Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung.
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem
1. Juli 1957 die Kleine Anfrage 344 der Abgeordneten Haasler, Paul, Schütz, Dr. Dr. h. c. Pünder, Dr. Mommer, Dr. Leverkuehn, Dr. Reif und Genossen betreffend Flüchtlingsfonds der UNO beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3725 verteilt.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem
2. und 3. Juli 1957 die Verträge vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft in französischer, italienischer und niederländischer Sprache übersandt sowie einige formelle Berichtigungen dazu. Seine Schreiben werden als zweiter und dritter Nachtrag zu Drucksache 3440 verteilt.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 2. Juli 1957 gemäß § 20 Abs. 5 des Milch- und Fettgesetzes in der Fassung vom 10. Dezember 1952 die Verordnung M Nr. 2/57 über Milchauszahlungspreise übersandt. Sein Schreiben liegt im Archiv zur Einsichtnahme auf.
Vor Eintritt in die Tagesordnung erhält das Wort der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, in die Tagesordnung den neu eingebrachten Antrag auf Einfügung eines Art. 135 a in das Grundgesetz, Drucksache 3727, aufzunehmen. Ich schlage vor, daß wir die Abstimmung um 10.30 Uhr durchführen, also die Beratung über den dann gerade anstehenden Gegenstand
unterbrechen. Falls, weil die Drucksache erst heute ausgedruckt worden ist, Einspruch gegen diesen Vorschlag erhoben wird, bitten wir, darüber gleich abstimmen zu lassen; denn dieser Einspruch kann ja nach unserer Geschäftsordnung mit Zweidrittelmehrheit überstimmt werden.
Für die Reihenfolge der Tagesordnung schlage ich folgendes vor. Punkt 1: Beratung der Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft, Punkt 27 der gedruckten Tagesordnung; Punkt 2: Zweite und dritte Beratung des Gesetzes über die Militärseelsorge, Punkt 25 der gedruckten Tagesordnung; Punkt 3: Zweite und dritte Beratung des Gesetzes über die Berufsausübung im Handel, Punkt 6 der gedruckten Tagesordnung; Punkt 4: Zolltarifgesetz, Fünftes Zolländerungsgesetz und Ausfuhrzolliste, Punkt 21 a, b und c der gedruckten Tagesordnung; Punkt 5: Zweite und dritte Beratung des Gesetzes über die Einbringung der Steinkohlenbergwerke im Saarland in eine Aktiengesellschaft, Punkt 14 der gedruckten Tagesordnung.
Als Punkt 6 bitten wir zusätzlich auf die Tagesordnung aufzunehmen den Antrag auf Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Neugliederung des Landes Baden-Württemberg, Drucksache 3709. Hier ist eine interfraktionelle Verständigung dahingehend erfolgt, daß dieser Antrag ohne Aussprache an die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden soll. Punkt 7: Kriegsfolgengesetz, Punkt 15 der gedruckten Tagesordnung, und Punkt 8: Krankenversicherungsgesetz Berlin, Drucksache 3720; auch dieser Tagesordnungspunkt müßte zusätzlich aufgenommen werden. Hier ist vereinbart worden, daß von der Möglichkeit der Fristeinrede nicht Gebrauch gemacht wird. Die Drucksache ist ausgedruckt; sie ist nur noch nicht auf den Tischen des Hauses, weil der Punkt noch nicht in die Tagesordnung aufgenommen worden ist.
Wird zu diesem Antrag das Wort gewünscht? — Ich möchte die verschiedenen Anträge der Reihe nach diskutieren lassen.
Das Wort hat Herr Dr. Kather.
Aus den Ausführungen des Herrn Rasner ging nicht hervor, ob die Vorlage zur Verfassungsänderung, die wir gestern abgelehnt haben und die heute neu eingebracht worden ist, heute in allen drei Lesungen beraten werden soll.
Meines Wissens kann die Frist zwischen der ersten und zweiten Lesung, die in der Geschäftsordnung bestimmt ist, durch Mehrheitsbeschluß aufgehoben werden. Aber die dritte Lesung kann gemäß § 93 Abs. 2 nicht auf die heutige Tagesordnung gesetzt werden, wenn fünf Mitglieder widersprechen. Diesen Widerspruch erhebe ich hiermit namens der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE.
Das Wort zur Tagesordnung hat der Abgeordnete Maier .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Rücksprache und im Einverständnis mit allen Fraktionen des Hauses beantrage ich, noch die zweite und dritte Lesung des Evakuiertengesetzes, die Drucksache 3667, auf die Tagesordnung zu setzen. Das Gesetz ist im Ausschuß einstimmig verabschiedet worden; es wird auf Aussprache und Berichterstattung verzichtet, so daß keine besondere Belastung für die weitere Arbeit entstehen wird. Für den Kreis der Betroffenen aber würde es immerhin einen ersten Schritt zur Besserung der Lage bedeuten.
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider .
Schneider (DP [FVP]): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktionen der Deutschen Partei (Freie Volkspartei) beantrage ich, den von uns vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes — Nutzung der Kernenergie — auf die heutige Tagesordnung zu setzen. Zur Begründung darf ich folgendes ausführen.
Die DP -Fraktion hat in der Bundestagssitzung vom Dienstag, als die Grundgesetzergänzung nach Artikel 74 Nr. 11 a durch die völlig überraschende Stimmenthaltung von 44 Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion zu Fall gebracht wurde, durch ihren Sprecher, Abgeordneten Euler, den Vorsitzenden des Atomausschusses, erklären lassen, daß sie mit sämtlichen anwesenden Abgeordneten für die interfraktionell vereinbarte Ergänzung des Grundgesetzes gestimmt hat. Abgeordneter Euler hat dann entsprechend seiner Erklärung im Auftrag der Fraktion und als Vorsitzender des Atomausschusses den Versuch gemacht, durch Verhandlungen mit allen Fraktionen eine Regelung zu finden, die noch zur Verabschiedung des Atomgesetzes hätte führen können. Nachdem sich trotz aller Bemühungen herausgestellt hat, daß auf der Grundlage seiner Vorschläge eine Einigung unter allen Fraktionen nicht zu erzielen ist, hat sich die Fraktion der Deutschen Partei (Freie Volkspartei) entschlossen, den ursprünglichen interfraktionell vereinbarten Grundgesetzergänzungsantrag erneut einzubringen. Sie geht dabei von der Erwägung aus, daß die 44 Abgeordneten der CDU/ CSU, die Stimmenthaltung geübt haben, einem Rechtsirrtum zum Opfer gefallen sind, der sie zu falschen politischen Schlußfolgerungen geführt hat. Die von den zuständigen Ausschüssen einmütig beschlossene Grundgesetzergänzung zur Begründung der Bundeszuständigkeit für die friedliche Verwendung der Kernenergie ist in keiner Weise geeignet, die Wehrhoheit des Bundes und die internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik zu beeinträchtigen. In der Annahme der vorgeschlagenen Grundgesetzergänzung kann weder eine Vorleistung an die Sowjets noch eine Vorwegnahme von Entscheidungen erblickt werden, die frühestens im Jahre 1960 getroffen werden könnten. Gerade weil die Fraktion der Deutschen Partei (Freie Volkspartei) zu den Erklärungen der Regierung und der Koalitionsparteien in der Atomdebatte am 10. Mai 1957 steht, hält sie sich für verpflichtet, einer Beunruhigung der Bevölkerung der Bundesrepublik entgegenzuwirken, wie sie durch die fehlerhafte Entscheidung der 44 CDU/CSU-Abgeordneten hervorgerufen worden ist.
Darüber hinaus möchte die Fraktion der Deutschen Partei nicht auf diesen letzten Versuch verzichten, doch noch eine Verabschiedung des Atomgesetzes zu erreichen, damit eine verhängnisvolle Rechtszersplitterung durch voneinander abweichende Ländergesetze vermieden wird.
Wir bitten Sie aus den angeführten Gründen um Zustimmung zu unserem Antrag.
Das Wort zur Tagesordnung hat Frau Abgeordnete Strobel.
Meine Damen und Herren, wir beantragen, auf die heutige Tagesordnung noch das Lebensmittelgesetz, Drucksache 3613, zu setzen.
Dieses Gesetz ist vor mehr als Jahresfrist durch einen gemeinsamen Antrag aller weiblichen Abgeordneten dieses Hauses gefordert worden. Sie, meine Herren und Damen, haben damals diesen Antrag einstimmig angenommen. Das Gesetz hat in der Öffentlichkeit eine ungeheure Resonanz gefunden. Weite Kreise der Verbraucher, der Hausfrauen, der Wissenschaft, der Ärzte warten auf dieses Gesetz, weil zur Erhaltung der Gesundheit unserer Bevölkerung es dringend notwendig ist, die Kontrolle über die verwendeten Fremdstoffe zu bekommen. Dieses Gesetz stand bis zum Freitag auf der Tagesordnung und ist leider im Druck dieser Woche untergegangen. In dieser Woche ist viel Zeit für wesentlich weniger wichtige Dinge vertan worden.
— Meine Damen und Herren, Sie haben sich vorige Woche Zeit genommen, z. B. das Ordensgesetz zu verabschieden!
Wollen Sie sich heute weigern, ein so wichtiges Gesetz wie .das Lebensmittelgesetz, das zum Schutz unserer Kinder und aller Verbraucher notwendig ist, noch zu behandeln? Dieses Gesetz liegt seit dem 18. Juni fertig dem Deutschen Bundestag vor. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Ich appelliere an Sie alle, sich diesem Wunsch nicht zu verschließen.
Das Wort zur Tagesordnung hat der Abgeordnete Dr. Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE stelle ich den Antrag, den Schriftlichen Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten Drucksache 3655 auf die heutige Tagesordnung zu setzen und ihn nach der Verabschiedung der Verträge zu behandeln. Der Bericht bezieht sich auf ,den Antrag meiner Fraktion Drucksache 2406 betreffend den Rechtsanspruch auf die deutschen Vertreibungsgebiete.
Ich begründe den Antrag wie folgt: Der Ältestenrat hat es abgelehnt, diesen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, obwohl die technischen und sachlichen Voraussetzungen für eine Beratung gegeben sind. Die Drucksache ist bereits seit einigen Tagen in unserem Besitz. Es ist nicht einzusehen, weshalb dieser Antrag nicht mehr verabschiedet werden soll. Es kommt hinzu, daß der Schriftliche Bericht des Ausschusses unsere Zustimmung, also die Zustimmung der Antragsteller, nicht gefunden hat, weil unsere Anträge in der Ausschußberatung abgelehnt worden sind.
Es geht dabei in der Hauptsache um die Frage, ob die Bundesregierung im Recht ist und ob sie zweckmäßig handelt, wenn sie die künftige gesamtdeutsche Regierung für die Friedensverhandlungen auf eine bestimmte Jahreszahl, auf die Grenzen von 1937 also, festlegen will. Man war im Ältestenrat und im Ausschuß damit einverstanden, die Sache zu verabschieden, wenn eine Diskussion vermieden würde. Hier und jetzt ist von Ihnen über die Frage zu entscheiden, ob diese Angelegenheit nicht doch von solcher Bedeutung und Tragweite ist, daß sie unbedingt noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden muß.
Ich muß .diesem Zusammenhang wiederholen, was ich bereits am 29. Juni 1956 bei der ersten Lesung ausgeführt habe. Es war das erstemal in der Geschichte des Bundestags, daß eines der wichtigsten Anliegen des deutschen Volkes, nämlich das Schicksal der deutschen Vertreibungsgebiete, im Parlament eingehend diskutiert werden sollte.
Die Diskussion vom 29. Juni 1956 hat sich unter Umständen abgespielt, die als höchst unbefriedigend zu bezeichnen sind. Die Bundesregierung hat zu unserem Antrag keine Erklärung abgegeben. Die sozialdemokratische Opposition hat sich an der Diskussion nicht beteiligt. Um so mehr ist es notwendig, daß wir heute darüber diskutieren, damit sich der Deutsche Bundestag nicht mit dem Odium belastet, daß er in acht Jahren nicht die Zeit gefunden hat, dieses Problem mit der gebotenen Gründlichkeit auch nur ein einziges Mal zu behandeln.
Mir ist bekannt, daß bei den großen Parteien die Besorgnis geäußert worden ist, die Betonung dieses Rechtsanspruchs könne die Wiedervereinigung im engeren Sinn gefährden.
Ich muß feststellen, daß diese Besorgnis hier in diesem Hause schon bei mancher Beratung und manchem Gesetz geäußert wurde, gleichwohl sind diese Äußerungen der Besorgnis nicht beachtet worden. Unserer Meinung nach sind es andere Dinge, die die Wiedervereinigung nicht vorankommen lassen. Wenn die Auffassung der Vertriebenen, daß die Wiedervereinigung niemals durch Verzicht auf die deutschen Vertreibungsgebiete erkauft werden darf, die allgemeine Auffassung der Bundesregierung und der Parteien ist, kann es doch nur von heilsamer Wirkung sein, wenn dieser Standpunkt auch mit aller Offenheit herausgestellt wird und man dadurch allen Beteiligten darüber Aufschluß gibt, welches in Wahrheit der Ausgangspunkt für künftige Verhandlungen ist.
Wir stehen auf dem Standpunkt, dieser Rechtsanspruch ist so eindeutig rund so unbestreitbar, daß es keine Gelegenheit geben kann, bei der ein deutscher Staatsmann und Politiker sich nicht offen zu ihm bekennen kann und muß, und das hat auch für den Deutschen Bundestag Geltung.
Ich bitte Sie, ,diesem Antrag stattzugeben.
Das Wort zur Tagesordnung hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich schlage vor, daß wir, da die Punkte „Beratung der Verträge" und „Beratung des Vertrags über die Militärseelsorge" unstrittig im ganzen Hause sind, zunächst einmal diese beiden Punkte behandeln. Weiter schlage ich vor, daß in der Zwischenzeit eine Sitzung des Ältestenrates stattfindet, in der wir noch einmal mit den Fraktionen die Reihenfolge der Punkte der heutigen Tagesordnung zu klären versuchen.
Eine Bemerkung zum Antrag des Kollegen Kather auf Drucksache 3655! Herr Kollege Kather, Ihre Fraktion hat im Ältestenrat erklärt, daß sie von sich aus wünsche, vor der Plenarberatung eine interfraktionelle Besprechung über diese Frage abzuhalten. Wir haben auf Ihre Einladung zu dieser interfraktionellen Besprechung gewartet. Alle Fraktionen hatten sich mit einer solchen interfraktionellen Besprechung einverstanden erklärt. Ich möchte unserer Verwunderung darüber Ausdruck geben, daß jetzt dieser Punkt nach Ihrem Vorschlag auf die Tagesordnung gesetzt werden soll, ohne daß diese von Ihnen angeregte interfraktionelle Besprechung stattgefunden hat.
Zum Antrag der Fraktion der DP auf Neuaufnahme der Ergänzung des Grundgesetzes möchte ich folgendes sagen: Die Besorgnisse und Bedenken unserer Fraktion haben sich, nachdem die sozialdemokratische Fraktion eine gemeinsame Interpretation der Zielsetzung dieses Gesetzes verweigert hat, nur noch verstärkt. Wir behalten uns unsere Stellungnahme zu Ihrem Antrag vor. Im Augenblick und vor einer Fraktionsberatung können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.
Das Wort zur Tagesordnung hat der Abgeordnete Schneider .
Schneider (DP [FVP]): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ausführungen des Kollegen Rasner vernommen. Wir sehen den Dingen mit Gelassenheit entgegen.
Im übrigen beantrage ich darüber hinaus, wenn nicht für die heutige Tagesordnung, dann als Punkt 1 für die morgige Tagesordnung, den Gesetzentwurf über den Ausbauplan für die Bundesfernstraßen — Drucksache 3234 — auf die Tagesordnung zu setzen.
Also präziser Antrag: heute auf die Tagesordnung; als Eventualantrag: Punkt 1 der morgigen Tagesordnung.
Das Wort zur Tagesordnung hat der Abgeordnete Neumann .
Herr Abgeordneter Rasner hat die Forderung aufgestellt, als Punkt 8 die Drucksache 3720 zu beraten. Ich habe mich bemüht, in der uns heute vorliegenden roten Mappe diese Drucksache zu finden.
In unseren Vorlagen ist eine kleine Notiz: „Diese Mappe enthält nur die Drucksachen für den heutigen Sitzungstag." Bis gestern abend 21 Uhr habe ich mein Fach geleert, Herr Kollege Horn, und habe auch dort die Drucksache 3720 nicht gefunden.
