Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Glückwünsche spreche ich aus dem Herrn Abgeordneten Dr. Elbrächter zum 60. Geburtstag am 20. Februar
und dem Herrn Abgeordneten Kriedemann zum 65. Geburtstag am 1. März.
Folgende Vorlagen der Bundesregierung, die keiner Beschlußfassung bedürfen, sollen gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden:Vorlage des Präsidenten des Europäischen ParlamentsBetr.: Entschließung über die Beschlüsse des Rats der Europäischen Gemeinschaften vom 29. Dezember 1967 betreffend die Beitrittsanträge des Vereinigten Königreichs und weiterer europäischer Länder— Drucksache V/2594 —zuständig: Auswärtiger Ausschuß , Ausschuß für Wirtschaft und MittelstandsfragenVorlage des BundesschatzministersBetr.: Ergebnisse der Entbehrlichkeitsprüfung und der Veräußerung von Bundesgelände zu Zwecken des Wohnungsbaues und der EigentumsbildungBezug: Beschluß des Bundestages vom 18. Mai 1962 und vom 8. Dezember 1966— Drucksache V/2604 —zuständig; Ausschuß für das Bundesvermögen , Ausschuß für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und WohnungswesenVorlage des Sprechers der Deutschen Delegation bei der Beratenden Versammlung des EuroparatesBetr.: Bericht über die Tagung der Beratenden Versammlung des Europarates vom 29. Januar bis 2. Februar 1968 in Straßburg— Drucksache V/2606 —zuständig: Auswärtiger AusschußErhebt sich gegen die beabsichtigte Überweisung Widerspruch? — Ich stelle fest, daß dies nicht der Fall ist.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll der von der Fraktion der SPD eingebrachte Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes — Drucksache V/1724 —, der in der 116. Sitzung am 28. Juni 1967 dem Verteidigungsausschuß überwiesen wurde, auch dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. — Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.Die Tagesordnung soll um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen ergänzt werden. — Das Haus ist damit einverstanden; die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen.Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen.Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 23. Februar 1968 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 160/66/EWG des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Durchführungsgesetz EWG landwirtchaftliche Verarbeitungserzeugnisse)Gesetz zu dem Vertrag vom 29. November 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Uganda über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von KapitalanlagenGesetz zu dein Vertrag vom 11. April 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Tschad über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von KapitalanlagenGesetz über den Beruf des pharmazeutisch-technischen AssistentenZumGesetz über den Beruf des pharmazeutisch-technischen Assistentenhat der Bundesrat ferner eine Entschließung gefaßt, die als Anlage 2 diesem Protokoll beigefügt ist.Der Staatssekretär im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung hat am 14. Februar 1968 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Publikationen der Bundesregierung — Drucksache V/2412 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/2593 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr hat am 29. Februar 1968 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Luftverkehr — Drucksache V/2570 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/2630 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr hat am 4. März 1968 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Europäische Verkehrspolitik — Drucksache V/2591 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache. V/2634 verteilt.Der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern hat am 4. März 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Moersch, Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Dr. Rutschke, Mertes, Dorn, Busse und der Fraktion der FDP betr. Hochschule für Gestaltung Ulm — Drucksache V/2595 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/2637 verteilt.Der Bundesminister für Wirtschaft hat am 8. März 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Burgbacher, Burgemeister und Genossen betr. kartellrechtliche Zulässigkeit der Ausschließlichkeitsbindungen der Mineralölgesellschaften für Kraftfahrzeug-Pflegemittel in ihren Tankstellenverträgen sowie über die kartellrechtliche Zulässigkeit der ergänzenden Verträge mit Pflegemittel-Herstellern und Großhändlern — Drucksache V/2582 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2657 verteilt.Der Bundesminister der Finanzen hat am 14. Februar 1968 die Bekanntmachung der dem Generalsekretär des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens zugegangenen Antworten der Mitgliedstaaten Japan und Tschechoslowakei zur Empfehlung des Rates über gegenseitige Verwaltungshilfe gemäß § 46 Abs. 1 des Deutschen Auslieferungsgesetzes zur Kenntnis übersandt. Das Schreiben liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.
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8156 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968
Präsident D. Dr. GerstenmaierDer Präsident des Bundestages hat gemäß § 96 a der Geschäftsordnung die nachfolgenden, von der Bundesregierung als dringlich bezeichneten Verordnungen dem Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen mit der Bitte um fristgemäße Behandlung überwiesen:Sechsunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zoltlarifs 1967
— Drucksache V/2615 —Siebenunddreißigste Verordnung zur Anderung des Deutschen Zolltarifs 1967
— Drucksache V/2616 —Der Abgeordnete Dr. Effertz hat am 4. März 1968 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Verordnung des Rates über die Finanzierung der Schweinezählung in den Mitgliedstaaten— Drucksache V/2574 —an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im März erfolgen wirdVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 120/67/EWG über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide, insbesondere hinsichtlich der Berichtigung der im voraus festgesetzten Erstattung und der für Italien vorgesehenen besonderen Maßnahmen— Drucksache V/2607 —an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen — mitberatend — mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im März erfolgen wirdVerordnung Nr. 91/68 des Rates vom 23. Januar 1968 über das Gemeinschaftszollkontingent von 20 000 Stück Färsen und Kühen bestimmter Höhenrassen der Tarifnummer ex 01.02 A II des Gemeinsamen ZolltarifsVerordnung Nr. 92/68 des Rates vom 23. Januar 1968 über das Gemeinschaftszollkontingent von 22 000 Tonnen Gefrierfleisch von Rindern der Tarifnummer ex 02.01 A II des Gemeinsamen Zolltarifsan den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend — mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen diese Verordnungen erhoben werdenVerordnung Nr. 84/68 des Rates vom 23. Januar 1968 zur Änderung des Anhangs II der Verordnung Nr. 83/67/EWG in bezug auf unter die Tarifnummer 21.07 F I des Gemeinsamen Zolltarifs fallende Lebensmittelzubereitungenan den Ausschuß für Gesundheitswesen mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werdenVerordnung des Rates über die monatlichen Erhöhungen des Marktrichtpreises, des Interventionspreises und des Schwellenpreises für Olivenöl im Wirtschaftsjahr 1967/68an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen — mitheratend — mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werdenDer Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Zwölfte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung— Drucksache V/2627 —an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. Mai 1968Zweiunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1967
— Drucksache V/2628 —an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. Mai 1968Fünfunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1967
— Drucksache V/2654 —an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 26. Juni 1968.Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache V/2636 —
Aus welchen Ländern Osteuropas sind, deutschen Aufforderungen folgend, bisher der Zentralen Erfassugsslelle für NS-Verbrechen in Ludwigsburg brauchbare Materialien zugeleitet worden?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Dr. Marx, der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen ist bisher Archivmaterial in Polen und in der Tschechoslowakei nutzbar gemacht worden. Die Sowjetunion hat sich bereit erklärt, Archivmaterial zur Verfügung zu stellen und dafür eine Arbeitsgruppe aus Ludwigsburg zu empfangen. Es ist beabsichtigt, daß dieser Besuch im Mai oder Juni dieses Jahres in Moskau stattfindet.
Abgesehen von diesen drei genannten Ländern haben aber auch andere Länder in anhängigen Verfahren Rechtshilfe geleistet, so z. B. Jugoslawien, Rumänien und in einem Falle auch Bulgarien.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wären Sie in der Lage, etwas genauer auf die Art und Weise der „Hilfe" und der „Rechtshilfe" durch die einzelnen osteuropäischen Länder einzugehen, wobei ich bitte, auch Jugoslawien und Albanien mit einzuschließen?
Dann darf ich anknüpfen an den 1964 sowohl von der Bundesregierung als auch vom Bundestag an alle Welt ergangenen Aufruf, man möge uns Material über NS-Verbrechen verfügbar machen. Das Ergebnis sieht, wenn ich die Länder in der alphabetischen Reihenfolge durchgehen darf, folgendermaßen aus.Albanien antwortete im Februar 1965, daß man kein Material geben werde, vielmehr verlange, daß NS-Verbrecher zur Aburteilung an Albanien ausgeliefert werden.Bulgarien hat bisher auf den Aufruf überhaupt nicht positiv reagiert, aber in einem Einzelfall — das sagte ich vorhin schon — Rechtshilfe geleistet.Jugoslawien erklärte 1965, daß man mit der Aufarbeitung von Archivmaterial selber noch beschäftigt sei. Das Justizministerium hat das Auswärtige Amt im Januar dieses Jahres um Prüfung gebeten, ob im Rahmen der deutsch-jugoslawischen Gespräche auch die Frage der Archivauswertung berührt werden könne. Eine Antwort darauf ist bis heute noch nicht da.Polen hat der Zentralen Stelle in Ludwigsburg bisher drei Reisen nach Warschau zur Auswertung polnischen Archivmaterials gestattet. Bei diesen Reisen wurden insgesamt rund 50 000 Mikrofilmaufnahmen von Dokumenten gefertigt. Übersichten über dieses Material hat die Ludwigsburger Stelle den
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968 8157
Bundesminister Dr. Dr. HeinemannStaatsanwaltschaften in der Bundesrepublik zugeleitet. Es ist aber auch für Ludwigsburg bisher nicht möglich gewesen, Klarheit über den Umfang des insgesamt in Polen vorhandenen Materials zu geben. Der Zentralen Stelle wurde bisher nicht gestattet, sich an Ort und Stelle, d. h. in Polen, in Archiven selber und unmittelbar zu informieren. Ludwigsburg vermutet die Existenz bestimmter Akten und hätte Interesse daran, diese bestimmten Akten kennenzulernen. Aber auch diese von Ludwigsburg näher bezeichneten Akten sind bisher nicht vorgelegt worden.Rumänien hat auf den Aufruf von 1964 bislang überhaupt nicht reagiert.Die Sowjetunion — auch das sagte ich eben schon — leistete Rechtshilfe in Einzelsachen und will nun einer Arbeitsgruppe von Ludwigsburg Gelegenheit zur Durchsicht von Archivmaterial geben. Diese Arbeitsgruppe wird sich im Mai oder Juni nach Moskau begeben.Was die Tschechoslowakei anlangt, so leistet sie Rechtshilfe in anhängigen Verfahren. Sie hat ferner der Zentralstelle zweimal die Auswertung von Unterlagen in Archiven gestattet. Dabei konnten rund 7500 geeignete Urkunden ermittelt werden. Ludwigsburg nimmt aber an, daß noch weiteres Material vorhanden ist, und weiß nicht, ob es verfügbar sein wird oder nicht. Ich muß noch hinzufügen, daß aus der Tschechoslowakei der Besuch des für diese Dinge zuständigen Amtsleiters, Dr. Kami, erwartet wird. Fr wird vom 26. bis 30. März in der Bundesrepublik sein.Was schließlich Ungarn als das letzte der Ostblockländer angeht, so hat es auf den Aufruf von 1964 ebenfalls nicht reagiert. Man hat dem Leiter der österreichischen Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen gegenüber erklärt, man habe kein einschlägiges Material.Das ist die Übersicht.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, da Sie uns mitgeteilt haben, daß deutsche Gruppen die Möglichkeiten hatten, sowohl in Polen als auch in der Tschechoslowakei, etwas intensivere Nachforschungen zu treiben, wobei sie in Polen nicht in die Archive durften, frage ich Sie: Gibt es Anzeichen dafür, daß in anderen Ländern des Ostens deutsche Experten ebenfalls die Möglichkeit haben, archivalisches Material zu prüfen, um daraus entsprechende historische Studien machen zu können?
Jedenfalls im Zusammenhang mit Strafverfahren über das Gesagte hinaus zur Zeit nicht. Ob eine Möglichkeit gegeben sein wird, historische Studien auf wissenschaftlicher Basis einer Zusammenarbeit zu fördern oder zu betreiben, vermag ich nicht zu sagen. Das geht auch über den Rahmen dessen hinaus, was die Justiz zu betreuen hätte.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Marx auf:
Ist nach den bisher gemachten Erfahrungen damit zu rechnen, daft weitere Materialien übergeben oder zurückgehalten werden?
Es muß davon ausgegangen werden, Herr Dr. Marx, daß in Polen, der Tschechoslowakei und Jugoslawien noch Material vorhanden ist. Es muß auch vermutet werden, daß insbesondere noch Dokumente vorhanden sind. Ob man sie übergibt oder zurückhält, vermag ich jetzt nicht festzustellen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, Sie haben in der Antwort auf die erste Frage ausgeführt, daß z. B. Rumänien auf unsere Aufforderung des Jahres 1964 überhaupt nicht reagiert hat. Würde sich die Bundesregierung in der Lage sehen — im Hinblick auf einen sich nähernden Termin —, noch einmal eine Aufforderung ergehen zu lassen, um z. B. die bisher Schweigenden zu veranlassen, mitzuteilen, ob sie solches Material haben — und in welcher Form — oder ob sie nicht darüber verfügen?
Es ist klar, daß diese Möglichkeit nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen besteht, und ich bin auch sicher, daß davon Gebrauch gemacht werden wird.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, trifft es zu, daß zu Beginn der sechziger Jahre in einigen Staaten des Ostens, z. B. in Polen und in der Tschechoslowakei, gewisse, nennen wir es, „historische Studienkommissionen" gegründet worden sind, die, in einem gewissen Verbundsystem miteinander arbeitend, Akten aus den Archiven bereitstellen und sich eventuell in der Lage sehen, uns auf deutsche Anforderung hin auch diese Akten zu überlassen?
Über solche historischen Studienkommissionen und deren mögliche Zusammenarbeit bin ich nicht unterrichtet, Herr Kollege.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Diemer-Nicolaus.
Herr Justizminister, in der ersten Frage ist ja nach brauchbarem Material gefragt. Dazu die Frage: Hat sich das, was bisher zur Kenntnis gebracht wurde, als brauchbar für unsere Verfahren gezeigt?
Weithin ja.
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8158 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968
Zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie der Auffassung, daß auch in den Fällen, in denen Länder auf unseren Aufruf bisher überhaupt nicht reagiert haben, weiteres brauchbares Material vorliegt?
