Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung begrüße ich als Nachfolgerin für den verstorbenen Herrn Kollegen Gibbert die Abgeordnete Frau Holzmeister.
Frau Abgeordnete Holzmeister, ich wünsche Ihnen in diesem Hause alles Gute.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Vorsitzende des Vermittlungsausschusses hat am 7. Februar 1968 mitgeteilt, daß der Vermittlungsausschuß in seiner Sitzung am 7. Februar 1968 das Gesetz über die Handwerkszählung 1968 bestätigt hat. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2559 verteilt.
Der Bundesminister des Auswärtigen hat am 2. Februar 1968 die Kleine Anfrage der Fraktion dor FDP betr. französische Truppen in der Bundesrepublik — Drucksache V/2495 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2542 verteilt.
Der Bundesminister für Verkehr hat am 7. Februar 1968 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Lenz , Illerhaus, Erhard (Bad Schwalbach), Josten und Genossen betr. Verkehrspolitisches Programm der Bundesregierung — Drucksache V/2534 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2560 verteilt.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
— Drucksachen V/2527, zu V/2527, V/2558
Wir beginnen mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung, und zwar mit der Frage 148 des Herrn Abgeordneten Rollmann:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, im Zusammenwirken mit den Ländern der andauernden und noch weiter steigenden Überfüllung unserer wissenschaftlichen Hochschulen durch eine Förderung ,des Fernstudiums zu begegnen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung.
Es ist durchaus möglich, daß die Unterrichtsform des Fernstudiums in Zukunft zu einer Entlastung unserer Hochschulen beitragen wird. Das kann einmal durch ein Fernstudium im eigentlichen Sinn geschehen wie auch dadurch, daß das Präsenzstudium an der Universität durch vorbereitende, parallel laufende oder wiederholende Fernkurse ergänzt und beschleunigt wird.
Die Förderung des Fernunterrichts gehört zu den verfassungsmäßigen Aufgaben der Länder. Der Bund ist daher nur in begrenztem Umfang in der Lage, bei der Förderung mitzuwirken. Im gegenwärtigen Stadium müssen die Probleme und Möglichkeiten des Fernstudiums noch auf breiter Basis wissenschaftlich untersucht werden. Die Bundesregierung ist im Kuratorium des Deutschen Instituts für Fernstudien in Tübingen vertreten, das zur Zeit ein wissenschaftliches Programm zur Fortbildung von Lehrern entwickelt. Wenn diese Arbeiten ausreichen, um eine Grundlage für Empfehlungen oder Maßnahmen zu geben, sind Wissenschaftsrat und Bildungsrat die geeigneten Gremien, in denen die Verwendungsmöglichkeiten des Fernstudiums erörtert werden können.
Zusatzfrage.
Ist sich die Bundesregierung bewußt, Herr Minister, daß man im Ausland, sowohl wie im Westen wie im Osten, bereits sehr positive Erfahrungen mit dem Fernstudium gemacht hat?
Die Bundesregierung ist sich dieser Tatsache bewußt und hat aus dem Grunde die erwähnten Schritte in Verbindung mit den Ländern eingeleitet.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller .
Herr Bundesminister, sind Sie der Meinung, daß das Fernstudium durch besondere Erleichterungen auch in der Steuerpolitik gefördert werden sollte, und sind Sie bereit, mit dem Bundesfinanzministerium darüber zu sprechen?
Ich glaube, daß diese Frage in der Tat innerhalb der Bundesregierung im Zusammenhang mit den steuerlichen Regelungen für Ausbildung und Fortbildung geprüft werden muß.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Rutschke.
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7868 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, das Fernstudium auch von Ihrem Hause aus besonders zu fördern?
Das ist auf Grund der geschilderten Zuständigkeiten und der Form, die mit der Trägerschaft des Tübinger Instituts gefunden wurde, im gegenwärtigen Stadium schwierig. Sollten sich jedoch breitere Anwendungsmöglichkeiten ergeben, wird die Bundesregierung prüfen müssen, durch welches Bundesministerium diese Förderung erfolgt.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kubitza.
Herr Minister, teilen Sie die Meinung, daß das Fernstudium die am ehesten realisierbare Möglichkeit ist, aus der unguten Alternative zwischen der Überfüllung unserer Hochschulen und dem Numerus clausus herauszukommen?
Ich glaube nicht, daß das Fernstudium bei aller Bedeutung und allen Chancen in absehbarer Zeit in der Lage ist, die Frage des Angebots an Studienplätzen an den wissenschaftlichen Hochschulen zu lösen.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Funcke.
Herr Bundesminister, darf ich aus Ihrer Antwort, die sich auf die Frage nach der steuerlichen Behandlung bezog, schließen, daß die Bundesregierung nunmehr den FDP-Antrag unterstützen wird, nach dem alle Ausbildung und Fortbildung steuerlich begünstigt werden soll?
Ich bin nicht in der Lage, ohne genaue Prüfung des Antrags eine so wichtige Frage abschließend zu beantworten.
— Ich darf darauf verweisen, daß diese Frage doch eine selbständige Frage ist, die mit der ursprünglichen Frage nicht in einem direkten Zusammenhang steht.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Moersch.
Herr Minister, haben innerhalb der Bundesregierung über diese Frage überhaupt schon Kontakte stattgefunden?
Es haben Kontakte stattgefunden?
Ich rufe die Frage 149 des Abgeordneten Dichgans auf:
Ist sich die Bundesregierung über die Gefahr einseitiger Entscheidungen bei der Vergabe von Forschungsmitteln klar, wenn die Entscheidung bei Fachgremien liegt, die einem bestimmten Ministerium zugeordnet sind, Fachgremien, die notwendigerweise die Fragen unter den Aspekten und Interessen ihres Fachs sehen?
Die Entscheidung über die Vergabe von Forschungsmitteln, die die Bundesregierung zur Verfügung stellt, liegt stets bei dem dafür zuständigen Bundesministerium. Die in der Frage angesprochenen Fachgremien dienen der Beratung.
Die vom Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung auf den Gebieten der Kernforschung, der kerntechnischen Entwicklung, der Weltraumforschung und der Datenverarbeitung direkt geförderten Vorhaben ordnen sich in längerfristige Forschungsprogramme ein: das dritte deutsche Atomprogramm, das mittelfristige Programm zur Förderung der Weltraumforschung, das Programm zur Förderung der Datenverarbeitung. Diese Forschungsprogramme entstanden durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Staat. Sie sind keineswegs auf die Überlegungen eines einzelnen Beratungsgremiums gegründet. Da die Forschungsmittel auf der Grundlage längerfristiger Programme vergeben werden, ist schon aus diesem Grunde die Gefahr der Bevorzugung oder der Benachteiligung eines Fachgebietes oder bestimmter Forschungseinrichtungen von Wissenschaft und Wirtschaft gering.
Neben der Einordnung der Förderungsvorhaben in längerfristige geschlossene Programme, wie dies vor allem im Bereich des Bundesministeriums für wissenschaftliche Forschung geschieht, wird durch die Zusammensetzung der die einzelnen Ministerien beratenden Fachgremien und durch die Handhabung des Beratungssystems dafür Sorge getragen, nicht immer auszuschließende Sonderinteressen und zu enge Fachaspekte einzelner Berater zu neutralisieren. Die Bundesministerien stützen sich daher auf einen verhältnismäßig großen Beraterstab, der in einem ständigen Gremium wie etwa der Deutschen Atomkommission zusammengeschlossen ist und zahlreiche Mitglieder der verschiedensten Fachgebiete umfaßt, oder sie stützen sich auf Fachgutachter bzw. Gutachtergruppen, bei denen eine Interessenkollision nicht gegeben ist und die daneben auf ihrem engeren Fachbereich die notwendige Übersicht besitzen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer.
Herr Minister, ist sichergestellt, daß im Rahmen dieser beratenden Fachgremien auch die private Forschung und die Sachkunde der in ,der Wirtschaft tätigen Fachleute genügend und ausreichend herangezogen wird?
Eine Übersicht über die Zu-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968 7869
Bundesminister Dr. Stoltenbergsammensetzung der einzelnen Gremien läßt es, glaube ich, zu, Ihre Frage zu bejahen.
Frage 150 des Herrn Abgeordneten Dichgans:
Ist die Bundesregierung bereit anzuordnen, daß alle Anträge auf Bewilligung von Forschungsmitteln vor der Beschlußfassung der deutschen Forschungsgemeinschaft zur gutachtlichen Stellungnahme vorzulegen sind?
Die einzelnen staatlichen Förderungsmaßnahmen und damit auch die Förderungsanträge sind im allgemeinen Bestandteil von umfassenden Förderprogrammen. Für diese Förderprogramme tragen, wie bereits gesagt wurde, die Bundesregierung bzw. die zuständigen Bundesressorts die Verantwortung. Daher sind die erwähnten Gutachter- und Beratungsgremien geschaffen worden, die nicht nur in voller Unabhängigkeit arbeiten, sondern durch ihre Mitwirkung bei der Aufstellung der Förderprogramme auch mit deren fachlichen, technologischen und politischen Faktoren vertraut sind. Die Bundesregierung ist überzeugt, daß diese Methode der Begutachtung von Förderungsmaßnahmen, die in staatlicher Verantwortung durchgeführt werden, ebenso wirksam wie sachgerecht ist wie das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft für den Bereich der wissenschaftlichen Selbstverwaltung seit langem mit großem Erfolg angewandte Verfahren. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat es wohl auch im Hinblick auf die große Arbeitsbelastung der ehrenamtlichen und nebenamtlich tätigen Gutachter grundsätzlich abgelehnt, sich gutachtlich zu einzelnen Förderungsmaßnahmen zu äußern, die aus staatlichen Mitteln finanziert werden sollen, wenn ihr nicht gleichzeitig auch die Entscheidung über die Vergabe der Mittel selbst übertragen wird. Ganz unabhängig von der Arbeitsteilung zwischen der Wissenschaftsförderung durch den Staat und durch die Selbstverwaltung der Wissenschaft ist jedoch meines Erachtens ständig zu prüfen, ob und wie bestehende Gutachterverfahren verbessert werden können.
Zusatzfrage.
Herr Minister, halten Sie es nicht trotzdem für zweckmäßig, grundsätzlich alle Fragen der Forschung, die ja irgendwie immer zusammenhängen — die wissenschaftliche Forschung ebenso wie die staatlich gelenkte Forschung —, irgendwann einmal in einem Gremium zu besprechen, in dem alle Experten ihre Gesichtspunkte in Gegenwart aller übrigen Experten ausbreiten müssen?
Für die übergreifenden Probleme der Forschungsförderung und die Prioritätsentscheidung haben wir mit dem Beratenden Ausschuß für Forschungspolitik ein solches Gremium berufen, das seit einigen Monaten arbeitet. Ein solches zentrales Gremium ist naturgemäß nicht in der Lage, jeden einzelnen Förderungsantrag auf Grund der vorhergehenden Prioritätsentscheidung zu beurteilen und zu behandeln.
Ich rufe die Frage 151 des Abgeordneten Dichgans auf:
Ist die Bundesregierung bereit anzuordnen, daß ein Minister, der Forschungsmittel entgegen einem negativen Votum der Deutschen Forschungsgemeinschaft vergeben will, die Sache vor der Entscheidung dem Kabinett vorzulegen hat?
Aus der Antwort zu der vorhergehenden Frage ergibt sich, daß das hier erwogene Verfahren nicht angeordnet werden kann. Aber selbst wenn man Gutachten der Deutschen Forschungsgemeinschaft einholte, scheint der Bundesregierung das Kabinett nicht der geeignete Rahmen für eine Revisionsinstanz über solche Gutachten oder von ihnen abweichende Vorschläge der Ressorts zu sein. Das Kabinett wäre nicht nur zeitlich, sondern auch sachlich überfordert, wenn es sich mit wissenschaftlichen Gutachten zu einzelnen Förderungsanträgen auseinandersetzen müßte.
Keine Zusatzfragen.Ich rufe die Fragen 152, 153 und 154 des Abgeordneten Dr. Bechert auf:Hat die Bundesregierung gemäß dem Übereinkommen vom 20. Dezember 1957 über die Errichtung einer Sicherheitskontrolle auf dem Gebiet der Kernenergie beantragt, daß die in dem genannten Übereinkommen gemeinte Sicherheitskontrolle auf jede Tätigkeit angewendet wird, für welche die Bundesregierung im Bereich der Kernenergie verantwortlich ist?Wenn die Frage 152 nicht in dem Sinn beantwortet wird, daß die Bundesregierung die in dem genannten Übereinkommen gemeinte Sicherheitskontrolle für jede Tätigkeit beantragt hat, für welche die Bundesregierung im Bereich der Kernenergie verantwortlich ist: für welche Tätigkeiten und Atomanlagen hat die Bundesregierung eine solche Kontrolle beantragt?Trifft es zu, daß alle in der Bundesrepublik Deutschland vorhandenen Atomanlagen der Kontrolle von Euratom unterliegen?Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Dr. Stoltenberg vom 6. Februar 1968 lautet:Zu i und 2:Das im Rahmen der Europäischen Kernenergieagentur der OEEC (jetzt OECD) geschlossene Übereinkommen vorn 20. Dezember 1957 über die Errichtung einer Sicherheitskontrolle auf dem Gebiet der Kernenergie (BGBl. 1959 II S. 585, 989) wird auf die Gemeinschaftsunternehmen der ENEA angewandt, d. h. den Dragon-Reaktor, den Halden-Reaktor und Eurochemic. Keine der 18 Unterzeichnerregierungen hat bisher die Anwendung der ENEA-Kontrolle auf andere Tätigkeiten beantragt.Das Übereinkommen kann nach seinem Artikel 21 im Euratom-Gebiet erst nach Abschluß einer besonderen Vereinbarung- zwischen den beiden Organisationen angewandt werden. Da Euratom eigene umfassende und wirksame Kontrollen im Gebiet seiner Mitgliedstaaten ausübt, hat es sich nicht als erforderlich erwiesen, eine solche Vereinbarung zu treffen. Inhalt einer derartigen Vereinbarung wäre nach Artikel 16 des Übereinkommens ohnehin nur die Anwendung der Kontrolle durch Euratom.Zu 3:Ja, nach dem Euratom-Vertrag erstreckt sich die Sicherheitsüberwachung auf alle Anlagen in der Bundesrepublik Deutschland, in denen Erze, Ausgangsstoffe, besondere spaltbare Stoffe und bestrahlte Brennstoffe erzeugt, verarbeitet oder verwendet werden.Ich rufe dann die Frage 29 des Herrn Abgeordneten Pohle auf:Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung angesichts der fortgesetzten Studentenunruhen für gegeben an, die gemä-
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7870 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
Präsident D. Dr. Gerstenmaierßigten und lernwilligen Studenten, aber auch die breite Öffentlichkeit schnell und wirksam darüber aufzuklaren und davon zu überzeugen, daß das Ziel der linksradikalen Provokateure in Wahrheit nicht die sachliche Diskussion über die Hochschulreform und andere, die echten Interessen der Studentenschaft berührende Probleme ist, sondern die Lähmung des Universitätsbetriebs, die Diskriminierung der gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland, die Vernichtung der rechtsstaatlichen, demokratischen Ordnung und ihre Ersetzung durch ein totalitäres, linksgerichtetes Rätesystem?Zur Beantwortung!
Die Unruhen an einigen Universitäten, die jetzt auch vereinzelt auf Gruppen Jugendlicher in größeren Städten übergegriffen haben, beschäftigen die deutsche Öffentlichkeit in zunehmendem Umfang. Die Bundesregierung begrüßt es deshalb, daß der Deutsche Bundestag dieses Thema auf Grund von Großen Anfragen demnächst ausführlicher behandeln wird und sie selbst damit Gelegenheit hat, ihre Auffassung zu diesem vielschichtigen Problem vor diesem Hohen Hause eingehend darzulegen.
Ich möchte zu der ersten Frage des Kollegen Dr. Pohle in der gebotenen Kürze folgendes ausführen. Bei den Diskussionen, Demonstrationen und Auseinandersetzungen an den Hochschulen ist eine deutliche Unterscheidung notwendig. Die rasche Zunahme der Studentenzahlen, neue Probleme für Forschung und Lehre haben zu einer legitimen kritischen Debatte über die künftige Gestalt und Organisation der Universitäten und die Neuordnung des Studiums geführt. Zugleich ist ein stärkeres politisches Engagement vieler Studenten zu verzeichnen. Beides ist als ein Fortschritt zu begrüßen. In einer lebendigen Demokratie muß der Grundsatz der freien dynamischen geistigen und politischen Auseinandersetzung gelten, die offene Vertretung auch unbequemer und unpopulärer Auffassungen.
Es wird allerdings seit einiger Zeit immer deutlicher, daß eine kleine Minderheit in der Studentenschaft und der Öffentlichkeit mit radikalen antidemokratischen Konzeptionen und Aktionen in diese Auseinandersetzung an den Hochschulen eingreift und stellenweise, vor allem in Berlin, das Gesetz des Handelns stark bestimmt. Dabei werden von dieser radikalen Minorität bewußt Rechtsververletzungen begangen, um mit außergesetzlichen Mitteln eine Veränderung 'der Hochschulen und 'der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu erreichen.
Bewußte Mißachtung von Recht und Toleranz wird mit einer taktisch geschickten Ausnutzung aller prozeduralen Möglichkeiten und Schutzbestimmungen unserer Rechtsordnung verbunden, um die eigenen Aktionen und Ziele gegen Justiz und Verwaltung abzuschirmen. Dieselben Freiheitsrechte und Gesetze, deren Zerstörung 'beabsichtigt ist, werden für den eigenen Schutz 'beansprucht und zu pauschalen, aggresiven Anschuldigungen gegen die staatlichen Organe benutzt.
Die Bundesregierung weist den Versuch, die Beam-
ten der Exekutive, insbesondere der Polizei und des
Verfassungsschutzes, pauschal zu verdächtigen und herabzusetzen, nachdrücklich zurück.
Die starke Zunahme ungesetzlicher Aktionen in den letzten Wochen muß alle staatlichen Instanzen von Bund und Ländern zu einem noch entschiedeneren und wirkungsvolleren Handeln unter voller Beachtung, aber auch voller Anwendung der Gesetze veranlassen.
Die Rechtssicherheit ist dabei uneingeschränkt zu gewährleisten. Andernfalls besteht die Gefahr, daß es in weiten Teilen der Bevölkerung durch permanente Gesetzesverstöße zu einer Erschütterung des Rechtsbewußtseins kommt.
Die Bundesregierung hat ihre Auffassung zu diesen Fragen, insbesondere auch zur Situation an den Hochschulen und den Aufgaben der Hochschul- und Studienreform, mehrfach dargelegt, u. a. in der großen Debatte dieses Hohen Hauses am 17. November 1967. Hierüber ist in der deutschen Presse wiederholt und sehr ausführlich berichtet worden. Ihre Berichterstattung hat in der Vielfalt der geäußerten Meinungen fraglos wesentlich zur Klärung der Situation und der komplexen Ursachen dieser Unruhen beigetragen. Es ist jedoch unverkennbar, daß bestimmte Fernsehsendungen einiger öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten in den letzten Monaten den linksradikalen Gruppen der Studentenschaft in ungewöhnlich ausführlicher Weise Gelegenheit zur Propagierung ihrer Ideen und Ziele gegeben haben.
Die Bundesregierung erwartet, daß es in Zukunft zu einer stärkeren Berücksichtigung der Stellungnahmen und Meinungen der verantwortlichen politischen Organe der demokratischen Studentenverbände und der Hochschulen selbst in den Programmen der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten kommt.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Pohle.
Herr Bundesminister, hat die Bundesregierung klare Vorstellungen über das zahlenmäßige Verhältnis der extrem radikalen Elemente, darunter auch solcher, die nicht der Studentenschaft angehören, zu den gemäßigten und lernwilligen Teilen der Studentenschaft in den verschiedenen Hochschulen der Bundesrepublik?
Ich glaube, daß der Herr Bundesinnenminister in der Beantwortung dieser Frage sachkundiger ist. Ich möchte in aller Kürze sagen, daß nach den vorliegenden Unterlagen nicht viel
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968 7871
Bundesminister Dr. Stoltenbergmehr als 1 °/o der Studenten linksradikalen Gruppierungen angehört. Die Mitgliedschaft in rechtsradikalen Gruppierungen ist völlig bedeutungslos. Das schließt nicht aus, daß sie aus den bekannten Gründen an bestimmten Hochschulen einen stärkeren Einfluß in der Meinungsbildung oder durch Vorgänge der Solidarisierung gefunden haben.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kaffka.
Herr Minister, wissen Sie, warum sich eine große Zahl von vernünftigen Studenten mit Radikalen solidarisch erklärt?
Herr Kollege, ich habe in der gebotenen Kürze einer solchen Antwort in der Fragestunde darüber einiges gesagt. Ich habe ausgeführt, daß die Probleme der Überfüllung unserer Hochschulen, der starken Steigerung der Studentenzahlen und daraus erwachsende Spannungen zweifellos zu solchen Solidarisierungen hier und da Anlaß gegeben haben. Es ist aber festzustellen, daß auch an den Universitäten und innerhalb der Studentenschaft eine Klärung einsetzt, nachdem der klar antidemokratische und gesetzeswidrige Charakter bestimmter Gruppen deutlich geworden ist.
Zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Pohle.
Herr Bundesminister, habe ich die Ausführungen in Ihrer Antwort richtig dahin verstanden, daß abgesehen von den radikalen Elementen das politische Engagement der Studentenschaft und der Jugend einen positiv zu bewertenden Aspekt für die Weiterentwicklung unseres parlamentarischen Lebens darstellt?
Ich habe das in meiner Antwort sehr deutlich gesagt mit dem Hinweis, daß das zunehmende politische Engagement eines großen Teiles der studentischen Jugend ein klarer Fortschritt ist. Wir haben uns als Politiker in den letzten 15 Jahren nicht deswegen oft über das mangelnde Interesse der Jugend beklagt, um jetzt das Gegenteil zu sagen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Bundesminister, darf ich im Anschluß an Ihre Feststellung, daß nur etwa 1 % den radikalen linken Organisationen angehören, und im Anschluß an die Frage des Kollegen Kaffka, warum viele mitlaufen, die Frage an Sie stellen, ob die Bundesregierung Möglichkeiten sieht, unseren jungen Leuten die Erfahrung weiterzugeben, daß auch in der deutschen Geschichte jeweils ganz kleine radikale Minderheiten dadurch zum Zuge kamen, daß zu viele Gutgläubige mitgelaufen sind?
Ich glaube, daß es eine Aufgabe der Wissenschaft, der Erziehung, vor allem aber auch der öffentlichen Meinungsbildung ist, solche geschichtlichen Zusammenhänge zu verdeutlichen.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Funcke.
Herr Bundesminister, sind Sie nicht auch der Meiung, daß eine erhebliche Ursache für die Unruhe auch unter den nichtradikalen Studenten die Tatsache ist, daß es für all die vielen Vorschläge zur Hochschulreform in der Bundesrepublik keinen wirksamen Adressaten gibt?
Ich teile Ihre Auffassung, Frau Kollegin, daß wir die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und wissenschaftlicher Selbstverwaltung bei der Verwirklichung der notwendigen Reformen weiter verbessern müssen. Ich muß aber darauf hinweisen, daß manche politischen und publizistischen Kräfte, die jetzt den Staat kritisieren, daß er nicht schnell genug handle oder nicht wirkungsvoll genug handle, noch vor kurzem in einem bestimmten liberalen Verständnis jeden Versuch des Staates, auch mit gesetzmäßigen Mitteln Entscheidungen der Hochschulen zu beeinflussen, als Eingriff in die Autonomie kritisiert haben.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Borm.
Herr Minister, darf ich aus Ihrer Antwort an den Kollegen Kaffka schließen, daß Sie davon überzeugt sind,- daß nach einer befriedigenden Regelung der augenblicklich unbefriedigenden Zustände an den Hochschulen der Grund für die Unruhe beseitigt ist und an den Hochschulen wieder Ruhe einkehrt?
Ich glaube, Herr Kollege Borm, daß dies ein entscheidender Punkt für eine Verbesserung der Situation ist. Ich verkenne nicht, daß es auch außeruniversitäre Vorgänge, Spannungen und Diskussionen gibt, die die Unruhe in der Studentenschaft mit beeinflussen. Ich möchte aber auch vor der weitverbreiteten Auffassung warnen, daß Studienreform in der Verwirklichung nur etwas
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7872 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
Bundesminister Dr. StoltenbergPopuläres wäre. Studienreform mutet allen etwaszu, den Professoren, den Studenten und dem Staat.
Es wäre eine Täuschung, jetzt mit Recht nach Studienreform zu rufen und dann zu meinen, sich an den Konsequenzen, die sich für die einzelnen Beteiligten daraus ergeben, vorbeidrücken zu können.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Moersch.
Herr Minister, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Verantwortlichkeit auch der Bundesregierung klarer würde, wenn künftig e i n Minister für alle diese Fragen zuständig wäre und nicht Verwirrung dadurch entstünde, daß die Fragen zunächst unter dem Geschäftsbereich des Bundesinnenministers gedruckt sind und dann vom Wissenschaftsminister beantwortet werden müssen?
Die von dem Kollegen Pohle gestellten Fragen haben sowohl Themen der Hochschul- und Studienreform wie Probleme der Rechtssicherheit behandelt. Infolgedessen sind naturgemäß beide Minister zuständig. Man kann über Verbesserungen in der Organisation immer diskutieren. Ich glaube, daß die Bundesregierung mit der gegenwärtigen Organisation und der Zusammenarbeit der beteiligten Ressorts in der Lage ist, ihren Beitrag zu leisten.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Althammer.
Herr Minister, sehen Sie eine Möglichkeit, mit dem Teil der Studentenschaft, der nicht zu den Radikalen gehört, der also ernsthaft Reformen will, verstärkt ins Gespröch zu kommen, um diesen Studenten das Gefühl zu geben, daß sie für ihr berechtigtes Anliegen auch einen Diskussionspartner finden?
Dies ist in einer freien Gesellschaft vor allem eine Aufgabe der demokratischen Parteien
und der maßgebenden publizistischen Kräfte, die die öffentliche Meinung beeinflussen. Es ist darüber hinaus sicher auch eine Aufgabe für die Regierungen der Länder und des Bundes. Diese Verbindung besteht. Sie ist unter dem Eindruck der Vorgänge der letzten Zeit verstärkt worden und sollte von allen Genannten weiter ausgebaut und intensiviert werden.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Weigl.
Herr Bundesminister, sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den Krawallen an den deutschen Universitäten und der Forderung linksgerichteter Studentengruppen, das sogenannte familienunabhängige Studium, also ein allgemeines Studentengehalt, einzuführen?
Ich sehe keinen direkten Zusammenhang zwischen diesen Vorgängen.
Zweite Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Funcke.
Herr Bundesminister, könnten Sie sich nicht denken, daß Ihr eben mit großem Beifall aufgenommener Hinweis auf den Liberalismus aus einem falsch verstandenen Liberalismus kommt, da der Liberalismus niemals gegen eine sinnvolle Ordnung — schon gar nicht im fortschrittlichen Sinne — gewesen ist?
Ich habe „liberal" hier nicht als Parteibezeichnung gemeint, sondern als eine in der deutschen Öffentlichkeit und wahrscheinlich auch unter Anhängern aller drei Parteien weitverbreitete Auffassung.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing.
Herr Minister, erhalten diese Aktivitäten einer radikalen Minderheit nicht dadurch einen gewissen Auftrieb, daß einzelne Rektoren und Professoren unserer Hochschulen eine opportunistische und nicht sehr verantwortungsbewußte Haltung an den Tag legen, die leider der Haltung eines Teils ihrer Amtsvorgänger im Jahre 1933 nicht ganz unähnlich ist?
Herr Kollege Kliesing, ich werde auf die Frage der Haltung der Hochschullehrer im Zusammenhang mit der Frage 31 des Kollegen Dr. Pohle eingehen. Ich möchte zu Ihrer etwas zugespitzten Fragestellung nur sagen, daß es dort sicher einzelne Beispiele des Versagens, aber auch Beispiele der hervorragenden Bewährung in einer schwierigen Situation gibt und daß viele derer, die jetzt in der akademischen Selbstverwaltung die Verantwortung tragen, unsere volle Unterstützung verdienen.
Zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Borm.
Herr Minister, nachdem Sie die mangelhafte Erledigung der Hochschulreform als
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968 7873
Bormeinen wichtigen Grund bezeichnet haben und nachdem Sie in Ihrer Antwort auch dargetan haben, daß es noch andere Gründe gibt: wären Sie bereit, Ihre Meinung darüber kundzutun, welche Gründe das wohl sein könnten?
Ich glaube, daß eine einzelne Erörterung dieser Frage, die ja weit über die Thematik dieser Fragestunde hinausreicht, der Debatte des Hohen Hauses aus Anlaß der Großen Anfragen vorbehalten sein muß. Es gibt objektive Spannungen, die aus der deutschen Situation erwachsen, die wir alle zu tragen haben, und die zu Unruhe und auch zu politischen Fehlschlüssen führen können. Es gibt zweifellos auch Vorgänge der letzten Zeit, z. B. eine bestimmte demagogische und unsachliche Variante der Kampagne gegen die Notstandsgesetzgebung, die hier maßgebend mitgewirkt haben.
Ich meine damit nicht sachliche Kritik und sachliche Ablehnung, die gerechtfertigt ist, sondern eine negative Verzeichnung der Absichten der Regierung und der Mehrheit des Parlaments, die nach meiner Überzeugung oft den Tatbestand der Herabsetzung und Verfälschung erfüllt.