Ich bin heute morgen — das gebe ich zu — noch nicht dort gewesen, um die Drucksachen abzuholen.
Ich nehme an, daß es sich bei der Drucksache 3720 um den Entwurf des Gesetzes zur Einführung der Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Sozialversicherung und der Krankenversicherung in Berlin handelt. Sie geben sicherlich zu, daß man auch diese Drucksache mit der notwendigen Sorgfalt behandeln muß. Ich bin mit meinen Berliner Freunden nicht in der Lage, einer Beratung zuzustimmen, ohne daß wir die Drucksache gesehen haben. Ich widerspreche daher aus geschäftsordnungsmäßigen Gründen diesem Antrag des Herrn Kollegen Rasner.
Herr Präsident, darf ich im Rahmen der Geschäftsordnungsdebatte gleich noch folgendes sagen. Am Tor VIII stehen zwei Schulklassen von Oberschülern, die seit drei bis vier Stunden unterwegs sind, um den Beratungen des Bundestages zuhören zu können. Da sie auf Grund der Wetterlage keine Regenmäntel und keine Röcke mitgenommen haben, sondern nur in Oberhemden erschienen sind, werden sie nicht in das Haus gelassen. Ich bitte den Herrn Präsidenten, mit Rücksicht auf die Wetterlage auch den Jugendlichen zu gestatten, obwohl sie nur in Oberhemden sind, an unseren Beratungen teilzunehmen.
Ich kann das Haus beruhigen; die Erlaubnis ist schon erteilt.
Das Wort hat der Abgeordnete Becker . — Zur Tagesordnung?
Meine Damen und Herren! Ich möchte feststellen, daß wir von der FDP uns an diesem Wettlauf, die Tagesordnung zu bereichern, heute nicht beteiligt haben.
Gestatten Sie mir aber folgende 'Bemerkung zu den Anträgen, die 'hier gestellt worden sind.
Nehmen Sie z. B. das Lebensmittelgesetz! Wir hatten im Ältestenrat schon vor einiger Zeit beantragt, es auf die Tagesordnung zu setzen. Die anderen Fraktionen konnten sich nicht dazu entschließen. Wäre das geschehen, hätte man die Dinge in Ruhe erledigen können. So kommt der Antrag heute auf die Tagesordnung. Bei diesem .ebenso wie bei allen anderen Punkten, die hier vorgeschlagen worden sind, bedrückt uns eine Sorge, die ich Ihnen jetzt vorzutragen habe.
Ich meine die Tatsache, daß wir hier Gesetze in einem Tempo beschließen, in .dem es bei einer zwölfstündigen Sitzungsdauer Tag für Tag kaum möglich ist, ,daß jeder Abgeordnete jeden Bericht liest. Einmal Hand aufs Herz, hat jeder von Ihnen jeden Bericht aus dieser Woche lesen können?!
— Gut! Ich protestiere also — zur Sicherung einer anständigen und vernünftigen Gesetzgebung — gegen diese überhastete Art, Gesetze zu machen.
Schließlich: Die Liga für Menschenrechte sollte sich ,darum kümmern, daß wir bei dieser tropischen Hitze min nicht mit überladenen Tagesordnungen gefüttert werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Neumann hat der Beratung der Gesetzesvorlage über die Rechtsangleichung Berlins in Sachen Krankenversicherung widersprochen. Wir können nur unserer Verwunderung über diesen Einspruch Ausdruck geben. Die CDU/CSU-Fraktion hat der Rücküberweisung an den Ausschuß nur zugestimmt, nachdem sich die sozialdemokratische Fraktion im Ältestenrat damit einverstanden erklärt hatte und zugesichert hatte, keine Fristeinrede vorzubringen. Die Drucksache liegt in unseren Fächern;
diejenigen, die das Fach heute morgen schon geleert haben, haben sie in Händen. Die Fristeinrede des Herrn Neumann widerspricht der getroffenen Abmachung.
Ich muß deshalb namens meiner Freunde auf dem Antrag bestehen, das Haus möge diesen Punkt auf die heutige Tagesordnung setzen und ihn heute erledigen.
Das Wort zur Tagesordnung hat der Abgeordnete Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Fraktion möchte ich zunächst zu denjenigen Tagesordnungspunkten Stellung nehmen, deren Aufnahme in die heutige Tagesordnung beantragt worden ist.
Da ist zunächst der Antrag des Abgeordneten Maier hinsichtlich des Evakuiertengesetzes. Soviel ich weiß, ist es im Ausschuß einstimmig beschlossen worden. Wir sind damit einverstanden, daß es auf die Tagesordnung kommt.
Zweitens. Vom Sprecher der DP ist beantragt worden, die Grundgesetzänderung anläßlich des Atomgesetzes auf die Tagesordnung zu setzen. Die Drucksache ist mir noch nicht bekannt. Falls es sich um den gleichen Wortlaut handelt wie bei der 'Grundgesetzänderung, die wir neulich — leider vergeblich — versucht haben zu verabschieden, sind wir damit einverstanden, daß dieser Punkt auf die heutige Tagesordnung gesetzt wird.
Der von Frau Kollegin Strobel gestellte Antrag, das Lebensmittelgesetz auf die Tagesordnung zu setzen, findet unsere Zustimmung.
Zu dem Antrag des GB/BHE, auf die heutige Tagesordnung — ob das alles heute behandelt werden kann, wird sich erst später ergeben — den Ausschußbericht über den Rechtsanspruch auf die Ostgebiete zu setzen, möchte ich folgendes vorschlagen. Ich schließe mich dem vom GB/BHE selber in der letzten Ältestenratssitzung gemachten Vorschlag an, zur Behandlung dieses Antrages zu einer Sitzung der Vorsitzenden der Fraktionen einzuladen. Wir meinen, daß sich dabei auch eine Verständigung über die Behandlung dieses Berichts im Plenum wird erzielen lassen.
Schließlich ist noch beantragt worden, das Gesetz zur Einführung der Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Sozialversicherung im Lande Berlin — Drucksache 3720 — auf die Tagesordnung zu setzen. Hier 'ist offensichtlich bei den Rednern heute ein Mißverständnis entstanden, das vermeidbar gewesen wäre. Es trifft zu, meine Damen und Herren, daß wir uns neulich — ich ,glaube, es war am Dienstag — interfraktionell, und zwar mit Zustimmung des Plenums, dahin verständigt hatten, daß der bereits vom Sozialpolitischen Ausschuß vorgelegte Bericht noch einmal in den Sozialpolitischen Ausschuß zurückgehen solle und wir bei Vorlage des Berichts auf die Fristeinrede verzichten würden. Es ist selbstverständlich, daß die sozialdemokratische Fraktion sich an diese Zusage hält. Denn sonst wäre damals diese Verständigung nicht zustande gekommen.
Davon aber zu unterscheiden ist, meine Damen und Herren, daß wir natürlich Wert darauf legen müssen, die Drucksache zu haben; denn ein so kompliziertes und so 'heiß umstrittenes Gesetz kann nicht beraten werden, wenn die Drucksache nicht vorliegt. Ich bitte also zu verstehen, daß wir, solange die Drucksache nicht vorliegt — und nur aus diesem Grunde! —, mit der Behandlung dieses Gesetzentwurfs nicht einverstanden sein können.
Im übrigen bitte auch ich, dem Vorschlag des Herrn Kollegen Rasner stattzugeben, daß wir, nachdem durch die Stellungnahme der Fraktionen geklärt ist, welche neuen Tagesordnungspunkte noch behandelt werden müssen, in einer Ältestenratssitzung versuchen, die Reihenfolge zu klären.
Das Wort hat der Abgeordnete Petersen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vertreter des Gesamtdeutschen Blocks/BHE haben im Ältestenrat gar keinen Zweifel darüber gelassen, daß die Fraktion auf der Behandlung des Berichts —Drucksache 3655 — über unseren Antrag betreffend die Rechtsstellung der Vertreibungsgebiete im Plenum besteht. Es ist damals insbesondere von dem Kollegen Rasner für die CDU/CSU-Fraktion vorgetragen worden, daß 'die CDU/CSU-Fraktion und bis zu einem gewissen Grade auch die SPD-Fraktion eine öffentliche Behandlung aus außenpolitischen Gründen nicht wünschten. Aber auch nach diesen Erklärungen ist von uns kein Zweifel darüber gelassen worden, daß unsere Fraktion bei ihrem Antrag bleibt. Nachher kam dann die Anregung, ,die Bedenken gegen die Behandlung unseres Anliegens in einer Aussprache mit den Fraktionsvorsitzenden zu klären. Ich habe am Ende der Sitzung den Kollegen Rasner 'gebeten, doch auf eine Einladung zu einem solchen Gespräch durch Herrn Dr. Krone, als Vorsitzenden der größten Fraktion, hinzuwirken. Herr Kollege Rasner hat das abgelehnt und erklärt, wir sollten das tun. Die Fraktion hat das abgelehnt und ist dabei geblieben, daß unser Antrag hier im Plenum behandelt wird. Ich möchte das jetzt noch einmal unterstreichen und
bitte, daß ,darüber abgestimmt wird, weil eine Möglichkeit zu Gesprächen heute angesichts der Zeitnot, in der wir uns befinden, nicht mehr besteht. Deshalb muß dieser Antrag heute behandelt werden.
Das Wort zur Tagesordnung hat der Abgeordnete Neumann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß einiges zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Horn sagen.
Ich bin vorgestern nachmittag zur Beerdigung des Herrn Stadtrat Füllsack nach Berlingeflogen und erst gestern mittag wieder hier ins Haus gekommen. Ich habe von Verabredungen irgendwelcher Art nichts gewußt, sondern ich berufe mich auf das Protokoll der Plenarsitzung vom Dienstag, in dem es heißt:
Rede von: Unbekanntinfo_outline
... Ich habe bekanntzugeben, daß zur heutigen Tagesordnung noch die zweite Beratung des Selbstverwaltungs-
und Krankenversicherungsangleichungsgesetzes Berlin hinzukommt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll diese Vorlage an den Ausschuß für Sozialpolitik zurückverwiesen werden.
Ich rufe, gestützt auf die eben erwähnte interfraktionelle Vereinbarung, zunächst diesen Punkt der Tagesordnung auf: . . .
Ich bitte um Wortmeldungen. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte. Wer dem Antrag auf Rückverweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Da ist also nichts von irgendwelchen bestimmten Vereinbarungen dieser Art enthalten,
was mir als Berliner bekannt sein müßte.
— Ich mache darauf aufmerksam, Herr Kollege Horn, daß Sie vielleicht ein besonderes parteipolitisches Interesse daran haben, dieses Gesetz noch in diesem Hause durchzupeitschen. Das ist durchaus möglich.
— Umgekehrt? Nun, ich habe im Augenblick kein bestimmtes Bedürfnis, dieses Gesetz durchzupeitschen. Es geht mir allen Ernstes um die sozialpolitischen Belange Berlins, und da muß ich Ihnen sagen: ich möchte die Drucksache 3720 studieren. Wenn Sie sich um die Dinge gekümmert haben, werden Sie zugeben müssen, daß im ersten Halbjahr des nächsten Jahres überhaupt kein Termin vorliegt, sondern die Frage der Selbstverwaltung erst mit dem 1. Juli 1958 akut wird. Es besteht also gar kein Bedürfnis, jetzt das Gesetz in dieser Form durchzupeitschen. Der 3. Bundestag hätte durchaus Zeit, in aller Ruhe diese Fragen zu regeln. Ich muß daher namens meiner Berliner sozialdemokratischen Freunde — das sind 11 Abgeordnete — noch einmal widersprechen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Frau Kalinke : Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich will nicht Stellung nehmen zu dem Streit über Vereinbarungen, ihr Halten und ihr Brechen. Ich will Stellung nehmen zu der ungewöhnlichen Situation in diesen mit Arbeit überlasteten Tagen. Der Sozialpolitische Ausschuß wird gezwungen, ein ordnungsgemäß beratenes Gesetz noch einmal zu beraten, weil die sozialdemokratische Fraktion ihre Mitarbeiter unter Führung von Herrn Professor Schellenberg veranlaßt hat — oder er selber es veranlaßt hat —, den Ausschuß immer wieder zu verlassen, und sich geweigert hat, dieses Gesetz jetzt zu beraten.
Ich glaube, daß das Plenum diese Dinge nicht in
dem vollen Umfang kennt, wie es für die Entscheidung, die wir hier zu treffen haben, notwendig ist.
Zur Sache selbst möchte ich nur sagen: Ich bitte, daß Herr Neumann den Inhalt des Gesetzes liest. Dann wird er wissen, daß mit diesem Gesetz keine Veränderung des Leistungsrechts in Berlin beabsichtigt ist, sondern daß es sich lediglich darum handelt, nach 12 Jahren unterschiedlichen Rechts in der Bundesrepublik und in Berlin wenigstens in einem Teilstück vorzusehen, daß in Berlin endlich die Selbstverwaltung gewählt und nicht nur berufen wird. Das ist auch ein Anliegen der SPD. Zum zweiten soll für die Berliner Krankenversicherung die gleiche Organisation bestehen wie für das Bundesgebiet. Das sind die zwei Punkte, um die es geht. Ich glaube, es kann gar keinen Grund geben, sich gegen das Anliegen, die Rechtseinheit zum Schluß der Legislaturperiode des 2. Bundestages so weit herzustellen, wie es der Ausschuß getan hat, zu wehren. Ich sage hier ganz offen: Wir hätten gewünscht, daß sie vollständig hergestellt worden wäre. Wem es darum geht, daß Berlin nicht nur de jure, sondern möglichst bei allen Gesetzen auch in der Praxis schon ein echtes Land der Bundesrepublik ist, der kann dem Antrag, das Berliner Angleichungsgesetz auf die Tagesordnung zu setzen, nicht widersprechen.
Wird weiter das Wort zur Tagesordnung gewünscht? - Ich sehe, die Frage war nicht unberechtigt. Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Euler : Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Becker hat ganz recht, wenn er auf die Gefahren einer überstürzten Gesetzgebungsarbeit aufmerksam macht. Andererseits ist gerade diese lange Geschäftsordnungsdebatte ein Ausdruck der Tatsache, daß noch zahlreiche wichtige Gesetze zu erledigen sind, die aber zweifellos nicht verabschiedet werden können, wenn dieses Hohe Haus an seiner Absicht festhält, morgen auseinanderzugehen. Ich möchte anregen, daß noch für die nächste Woche einige Plenartagungen vorgesehen werden, da ich der Auffassung bin, daß dieses Parlament nicht das Recht hat, auseinanderzugehen, ohne wichtigste Gesetze verabschiedet zu haben. Es ist dann immerhin besser, wir tun das, was bereits vor Wochen in Aussicht genommen worden ist, nämlich daß wir noch eine Plenarwoche anhängen.
Meine Damen und Herren, was diesen letzten Antrag betrifft, so schlage ich vor, darüber erst abzustimmen, nachdem der Ältestenrat getagt hat. Ich berufe den Ältestenrat auf 10 Uhr ein.
Wird noch das Wort zur Tagesordnung ge- wünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Um Klarheit zu schaffen — auch für mich selbst — möchte ich wiederholen, was bisher beantragt worden ist. Es sollen folgende Gegenstände auf die Tagesordnung gesetzt werden:
1. Antrag der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion Drucksache 3727 — das ist die Änderung des Grundgesetzes, Art. 135 a —,
2. Antrag der Fraktion der DP — betreffend Atomgesetz bzw. Grundgesetzänderung —,
3. Zweite und dritte Beratung des Evakuiertengesetzes, Drucksache 3667,
4. Antrag Drucksache 3709 betreffend die Neugliederung Badens,
5. Drucksache 3613, Lebensmittelgesetz,
6. Drucksache 3655, Bericht des Auswärtigen Ausschusses,
7. Drucksache 3234 betreffend den Entwurf eines Gesetzes über den Ausbauplan für die Bundesfernstraßen — Beratung entweder heute oder morgen —,
8. Drucksache 3720, Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Sozialversicherung in Berlin.
Weitere Anträge sind nicht gestellt worden. Darf ich das feststellen.
Nun habe ich auf folgendes aufmerksam zu machen. Bezüglich ,des Antrags unter 1. — Die Grundgesetzänderung — und des Antrags unter 2. — ebenfalls eine Grundgesetzänderung — ist der Antrag gestellt, alle drei Lesungen am selben Tage abzuhalten. Ich muß darauf aufmerksam machen, daß nach § 93 Abs. 2 der Geschäftsordnung drei Beratungen eines Gesetzentwurfs nur dann am gleichen Tage auf die Tagesordnung gesetzt werden dürfen, wenn nicht fünf anwesende Mitglieder widersprechen.