Ich glaube, davon muß man ohne weiteres ausgehen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Prochazka.
Herr Bundesminister, wären Sie bereit, eine Zentralstelle ins Leben zu rufen, die sich auch mit der Feststellung der an Deutschen begangenen Kriegsverbrechen, insbesondere der Vertreibungsverbrechen, befaßt?
Herr Kollege, ich darf daran erinnern, daß die Ludwigsburger Zentralstelle eine Einrichtung der Landesjustizverwaltungen ist, nicht der Bundesregierung, und dasselbe würde für eine ähnliche Stelle zu gelten haben wie die, von der Sie sprechen. Eine solche Frage müßte also primär an die Landesjustizverwaltungen gerichtet werden.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Bundesminister, sehen Sie einen Weg, brauchbare Materialien über Verbrechen, die an Deutschen begangen wurden, aus den genannten Staaten — nach dem Gleichheitsgrundsatz — ebenfalls zu erhalten?
Ich glaube, wir müssen davon ausgehen — leider —, daß in der Richtung, in der Sie, Herr Kollege, fragen, eine Bereitwilligkeit zur Rechtshilfe oder Zurverfügungstellung von Material nicht besteht. Dabei kommt hinzu, daß in einzelnen Ostblockländern die an deutschen Volkszugehörigen oder Staatsangehörigen begangenen Verbrechen durch Amnestie für unverfolgbar erklärt worden sind.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Sehen Sie eine Möglichkeit dann gegeben, wenn wegen solcher Verbrechen in der Bundesrepublik Strafverfahren gegen Beteiligte, die sich in der Bundesrepublik befinden, laufen und das Material aus den Ostblockstaaten herbeigeschafft werden müßte?
Ich glaube, das ist eine Frage, die nur im konkreten Einzelfall beantwortet werden kann, nämlich dann, wenn ein Gericht der Bundesrepublik in einem solchen Verfahren um Rechtshilfe nachgesucht haben wird.
Wir kommen zur Frage 3 des Herrn Abgeordneten Dichgans:
Wie haben sich die Verurteilungen wegen passiver Beamtenbestechung seit 1961 entwickelt?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Desgleichen hat sich Herr Abgeordneter Cramer mit schriftlicher Beantwortung seiner Frage 4 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen
Sieht das Bundesgesundheitsministerium eine Möglichkeit, gegen den Vertrieb gesundheitsgefährdender, ozonerzeugender Klimageräte vorzugehen?
einverstanden erklärt. Auch hier liegt eine Antwort noch nicht vor. Sie wird ebenfalls nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Ich rufe die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Kaffka auf:
Billigt die Bundesregierung die Entscheidung des Generals Dr. Wulff von der Heeresoffiziersschule 11 zu Hamburg, der auf Anforderung von Prof. Thielicke mit 50 Fähnrichen und Offizieren in einen Gottesdienst zog, um dort eine eventuell zu erwartende Aktion von Studenten zu verhindern?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Bundesverteidigungsministeriums!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Ihre Fragestellung, die schon kurz nach den Vorgängen vom 13. Januar 1968 in der Hamburger Michaeliskirche formuliert war, geht davon aus, daß Sie der Ansicht sind, der Kommandeur der Heeresoffiziersschule II habe 50 Offizieren und Fähnrichen befohlen, den vorgenannten Gottesdienst zu besuchen und vor eventuellen Störungen durch Studenten zu schützen. Zwischenzeitlich ist festgestellt worden, daß Brigadegeneral Dr. Wulff weder seinen Lehroffizieren noch den Offiziersschülern einen solchen Befehl gegeben hat.
Über den tatsächlichen Ablauf der Vorgänge in der Hamburger Michaeliskirche hat mein Kollege Staatssekretär Adorno bereits schriftlich auf die mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Borm Auskunft gegeben. Ich darf mich auf diese Anwort, die in dem Sitzungsprotokoll des Bundestages vom 9. Februar wiedergegeben ist, beziehen und abschließend noch einmal feststellen, daß die Bundesregierung keinen Anlaß sieht, das Verhalten von Brigadegeneral Dr. Wulff zu mißbilligen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kaffka.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der Aufforderung des Generals Wulff
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968 8159
Kaffkaauch Katholiken und Dissidenten Folge geleistet haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist im einzelnen keine Erhebung darüber angestellt worden, welche Konfessionen sich beteiligt haben.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kühn.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Entscheidung, welche Schutzmaßnahmen Mitglieder der christlichen Gemeinde, gleich, ob sie Soldaten oder Zivilisten sind, für notwendig halten, der Entscheidungsfreiheit dieser einzelnen Personen selbst überlassen bleiben muß und daß auch das zu dem Begriff des Bürgers in Uniform gehört?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieser Auffassung ist die Bundesregierung. Die Soldaten als Staatsbürger in Uniform haben dieselben Rechte wie andere Staatsbürger. Die Rechte finden nur da ihre Begrenzung, wo es der militärische Dienst erfordert.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß eine Nachforschung nach dem konfessionellen Bekenntnis der einzelnen Soldaten Ihnen und Ihrem Hause aus Gründen der Verfassung überhaupt nicht erlaubt wäre?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte mich zu der verfassungsrechtlichen Frage hier nicht abschließend äußern, Herr Abgeordneter. In jedem Falle wird durch mein Haus eine solche Erhebung nicht erfolgen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, würde die Bundesregierung — unterstellt, es sei Tatsache, daß neben evangelischen Christen auch Katholiken in Hamburg bei diesem besonderen Anlaß in die Kirche gegangen sind — das als eine begrüßenswerte Zusammenarbeit
von Christen bezeichnen, die wir uns auf vielen
Gebieten des öffentlichen Lebens und des Lebens
in unserem Volke überhaupt nur wünschen können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich würde sagen, daß die Bundesregierung der Großen Koalition auch in diesem Fall ein Koalitionsauftreten der Konfessionen nicht mißbilligen würde.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Könen.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht allmählich auch aufgegangen, daß die vielen Fragen zu dem ganzen Komplex nicht davon ausgehen, ob hier Staatsbürger in oder ohne Uniform ihre Rechte wahrnehmen, sondern daß hier wohl die Sorge bestanden hat, daß irgendwelchen Leuten, die in einem militärischen Verhältnis des Gehorsams zu Vorgesetzten stehen, etwas befohlen worden sei? Das war doch wohl die Frage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich darf noch einmal auf meine eingehenden Ausführungen Bezug nehmen und auch auf die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Adorno verweisen. Es ist kein Befehl erteilt worden.
Zweite Zusatzfrage Herr Abgeordneter Könen.
Herr Staatssekretär, das habe ich auch vernommen. Ich meine nur, damit sollte doch die Sache wohl erledigt sein und hier nicht diskutiert werden, ob jemand als Christ das Recht hat, als Soldat oder Nichtsoldat, in einer Kirche Schutz zu leisten. Das war doch nicht die Frage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe auch den Eindruck, Herr Abgeordneter, daß die Frage erledigt ist. Ich glaube hier sagen zu müssen, daß sich aus Gründen, die Herr Abgeordneter Kaffka nicht zu vertreten hat, sondern mehr im Zeitablauf der parlamentarischen Geschäftsordnung liegen, die Beantwortung der Frage verzögert hat.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schultz.Schultz (FDP) : Herr Staatssekretär, wären Sie so liebenswürdig, Ihre Äußerungen bezüglich der Großen Koalition noch einmal zu interpretieren? Muß ich sie so verstehen, daß sich hier das Zentrum der Weimarer Zeit mit der Sozialdemokratie zusammengefunden hat, oder was soll dieser Hinweis auf die Große Koalition eigentlich?
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8160 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968
Eigentlich dürfte ich diese Zusatzfrage nicht zulassen, denn sie steht in keinem evidenten Zusammenhang mit dem Kern der Frage. Aber da der Staatssekretär von sich aus dieses Wort benützt hat, will ich ihm nicht zuwider sein, wenn er darauf antworten will. Aber er muß nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, würde ich gern die Frage beantworten. Ich würde Ihnen antworten, Herr Abgeordneter, daß ich — und das glaube ich in die Formulierung hineingelegt zu haben -- das nicht in einem parteipolitischen Sinne gemeint habe, der andere ausschließt, sondern lediglich im Sinne optimaler Zusammenarbeit aller Christen.
Frage des Abgeordneten Jung:
Ist die Bundesregierung bereit, zur Verhinderung weiterer schwerer Unfälle einen Gehweg zwischen der Franken-Tauber-
Kaserne und der Stadt Lauda baldigst anzulegen?
Wird die Frage übernommen?
Zur Beantwortung!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Wehrbereichsverwaltung V in Stuttgart hat am 18. Oktober 1967 mit dem Innenministerium Baden-Württembergs den Bau eines Gehweges entlang der Kreisstraße 238 zwischen der Bundeswehrkaserne und der Stadt Lauda aus Mitteln des Verteidigungshaushalts beantragt. Das Straßenbauamt Tauberbischofsheim hat mitgeteilt, daß der Auftrag bereits an nine Baufirma in Lauda vergeben worden ist. Es wird mit einer Bauzeit von zehn Wochen gerechnet. Mit dem Bau wird begonnen, sobald die Witterung es zuläßt.
Zusatzfrage.
Schultz (FDP) : Herr Staatssekretär, so begrüßenswert diese Feststellung ist, dürfte ich Sie im Zusammenhang mit dem Bau von Gehwegen an gefährdeten Straßen bitten, noch einmal nachzuhören, wie weit der Gehweg in der Ingolstädter Landstraße in Hochbrück ist. Dort hat Bundesverteidigungsminister von Hassel im Jahre 1965 zugesagt, daß ein solcher Gehweg gebaut werden soll. Er ist bis heute noch nicht da.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde diese Frage sofort überprüfen lassen, Herr Abgeordneter.
Frage 7 des Herrn Abgeordneten Dr. Bechert:
Wird die Bundesregierung den Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen über die Wirkung der Verwendung von Atomwaffen, ihre Sicherheits- und Wirtschaftswirkungen und die voraussichtliche Weiterentwicklung dieser Waffen vom 23. Oktober 1967 im wesentlichen Inhalt der deutchen Öffentlichkeit bekanntmachen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat den Bericht über die Wirkung und Verwendung von Atomwaffen im Oktober 1967 veröffentlicht und im vollen Wortlaut der internationalen Presse übergeben. Daraufhin hat sich auch die deutsche Presse eingehend mit diesem Bericht befaßt. Mir liegt hier eine Zusammenstellung im Detail vor, aus der hervorgeht, daß sich alle überregionalen Zeitungen, ein großer Teil der regionalen Zeitungen und auch die Medien wie Funk und Fernsehen mit diesem Bericht befaßt haben. Das Auswärtige Amt hat als Empfänger des Berichts für die Bundesregierung diesen allen zuständigen und interessierten Stellen zugeleitet. Da er bereits vorher vom Generalsekretär veröffentlicht worden war, wie ich sagte, bestand keine Veranlassung mehr zu einer zusätzlichen Unterrichtung der deutschen Öffentlichkeit.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Bechert.
Dr. Bechert (SPD) : Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Ansicht, daß sie der deutschen Öffentlichkeit durch ihre bisherigen Veröffentlichungen die Wahrheit gesagt hat, daß nämlich, wie aus dem UNO-Bericht hervorgeht, Atomkrieg die Vernichtung der biologischen Substanz in Europa bedeuten würde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat nicht nur in Worten, sondern auch in Handlungen immer wieder zu verstehen gegeben, von wie schrecklichem Ausmaß praktisch ein Atomkrieg sein würde. Ich komme im Verlaufe der weiter von Ihnen gestellten Fragen, Herr Abgeordneter, noch auf dieses Thema zurück. Da ich die Fragen einzeln beantworten wollte, darf ich mich zunächst auf diese Bemerkung beschränken.
Zweite Zusatzfrage.
Dr. Bechert (SPD) : Herr Staatssekretär, darf ich also aus Ihrer Antwort schließen, daß es die Bundesregierung nicht für nötig hält, der deutschen Bevölkerung die Wahrheit über die Wirkung von Atomwaffen bekanntzumachen, nachdem sie zweimal die deutsche Öffentlichkeit unrichtig informiert hat, das eine Mal mit der bekannten Aktenmappen-Broschüre „Jeder hat eine Chance", das zweite Mal mit der gemäßigteren, aber immer noch unrichtigen Darstellung, wo das Fragezeichen dahinterstand: „Hat jeder eine Chance?"
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Diese Frage ist nicht zulässig; sie enthält tatsächliche Behauptungen, und sie enthält Wertungen. Beides ist nicht zulässig, weder
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968 8161
Präsident D. Dr. Gerstenmaierfür die Hauptfrage, noch für die Zusatzfrage. Ich bitte deshalb, darauf nicht zu antworten.Nächste Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Bechert, Frage 8:wird die Bundesregierung Folgerungen aus dem in Frage 7 genannten Bericht ziehen, insbesondere aus der Feststellung, daß Atomkrieg, auch nur mit taktischen oder sauberen Atomwaffen, weitestgehende Zerstörung in Europa bedeuten Würde, also für die Bundesrepublik Deutschland keine Verteidigung, sondern Vernichtung zur Folge hätte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Erkenntnisse aus dem Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen sind nicht neu. Dennoch hat die Sowjetunion darin keinen Hinderungsgrund gesehen, neben ihrem konventionellen auch ein bedrohliches atomares militärisches Potential aufzubauen und kontinuierlich zu verstärken. Solange diese Bedrohung besteht, kann die NATO als Verteidigungsbündnis nur durch Abschreckung mit den gleichen Mitteln jede Gewaltanwendung zur Lösung politischer Fragen zu verhindern suchen. Die Abschreckung ist nur wirksam, wenn die atomaren Einsatzmittel im strategischen und im taktischen Bereich vorhanden sind. Je glaubhafter die Abschreckung, desto geringer die Gefahr einer Fehleinschätzung.