Letzte Zusatzfrage zu dieser Frage, Frau Griesinger.
Herr Minister, welche Möglichkeiten sehen Sie, im Einvernehmen mit den Kultusministern der Länder einen Weg zu finden, daß in den Schulen über die Zeit nach dem ersten Weltkrieg, bis 1945 und weiter, ausreichende Informationen gegeben werden können, nachdem wir alle immer häufiger auf die Zeiten um das Jahr 1933 zurückverweisen, die Schüler und Studenten aber oft einfach auf Grund .der mangelhaften Informationsmöglichkeiten über die Vorgänge in diesen Jahren nicht genügend orientiert sind und wir deshalb dringend einer besseren Informationsmöglichkeit für Schüler und Studenten in bezug auf diese vergangenen Jahre bedürfen?
Diese wichtige Frage fällt, wie Sie wissen, eindeutig in die Zuständigkeit der Länder. Die Bundesregierung ist bereit, im Bildungsrat und durch direkte Kontakte mit den Kultusministern auf diese Notwendigkeit hinzuweisen und auch methodische Fragen zu erörtern.
Zur Beantwortung der zweiten Frage, der Frage 30, des Herrn Abgeordneten Dr. Pohle:
Wie kann man nach Auffassung der Bundesregierung die Freiheit der Lehre und Forschung und die Durchführung eines geordneten Lehr- und Forschungsbetriebes der Hochschule — außer durch polizeiliche Maßnahmen und strafrechtliche Verfolgung — wirksam vor dem Gesinnungsterror und den illegalen Störaktionen einer extremistischen Minderheit schützen?
Die im Vordergrund der Berichterstattung und der öffentlichen Diskussion stehenden gesetzwidrigen Aktionen sind nur an einem Teil der wissenschaftlichen Hochschulen erfolgt. Es darf nicht übersehen werden, daß sich in der großen Mehrzahl unserer Fakultäten auch in diesem Semester Lehre und Forschung und die Debatten der Hochschullehrer und Studenten über Fragen der Hochschul- und Studienreform in sachlichen, rechtmäßigen Formen vollziehen.
Ergänzend zu den allgemeinen Rechtsvorschriften enthalten die Hochschulgesetze der Länder und Satzungen der Universitäten einzelne Bestimmungen über die Sicherung der Freiheit von Lehre und Forschung, das Hausrecht der Rektoren und disziplinarische Regelungen. Allerdings hat sich gezeigt, daß sie nicht in allen Fällen ausreichen oder wirkungsvoll genug gehandhabt wurden, um Rechtsbrüche und Übergriffe zu vermeiden. Die Vorschriften einiger Hochschulgesetze und Satzungen bedürfen offensichtlich einer sorgfältigen Überprüfung, insbesondere dann, wenn wie in Berlin die studentische Mitwirkung in wichtigen Organen benutzt wird, um sie durch Verweigerung der Mitarbeit aktionsunfähig , zu machen.
Eine solche Praxis radikaler Gruppen droht die an sich legitime Forderung nach verstärkter studentischer Vertretung in den Organen der Hochschulen zu dikreditieren.
Die zuständigen Bundesminister werden mit ihren Länderkollegen die Fragen der angemessenen und wirkungsvollen Anwendung der geltenden Bundesgesetze auf Grund der jüngsten Erfahrungen im einzelnen erörtern.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Pohle.
Herr Bundesminister, hat die Bundesregierung bereits eine Analyse der geistigen, soziologischen und vor allem psychologischen Ursachen der Unruhe unter den Studenten erstellt, und, wenn nein, bis wann beabsichtigt die Bundesregierung dies zu tun, und wird sie dieses Hohe Haus über das Ergebnis unterrichten?
Es sind von wissenschaftlicher Seite und auch von großen Verlagen unabhängig von den Bemühungen der Bundesregierung verschiedene Befragungen und Untersuchungen durchgeführt und veröffentlicht worden. Die Bundesregierung hat, aufbauend auf solchen Untersuchungen, ihrerseits weitere vertiefte Analysen durch wissenschaftliche Institute veranlaßt. Ich bin überzeugt, daß das zuständige Ministerium bereit ist, das Hohe Haus nach ihrer Auswertung darüber zu unterrichten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ertl.
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7874 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
Herr Bundesminister, trifft es ,zu, daß beispielsweise an den technischen Abteilungen oder Fakultäten der Hochschulen wesentlich geringere Unruhe ist als beispielsweise bei den geisteswissenschaftlichen, und haben Sie diese Ursache bereits untersucht?
Ich glaube, daß diese Beobachtung weithin zutrifft. Ich habe auch verschiedene Erklärungsversuche gelesen und kenne sie. Ich möchte aber nicht ohne besondere Vorbereitung den Versuch einer solchen Bewertung machen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Zur Beantwortung der dritten Frage, der Frage 31, des Herrn Abgeordneten Dr. Pohle:
Hält die Bundesregierung die im Artikel 5 Abs. 3 des Grundgesetzes geforderte Treue zur Verfassung für gewahrt, wenn einzelne Professoren unter dem Schutze der Freiheit der Meinungsäußerung und der Lehre die Bestrebungen und Aktionen der linksradikalen Kräfte nicht zuletzt durch feindselige Äußerungen über das herrschende demokratische Staatswesen und seine verfassungsmäßigen Institutionen und Repräsentanten ermuntern und fördern?
Nach Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes sind wissenschaftliche Forschung und Lehre frei. Vor allem in der wissenschaftlichen Diskussion und Auseinandersetzung ist ein großzügiges Verständnis dieser Bestimmung geboten. Diese Freiheit entbindet nicht von der Treue zur Verfassung. Jedoch sind nach der Rechtsprechung unserer obersten Gerichte die Grenzen hier weit gezogen.
Diese konkrete Frage bezieht sich auf feindselige Äußerungen über unseren demokratischen Staat und seine verfassungsmäßigen Institutionen und Repräsentanten, die nach ihrer Qualität und der Art, wie sie geäußert worden sind, mit Wissenschaft nichts zu tun haben.
Leider gibt es solche Äußerungen einiger weniger Professoren. Auch für sie besteht der Schutz der freien Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1. Dieser Freiheit sind allerdings durch die allgemeinen Gesetze Grenzen gesetzt.
Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß sich unter den Professoren und Studenten in der zunehmenden kritischen Auseinandersetzung mit links- und rechtsradikalen Minoritäten und Einzelgängern die dominierenden demokratischen Kräfte eindeutig durchsetzen und die notwendigen Reformen an unseren Hochschulen erzielt werden. Dies setzt allerdings die überzeugende Anwendung unserer Gesetze und damit die uneingeschränkte Aufrechterhaltung der Rechtsordnung und des Rechtsbewußtseins voraus.
Zu einer Zusatzfrage Herr Raffert.
Herr Minister, darf ich Sie, nachdem Sie dankenswerterweise sowohl von links- wie von rechtsradikalen Minoritäten gesprochen haben, fragen: Gibt es nicht einen falschen Akzent, wenn in der öffentlichen Diskussion allzusehr und eigentlich immer nur von linksradikalen Minoritäten gesprochen wird?
Herr Kollege Raffert, ich will diese wichtige Frage gern möglichst sorfältig beantworten.
An den Universitäten haben wir es bei einer aktiven Minderheit der Studentenschaft zur Zeit in der Tat in erster Linie oder fast ausschließlich mit linksradikalen Gruppen zu tun. Das ist auch ein positiver Reflex des Tatbestandes, daß rechtsradikale Ideen an den Universitäten bis jetzt keinen Widerhall gefunden haben; ich hoffe, das gilt auch für die Zukunft. Es ist aber ganz deutlich, daß, wenn die Situation der Rechtsunsicherheit, der ständigen Rechtsverletzung ohne ein gesetzmäßiges wirkungsvolles Handeln der staatlichen Organe anhält, die politische Auswirkung dieser Tatbestände in rechtsradikalen Reaktionen bei großen Teilen der Bevölkerung bestehen wird.
Was wir hier brauchen, ist die Autorität des Rechtes. Wenn sich die Autorität des Rechtes nicht durchsetzt und in der öffentlichen Diskussion von den öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht auch die notwendige Unterstützung erhält,
dann wird in Deutschland eine falsche Autoritätsvorstellung vergangener Zeiten wieder an Boden gewinnen, die wir alle als politisch verhängnisvoll ansehen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Marx .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, sind Sie der Auffassung, daß diese Vorgänge an den Universitäten nicht ausschließlich auf das Interesse an einer Hochschulreform zurückzuführen sind?
Die Frage ist eindeutig zu bejahen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann.
Herr Minister, welche praktischen Möglichkeiten sieht denn die Bundesregierung, die von Ihnen — wie ich Ihrer Antwort entnehme — für notwendig gehaltene Universitätsreformen in den Ländern zu beschleunigen?
Die Bundesregierung hat
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968 7875
Bundesminister Dr. Stoltenbergdurch ihre tatkräftige Mitwirkung im Wissenschaftsrat und jetzt auch im Bildungsrat wesentliche Voraussetzungen dafür geschaffen. Der Vollzug liegt in der Tat bei den Ländern und bei den Selbstverwaltungsorganisationen.
Ich rufe die Dringliche Anfrage 1 des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf:
flat sich die Bundesregierung mit den Länderregierungen ins Benehmen gesetzt, um sicherzustellen, daß zivile Einrichtungen ausländischer Staaten in der Bundesrepublik Deutschland nicht durch Terroraktionen beschädigt oder zerstört werden?
Die Bundesregierung mißbilligt die in jüngster Zeit vorgekommenen Ausschreitungen gegen Einrichtungen der mit uns befreundeten Vereinigten Staaten auf das schärfste. Der Schutz all e r Einrichtungen ausländischer Staaten ist für uns eine besondere Verpflichtung.
Nach den skandalösen Vorfällen in Frankfurt am 5. Februar habe ich die Innenminister der Länder gebeten, dafür Sorge zu tragen, daß notfalls kurzfristig ein besonderer Polizeischutz für die amerikanischen Konsulate und die Amerika-Häuser gewährleistet wird.
Auch auf der gestrigen Innenministerkonferenz ist diese Terroraktion erörtert worden. Die Innenminister faßten in Anwesentheit des Bundesministers des Innern folgende Entschließung:
Die Innenminister des Bundes und der Länder sind sich in der Beurteilung der Lage einig. Sie sind entschlossen, Verletzungen der Rechtsordnung durch radikale Gruppen mit Entschiedenheit entgegenzuwirken.
Die Innenminister danken den staatlichen Sicherheitsorganen, insbesondere den Beamten der Polizei und den Mitarbeitern des Verfassungsschutzes für die in der letzten Zeit bewiesene Einsatzbereitschaft zum Schutz der staatlichen Ordnung. Sie fordern alle politischen Kräfte und die Bevölkerung auf, diesen Organen bei der Erfüllung ihrer so ungewöhnlich schwierigen, verantwortungsvollen Aufgabe Vertrauen und Verständnis entgegenzubringen und ihnen den notwendigen Rückhalt zu geben. Die Innenminister waren darüber hinaus übereinstimmend der Auffassung, daß Beschädigungen ausländischer Einrichtungen in jedem Fall durch die Polizei verhindert werden müssen.
Keine Zusatzfrage?
Ich bin mit der Erklärung des Herrn Ministers sehr zufrieden.
Wir kommen zu der Frage des Herrn Abgeordneten Hirsch. Herr Abgeordneter Hirsch, ich habe zwar den Eindruck, sie ist der Substanz nach durch den Bundesminister für wissenschaftliche Forschung beantwortet, aber bitte sehr.
Aber auch die Meinung .des Herrn Innenministers dazu wäre vielleicht recht interessant.
Ich rufe .die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Hirsch auf:
Sieht die Bundesregierung einen wechselwirksamen Zusammenhang zwischen bewußt rechtswidrigen provokatorischen Angriffen, die von angeblich „linken" Oppositionsgruppen gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet werden, und dem wachsenden Echo, das der Rechtsradikalismus in unserem Volke schon wieder findet?
Zur Beantwortung der Herr Bundesinnenminister.
Es ist eine alte Erfahrung, daß die extremen Kräfte der Linken und der Rechten sich leider gegenseitig bedingen. Die Älteren unter uns wissen das mehr als ausreichend. Die radikale Linke begründet ihre Angriffe gegen unsere freiheitliche Ordnung damit, daß sie vorgibt, die Demokratie vor irgendwelchem Faschismus schützen zu müssen. Die Rechtsradikalen bieten sich den Bürgern, die über Terroraktionen besorgt sind, als Hüter der Ordnung und Wahrer der Sauberkeit in unserem Staate an. Einig sind sich die Links- und Rechtsradikalen lediglich darin, unsere bestehende demokratische Ordnung abzulehnen.
Deshalb müssen alle staatlichen Organe entschlossen und einig — ich wiederhole: einig — die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der Bürger unter allen Umständen gewährleisten. Der Bürger muß wissen, daß diese unsere Demokratie nicht mit Schwäche verwechselt werden darf.
Der Bürger muß wissen, daß Demokratie weder Schwäche noch Anarchie ist und daß wir keine braunun Ordnungshüter brauchen, um uns vor dem Terror der Linken zu schützen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen.
Herr Minister, konnten Sie feststellen, daß sich bei der Vergiftung der öffentlichen Meinung durch einen blinden Antiamerikanismus Rechts- und Linksradikale in gewissem Umfang die Hände reichen?
Ich kann das nur bestätigen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fellermaier.
Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, wenn ich hier sage, daß der Deutsche
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7876 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
FellermaierGewerkschaftsbund bisher die Bestrebungen der Bundesregierung und der politischen Parteien in der Bekämpfung der links- und rechtsradikalen Gruppierungen hervorragend unterstützt und verhindert hat,
daß Radikalisierungstendenzen in Gebiete hineingetragen worden sind, wo es auf Grund der wirtschaftlichen Lage sehr leicht gewesen wäre, wenn die Gewerkschaften nicht diese Verantwortung getragen hätten?
Ich kann das im allgemeinen bestätigen, muß jedoch sagen, daß einige Diskussionen über die so schwierige und notwendige Notstandsverfassung mit dazu beigetragen haben, dem Rechts- und Linksradikalismus Auftrieb zu geben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Tallert.
Herr Minister, darf ich Sie fragen, weshalb Sie in Ihrer Antwort das Wort „einig" ausdrücklich wiederholt haben?
Weil bei der Anwendung des Rechts und der Beschleunigung der anhängigen Rechtsverfahren unterschiedlich verfahren wird. Es hat sich herausgestellt, daß eine Reihe von Ermittlungsverfahren laufen, aber die Verfahren bei den Gerichten nicht zum Abschluß kommen. Ich glaube, es ist sehr wichtig, daß die Gesetze schnell, wirkungsvoll und in allen Bereichen einheitlich zur Anwendung gelangen.
Eine Zusatzfrage des Herr Abgeordneten Haase.
Herr Bundesminister, liegen Ihrem Hause oder den Länderinnenministern Erkenntnisse über die Financiers der linksradikalen Kreise vor?
Ich muß leider die Frage mit einem Nein beantworten.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dorn.
— Einen Augenblick, meine Damen und Herren. — Eine Sekunde! Hier geht alles in mustergültiger Ordnung der Reihe nach. Jetzt ist der Herr Abgeordnete Dorn an der Reihe.
Herr Minister, darf ich Sie fragen, ob Sie nicht auch der Meinung sind, daß das vorhin von Ihnen kritisierte nicht zügige prozessuale Vorgehen in bestimmten Ländern damit zusammenhängen wird, daß bisher von der Seite zuwenig Material zur Verfügung gestellt worden ist, die auf der anderen Seite immer wieder kritisiert, daß die Verfahren zu langsam durchgeführt werden?
Der Herr Bundesjustizminister wird dazu in der Aktuellen Stunde Stellung nehmen und kann das sicherlich besser beantworten als ich.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Ott !: Herr Minister, sind Sie mit mir der Meinung, daß radikale Kräfte von links und rechts dadurch unterstützt und ermuntert werden, daß gewisse Nachrichtenmittel wie z. B. das Fernsehen am 1. Januar dieses Jahres einen Kommentar brachten, in dem es hieß, daß dieses Volk vor seiner Regierung durch Notstandsgesetze geschützt werden müsse?
Ich bin in diesem Fall ganz Ihrer Meinung.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt .
Herr Minister, Sie haben eben die Frage hinsichtlich der Finanzierungsquellen mit Nein beantwortet. Sind denn entsprechende Ermittlungen im Gange, insbesondere nachdem in der Öffentlichkeit auf solche Quellen hingewiesen worden ist?
Natürlich sind Ermittlungen im Gange. Ich habe die Frage mit Nein beantworten müssen, weil ich sie mit einem klaren Ja nicht beantworten kann. Die Kommunistische Partei ist verboten, und damit sind die Quellen nicht mehr offensichtlich.
Frage des Herrn Abgeordneten Rollmann.
Ist es nicht so, Herr Minister, daß der Sozialistische Deutsche Studenten-bung von der Industriegewerkschaft Metall und von einem bestimmten Professorenkreis unterstützt wird?
Ich kann hier mit keinem klaren Ja anworten.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Borm.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968 7877
Herr Minister, nachdem Sie die Frage des Kollegen aus der SPD hinsichtlich Ihrer Haltung zur Frage der Gewerkschaften so beantwortet haben, daß Sie im Problem des Notstandes deren Haltung kritisierten, darf ich Sie fragen, ob Sie in der Haltung der Gewerkschaften oder eines Teiles der Gewerkschaften in dieser Frage eine Gefährdung unserer Verfassung, wie sie jetzt besteht, sehen?
Nein!
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klepsch.
Verzichte!
Verzichtet. Zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Minister, welche Folgerungen zieht die Bundesregierung daraus, daß sich deutsche Nachrichtenmagazine bereit erklärt haben, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund finanzielle Hilfe zu geben, damit der Kampf gegen die demokratischen Freiheiten, von dem diese Nachrichtenmagazine leben, gefördert wird?
Der Sozialistische Deutsche Studentenbund hat unsere besondere Aufmerksamkeit. Es wurde vorhin an Herrn Kollegen Stoltenberg die Frage gestellt, wie hoch der Anteil der radikalen Gruppen in unserer Jugend sei. Der SDS hat etwa 1600 Mitglieder bei etwa 300 000 Studenten. Hier wird deutlich, daß es sich um eine verschwindende Minderheit handelt, die allerdings so militant und aktiv ist, daß sie es vermocht hat, in Deutschland den Eindruck zu erwekken, als ob die deutschen Studenten, die deutsche Jugend, die junge Generation aus lauter Radikalinskis bestünden. Das ist nicht der Fall. Darum ist unsere Sorge außerordentlich groß. Wir beobachten den SDS sehr sorgfältig, auch seine Geldquellen. Ich glaube aber, es ist in erster Linie Aufgabe der politischen Parteien, der Bevölkerung und des übergroßen Teiles unserer demokratisch eingestellten Studenten und der positiv eingestellten jungen Generation, mit diesem Phänomen fertig zu werden.
Ich glaube, daß dieser Reinigungsprozeß im vollen Gange ist; das beweisen die Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen an den Universitäten, und das zeigt sich immer mehr.
Wichtig ist hier, zu erkennen, daß die Gruppen mit neuartigen Methoden arbeiten. Wir waren auf diese Methoden nicht vorbereitet. Unsere Polizei wird immer wieder durch neue Methoden überrascht, mit denen der SDS arbeitet. Das haben wir bei den Vorgängen in Frankfurt gesehen, als die Flaggen der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik vom Shopping Center heruntergeholt wurden.
Frage des Herrn Abgeordneten Brück.
Herr Minister, können Sie uns Angaben darüber machen oder liegen Ihnen entsprechende Zahlen vor, in wie vielen Fällen Verfahren eingestellt worden sind, wo die Polizei oder andere für die Ordnung zuständige Kräfte den zuständigen Staatsanwaltschaften Anzeige erstattet hatten?
Ich kann diese Frage nicht genau beantworten. Ich werde den Herrn Justizminister bitten, diese Frage zu beantworten.
Darf ich noch eine weitere Frage stellen?
Einen Moment, Herr Kollege Brück! Sie kommen nachher vielleicht noch einmal dran.
Was ich sage, wird von der Zeit abgezogen, d. h. die Fragestunde verlängert sich entsprechend. Insofern braucht niemand Sorge zu haben, daß die Bemerkungen des Präsidenten für ihn bei der Fragestellung hinderlich sein könnten. Bei mir sind aber so viele Zusatzfragen angemeldet, daß ich der Reihe nach vorgehen muß.
Zunächst Herr Abgeordneter Dr. Mommer!
Herr Verfassungsminister, welche Konsequenzen ziehen Sie aus dem Art. 18 des Grundgesetzes, in dem es u. a. heißt:
Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit . . ., die Lehrfreiheit . . ., die Versammlungsfreiheit . . ., die Vereinigungsfreiheit . . . zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte.
Diese wichtige Bestimmung unserer Verfassung — ich bezeichne sie als das schwerste Geschütz zur Aufrechterhaltung unserer demokratischen Ordnung — sollte man und werden wir dann anwenden, wenn die Anwendung Erfolg verspricht. Das bedarf sorgfältiger Vorbereitung. Das is sowohl bei der „National- und Soldatenzeitung" der Fall als auch bei rechts- und linksradikalen Gruppen. Wir werden zu gegebener Zeit diesen Art.. 18 anwenden.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wächter.
Herr Minister, nachdem Sie vorhin zum Ausdruck gebracht haben, daß der SDS von der IG Metall unterstützt wird, darf ich jetzt an Sie die Frage richten, in welcher Höhe diese finanzielle Unterstützung erfolgt ist.
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Herr Kollege, Sie haben mich falsch verstanden. Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, daß ich diese Frage nicht beantworten könne.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dröscher.
Herr Bundesminister, nachdem Sie vorhin auf die Frage des Kollegen Ott, in der er erwähnte, daß gewisse Nachrichtenmagazine vom Kampf gegen die demokratische Ordnung lebten, geantwortet haben, ohne gegen diese Feststellung Stellung zu nehmen, darf ich fragen, ob Sie die Meinung des Kollegen Ott teilen.
Das hat der Kollege Ott so nicht gesagt.
Dann bitte ich das im Protokoll nachzulesen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller .
Herr Minister, Sie haben vorhin davon gesprochen, daß die Methoden überraschend seien. Ist Ihnen bekannt, daß diese Methoden bereits vor zwei Jahren in den Vereinigten Staaten entwickelt wurden, und warum hat man sich nicht rechtzeitig darauf vorbereitet, gegen diese Methoden vorzugehen?
Diese Frage ist berechtigt. Sie steht bei den Innenministerkonferenzen immer wieder zur Diskussion,
da die Innenminister der Länder für diese Maßnahmen verantwortlich sind. Es ist erst gestern noch einmal deutlich geworden, daß man sich bei der Bekämpfung radikaler Gruppen auf diesem Gebiet besser auf diese Methoden — die auch von Amerika gekommen sind, aber sie kommen nicht nur von daher — einstellen sollte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Friderichs. — Haben Sie zurückgezogen? — Verzichtet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kaffka. — Verzichtet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Dittrich.
Herr Minister, Sie sagten vorher, daß die Polizeiorgane auf diese veränderten und neuartigen Methoden der linksradikalen Kräfte nicht genügend vorbereitet seien. Würden Sie bitte die Frage beantworten, was getan wird, um dieser Kräfte habhaft zu werden und das verständliche Interesse der Bevölkerung nach Ruhe und Ordnung wiederhergestellt zu wissen.
Die Innenminister der Länder haben seit geraumer Zeit das Studium dieser Fragen eingeleitet und eine ergänzende Ausbildung der Länderpolizeien vorgenommen. Ich bin überzeugt, daß ein Zustand erreicht ist, endlich mit den Methoden fertig zu werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Staratzke.
Herr Minister, darf ich noch einmal auf die Methoden zurückkommen — nachdem Sie gemeint haben, daß man sich noch nicht auf die Methoden eingestellt habe— und die Frage stellen, ob die Methoden nicht schon so lange angewandt worden sind, daß man eigentlich jetzt dazu kommen müßte, etwas dagegen zu tun, insbesondere wenn man bereit ist, einmal Mao zu lesen?
Ich kann die Mao-Lektüre nicht empfehlen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Enders.
Herr Minister, halten Sie es für 'notwendig, unser Volk laufend darüber aufzuklären, welche ungemein hohen Leistungen dieser demokratische Staat bisher aufwenden mußte und zukünftig noch aufwenden muß, um die Schäden zu überwinden, die eine extrem radikale rechte Bewegung brachte?
Ich wäre dankbar, wenn Sie mit diesem Vorschlag auch die finanziellen Möglichkeiten unterstützten, die uns gegeben sind, damit wir eine noch breitere Öffentlichkeitsarbeit leisten können, um die positiven Kräfte in unserem Staate zu ermutigen, mit den Minderheiten härter ins Gericht zu gehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiep.
Herr Bundesminister, nach den Bemerkungen, die Sie über die Tätigkeit des SDS gemacht haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie die
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968 7879
KiepTätigkeit des Verfassungsschutzes in Hessen, der sich um eine Aufklärung der Ziele und der Arbeit des SDS bemüht hat, billigen oder nicht.
Ich billige sie nicht nur, sondern ich bitte den Deutschen Bundestag und ich bitte auch und vor allem alle Parlamentarier in den Ländern und in den Gemeinden, diese Männer, die einen so unerhört schweren Dienst tun, bei ihrer Arbeit zu unterstützen und ihnen dabei nicht das Leben schwer zun machen.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus!
Herr Minister, wäre die Arbeit der Polizei nicht besser dadurch unterstützt worden, daß man sie schon im Anschluß an die Schwabinger Krawalle vor einigen Jahren in Massenpsychologie geschult hätte, statt sie mit Handgranaten auszurüsten und entsprechenden halbmilitärischen Übungen zu unterwerfen?
Gnädige Frau, Sie geben mir Gelegenheit dazu, daß sich der Minister, der — nach der deutschen Verfassung — nun nicht mehr der Polizeiminister ist, endlich einmal vor dem Deutschen Bundestag und damit vor dem deutschen Volk rechtfertigen kann: diese Ihre Frage müssen Sie im Hinblick auf unsere Verfassung an die zuständigen Kollegen in den Ländern richten.
Meine Damen und Herren, in den Konferenzen ist vor allen Dingen eines deutlich geworden: In Berlin hat sich herausgestellt, daß sich bei den Demonstrationen die Demonstranten so unter die Bevölkerung mischen, daß die Polizei nicht aktiv werden kann. Dann haben wir beim Schah-Besuch in Berlin erlebt, daß die Polizei, die einen außerordentlich schweren Stand hatte, aktiv wurde. Es passierte der bedauerliche Zwischenfall. Als die Polizei durchgriff, fiel die öffentliche Meinung über sie her. Man erlebt immer wieder die Klage der Polizei, daß sie ihren Dienst nicht zu erfüllen vermöge, wenn sich die Politiker nicht hinter sie. stellten.
Das, meine Damen und Herren, ist die einzige Antwort auf die Frage. Der Deutsche Bundestag sollte den Innenministern der Länder, die diese schwierige Aufgabe zu erfüllen und politisch zu verantworten haben, Unterstützung geben. Wir sollten nicht immer die Polizei kritisieren; sie führt nur Befehle aus. Die Politiker müssen sich hinter die Ordnungsorgane stellen. Sonst ist es nicht möglich, mit diesen schwierigen und, wie ich sagte, zum Teil neuartigen Demonstrationen fertig zu werden.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke.
Herr Bundesminister, wie lange wird es noch dauern, bis sich die Polizei auf Weisung der Innenminister der Länder auf die neuartigen Kampfmethoden des SDS eingerichtet hat?
Ich sagte, daß die Ausbildung seit Jahren erfolgt und daß der Stand erreicht ist.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner.
Herr Minister, sind Sie mit mir der Meinung, daß die vielfach pauschale Kritik, die vielfach überspitzte Kritik an unserer Polizei, die wir auch jetzt in dieser Fragestunde gelegentlich erlebt haben, dazu beitragen muß, die Unsicherheit in den Reihen dieser Polizei bis hin zum letzten Polizeimann zu verstärken, anstatt zu vermindern?
Ich bin ganz Ihrer Meinung. Ich habe mich schon zu einer Zeit, in der es unpopulär war, hinter die Polizei und vor die Polizei gestellt. Die Polizei hat ihre Pflicht erfüllt. Aber, meine Damen und Herren, wenn man es sich allzu leicht macht und politische Verantwortung auf die Polizei abschiebt, können wir nicht erwarten, daß diese Männer ihre Pflicht voll erfüllen können.
Meine Herren, ich bitte, an das Mikrofon zu treten; sonst kann ich ja nichts sehen.
Herr Abgeordneter Dr. Müller-Hermann!
Herr Minister, teilen Sie meine Meinung, daß der Bremer Senat durch sein Verhalten bei den Demonstrationen in Bremen einen Anreiz gegeben hat, anderenorts und bei anderen Gelegenheiten in ähnlicher Weise zu verfahren?
Es gehört zum Wesen der Autorität — wenn ich das Wort einmal gebrauchen darf —, auch der Staatsautorität, daß, wenn man schon Maßnahmen ergreift, diese sehr gut überlegt sein müssen und, wenn sie ergriffen sind, durchgehalten werden müssen. Sonst wird es den Kräften, die an der Autorität zweifeln, eben sehr leicht gemacht.
