige wenige Bemerkungen zu dem Ergebnis der Haushaltsberatungen machen. In langen Beratungen hat der Haushaltsausschuß eine Reihe von Kürzungen vorgenommen und auf der anderen Seite Einnahmenverbesserungen erzielt. Insgesamt handelt es sich um die runde Summe von 562 Millionen DM Kürzungen und 57 Millionen DM Einnahmenverbesserungen. Die 200 Millionen DM, die dabei im Einzelplan des Verteidigungsministeriums eingespart werden konnten, mußten wiederum dazu verwendet werden, die ersten Maßnahmen auf Grund der Brüsseler Beschlüsse zur Stärkung der NATO-Verteidigungskraft zu realisieren. Insofern hat sich im Gesamtvolumen des Einzelplans 14, der ja eine der größten Positionen im Haushalt seit Jahren darstellt, nichts geändert.In dem anderen Bereich — darauf habe ich bereits hingewiesen — wurden Mehreinnahmen für Wirtschaftsstrukturverbesserungen erreicht. Übrigens wurden 300 Millionen DM, die eingespart wurden, auf verschiedenen Einzelpositionen wieder in Ausgaben verteilt, weil es im Laufe der Beratungen, nachdem ohnehin ein gutes halbes Jahr zwischen der Einbringung des Haushalts und der Verabschiedung lag, notwendig war, unabweisbare neue Mehrausgaben zu finanzieren. So ist es verständlich, daß im Endergebnis nur eine Summe von rund 60 Millionen DM als Einsparung als Ergebnis der langen Haushaltsberatungen übrigblieb.Von der Zahl der neu auf uns zugekommenen Mehrbelastungen will ich nur einen Punkt herausgreifen, nämlich die humanitäre Hilfe für Nigeria und Biafra. Hier sah sich der Haushaltsausschuß veranlaßt, in den Haushalt 1969 die Summe von 30 Millionen DM einzusetzen. Ich möchte aber für die Fraktion der CDU/CSU hier im Plenum eine Erklärung wiederholen, die ich bereits im Haushaltsausschuß abgegeben habe. Wir haben von unserer Seite her ganz klar zu erkennen gegeben, daß notwendige humanitäre Hilfsmaßnahmen in Biafra und in Nigeria unter keinen Umständen etwa daran scheitern dürfen, daß Bundesmittel dafür nicht zur Verfügung ständen.
Wir haben also ganz eindeutig erklärt, daß wir vom Parlament her selbstverständlich etwa notwendig werdende Mehranforderungen — über diese 30 Millionen DM hinaus — ebenfalls akzeptieren würden. Es hat sich für den Haushalt 1969 nun eine etwas eigenartige Situation ergeben. Während wir uns bemüht haben, das Ergebnis der Haushaltsberatungen konjunkturneutral zu gestalten, hat der Bundesfinanzminister in den letzten Februartagen bereits ein Programm zur Konjunkturdämpfung vorbereitet, und das Bundeskabinett hat dieses Konjunkturdämpfungsprogramm dann im März, als die Haushaltsberatungen im Ausschuß abgeschlossen waren, beschlossen. 1,8 Milliarden DM des Haushalts sind zunächst einmal gesperrt worden.
Gestatten Sie Herrn Genscher eine Zwischenfrage?
Ja, gern.
Herr Kollege, angesichts der gestern in der Debatte über die Parlamentsreform von allen Fraktionen zum Ausdruck gebrachten Auffassung über die Repräsentanz der Bundesregierung während der Plenarsitzungen möchte ich mir die Frage erlauben: Wissen Sie vielleicht, wo der Bundesfinanzminister zur Zeit ist?
Herr Kollege Genscher, der Staatssekretär wird diese Frage sicher noch beantworten. Ich wollte im weiteren Verlauf meiner Ausführungen noch• ein Wort zu der Frage der Präsenz der Bundesregierung sagen. Ich will das aber jetzt schon vorziehen. Ich möchte hier eines feststellen. Es ist immer wieder darauf hingewiesen worden, daß der Bundeskanzler da und
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Dr. Althammerdort nicht anwesend gewesen sei. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich meine, wir sollten hier mit gleichen Maßstäben messen.
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Gestern ist hier von diesem Ort sehr beredt dargestellt worden, wie viele andere Aufgaben die Abgeordneten zu erfüllen hätten. Man muß, glaube ich, auch der Bundesregierung und ihren Mitgliedern zugestehen, daß sie mindestens ähnlich wichtige Aufgaben — unter Umständen auch während der Haushaltsberatungen — wahrzunehmen haben.
Eine Zwischenfrage von Herrn Leicht.
Herr Kollege Dr. Althammer, wären Sie so freundlich, dem Kollegen Genscher zu sagen, daß in dem Augenblick, in dem wir über den Haushalt in dritter Lesung beraten, im Bundesrat über die Frage der Finanzreform gesprochen wird?
Ich bedanke mich sehr für diese in Frageform gekleidete Auskunft.
Noch eine Frage von Frau Funcke.
Bitte schön!
Herr Kollege Dr. Althammer, welchen Wert messen Sie der Haushaltsberatung bei, und welchen Wert sollte die Regierung, insbesondere der Herr Finanzminister, der Haushaltsberatung zumessen?
Frau Kollegin, ich glaube, wenn das Bundesfinanzministerium neben dem Minister einen Parlamentarischen Staatssekretär und zwei beamtete Staatssekretäre hat, wird es auch von uns aus zu akzeptieren sein, wenn hier die Aufgaben entsprechend verteilt werden.
Ich persönlich bin der Meinung, daß die Fragen, die heute im Bundesrat anstehen, ebenfalls von einer sehr entscheidenden Bedeutung sind.
Zurück zum Programm zur Konjunkturdämpfung! Die FDP hat vorgestern abend bezüglich dieser 1,8 Milliarden DM den Antrag gestellt, diese Summe nicht nur zu sperren, sondern endgültig zu streichen. Wir hatten bei dieser Debatte schon Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß es angesichts der Zweckbestimmung der gesperrten Mittel nicht angebracht ist, jetzt schon eine endgültige Streichung vorzunehmen.Ich glaube, es ist notwendig, an diese Frage eine allgemeine Betrachtung anzuknüpfen. Der jetzige Minister Windelen, der damals noch als Abgeordneter für die CDU/CSU die Haushaltsrede in erster Lesung gehalten hat, hat bereits im Oktober des vergangenen Jahres auf die sich abzeichnenden Anzeichen einer Hochkonjunktur hingewiesen, und er hat bereits damals die Forderung erhoben, daß rechtzeitig das Instrumentarium zu einer Konjunkturdämpfung bereitgestellt werden müßte. Der Kollege Windelen hat damals gesagt, daß die Bewährungsprobe für unsere Finanz- und Wirtschaftspolitik eigentlich noch vor uns liege; es sei nämlich das Problem zu lösen, wie eine solche Hochkonjunktur gedämpft und bewältigt werden könne.Es ist erstaunlich, wie schnell sich diese damaligen Vorhersagen und Projektionen nun erfüllt haben. Zwar haben wir heute im Stabilitätsgesetz ein Instrumentarium zur Dämpfung der Konjunktur; es zeigt sich aber bereits, daß es bei der praktischen Realisierung doch noch sehr, sehr schwierige Probleme gibt. Wenn man sich die von der Bundesregierung beschlossenen vorläufigen Sperrungen ansieht, stellt man fest, daß diese Sperrungen eigentlich nur den investiven Bereich betreffen. Das wird besonders deutlich, wenn Sie lesen, daß beispielsweise im Bereich von Wissenschaft und Forschung 125 Millionen gesperrt sind, im Bereich des Verkehrswesens gar eine Summe von 365 Millionen.Ich glaube aber, man kann der Bundesregierung keinen Vorwurf daraus machen, daß sie so verfahren ist. Denn es zeigt sich hier ganz einfach, daß unser Bundeshaushalt zu unbeweglich ist, als daß man hier an der optimalen Stelle effektiv ansetzen könnte. Der ganze Bereich der sogenannten konsumtiven Ausgaben liegt ja gesetzmäßig fest. Es sind hier Gesetzesbestimmungen getroffen, die den einzelnen dann einen Rechtsanspruch auf Erfüllung der ihnen zugestandenen Leistungen einräumen. Niemand wird natürlich in der gegenwärtigen Situation einer steigenden Konjunktur daran denken, etwa durch Gesetz Kürzungsmaßnahmen Platz greifen zu lassen. Wenn aber für die gesamte Dispositionsmasse eines Bundeshaushalts von über 80 Milliarden DM nur noch rund 10 % zur Verfügung stehen und auch darin wieder ein Teil enthalten ist, der zwar theoretisch disponibel ist, praktisch aber kaum angegriffen werden kann, zeigt sich daran, daß kaum ein anderer Bereich übrigbleibt als die Investitionsausgaben.Hier wird ein Zielkonflikt ganz offenkundig. Der Bundesfinanzminister hat in der ersten Lesung des Haushalts mit besonderem Nachdruck darauf hingewiesen, daß sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt habe, die Investitionsleistungen insbesondere für die Zukunftsinvestitionen von Jahr zu Jahr zu steigern; und bereits im Haushalt 1969 ist ja damit ein deutlicher Anfang gemacht worden. Nun werden durch Sperrungen wesentliche Punkte zunächst wieder zurückgenommen, und wir können heute noch nicht absehen, ob es nicht etwa doch zu einer endgültigen Kürzung kommen muß.Wenn wir uns die Frage stellen, was im Bundeshaushalt unter Umständen sonst noch zur Konjunkturdämpfung zur Verfügung stünde, stoßen wir auf
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Dr. Althammereinen zweiten Ausgabeblock, nämlich auf die sogenannten Subventionsausgaben. Sie erinnern sich daran, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß in vergangenen Haushaltsjahren die Debatten über Staatssubventionen und deren Abbau eine sehr, sehr große Rolle gespielt haben. Nun haben wir bei den Konsolidierungsmaßnahmen für den Bundeshaushalt in den Jahren 1965 und 1966 auf diesem Gebiet einiges getan. Inzwischen sind aber sehr große neue Subventionen in diesen Haushalt hineingekommen; ich denke nur an die vorgeplanten Leistungen im Bereich des deutschen Erdölwesens oder z. B. — um einen anderen Sektor zu nennen — an die Ausgleichszahlungen aus Anlaß des außenwirtschaftlichen Absicherungsgesetzes.Es ist eigentartig, daß im Augenblick eigentlich niemand über Subventionen und Subventionsabbau spricht. Ich bin aber davon überzeugt, daß der nächste Bundestag dieses Thema wieder mit allem Nachdruck wird aufgreifen müssen.Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, nun ein paar Bemerkungen zu den wesentlichen Punkten der Debatte der letzten zwei Wochen machen. Ich möchte mich dabei naturgemäß auf .den innenpolitischen Bereich dieser Debatte beschränken.Es war unverkennbar, daß bei diesen Beratungen wenige Monate vor der Bundestagswahl 1969 da und dort natürlich auch Startlöcher für diese Bundestagswahl gegraben worden sind. Um mich an die Kollegen von der SPD zu wenden, darf ich hier feststellen, daß die alten Legenden von dem Wirtschaftschaos und der Staatskrise im Jahre 1966 da und dort wieder angeklungen sind. Ich möchte heute bei der dritten Lesung keine ausführliche Debatte über diesen Komplex heraufbeschwören, zumal ich sicher bin, daß wir uns in den kommenden Monaten über diese Frage noch sehr ausgiebig zu unterhalten haben.Immerhin möchte ich eines anmerken. Jedem Einsichtigen ist klar, daß die nahezu ideal ausgewogene Konjunktursituation des Jahres 1968 nur darauf beruhte und beruhen konnte, daß zuvor der Boden einer stabilen Wirtschafts- und Finanzpolitik bereitet worden war. Diese Arbeit hat schon einige Tage vor Beginn der Großen Koalition begonnen. Ich darf hier insbesondere an die Wochen der Minderheitsregierung der CDU/CSU erinnern. Ich möchte einmal deutlich einen Namen nennen, den des Minister Kurt Schmücker, der in diesen Wochen gleichzeitig Finanz- und Wirtschaftsminister war und unter dem die 'entscheidenden Positionen gesetzt worden sind. Das war eine entscheidende Arbeit, die in diesen Wochen von der damaligen Minderheitsregierung und der sie tragenden Partei geleistet worden ist, allerdings — das möchte ich eindeutig hinzusetzen — auch durch Tolerierung und durch das Einverständnis der SPD.
Vielleicht war es der Erfolg der Arbeit dieser Wochen, der den Gedanken aufkommen ließ, das Finanz- und Wirtschaftsministerium unter Umständennach englischem Vorbild in einer Hand zu vereinigen.Wegen der Frage, wer damals etwa Maßnahmen getroffen hat, die sich hinterher als bedauerlich erwiesen haben, möchte ich nur ein Zitat bringen, das Sie in der neuen Broschüre der Sozialdemokraten finden, die da heißt „147mal Soll und Haben". Im Vorwort zu dieser sehr ausführlichen Broschüre sagt Helmut Schmidt wörtlich:Man hat der SPD den Vorwurf gemacht, solchen Wahlgeschenken zugestimmt zu haben — nicht ganz zu Unrecht.Wenn wir jetzt mit Blick auf die augenblickliche Situation feststellen, daß der Bundestag vor der Bundestagswahl 1969 keine Wahlgeschenke gemacht hat, dann ist ein deutlicher Fortschritt festzustellen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte noch auf einige Gefahrenzeichen anderer Art hinweisen. Offenbar ist dieses Parlament der Enthaltsamkeit in Ausgabebeschlüssen gerade in einer solchen Zeit etwas ungewohnt. Deshalb kann man feststellen, daß die Neigung zu gewissen Ersatzhandlungen besteht. Diese Ersatzhandlungen bestehen etwa darin, daß man Versprechen für zukünftige Jahre macht, auch wenn man genau weiß, daß solche Versprechen gar nicht mehr von diesem Parlament, sondern von einem neuen Bundestag eingelöst werden. Es gibt sicher einige Positionen, die angesichts einer Hochkonjunktur einfach unabweisbar sind. Ich darf dabei auf die beiden Entschließungsanträge zur Kriegsopferversorgung und zum Familienlastenausgleich verweisen. Wenn man also einiges davon sicher akzeptieren muß, ist doch Veranlassung gegeben, davor zu warnen, daß nun durch verbindliche Zusagen versucht wird, ohne direkte Belastung und ohne direkte Wahlgeschenke doch noch einiges vor Ende der Legislaturperiode zu tun.Es gibt eine zweite Möglichkeit, die auch von diesem Parlament schon praktiziert worden ist, die sogenannte Absichtsgesetzgebung. Da werden genaue Gesetzentwürfe ausgearbeitet, und sie stehen zur Verabschiedung an. Es wird aber nicht das Datum des Inkrafttretens eingesetzt, und auch die Frage der Finanzierung wird insofern offengelassen, als man sagt, die Finanzierung habe sich nach der mittelfristigen Finanzplanung zu richten.Ich glaube, beides kann, aufs Große gesehen, nicht ein guter und richtiger Weg sein. Wenn dann noch hinzukommt, daß gelegentlich in diesem Parlament formuliert wird, die Bundesregierung werde ersucht, in die mittelfristige Finanzplanung dieses oder jenes einzusetzen, dann sollten wir uns überlegen, ob das das richtige Verhältnis zwischen Parlament und Bundesregierung ist. Ich möchte es einmal etwas kraß ausdrücken und sagen, das Parlament sollte nicht als eine Art Bittsteller zur Regierung kommen und sagen: Bitte, liebe Bundesregierung, setze du das oder jenes in die mittelfristige Finanzplanung ein. Wir sollten uns klar darüber sein, daß dieses Parlament letztlich die Dispositionsbefugnis über Einnahmen und Ausgaben hat.
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Dr. AlthammerDiese Warnungen, die ich hier ausgesprochen habe, gehen uns alle an. Die Redner der Großen Koalition haben erkennen lassen, daß sie in den letzten sieben Wochen noch ein sehr wichtiges Gesetzgebungsprogramm zu Ende führen wollen. Es besteht Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß demgegenüber die Opposition in dieser zweiwöchigen Debatte, gemessen an dem Anspruch, den sie selbst gestellt hat, doch eigentlich recht wenig geboten hat. Ich darf, um Ihnen einmal vorzuführen, was der Anspruch war, mit dem die FDP in dieser Debatte angetreten war, ein Zitat aus der Rede vortragen, die der Kollege Dorn am ersten Tag dieser Debatte von diesem Podium aus gehalten hat. Herr Kollege Dorn hat am 19. März von diesem Platz aus erklärt:Wir— die FDP also —wollten ja eine völlig andere Politik in der Opposition betreiben, keine Politik im Stande des Wartens auf die Regierungsbeteiligung, sondern eine Politik politischer Alternativen zur Politik der Koalition . . .Ich glaube, die Opposition wird sich nun die Frage gefallen lassen müssen, welche Alternativen zur Politik der Regierung sie in diesen zwei Wochen aufgezeigt hat.Wir stellen zum ersten fest, daß natürlich immer wieder die Angriffe auf den Bundeskanzler und seine Richtlinienkompetenz erfolgt sind. Daraus läßt sich mindestens eines ablesen: daß man diesen Bun) deskanzlier doch wohl für einen sehr bedeutsamen Gegner hält; sonst wäre es nicht zu erklären, daß sich die Pfeile der Opposition immer wieder ganz speziell auf seine Person gerichtet haben.
Ich möchte aber noch ein Wort zu dieser vielberufenen Richtlinienkompetenz sagen. Ich möchte sogar so weit gehen und sagen, es wäre ein Zeichen für eine schlechte Zusammenarbeit einer Koalition, wenn sich der Bundeskanzler in diese Verfassungsnorm flüchten müßte. Je weniger er von dieser Richtlinienkompetenz Gebrauch machen muß, desto mehr ist das ein Anzeichen für eine gute und gedeihliche Zusammenarbeit der Regierungskoalition. Man darf natürlich das Bemühen, in gemeinsamer Arbeit gewisse Ziele zu erreichen, nicht damit verwechseln, daß hier etwa eine totale Uniformität der einzelnen Fraktionen und Parteien gefordert würde. Im Gegenteil, ich glaube, die Staatsbürger erwarten mit gutem Grund, daß sich auch innerhalb einer Großen Koalition ganz deutlich unterschiedliche Auffassungen zeigen.Wir haben in der Diskussion über die Finanzreform ein sehr anschauliches Beispiel erlebt. Innerhalb der CDU/CSU war deutlich geworden, daß man insbesondere an einem Punkt mit dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses eben nicht einverstanden war. Deshalb ist es ein durchaus legitimer Weg, dann die endgültige Zustimmung zu verweigern und zu verlangen, daß dieses große Reformwerk noch einmal zur Diskussion gestellt wird.
— Lieber Herr Kollege Hermsdorf, wenn das stimmt, was ich in den letzten Tagen gehört habe, besteht durchaus begründete Hoffnung, daß gerade in dem angesprochenen Punkt noch die Möglichkeit einer Verbesserung besteht. Ich muß ehrlich sagen, wenn das eintritt sind meine Befürchtungen widerlegt. Ich habe auch die Auffassung vertreten, es sei nicht mehr zu erreichen; insoweit hat mich der Kollege Möller von diesem Platz aus ganz richtig zitiert. Wenn aber eine noch bessere Lösung erreichbar ist, war es richtig, so zu verfahren. Auf jeden Fall steht fest, daß wir sowohl die feste Absicht haben wie auch auf dem besten Wege sind, trotz aller Schwierigkeiten die Finanzverfassungsreform doch noch zu einem guten Ende zu bringen.Ich meine also, daß die FDP die Frage, welche Alternativen sie nun wirklich zu bieten hatte, wohl mit einer Fehlanzeige wird beantworten müssen. Ich möchte das an einem Beispiel aus dem finanzpolitischen Bereich deutlich machen. Auf der einen Seite hat die FDP verlangt, daß die 1,8 Milliarden DM, die von der Bundesregierung jetzt zur Konjunkturdämpfung zunächst gesperrt worden sind, endgültig gestrichen werden sollen. Auf der anderen Seite hat die gleiche FDP in den letzten Jahren Anträge gestellt, deren Verwirklichung die bescheidene Summe von 4 Milliarden DM ausmachen würde. Dann hat die FDP zu diesen eigenen Kostenanträgen hinzu noch den Vorwurf erhoben, daß sehr wichtige und sehr kostenwirksame Gesetze von dieser Koalition nicht verabschiedet worden seien. Ich erinnere nur an die Verbesserung der Kriegsopferversorgung oder das Ausbildungsförderungsgesetz. Wenn Sie auch für diese Gesetze nur ungefähr gegriffene Zahlen annehmen, kommen Sie bei der Kriegsopferversorgung auf einen Betrag von ungefähr 1 Milliarde DM, die noch zu den 4 Milliarden DM hinzukäme.Da ist doch die Frage erlaubt, wie es eigentlich zusammenpassen soll, auf der einen Seite im investiven Bereich Kürzungen zu verlangen, die mindestens 1,8 Milliarden DM ausmachen, auf der anderen Seite aber im sogenannten konsumtiven Bereich. Neuanforderungen und Mehranforderung zwischen 4 Milliarden DM und 5 Milliarden DM zu stellen. Vielleicht kann der Kollege Emde diese Frage in seinen Ausführungen noch beantworten.Wir stehen mit der dritten Lesung am Abschluß einer großen, schweren und mühevollen Arbeit. Der Haushaltsausschuß hat in den vergangenen Wochen seine 1000. Sitzung abgehalten. Das Zahlenwerk, das nun zur Verabschiedung vor uns liegt, zeigt deutlich Absichten und Erfolge dieser Regierung und der Regierungskoalition. Die Staatsbürger erwarten mit Recht — das schlägt sich auch in einem solchen Haushalt nieder — die Existenzsicherung und Existenzverbesserungen, soweit der Staat dazu das Seinige tun kann. Die Bürger erwarten von der öffentlichen Hand ein großes Angebot an Dienstleistungen. Das alles muß bewältigt werden. Das alles schlägt sich in einem riesigen Bundeshaushalt und in entsprechend hohen Landeshaushalten und Gemeindehaushalten nieder.Wir dürfen über all diesen Gegenwartsaufgaben aber nie vergessen, daß dem Politiker darüber hin-
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Dr. Althammeraus die entscheidende Aufgabe gestellt ist, auch zur Zukunftssicherung unseres Volkes das Seine zu tun. Bei allem, was hier angepackt und geleistet worden ist, müssen wir dem kommenden Deutschen Bundestag noch eine große Aufgabe überlassen, die er weiterführen muß. Es wäre für einen verantwortlichen Politiker einfach nicht vertretbar, wenn man zu Lasten dessen, was in der Zukunft erfordert wird, sozusagen von der Substanz leben wollte, um unserem Volk in diesen Tagen ein Maximum an Wohlstand zu bescheren. Diese Zukunftsaufgaben werden also im nächsten Bundestag verstärkt in Angriff genommen werden müssen. Hier müssen wir verlangen, daß das Bemühen, die Investitionen noch weiter auszubauen und unter Umständen auch bei den gegenwärtigen Dämpfungsmaßnahmen entsprechend zu verfahren, nie aus dem Auge verloren wird. Deshalb, meine ich, müssen wir auch verlangen, daß die Regierung bei der Durchführung dieser vorläufigen Sperrungen und bei der Frage etwaiger endgültiger Kürzungen auch das Parlament als Gesprächspartner mit einschaltet. Das kann am besten geschehen, indem zunächst im Haushaltsausschuß die Einzelheiten dieser Sperrungen und eventuellen Kürzungen beraten werden und dann das Parlament mindestens seine Meinung dazu sagt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ein guter Brauch, daß man am Ende der Haushaltsberatungen von diesem Hause aus auch den Dank an all die vielen Mitarbeiter ausspricht, die in langer und harter Arbeit zu diesem Werk beigetragen haben. Unser Dank gilt insbesondere den Mitarbeitern der Bundesministerien, die mit dieser Aufgabe befaßt waren. Unser Dank gilt darüber hinaus den Mitarbeitern dieses Hauses, die ebenfalls in langen und schweren Sitzungen dieses Werk mit gestalten halfen.
Ich möchte zum Schluß auch all den Kollegen hier im Raum, die in den letzten zwei Wochen so lange ausgeharrt und die langen und strapaziösen Sitzungen der zweiten und jetzt der dritten Lesung mitgemacht haben und mitmachen, für ihr Interesse und für ihre Mühe Dank sagen. Ich hoffe, daß wir alle nach der Osterpause gesund und frisch den Rest der großen Arbeit, der noch vor uns liegt, in Angriff nehmen können.
Das Wort hat Herr Dr. Möller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst in vollem Umfange der Danksagung des Herrn Kollegen Althammer anschließen und diese Danksagung dadurch bekräftigen, daß ich sie — als Nichtmitglied des Haushaltsausschusses — ganz besonders auch an die Mitglieder des Haushaltsausschusses richte, die in wirklich mühevoller Tätigkeit sich monatelang dieser schwierigen Arbeit erfolgreich unterzogen haben.