Der UNO-Bericht bietet keine Veranlassung für die Bundesregierung, ihre politische und strategische Auffassung zu ändern. Wegen der verheerenden Folgen eines nuklearen Krieges für die Menschheit und um einen Beitrag für die Friedenshaltung zu leisten, hat die Bundesrepublik auf die Herstellung von ABC-Waffen verzichtet. Darüber hinaus tritt die Bundesregierung immer wieder für den Austausch von Gewaltverzichterklärungen und für gemeinsame Abrüstung ein. Rüstungskontrolle und Rüstungsbeschränkungen als andere und bessere Möglichkeiten zur Bewahrung des Friedens gehören zu den vorrangigen Zielen der deutschen Politik. Solange dieser Weg aber nicht effektiv auch von der anderen Seite beschritten wird, ist die Gefahr eines Krieges nur durch eine lückenlose, auf atomaren und ausreichenden konventionellen Abwehrmitteln beruhende Abschreckung zu verhindern. Diese abschreckende Wirkung nuklearer Waffen wird auch in dem von Ihnen zitierten UNO-Bericht, Herr Abgeordneter, anerkannt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Bechert.
Dr. Bechert (SPD) : Wenn die Bundesregierung also, wie ich ihrer Antwort entnehme, ebenso wie der UNO-Bericht der Meinung ist, daß auch schon ein kleiner Atomkrieg weitestgehende Vernichtung für uns bedeuten würde, andererseits aber Atomwaffen in unserem Gebiet für eine glaubhafte Abschreckung wünscht, wie Verteidigungsminister Schröder gegenüber dem britischen Verteidigungsminister Healy gesagt hat, so möchte ich fragen: Wie will die Bundesregierung dem zwingenden Schluß entgehen, daß wir also bereit sein müßten, auch die Schrecken eines Atomkrieges auf uns zu nehmen, da ja keine Abschrekkung Sicherheit vor einem Atomkrieg geben kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung kann das atomare Risiko nicht allein ihren Verbündeten aufbürden; sie kann von den Verbündeten nicht mehr verlangen, als sie selbst zu ertragen und zu geben imstande ist.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn. Abgeordneten Dr. Bechert.
Dr. Bechert (SPD) : Wird die Bundesregierung aus dem UNO-Bericht nicht die Folgerung ziehen, daß Entspannungs- und Abrüstungspolitik uns größere Sicherheit geben kann als die sogenannte glaubhafte Abschreckung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
ich darf noch einmal betonen, Herr Abgeordneter, daß es zu den vorrangigen Zielen der Bundesregierung gehört., immer wieder auf Abrüstung, auf Gewaltverzicht und andere Mittel zur Erhaltung des Friedens hinzuweisen. Die Bundesregierung ist aber verpflichtet, solange die andere Seite nicht effektiv nachzieht, die Glaubhaftigkeit ihrer Abschreckung gemeinsam mit den Verbündeten zu erhalten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß der Besitz von Atomwaffen in einer Hand ohne Gebrauch leicht dazu führen könnte, andere Völker damit zu erpressen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung legt auf eine umfassende und alle verpflichtende Regelung der Frage, wieweit atomare Erpressung ausgeschaltet werden kann, besonderen Wert. Ich darr in diesem Zusammenhang auf unsere Bemühungen im Rahmen der Verhandlungen zum Nichtverbreitungsvertrag verweisen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, darf ich im Zusammenhang mit dem von Ihnen gerade zitierten Nichtvertbreitungsvertrag fragen, ob die Bundesregierung ihre Haltung diesem Vertrag gegenüber in erster Linie davon abhängig macht, daß dieser Vertrag von den Großmächten und von allen Unterzeichnermächten zu einem Instrument tatsächlicher Abrüstungspolitik auch auf atomarem Gebiet gemacht wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, unter dem Vorbehalt, daß die Beantwortung dieser Frage
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8162 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968
Staatssekretär von Hasenicht in der Zuständigkeit des von mir vertretenen Ressorts liegt, darf ich Ihnen sagen, daß die Frage, so wie Sie sie formuliert haben, in der Tat in die Linie der Politik der Bundesregierung fällt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Flämig.
Herr Staatssekretär, haben die Aussagen der Bundesregierung in ihren beiden Broschüren „Jeder hat eine Chance" und „Hat jeder eine Chance?" im Lichte der Feststellungen des UNO-Generalsekretärs heute noch Gültigkeit?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Aussagen haben noch Gültigkeit in dem Sinne, daß zu einer glaubhaften Abschreckung auch die Vorbereitung auf eine optimale Verteidigung gehört.
Herr Abgeordneter Dr. Bechert, kann ich die letzte Ihrer drei Fragen aufrufen, oder haben Sie zu dieser noch eine Zusatzfrage?
Dr. Bechert (SPD) : Die letzte Frage, die Frage 9, ist noch nicht beantwortet worden.
Nein, ich möchte wissen, ob Sie noch eine Zusatzfrage zu der Frage 8 haben.
Dr. Bechert (SPD) : Ich habe zwei Zusatzfragen zur Frage 8 gestellt.
Entschuldigen Sie, ich habe bloß eine notiert.
Dr. Bechert (SPD): Ich wäre froh, wenn ich noch eine dritte stellen könnte.
Herr Kollege Bechert, von den sechs Zusatzfragen hoffe ich Ihnen fünf genehmigen zu können. Eine konnte ich nicht zulassen; warum, steht auf Seite 76 der Geschäftsordnung ganz oben.
Jetzt kommt also Frage 9, die dritte Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Bechert:
Wie beurteilt die Bundesregierung demnach ihre eigene Verteidigungsplanung: zuerst „direkte" konventionelle Verteidigung, dann einzelne Atomschläge unter Schonung der Bevölkerung -- was nach dem UNO-Bericht unmöglich ist — und schließlich großer Atomkrieg?
Zur Beantwortung!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt keine eigene isolierte Verteidigungsplanung der Bundesregierung, sondern nur eine im Dezember auf der NATO-Ministerratstagung verabschiedete allgemeine Konzeption der NATO. Eine eingehende Beantwortung der Frage, Herr Abgeordneter, ist aus Gründen, die ich nicht näher darzulegen brauche, im einzelnen nur im Verteidigungsausschuß möglich. Ich darf mich hier auf folgendes beschränken.
Die in der Frage deutlich werdende Vorstellung, die Verteidigungsplanung bestehe aus einer Stufenfolge bestimmter militärischer Maßnahmen, entspricht weder dem Wortlaut noch dem Sinn des strategischen Konzepts der NATO. Die verschiedenen Arten militärischer Reaktion bilden strategisch ein Ganzes; sie sind interdependent und auf Art, Umfang und Ziel eines feindlichen Angriffs bezogen. Je stärker ein konventioneller Angreifer ist und je beschränkter die konventionellen Abwehrmöglichkeiten des Verteidigers in einer bestimmter Situation sind, desto früher stellt sich für diesen die Frage des Einsatzes wirksamerer Waffen. Dabei darf nicht übersehen werden, daß auch die modernen konventionellen Einsatzmittel verheerende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung nach sich ziehen, ganz abgesehen von den Folgen biologischer und chemischer Waffen, über die der Gegner verfügt und die er auch jederzeit einsetzen kann.
Gerade wegen der auch im UNO-Bericht aufgezeigten Gefahr, daß angesichts des nuklearen Patts der großen Atommächte begrenzte Kriege leichter möglich sein könnten, fordert das strategische Konzept der NATO von den Nationen eine ausreichende Stärke der konventionellen Kräfte und Abwehrmittel, um die Lückenlosigkeit der Abschreckung aufrechtzuerhalten und der Gefahr zu entgehen, zu früh Atomwaffen einsetzen zu müssen. Das strategische Konzept der NATO ist eine gute Voraussetzung, um die Abschreckung auch in Zukunft aufrechtzuerhalten. Der UNO-Bericht gibt keine Veranlassung, diese Strategie, die ausschließlich der Friedensbewahrung dient, zu ändern.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Bechert.
Dr. Bechert (SPD) : Darf ich vorausschicken, daß ich mich bei der Formulierung: „einzelne Atomschläge unter Schonung der Bevölkerung" auf Berichte in den großen deutschen Zeitungen bezogen habe. Ich möchte im Zusammenhang damit fragen: Hält die Bundesregierung eine Schonung der Bevölkerung bei einzelnen Atomschlägen wirklich für möglich, da ja wenige Dutzend Atomminen bereits ausreichen würden, das Bundesgebiet weitestgehend zu verwüsten, wie aus dem UNO-Bericht ohne weiteres zu ersehen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß diese Frage, die auf das engste mit der Bewertung der Wirkung von TNT und Megatonnen Atomsprengkraft verbunden ist, im Verteidigungsausschuß beantwortet werden sollte.
Zweite Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Bechert.Dr. Bechert (SPD) : Herr Staatssekretär, Sie sind auf die Frage nicht eingegangen,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968 8163
Dr. Bechert
ob kleine Atomschläge unter Schonung der Bevölkerung möglich seien. Darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß nach Ansicht der Bundesregierung Atomwaffen nicht so schlimm sein dürfen, wie die Sachverständigen sagen, weil sonst die Verteidigungsplanung als unbrauchbar widerlegt wäre?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß sogenannte kleine Atomschläge — über die Begriffsbestimmung gehen die Auffassungen weit auseinander — sich in irgendeiner Form der schrecklichen Beurteilung atomarer Wirkung entziehen.
Ich rufe die Fragen 10 und 11 des Herrn Abgeordneten Dr. Häfele auf:
Wie viele Wehrpflichtige, insbesondere Studenten, halten sich in Berlin auf, ohne die Wehrpflicht abgeleistet zu haben?
Welche Vorkehrungen sind getroffen, daß sich Wehrpflichtige nicht durch einen Wechsel nach Berlin der Wehrpflicht entziehen können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich bitte, mir zu gestatten, beide Fragen im Zusammenhang zu beantworten.
Nach dem Stand vom 20. Oktober 1967 hielten sich insgesamt 13 835 erfaßte Wehrpflichtige, die keinen Wehrdienst geleistet haben, in Berlin auf. Davon entsprachen 6326, also etwa die Hälfte, vor ihrer Abreise den Meldevorschriften des Wehrpflichtgesetzes. An der Freien Universität und an der Technischen Universität Berlin studieren im Wintersemester 1967/68 rund 4900 Wehrpflichtige. In dieser Zahl sind diejenigen enthalten, die bereits Grundwehrdienst geleistet haben. Soweit die Wehrpflichtigen im Rahmen der Aktion Förderung der Arbeitsaufnahme im Lande Berlin eine berufliche Tätigkeit dort aufgenommen haben, werden sie nicht zum Wehrdienst herangezogen. Unter den ungedienten Wehrpflichtigen befinden sich auch beschränkt tauglich Gemusterte, die keinen Grundwehrdienst leisten müssen. Außerdem hat ein Teil der Wehrpflichtigen in Berlin einen ständigen Aufenthalt begründet, so daß die Wehrpflicht erloschen ist, weil in Berlin das Wehrpflichtgesetz nicht gilt.
Die Wehrersatzbehörden gehen den Fällen nach, in denen Wehrpflichtige sich ohne die nach dem Wehrpflichtgesetz erforderliche Genehmigung in Berlin aufhalten. Bei einem nur vorübergehenden Aufenthalt werden die Wehrpflichtigen zum vollen Grundwehrdienst einberufen, soweit die übrigen Voraussetzungen vorliegen. In Fällen, in denen gegen die Pflicht zur Einholung der Genehmigung nach § 3 Abs. 2 des Wehrpflichtgesetzes verstoßen worden ist, werden Bußgeldverfahren eingeleitet.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können die Berliner Behörden Zwang ausüben, wenn ein Wehrpflichtiger dem Einberufungsbescheid keine Folge geleistet oder sich ohne Genehmigung nach Berlin abgesetzt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann Ihnen diese Frage nicht rechtsverbindlich beantworten, Herr Abgeordneter. Ich müßte mich erst unterrichten.
Zweite Zusatzfrage.
Ist es so, daß Wehrpflichtige, wenn sie Berlin nicht verlassen, dann nicht zur Ableistung des Wehrdienstes angehalten werden können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In Berlin kann — ich muß das mit dem Vorbehalt wiederholen, den ich eben gemacht habe — keinerlei Druck auf die Wehrpflichtigen ausgeübt werden.
Ich rufe die Fragen 12 und 13 des Herrn Abgeordneten Blachstein auf:
Hat die Bundesregierung, wie Zeitungen berichtet haben, sieben ausgediente Torpedoboote an die griechische Regierung geliefert?
Ist der Bundesregierung bekannt, ob private deutsche Firmen Torpedoboote an die griechische Regierung geliefert haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei Verhandlungen, die im Sommer vorigen Jahres mit der griechischen Regierung über die Durchführung der NATO-Verteidigungshilfe stattgefunden haben, wurde unter anderem auch die Lieferung von fünf ausgemusterten Schnellbooten — also nicht Torpedobooten — vereinbart. Die Boote sollen demnächst ohne Torpedobewaffnung ausgeliefert werden. Hierüber ist der Auswärtige Ausschuß des Deutschen Bundestages am 24. Januar 1968 eingehend unterrichtet worden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in dem Bericht des Abgeordneten Blumenfeld vom 14. Februar 1968 im Auftrage des Auswärtigen Ausschusses ausdrücklich erklärt wird, daß an Griechenland keine bilaterale Waffenhilfe außerhalb der NATO geleistet werden soll?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese von mir eben erwähnte Hilfe findet ihre Anrechnung im Rahmen des Abkommens, das die Bundesrepublik für andere Staaten im Rahmen der NATO mit Griechenland und der Türkei geschlossen hat. Ich darf im übrigen darauf hinweisen, daß die Beratungen im Auswärtigen Ausschuß über den gesamten Fragenkomplex noch nicht abgeschlossen sind.