Meine Damen und Herren, es haben sich einige Kollegen gemeldet. Ich kann nur diejenigen aufrufen, die am
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7880 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
Präsident D. Dr. GerstenmaierMikrofon stehen. Ich kann ja hier keine Rednerliste führen.Herr Abgeordneter Dr. Schmidt , Sie hatten sich gemeldet?
— Dann treten Sie bitte neben das Mikrofon, damit ich Sie sehen kann.
Herr Minister, muß die Tatsache, daß auf der Bundesratsbank die Herren Innenminister überhaupt nicht vertreten sind, als ein Zeichen besonderer Kooperation oder besonders mangelnder Kooperation angesehen werden?
Herr Kollege Schmidt, die Herren Innenminister — verzeihen Sie, das ist eine sehr ernste Frage, die hier beantwortet werden muß — sind in ihren Ländern alle miteinder voll beschäftigt.
Wir hatten gestern — —
Eine Sekunde, Herr Minister!
Wir hatten gestern eine sehr, sehr eingehende Besprechung über diese schwierigen Fragen. Die Herren sind in ihren Ländern, um der zum Teil ja noch laufenden Demonstrationen Herr zu werden.
Eine Sekunde, meine Damen und Herren! Ich verstehe die Frage vollständig, und wo meine Sympathien liegen, wissen Sie. Darüber schweige ich; es ist jedoch eindeutig.
Aber, Herr Abgeordneter Dr. Schmidt , wenn ich die Frage scharf aufgenommen hätte oder zuvor gewußt hätte, was Sie fragen würden, hätte ich diese Frage nicht zugelassen.
— Nein, wir machen das nicht in diesem Hause. Wir kritisieren nicht die Mitglieder und schon gar nicht die abwesenden Mtglieder eines anderen Hauses. Das tun wir hier nicht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller .
Herr Bundesminister, gibt es Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, daß eventuell öffentliche Mittel oder Einrichtungen, die sonst förderungswürdigen Zwecken dienen, unter Umständen durch diese radikalen Gruppen mißbräuchlich gegen den Staat verwendet werden?
Ich habe Ihre Frage nicht genau verstanden.
Ob es Anzeichen gibt, daß Mittel des Honnefer Modells oder irgendwelcher Einrichtungen, die an sich sonst förderungswürdigen Zwecken dienen, mißbräuchliche Verwendung für solche radikalen Gruppen finden.
Sie sind wohl damit einverstanden, daß ich diese Frage gemeinsam mit meinem Freund, Kollegen Dr. Heck, beantworte.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stingl.
Herr Bundesminister, teilen Sie meine Auffassung, daß alle Beamten und Verantwortlichen — insbesondere Leiter von Strafverfolgungsbehörden — ihren Diensteid verletzen, wenn sie nicht alles daransetzen, aufzuklären, ob Verstöße gegen Art. 18, der vorhin von Herrn Mommer zitiert wurde, vorliegen?
Das ist meine Meinung.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Unertl.
Herr Bundesminister, sind Sie nicht der Meinung, daß zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung auch das Auswechseln einiger oder mindestens einzelner Generalstaatsanwälte zu empfehlen wäre? Ich habe hier den Generalstaatsanwalt Bauer von Hessen im Auge.
Diese Frage zeigt, wie vielschichtig dieses Problem ist. Diese Frage kann nur der verehrte Herr Kollege Heinemann als Justizminister beantworten.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Borm.
Herr Minister, nachdem Sie den berechtigten und selbstverständlichen Beifall des ganzen Hauses bekommen haben, als Sie forderten, daß die Abgeordneten —
Die direkte Frage muß kommen. Die Frage muß am Anfang stehen.
Ich frage Sie, Herr Bundesminister, ob Sie Namen von Abgeordneten dieses Hohen Hauses oder der Länder kennen, die die Pflicht verletzt haben, daß sie selbstverständlich durch ihr Tun die Polizei zu unterstüzen haben?
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968 7881
Ich habe Ihre Frage nicht verstanden.
Sie war sehr deutlich.
Ich habe Sie gefragt, ob Ihnen Namen von Abgeordneten dieses Hohen Hauses oder der Länder bekannt sind, die die Pflicht verletzt hätten, sich in ihrer Politik vor die Polizei zu stellen.
Nein! Borm : Sie sind Ihnen nicht bekannt? Lücke, Bundesminister des Innern: Nein.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Köppler.
Herr Bundesminister, halten Sie es für möglich, daß Polizei und Verfassungsschutz ihren Pflichten gerecht werden können, wenn sie dabei den Bereich der Universitäten aus ihrer Tätigkeit ausklammern sollen?
Nein.
Letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klepsch.
Herr Minister, sind Sie bereit, prüfen zu lassen — und entsprechende Kontakte mit den Ländern aufzunehmen —, ob aus öffentlichen Mitteln an radikale Gruppen Zuwendungen gegeben werden?
Das wollen wir prüfen.
Meine Damen und Herren, die Fragestunde ist zu Ende. Die nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet, soweit sie nicht zurückgezogen sind.
Ich gebe das Wort zur Tagesordnung dem Herrn Abgeordneten Wagner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Fragestunde hat an Teilbereiche eines Problems herangeführt, das seit Wochen unser Volk beunruhigt und in 'dessen Zentrum drängend zwei Fragen stehen: 1. Was ist die Ursache der Unruhe an den Universitäten und in den deutschen Städten? 2. Müssen wir es hinnehmen, wenn die freiheitliche Rechtsordnung unseres Staates in Frage gestellt wird? Das Vertrauen in unserem Staat hängt davon ab, inwieweit die Verantwortlichen willens sind, für ihn einzutreten. Regierung und Bundestag sind hier zu einer klaren Antwort gefordert. Unsere Antwort, meine Damen und Herren, kann sicher nur lauten: Wir werden nicht tatenlos zusehen, wenn unter Mißbrauch des demokratischen Freiheitsrechts diese unsere staatliche Ordnung erschüttert werden soll.
Trotzdem, das Problem ist so vielschichtig und so wichtig, daß es nicht nur im Rahmen einer Fragestunde erörtert werden kann und darf.
Ich stelle deshalb namens der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD den Antrag auf Durchführung einer Aktuellen Stunde und bitte um Ihre Unterstützung.
Der Antrag — ich unterstelle es — ist hinreichend unterstützt. 30 Abgeordnete sind sicher dafür.Wird das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.Dr. h. c. Kiesinger: Bundeskanzler: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin in den vergangenen Wochen von vielen Bürgern unseres Landes aufgefordert worden, ein Wort zu den Unruhen an einigen unserer Hochschulen zu sagen. Diese Aktuelle Stunde des Bundestages gibt mir dazu die Gelegenheit.Unruhen dieser Art beschränken sich, wie Sie wissen, nicht auf unser Land. Ich kann und will heute nicht den Versuch unternehmen, die Ursachen und Motive dieser Unruhen darzustellen. Ich will auch nicht untersuchen, wieweit diese Vorkommnisse spontan oder gelenkt und von welchen Kräften gelenkt sind. Ich versage es mir auch, aufzuhellen, wo sich dabei durchaus berechtigte studentische Anliegen und Forderungen mit dem Willen kleiner militanter Gruppen vermischen, die sich gegen unsere gesellschaftliche und staatliche Ordnung richten. Diese letzteren haben eine eigene Taktik entwickelt oder vielmehr importiert, bei der Gewaltsamkeiten aller Art angewendet werden.Meine Damen und Herren, diese rechtswidrigen Gewaltsamkeiten allein sind der Anlaß meiner heutigen Intervention.
Wir leben in einem freien Lande, in dem niemandem die Meinungsfreiheit verwehrt oder beschränkt wird. Wir leben aber auch in einem Rechtsstaat,
in dem niemandem erlaubt ist, seine Meinung durch Gewaltätigkeit unter Verletzung von Gesetz und Recht auszudrücken.
Auf beidem, der Freiheit der Meinung und der Achtung vor dem Recht, beruht unsere gesellschaftliche und staatliche Ordnung, für die wir alle Verantwortung tragen. Sie muß entschlossen gegen alle geschützt werden, die sie mit Gewalt stören.Ich habe gestern mit den Regierungschefs der deutschen Länder gesprochen, deren Organe für die
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7882 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
Bundeskanzler Dr. h. c. KiesingerWahrung der öffentlichen Ordnung und für die Bestrafung von kriminellen Rechtsbrüchen zuständig sind. Diese Organe haben bislang große Geduld und Zurückhaltung geübt,
um die Situation nicht zu verschärfen. Diese Geduld wird von der militanten Minderheit nicht respektiert. Eine weitere Zurückhaltung würde von der Bevölkerung mit Recht den staatlichen Autoritäten als unverzeihliche Schwäche vorgeworfen werden.
Die Ministerpräsidenten teilen meine Meinung und sind entschlossen, dafür zu sorgen, daß rechtswidrige Gewaltätigkeiten mit den gesetzlichen Mitteln verhindert und kriminelle Ausschreitungen ohne Verzögerung bestraft werden.
Meine Damen und Herren, es liegt mir fern, die Ereignisse unnötig zu dramatisieren.
Die überwältigende Mehrheit unserer Studenten nimmt an diesen Ausschreitungen keinen Anteil und lehnt sie entschieden ab.
Ich vertraue darauf, daß mehr als alles andere ihre Haltung und ihr Einfluß dazu beitragen wird, Recht und Ordnung an unseren Hochschulen und das Ansehen unserer Studentenschaft in der Bevölkerung zu bewahren.
Diese große Mehrheit unserer Studenten darf versichert sein, daß wir ihre Sorgen um die Reform unseres Bildungswesens, um die Sicherung der Zukunft unseres Volkes, um den Frieden, die Freiheit und die Gerechtigkeit in unserer Welt ernst nehmen und teilen.
Wir sind bereit, die große Aufgabe gemeinsam mit ihnen zu lösen und uns gemeinsam mit ihnen für diese höchsten Güter einzusetzen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmidt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In fünf Minuten kann man sich wohl nur auf zwei oder drei Gedanken beschränken.Zunächst einen an einen bestimmten Teil der jugendlichen Opposition. Sie muß wissen, daß Leute, welche die repräsentative Demokratie, die freiheitliche Gesellschaftsordnung zum Gegenstand des Hohnes und der Aggression machen, sich auf den gefährlichen Weg mancher begeben, die im Namen des Proletariats eine Diktatur über das Proletariat errichten, oder solcher, die im Namen des Gemeinnutzes den Genuß der eigenen Macht über alles andere stellen.
Dieses Haus weiß, daß unsere Wirtschaftsordnung, daß unsere Gesellschaft, daß unser Staat tausend Fehler haben, die Kritik verdienen. Aber die geschichtliche Erfahrung dieser Nation in beiden Teilen lehrte uns unter schrecklichen Opfern, daß alle anderen Ordnungen weit größere Risiken bedeuten.
Wenn wir Deutschen aus den Diktaturen über unser eigenes Volk eines gelernt haben, dann doch jedenfalls dies, daß Toleranz gegenüber dem Andersdenkenden und dem Anderswollenden zu den höchsten Maximen einer anständigen und freien Gesellschaft gehört.
Wer aber statt dessen Provokation und physische Gewaltanwendung zum Prinzip der Auseinandersetzungen machen will, der wird in jedem Sinne des Wortes Reaktion ernten.
In der Demokratie setzt der Bürger seine Meinung durch, indem er diskutiert, indem er eigene Vorschläge macht, indem er für seine eigenen Vorstellungen wirbt — letztlich durch den Stimmzettel. Gewalt aber darf in unserem Staat ein Bürger nur anwenden im Falle der Notwehr. Von Notwehr, von Gefahr für Leib oder Leben, kann aber bei den so verschleppten Problemen der Universitätsreform überhaupt keine Rede sein.
Ein zweites Wort an jedermann im Lande. Viele von uns vergessen, daß radikale Kritiker bisweilen auch recht haben, selbst wenn sie übertreiben. Die Forderung nach Universitäts- und Studienreform besteht zu Recht, und das seit mehr als 20 Jahren. Ich gebe Herrn Stoltenberg recht, der vorhin diesen Vorwurf zu einem Teil auch an andere, zuständige Adressen verteilt hat als die Bank hier zu meiner Rechten. Die Kritik an gewissen Straßenbahnpreiserhöhungen muß z. B. wohl richtig gewesen sein, wenn diese Erhöhungen nachher teilweise zurückgenommen wurden.
Vielerlei Kritik ist zutreffend, ob sie sich richtet gegen bestimmte Erscheinungen in der Justiz, im Pressewesen, in unserem Parlament, in der Armee oder wo immer in unserer Gesellschaft und in unserem Staat. Und wer auf zutreffende Kritik nicht hört und darauf nicht antwortet, ist möglicherweise eine Schlafmütze oder ein Reaktionär. Außerdem aber — und noch wichtiger —: Wir alle und unsere Bürger müssen wissen, daß andere Bürger das Recht auch zu völlig unzutreffender und übertriebener Kritik haben. Das muß man aushalten können.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968 7883
Schmidt
Es ist in unserem Staat kein Vergehen, den Deutschen Bundestag oder den Bundeskanzler oder die Parteien oder eine Landes- oder eine Stadtregierung oder einen Universitätssenat unzutreffend und ungerechtfertigterweise zu kritisieren. Das Toleranzgebot gilt für uns alle, und wir alle müssen wissen, daß geistige und politische Unruhe erlaubt ist, soweit sie die Rechte anderer nicht gefährdet, und ich füge für meine Person hinzu: im Grunde wünschenswert ist, wenn es in Deutschland vorangehen soll.
Lassen Sie mich hinzufügen: Das gilt auch für alle Bürger im Lande. Wir, alle Bürger müssen die Zivilcourage aufbringen, den Feinden der Demokratie auch persönlich entgegenzutreten,
um. mit denen, mit denen man reden kann, zu reden, ob es sich um die Anarchokommunisten handelt, die sich hier oder da an Universitäten breitmachen, oder um diejenigen, die am Kiosk die „Deutsche Nationalzeitung und Soldatenzeitung" kaufen.
Ein letztes Wort an diejenigen, die im Lande oder in den Städten oder an den Universitäten amtliche Verantwortung tragen. Sie haben die Gesetze und das Recht zu wahren und dafür zu sorgen, daß, wer sich gegen das Recht vergeht, vor seinen Richter kommt und daß, wer die Rechte anderer buchstäblich mit Füßen tritt und buchstäblich mit Steinen bewirft, daran gehindert wird, dies zu tun.
Dazu brauchen aber die, die amtliche Verantwortung tragen, nicht etwa den Vorsatz zur „Härte" oder zum „Durchgreifen". Für jede Behörde und für jeden Beamten gilt zu jeder Zeit der Grundsatz: Die Mittel, die der Staat einsetzt, haben im angemessenen Verhältnis zu Anlaß und Zweck zu stehen.
Wer als staatliche Autorität die Polizei einsetzt, muß diesem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel gehorchen. Polizeibeamte haben einen sehr schweren Beruf,
einen häufig sehr undankbaren Beruf. Polizeibeamte haben ein Recht darauf, von ihren politischen Vorgesetzten klare Anweisung und klare Führung zu erhalten.
In meinen Augen haben politische Vorgesetzte wenig Respekt verdient, wenn sie am Ort und zum Zeitpunkt des Einsatzes der Polizei die Polizei sich selbst überlassen und nachher kluge Worte machen.
Ein letzter Satz, Herr Präsident. Über Autorität redet man nicht — schon gar nicht nachträglich sondern man übt sie am Orte, wenn es noch Zeit ist, aus. Das gilt für uns alle.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben diese Aktuelle Stunde herbeigeführt, weil wir in aller Ruhe, aber auch mit aller Deutlichkeit zu sagen wünschen: Wehret den Anfängen! Wir wünschen in unserem Lande niemanden darüber im unklaren zu lassen, daß wir diesen mühsam aus Krieg und Diktatur und Trümmern aufgebauten freiheitlichen sozialen Rechtsstaat mit aller Kraft verteidigen werden.
Die Feinde der Freiheit und die Feinde der Demokratie sind so stark, wie die Demokraten schlapp sind. Die Frage, die wir hier diskutieren, betrifft nicht — und auch wir wollen dies sagen — d i e Jugend. Gräfin Dönhoff hat heute, wie ich glaube, trefflich davon gesprochen, es handle sich um eine „Mini-Minorität". Dies, glaube ich, ist eine gute Aussage. Diese Mini-Minorität freilich ist lautstark. Sie will eine andere Ordnung und schreckt auch vor Gewalt nicht zurück. Was hierzu zu sagen ist, haben der Bundeskanzler und seine Minister vorher ausgeführt. Wir stimmen dem zu.Auch wir wünschen festzuhalten, daß Demokratie geistige Auseinandersetzung ist. Wir glauben, daß wir alle der Kritik bedürfen, wir alle hier, weil es sonst nicht gut weitergeht. Wir glauben, daß Meinungskampf dazugehört, daß der Wille dazugehört, Mehrheiten zu ändern, Verhältnisse zu wandeln, eine bessere Ordnung zu erreichen. Das alles gehört dazu. Nur muß jedermann wissen, daß der Weg dorthin nicht der der Gewalt und des Terrors sein kann.
Nicht der Steinwurf, sondern das Gespräch ist das Kennzeichen der Demokratie.
Art. 18 des Grundgesetzes ist zitiert worden. Wir legen Wert darauf, auch den Art. 2 in Erinnerung zu rufen. Er gehört in diese Debatte. Er lautet: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt . . ." An dieses Prinzip muß man erinnern, auch deshalb, weil hier eine Grenze zu ziehen ist.Wir wissen, was ein studentischer Ulk ist, und wir haben viel Verständnis dafür, wenn auch mal einer über das Ziel hinausschießt. Aber ein studentischer Ulk ist es nicht mehr, wenn bewußt zerstört wird oder wenn Anleitungen zur Herstellung von Sprengsätzen à la Molotow-Cocktails gegeben wer-
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7884 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
Dr. Barzelden. Das ist Terror. Dies darf nicht sein. Dies werden wir nicht zulassen, meine Damen und Herren.
Wir sollten alle großzügig sein, wenn irgendwo, wenn insbesondere junge Menschen über das Ziel hinausschießen. Wir sollten aber ebenso hart und unerbittlich sein, wo vorsätzlich, geplant und präzis eine konzentrierte Terroraktion abläuft. Dies ist etwas anderes!
Von dieser Stunde soll, so wünschen wir, die Gewißheit ausgehen — ins Volk wie an alle Stellen, die für die Ordnung zuständig sind —, daß wir diesen freiheitlichen Rechtsstaat zu verteidigen wünschen. Von dieser Stelle soll aber ebenso die Gewißheit ausgehen, daß wir das Gespräch suchen, gerade mit den jungen Menschen, daß wir zu Reformen bereit sind und daß wir hier keineswegs glauben — dazu haben wir einen viel zu tiefen Einblick in die Schwierigkeit der Probleme, die wir hier lösen müssen —, die beste aller denkbaren Welten schon geschaffen zu haben.
Aber wir glauben, eine geschaffen zu haben, in der es sich leben läßt und die offen ist für eine Entwicklung zu Besserem. Das wird nur dann gehen, wenn diese Jugend — jetzt meine ich die ganze Jugend — unsere Gesprächsbereitschaft wirklich annimmt, wenn wir alle miteinander sie nie mit Rechthaberei abspeisen
und wenn wir diese Jugend ganz ernst nehmen.Es wäre für die Atmosphäre dieses Gesprächs vorteilhaft, wenn auch junge Menschen ihren Respekt für die Wiederaufbauleistung der älteren Generation in den letzten 20 Jahren bekunden könnten.
Noch ein Wort — es gehört hier mit herein —: Antiamerikanismus, der hier und dort in Mode zu kommen scheint, ist dümmlich und verrät mangelnde Einsicht in die wirkliche Lage unseres Volkes und unserer Hauptstadt.
Wenn manche heute kritisch davon sprechen, daß autoritäre Strukturen vorhanden seien — nun, ich will das heute nicht untersuchen; dazu reicht die Zeit nicht. Ich darf aber als ein Mann der Kriegsgeneration daran erinnern, daß wir nicht nur autoritäre Strukturen aufspüren mußten, um sie theoretisch zu begreifen, sondern daß wir etwas anderes nämlich Diktatur, in der Wirklichkeit hatten. Weil wir das erfahren haben, werden wir das an Freiheit und Recht, was hier ist, verteidigen. Es ist zu mühsam Wirklichkeit geworden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scheel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Herr Bundeskanzler hat gesprochen, die Regierungsbank ist zum erstenmal seit langer Zeit gefüllt, der Bundesrat ist da, das Haus ist voll.
— Nach dem Sprachgebrauch gefüllt. — Im Sprachgebrauch der unruhigen Jugend würde man sagen: Das Establishment ist vollzählig vertreten.Wie lange hat es gebraucht, damit wir uns über diese Frage hier unterhalten? Mußte es erst zu einer Überschrift in einer Wochenzeitung wie heute: „Ist der Vietkong unter uns?" kommen? Und ist es nicht falsch, daß wir diese Diskussion mit einem Gespräch mit fünf Minuten pro Redner beginnen?Es ist gut, daß Große Anfragen eingebracht worden sind. Es ist gut, daß wir bald auch anläßlich der Rede des Herrn Bundeskanzlers zur Lage der Nation das gleiche Thema behandeln.
Wir sollten es uns hier nicht leicht machen, meine Kollegen. Ich glaube, es wäre falsch und gefährlich, wenn wir die Ereignisse, über die wir sprechen, mit den Formulierungen „Terror", „Aufruhr", „Rabaukentum" , „Krawalle" und dergleichen etikettierten. Wenn wir es möglicherweise zu einer antistudentischen Hysterie kommen ließen, das würde der Sache nicht gerecht werden.
Das führt dann zu den vergröbernden Formulierungen „Härte", „Unnachgiebigkeit", „Demonstration staatlicher Autorität" und „Reinschlagen" und dergleichen mehr.Wir müssen hier nach den Ursachen suchen. Ich bin froh, daß in der Diskussion bis heute erkennbar war, daß wir das gemeinsam tun wollen. Denn, meine Damen und Herren, Dutschkes hat es zu allen Zeiten gegeben. Das Beunruhigende ist doch, daß es heute Leute gibt, die ihnen zuhören. Wir müssen fragen, warum ihnen die Jungen zuhören.
Eine Erklärung lasse ich aus eigener Erfahrung nicht gelten. Das ist die Erklärung, daß hier Ferngesteuerte am Werke seien, von Moskau oder der SED Gesteuerte. Weiß Gott, das ist nicht der Fall. Ich habe selbst — —
— So viel und so wenig wie in der übrigen Gesellschaft ist das hier der Fall. — Ich habe selbst Abend für Abend mit Studenten diskutiert. Das war sehr, sehr unbequem, — —
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Scheel— Ach, wissen Sie, das hat es in allen Fraktionen gegeben, mein verehrter Freund. Bei Ihnen war es Schmidt-Wittmack, bei jenen war es der Frenzel.
So billig wollen wir es uns nun erst recht nicht machen, wie Sie Ihre Zwischenrufe anlegen.Meine Damen und Herren, ich habe Abend für Abend erlebt, daß es in der Studentenschaft, bei der Jugend überhaupt eine große Mehrzahl gibt, die nicht antidemokratisch ist, sondern die die Demokratie mit mehr Leben erfüllen will. Es gibt eine Minorität antidemokratischer Jugendlicher. Wir können den Gutwilligen, die die Demokratie schützen und fördern wollen, keine Schlagworte entgegensetzen. Wir müssen — ich bin froh, daß Herr Dr. Barzel das gesagt hat — ihnen beweisen, daß wir eine offene Gesellschaft sind.Aber sind wir das? Ist das, was wir formierte Gesellschaft nennen und wollen, eine offene Gesellschaft? Weichen wir nicht auch hier den Konflikten allzusehr aus, die nun einmal eine offene Gesellschaft kennzeichnen? Ist die Funktionsfähigkeit des Parlaments noch voll erhalten? Wenn der Innenminister in einer Broschüre sagt, daß die hier Versammelten eigentlich nur auf der Basis eines Wahlgesetzes hierher geschickt worden sind, das man höchstens als Meinungsmessung bezeichnen kann,
und daß es eines anderen Wahlgesetzes bedürfe, wenn man ein funktionsfähiges Parlament haben wolle, ja, wundern Sie sich dann noch über Zweifel bei der Jugend?
Ist es nicht so, daß in diesem Parlament wichtige politische Fragen nicht diskutiert werden? Ist es nicht merkwürdig, meine Damen und Herren, daß die Titelseiten aller Zeitungen in Deutschland seit Jahren über den Krieg in Vietnam berichten und hier nicht darüber gesprochen wird? Ist das nicht merkwürdig?
Ist es nicht merkwürdig, daß der Herr Bundeskanzler die DDR ein Phänomen nennt und sich schwertut, den Ministerpräsidenten der DDR mit seiner Amtsbezeichnung zu nennen? Ist es nicht merkwürdig, daß in der Öffentlichkeit immer noch eine lebhafte Diskussion über die politische Vergangenheit prominenter Repräsentanten unseres Staates geführt wird? Dabei kommt es gar nicht so sehr darauf an, ob das zu Recht oder zu Unrecht so ist, sondern es kommt darauf an, daß man sich zu dem, was gewesen ist, bekennt, daß endlich Klarheit wird.
Ist an der Entwicklung nicht auch der Herbst des Jahres 1966 schuld, in den doch so manche junge Menschen eine Hoffnung gesetzt haben und wo sich eine Partei ihres Führungsanspruchs, den sie hätte erheben können, praktisch begeben hat?
Auch das, meine Damen und Herren, ist Ursache für das, was wir heute erleben. Da reicht es nicht aus, Herr Kollege Schmidt, wenn Sie heute im „Echo der Zeit" Kritik an dieser Regierung üben und sagen: Diese Regierung muß mutiger werden. Das reicht nicht aus. Diese Regierung sind nämlich Sie!
Natürlich, meine Damen und Herren, ist die Hochschulpolitik ein bedeutender Hintergrund dessen, was wir erleben. Aber haben wir es nicht versäumt, hat es nicht auch diese Regierung versäumt, Reformen anzufassen, obgleich alle Ministerpräsidenten den Parteien angehören, die diese Regierung tragen?
Meine Damen und Herren, ich bin ein überzeugter Anhänger der parlamentarischen Demokratie. Wir fassen unsere Oppositionsrolle so auf, die parlamentarische Demokratie lebendig zu erhalten und lebendig zu gestalten. Wir diskutieren mit unserer Jugend. Dafür empfangen wir von Ihnen manchmal hämische Kritik. Ich wollte, Sie würden es genauso tun wie wir.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter!
Ich darf jetzt meinen letzten Satz sagen.
Ja, den letzten Satz.
Weil wir, meine Damen und Herren, überzeugte Anhänger der parlamentarischen Demokratie sind, können wir allerdings um so klarer sagen, wo in der parlamentarischen Demokratie die Grenzen sind. Sie braucht Spielregeln, und der Rechtsstaat, der durch Gesetze geschützt ist, muß darauf achten, daß seine Gesetze beachtet werden. Da, wo die Grenzen überschritten werden, wo Gewalt ansetzt, müssen wir diese Demokratie, glaube ich, alle gemeinsam verteidigen, und niemand wird das kräftiger tun als die Liberalen.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Ich kann Ihnen jetzt beim allerbesten Willen nicht noch mehr Rabatt geben.
Ich habe jetzt Ihre Redezeit um mehr als zwei Minuten überschreiten lassen und damit einen klaren Verstoß gegen die Vorschrift der Geschäftsordnung begangen. Mehr kann ich nicht vertreten, auch nicht im Rahmen der Konzilianz. Ich muß Sie bitten zu schließen.
Herr Präsident!
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7886 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
Es tut mir leid, Sie können nicht mehr weiterreden.
Ich liege immer noch zwei Minuten unter Herrn Schmidt.
Nein, das stimmt nicht, ich habe Herrn Schmidt eine Minute mehr konzediert. Das war auch schon zuviel. Aber ich habe Ihnen weit mehr konzediert, und jetzt ist Feierabend.
Abgesehen von der Geschäftsordnung, meine Damen und Herren: es haben sich so viele Redner gemeldet, daß ich überhaupt nicht weiß, wie ich mit den 60 Minuten noch einigermaßen fertig werden soll.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Matthöfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Scheel, lassen Sie mich nur ein Wort zu Ihren Ausführungen sagen. Ich meine, es ist schon eine merkwürdige Art von Opposition, alle Argumente gegen die Regierung wie Perlen an einer Kette aneinanderzureihen und sich um den Hals zu hängen und jede notwendige Konsequenz vermissen zu lassen. Wer hat Sie denn daran .gehindert, Herr Scheel, eine Vietnam-Debatte hier zu beantragen und durchzusetzen?
Sie werden bei diesen Studenten nicht damit durchkommen, nur in verbaler Radikalität zu machen.
Diese jungen Leute durchschauen Sie.
Wenn wir dahin kommen, eine Vietnam-Debatte zu führen, dann können Sie ja einmal Ihr Verhältnis zu den jungen revolutionären Bewegungen in den Entwicklungsländern definieren, dann wollen wir mal sehen, was die Studenten dazu sagen.
Herr Dr. Barzel, Sie sprachen von der Miniminorität. Ich glaube, es sollte uns als professionellen Politikern eigentlich eine gewisse Achtung abnötigen, wie diese Miniminorität eine politisch-organisatorisch-pädagogische Leistung vollbracht hat, indem sie Probleme, die den Studenten auf der Seele brennen, in politische Aktionen umsetzen und mit gesellschaftspolitischen Konzeptionen in Verbindung bringen kann, denen diese Studenten eigentlich von ihrer Herkunft her fernstehen. Das ist schon eine bemerkenswerte Sache, über die man nachdenken sollte.