Der Haushaltsausschuß hat seit der Einbringung des Regierungsentwurfs im Deutschen Bundestag am 16. Oktober 1968 eine Vielzahl von Einzeländerungen beschlossen, die sich auf Grund der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung als notwendig erwiesen haben. Das Plenum stimmte ihnen in der zweiten Lesung zu. Das Etatvolumen 1969 hätte sich danach gegenüber dem Regierungsentwurf um 60 Millionen DM verringert, wenn nicht die beiden schon von Herrn Kollegen Althammer erwähnten umfangreichen Sondermaßnahmen mit je 500 Millionen DM einzuplanen gewesen wären, und zwar einmal wegen des binnenwirtschaftlichen Anpassungsprogramms als flankierende Maßnahme zum außenwirtschaftlichen Absicherungsgesetz und zum anderen wegen der Veranschlagung von Mitteln im Zusammenhang mit der Stärkung der Verteidigungskraft und dem Ausgleich für Kosten der Stationierung von Streitkräften. Der Gesamtetat, wie er dem Deutschen Bundestag zur Endabstimmung vorliegt, schließt mit 83,346 Milliarden DM ab. Die möglichen Veränderungen dieses Plansolls durch einen konjunkturgerechten Etatvollzug, insbesondere auf Grund des Regierungsprogramms zur Sicherung der Preisstabilität vom 17. März, sind in dieser Abschlußsumme nicht berücksichtigt.In der zweiten Lesung wurde am vergangenen Donnerstag bereits das Problem der je nach Sachabgrenzung verschiedenen Zuwachsraten des Bundeshaushalts 1969 erörtert. Über die Aussagefähigkeit nackter Zuwachsraten für die Beurteilung, ob der Bundesetat konjunkturgerecht ist oder nicht, haben wir hier oft genug kritisch diskutiert. Sie kennen meine persönliche Meinung, daß zu einer solchen Analyse ein breiter Fächer von Einsicht vermittelnden Daten gehört.Ich will in diesem Zusammenhang auch anmerken, daß die noch zu beratenden Ausführungsgesetze zur Haushaltsreform einen wesentlichen Beitrag in dieser Richtung leisten müssen, um den öffentlichen Etat ökonomisch transparenter als bisher zu machen. Einen ersten Schritt haben wir mit dem Etat 1969 bereits insoweit getan, als im Vorgriff auf die Haushaltsreform erstmalig für die Veranschlagung der Kreditaufnahme das Nettoprinzip angewendet wird, verbunden mit der Einführung einer Finanzierungsübersicht, die mit dem ausgewiesenen Bruttofinanzierungsvolumen Bestandteil des Haushaltsplanes ist. Auch die Einführung der neuen, zwischen Bund und Ländern abgestimmten Haushaltssystematik einschließlich der neuen Funktionsgliederung dürfte — nach weiteren Verbesserungen — die Abstimmung zwischen Finanz- und Wirtschaftspolitik fördern und die Entscheidungen von Parlament und Regierung für eine konjunkturgerechte und antizyklische Finanzpolitik erleichtern.Wir wissen, daß die Beweglichkeit des Haushaltsgebarens eine notwendige Voraussetzung wirksamer antizyklischer Politik ist. Nur wenn Ausgabenprogramme, d. h. insbesondere Investitionsprogramme, detailliert vorbereitet sind, können sie je nach der aktuellen Konjunkturlage beschleunigt oder verlangsamt ausgeführt werden. Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz verpflichtet daher zur
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969 12449
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerAufstellung mehrjähriger Investitionsprogramme, die nach Dringlichkeit und Jahresabschnitten zu gliedern sind.Die Bundesregierung hat bei der Beschlußfassung über die laufende mittelfristige Finanzplanung den Bundesfinanzminister beauftragt, unter Mitwirkung des Bundeswirtschaftsministers die Investitionsprogramme und Investitionsvorhaben der Ressorts in einem Gesamtprogramm zusammenzufassen. Leider ist uns das Ergebnis noch nicht bekannt. Wir messen diesen Vorsorgemaßnahmen erhebliche Bedeutung bei und fordern deshalb die Bundesregierung auf, diesem Auftrag alsbald nachzukommen. Eine Übersicht und eine Prioritätenliste der Investitionsprogramme ist um so wichtiger, je größer der Zielkonflikt zwischen konjunkturellen Überlegungen und wachstumspolitischen Strukturverbesserungsmaßnahmen sein kann.Meine Damen und Herren, der Abschluß der parlamentarischen Beratungen des letzten Bundeshaushalts in der auslaufenden 5. Legislaturperiode gibt Anlaß für eine Bilanz der Ausgangsbasis sowie ihrer Weiterentwicklung und der Maßnahmen auf dem Gebiet der Finanzpolitik. Als Abgeordnete des Deutschen Bundestages haben wir einer umfassenden Publizitätsverpflichtung nachzukommen und unseren Wählern gegenüber Rechenschaft über den Beitrag zu legen, den wir zur Solidarität des großen funktionalen Gebildes „Staatshaushalt" geleistet haben. Das heißt, die Frage ist zu beantworten, ob der 1965 zu Beginn der Legislaturperiode bzw. 1966 beim Regierungswechsel übernommene Verlustvortrag inzwischen durch kluge Politik abgebaut und damit das „Unternehmen Staat" in eine Vertrauen stabilisierende Gewinnzone geführt werden konnte.Zu prüfen und zu beantworten ist die Frage, ob im Wahljahr 1969 speziell auf dem Gebiet der öffentlichen Finanzwirtschaft Parallelen zum letzten Wahljahr 1965 und seinen Folgewirkungen zu erkennen sind. Ich stimme in der Beurteilung prinzipiell mit den Ausführungen überein, die Herr Kollege Althammer hierzu gemacht hat. Ihm ist aber anscheinend nicht bekannt, daß der Generalsekretär der CDU, Herr Dr. Bruno Heck, in der „NRZ" am 19. März eine Kolumne mit der Überschrift „Wahlgeschenke — Gefälligkeit gegen Stabilität unserer Wirtschaft" veröffentlicht hat. Ich habe den Artikel mit großem Interesse gelesen und war erstaunt darüber, daß Herr Kollege Heck zum Ausgangspunkt seiner Behauptung eine Vorlage gemacht hat, die vom Land Hessen vor einigen Monaten im Bundesrat eingebracht worden ist. Er hat in dieser Kolumne ausgeführt, daß mit dieser Vorlage nahezu 2 Milliarden DM aus dem Staatssäckel genommen und daß damit auf dem Weg über ein Land Wahlgeschenke verteilt werden sollen.Diese Behauptung ist unrichtig. Wer sich die Bundesratsdrucksache 41/69 ansieht, wird auf Seite 39 finden, daß hier im einzelnen Angaben gemacht werden über die Auswirkung der Umstrukturierung, die vom Lande Hessen für die Jahre 1969 bis 1972 vorgeschlagen wird. Im Ergebnis würden nach diesem Vorschlag für das Jahr 1969 Steuermehreinnahmen von 2,5 Milliarden DM und Steuermindereinnahmen und Prämienmehrausgaben von 1,475 Milliarden DM — also rund 11/2 Milliarden DM gegenüber 21/2 Milliarden DM Steuermehreinnahmen — entstehen. Das würde also kein Wahlgeschenk sein, vielmehr würde eine Umverteilung der Steuerbelastung zu einer Steuermehreinnahme von rund 1 Milliarde DM im Jahre 1969 führen. Daß das kein Wahlgeschenk ist, brauche ich vor dem Hohen Hause nicht auszuführen. Eine solche Behauptung ist also unrichtig.Weiterhin hat Herr Heck gemeint, daß wir schon einmal den Versuch gemacht hätten, die Investitionskraft der Wirtschaft in den letzten Jahren zu schmälern. Ich meine, über Vorwürfe gegenüber der Bundesregierung kann man in dem einen oder anderen Punkt sprechen, aber ganz sicher kann nicht der Vorwurf erhoben werden, daß Bundesregierung oder Bundestag irgend etwas getan hätte, um die Investitionskraft der Wirtschaft zu schmälern. Die Bundesregierung hat sich vielmehr gerade in den vergangenen Jahren, aber auch jetzt in ihrem neuen Programm sehr darum bemüht, die Investitionskraft der Wirtschaft zu verstärken — aus naheliegenden und zwingenden Gründen. Herr Heck führt als Beweis fürseine Behauptung die Einführung der Ergänzungsabgabe an und sagt, daß die CDU gegen die Einführung dieser Ergänzungsabgabe gewesen sei. Ich glaube, darüber kann man heute nicht mehr reden, und eine solche Behauptung ist auch unrichtig.Als drittes sagt Herr Heck:Aber auch dm Bundestag möchte man auf die Wahlen hin gefällig sein. Sozialdemokraten und Liberale haben gegen den Willen der Unionsparteien den Beschluß durchgesetzt, die Beamtenbesoldung schon im April, also drei Monate vor dem ursprünglich vorgesehenen Termin, zu erhöhen. Das kostet 140 Millionen DM mehr als vorgesehen.Meine Damen und Herren, ich bin nicht der Meinung, daß es sich hier um ein Wahlgeschenk gehandelt hat, abgesehen von der Tatsache, daß es sich nicht um ein Vorziehen um drei Monate, sondern um zwei Monate handelt; der Betrag von 140 Millionen DM ist richtig. Bei einem Personaletat, der im Jahre 1969 13,5 Milliarden DM betragen hat, bestand Übereinstimmung darin, daß dieser Betrag durch die Personaltitel gedeckt ist. — Bitte schön!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Barzel?
Nachdem Sie von meinem Kollegen Heck schwer loskommen, Herr Möller, darf ich Sie nur fragen, ob diese Deckungsmethode, die Sie eben geschildert haben und die auch angewandt wurde, von Ihnen als eine klassische Methode üblicher Haushaltspolitik bezeichnet werden kann.
Erstens, Herr Kollege Barzel, komme ich sehr gern von Herrn Kollegen Heck weg, aber da er nun in diesem
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerArtikel „Wahlgeschenke" drei Behauptungen aufgestellt hat, bin ich es ihm schuldig, auch diese dritte Behauptung zu behandeln. Zweitens werden Sie mir zugestehen müssen, daß ich keine Veranlassung habe, päpstlicher als der Papst zu sein. Der Papst ist in diesem Falle der Bundesfinanzminister.
Der Herr Bundesfinanzminister hat durch seine Herren im Haushaltsausschuß keine Bedenken erhoben, wie Ihnen die Mitglieder des Haushaltsausschusses bestätigen können. Aber darauf will ich mich gar nicht beziehen. Sie wissen, daß ein Gespräch stattgefunden hat. An diesem Gespräch war Herr Bundesfinanzminister Strauß beteiligt. Herr Bundesfinanzminister Strauß hat dabei nicht in Abrede gestellt, daß diese 140 Millionen DM aus den Personaltiteln des Jahres 1969 zur Verfügung gestellt werden könnten. Man hat darüber ausgiebig gesprochen. Wenn die CDU/CSU-Fraktion zu dieser Frage eine Erklärung abgegeben hätte, die sich nicht um diese zwei Monate, sondern um die strukturellen Verbesserungen gedreht hätte, die pro Jahr etwa 90 Millionen DM — gerechnet ab 1. Januar 1970 — ausmachen, dann, Herr Kollege Barzel, hätte ich den Antrag gestellt, die Sitzung zu unterbrechen; denn für diese 90 Millionen DM ab 1. Januar 1970 sind in der mittelfristigen Finanzplanung tatsächlich noch keine Mittel vorgesehen.Wenn hier die CDU/CSU-Bundestagsfraktion darauf aufmerksam gemacht hätte, daß keine Abstimmung erfolgen könne, bevor man geklärt habe, ob man diese Mittel in der mittelfristigen Finanzplanung zur Verfügung stellen könne oder nicht, hätte ich diesem Begehren der CDU/CSU-Fraktion aus meiner grundsätzlichen Haltung heraus zustimmen müssen. Wir wären dann in eine etwas schwierige Situation bei der weiteren Behandlung dieser Novelle gekommen. Das möchte ich ausdrücklich feststellen.
Herr Dr. Möller, gestatten Sie noch eine Frage von Herrn Dr. Althammer?
Bitte schön!
Herr Kollege Möller, da Sie selbst nicht im Haushaltsausschuß sind, möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht wissen, daß im Gegegensatz zu dem, was Sie eben ausgeführt haben, Herr Staatssekretär Leicht im Haushaltsausschuß ausdrücklich erklärt hat, daß auch aus der Sicht des Bundesfinanzministeriums eine Deckung für diese 140 Millionen DM nicht gefunden werden könne.
Ich kann nur sagen, daß uns unsere Kollegen aus dem Haushaltsausschuß eine andere Darstellung gegeben haben. In dem Schriftlichen Bericht, der zu dieser Frage erstattet worden ist, heißt es, wenn ich mich recht erinnere — ich habe jedoch nicht jeden Satz im Gedächtnis —, daß die Mehrheit des Haushaltsausschusses davon überzeugt war, daß diese Beträge in den Personaltiteln zur Verfügung stehen. Herr Kollege Althammer, auch Sie sind davon überzeugt, daß diese Beträge zur Verfügung stehen; daran habe ich überhaupt keinen Zweifel.
Ich sage Ihnen, Herr Kollege Althammer: diese 140 Millionen DM waren nicht der richtige Ansatzpunkt für einen solchen Protest. Sie werden mir doch zugeben müssen, daß es sehr viel wichtiger gewesen wäre, sich darüber zu unterhalten, wo wir die 90 Millionen DM pro Jahr ab 1. Januar 1970 herbekommen, die für die beschlossenen zusätzlichen Umstrukturierungsmaßnahmen nunmehr benötigt werden.
Gestatten Sie noch eine Frage von Herrn Dr. Althammer?
Ja.
Herr Kollege Möller, ist Ihnen nicht bekannt, daß gerade wegen der unserer Auffassung nach unsoliden Art, eine Deckung in der Weise zu finden, daß man sagt, der Betrag sei noch in den allgemeinen Mitteln vorhanden, unser Einspruch gekommen ist?
Nein, daß ist mir nicht bekannt. Herr Kollege Althammer, ich würde das an Ihrer Stelle nicht weiter vertiefen, sonst würden wir uns notwendigerweise auch mit der Einnahmeseite des Haushalts beschäftigen müssen, und das würde ich in diesem Stadium nicht gern tun. Man soll keine Begehrlichkeiten wecken.
Ich will Sie daran erinnern, wie die Steuereinnahmen des Bundes im Regierungsentwurf veranschlagt waren; ich will Sie daran erinnern, welcher Betrag nunmehr eingesetzt worden ist — etwa 1 Milliarde DM mehr —; ich will Sie daran erinnern, daß die Steuerschätzungen ganz andere Beträge an Steuermehreinnahmen vorsehen. Wie gesagt: ich möchte nicht darüber sprechen.
Ich meine, diese Tatsache muß aber im Zusammenhang mit einer solchen Maßnahme wenigstens am Rande erwähnt werden, um klarzustellen, daß hier wirklich nicht vom Pfad der Solidität abgewichen worden ist.
Herr Kollege Althammer, das können Sie auch am wenigsten behaupten. So, wie ich Sie in den ganzen Jahren kennengelernt habe, muß ich annehmen, daß Sie in Ihrer Etatrede vorhin mit großem Nachdruck darauf hingewiesen hätten, wenn Sie eine Sünde des Haushaltsausschusses oder des Bundestages entdeckt hätten, die noch nachträglich zu rü-
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllergen wäre; dann, Herr Kollege Althammer, hätten Sie sich ganz sicher nicht zurückgehalten, sondern hätten das hier mit dem notwendigen Nachdruck vorgetragen. Sie sind also davon selbst nicht überzeugt.
Zwischen der finanzwirtschaftlichen Ausgangsbasis, die ab Herbst 1969 der 6. Deutsche Bundestag und die nächste Bundesregierung vorfinden, und derjenigen, die dieses Parlament und die von seiner Mehrheit getragene jetzt amtierende Bundesregierung Ende des Jahres 1966 übernehmen mußten, besteht erfreulicherweise ein wesentlicher Unterschied. Hierfür die Beweisführung:Die zu Ende gehende fünfte Legislaturperiode des Deutschen Bundestages ist gekennzeichnet durch tiefgreifende Reformen auf dem Gebiet der Finanzpolitik, Reformen, die von der Wissenschaft und einsichtigen Politikern seit langem dringend gefordert wurden, über die man jedoch jahrelang nur zaudernd redete, ohne zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Zu dieser Gruppe der nun konkretisierten bedeutsamen wirtschafts-. und finanzpolitischen Gesetzgebungswerke der Großen Koalition zählt nach unserer Meinung erstens die Reform der Umsatzsteuer vom April 1967, die jetzt als Mehrwertsteuer Wettbewerbs- und konzentrationsneutral ist im Gegensatz zur alten Bruttoumsatzsteuer mit ihrer Kumulationswirkung. Ich meine, die Verabschiedung des Mehrwertsteuergesetzes ist eine gute Sache der Großen Koalition gewesen. Wer den Ansturm der Interessenten auf die verschiedensten Teile dieses Gesetzeswerkes miterlebt hat, kann nur sagen, daß es hier der Zusammenhalt in einer Großen Koalition fertiggebracht hat, daß wir in den jeweiligen Fällen immer noch über eine ausreichende Mehrheit verfügt haben, um solche Interessentenwünsche abzuwehren.
— Schade, daß Sie da nicht mitgemacht haben, Herr Kollege Schmidt.Zweitens. Das Gesetz zur Änderung des Artikels— — Bitte sehr!
Zwischenfrage von Herrn Dr. Barzel.
Sobald ich Sie aufstehen sehe, schweige ich von selbst.
Ich freue mich sehr, Herr Kollege Möller. Das ist eine besondere Liebenswürdigkeit; ich will auch eine liebenswürdige Frage stellen: Hätten Sie es nicht auch für besser gehalten, wenn die von Ihnen eben mit Recht gelobte Koalition im Hause versucht hätte, auch im Zusammenhang mit dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses eine gemeinsame Auffassung herzustellen? Meinen also nicht auch Sie, daß man wohl nicht sagen kann: „Sie haben ja nicht mitgemacht"? Da noch nicht aller Tage Abend ist: Wollen wir das doch noch versuchen, Herr Kollege Möller, nachdem uns der Bundesrat erneut die Chance gibt, darüber nachzudenken, ob wir zusammen klüger werden können?
Sicher, man soll nichts unterlassen, was dahin führen kann, zusammen klüger zu werden, vor allen Dingen, wenn ein Kind in den Brunnen gefallen ist.
Herr Kollege Barzel, Sie werden mir aber zugeben müssen, daß es etwas schwierig ist, den Ursachen der verschiedenen Abstimmungen Ihrer Fraktion nachzugehen. Das trifft zu, wenn Sie beispielsweise den Artikel des Herrn Bundesfinanzministers lesen — Ich habe mir jetzt den letzten aus dem „Bayern-Kurier" im vollen Wortlaut besorgt, weil ich mich nicht auf Auszüge in der Presse verlassen wollte —: Da versucht der Kollege Strauß auseinanderzusetzen, daß es eigentlich nur einen Differenzpunkt gibt, nämlich die Frage der anderen Verteilung der Körperschaftsteuer, nicht nach regionalen Aufkommen, sondern nach Einwohnerzahl
oder einem anderen, besseren Bedarfsmaßstab. Er sagt, das sei der einzige Punkt. Herr Kollege Barzel, Sie können alles Material durchsehen, von den Anträgen der Bundesregierung über Anträge des Bundesrates, des Bundestages, die Beratungen im Finanzausschuß, im Rechtsausschuß des Bundestages, und Sie werden feststellen müssen, daß nirgendwo ein Antrag zu finden ist mit einem solchen Petitum, das jetzt neuerdings auftritt und zum erstenmal eine besondere Wertordnung erhalten hat durch das Auftreten des Herrn Staatssekretärs Hettlage im Vermittlungsausschuß, der dort mit dem notwendigen Material in dieser Frage Wortführer geworden ist.
Das sei der entscheidende Punkt, sagt Herr Bundesfinanzminister Strauß, alles andere sei bestens in Ordnung, darüber werde man sich unschwer verständigen.Gestatten Sie mir, Herr Kollege Barzel oder Herr Kollege Schmidt , aber die Rückfrage, wie es dann zu erklären ist, daß ein Teil der CDU/ CSU-Fraktion — soweit ich das aus der Abstimmungsliste ersehen konnte —, nämlich die CSU, geschlossen unter Führung des Herrn Bundesfinanzministers Strauß und des Herrn Staatssekretärs von Guttenberg den Teil des Reformwerks abgelehnt hat, bei dem es sich um eine Erweiterung der Gesetzgebungszuständigkeit für den Bund handelt.
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12452 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller— Sie wollen erst beim nächstenmal Ihre Zustimmung geben?! Aha! Das muß man also an den Knöpfen abzählen, ob man zustimmt oder nicht und wann man zustimmt. Ich glaube, das ist nicht ganz logisch. Wenn man in einer solchen Situation bei der Abstimmung über den Vorschlag des Vermittlungsausschusses nun Farbe bekennen muß, kann doch am allerwenigsten der Bundesfinanzminister, um des-. sen Kind es sich hier handelt, dagegen sein. Ich könnte aus seiner Rede zur Begründung der Finanzreform zitieren, was der Herr Bundesfinanzminister hier vorgetragen hat. Dann kann man doch nicht einfach aus einer Trotzreaktion, weil ein Teil der CDU bei Art. 106 und 107 nicht mitgemacht hat, sagen: Jetzt versagen wir aber unsere Zustimmung zu der Erweiterung der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes.
Herr Schmidt möchte eine Zwischenfrage stellen. Auch Herr Althammer hat sich dazu gemeldet.
Herr Kollege Möller, halten Sie ,es, wenn eine Kartellabrede, an der Sie und quer im Hause verschiedene Gruppen beteiligt waren, eine ganz bestimmte Interessen-und Machtverschiebung vornimmt — abweichend von dem, was vorher im Finanzausschuß dieses Hauses sehr einmütig beschlossen wurde —, für illegitim, daß man mit neuen Gesichtspunkten versucht, einen angemessenen Ausgleich solcher Machtverschiebung anzustreben? Ist das nicht eine Chance, zu einem konstruktiven Ergebnis zu kommen?
Zunächst, Herr Kollege Schmidt , ist die sogenannte Kartellabrede eine Erfindung von Ihnen.
Daß sich Sozialdemokraten an Kartellabreden nicht beteiligen, ist ganz selbstverständlich.
— Was heißt das mit Herrn Kubel? Wir haben Herrn Finanzminister Kubel von Niedersachsen vor den Abstimmungen über die Vorschläge des Vermittlungsausschusses Gelegenheit gegeben, in der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in voller Breite seine Auffassungen darzustellen. Erst nachdem Herr Kubel seinen Standpunkt begründet hatte, haben wir uns in der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu einer Abstimmung und einer Festlegung entschlossen.
Herr Kollege Schmidt , ich bedaure, das Ihnen als dem Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses sagen zu müssen. Wir haben eine ganz andere Auffassung über die Funktion des Vermittlungsausschusses als anscheinend Sie. Er soll eben ein Ausschuß sein, der zwischen den verschiedenen Auffassungen des Bundesrates und des Bundestages zu vermitteln hat. Da war es nach unserer Auffassung unmöglich, bei den Fronten der Länder etwa mit dem Kopf durch die Wand zu gehen und zu versuchen, in allen Punkten den Auffassungen des Bundestages Rechnung zu tragen. Dabei wissen Sie ja, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion nach wie vor der Meinung ist, daß die vom Bundestag im Dezember vorigen Jahres getroffenen Entscheidungen in der Frage der Finanzreform die besten sind. Wir hätten es sehr begrüßt, wenn wir uns auf diese Entscheidungen des Bundestages im Vermittlungsausschuß hätten verständigen können. Das war aber, wie Sie wissen, unmöglich.
Wir standen doch einfach vor der Tatsache, daß ein Teil des Bundesrates erklärte: Wenn ihr euch mit uns nicht verständigt, gibt es keine Zweidrittelmehrheit. Der andere Teil der Länder erklärte: Wenn ihr nicht tut, was wir wollen, dann machen wir von unserer Sperrminorität Gebrauch. Das war doch die Situation, in der wir uns befunden haben.
Wenn Sie sich nun an Hand der von uns hergestellten Synopse, die wir auch einigen Kollegen Ihrer Fraktion übermittelten, das einmal ansehen — Vorlage der Bundesregierung, Beschlüsse des Bundestages, Entscheidung des Bundesrates und Vorschlag des Vermittlungsausschusses —, dann werden Sie feststellen müssen, daß die Vorschläge des Vermittlungsausschusses materiell und in der ganzen Konzeption auf alle Fälle besser und günstiger beurteilt werden müssen als etwa die Vorlage der Bundesregierung.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Möller, wenn es der Sinn eines Vermittlungsverfahrens ist, zu einer konsruktiven, möglichst allen Beteiligten angemessenen Lösung zu gelangen, hielten Sie es dann wirklich für zweckmäßig, vorher in einem beschränkten Kreis der Mitglieder dieses Ausschusses zu einer Blockierung aller Überlegungen zu kommen und alle in eine einzige Richtung zu steuern? Wie soll dann der Vermittlungsausschuß bzw. sein Vorsitzender noch in der Lage sein, in elastischer Anpassung an die jeweiligen Überlegungen zu einem konstruktiven Ergebnis zu kommen, bei dem die oberste Überlegung immer nur ist: Können wirklich alle zustimmen, der Bundestag und der Bundesrat, und zwar der Bundesrat möglichst nicht nur in der Interessenkombination, wie er durch diese Kartellabrede vertreten war, sondern im ganzen? Das war meine Bemühung und ist auch mein Bemühen für das weitere Verfahren.
Diese elastische Anpassung ist Ihnen nicht gelungen; das gebe ich zu. Aber, meine Damen und Herren, es ist uns doch gelungen, die Fronten aufzuweichen. Wenn Sie sich daran erinnern, daß eine Mehrheit des Bundesrates — —
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller— Herr Kollege Schmidt, darf ich Sie bitten, mir wenigstens zu gestatten, auf Ihre Frage zu antworten; denn deswegen haben Sie mich ja wahrscheinlich gefragt.Ich bin der Meinung, daß es ein wirklicher Fortschritt war, daß es erstens gelungen ist, die sogenannten finanzstarken Länder zu veranlassen, dem großen Steuerverbund zuzustimmen. Es ist nach meiner Meinung zweitens ein großer Fortschritt, die finanzstarken Länder veranlaßt zu haben, bei der Umsatzsteuer so zu verfahren, daß die Verteilung des Länderanteils nach der Einwohnerzahl erfolgt. Drittens ist es ein großer Vorteil — wir wollen mal sehen, ob wir das im Vesmittlungsausschuß halten können —, die finanzstarken Länder zu veranlassen, damit einverstanden zu sein, daß durch ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bis zu 25 % des Länderanteils an der Umsatzsteuer vorweg an die finanzschwachen Länder verteilt werden kann. Viertens ist es, Herr Kollege Schmidt , ein großer Erfolg, daß wir die Konzeption der Bundesregierung in der Frage der Steuerverwaltung uneingeschränkt durchgesetzt haben. Es ist fünftens ein großer Erfolg, daß es uns möglich geworden ist, die Generalklausel hinsichtlich der Finanzierungskompetenz nach den Wünschen der finanzschwachen Länder durchzusetzen, und zwar gegen die Auffassung der finanzstarken Länder. Wenn Sie sich nur mal diese fünf Punkte in der ganzen Gewichtung ansehen, dann schmälern Sie doch als Vorsitzender des Vermittlungsausschusses bitte nicht die ausgezeichneten Resultate der Arbeit des Vermittlungsausschusses.Ich wäre froh, wenn es uns gelänge, in den neuen Verhandlungen des Vermittlungsausschusses ein ähnlich gutes Ergebnis zu erreichen. Seien Sie sicher, daß die Vertreter der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion unvoreingenommen in diese Beratung hineingehen, nur von dem Wunsch und von dem Willen beseelt, es zu einer Verständigung kommen zu lassen. Sie muß so aussehen, daß sowohl in diesem Hohen Hause als auch im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit baldmöglichst die verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Finanzreform verabschiedet, damit wir dann nach Möglichkeit die wichtigsten Ausführungsgesetze noch in dieser Legislaturperiode unter Dach und Fach bringen können.