Ich habe noch auf folgendes aufmerksam zu machen. Für einige dieser Anträge ist die Fristeinrede angekündigt worden. Ich möchte feststellen, daß eine Drucksache als zugegangen gilt, wenn sie in das Fach des Abgeordneten gelegt ist. In diesem Fall kann also die Fristeinrede nicht erhoben werden. Falls die Fristeinrede zu Recht erhoben wird, kann sie durch mit Zweidrittelmehrheit gefaßten Beschluß des Hauses gegenstandslos gemacht werden. Ich war der Meinung, diese Aufklärung dem Hause schuldig zu sein.
Nun hat Herr Abgeordneter Seuffert das Wort zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was die Bestimmung des § 93 der Geschäftsordnung bezüglich der Abhaltung der dritten Lesung am gleichen Tage — es handelt sich um die dritte Lesung der Grundgesetzänderung zum Kriegsfolgengesetz — betrifft, so wird im Hause, ich glaube, mit Recht die Meinung vertreten, daß auch diese Bestimmung mit Zweidrittelmehrheit für den Einzelfall überwunden werden kann.
Wenn das nicht der Fall sein sollte, bitte ich, doch einstweilen die dritte Lesung auf die Tagesordnung zu setzen. Vielleicht gelingt es, diejenigen, die Widerspruch angekündigt haben, inzwischen zu überzeugen, daß sie kaum die Verantwortung dafür übernehmen können, ausgerechnet die Kommunalklausel zum Schutze unserer Gemeinden vor Ansprüchen wegen verlorener SA-Uniformen und ähnlichen Dingen mehr und damit die Beratung des ganzen Kriegsfolgengesetzes in diesem Zeitpunkt zu blockieren.
Ich mache das Haus darauf aufmerksam, daß der Widerspruch gegen die Abhaltung dreier Lesungen am heutigen Tage nicht hindert, daß wir die erste und zweite Lesung auf die Tagesordnung setzen; dann wird die dritte Lesung morgen abgehalten werden können. Ich stelle weiter fest, daß wir zunächst nur darüber abstimmen, ob die beantragten Punkte auf die Tagesordnung gesetzt werden sollen. Darüber, in welcher Reihenfolge sie behandelt werden, werden wir entscheiden, nachdem der Ältestenrat getagt hat.
Ich stelle den Antrag zur Abstimmung, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD — Drucksache 3727 — betreffend Einfügung eines Artikels 135 a in das Grundgesetz in drei Lesungen auf die Tagesordnung zu setzen. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Wenn ich Sie recht verstanden habe, widersprechen Sie der dritten Lesung.
— Dann sind also nur die erste und die zweite Lesung auf die heutige Tagesordnung gesetzt. Es kann der Antrag gestellt werden, die dritte Lesung auf die morgige Tagesordnung zu setzen. Wird ein solcher Antrag gestellt? —
— Es wird der Antrag gestellt, die dritte Beratung auf die morgige Tagesordnung zu setzen. Wer dafür ist, den bitte ich die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Gegen einige Gegenstimmen angenommen. Gegen diese Entscheidung gibt es keinen Widerspruch.
Zweitens Antrag der Deutschen Partei betreffend Grundgesetzänderung wegen des Atomgesetzes — Drucksache 3726 —. Auch hier sind drei Lesungen für heute beantragt. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste ist die Mehrheit; die Drucksache 3726 steht mit drei Lesungen auf der Tagesordnung.
— Sie widersprechen der dritten Beratung; also stehen die erste und zweite Lesung auf der Tagesordnung.
— Bitte!
Schneider (DP [FVP]): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage namens meiner Fraktion der Deutschen Partei (Freien Volkspartei), die dritte Lesung morgen stattfinden zu lassen.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer diesem Antrag zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit derselben Mehrheit angenommen.
Drittens zweite und dritte Beratung des Gesetzes zur Änderung des Evakuiertengesetzes — Drucksache 3667 —. Wer zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Viertens Drucksache 3709 betreffend Neugliederung Badens.
Wer diesen Punkt auf die Tagesordnung gesetzt wissen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Dies ist unstreitig die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Fünftens Drucksache 3613 betreffend Lebensmittelgesetz. Wer diese Sache auf die Tagesordnung gesetzt wissen will, der möge die Hand erheben. —
Gegenprobe! —
Ich bitte, die Abstimmung durch Erheben von den Sitzen zu wiederholen. Wer dafür ist, der möge sich von seinem Sitz erheben. —
Gegenprobe! — Es bestehen Zweifel. Wir müssen
durch Hammelsprung entscheiden. Ich bitte, den
Saal zu räumen. — Ich bitte, die Türen zu schließen. — Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, es sind Zweifel darüber entstanden, ob bei dieser Abstimmung die Berliner Abgeordneten mitgezählt werden sollen. Sie werden mitgezählt. Sie werden nur dann nicht mitgezählt, wenn es sich um einen Gesetzesbeschluß handelt.
Die Auszählung ist beendet. Ich bitte, die Türen zu schließen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Insgesamt sind 369 Stimmen abgegeben worden. Mit Ja haben 171, mit Nein 182 Abgeordnete gestimmt. 16 haben sich der Stimme enthalten. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr darüber ab, ob die Beratung des Schriftlichen Berichts Drucksache 3655 auf die Tagesordnung gesetzt werden soll. Es handelt sich um den Bericht des Ausschusses über den Rechtsanspruch auf die deutschen Vertreibungsgebiete. Wer diesem Antrag zustimmen will, möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung darüber, ob die Beratung des Entwurfs Drucksache 3234, der den Ausbauplan für die Bundesfernstraßen betrifft, auf die Tagesordnung gesetzt werden soll, zunächst einmal darüber, ob diese Beratung heute auf die Tagesordnung gesetzt werden soll. Nachher lasse ich je nach dem Ergebnis dieser Abstimmung darüber abstimmen, ob sie morgen auf die Tagesordnung gesetzt werden soll. Wer dafür ist, daß die Beratung heute auf die Tagesordnung gesetzt wird, möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Nunmehr stimmen wir über die Aufsetzung der Vorlage Drucksache 3720 auf die Tagesordnung ab. Herr Abgeordneter Neumann, Sie haben den Fristeinwand erhoben. Ich halte ihn für unzulässig; die Drucksache ist Ihnen zugegangen. Halten Sie den Einwand aufrecht?
— Ich kann ihn nicht annehmen.
Wer dafür ist, daß die Vorlage Drucksache 3720 auf ,die Tagesordnung gesetzt wird, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen 5 Stimmen angenommen.
Ich kann den Fristeinwand nicht entgegennehmen. Die Drucksache ist in die Fächer gelegt worden und damit den Abgeordneten zugegangen.
Damit haben wir die Tagesordnung festgestellt. Ich nehme an, daß ich über die Punkte, die auf der gedruckten Tagesordnung vermerkt sind, nicht abstimmen zu Lassen brauche. Die Reihenfolge soll, wie gesagt, der Ältestenrat festsetzen. Unter Umständen werden wir nach der Sitzung des Ältestenrats noch eine Entscheidung darüber zu treffen haben.
Wir treten nunmehr in die Beratung der Tagesordnung ein. Ich rufe auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft nebst Ergänzung .
Schriftlicher Bericht dies 3. Sonderausschusses (Drucksache 3660).
Einleitende Bemerkungen
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Furler. Allgemeine politische Aspekte, Grundzüge und Aufgaben der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft.
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Elbrächter.
Die institutionellen Bestimmungen beider Verträge und die ,allgemeinen und Schlußbestimmungen, soweit sie sich nicht auf andere Sachkapitel der Verträge beziehen. Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Mommer.
Euratom.
Berichterstatter: Abgeordneter Geiger .
Freizügigkeit, freier Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, Soziale Harmonisierung —
Sonderstatut Frankreich, Sozialpolitik. Berichterstatter: Abgeordneter Sabel.
Die finanziellen Bestimmungen. Berichterstatter: Abgeordneter Ritzel.
Gemeinsamer Markt.
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Hellwig.
Die Landwirtschaft.
Berichterstatter: Abgeordneter Lücker .
Der Verkehr.
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bleiß.
Die Assaziierung der überseeischen Gebiete. Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Leverkuehn.
Die Freihandelszone.
Berichterstatter: Abgeordneter Scheel.
Das Wort hat der Berichterstatter, Abgeordneter Dr. Furler.
Ich darf mitteilen, daß gemäß interfraktioneller Vereinbarung auf eine mündliche Berichterstattung verzichtet wird.
Ist das Haus damit einverstanden, daß auf mündliche Berichterstattung verzichtet wird? — Ich mache darauf aufmerksam, daß ,der Ältestenrat auf 10 Uhr einberufen worden ist. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Ältestenrat angehören, in das übliche Sitzungszimmer des Ältesterats zu gehen.
Ich rufe auf Art. 1 und bitte um Wortmeldungen. — Keine Wortmeldungen; dann schließe ich die Aussprache. Wer Art. 1 zustimmen will, der mäge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Gegen einige Gegenstimmen angenommen.
Art. 1 a: Wortmeldungen? — Wer Art. 1 zustimmen will, ,der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
— Dann müssen Sie aber die Hand erheben. Ich
kann es nicht erraten.
Art. 2. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer zustimmen will, der möge das Handzeichen geben.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Gegenstimmen angenommen.
Art. 3. — Wer zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Gegen einige Gegenstimmen angenommen.
Art. 4. — Wer zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? -- Gegen einige Gegenstimmen angenommen.
Einleitung und Überschrift. — Wer zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Gegen einige Gegenstimmen angenommen.
Ich schließe die zweite Beratung und rufe auf zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Furler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entstehung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft stellt wohl das bedeutsamste Ereignis dar, das die europäische Politik seit Jahren zu verzeichnen hat. Erst im Laufe von Jahren aber wird die wirtschaftliche und politische Wirklichkeit zeigen, wie grundlegend diese Gemeinschaften unsere Länder und ganz Europa beeinflussen werden.
Zur Vorbereitung der Ratifizierung hat sich ein Sonderausschuß eingehend mit den Vertragswerken befaßt. Je intensiver man sich mit den vielfältigen Bestimmungen der Verträge abgab, desto stärker wurde der Eindruck von der Bedeutung dessen, was sich hier vollzieht. Ich glaube aber auch sagen zu können, daß mit dieser Ausschußarbeit ein gewisser Widerstand und vielfältige Kritik an diesen Verträgen geringer wurden. Sicherlich kann man feststellen, daß die Verträge nicht alle Wünsche erfüllen und daß sie im besonderen denen nicht genug geben, die ein noch stärkeres Zusammenwachsen von Frankreich, Italien, Deutschland, Belgien, Holland und Luxemburg gewünscht hätten. Aber es ,wurden doch entscheidende Fortschritte erzielt, und es liegen vor allem Ansatzpunkte vor, die neue Entwicklungsmöglichkeiten geben.
In den gleichen Stunden, in denen wir die Verträge diskutieren, ist in der französischen NationalVersammlung die Ratifikationsdebatte über sie im Gange; eindramatischer Augenblick in der Geschichte Europas und in der Geschichte der beiden großen Nachbarstaaten. Es ist interessant und wichtig, festzustellen, daß dies nicht ganz drei Jahre nach jenem 30. August 1954 geschieht, der vielen als das Ende der europäischen Einigungsbemühungen erschien. Offensichtlich aber war ein Grund für so tiefen Pessimismus nicht gegeben. Die Regierungen der sechs Staaten haben beharrlich und mutig daran weitengearbeitet, gemeinsame europäische Lösungen zu schaffen. Sie handeln dabei realistisch und ohne Ressentiments. Die Zeit war 1954 für die damaligen europäischen Projekte noch nicht reif. Wer aber kann sagen, daß das, was heute geschieht, für Europa von geringerer Bedeutung ist? Ich glaube, ein solches Urteil wäre falsch. Die Erfahrung lehrt, daß wirtschaftliche Bindungen und Gemeinschaften eine starke Grundlage für eine weitergehende Einheit bilden. Und so sind wir überzeugt, daß die neuen Wirtschaftsgemeinschaften zusammen mit der schon bestehenden Montanunion unsere sechs Staaten auf lange Sicht gesehen besonders eng zusammenführen werden.
Die Staaten der Gemeinschaft wollen in ihr ihre Konjunktur- und Wirtschaftspolitik koordinieren. Die Erfahrungen innerhalb der Montanunion zeigten, wie notwendig eine übereinstimmende wirtschaftspolitische Haltung ist. Wir sind davon überzeugt, daß der große Gemeinsame Markt, das einheitliche Wirtschaftsgebiet von 160 Millionen Menschen aus sich heraus mit einer elementaren Zwangsläufigkeit zur Ausweitung der Produktion und zur Erhöhung des allgemeinen Lebensstandards führen wird. Die wettbewerbliche Situation in diesem Markt wird bei aller Expansion die Preise stabil halten. Wir dürfen gerade hier darauf hinweisen, daß im Gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl — hier liegt eine Erfahrung vor — auch in einer stark ansteigenden Konjunktur die Stahlpreise viel stabiler geblieben sind, als es außerhalb der Montanunion der Fall war. Aber ohne eine koordinierte und die gemeinsamen Interessen in den Vordergrund stellende Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten müßten auch in dem großen und allgemeinen Gemeinsamen Markt Schwierigkeiten auftreten.
Wir wollen aber, daß sich über ,die Koordinierung hinaus eine gemeinsame Wirtschaftspolitik
der Mitgliedstaaten entwickelt. Diese Tendenz muß ganz besonders auf währungspolitischem Gebiet verfolgt werden. Sie sehen aus dem Ihnen vorliegenden Resolutionsentwurf der Koalitionsparteien, daß wir wünschen, die Bundesregierung möge in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft den währungspolitischen Fragen ihre besondere Aufmerksamkeit schenken. So richtig es war, die Schaffung dieser Gemeinschaft nicht zurückzustellen, bis gewisse Währungsdisparitäten beseitigt sind, so notwendig ist es, auf diesem Gebiet alsbald eine Bereinigung anzustreben, um die hier gegebenen Störungsfaktoren zu beseitigen.
Für die Beurteilung des ganzen Werkes ist die Unwiderruflichkeit der entstehenden Bindung von besonderer und entscheidender Bedeutung. Trotz Schutzklauseln, trotz Übergangsbestimmungen muß der Gemeinsame Markt in spätestens 15 Jahren vollendet sein; es gibt hier kein Zurück. Darin liegt der große Fortschritt dieses Vertrages, darin unterscheidet si ch dies e werdende Gemeinschaft von Zusammenschlüssen, wie sie die OEEC, die EZU, das GATT und ähnliche darstellen. Die Zwangsläufigkeit dieser Entwicklung liegt im Interesse aller; denn nur sie garantiert die dauernde und ständig zunehmende Wirkung der Kräfte, die aus dem Gemeinsamen Markt herauswachsen.
Es kann nun nicht unsere Aufgabe sein, trotz der Wichtigkeit des Vertragswerks, das Ihnen vorliegt, noch einmal zu allen Punkten Stellung zu nehmen. Ich will nur einige grundlegende Fragen herausgreifen, die wir doch betrachten müssen, trotz des Zeitdrucks, der auf uns lastet, und obwohl uns in diesem Hause leider manche Dinge, die in gar keinem Verhältnis zur Bedeutung dessen stehen, was hier geschieht, außerordentlich in Anspruch nehmen.
Zunächst einmal die Sonderregelungen, die für Frankreich in diesem Vertrag enthalten sind. Das sogenannte Sonderstatut Frankreichs hat manche Kritiker veranlaßt, von einer Durchlöcherung der Prinzipien des Gemeinsamen Marktes zu sprechen. In der Tat hat Frankreich die Möglichkeit, auch nach dem Inkrafttreten des Vertrages seine Importabgabe und seine Exportbeihilfe beizubehalten. Falls jedoch die Zahlungsbilanz Frankreichs für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr ausgeglichen ist und ausreichende Währungsreserven vorhanden sind, muß dieses System, das man Frankreich zugebilligt hat, wieder beseitigt werden. Die monetäre Entwicklung Frankreichs und die unter dem Druck der Verhältnisse inzwischen verhängte Entliberalisierung seines Außenhandels zeigen, wie richtig es war, die besondere Lage dieses Landes schon im Vertrag zu berücksichtigen. Dieses Sonderstatut ist im Grunde genommen ein Ausdruck des realistischen Charakters des Vertrages; denn es beweist, daß die vertragschließenden Teile nicht einfach über eine gegebene wirtschaftliche Situation eines ihrer Partner hinweggegangen sind, sondern daß durch den Vertrag versucht wird, aus der gegebenen Gesamtlage das relativ Beste zu machen.