Man sollte sich überlegen, ob hier nicht tiefliegendeUrsachen vorhanden sind. Ich würde mich deshalbdagegen wehren, wenn wir nur überwiegend über die Erscheinungsweisen des Protestes sprächen — das will ja sicher niemand — und vergäßen, welche Ursachen dem zugrunde liegen.Die Situation an den Hochschulen verschlechtert sich stetig für die Studenten. Von einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen kann keine Rede sein. Dabei wächst aber der Druck, sehr schnell zum Examen zu kommen. Der Lehrbetrieb kommt dem in keiner Weise nach. Die Studenten können nicht einsehen, wie sie den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden sollen, ohne daß sich etwas an den Hochschulen ändert. Die Tatsache, daß junge Schüler ebenfalls in, diese Protestbewegung auf breiter Basis einbezogen werden können, sollte uns vermuten lassen, daß auch an unseren Schulen etwas reformbedürftig sein könnte.An der Hochschule geht es auch um die Emanzipation nicht nur im juristischen Sinne bereits Erwachsener, die sich zum Teil in den Jahren befinden, in denen Naturwissenschaftler ihre größten Leistungen vollbringen, und die an den Universitäten als Unmündige behandelt werden. Jeder, der einmal erlebt hat, wie bestimmte Doktoranden oder Herren, die sich habilitieren wollen, ihren Herren Professoren und Ordinarien um den Bart gehen müssen, um dort zu Rande zu kommen, wird mir hier zustimmen.
Ich will das nicht generalisieren. Es gibt sehr viele anständige, nette Professoren; aber es gibt auch ganz andere, die diese priviligierte Situation ausnützen.Sind die Klagen der Studenten so unberechtigt, ihr Studium reduziere sich auf das bloße Ansammeln von Faktenwissen und der Student habe keine Möglichkeit, auf die Organisation seines. Arbeitsprozesses an den Hochschulen einzuwirken? Ist die Forderung nicht sinnvoll, die hierarchisch-autoritäre Organisation unserer Hochschulen müsse wegen der prinzipiellen Gleichrangigkeit wissenschaftlicher Arbeit abgebaut und durch eine horizontale Kooperation der Teilnehmer am wissenschaftlichen Forschungsprozeß ersetzt werden? Unser Minister für wissenschaftliche Forschung hat kürzlich darauf hingewiesen, daß die Tatsache, daß so viele unserer jungen Wissenschaftler in den Vereinigten Staaten hängenbleiben, nicht nur auf die materiell bessere Ausstattung der amerikanischen Institute zurückzuführen ist, sondern auch darauf, daß der Student drüben Einfluß auf die Richtung seiner Forschung hat, daß er einen größeren Freiheitsbereich hat und allgemein mehr als Erwachsener behandelt wird. was an unseren Universitäten eben weitgehend nicht der Fall ist.Bedeutet Demokratisierung der Hochschulen nicht auch Demokratisierung des Zugangs zu den Hochschulen für Kinder aller Schichten unseres Volkes?
Es ist doch merkwürdig, daß diese Forderung jetztvon Studenten vertreten wird, die ihre Elternhäusergar nicht in den Kreisen haben, die traditionell so-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968 7887
Matthöferzialdemokratische Wählerschichten sind. Hier muß doch eine tiefe Unruhe vorhanden sein, die es dieser Miniminorität, Herr Dr. Barzel, ermöglicht, die Leute in Bewegung zu bringen.Eine zweite Ursache ist doch wohl auch unser Erfolg in der politischen Bildungsarbeit. Es ist ja kein Zufall, daß es Studenten und Schüler sind, die sich hier in Bewegung setzen. Die Ursache liegt darin, daß diese Studenten und Schüler die Wirklichkeit an dem Modell messen, das wir ihnen im politischen Unterricht beizubringen versucht haben. Dieses Modell, so wie auch wir uns eine wirklich gute Demokratie vorstellen, kommt eben in Konflikt mit der Realität, die diese jungen Menschen vorfinden.Lassen Sie mich zusammenfassend sagen, daß man die Unruhe an den Universitäten nicht beseitigen kann, wenn man nicht bereit ist, ihre Ursachen zu beseitigen; und das bedeutet: Demokratisierung der Hochschulen und eine ,materiell wesentlich bessere Ausstattung.
Die Redezeit ist abgelaufen, Herr Abgeordneter.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jaeger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem wirren Chor der Stimmen, die auf akademischer und auf nichtakademischer Ebene bei den Unruhen laut werden, ist immer ein Grundton hörbar, der Grundton des Kampfes gegen das, was man das Establishment nennt, ein Wort, das ja auch einer meiner Vorredner zitiert hat. Da dieses Wort aus Amerika kommt und neu ist, glauben diejenigen, die es gebrauchen, es handle sich auch um eine originäre, eine neue Sache. Aber mir, meine Damen und Herren, der ich wie viele in diesem Hause in meiner Jugend das Heraufkommen des Nationalsozialismus erlebt habe, ist dieses Wort doch nichts anderes als eine neue Vokabel für das Wort vom „System", mit dem die Nationalsozialisten jahrelang ihre Wahlkämpfe geführt haben.
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Ob Establishment oder System, in jedem Fall handelt es sich um das, was mein Freund Dr. Pohle die Diskriminierung der gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen genannt hat. In jedem Falle, meine Damen und Herren, ist der Staat gemeint; man will ihn nur nicht nennen, denn würde man ihn nennen, würden sich alle anständigen Bürger zu seiner Verteidigung zusammenschließen.Was ist das nun für ein Staat, der hier angegriffen wird? Wir haben alle in den drei Fraktionen, die diesen Staat tragen, den Staat des Grundgesetzes als d e n freiheitlichen Rechtsstaat bezeichnet. Meine Damen und Herren, man muß die drei Bestandteile dieses Wortes gleichgewichtig im Ohre haben. Die Freiheit ist sicherlich die Seele des Staates, aber die Freiheit ist nicht möglich ohne das Recht. Freiheit ohne das Recht wird im Verhältnis der Menschen untereinander zur Willkür, in der Gesellschaft als Ganzem zur Anarchie.
Recht aber ist nun einmal in der Praxis, mögen die Theorien auch manchmal anders lauten, nicht ohne den Staat möglich, der das Recht durch seine Autorität wirksam werden läßt..Zum Begriff des Staats gehört eben die Staatsgewalt. Ohne Macht ist der Staat weder nach innen noch nach außen zu schützen. Ohne Macht des Staates ist die Freiheit des Bürgers rasch verwirkt.
Der Dreiklang von Freiheit, Recht und Staat bildet eine unauflösliche Einheit. Vielleicht haben wir in der Vergangenheit in diesem Hause wie auch im staatsbürgerlichen Unterricht von der Bundeszentrale bis zu den Volksschulen allzuviel von der Freiheit und ihren Rechten gesprochen und allzuwenig vom Staat und seiner strengen Pflicht.
Vielleicht gibt es auch viele, die noch dem alten deutschen Irrglauben anhängen, die Macht sei böse, obwohl die Macht weder gut noch böse ist, sondern ihr Charakter allein nach einem bestimmt wird, nämlich nach dem Zweck und nach der Methode.Wir haben erschreckende Erschütterungen der Staatsautorität erlebt, als eine Landesregierung wegen der Studentenunruhen zurückgetreten ist, eine andere vor dem Druck der Straße kapituliert hat. Aber am meisten hat es mich doch erschüttert, daß ein Mann, der zum Wahrer des Rechts in besonderer Weise berufen ist, den mein Kollege Güde emphatisch den „Großrichter" genannt hat, daß der Bundesminister der Justiz nichts anderes in der „Welt" zu empfehlen weiß, um Gottesdienststörungen zu verhindern, als den Gesang religiöser Lieder, bis zu vier Stunden.
Statt die Hamburger Staatsanwaltschaft an -ihre Pflicht zu erinnern, nach § 167 der Strafprozeßordnung ein Offizialdelikt zu verfolgen, wird hier die Ohnmacht des Staates als Ideal propagiert.
Meine Damen und Herren, wenn das zur Maxime unseres Staates würde, dann wäre das der Bankrott der deutschen Demokratie.Ich danke dem Herrn Bundeskanzler, daß er dieser Linie des Autoritätsverfalls mit seiner Erklärung heute ein Ende gesetzt hat.
Ich spreche aber auch den jungen Soldaten Dank und Anerkennung aus, die in Hamburg in der Michaeliskirche für Ruhe und Ordnung eingetreten sind und die Heiligkeit des Hauses gewahrt haben.
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7888 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
Dr. JaegerSie haben das vieldiskutierte Leitbild des Staatsbürgers in Uniform durch ihr Verantwortungsbewußtsein in die Wirklichkeit übersetzt. Sie haben Mut gezeigt und allen anständigen Demokraten Mut gemacht. An diesem Vorbild orientiert, rufen wir Christlichen Demokraten jedem Minister, jedem Rektor und jedem Polizeipräsidenten zu: Landgraf, werde hart!
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt Situationen, wo an einfache Grundsachverhalte erinnert werden muß, und je ruhiger, je selbstsicherer, je selbstbewußter wir das tun, desto besser ist es. Die Grundsachverhalte sind für Staat und Kirche nicht die gleichen.
Mir ist völlig bewußt, Herr Dr. Jaeger, daß unsere Freiheit sich in der Rechtsordnung darstellt. Unsere Rechtsordnung ist das Kleid der Freiheit, und wir sind glücklich, daß diese unsere Rechtsordnung eine freiheitlich-demokratische ist. Sie gewährleistet Grundrechte. Sie gewährt sie nicht, sondern die Grundrechte bestehen vor aller staatlichen Ordnung und Verfassung. Sie werden nur von der Verfassung noch einmal bestätigt und gewährleistet.
Indem wir uns dieses Wesenselements der Grundrechte bewußt bleiben, wissen wir auch um ihre Einbettung in unser aller Bewußtsein, wissen wir auch um ihre Tragweite und um ihre Grenze, und wir wissen auch um die Aufgabe staatlicher Gewalt, sei es der Polizei, sei es der Justiz, wenn die Grenze überschritten wird.
Nun haben Sie mich besonders angeredet wegen meiner Empfehlung an die Veranstalter eines bestimmten Gottesdienstes in Hamburg. Verehrter Herr Dr. Jaeger, so sehr ich mir bewußt bin, was Staat ist, was Polizei ist, was Justiz ist, so sehr bin ich mir auch bewußt — das bilde ich mir jedenfalls ein —, was Kirche ist im Unterschied zum Staat.
Jahrelang haben wir in einem bestimmten Zeitabschnitt unserer Geschichte Charakter, Auftrag und Wesen einer kirchlichen Gemeinde und eines Gottesdienstes ohne Polizei, ohne Bundeswehr, ohne Reichswehr verteidigt und durchgehalten.
Daran erinnert zu haben, sollte wahrlich keinen Vorwurf begründen, sondern ich wünsche jeder Kirchengemeinde, die von Dutschkisten oder anderen Ruhestörern systematisch überzogen wird, genau dieselbe Ruhe, dieselbe Selbstsicherheit und dasselbe Selbstbewußtsein, sich mit den Möglichkeiten
zu wehren, die sich in aller Kirchengeschichte bewährt haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Abelein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns darüber einig, daß unsere staatliche Ordnung mit allen rechtlichen Mitteln aufrechterhalten werden sollte. Doch dazu möchte ich jetzt kein Wort mehr sagen.Wir haben immerhin jahrelang beklagt, daß unsere Studenten politisch desinteressiert seien. Das hat sich geändert. Wir brauchen uns nicht in allen Punkten darüber zu wundern, wenn dieses politische Engagement sich häufig nun nicht immer so äußert, wie wir uns das vorgestellt haben. Wenn ich die Wahl habe zwischen politischem Interesse, und zwar starkem politischem Interesse bei den Studenten — mit manchen Überschäumungen -und einer Interesselosigkeit auf der anderen Seite, dann fällt mir die Wahl nicht schwer: dann wähle ich das erste.
Es gibt sicher eine Reihe von Motiven für die Unruhen an den Universitäten. Darauf jetzt im einzelnen einzugehen, fehlt die Zeit. Man kann vielleicht drei Motivkreise unterscheiden. Erstens richtet sich die Kritik gegen die Ordnung des Studiums. Es ist ganz interessant, einmal zu sehen, woher die Unruhe an den Universitäten hauptsächlich kommt. Sie kommt nämlich aus einem ganz bestimmten Bereich und vorwiegend aus einer ganz bestimmten Fakultät. Ich bin aus eigener Erfahrung der Ansicht: dort ist in der Tat viel zu korrigieren. Das sollte man tun. Hier liegt ein berechtigtes Anliegen der Studentenschaft vor.
Die zweite Kritik richtet sich gegen die Struktur der Universität. Hier wird von Drittelparität und verschiedenen anderen Dingen gesprochen. Ich bin der Ansicht — ohne jetzt zu einem bestimmten Zahlenproporz zu kommen —: warum sollte man die Studenten nicht stärker als bisher an der Selbstverwaltung der Universität beteiligen? Die Studenten vermuten nämlich, daß hier geheime Sachen hinter verschlossenen Türen verhandelt würden. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie prosaisch diese Tätigkeit ist. Ich würde gerne ständig Studenten als Vertreter in diesen Gremien sehen. Ich meine nur: man muß auch hier differenzieren. Ich halte es für ausgeschlossen, daß Studenten, die bei unserer Freizügigkeit des Studiums ein bis zwei Jahre an einer Universität studieren, dort nachher die gleichen Rechte wie ein Ordinarius haben, der unter Umständen sein Leben dort verbringt.
Auch diese Dinge muß man ganz nüchtern sehen.
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Dr. AbeleinNun komme ich zum wichtigsten Punkt. Es ist einer kleinen Gruppe gelungen, eine große Schicht von Studenten zu mobilisieren, auch wenn sie sich im einzelnen mit den Zielsetzungen dieser Minorität nicht identifiziert.Herr Dr. Pohle, es liegen in der Tat Untersuchungen vor, wenn auch nicht offizieller Art. Diese Untersuchungen über die Ursachen der Unruhe der Studenten sind sehr interessant. Natürlich kann man darauf im Rahmen von fünf Minuten überhaupt nicht eingehen. Aber immerhin ergibt sich daraus, daß eine große Mehrzahl — über die Hälfte — mit verschiedenen Erscheinungen unserer Gesellschaft und unseres Staates nicht einverstanden sind.
Das ist ein Faktum. Darüber kann man — auch wenn man sich über das, was ich im ersten Satz sagte, völlig einig ist — nicht hinwegsehen. Hier ist einiges zu tun.Ich nenne Ihnen hier einige Zahlen. Rund über die Hälfte der Studenten ist der Ansicht, daß das Funktionieren des parlamentarischen Systems in der Bundesrepublik Deutschland mit wachsender Sorge zu beobachten ist.Von den Studenten — das sind über zwei Drittel — wird auch gesagt, daß eine kleine Schicht innerhalb der einzelnen Parteien die Dinge beherrsche und daß es hier zu einer weitgehenden Demokratisierung nicht gekommen sei. Lassen Sie mich hier sagen, ganz still, nicht so laut nach außen: Ich bin) in diesem Punkt mit den Studenten weitgehend einig.
Dazu möchte ich nur folgendes sagen. Ich möchte den Studenten raten, das gleiche Mittel zu wählen, das etwa ich gewählt habe, nämlich in die politischen Parteien einzutreten, dort und im Parlament für ihre Ziele einzutreten. Das sind die Mittel, um Änderungen herbeizuführen, nicht aber illegale Aktionen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Meinecke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Scheel, es gibt in diesem Zusammenhang beziehungsvolle politische Tatbestände und beziehungslose. Sie haben die beziehungslosen „Merkwürdigkeiten" hier zitiert. Beziehungsvoll ist in diesem Zusammenhang einzig und allein, daß Sie draußen im Lande sehr liberal für ein Mitbestimmungsrecht der Studierenden an den Hochschulen eintreten, und da, wo es um einen anderen Teil der mündigen Bürger unseres Landes im Rahmen des Mitbestimmungsrechts geht, negieren Sie dieses Recht. Das ist das einzige, was hier angesprochen werden muß.
Sie haben auf Ihrem Parteitag und in Ihrem Pressedienst erwähnt, daß Sie sich mit dem Problem eingehend beschäftigt hätten. Die arroganten Bemerkungen Ihres Herrn Kollegen Dahrendorf, der da behauptet, daß der Autoritätsverlust ausschließlich durch den Autoritätsverlust der Minister und der Regierenden in diesem Lande, die „auf Luftkissen durch das Land segelten", bedingt sei, müssen zurückgewiesen werden.
Ich möchte hier einmal erwähnen, mit welchem Mut der Regierende Bürgermeister von Berlin sich den Studenten gestellt hat, auch wenn es ein bitterer Weg nach „Golgatha" gewesen ist.
Meine Damen und Herren, ein klein wenig — —
Einen Augenblick, Herr Kollege. Sie wollten sicher nicht sagen, daß dieser Gang mit einer Hinrichtung endete.
Symbolisch vielleicht?
Meine Damen und Herren, mich bedrängt ein wenig, wie schwer es für uns ist, Anregungen dafür zu geben, was nun in den nächsten Wochen und Monaten geschehen soll, daüber etwas auszusagen, wie wir die Situation beherrschen können, ohne auf der einen Seite nur noch zu rufen: „Landgraf, werde hart!" Das ist meiner Meinung nach in ausreichendem Maße heute hier geschehen.Darum möchte ich einmal folgendes sagen: Was hindert nun eigentlich im Augenblick, wo über Universitätsverfassungen diskutiert wird, wo die Studenten an diesen Gesprächen beteiligt sind, die Senate daran, die Studenten schon im Vorgriff in die Senate hineinzunehmen und in einer gewissen Quote an den künftigen Beratungen zu beteiligen? Was hindert uns daran, diesen Studenten zu sagen: Jetzt gebieten es die Gesetze des „Fair play", in der Eskalation der Revolution innezuhalten und sich für eine gewisse Zeit vernünftig zu verhalten, bis diese Gespräche beendet sind?Was aber, meine Damen und Herren, hindert eigentlich auch andere Kultusminister und andere Ministerpräsidenten daran, jetzt vielleicht selbst zum Sit-in bei den Studenten anzutreten, vor sie zu treten, in das Auditorium Maximum hineinzugehen und ihnen klarzumachen, daß für uns alle jetzt der Zeitpunkt der Geduld und des Gesprächs gekommen ist, daß es aber vielleicht auch die letzte Chance ist, zu vernünftigen Lösungen zu kommen? Was hindert Schulen, was hindert Lehrer daran, im Augenblick allen deutschen Jugendlichen klarzumachen, daß sich die Demonstrationen an der Grenze des Rechts bewegen?! Was hindert sie daran, ihnen
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Dr. Meineckeklarzumachen, daß dieses Recht seine Grenze da findet, wo die Grundrechte des Nachbarn beeinträchtigt werden?Meine Damen und Herren, ich möchte auch die Massenmedien darauf aufmerksam machen, daß eine hysterische Eskalation und eine neurotische Darstellung dieser Vorgänge etwas bewirken können, was der Entwicklung nicht dienlich sein kann, weil Vergleiche mit vergangenen Zeiten vielleicht doch noch nicht ganz der Situation angemessen sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friderichs.
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Wir haben in der vorangegangenen Fragestunde gehört, daß der Sozialistische Deutsche Studentenbund 1600 Mitglieder zählt. Ich hatte gehofft, daß die Aktuelle Stunde die Möglichkeit bieten würde, eine klare Zäsur zwischen jenen zu ziehen, die darauf abzielen, die parlamentarische Demokratie abzuschaffen, sie zu unterlaufen, und jenen — lassen Sie mich es einmal so sagen — ziellos gewordenen Studenten, die diesen Aktionen nachlaufen, weil sie von einer ziellosen Unruhe erfaßt sind.
Ich bedauere, daß dies bis jetzt in der Aktuellen Stunde nicht voll gelungen ist.
Herr Dr. Jaeger, ich glaube, daß diese Frage nicht mit den Mitteln der Polizei zu lösen ist. Ich bin sogar der Meinung, daß die Polizei bei dieser Aufgabe überfordert wäre. Sie ist nämlich in einer ganz schwierigen Lage, wenn sie sich Rechtens verhalten soll und gleichzeitig nicht dazu beitragen will, daß Ausuferungen und Ausweitungen erfolgen.Der Herr Bundeswissenschaftsminister hat in der Fragestunde gesagt, die Hauptursache liege in den Hochschulen selber. Als einer der Jüngsten dieses Hauses fühle ich mich verpflichtet, dazu ein Wort zu sagen. Kann man es eigentlich Studenten verübeln, wenn sie nach folgender Erfahrung in ihrem eigenen Erfahrungsbereich zum Protest schreiten? Zehn Jahre verlangen sie eine Reform der deutschen Hochschulen und Universitäten. Es tut sich nichts; sie werden auch nicht empfangen. Sie fangen an, zu protestieren, und schon bekommen sie Gehör bei Ministerialbeamten und Politikern. Es ist ja geradezu eine Verlockung, zum Protest zu schreiten, wenn das der Erfahrungssatz im eigenen Bereich ist.
Lassen Sie mich überspringen in den politischen Bereich, wohin der Funke — nach dem Bundeswissenschaftsminister — ja auch übergesprungen ist. Die Bundesregierung sagt: Die Mehrwertsteuer wird eingeführt, sie braucht nicht zu Preiserhöhungen zu führen. Die Landesregierung in Bremen sagt:Wir müssen die Tarife erhöhen wegen der Mehrwertsteuer. Ich frage: welche Schizophrenie; eine Regierung sagt so, die nächste sagt so. Man versucht sich im Protest, und flugs macht dieselbe Regierung die Tariferhöhungen rückgängig; eine Verlockung zu protestieren, das ist doch gar keine Frage.
— Habe ich hinter mir.Lassen Sie mich ein Weiteres sagen. Ich habe gestern abend in Marburg an der Universität diskutiert. Ich bedauere, daß der Herr Kollege Jahn, mit dem ich zu meiner Studentenzeit, als er noch Vorsitzender des dortigen SDS war, die härtesten Debatten führen konnte, nicht mehr da ist.
— Nun ja, aus dieser Organisation sind immerhin Parlamentarische Staatssekretäre und Innensenatoren von Berlin hervorgegangen; beide Vorsitzende des Marburger SDS. Das sollte hier mal gesagt werden.
— Auch das noch.
Ich will damit nicht dem SDS das Wort reden; ich habe damals schon gegen ihn gestanden und versucht, ihn zu bekämpfen.Aber solange bei den Studenten ein Kanzlerwort unwidersprochen im Raum steht, das da lauten soll: „Diese Große Koalition einigt sich bei schwierigen Fragen entweder auf einen Kompromiß, oder sie klammert die Lösung aus", solange dürfen wir uns über ziellose Unruhe bei den Studenten nicht wundern, Herr Bundeskanzler.
Wir leben eben nicht in einer konfliktlosen Gesellschaft. Die Glaubwürdigkeit in uns selbst, die wir hier in diesem Hause sitzen, ist nicht dadurch erhöht worden, daß der stellvertretende Parteivorsitzende der Sozialdemokraten im Herbst 1966 von der von der CDU und Herrn Bundeskanzler Erhard geführten Regierung den Offenbarungseid verlangte, um anschließend ein Go-in zu machen; so machen's die Studenten nicht.
Wenn sie Go-in machen, dann, um zu übernehmen.Lassen Sie mich zum Schluß noch eines sagen. Ich glaube, wir sollten den Studenten wieder ein politisches und ,ein gesellschaftliches Ziel vor Augen stellen, und das sollten sich diejenigen, die diese Regierung tragen, merken. Den Studenten geben Sie kein Ziel durch Kompromiß im Grundsatz, sondern durch ein klares politisches Leitbild und den Mut zu Mehrheitsentscheidungen.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968 7891
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schlee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich unter dem Eindruck einer Versammlung zu Wort gemeldet, die ich am letzten Sonntag in einem ländlichen Gebiet gehalten habe. Die Beweggründe für die Demonstrationen unserer studentischen Jugend sind sicher vielfältig. Wir müssen diese Demonstrationen hinnehmen, wenn sie sich in der rechtsstaatlich gebotenen Ordnung vollziehen. Wenn aber diese Aktionen von Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und anderen Gewalttätigkeiten begleitet werden, dann wird das Rechtsgefühl der Bevölkerung zutiefst erschüttert, wenn nicht alsbald der Zugriff der Strafverfolgung sichtbar ist.
Ganz besonders wird unsere Bevölkerung jedoch erregt, wenn man nun versucht, die Kirchen zum Schauplatz dieser Demonstrationen zu machen. Ich muß hier das aufgreifen und noch einmal betonen, was mein Kollege Dr. Jaeger gesagt hat: Gerade in einer pluralistischen Gesellschaft müssen die Kirchenräume freigehalten werden von politischen Demonstrationen, und es ist hier nicht Sache der Kirchen oder Kirchengemeinden, sondern der staatlichen Strafverfolgung, den Schutz der religiösen Sphäre zu übernehmen. So ist es die Regelung unseres Strafrechts, und diese Regelung unseres Strafrechts wird mindestens von der überwiegenden Mehrheit unserer Bevölkerung noch als richtig anerkannt.
Wenn sich z. B. an Weihnachten in Berlin und später in Hamburg derartige Vorgänge ereignet haben, dann, glaube ich, ist es an der Zeit, daß man allmählich auch ein sichtbares Zeichen der Wirkung der staatlichen Strafverfolgung sieht.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es klingt in der öffentlichen Diskussion und es klang heute morgen sehr stark die Frage oder die Klage um den Verlust an Autorität an. Das meint ja wohl den wirklichen oder vermeintlichen Verlust an Autorität der Institutionen, den Verlust an Ansehen von „hochgestellten Personen" und den wirklichen oder vermeintlichen Verlust an Respekt seitens der jüngeren Generation.Diese Klage ist so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst. Wo immer eine Generation sich und ihre Wertvorstellungen in Frage gestellt sieht, sucht sie nach der beharrenden Kraft der institutionalisierten Autorität. Dagegen rebelliert jede Jugend, wenn sie noch die Kraft zur Rebellion hat. Ich meine nicht die Rebellion mit Tomaten und Stemmeisen und Gottesdienststörung; ich meine die Rebellion im Geistigen, im Politischen, im Materiellen und in der Frage nach dem Sinn des Lebens. Gerade unsere heutige liberale Demokratie ist doch fundamental gegründet auf der Rebellion gegen die institutionalisierte Autorität einer absoluten Gewalt, die den Nachweis der eigenen Fähigkeit nicht zu erbringen brauchte.
Meine Herren und Damen, worauf wollen wir denn heute Autorität glaubwürdig gründen? Auf die Tradition? Die ist bei uns abgebrochen und muß nur erst redlich und behutsam und glaubwürdig neu geknüpft werden. Auf metaphysische Vorgegebenheiten? Meine Herren und Damen, das Gottesgnadentum ist vorbei. Auf den Erfolg der führenden Generation? Selbst der Glaube an das Wirtschaftswunder ist erschüttert. Auf das größere Wissen der Erwachsenen? Spüren wir nicht alle, auf welch schwankendem Boden der bloße Autoritätsanspruch aus Lebensalter, Titel und Amt steht?
In unserer schnellebigen Zeit ist, wie ein amerikanischer Soziologe feststellte, die Generationenfolge von dreißig auf zehn Jahre zusammengeschrumpft. Die junge Generation fühlt, daß das heutige Leben in seinen Formen, in der Rangfolge der Wertvorstellungen, in der Lebensgestaltung und der Zweckgerichtetheit eben nicht mehr gültiger Maßstab für ihr Leben sein kann; denn sie steht vor einem Leben, dessen aktiver Teil über das Jahr 2000 hinausgreift. Niemand kann ihnen heute glaubwürdig sagen, was dieses Leben dann von ihnen fordert und was es ihnen bringt. Wir können ihnen dafür keine gültigen Leitbilder und kein ausreichendes Wissen liefern. Darum müssen wir schon etwas von unserer Selbstsicherheit verlieren, die sich nur zu oft in dem Ruf nach Ruhe und „keine Experimente!" widerspiegelt.
Wir müssen uns in vielen Bereichen und nicht zuletzt in unserem Verhältnis zur jungen Generation vom herkömmlichen institutionell Autoritären auf das Dialogische umstellen. Wir müssen bereit sein zum Antworten auf Fragen, die mit Ernst, wenn auch mitunter nicht ganz formgerecht vorgetragen werden, und sollten nicht allzu schnell nach der Staatsräson rufen. Gerade dann wird sich nämlich die wirkliche Autorität zeigen, eine Autorität, die sich nicht auf äußere Stellung und auf das Amt beruft, sondern allein auf die menschlichen und sachlichen Qualitäten. Wir sollten uns bewußt machen und bleiben, daß eine solche wahre Autorität von Prinzipien, Institutionen und Personen sich dadurch kennzeichnet, daß sie sich im Wandel der Zeiten immer neu befragen läßt und sich auch in neuer Form glaubwürdig zu bestätigen hat.Unsere Jugend ist entwaffnend ehrlich. Aber gerade darum mißtraut sie dem bloßen Pathos, und sie mißtraut jener Haltung in der Gesellschaft und in der Führung, die es in Sorge um Prestige- und Autoritätsverlust für richtiger hält,
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Frau Funckeden Schein zu wahren, als Unzulänglichkeiten zuzugeben und abzustellen.