Zweite Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
8164 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung im Rahmen der NATO darum bemüht sein, daß bis zur Rückkehr Griechenlands zu demokratischen Verhältnissen Waffenlieferungen in dieses Land in der Zukunft unterbleiben werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, das Problem, das Sie in der Frage aufgeworfen haben, Herr Abgeordneter, ist Gegenstand der noch andauernden Überlegungen im Auswärtigen Ausschuß. Ich möchte vor einem Abschluß dieser Überlegungen nicht mit einer Stellungnahme der Bundesregierung vorgreifen. Ich möchte außerdem betonen, daß die politische Grundfrage hier nicht eine Frage ist, die mein Ressort zu vertreten hat.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Moersch.
Darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß sich die Bundesregierung noch keine Meinung zu der Frage gebildet hat, ob man an nicht demokratische Regierungen derartige Waffen liefern soll oder nicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung geht zur Stunde in Übereinstimmung mit den anderen NATO-Ländern davon aus, daß es sich hei Griechenland um ein Mitglied der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft handelt. Ich darf aber nochmals darauf hinweisen, daß die gesamtpolitische Problematik zur Diskussion und Beratung im Auswärtigen Ausschuß ansteht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kaffka.
Herr Staatssekretär, bedient sich die Bundesregierung bei derartigen Lieferungen privater Firmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es kommen auch Lieferungen privater Firmen vor. Es kommt vor, daß sich die empfangenden Regierungen direkt zunächst an private Firmen wenden. In jedem Fall muß dann eine Genehmigung nach dem Kriegswaffenlieferungsgesetz erfolgen. Das die Genehmigung nach dem Kriegswaffenlieferungsgesetz erteilende Ressort ist das Bundesministerium für Wirtschaft. Das Bundesministerium für Wirtschaft trifft keine Entscheidung, ohne mit dem Auswärtigen Amt und dem Verteidigungsministerium Verbindung aufgenommen zu haben.
Waren also solche Firmen eingeschaltet?
von Hase, Staatssekretär des Bundesministerium; der Verteidigung: Ich müßte nachprüfen, ob Firmen eingeschaltet sind. Da es sich um eine Lieferung handelt, die, wie gesagt, im NATO-Rahmen durch die Bundesrepublik an Griechenland erfolgt, möchte ich von der Annahme ausgehen, daß hier eine unmittelbare Einschaltung von Firmen an der ersten Stelle nicht erfolgt ist. Ich darf mir aber eine ergänzende Mitteilung vorbehalten.
Meine Antwort auf die zweite Frage des Herrn Abgeordneten Blachstein lautet wie folgt. Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß deutsche Firmen Torpedoboote an die griechische Regierung geliefert haben. Das deckt sich mit dem, was ich auf die Zusatzfrage zu der ersten Frage gesagt habe.
Ich rufe die Fragen des Herrn Abgeordneten Fritz auf — Fragen 14 und 15 —
Ist die Bundesregierung bereit, den Schallmauerdurchbrüchen in der Nähe von Ballungsgebieten und Kur- bzw. Erholungszentren dadurch entgegenzuwirken, daß in ihrem Bereich ein generelles Flugverbot für die diesbezüglichen Maschinen erlassen wird, nachdem offensichtlich alle anderen Anweisungen zu keinem Erfolg führten und beispielsweise in Wiesbaden in den letzlen Tagen die bisherigen Belastigungen der Bevölkerung in einem zuvor nicht Bekannten und nicht mehr zumutbaren Ausmaß überschritten worden sind?
Welche ?Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung darüber hinaus einzuleiten, um deutschen Staatsbürgern infolge von Schallmauerdurchbrüchen entstandene Schäden zu ersetzen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages wurden mit Schreiben vom 9. Oktober 1967 über die geplanten Maßnahmen zur Verringerung des Fluglärms bei Überschall- und Tiefflügen unterrichtet. Diese Maßnahmen wurden am 1. November 1967 für den Bereich der Bundeswehr befohlen. Die verbündeten Luftstreitkräfte haben sich weitgehend angeschlossen.
Übungsüberschallflüge werden von der Luftwaffe — bis auf die der Jagdgeschwader — nicht mehr durchgeführt. Auch die beiden Jagdgeschwader haben die Überschallflüge um über 50 °/o verringert. Das im Norden stationierte Geschwader hat diese Übung fast ausschließlich über die Nordsee verlegt. Das Geschwader in Süddeutschland wurde angewiesen, bei Überschallabfangübungen große Städte und Ballungsgebiete zu meiden. Werkstatt-Überschallflüge müssen in Platznähe über möglichst dünn besiedelten Gebieten — in denen sich möglicherweise aber auch Kur- und Erholungszentren befinden können — durchgeführt werden.
Die Kommandostellen der Verbündeten haben bereits Bedenken gegen die genannten zahlenmäßigen Beschränkungen geltend gemacht mit der Begründung, daß sie den Ausbildungsstand beeinträchtigen. Die deutsche Luftwaffe ist allerdings bereit, die angeordneten Beschränkungen zunächst aufrechtzuerhalten.
Eine Zusatzfrage.
Sind Sie gegebenenfalls bereit, auf Grund des Ihnen übergebenen Materials diese Frage erneut zu überprüfen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968 8165
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir stehen in dieser Frage in ständigem Kontakt mit den Verbündeten und haben die eben von mir vorgetragenen Maßnahmen eingeleitet.
Die zweite Frage des Herrn Abgeordneten Fritz beantworte ich wie folgt. Schäden, die durch Luftfahrzeuge der Bundeswehr verursacht worden sind, werden von den zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung gehörenden Wehrbereichsverwaltungen abgegolten. Schäden, die beim Überschallflug von Luftfahrzeugen der Stationierungskräfte entstehen, werden von den Ämtern für Verteidigungslasten reguliert, die zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen gehören.
Da bei den sogenannten Düsengewitterschäden die Nationalität des schädigenden Luftfahrzeuges häufig nicht festgestellt werden kann, hat der Bundesminister der Finanzen angeordnet, daß auch diejenigen Schäden durch die Ämter für Verteidigungslasten abzugelten sind, die durch militärische Luftfahrzeuge unbekannter Nationalität verursacht worden sind. Wir zahlen also auch für die anonymen Gewitter.
Wir kommen zu Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungswesen und Städtebau, zunächst zu der Frage 16 des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Neufassung des § 25 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes vom 21. Dezember 1967 für die Brautleute und jungen Eheleute eine große Härte ist, die öffentliche Mittel für den Bau eines Eigenheimes beantragen oder eine öffentlich geförderte Wohnung beziehen wollen?
Zur Beantwortung hat der Herr Bundeswohnungsbauminister das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vor der Neufassung des § 25 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes durch das Finanzänderungsgesetz 1967 blieben bei der Feststellung der Einkommensgrenze für die Wohnberechtigung mitverdienende Familienangehörige erst dann außer Betracht, wenn ihr Einkommen mehr als 9000 DM jährlich betrug. Dies hatte zu unbefriedigenden Ergebnissen geführt, da z. B. ein Vierpersonenhaushalt noch mit einem Gesamteinkommen aller Familienmitglieder von 43 200 DM jährlich zum begünstigten Personenkreis gehörte, während eine gleich große Familie, bei der nur der Haushaltsvorstand verdiente, höchstens ein Jahreseinkommen von 16 200 DM haben durfte. Der Bundestag hat sich daher bei der Beratung des Gesetzes dahin entschieden, die Einkommensgrenze für mitverdienende Familienangehörige allgemein auf 4800 DM, für den Ehegatten jedoch auf 6000 DM festzusetzen, da, wie es in dem Schriftlichen Bericht des zuständigen Ausschusses heißt, „erfahrungsgemäß vielfach gerade bei jungen Eheleuten die Ehefrau in den ersten Jahren in stärkerem Maße mitverdient". Die Neuregelung zielt also gerade darauf ab, im Rahmen der notwendig gewesenen Einschränkungen Härten in den genannten Fällen zu vermeiden.
Zusatzfrage.
Herr Minister Lauritzen, ist Ihnen bekannt, daß es im Augenblick fast keine jungen Ehen gibt, die eine sozial geförderte Wohnung bekommen können, weil meistens beide Eheleute verdient haben und weil sie unbedingt verdienen müssen, um die vielen Anschaffungen zu Beginn einer jungen Ehe überhaupt tätigen zu können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundestag ist bei der Grenze, die er in diesem Falle gefunden hat, von dem Bestreben ausgegangen, gerade in solchen Fällen zu helfen. Der Bundestag war damals der Meinung, mit einer Bemessung der Grenze auf 6000 DM diesen Belangen Rechnung zu tragen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Minister Lauritzen, wenn sich jetzt aber erweist, daß in praxi das Gegenteil damit erreicht wurde, sehen Sie eine Möglichkeit, diese Bestimmungen so zu ändern, daß in Zukunft doch wieder an junge Eheleute solche Wohnungen vergeben werden können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir würden dann eine Änderung des Gesetzes in Aussicht nehmen müssen.
Frage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Minister, wäre es nicht zur Klärung der Sache dienlich, zu sagen, daß der Bundestag über die viel niedrigere Grenze von 3000 DM, die die Bundesregierung vorgeschlagen hatte, wesentlich hinausgegangen ist, und wären Sie nicht der Meinung, daß Sie, wenn sich eine Gesetzesänderung als notwendig erweist, einer solchen Änderung Ihre Unterstützung leihen sollten?
Einen Augenblick! Meinen Glückwunsch, Herr Kollege Dr. Czaja! Die Waffenhilfe für die Regierung ist auch ganz schön. Aber das ist nicht legal. Denn Ihre Frage enthält einige präzise Feststellungen, und gerade das ist nicht erlaubt. Deshalb habe ich vorhin dem Herrn Kollegen Dr. Bechert eine Frage gestrichen. Das muß ich auch Ihnen gegenüber tun.
Herr Bundeswohnungsbauminister, vielleicht können Sie die Antwort auf diese unzulässige Frage bei der Beantwortung der zweiten Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans unterbringen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin nach der Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes gefragt worden, und die habe ich hier vorgetragen.
Metadaten/Kopzeile:
8166 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968
Bundesminister Dr. LauritzenOb es uns gelingt, Herr Kollege Czaja, die für eine wesentliche Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes erforderlichen Mittel demnächst aufzubringen — dazu wird es ja doch führen —, bleibt eine Frage, die geprüft werden muß.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Dr. Hammans auf:
Würde eine Änderung des in Frage 16 erwähnten § 25 etwa dahin gehend, jungen Eheleuten , die nicht länger als fünf Jahre verheiratet sind, die Einkummensgrenze für den Ehegatten bzw. Verlobten auf 9000 DM zu belassen, nicht eine praktische Lösung dieses Problems sein?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Durch die Herabsetzung des sogenannten Familienzuschlags sollte gerade im Rahmen der notwendigen Einschränkungen das Familieneinkommen stärker als bisher für die Wohnberechtigung in Sozialwohnungen berücksichtigt werden. Eine erneute Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes in dem vorgeschlagenen Umfang wird bei der gegenwärtigen Finanzlage kaum in Erwägung zu ziehen sein. Eine Einbeziehung der Verlobten in die für Eheleute geltenden Regelungen würde eine Ausweitung des begünstigten Personenkreises darstellen, die ebenfalls angesichts der Knappheit der öffentlichen Mittel kaum zu vertreten sein wird.
Es kommt hinzu, Herr Abgeordneter, daß der Begriff „Verlobte" im Bürgerlichen Gesetzbuch zwar einwandfrei definiert ist, seine Einführung in Wohnrechtbestimmungen aber auch hinsichtlich seiner Fixierung zu Schwierigkeiten führen kann.
Zusatzfrage.
Es ist Ihnen aber doch bekannt, Herr Bundesminister, daß bei der Bemessungsgrundlage das Einkommen der beiden Eheleute — auch wenn sie noch nicht verheiratet waren — aus dem Vorjahr zugrunde gelegt wird; also muß auch die Frage des Einkommens der Braut bereits eine Rolle bei dieser Gesetzgebung spielen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja. Nur kommt es Ihnen doch darauf an, die Bestimmungen dahin zu erweitern, daß es nicht um die Vorjahrsbezüge geht, sondern darum, den Personenkreis zu erweitern; und das bedarf wirklich einer grundsätzlichen Prüfung.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Klepsch.
Herr Minister, haben Sie einen Überblick darüber, in welchem Umfange die Zahl junger Familien, die bauen, seit dieser Änderung zurückgegangen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieses Gesetz ist am 1. Januar in Kraft getreten; deswegen kann ich Ihnen heute noch keine Übersicht über die Ergebnisse geben.
Zweite Zusatzfrage.
Aber Sie wären bereit, das zu tun?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich meine, zu gegebener Zeit, vielleicht im Herbst dieses Jahres.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jacobi.
Herr Bundesminister, glauben Sie, daß eine Erleichterung des angesprochenen Problems dadurch möglich ist, daß allgemeine Maßnahmen etwa der Art getroffen werden, in Zukunft mindestens für einen längeren Zeitraum die Zinsfreiheit für Familienheimdarlehen wieder einzuführen, und würden Sie bereit sein, solche Bestrebungen mit zu unterstützen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, daß das vorgesehen werden sollte. Wir haben uns bei den Beratungen über das sogenannte Zinserhöhungsgesetz im zuständigen Ausschuß mit der Frage beschäftigt, und ich glaube, wir werden dahin kommen, daß auch in Zukunft die öffentlichen Darlehen für den Bau von Eigenheimen etwa zehn Jahre lang zinsfrei bleiben werden, um gerade jungen Ehepaaren eine Anlaufhilfe für die Hausstandsgründung zu gewähren.
Fragen 18 und 19 des Herrn Abgeordneten Geisenhofer:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß sich die Fälle mehren, in denen Bürger, die ihr mit Hilfe des staatlich geförderten Bau- und Prämiensparens bzw. des 312-DM-Gesetzes gebildetes Kapital beim Erwerb von Eigentumswohnungen oder Kaufeigenheimen verlieren, weil Verkäufer in Vergleich oder Konkurs gehen und das erworbene Eigentum zum Zeitpunkt des Konkurses trotz vorangegangener Barzahlungen im Grundbuch noch nicht auf den neuen Besitzer umgeschrieben wurde?