Es liegt hier — ich sage das allgemein — auch ein Beispiel dafür vor, wie internationale Wirtschaftsprobleme heute gesehen werden müssen. Bei der engen Verflechtung der sechs vertragschließenden Partner ist es naturgemäß unvermeidlich, daß sich wirtschaftliche Schwierigkeiten eines Partners auch auf die Volkswirtschaften der übrigen auswirken. Eine von wirtschaftlichen Realitäten unserer Umwelt isolierte günstige Konjunktur ist auf die Dauer gesehen nicht denkbar. Rücksicht und Hilfe für den zeitweilig notleidenden Partner müssen daher zu etwas Selbstverständlichem werden. Bekanntlich hat auch die Bundesrepublik im Zusammenhang mit der Korea-Krise mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten kämpfen müssen. Die entscheidende Frage lautet jedoch, ob diese Hilfe einfach nach alten Rezepten in Form von mehr oder weniger unverbindlichen Anleihen, Stundungen oder sonstigen Manipulationen gewährt werden soll oder ob sie vielmehr mit institutionellen Garantien versehen werden muß, die sie zu einer gemeinschaftlichen Aktion machen. Nur innerhalb einer Wirtschaftsgemeinschaft kann nach meiner Überzeugung erfolgreich dafür gesorgt werden, daß strukturelle Mängel, die zum Notstand geführt haben, durch das gemeinsame Vorgehen auch tatsächlich in ihren Grundlagen beseitigt werden. Hier liegt der entscheidende Vorteil der gemeinschaftlichen Tat mit den ständigen gegenseitigen Konsultationen und Berichterstattungen gegenüber den früheren Rezepten.
Es sei mir nun gestattet, in diesem Zusammenhang auch einen anderen Gesichtspunkt zu erwähnen. Wir sind uns alle wohl darüber einig, daß die Entwicklung des deutsch-französischen Verhältnisses das Tempo der europäischen Einigung bestimmt. Ob sich dieses Verhältnis endgültig zum Positiven wendet, wird von der Frage mit abhängen, ob beide Länder innerhalb der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in guten und in schlechten Tagen zu einer echten, aus einem gemeinschaftlichen Geist hervorgehenden Solidarität bereit sind. Sicherlich werden innerhalb der Gemeinschaft auch dem deutschen Partner gewisse Schritte leichter möglich sein, als dies ohne diese Zusammenführung der Interessen der Fall wäre.
Einen zweiten sehr wichtigen Komplex in den Verträgen, einen Komplex, der immer wieder in der öffentlichen Diskussion stand, stellen die überseeischen Gebiete der Vertragspartner dar, die dieser Wirtschaftsgemeinschaft assoziiert werden sollen. Die im Rahmen des vorgesehenen Entwicklungsfonds von 580 Millionen Dollar für diese Gebiete bereitzustellenden Investitionsmittel haben sicherlich eine große Bedeutung. Neben der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung dieser Gebiete dürfen wir aber ihre politische Zukunft nicht aus dem Auge verlieren. Wer die Diskussion der Vertreter dieser überseeischen Gebiete über die Wirtschaftsgemeinschaft aufmerksam verfolgt hat, der weiß, daß diese Gebiete Afrikas, die assoziiert werden sollen, im Augenblick noch zwischen einer Ungewißheit und einer großen Hoffnung schwanken. Wird — so denken manche von ihnen — diese Wirtschaftsgemeinschaft zu einem Kolonialismus in neuer Form führen? Wir glauben, daß durch diese Verträge das Mögliche getan wurde, um eine solche Furcht unbegründet sein zu lassen. Die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen sind für die Entwicklung dieser Gebiete maßgebend. Unsere Resolution zeigt Ihnen, welch großen Wert wir darauf legen, hier eine klare Situation zu schaffen. Wir wollen auch durch die Tat, also bei der Anwendung dieser Hilfe, den überseeischen Gebieten beweisen, daß aus einem fortschrittlichen und modernen Geist heraus für sie gehandelt wird. Wir müssen verhindern, daß sich
in die Zusammenarbeit zwischen der Wirtschaftsgemeinschaft und gerade diesen afrikanischen Gebieten von vornherein Mißverständnisse einschalten.
Auf der anderen Seite haben die Vertreter der afrikanischen Gebiete auch die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, daß ihre Assoziierung mit der europäischen Gemeinschaft, also über die Verbindung mit den Mutterländern hinaus, die politische Entwicklung dieser Gebiete in der Richtung auf ihre Selbständigkeit in Gang bringen wird. Wir dürfen diese Hoffnung der Menschen nicht enttäuschen. Noch ist uns Gelegenheit gegeben, mit dem vorhandenen Vertrauenskapital positiv zu arbeiten. Ich meine, schicken wir die besten Kräfte aus Europa in jene Gebiete!
An dieser Stelle kann ich es mir nicht versagen, unseres Kollegen Otto Lenz zu gedenken, der gerade bei der Lösung dieser Fragen das tragische Opfer seines Lebens gebracht hat. In seinem Geeist wollen wir an diese große Aufgabe herangehen.
Es sind nicht die geschäftlichen Möglichkeiten, die uns reizen, sondern die Aufgabe an sich. Mit Investitionen, seien sie auch noch so großzügig, wird nicht alles getan sein. Das Problem, um das es geht, ist größer: Wird es uns gelingen, das Verhältnis Europas zu den Völkern des afrikanischen Kontinents auf neue Grundlagen zu stellen?
Ich glaube, die Durchprüfung der Verträge hat gezeigt, daß bei allen Partnern der Wille besteht, hier zu Lösungen zu gelangen, die den Forderungen unserer Zeit entsprechen. Arbeiten wir mit Mut an der weiteren Entwicklung! Das Risiko enthält zugleich eine große Chance. Wenn es gelingt, sie zu nutzen, wird dies auch für das Leben der europäischen Völker von geradezu vitaler Bedeutung sein.
Die Gemeinschaft der Sechs darf nicht das Ende einer Entwicklung darstellen. Sie bedeutet für uns die Grundlage und damit den Ausgangspunkt für weitere wirtschaftliche Bildungen. Niemand denkt daran, die sechs Staaten, die diesen großen Schritt wagen, von dem übrigen Europa oder von der Welt überhaupt abzuschließen. Im Gegenteil, wir wünschen, daß das Gebiet wirtschaftlicher Einheit und damit besonderer Wachstumsmöglichkeiten mit der Wirtschaft der anderen Länder eng zusammenarbeitet. Die Gemeinschaft ist offen und muß es bleiben.
Der Beitritt oder die Assoziierung jedes europäischen Staates ist erwünscht, dessen politische und wirtschaftliche Struktur einen solchen Schritt ermöglicht. Das Projekt einer großen europäischen Freihandelszone, die sich mit dem Gemeinsamen Markt verbindet, ist sehr wichtig, und wir alle streben die Verwirklichung dieses Projektes mit aller Kraft an. Wir wissen aber auch, daß diese Freihandelszone ebenso wie spezielle Freihandelsabkommen nur auf der Grundlage der entstandenen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft möglich sind.
Die erfreuliche Neuorientierung der europäischen Politik Großbritanniens setzt das Faktum der Gemeinschaft der Sechs voraus. Wir wollen mit dieser Gemeinschaft auf dem Weg zur Bildung eines ganz Europa umfassenden Wirtschaftsraumes mit all den positiven politischen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, weiter schreiten.
Ich möchte aber auch an dieser Stelle davor warnen, zu glauben, daß ein wirtschaftlich zusammengeführtes und auch politisch harmonisiertes Europa eine solche Rolle wird spielen können, wie dies unserem Kontinent noch vor einem halben Jahrhundert möglich war! Die Welt hat sich inzwischen grundlegend gewandelt. Die Kraft der beiden großen, weltpolitisch entscheidenden Mächte ist so groß geworden, daß sich auch ein einiges Europa nicht frei zwischen diesen Gruppierungen wird halten können, wenn deren Gegensätze nicht tiefgehend beseitigt werden. Solange nicht die große Entspannung in der Welt eingetreten und eine endgültige geworden ist, kann auch ein wirtschaftlich und politisch stärker gewordenes Europa die weltpolitischen Gefahren nur überstehen und die Risiken für seine Sicherheit und Freiheit nur tragen, wenn es eng mit den Vereinigten Staaten von Amerika zusammenarbeitet.
Nun wende ich mich dem Zustimmungsgesetz zu, das Ihnen heute zur Beschlußfassung vorliegt. Ich will hier nicht in die Besprechung von Einzelheiten dieses Gesetzes eintreten, obwohl es sehr befriedigend und interessant ist, daß es den Bemühungen des Bundestages gelungen ist, bei gewissen Zollverordnungen eine Form zu finden, die auf der einen Seite das parlamentarische Interesse des Bundestages wahrt, es auf der andern Seite aber ermöglicht. daß unser Arbeitsgang nicht durch unnötige Formalitäten belastet wird. Wenn dringende Vorlagen der Regierung vorgelegt und dem zuständigen Ausschuß überwiesen werden, dann kann — und das ist die neue Form — dieses Haus der Regierung gewissermaßen die Ermächtigung erteilen, die Verordnung von sich aus zu erlassen, wenn wir weder eine positive noch eine negative Stellungnahme abgehen, sondern einfach die Frist von 3 Wochen ohne Beschlußfassung verstreichen lassen.
Wichtig sind aber zwei Fragen, die durch Begehren des Bundesrates in die Diskussion gekommen sind Der Bundesrat forderte. bei der Instruktion der deutschen Vertreter in den Ministerräten der beiden Gemeinschaften eingeschaltet zu werden. Die Diskussion hat gezeigt, daß gegen diesen Vorschlag gewisse verfassungsrechtliche Bedenken bestanden. Aber es ist gelungen, in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung hier eine Lösung zu finden, die die gemeinsamen Interessen unseres Hauses und des Bundesrates wahrt. Es ist nämlich festgelegt — und von Ihnen in zweiter Lesung akzeptiert worden —, daß die Bundesregierung den Bundestag sowohl wie den Bundesrat über die Entwicklung in diesen Ministerräten laufend zu unterrichten hat. Soweit durch den Beschluß eines Ministerrats innerdeutsche Gesetze erforderlich werden oder in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar geltendes Rechtgeschaffen wird, soll die Unterrichtung — das ist eine erhöhte Verpflichtung — vor der Beschlußfassung des Rates erfolgen.
Die zweite Frage ist folgende. Der 'Bundesrat hat verlangt, von den 36 Vertretern, die der Bundesrepublik in der neuen und einheitlichen europäischen Versammlung der drei Wirtschaftsgemeinschaften zustehen — also in der parlamentarischen Institution, die einheitlich die drei Gemeinschaften betreut —, 11 Vertreter selbst bestellen zu können. Schon im Sonderausschuß erhob sich keine Stimme für dieses Begehren. Der Ausschuß war hier in Übereinstimmung mit der Bundesregierung einstimmig der Meinung, dieses Verlangen des
Bundesrats soll nicht im Zusammenhang mit dem Zustimmungsgesetz behandelt werden, sondern erst in ,dem Gesetz, das kommen muß, um festzulegen, in welcher Form und in welcher Art die Bundesrepublik die deutschen Delegierten in diese Versammlung entsendet. Es muß also eine Regelung erfolgen. Sie soll erfolgen, wenn in dem von mir genannten Gesetz das Problem eingehender behandelt werden kann. Die vom Bundesrat aufgeworfene Frage ist nicht nur für die neue Versammlung der Sechs von Bedeutung, sondern natürlich auch für die Beratende Versammlung des Europarates und die Versammlung der Westeuropäischen Union. Die Frage ist grundsätzlicher Art; sie wirft grundgesetzliche Probleme und solche auf, die sich unmittelbar aus dem Text der Verträge ergeben. All dies zeigt, wie notwendig es ist, eine ruhige und eingehende Beratung durchzuführen.
Es entsteht natürlich eine schwierige Situation, wenn der Bundesrat das Verlangen schon jetzt im Zusammenhang mit 'dem Zustimmungsgesetz stellt, das zur Ratifizierung der großen europäischen Verträge führen soll. Es scheint mir und meinen Freunden ungewöhnlich zu sein, das Schicksal dieses großen europäischen Werkes von speziellen Wünschen abhängig zu machen. Nach unserer Meinung sollten diese Dinge später behandelt werden. Wir wollen das hier nicht dramatisieren. Ich halte es aber auch für falsch, wenn nun gesagt oder geschrieben wird: Wird der Bundesrat in dieser Frage kapitulieren? Meine Damen und Herren, dafür sind die Dinge zu ernst, als daß man sie in einer solchen Weise behandeln könnte. Hier geht es nicht darum, wer recht behält oder wer „kapituliert". Nein! Es geht uns einmal um eine sorgfältige, richtige und gründliche Überprüfung und zum andern um eine richtige Rangordnung der Werte: hier die großen europäischen Entscheidungen und später das Gesetz, in dem festgelegt wird, wie das neue Parlament bestellt werden soll und wie die an unserer Gesetzgebung beteiligten Gremien dabei mitwirken.
Ich möchte noch kurz 'auf die Resolution eingehen, die die Koalitionsparteien Ihnen zur Beschlußfassung vorgelegt haben. Ich persönlich bedauere, daß wir nicht zu einer gemeinsamen Entschließung :kommen konnten. Ich glaube aber sagen zu können, daß der Grund hierfür nicht bei uns liegt. Ich habe zu diesem Entschließungsantrag im Grundsätzlichen schon das Nötige gesagt. Die Fragen der wirtschaftspolitischen Harmonisierung, der Währung, der überseeischen Gebiete usw. habe ichbehandelt. Ich will nur noch auf wenige Punkte eingehen.
Zunächst zu der Formulierung im Zusammenhang mit dem Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft. Die Situation scheint mir hier, allgemein gesehen, klar zu sein. Sowohl die Resolution der sozialdemokratischen Fraktion als auch unser Entschließungsantrag sagt eindeutig, daß die Europäische Atomgemeinschaft entsprechend der Präambel und den Artikeln 1 und 2 des Vertrages die Gewinnung von Atomenergie für friedliche Zwecke als einziges Ziel hat. Eine klare Situation!
Die Bundesrepublik ist — auch das muß hier eindeutig betont werden — insofern in einer besonderen Situation, als sie im Zusammenhang mit den Pariser Verträgen auf die eigene Produktion von Atomwaffen verzichtet hat. Hier ist dies erwähnt, damit auf diese Sonderlage Rücksicht genommen wird.
Ich will nicht in polemische Auseinandersetzungen über die Formulierung der anderen uns vorliegenden Entschließung eintreten. Ich möchte nur sagen, daß das, was dort verlangt wird, in Widerspruch zum Text des Vertrages steht. Es wird wohl nur so gemeint sein, daß man gleich, ich möchte sagen, eine andere Richtung verfolgt als diejenige, von der man ausgegangen ist. Aber ich möchte doch sagen: Man mag es bedauern, daß es nicht gelungen ist, im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Ideen zu realisieren, die z. B. das Monnet-Komitee vorgetragen hat: nämlich die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten ausschließlich auf die Gewinnung von Atomkraft zu friedlichen Zwecken zu beschränken. Daß das nicht gelungen ist, ist aber nicht die Schuld der Bundesrepublik und ihrer Verhandlungsführer. Dem Verzicht auf die nationale Souveränität auf diesem Gebiet standen andere Staaten entgegen, und den übrigen Partnern ist es nicht gelungen, diesen Widerstand zu überwinden. Für die Bundesrepublik aber war und bleibt die Situation eine eindeutige, weil sie während der ganzen Verhandlungen von der besonderen Lage ausging, die durch die Pariser Verträge entstanden war.
Ich möchte mir auch erlauben, im Zusammenhang mit dem Euratom-Vertrag zu bemerken, daß seine Verwirklichung und Durchführung nicht von gewissen Schwierigkeiten abhängig ist, die in den letzten Tagen im Zusammenhang mit der Frage einer Änderung des Grundgesetzes hier entstanden sind.
Der Euratom-Vertrag hat damit keinen Zusammenhang. Er wird auch bei uns realisiert werden. Er tritt im übrigen ja frühestens am 1. Januar 1958 in Kraft, und ich bin überzeugt, daß wir bis dahin auch auf dem Gebiet klar sehen, das unser Haus in den letzten Tagen etwas stark beschäftigt hat.