Unsere Jugend ist sozial ansprechbar, und sie wäre zum positiven Engagement zu gewinnen, wenn wir sie endlich in der Schule mit vollem Herzen zum Konflikt und zur ehrlichen Auseinandersetzung erziehen würden und nicht in einem falsch verstandenen Idealismus, der nämlich der späteren Wirklichkeit nicht standhält. Dazu aber brauchen wir, meine Herren und Damen, Schulen, in denen nicht Ungleiches voneinander getrennt, sondern zueinander geführt wird.
Dazu brauchen wir Schulen und Universitäten, die der Lebenswirklichkeit nicht ausweichen, sondern auch jungen Menschen erste Einblicke in die Realität des Lebens und in die über das berufliche Ziel hinausgehenden menschlichen Anforderungen gibt. Ich denke z. B. an die Sozialpraktika in allen Schulen.
Meine Damen und Herren, um denjenigen, die die Pfeile gespitzt haben und noch weiter spitzen, überflüssige Arbeit zu ersparen, sage ich jetzt gleich, daß ich noch zwei Rednern das Wort geben werde, und zwar erstens dem Herrn Abgeordneten Hübner und zweitens zum Schluß dem Herrn Abgeordneten Dr. Pohle. Dann ist diese Aktuelle Stunde so ungefähr nach den Vorschriften der Geschäftsordnung durchgeführt und beendet. — Das Wort hat Herr Abgeordneter Hübner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich jetzt versuche, nach vielem, was heute morgen schon gesagt worden ist, einige Worte in unser eigenes Stammbuch zu schreiben. Wir selbst haben uns diesen Rechtsstaat, so wie er steht, gebaut, und zwar auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dieser Rechtsstaat, der diesen Freiheitsraum schützt, lebt, erneuert und entfaltet sich aber nur in einer ständigen Abwägung der Grundrechte, die, wie Justizminister Dr. Heinemann heute morgen schon sagte, der Verfassung an sich vorgegeben sind. Diese Grundrechte finden ihre natürlichen Grenzen dort, wo der einzelne sich selbstverständlich in seiner Persönlichkeit entfalten soll und muß, wo aber die Rechte anderer berührt werden, wo es eventuell dazu kommt, daß der eine meint, bei der Entfaltung seiner Rechte ständig und manchmal auch bösartig auf den Füßen der anderen herumstehen zu können. Diese Grundrechte finden ihre Grenze, wo das Allgemeinwohl betroffen ist. Meine Damen und Herren, all das ist schon kein Kinderspiel, wenn es sich bei Schönwetter abspielt.Diese Konfliktsituation wird aber dann deutlich, wenn es auf eine Zerreißprobe ankommt, wenn nämlich diese Grenzen der Grundrechte zueinander spektakulär sichtbar gemacht werden oder wenn sich auf diese Grenzen hin Aggressionen freisetzen. Ein größerer Politiker, als ich es bin, hätte zu seinen Lebzeiten die heutige Lage schlicht und einfach so charakterisiert: Die Situation ist da. Wenn die Situation da ist, muß man als Politiker Positionen beziehen, und nicht nur das. Man muß das nach draußen hin deutlich und sichtbar machen. Man muß diese Verantwortung klarmachen oder, wenn ich es ganz aktuell ausdrücke, man muß sie auch als politisch Verantwortlicher demonstrieren.Das geschieht auf zweierlei Art. Man hat einmal die Ursachen zu erforschen; daran begeben wir uns in den nächsten Wochen. Man hat sich aber mit den Wirkungen, die aus den Ursachen entstanden sind, schon jetzt auseinanderzusetzen. Lassen Sie mich da aus den Erfahrungen der letzten Wochen eins sagen: Es darf für den Bürger im Rechtsstaat keinen Zweifel daran geben, daß Legalität sich nicht dosieren läßt.
Der Bürger muß wissen, daß seine Meinungsfreiheit geschützt ist, aber er muß genauso wissen, daß auch seine Sicherheit schutzwürdig ist, wenn es um diese Grenzbereiche geht.
Um es deutlicher zu sagen: Es darf in der Abwehr dieser Wirkungen keine Schwankungen in der Verhältnismäßigkeit der Mittel geben. Oder noch deutlicher: Wechselbäder je nach politischem Tageshoroskop kann weder der Bürger verstehen und begreifen, noch können es die von den Bürgern bestellten Ordnungshüter aushalten.
Es geht nicht, daß man, wie gehabt, einmal mehr und einmal weniger Gesetz, einmal mehr und einmal weniger Gerechtigkeit gelten läßt. Meine Damen und Herren, das Volk in diesem Rechtsstaat hat den Anspruch darauf, die von ihm so und nicht anders gewollte Ordnung funktionsfähig zu sehen.
Das bedingt aber zugleich, daß dabei der Hüter der Ordnung, der ja von seinem Volke bestellt ist, nicht, wie Heide Jorgensen, der Reichspolizeichef von Dänemark, es im vergangenen Jahr formuliert hat, zu dem Einsamsten werden darf, der vielen Gruppen gegenübersteht. Sie sehen dabei zugleich, daß wir nicht einmal den Anspruch erheben können, daß das nur ein nationales Problem bei uns ist.Lassen Sie mich den Kreis schließen. Jeder in diesem Volke muß sicher sein, daß die Verantwortung ausschließlich und letzten Endes bei der Politik liegt. Lassen Sie es mich für mich verpflichtend und wohl für alle geltend so sagen: Das gilt für uns Parlamentarier hier im Bund und in den Ländern. Das gilt genauso für die von uns eingesetzten Regierungen im Bund und in den Ländern. Ich darf es vielleicht auf diesen Nenner bringen: Es darf niemand daran zweifeln, daß für alles, was hier geschieht, nur wir, die wir die Politik verantworten,
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Hübnerden Kopf hinzuhalten haben. Wir haben den Kopf hinzuhalten, damit nicht andere, auch und gerade jene, die von unseren Entscheidungen abhängig sind, sich ihren Kopf darüber zerbrechen müssen, welches Verhalten oder welche Haltung wir in diesen Fragen einnehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Pohle.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich am Ende dieser Aktuellen Stunde noch einmal die beiden Grundthemen herausstellen, unter denen wir hier angetreten sind: hie Schutz des Staates vor militanten Minderheiten, die das staatliche Gefüge zu gefährden versuchen, auf der anderen Seite Aufgeschlossenheit und Bereitschaft zur geistigen Auseinandersetzung mit der Jugend, insbesondere der akademischen Jugend.
— Auch das. Aber das ist nicht das eigentliche Thema.
Herr Dr. Friderichs hat davon gesprochen, er sei unbefriedigt darüber, daß keine genügende Zäsur erfolgt sei. Ich glaube, daß in allen Reden, insbesondere in der Rede des Bundeskanzlers und auch in den Reden der Fraktionsvorsitzenden, gerade diese Zäsur deutlich geworden ist.
Ich möchte noch einmal betonen, daß 'ich meine Fragen zu dem ersten Thema unter die Devise gestellt habe, den für Recht und Ordnung zuständigen Organen unseres Staates das Vertrauen in die Entschlossenheit der Staatsregierung zu geben, dieses Recht und diese Freiheit zu wahren, und ihnen dabei eine Rückenstütze zu geben. Auf der anderen Seite lasse ich gar keinen Zweifel daran, daß die geistige Auseinandersetzung mit der großen Masse der nicht zu diesen militanten Minderheiten gehörenden studentischen Jugend ein Anliegen ist, das uns alle angeht; denn wir können den Staat überhaupt nur dann weiterhin formen, wenn auch die junge Generation in ihm heimisch wird.
Die sich in Wirtschaft, Technik und Kultur stürmisch wandelnde Welt verändert auch das Lebensbild der Jugend. Das ist ganz klar. Wenn daher in der Jugend Kräfte wachsen, die mit als überholt empfundenen Traditionen — vermeintlichen oder wirklichen — aufräumen wollen, so ist das Verlangen der Jugend nach Diskussion und Aussprache mit dem Alter legitim.
Die geschichtliche Entwicklung zeigt, daß gewaltsame Entladungen auf breiter Front dann unausweichlich zu werden drohen, wenn man allzu starre Formen beibehält und nicht darüber nachdenkt, wie sie geändert werden können. Um das zu verhindern, ist es notwendig, ,daß sich die Väter dem Protest der Jugend stellen. Das gilt auch dann, wenn die Artikulation des Wollens dieser Jugend noch unklar und vielen unverständlich ist. Denn das geistige Ringen auch zwischen den Generationen Ist nun einmal ein Lebenselement der Demokratie.
Das bedeutet aber auch, daß wir uns mit der Masse der Jugend, insbesondere mit ,der Masse •der studentischen Jugend, die mit uns — mit uns — das politische Engagement wünscht und trotzdem ernsthafte Studien betreiben will, gegen Gewaltanwendung von beiden Seiten, von rechts und von links — auch von rechts, wie vorhin hier gesagt wurde —, leidenschaftlich zur Wehr setzen.
Wenn an ,die Stelle der geistigen Auseinandersetzung und der Diskussion, der wir uns stellen, wenn sie am richtigen Ort und zur richtigen Zeit — und nicht gerade auf den Kirchenkanzeln — stattfindet, der Terror tritt, findet er unsere entschlossene Gegnerschaft, denn dieser Terror, diese Tumulte und Krawalle mit ihren bodenlosen Geschmacklosigkeiten spiegeln dem erstaunten Ausland eine Situation vor, als ob es in der um ihre Rechtsstaatlichkeit dauernd ringenden Bundesrepublik drunter und drüber ginge.
Wir dulden nicht, daß kleine terroristische Gruppen unser gesamtes Volk in Mißkredit bringen und obendrei das Verhältnis zu unseren Verbündeten gefährden. Bei ihnen handelt es sich nicht mehr um eine Revolution, um einen Aufmarsch der Geächteten und Außenseiter, etwa nach den Lehren von Herbert Marcuse, und auch nicht um die Realisierung des sogenannten revolutionären Bewußtseinsdenkens. Bei diesen Gruppen handelt es sich um einen dieser geistigen Bestandteile längst entkleideten kalten und gezielten Angriff auf einen Staat, der sich seit 20 Jahren bemüht, das Vertrauen der Welt wiederzugewinnen.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.Meine Damen und Herren, ehe ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß wir, einer Übereinkunft des Hauses folgend, die Präsenzlisten heute erst um 17 Uhr auslegen. Wir sind davon ausgegangen, daß heute nachmittag Sitzungen der Ausschüsse stattfinden. Zu meinem Bedauern höre ich, daß diese Sitzungen noch nicht angekündigt sind.
— Doch? Es sind inzwischen sechs Ausschußsitzungen angekündigt und, wie ich zu meiner Freude sehe, außerdem noch Sitzungen der Arbeitskreise.Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich, solange das Haus diese Ordnung beschlossen hat, gezwungen bin, sie durchzuführen. Außerdem ist das notwendig, damit die Fraktionen mindestens .die theoretische Möglichkeit haben, den Sonnabend, wenn sie das für
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Präsident D. Dr. Gerstenmaierrichtig halten, in Anspruch zu nehmen. Die Sache wird zur reinen Theorie, wenn wir uns nicht an die vereinbarte Ordnung halten. Ich bedaure deshalb, daß ich die Listen nicht, wie mir nahegelegt wird, früher auslegen kann.Nun rufe ich den Punkt 6 der Tagesordnung auf:a) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neugliederung des Bundesgebietes gemäß Artikel 29 Abs. 1 bis 6 des Grundgesetzes
— Drucksache V/2410 —b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes .— Drucksache V/2470 —c) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betr. Volksbegehren— Drucksache V/2411 —d) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung des Artikels 118 des Grundgesetzes— Drucksache V/2541 —Zunächst zu Punkt 6 a. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das Wort zur Begründung der Vorlage V/2410 hat der Herr Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland in den jetzt bestehenden Grenzen der einzelnen Bundesländer richtig geordnet ist, hat bereits in der Vergangenheit mehrfach zu Diskussionen nicht nur in diesem Hause, sondern auch in den Landesparlamenten geführt. In Art. 29 des Grundgesetzes wird der klare Auftrag erteilt, das Bundesgebiet durch Bundesgesetz neu zu gliedern. Diesem Verfassungsauftrag ist der Bundesgesetzgeber bisher nicht nachgekommen. Die Bundesinnenminister der vergangenen Legislaturperioden und der jetzige Bundesinnenminister haben in dieser Frage leider sehr wenig Initiative entwickelt, obwohl sie nicht nur durch Verfassungsauftrag, sondern auch durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu aufgerufen worden sind, hier sehr klar ihre Meinung zu sagen und dem Parlament eine entsprechende Initiative vorzulegen. Das ist also bisher nicht geschehen. Hier liegt ein eindeutiges Versagen der Innenminister der früheren und der jetzigen Legislaturperiode vor.Es ist lediglich auf Grund der Sonderregelung des Art. 118 des Grundgesetzes und des Zweiten Gesetzes über die Neugliederung in den Ländern Baden-Württemberg, Baden und Württemberg-Hohenzollern vom 4. Mai 1951 das Land Baden-Württemberg durch Zusammenschluß der genannten drei Länder gebildet worden. Ferner sind auf Grund des Art. 29 Abs. 2 und des Gesetzes über Volksbegehren und Volksentscheid bei Neugliederung des Bundesgebietes vom 23. Dezember 1955 im Jahre 1956 eine Reihe von Volksbegehren durchgeführt worden, darunter auch in den badischen Gebietsteilen des Landes Baden-Württemberg, nachdem das Bundesverfassungsgericht durch sein Urteil vom 30. Mai 1956 die Durchführung eines solchen Volksbegehrens angeordnet hatte.In der 4. Wahlperiode des Deutschen Bundestages hatte die Bundesregierung den Entwurf eines Ersten Neugliederungsgesetzes eingebracht. Dieser Entwurf hatte das beschränkte Ziel, die Entscheidung über den Fortbestand des Landes Baden-Württemberg herbeizuführen. Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens über die erwähnte Regierungsvorlage kam es dann zu weiteren Gesetzesinitiativen aus den verschiedensten Richtungen unseres Hohen Hauses. Im Endergebnis ist keiner der genannten Gesetzentwürfe oder sind andere parlamentarische Initiativen in der vorigen Legislaturperiode zum Erfolg gekommen, weil es für keine der angestrebten Regelungen die erforderliche Mehrheit gegeben hat.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der nunmehr von der Fraktion der Freien Demokraten vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Neugliederung des Bundesgebiets schlägt in seinem Art. 1 die Neubildung eines Landes Mittelrhein-Hessen durch eine Vereingung der bisherigen Bundesländer Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland vor. Der Art. 2 soll die notwendigen Änderungen des Gesetzes über Volksbegehren und Volksentscheid bringen.Die Frage, ob die hier von uns vorgeschlagene Regelung praktikabel ist oder nicht, läßt sich allein an einer Reihe sehr konkreter Tatbestände eindeutig nachvollziehen, wenn wir darüber nachdenken, daß wir vor nicht allzu langer Zeit in diesem Hause eine ausführliche Diskussion über regionale Politik, Strukturveränderungen und künftige strukturpolitische Entwicklungen in unserem Staat, denen wir Rechnung tragen müssen, hatten. In dieser Diskussion, die vor mehreren Wochen hier stattgefunden hat, haben wir die Sprecher aller drei Fraktionen mit ganz klaren Vorstellungen und Bekundungen zu einer solchen Initiative gehört. Wir würden uns also sehr freuen, meine Damen und Herren, wenn das, was nunmehr von uns konkret als Initiativgesetzentwurf der Opposition vorgelegt wird, auch von den Vertretern der Koalitionsfraktionen akzeptiert würde, die sich gerade in diesen Fragen hier immer besonders engagiert haben.Nun ist die Frage natürlich die: Werden hier nicht sehr starke politische Veränderungen innerhalb der Landschaft des Bundesgebiets und des Bundesrats vorgenommen? Ist es nicht vielmehr sinnvoll und zweckmäßig, eine Sachbegründung für die einzelnen Regelungen, die wir hier vortragen, zu akzeptieren?Meine Damen und Herren, nur wenige Zahlen möchte ich Ihnen in die Erinnerung zurückrufen.Das Land Hessen hat rund 5,2, das Land Rheinland-Pfalz rund 3,6 und das Saarland rund 1,1 Millionen Einwohner. Wir kommen nach unserem Vor-
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Dornschlag also auf ein Bundesland, das knapp 10 Millionen Einwohner haben würde. Dieses neue Land würde eine Flächenausdehnung von rund 43 000 qkm haben. Es läge in der Flächengrößenordnung also zwischen Baden-Württemberg und Niedersachsen.Aber auch eine andere Frage, die mit Art. 29 des Grundgesetzes, mit dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts und auch mit dem Luther-Gutachten, dem Gutachten der Luther-Kommission, zusammenhängt, ist hierbei von entscheidender Bedeutung. Die Fehlbeträge des Landes Rheinland-Pfalz zur Ausgleichung des Haushaltsplans machen eine Summe von rund 570 Millionen DM aus, und im Rahmen des horizontalen Finanz- und Lastenausgleichs sind hier 350 Millionen DM zugeschossen worden. Das Saarland erhielt auf dem gleichen Wege einen Zuschuß von 220 Millionen DM. Nach der obenerwähnten Berechnung, meine Damen und Herren, würde das Land Hessen einen Überschuß von zirka 710 Millionen DM haben und einen Zuschuß an den horizontalen Finanz- und Lastenausgleich in Höhe von rund 410 Millionen DM zahlen müssen.Bei allen bisherigen Diskussionen und auch im Luther-Gutachten ist immer wieder gesagt worden: Wir wollen hier klare Ländergrenzen haben; aber diese Länder sollen auch in sich lebensfähig gestaltet werden. Wenn wir hiervon ausgehen, kommen wir zu dem Ergebnis, daß eine Zusammenfassung dieser drei Länder einer solchen Ideallösung in all den Richtungen, die hier angesprochen worden sind, eigentlich sehr nahekommt.Es gibt aber auch jetzt bereits Gemeinsamkeiten zwischen den Ländern Saarland und Rheinland-Pfalz. Ich denke z. B. an die gemeinsamen Verwaltungsbehörden. Ich weiß, daß auch auf dem Sektor der Justiz Überlegungen angestellt werden, wie man zu einer rationelleren und verstärkten Zusammenarbeit kommen würde, wenn bestimmte Dinge endlich einmal aus der Diskussion als Vorbelastung oder als Kompetenzstreitigkeiten ausgeschaltet werden könnten. Eine Verringerung der Gesprächspartner, wenn Sie so wollen, durch die Zusammenlegung dieser drei Bundesländer würde auch durchaus nicht daran hindern, künftig zu neuen Raumordnungsüberlegungen zu kommen.Natürlich hat aber die Zusammenlegung dieser Länder eine andere Seite, über die man sehr klar sprechen sollte. In den bisher vorhandenen Landesparlamenten Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland haben wir 246 Landtagsabgeordnete, und in den drei Regierungen dieser Länder haben wir 20 Minister. Wenn wir davon ausgehen, daß wir auf eine ähnliche Bevölkerungs- und Flächenstruktur wie bei dem Land Baden-Württemberg, das damals ja auch aus drei Ländern zusammengebaut worden ist, kommen, könnten wir uns vorstellen, daß dieses gemeinsame Land auch mit 8 bis maximal 10 Ministern auskommen und wie in Baden-Württemberg nicht mehr als 120 Abgeordnete für die politische Repräsentanz benötigen würde. Ich brauche Sie also nicht auf die finanziellen Überlegungen und die Einsparungsmöglichkeiten hinzuweisen. Hier wird doch, wenn wir uns den Gesamtbereich eines neuen Landes dieser Art vorstellen, im Rahmen der Verwaltungsvereinfachung, im Rahmen der Zusammenlegung von Ministerien und Behörden ein großer Sparfaktor sichtbar, der in der Vergangenheit immer wieder zu kritischen Auseinandersetzungen über die finanziellen Möglichkeiten der öffentlichen Hand geführt hat und heute noch führt. Wir sollten hier einen sehr klaren, einen sehr mutigen Schritt tun und diese Entwicklung anstreben; sie sollte noch in dieser Legislaturperiode eingeleitet werden.Ich gebe zu, daß es auch andere Überlegungen über die Neugliederung des Bundesgebietes in der Vergangenheit gegeben hat. Vor nicht allzu langer Zeit hat der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Altmeier von einer Vereinigung von Rheinland-Pfalz und Saarland gesprochen. Der saarländische Ministerpräsident Röder hat diese Vereinigung abgelehnt, und wenige Wochen später hat der rheinland-pfälzische Ministerpräsident dann seine ursprünglichen Äußerungen modifiziert und ist zu neuen Überlegungen gekommen. Der frühere Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Franz Meyers,. hat ebenfalls sehr klare Vorschläge entwickelt. Er hat gesagt, es sei bei dem augenblicklichen System der Länder in unserem Bundesgebiet einfach nicht möglich, davon auszugehen, daß hier optimale Lösungen erreicht würden. Am 1. Dezember 1965 hat er die Bildung von sieben Bundesländern auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für voll ausreichend erklärt. Ein halbes Jahr später, am 24. Juni 1966, hat er auf einer Veranstaltung in Lüdenscheid die Meinung vertreten, daß fünf Bundesländer in der Bundesrepublik Deutschland voll ausreichen würden, um die föderalistischen Bestrebungen entsprechend wirksam werden zu lassen. Der Herr Bundesinnenminister hat am 22. März des vergangenen Jahres erklärt: „Die Bundesregierung will den Bestand größerer Länder nicht antasten." Er hat damit ein klares Nein zu den Vorstellungen auch seines Parteifreundes Franz Meyers gesagt. Nach der dpa-Meldung vom 22. März hat er darüber hinaus erklärt: „Ich will das Problem der Neugliederung augenblicklich überhaupt nicht aufgreifen." Nun wissen wir ja alle, welche Probleme er für dringend und lösenswert hält. Er hat sich in diesem Hause und vor allem auch außerhalb dieses Hauses mehrfach dazu geäußert. Nur sind wir genau gegenteiliger Meinung.Die Probleme, die nach seiner Ansicht primär zu lösen sind, sind nach unserer Auffassung, wenn wir die staatliche Struktur und die politische Entwicklung in unserem Staate ansehen, völlig sekundär, während die primären Aufgaben, die ihm von der Verfassung und vom Verfassungsgericht vorgeschrieben werden, einfach von ihm negiert und nicht angefaßt werden. Wir bedauern das außerordentlich, denn hier hätte der Bundesinnenminister ein weites Betätigungsfeld eigener Initiative. Hier könnte er sichtbar machen, daß auch er bereit ist, durch eigene Initiativen die Politik auf die Erfordernisse des Jahres 2000 auszurichten, wie das vorhin in der Debatte in der Aktuellen Stunde anklang. Es ist leider bisher in dieser Richtung von ihm aus nichts geschehen.
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DornDie sozialdemokratische Bundestagsfraktion legt nun heute einen eigenen Vorschlag vor. Wie er beurteilt wird, lassen Sie mich durch ein Zitat des Fraktionsvorsitzenden der sozialdemokratischen Landtagsfraktion im Landtag von Rheinland-Pfalz vom 5. Februar dieses Jahres — ich bitte um Genehmigung, Herr Präsident, daß ich diesen einen Satz zitiere — belegen:Der Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion zum Artikel 29 führt nach Auffassung der rheinland-pfälzischen Sozialdemokraten nicht zum Ziel.Genau der Meinung sind wir auch. Hier werden also keine neuen Ideen sichtbar; vor allen Dingen aber haben die Sozialdemokraten genau wie die Christlichen Demokraten in ihrem nun plötzlich eingebrachten Antrag nach unserer Meinung konkret leider gar nichts angepackt. Die Vorstellungen und unbestimmten Formulierungen und Diskussionen der letzten vier Jahre werden auch hier wieder sichtbar.Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten meinen, daß wir mit unserem Gesetzentwurf eine nach allen Seiten ausgewogene Lösung anbieten. Hier wird also das, was an Erfordernissen sichtbar und erstrebenswert ist, nach unserer Auffassung gesetzlich formuliert und vorgetragen. Auch muß man hier sehr deutlich erkennen, daß wir durch diesen Gesetzentwurf ein anderes Anliegen, das in der Öffentlichkeit mehrfach diskutiert worden ist, aufgegriffen haben, nämlich die Beseitigung der Randlage des Saarlandes. Meine Damen und Herren, ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie sehr die Bevölkerung im Saarland auch unter den nicht vorhandenen verkehrspolitischen Erschließungsmöglichkeiten zu leiden hatte und daß dadurch manche wirtschaftliche Entwicklung aufgehalten, vertagt oder zum Schluß sogar gar nicht zustande gekommen ist. Wir würden durch die Bildung eines solchen Landes auf der einen Seite die Randlage des Saarlandes endgültig aufheben, wir würden dieses Land in die Mittelstruktur des rheinland-pfälzischen und hessischen Raumes mit einbeziehen. Wir würden aber darüber hinaus die Möglichkeit der Schaffung einer echten Brückenfunktion des Saarlandes in bezug auf Frankreich, vor allen Dingen auch in kultureller Hinsicht, wenn wir an die Wirkungsmöglichkeiten des saarländischen Rundfunks und ähnliche Einrichtungen in Saarbrücken denken, aufrechterhalten und fördern. Wir wissen, meine Damen und Herren, daß es in diesem Hause über diese Frage Meinungsverschiedenheiten geben wird. Wir waren der Auffassung, daß die Opposition in dem Fall, in dem die Regierung und der Innenminister nichts tun, von sich aus versuchen sollte, hier als ihre politische Alternative die Erfüllung des Artikels 29 sichtbar zu machen.Wir bitten um die entsprechende Ausschußüberweisung und um Ihre Unterstützung unseres Antrages.
Meine Damen und Herren, wir wollen zunächst die Begründungen der Vorlagen anhören und dann in die verbundene Debatte der Punkte eintreten.
Das Wort zur Begründung des Gesetzentwurfs unter Punkt 6 b hat der Abgeordnete Haar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der bereits im 4. Deutschen Bundestag vorgelegte Antrag auf Änderung des Art. 29 des Grundgesetzes liegt diesem Hause erneut vor. Es gibt kritische Stimmen in unserem Land, die angesichts weltweiter Probleme und Aufgaben bezweifeln, ob wir nicht den Blick rückwärts richten. Die Achtung vor dem Grundgesetz als Grundlage unserer staatlichen Ordnung verbietet es aber, so zu tun, als sei unsere Rechtsstaatlichkeit manipulierbar. Führende Repräsentanten der Kirchen, der Wissenschaften und der Parteien haben in den letzten Jahren wiederholt den Vorwurf erhoben, daß mit der schleppenden Behandlung der staatlichen Neugliederung der Volkswille nicht beachtet und ein klarer Verfassungsauftrag umgangen werde.Unsere Verfassung schreibt vor, daß in jenen Gebietsteilen, in denen Volksbegehren erfolgreich sind, d. h. mehr als 10 % der Wahlberechtigten sich dafür entscheiden, Volksentscheide durchzuführen sind. Die damaligen Ergebnisse sprechen für sich. In Montabaur haben sich 25 % eingetragen, in Rheinhessen über 20 %, in Schaumburg-Lippe mehr als 15 %, in Koblenz-Trier 14 % und in Oldenburg nahezu 13 %. In Baden waren es 15,1 %.Wir wollten früher und wünschen heute erneut eine Regelung für alle sechs Gebietsteile, während die CDU/CSU lediglich die Neufassung des Art. 118 und demnach zunächst nur eine Regelung. für Baden-. Württemberg anstrebt. Hier wird aber über eine grundsätzliche Rechtsfrage unserer Demokratie entschieden. Das Recht ist nicht teilbar. Deshalb würden wir auch unglaubwürdig, wenn die gleichzeitige Realisierung einer unmißverständlichen Verfassungsbestimmung weiter im Streit bleibt. Wir werden auch unglaubwürdig, wenn wahltaktische Erwägungen — das war zumindest in der Vergangenheit dann und wann der Fall — höher stehen als die Bereitschaft, den betroffenen Gebietsteilen die faire Chance zu geben, über ihre zukünftige Landeszugehörigkeit frei zu entscheiden.Man braucht kein Badener zu sein, um zu verstehen, daß jahrelange leere Versprechungen nur Unzufriedenheit und Bitterkeit auslösen.
Wir haben wiederholt betont, daß eine Regelung, die sich innerhalb festgelegter zeitlicher Phasen vollzieht, auch unsere Zustimmung finden wird. Vielleicht, Herr Kollege Dorn, liegt hier die Möglichkeit einer Annäherung der Standpunkte und damit auch bei der Erreichung des Ziels, das Sie ja zumindest hier bestritten haben. Dabei gebührt dem Volksentscheid in Baden, wie die SPD seit Jahren betont hat, der Vorrang.Im übrigen ist es richtig, über diese Probleme hinaus den Blick nach vorn zu richten. Zunächst ist es nicht nur wünschenswert, sondern unaufschiebbar, aus dem bald zwölf Jahre alten Urteil des
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Haar
Bundesverfassungsgerichts die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Die erste große Neugliederungsaktion in der Bundesrepublik vollzog sich in Baden-Württemberg. Sie ist praktisch abgeschlossen, und sie hat sich bewährt. Aber in Baden wie in den anderen Gebieten, in denen rechtliche Ansprüche auf einen Volksentscheid bestehen, ist eine saubere, verfassungsrechtlich unanfechtbare Lösung notwendig. Erst nach der Durchführung eines echten Volksentscheids, gleich wie er ausfallen mag, kann von der Minderheit gefordert und erwartet werden, daß sie die vom Volk getroffene Mehrheitsentscheidung als rechtmäßig anerkennt.Wir haben auf wichtigen Gebieten der Außen-, der Wirtschafts- und der Haushaltspolitik vielleicht größere Sorgen. Entscheidend bleibt aber, daß dem Recht Geltung verschafft wird. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erwartet eine zügige Behandlung ihres Antrags. Wir hoffen, daß eine einheitliche Gesamtregelung gefunden wird, um die endgültige Befriedung in allen Gebieten zu erreichen.