Herr Abgeordneter, Herr Dr. Althammer möchte Sie etwas fragen.
Herr Kollege Möller, ich möchte eine Frage stellen im Zusammenhang mit den vorigen Äußerungen, daß es etwa eine Racheaktion der CSU oder eine Zufälligkeit gewesen sei, daß hier einschließlich des Bundesfinanzministers zum Dritten Abschnitt, nämlich den anderen Verfassungsänderungen, mit Nein gestimmt worden wäre. Ich frage Sie erstens, ob Ihnen bekannt ist, daß die Haltung der CSU insofern völlig konsequent war, als sie bereits in der zweiten Lesung Streichungsanträge gestellt hatte, und zweitens, ob Ihnen bekannt ist, daß diese sonstigen Verfassungsänderungen mit der eigentlichen Finanzverfassungsreform überhaupt nichts zu tun haben, so daß man nicht behaupten kann, der Bundesfinanzminister habe etwa gegen seine eigene Finanzverfassungsreform gestimmt.
Herr Kollege Althammer, wir sind uns doch darüber einig, daß wir uns im Vermittlungsausschuß bemüht haben, diese Frage der Erweiterung der Gesetzgebungszuständigkeiten auch so zu regeln, daß es denen, die gewisse Bedenken hatten, nicht zuletzt denen aus Bayern, möglich war, dem Ergebnis zuzustimmen.Entschuldigen Sie, dch bleibe dabei: wenn Herr Finanzminister Strauß solche Artikel veröffentlicht, wie ich sie eben zitiert habe, oder den letzten Artikel aus dem „Bayernkurier", dann ist mir nicht verständlich, daß er in diesem Stadium des Standes der Finanzreform den Teil der CDU/CSU-Fraktion anführt, der die Erweiterung der Gesetzgebungszuständigkeiten für den Bund ablehnt. Ich kann das um so weniger, als ich mir sehr sorgfältig die Antwort des Herrn Bundesinnenministers auf die Große Anfrage eines Teiles der CDU/CSU-Fraktionskollegen über das föderative System in der Bundesrepublik angesehen habe, das, was die Bundesregierung auf die genau gezielten Fragen nun zu tun gedenkt. Das ist geradezu eine Doktorarbeit, die der Bundesinnenminister vorgelegt hat. Wenn Sie sich die Antwort so genau ansehen, wie ich das getan habe, werden Sie feststellen müssen, daß der Bundesinnenminister bereits davon ausgeht, daß diese ganzen Teile der erweiterten Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes mit der Finanzreform verabschiedet sind. Wenn Sie diese Teile aus der Antwort des Bundesinnenministers herausbrechen, werden Sie erst merken, daß das ganze Gebäude der Konzeption des Bundesinnenministers und der Bundesregierung zusammenbricht. Man möchte noch einige Zuständigkeiten mehr haben, ist aber ganz sicherlich nicht bereit, davon abzugehen, daß der Bundesregierung und dem Bund wenigstens dieses Minimum an erweiterten Zuständigkeiten gegeben werden muß.
— Wir haben sie doch nun einmal zu behandeln gehabt. Es kommt auch nicht darauf an, ob Ihnen alle Vorlagen passen, die der Haushaltsausschuß zugewiesen bekommt. Wenn der Haushaltsausschuß diese Vorlagen zugewiesen erhalten hat, muß er sie behandeln. Genauso ist es doch dem Vermittlungsausschuß gegangen. Wir müssen uns mit den Vorlagen der Bundesregierung auseinandersetzen. Diese Vorwürfe sind also sicherlich unberechtigt.Ich hatte damit begonnen, darzustellen, welche bedeutsamen wirtschafts- und finanzpolitischen Gesetzgebungswerke der Großen Koalition zuzuzählen sind. Als erstes hatte ich — ich glaube, zu Recht — die Verabschiedung des Mehrwertsteuergesetzes angeführt.
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerIch sage das deswegen noch einmal, weil all diese Dinge so leicht in Vergessenheit geraten. Mir sind die Bilder aus diesen Tagen der Verhandlungen hier im Bundestag einfach unvergeßlich. Die beteiligten Kollegen aus den beiden Fraktionen haben immer wieder das Wort ergriffen und das Mehrwertsteuergesetz mit einer vernünftigen Konzeption verteidigt.
Ich meine, wir sollten unser Licht nicht unter den Scheffel stellen, sondern sollten diese Tatsache bei einer solchen Gelegenheit einmal klar und deutlich zum Ausdruck bringen. Ich glaube, das muß man tun, um in der Politik bestehen zu können.
•Zweitens ist das Gesetz zur Änderung des Art. 109 des Grundgesetzes vom 8. Juni 1967 zu nennen. Mit ihm wurde die wirtschaftspolitische Funktion .des öffentlichen Etats verfassungsrechtlich verankert, und Bund und Länder wurden verpflichtet — ich zitiere wörtlich aus dem Gesetz —, „bei ihrer Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen".Drittens nenne ich das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967. Dieses eine Wendemarke in der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik bezeichnende Gesetz füllt die Verfassungsbestimmung des neuen Art. 109 des Grundgesetzes aus. Es stellt unter ande1 rem Grundsätze für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung auf. Das Instrumentarium des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes wird unter einer entscheidungswilligen politischen Führung nicht rosten. Wir haben es bereits 1967 zur Beseitigung der Wirtschaftskrise erfolgreich angewandt, als mit dem Programm der Bundesregierung für besondere konjunktur- und strukturpolitische Maßnahmen die Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit beseitigt und die Preise stabilisiert werden konnten sowie die Wirtschaft durch Investitionsanreize wieder auf einen geplanten Wachstumspfad gebracht worden ist. Ich habe für meine Fraktion aber auch mehrfach darauf hingewiesen — und ich wiederhole diese Feststellung heute —, daß wir unabhängig von politischen Terminen die amtliche Wirtschaftspolitik jederzeit bei ihren Bemühungen unterstützen werden, ihren gesetzlichen Verpflichtungen nach § 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft voll nachzukommen.Auf das neue finanzpolitische Instrument der mehrjährigen Finanzplanung komme ich noch an anderer Stelle zurück.Leider hängt die Finanzverfassungsreform, über die wir uns eben unterhalten haben, mit den dazugehörigen einfachen Gesetzen noch in der Luft.Ich möchte hier abschließend nur noch einmal sagen, daß wir mit einer Finanzreform alle Voraussetzungen dafür schaffen sollten, daß die öffentlichen Aufgaben mit den vorhandenen Mitteln besser erfüllt und die Steuereinnahmen dorthin gelenkt werden, wo sie dem Bürger den größten Nutzen garantieren. Das sind nicht finanzwirtschaftliche Fragen im engeren Sinne — so ist die Finanzreform ja leider von vielen, auch in der Öffentlichkeit, verstanden worden —, sondern es steht die Anpassung der bundesstaatlichen Ordnung an die Notwendigkeiten unseres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens auf dem Spiel. Es geht um die Sicherung und Festigung des Föderalismus unter neuen Bedingungen. Es geht um einen kooperativen Föderalismus. Von daher sind die Abstimmungsergebnisse der vorigen Woche um so bedauerlicher.Eine umfassende Reform der direkten und indirekten Steuern bleibt der nächsten Legislaturperiode vorbehalten. Um die Arbeiten für dieses wichtige Reformwerk gründlich und rechtzeitig vorzubereiten, hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bereits am 11. Oktober 1967 die Bundesregierung zur Einsetzung einer unabhängigen Steuerreformkommission aufgefordert. Die Kommission ist inzwischen berufen worden und hat ihre Arbeiten am 17. Dezember 1968 aufgenommen.Schließlich gehört auch die Reform des Haushaltsrechts mit zu unseren Bemühungen in dieser Legislaturperiode, bessere Voraussetzungen für eine wirksame, koordinierte Wirtschafts- und Finanzpolitik zu schaffen, um Bund, Länder und Gemeinden für die Bewältigung der öffentlichen Aufgaben handlungsfähiger zu machen. Die Grundgesetzänderungen für die Haushaltsreform waren im Vermittlungsausschuß nicht umstritten. Ihre Verabschiedung durch den Bundesrat steht heute an. Wie ich höre, hat der Bundesrat erfreulicherweise zugestimmt. Es ist nunmehr der Weg frei, noch in dieser Legislaturperiode umgehend die Ausführungsgesetze zur Haushaltsreform wie das Haushaltsgrundsätzegesetz, zu beraten und die alte Reichhaushaltsordnung von 1922 durch eine neue Bundeshaushaltsordnung abzulösen. Ich möchte nachdrücklichst unterstreichen, daß ich diese Reform des Haushaltsrechts für eine großartige Sache halte. Und wenn sie nicht im Zuge der anderen Teile der Finanzreform erörtert worden wäre, so hätte sie, meine ich, eine größere Öffentlichkeitswirkung haben müssen.
Denn hier haben wir nun wirklich, meine Damen und Herren von der FDP, alte Zöpfe abgeschnitten und haben ein Reformwerk für eine Haushaltsführung und Haushaltsgestaltung, die so sein kann und so werden müßte, daß sie allen Gegebenheiten dieser modernen Zeit endlich gerecht wird.Mit diesen Reformen würde als Zielsetzung zukunftsorientierter Politik die Basis für eine wachsende Wirtschaft und für solide öffentliche Finanzen gelegt sein.Die dargestellten Qualitätsverbesserungen der öffentlichen Finanzwirtschaft möchte ich im Rahmen dieser Etatdebatte an Hand quantitativer Beispiele noch kurz verdeutlichen. Der Bundeshaushalt 1968, der erste von der Bundesregierung der Großen Koalition im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung vorgelegte Jahresetat, wurde ohne haushaltsmäßige Schwierigkeiten abgewickelt und ohne kassenmäßi-
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerges Defizit abgeschlossen. Beim Haushaltsvollzug ist außerdem ökonomischen Erfordernissen Rechnung getragen worden. Zum Beispiel wurde die tatsächliche Kreditaufnahme gegenüber dem Haushaltssoll vermindert oder der Rückkauf von 1 Milliarde DM Schuldbuchforderungen des Bundes bei den Rentenversicherungsträgern vorgenommen, eine Maßnahme, die bereits bei der parlamentarischen Verabschiedung des Etats 1968 im Gespräch war, und zwar auch als mögliche Maßnahme gegen die Liquiditätsschwierigkeiten der Rentenversicherung.Das Bündel antizyklischer Maßnahmen ist in der zweiten Lesung in der vorigen Woche bereits ausführlich behandelt worden. Der Haushalt 1969 zeigt so, wie er nach Abschluß der Ausschußberatungen dem Parlament zur Verabschiedung vorliegt, daß die von der Großen Koalition zur Sanierung der Bundesfinanzen ergriffenen Maßnahmen nun sichtbar ihre Früchte tragen. Dieser Bundeshaushaltsplan 1969 steht auf solider finanzwirtschaftlicher Grundlage. Mein Kollege Hermsdorf hat darauf schon hingewiesen, und ich befinde mich in voller Übereinstimmung mit seiner Feststellung.Mit dem Bundeshaushalt 1969 können bedeutsame gesellschaftspolitische Aufgaben ohne Zwangseingriffe in bestehende Gesetze realisiert und verstärkt werden. Die notwendigen konjunkturellen Maßnahmen der Bundesregierung haben unsere Unterstützung, wie wir in der zweiten Lesung darlegen konnten. Der Etat 1969 enthält für den nächsten Deutschen Bundestag und die nachfolgende neue Bundesregierung keine unverantwortlichen Vorbelastungen. Er kann somit spürbar zur inne) ren und äußeren Stabilität der Bundesrepublik beitragen. Besonders stolz können wir darauf sein, den Bundeshaushalt des Jahres 1969 von Wahlgeschenken freigehalten zu haben. Diese finanzpolitische Solidität ist leider keine Selbstverständlichkeit.Ich muß nochmals daran erinnern, daß der 4. Deutsche Bundestag im Wahljahr 1965 in prozyklischer Weise 56 finanzwirksame Gesetze beschlossen hatte, von denen nach einer Aufstellung des Bundesfinanzministeriums allein 41 Regierungsvorlagen und 9 Gesetzentwürfe der CDU/FDP-Koalition waren. Diese Zahlen widerlegen unrichtige Behauptungen, daß eine maßlos fordernde Opposition, damals also die SPD, die Finanzschwierigkeiten herbeigeführt habe. Es war nachweislich die Bundesregierung selbst, die die ökonomischen und finanziellen Grenzen nicht respektierte. Denn diese 1965 beschlossenen Gesetze belasteten den Bundesetat 1966 mit der enormen Summe von rund 5,4 Milliarden DM Mehrausgaben sowie rund 600 Millionen DM Mindereinnahmen.Herr Bundesaußenminister Brandt hat notwendigerweise in der zweiten Lesung schon darauf hingewiesen, wie verantwortlich sich dagegen die in Opposition befindliche SPD im Februar 1965 verhalten hat, als sie die eigenen finanzwirksamen Anträge in einer Größenordnung von rund 2,6 Milliarden DM zurückzog. Sie hat damit ein warnendes Signal gesetzt, die Deutsche Bundesbank nicht allein zu lassen mit Maßnahmen gegen das Heißlaufen der Konjunktur.Wie wichtig eine solche Entscheidung ist, geht aus dem Hinweis des Herrn Kollegen Althammer hervor, daß nunmehr noch FDP-Anträge mit einer finanzwirtschaftlichen Auswirkung von rund 4 Milliarden DM vorliegen. Wenn die FDP nachher durch ihren Sprecher erklären ließe, sie ziehe diese Anträge mit finanzwirtschaftlichen Auswirkungen nunmehr zurück, würde ich das als eine begrüßenswerte Tat der FDP-Fraktion anerkennen.
Um nicht alte Wunden aufzurühren, will ich an dieser Stelle den Zeitabschnitt bis zum Ende des Jahres 1968 überspringen und nur fragen: wie wurde seitdem die Situation verbessert? Die SPD stellte für die Koalitionsverhandlungen sowohl mit der FDP als auch mit der CDU/CSU im November 1966 ihr Acht-Punkte-Programm auf, in dem neben Maßnahmen für einen neuen Wirtschaftsaufschwung die Ordnung der Staatsfinanzen im Rahmen einer mittelfristigen Finanzplanung gefordert wurde. Wir sagten damals wörtlich:Wirtschaftliches Wachstum, finanzielle Ordnung und soziale Stabilität sind die innenpolitischen Grundlagen für den Fortschritt unserer Gesellschaft und für eine kontinuierliche Politik nach innen und außen.Wir erhielten im Dezember 1966 eine nüchterne Bestandsaufnahme, und das Ergebnis war erschrekkend. Ich stimme dem Herrn Kollegen Althammer zu, daß es eine verdienstvolle Arbeit des damals amtierenden Bundesfinanzministers, des Bundeswirtschaftsministers Schmücker, gewesen ist, uns diese nüchterne Bestandsaufnahme zugänglich zu machen.Der Etatausgleich 1967 konnte nur dadurch herbeigeführt werden, daß der Bundeshaushalt mit rund 8,4 Milliarden DM auf der Einnahmen- und Ausgabenseite entlastet wurde. Das Steueränderungsgesetz 1966 mit einer Einnahmeerhöhung von rund 1,9 Milliarden DM und das Finanzplanungsgesetz vom Dezember 1966 mit Ausgabekürzungen von rund 2,8 Milliarden DM wurden sofort nach Bildung der Großen Koalition verabschiedet. Dabei sind eine Reihe zunächst noch von der kleinen Koalition vorgesehener Maßnahmen verhindert worden, die soziale Härten bedeutet hätten. So konnten Eingriffe bei den einkommensteuerlichen Freibeträgen z. B. für die Arbeitnehmer oder bei der umsatzsteuerlichen Berlin-Präferenz gänzlich vermieden werden; die Kilometerpauschale wurde von 50 Pf nicht auf 10 Pf, sondern nur auf 36 Pf je Entfernungskilometer reduziert. Diskussionen über Kürzungen bei den Versorgungsleistungen für die Kriegsopfer sind damals beendet worden. Der Beschluß der neuen Bundesregierung vom 19. Januar 1967 empfahl weitere Haushaltsentlastungen von 3,7 Milliarden DM. Sie wurden vom Parlament auf der Ausgabenseite mit 2,5 Milliarden DM und auf der Einnahmenseite mit 1,2 Milliarden DM für 1967 bewilligt.Trotz dieser bereits Anfang 1967 erreichten Haushaltsentlastungen wies die erste mittelfristige Finanzplanung des Bundes, die von der Bundesre-
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllergierung schon am 14. September 1967 dem Parlament vorgelegt worden ist, noch immer einen strukturellen Ausgabenüberhang auf, der nach der Darlegung von Bundeskanzler Kiesinger — diese Zahl muß noch einmal in das Gedächtnis aller Abgeordneten zurückgerufen werden - 64 Milliarden DM für den Zeitraum bis 1971 betragen hat.Nicht nur Bundeskanzler Kiesinger gab in seiner ersten Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 ein objektives Bild der damals düsteren Lage und ihrer Ursachen — das ist in der zweiten Lesung bei den Etats des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesfinanzministeriums leider übersehen worden —, sondern das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung bestätigte erst am 4. März 1969 unter der Überschrift „Weshalb keine Wahlgeschenke?" unter anderem, daß — ich zitiere wörtlich — „ein wesentlicher Teil der Arbeit von Regierung und Parlament in der letzten Legislaturperiode sich darauf erstreckte," — meine Damen und Herren, hören Sie gut zu! — „Sünden der Vergangenheit auszuräumen und die negativen Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung zu beseitigen".
Das ist ein Zitat aus der Veröffentlichung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 4. März 1969.Die Aufgabe, die sich der Bundesregierung der Großen Koalition stellte, nämlich im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung den hohen Ausgabenüberhang in der Struktur des Bundeshaushalts langfristig zu beseitigen und gleichzeitig das Problem politischer Prioritäten zu lösen, war — und nun zitiere ich wieder das Presse- und Informationsamt vom 4. März 1969 wörtlich — „ein Kraftakt ohne Beispiel in der nationalen und internationalen Finanzgeschichte" . Das sollten sich alle hinter die Ohren schreiben, die in der vorigen Woche diese Ausgangslage und das, was wir in den darauf folgenden Jahren haben tun müssen, einfach völlig vergessen haben.
Hätten wir uns nicht mit dieser Erbschaft auseinanderzusetzen gehabt, meine Damen und Herren, so wäre doch auf dem Gebiet der fortschrittlichen Gesellschaftspolitik von dieser Regierung der Großen Koalition viel Entscheidenderes getan worden, weil dann die Voraussetzungen für ein solches Regierungshandeln gegeben gewesen wären.
Wir haben uns diesem harten Geschäft in der Großen Koalition mit realistischen Zielsetzungen unterzogen. Die Große Koalition hat es mit politischer Führungskraft und mit politischem Führungswillen durchgestanden. Das muß man trotz aller in letzter Zeit aufkommenden Meinungsverschiedenheiten als eine notwendige historische Wahrheit noch einmal festhalten.Die zweite Finanzplanung des Bundes 1968 bis 1972 ist von der Bundesregierung am 4. September 1968 beschlossen worden, ohne daß nochmals gesetzliche Eingriffe in ausgabe- oder einnahmewirksame Gesetze erforderlich wurden. Der laufende Finanzplan 1968 basiert auf einer grundsätzlich anderen Ausgangslage als sein Vorgänger. Sie ist gekennzeichnet durch erstens die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung, zweitens eine befriedigende Ordnung der Bundesfinanzen und drittens Möglichkeiten für neue politische Aktivitäten zugunsten zukunftsweisender Maßnahmen.Der Wirtschaftsaufschwung und die jetzt bestehende Solidität der öffentlichen Finanzen erlauben die Inangriffnahme folgender Vorhaben, für die wir uns wegen der besonderen wachstums- und gesellschaftspolitischen Bedeutung nach wie vor mit Nachdruck einsetzen:Erstens. Die Verbesserung der Länder- und Gemeindefinanzmasse. zur Förderung ihrer investiven und wachstumsstarken Aufgabenbereiche.Zweitens. Die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur einschließlich der Agrarstruktur.Drittens. Die vorrangige Mittelbereitstellung für die Ausbildungsförderung. Dafür sind über die bisherigen Leistungen des Bundes und der Länder hinaus ab 1970 zusätzlich 200 Millionen DM, ansteigend auf 400 Millionen DM 1971 und auf 500 Millionen DM 1972, vorgesehen.Viertens. Zur weiteren Intensivierung der Förderung von Wissenschaft und Forschung ist für den Wissenschaftsetat eine durchschnittliche Steigerungsrate von rund 20 °/o jährlich bis 1972 eingeplant.Fünftens. Die Zusatzmittel für ein Agrarprogramm mit vorrangig wachstumsfördernden Maßnahmen betragen 265 Millionen DM für 1969. Sie sollen bis 1972 auf 770 Millionen DM anwachsen.Sechstens. Für die Vermögensbildung vor allem in Arbeitnehmerhand sieht das anlaufende Programm Mehrausgaben bei Bund und Ländern von insgesamt 300 Millionen DM jährlich vor, berechnet auf das Jahr der Sparleistung.Siebentens. Die Bundeszuschüsse an die Träger der Rentenversicherung werden ab 1972 wieder in voller Höhe, d. h. ohne die Kürzungen aus dem Finanzänderungsgesetz 1967, gezahlt und erreichen dann eine Höhe von mindestens 12,9 Milliarden DM.Achtens. Insgesamt werden auf dem Gebiet der Gesellschaftspolitik für den Zeitraum von 1968 bis 1972 rund 6,6 Milliarden DM mehr eingesetzt als im ersten Finanzplan.Die Große Koalition kann ihren Rechenschaftsbericht mit der Feststellung beschließen, daß es in dem von ihr zu verantwortenden Teil dieser Legislaturperiode gelungen ist, durch entscheidungsfreudige Politik aus der Verlustzone heraus und über eine Konsolidierungsphase in eine Aufwärtsentwicklung zu kommen.Der Beitrag der SPD ist nicht gering zu veranschlagen. Die SPD hatte z. B. erstmals in der Geschichte der Parteien im Jahre 1961 für ihr Wahlprogramm einen Finanzierungsplan vorgelegt, um der Öffentlichkeit zu beweisen, daß ihr Programm nicht wohlwollendes Vorhaben und Wahlverspre-
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerchen bedeutet, sondern auf realistischen Voraussetzungen beruht. Wir wurden damals für diesen neuen Stil vorausschauender Politik entweder heftig attackiert oder mitleidig belächelt. Man versuchte, unsere Berechnungen unglaubwürdig zu machen. Inzwischen sind die seinerzeitigen Schätzungen des SPD-Finanzierungsplanes längst als richtig bewiesen.Auch 1965 sicherte die SPD ihr Wahlprogramm für die 5. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages durch einen Finanzierungsplan ab. Wir unterzogen uns erneut der schwierigen, aber gerade für eine in der Opposition befindliche Partei notwendigen Aufgabe, unsere politischen Forderungen zu objektivieren und sie den yolks- und finanzierungswirtschaftlichen Leistungsmöglichkeiten anzupassen.Dieses rationale Denken ist inzwischen für große Teile des Parlaments Selbstverständlichkeit und für die Bundesregierung durch das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz Verpflichtung geworden. Das Wahljahr stellt natürlich an alle Parteipolitiker harte Anforderungen hinsichtlich ihres Durchstehvermögens und ihres Abwägens zwischen berechtigten Einzelinteressen und dem auf Ausgleich bedachten Gesamtwohl.Will man die neu gefundenen Maßstäbe der finanziellen Ordnung im Rahmen der mittelfristigen gesamtwirtschaftlichen Zielprojektion der nächsten Jahre nicht aufgeben, dann muß jeder bereit sein, immer wieder sorgfältig zu prüfen, ob in der Reihenfolge der Prioritäten Änderungen einzutreten haben.) Eine andere Alternative besteht selbst bei wachsenden Einnahmen nicht. Die Anforderungen an den Staat sind jederzeit größer als seine Leistungsmöglichkeiten.Der Spielraum der Parteien im Wahljahr muß daher erheblich eingeschränkt sein. Aber ich bin der Auffassung, daß diese, wenn auch manchmal unbequeme Tatsache einen versachlichten und dennoch sehr politischen Wahlkampf nur fördern kann, weil sie die Parteien zu alternativen Entscheidungen zwingt. Wir Sozialdemokraten jedenfalls sind nicht bereit, die neu gewonnene finanzpolitische Solidität durch Wahlversprechungen gefährden zu lassen. Darauf am Schluß der Beratungen des Bundeshaushalts 1969 hinzuweisen, ist mir ein Bedürfnis. Ich wünsche und hoffe, daß es bis zum Schluß der Legislaturperiode dabei bleibt, daß wir solide und verantwortliche Finanzwirtschaft betreiben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Emde.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch die Opposition hat den Wunsch nach einer geordneten und soliden Finanzwirtschaft des Bundes, der Länder und der Gemeinden. Wir haben diesen Wunsch immer gehabt, gestern, heute, und wir haben diese Absicht für die Zukunft. Nur scheint es erhebliche Unterschiede in der Auffassung zu geben, was finanzpolitische Vernunft ist und wie man zu dieser finanzpolitischen Vernunft kommt. Ich habe den Zweifel, daß die Beratung des Bundeshaushalts 1969, die zweite und dritte Lesung, trotz vieler Versuche einzelner Kollegen in diesem Hause, zu Erkenntnissen und klaren Meinungen durchzustoßen, wirklich ein Schritt auf diesem Wege gewesen ist. Zu viele Unwägbarkeiten haben die zweite Lesung beeinflußt, zu wenig parlamentarische Auseinandersetzung hat stattgefunden, zu viele Kuriositäten haben über dieser Debatte gelagert. Wenn während einer Etatberatung, während der Beratung der Haushalte des Außenministers und des Bundesverteidigungsministers, vier verschiedene Ausschüsse mit zusammen 102 Mitgliedern tagen, wenn also, während zwei ganz wesentliche Haushalte hier in zweiter Lesung behandelt werden, von Amts wegen 102 Kollegen aus dem Plenarsaal in Ausschußsitzungen verdrängt werden, dann ist das ein erschreckender Zustand, ein erschreckendes Beispiel für die Art, wie hier im Hause gearbeitet wird. Wenn während der zweiten Lesung und zwischen der zweiten und dritten Lesung eine Reihe ganz bedeutsamer Gesetzesvorlagen der Regierung oder der Regierungsparteien in erster Lesung behandelt werden, wenn hier während der zweiten Lesung des Haushalts über Gemeindefinanzreformgesetz, Länderfinanzausgleichsgesetz,Sparprämiengesetz, Wohnungsbauprämiengesetz,Vermögensbildungsgesetz, Vermögensbildungsgesetz für Arbeitnehmer usw. debattiert werden soll, dann ist das keine Haushaltsberatung mehr, sondern ein großes parlamentarisches Aufwaschen, und das ist ein schlechtes Symbol für die Arbeit der Regierung dieser Koalition.