Abschließend möchte ich folgendes sagen. Wir sehen heute schon, wie kurzsichtig es gewesen wäre, das große Werk der europäischen Einigung an Differenzen scheitern zu lassen, denen schon nach wenigen Monaten nicht mehr die ursprüngliche Bedeutung zukommt. Ich denke an die zeitweise so schwierige Frage der sogenannten sozialen Harmonisierung; ich erinnere an die Schockwirkung, die bei vielen entstand, als gefordert wurde, die Landwirtschaft in den gemeinsamen Markt aufzunehmen; ich verweise auf das so sehr angegriffene Sonderstatut Frankreichs und richte Ihre Aufmerksamkeit auf die großen Auseinandersetzungen über die Grundfrage der Einbeziehung der überseeischen Gebiete. Keines dieser Probleme hätte es gerechtfertigt, die Verhandlungen nicht weiterzuführen. Überall fanden sich tragbare Lösungen. Die produktive Kraft des Interessenausgleichs war deutlich, und wir sehen, wenn wir die Verträge studieren, wie zukunftsträchtig gerade die hier erwähnten Kompromisse für die Gesamtentwicklung sein werden.
Wir stehen vor einer Entscheidung von größter Tragweite. Daß wir überhaupt dahin kamen, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft verwirklichen zu können, dürfen wir als einen großen Erfolg der außenpolitischen und der europäischen Bemühungen der Bundesregierung betrachten.
Das neue Europa rückt uns näher. Wir hoffen, daß die Verträge nicht nur bei uns die Billigung der nationalen Parlamente finden. Seien wir uns aber darüber im klaren, daß mit ihrer Ratifizierung und ihrem Inkrafttreten zwar eine wichtige Etappe auf dem Wege in die europäische Zukunft zurückgelegt ist, daß aber der Weg damit nicht endet. Ob die großen Ziele endgültig erreicht werden, wird auch von dem Geist abhängen, in dem alle Partner in den Gemeinschaften zusammenarbeiten. Schon kommen Kleinmütige und sagen, die Ereignisse dieser Wochen bewiesen, daß man papierne Verträge genehmige, während man in der Praxis wieder auseinanderlaufe.
Man verweist auf Frankreich und dessen in den letzten Wochen getroffene Maßnahmen. Ich hoffe, zu Unrecht. Frankreich will durch Notmaßnahmen eine Krise überwinden, ohne von dem Ziele abzugehen, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu schaffen. Aber gerade diese Vorgänge beweisen mir, wie notwendig die Verträge sind, weil sie nämlich die Grundlage dafür bilden, solche Erscheinungen in Zukunft gemeinsam zu überwinden, und weil sie die Gewähr dafür geben, daß über Notmaßnahmen nicht das endgültige wirtschaftliche Zusammenwachsen unserer Staaten verhindert wird. Ohne Verträge wäre die Gefahr des Auseinanderlebens eine viel, viel größere. Mit den Verträgen wird es kaum möglich sein, von dem einmal beschrittenen neuen Weg abzugehen, da auch unabhängig von ihrer bindenden Kraft die sich entwickelnde Gemeinschaft immer stärkere und immer unauflöslichere Bande schaffen wird. Die entstehende gemeinsame Politik wird die Mitgliedstaaten immuner machen gegen Ereignisse, wie ich sie soeben erwähnte.
Daraus ergibt sich unsere Hoffnung, daß sich aus dem großen Werk ein noch engerer und umfassenderer Zusammenschluß entwickeln wird. Wir sind davon überzeugt, mit diesen Verträgen nicht nur unserem Lande und den mit uns verbundenen Staaten zu dienen, sondern ganz Europa zu fördern und damit die Fundamente zu verstärken, auf denen in der Welt Freiheit und Sicherheit gegründet sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob die Entscheidung, die die sozialdemokratische Fraktion heute trifft, mit dem Leitmotiv harmoniert, das im Wahlkampf noch weiter eine Rolle spielen wird, nämlich dem von der ewig negierenden SPD. Nun, wir sind überzeugt, daß man, wie immer wir uns verhallten, mit diesem Leitmotiv operieren wird. das, wie die Betreffenden wissen, schon immer falsch war.
Unsere Zustimmung oder Ablehnung zu Vorlagen jeglicher Art hängt davon ,ab, wie die Prüfung über das Verhältnis dieser Vorlagen zu unseren eigenen politischen Leitvorstellungen ausfällt. Und dann muß ich sagen, daß das Denken über die nationalen Grenzen hinweg und das Streben nach Überwindung des so kostspieligen politischen und wirtschaftlichen Nationalismus schon immer ein Kernstück demokratisch-sozialistischen Denkens gewesen sind; nicht erst seit 1945, sogar von 1933 bis 1945,
und schon immer vorher. In den vergangenen Jahren haben wir uns den Vorwurf des Nationalismus manchmal von solchen anhören müssen, deren übernationales Denken jüngeren Datums war als das unsere.
Warum hat man uns manchmal ,diesen Vorwurf gemacht? Ich erinnere an ein Wort, das vor mir ein Prominenter von Ihnen hier an dieser Stelle ausgesprochen hat, nämlich Professor Erhard, der sagte, daß nicht alles europäisch ist, was als europäisch angepriesen wird. Wir sind der Meinung, daß das Streben von Millionen Menschen in Europa, aus der Nationalstaatlichkeit herauszukommen, etwas sehr Positives in unserer politischen Welt ist. Wir wissen aber außerdem, daß lalle politischen Ideen auch mißbraucht werden, und nicht nur die politischen, die die Köpfe der Menschen füllen. Das geschieht sogar mit religiösen Ideen und ganz besonders in Wahlkampfzeiten. Auf politischem Gebiet haben wir es ja erlebt, daß die europäische Idee gröblich mißbraucht worden ist. Ich darf nur an das eine Beispiel erinnern, in dem das ganz besonders kraß zum Ausdruck kam, als man nämlich von der Europäisierung der deutschen Saar sprach. Solche Mißbräuche waren ein Grund für unsere Entscheidungen in vergangenen Jahren.
Ein Zweites war und ist für uns immer entscheidend. Wenn wir in eine europäische Gemeinschaft eintreten, dann ist das nicht dasselbe, wie wenn Belgien oder Frankreich in eine solche Gemeinschaft eintreten. Die anderen Partner treten mit ihrem ganzen Volk, mit ihrem ganzen Staat in die Gemeinschaften ein. Wir müssen 17 Millionen draußen lassen. Die Frage, die wir uns alle immer wieder stellen müssen, ist doch die sehr ernste Frage: Welche Rückwirkungen ergeben sich für die Chancen der Wiedervereinigung durch einen solchen Schritt? Wir waren nun immer der Meinung, daß insbesondere militärische Bindungen, aber auch politisch-verfassungsmäßige Bindungen auf jeden Fall für die Chancen der Wiedervereinigung schädlich sein müßten. Wir waren dieser Meinung, wir sind heute dieser Meinung.
Nun, jene Verträge über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und jene Pläne über die Europäische Politische Gemeinschaft sind gescheitert, vielleicht auch deshalb, weil wir mit unserer Meinung recht hatten, daß man mit diesen Verträgen ,den europäischen Bau beim Dach beginne, anstatt bei den Fundamenten anzufangen.
Wir haben immer der Überzeugung Ausdruck gegeben, daß die Fundamente irgendwo anders liegen, nämlich im Wirtschaftlichen, im Sozialen, im Kulturellen, in der Beseitigung mancher Hemmnisse, die im Administrativen liegen. Ich denke da an etwas sehr Praktisches, z. B. an alles das, was dem freien Verkehr der Menschen in Europa über die Grenzen hinweg entgegenstand. Wo auf diesen Gebieten in den vergangenen Jahren etwas Positives zu leisten war, da haben wir Sozialdemokraten uns nirgendwo und von niemandem übertreffen lassen.
Jene Projekte, EVG und Politische Gemeinschaft, waren gescheitert. In Messina kamen die Vertreter der sechs Regierungen zusammen, um die Konsequenzen aus jenem Scheitern zu ziehen, und sie legten das Steuer herum. Sie gaben die Pläne der militärischen und politischen Integration zumindest bis auf weiteres rauf und .sie nahmen sich vor, das zu erarbeiten, was heute in Form von Verträgen vor uns liegt. Wir haben darin von vornherein Lein Einschwenken der Politik dieser sechs Regierungen auf eine Linie gesehen, die immer schon die sozialdemokratische Linie in der europäischen Politik war: weg von den militärischen und konstitutionellen Projekten; heraus auch aus der auf die Dauer unhaltbaren Teilintegration, wie wir sie in der Montanunion verwirklicht sehen!
Dieses Neue in der europäischen Politik hat dann auch eine andere Möglichkeit zumindest eröffnet, auf die wir großen Wert legen. Die militärische Integration war in der Lage Europas und der Welt zwangsläufig gegen jemand gerichtet. Sie war gegen jemand gerichtet, auf den einige Rücksicht zu nehmen wir allen Grund haben. Die wirtschaftliche Integration und der Aufbau einer Gemeinschaft zur Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke brauchen gegen niemand gerichtet zu sein. Was heute vor uns liegt, hat genug Grund in sich selbst.
Etwas tun, um den Lebensstandard der 160 Millionen Menschen zu !heben, etwas tun, um mit dem Atomproblem fertigzuwerden - ,dazu ist eine gewaltige Anstrengung notwendig —, das ist etwas, was uns allen hoch stehen müßte, auch wenn es eine Sowjetunion überhaupt nicht gäbe. Was hier geschieht, ist völlig unabhängig — sollte zumindest völlig unabhängig sein — von dem Gegensatz zwischen Ost und West. Ich glaube, daß gerade wir Deutschen — ich deutete es schon an —allen Grund haben, aus der Europapolitik die antibolschewistischen schrillen Töne herauszuhalten. Diese bolschewistische Macht hat das Pfand der 17 Millionen Deutschen in der Hand. Ob die Wiedervereinigung schneller oderlangsamer kommt, weiter, ob Chancen bestehen, daß das wiedervereinte Deutschland in den geschaffenen europäischen Gemeinschaften bleiben kann, wird weitgehend davon abhängen, wieweit man die europäische Politik von antibolschewistischen Tendenzen freizuhalten versteht.
Wir halten es wirklich für einen Akt des Mutwillens und der Unvernunft, wenn man solchen Verträgen, wie wir sie heute vor ,uns haben, eine Tendenz gegen jemand unterschiebt. Die volle Entfaltung unserer Hilfsquellen und die Erhaltung und Wiedergewinnung der Stellung der alten europäischen Nationen auf dem Kontinent sind Motiv genug, idas zu tun, was hier getan wird. Wir sollten dia nicht gegen jemand bauen — übrigens auch nicht gegen Amerika, wie manche das denken, wenn sie an diese Verträge herangehen. Wir sollten diese Gemeinschaften wenn nötig neben, aber wenn möglich mit ,den beiden jungen Riesen, die die Welt beherrschen, erbauen. Dieses Denken gegen jemand schadet !der Europäischen Gemeinschaft, und es schadet insbesondere unseren deutschen Interessen an der Wiedervereinigung.
Ich darf eine weitere Gefahr aufzeigen. Es gibt da eine Art kindlicher Ungeduld unter den aktiven europäischen Politikern. Alles geht nicht schnell genug, und sie möchten übermorgen die Nationalversammlung für die Vereinigten Staaten von Europa einberufen. Lassen Sie mich eines sagen: auf viele Jahre hinaus wird jede ernste Europapolitik darin bestehen, diese Verträge durchzuführen, zu verwirklichen, sie dia, wo sie nur Ansätze enthalten, auszubauen, die gemeinsame Konjunkturpolitik zu entwickeln, schließlich — es wird lange ,dauern — zu einer gemeinsamen Währungspolitik zu kommen, eine gemeinsame Verkehrspolitik und eine gemeinsame Sozialpolitik zu treiben. Diese Europapolitik wirddarin bestehen müssen, aus der Enge der sechs Staaten — es istimmer noch relative Enge — herauszukommen und zunächst einmal die Freihandelszone zu schaffen und das Gebiet des freien Handels zu erweitern.
Gewiß ist die Koordinierung der Außenpolitik der europäischen Staaten dringend notwendig. Im Oktober-November des vorigen Jahres, bei der Sues-Krise. haben wir das alle so sehr verspürt. Für diese Koordinierung der Außenpolitik — wenn man sie will — gibt es Institutionen: da ist der Europarat, da ist die Westeuropäische Union. Da sind Möglichkeiten gegeben, ohne daß wir uns wieder darangeben, europäische Verfassungen zu zimmern. Das Schmieden von Verfassungen wird auf lange Jahre hinaus immer zum Scheitern verurteilt sein. Außerdem kämen wir Deutsche damit wieder in Bereiche hinein, wo wir sagen müßten: Hier ergibt sich eine ernste Gefährdung der Chancen für die Wiedervereinigung, und da können wir nicht mitmachen.
Bei der Gewissenserforschung, die die Vertreter der sechs Regierungen in Messina nach dem Scheitern der EVG angestellt haben, haben sie auch den Vorsatz gefaßt, die Supranationalität der Vereinbarung nicht so dogmatisch zu handhaben. Sie sahen mit Recht darin eine Chance, leichter aus dem engeren Rahmen der Sechs herauszukommen. Das ist sehr erfreulich. Ich habe soeben mit Befriedigung gehört, daß auch Herr Furler in den Gemeinschaften der Sechs nicht einen Selbstzweck sieht. Das kann eine Avantgarde sein, die immer danach streben muß, aus sich selbst herauszukommen, die neue Mitglieder gewinnen muß und die um sich herum Zonen der Assoziierung aufbauen muß wie jetzt z. B. hier in der Freihandelszone.
Wir konnten in der Ausschußberatung mit der Formulierung der Verträge in dieser Hinsicht nicht zufrieden sein. Die Aufnahme neuer Mitglieder ist in diesen Texten nicht erleichtert worden. Jeder einzelne Staat hat ein Vetorecht. Ich kann mir Situationen vorstellen, in denen der eine und der andere es nicht gern sehen, wenn ein Konkurrent auf einem speziellen Gebiet — ich will keine Namen nennen — Mitglied der Gemeinschaft zu werden versucht. Das ganze freie Europa soll es nach unserer Meinung sein. Aber auch dieses ganz freie Europa muß immer gegenüber der ganzen Welt aufgeschlossen bleiben, und es darf, wie ich schon sagte, gegen niemand aufgebaut werden.
Gestatten Sie mir, kurz auf einige wenige speziellere Fragen einzugehen. Wir alle sind uns über die große Bedeutung unseres Interzonenhandels klar. Da ist einmal die dadurch bestehende Verbindung mit der anderen Seite Deutschlands, und wir alle wissen von der besonderen Bedeutung dieses Interzonenhandels für Berlin und für die Erhaltung des freien Zugangs nach Berlin. Es ist klar, daß durch die Verträge keine Zollgrenze zwischen uns und drüben geschaffen wird. Aber wir haben schon früher hier klargemacht, daß das für uns
keineswegs das entscheidende Anliegen ist. Mein Fraktionskollege Deist hat im März, als wir hier über das Thema debattierten, Kritik an dem damals — das war kurz vor der Unterzeichnung — vorliegenden Text betreffend den Interzonenhandel geübt und gesagt, für uns sei entscheidend, daß nach Inkrafttreten des Vertrages keinerlei Beschränkungen für eine freie Entwicklung des Interzonenhandels in der Zukunft gegeben sein dürften. Keinerlei Beschränkungen der Entwicklung nach Art und Umfang in der Zukunft, das ist für uns das Entscheidende. Diese Intervention meines Freundes Deist hat glücklicherweise dazu geführt, daß der Text noch bei der Unterzeichnung verbessert wurde und man jetzt darin liest, daß dieser Interzonenhandel Bestandteil des innerdeutschen Handels ist. Im Ausschuß glaubten wir, daß das nicht anders verstanden werden kann, als daß wir in der Gestaltung des Interzonenhandels nach Art und Umfang frei sind. Wir halten es für ganz besonders wichtig, daß wir von uns aus, soweit es in unserer Macht liegt, alles tun, um diesen Interzonenhandel nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern auch auszuweiten und dadurch ein Gegengewicht gegen das zu schaffen, was zwangsläufig die Folge der Schaffung des Gemeinsamen Markts sein wird, nämlich eine weitere Verflechtung nach dem Westen hin und eine weitere Intensivierung unserer Wirtschaftsbeziehungen in die andere Richtung. Den Interzonenhandel ausweiten und entwickeln ist eine wichtige Aufgabe, um zumindest ein Gegengewicht gegen diese andere unausweichliche Tendenz zu schaffen.