Das Wort zur Begründung der Vorlage unter Punkt 6 d der Tagesordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Güde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, den Antrag der CDU/CSU zu begründen, und will versuchen, diese Begründung so knapp zu halten, wie es mir möglich ist.
Aber ich opfere zwei oder drei Minuten, um auf ein Zitat meines Herrn Kollegen und Fraktionsfreundes Dr. Jaeger zu antworten, der mich in seiner Polemik gegen Herrn Dr. Heinemann mit dem Satz zitiert hat, ich hätte emphatisch Herrn Dr. Heinemann den Großrichter genannt. Das ist, die Athener würden sagen: ein wenig böotisch zitiert. Die Böotier waren bekanntlich die nördlichen Nachbarn der Athener. Ich sage: ein wenig böotisch zitiert. Denn ich habe in Wirklichkeit — deswegen wage ich es auch, den Zusammenhang noch einmal aufzunehmen — meinen badischen Landsmann, meinen sehr ehrenwerten badischen Landsmann Johann Peter Hebel zitiert. Ich habe gesagt, er habe den Justizminister seiner Zeit in Übersetzung des französischen Wortes „le grand-juge" den Großrichter genannt. Ich habe dem Herrn Justizminister und seinem Haus — Sie können es nachlesen — zu der Antwort auf eine Große Anfrage der FDP — im Stile dieses Großrichters — gratuliert.
Nun, wie gesagt, in Athen wäre ein derartiges Zitat nicht als eine persönliche Eloge auf die Person des Herrn Bundesjustizminister verstanden worden, sondern auf die Funktion, auf das Amt und auf sein Haus, das Bundesjustizministerium. Ich bin nämlich der Meinung — —
— Sie brauchten mich nicht daran zu erinnern, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen. Ich wollte nämlich eben sagen: ich habe allen Respekt, menschlich und fachlich, vor der Person des Herrn Dr. Heinemann. Ich bin manchmal durchaus anderer Ansicht als er. Ich wollte mit meinem Zitat — aber es war für Athen bestimmt — auch sagen, daß ich den Herrn Bundesjustizminister manchmal mehr als Großrichter hören möchte. Denn er ist oft sehr eigenwillig und nicht immer so, wie ich mir den Großrichter, „le grand-juge", vorstelle.
Ich hätte nicht gewagt, die Sache noch einmal aufzugreifen, wenn sie nicht einen Sachzusammenhang hätte. Denn als „grand-juge", als Großrichter, ist der Justizminister eben der Repräsentant der Gerechtigkeit, die der Staat seinen Bürgern schuldig ist. Repräsentant der Gerechtigkeit, — das wünsche ich mir von ihm und von dem Staat im ganzen.
Wir haben eine Aktuelle Stunde hinter uns, die, wenn ich es ganz kurz sage, eigentlich ein Stück seelischer Erkrankung der Nation zum Gegenstand hatte. Ein Stück davon, meine Damen und Herren, ist verletztes Rechtsgefühl.
Ein Stück der Analyse würde auf verletztes Rechtsgefühl treffen. Es gibt nicht Verletzlicheres, sagt Ihnen ein alter Jurist, als das Rechtsgefühl.
Herr Kollege Dr. Güde, darf ich den „alten Juristen" einmal unterbrechen. Sie bringen den Präsidenten in eine kleine Verlegenheit. Was Sie vorbringen, ist natürlich — Sie haben es gesagt — nicht die Begründung der Vorlage, zu der ich Ihnen das Wort erteilt habe. Was Sie vortragen, paßt genau in den § 35 der Geschäftsordnung hinein. Das ist eine persönliche Bemerkung zu Äußerungen, die in der Aussprache in bezug auf seine Person gefallen sind. Eine solche Bemerkung müssen Sie streng nach der Geschäftsordnung am Ende der Tagesordnung machen.
Ich habe keinen Einspruch erhoben, Herr Abgeordneter, weil es in der Regel besser ist, ein Auge zuzudrücken. Man kommt schneller voran, als wenn man ganz streng nach der Geschäftsordnung geht.
Ich bitte Sie aber jetzt doch, sich an die selbst gesetzte Zeit zu halten.
Herr Präsident, ich bedanke mich sehr, nicht nur für die Belehrung, sondern auch dafür, daß Sie das eine Auge zugedrückt haben. Ich bin nämlich schon mitten in der Sache, nämlich beim verletzten Rechtsgefühl, dort, wo der stärkste Antrieb für die Neugliederung, für die Erfüllung von Versprechungen, herkommt. In meinem Heimatland besteht die Gefahr, daß eine ganze Gruppe, eine bedeutende Gruppe von „Michael Kohlhaasen" entsteht. Das sollten Sie sich alle klarmachen. Wir haben die Pflicht, die Verletzung des Rechtsgefühls zu vermeiden, um in jenem Land ganze Bewegungen zu unterbinden, die ich immer gefürchtet habe.
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7898 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
Dr. h. c. GüdeHerr Präsident, ich bin durchaus bei der Begründung meines Antrages und versuche jetzt, ganz klar folgendes zu sagen. Die SPD hat ihren früheren Antrag aus der letzten Legislaturperiode wieder vorgelegt. Wir haben dasselbe getan, um gleichzuziehen. Wir waren nämlich am Ende der letzten Legislaturperiode im Begriff, uns zu verständigen. Meine Damen und Herren, wir möchten das Tableau noch einmal darbieten in der Hoffnung, daß wir uns mit Ihnen, meine Herren von der SPD, verständigen werden.Ich habe es nachgelesen und mich darüber gewundert, wie wir in der letzten Debatte über diesen Gegenstand gegeneinander polemisiert haben. Ich würde das nicht wieder tun, sondern ich werde jetzt versuchen, in ein paar Punkten zu sagen, daß wir entscheidend nahe an der Lösung des Problems Baden-Württemberg, also des badischen Problems, waren und daß es nur noch eines Schrittes im Aufeinanderzukommen bedürfte, um wirklich zu einem Ergebnis für Baden zu gelangen und aus diesem Ergebnis das Beispiel für die Lösung der restlichen Probleme zu nehmen.
Meine Damen und Herren, wir sind einig gewesen und sind es sicher noch, wie ich Ihrem Antrag entnehme, daß eine Grundgesetzänderung notwendig ist. Wir sind einig in bezug auf das badische Problem, daß eine Abstimmung nur in Baden erfolgen soll. Wir sind, scheint mir, einig gewesen und sind es hoffentlich immer noch, daß das badische Problem zumindest zeitliche Priorität verdient. Wir sind einig gewesen über das Quorum und auch über die Ausgestaltung des Quorums, und wir sind einig gewesen, daß der Gesetzgeber zumindest in Baden-Württemberg gebunden sein soll an das Ergebnis des Volksentscheids, und zwar aus einem sachlichen Grund, weil wir einig waren und, wie ich denke, darüber einig sind, daß beide Lösungen der Alternative des Art. 29 Abs. 1 in jedem Fall entsprächen.Ich habe in der letzten Debatte, in der wir uns mit der Sache befaßten, gesagt: Wir sind uns klar darüber, daß daraus die Verpflichtung zu einer gewissen Gleichbehandlung des Problems in den übrigen Abstimmungsbezirken folgt, in denen Volksbefragungen stattgefunden haben. Wir sind bei der Lösung der badischen Frage insoweit voneinander nicht mehr entfernt. Wir streiten nur darum, ob — das ist eine juristische Frage —, sagen wir, das Spezialgerät des Art. 118 in irgendeiner Weise neugeschaffen werden soll. Darauf geht unser Antrag hinaus. Es war eine Spezialbestimmung. Nichts kann den Bundesgesetzgeber mit verfassungsändernder Mehrheit daran hindern, eine entsprechende Bestimmung noch einmal zu schaffen.Wir sind am Schluß auseinander gewesen in der Frage, ob eine verschiedene Behandlung des badischen Problems und der anderen Probleme mit dem Gleichheitssatz vereinbar sei. Sie hatten gesagt: völlige Gleichbehandlung aller Probleme. Das ist unser Differenzpunkt. Wir sind im Grunde über das einig, was wir in der Baden-Frage wollen. Wir sind uns nur nicht einig, was wir als Konsequenz mit den anderen Gebieten machen sollen.
Wir haben bekanntlich, wenn wir Baden mitrechnen, sechs Abstimmungsbezirke. Wenn Sie sagen: völlige Gleichbehandlung, müßte das für alle übrigen fünf auch gelten.Nun hat mit Recht der frühere Kollege und jetzige Staatssekretär Dr. Schäfer in der letzten Debatte gesagt, daß man kleineren Gebieten bestimmt nicht das Recht geben könne, von sich aus in eigener Sache konstitutiv zu beschließen, daß für sie ein eigenes Land entsteht. Das ist sozusagen gesunder Menschenverstand, was Herr Schäfer da gesagt hat. Ich bin völlig mit ihm einverstanden, daß man innerhalb der sechs Fälle differenzieren muß. Denn davon entbindet uns niemand — und wir selbst können uns nicht davon entbinden —: das Grundgesetz hat die Verantwortung dem Bundesgesetzgeber auferlegt. Von Bundes wegen, durch Bundesgesetz, hat er zu entscheiden, sagt das Bundesverfassungsgericht im Hessen-Urteil. Er muß selbstverständlich die Verantwortung für das übernehmen, was dabei herauskommt. Das Wort von der „bedingt konstitutiven Wirkung der Volksentscheide" muß sich selbstverständlich diesen Verschiedenheiten der Situation und der Wirkungen anpassen.Wenn Sie sich, meine Damen und Herren von der SPD, einmal Ihre Formel im neuen Abs. 4 des Art. 29 ansehen, dann werden Sie sehen, daß diese Formel ganz bestimmt falsch ist für Schaumburg-Lippe — wenn Herr Schäfer recht gehabt hat —, der Sache nach richtig, aber völlig entbehrlich für Baden-Württemberg und überprüfungsbedürftig für das Problem Mittelrhein; es ist überprüfungsbedürftig, man kann es weder mit der einen, noch mit der anderen Gruppe gleichstellen. Sie haben versucht, in dem Abs. 4 das Gesamtproblem in einer Formel einzufangen. Da steht nicht mehr drin, a ls daß die Volksentscheide dann gelten sollen und vom Bundesgesetzgeber zu respektieren sind, wenn jene qualifizierte Mehrheit des Bundestages — Mehrheit der Mitglieder — das Ergebnis des Volksentscheids mit den Richtpunkten des Abs. 1 für vereinbar hält. Auf gut deutsch: Wir werden so sicher, wie zweimal zwei vier ist, über diese vage Formel in Verfassungsstreitigkeiten kommen, wenn wir die Formel nicht vorher klarer machen und klarer ausarbeiten. Hier sehe ich von dem Fall Baden ab, der in sich unter uns gar nicht mehr im Streit ist.Daher kommt unser Vorschlag und unser Antrag zur Baden-Frage, die entscheidungsreif ist, die ihre Sonderheiten hat und die der Rest eines mißglückten Gesetzgebungsversuchs ist. Ich sage „mißglückt", weil das Bundesverfassungsgericht gesagt hat: Das habt ihr falsch gemacht! Als Ziviljurist oder Strafjurist würde ich deutend sagen: Verfahrensfehler; das müßt ihr noch einmal machen. Der Versuch ist also mißglückt und deswegen auf irgendeine Weise zu wiederholen. Deswegen sagen wir: laßt uns doch dieser Frage die Priorität geben. Das hat den Vor-
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Dr. h. c. Güdeteil, daß wir uns nicht präjudizieren — in bezug auf Ihren Absatz 4 z. B. —, sondern daß wir dann freien Raum haben, zu versuchen, den Rest der Fälle mit einer präziseren Formel zu erfassen, so daß z. B. der Fall Schaumburg-Lippe nicht mit anderen und bedeutenderen Fällen gleichgerichtet wird. Das wird uns den Rest der Aufgabe erleichtern. Ich sage nun zu Ihrem Antrag, den ich nicht übersehe, sondern ich ordne den unseren mit dem Ihren zusammen, —
— ich sage noch einmal, Herr Schmitt-Vockenhausen, wir waren so wenig von einer sachlichen Einigung entfernt. Warum sollte uns diese sachliche Einigung nicht in einer Zeit gelingen, in der Ihre und meine Fraktion in einer gemeinsamen Koalition verbunden sind?
— Jawohl, ich sage das. Das ist mit eine Aufgabe einer solchen Koalition, auch Fragen, die eine Grundgesetzänderung erfordern, zu erledigen, wenn man so nahe an der Einigung ist.Meine Damen und Herren, zu ihrem Antrag zu Artikel 29 des Grundgesetzes spreche ich nicht. Dazu sprechen Herr Kollege Süsterhenn und andere Kollegen. Soeben hat mich einer der Kollegen im Vorbeigehen gefragt: Wird sich denn etwas tun? Wird sich denn etwas bewegen? Nun, sehen Sie, ich bin ein größerer Optimist als Sie, Herr Schmitt-Vockenhausen. Da ich mich heute schon einmal des leichtfertigen Zitierens beschuldigt sah, habe ich mit einem Zitat geantwortet, daß ich jetzt wiederhole: Eppur si muove. Das hat Galilei gesagt, als sie ihm nicht zugeben wollten, daß sich die Erde doch um die Sonne dreht. Ich sage: Eppur si muove, weil ich Vertrauen habe zu Ihrem Sachverstand, so daß Sie und wir zusammen eine Lösung für die Beseitigung eines Geschwürs finden, eines kleinen, aber lästigen Geschwürs, einer Neuralgie sozusagen nur. Aber man soll auch Neuralgien bekämpfen. Deswegen sage ich und hoffe ich: Eppur si muove.
Damit sind die Begründungen gegeben.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Güde, im Augenblick bewegt sich natürlich nur das Papier.
Es kommt darauf an, daß sich wirklich etwas bewegt.
Wir sollten es nicht dabei belassen, daß die Fraktionen durch entsprechende Anträge Pflichtübungen absolvieren, sondern wir sollten einmal überlegen, was nun wirklich geschehen kann.
Ich will nicht in eine verfassungsrechtliche Qualifikation Ihres Antrages zu Art. 118 des Grundgesetzes im einzelnen eintreten. Sie kennen unsere Argumente, und Sie wissen, daß es gute Argumente dafür gibt, daß der Art. 118 durch die damaligen Ereignisse verbraucht ist und daß eine Neufassung gewissen Zweifeln begegnet. Aber das können wir im einzelnen in den Ausschußberatungen erörtern.
Ich glaube, heute müssen wir uns einfach einmal mit der Situation der Neugliederung überhaupt etwas mehr auseinandersetzen und versuchen, sie in einen größeren Rahmen zu stellen.
Unsere verehrten Kollegen von den Freien Demokraten leben ja seit Monaten unter einer Art Lücke-Trauma. Das hatte Herr Scheel schon heute morgen; das ist jetzt bei der Neugliederung wieder aufgetaucht. Ich möchte hier — —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus?
Aber gern.
Herr Kollege Schmitt, haben Sie Verständnis dafür, daß wir uns als Freie Demokraten bei unseren Alternativen zur Regierungspolitik besonders der Innenpolitik annehmen und daß da nun einmal der Herr Lücke der zuständige Minister ist?
Aber verehrte Frau Kollegin, Ihren Initiativen sind keine Grenzen gesetzt. Wir haben uns ja heute morgen noch durch Zuruf davon überzeugen müssen, daß Sie selber sich eine sparsame Zurückhaltung bei Themen auferlegt haben, von denen Sie behauptet haben, sie seien in diesem Hause nicht genügend debattiert worden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch?
Bitte sehr.
Herr Schmitt-Vockenhausen, ist es vielleicht die Schuld der Opposition, wenn es der Regierung nicht möglich ist, Große Anfragen, etwa zur politischen Bildung, innerhalb der gesetzten Fristen zu beantworten, wenn sie Monate verzögert werden und damit Debatten ausgeschlossen wenden, die in diesem Hause geführt werden müssen?
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7900 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
Herr Kollege, Sie versuchen jetzt, von dem Thema, das uns hier heute morgen bewegt hat und was Sie kritisiert haben, wegzukommen in Richtung auf eine noch nicht beantwortete Große Anfrage, Sie wird in Kürze behandelt werden. Ich bedauere es ohnehin, daß im Zeitplan leider Gottes die Behandlung Großer Anfragen immer wieder hinausgeschoben wird. Aber das ist ja auch eine der Grundsatzfragen, ob und inwieweit Große Anfragen in der Form, wie wir sie hier gehabt haben und haben — der Herr Präsident hat das ja neulich mit Recht deutlich gemacht —, noch ein Instrument parlamentarischer Auseinandersetzung sind. Das werden wir in Kürze hören, wenn über ,die Geschäftsordnung geredet wird, wo ja der Aufstand von unten begonnen hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Art. 29 des Grundgesetzes wollte die Konsequenzen aus der nach 'dem Zusammenbruch im Jahre 1945 ent- standenen Lage ziehen. Bekanntlich war mit der Auflösung von Preußen durch den Kontrollrat und ,der Einteilung Deutschlands in die Besatzungszonen eine Reihe neuer Länder entstanden, ohne daß dabei immer die Erfordernisse einer organischen Gestaltung beachtet worden wären. Besonders dringend war bei der Schaffung des Grundgesetzes die Neuordnung des Südwestraumes, in dem ja die Abgrenzung zwischen der französischen und der amerikanischen Besatzungszone nicht zuletzt mit der Lage der Bundesautobahn Frankfurt—Stuttgart zusammenhing, und der Art. 118 war hier die Grundlage für eine schnelle Lösung der Probleme. Nun ist das Problem im Südwestraum gelöst, wenn auch der letzte Akt in bezug auf das, was Herr Kollege Güde das „verletzte Rechtsgefühl" nennt, noch aussteht.Es sind dann Gutachten angefordert worden, wie eine solche Neugliederung durchgeführt werden könnte. Die Luther-Kommission hat sich jahrelang damit beschäftigt. Herr Kollege Dorn hat das heute hier noch einmal in unsere Erinnerung zurückgerufen. Aber wie so oft in der Politik und im Leben war zu dem Zeitpunkt, zu dem endlich die Kommissionsberichte vorlagen, die Entscheidungsfreudigkeit und auch die Entscheidungswilligkeit nicht mehr in dem Umfang vorhanden, weil sich die anfänglichen Provisorien natürlich gefestigt und verfestigt haben und weil nicht zuletzt — ich will nachträglich gar keinen Vorwurf daraus machen — auch die scharfe Frontsituation der großen Parteien, die sich bis in den Bundesrat und dessen Stimmenverhälnisse ausgewirkt hat, auch schon aus Gründen der Parteimehrheiten einer Neugliederung im Wege stand.Es hat dann eine Reihe erfolgreicher Volksbegehren stattgefunden, ohne daß aber bisher aus dem Willen des Staatsbürgers politische Konsequenzen gezogen wurden. Mein Kollege Haar hat heute unseren Antrag deutlich gemacht als das Bemühen, hieraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Und, Herr Kollege Güde, Sie haben ja den Versuch gemacht, eine Brücke zwischen unserem und IhremAnliegen zu schlagen und eine gemeinsame Plattform zu finden.Meine Damen und Herren! Eine solche Debatte wäre nicht sinnvoll, wenn wir nicht noch einmal die Grundfrage stellten, welche Ziele eine Neugliederung am Ende der 60er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland haben kann und muß und ob die Ziele, die in Art. 29 des Grundgesetzes gesteckt sind, in dieser Form erreicht werden können oder wie sie zu erreichen sind. Die Neugliederung gemäß Art. 29 war eine Neugliederung auch der 50er-Jahre. Aber inzwischen ist die Zeit weitergegangen, und es wird heute immer offenkundiger, daß die Probleme der Struktur in der inneren Ordnung des Grundgesetzes nicht allein Fragen der Neugliederung, sondern viel stärker die Frage der Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sind, nämlich das, was wir als den kooperativen Föderalismus bezeichnen, und dessen Probleme ja an der Frage der Hochschulreform uns hier so deutlich klar geworden sind. Die Länder allein sind nicht in der Lage, die Probleme zu lösen, ob mit oder ohne Neugliederung, sondern hier ist der Bundesstaat in seiner Gesamtheit zur Lösung aufgerufen. Solche Probleme sind Raumordnung, Regionalplanung, Infrastruktur, Verkehrsplanung und alles das, Herr Minister, was Sie in den vergangenen Jahren bei der Verabschiedung des Raumordnungsgesetzes mit den Kollegen aller Fraktionen hier deutlich gemacht haben. Meine Damen und Herren, wenn man 'ernsthaft eine Neugliederung im Sinne des Art. 29 wollte, müßte man die Karte der Bundesrepublik noch 'einmal neu zeichnen, wobei wir vor der Frage stehen, ob die Grundsätze, die Art. 29 enthält, alle auf einen Nenner gebracht werden können, von der landsmannschaftlichen Gliederung bis zur Wirtschaftsstruktur.Was die Freien Demokraten nun gemacht haben, um hier ihre Alternativen deutlich zu machen, ist der Versuch, aus drei Pelzstücken einen schönen Nerzmantel herzustellen. Gelungen ist ihnen das nur sehr bedingt. Ich werde bei der Analyse zu dem Ergebnis kommen, daß es nur ein bescheidener Kanin ist, was sie als großen Mantel der Neugliederung vorlegen.
— Herr Kollege, ich hatte immer gedacht, Sie hätten Humor, weil Sie so kräftig sind. Schade!
Jedenfalls haben Sie eine Stimme; nach der müßten Sie Humor haben.Meine Damen und Herren, wer kann denn schon behaupten, daß von Saarbrücken bis Kassel die landsmannschaftliche Verbundenheit im Sinne des Art. 29 gewährleistet ist? Wer will denn geschichtliche und kulturelle Zusammenhänge von Altenkirchen bis Speyer im Sinne des Art. 29 feststellen, und wer will sagen, daß wirtschaftliche Zweckmäßigkeit — —
— Ich verlange ja nur das, was in Art. 29 steht.
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Schmitt-Vockenhausen— Entschuldigen Sie, Herr Kollege, Sie können ja der Meinung sein, daß ich keine Ahnung habe. Sie können aber nicht bestreiten, daß das, was ich hier vorbringe, in Art: 29 verlangt wird. Wir müssen uns doch daran halten, daß hier die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit und das soziale Gefüge berücksichtigt werden sollen. Wenn ich mir etwa vorstelle, daß die Frage des Raumes Weinheim—Worms-Mannheim—Ludwigshafen oder auch Aschaffenburg —Hanau—Offenbach—Frankfurt offenbleibt und daß selbst kleine Gebiete, die wirtschaftlich und sozial eindeutig nach Nordrhein-Westfalen tendieren, bei dem von der FDP vorgeschlagenen neuen Land bleiben sollen —, zeigt das doch, daß hier ein Stück Flickschusterei getrieben werden soll, aber keine Neugliederung im Sinne des Art. 29.
— Entschuldigen Sie, ich bin ein Optimist. Ich hoffe, daß ein europäischer Bundesstaat uns einmal hilft, solche Grenzprobleme, die uns ganz sicher heute schon in den Grenzgebieten deutlich werden, zu lösen und die Grenzen, die in der Vergangenheit einmal gezogen worden sind und erst durch den ersten Weltkrieg zu wirklichen Grenzen geworden sind, zu überwinden. Die Raumordnungskonferenz der europäischen Minister ist gerade dabei, in diesem Sinne jede Überbrückung zu schaffen, die so notwendig ist.Wenn wir das nun so sagen, müssen wir uns fragen: Was muß denn nun im Grunde geschehen? Es sind zunächst drei Dinge vordringlich. Ich bin der Meinung — das hat auch der Kollege Haar hier gesagt —, auch die Menschen in Baden haben ein Recht darauf, die Chance einer Abstimmung. zu bekommen, nachdem der Volksentscheid erfolgreich war. Zweitens: Was für Baden-Württemberg, Herr Kollege Güde, recht ist, muß für andere Gebiete der Bundesrepublik billig sein.
— Herr Kollege Güde, das ist nicht die Frage. Welche Konsequenzen der Gesetzgeber nachher daraus zieht, ist damit gar nicht gesagt. Sie müssen doch den Leuten die Chance geben, daß sie sich nach dem erfolgreichen Volksbegehren in irgendeiner Form äußern können.
Seien wir ehrlich. Es kann doch niemand in diesem Lande glauben, daß man, wenn ich mir die Tradition der Hansestädte Hamburg und Bremen ansehe — auch Schleswig-Holstein ist in diesem Sinne ein Land geworden —, hier, weil man ja damit die Struktur auch nicht verändert, gewissermaßen eine Großneugliederung im norddeutschen Raum schaffen könnte. Im Grunde gibt es nur ein einziges Problem, das durch die Gott sei Dank erfolgte Rückgliederung des Saarlandes entstanden ist, daß im Südwestraum noch zwei verhältnismäßig kleine Länder vorhanden sind, so daß in irgendeiner Form nach einer Lösung der Probleme gerufen wird.
— Herr Kollege Hofmann, lassen Sie mich meinen Gedanken noch zu Ende vortragen. Sie können die Fahne von Rheinland-Pfalz noch hochhalten.
Lassen Sie mich nur noch meinen Satz zu Ende sagen. Wir haben aus guten Gründen im Hinblick auf die Strukturschwierigkeiten, die sich aus der Rückgliederung ergeben haben, in der Frage des Saarlandes gesagt: Nichts wäre falscher, als hier kurzfristig eine Lösung herbeizuführen. Ich meine, meine Damen und Herren, dazu muß man aus guten Gründen hier auch im Augenblick noch stehen. Das heißt aber nicht — ich würde das nicht so weit ausdehnen —, daß hier nicht eine Lösung gesucht werden müßte und daß man sich in den Ausschußberatungen nicht klar darüber werden sollte, in welche Richtung hier eine solche Lösung geht oder in welchen Zeiträumen sie verwirklicht werden kann. Ich kann mir vorstellen, daß man sagen könnte: zwanzig Jahre nach einer Eingliederung, das wäre ein Termin, bis zu dem man doch einmal überlegen müßte, wie eine Gesamtordnung für einen solchen Raum aussieht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hofmann?
Bitte, Herr Kollege!
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ich möchte Sie fragen, ob ich Sie vorhin richtig verstanden habe, daß es noch zwei kleinere Länder gebe, für die eine neue Regelung gesucht werden müßte, und daß Sie gleichzeitig in einem Atemzug damit die Hansestädte Hamburg und Bremen nennen? Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß Bremen dann auch ein kleines Land wäre, das in diesem Zusammenhang mit aufgezählt werden müßte?
Herr Kollege, ich habe folgendes gesagt: Die beiden Hansestädte haben ja auch eine geschichtliche Tradition, und in einem Land, in dem wir nicht so viele Brücken zur Vergangenheit haben, die immer begehbar sind, sollten wir für jede gute Tradition dankbar sein. Ich finde, der Hanseatengeist ist etwas, das man hier positiv sehen und nicht nur irgendwie mit der Flächengröße in Verbindung bringen sollte. Das ist doch gar nicht das Problem, das uns heute und in den nächsten Jahren so entscheidend beschäftigen muß.Nicht die Neugliederung ist das eigentliche Problem, sondern das Funktionieren des Föderalismus zwischen Bund, Ländern und Gemeinden im Hinblick auf die Veränderung der Wirtschafts- und der gesellschaftlichen Strukturen. Wir stehen doch nicht mehr im Jahre 1949. Damals haben wir einfach gesagt: Die Verwaltung liegt bei dien Ländern, und der Bund hat hier nur ganz bestimmte Funktionen. Die Dinge haben sich vielmehr geändert. Wir müs-
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7902 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
Schmitt-Vockenhausensen dafür sorgen, daß der Föderalismus wirklich funktionsfähig bleibt. Das hängt — das muß man sehen — weniger von der Gliederung der Länder als vielmehr von der Herstellung .einigermaßen ausgeglichener Finanz- und Wirtschaftsituationen, den Lebensbedingungen und der Strukturförderung in den einzelnen Gebieten ab, in denen die Länder aus den verschiedensten Gründen nicht in dem notwendigen Umfang dazu in der Lage sind.Die Bundesregierung hat erkannt — das sind die Konsequenzen aus dem Troeger-Gutachten —, daß hier der kooperative Föderalismus eine Form finden muß — —
— Herr Kollege Moersch, wenn Sie mich diesenGedankengang noch zu Ende führen lassen würden.Wir brauchen die Zusammenarbeit bei der Lösung der Gemeinschaftsaufgaben, die Finanzreform zwischen Bund und Ländern und als letzte große Aufgabe die Finanzreform zugunsten der Gemeinden — um hier den gesamten Komplex der dringlichen Aufgaben deutlich zu machen —, um unser Staatswesen in seiner inneren Ordnung wirklich zu sichern.Meine Damen und Herren, die Zukunft und die Gestaltung dieses Landes wird entscheidend davon abhängen, wie uns diese Reformen gelingen. Davon wird auch, ich sage das hier ganz klar, die Zukunft der Länder abhängen, denn der Föderalismus kann nur dann leben, wenn er sich auch hier in einer vernünftigen Zusammenarbeit mit dem Bund als lebensfähig und kräftig erweist und wenn er mithilft, die Aufgaben, die mit dem Hochschulausbau und der Hochschulreform zusammenhängen, und viele andere, die in den nächsten Monaten diskutiert werden, zu lösen.