Was gedenkt die Bundesregierung zum Schutz diesel in Frage 18 erwähnten eigentumswilligen Bürger zu tun, die durch solche Vorfälle ihrer in einem ganzen Arbeitsleben mühevoll ersparten Beträge verlustig gehen und dadurch das Vertrauen an die Rechtsstaatlichkeit vollkommen verlieren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ob die Fälle sich mehren, in denen Käufer von Eigentumswohnungen oder Kaufeigenheimen, die bereits Anzahlungen auf den Kaufpreis geleistet haben, aber noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen sind, durch Vermögensverfall des Verkäufers geschädigt werden, kann nicht mit Sicherheit beurteilt werden, da statistische Unterlagen insoweit nicht vorhanden sind. Ich bin also hier im wesentlichen auf die Information durch die Zeitungen angewiesen.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, verlangen diese Vermögensverluste des kleinen Mannes nicht dringend danach, daß die Staatsauf-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968 8167
Geisenhofersieht auch auf Bauträger, Verkäufer und Makler ausgedehnt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, das ist im Grunde genommen die nächste Frage, auf die ich zu antworten hätte. Darf ich die Antwort mit der Beantwortung der nächsten Frage verbinden?
Ja, tun Sie das, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die mit dem Erwerb von Eigentumswohnungen und Kaufeigenheimen verbundenen Risiken können meines Erachtens weitgehend vermieden werden, wenn sich die Interessenten bereits vor Abschluß eines Vertrages und der Einzahlung von Beträgen in geeigneter Weise beraten lassen, z. B. von einem Notar, einem Rechtsanwalt oder einer öffentlichen Rechtsauskunftsstelle. Von wesentlicher Bedeutung ist es, darauf zu achten, daß für die eingezahlten Beträge eine dingliche Sicherung erfolgt. Es bestehen auch noch weitere Sicherungsmöglichkeiten, wie die Einschaltung eines Treuhänders, so daß der Erlaß zusätzlicher gesetzlicher Vorschriften nicht erforderlich erscheint.
Vor allem wird es darauf ankommen, daß sich die Interessenten vorher genau nach der Bonität der Verkäufer erkundigen, mit denen sie Verträge abschließen und denen sie ihr Geld anvertrauen. Dies wird nur durch eine sehr umfangreiche Aufklärungsarbeit zu erreichen sein.
Um solche Risiken zu vermindern, bestehen verschiedene gesetzliche Vorschriften. Ich darf vor allem auf die allgemeine Staatsaufsicht hinweisen, der die gemeinnützig en Wohnungsunternehmen nach dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz unterliegen, ferner auf die Prüfung der Eignung von Wohnungsbaubetreuungsunternehmen nach § 37 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes wie auf den Zwang zur Führung von Baubüchern nach dem Gesetz zur Sicherung von Bauforderungen.
Weitere gesetzliche Maßnahmen — und damit komme ich auf Ihre soeben gestellte Frage —, wie etwa die Einführung einer allgemeinen staatlichen Aufsicht über sämtliche auf dem Gebiet des Wohnungsbaues tätigen Unternehmen, sind bereits früher erwogen worden, sind auch bereits Gegenstand von Besprechungen in diesem Hohen Hause gewesen. Solche Maßnahmen lassen sich jedoch mit den Grundsätzen unserer gesamten Wirtschaftsverfassung nur schwer in Einklang bringen und würden wahrscheinlich auch einen erheblichen Verwaltungaufwand erforderlich machen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Strohmayr.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß nicht nur Eigenkapital, das über das 312-ist, sondern daß darüber hinaus auch die Aufbaudarlehen aus dem Latsenausgleich zurückgezahlt werden müssen, wenn sie nicht innerhalb der Konkursmasse verblieben sind?
Mark-Gesetz angespart wird, bei Konkursen verlorengeht, wenn es nicht im Grundbuch eingetragen
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn sie nicht dinglich abgesichert sind?
Wenn sie nicht, ob dinglich oder nicht dinglich, abgesichert sind!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, einverstanden!
Herr Minister, ich glaube, daß diese Antwort keine Antwort auf meine Frage war. Ich wollte wissen, ob es Ihnen bekannt ist und welche Möglichkeiten bestehen, hier Abhilfe zu schaffen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rh habe „ja" gesagt, Herr Abgeordneter.
Herr Abgeordneter Ott zu einer Zusatzfrage.
Herr Bundesminister. sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es bei der Unerfahrenheit eines großen Teils kleiner eigentumswilliger Bewerber angezeigt erschiene, den Maklerberuf als einen Beruf, der treuhänderische Aufgaben übernimmt, im Wege einer Berufsordnung herauszustellen, um die Verantwortungen entsprechend klarzustellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, hiermit wird eine Frage angeschnitten, die nicht allein in den Bereich meines Ressorts gehört. Diese gewerbepolitischen Überlegungen, die hier angeschnitten wurden, sind von ganz allgemeiner Bedeutung und können, glaube ich, nicht nur im Zusammenhang mit dieser Frage gesehen werden.
Fragen 20 und 21 des Abgeordneten Geldner:
Wie beurteilt die Bundesregierung aus wohnungsbau- und gesellschaftspolitischer sieht die im Familienbericht genannte Tatsache, daß von den Ehepaaren mil drei und mehr bei ihnen lebenden Kindern 1965 jedes fünfte nur höchstens drei Wohnräume einschließlich Küche zur Verfügung hatte?
In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung mit ihren Mitteln mit dafür zu sorgen, daß in absehbarer Zeit auch die 74 Prozent Familien mit drei Kindern in Münster und Osnabrück und die 83 Prozent in Hagen, die über ungenügend Wohnraum verfügen, in absehbarer Zeit ausreichend große und finanziell tragbare Wohnungen angeboten bekommen können?
Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die in. Ihrer Frage geschilderte Wohnraumsituation der Familien mit drei und
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8168 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968
Bundesminister Dr. Lauritzenmehr Kindern zeigt, Herr Abgeordneter, daß es trotz der außerordentlichen Erfolge auf dem Gebiete des Wohnungsbaues seit der Währungsreform immer noch nicht gelungen ist, alle Familien mit angemessenem Wohnraum auszustatten. Leider gehören hierzu insbesondere die kinderreichen Familien. Ich sehe daher auch meine Aufgabe darin, gemeinsam mit den Ländern alle Anstrengungen zu machen, auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaues dazu beizutragen, daß solche Notstände endgültig beseitigt werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Geldner.
Herr Minister, sehen Sie eine Möglichkeit, die Wohnungsbaupolitik des Bundes dahin zu ändern, mehr familiengerechte Wohnungen zu bekommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich komme damit im Grunde genommen zu Ihrer nächsten Frage. Sie fragen ja danach, in welcher Weise die Bundesregierung mit dafür zu sorgen gedenkt, daß — — Herr Präsident, darf ich gleich die nächste Frage in diesem Zusammenhang beantworten?
Bitte sehr!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dem Anliegen, besonders für kinderreiche Familien ausreichend Wohnraum zu schaffen, — das war ja Ihre Frage — trägt das Finanzänderungsgesetz 1967, durch welches das Zweite Wohnungsbaugesetz geändert worden ist, Rechnung. Danach sind die Länder, die für die Durchführung des Gesetzes zuständig sind, gehalten, die öffentlichen Mittel in der Weise zu verteilen, daß in erster Linie der Wohnungsbau in Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf und die unerledigten Anträge auf Bewilligung öffentlicher Mittel für Eigentumsmaßnahmen, insbesondere für kinderreiche Familien, berücksichtigt werden. Hier ist also im Finanzänderungsgesetz bewußt ein Schwerpunkt gesetzt worden, um diesen Belangen Rechnung zu tragen. Ich nehme aber diese Frage zum Anlaß, um nochmals bei den Ländern auf die Notwendigkeit der Lösung dieses Problems hinzuweisen. Ich bin darüber hinaus bereit — und das ist für den Haushalt 1968 schon eingeleitet worden —, eine neue — darf ich es einmal so nennen — „Aktion Großfamilie" durchzuführen und dafür zusätzliche Haushaltsmittel einzusetzen — etwa in einer Größenordnung von 6 Millionen DM —, um gerade für diesen Kreis zusätzliche Hilfen zu schaffen.
Keine Zusatzfrage. Meine Damen und Herren, damit ist die Fragestunde beendet.
Ich rufe den Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 28 des Petitionsausschusses über Anträge
von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen
— Drucksache V/2621
Ich frage die Berichterstatterin, die Vorsitzende des Ausschusses, Frau Jacobi, ob sie das Wort wünscht. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag des Ausschusses ist angenommen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Bericht der Bundesregierung über die Lage
der Nation im gespaltenen Deutschland
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dreiundzwanzig Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges muß dieser erste Bericht über die Lage der Nation immer noch die Überschrift „Bericht über die Lage der Nation im geteilten Deutschland" tragen. Nicht durch den Willen der Deutschen ist dies so. Hätten sie zu irgendeinem Zeitpunkt selber entscheiden können — oder könnten sie es heute —, dann wäre die friedliche Einigung der Nation gewiß. Dies weiß alle Welt im Westen wie im Osten.Das Selbstbestimmungsrecht, auf das sich die Völker der Erde berufen und welches in der Charta der Vereinten Nationen feierlich verbürgt ist, wird auch dem deutschen Volke nicht auf die Dauer verweigert werden können.
Es muß diesem Volke endlich die Möglichkeit geben, seinen Willen zur Frage der Wiedervereinigung und zu der von ihm gewünschten politischen Ordnung frei kundzutun..In beiden Teilen Deutschlands leben gegenwärtig mehr als 77 Millionen Menschen, davon 60 Millionen in der Bundesrepublik. Nahezu eine Million Deutsche leben heute außerdem noch in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße. Gegenüber dem Jahre 1933 hat die deutsche Gesamtbevölkerung um 11 Millionen zugenommen, aber sie lebt und arbeitet in einem um etwa 115 000 qkm geschrumpften Gebiet und darin auseinandergerissen durch die weltpolitische Entwicklung nach dem Krieg.Der große Konflikt zwischen dem Osten und dem Westen schnitt die Grenzen der Interessensphären zu unserem Unglück mitten durch unser Land. Seitdem die Sowjetunion in der atomaren Rüstung mit die Vereinigten Staaten gleichzog, stehen sich die Mächte und ihre Blöcke hochgerüstet gegenüber. Sie bemühen sich, jeden Konflikt zu vermeiden, der sich zu einem für beide vernichtenden nuklearen Krieg ausweiten könnte. Die schreckliche Gefahr bewahrt uns zwar einen prekären Frieden, aber sie befestigt auch den Status quo. Die machtpolitischen und ideologischen Gegensätze bestehen weiter, aber die Fronten sind mitten in unserem Land erstarrt.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968 8169
Bundeskanzler Dr. h. c. KiesingerWer diesen unerträglichen und gefährlichen Zustand ändern will — und wir müssen und wollen ihn ändern —, kann es nur mit den Mitteln des Friedens tun. Deshalb hat die Bundesregierung ihre Politik der Entspannung gegenüber Osteuropa eingeleitet. Ohne das unzerstörbare Recht unserer Nation, in einem Staate zu leben, preiszugeben, versuchen wir, eine europäische Friedensordnung anzubahnen, die auch die Teilung Deutschlands überwinden soll.Meine Damen und Herren, viele Fragen sind heute noch zwischen uns und unseren östlichen Nachbarn heftig umstritten. Sie alle, die auch in unserem Land Gegenstand einer mit großem Ernst geführten, nicht abreißenden Diskussion sind, lassen sich nicht isoliert, sondern nur im Vollzug einer solchen europäischen Friedensordnung lösen. Wenn wir einen dauernden Frieden stiften wollen, dann müssen wir wirklich Lösungen finden, die auch von den künftigen Generationen als richtig und gerecht anerkannt werden.Die Überzeugung, daß es um des Friedens, um des wirklichen Friedens willen notwendig sei, eine gerechte Lösung der deutschen Frage zu finden, wächst auch außerhalb Deutschlands. Je klarer wir unser Recht vertreten, je deutlicher wir dabei unser Augenmaß beweisen, je konkreter unser Handeln ist, je überzeugender wir unseren Willen zur Bewahrung des Friedens in der Welt beweisen, desto sicherer dürfen wir sein, die moralische und politische Unterstützung der Völker in aller Welt, auch im Osten, für die Sache der Wiedervereinigung zu gewinnen.Gewaltverzicht, so meinen wir, wäre ein wichtiger erster Schritt zur Vorbereitung einer europäischen Friedensordnung. Wir glauben, daß die Sowjetunion folgerichtig handeln würde, wenn sie, die große nukleare Macht, die von uns den Verzicht auf atomare Waffen erwartet, zu einem solchen Gewaltverzicht bereit wäre.
Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß ein Nichtverbreitungsvertrag in einer immer noch gefährlichen Phase der Weltpolitik von Nutzen sein und die Spannungen vermindern könnte. Ein derartiger Vertrag muß aber den Interessen all derer, die ihn unterzeichnen sollen, gerecht werden.