Wenn von allen Seiten zur Entschuldigung immer wieder erklärt wird, man stehe eben wenige Wochen vor Beendigung der Legislaturperiode dieses Bundestages so sehr unter Zeitdruck, daß man alles in kurzfristige Beratung hineinpressen müsse, so zeugt das von einem Mangel an Koordination, einem schlechten Arbeitsstil. Versuche, parlamentarische Kraftakte auszuführen, schaden dem Ansehen des Parlaments und schaden der Genauigkeit und der Solidität der Beratung in diesem Hause.Wenn zu dieser von der Anlage der Planung her fehlerhaften Methodik der Beratung des Haushalts dann auch noch ein mittelalterliches Arbeitssystemschon bei den Auszählungen kommt, dann weiß ich nicht, wie dieser Bundestag überhaupt in der Zukunft arbeiten soll. Wir können dankbar sein, daß gestern der Präsident des Deutschen Bundestages und daß die Fraktionen einmal zu dieser Frage ganz klar und unverblümt Stellung genommen haben. Ich wiederhole das noch einmal, weil ich nicht im Gegensatz zur gestrigen Debatte stehe, sondern zur dritten Lesung noch einmal ein Ausrufezeichen dahintersetzen möchte, daß es nunmehr notwendig ist, den Arbeitsstil des Bundestages zumindest der Gegenwart anzupassen und Zöpfe der Tradition abzuschneiden, die in dieses Bonner Milieu einfach nicht hineinpassen.
Wenn — jetzt muß ich zur Regierungsbank blikken — während der zweiten Beratung zwei Minister,
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Dr. Emdeder Minister der Finanzen und der Minister für Wirtschaft, einen zweieinhalbstündigen Vortrag über konjunkturpolitische Absichten halten, dann fühlen wir Kollegen, die wir hier unten im Plenarsaal sitzen, uns in eine Seminarübung an einer Universität versetzt. Natürlich ist es interessant, konjunkturpolitische Absichten so ausgedehnt zu erläutern. Aber ich glaube, eine gestrafftere, präzisere Darstellung des Tatbestandes hätte ebenso stark die unterschiedlichen Meinungen zum Ausdruck bringen lassen wie die weitschweifigen Vorlesungen, die ebenfalls dazu beitragen, die Kollegen aus dem Plenarsaal hinauszutreiben, und sie veranlassen, die Reden erst nachträglich in nächtlicher Lektüre zu studieren; dann bekommt man nämlich mehr mit, als wenn man hier unten sitzt. Aber Parlament als „Parlare", als Diskutieren — das ist nicht das Ergebnis solcher Art von Vorlesungen, wie sie hier stattgefunden haben.Am bedauerlichsten aber ist die Tatsache, daß der Bundeskanzler der politischen Debatte bei dieser Haushaltsberatung ausgewichen ist. Der Bundeskanzler, der, wie es üblich ist, bei seinem Einzelplan, beim Einzelplan 4, hätte sprechen sollen, hat sich bei diesem Einzelplan darauf beschränkt, einige Worte zur Richtigstellung in bezug auf ein Gespräch mit dem Bundesbankpräsidenten, mit Herrn Blessing, zu sagen. Er war also sprechfähig, er war durch die spätere Kieferoperation noch nicht behindert, er hätte infolgedessen an dem Tag reden können. Er hat nicht reden wollen. Wir bedauern das sehr. Der Bundeskanzler hätte auf jeden Fall sprechen müssen. Auch wenn es keine Opposition im Parlament gäbe, auch wenn er die Regierung ganz allein verträte, müßte er seine Absichten, seine Ziele, seine Gedanken zumindest bei Etatberatungen öffentlich dem Parlament vortragen. Auszuweichen ist ein ganz eigenartiger Stil der Behandlung dieses Hauses, eine Behandlung, die wir bei seinen Vorgängern nicht gewöhnt waren, am wenigsten bei Herrn Adenauer.
Wenn der Bundeskanzler darüber hinaus eine Rede ankündigt und dann auch noch — trotz der Behinderung durch die Aktion des Zähneziehens — einen Tag später eine Reise nach Osterreich machen kann, wird zumindest uns von der Opposition die Absicht deutlich, daß dieser Mann hier eben nicht reden, sondern den Problemen, der Diskussion ausweichen will. Ich fürchte fast, daß er auch das Parlament bei seiner inneren Arbeit nicht ernst nimmt.
Herr Kollege Emde, auch wenn man, was die erste Woche betrifft, vielleicht unterschiedlicher Meinung sein kann — wir sind der Meinung, es bestand auf Grund der Oppositionsbeiträge kein Anlaß zu sprechen —, würden Sie es dann nicht wenigstens dem Bundeskanzler abnehmen, daß eine schwierige Operation in der zweiten Woche ein hinreichender Entschuldigungsgrund war?
Herr Kollege Althammer, wir nehmen diesen Entschuldigungsgrund gern an. Wir wünschen ihm auch gute Gesundheit und Genesung, t nach der christlichen Methode: Man soll selbst denen, die einem Böses wollen, Gutes wünschen. Denn er will ja unseren politischen Tod. Wir wünschen seine baldige Rückkehr in dieses Haus. Aber so kommt es eben: wenn man zum rechten Zeitpunkt nicht redet, kommen einem andere Dinge dazwischen, und dann wird man ausgeklammert oder man klammert sich selbst aus der Politik aus. Im übrigen entspricht dieses Verhalten auch seinem Naturell und seinen Neigungen; denn ich habe in der Vergangenheit nicht den Eindruck gewonnen, daß der Kanzler den Wunsch hat, klare und nüchterne Diskussionen zu führen.
Herr Kollege Althammer, Sie haben vorhin gefragt
— einen Moment, bitte; Sie kommen sofort —, ob Herr Kiesinger unserer Meinung nach ein so bedeutsamer Mann sei, weil wir ihn so viel anschießen. Natürlich ist er ein bedeutsamer Mann. Er hat nämlich die Schlüsselstellung in der deutschen Politik; er ist Bundeskanzler! Aus seiner Funktion als Kanzler heraus ist er so bedeutsam.
Gestatten Sie? — Herr Abgeordneter Matthöfer!
Herr Dr. Emde, lassen sich die Angriffe der FDP auf den Herrn Bundeskanzler vielleicht dadurch erklären, daß Sie selbst beabsichtigen, ihn bei den Koalitionsverhandlungen nach der nächsten Wahl auszuklammern?
Schauen Sie, Herr Kollege, unsere Bemühungen sind darauf gerichtet, ein günstiges und für uns siegreiches Wahlergebnis zu erzielen. Über alles, was danach kommt, wird dann die neue Fraktion entscheiden.
Gestatten Sie noch eine Frage von -Herrn Maucher?
Ja, bitte schön!
Herr Kollege Emde, haben Sie vergessen oder übersehen, daß es gerade die Freien Demokraten waren, die Herrn Kiesinger, als er bei der Einbringung des Etats als Bundeskanzler zum Haushalt sprach, kritisiert haben?
Ich habe die Frage nicht verstanden.
Ist Ihnen nicht bekannt, daß die Freien Demokraten, als Herr Kiesinger bei der ersten Lesung als Bundeskanzler zum Haushalt sprach, dies beanstandet und gesagt haben, das sei ein neuer Stil und das sei nicht üblich?
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Herr Maucher, wenn ich mich noch einigermaßen richtig an die Situation damals erinnere, hat der Kanzler die Haushaltsdebatte, in der es um Finanzpolitik ging, mit einer Regierungserklärung eröffnet, und dagegen haben wir uns gewandt.
Das ist doch dasselbe. Oder soll das heißen, daß der Kanzler nur dann sprechen darf, wenn es Ihnen paßt, und nicht sprechen soll, wenn es Ihnen nicht paßt?
Herr Maucher, Sie haben gar nicht begriffen, wie der Stil in diesem Parlament ist. Der Kanzler spricht nämlich zu seinem Einzelhaushalt. Sie sollten sich einmal ansehen, wie es Herr Adenauer gemacht hat. Der hat nicht Finanzdebatten eröffnet, sondern er hat dann, wenn der Haushalt des Bundeskanzlers behandelt wurde, hier seine Meinung vertreten. Ich glaube, das war guter parlamentarischer Stil eines Mannes, der in der alten parlamentarischen Demokratie mitgearbeitet hat. Das sollten Sie lernen.
— Wir haben ihn als Mann und als politischen Gegner immer hoch geschätzt, Herr Althammer, auch wenn wir anderer Meinung als er waren.
Die Fehler dieses Bundeskanzlers, meine Damen und Herren, liegen einfach darin, daß er den Entscheidungen so ausweicht, daß auch das ganze Volk es empfindet. Ich würde ihn heute gern fragen — weder er noch Herr von Guttenberg ist da, auch keiner der Staatssekretäre, auch nicht Herr Neusel, der persönliche Referent, auch nicht Herr Diehl und Herr Ahlers; die sind ja alle unterwegs, niemand vom Bundeskanzleramt sitzt hier —, ob der Kanzler eigentlich Zeitungen liest. Ich würde einmal die Frage an ihn richten, ob ihn seine Mitarbeiter über die Stimmung in der Bevölkerung unterrichten oder ob ihm seine Freunde und seine Familie nicht Bescheid sagen über das Unbehagen, das im Volke umgeht; denn daß in unserem Volk eine Mißstimmung besteht, ist doch wohl unbestritten.
Ich möchte einmal wissen, wie sich der Kanzler zu gewissen spektakulären Vorgängen im Laufe des letzten Jahres in bestimmten Bereichen geäußert hätte, die das ganze Volk bewegt haben: Diebstahl einer Rakete, die man in einen Teppich einwickelt und durch Deutschland fährt, der Überfall auf ein Bundeswehrdepot mit vier erschossenen Soldaten, die Wehrunlust der deutschen Jugend. Zu keiner dieser Fragen äußert sich der Kanzler.
Herr Barzel hat in seiner Rede am 19. 3. hier in diesem Hause gesagt: Die geistigen Prozesse sind das Hauptproblem. — Jawohl, ich bin der Meinung, daß die geistigen Prozesse das Hauptproblem sind. Ich möchte hier nur einen Satz aus einem Interview zitieren — einige weitere Sätze lese ich nachher vor —, das Herr Kiesinger in der Blüte seiner Kanzlertätigkeit am 7. Dezember 1966 der „Welt" gegeben hat. Da hat er gesagt: Ideen müssen vom Kanzleramt ausgehen in die Ressorts. — Sehen Sie, genau das kritisieren wir, daß aus diesem Kanzleramt keine Ideen in die Ressorts hinausgehen, daß die Ressorts sich tapfer und fleißig bemühen, sich an der einen oder der anderen Stelle durchzuschlagen, daß dieser Kanzler aber nicht der Kanzler ist, der geistige Prozesse in Bewegung gesetzt hat, obwohl er sie doch in seinen ersten Reden, seinen ersten Erklärungen so heiß angekündigt hatte, auch hier in diesem Interview.
— Herr Kollege, wir kommen gleich noch auf andere Dinge zu sprechen, bei denen das alles weiterverfolgt werden kann.
Genügend Hilfe für diese geistigen Prozesse hat der Kanzler ja. Da sitzt in seinem Kanzleramt die Abteilung für Wissenschaft und Politik, diese Untergruppe, die Forschungsmaterial zur Verfügung stellen soll. Da haben wir ihm den Planungsstab bewilligt — mit großen Zweifeln bewilligt, weil wir gesagt haben: was wird der Planungsstab leisten? Da werden für sechs Planer 1,4 Millionen DM im Jahr gezahlt, allein 750 000 DM Personalkosten. Wissen Sie, meine Damen und Herren, ich möchte da auch gern Planer sein: soviel Geld, sowenig Notwendigkeit, Ergebnisse einer Arbeit vorzulegen, und dann auch noch einen Kanzler vor mir, der nichts mit der Arbeit anfängt! Das ist eine gute Möglichkeit, sich ein sicheres Einkommen zu verschaffen.
— Wissen Sie, Herr Möller, ich bin beruflich in gesicherter Stellung; ich habe das hier nur in
theoretischer Art gesagt. Ich glaube, es ist auf allen Seiten richtig verstanden worden.
Wo erfolgt die Modernisierung der deutschen Politik? Wo erfolgt die Anpassung der Verwaltung an den technischen Fortschritt? — Alles Dinge, die uns als Absichten dieses Mannes vorgetragen worden sind. Wo ist das Ergebnis der Überlegungen zur Kabinettsreform? Es ist doch alles beim alten geblieben. Selbst dieser kleine, nette Schnörkel, den wir im Kanzleramt haben, ist bestehengeblieben: die zwei Beauftragten für Berlin, der eine der Beauftragte der Bundesregierung in Berlin, der andere der Beauftragte des Bundeskanzlers in Berlin. Ich gönne dem Kollegen Lemmer noch diese nette Einnahme nebenbei, nur: nichts ist verändert worden, nichts geschieht in diesem Bereich, und ich glaube, irgendwann sollte das doch einmal, wenn auch in so liebenswürdiger Weise, wie ich es hier getan habe, vorgetragen werden. An sich könnte man an dieser Stelle eine bissige Kritik ansetzen. Aber, meine Damen und Herren, mir liegt nicht daran, in
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Dr. Emde
diesem Hause Schaden hervorzurufen, sondern mir geht es darum, daß endlich einmal erkannt wird, daß wir hier zu Entscheidungen, zu sinnvollen Handlungen kommen müssen. Sonst entsteht eine Diskrepanz zwischen Volksmeinung und Parlament, und genau das muß vermieden werden, wenn wir dieser parlamentarischen Demokratie zum Erfolg verhelfen wollen.
Herr Emde, gestatten Sie eine Frage von Herrn Althammer?
Herr Kollege Emde, ist Ihnen nicht bekannt, daß der Punkt, den Sie soeben kritisiert haben, nämlich diese Berlin-Beauftragten, eben in der Zeit, in der Sie noch in der Regierungskoalition waren, verfügt worden ist?
Herr Kollege, dieser Posten ist damals gegen mein Votum geschaffen worden; ich habe im Haushaltsausschuß, auch als wir in der Koalition waren, dagegen geredet. Ich habe deshalb auch das Recht, hier mit besonderer Freiheit über diese Frage zu sprechen; ich habe meine Meinung nicht wandeln müssen, weil ich in die Opposition gekommen bin.
Wie aber sieht es im innersten Einflußbereich des Bundeskanzlers aus? Hier einige wirklich ganz ernste Worte zu einer sehr kritischen Situation. Ich freue mich, daß der Kollege Baier hier vorne sitzt; er wird mir sicherlich auch in der einen oder anderen Weise zustimmen. Ich meine: wie sieht es im Bereich der Arbeit der deutschen Nachrichtendienste und der Einwirkung des Bundeskanzlers in diesem Sektor aus?
Sie wissen, daß im vorigen Jahr einige Dinge geschehen sind, die erheblich in den Komplex der inneren Sicherheit dieses Staates eingewirkt haben: die Tatsache, daß sich der Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes im Dienst erschießt; daß ein Admiral, der erhebliche Funktionen im Bereich der deutschen Sicherheit hat, bei einem Jagdunfall entweder erschossen wird oder Selbstmord begeht, obwohl er unter Spionageverdacht steht. Das sind Dinge, welche die Öffentlichkeit aufgewühlt haben; jede Zeitung hat darüber geschrieben.
Ich habe den Eindruck, daß sich der Bundeskanzler, der praktisch allein für diese Dinge zuständig ist, nicht mit dem notwendigen Ernst dieser Frage angenommen hat. Wir haben einen Fünfer-Ausschuß gebildet, der daran ist, die Dinge zu untersuchen und Vorschläge für die Zukunft zu machen. Der Fünfer-Ausschuß hat, soweit wir informiert sind, seine Arbeiten praktisch beendet. Wenn aber, meine Damen und Herren und meine Herren von der Regierung, heute, fünf Monate nach dem Selbstmord des Vizepräsidenten des Bundesnachrichtendienstes, noch kein Nachfolger bestellt ist, dann ist das ein fehlerhaftes Verhalten des Bundeskanzleramtes, das nicht überboten werden kann. Vielleicht verbirgt sich hinter dieser Haltung eine gewisse Mißachtung des Kanzlers gegenüber solchen Diensten; denn solche Dienste haben für manche Leute leicht Anrüchiges.
Ich möchte hier über den Bundesnachrichtendienst sagen: diese Männer erfüllen eine Aufgabe für die Sicherheit unseres Landes.
Der Bundeskanzler wäre gut beraten, wenn er rasch personelle Entscheidungen in diesem Bereich fällen würde; das Nichtfällen dieser personellen Entscheidungen schadet dem Land und verursacht ein Gefühl der Unsicherheit in diesem Dienst, das niemand bei uns gebrauchen kann.
Wenn ich schon bei den Fragen der Sicherheit bin, ist es ein Leichtes, auf die äußere Sicherheit zu sprechen zu kommen. Ich möchte dem Herrn Kollegen Althammer für die Erklärung bezüglich des Devisenausgleichs mit den Amerikanern, die er für die CDU/CSU abgegeben hat, danken. Herr Kollege Althammer hat für die Unionsparteien den Standpunkt vertreten, daß wir in Zukunft nur dann Haushaltsmittel für den Devisenausgleich einsetzen sollten, wenn wir für den Gegenwert amerikanische Waffen für die Bundeswehr kauften. Diesen Standpunkt habe ich hier im Haus seit Jahren vertreten, zum Teil unter Protest von allen möglichen Seiten des Hauses, die mir vorgehalten haben: die Sicherheitsprobleme überwiegen die Finanzprobleme. Ich bin dankbar dafür, daß sich auch die CDU heute zu dem Standpunkt durchgerungen hat: Haushaltsmittel nur dann, wenn Gegenleistungen erbracht werden. Herr Kollege Althammer, ich glaube, man sollte diese Erklärung — das ist unsere Bitte — insofern ausweiten, als man sagt: aber nur solches Material, das wir auch tatsächlich brauchen.
— So klar ist das nicht; denn als die Entscheidung über den Flugzeugtyp Phantom, dieses Flugzeug, welches die Aufklärungslücke ausfüllen soll, fiel, ist im Verteidigungs- und im Haushaltsausschuß auch ganz entscheidend das Devisenausgleichsproblem als Begründung für diesen Kauf vorgetragen worden. Es hat also beim Kauf der Phantom-Jäger zumindest der Devisenausgleich eine Rolle gespielt. Lesen Sie einmal genau nach, was im Verteidigungsausschuß gesagt worden ist; es ist unbestritten, daß das dort vorgetragen wurde.
Gestatten Sie eine Frage? — Bitte, Herr Haase.
Verehrter Herr Kollege Dr. Emde, Sie wollen aber doch bitte nicht in Zweifel ziehen, daß ein Flugzeug für diesen Zweck angeschafft werden mußte; Sie wollen doch wohl nicht bezweifeln, daß es dringend notwendig war, die Aufklärungslücke zu schließen. Ich glaube nicht, daß sich dieser Vorgang als Beispiel für einen Kauf von Dingen, die nicht benötigt werden, eignet.
Herr Kollege Haase, selbst über die Schließung dieser Lücke gab es unterschiedliche Meinungen; denn eineinhalb oder zwei Jahre
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Dr. Emdevorher hatte das Bundesverteidigungsministerium bei einer Debatte zwischen Herrn von Hassel und Herrn Wienand erklärt, daß der Starfighter dazu geeignet sei, auch alle Aufklärungsaufgaben zu erfüllen. Damals gab es diese Aufklärungslücke nicht; sie ist erst sehr viel später entstanden. Also auch darüber gab es Zweifel.Herr Kollege Althammer, das Problem liegt doch tiefer. Selbst wenn wir 1,4 Milliarden DM aus dem Haushalt zur Verfügung stellen — das ist doch die Zahl, die genannt worden ist — und wenn wir 500 Millionen DM in dieser Sicherheitsanleihe zur Verfügung stellen — zusammen 1,9 Milliarden DM —, fehlen uns immer noch einige 100 Millionen, um die 80 % zu erreichen, die die Bundesregierung den Amerikanern angeboten hat. Ich stelle die Frage: Wo sollen diese Beträge herkommen? Ich stelle die zweite Frage: Wie lange soll das System dieser Anleihen fortgesetzt werden? Ich stelle die dritte Frage: Zu welchen Zinssätzen werden den Amerikanern die Anleihen gegeben? Dabei werden wir feststellen, daß in dieser Sache doch eine Reihe von Zweifeln und Problemen verborgen ist.Das nächste Problem geht noch viel tiefer: die Sperrungen im Verteidigungshaushalt in Höhe von 600 Millionen DM. In dem vor einigen Wochen erschienenen Weißbuch hat das Verteidigungsministerium auf Seite 73 präzise erläutert, welche Beträge man für die nächsten Jahre neu braucht: insgesamt 21/2 Milliarden, davon allein 200 Millionen 1969, 660 Millionen 1970 usw. Wir haben im Haushaltsausschuß durch mühsame Operationen hin und her erreicht — der Herr Verteidigungsminister hat ja glücklicherweise auch einmal für die Arbeit unseres Ausschusses vorgetragen, wieviel Positionen verändert werden mußten, um das Ergebnis herbeizuführen —, daß diese 200 Millionen DM für 1969 zur Verfügung gestellt werden konnten. Nun werden auf einmal 600 Millionen DM gesperrt.Die Kollegen Haase und Berkhan haben bei der zweiten Lesung ein bißchen sehr vorsichtig über die Dinge gesprochen. Ich will nicht so um den heißen Brei herumreden, ich will die Dinge einmal nüchtern behandeln und einige Fragen stellen. Hat sich seit November 1968 die militärische Lagebeurteilung der Bundesregierung so verändert, daß man heute 600 Millionen sperren kann? Zweitens: Welche Erkenntnisse haben die Regierung dazu geführt, einen solchen Wandel der Lage zu berücksichtigen? Drittens: Sind etwa die Schießereien am Ussuri Grundlage einer Veränderung der Meinungsbildung der Regierung? Wenn das sein sollte, warnen wir ganz erheblich davor, denn Großmachtpolitik dieser Art sollte man schon im ersten Entstehen zu bekämpfen versuchen. Viertens: Sind etwa die Forderungen in der Regierungserklärung ursprünglich überhöht gewesen, um Reserven für den Devisenausgleich zu haben? Dann war das falsch, was man uns im vorigen Jahr vorgelegt hat.
Gestatten Sie eine Frage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Emde, wie vereinbart sich eigentlich der FDP-Antrag, nicht nur zu sperren, sondern sofort zu streichen, mit Ihrer Kritik an diesen Sperrungen?
Herr Kollege, ich bin mitten in meinem Gedankenprozeß; ich komme gleich darauf.
Ich wiederhole noch einmal die Frage, Herr Kollege Althammer: Waren die Forderungen im vorigen Jahr überhöht? Oder war die Absicht der Sperrung gar nicht ernst gemeint, weil man doch nur mit Sicherheit auftretende Reste heute schon abfängt? Dann ist das Ganze nichts als Augenauswischerei. Auf jeden Fall verbleibt bei der Sache doch ein übler Nachgeschmack. Wir haben in der Vergangenheit immer eine Geschichte kritisiert. Wir haben immer gesagt, die deutsche Sicherheitspolitik sei risikobeladen, weil sie mit der atomaren Komponente arbeite, also mit dem Einsatz des F 104 G als Atomwaffenträger und mit der Rakete Pershing, und weil uns diese atomare Komponente zwar sehr viel Geld koste, aber relativ wenig Sicherheit biete. Wir haben ja unterhalb der atomaren Schwelle zu wenig für die konventionelle Verteidigung getan. Nunmehr kommt ein zweiter Unsicherheitsfaktor in die Sicherheitspolitik: die Unterordnung der Sicherheitspolitik unter die Konjunkturpolitik. Das kann einen allerdings nur mit großer Sorge erfüllen.
Und nun meine Antwort, Herr Kollege Althammer. Wir sind immer der Meinung gewesen, daß im Verteidigungshaushalt Lücken und Reserven gewesen sind. Wir haben in der Vergangenheit Streichungsanträge, verbunden mit sachlichen Vorschlägen zur Verteidigung, gestellt. Wir sind überzeugt, daß in diesem Verteidigungshaushalt Möglichkeiten der Einsparung sind. Nur Sie von der CDU/CSU haben in der Vergangenheit immer bestritten, daß dort noch Reserven vorhanden sind. Sie haben immer Erklärungen abgegeben, der Verteidigungshaushalt sei keine Reservekasse. Sie haben ihn dazu gemacht, und darauf hinzuweisen ist meiner Ansicht nach eine recht verdienstvolle Handlung.
Herr Kollege Emde, darf ich Sie zunächst fragen, ob sie sich noch erinnern, daß die letzte Formulierung vom Kollegen Hermsdorf stammt? Ich wollte Sie aber fragen: Warum sind, wenn Sie der Überzeugung sind, daß hier noch Reserven seien, in der zweiten Lesung von der FDP keinerlei Streichungsanträge gestellt worden?
Schauen Sie, wir haben uns diesmal — dazu hat Herr Kollege Schultz schon gesprochen — auf das Bündel von Anträgen bezogen, die wir im vorigen Jahr vorgelegt haben. Sie beinhalten die atomare Komponente und alles, was dazugehört. Wir sind der Meinung, daß man abends um 21 Uhr hier nicht mit solch wesentlichen Debatten noch einmal kommen kann. Wenn die Methode des Bundestages so ist, wie es vorige Woche gegangen ist, unter Zeitdruck am Abend den Verteidi-
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Dr. Emdegungshaushalt zu behandeln, reicht für uns die Erklärung aus: Im übrigen beziehen wir uns auf alles, was im vorigen Jahr gesagt worden ist.