Jetzt eine Zwischenfrage von Herrn Moersch.
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, da Sie jetzt viele Unklarheiten über die Vorrangigkeit Ihrer Forderungen geschaffen haben: Würden Sie uns bitte sagen, ob Sie Art. 29 des Grundgesetzes noch für_ existent in diesem Sinne halten, wie Sie es eben ausgeführt haben, und welche Vorschriften des Art. 29 für Sie die wichtigsten sind, die landsmannschaftliche Zusammengehörigkeit, die historische Bindung oder die wirtschaftliche und verkehrsmäßige Bindung.
Herr Kollege Moersch, ich bedauere ein bißchen, daß ich bei Ihnen eine Unklarheit geschaffen habe. Das muß nicht immer an mir liegen, aber es kann an mir liegen. Weil ich Hamburg und Bremen genannt habe, gebe ich Ihnen zu, daß hier dadurch vielleicht eine solche Unklarheit entstanden ist.
Sie wissen, daß man über die Qualität der einzelnen Erfordernisse des Art. 29 eine Reihe guter Dissertationen schreiben könnte. Damit wäre also unsere Zeit ausgefüllt. Ich habe vorhin versucht darzulegen, daß im Grunde der Art. 29 Voraussetzungen aufgestellt hat, die in der heutigen Situation, in der Raumordnung, Wirtschaftsförderung und all diese Probleme entscheidend sind, einfach nicht mehr so absolut gesehen werden müssen, und daß wir uns darüber in den Ausschußberatungen einmal unterhalten müssen. Unser Antrag, der eine Neufassung des Art. 29 anstrebt, ist offen, eine solche Sichtung der Qualitäten der Forderungen, die an diese Neugliederung und Neuordnung gestellt werden, herbeizuführen.
Meine Damen und Herren, wenn es Prioritäten gibt, dann bei der Durchführung der noch nicht erfolgten Abstimmungen, bei der Verstärkung des kooperativen Föderalismus und bei der Finanzreform einschließlich der Gemeindefinanzreform. Die Lösung dieser vordringlichen Aufgaben sollte in dieser Legislaturperiode mit Nachdruck angepackt und, soweit möglich, vollendet werden. Denn es wäre verhängnisvoll, wenn das Funktionieren des Föderalismus überhaupt in Frage gestellt würde. Wir sollten dann die Frage der Neugliederung des Südwestraums unter den Aspekten Raumordnung, Regionalplanung und Infrastruktur in einer weiteren Stufe behandeln — ich habe den Rahmen etwa angedeutet —, die in der nächsten Wahlperiode in Angriff genommen werden muß.
Unter diesem Blickwinkel muß leider auch, zumal das Volksbegehren keinen Erfolg hatte, die Frage des Wiederanschlusses der Rheinpfalz an Bayern, den Herr Landtagspräsident Hanauer vor wenigen Tagen gefordert hat, ebenso wie die hier vorgetragenen weitgehenden Forderungen der Kollegen von der FDP zunächst zurückgestellt werden.
— Herr Kollege, Sie haben doch hoffentlich bemerkt, daß ich diese Pikanterie bewußt gesagt habe, um in dieser Stunde die Debatte etwas aufzulockern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Aufgaben sind in den Anträgen gestellt. Es liegt an uns, wie wir in der Lage sind, sie zu erfüllen.
Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident Filbinger war hier und wollte als Mitglied des Bundesrates das Wort ergreifen. Er hat aber das Haus verlassen müssen und hat seine Erklärung, die er abgeben wollte, zu Protokoll gegeben. *)
— Herr Abgeordneter Moersch, Sie haben Recht. Das ist die Schwäche der Methode, Erklärungen zu Protokoll zu geben, daß die Abgeordneten nicht Stellung nehmen können zu dem, was da gesagt*) Siehe Anlage 2
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Vizepräsident Dr. Mommerworden ist. Diese Erklärungen erscheinen aber auch im Anhang zum wörtlichen Bericht.
Das, was den Abgeordneten des Hauses recht ist -und sie haben sehr oft Gebrauch von diesem Recht gemacht, Erklärungen zu Protokoll zu geben —, muß natürlich einem Mitglied des Bundesrates, der das Recht hat, hier das Wort zu verlangen, billig sein. Deswegen sehe ich nicht, wie ich die Erklärung von Herrn Ministerpräsident Filbinger nicht zu Protokoll nehmen könnte.Im übrigen, hier ist sie; wer Kenntnis nehmen will, kann sie lesen.Bitte, Herr Bundesinnenminister, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Auftrage der Bundesregierung darf ich zu den hier vorliegenden Anträgen der Bundestagsfraktionen folgendes erklären.
Die Bundesregierung ist sich der Tatsache bewußt, daß der Verfassungsauftrag aus Art. 29 des Grundgesetzes noch nicht erfüllt ist und erfüllt werden muß. Sie verkennt auch nicht die große Bedeutung, die einer sinnvollen Neugliederung des Bundesgebiets für eine erfolgreiche Innenpolitik zukommt. Obwohl der Bundesregierung mit ihrem Entwurf eines Ersten Neugliederungsgesetzes vom Jahre 1962 kein Erfolg beschieden war, hegt sie weiterhin den Wunsch, dieses Problem einer baldigen befriedigenden Klärung zuzuführen, und ist bereit, jeden Vorschlag, der Aussicht auf Erfolg verspricht, sorgfältig zu prüfen.
Der Neugliederungsvorschlag der Freien Demokratischen Fraktion, der die Länder Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland zu einem neuen Bundesland Mittelrhein-Hessen zusammenfassen möchte, berücksichtigt leider nicht, daß die Neugliederung in diesem Raum das Kernstück jeglicher Neugliederung ist und nur in Zusammenhang mit einer umfassenden Neuordnung des gesamten Bundesgebietes nach einer sorgfältig erwogenen Gesamtkonzeption durchgeführt werden kann.
Der von der SPD-Fraktion vorgelegte Entwurf zielt darauf ab, durch eine — wie sie der Kollege Schmitt-Vockenhausen begründete — Änderung der Verfahrensbestimmungen des Art. 29 des Grundgesetzes die im Jahre 1956 durchgeführten sieben Volksbegehren einschließlich der Baden-Frage durch Volksentscheide zum Abschluß zu bringen. Die Bundesregierung ist sich darüber im klaren, daß über die von der Bevölkerung verlangten Gebietsänderungen zu gegebener Zeit eine gesetzgeberische Entscheidung nach Maßgabe des Art. 29 des Grundgesetzes getroffen werden muß. Das gilt auch für die Baden-Frage.
Die von der SPD-Fraktion vorgeschlagene Änderung des Art. 29 des Grundgesetzes wirft eine Reihe außerordentlich schwieriger rechtlicher. und politischer Fragen auf, die einer eingehenden Prüfung und sorgfältigen Abstimmung bedürfen.
Die Bundesregierung hält den gegenwärtigen Zeitpunkt für wenig geeignet, das Neugliederungsproblem mit Aussicht auf Erfolg wiederaufzunehmen, nicht zuletzt auch wegen der außerordentlichen Überlastung der Ausschüsse des Hohen Hauses durch die von Herrn Kollegen Schmitt-Vockenhausen erwähnten wichtigen Gesetzentwürfe, die Verfassungsänderungen zum Inhalt haben.
Das Ziel der Neugliederung, große, leistungsfähige und verwaltungsstarke Länder zu schaffen, steht unverrückbar fest. Die zahlreichen Änderungs- und Neuordnungsvorschläge, die in den letzten Jahren die Öffentlichkeit beschäftigten, sind ein Beweis dafür, daß die Neugliederung ein lebendiges und aktuelles Anliegen ist. Für eine Gesamtkonzeption fehlen jedoch gegenwärtig noch entscheidende Voraussetzungen. Diese Voraussetzungen zu schaffen wird eine schwierige und — ich sage es — auch langwierige Aufgabe sein. Zu ihrer Lösung sind alle Beteiligten, insbesondere dieses Hohe Haus als Gesetzgeber, aufgerufen. Die Unterstützung der Bundesregierung in dieser wichtigen Frage haben Sie vor allem auch deshalb, weil uns das Grundgesetz diesen Auftrag erteilt.
Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Anbetracht des Zeitdrucks, unter dem wir uns befinden, möchte ich mich sehr kurz fassen, aber auf einige Bemerkungen des Kollegen Schmitt-Vockenhausen eingehen, und zwar aus der Sicht eines Abgeordneten, dessen Heimat sich in einer peripheren Lage — sowohl in der jetzigen Länderform als auch in jeder künftigen Länderform — befindet.Sie haben mein Heimatland, die Pfalz, angesprochen und auch noch die ironische Bemerkung mit Bayern gemacht. Ich werde hierauf vielleicht kurz eingehen.Natürlich, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, sind Konstruktionen denkbar, die gegenüber dem FDP-Entwurf auch von uns vertreten werden könnten. Ich denke hier insbesondere an den Raum Rhein/Neckar, der doch eine wirtschaftliche Einheit ist. Ich glaube, solche Konstruktionen sind nicht nur aus landsmannschaftlichen, sondern insbesondere auch aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten — gerade für uns im vorderpfälzischen Gebietsteil — erstrebenswert.
Dieser Raum bildet schon eine starke Klammer z. B. zum Lande Baden-Württemberg. Aber ich gebe hier doch zu bedenken: Das würde ja die Zerschlagung eines Landes oder vielleicht sogar auch mehrerer Länder bedeuten. Es würde mindestens bedeuten, daß bestehende Ländergrenzen verändert werden. Ich habe hier doch die starke Befürchtung, daß durch viele Änderungswünsche bezüglich bestehender Ländergrenzen am Ende die Tendenz gefördert werden
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7904 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
Jungwürde, überhaupt nichts zu tun; und das wäre das Schlechteste, was passieren könnte.Sie haben hier den Zusammenhang zwischen der Finanzreform auf den verschiedenen Ebenen und der Länderneugliederung dargelegt. Man kann nun darüber streiten, was zuerst sein muß. Ich persönlich bin der Meinung, daß das eine das andere nicht ausschließen darf und daß man deshalb ,den Vorschlag der FDP sehr stark unterstützen sollte.Im Hinblick auf Ihre Bemerkung und 'den Zwischenruf des Herrn Kollegen Strohmayr über die Situation 'der Pfalz zu Bayern meine ich, daß die Wiederherstellung alter staatsrechtlicher Verbindungen, die aus rein dynastischen Gründen über ein Jahrhundert bestanden haben, mit den Richtbegriffen des Art. 29 Abs. 1 'absolut nicht vereinbar wären, weil hier ja dann eine Exklave entstehen würde und mindestens 200 km eines dazwischenliegenden Landes überwunden werden müßten, um die 300 km entfernte Landeshauptstadt zu erreichen. Trotz aller Sympathien, meine Kollegen aus Bayern, für die alten kulturellen Bande, die zwischen der Pfalz und Bayern bestehen
— ich sagte ja: ein Jahrhundert lang —,
würden diese Bemühungen von der Bevölkerung der Pfalz nicht unterstützt werden; denn man sieht dort darin eine anachronistische Lösung.Worauf es jetzt ankommt, ist eben der Zusammenschluß bestehender Länder, und dazu hat die FDP einen konstruktiven Vorschlag gemacht, der sich immerhin sogar auf das Luther-Gutachten stützt. Luther hat in seinem Gutachten von einem Mittelwestdeutschland gesprochen zu einem Zeitpunkt, wo das Saargebiet noch nicht voll in die Bundesrepublik eingegliedert war. Hier kommt es darauf an, einen Start für diese Länderreform zu geben. Jetzt wo Ländergrenzen für die Wirtschaft keine besonderen Hindernisse mehr sind, meine ich, daß auch das von Ihnen vorhin aufgeworfene Problem des Rhein-Neckar-Raumes durch eine vernünftige Struktur- und Raumordnungspolitik gelöst werden könnte. Es ist besser, ein wirtschaftlich starkes Land verhandelt über diese Fragen mit einem gleichstarken Partner, als daß sich drei oder vier Schwache zusammensetzen; das erschwert nach meiner Meinung die Lösung.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Fraktionskollegen Moersch?
Selbstverständlich, Herr Kollege Moersch.
HerrKollege Jung, könnten Sie vielleicht dem Kollegen Schmitt-Vockenhausen noch einmal auseinandersetzen, daß es immerhin im Rhein-Neckar-Raum drei wären und daß es besser ist, wenn sich zwei zusammenfinden. Vielleicht ist
ihm diese mathematische Formel bisher noch nicht genügend bekannt.
Herr Kollege Moersch, der Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen hat mir zustimmend zugenickt; das ist ihm also in der Zwischenzeit schon geläufig.
— Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, Herr Moersch beschäftigt sich im wesentlichen mit Kultur- und Bildungspolitik, und hierzu gehört auch das kleine Einmaleins.
Ich möchte zusammenfassen. Die jetzige Regierung — und, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, Sie sind maßgeblich mit daran beteiligt — hätte die Gelegenheit, die notwendige Länderreform durchzusetzen, nicht nur wegen ihrer großen Mehrheit in diesem Hause, sondern auch wegen analoger Mehrheiten im Bundesrat. Ich sage Ihnen heute: 1969 gibt es keine Ausrede mehr, und ich würde Ihnen deshalb empfehlen, die FDP-Initiative mit Nachdruck zu unterstützen, damit sie bis zum Jahre 1969 auch verwirklicht werden kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Süsterhenn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dem Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen außerordentlich zu Dank verpflichtet, daß er diese ganzen Probleme der Neugliederung und Neuordnung des Bundesgebietes nach Art. 29 einmal in weitere, umfassendere und vor allem modernere und zeitgerechte Zusammenhänge hineingerückt hat.
Was Sie über den Zusammenhang zwischen dieser Neuregulierung nach Art. 29 und diesen modernen Aufgaben der Raumordnung, aber auch der Neuordnung des finanziellen und kompetenzmäßigen Verhältnisses zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, gesagt haben, kann ich nur in vollem Umfang unterstreichen. Ich bin der Meinung, diese Dinge lassen sich, wenn man eine vernünftige zukunftsweisende Lösung erreichen will, einfach nicht voneinander trennen. Alles übrige wäre nichts anderes als eine — na, sagen wir einmal: — Stümperei, aber nicht wirklich etwas, das man als einen großen politischen Wurf bezeichnen könnte.
— Ach, Herr Kollege Moersch, das hat ja gar nichts mit Machtpositionen zu tun.
— Verehrter Herr Kollege Moersch, ich will ja hier gar kein Rechenexempel anstellen, welche parteipolitischen Überlegungen man rein wahlarithme-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968 7905
Dr. Süsterhenntisch Ihrem Antrag zugrunde legen könnte. Das ist mir weit, weit gegen das innere Empfinden, bei Ihnen auch nur im entferntesten solche Dinge zu vermuten.
— Sehen Sie, da sind wir wenigstens in einem Punkte einig. — Als wir uns vor genau vier Jahren — im Februar des Jahres 1964 — mit dem gleichen Problem befaßten, lag ein Vorschlag der Bundesregierung vor, im wesentlichen beschränkt auf die Lösung des Problems in Baden-Württemberg; damals lagen ein fast gleichlautender Antrag der SPD vor, ungefähr derselbe wie der heutige, und ein ebenfalls fast gleichlautender Antrag der CDU/ CSU, der auch sozusagen wörtlich identisch ist mit dem, was meine Fraktion heute hier vorgelegt hat. Als der damalige Kollege und jetzige Staatssekretär Dr. Schäfer den Antrag der SPD begründete, wies er darauf hin, daß dieser Antrag der SPD nicht das geringste mit der Tatsache zu tun habe, daß die baden-württembergischen Landtagswahlen unmittelbar bevorstünden. Es tut mir außerordentlich leid, darauf hinweisen zu müssen, daß es lediglich eine fatale Parallelität der historischen Entwicklung ist, daß wir auch heute wieder unmittelbar vor den baden-württembergischen Landtagswahlen stehen.Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, sosehr ich Ihre großen, in die Zukunft weisenden Ausführungen in vollem Umfang decke, so muß ich aber doch leider sagen, daß ich auch bei eifrigstem Studium in dem von Ihrer Parteieingereichten Antrag von diesen großen Perspektiven auch nicht das geringste feststellen kann.
Das Wesentliche, worauf der SPD-Antrag eigentlich hinausgeht, ist doch sozusagen eine Perspektive von Montabaur oder Oldenburg oder Rheinhessen oder sonst etwas. Der große Schwung, der die Ausführungen des Kollegen Schmitt-Vockenhausen getragen hat, ist in dem Inhalt des Antrages eigentlich nicht wiederzuerkennen, und das bedaure ich sehr. Wenn man den Antrag in einer Weise umarbeiten könnte, daß er Ihre richtigen grundsätzlichen Ideen, die ich teile, wirklich nun einmal ein völliges Neugliederungsprogramm, eine große Konzeption, wie Sie sie hier entwickelt haben, beinhalten würde, dann ließe sich über diese Dinge durchaus sprechen.Die CDU/CSU ist in ihrer Zielsetzung immer recht bescheiden gewesen und hat sich deshalb bewußt, genauso wie vor vier Jahren, darauf beschränkt, mit ihrem Antrag lediglich etwas zu reparieren, was nach ihrer Meinung auch heute noch unbedingt repariert werden muß, ,das ist das verletzte Rechtsgefühl der Badener. An dieser Tatsache kommen wir nicht vorbei.
— Ja, also Montabaur und Baden sind nicht genau dasselbe; darüber werde ich gleich noch ein Wort verlieren. Ich darf Ihnen sagen, im Falle Baden hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß diedamaligen Abstimmungen nicht in demokratisch fairer Form unter Berücksichtigung der vollen Chancengleichheit durchgeführt worden sind. Ich kann für mich in Anspruch nehmen, schon vorher, als Mitglied des Bundesrats, auf diese kritischen Punkte des Gesetzes hingewiesen zu haben. Es ist nämlich sicherlich nicht fair, wenn man ein Land mit 50 Millionen Einwohnern mit einem benachbarten Land von 500 000 Einwohnern gemeinsam, mit Durchzählen der Stimmen, darüber abstimmen läßt, ob das kleinere Land in das größere aufgenommen werden soll.
Das ist damals im Prinzip — das Beispiel übertreibt natürlich in den Ziffern — geschehen. Damals ist also, und das hat auch das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben, eine gewisse unfaire, demokratisch unbefriedigende, die Chancengleichheit nicht wahrende Methode angewandt worden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Diemer-Nicolaus?
Bitte!
Herr Professor Süsterhenn, ich stehe leider schon etwas lange hier am Mikrophon — —
Entschuldigen Sie! Ich hatte zufällig nach der anderen Seite gesehen. Hätte ich gewußt, daß Sie dort standen, hätte ich mich zu Ihnen gewandt.
Ich sage das nur deshalb, weil ich jetzt auf Ausführungen von Ihnen zurückkommen muß, die nun schon etwas zurückliegen.
Aber bitte!
Nachdem Sie auf die Haltung der CDU/CSU in der letzten Legislaturperiode vor vier Jahren hingewiesen haben, muß ich fragen: Welchen Teil der CDU haben Sie damit gemeint, den Teil, der, unterstützt vor allen Dingen von der FDP, die damalige Auffassung der Landesregierung Baden-Württemberg in bezug auf Art. 118 vertreten hat, oder den Teil der CDU, dem die Altbadener insbesondere angehörten und der diese Lösung über Art. 118 ablehnte und andere Vorschläge machte?
Gnädige Frau, ich muß diese Frage dahin beantworten, daß es offenbar Ihrer Erinnerung entgangen ist, daß die CDU damals einen Entwurf für die Reformierung des Art. 118 eingebracht hat, den zu begründen ich damals ebenfalls die Ehre hatte. Das können Sie in den Akten nachlesen. Die CDU ist sich in diesem Punkt durchaus treu geblieben.
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7906 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
Dr. SüsterhennFerner darf ich Sie in Beantwortung Ihrer Frage darauf hinweisen, daß die FDP durch den sehr verehrten Herrn Kollegen Busse hier auch den Standpunkt vertreten hat, man müsse den Badenern die Möglichkeit einer erneuten Abstimmung geben. Leider vermisse ich in dem FDP-Antrag jede Möglichkeit für eine Wiedergutmachung des badischen Unrechts.
— Ich habe natürlich auch Ihren zweiten Antrag, betreffend das Volksbegehren, gelesen. Da haben Sie es sich verhältnismäßig einfach gemacht. — Verehrter Herr Dorn, bevor Sie das Lokal verlassen, darf ich Sie darauf aufmerksam machen. — Da haben Sie es dem Ermessen der Bundesregierung überlassen, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was mit den anderen Volksbegehren geschehen soll. Ich kann dort keinen Satz entdecken, daß Sie sich etwa für die Wiedergutmachung des verletzten badischen Rechts einsetzten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß die Badener Frage in einer ganz anderen Perspektive behandelt werden muß als etwa das Problem Montabaur, Schaumburg-Lippe oder ein anderes. Hier kann man auch nicht mit dem Gleichheitssatz operieren; denn dieses Problem des Südwestraums ist schon vor — —
— Ich darf darauf hinweisen, daß es sich hier nicht um die prozessuale Frage handelt, sondern es handelt sich um die sachliche Frage, und diese sachliche Frage der Gliederung des Südwestraumes ist älter als unser Grundgesetz. Sie ist bereits auf der unserem Grundgesetz vorangehenden präkonstitutionellen Ministerpräsidentenkonferenz als ein Sonderproblem behandelt worden, und der Grundgesetzgeber hat sie als ein Sonderproblem in das Grundgesetz aufgenommen, indem er neben die generelle Vorschrift des Art. 29 die Spezialvorschrift des Art. 118 gesetzt hat.Wenn nun der Bundesgesetzgeber — der Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen hat es ein bißchen verschämt durchschimmern lassen, ich habe es deutlicher gesagt — bei der Ausführungsgesetzgebung zu Art. 118 Methoden angeordnet hat, die nicht die volle Zustimmung des Bundesverfassungsgerichts unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Fairneß gefunden haben, dann ist es logisch und konsequent, daß man diesen Ansatzpunkt der Kritik beseitigt und es den Badenern ermöglicht, nunmehr in einem fairen Abstimmungsverfahren, das demokratisch einwandfrei ist, ihr Problem zu lösen.
Ich darf lediglich noch auf eines hinweisen. Es handelt sich um eine völlig falsche Auslegung des Art. 29 und der dort vorgesehenen Volksbegehren.
— Nein, die haben nicht die Volksbegehren — —
— Es besteht die Pflicht des Bundesgesetzgebers, sich bei der Durchführung der Bundesgesetzgebung mit den Konsequenzen der durch das Volksbegehren aufgeworfenen Probleme auseinanderzusetzen.
Im übrigen hat das Bundesverfassungsgericht gesagt: hier handelt es sich lediglich um Material für den Bundesgesetzgeber und um nicht mehr. Ich bin der Meinung, daß es notwendig ist, dieses Material zu berücksichtigen, so wie es das Grundgesetz in seiner heutigen Fassung vorschreibt. Ich bin' aber der Meinung, daß auch diese Berücksichtigung nicht vorgezogen werden kann, sondern bei ,der großen Gesamtneuordnung erfolgen muß, wie sie uns hier sozusagen als Idealziel vom Kollegen Schmitt-Vockenhausen entwickelt worden ist. Ich glaube, daß meine Fraktion sehr gern bereit ist, in diesem Sinne zu dieser Zielsetzung auch 'des Kollegen Schmitt-Vockenhausen beizutragen.
Meine Damen und Herren, es ist gleich ein Uhr. Wir hatten uns vorgenommen, zu dieser Zeit unsere Beratungen im Plenum zu schließen. Wir sind aber in der Beratung eines Punktes, und da kann der Präsident jedenfalls nicht die Beratungen abbrechen. Ich habe noch fünf Wortmeldungen. Darf ich bitten, zu überlegen, ob alle notwendig sind, und — wenn ja — dann doch an ,die Uhrzeit zu denken und sich kurz zu fassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie meinen, Kollege Klepsch, daß ich es nicht lassen kann. Ich muß einfach deshalb noch etwas sagen, weil ein paar Punkte hier doch noch zurechtgerückt werden müssen. Es ist ein typisches Beispiel, das wir heute erleben: es wird viel 'darüber geredet, daß etwas passieren müsse mit Neugliederung, Raumordnung und den verschiedensten Dingen. Wenn konkret etwas vorgeschlagen wird, beginnt man große Visionen zu entwickeln: daß eigentlich das ganze Bundesgebiet geändert werden müsse, daß alle
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968 7907
MischnickProbleme auf .den Tisch gelegt werden müßten. Warum bringt man sie? Weil man kleinere Lösungen nicht schaffen kann, weil man die Kraft nicht dazu hat, wenigstens dieses wichtige Teilkonzept, das wir hier vorgelegt haben, in Ihren beiden Fraktionen wirklich bis zum letzten sachlich zu behandeln. Das ist doch der Grund.Mein verehrter Kollege Schmitt-Vockenhausen hat als Vorsitzender ,des Innenausschusses selbstverständlich in voller Kenntnis des gesamten Textes des Art. 29 GG immer nur von der landsmannschaftlichen Verbundenheit und ähnlichen Dingen gesprochen.
Wenn ich nun an unser Hessenland denke, so muß ich sagen, daß zwischen Kassel und der Bergstraße auch nicht unbedingt die engste landsmannschaftliche Verbundenheit besteht. Und was den Eifelraum angeht — bis hinauf zum Gebiet von Bielefeld —, so kann man auch nicht davon sprechen, daß da die engste landsmannschaftliche Verbundenheit in Nordrhein-Westfalen gegeben sei. Wenn Sie so versuchen, die Dinge zu verniedlichen, werden Sie dem Anliegen, das hier mit diesem Antrag vorgebracht wird, absolut nicht gerecht.Die beiden anderen Anträge — von CDU/CSU und SPD — sind doch, wie soll ich sagen, als zusätzliche Aktivitäten nachgeschoben worden, als man merkte: die FDP hat etwas gebracht, das ist interessant, nun müssen wir ebenfalls etwas auf den Tisch legen.
Ich denke insbesondere an den Antrag der CDU/ CSU. Der ist doch haarscharf auf den 28. April gezielt, auf den Wahltag, sonst gar nichts.
Denn mit diesem Punkt können Sie doch bis zum 28. April nicht fertig werden. — Bitte!
Wenn Sie schon von Wahlkampf reden, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie hier die Frage beantworteten: Warum ist im Entwurf der FDP der § 14, den der Entwurf Ihres Arbeitskreises „Innenpolitik" vom 20. Juli 1967 enthielt, verschwunden, in dem es hieß: „Die badischen Gebietsteile verbleiben im Lande Baden-Württemberg"?
Bei uns ist gar nichts verschwunden, Kollege Schmitt-Vockenhausen, sondern wir haben uns dazu entschlossen, in dem zweiten Antrag
die gesamte Frage anzusprechen und diesen Punkt als einen Auftrag an die Regierung zu geben. Wenn Sie von der Großen Koalition Ihrer eigenen Regierung nicht einmal mehr zutrauen, Notwendigkeiten aus der Vergangenheit gesetzlich zu regeln, ist das Ihre Schuld und nicht unsere Sache.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Mischnick, darf ich Sie fragen: Ist die Streichung in Kenntnis der Tatsache, daß Wahlen bevorstehen, erfolgt, oder wie begründen Sie dem Hause diese Streichung?
Verehrter Kollege Schmitt, wenn Sie so genau wissen, was in unserem Arbeitskreis geschehen ist, müßten Sie auch wissen, daß andere Länder mitberücksichtigt waren, die keine Wahlen haben. So kann also nicht die Wahl ein entscheidender Grund gewesen sein, sondern einfach die Überlegung, daß es durchaus möglich ist, bei dem — das sage ich hier ganz offen — geringen technischen Apparat, den wir haben, einen Fehler zu machen, wenn wir alle anderen Volksbegehren in einem Aufwasch behandeln wollten, und das wollten wir vermeiden. Deshalb der Auftrag an die Regierung, tätig zu werden.
Kollege Süsterhenn hat gesagt — und ich kann ihm nur zustimmen —, daß irgendwelche politischen Überlegungen parteitaktischer Art bei der FDP keine Rolle gespielt haben. Wenn Sie das gesagt haben, haben Sie völlig recht. Denn solange kaum eine Chance bestand, in den Ländern eine Koalition zwischen SPD und CDU einzugehen, wäre es natürlich für uns einfacher gewesen, diesen Antrag vorzulegen. Jetzt, wo Sie diese Koalition eingehen, ist es natürlich parteitaktisch falsch von uns, drei Länder zusammenlegen zu wollen; denn das könnte unsere Position schmälern. Sie haben also völlig recht: parteitaktische Gesichtspunkte haben bei uns überhaupt keine Rolle gespielt.