Die Bundesregierung hat ihre Stellungnahme zu dem vorliegenden Entwurf eines Nichtverbreitungsvertrags, wie Sie wissen, am 8. März in einem Memorandum noch einmal dargelegt.Solange der Osten hoch gerüstet ist, müssen wir für unsere Verteidigung sorgen. Wir sehen immer noch im nordatlantischen Bündnis dafür die sicherste Garantie. Dieses Bündnis widerspricht unserer Friedenpolitik nicht. Im Gegenteil, es gibt uns überhaupt erst die Möglichkeit, eine Politik der Entspannung zu führen, die nicht mit untragbaren Sicherheitsrisiken verbunden wäre. Ließen wir diese Erkenntnis außer acht, so könnten gefährliche Folgen für die Lage Deutschlands und Europas entstehen.Wir wären froh, wenn wir mit einem Gewaltverzicht gleichwertige gegenseitige Abrüstungsmaßnahmen und Truppenverminderungen verbinden könnten. Die Bundesregierung untersucht derartige Projekte und die damit natürlicherweise verbundenen Sicherheits- und außenpolitischen Probleme.In diesem Jahr, meine Damen und Herren, werden die Vereinigten Staaten 35 000 Mann und Großbritannien 6000 Mann ihrer Streitkräfte aus Deutschland zurückverlegen. Frankreich beabsichtigt, 5000 Mann aus Deutschland nach Ostfrankreich zu verlegen. Auch Belgien will die Zahl seiner Verbände vermindern. Wir verfolgen diese einseitige Entwicklung mit Sorge. Wir müssen uns aber darüber im klaren sein, daß wir mit der Bereitschaft unserer Verbündeten, unser Land im Ernstfall mit zu schützen, nur rechnen können, wenn wir auch in Zukunft eine genügend große, schlagkräftige und modern ausgerüstete Bundeswehr bereitstellen.So stark unsere Bindungen im atlantischen Bündnis, so freundschaftlich unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten sind, so dürfen wir doch unsere eigene Zukunft und, wie wir meinen, auch die Zukunft eines vereinigten westlichen Europas nicht im festen Gefüge eines nordatlantischen Imperiums suchen. Eine solche Lösung würde die Demarkationslinie, die Deutschland und Europa teilt, in einen dauernden Grenzwall verwandeln. Eine solche Lösung könnte auch die Gefahr eines großen Weltkonflikts in dramatischer Weise steigern.Die Vereinigten Staaten haben sich seit dem Ende des zweiten Weltkrieges stets für eine Politik der europäischen Einigung eingesetzt. Ein starkes geeinigtes Europa könnte einen Teil der Last von den Schultern Amerikas nehmen und stärker in die Verantwortung für die eigene Sicherheit eintreten. Ein derart eigenständiges, mit Amerika freundschaftlich verbundenes Europa könnte dem Frieden in der Welt in hohem Maße dienen und könnte helfen, eine Brücke zwischen West und Ost zu schlagen. Eine verläßliche Partnerschaft mit Amerika bleibt deshalb gesichert, weil — abgesehen von unseren gemeinsamen geistigen und politischen Werten — eine Identität der Interessen darin besteht, daß Westeuropa nicht unter sowjetrussischen Einfluß fallen darf.Aber wie steht es mit dieser europäischen Einigung, die für die Zukunft unserer Nation so große Bedeutung gewinnen kann und die zu den wichtigsten Aufgaben unseres Jahrhunderts gehört? In der Entwicklung der europäischen Gemeinschaften sind beträchtliche Fortschritte erzielt worden. Sie haben ihren Mitgliedern nicht nur große wirtschaftliche Vorteile gebracht, sondern auch das Bewußtsein der Solidarität gestärkt und das Ansehen und das Gewicht Europas in der Welt vermehrt. Wir sind aber leider noch weit von dem Ziel eines politisch geeinten Europas entfernt.Großbritannien und andere europäische Staaten wünschen, den Gemeinschaften beizutreten. Die Bundesregierung unterstützt diese Wünsche. Wir sind der Meinung, daß unsere behutsame, aber beharrliche Behandlung der Beitrittsgesuche die bestenBundeskanzler Dr. h. c. KiesingerAussichten für die Überwindung der Schwierigkeiten bietet, die dem Beitritt mit vollen Rechten und Pflichten noch entgegenstehen, und wir sind fest entschlossen, eine schwere Krise der Gemeinschaft zu verhindern, die das bisher Errungene gefährden und die kraftvolle Weiterentwicklung der Gemeinschaft lähmen würde.
In unseren jüngsten Gesprächen in Paris haben wir erneut unseren Willen zu einer engen Zusammenarbeit mit Frankreich bekräftigt. Niemand verschließt sich der Einsicht, daß ohne eine solche Zusammenarbeit die Einigung Europas nicht gelingen kann. Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung sofort die im deutsch-französischen Vertrag vorgesehene Zusammenarbeit intensiviert, die Konsultationen auf neue Gebiete ausgedehnt und eine engere Kooperation zwischen der deutschen und französischen Wirtschaft eingeleitet. Es wurden zwei Sonderbeauftragte bestellt, denen die Koordinierung dieser weitgespannten Zusammenarbeit obliegt. Diese Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich ist vor allem auch eine unerläßliche Voraussetzung für die von uns erstrebte, die Überwindung der deutschen Teilung einschließende europäische Friedensordnung.Die Bundesrepublik Deutschland gehört nicht zu den großen, politisch weltweit engagierten Mächten. Aber sie gehört wirtschaftlich zu der Spitzengruppe der Industrienationen. Ihre handelspolitischen Interessen erstrecken sich daher auf den ganzen Erdball. Ihre wirtschaftliche Stärke weist ihr aber auch eine erhebliche Mitverantwortung für die Entwicklung weiter Teile der Welt zu. Es ist eine unabweisbare Aufgabe aller Industrienationen, den in der Entwicklung befindlichen Ländern anderer Erdteile nach Kräften zu helfen, eine eigene gesunde wirtschaftliche, soziale und politische Ordnung aufzubauen. Denen, die meinen, diese Mittel würden besser im eigenen Land verwendet, muß man immer wieder sagen, daß von einer guten Entwicklung in jener neuen Welt auch unsere eigene Zukunft mitbestimmt wird.
Die Bundesregierung hat daher im Haushalt 1967 und im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung — wie Sie wissen — die Mittel für die Entwicklungshilfe nicht wie die meisten anderen Haushaltspositionen gekürzt, sondern erhöht. Was immer in ihren Kräften steht, um jenen Ländern mit Rat und Tat beizustehen, ist sie fest entschlossen zu tun, und sie weiß sich der Unterstützung dieses Hohen Hauses dabei gewiß.Aber auch abgesehen von diesen Interessen und Verpflichtungen versuchen wir, freundschaftliche Beziehungen mit allen Staaten der Welt zu unterhalten und deren Verständnis für die Notwendigkeit einer gerechten Lösung der deutschen Frage zu gewinnen. Wir hoffen, daß auch unser Verhältnis zu jenen Staaten der arabischen Welt, mit denen zur Zeit keine diplomatischen Beziehungen bestehen, bald wieder freundschaftlich geordnet wird.Das deutsche Volk verfolgt den Krieg in Vietnam mit großer Sorge und mit tiefer Anteilnahme für die durch den Krieg betroffene und leidende Bevölkerung jenes Landes. In dieser Anteilnahme wird deutlich, wie unerträglich unserem Volk die Vorstellung des Krieges überhaupt und eines Blutvergießens geworden ist, das mit grausamer Härte auch die Zivilbevölkerung, Frauen und Kinder, unvermeidlich einbezieht. Wie immer aber jeder die amerikanische Intervention in Vietnam beurteilen mag, so sollten wir uns doch mit Entschiedenheit gegen die Entstellungen wehren, die ganz einseitig den Amerikanern die Schuld an dem Krieg, seiner Entstehung wie seiner Entwicklung, vorwerfen.
Gerade wir haben nicht den geringsten Grund, uns zu Schulmeistern Amerikas aufzuwerfen.
Ich wünschte von ganzem Herzen, daß unser Land dazu helfen könnte, daß die Kampfhandlungen bald beendet werden. Da wir dazu nicht imstande sind, bleibt uns nur die Möglichkeit, die Leiden aller durch den Krieg in Vietnam betroffenen Menschen durch vermehrte humanitäre Hilfe zu lindern.
Wir wenden unseren Blick vom Unglück anderer auf unsere eigene nationale Sorge zurück. Die Machthaber im anderen Teil Deutschlands haben die durch die internationale Entwicklung erzwungene Teilung unserer Nation dazu benutzt, unsere Landsleute gewaltsam immer stärker von uns abzuriegeln, um ihr der Bevölkerung aufgenötigtes Regime zu sichern und auszubauen. Diese konsequente Spaltungspolitik ist einerseits die Folge der politischen Schwäche ihres Regimes, dem die Zustimmung der Bevölkerung versagt bleibt, und sie resultiert andererseits aus dem Versuch, einem zweiten deutschen Staat internationale Anerkennung zu verschaffen.Die Kontakte zwischen den beiden Teilen Deutschlands wurden nach dem Bau der Mauer immer weiter eingeschränkt. Nur Personen im Rentenalter dürfen, von politisch oder beruflich bedingten Ausnahmen abgesehen, in die Bundesrepublik reisen. Im vergangenen Jahr waren es rund eine Million. Besucher aus der Bundesrepublik dürfen im allgemeinen nur dann in den anderen Teil Deutschlands, wenn sie Verwandte ersten oder zweiten Grades besuchen wollen. 1967 waren es etwa 1,4 Millionen. Westberlinern ist selbst dies nicht erlaubt.Eine Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem, kulturellem und sportlichem Gebiet gibt es kaum noch. Auch die Beziehungen im kirchlichen Bereich sind drakonischen Beschränkungen unterworfen, und jeder kennt den Druck, der dort auf den Kirchen lastet. Die Beziehungen im Bereich von Justiz und Verwaltung werden auf ein Minimum beschränkt, und dieses Minimum wird dazu benutzt,Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung, Bonn, Montag, den 11, März 1968 8171Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesingerum eine Art zwischenstaatlichen Verkehrs zu erreichen.Diese von den Führern der SED aufgezwungene Abkapselung macht es uns schwer, mit einiger Sicherheit von den Menschen im anderen Teil Deutschlands zu sprechen, von ihrem Denken und Wollen, ihrem Fühlen und Handeln. Dar Mensch, der einem totalitären Regime unterworfen ist, lebt ohnehin verdeckt in der Spannung zwischen innerem Widerspruch und äußerer Anpassung. Aber wir verstehen diese Menschen, so meine ich, immer noch besser, als die dortigen Machthaber es tun.
Unsere Landsleute sind Deutsche wie wir, von denen viele auch aus ganz anderen Landschaften Deutschlands und aus deutschen Siedlungsgebieten außerhalb der alten Reichsgrenzen stammen. Wo immer Menschen aus beiden Teilen Deutschlands zusammentreffen, ohne unter einem politischen Druck zu stehen, erweist sich diese Zusammengehörigkeit von Menschen einer Sprache, einer Geschichte, einer Kultur. Es ist dem kommunistischen Regime nicht gelungen, die Bevölkerung für sich zu gewinnen, von einer schwachen Minderheit abgesehen. Dies gilt auch für die Jugend. Auch das SED-Regime hat der Tatsache Rechnung tragen müssen, daß die Deutschen sich als eine Nation verstehen.
Es gibt kein Staatsvolk der DDR, wohl aber haben die Deutschen im anderen Teil in der Nachkriegszeit ihr eigenes schweres Schicksal gehabt und daraus ein eigenes Bewußtsein entwickelt, das wir respektieren. Sie mußten ihren Aufbau unter noch schwierigeren Bedingungen vollbringen als wir, und sie sind deshalb mit Recht stolz auf eine Leistung wie auch auf die Erfolge, die sie in Wissenschaft und Technik, im kulturellen und im sportlichen Bereich erzielt haben.Wir freuen uns darüber, daß sich die wirtschaftliche Lage im anderen Teil Deutschlands auch im vergangenen Jahr weiter verbessert hat. Die Warenproduktion nahm um fast 7 % zu, der Export stieg um 8 %, die Einzelhandelsumsätze um 4 %. Dadurch hat sich — und das wünschen wir — der Lebensstandard weiter erhöht. Die Bundesregierung ist bereit, diesen wirtschaftlichen Fortschritt zu unterstützen. Leider hat sich der Interzonenhandel nicht so entwickelt, wie wir es gewünscht hätten. Er ist im vergangenen Jahr um etwa 5 % zurückgegangen, was allerdings eine Folge auch der konjunkturellen Abschwächung in der Bundesrepublik war. 1966 und 1967 betrug der Umsatz über 5,7 Milliarden DM. Davon entfielen auf Lieferungen der Bundesrepublik rund 3,2 Milliarden DM und auf Lieferungen der anderen Seite rund 2,6 Milliarden DM. Ostberlin ist daher stark verschuldet.Die eigentliche Schwierigkeit liegt in den beschränkten Liefermöglichkeiten des anderen Teiles Deutschlands. Kredithilfen und andere Maßnahmen können immer nur kurzfristige Erleichterungen bringen, und die Bundesregierung hat es daran wahrlich nicht fehlen lassen. Sie hat eine Bundesgarantie für langfristige Investitionsgüterlieferungen gewährt, eine Gesellschaft zur Finanzierung solcher Geschäfte durch ein Bankenkonsortium wurde gegründet, die Widerrufsklausel wurde aufgehoben, eine Vergünstigung bei der Mehrwertsteuer zugestanden, und schließlich wurde der Saldierungstermin um ein Jahr verschoben.Die Sowjetunion bemüht sich, die Wirtschaft der DDR möglichst fest in das östliche Wirtschaftssystem einzugliedern. Wir aber müssen versuchen, die wirtschaftlichen Verbindungen zum anderen Teil Deutschlands zu erweitern. Wir hoffen, daß die seit Ende September des letzten Jahres laufenden Verhandlungen über eine Ausweitung des innerdeutschen Handels erfolgreich sein werden. Wir erwägen, in Ostberlin ein Büro für den Interzonenhandel zu errichten.Meine Damen und Herren, wir müssen ein Gesamtkonzept für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands erarbeiten. In dieses Konzept soll auch die Prüfung der finanziellen Forderungen einbezogen werden, die Ostberlin an uns gerichtet hat. Der Kabinettsausschuß für innerdeutsche Angelegenheiten ist mit dem Entwurf eines solchen Gesamtkonzepts befaßt.Wir Deutsche könnten, solange uns die gemeinsame staatliche Ordnung noch verweigert. wird, vieles tun, um zu verhindern, daß wir immer weiter auseinandertreiben. Selbst im Bereich der Gesetzgebung und Verwaltung ließen sich Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen, die nicht Ausdruck unterschiedlicher Gesellschaftssysteme sind, aufeinander abstimmen, um das Leben im geteilten Deutschland zu erleichtern. Aber dazu sollte eben auch die andere Seite so wie wir unbefangen bereit sein.