Ich darf hier noch einen sehr wunden Punkt dieser Verträge erörtern. Auch Herr Kollege Furler hat schon davon gesprochen, wie unzufrieden wir alle mit den Vollmachten sind. die dem europäischen Parlament, der Versammlung für die drei dann bestehenden Gemeinschaften, gegeben werden. Ich glaube, wenn wir dieses Haus in die Verhandlungen früher eingeschaltet hätten, wären wesentliche Verbesserungen auch auf diesem Gebiet möglich gewesen. Ich bin sicher, hätte der Herr Bundeskanzler in den zurückliegenden Jahren mehr Sinn dafür gehabt. mit seinem Parlament Politik zu machen und nicht nur in das Parlament hineinzuspielen, dann sähen viele der abgeschlossenen Verträge besser aus, als sie jetzt aussehen. Bei allem Talent, Herr Bundeskanzler, in diesem Punkt lassen Sie sich immer von den französischen Regierungschefs übertreffen. Auch die Bestimmungen über die Assoziierung der überseeischen Gebiete hätten anders ausfallen können, wenn Sie bei den Verhandlungen in Paris mit den Wünschen dieses Parlaments hätten operieren können.
Aber lassen Sie mich jetzt über die Stellung des europäischen Parlaments einiges sagen. Daß diese Stellung so schwach ist, wurde von den Vertretern der Regierung in der Ausschußberatung damit begründet, daß die anderen Partner nicht bereit gewesen seien, auf souveräne Rechte zu verzichten. Sie hätten weiter Kontrolle über schwerwiegende wirtschaftspolitische Entscheidungen dadurch behalten wollen, daß sie den Rat in seiner Stellung stärken und durch ihren Vertreter im Rat eben ihre nationalen Wünsche zur Geltung bringen können. Wir haben im Ausschuß auch eine andere Erklärung darüber gehört, die, glaube ich, einen größeren Teil der Wahrheit in sich enthält. Einer unserer Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion hat über die Schwäche des europäischen Parlaments folgendes gesagt:
Das liegt einfach daran, daß solche Verträge von den Regierungen, von der Exekutive gemacht werden und daß man hier vielleicht kein allzu großes Interesse hat, diese Parlamente mit übermäßigen Vollmachten auszustatten.
Ich wiederhole: in der Erklärung der Bundesregierung liegt wohl auch ein Körnchen Wahrheit, aber hier liegt ein viel größerer Teil.
Das ist eine schlimme Sache. Die Parlamente der Mitgliedstaaten verzichten auf wichtige Gesetzgebungskompetenzen und Kontrollrechte auf wirtschaftspolitischem Gebiet, im Außenhandel, in der Atompolitik, und diese Rechte gehen nicht auf das europäische Parlament über. Sie finden sich vielmehr im Ministerrat der Gemeinschaft wieder. Die Versammlung ist ohne alle legislativen Rechte, sie hat nur sehr bescheidene Kontrollrechte. Das Parlament wird geradezu seiner Rechte beraubt, und das zugunsten einer Technokratie, einer Bürokratie und der Minister, die in den Ministerräten sitzen werden.
Wir haben uns im Ausschuß überlegt, wie wir angesichts der Unabänderlichkeit der Vertragstexte operieren könnten. Wir haben in das Ratifikationsgesetz — Herr Furler hat es schon gesagt — ein Maximum an Möglichkeiten eingebaut, den deutschen Vertreter im Rat unter den Einfluß des Bundestags zu bringen. Aber wir müssen uns darüber im klaren sein, daß das nur ein schwacher Ersatz für den Verlust an Rechten und für das Nichtwiederfinden dieser Rechte im europäischen Parlament ist.
Sicher wird es ein zweites Feld geben, auf dem der Versuch gemacht werden muß, den Schaden, soweit es geht, zu reparieren. Die Montanversammlung hat es verstanden, trotz schlechter Vertragsbestimmungen in beachtlichem Umfang tatsächliche Rechte zu erwerben und tatsächlich auf die Entscheidungen in der Montanunion Einfluß zu nehmen. Die alten Mitglieder des Parlaments der Montanunion oder eine Anzahl von ihnen werden auch in der neuen Versammlung sitzen, und man darf als sicher annehmen, daß es dort eine ähnliche Entwicklung geben wird.
Weiter bekommt im Vertragstext selbst die europäische Versammlung den Auftrag, ein Wahlgesetz zu machen. Wir wollen hoffen, daß dieser Versammlung ihre Stellung und ihre Machtbefugnisse wichtiger sein werden als das Verfahren. nach dem ihre Mitglieder gewählt werden, und daß sie gerade diesen Artikel zum Ausgangspunkt für Vorstöße nimmt mit dem Ziel, alle die Rechte in die europäische Versammlung zu ziehen, auf die die nationalen Parlamente durch die Ratifikation dieser Verträge verzichten.
Eine andere Bemerkung muß ich machen über die Wiedervereinigung und die Nichtbindung der Regierung des wiedervereinigten Deutschlands. Gewiß, die Bundesregierung hat eine Erklärung abgegeben, die inhaltlich bedeutet: Jawohl, diese Verträge binden die gesamtdeutsche Regierung nicht. Wir haben beanstandet. und wir bleiben dabei, daß diese Erklärung nicht Teil der Verträge geworden ist. Darf ich Ihnen sagen, wie andere Regierungen so etwas handhaben, wenn sie Wert auf bestimmte Erklärungen legten: ich habe es dieser Tage nachgesehen. Als die Pariser Verträge ausgehandelt wurden, hat die Bundesregierung die bekannte und
in dieser Woche wieder so aktuelle Erklärung abgegeben, sie verzichte auf die Produktion von Atomwaffen und von B- und C- Waffen. Das ist nicht in irgendeiner obskuren Sitzung geschehen und ist ohne Widerspruch von den anderen zur Kenntnis genommen worden; die anderen legten allerdings größten Wert auf diese Erklärung. Deswegen haben sie ausdrücklich zugestimmt in einem Protokoll, das Teil der Verträge war und mit ratifiziert worden ist. Wenn man Wert auf eine solche Feststellung legt — und ich glaube, die Nichtbindung einer gesamtdeutschen Regierung ist für uns etwas, auf das wir allergrößten Wert legen —, muß man so verfahren, muß man die Erklärung zu einem Teil des Vertrages machen. Man bringt die Entschuldigung vor: dann wären Umkehrschlüsse möglich gewesen; in früheren Verträgen steht das nicht, und man hätte dann schließen können, weil es in den früheren nicht stehe, gelte es nur für diesen Vertrag, nicht aber für die früheren. Meine Damen und Herren, bei der Ausschußberatung haben wir positive Beispiele dafür erlebt, wie findig in Formulierungen die Juristen sein können, wenn sie politisch guten Willens sind. Das ist ein Problem, das man sehr leicht hätte lösen können.
Ich habe hier nur zu ganz wenigen Punkten Stellung nehmen wollen. Aber daraus wird allen deutlich sein, daß man, wenn man hier zustimmt, es nur in der Überzeugung tun kann, daß in diesen Texten nicht mehr enthalten ist und vielleicht nicht mehr enthalten sein konnte als ein Anfang, als eine Grundlage für weitere Entwicklungen. Wir glauben aber, daß am Anfang des Atomzeitalters dieser Versuch der Gründung einer Wirtschafts- und Atomgemeinschaft für 160 Millionen Westeuropäer, die bislang Feinde waren, ein großes Unterfangen ist. Es erscheint uns der Mühe und auch einiger kalkulierter Risiken wert, sich an dieses Werk zu begeben. Wir tun das als Sozialdemokraten mit Nüchternheit und mit gewichtigen Sorgen und Vorbehalten und vor allem mit dem Willen, in der Zukunft Lücken zu füllen und Gefahren abzuwenden. Wie immer werden wir das größte Gewicht auf das legen, was man aus diesen Texten macht.
Das Wort hat der Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der letzten Unterhaltung über das Projekt, über das wir heute abschließend zu befinden haben, hat der Kollege Elbrächter davon gesprochen, daß es sich um eine epochemachende Angelegenheit handle. Auch die Bundesregierung hat in allen ihren Darlegungen die Wichtigkeit der Verträge nach Möglichkeit herausgestrichen. Ganz im Gegensatz dazu steht leider die Behandlung, die die Beratung dieser Verträge insbesondere in der Zusammenarbeit mit dem Parlament erlebt hat. Was ist vorgegangen? Zwei Jahre lang wurde hinter verschlossenen Türen verhandelt, ohne daß mehr in die Öffentlichkeit drang als gelegentliche Zeitungsnotizen, die nicht mehr besagten, als daß überhaupt verhandelt werde. Über die Fortschritte wurde weder der Bundestag noch sonst irgend jemand unterrichtet. Herr Kollege Mommer, der sowieso alle Gründe zusammengetragen hat, die für eine Ablehnung sprechen — es ist mir entgangen, wie er dann plötzlich zur Zustimmung gekommen ist; es muß ganz schnell gegangen sein —, hat schon darauf hingewiesen, wie wenig Kontakt mit dem Parlament bestanden und wie man die Chance verpaßt hat, die man gehabt hätte oder hätte haben können, durch Einschaltung der Organe, die zu dieser Sache etwas zu sagen gehabt hätten, sich eine stärkere Verhandlungsposition zu sichern.
Die erste Unterrichtung des Bundestages erfolgte nach meinen Notizen am 19. Januar. Es bedurfte eines erheblichen Lärms in der Presse, um die Bundesregierung zu veranlassen, sich diesem Hause mit einer Regierungserklärung zu stellen, die sie dann am 21. März abgegeben hat. In der Begründung zu dieser Regierungserklärung beschränkt sie sich für das ganze Unternehmen auf den einen Satz: ,,Über die Notwendigkeit dieses Zusammenschlusses der europäischen Staaten in unserem Zeitalter, in dem sich politische und wirtschaftliche Macht in einem entscheidenden Maße auf wenige große Weltmächte konzentriert, braucht kaum mehr etwas gesagt zu werden." Zu mehr hat sich Herr Staatssekretär Hallstein nicht aufgerafft. Im Gegensatz dazu hat dann der Herr Außenminister in späteren Beratungen und auch vor dem Ausschuß sehr ausführlich immer wieder dargelegt, daß es das Ziel der Bundesregierung sei, zur Einigung Europas zu kommen. In diesem Ziel sind wir Freien Demokraten mit der Bundesregierung einig. Ich kann das nur nochmals wiederholen. Wir sind auch gern bereit, Sie auf diesem Gebiet zu unterstützen. Aber wir haben früher schon zum Ausdruck gebracht und müssen es heute nochmals sagen: Diese Verträge sind nach unserer Auffassung kein Weg nach Europa. Im Gegenteil, wir fürchten — —
— Weil es sich damals um eine ganz andere Angelegenheit handelte, Herr Mommer. Heute sind wir frei, damals waren wir noch besetztes Land. Es konnte schon der Mühe wert sein, die Bindungen abzuwerfen, die wir damals noch hatten. Ich habe auch schon einmal zum Ausdruck gebracht: was auf einem Teilgebiet, einem Sachgebiet durchaus funktionieren kann, braucht in einem anderen Bereich noch lange nicht richtig zu sein.
Ebenso sind ja all die Vergleiche, die als Begründung angezogen sind, etwas wacklig. Das wissen Sie so gut wie wir, und darüber haben wir so oft gesprochen, daß es langweilig wäre, das noch einmal zu wiederholen. Sicher hat der Zollverein damals dazu beigetragen, uns in diese kleindeutsche Lösung hineinzuführen; das ist gar nicht bestritten. Es wird aber auch von der anderen Seite nicht bestritten, daß wir damals eine Agrarwirtschaft und kein Währungsproblem hatten und daß der politische Wille zur Einigung dahinterstand, der hier doch völlig fehlt. Das kann man nicht verkennen. Genauso ist der Vergleich mit den Vereinigten Staaten irrelevant. Dort befinden sich überall im ganzen Land verteilt reiche Rohstoffvorräte. Wo man sie braucht, hat man Kohle, Öl und Erze, und sie liegen so praktisch, daß man nur zuzugreifen braucht. Vielleicht kann ich mit den Worten des Herrn Cartier in seinem Buch „Achtundvierzigmal Amerika" sagen: Europa wird auch dann, wenn es sich zu einer Wirtschaftseinheit zusammenfindet, immer der arme Verwandte der Vereinigten Staaten und Texas bleiben. Also diese Vergleiche ziehen nicht, und darauf kann man sich nicht berufen.
Ich bin aber dankbar, daß der Herr Außenminister die europäische Zielsetzung immer wieder in allen seinen Äußerungen in den Vordergrund gestellt hat, und darf es wiederholen: Auf diesem Wege sind wir bereit, ihm zu folgen. Dagegen müßte man der Begründung Drucksache 3440 — vielleicht lesen Sie einmal nach, was auf Seite 107 unter „B. Politische Bedeutung der Verträge" angeführt ist — zu jedem Satz widersprechen. Es heißt da:
Dem Abschluß der beiden Verträge, durch welche die Partnerstaaten eine Wirtschaftsgemeinschaft und eine Atomgemeinschaft begründen, kommt grundlegende politische Bedeutung zu. Er ist Ausdruck des Willens der sechs Staaten, sich zu einer engeren Gemeinschaft zu verbinden.
Nehmen Sie das zusammen mit all dem, was wir immer vom Geist europäischer Zusammenarbeit hören, dem Willen, gemeinsam voranzuschreiten, und halten Sie dagegen die Maßnahmen, die die französische Regierung getroffen hat, um die Folgen ihrer eigenen Politik abzufangen, dann kann doch niemand mehr behaupten, daß das aus dem Willen zur europäischen Zusammenarbeit geschehen ist. Im Geschäftsleben würde man in einem solchen Falle sagen, daß der Vertrag mangels Willensübereinstimmung nicht hat zustande kommen können.
Dann wird hier eine Reihe von Behauptungen aufgestellt, die schon xmal besprochen und widerlegt worden sind. Es heißt weiter:
Die Verträge schaffen die wirtschaftliche Grundlage für die politische Stärkung und Einigung Europas.
Eben das glauben wir nicht. Im Gegenteil, wir sind der Ansicht, daß dieser Vertrag ein falsches Etikett trägt. Es handelt sich — ob nützlich oder nicht nützlich — um eine Zollunion zwischen sechs Ländern in Europa, aber nicht um eine europäische Angelegenheit; denn dazu bedürfte es eben eines erheblich größeren Kreises. Wenn man von Europa spricht, können so wichtige Staaten wie die skandinavischen Länder und Großbritannien, aber auch Griechenland nicht außer acht gelassen werden. Ein europäisches Unternehmen sind diese Verträge nach unserer Auffassung also nicht.
Es wird weiter das Ziel deklariert: nicht eine Abschnürung der in ihnen vereinigten Staaten von den übrigen europäischen und außereuropäischen Staaten, sondern im Gegenteil eine Ausweitung und Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen. Meine Damen und Herren, das ist doch Wortgeklingel. In Wirklichkeit errichten wir eine Zollmauer quer durch Europa gegenüber diesen anderen Staaten. Das nehmen sie uns recht übel und sagen das ja auch deutlich genug. Es heißt hier:
Für die Beziehungen der Gemeinschaft zu den überseeischen Ländern und Gebieten, die mit einigen der Partnerstaaten in einer engeren Verbindung stehen, entwickeln die Verträge neuartige Grundsätze.
Aber die Betroffenen wehren sich, sie schreien um Hilfe und schreiben uns Briefe. Dann kann man doch nicht davon sprechen, wie es Herr Professor Furler vorhin tat, daß sich alle Probleme inzwischen einander genähert hätten. Vielleicht haben die Probleme gar nicht bestanden. So geht es doch nicht. Hier fehlt es einfach an der Aktivität, das zu tun, was notwendig ist, nämlich mit den Leuten
zu sprechen. Ich möchte nicht mißverstanden werden. Es kann niemals unsere Sache sein, unseren französischen Freunden Ratschläge zu geben, wie sie mit ihrem Algerienproblem fertig werden sollen. Wenn das so leicht wäre, dann hätten sie das Problem schon gelöst. Wir kennen auch die Problematik nicht in aller Tiefe. Darüber zu reden — ich möchte nicht mißverstanden werden — kann also nicht unsere Sache sein.
Aber es gibt souveräne Staaten in Nordafrika, Staaten, mit denen wir diplomatische Beziehungen unterhalten. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, daß wir ohne sie in dem Raum gar nicht handlungsfähig sind. Wir können leider nicht erfahren, ob man mit diesen Staaten über die Sache gesprochen hat. Ich glaube es nicht, obwohl wir es hier mehrfach angeregt haben.