Allerdings hat es mich doch, na, ich kann eigentlich nicht sagen, überrascht, aber es hat deutlich gemacht, worum es geht, daß die erste Reaktion einen Tag, nachdem wir unseren Gesetzentwurf der Presse mitgeteilt hatten, diese war: 7 Stimmen CDU-Länder, 4 Stimmen SPD-Länder, unter diesem Gesichtspunkt müsse man die Frage prüfen. Wenn Sie die Frage, ob eine Zusammenfassung von Ländern möglich ist, nur unter dem Aspekt betrachten, wie es im Bundesrat aussieht, werden Sie natürlich dem Auftrag des Art. 29 des Grundgesetzes nicht gerecht, während unser Gesetzentwurf diesem Auftrag gerecht wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Klepsch?
Bitte sehr!
Herr Kollege Mischnick, sollte Ihnen bei diesen Überlegungen über parteitaktische Auswirkungen entgangen sein, daß
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7908 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
Dr. Klepschnach der gegenwärtigen Wählerstruktur die Freie Demokratische Partei in der Konstruktion, die Ihnen vorschwebt, die Rolle des Züngleins an der Waage zugeteilt erhielte?
Lieber Kollege Klepsch, wir haben niemals die Rolle des „Züngleins an der Waage" gespielt. Sie wissen, so wie ich Sie kenne, ja sehr genau, was das „Zünglein" für eine Aufgabe hat. Wir haben das schon oft erklärt, aber Sie wiederholen das Falsche immer wieder. Daß wir Gewichte setzen, isst klar. Das sehen Sie an unserem Antrag. Wir setzen da ein Gewicht. Sie wollen sich der Entscheidung entziehen, indem Sie behaupten, dass sei heute nicht nötig.
Meine Damen und Herren, eines ist natürlich merkwürdig. Im hessischen Bereich — hier muß Sie, Kollege Schmitt-Vockenhausen, ansprechen —, in Montabaur, in Rheinhessen, wird immer — zu Recht — davon gesprochen, daß auch hier das Rechtsempfinden verletzt sei, weil die Probleme nicht gelöst worden seien. Überhaupt meine ich, daß die Frage des Rechtsempfindens nicht von der Größe oder der Kleinheit eines Landes, eines Gebietes oder eines Bevölkerungsteils abhängig ist.
— Genau! Das kann doch nur heißen, daß diese Gebiete mit Hessen vereinigt werden sollten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie nicht so weit gedacht haben, daß man sich, wenn das tatsächlich geschähe, für das, was dann übrig bliebe, auch etwas überlegen müßte. Wenn sich dann herausstellt, daß das, was übrig bleibt, kein leistungsfähiges Land nach Art. 29 ist, ist doch die logische Konsequenz, wenn man es bis zum Ende durchdenkt — und das haben wir getan —, die, alle drei Länder zusammenfassen. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Wir haben es bis zu Ende gedacht.
Eine Zwischenfrage von Herrn Sanger.
Herr Kollege, beziehen Sie in Ihre grundsätzlichen Betrachtungen auch die Erwägungen in Norddeutschland ein?
Herr Kollege Sänger, wir haben selbstverständlich auch diese Überlegungen mit bedacht. Aber wenn Sie insbesondere an die Frage einer Verwaltungsvereinfachung denken, wenn Sie daran denken, daß wir leistungsfähige Gebilde schaffen wollen, werden Sie zugeben, daß das Problem Saargebiet und Rheinland-Pfalz ein etwas anderes Problem als z. B. das der Hansestädte ist. Das ist doch nicht zu leugnen. Wir haben heute leistungsfähige Hansestädte, wir haben nicht leistungsfähige Länder wie z. B. das Saarland und Rheinland-Pfalz.
Meine 'sehr verehrten Damen und Herren, es wäre hierzu noch einiges zu sagen. Wir haben vorhin in einer ausführlichen Debatte davon gesprochen, daß berechtigte Unruhe vorhanden ist. Vorgestern haben wir über die Fragen gesprochen, die mit der Bildungspolitik zusammenhängen. Hier sprechen wir über Fragen unseres Staatsaufbaus. Machen Sie es sich bitte nicht so einfach, von der Staatsautorität zu sprechen und da, wo es darum geht, sinnvolle Lösungen zu finden, die Dinge zu vertagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur einige wenige Sätze zu unserem badischen Problem. Viele meiner Kollegen haben mich in diesen Tagen gefragt: Ja, ist es denn möglich, daß in dieser Baden-Frage immer noch keine Ruhe eingetreten ist; hat die Zeit die Wunden nicht vernarben lassen, hat die Bevölkerung den Zusammenschluß nicht gutgeheißen? Die Entwicklung ist doch günstig, und die wirtschaftliche Struktur hat sich insbesondere in der Ara der Talsohle doch als recht vorteilhaft herausgestellt.
Meine Mamen und Herren, ich muß Ihnen sagen: wir dürfen dieses Problem nicht nur pragmatisch oder materiell sehen. Sicherlich wird die Entwicklung in unserem Lande günstig beurteilt. Aber eine beachtliche Zahl von Bürgern fordert nach wie vor die vom Verfassungsgericht verfügte Abstimmung. Die Bürger wollen zu dieser Frage noch einmal gehört werden. Diese Forderung wird von Anhängern und Gegnern des neuen Bundeslandes unterstützt. Die Bürger wollen auf dieses Recht nicht verzichten. Es kommt immer wieder zu Willenskundgebungen in dieser Sache, so beim Parteitag der CDU vor eineinhalb Jahren in Südbaden oder auf einer Versammlung in diesen Wochen in Waldkirch, wo trotz klirrender Kälte sehr viele Männer und Frauen gekommen waren, um diese Forderung zu unterstreichen. Mir ging vor einigen Tagen eine Unterschriftensammlung zu, in der einige hundert Bürger erneut auf dieses Problem hingewiesen haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Moersch?
Herr Kollege Burger, möchten Sie nicht so freundlich sein, dem Hohen Haus einmal den Widerspruch zwischen Ihrer Argumentation und der Erklärung des Herrn Ministerpräsidenten Filbinger, der gleichzeitig Ihr Parteivorsitzender ist, hier darzutun, eine Erklärung, die Sie sicher kennen und die vorher zu Protokoll gegeben worden ist.
Herr Moersch, ich habe mir nur vom Kollegen Kopf den Inhalt dieser Erklärung sagen lassen. Auch darin steckt der Wille des Herrn Ministerpräsidenten, daß es zu einer Abstimmung kommt. Als Ministerpräsident drückt er allerdings die Hoffnung und die Überzeugung aus, daß sich
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968 7909
Burgeran diesem Staat nichts ändern werde. Insoweit gibt es keinen Widerspruch.
— Meine Meinung — das wollen wir doch einmalder Abstimmung überlassen, Herr Kollege Moersch.
Als Ergebnis meiner Erfahrungen muß ich Ihnen sagen, daß eine große Zahl von verantwortungsbewußten Bürgern dieses Recht auf nochmalige Abstimmung unterstreicht und immer wieder vorträgt. Dabei verstehen es die Bauern, die Handwerker, aber auch die Beamten, die Lehrer, die Pfarrer in meinem Wahlkreis nicht, daß es in diesem Bundestag nicht möglich sein sollte, hier zu einer Lösung zu kommen, die dem Rechtsempfinden eines Teils der Bevölkerung entspricht — und zwar der politisch wachen Kräfte —, das in diesem Punkt wirklich stark gestört ist; es macht sich eine Verdrossenheit und eine Gleichgültigkeit gegenüber anderen politischen Fragen breit. Ich möchte auf diesen Umstand mit großem Ernst hinweisen. Dabei darf ich versichern, daß die Diskussion über diese Frage bei uns im Land nicht einschlafen wird; diese Frage wird keine Mumie.Die vorliegenden Entwürfe bieten die Chance einer Einigung und einer Lösung, wenn guter Wille hinsichtlich eines gegenseitigen Nachgebens vorhanden ist. Kollege Dr. Güde hat diese Konzeption vorgetragen; ich möchte sie unterstützen. Ich teile seine Auffassung. Es kann ein Weg gefunden werden, wie unser Land befriedet wird und wie dem Bürger der Glaube an das Recht wiedergegeben werden kann. Auch wenn dieser Weg vielleicht nicht bequem sein sollte, sollte man ihn mutig beschreiten.Meine Damen und Herren, ich möchte mit folgender Bemerkung schließen. Unsere Bundesrepublik, deren erstes Verfassungsziel die Wiedervereinigung ist — und dieses Ziel kann nur mit den Waffen des Rechts erkämpft werden —, sollte alle Rechtsprobleme — auch die kleineren Umfanges — in unserem Lande sehr ernst nehmen. Wir sollten alles tun, damit es uns diesmal im Rahmen der Großen Koalition gelingt, hier eine tragbare Lösung und einen gemeinsamen Weg zu finden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Herr Kollege Güde vorhin von dem verletzten Rechtsgefühl gesprochen hat und damit in Zusammenhang gebracht hat, daß das auch einer der Gründe für Studentenunruhen sei — —
— Ich habe mich so ausgedrückt, Herr Kollege Güde; Sie sprachen zuerst von dom verletzten Rechtsgefühl und von den Ursachen für die Studentenunruhen. Ich gebe Ihnen aber durchaus recht, daß verletztes Rechtsgefühl bei den Studenten sehr schwer wiegt, daß sie ein sehr gutes Gespür dafür haben, wenn das Recht verletzt ist. Nur daß Sie das ausgerechnet im Zusammenhang mit der Lösung der Baden-Frage gebracht haben, das habe ich nicht ganz als das Richtige empfunden.
Ich darf noch auf das zurückkommen, was Herr Kollege Süsterhenn gesagt hat. Herr Kollege Süsterhenn, Sie haben vollkommen richtig gesagt, daß damals Herr Busse, und zwar als Fraktionssprecher für die FDP, dafür eingetreten ist, daß eine Abstimmung erfolge. Herr Kollege Süsterhenn, ich darf Sie noch an folgendes erinnern. Sehen Sie, ich war damals im Rechtsausschuß, und diese Baden-Frage verfolgt mich ja schon aus meiner Zeit im Landtag von Baden-Württemberg, sogar noch vorher, von Württemberg-Baden her. Es ging mir immer darum, daß es tatsächlich konsolidierte, auch rechtlich konsolidierte Verhältnisse gibt. Ich kann mich aber sehr gut daran erinnern, Herr Kollege Süsterhenn, wie ich im Rechtsausschuß der vorigen Legislaturperiode von Vertretern der damaligen Landesregierung Baden-Württemberg — Ministerpräsident war der jetzige Bundeskanzler Kiesinger — und Ministerialbeamten immer wieder angesprochen wurde, als von seiten der Landesregierung die Vorschläge zur Änderung des Art. 118 vorgebracht wurden, und daß wir von der FDP sie im Rechtsausschuß voll unterstützt haben, daß aber eine zumindest außerordentlich starke Gruppe der CDU nicht dieser Auffassung war. Insofern war damals keine einheitliche Auffassung in der CDU vorhanden.
Gestatten Sie, Frau Abgeordnete, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Süsterhenn?
Ja.
Frau Abgeordnete, würden Sie so liebenswürdig sein, mir unter Berücksichtigung des alten Spruches „Hic Rhodus, hic salta" zu sagen, wie die FDP im Augenblick dem verletzten Rechtsgefühl der Badener Rechnung zu tragen gedenkt und inwiefern auch nur ein Tüpfelchen von Vorschrift in dieser Richtung in Ihrem Gesetzentwurf vorhanden ist?
Herr Kollege Süsterhenn, nachdem Sie ja die Rede des Herrn Kollegen Busse noch so gut in Erinnerung haben, kann ich Ihnen versichern: die Auffassungen der Freien Demokraten haben sich nicht geändert. Warum wir sie hier in zwei Anträgen gebracht haben, hat Herr Kollege Mischnick vollkommen klar und überzeugend dargelegt.
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7910 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
Frau Dr. Diemer-NicolausDen Anstoß dazu, damit sich etwas bewegt, hat die FDP gegeben. Wenn die Frage in der vorigen Legislaturperiode nicht so gelöst worden ist, wie es von den Freien Demokraten gewünscht wurde, so lag das doch daran, daß Ihr jetziger Koalitionspartner SPD sich dem versagt hat, weil sie die große Lösung wollte, obwohl sie genau wußte, daß es dazu überhaupt nicht kommen würde.
Sie kommen zwar im Augenblick mit ihren Anträgen. Ich glaube aber, daß nach den Wahlen in Baden-Württemberg von Ihrer Seite aus wieder Ruhe besteht, daß eben die Beratungen nicht fortgehen.Wir wollen mit unserem Antrag eine restlose Lösung zweier Fragen erreichen. Es handelt sich darum, zunächst einmal den ersten Schritt zu dem Auftrag des Grundgesetzes in Art. 29 zu tun. Das zweite ist, tatsächlich Lösungen herbeizuführen — wobei uns die Regierung die entsprechenden nicht leicht zu erarbeitenden Gesetzesvorschläge für die verschiedenen Landesgebiete in der Bundesrepublik unterbreiten soll —, wo gegebenenfalls neue Abstimmungen erfolgen müssen.Ich habe mich verpflichtet gefühlt, dies vorzutragen, damit die Haltung der FDP in der Vergangenheit und jetzt völlig klargestellt wird. Ich habe auch die Erklärung des Herrn Ministerpräsidenten Filbinger gelesen, in der, soweit er sich auf die früheren Beratungen zu Art. 118 bezieht, ganz klar zum Ausdruck kommt, daß es sich da um die Vergangenheit handelt. Wir Freien Demokraten haben von uns aus im Lande und im Bund alles getan, damit entsprechend dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch die notwendigen Abstimmungen erfolgen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hofmann .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sehr spät, und es ist sehr leer im Saal geworden. Aber eine Bemerkung des Kollegen Schmitt-Vockenhausen muß doch noch einmal ein bißchen aufgeklärt werden. Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, Sie meinten, ich hätte ja noch Gelegenheit, für das Land Rheinland-Pfalz die Fahne hochzuhalten. Ich glaube, hier sagen zu sollen: Das wollen wir gerade nicht, wir Rheinland-Pfälzer, sondern wir wollen bloß eines.
— Vielen Dank. Das wollen wir also gerade nicht, sondern wir wollen nur eines: Wenn gemäß Art. 29 neugegliedert wird, dann bitte auch alle anderen Länder zur Disposition stellen, auch alle anderen Grenzen, wie sich das nach dem Verfassungsbefehl gehört! Wir haben als Rheinland-Pfälzer keine Veranlassung, uns irgendwie schwachbrüstig oder hinterwäldlerisch zu fühlen oder irgendwie zu denken, wir wären nicht so gut wie die anderen, sondern
wir sind genauso stolz auf unser Land wie viele andere. auch. Sicherlich, es ist ein junges Land, aber ich glaube, wir haben keine Veranlassung, gegenüber anderen zurückzustehen.
Ich darf jetzt noch einen anderen Gesichtspunkt aufgreifen; denn das war nur eine Bemerkung auf Ihren Zwischenruf.
Es ist eigentlich bedauerlich, .daß wir die Neugliederungsfrage zu stark politisch und zuwenig rechtlich diskutiert haben; denn das, was die FDP mit ihrem Antrag eingebracht hat, scheint doch wohl in erster Linie eine Rechtsfrage zu sein, nämlich die Frage der Erfüllung des Auftrags des Art. 29. Sie, Herr Kollege Mischnik, und Sie, Herr Kollege Jung, haben von Anfang an von kleinen Lösungen und von „Start" gesprochen. Das ist eben gerade das Falsche für Art. 29. Art. 29 sieht eine Gesamtkonzeption vor. Nur aus zwingenden Gründen — so das Bundesverfassungsgericht — darf eine Detail- oder Vorwegregelung, eine Phasenregelung, durchgeführt werden. Im Moment ist kein zwingender Grund ersichtlich, weshalb nicht die Gesamtregelung gemäß Art. 29 hier auf den Tisch des Hauses gelegt werden sollte.
— Es ist kein Grund ersichtlich.
Sie haben schon durch Ihre weiteren Ausführungen und durch Ihren Zusatzantrag deutlich gemacht, wie sehr auch Sie das Problem der Teillösung oder Phasenlösung sehen. Sie haben nämlich die Bundesregierung aufgefordert, den Rest, das noch nicht Erledigte, noch auf die Tagesordnung zu setzen — Volksbegehren und Volksentscheid. Durch diesen Hinweis geben Sie zu, daß die Gesamtkonzeption keineswegs erfaßt ist. Durch Ihre Handlungsweise in diesem Hause haben Sie klar dokumentiert, daß der Verfassungsauftrag des Art. 29 durch Ihren Gesetzentwurf nicht erfüllt wird. Sie nennen Ihr Gesetz nicht einmal „Erstes Gesetz", sondern einfach „Neugliederungsgesetz". Das aber würde heißen, daß der Verfassungsauftrag dels Art. 29 durch dieses Gesetz voll erfüllt würde. Das ist jedoch durch Ihre weitere Handlungsweise konkludent widerlegt. Ich glaube, darin liegt die entscheidende Frage, die wir. in diesem Sachzusammenhang sehen müssen. Der Herr Bundesinnenminister hat das hier mit Recht gesehen und gesagt: Es kann dem Hohen Hause das nach Art. 29 nötige Gesetz nur auf Grund einer Gesamtkonzeption der Neugliederung vorgelegt werden.
Wenn das geschieht, haben wir Rheinland-Pfälzer — gestatten Sie mir am Schluß diese Bemerkung — gar nichts dagegen einzuwenden. Es begäbe sich dann, daß auch alle anderen Fragen unter modernen Gesichtspunkten und nicht nur nach wirtschaftlichen, sondern auch soziologischen und Raumplanungsgesichtspunkten überlegt würden. Dann aber wird der Gesetzentwurf, den Sie von der FDP vorgelegt haben, viel, viel schwieriger. Deshalb sind die vielen Einwendungen, die hier gemacht worden sind, auch begründet.
Als vorletzter Redner hat der Abgeordnete Dr. Kopf das Wort.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968 7911
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In seinen ersten vier Wahlperioden hat sich das Hohe Haus Hunderte von Stunden lang in seinen Ausschüssen und im Plenum mit den Versuchen befaßt, ein brauchbares Neugliederungsgesetz zu schaffen, das die vom Bundesverfassungsgericht vorgesehene Abstimmung, den Volksentscheid im Lande Baden, ermöglicht. Diese Bemühungen haben keinen Erfolg gehabt. Am Ende der Bemühungen standen allerdings zwei Gesetzentwürfe, die jetzt von der SPD-Fraktion und von der CDU/CSU-Fraktion wieder eingereicht worden sind und ihre Wiederauferstehung gefeiert haben.
Diese jahrelangen Bemühungen haben immerhin drei Wahrheiten offengelegt, Wahrheiten, die so einfach sind, daß man sie beinahe als Binsenwahrheiten oder als Gemeinplätze bezeichnen könnte und die trotzdem ausgesprochen werden müssen.
Die erste Wahrheit ist die, 'daß die geltenden Bestimmungen unseres Grundgesetzes für eine sinnvolle Neugliederung und ihre technische Durchführung nicht ausreichend und nicht praktikabel sind. Warum sind sie nicht praktikabel? Man kann das auf zwei Formeln reduzieren. Sie sind einmal deshalb nicht praktikabel, weil in den Fällen, in denen vom Grundgesetz Volksbegehren vorgesehen sind und Volksbegehren durchgeführt" worden sind, diesen Volksbegehren jede konstitutive Wirkung, jede bestimmende, ja sogar jede mitbestimmende Wirkung versagt geblieben ist. Das heißt mit anderen Worten: Ein Volksbegehren kann für die Antragsteller noch so erfolgreich ausgehen, die Bundesregierung ist nicht daran gebunden, das Ergebnis des Volksbegehrens irgendwie bei ihrem Gesetzentwurf zu berücksichtigen.
Der zweite Mangel der bisherigen Regelung hat darin bestanden, daß eine sogenannte alternative Fragestellung nicht möglich war. Die Bürger hatten gar nicht die Wahl zwischen zwei Lösungen, die ihnen angeboten worden sind, sondern die Bundesregierung mußte in das von ihr zu erarbeitende Gesetz eine bestimmte Lösung, die ihr richtig schien, hineinschreiben, und nur über diese Lösung sollte abgestimmt werden. Das ist die eine Wahrheit: die Unpraktikabilität der bisherigen gesetzlichen Regelung.
Die zweite Wahrheit ist sehr offenkundig. Die Volksentscheide müssen 'in all ,den Fällen stattfinden, in denen Volksbegehren erfolgreich waren. Das steht in Art. 29 Abs. 3 des Grundgesetzes. Das ist unbestreitbar, und ,es bedarf keines weiteren Wortes dazu.
Die dritte Wahrheit ist die: Weil die Volksentscheide in diesen Fällen stattfinden müssen und weil die jetzigen Regelungen des Art. 29, auch des Art. 118 aber unpraktikabel sind, müssen praktikable Formulierungen gefunden werden. Das ist nur möglich durch eine Grundgesetzänderung, und für die Grundgesetzänderung bieten sich die beiden Vorschläge an, .die nun erneut von ,den beiden Fraktionen eingereicht worden sind.
Ich möchte nun nicht zu den einzelnen Vorschlägen Stellung nehmen. Ich bin allerdings der Meinung, die auch vom Herrn Bundesinnenminister und vom Sprecher .der SPD-Fraktion geteilt worden ist, .daß die Abstimmung im Gebietsteil Baden des Landes Baden-Württemberg vordringlich ist. Das hat niemand bestritten. Auch die Antragsteller des SPD-Antrages haben das immer zugegeben. Ich glaube also, das muß man bei jeder Regelung berücksichtigen.
Im übrigen bin ich aber auch etwas zuversichtlich in bezug auf zahlreiche andere Abstimmungsfälle. Ich bin deshalb zuversichtlich, weil Länder, die seit 18 Jahren bestehen, die Möglichkeit gehabt haben, die Integration der ihnen zugewachsenen Bevölkerung zu erreichen oder zu ermöglichen, und weil daher diesen Ländern durchaus eine Belastungs- und Bewährungsprobe durch einen Volksentscheid zugemutet werden kann. Die zuständigen Ausschüsse müssen sich entscheiden, welche der beiden angebotenen Lösungen sie wählen wollen. Ich beschränke mich darauf, zu sagen: eine Abstimmung in Baden ist notwendig und vordringlich. Wie immer aber auch die Entscheidung der Ausschüsse aussehen mag, es muß dem Sinne und dem Wortlaut unseres Grundgesetzes Rechnung getragen und es muß eine rechtsstaatliche Pflicht erfüllt werden, die mit vollem Recht in Art. 29 verankert worden ist. Den Abstimmungsberechtigten der Volksbegehren muß bald die Möglichkeit eines Volksentscheids eröffnet werden.
Als letzter Redner hat Herr Abgeordneter Moersch das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja doch etwas verwunderlich, zu sehen, wie hier innerhalb der Koalition die Meinungen über das, was vordringlich ist, auseindergehen. Wenn Sie sich so einig wären, wie Sie das gelegentlich behaupten, hätten Sie ja alles entscheiden können, was in dieser Frage zu entscheiden ist. In Wahrheit ist es so, daß Sie durch unseren Antrag in eine unangenehme Lage gebracht worden sind.
— Herr Dr. Hauser, Sie nicht, sicherlich nicht.
— Bei Ihrem verminderten Selbstbewußtsein, Herr Schmitt-Vockenhausen, mag ein solcher Zuruf erklärlich sein.Herr Dr. Hofmann, es geht in Wahrheit darum, daß Sie sich hier mit juristischen Behauptungen vor der politischen Entscheidung drücken wollen. Es stimmt ganz einfach nicht, wenn Sie sagen, es sei rechtlich nicht in Ordnung, daß man diesen Teil der Neugliederung in einem Gesetz vorlege, daß man vielmehr alles auf einmal machen müsse. Man kann sehr wohl, wenn man den Willen dazu hat, unseren Vorschlag durchführen, ohne irgendeine Grundgesetzvorschrift auch nur im mindesten zu verletzen.
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7912 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968
MoerschDie Behauptung, Sie seien selbstverständlich dafür, aber Sie möchten natürlich alles gleich auf einmal tun, ist in Wahrheit nichts anderes als eine Schutzbehauptung, hinter der Sie sich in die politische Immobilität zurückziehen wollen.
Eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Hofmann.
Herr Kollege Moersch, kennen Sie nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im 5. Band, Seite 39? Ich würde Ihnen jetzt gerne wörtlich das zitieren — ich habe es hier aufgeschrieben —, was ich gesagt habe. Es würde aber zu lange dauern. Lesen Sie es bitte nach! Ich will nur einen einzigen Satz zitieren: Soweit das aus einem zwingenden Grund nicht geschehen kann, ist die in Art. 29 Abs. 2 bis 6 gemeinte umfassende Aufgabe in Teilregelungen und technisch in einer Mehrzahl von Gesetzen zu bewältigen. Also nur dann, wenn ein zwingender Grund vorliegt!
Das ist der Unterschied zwischen Ihrer Begründung und unserer in der politischen Perspektive. Wir halten es für einen zwingenden Grund, schon jetzt eine Teilregelung vorzunehmen, solange die Wiedervereinigung Deutschlands nicht eine Gesamtregelung im Sinne des Art. 29 ermöglicht.
Das ist nämlich der Sinn dieses Artikels; darauf hat er Bedacht genommen. Wir haben .die Gutachten eingeholt, die notwendig sind, um diese Fragen zu klären. Wir waren auch damals schon an der Luther-Kommission beteiligt. Sie mögen sich vielleicht noch daran erinnern. Das eine Gespräch hat sogar in der Staatskanzlei in Mainz stattgefunden. Dabei war klargestellt worden, daß die von uns heute vorgelegte Lösung auch damals schon als Alternative möglich war und von der Luther-Kommission befürwortet worden war. Nur soviel dazu.
Daß Sie in einer schwierigen Lage sind, Herr Dr. Hofmann, da Sie aus einem Regierungsbezirk kommen, ,der sich mehrheitlich in einem Volksbegehren für die Vereinigung mit Hessen entschieden hat, der eine qualifizierte Entscheidung des Volksbegehrens hervorgebracht hat, und daß Sie gleichzeitig als Politiker der CDU natürlich das Land Rheinland-Pfalz erhalten möchten, dafür habe ich Verständnis. Aber Sie sollten dann auch ehrlich sagen, daß hier politische Motive eine Rolle spielen und nicht das, was Sie uns hier an juristischen Dingen vorgetragen haben.
Noch eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Hofmann.
Ist Ihnen entgangen, daß ich gesagt habe, daß wir gerade als Rheinland-Pfälzer genauso bereit sind, die Grenzen zur Disposition zu stellen, wenn der Art. 29 für alle angewandt wird? Ich glaube, das war eine klare Aussage und hat mit Rheinhessen gar nichts zu tun.
Das ist natürlich ein Kanzleitrost für die Zukunft, mit dem Sie praktisch nicht viel anfangen können.
Ich will Sie noch auf einen Punkt hinweisen, um Ihnen zu zeigen, daß Ihre Argumentation und die Ihrer Freunde zwiespältig ist. Von der gleichen Seite, die jetzt behauptet, man könne diese Lösung in Saarland, Rheinland-Pfalz und Hessen nicht herbeiführen, wird seit Monaten versucht, eine Rundfunkneuordnung in diesem Gebiet zu erzielen, auf Grund derer für diese drei Länder eine Zusammenfassung in nur eine einzige Rundfunkanstalt erfolgen soll. Diesen Widerspruch müssen Sie erst einmal aufklären! Den müßte insbesondere Herr Schmitt-Vockenhausen, was gerade .'die landsmannschaftliche Seite betrifft, auch einmal aufklären. Erst nach der Aufklärung dieser Widersprüche können wir Ihnen glauben, daß Sie nicht hinter juristischen Floskeln Ihre politische Immobilität verbergen möchten.
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Beratungen.Wir kommen zu den Überweisungsvorschlägen des Ältestenrates. Wird auf getrennter Abstimmung zur Überweisung bestanden?
— Dann frage ich, ob das Haus mit dem Vorschlag zu Tagesordnungspunkt 6 a — Neugliederungsentwurf der FDP — einverstanden ist. Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates lautet: Innenausschuß federführend, Rechtsausschuß mitberatend. Wer für diese Überweisung ist, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Es ist entsprechend dem Überweisungsvorschlag beschlossen.Punkt 6 b, Änderung des Grundgesetzes, Gesetzentwurf der Fraktion der SPD. Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß federführend, Innenausschuß mitberatend. Wer dafür ist, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig beschlossen.Punkt 6 c, Antrag der Fraktion der FDP betr. Volksbegehren. Der Vorschlag des Ältestenrates lautet wieder: Innenausschuß federführend, Rechtsausschuß mitberatend. — Widerspruch? — Gegen einige Stimmen so beschlossen.Punkt 6 d, Antrag der Fraktion der CDU/CSU, Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung des Artikels 118 des Grundgesetzes. Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß federführend, Innenausschuß mitberatend. — Kein Widerspruch dagegen; dann ist so beschlossen.
— Zur Tagesordnung; bitte sehr, Herr Abgeordneter Schmidt .
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Februar 1968 7913
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da nach den heutigen Absprachen keine Möglichkeit besteht, die folgenden Tagesordnungspunkte zu diskutieren, wir aber an der Diskussion über Punkt 8 interessiert sind, beantrage ich im Namen meiner Freunde die Absetzung des Punktes 8 und die Wiederaufsetzung auf die Tagesordnung der nächsten Woche.
Ich wollte genau diesen Vorschlag machen, daß wir die beiden Punkte 7 und 8 heute absetzen und auf die Tagesordnung der nächsten Sitzungswoche nehmen.
Damit sind wir am Ende der heutigen Sitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Dienstag, den 13. Februar, 14.30 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.