Meine Damen und Herren, diese Konjunkturpolitik, die ich vorhin bei der Sicherheitspolitik als nach Ihren Vorstellungen übergeordnet geschildert habe, ist vorige Woche in einer interessanten Weise behandelt worden: Nachdem die Kollegen Strauß und Schiller geredet hatten, sind die Redner des Regierungslagers, Luda, Gewandt, Brand und Westphal, aufgetreten, und man hat da die Bandbreite der ganzen Differenzen der Regierung in der Beurteilung der Konjunkturlage empfinden können. Über Außenhandel, Preisbindung der zweiten Hand, Konjunkturanalysen, Investitionshaushalt sind die unterschiedlichsten Gedanken vorgetragen worden. Die Bürger haben es jetzt schwer und die investierende Wirtschaft hat es noch schwerer, nach der Leitlinie zu suchen, nach der diese Regierung ihre Wirtschaftspolitik betreiben will. Ich möchte gern wissen, wonach man sich richten soll. Da die Wirtschaft langfristige Planungen für ihre Investitionen braucht, kann sie sich wahrscheinlich erst nach der Bundestagswahl darauf einstellen, ob sie die eine oder andere Meinung zur Grundlage ihrer Handlungen macht.Einen ganz interessanten Satz hat der Kollege Schiller hier vorgetragen. Er hat gesagt, er könnenachweisen, daß sich die Regierung mit den Maßnahmen des vergangenen Jahres zur Steuererhöhung — Erhöhung der Mehrwertsteuer am 1. April — und mit der Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge zum 1. Januar 1969 bereits auf die beginnende Überhitzung der Wirtschaft eingestellt habe. Er hat gesagt — wörtlich —, daß sich Steuererhöhungen in der Aufschwungphase als ein Beitrag zur antizyklischen Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage als richtiges Instrument erwiesen haben.Ich bin derselben Meinung wie er. Nur, wenn das so ist, ist natürlich auch der Rückschluß gültig, daß in der Abschwungphase Steuererhöhungen wirtschaftsschädigend, nämlich kontraktiv, wirken. Über diese Position waren wir — Kollege Möller, Kollege Schiller und die Verhandlungspartner von der FDP — im Jahre 1966 ja auch einig. Wir hatten im Jahre 1966 in unseren Beratungen lange um die Möglichkeit gerungen, wie man die abfahrende Konjunktur nach oben bringen könne, und zwar durch Finanzspritzen, durch Darlehensaufnahmen, aber nicht durch Steuererhöhungen, weil diese kontraktiv wirken müßten.Diese Absicht ist nun leider nicht zum Zuge gekommen. Leider ist anders operiert worden. Leider hat sich die SPD den Steuererhöhungsvorschlägen der CDU unterworfen. Dadurch sind die konjunkturpolitischen Schwankungen in so starkem Maße eingetreten. Dadurch ist die Konjunktur so tief nach unten gefahren worden, daß wir die 600 000 Arbeitslosen bekommen haben, von denen der Kollege Westphal gesprochen hat.
— Herr Kollege, die wurden erst im Februar/März 1967 gezählt; im November/Dezember 1966 hatten wir erst 150 000 Arbeitslose.
Wir waren tatsächlich überzeugt, die Kollegen Möller, Schiller und ich, daß, wenn wir sofort den Investitionshaushalt in Gang gesetzt hätten, wenn nicht einige Wochen vertrödelt worden wären und wir nicht mit Steuererhöhungen gearbeitet hätten, die Karre nicht so tief nach unten gegangen wäre. Das war der Inhalt der Gespräche damals. Sie können es mir glauben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Emde, warum hat — wenn das richtig ist, was Sie jetzt sagen — die FDP diesen Vorschlag, als die sozialdemokratische Fraktion noch in der Opposition war, aber sich angesichts der erkennbaren Rezession in diesem Hause bereits für diesen Investitionshaushalt einsetzte, nicht akzeptiert?
Herr Kollege Hermsdorf, Sie irren sich. Ich bitte, das in dem damaligen Protokoll nachzusehen. Ich appelliere an den Kollegen Möller, mir jetzt zuzustimmen. Herr Möller hat hier den Investitionshaushalt vorgetragen, und ich habe aus dem Handgelenk in freier Rede gesagt: „Das ist eine gute Sache, die muß man untersuchen; dem Gefühl nach bin ich der Meinung, man müßte das machen." Ich glaube, so ist das damals gewesen. Ich habe nicht dagegen geredet. Die FDP hat sich nicht dagegen eingestellt. Wir haben die ganze Debatte über den ersten Investitionshaushalt bis zu seiner Verabschiedung mit unterstützt.
Gestatten Sie eine Frage von Herrn Abgeordneter Möller?
Ja, bitte.
Herr Kollege Emde, würden Sie mir zugeben, daß eine Schwalbe noch keinen Sommer macht?
Herr Kollege Möller, aber dieser Schwalbe ist es damals gelungen, den ganzen Schwalbenschwarm hinter sich herzuziehen und die Zustimmung zum ersten Investitionshaushalt zu bringen.
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Dr. Emde— Nein, ich kandidiere ja auch nicht wieder, es kann mir ja also auch nicht wieder gelingen.
Herr Dr. Emde, Herr Genscher möchte Sie fragen. Gestatten Sie?
Bitte schön.
Herr Kollege Emde, erinnern Sie sich noch, daß die Vertreter der Sozialdemokratischen Partei bei den Regierungsverhandlungen im Jahre 1966 mit uns der Meinung waren, es sei besser, einen Investitionshaushalt in Gang zu setzen, aber auf Steuererhöhungen und die davon ausgehenden Bremswirkungen zu verzichten?
Ja, es ist präzise das Ergebnis der Beratungen in dieser Weise gewesen.Noch einmal, Herr Kollege Hermsdorf: ich empfehle die Lektüre der damaligen Diskussion hier im Plenum. Ich glaube, jetzt sind die Dinge ja auch klargestellt.Aber lassen Sie mich, Herr Kollege Althammer, jetzt auf die Frage der Sperrungen und Streichungen zu sprechen kommen. Wir sind der Meinung, wenn die Konjunktur wirklich nach oben läuft — und sie läuft nach oben; wir sind in einer Phase, in der zuviel Bewegung nach oben geht —, dann sollte main die Sperrungen nicht erst dann in Streichungen umwandeln, wenn der Bundestag — für immer bis zur Neuwahl — in Ferien ist, sondern man sollte das jetzt gleich, heute schon tun. Ich glaube, wir kommen nicht darum herum, die Sperrungen in Streichungen umzuwandeln. Nichts deutet darauf hin, daß die Konjunktur durch irgenwelche wirtschaftlichen Vorgänge gedämpft wird. Wir wissen, wie sehr die Einflüsse der Inflationsoperationen von anderen Ländern, die mit uns in Außenhandelsbeziehungen stehen, mit denen wir durch eine Fülle von Verträgen verbunden sind, in unsere eigene Wirtschaft hineinwirken. Wir werden die Entscheidung, die wir im vorigen Jahr hier nicht fällen konnten oder nicht fällen wollten — Aufwertung ja oder nein —, im Laufe des nächsten Jahres erneut diskutieren müsen. Wir werden ohne Zweifel in diesem Sommer streichen müssen. Nur: ich warne davor, bei diesem Streichen mit leichter Hand zu erklären, Länder und Gemeinden sollten sich an diesen Streichungen beteiligen. Ich bin überzeugt, daß ein großer Teil der Länder mitmachen kann. Aber bei den Ländern kommt schon eine Reihe von Strukturüberlegungen. Ich stelle mir nur das Land Bayern vor oder sonstige Länder an der Zonengrenze. Dort können die Streichungen und die Eingriffe in die Länderhaushalte schon nicht global erfolgen, sondern müssen sektoral sehr klar gezielt sein.Ich möchte aber dringend darum bitten, sich nicht der Illusion hinzugeben, man könne die deutschen Gemeinden auffordern, nun etwa weniger zu investieren oder Steuermehreinnahmen zu Tilgungen zu verwenden. Die Situation bei den Gemeinden ist ganz anders, als sie sich in einem Satz niederschlägt wie dem: „Auch die Gemeinden sollenSteuermehreinnahmen zu Schuldentilgungen verwenden". Herr Minister Strauß, bei uns ist die Situation so, daß wir jede Steuermehreinnahme dazu verwenden müssen, den Kapitaldienst für neue Anleihen im ordentlichen Haushalt unterzubringen. Ich zähle Ihnen Hunderte und Tausende von Gemeinden bei uns auf, die froh sind, Steuermehreinnahmen zu haben, um dadurch mehr Anleihen finanzieren zu können. Die Gemeinden sind doch in einer Situation, in der sie von allen Seiten zu Investitionen gezwungen werden. Es heißt „Mehr tun für die Bildung". Nun, wer baut denn die Schulen? Die Gemeinden, von den Grundschulen bis zu den Berufsschulen und Gymnasien! — „Mehr für den innerstädtischen, innergemeindlichen Verkehr!" Wer hat denn die Masse der Lasten dort zu tragen, von der Vorplanung bis zum Bürgersteig? Selbst wenn es nur 20 oder 25 % sind, mit denen wir uns beteiligen müssen, das sind horrende Summen, die sich niederschlagen. Wer fordert uns auf, ständig mehr für den Sport zu tun? Die Bundesregierung, der Bundestag! Das kann man aber nur, wenn man Sportanlagen und Sporthallen baut. Wer fordert uns auf, mehr für die Daseinsvorsorge zu tun? Alle Parlamente! Das geht nur über den Bau von Krankenhäusern und Altersheimen. Meine Damen und Herren, wir sind nicht in der Lage, auch nur einen Pfennig für die Schuldentilgung zu verwenden. Wir werden noch viel mehr Geld für ,die Gemeinden benötigen, nicht, weil wir Kulturpaläste bauen wollen, sondern weil wir dringendste Aufgaben der Gegenwart und der nächsten Zukunft zu erledigen haben.
Herr Kollege Strauß, ich bedauere heute, daß ich dagegen gestimmt habe, daß in Ihrem Hause eine zusätzliche Planstelle für einen Oberregierungsrat im Referat „Gemeindefinanzen" geschaffen wurde. Ich war der Meinung, Ihre Erkenntnisse über die Gemeinden wären schon so weit entwickelt, daß Sie nicht mehr einen neuen Oberregierungsrat dazu brauchten, um die Erkenntnisse vertiefen zu können. Wenn er jetzt da ist, wäre ich dankbar, wenn Sie ihn einmal für zwei Tage in meine Stadt schickten. Dann gehen wir mit ihm zum Kreis; dann wird er sehen, die eine Stadt hat einen Stadtdirektor von der FDP, die andere hat einen von der CDU/CSU und dritte einen von der SPD. Ich würde dem Mann gerne an Ort und Stelle die Situation zeigen. Wenn Sie mir das zugestehen würden, würde ich Ihnen noch nachträglich die Zustimmung zu dieser A 14-Stelle geben, zumindest verbal;
— Ich hoffe doch, daß er dann, wenn er vom Minister persönlich geschickt wird, diesem auch berichten kann.
— Herr Eschmann, wir werden dann zusammen mit ihm reden.Lassen Sie mich auf die Diskussion über zwei Männer zurückkommen, die uns in den letzten Jahren hier im Parlament so viel Freude bereitet haben. Ich meine die beiden Herren Schiller und Strauß.
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12464 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969
Dr. EmdeSeien Sie mir nicht böse, wenn ich noch einmal das nette Wort von Plisch und Plum bringe. Das war eine zu schöne Symbolanwendung eines Journalisten — ich weiß nicht, wer es war —, aber er hätte an sich einen Orden dafür verdient: der zierliche Plisch und der gewichtige Plum nebeneinander, ein ungleiches, aber doch reizvolles Brüderpaar, der eine mit kaum verständlichen Wortschöpfungen, einen Hauch von Geist und Wissenschaft in dieses Haus bringend, der andere mit deutlichen, markigen Worten, süddeutsche Lebenskraft demonstrierend. Das waren noch Zeiten, wie diese beiden Männer einträchtig nebeneinander arbeiteten! Heute hat sich das leider gewandelt. Heute werden hier. Vorlesungen gehalten. Heute marschieren da nach den Vorlesungen die Mitstreiter auf, die in der Einzeldiskussion die Auseinandersetzungen austragen, die die beiden alten Freunde heute noch nicht offen austragen. Dieser Wandel zeigt die •Entwicklung innerhalb der Regierung. Es ist eine ganz verständliche Entwicklung. Nach der Wahl werden sich innerhalb der Parteien, zwischen den Parteien und hier im Hause neue Verhältnisse bilden. Aber wie das heute alles schon vorbereitet wird!Erlauben Sie mir, hier noch einmal kurz einen Vorschlag zu machen, wo Sie Mittel streichen oder sperren könnten, wenn Sie wieder einmal Beträge für irgendwelche Dinge benötigen oder wenn Sie den Haushalt etwas auf Dämpfung fahren wollen. Wir bekommen als Kampfschrift des einen die „Finanznachrichten". Unter Umständen steht darin dasselbe, was vorher schon das Bundespresseamt veröffentlicht hat. Aus dem Ministerium des anderen kommen die „Tagesnachrichten" und die „Pressemitteilungen". Jeder hat also seine eigene Presseapparatur, mit der er dem anderen oder der Öffentlichkeit seine besonderen Leistungen beweisen kann. Wenn Plisch etwas tut, ruht Plum nicht, und wenn Plum etwas tut, läßt es Plisch keine Ruhe. Ich habe zu Hause in meinem Bücherschrank jetzt schon fast einen Meter Veröffentlichungen des Presse- und Informationsamtes. Schöne, bunte Sachen! Der neue Schiller hat mir schon mehr Material in den Bücherschrank geliefert als der klassische Schiller.
Bei manchem Besucher, der bei mir zu Hause erscheint, kann ich damit einen recht belesenen Eindruck machen.Meine Herren, wir sollten uns aber überlegen, ob hier nicht das eine oder andere zuviel getan wird und ob nicht auf normale Überlegungen hin zurückgedreht werden kann.Nun etwas ganz Ernstes. Beide Ministerien haben sich Grundsatzabteilungen geschaffen und entwikkelt. In der Debatte über diese Grundsatzabteilungen habe ich mich mit Staatssekretär Leicht schon in recht freundschaftlicher Weise darüber auseinandergesetzt. Ich möchte dieses Thema hier aber noch einmal ansprechen. Ich bin der Meinung, daß es für uns schädlich ist, in verschiedenen Ministerien Grundsatzabteilungen zu haben, die sich mit ähnlichen Problemen, nämlich mit Wirtschafts-, Konjunktur- und sonstigen Analysen, befassen. Ich bin der Überzeugung, daß ein zentrales Untersuchungsinstrument für die ganze Regierung zur Verfügung gestellt werden sollte, ein zentrales Untersuchungsinstrument mit der Datenbank, die Herr Stoltenberg hier vorgeschlagen hat, damit ein einheitliches Material vorliegt, aus dem heraus die Minister und das Kabinett dann ihre Entscheidungen ableiten. Ich halte nichts davon, daß unterschiedliche Abteilungen in einer Kokurrenzsituation um bessere Analysen kämpfen. Dabei kommt nichts heraus. Geliefert werden soll ja klares analytisches Zahlenmaterial, nicht im Wettstreit, sondern als Basis für Entscheidungen. Und ich bitte Sie, meine Herren, in den Reihen der Bundesregierung noch einmal den Gedanken zu untersuchen, ob es nicht besser wäre, eine zentrale Untersuchungsabteilung mit der Datenbank diesen unterschiedlichen Operationen in den verschiedenen Häusern vorzuziehen.
Denn wir wissen, daß die Arbeit des Haushaltsausschusses nicht ausreichen wird, die Probleme auszugleichen, die aus vorhergegangenen Nicht-Entscheidungen oder Fehlentscheidungen der Regierung entstanden sind. Der Haushaltsausschuß hat mehr als tausendmal getagt. Der Haushaltsausschuß berät in der Etatberatung die Einzelpläne, wie sie eine Haushaltsabteilung des Finanzministeriums beraten müßte. Wir machen eine Detailarbeit, die durch nichts mehr zu überbieten ist. Bis herunter zur Planstelle von Inspektoren, bis zur Planstelle von BAT-VII- oder -VIII-Angestellten wird beraten; der kleinste Kleinkram wird uns zur Entscheidung vorgelegt. Es muß ein Weg gefunden werden, um dem Haushaltsausschuß mehr Information an bedeutsamen Dingen, mehr Berührung mit den Problemen an Ort und Stelle zu geben, ihn aber von dieser Kleinarbeit zu befreien, die nicht in Übereinstimmung mit der Aufgabe stehen kann, die ein Parlamentarier der Gegenwart hier in diesem Hause zu erfüllen hat.
Meine Damen und Herren, es reizt ja, auf das einzugehen, was Herr Kollege Möller in seinem großen Rechenschaftsbericht der früheren Oppositions- und heutigen Regierungspartei gesagt hat. Aber da es Viertel nach zwölf ist und da über diese Dinge schon manche Debatte stattgefunden hat, möchte ich meinen, es wäre besser, ich näherte mich dem Schluß. Es würden ja auch von meiner Seite kaum ein neuer Gesichtspunkt, sondern nur erneut alte Gesichtspunkte vorgetragen werden. Ich glaube, im Zuge der Arbeitsökonomie sollten wir das Gesagte, das ja auch heute nur als Leistungsbericht von Ihrer Seite wiederholt werden konnte, der Vergangenheit überlassen. Wir könnten dem gegenüberstellen: auch die alte Regierung hat gearbeitet; die Mehrwertsteuer war von der alten Regierung vorbereitet; das Stabilitätsgesetz war praktisch unterschriftsreif;
wir von der FDP haben der Haushaltsreform komplett mit zugestimmt. Herr Kollege Möller, wir
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Dr. Emdehaben also an diesem alten Zopf kräftig mitgeschnitten. Das ist ja vom Kollegen Dahlgrün ausgegangen. Aber ich wollte das alles nicht noch einmal wiederholen; ich meine, es ist über die Dinge im einzelnen und im generellen genug debattiert worden.Es geht jetzt um die Schlußbewertung dieses Haushalts und damit um die Schlußbewertung der Regierung. Ich habe bei der ersten Lesung gesagt: Der Haushalt ist eine gute Hausmannskost, er hat sich nicht sonderlich gewandelt. Denn alle Entscheidungen, die in der Zwischenzeit von Bedeutung waren, sind nicht im Haushalt erfolgt, sondern waren konjunkturpolitische oder verteidigungspolitische Entscheidungen, die ihre Schatten von der Seite her auf den Haushalt geworfen haben. Der Haushalt ist das geblieben, was er vorher war: eine biedere Arbeit, gut gestrickt, zwei rechts, zwei links, oder vielleicht in einem anderen Strickmuster: eine rechts, eine links, und dazwischen immer eine Masche fallenlassen. Bedeutsames hat in diesem Haushalt nie dringesteckt und ist auch nicht hineinkommen.Aber deutlich geworden ist in diesen zwei Wochen die wachsende Unsicherheit innerhalb der Regierungskoalition und das sichtbare Auseinanderleben aller Teile der Regierung. Der Regierung in diesem Zustand den Haushalt zu genehmigen und die Gelder für die weitere Arbeit zu bewilligen, hieße, von der Opposition etwas Unmögliches verlangen. Es hieße für uns politisches Roulett spielen, denn in der Frage der Koalitions- und Kabinettsentscheidungen weiß niemand vorher zu sagen, wohin die Kugel rollt, ob auf rot oder auf schwarz. Und wenn der Regierungschef, der Kanzler, sich bemüht, immer auf rot und schwarz zur gleichen Zeit zu setzen, nun, dann ist damit nie etwas zu gewinnen, sondern bestenfalls der Status zu erhalten.
Der Kanzler hofft, den Entscheidungen bis zum Herbst auszuweichen und die Probleme bis zum Herbst hinwegzuschweigen. Es ist Zeit, daß hier der Satz gesprochen wird: Meine Herren, rien ne va plus.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leider vermag ich mich nicht — ebenbürtig — mit Kollegen Emde zu messen, weil ich im Roulettspiel überhaupt noch keine Erfahrungen gesammelt habe. Aber ich kann mir vorstellen, wenn jemand für die FDP zu sprechen hat, daß er im Roulettspiel einige Erfahrungen haben muß, um sich auf dieser Plattform behaupten zu können.
Es ist mir auch, wofür ich sogar Verständnis beiIhnen voraussetze, nicht möglich, auf all die farbigen Einfälle und bunten Streiflichter zu antworten,die im Laufe der Debatte von den Kollegen, einmal von Alex Möller, dann von Herrn Emde, gebracht worden sind. In Verkennung der beamtenrechtlichen Situation hatte ich schon vor zwei Jahren angenommen, Herr Kollege Emde, daß Sie als Größe der kommunalen Politik in Gummersbach uns nicht mehr die Freude schenken würden, Ihren Ausführungen lauschen zu dürfen. Ich bin froh, daß ich mich getäuscht habe. Darum habe ich die Rede heute mit so besonderer Wehmut gehört, auch wenn ich mir ein bißchen mehr Ernsthaftigkeit von ihr erwartet hätte. Aber seien Sie nicht traurig, im Stadtparlament ist vielleicht noch genug Ersatzmöglichkeit gegeben.
Ich danke Ihnen, daß Sie abermals die „Arbeitsgemeinschaft Plisch und Plum" erwähnt haben.
Damit Ihnen der Abschied leichter fällt, kann ich Ihnen die trostvolle Versicherung geben, daß es gar nicht so schlecht ausschaut, wie Sie gemeint haben. Es gibt einen alten bayerischen Spruch, der heißt:D' Leit hab´n a Freid, weil's bei uns so weit feilt.Die Antwort heißt:D'Leit wiss`n an Dreck, bei uns feilt's so weit net.
— „Die Leute haben eine Freude, weil es bei uns soweit fehlt. — Die Leute wissen einen Dreck, bei uns fiehlt's soweit nicht."
Das wollte ich gerade dem Kollegen Ertl zurufen, weil er vorhin eine so besorgte, düster umwölkte Miene wegen der Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Plisch und Plum hier an den Tag gelegt hat. Ich habe eben Tränen erwartet, und die wollte ich gerade noch verhindern.
Eines war mir allerdings neu, Herr Kollege Emde. Ich habe bisher Plisch und Plum für Figuren von Wilhelm Busch gehalten, und ich habe nicht gewußt, daß das ein Journalist war. Sie sagten ja, Sie wüßten nicht, von welchem Journalisten das komme.
Es wäre vielleicht ganz reizvoll, noch einige Anmerkungen daran zu knüpfen.Aber das Thema „gutes Verhältnis, Dioskurenpaar, deficit brothers, Gammlerzwillinge",
all das haben wir ja immer gehört. Und wenn daslangweilig zu werden begann, dann begann der„Zerfall der Zusammenarbeit", die „intime Feind-
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Bundesminister Dr. h. c. Straußschaft", das „versteckte Intrigenspiel" der beiden gegeneinander. Ich glaube, das hängt mit den normalen psychologischen Gesetzen der Politik zusammen. Ich darf sagen, daß ich in den wesentlichen Grundauffassungen der aufeinander angewiesenen Finanz- und Wirtschaftspolitik mit Herrn Schiller übereinstimme und er mit mir. Es liegt in der Natur der Sache, daß der Finanzminister und der Wirtschaftsminister manche Probleme der beiden Arbeitsgebiete unter verschiedenen Aspekten sehen und nach verschiedenen Schwerpunkten beurteilen. Dshalb werden sie weder persönliche Gegner werden noch sich in sachliche Gegensätze zum Schaden der Allgemeinheit verstricken.Wir haben hier schon öfter die Fortsetzung der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern gefochten, weil immer wieder die Geschichte 1966/67 strapaziert worden ist. Herr Kollege Mende, — Herr Kollege Emde — ich weiß nicht wie ich auf den anderen Namen komme;
vielleicht weil er auf dem gleichen Platz saß —, es ist immer leicht oder jedenfalls möglich, die Dinge von zwei verschiedenen Seiten aus zu beleuchten und dann der Regierung vorzuwerfen, sie erwecke den Eindruck einer widersprüchlichen Politik. Ich weiß ja, daß die Politik noch nie so homogen, geschlossen, klar und zielstrebig war wie zu Zeiten der Koalition CDU/CSU-FDP. Das hat sich natürlich erheblich verschlechtert.
Ich erwarte auch — wenn ich das noch humorvoll sagen darf; ich rede in keiner Weise gehässig —, daß die Worte des Herrn Vorsitzenden — Scheel, meine ich in diesem Fall; Sie wissen, es gibt viele „Worte des Herrn Vorsitzenden",
ich meine die Worte des Herrn Vorsitzenden Scheel —, daß die FDP nunmehr die volle Macht anstrebe, d. h. die absolute Mehrheit, ein Unterfangen, das bisher bei den großen Parteien als ruchloser Anschlag gegen die Demokratie gewertet worden war,
nunmehr endlich uns, den durch die Regierungsarbeit Abgespannten, Erschöpften, Ermatteten, Verstrittenen, ich möchte beinahe sagen: politisch impotent Gewordenen, die Möglichkeit der Regeneration bietet; nämlich in Zukunft den Haushalt des großen Wurfs erleben zu dürfen,. Vielleicht wird uns diesen, auf diesen Bänken sitzend — für uns, für die anderen Parteien, bleibt noch ein schmaler Rest —, als Ihr Wortführer, sozusagen Ihre geistige Prothese Professor Dahrendorf entwerfen. Wir werden dann wieder neue Impulse bekommen, werden neue, wie man auf gut Deutsch sagt: incentives erhalten. Wir werden endlich die große Zukunftsgestaltung kennenlernen, den meisterhaften Wurf, die geniale Planung, sozusagen die kosmische Politik, projiziert auf die Bundesrepublik und zurückstrahlend in die weite Welt.
Auf dieses geistige Abenteuer freue ich mich schon heute — falls ich wiedergewählt werden sollte — mehr als ein Kind auf Weihnachten.
— Ich habe nur Angst, daß Sie, Herr Ertl, nicht Assistent von Dahrendorf werden.