Ich wiederhole noch einmal mein Angebot, das in den Regierungserklärungen vom 13. Dezember 1966 und vom 12. April 1967 sowie in meinen beiden Briefen an Herrn Stoph enthalten ist. Die Bundesregierung hält an der Absicht fest, das Schicksal der Menschen im gespaltenen Deutschland zu erleichtern. Sie ist bereit, über alle praktischen Fragen des Zusammenlebens der Deutschen mit der Regierung in Ostberlin zu verhandeln, und sie erweitert hiermit die vorgeschlagenen Themen ausdrücklich um das Thema des Gewaltverzichts.
Wir sind bereit, über alle genannten Themen zu sprechen, wenn die andere Seite darauf verzichtet, mit diesen Gesprächen die Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung zu verquicken. Der Steetssekretär des Bundeskanzleramts steht für Gespräche jederzeit zur Verfügung, und ich selbst wurde mit Herrn Stoph zusammentreffen, sobald sich ein befriedigendes Ergebnis solcher Verhandlungen absehen ließe.Die Lage der Nation wird uns in Berlin besonders schmerzlich deutlich. Diese Stadt verkörpert symbolhaft das Schicksal des deutschen Volkes in diesem Jahrhundert:. Einst war sie eines der großen Zentren der Welt., in dem Kultur, Wissenschaft und Wirt-
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8172 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968
Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesingerschaft blühten, unsere Hauptstadt, in der sich die geistigen Kräfte der Nation sammelten und von der sie belebend wieder ausstrahlten. Eine solche Hauptstadt, die das geistige und politische Leben der Nation kraftvoll integrieren könnte, vermissen wir heute bitter. Die mannigfachen politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen zwischen dem Bund und Berlin, die sich im Laufe der Jahre entwickelt haben, sind für die Wohlfahrt und Lebensfähigkeit Berlins unentbehrlich geworden. Sie stehen in vollem Einklang mit dem vereinbarten Status Berlins. Dagegen wir dieser Status durch einseitige Maßnahmen auf Ostberliner Boden fortwährend mißachtet, wo man nicht einmal mehr ein Mindestmaß an menschlichen Beziehungen zwischen West- und Ostberlin zugesteht.
Die Bundesregierung ist jederzeit bereit, mit allen vier Mächten zusammenzuarbeiten, wenn dies den Interessen Berlins förderlich ist. Sie hofft, daß auch Moskau und Ostberlin keine Verschärfung der Spannungen wünschen. Wir sind jedenfalls fest entschlossen, die Lebensfähigkeit Berlins und seiner Bevölkerung auch in Zukunft mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, zu sichern.
Unsere Deutschlandpolitik ist leider in hohem Maße von Entwicklungen abhängig, .auf die wir wenig oder gar keinen Einfluß haben. Aber es gibt doch Möglichkeiten, im Verein mit anderen Mächten friedensfördernde Kräfte zu entfalten, die zur Überwindung des Status quo führen können. Es kommt darauf an, den Weg offen zu halten und uns auf eine lang andauernde Auseinandersetzung ebenso einzurichten wie auf die Möglichkeit eines schnelleren Wechsels der Lage. Entscheidend aber ist und bleibt, daß der Wille der Deutschen zur Wiedervereinigung niemals erlahmt.
Bis zum Tage der Wiedervereinigung, der kommen wird, weil niemand den Willen eines großen Volkes, seine Einheit wiederzugewinnen, zu brechen vermag, sollen wir und wollen wir die Zeit nützen, um unser Haus hier in Ordnung zu halten und unser Land auf die kommende Zeit und Welt vorzubereiten. Hier sind uns die Hände nicht gebunden; hier können wir allein planen, entscheiden und handeln, wobei wir niemals den Blick auf die gemeinsame Zukunft unserer Nation verlieren dürfen.Zur inneren Lage dieses Landes können wir ohne Überheblichkeit feststellen, daß noch niemals in der Geschichte — dies ist gegen den Versuch einer permanenten Verleumdung der gegenwärtigen staatlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit in Deutschland gesagt der überwiegende Teil des deutschen Volkes in einem so freiheitlichen und wirtschaftlichen blühenden Gemeinwesen leben konnte wie die 60 Millionen Deutschen in der Bundesrepublik.
Die Wirksamkeit des demokratisch-parlamentarischen Regierungssystems ist gesichert. Der Wohlstand unserer Bevölkerung hat sich trotz der wirtschaftlichen Rezession im vergangenen Jahr und manchen schwierigen strukturellen Problemen auf beachtlicher Höhe gehalten. Das Bruttosozialprodukt hat sich seit 1950 mehr als verfünffacht, und die soziale Sicherheit hat einen Stand erreicht, um den uns viele Völker beneiden.Im Herbst 1966, meine Damen und Herren, drohte zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik ein ernsthafter wirtschaftlicher Rückschlag. Diese Gefahr wurde durch die Maßnahmen der Bundesregierung und der gesetzgebenden Körperschaften überwunden. Die gegenwärtige Entwicklung berechtigt uns zu der Hoffnung, daß wir auch für die kommenden Jahre mit einem stetigen Wachstum rechnen können. Eine maßvoll expansive Wirtschaftspolitik wird es uns ermöglichen, den Lebensstandard der Bevölkerung weiter zu steigern. Die von uns ergriffenen Maßnahmen leiteten zugleich eine neue Phase, eine wirklich neue Phase staatlicher Wirtschafts- und Finanzpolitik ein. Staatshaushalt und wirtschaftlicher Prozeß sind zum erstenmal in eine enge und systematische Wechselwirkung gebracht worden.Die am Wirtschaftsprozeß beteiligten Gruppen sind in eine engere Zusammenarbeit als bisher eingetreten. Das politische Planen und Handeln der Regierung ist langfristiger berechenbar geworden. Das Gesetz zur Förderung von Stabilität und Wachstum der Wirtschaft macht eine moderne Wirtschaftspolitik für die Regierung und die gesetzgebenden Körperschaften zur Pflicht. Das so geschaffene Instrumentarium unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik wird sich in einer künftigen Hochkonjunktur bewähren müssen. Es liegt an uns, dieses Instrumentarium dann entschlossen zu benützen.Die Wechselwirkung zwischen Staatshaushalt und wirtschaftlichem Prozeß bildet auch die Grundlage der mittelfristigen Finanzplanung. Dieses soll die öffentlichen Haushalte zunächst bis zum Jahre 1971 vorausplanend ordnen, um damit eine Rangfolge der staatlichen Aufgaben, die so dringlich ist, zu ermöglichen. Dabei wird der durch das Stabilitätsgesetz vorgeschriebenen jährlichen Überprüfung und Fortschreibung eine erhebliche Bedeutung zukommen. Meine Damen und Herren, es muß uns einfach gelingen, den durch die bestehenden gesetzlichen Ausgabeverpflichtungen unerträglich eingeengten Bewegungsspielraum so auszuweiten, daß die Lösung der großen und kostspieligen neuen Aufgaben der kommenden Jahre in Angriff genommen werden kann.
Dieses Ziel wird erreicht werden können, wenn Bund und Länder derart zusammenarbeiten, daß die Finanzplanung den öffentlichen Gesamthaushalt umfaßt. Bund und Länder sind bekanntlich durch das Stabilitätsgesetz zu mittelfristigen Finanzplanungen verpflichtet, um die durch dieses Gesetz aufgestellten Ziele, Stabilität und Wachstum, hoher Beschäftigungsstand und außenwirtschaftliches Gleichge-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968 8173
Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesingerwicht, zu erreichen. Dieses Gesetz enthält jedoch keine Vorschriften über die unerläßliche gegenseitige Abstimmung dieser Pläne. Bund und Länder haben sich daher geeinigt, diesem Mangel durch die Bildung eines Finanzplanungsrates abzuhelfen, der am 14. März zum erstenmal zusammentreten wird.Eine weitere wichtige Etappe zu einer engeren bundesstaatlichen Kooperation wird die Reform der Finanzverfassung sein. Auch in dieser Frage haben sich Bund und Länder grundsätzlich geeinigt, so daß die Bundesregierung noch in dieser Woche die entsprechenden Gesetzentwürfe verabschieden kann. Es wurde Einigkeit darüber erzielt, daß folgende Aufgaben im Grundgesetz als Gemeinschaftsaufgaben verankert werden: Aus- und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen, Maßnahmen zur regionalen Wirtschaftsförderung und Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes. Außerdem wird eine Bestimmung in das Grundgesetz aufgenommen werden, die den Bund zur Abwehr von Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und von erheblichen Störungen der regionalen Wirtschaftsentwicklung zu Finanzhilfen für Investitionen der Länder und Gemeinden ermächtigt. Der Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung im Grundgesetz soll schließlich um die Ausbildungsförderung erweitert werden.Ein besonders wichtiges und schwieriges Stück der Finanzreform wird eine Reform der Gemeindefinanzen sein. Dabei soll die Finanzausstattung der Gemeinden verstärkt und die gemeindliche Steuerstruktur verbessert werden. Über diese sehr umstrittene Frage wird gegenwärtig zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden noch verhandelt. Zwar soll die Gemeindefinanzreform erst im Jahre 1970 in Kraft treten; wenn irgend möglich sollte sie aber zusammen mit der Finanzverfassungsreform zwischen dem Bund und den Ländern noch in diesem Frühjahr vom Gesetzgeber behandelt werden.Der Großen Koalition ist es gelungen, die allgemeine Konjunktur wieder zu beleben. Dieser Erfolg ist die Voraussetzung für die Lösung einiger vordringlicher Strukturprobleme der deutschen Wirtschaft. Dazu gehören vor allem der Steinkohlenbergbau und die Landwirtschaft.Die im Jahreswirtschaftsbericht 1967 veröffentlichten Daten zeigen, daß der deutsche Steinkohlenbergbau lebensfähig ist. Die schützenden Maßnahmen der Bundesregierung haben eine vorläufige Beruhigung gebracht. Für eine dauerhafte Lösung ist es aber notwendig, daß das Programm der Bundesregierung zur Anpassung und Gesundung des Steinkohlenbergbaus in die Tat umgesetzt wird.
Dem Bundestag liegt der Entwurf des Kohleanpassungsgesetzes vor.Ich hoffe, daß die Gründung einer Einheitsgesellschaft an der Ruhr gelingt. Dies kann mit den Mitteln des Staates allein nicht erreicht werden. Daher appelliere ich dringend an alle Beteiligten, sich der Verantwortung für diese gemeinsame Aufgabe nicht zu entziehen.
Die Unruhe unter den Bergleuten wurde vor allem durch die Ungewißheit über ihre Zukunft veranlaßt. Wie viele Zechen werden stillgelegt werden? Wer wird auch künftig noch im Bergbau arbeiten und in den gewohnten heimatlichen Beziehungen leben können? Wer muß aus dem Bergbau abwandern und wohin? Wird ihm bei diesen schwierigen Übergängen geholfen werden, und wird sein künftiges berufliches Los nicht schlechter sein als das bisherige? Darüber will der Bergmann Gewißheit haben. Nun, er ist vernünftig genug, das Unvermeidliche in Kauf zu nehmen, wenn er nur weiß, daß Staat und Wirtschaft ihm helfen.Nicht anders steht es mit unseren Bauern. Auch sie haben berechtigten Grund zur Sorge. Die deutsche Landwirtschaft steigerte in den letzten 20 Jahren ihre Erzeugung um zwei Drittel. In derselben Zeit sind zwei Millionen, also mehr als die Hälfte ihrer Vollarbeitskräfte, in die gewerbliche Wirtschaft übergegangen. Diese Tatsachen sprechen für die Leistungskraft und für die so oft verkannte Anpassungsfähigkeit unserer Landwirtschaft.Der Bund und die Länder haben diesen Strukturwandel, der noch in vollem Fluß ist, kräftig unterstützt. Unsere Bauern werden auch in Zukunft staatliche Hilfe brauchen, um sich innerhalb der deutschen Wirtschaft und auf dem europäischen Markt behaupten zu können, — aber eine sinnvolle Hilfe! Durch diese sinnvolle Hilfe werden die Vollerwerbsbetriebe gekräftigt werden. Betriebe, aus denen sich kein angemessenes Einkommen erwirtschaften läßt, müssen ihr Einkommen durch Zu- oder Nebenerwerb erhöhen können — und dazu muß man helfen —, oder sie müssen aus der Landwirtschaft ausscheiden. Diese Übergänge müssen erträglich gestaltet und durch einen Ausbau der ländlichen Sozialpolitik gemildert werden. Besondere Bedeutung gewinnt dabei eine Bildungspolitik, die dem jungen Menschen auf dem Lande berufliche Alternativen eröffnen soll.Die Schwierigkeiten, denen Bauern und Bergleute ausgesetzt sind, weisen darauf hin, daß die industrielle Revolution unaufhaltsam weitereilt. Der Leistungsstand der deutschen Technik und Industrie ist hoch, aber wir dürfen nicht verkennen, daß andere Industriestaaten enorme Anstrengungen zur Modernisierung ihrer industriellen Struktur unternommen und große Erfolge erzielt haben. Diese Erfolge beruhen weitgehend darauf, daß zukunftsträchtige Industriezweige wie die Elektronik, die Atomwirtschaft, die Luft- und Raumfahrttechnik systematisch von der Industrie selbst ausgebaut und vom Staat gefördert werden. Diese Industrien sind besonders forschungsintensiv, und ihre Leistungsfähigkeit hängt von dem engen Zusammenwirken von Wissenschaft und Wirtschaft ab. Wir haben das Vertrauen, daß unsere Wirtschaft auch in Zukunft diesem internationalen Wettbewerb gewachsen bleibt. Aber Bund und Länder müssen, ähnlich wie es bereits mit den von der Bundesregierung entwickelten Programmen für Atomforschung, Datenverarbeitung, Weltraumforschung und Meeresforschung geschieht, den Wachstumsindustrien neue Impulse geben, vielleicht über die Grenzen unseres Landes hinaus mit anderen zusammen handelnd.