Nachher steht dann hier:
Es ist zu hoffen, daß die Gründung der beiden neuen Gemeinschaften, deren ausschließlich friedliche Zielsetzung offen zutage liegt, auch zu einer Besserung der Beziehungen zur Sowjetunion führen wird.
Da kann man nur sagen: diese Begründung ist doch recht weit hergeholt.
Meine Damen und Herren, wenden wir uns vorn Zustandekommen der ganzen Verträge nun ab und untersuchen einmal das, was hier im Hause ein gemeinsames Anliegen war, nämlich die Ausschaltung der parlamentarischen Kontrolle! Gewiß, die Bundesregierung hat im Ausschuß dargelegt, es sei nicht ihre Schuld, daß es nicht zu einer vernünftigen parlamentarischen Ordnung gekommen sei. Sie hat ausdrücklich erklärt: Das Ziel für die europäische Versammlung muß die Herstellung einer echten parlamentarischen Kontrolle durch ein in direkten Wahlen frei gewähltes europäisches Parlament sein. So weit sind wir einig. Aber leider ist es nicht dazu gekommen, und die Hilfskonstruktionen, die wir in das Ratifizierungsgesetz eingebaut haben, sind ja kein Ersatz für die fehlende parlamentarische Kontrolle. Mag es bei den Zöllen noch angehen, — aber die Unterrichtungspflicht bzw. die Konsultationspflicht ist doch eigentlich in demokratisch regierten Ländern eine Selbstverständlichkeit. Daß eine Regierung mit ihrem Parlament zusammenspielt, versteht sich doch von selbst!
— Bei uns versteht es sich leider nicht von selbst, wie wir eben festgestellt haben, und deshalb müssen wir es hier gesetzlich festlegen.
Aber das hilft uns nicht darüber hinweg, daß es leider nicht gelungen ist, eine mit parlamentarischen Befugnissen ausgestattete europäische Versammlung zu schaffen. Wir wünschen sehr, daß die Bemühungen in dieser Richtung fortgesetzt werden, auch wenn es sich nur um diesen kleinen Teil Europas handelt. Wir sind der Meinung, daß es ein Schritt weiter auf dem Wege wäre, wenn wir ein richtiges Parlament mit den normalen parlamentarischen Befugnissen schaffen könnten.
Zunächst jedoch soll das Unternehmen ohne jede parlamentarische Kontrolle arbeiten; denn die Befugnisse des Bundestages werden an die Organe, die in den Verträgen vorgesehen sind, abgetreten. Sie an ein richtiges europäisches Parlament abzutreten, hätten wir keine Bedenken. Aber da diese Lösung nicht zustandegekommen ist, werden
sie an die Bürokratie abgetreten, und der Bundestag hat leider keine Kontrolle mehr, weil wir ja infolge des konstruktiven Mißtrauensvotums — wir haben schon mehrfach darüber gesprochen — gar keine Möglichkeit haben, einen einzelnen Minister zur Verantwortung zu ziehen.
Ich glaube, meine Damen und Herren, es wäre eine nützliche Aufgabe für den nächsten Bundestag, diese Frage des konstruktiven Mißtrauensvotums einer sehr genauen Prüfung zu unterziehen;
denn wir binden nicht nur uns, sondern auch die Regierung kommt ja ständig in die Situation, daß immer das Ganze in Gefahr gerät, wenn mal ein Minister — und das kommt schließlich in jedem Lande der Welt vor — das Vertrauen des Parlaments nicht mehr in vollem Umfang genießt. Es wäre also zu überlegen, ob man in dieser Frage nicht zu einer andern Lösung kommen will. Aber es ist Sache des nächsten Bundestages, sich damit zu beschäftigen.
Nun hat Herr Professor Furler alle die Behauptungen wiederholt, die er hier schon mehrfach vorgetragen hat und die zu widerlegen wir uns bemüht haben. In unserer gemeinsamen Heimat würde man den Erfolg dieses Versuches der Widerlegung mit dem Wort bezeichnen: Es ist genauso, als wenn man einen Ochsen ins Horn pfetzt. Das hinterläßt keine Spuren.
Ich bedaure nun sehr, diese Einwendungen nochmals vortragen zu müssen. Wir sehen in den Verträgen nicht einen Schritt zur Einigung Europas, sondern befürchten leider eine weitere Spaltung des europäischen Marktes. Bedenken Sie die Konsequenzen aus der Beratung: In Skandinavien entsteht eine Zollunion, und die Südamerikaner basteln an einem gemeinsamen Markt herum. Wir werden also — das ist jedenfalls das einstweilige Ergebnis — viel eher zu einer Spaltung des Weltmarkts als zu einer Einigung kommen, und darin sehen wir keine Vorteile. Wir wären gern bereit mitzumachen, wenn es gelingen könnte, den europäischen Markt, wie er heute innerhalb der OEEC besteht, zu verstärken, meinetwegen auch mit politischen Integrationen zu versehen.
Wir sind sehr bereit, die Beratung über die Freihandelszone nach Kräften zu stützen. Aber auch da werden — wenn man das so liest — dieselben Begründungen vorgebracht, dieselben Ängste, ,dieselben Sorgen gegenüber jedem Fortschritt, gegenüber auch dem kleinsten Fortschritt. Alle diese Begründungen werden so, wie sie damals in der Beratung über den Gemeinsamen Markt eine Rolle spielten, gegenüber der Freihandelszone vorgetragen. Ich frage mich vergeblich, wo da eigentlich der Schwung, die Begeisterung ist, die dann zu der Dynamik der Entwicklung führen soll. Das ist das eine politische Problem.
Das andere Problem betrifft die Frage, wie weit unser erstes Anliegen, nämlich die Wiedervereinigung Deutschlands, von diesem Vertrag berührt wird. Wir haben hi r schon mehrfach darüber gesprochen. Ich habe für meine Fraktion schon anerkannt, daß ein gewisser Fortschritt erreicht wurde und daß man bei der Unterzeichnung des Schlußprotokolls eine bessere Formulierung gefunden hat, in der zum Ausdruck kommt, daß der innerdeutsche Handel von diesem Vertrag nicht berührt wird.
Das ist Aber nicht das politische Problem. Ich habe damals gesagt: man wird eben das ungute Gefühl nicht los, daß sich die beiden Teile Deutschlands durch den 'Beitritt Westdeutschlands zu dieser westeuropäischen Gemeinschaft weiter auseinanderleben. Dias ist leider wohl eine zwangsläufige Folge.
Inzwischen bin ich, und zwar durch Unterhaltungen, die kürzlich bei dem Parlamentariertreffen in Rom geführt worden sind, noch sehr viel mißtrauischer geworden. Wir sind doch immer davon aasgegangen, daß es im Falle der Wiedervereinigung möglich sein müsse, mit unseren Vertragspartnern zu einem Abkommen zu gelangen, das der Wiedervereinigung auch innerhalb des Vertragswerks Rechnung trägt. Wenn wir ,aber in Rom hören mußten, daß Frankreich niemals mitmachen könne, wenn 70 Millionen Deutsche beisammen seien, — meine Damen und Herren, dann ist das hier doch eine Blockierung unserer Wiedervereinigungsbestrebungen. Daß Frankreich die Macht und die Möglichkeit dazu hat, haben wir ja in den früheren Beratungen hier festgestellt; denn Frankreich hat sich vorbehalten, daß es einem Statut über die Wiedervereinigung zustimmen muß. Wir hängen hier also von idem guten Willen Frankreichs ab. Wir haben eigentlich unterstellt, daß dieser gute Wille erreicht werden könne. Aber es waren Politiker von Rang und Namen, die in Rom erklärt haben, mit 70 Millionen Deutschen würden sie diesen Vertrag nie schließen. Da werden wir dann doch etwas besorgt, ob wir uns hier nicht ein Hindernis in den Weg legen, das uns eines Tages sehr unangehm wird.
Ebensowenig sind die Probleme hinsichtlich der Einbeziehung der überseeischen Gebiete ausgeräumt. Ich sagte soeben schon: Verhandlungen mit den souveränen nordafrikanischen Staaten haben meines Wissens bisher nicht .stattgefunden. Wir wissen also nicht, ob und in welcher Form wir diese Staaten zur Mitarbeit gewinnen können, einer Mitarbeit, die vielleicht nicht wirtschaftlich ausschlaggebend ist, die uns aber auf jeden Fall von dem Odium befreien würde, in Afrika Kolonialpolitik betreiben zu wollen. Ich hätte sehr gewünscht, daß man wenigstens Versuche in dieser Richtung unternommen hätte. Es tut mir Leid, wenn .das nicht geschehen sein sollte.
Die wirtschaftlichen Fragen brauchen wir heute nicht zu wiederholen. Es hat sich nichts geändert und nichts gebessert. Das Urheberrecht für Bezeichnungen wie „Präferenzsystem europäischafrikanischer Provenienz" möchte ich für Herrn Professor Erhard sicherstellen; er hat auch von der Gefahr einer europäischen Inzucht und von einer klein-europäischen Autarkie gesprochen.
Mit diesen Worten ist ja alles gesagt, was wir befürchten. Anstatt eines Auftriebs, eines Aufschwunges innerhalb Europas, anstatt eines Zusammenwachsens der europäischen Industrie sehen wir in dem Aufbau der Außenzölle eine Spaltungstendenz, sehen wir, daß wir uns vom Welthandel absperren. Ja, meine Damen und Herren, ich habe auf einer Reise durch die Vereinigten Staaten — ich war auch in Texas —gesehen, daß man sogar Gefahr läuft, den in den Vereinigten Staaten immer vorhandenen Isolationismus noch zu stärken, daß man ihm Wasser auf die Mühlen gießt. Die USA sind nicht so sehr exportinteressiert. Sie sind nicht vom Export abhängig. Der Export spielt im Rahmen ihrer Wirtschaft eine verhältnismäßig
kleine Rolle. Das Wichtigste, was die Vereinigten Staaten an Export interessiert, ist der Absatz der sogenannten Überschußgüter, des Getreides, der Baumwolle, der Sojabohnen und dieser Dinge. Meine Damen und Herren, wenn wir in Zukunft in unserem — wie sagt Herr Erhard? — europäisch-afrikanischen Präferenzsystem unseren Bedarf an diesen Waren decken, werden wir kein Kunde der Vereinigten Staaten mehr sein können; dann wird das Interesse, das die Vereinigten Staaten heute noch an uns nehmen und das mindestens auch auf den Wirtschaftsbeziehungen beruht, eben entsprechend schwächer werden. Ist das eine Konsequenz, die wir in Kauf nehmen müssen?
Es wurde zwar immer gesagt: „All diese Dinge sind nicht so gefährlich; wir machen erst mal die Zollmauer, wir können sie ja nachher wieder abbauen." Natürlich! Erst bauen wir jetzt mal fünfzehn Jahre lang Zölle auf, und hintennach bauen wir sie dann gleich wieder ab! Aber einstweilen ist es doch leider so, daß wir in ein hochprotektionistisches System hineinschlittern. Wir werden für Zucker einen Zoll von 80 % haben. Meine Damen und Herren, damit hört doch jeder Zuckerbezug außerhalb dieses Präferenzraumes auf. Darüber muß man sich im klaren sein, ob man dieses Opfer bringen will.
Ich habe bewußt in allen öffentlichen Äußerungen darauf verzichtet, von deutschen Vorleistungen oder davon zu sprechen, daß Deutschland erhebliche finanzielle Beiträge leisten muß. Aber nach der gestrigen Diskussion in bezug auf § 96 der Geschäftsordnung muß man sich doch einmal die Frage erlauben, ob die Summen, die hier in Rede stehen und 'die sich nach Auskunft der Bundesregierung auf etwa 500 Millionen DM jährlich belaufen, so geringfügig sind, daß man dazu den Haushaltsausschuß nicht zu hören braucht.
Wir haben doch gestern sehr viel kleinere Beträge abgelehnt, wir konnten nicht weiterberaten, weil die betreffenden Gesetze erst an den Haushaltsausschuß gehen müssen. — Ich will keine formalen Schwierigkeiten machen; das würde, glaube ich, der Bedeutung der Sache nicht entsprechen; sonst hätte ich heute morgen um 9 Uhr die Verweisung dieser Verträge — entsprechend der gestrigen Auslegung des § 96 — an den Haushaltsausschuß beantragt.
— Ja, Herr Kunze, natürlich. Aber dann war es gestern auch Unsinn, nicht wahr? Entweder es ist Unsinn, oder es ist keiner. Darüber muß man sich dann doch schon einmal schlüssig werden. — Hier handelt es sich immerhin um 500 Millionen DM. Es wäre also wirklich kein Luxus gewesen, wenn der Herr Bundesfinanzminister mit einem Wort dazu Stellung genommen hätte, ob er diese 500 Millionen gern hergibt oder nicht gern. Na, daß er sie nicht gern hergibt, wissen wir eigentlich; aber er sollte sagen, ob er sie hergeben kann. Ich meine, nach dem Streit, der gestern um viel kleinere Beträge hier im Hause gewesen ist, wäre doch ein Wort darüber am Platze.
Ich darf noch einmal auf die Freihandelszone zu sprechen kommen. Es ist immer wieder die Frage aufgeworfen worden, ob man zuerst über die Freihandelszone hätte sprechen müssen oder ob die Freihandelszone nur kommen kann, wenn der Gemeinsame Markt zustande kommt. Also das ist, glaube ich, die Frage, ob zuerst die Henne oder zuerst das Ei da war.
Wir wollen gar nicht bestreiten, daß von den Verhandlungen über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ein nicht unerheblicher Druck auf die Länder ausgegangen ist, die sich nun bereit erklärt haben, über eine Freihandelszone zu verhandeln.
Aber das ist nicht das entscheidende für uns. Wir Freien Demokraten sind aufs äußerste besorgt darüber, daß ein Teil Europas eine Grenze um sich herum errichtet, die ihn von den anderen europäischen Völkern und von der übrigen Welt trennt. Man könnte mit den Freihandelszonen diese Besorgnis einigermaßen mildern. Wahrscheinlich würden sie das Tor zum Welthandel trotz aller Ursprungszeugnisse offenhalten. Aber wir sehen keinen Fortschritt, und — ich will das gar nicht kritisieren; die Probleme sind sehr schwierig — man wird monatelang, vielleicht jahrelang über die Freihandelszonen verhandeln müssen, wenn man zu einem vernünftigen Ergebnis kommen will. Ich sehe daher nicht ein, warum man die Verträge, die einen Zusammenschluß eines Kleinsteuropas zur Folge haben werden, so forciert und nicht etwas im gleichen Schritt mit den Verhandlungen über die Freihandelszonen marschiert.
Wir können auch nicht verschweigen, daß unsere Besorgnis über die völlige Außerachtlassung der verzerrten Währungsrelation, die nach unserer Ansicht einen Erfolg dieser Verträge mindestens sehr beeinträchtigen wird, leider Gottes nicht geschwunden ist. Wir haben die Folgen dieser falschen Währungsrelation ja eben erst erlebt. Wir haben gesehen, wie Frankreich notgedrungen, aber doch völlig egoistisch, ohne jemand anders vorher zu fragen, ohne in den Gremien, in denen seine Vertreter mit uns zusammensitzen, die Frage auch nur zu erörtern, sich zu Maßnahmen gezwungen sah, die keine Behebung des Zustandes bedeuten, die jedenfalls nach unserer Ansicht nicht dazu führen können, sondern die lediglich eine Verschlimmerung verhüten, die aber für den Geist der europäischen Zusammenarbeit, von dem wir hier so gern sprechen, doch sicher nicht die richtige Einführung sind.
Auch unsere weitere Besorgnis, daß wir uns hier einem hochprotektionistischen und dirigistisch ausgerichteten System anschließen, dem gegenüber wir unsere Marktwirtschaft kaum werden aufrechterhalten können — mindestens wird sie stark in Mitleidenschaft gezogen —, ist in keiner Weise beseitigt worden.
Leider atmet dieses ganze Vertragssystem nichts vom Geist europäischer Zusammenarbeit, sondern da sind ganz engstirnige nationale Egoismen gegeneinander ausgehandelt worden. Und da haben die Franzosen sehr viel geschickter verhandelt als wir. Wir können nur anerkennen, wie tüchtig die Leute dort sind. Wir wünschten uns, unsere lernten das auch noch. Aber das als europäische Einigung, als Integrationsvorläufer zu bezeichnen, meine Damen und Herren, das entspricht wieder nicht den Tatsachen.