Ich bin als Finanzminister verpflichtet, für den sozialdemokratischen Koalitionspartner,. dem vorgeworfen worden ist, er habe bei den Verhandlungen mit der FDP Steuererhöhungen rundweg abgelehnt, sie aber später in den Verhandlungen mit der CDU, sich dem CDU-Gebot unterwerfend, angenommen, etwas zu sagen. So war es nicht. Ich habe in jener Phase — einige von Ihnen waren damals im Bungalow des Bundeskanzlers anwesend — noch erklärt, daß maßvolle Erhöhungen von Verbrauchsteuern zum Zwecke der finanziellen Konsolidierung trotz der konjunkturpolitischen Bedenken leider unvermeidlich seien. Ich habe mich damals genauso wie Sie und genauso wie die SPD gegen die Erhöhung der direkten Steuern, der Lohn- und Einkommensteuer und anderer Steuern, gewandt, weil die konjunkturpolitische Wirkung der Erhöhung direkter Steuern ohne jeden Zweifel unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten wesentlich schädlicher ist, als sich eine kleine Erhöhung indirekter Steuern auswirkt. Beides ist konjunkturpolitisch nicht erfreulich.Aber Sie vergessen eines dabei — und darum sage ich immer, Sie müssen sämtliche Aspekte einbeziehen und dann zu einem abgewogenen Urteil kommen —: Es gab damals nicht nur die Aufgabe der Wiederbelebung der Wirtschaft; es gab damals zur gleichen Zeit die Aufgabe der Konsolidierung der Finanzen.
Man konnte nicht das eine in Angriff nehmen und das andere zurückstellen. So schlau waren wir auch, Herr Kollege Emde, zu wissen, daß wir durch Verzicht auf Steuererhöhungen, Deckung des Defizits durch noch mehr Schulden, durch einen schnellen Konjunkturhaushalt, Finanzierung durch abermals mehr Schulden sehr schnell eine Wiederbelebung der Wirtschaft erzielt hätten. Das wußten wir auch. Aber wir wußten auch eines: Wenn eines Tages auf diesem Wege die Wirtschaft wieder in Gang gekommen ist, stehen wir auf einem wesentlich höheren Schuldensockel, der im übrigen vom Bundesbankpräsidenten — ich darf das Wort hier einmal erwähnen — bereits als Inflationspotential bezeichnet worden wäre. Wenn die Wirtschaft wieder in Gang gekommen wäre, hätte niemand daran gedacht, nachträglich die Steuern zu erhöhen, und Sie im Wahljahr am allerwenigsten, wenn ich als Politiker das hier einmal sagen darf.
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage von Herrn Abgeordneten Dr. Emde?
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969 12467
Bitte sehr, Herr Präsident!
Bitte sehr, Herr Dr. Emde!
Herr Minister, sind Sie bereit zuzugestehen,
daß seit 1966 die Verschuldung des Bundes um rund 14 oder 15 Milliarden DM gestiegen ist, daß Sie also auch eine gewaltige Darlehenserhöhung vorgenommen haben? Wir waren der Meinung, daß man das mit weniger Darlehen hätte machen können, wenn man nicht so tief heruntergefahren hätte.
Sie irren in einem ganz gewaltig. Der Abstieg unserer Wirtschaft, wie er noch in den Wintermonaten 1966 und in den Frühjahrsmonaten 1967 ausstrahlend bis ;in den Sommer zu verzeichnen war, war — sonst hätten wir überhaupt keine Gesprächsbasis, muß ich Ihnen leider sagen, Herr Dr. Emde — nicht die Folge der von der neuen Regierung ergriffenen Maßnahme, isondern das war die nachanhaltende, die immer noch andauernde Wirkung der Politik, die vorher getrieben worden war.
Ich kann es leider nicht anders sagen. Die Konjunkturphasen dauern doch immer noch wesentlich länger als die Maßnahmen, die zu ihrer Überwindung eingeleitet werden. Wir haben die volle Schärfe — die volle Schärfe! — der Rezession erst im Jahre 1967 zu spüren bekommen. Aber die Maßnahmen, die zu dieser Rezession geführt haben, u. a. auch die Maßnahmen, die von der Bundesbank ergriffen worden sind, sind vorher getroffen worden.
Darüber gibt es doch nicht den geringsten Zweifel zwischen denen, die nur ein bißchen Ahnung vom Handwerk auf dem Gebiet haben.
— Bitte sehr!
Herr Minister, es ist sehr schwer, das als Frage zu formulieren. Sind Sie bereit zuzugestehen, daß ich vorhin immer davon gesprochen habe, daß durch die Steuererhöhungen nur die Sache verschärft worden ist? Ich habe also auch nicht gesagt, daß die Steuererhöhungen die Krise geschaffen haben, sondern ich habe auf die Verschärfung der Krise durch die Steuererhöhungen hingewiesen.
Nein, das ist nicht verschärft worden. Das ist grundsätzlich falsch. Sie haben sich dagegen verwahrt, daß die Debatte länger dauert. Ich bitte um Verständnis, daß ich jetzt vorerst keine Fragen beantworte, sondern nur einige Ausführungen zu Ihren kritischen Bemerkungen mache.Ich gebe eines zu, Herr Kollege Emde — das habe ich nie bestritten, das habe ich von dieser Stelle aus mehrmals vertreten und gerechtfertigt —, daß der Prozeß der Wiederbelebung nicht mit allen Mitteln der nationalökonomischen Antibiotik um jeden Preis forciert worden ist. Wir hätten mit mehr Verschuldung schneller einen hektischen Umschlag der Konjunktur von Rezession auf Boom mit allen schädlichen Folgen erreichen können. Das haben wir nicht gewollt.
Wir haben einen Gesundungsprozeß gewünscht, der nicht nur in der Politik eine Rolle spielte, sondern der auch bei beiden Tarifpartnern ansetzen mußte. Ich weiß, daß das manche auf dieser oder jener Seite nicht gern hören. Aber es ist .doch kein Zweifel, daß in den Jahren des raschen Aufstiegs falsche Vorstellungen eingerissen waren. Es ist doch kein Zweifel, daß man in der Wirtschaft auf beiden Seiten geglaubt hat, man könne die Kosten beliebig vermehren, die große Auftragslage, die steigende Kaufkraft der Verbraucher, die steigenden Gewinne ermöglichten es, die Wirtschaft endlos mit Kosten belasten.Umgekehrt haben die schnell zunehmenden Steuererträge auf politischer Seite zu dem Aberglauben geführt, der moderne Staat könne schlechthin alles finanzieren, es gebe dafür keine Grenzen mehr. An dem Spiel haben sich alle Kräfte und Kreise dieses Hauses beteiligt, gleichgültig auf welcher Seite — der Opposition oder der Regierungslinie — sie sich befunden haben.
Darüber gibt es doch nicht den geringsten Zweifel. Ich bedaure das in keiner Weise, Herr Kollege Emde. Ich sage das hier als meine persönliche Meinung, die hoffentlich von vielen Kräften und Kreisen im Lande, sei es in meiner eigenen Partei, sei es in anderen Parteien, geteilt wird, daß uns die Erfahrungen und Lehren der Jahre 1966 und 1967 sehr wertvoll gewesen sind und daß wir nicht noch nachträglich auf sie verzichten sollten. Ich sage das ausdrücklich.Es hat auch in der Wirtschaft, es hat auch auf der Seite der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Selbstbesinnung und Ernüchterung eingesetzt. Man hat die Investitionen schärfer kalkuliert. Man hat sich vor allen Dingen bei Erweiterungsinvestitionen sehr sorgfältig überlegt, ob die Marktlage sie noch rechtfertigt. Man hat bei der Kostenkalkulation einen viel schärferen Maßstab angelegt. Es ist doch allgemein bekannt, daß die Unternehmungen damals bei der scharfen Durchforstung ihrer Kosten in vielen Bereichen Personalpolster festgestellt haben, die abgebaut werden konnten, ohne daß deshalb die Produktion oder der Umsatz gelitten hätten; im Gegenteil, sie haben zum Teil sogar noch zugenommen. Wenn wir damals nur auf dem Wege des Deficit spending — dessen Anhänger Sie überraschenderweise auf einmal geworden sind; früher
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12468 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969
Bundesminister Dr. h. c. Straußhaben Sie es uns doch vorgeworfen — sozusagen jäh das Steuer herumgerissen hätten, dann hätten wir diese gesunde Periode der Ernüchterung und Besinnung nicht erlebt, die für uns alle notwendig gewesen ist, auf der wirtschaftlichen wie auf der politischen Seite.Und wenn ich von Steuererhöhungen rede — Mineralölsteuer, Tabaksteuer, Verkürzung der Zahlungsfristen, ein gewisses Kumulierungsverbot und etwas weniger im Bereich der Kilometergeldpauschale —, darf ich in Erinnerung rufen, daß die vorhergehende Bundesregierung eine Senkung der Kilometergeldpauschale von 50 auf 14 Pfennig und eine wesentliche Einschränkung der Sparförderung eingeleitet hatte. Sie haben damals vielleicht zum Teil wieder Ihren Finanzminister im Stich gelassen. Ich habe damals noch als Sprecher der Regierungspartei gesagt: Es ist wider Treu und Glauben, 50 Pfennig einzuführen, um dann nach einem Jahr oder zwei Jahren nur mehr 14 Pfennig zu genehmigen. — Uns erschienen 36 Pfennig als das gerade noch vor der Öffentlichkeit, auch nach verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, vertretbare Maß an Reduzierung. Es stimmt ja gar nicht, daß Sie keine Steuererhöhung wollten; denn die Senkung der Kilometergeldpauschale ist doch eine Steuererhöhung, die Millionen von kleinen Leuten getroffen hätte. Wir haben sie auch in Mitleidenschaft gezogen, aber doch wesentlich weniger einschneidend, als die Senkung von 50 auf 14 Pfennig gewesen wäre.
Das ganze schöne Gebäude hält doch nicht mehr, das Sie hier aufgebaut haben.Hätten wir aber, Herr Kollege Emde, auf Steuererhöhungen damals verzichtet und sofort einen großen Konjunkturhaushalt eingeleitet, wäre eine wesentlich größere Mehrverschuldung, als wir sie heute haben, die unvermeidliche Notwendigkeit geworden. Wie hätten Sie denn den Steuerausfall tilgen wollen? Sie sagen: „Durch Kürzung von Ausgaben." Da beginnt die Rechnung, wo immer wieder sich alles im Kreise dreht. Wir haben damals bewußt zwar den Ausgabenzuwachs gekürzt, die Ausgaben aber nicht so radikal beschnitten, wie Sie es jetzt als Kompensation für Verzicht auf Steuererhöhungen in Aussicht gestellt haben. Eine so radikale Kürzung der Ausgaben hätte eine sehr starke kontraktive Wirkung gehabt und unsere konjunkturpolitischen Bemühungen ernsthaft gefährdet. Aber Sie können doch nicht bestreiten, daß Sie ohne Ausgabenzuwachskürzung und ohne Steuererhöhung damals eine erhebliche Mehrverschuldung hätten aufnehmen müssen, und zwar in der Größenordnung von 3 bis 4 Milliarden DM im Jahre 1967 und ebenfalls sich noch hineinziehend in das Jahr 1968.Da erinnere ich Sie an Ihre früheren Reden, Herr Kollege Emde, an die Reden von Parteifreunden von Ihnen hier auf diesem Platze, in denen doch über die große Verschuldung des Bundes als Folge einer übertriebenen Konjunkturpolitik lautstark gejammert worden ist.
Wir haben im Jahre 1967 die Nettoverschuldung um 8 Milliarden DM erhöht. Ich habe das bewußt mitgemacht — ich bin nicht in diese höheren Schulden „hineingetaumelt" —, weil wir im Jahre 1967 das große Jahr der Wende erreichen mußten. Wir haben sie erreicht. Im Jahre 1968 haben wir bereits, wie ich hier vor diesem Hause ebenfalls schon mehrmals dargelegt habe, von 7,1 Milliarden DM — wie der Haushaltsplan sie erlaubt hätte — auf 4,7 Milliarden DM gesenkt. Das ist doch der klassische Fall einer guten antizyklischen Wirtschafts- und Finanzpolitik: im Höhepunkt der Rezession volles Deficit spending mit maßvollen Schritten für die Konsolidierung der Finanzen, und sobald die Besserung beginnt, eine wesentliche Einschränkung des Deficit spending, eine Verminderung der Nettokreditfinanzierung und ein normaler Lauf der Kräfte, der im Jahre 1968 zum vollen Erfolgt geführt hat.Es hat aber keinen Sinn, daß ich hier noch im einzelnen diese Probleme so spät behandle; aber ich mußte es doch noch einmal tun, um sozusagen — ich hoffe es — einen vorläufigen Schlußstrich unter diese Auseinandersetzung zu ziehen.Ich bitte deshalb auch um Verständnis dafür, Herr Kollege Emde, wenn ich auf eine Reihe von Einzelheiten, die Sie angeschnitten haben, hier nicht mehr eingehe. Ich tue es nicht deshalb, weil ich Ihrer Rede nicht die gebührende Reverenz erweisen wollte, sondern weil es einfach angesichts der Zeit und Sachlage nicht mehr möglich ist.Nur wenige Worte zu dem, was der Kollege Alex Möller gesagt hat. Ich bleibe dabei, Herr Kollege Möller, daß die 140 Millionen DM für die Vorverlegung des Inkrafttretens des Zweiten Besoldungsneuregelungsgesetzes in sämtlichen Personaltiteln plus Verstärkungstiteln nur dann enthalten sind — das habe ich auch nie bestritten —, wenn eine gewisse Zahl von Planstellen, die neu eingeführt werden, nicht besetzt werden, wenn Planstellen nicht voll ausgenutzt werden oder wenn bei Freiwerden von Planstellen eine Übergangslücke von einigen Monaten entsteht. Dann ist das Geld möglicherweise, vielleicht sogar wahrscheinlich, drin.Erlauben Sie mir aber bitte auch die folgende Feststellung: Ich halte diese Methode der Ausnutzung der Personaltitel, nämlich die bewußte Ausnutzung durch Nichtbesetzung, durch eine nicht volle Ausnutzung und eine vorübergehende Nichtbesetzung von Planstellen, die freigeworden sind, für keine ganz seriöse Methode. Das habe ich auch von diesem Platz aus damals als meine Bedenken gegen den mit knappster Mehrheit gefaßten Beschluß des Haushaltsausschusses ins Treffen geführt.
Ein Wort hier zur Finanzreform, aber nur ein kurzes Wort; denn damit werden wir uns noch mehrmals beschäftigen.
Herr Minister, der Herr Abgeordnete Hermsdorf möchte Sie offenbar zu diesem letzten Punkt etwas fragen.
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Zu diesem letzten Punkt! Herr Kollege Strauß, meinen Sie nicht, daß es auch keine seriöse Methode ist, wenn vom Finanzministerium, von den einzelnen Ressorts, den einzelnen Häusern, Stellenpläne vorgelegt werden, die so viel Luft haben? Sollte nicht eigentlich dort angefangen werden?
Das ist eine gefährliche Bemerkung, Herr Kollege Hermsdorf, weil das nämlich dann entweder den Finanzminister oder den Haushaltsausschuß veranlassen müßte, einfach pauschal oder global einen Minderansatz an Planstellen auszubringen. Sie kennen die Problematik — ich möchte Ihnen kein falsches Kompliment machen; aber ich bin von der Richtigkeit meiner Worte überzeugt — besser als ich, weil Sie viel länger in dem Geschäft sind. Ich habe aber auch einiges von Ihnen dazugelernt.
Ein Wort zur Finanzreform. Ich habe mich als Parteivorsitzender bemüht, Herr Kollege Möller — vielleicht darf ich das hier sagen, ohne meine Amtspflichten zu verletzen —, zwischen der Ebene Bund meiner Partei und der Ebene Land meiner Partei die Möglichkeiten eines Kompromisses zu sondieren. Ich habe dem Herrn Vorsitzenden des Finanzausschusses und auch des Vermittlungsausschusses erklärt, daß ich mich jedes Engagements für die Bundesregierung oder für die Fraktion der CDU/CSU enthalten habe, weil ich von beiden Seiten keine Legitimation dazu hatte. Ich war ihnen dafür dankbar, daß sie seinerzeit die Ergebnisse des Münchner Gesprächs als eine brauchbare Diskussions- und Kompromißgrundlage selbst bezeichnet haben. Nur in drei Punkten habe ich mich mit dem bayerischen Ministerpräsidenten nicht geeinigt. Das eine ist die Finanzierungskompetenz für Investitionen nach Art. 104 a des Grundgesetzes. Hier ist aber im Vermittlungausschuß eine brauchbare Regelung erzielt worden. Ich zweifle nicht daran, daß sie bei den kommenden Verhandlungen wiederhergestellt werden kann.
Der zweite Punkt, über den wir uns nicht geeinigt haben, war der, daß ich die Verteilung der Einkommen- und vor allem der Körperschaftsteuer aus örtlichem Aufkommen als eine von der Sache her nicht mehr gerechtfertigte Methode bezeichnet habe.
Ich hätte es in Gottes Namen geschluckt, wie man vieles in der Politik schlucken muß. Aber ideal ist diese Verteilung nicht, und zwar aus Gründen, die Ihnen mindestens genauso gut bekannt sind wie uns. Ich bin deshalb gar nicht sehr traurig, wenn es wenigstens noch einmal in der Frage der Körperschaftsteuer, wie ich in meinem Artikel angedeutet habe, zu einer sachlichen, von pseudoideologischem Ballast befreiten, aber auch von allzu egoistischen Motiven freien Diskussion kommen kann. Denn die Entscheidung über den Standort des Konzernsitzes ist für das Körperschaftsteueraufkommen des betreffenden Landes zwar von großem Interesse; aber das Geld selbst wird meistens im ganzen Bundesgebiet verdient, siehe Dresdner Bank, siehe Deutsche Bank und Commerzbank, die auch noch ihren Sitz von Düsseldorf, der einen Hauptstadt, in die andere Hauptstadt verlegt. Ich bin froh, wenn hier noch einmal eine Diskussion zustande kommen kann.
Der dritte Punkt, wo wir uns nicht geeinigt haben: Ich halte eine Bundesauftragsverwaltung bei den Gemeinschaftssteuern aus einer Reihe von Gründen für notwendig oder für sehr zweckmäßig. Die Gründe hier im einzelnen aufzuführen, ist wegen der Kürze der Zeit nicht möglich. Aber hier ist ja im Vermittlungsausschuß — allerdings mit knapper Mehrheit — seinerzeit eine Lösung zustande gekommen, die ich sehr gebilligt habe.
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr!
Herr Bundesfinanzminister, ist Ihnen bekannt, daß in Ihrem Schreiben vom 28. Januar, das Sie mir zugestellt haben und das über Ihr Gespräch mit Herrn Goppel einige Ausführungen enthält, zu diesem Punkt der Körperschaftsteuer und ihrer Verteilung nicht nach dem regionalen Aufkommen keine Anmerkung gemacht worden ist?
Das gebe ich Ihnen zu. Die Notiz dazu ist von Ministerialrat Klein gemacht worden. Ich habe das Protokoll nicht geführt. Ich weiß aber, daß ich damals gesagt habe: nicht örtliches Aufkommen, sondern ein anderer objektiver Schlüssel, wobei man von einer gewerteten Einwohnerzahl ausgehen kann, also Einwohner mal eins Komma soundso viel, je nach den regionalen Landesverhältnissen. Ich gebe aber zu, daß das in dem Schreiben nicht enthalten war; im Gespräch ist es erörtert worden.
Herr Präsident, darf ich noch eine Frage stellen?
Bitte sehr!
Herr Bundesfinanzminister, ist Ihnen aus Ihrem Artikel „Finanzreform nicht gescheitert" — „Bayernkurier" Nr. 13 vom 29. März — in Erinnerung, daß Sie hinsichtlich des regionalen Aufkommens der Körperschaftsteuer oder hinsichtlich eines anderen Verteilungsschlüssels, sagen wir einmal, die Betrachtung in vier verschiedenen Etappen anstellen? Ich möchte sie hier nicht im einzelnen anführen. Aber in der letzten Etappe dieser Ihrer Betrachtung sagen Sie — ist Ihnen dieser Satz in Erinnerung? —:Zwar ist auch die Einwohnerzahl noch kein vollständig befriedigender Schlüssel,
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12470 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Mölleraber über eine Verfeinerung und Weiterentwicklung der Steuerverteilungsmaßstäbe zwischen den Ländern kann auch später noch nachgedacht werden.
Ja, z. B. in einem Zerlegungsgesetz,
obwohl ich das Zerlegungsgesetz gerade nicht für die idealste Methode halte.
Es gibt noch andere Bedenken, Herr Kollege Möller, etwa wegen des Wettlaufs der Länder um die Verlegung von Firmensitzen in ihren Bereich.
mit zum Teil unerfreulichen Methoden. Darum wünsche ich auch die Bundesauftragsverwaltung, damit in Sachen Abschreibungen, Sonderabschreibungen, Investitionszulagen, Bilanzbewertungsfragen hier nicht, sagen wir einmal, von Land zu Land unterschiedliche Regelungen getroffen werden können.
Ich drücke mich dabei noch sehr zurückhaltend aus.
Aber, Herr Bundesfinanzminister, es ist Ihnen doch bekannt, daß wir diese Ihre Auffassung hinsichtlich der Steuerverwaltung im Vermittlungsausschuß in vollem Umfang durchgesetzt haben. Ist Ihnen weiterhin bekannt, daß Sie mir vor diesen Sitzungen erklärt haben, daß dies Ihr besonderes Anliegen sei?
Das stimmt. Das kann ich Ihnen bestätigen. Ich will . gar nicht mit Ihnen polemisieren.
Ich möchte dazu nur noch zweierlei sagen. Im Gegensatz zu fast der gesamten Berichterstattung habe ich zwar den Ausgang der Abstimmung im Bundestag für bedauerlich gehalten — mir wäre es lieber gewesen, wir hätten das über die Bühne gebracht und der Bundesrat hätte heute das letzte Wort dazu gesprochen —, aber so dramatisch wie „Finanzreform gescheitert", „Ein großer Anlauf der Koalition zusammengebrochen" betrachte ich diesen Akt der letzten Woche auch nicht. Ich bin überzeugt, wenn die nochmalige Anrufung des Vermittlungsausschusses nicht möglich gewesen wäre, hätte mancher Widerstrebende hier trotz aller Bedenken mit Ja gestimmt. So ist das ein ganz normaler Akt im politischen Tauziehen zwischen Bund und Ländern, zwischen Bundesrat und Bundestag, zum Teil aber auch zwischen verschiedenen Kräften in diesem Hause hier.
Die Materie ist, wie wir alle wissen, so kompliziert, daß es selbst für Berichterstatter — und erst recht für Leser — fast unmöglich ist, das zu begreifen, weshalb man gern mit so etwas dramatischen Antithesen arbeitet wie „Finanzreform gescheitert", „Finanzreform zusammengebrochen" usw. Ich bin überzeugt, daß der heutige Beschluß des Bundesrats in Verbindung mit der abermaligen Anrufung des
Vermittlungsausschusses durch einstimmigen Beschluß der Bundesregierung uns am 21. April die Möglichkeit gibt, die guten Teile der Ergebnisse der letzten Verhandlungen des Vermittlungsausschusses wiederherzustellen und in einigen Punkten nunmehr nach Ablauf einiger Wochen und nach Sammlung einiger Erfahrungen eine wertvolle Diskussion zu führen.
Noch eine Bemerkung, Herr Kollege Möller, dazu, was meine Stimmabgabe betrifft. Ich hätte selbstverständlich für den Gesetzgebungskatalog im Sinne des Vermittlungsausschusses gestimmt, wenn nicht die Anrufung des Vermittlungsausschusses wegen Art. 106 und Art. 107 des Grundgesetzes durch die vorhergegangene Ablehnung — Nichterreichung der Zweidrittelmehrheit — ohnehin schon festgestanden hätte. Das betrifft aber weniger Sie; das habe ich auf der anderen Seite des Hauses auszutragen.
Herr Abgeordneter Dr. Möller!
Herr Bundesfinanzminister, können wir bei den Beratungen im Vermittlungsausschuß diesmal damit rechnen, daß Sie während der Beratungen voll zur Verfügung stehen?
Ich werde voll zur Verfügung stehen, und ich hoffe, daß diesmal einer der Ministerpräsidenten, der Ihre Parteifarbe trägt, nicht mehr beanstanden wird, daß vom Finanzministerium der Minister und e i n Staatssekretär anwesend sind, was doch nach der Ordnung in diesem Ausschuß nicht üblich sei.
— Zinn ist ein wertvolleres Material.
Nun noch ganz wenige Worte zum Haushalt selbst. Nach der zweiten und dritten Beratung des Bundeshaushaltsplans sind Struktur und Volumen des Haushalts 1969 unverändert geblieben. Wenn die Bundesregierung die vorläufige Sperre von 1,8 Milliarden DM Ausgaben, meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDP, in ihrem Kabinettsbeschluß verfügt hat, dann hat sie einerseits genau nach den Vorschriften des Stabilitätsgesetzes gehandelt, in dem bestimmt ist, daß die Nichtausgabe eines genehmigten Haushalts im Ermessen der Bundesregierung liegt, während die Überschreitung des Haushalts durch ein Konjunkturprogramm der Bestätigung durch das Parlament bedarf. Dieses Gesetz bestimmt, daß die Zustimmung des Bundestages nach Verstreichen einer bestimmten Frist als erteilt zu gelten hat und daß bei einem Nein kein Konjunkturprogramm durchgeführt werden kann. Das ist ja allgemein bekannt.Ich möchte auch etwas zu Ihrem Streichungsantrag sagen, den Sie in einem höchst kunstvollen Spiel hervorgebracht haben, nachdem Sie zuerst die
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Bundesminister Dr. h. c. StraußSperre der Mittel bei der Bundeswehr mit großen Krokodilstränen begossen haben, dann aber auf einmal wieder von der Notwendigkeit der Streichung gesprochen haben. Das muß einmal gesagt werden, um klare Verhältnisse zu schaffen. Wir sind nicht so schnell entschlossen, wir sind auch nicht ganz so weitsichtig und prophetenhaft.Ich darf hier z. B. daran erinnern, daß ein Mann, auf dessen Urteile ich immer großen Wert gelegt habe, weil ich ihn für einen der besten Experten auf diesem Gebiet halte, Herr Präsident Abs nämlich, in einer Rede, die er erst vor ganz wenigen Tagen gehalten hat, davon sprach, daß die Konjunktur nicht überhitzt sei. Das mag branchenmäßig und regional unterschiedlich sein; deshalb ist die gesamte Bundesregierung — der Herr Bundeswirtschaftsminister und ich einbegriffen — der Auffassung, daß es für ein endgültiges Urteil jetzt zu früh ist.Wir werden bis zum Juli Woche für Woche die Konjunkturlage sorgfältig verfolgen;. im Juli hat die Bundesregierung zu entscheiden, ob die vorläufige Sperre in eine Streichung bzw. in eine über das ganze Jahr anhaltende Sperre mit Übertragung in das nächste Haushaltsjahr umzuwandeln ist. Das hat auch gar nichts mit dem Auseinandergehen des Parlaments oder ähnlichen hintergründigen Motivsuchereien zu tun. Der Beschluß ist im März gefaßt worden; eine kürzere Frist als vier Monate kann man doch nicht setzen. Man braucht einen bestimmten Referenzzeitraum, um zu einem halbwegs vernünftigen Urteil zu kommen. Ich persönlich wollte ja, Herr Kollege Genscher, haben: bis September. Daß ich das sage, ist kein Verstoß gegen die Kabinettsdisziplin. Aber die Mehrheit der an der Aufhebung der Sperre interessierten Kollegen hat eine kürzere Periode gewünscht. Dann haben wir uns darauf geeinigt, daß die Überprüfung im Monat Juli erfolgt; dann wird die Bundesregierung pflichtgemäß ihres Amtes walten, auch wenn der ominöse Termin des 28. September mit der großen Wachablösung
immer näher heranrückt. Das wird uns in keiner Weise daran hindern.Ich möchte abschließend auf weitere Sachausführungen zu einigen durchaus noch der Diskussion werten Problemen des Haushalts verzichten. Ich möchte zunächst mit großer Aufmerksamkeit und echter Anerkennung ein herzliches Wort des Dankes an die Mitglieder des Haushaltsausschusses sagen,
die hier — wie es leider beim alten Haushaltsrechtunvermeidlich und notwendig ist — in sehr kurzerZeit eine gewaltige Summe Arbeit geleistet haben.Bloß eines, Herr Kollege Emde, nehme ich Ihnen nicht ab, daß nämlich die Bundesregierung den Haushalt vorlegen könnte wie auch immer. Ich bin im Gegensatz zu Ihnen der Meinung, daß das Parlament und sein berufenes Organ, der Haushaltsausschuß, in Wahrung der Budgetsouveränität diesen Haushaltsplan jeweils auch im Detail prüfen sollten.