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8174 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968
Bundeskanzler Dr. h. c. KiesingerDarüber hinaus werden wir allgemein eine engere Zusammenarbeit zwischen Staat, Wirtschaft und Wissenschaft entwickeln müssen, um die Zukunft der kommenden Generationen zu sichern,
Nichts, meine Damen und Herren, hat das Leben unserer Nation — hüben wie drüben stärker beeinflußt und tiefer verändert als dieser gewaltige geschichtliche Prozeß. Zur Zeit der Gründung des Deutschen Reiches arbeitete etwa die Hälfte der Deutschen in der gewerblichen Wirtschaft, also in Industrie und Handwerk, Handel und Verkehr und anderen Dienstleistungen. Heute sind es in der Bundesrepublik 99 %, im anderen Teil Deutschlands 85 %.Diese Entwicklung hat unseren Wohlstand mächtig vermehrt, den Lebensstandard aller Schichten gesteigert und den Ausbau einer großzügigen sozialen Ordnung ermöglicht. Sie hat uns, wenn wir auch nicht mehr zu den großen politischen Mächten unserer Welt gehören, immerhin einen Platz in der führenden Gruppe der Wirtschaftsmächte unserer Zeit gesichert. Somit hängt unsere Außen- und Innenpolitik, die Stabilität unserer gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung und nicht zuletzt unser kulturelles Leben davon ab, daß diese unsere Wirtschaft gedeiht. und wächst.
Die Phantasie, Energie und Anpassungsfähigkeit unserer Unternehmer, Kaufleute und Wirtschaftsführer, der Fleiß und die Geschicklichkeit unserer Arbeiter und Angestellten, Techniker und Ingenieure haben eine bewunderswerte Leistung vollbracht.Aber hinter dieser wirtschaftlichen Revolution drängt und treibt eine andere Bewegung: die moderne Wissenschaft, die den technischen und industriellen Prozeß und alles in seinem Gefolge erst ausgelöst hat. Die Wissenschaft ist der starke Motor unserer Zeit; sie wirkt auf alle Lebensbereiche immer mächtiger, immer tiefer verändernd ein, und ihr Stand und ihre Höhe werden in den wetteifernden Staaten die gesamte innere Entwicklung und die äußere Geltung bestimmen.Meine Damen und Herren, dem Zwang zur Modernität dürfen sich auch die Strukturen und Institutionen des Staates nicht entziehen.
Viele unserer aus den Traditionen des 19. Jahrhunderts überkommenen Einrichtungen und Verfahren genügen schon der heutigen Zeit nicht mehr und müßten vor den Anforderungen der Zukunft völlig versagen.
Die bundesstaatliche Verfassung unseres Landes soll nicht beschränkt oder gar beseitigt werden. Sie ist keineswegs überholt, wie Verfechter eines zentralistischen und unitarischen Systems meinen, von dem sie Wunder erwarten. Aber ganz unerläßlich und dringlich ist die Notwendigkeit, dieses föderative System in einer Weise weiterzuentwickeln, die einen nivellierenden Zentralismus verhindert, aber ein Höchstmaß kooperativen Wirkens der bundesstaatlichen Kräfte garantiert.
Wir sind, meine Damen und Herren, ich sage das mit Genugtuung, im vergangenen Jahr auf diesem Wege mit den Ländern ein gutes Stück vorwärtsgekommen. Der Föderalismus steht, darüber soll sich niemand täuschen, vor seiner großen Bewährungsprobe, und wir alle müssen wissen, daß, wenn wir auf irgendeinem Gebiet versagen, die Geschichte niemandem von uns die Entschuldigung abnehmen wird, ihm habe die Kompetenz gefehlt.
Auch eine Reform unserer Verwaltung und des öffentlichen Dienstes ist dringlich.
Nicht etwa dringlich zu dem Zwecke einer weiteren Ausdehnung des ohnehin schon, gestehen wir's, aufgeblähten Verwaltungsapparats;
wir brauchen vielmehr neue Techniken der Planung und der Integration der verschiedenen Teilgebiete politischen Handelns. Für die Aus- und Weiterbildung hochqualifizierter Beamter müssen Einrichtungen geschaffen werden, wie sie schon in der Führungsakademie der Bundeswehr und der Ausbildungsstätte für den Auswärtigen Dienst bestehen. Der Austausch von Führungskräften aus dem Staatsdienst, der Wirtschaft und der Wissenschaft muß großzügig gefördert werden.
Die Bundesregierung hat diese Aufgabe in Angriff genommen.Meine Damen und Herren! Auch unser Erziehungs- und Bildungswesen bedarf, wie wir alle meinen, dringend einer durchgreifenden Reform. Viele Institutionen und Traditionen unseres Bildungssystems haben ihre Wurzeln zu tief in der Epoche der vorindustriellen Gesellschaft, als daß sie den Forderungen unserer ganz verwandelten Welt noch genügen könnten. Man mag es bedauern, wenn bei der notwendigen Reform auf manches liebenswerte und ehrwürdige Erbe verzichtet werden muß. Worauf es ankommt, ist, daß unser Erziehungs- und Bildungssystem so zeit- und zukunftsgerecht wird, daß wir die großen Chancen des wissenschaftlichen und industriellen Zeitalters voll ausschöpfen.
Ich rede keiner einseitigen naturwissenschaftlichen, technischen oder wirtschaftlichen Ausbildung das Wort. Aber, meine Damen und Herren, es ist hohe Zeit, daß wir begreifen, wie stark unser aller Schicksal von der Entwicklung dieser Bereiche abhängt, und ich meine, heute kann niemand den Anspruch, gebildet zu sein, erheben, der die Bedeutung der modernen Natur- und Gesellschaftswissenschaften ignoriert.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968 8175
Bundeskanzler Dr. h. c. KiesingerDer Stand der allgemeinen Bildung ist für das politische, wirtschaftliche und geistige Leben gleichermaßen bedeutend. Aus dieser Erkenntnis haben Bund und Länder ihre Leistungen für Ausbildung und Forschung ständig gesteigert. Der Beitrag des Bundes für die Hochschul- und die Studienförderung, der vor zehn Jahren noch bei 110 Millionen DM lag, belief sich 1967 auf 835 Millionen DM. Die Länderausgaben sind in diesem Zeitraum von 936 Millionen auf 3,7 Milliarden DM gestiegen. Die Länder haben seit 1960 die Stellen für wissenschaftliches Personal an den Hochschulen nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrates um mehr als 100 % erhöht.Dennoch ist die Diskussion über die Unzulänglichkeiten unseres Schul- und Hochschulwesens immer heftiger geworden. Die Unzulänglichkeiten an den deutschen Hochschulen sind sowohl quantitativer wie qualitativer Art. Die Hochschulen sind überfüllt, und wenn nicht bald Abhilfe geschaffen wird, wird es für den zu erwartenden Andrang von Studenten in wenigen Jahren an den erforderlichen Studienplätzen und an der notwendigen Zahl von Hochschullehrern fehlen. Zu den qualitativen Mängeln, für die die Universität selbst vor allem verantwortlich ist, gehört die vielfach überholte Verfassung unserer Hochschulen. Ferner ist der Studiengang in einigen Disziplinen ungeordnet, die Studiendauer zu lang und auch die Mitgestaltung des akademischen Lebens durch Dozenten, Assistenten und Studenten ungenügend. Das Drängen nach einer raschen Reform ist daher durchaus verständlich und berechtigt.
Ich werde mit den berufenen Vertretern der deutschen Hochschulen, der Wissenschaft, der Studenten, der Länder und des Bundes Verhandlungen mit dem Ziel einer Beschleunigung der Reform unserer Hochschulen einleiten.
Meine Damen und Herren, mehr als die Hälfte der heute lebenden Deutschen wurde nach 1933 geboren. Die Zeit der nationalsozialisitischen Gewaltherrschaft und der Krieg sind für sie entweder nur eine blasse Kindheitserinnerung, oder sie haben sie nicht erlebt. Zwischen ihnen und uns, der älteren Generation, liegt eine Zäsur, die tiefer einschneidet als der normale Unterschied der Generationen. Die Jüngeren begreifen unsere staatliche und gesellschaftliche Ordnung nicht wie wir als etwas, das mühselig und erfolgreich aus Trümmern wiederaufgebaut wurde. Sie empfinden deutlicher die Schwächen und Mängel dieser Ordnung. Sie messen unsere gesellschaftliche und staatliche Wirklichkeit nicht am Vergangenen, sondern mit den Maßstäben idealer Vorstellungen. Dies, meine Damen und Herren, braucht uns nicht zu verwundern, und ich meine, wir sollten es uns auch gar nicht anders wünschen. Von einer kleinen Gruppe utopischer Schwärmer abgesehen, will diese junge Generation doch vor allem die eine Gewißheit haben, daß diejenigen, die heute in Gesellschaft und Staat Verantwortung tragen, willens und fähig sind, die Grundlage für die Zukunft — für ihre Zukunft — zu legen.In den vergangenen Jahren sind die großen Kontroversen des ersten Jahrzehnts der Bundesrepublik aus der deutschen Politik fast ganz verschwunden. Die politischen Parteien haben sich programmatisch einander genähert. Dadurch hat das politische Leben in unserem Lande vielleicht an Farbe und Dramatik verloren. Es sind aber dabei auch manche gewaltsam und künstlich geschaffenen Gegensätze verschwunden. Ohne diese Entwicklung wäre die Bildung der Großen Koalition nicht möglich gewesen. Diese Koalition hat ihre Arbeit, glaube ich, unter schwierigeren Bedingungen aufgenommen als irgendeine seit 1953. Sie hat in fünfzehn Monaten eine Fülle wichtiger Aufgaben bewältigt und die Lösung weiterer begonnen. Sie hat sich allen Schwierigkeiten zum Trotz bewährt, und sie wird ihr Bündnis bis zum Ende dieser Legislaturperiode auf jeden Fall fortsetzen. Wir verkennen nicht den politischen Ausnahmecharakter einer großen Koalition, da unser politisches Leben auf die Dauer ohne eine starke Opposition leiden müßte. In der Situation des Herbstes 1966 war jedoch die Große Koalition die einzige ernsthafte Möglichkeit für eine Regierungsbildung. Ich denke, wenn es schon so war, so haben wir aus der Not eine Tugend gemacht. Um aber der Gefahr eines sich immer wieder erneuernden Zwanges zu einer großen Koalition institutionell vorzubeugen, hält diese Regierung weiter an ihrer in der Regierungserklärung bekundeten Absicht fest, für die übernächste Bundestagswahl ein Mehrheitswahlrecht zu schaffen, das einer Partei die Möglichkeit geben soll, die Regierungsverantwortung zu übernehmen.
Viele Aufgaben, meine Damen und Herren, konnten im vergangenen Jahr und können im künftigen nur durch eine große Koalition gelöst werden. Jahrelang hat das Problem der Notstandsgesetzgebung die deutsche Öffentlichkeit beschäftigt und beunruhigt. Wir dürfen nun erwarten, daß die Beratungen in den Ausschüssen des Bundestages bald zu einem befriedigenden Abschluß gelangen und ein Ergebnis erzielt wird, das sachgerecht ist, die Befürchtungen der Kritiker ausräumt und zu einer Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte führt.Alle Entscheidungen des vergangenen Jahres, die eine Änderung des Grundgesetzes erforderten — es waren viele —, konnten durch die Große Koalition leichter getroffen werden oder wurden nur durch sie möglich. Auch die großen Reformen, von denen ich sprach und die im Laufe dieses Jahres begonnen werden, können wohl nur durch die Zusammenarbeit der beiden großen Parteien im Laufe dieses Jahres verwirklicht oder soweit verwirklicht werden, daß die Grundlage für zukünftige Arbeit gelegt ist.Meine Damen und Herren! Seit geraumer Zeit waren im Deutschen Bundestag radikale Parteien der Rechten und Linken nicht mehr vertreten. Schon vor dem Beginn der Großen Koalition hatten vor
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8176 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Montag, den 11. März 1968
Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesingerallem rechtsextremistische Gruppen in einigen Landtagswahlen gewisse Erfolge erzielt. Die extremistischen Parteien müssen — darüber sind wir uns wohl alle einig — durch die politische Auseinandersetzung zurückgedrängt werden.
Da aber, wo Gefahr droht, wird die Bundesregierung nicht zögern, mit verfassungsgemäßen Mitteln gegen Parteien vorzugehen, die unsere freiheitlich demokratische Grundordnung bedrohen.
Rang und Wert der Völker, meine Damen und Herren, werden in der Geschichte nicht nur nach ihren materiellen, sondern auch nach ihren geistigen Leistungen gemessen. Wenn wir heute die geistige Landschaft Deutschlands betrachten, so stellen wir fest, daß sich die kulturelle Blüte des vergangenen Jahrhunderts nicht wiederholt hat. Dieses Schicksal teilen wir mit anderen Völkern der abendländischen Kultur. Wir dürfen aber verzeichnen, daß unsere wissenschaftliche Forschung den Anschluß an die Weltentwicklung in vielen Bereichen wiedergewonnen hat. Ein gleiches gilt für die Künste. Das Theater- und Musikleben z. B. in beiden Teilen Deutschlands hat wieder hohen Rang erworben. Eine Anzahl deutscher Schriftsteller, Komponisten und bildender Künstler haben internationale Anerkennung gefunden. Noch besteht die Gefahr, daß der Wert des Lebens bei uns zu sehr an den gewonnenen materiellen Gütern gemessen wird. Dochregen sich allenthalben Kräfte, die mahnend daranerinnern, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt.Meine Damen und Herren, das Ziel unserer freien gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung ist es, dem Menschen die Entfaltung all seiner Kräfte zur Fülle seiner Existenz zu ermöglichen. Freiheit und Fülle der Existenz für alle Deutschen zu gewinnen, das ist der höchste Sinn unseres Ringens um die Wiedervereinigung der deutschen Nation.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Bericht der Bundesregierung über die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland gehört. Die Aussprache soll vereinbarungsgemäß am Donnerstag, dem 14. März, stattfinden, vormittags um 10 Uhr beginnend.
Wir werden am Mittwoch um 14.30 Uhr mit der Fragestunde beginnen und um 15.30 Uhr die Aussprache über den Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft durchführen.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 13. März, 14.30 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.