Selbst wenn die Bundesregierung — ich wage das frivole Wort; es ist nicht beleidigend gemeint — den Haushalt ,so vorgelegt hätte, wie .er jetzt in wenigen Minuten zur Verabschiedung ansteht, hätte sich der Haushaltsausschuß — und ich sage das nicht kritisch oder ironisch - mit Recht an die Aufgabe gemacht, Position für Position, Sachtitel und Personaltitel im einzelnen durchzuforsten. Wenn schon die moderne Konjunkturpolitik, wenn schon das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz unvermeidlicherweise eine Einschränkung der parlamentarischen Rechte bei Sondersituationen mit sich bringt, muß das Parlament in einem erschöpfenden Maße von seiner normalen Budgethoheit Gebrauch machen. Hieraus einen Vorwurf gegen die Bundesregierung oder auch gegen die allzu große Detailarbeit des Haushaltsausschusses abzuleiten, halte ich wirklich für verfehlt.Erlauben Sie mir auch bei dieser Gelegenheit, den Beamten meines Hauses, vor allen Dingen denen der Haushaltsabteilung, ein herzliches Wort des Dankes und der Anerkennung zu sagen.
Der Haushalt ist immer nichts anderes als ein Spiegelbild nüchterner, trockener politischer Überlegungen, ist ein Spiegelbild von Kompromissen, ist ein Spiegelbild von widerstreitenden Interessen, die hier gewissermaßen aufgefangen und aufeinander abgestimmt werden müssen. So war es immer, so wird es auch in Zukunft sein. Die Dinge stoßen sich sehr hart im Raume. Die großen Worte machen sich immer nur in der Vergangenheit und im Jenseits leichter, aber nicht im Diesseits, in dem nun einmal der Interessenkonflikt sozusagen unser tägliches Brot ist.Im übrigen freue ich mich darauf, wenn der Haushaltsausschuß und die Mitarbeiter meines Hauses demnächst an anderer Stelle und bei etwas heiterer Gelegenheit die Möglichkeit haben werden, nicht die Schlacht von heute fortzusetzen, sondern sich bereits über die neuen Probleme besserer Haushaltspläne für die Zukunft zu unterhalten. — Herzlichen Dank!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.Wir treten jetzt in die Einzelberatung derjenigen Einzelpläne ein, zu denen Änderungsanträge vorliegen. Der erste Einzelplan, auf den dies zutrifft, ist der Einzelplan 04. Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 632 *) vor. Soll dieser Antrag begründet werden? — Herr Dr. Meinecke zur Begründung.*) Siehe Anlage 2
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag hat Ihnen bereits zur zweiten Lesung vorgelegen. Es haben Kollegen aus allen drei Fraktionen unterschrieben. Herr Rawe von der CDU/CSU-Fraktion hat dann dagegen gesprochen. Der Antrag ist mit wenigen Stimmen abgelehnt worden.
Sie sehen aus der Zahl der Unterschriften, daß die politische Meinungsbildung in den Fraktionen jetzt fortgeschritten ist. Es ist finanziell kein Risiko; der Deckungsvorschlag ist in dem Antrag enthalten. Wir bitten Sie, diesem Antrag heute zuzustimmen.
Vizepräsidennt Schoettle: Herr Dr. Althammer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist notwendig, hier zu wiederholen, was wir in der zweiten Lesung gesagt haben. Diese Sache ist im Haushaltsausschuß noch nicht geprüft. Sie muß aber einer genauen Prüfung unterzogen werden. Sollte sich die Berechtigung dieser Sache endgültig herausstellen, ist absolut die Möglichkeit gegeben, sie mittels einer Finanzvorlage in Ordnung zu bringen. Ich bitte deshalb, den Antrag abzulehnen.
Überweisung an den Haushaltsausschuß ist doch völlig sinnlos. Hier wird zu einem Titel des Einzelplans 04 ein Antrag gestellt, und der muß beschieden werden.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. —Die Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt. Da eine Änderung des Einzelplans 04 nicht erfolgt ist, braucht darüber jetzt nicht im ganzen abgestimmt zu werden.
Zum Einzelplan 05 liegt ein Änderungsantrag vor, der aber gegenstandslos geworden ist, nachdem der Antrag zu Einzelplan 04 abgelehnt wurde. Es braucht also nicht abgestimmt zu werden. Einzelplan 05 ist damit genehmigt.
Zu Einzelplan 06 liegt ein Entschließungsantrag auf Umdruck 631 *) vor. Es ist ein Antrag der Fraktionen der Regierungskoalition. Soll dieser Antrag noch begründet werden? — Das ist offenbar nicht der Fall. Wir stimmen über diesen Entschließungsantrag ab. Wer stimmt ihm zu? — Danke. Die Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Fraktion der FDP ist dieser Entschließungsantrag angenommen.
Über den Einzelplan selber braucht nicht abgestimmt zu werden, da eine Änderung nicht erfolgt ist.
Wir kommen zu Einzelplan 10. Dazu liegen die Änderungsanträge Umdrucke 624 **) und 625 ***) vor.
*) Siehe Anlage 3 **) Siehe Anlage 4 ***) Siehe Anlage 5
Es handelt sich in beiden Fällen um Anträge der Fraktion der FDP. Sollen sie begründet werden? — Herr Reichmann zur Begründung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Durchführung der dringenden agrarsozialen Maßnahmen erfordert die Annahme unseres Antrags, d.h. die Wiederherstellung des Bundeszuschusses mit 250 Millionen DM. Der von der Koalition in der zweiten Lesung eingebrachte Änderungsantrag Umdruck 605 ist unzureichend. Wir bitten deshalb, unseren Antrag annehmen zu wollen, und zwar zum Ausgleich 1. der Kürzung des Bundeszuschusses von 190 auf 160 Millionen DM 1969, 2. der Kostensteigerungen bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, den Krankenhauskosten, Rehabilitationsmaßnahmen, Arzneien und dem Einsatz von Ersatzkräften, 3. um die Notlage der Schwerstbeschädigten der Landwirtschaft entsprechend unserem Gesetzesantrag Drucksache V/3980 zu beheben.
Beitragserhöhungen für die Landwirtschaft sind deshalb ungerechtfertigt, weil alle Sozialversicherungsbeiträge einkommensbezogen sind. Das muß auch für die Landwirtschaft gelten. Bei der Landwirtschaft sind die Einkommensverhältnisse aber durch die Bindungen an die EWG-Marktregelungen blokkiert, ohne Rücksicht auf die steigende innere Kostenpreisentwicklung. Beitragserhöhungen sind deshalb unerträglich und ungerechtfertigt.
Deshalb bitten wie Sie, dem Antrag zuzustimmen.
Wir können jetzt gleich die Begründung des Änderungsantrags Umdruck 625 hören. Bitte, Herr Abgeordneter Logemann!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir möchten mit unserem Antrag Umdruck 625 eine Verankerung von Mitteln für die Schulmilchspeisung ;im Etat erreichen. Wir schlagen in dem Antrag vor, 30 Millionen DM aus dem Ansatz für Vorratshaltung herauszunehmen und sie für eine Verbilligung von Schulmilch, also von Milch, bevor sie zu Butter wird, einzusetzen. Wir sind zwar der Auffassung, daß dieser Betrag nicht ausreicht, allen Schulkindern ein verbilligtes Schulm»ilchfrühstück zur Verfügung zu stellen, aber wir möchten damit doch eine Weichenstellung in Richtung auf ein verbilligtes Milchfrühstück anstreben.Wir können darauf hinweisen, daß wir uns mit unserem Antrag in Übereinstimmung mit den Auffassungen und Erklärungen des Herrn Landwirtschaftsministers Höcherl befinden. Außerdem ist ein von uns gestellter Antrag zur Schulmilchspeisung von den Mitgliedern aller Fraktionen im Ernährungsausschuß sehr positiv beurteilt worden. Also auch hier besteht eine Übereinstimmung. Zu guter Letzt darf ich noch darauf hinweisen, daß es hier um ein Problem geht, das auch von der EWG her positiv bewertet wird. Der Antrag ist also »auch EWG-konform.
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LogemannIch bitte, Herr Präsident, diesen Antrag dem Ausschuß zu überweisen.
Sie wollen den Antrag auf Umdruck 625 dem Ausschuß überwiesen wissen? Hier handelt es sich aber auch um einen Änderungsantrag zu einem Haushaltstitel. Es hat doch keinen Sinn, einen Antrag einem Ausschuß zu überweisen, wenn über den Haushalt zu entscheiden ist. Ich meine, wir stimmen ab.
Wir stimmen zunächst über den Antrag Umdruck 624 ab. Wer stimmt ihm zu? — Danke. Die Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 625, der eben begründet worden ist. Wer stimmt ihm zu? — Danke. Die Gegenprobe! Auch hier ist das letzte die Mehrheit; der Antrag ist ebenfalls abgelehnt.
Dann liegen noch zwei Entschließungsanträge der Fraktion der FDP vor, der eine auf Umdruck 6021. Soll der auch begründet werden?
Ferner Umdruck 634**), ebenfalls ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP.
— Ebenfalls Ausschußüberweisung. Überweisung an den Ernährungsausschuß?
— Und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und nach § 96 der Geschäftsordnung. Also: beide Anträge sollen überwiesen werden an den Ernährungsausschuß — federführend — und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und nach § 96 der Geschäftsordnung. Diese Überweisungsvorschläge sind vom Hause akzeptiert.
Änderungen am Einzelplan 10 sind nicht beschlossen worden, also braucht über ihn nicht gesondert abgestimmt zu werden.
Ich rufe den Einzelplan 11 zur Abstimmung auf. Dazu liegen Entschließungsanträge vor, ein Antrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 612 ***) und ein Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Umdruck 621 ****). Soll der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP begründet werden? — Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der § 56 des Bundesversorgungsgesetzes ist vor einiger Zeit vom Hohen Hause wiederhergestellt worden. Es handelt sich um die Berichtspflicht der Bundesregierung. Die Gespräche der letzten Wochen und Monate — das Gespräch der Koalitionsfraktionen und das mit dem Bundeskanzler — haben ergeben, daß
*) Siehe Anlage 6 **) Siehe Anlage 7 ***) Siehe Anlage 8 ****) Siehe Anlage 9 zum 1. Januar -1970 eine Anpassung erfolgen soll. Auf Grund dieser Tatsache haben wir Ihnen diesen Entschließungsantrag vorgelegt, weil wir der Auffassung sind, daß der Entschließungsantrag, der von der CDU/CSU und der SPD vorgelegt worden ist, nicht gewährleistet, daß am 1. Januar 1970 eine solche Anpassung, wie sie vorgesehen ist, erfolgen kann. Er entspricht aus den Gründen nicht den Vorstellungen, die in die Öffentlichkeit getragen worden sind, weil eine Berichterstattung auf alle Fälle noch durch diese Bundesregierung und eine Verabschiedung noch durch diesen Bundestag sichergestellt sein muß, wenn zum 1. Januar 1970 die Anpassung in Kraft treten soll.
Da wir erst am 28. September die Wahlen haben und die Bildung der Bundesregierung auf alle Fälle einige Wochen dauern wird, ist es unmöglich, daß zum 1. Januar 1970 die Kriegsopferrenten angepaßt werden. Unser Entschließungsantrag enthält daher die Aufforderung an die Bundesregierung, dem Hohen Hause diesen Bericht bis zum 30. April 1969 vorzulegen und gleichzeitig ein Anpassungsgesetz, Herr Kollege Maucher, vorzulegen, das das Jahr 1969 mit berücksichtigt. Das ist nicht schwierig, Herr Kollege Maucher. Nachdem der Herr Bundeswirtschaftsminister auch schon die Zahlen für 1969 sehr genau weiß, ist es nicht schwierig, diese Zahlen in einen Gesetzentwurf mit einzubauen, der von diesem Hohen Hause noch verabschiedet wird, damit vom 1. Januar 1970 an die Kriegsopferrenten, wie auch von Ihnen versprochen, wirklich angehoben werden können.
Das Wort zur Begründung des Entschließungsantrags Umdruck 621 hat der Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schmidt sprach davon, daß der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Umdruck 621 nicht den Vorstellungen der Öffentlichkeit über die weitere Entwicklung im Bereich der Kriegsopferversorgung entspreche. Herr Schmidt, Sie wissen doch sehr gut, daß wir mit der Wiederherstellung des § 56 des Bundesversorgungsgesetzes nichts anderes getan haben als das, was die Kriegsopferverbände seit Jahren gefordert haben. Wir haben den alten Zustand wiederhergestellt, der ursprünglich mit dem Dritten Neuordnungsgesetz erreicht worden war, und dieser Wiederherstellung des alten Zustandes haben die Kriegsopferverbände in vollem Umfang zugestimmt. Ich frage mich, was Sie eigentlich wollen.
— Bitte schön, Herr Schmidt!
Herr Kollege Glombig, würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß es zweifellos besser gewesen wäre, § 56 gar nicht erst zu verändern, wie es unser Wunsch und
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12474 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 226. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. März 1969
Schmidt
Wille war? Dann hätten wir diese Debatte gar nicht gehabt.
Gewiß wäre das besser gewesen, aber Sie wissen ja auch, daß die Veränderung des § 56 des Bundesversorgungsgesetzes auf Grund einer wirtschaftlichen Entwicklung notwendig geworden ist, für die Sie ja in der Zeit, bevor die Große Koalition gebildet worden ist, mitverantwortlich gewesen sind.
Man muß doch mit aller Deutlichkeit herausstellen, daß das eben nur eine Folgemaßnahme auf Grund der Entwicklung des Jahres 1966 und von vorher gewesen ist.
Herr Kollege Glombig, können Sie mir sagen, wo in § 56 expressis verbis irgendwelche finanziellen Auswirkungen erwähnt sind, die mit der mittelfristigen Finanzplanung damals in irgendeinem Zusammenhang standen?
Herr Schmidt, Ihr Antrag auf Umdruck 612 zeigt doch ganz klar, daß ein Bericht nach § 56 völlig wertlos ist, wenn mit ihm nicht gleichzeitig oder unmittelbar danach auch ein Gesetzentwurf vorgelegt wird, der die entsprechenden Konsequenzen aus diesem Bericht zieht. Alles andere wäre barer Unsinn. Da Sie das auch wissen, haben Sie den Antrag gestellt, diesen Bericht zum 30. April dieses Jahres vorzulegen. Ich meine vor gar nicht langer Zeit gehört zu haben, daß Sie die Vorlage des Berichtes zum 15. April gefordert hätten. Sie haben sich das wohl inzwischen überlegt und diese Frist bis zum 30. April hinausgeschoben. Sie wissen genau, daß weder der Bericht noch der Gesetzentwurf bis zum 30. April vorgelegt werden können, und zwar aus zwei Gründen: einmal, weil es an den notwendigen Finanzen für das Haushaltsjahr 1969 fehlt, und zum anderen, weil, wenn wir jetzt nur unter Berücksichtigung der Jahre 1967 und 1968 eine Erhöhung z. B. der Grund- und Ausgleichsrenten vornähmen, die Erhöhung dieser Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz noch nicht einmal 100/0 betragen würde. Ich müßte Sie eigentlich fragen: Ist es von Ihnen gewollt, eine so geringe Anhebung der Leistungen in der Kriegsopferversorgung zu erzielen?
Herr Kollege Glombig, darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir die Frist bis zum 30. April deshalb vorgesehen haben, damit die Bundesregierung Gelegenheit hat, die Dinge in der Osterpause zu bearbeiten,
und daß wir dem Hohen Hause ansonsten einen solchen Antrag unter Einschluß des Jahres 1969, der ein Inkrafttreten zum 1. Januar 1970 vorsieht, vorlegen werden.
Herr Schmidt, die Bundesregierung sollte doch nur auf Grund eines Berichtes ein Anpassungsgesetz erarbeiten, in dem für die Anhebung der Kriegsopferrenten das volle Jahr 1969 berücksichtigt wird. Sie wollen doch ebenso wie wir, daß das volle Jahr 1969 Berücksichtigung findet. Das kann allerdings, so meine ich, erst im letzten Viertel des Jahres 1969 geschehen. Den Bericht und einen konkreten Gesetzentwurf früher vorzulegen, würde ich, wie gesagt, auch im Interesse der Kriegsopfer nicht für richtig halten. Ich glaube, das würde gegen das Interesse der Kriegsopfer verstoßen.Herr Schmidt, wenn Sie es mit Ihrem Antrag wirklich ernst meinen und wenn das nicht nur ein Antrag im Hinblick auf das Wahljahr 1969 ist, hätten Sie doch das wahr machen können, was Sie den Kriegsopferverbänden immer wieder angekündigt haben. Sie hatten nämlich angekündigt, daß, wenn die Parteien der Regierungskoalition keinen oder einen nach Ihrer Auffassung nicht ausreichenden Gesetzentwurf bis zum Anfang dieses Jahres vorlegen, Sie selbst einen Gesetzesvorschlag vorlegen wollten. Wir sind sehr gespannt darauf, diesen Gesetzesvorschlag zu erleben.Lassen Sie mich jetzt zur Begründung unseres Antrages, des Antrages der Großen Koalition, auf Umdruck 621 kommen. Durch den Gesetzentwurf der SPD, die ursprünglich hinausgeschobene Berichtspflicht der Bundesregierung zur weiteren Anpassung .der Kriegsopferrenten wieder für das Jahr 1969 festzusetzen, sind die Voraussetzungen für eine Erhöhung der Kriegsopferrenten ab 1. Januar 1970 geschaffen worden. Mit dem einhellig verabschiedeten Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes vom 27. Februar 1969, dem ja auch die FDP zugestimmt hat, wurde die ursprüngliche Fassung des § 56 wiederhergestellt und die Bundesregierung verpflichtet — um uns das . noch einmal in Erinnerung zu rufen —, noch in diesem Jahr zu berichten, inwieweit es unter Berücksichtigung der Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und des realen Wachstums der Volkswirtschaft möglich ist, die Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes zu verbessern.Zu dieser Maßnahme — Herr Schmidt, vielleicht hören Sie einmal zu — hat sich das Hohe Haus durch die im Gegensatz zum Jahre 1967 allgemeine günstige Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse veranlaßt gesehen, um damit den Weg für eine Anpassung der Kriegsopferrenten schon im Jahre 1970 frei zu machen.Meine Damen und Herren! Wir haben mit großer Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß der Herr Bundeskanzler den Herrn Bundesminister der Finanzen und den Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung beauftragt hat, bei den vorbereitenden Arbeiten für die Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung für die Jahre 1970 bis 1973 einen Vorschlag für eine fühlbare Verbesserung der Kriegsopferleistungen gemäß § 56 des Bundesversorgungsgesetzes mit Wirkung vom 1. Januar 1970 zu machen; denn andernfalls würde es ab 1. Januar 1970 zu keiner Erhöhung der- Kriegsopferleistungen kommen können.
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GlombigDie SPD hat darüber hinaus erklärt, sie würde anläßlich der Verabschiedung des Bundeshaushalts 1969 dafür eintreten, daß der Bundestag die Bundesregierung auffordert, im Rahmen der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung die Voraussetzungen für eine Anpassung der Kriegsopferrenten ab 1. Januar 1970 zu schaffen. Da eine ähnliche Erklärung auch vom Bundeskanzler in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der CDU abgegeben worden ist, haben die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD es für notwendig gehalten, hier bei der dritten Beratung des Haushaltsgesetzes 1969 beim Einzelplan 11 auch ihrerseits zu unterstreichen, daß sie eine Anpassung der Kriegsopferrenten vom 1. Januar 1970 an für unbedingt erforderlich halten.Ich sage das noch einmal mit so großem Nachdruck, damit es Ihnen in den nächsten Wochen oder Monaten nicht einfällt, zu sagen, wir wollten hier ein Manöver vollziehen. Es ist uns sehr ernst mit dieser Erhöhung der Kriegsopferleistungen zum 1. Januar 1970.
Mit dem Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag soll die Ernsthaftigkeit unseres Wollens dokumentiert werden und zum Ausdruck kommen, daß der 5. Deutsche Bundestag, gleichgültig, wie die neue Regierung aussehen wird, eine Anpassung der Kriegsopferrenten von diesem Zeitpunkt an für dringend notwendig hält. Wir zweifeln nicht daran, daß das auch die Auffassung des 6. Deutschen Bundestages sein wird, nachdem die Koalitionsparteien eindeutig ihren Willen bekundet haben. Ganz gleich, wie die Konstellation nach dem 28. September aussehen wird: dieser eindeutig bekundete Wille der größten Parteien dieses Hauses wird auch für die kommenden Entscheidungen die Grundlage bieten.Wenn ich hier von Anpassung der Kriegsopferrenten spreche, so meine ich natürlich alle wesentlichen Rentenleistungen des Bundesversorgungsgesetzes und nicht allein die Grundrenten.Wir erwarten den Bericht der neuen Regierung zum frühestmöglichen Zeitpunkt, d. h. zu einem Zeitpunkt — um auch das noch einmal klarzustellen —, der der Entwicklung des gesamten Jahres 1969 und nicht nur eines Teils des Jahres Rechnung trägt. Nur das entspricht dem Interesse der Kriegsopfer. Ihr Antrag würde dem Interesse der Kriegsopfer unmittelbar widersprechen. Die gesetzlichen Maßnahmen sind sofort nach Vorlage des Berichts in die Wege zu leiten. Ich zweifle nicht daran, daß das Bundesarbeitsministerium bereits jetzt an diesen gesetzlichen Grundlagen zu arbeiten anfängt; denn wir haben vernommen, daß das Bundesarbeitsministerium demnächst auch ein Gespräch mit den Vertretern der Kriegsopferverbände deswegen führen wird.Wir würden es auch begrüßen, wenn uns der Bericht über alle wichtigen Zusammenhänge der Kriegsopferversorgung Aufschluß gibt, damit wir eine brauchbare Hilfe für unsere Gesetzgebungsarbeit erhalten.Ich bin überzeugt, daß wir uns alle wie bisher so auch künftig einig sind in der Verpflichtung, den Kriegsopfern im Hinblick auf die Schwere ihres für die Allgemeinheit erbrachten Opfers eine möglichst ausreichende und würdige Versorgung zu gewährleisten. Ich hoffe: die große Mehrheit der Kriegsopfer ist davon überzeugt, daß uns daran liegt, dieses Ziel auch durch die Mitarbeit der Kriegsopfer selbst zu erreichen, und daß es nicht allein darauf ankommt, hier nur Anträge im Wahljahr zu stellen, sondern daß es sich um eine kontinuierliche Arbeit an der Verbesserung der Kriegsopferversorgung handeln muß.
Das Wort hat der Abgeordnete Maucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, wir sind in vorgerückter Stunde. Aber die Frage ist so bedeutungsvoll, daß wir nicht darauf verzichten dürfen, auch von unserer Fraktion aus noch ein Wort zu sagen.Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die Erklärung des Bundeskanzlers in Verbindung mit dem Bundesfinanzminister und dem Bundesarbeitsminister, wonach die Krangsopferrenten ab 1. Januar 1970 gemäß § 56 angepaßt werden. Auf Grund dieser Tatsache darf ich folgendes feststellen, Herr Kollege Schmidt. Ihr Antrag beinhaltet im Grunde genommen das gleiche, erweckt aber in der Öffentlichkeit den Eindruck, als ob man von hier aus dein nächsten Bundestag und der nächsten Bundesregierung nicht zumuten wollte, diese klare Zusage einzulösen. Sie haben anscheinend die Ausführungen des Bundesfinanzministers vorhin nicht gehört. Wenn Sie aufgepaßt und zugehört hätten, hätten Sie festgestellt, daß die konjunkturdämpfenden Maßnahmen nicht endgültig sind, sondern daß man die Zeit bis Juli beobachten will. Angesichts dessen kann man nicht im April mit einer Hochrechnung feststellen, wie die Situation aussehen wird. In der Tat würden Sie mit diesem Antrag den Kriegsopfern den schlechtesten Dienst erweisen. Die Kriegsopfer wollen nämlich, daß die wirtschaftliche Entwicklung des Jahres 1969 bei. der Anpassung mit berücksichtigt wird.
Wenn das nicht der Fall ist — und nach Ihrem Antrag ist es nicht möglich —, bekommen die Kriegsopfer die nächsten zwei Jahre eine geringere Anpassung. Das ist der Tatbestand, über den wir uns nicht hinwegsetzen wollen.Im übrigen darf ich kurz und bündig feststellen: bei der Entscheidung über den § 56 hat die Fraktion der CDU/CSU durch mich erklären lassen, daß die Änderung des § 56 nicht nur formell ist, sondern daß die CDU/CSU-Fraktion bereit ist, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Das ist auch der Sinn dieser Entschließung, mit der wir uns hinter die Erklärung der Bundesregierung und des Bundeskanzlers stellen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Klarstellung einiger Dinge habe ich mich leider noch einmal melden müssen.
Herr Kollege Maucher, unser Antrag hat eben nicht den gleichen Inhalt wie Ihr Antrag. Er ist auch kein Mißtrauensantrag oder Verschiebeantrag, der zum Ausdruck brächte, daß die nächste Bundesregierung das nicht machen könnte, sondern er geht von den realen Tatsachen aus. Herr Kollege Glombig hat selbst gesagt, Sie wollen mit Ihrem Antrag die Endabrechnung 1969 haben. Diese Endabrechnung haben Sie im Januar oder Februar 1970. Wenn die Bundesregierung dann einen Gesetzentwurf einbringt, kann er frühestens im April oder Mai des nächsten Jahres verabschiedet werden. Genau das habe ich vorhin gesagt. Deshalb wollen wir den Bericht jetzt zum 30. April haben. Deshalb wollen wir die immer so gelobten Vorausberechnungen Ihrer Bundesregierung für das Jahr 1969 einbeziehen. Sie führen diese Zahlen doch immer an. Warum soll man sie nicht auch in diese Planung hineinnehmen können, wenn Sie sie in andere Planungen hinneinnehmen? Nichts anderes wollen wir.
Zur Abstimmung selbst darf ich sagen: wir bitten um sofortige Abstimmung über den Antrag, nicht um seine Überweisung.
Damit ist die Debatte geschlossen.
Meine Damen und Herren, es ist klar, daß angesichts des Inhalts der beiden Anträge sofortige Abstimmung notwendig ist; eine Ausschußüberweisung ist unzweckmäßig.
Wir stimmen zunächst über den Antrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 612 ab. Wer stimmt ihm zu? — Danke. Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Dann stimmen wir über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Umdruck 621 ab. Wer .stimmt diesem Antrag zu? — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Damit ist auch der Einzelplan 11 erledigt.
Wir kommen zum Einzelplan 12. Hier liegen Entschließungsanträge vor, und zwar zunächst ein Antrag der beiden Regierungsfraktionen auf Umdruck 620 *). Soll der Antrag begründet werden? — Der Antrag wird nicht begründet. Ein zweiter Antrag, ebenfalls der Regierungsfraktion, liegt auf Umdruck 627 **) vor. Auch dieser Antrag wird nicht begründet.
Wir stimmen zunächst über den Entschließungsantrag auf Umdruck 620 ab. Wer stimmt ihm zu? —
*) Siehe Anlage 10 **) Siehe Anlage 11
Danke. Die Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Fraktion der FDP ist dieser Antrag mit großer Mehrheit angenommen.
Wir stimmen dann über den Entschließungsantrag Umdruck 627 ab. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen wollen, um ein Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Fraktion der FDP ist dieser Antrag ebenfalls mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe dann den Einzelplan 29 auf. Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der Regierungskoalition auf Umdruck 622 ***) vor. Zur Begründung der Abgeordnete Exner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entschließungsantrag auf Umdruck 622 zum Einzelplan 29 befaßt sich mit dem Familienlastenausgleich. Lassen Sie mich dazu folgende kurze Ausführungen zur Begründung machen.In der Nr. 1 des Entschließungsantrags wird grundsätzlich die Bedeutung eines Familienlastenausgleichs hervorgehoben. In diesem Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß dieses Hohe Haus bereits bei der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 1967 eine Entschließung angenommen hat, in der die Bundesregierung aufgefordert wurde, bei der Konzipierung der mehrjährigen Finanzplanung einen Familienlastenausgleich gleich mit einzuplanen. Es ist darauf hinzuweisen, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Rede am 20. Januar 1967 die Notwendigkeit einer Reform des Familienlastenausgleichs vor diesem Hause ebenfalls betont hat. Niemand wird heute behaupten wollen, daß in der Zeit, die seitdem verstrichen ist, die Notwendigkeit des Familienlastenausgleichs etwa geringer geworden sei. Das Gegenteil ist sicherlich der Fall.In Nr. 1 wird zur Zielsetzung eines solchen notwendigen Familienlastenausgleichs daran erinnert, daß es darauf ankommt, die direkten Kindergeldzahlungen und die steuerlichen Vergünstigungen über Freibeträge bei der Einkommensteuer in einem einheitlichen System zusammenzufassen.Meine Damen und Herren, wer heute morgen die Zeitungen gelesen hat und wer das Zustandekommen dieser Entschließungen kennt, der wird es mir verzeihen, daß ich an dieser Stelle ein paar ergänzende Erläuterungen gebe. Dieser Satz war ursprünglich in der von uns konzipierten Entschließung nicht enthalten. Obwohl dieser Grundsatz, daß diese Leistungen zu einem neuen System vereinheitlicht werden sollen, im Aktionsprogramm der CDU steht und obwohl wir ihn noch vor drei Wochen auf unserem Familienkongreß in Oberhausen erneut unterstrichen haben, ist dieser Satz auf Wunsch der SPD hineingekommen. Das möchte ich an dieser Stelle sehr nachdrücklich sagen.
***) Siehe Anlage.12
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ExnerBekanntlich können die niedrigen Einkommensgruppen die Steuervergünstigungen zum Teil gar nicht, zum Teil nur in einem geringfügigen Maße in Anspruch nehmen, wohingegen die höheren Einkommensgruppen auf Grund der Steuerprogression diese Vergünstigungen in überproportionalem Maße genießen können. Hier sollen also in einem Familienlastenausgleich neue Regelungen gefunden werden. Niemand wird bestreiten wollen, daß es hier Ungerechtigkeiten, Ungereimtheiten gibt, die es zu beseitigen gilt.Der Familienlastenausgleich soll also insgesamt wirksamer, sozialer und gerechter werden. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß auch die Bundesregierung in ihrem Finanzbericht 1969, den sie am 4. September 1968 beschlossen hat, diesen Grundsatz noch einmal herausgestellt hat. Ebenso hat der Bundesrat dem in seiner Stellungnahme zum Finanzbericht zugestimmt.Niemand wird bei nüchterner Beurteilung der Sachlage annehmen wollen, daß der neue Bundestag in einem raschen Anlauf eine grundlegende Reform des Familienlastenausgleichs verwirklichen kann. Andererseits wird man kaum noch lange Zeit mit einer wirksamen und fühlbaren Aufbesserung der Leistungen für kinderreiche Familien warten können. Daher wird die Bundesregierung in Ziffer 2 des Antrages aufgefordert, bei der Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes sicherzustellen, daß die bisher erst für 1972 vorgesehene Verbesserung des Kindergeldes noch im Laufe des Jahres 1970 vorgenommen werden kann.Lassen Sie mich dazu noch an folgende Grundtatbestände erinnern. Das Kindergeld für das zweite Kind ist letztmalig im Jahre 1961 angehoben worden. Die Leistungen vom dritten Kind an sind letztmalig 1964 angehoben worden. Nach den Unterlagen des Statistischen Bundesamtes sind aber seit 1964 die Lebenshaltungskosten um rund 15 % gestiegen. Die Stundenlöhne der männlichen Arbeitnehmer sind im gleichen Zeitraum von 1964 bis 1969 von 3,94 DM auf 5,31 DM — das sind 34 % — und die Wochenlöhne der männlichen Arbeitnehmer im gleichen Zeitraum von 175 DM auf 238 DM gestiegen; das entspricht einer Steigerung um 36 %. Niemand wird bestreiten wollen, daß damit sichtbar wird, daß die Leistungen für kinderreiche Familien in der zurückliegenden Zeit deutlich hinter der wirtschaftlichen Entwicklung zurückgeblieben sind und daß die Familienleistungen im Vergleich zu der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nicht so angestiegen — —
Lassen Sie mich noch erwähnen, daß in keinem Bereich unseres Systems sozialer Sicherheit — der Rentenversicherung, des Lastenausgleichs, der Sozialhilfe oder das Arbeitslosengeld — die Leistungen so deutlich zurückgeblieben sind; im Gegenteil, hier sind die Leistungen zum Teil noch stärker gestiegen als die wirtschaftliche Entwicklung.Die Bundesregierung hat in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen, erst im Jahre 1972 einen zusätzlichen Betrag von 200 Millionen DM einzusetzen. Wir bitten die Bundesregierung in diesem Antrag, diese Mittel bereits im Jahre 1970 einzusetzen.Ich darf Sie bitten, dem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort wird hierzu nicht weiter begehrt. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.— Die Gegenprobe! — Der Antrag ist, soweit ich sehe, einstimmig angenommen.Ich rufe den Einzelplan 31 auf: Auch dazu liegen Entschließungsanträge vor: auf Umdruck 611 *) ein Entschließungsantrag der Abgeordneten Frau Geisendörfer, Flämig, Dr. Mühlhan und Genossen und der Fraktionen der CDU und SPD, auf Umdruck 616 ** ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP. Sollen die Anträge begründet werden?
— Frau Geisendörfer hat ihre Begründung bereits im Laufe des Vormittags zu Protokoll gegeben. ***)
Wird der Antrag der Fraktion der FDP begründet? — Das ist nicht der Fall.Wir stimmen ab; zunächst über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Umdruck 611. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu?— Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP. Wer stimmt diesem Antrag zu?
— Es besteht Einverständnis, daß Ausschußüberweisung erfolgen soll.
Überweisung an den Wissenschaftsausschuß. Einverstanden? — Es ist so beschlossen.Dann rufe ich das Haushaltsgesetz selber auf. Hierzu liegen Entschließungsanträge auf Umdruck 614 ****) —ein Antrag der Abgeordneten Dr. Conring, Dr. Siemer und der Fraktion der CDU/CSU — und auf Umdruck 629 *****) — ein Entschließungsantrag der Abgeordneten Stücklen, Wagner, Dr. Althammer, Schlager und der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD — vor. Wird zur Begründung des Wort ge-*) Siehe Anlage 13**) Siehe Anlage 14 ***) Siehe Anlage 18 ****) Siehe Anlage 15 *****) Siehe Anlage 16
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Vizepräsident Schoettlewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Schlager.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nur um einige mögliche Mißdeutungen dieses Antrages von vornherein auszuschließen, darf ich feststellen, daß sich die Antragsteller voll mit dem geltenden Recht in Übereinstimmung befinden. Ich verweise auf das Jugendwohlfahrtsgesetz, das ausdrücklich bestimmt, daß Träger der freien Jugendhilfe nur unterstützt werden dürfen, wenn sie die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit und für eine sachgerechte, zweckentsprechende und wirtschaftliche Verwendung der Mittel bieten. Ähnliche Regelungen, wie wir sie hier vorschlagen, enthalten auch das Häftlingshilfegesetz und das Bundesvertriebenengesetz. Beide Gesetze bestimmen, daß von öffentlichen Zuwendungen auszuschließen ist, wer die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpft. Gleiches bestimmen auch andere Gesetze, wie beispielsweise das Wiedergutmachungsgesetz für den öffentlichen Dienst.
Studenten, meine Damen und Herren, müssen sich auch daran gewöhnen, daß sie nicht anders behandelt werden können als jeder andere Bürger auch. Der Steuerzahler hat ein Recht auf eine wirtschaftliche, zweckentsprechende und sachgerechte Verwendung der Steuergroschen. Ich weiß nun nicht, inwieweit bisher schon durch den Bundesrechnungshof und die Landesrechnungshöfe die sachgemäße und ) wirtschaftliche Verwendung der öffentlichen Mittel bei Zuwendungen an die Studentenschaft geprüft worden ist. Es pfeifen ja die Spatzen von den Dächern, daß hier nicht überall alles zum besten steht. Ich hoffe, daß die Regierung auch hier im Sinne unseres Antrags sicherstellt, daß die Verwendung der öffentlichen Mittel künftig mit mehr Nachdruck überprüft wird.
Im übrigen begrüßen wir es, daß die Regierung bereits gestern im Vorgriff auf diesen Entschließungsantrag die Mittel für den VDS gesperrt hat. Auch jene kleine Minderheit der Studentenschaft, die hier angesprochen ist, muß begreifen, daß ein Staat, der seinen Bürgern ein Höchstmaß an persönlicher, politischer und wirtschaftlicher Freiheit gewährt, nicht noch öffentliche Mittel zur Bekämpfung seiner demokratischen Grundordnung geben kann. Auch die Öfefintlichkeit versteht es nicht mehr, daß wir immer mit so viel Langmut der kleinen radikalen Minderheit gegenübertreten. Wir würden zudem auch die ganz überwiegende Zahl der Studenten vor dein Kopf stoßen, die fest auf dem Boden unserer demokratischen Grundordnung stehen und die auch studieren wollen.
Wir müssen künftig dem geltenden Recht, wie ich vorhin erklärt habe, mehr Nachdruck verleihen. Das ist auch deshalb nötig, weil unsere Langmut gegenüber der radikalen Minderheit von dieser langsam als Schwäche ausgelegt wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lohmar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Begründung, die der Kollege Schlager gegeben hat, ist .ein interessantes Beispiel dafür, daß man aus unterschiedlichen Gründen zu den gleichen Resultaten kommen kann.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat diesen Entschließungsantrag gemeinsam mit der CDU/CSU eingebracht. Wir möchten damit der Bundesregierung Maßstäbe an die Hand geben, von denen sie sich leiten lassen kann. Die Regierung hat nur, gestern bereits im Vorgriff auf die heutige Beratung eine Entscheidung in Sachen Verband Deutscher Studentenschaften veröffentlicht, bei der sie von etwas anderen Maßstäben ausgegangen ist, als sie in dem Antrag der beiden Regierungsfraktionen heute zum Ausdruck kommen. Das liegt vielleicht an mangelnder Information. Es hätte aber nicht schaden können, wenn die Bundesregierung erst einmal die Beratungen im Bundestag abgewartet hätte, bevor sie ihre Entscheidung traf und dann auch noch publizierte.Uns geht es nicht darum, der Regierung eine Vollmacht für einen „Maulkorberlaß" zu geben.
Der Vorsitzende der SPD, Herr Brandt, hat kürzlich darauf aufmerksam gemacht, daß wir uns nicht in eine Existenzkrise des Staates hineinreden lassen dürfen. Das, was dieser Antrag enthält, versteht sich deshalb eigentlich von selbst und bedarf keiner besonderen Betonung.Allerdings gibt es gegenwärtig innerhalb der Studentenschaft Gruppen, die dazu neigen, die Anwendung von Gewalt nicht mehr als eine Frage demokratischer Prinzipien in der innenpolitischen Auseinandersetzung, sondern als eine Sache der taktischen Zweckmäßigkeit zu betrachten. Um noch einmal auf die Rede von Herrn Brandt zurückzukommen, den ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren darf: „Wer sich mit Gewalt revolutionär gebärden will, den muß man in diesem Anspruch ernst nehmen und ihm entsprechend hart begegnen. Terror muß gebrochen werden." Dazu reicht nach Meinung meiner Fraktion die Anwendung der bestehenden Gesetze aus.Für den Staat stellt sich allerdings die zusätzliche Frage, ob er Gruppen, die Gewaltanwendung als ein legitimes Mittel des innenpolitischen Kampfes betrachten, finanziell fördern kann. Wir sagen dazu klar und eindeutig: nein. Ich möchte jedoch diesem Nein hinzufügen, daß wir damit keine Politik und keine Maßnahme der Bundesregierung billigen, die eine Steuerung oder Drosselung selbst harter politischer Debatten über die innere Ordnung unseres Staates zum Ziel haben. Dabei muß selbstverständlich sein, daß die verfassungsmäßige Ordnung von allen als Grundlage akzeptiert wird. Aber die Grenze muß bei der Anwendung von Gewalt gezogen werden, nicht bei der Bewertung politischer Überzeugungen, die von der einen oder anderen
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Dr. LohmarPartei auch hier in diesem Hause vielleicht nicht geteilt werden.Die parlamentarische Demokratie muß die Kraft aufbringen, sich in ihrer Entwicklung und in ihren notwendigen Reformen selber kritisch in Frage stellen zu lassen. Demokratie ist kein Zustand, sondern ein Entwicklungsprozeß, eine immerwährende Auseinandersetzung um die Tragfähigkeit von Ideen und von Meinungen. Wir wollen diesen Kampf um die Geltung von politischen Auffassungen mit dem vorliegenden Antrag nicht unterbinden, sondern sichern. Denn lediglich die Anwendung von Gewalt ist es, die sich mit einer offenen und öffentlichen Debatte um die Gestaltung unserer Gesellschaft in keinem Fall vereinbaren läßt. Wer die Wahrheit nur bei sich selber vermutet und zudem andere daran hindern will, für ihre Überzeugungen zu streiten, der verletzt nicht nur demokratische Spielregeln, sondern er untergräbt die Chance zu einer inhaltlichen Reform der demokratischen Gesellschaft. Weil wir Sozialdemokraten dafür eintreten, Kritik und Reform in dieser unserer Demokratie zu gewährleisten, deshalb sagen wir nein zu denen, die das Argument durch eine unkritische Selbstsicherheit und durch Gewalt verdrängen wollen.Wir appellieren an die große Mehrheit der Studenten, denen es wie uns um eine rationale Argumentation und um Reformen geht, hier fest zu bleiben; denn das Resultat der Gewalt zugunsten einer vermeintlichen Revolution wäre nicht die Reform, sondern die politische Reaktion. Sie aber würde mit Sicherheit das Ende einer Politik bedeuten, die auf gesellschaftlichen Fortschritt, auf politische Freiheit und auf intellektuelle Offenheit gerichtet ist.
Das Wort hat der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte das Wort zu dieser späten Stunde und zu dieser Sache nicht genommen, wenn hier nicht das Wort „Maulkorb" gefallen wäre. Aber so bitte ich Sie um Entschuldigung, daß ich Sie behelligen muß. Ich bin eines der Mitglieder der Bundesregierung, unter deren Einzelplan, nämlich unter dem Einzelplan 27, Mittel für den Verband der Deutschen Studentenschaften ausgewiesen sind, und ich kann es dem Rechnungshof und meinen Beamten gegenüber nicht verantworten, daß hier Gelder zweckentfremdet verwendet werden.
Solange nicht die Gewähr der zweckentsprechenden Verwendung gegeben ist, so lange kann man es dem Steuerzahler, kann man es der Öffentlichkeit und kann man es diesem Parlament gegenüber nicht verantworten, diese Mittel auszuzahlen. Das ist das einzige, was uns gestern Veranlassung war, nicht die Lust am „Maulkorb" und schon gar nicht die Lust, Ihnen zuvorzukommen. Wir waren uns darüber klar, daß hier ein Antrag vorliegen wird, aber
für uns ging es um die Frage: kann man das verantworten?, um nichts anderes.
Hier muß man sagen: Vier von den fünf Herren, die dort mit solchen Geldern zu tun gehabt haben, haben doch wohl, wenn ich nicht völlig irre und falsch informiert bin, öffentlich erklärt, daß diese Mittel zweckentfremdet verwendet worden sind. Wenn das so ist, möchte ich den sehen, der eine Regierungsverantwortung trägt und dann sagt: Lassen wir das ruhig einmal eine Weile so laufen!
Das kann man nicht eine Weile laufen lassen.
Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit erklären: Die Gelder, die beim Einzelplan 05, beim Einzelplan 06, beim Einzelplan 27, beim Einzelplan 29 für diesen Zweck ausgewiesen sind — ich kann für die anderen nicht sprechen, aber das war der Sinn der gestrigen Erörterungen —, sehen wir jetzt einmal von den Personalausgaben ab, die in den Beträgen des Einzelplans 29 enthalten sind, werden nicht für etwas anderes verwendet, die stehen zur Verfügung, wenn es wieder eine Dachorganisation der Studenten gibt, die wirklich für alle sprechen kann.
Aber man kann hier doch nicht die Ausgabe von Mitteln verantworten, von denen die Betroffenen selber sagen, sie hätten sie für völlig andere Zwecke verwendet. Das war es.
Ich muß Ihnen sagen: deswegen erregt mich ein Wort wie „Maulkorb", wenn es in diesem Zusammenhang hier fällt.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Herr Kollege Dr. Lohmar hat gesagt, was hier stehe, sei eine Selbstverständlichkeit. Ich frage mich, warum Sie diese Selbstverständlichkeit als Entschließung zur Abstimmung stellen, denn Selbstverständlichkeiten brauchen ja nicht Inhalt einer parlamentarischen Entschließung zu sein.Nachdem ich mir allerdings die Begründungen von allen drei Seiten angehört habe, scheint mir doch mehr dahinterzustecken als eine Selbstverständlichkeit. Vermutlich meint jeder etwas anderes als den reinen Text, und das macht uns bedenklich. Sie verstärken mit dieser Entschließung unsere Bedenken, die wir von dieser Stelle schon mehrfach ausgesprochen haben, daß Sie nämlich die wirklichen Ursachen der Unruhen in unserer Jugend nicht begriffen haben.
Von dem ersten Ausspruch „Landgraf, werde hart!" über die Verweigerung von Kunstpreisen bis zu dem Ruf „Kein Honnefer Modell für rebellie-
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Frau Funckerende Studenten!", von der Forderung, die Studenten von der Hochschule zu werfen, bis zu diesem parlamentarischen Antrag zieht sich ein roter Faden. Meine Herren und Damen, dagegen haben wir Bedenken. Gestern noch haben neun Ministerpräsidenten statt einer Hochschulreform eine Hochschuldisziplinarordnung beschlossen; zu mehr hat es nicht gereicht. Ich bin sehr dankbar dafür, daß der nordrhein-westfälische Innenminister Weyer gesagt hat: Das unterschreiben wir nicht; das unterschreiben wir erst dann, wenn wir auch eine anständige Hochschulreform haben.
— Das haben sie gemeinsam gesagt.Es ist nicht zuletzt das Wie unseres Tuns und unserer Haltung, das die Unsicherheit und das Mißtrauen der Jugend gegen die Etablierten schürt. Gerade eine solche Häufung von Aktivitäten gegen die Studenten macht mehr Widerstand als Verständnis deutlich, und sei es auch nur eine reine verbale Aktivität, hinter der nach dem, was der Minister für Gesamtdeutsche Fragen gerade gesagt hat, nichts steckt.
— Entschuldigen Sie, natürlich steckt sachlich nichts Neues dahinter, denn die Bundesregierung muß ja doch so handeln; das brauchen wir ihr nicht besonders zu sagen. Es ist doch nur reine Optik.
Was ist denn sachlich Neues darin? In der Sache ist die Bundesregierung bereits nach der Haushaltsordnung gehalten, Zuschüsse nicht dorthin zu geben, wo keine ordnungsmäßige Haushaltsführung sichergestellt ist. Das ist eine Banalität; wir brauchen doch keine Entschließungen, in denen die Haushaltsordnung abgeschrieben wird! Man sollte doch wirklich nur Vernünftiges tun.Wenn es nicht in der Sache begründet ist — und das hat Herr Kollege Lohmar ja mit freundlicher Offenheit gesagt —, dann ist es eben lediglich in der Optik begründet. Aber gerade gegen diese Optik haben wir erhebliche Bedenken. Wir werden uns also — bei Zustimmung in der Sache — der Stimme enthalten, weil wir Bedenken gegen die Optik haben.
In der Sicht der jungen Generation — ich meine hier nicht die radikale, sondern generell die junge Generation — wird in wachsendem Maße der Eindruck verstärkt, daß „die da oben in Bonn" nichts anderes als Diziplinarordnungen u. Disziplinarstrafen im Sinn haben, aber gar nichts zur wirklichen Reform beitragen werden. Schlagen Sie doch lieber endlich wirkliche Reformen vor!
Das Wort wird weiter nicht gewünscht.Meine Damen und Herren, bevor ich über diese Entschließungsanträge zum Haushaltsgesetz abstimmen lasse, rufe ich zur Schlußabstimmung über das Haushaltsgesetz auf. Wer dem Haushaltsgesetz 1969 zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben.— Danke. Die Gegenprobe! — Danke. Enthaltungen? — Das Haushaltsgesetz ist gegen die Stimmen der Fraktion der FDP einstimmig mit den Stimmen der Regierungsfraktionen angenommen.Wir kommen nun zur Abstimmung über die beiden Entschließungsanträge. Da ist zunächst der Antrag auf Umdruck 614 der Abgeordneten Dr. Conring, Dr. Siemer und der Fraktion der CDU/CSU. Wer stimmt dieser Entschließung zu? — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Stimmenthaltung der Fraktion der FDP ist dieser Entschließungsantrag angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag auf Umdruck 629, der von beiden Koalitionsfraktionen kommt. Wer stimmt diesem Antrag zu? — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen?— Bei einigen Stimmenthaltungen ist dieser Antrag ebenfalls angenommen.Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Haushaltsberatungen. Wir haben noch zwei Punkte zu erledigen, die heute vormittag auf die Tagesordnung gesetzt worden sind. Ich rufe zunächst auf:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Kühn , Dr. Jungmann, Frau Blohm, Dr. Schmidt (Gellersen), Reichmann und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes— Drucksache V/3419 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Gesundheitswesen
— Drucksache V/4032 —Berichterstatter: Abgeordnete Frau Lösche
Ich nehme an, daß die Berichterstatterin das Wort nicht wünscht.Wir treten in die zweite Beratung ein. Eine Aussprache wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über das Gesetz. Ich rufe auf Art. 1, Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift. — Wer den aufgerufenen Artikeln zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig beschlossen.Ich rufe auf zurdritten Beratung.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über das Gesetz im ganzen. Wer dem Gesetz zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig beschlossen.
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Vizepräsident SchoettleHier liegt noch ein Entschließungsantrag *) zu dem eben verabschiedeten Gesetz vor. Ich nehme an, er wird nicht begründet. Wir stimmen ab. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist einstimmig angenommen.Ich rufe auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 26. Oktober 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Benutzung niederländischer Hoheitsgewässer und Häfen durch N. S. „Otto Hahn"— Drucksache V/3860 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache V/4048Berichterstatter: Abgeordneter Röhnerb) Schriftlicher Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache V/4036 —Berichterstatter: Abgeordneter Baron von Wrangel
— Nuklearschiff soll das heißen. Das ist dem Nichteingeweihten nicht ohne weiteres eingängig.*) Siehe Anlage 17Der Berichterstatter für den Auswärtigen Ausschuß verzichtet auf das Wort.Wir treten in die Einzelberatung fein. Ich rufe auf Art. 1, Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift. — Wer den aufgerufenen Artikeln zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung einstimmig verabschiedet.Ich rufe auf zurdritten Beratungund eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort wird nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossenn.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch dieses Gesetz ist einstimmig verabschiedet.Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Mittwoch, den 23. April 1969, 9 Uhr.Ich wünsche allen noch Anwesenden — natürlich auch den Abwesenden — eine geruhsame Osterpause, soweit das unter den heutigen Verhältnissen möglich ist.Die Sitzung ist geschlossen.