Ich möchte noch einmal wiederholen: wenn es sich hier darum gehandelt hätte, irgendeinen Schritt nach Europa zu tun, wären wir gern dabeigewesen, hätten wir gern mitgemacht. Wir sehen hier jedoch immer nur eine Sackgasse, in die die europäische Bewegung hineingeführt wird, in der man nach einigen Jahren feststellen wird, es geht
nicht weiter, mit dem ganzen psychologischen Schaden, ,der dann wieder auf der europäischen Idee lastet. Aus dieser Sackgasse wird man vielleicht nicht mehr herausfinden können.
Zur Zeit ist es doch so, daß innerhalb des europäischen Bereichs Frankreich das langsamste Schiff im Geleitzug ist. Man hätte doch hier die Möglichkeit gehabt — und wir werden ja wahrscheinlich ohne ,die Verträge dazu gezwungen sein —, den Franzosen zu helfen, nicht mehr das langsamste Schiff zu bleiben, sondern ihre Kraft so zu verstärken, daß sie das allgemeine europäische Tempo mithalten können. Statt dessen haben wir uns auf einen Vertrag eingelassen, der das ganze retardierende Wesen atmet, an dem Frankreich zugestandenermaßen krankt. Diesen Geist des Attentismus und des Protektionismus, die Angst, den nächsten Schritt zu tun, das alles können Sie aus diesem Vertrag herauslesen, und mit diesen Gedanken werden wir nie zu Europa kommen.
Wir Freien Demokraten, die wir nun weiß Gott in ,der Vergangenheit oft genug unter Beweis gestellt haben, wie sehr wir dem europäischen Gedanken anhängen, sehen uns aus den vorgetragenen Gründen nicht in der Lage, diesen Verträgen zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Stegner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/ BHE, und zwar die ganze Fraktion, ist gleichfalls nicht in der Lage, dem Ratifizierungsgesetz zu den Verträgen die Zustimmung zu geben. Wir gingen bei unseren sehr gründlichen und sehr sorgfältigen Überlegungen von dem gesamten vorliegenden Material und besonders auch von den Ergebnissen der Auschußberatungen aus, die übrigens gegenüber den vorherigen Verhandlungen des Bundestages kaum neue Gesichtspunkte gebracht haben. Wir gingen nicht von kleinlichen Erwägungen aus, auch nicht von wirtschaftspolitischen Einzelheiten — so bedeutend sie sein mögen —, sondern von der großen politischen Entwicklungslinie, die sich mit dem Inkrafttreten dieser Verträge abzeichnet.
Ich stehe z. B. nicht auf dem Standpunkt des Herrn Kollegen Margulies, der meint, daß diese Verträge lediglich eine Zollunion bedeuteten. Sie bedeuten sehr viel mehr, denn um diese Zollunion rankt sich das Geflecht einer Unmenge von Bestimmungen, die die Verträge weit über eine Zollunion hinaus in der künftigen Entwicklung belasten. Ich darf ruhig einmal „belasten" sagen; denn man ist bei den Verträgen nicht den beim Abschluß von Zollvereinigungen bisher üblichen Weg gegangen. Bisher war es eigentlich bei der Errichtung von Zollvereinen üblich, daß alle Divergenzen, alle Schwierigkeiten vor Vertragsabschluß beseitigt wurden und daß dann die Zollunion uno actu, an einem Tag, in Funktion trat und zu funktionieren hatte. Der letzte Abschluß eines großen Zollunionsvertrages dieser Art war Benelux. Wen die Entwicklung interessiert, der kann genau nachlesen, wie sie gelaufen ist. Der Benelux-Vertrag hat funktioniert. Hier geht es umgekehrt vor sich. Hier wird erst ein Vertrag über Möglichkeiten geschlossen, und erst die Auswirkungen dieses Vertrages in den nächsten Jahren bestimmen das weitere Schicksal dieser europäischen Wirtschaftsvereinigungen nach der ersten Etappe von 5, 6 oder 7 Jahren. Man weiß bei Vertragsabschluß noch nicht, wie sich die Zollunion mit all ihren Weiterungen auswirkt. Bisher hatte man immer erst die Schwierigkeiten beseitigt und dann eine Zollunion geschaffen und so die Gelegenheit, neue Wirtschaftspolitik zu treiben.
Wir würden dem Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft durchaus zustimmen, wenn es sich nur um eine Zollunion handelte, und zwar ungeachtet der Tatsache, daß der umgekehrte Weg eingeschlagen Worden ist. Aber wir vermissen völlig das sowohl wirtschaftspolitisch wie politisch so entscheidende Korrelat der Freihandelszone. Wir hätten nur dann zustimmen können, wenn die Freihandelszone am gleichen Tage, zusammen mit dem gemeinsamen Markt in Funktion träte. Das geschieht aber nicht. Die Errichtung des Gemeinsamen Marktes wird vorweggenommen, und es ist die Frage, ob die Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft überhaupt künftig noch eine Freihandelszone zulassen wird. Wir sehen die Bedeutung der Freihandelszone gar nicht mehr so sehr auf wirtschaftlichem Gebiet — obwohl sie sehr erheblich ist — als auf politischem Gebiet.
Wir bedauern hier den Zusammenschluß der sechs Vertragsstaaten als kleineuropäische Regelung, bei der sich sechs Staaten von den übrigen Staaten des freien Europas absondern und nicht nur eine wirtschaftspolitische, sondern auch eine politische Präferenz erstreben, denn dahin wird es in der Praxis kommen. Damit aber wird das Gebiet des freien Europas in zwei politische Gebiete zerteilt werden. Es kann bei dem derzeitigen Stand der Weltpolitik nicht Aufgabe von sechs Staaten sein, zu zerteilen; es geht vielmehr darum, zusammenzufassen. Wir fürchten, daß die kleineuropäische Entwicklung, die sich hier durch die Ausklammerung der Freihandelszone anbahnt, die Bildung eines Gesamteuropas sehr stark hindert, wenn nicht für alle Zeiten blockiert.
Herr Kollege Margulies hat auf den Zollverein hingewiesen, der konsequent zur kleindeutschen Regelung führte. Die Parallele ist durchaus berechtigt. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft kann genauso zur kleineuropäischen Föderation führen und damit die gesamteuropäische Entwicklung verhindern.
Es geht nicht nur um die 17 freien europäischen Staaten. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird eines Tages auch weltpolitisch einmal die Frage der sowjetischen Satellitenstaaten auf uns zukommen. Glauben Sie, daß Sie einer gesamteuropäischen Entwicklung unter Einbeziehung der Ostblockstaaten — wenn sie wieder unter einem System der Rechtsstaatlichkeit und der Freiheit stehen — durch eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft der sechs westeuropäischen Staaten den Weg erleichtern? Wir glauben das nicht.
:
„Allein" sagt keiner!)
— Nein, sicher nicht, Frau Kollegin Weber; ich muß aber hier einmal unsere Gründe vortragen.
— Doch, Frau Kollegin Weber, damit tue ich gerade der CDU einen Gefallen.
— Warum sind Sie so überrascht? Die CDU kann als Regierungspartei vieles zu den Verträgen nicht sagen, was von uns ruhig einmal vor aller Welt gesagt werden kann. Wir als kleine Oppositionspartei können und dürfen das und bringen deswegen eine notwendige Ergänzung dessen, was Sie sagen. In diesem Sinne bitte ich Sie, auch unseren Beitrag als absolut positiven Beitrag aufzufassen.
— Selbstverständlich, Frau Kollegin Weber: indem wir ergänzend das sagen, was Sie nicht sagen dürfen.
Es ist bei der Hitze nicht ganz einfach, das alles klarzukriegen. Aber in der Tat: es ist auch konstruktiv und positiv!
— Frau Weber, ich darf Ihnen noch etwas sagen: man kann nicht behaupten, alle Beschlüsse der CDU oder der gesamten Regierungskoalition könnten für alle Zeiten vor der Geschichte standhalten. Es ist immer gut, wenn man auch von abweichenden Auffassungen Kenntnis gibt. Dadurch werden die Folgen eines eventuellen Versagens eines solchen Beschlusses nachher doch etwas weniger schwer. Also, Frau Kollegin Weber, wenn wir uns so einigen, dann wollen wir, darf ich sagen, im wesentlichen wohl dasselbe, wollen es nur auf anderen Wegen erreichen.
Ich darf zu meinem Thema zurückkehren. Der Gesamtdeutsche Block/BHE steht auf dem Standpunkt, daß die großräumige Entwicklung nur über Europa führen kann und daß sie unaufhaltbar und unausbleiblich ist. Wir sind gewillt, an einer solchen europäischen Entwicklung mitzuarbeiten. Wir erklären aber mit derselben Deutlichkeit, daß diese europäische Entwicklung für uns nur eine gesamteuropäische Entwicklung sein kann, die gerade den späteren Beitritt der Ostblockländer ermöglicht. Wir haben nicht das Vertrauen, daß die kleineuropäische Lösung des europäischen Wirtschaftsgebietes diesem Ziele dient. Das war für uns maßgebend, dem Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft nicht zuzustimmen.
Eine weitere politische Überlegung hat Herr Kollege Margulies schon angedeutet. Es handelt sich um die Unterstützung der überseeischen Gebiete Frankreichs durch Geldmittel aus Deutschland. Es wurde immer etwas schamhaft darauf hingewiesen, daß es sich um eine Unterstützung, um einen Aufbau der sogenannten Infrastruktur dieser unterentwickelten französischen und belgischen Gebiete handele. Schön, das mag man sagen. Es handelt sich aber subsidiär tatsächlich auch um Maßnahmen im Rahmen der kolonialen Entwicklung dieser Gebiete. Im Ausschuß ist von Kollegen, die vor kürzerer Zeit Afrika bereist haben, mehrfach darauf hingewiesen worden, wie nötig die afrikanischen Wirtschaftsräume für die europäische und für die deutsche Wirtschaft seien. Wir sind die Letzten, die die Notwendigkeit der Ergänzung durch die afrikanischen Wirtschaftsräume bestreiten. Aber man darf auch hier den politischen Gesichtspunkt nicht außer acht lassen. Es ist nicht nur Algerien, sondern es sind auch andere Entwicklungsländer, die diesen Werdegang auf das schärfste beobachten. Wir Deutsche haben uns bisher völlig — auch mit subsidiären und ideologischen' Maßnahmen — aus der kolonialen Entwicklung herausgehalten. Welche Veranlassung besteht für uns, nun zu dieser Entwicklung beizutragen? So wichtig der afrikanische Kontinent für uns einmal sein wird, so wichtig ist auch das gesamte Gebiet der Entwicklungsstaaten in Asien. Wir halten es nicht für richtig, uns hier einseitig zu binden und eine Entwicklungsmöglichkeit, die größer sein kann, von vornherein zu vermindern oder gar aufzugeben, indem wir Animositäten gegen uns schaffen, die bisher nicht gegeben waren.
Es gibt genug Stimmen aus diesen unterentwikkelten Völkern, die diesen politischen Werdegang heute schon deutlich erkennen lassen. Gewichtige Stimmen aus den unterentwickelten Völkern haben sich vernehmen lassen: Wenn Deutschland diese subsidiären Maßnahmen zur Belebung der Infrastruktur der Outre-mer-Gebiete mitmacht, dann werden wir uns überlegen, ob wir, wenn die deutsche Frage einmal vor die Vereinten Nationen kommt, wo wir mitzureden haben, dann etwaigen Wiedervereinigungsansprüchen und -an-trägen zustimmen. Dieser Zusammenhang besteht in der Tat. Sie müssen die Weltpolitik so sehen, wie sie ist, und Sie müssen die Meinung der Entwicklungsvölker so nehmen, wie sie in diesen Ländern nun einmal ist. Wir glauben auch nicht, daß die geplanten Afrikainvestitionen, denen wir im übrigen finanziell keineswegs eine allzu große Bedeutung beimessen, uns in unserer künftigen Entwicklung fördern werden.
Wir haben mit Genugtuung festgestellt, daß die alte GATT-Klausel in Kraft geblieben und Bestandteil der Verträge geworden ist, wonach der innerdeutsche Handel durch keine Zollgrenze an der Zonengrenze beschränkt wird, sondern im Gegenteil als Einheit gewertet wird. Das ist ein sehr großer Fortschritt. Wir bedauern aber, feststellen zu müssen, daß für den gesamten Transitverkehr eine Zollgrenze mitten durch Deutschland geht. Diese Tatsache ist optisch und psychologisch auf die Dauer unerträglich, weil sie den Riß Deutschlands immer wieder nicht nur für die deutsche Bevölkerung, sondern auch für die Weltbevölkerung deutlich werden läßt. Wir bedauern diese Entwicklung sehr.
Diese Entwicklung wird noch etwas anderes zur Folge haben. Es sieht so aus, als ob die weltpolitischen Verhältnisse doch etwas aufweichten. Ich sage das, ohne nun den gegenwärtigen Zustand überbewerten zu wollen. Eines Tages wird auch an den nächsten Bundestag einmal die Frage herantreten, wie er über die Entwicklung der Handelsbeziehungen zu den Völkern des Ostens denkt, nicht nur zur Sowjetunion und zu China, sondern auch zu den viel näher liegenden Ländern Polen und Ungarn. Es besteht durch die wirtschaftspolitische Verschweißung der Bundesrepublik mit den übrigen fünf Vertragsstaaten die große Gefahr, daß das Schwergewicht des deutschen Handels, das Schwergewicht der deutschen Wirtschaft überhaupt so stark westlich ausgerichtet und verankert wird, daß solche Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zu Ländern des Ostens in der Zukunft sehr erschwert werden. Das kann im Zuge einer zukunftsträchtigen deutschen Politik aber nicht als Endziel
angesehen werden. Wir möchten dieser Befürchtung Rechnung getragen wissen.
Ich will auf einzelne wirtschaftspolitische Dinge nicht eingehen; denn sie sind in mehreren Lesungen behandelt worden. Die Bedenken sind bekannt. Ich möchte nur einmal auf das hinweisen, was ich in diesem Hause schon einmal gesagt habe. Es ist mir bisher weder aus den Verträgen noch aus den Ausschußverhandlungen noch aus den zahlreichen Pressestimmen und Fachtagungen über den Gemeinsamen Markt klargeworden, wie in den fünf Jahren die Verschmelzung dieser beiden großen Volkswirtschaften völlig divergenter Art, der deutschen und der französischen, vor sich gehen soll. Deutschland ist das Land der freien oder sozialen Marktwirtschaft mit monetärer Disziplin, Frankreich ist das Land dirigistischer Wirtschaft mit inflationärer Tendenz. Herr Kollege Margulies hat die Frage der Währung angeschnitten. Sie hat bei allen Besprechungen eine erhebliche Rolle gespielt. Die Verträge sagen nicht genügend darüber aus. Auch die Zusätze zeigen noch keine endgültige Möglichkeit der Währungskonvertibilität. Darüber ist überhaupt nichts zu sehen; und ich muß Ihnen sagen, nicht nur ich habe darüber nichts gesehen. Ich habe sehr aufmerksam die Äußerungen von Röpke und anderen, die sich damit beschäftigt haben, gelesen. Überall klingt die große Sorge durch: wie sollen sich diese beiden divergenten Wirtschaftssysteme, diese beiden divergenten Währungssysteme zu einem funktionsfähigen Körper zusammenschließen? Ich habe vorhin nicht umsonst gesagt, daß man solche Dinge früher vorwegnahm und dann einen Vertrag schloß. Heute schließt man erst den Vertrag und überläßt die Entwicklung der Zukunft.
Ich habe keine Bedenken hinsichtlich der Entwicklung des Außenzolls, den man in seiner ganzen Tragweite heute auch noch nicht übersieht, weil die Nomenklaturen und die verschiedenen Zollsysteme noch nicht vereinheitlicht sind und infolgedessen das arithmetische Mittel noch nicht errechnet werden konnte. Diese Errechnung geht sehr langsam vor sich. Sie wird anderthalb bis zwei Jahre dauern. Bis dahin hat sich der Gemeinsame Markt, wenn er funktioniert, auf dem Zollgebiet wahrscheinlich schon eingespielt. Ich sehe dort die Schwierigkeiten viel weniger als eben gerade in der großen Divergenz beider Wirtschaftssysteme und in den politischen Folgen.
Nun lassen Sie mich zum Schluß noch auf ein Problem eingehen, das für uns das entscheidende ist. Die Verhandlungen zum Gemeinsamen Markt sowie die Vorverhandlungen zur Freihandelszone haben deutlich gezeigt, daß sowohl bei den Engländern wie auch bei den Franzosen das Bestreben bestand, vor der supranationalen Regelung ihre nationalen Belange geregelt zu wissen. Großbritannien hat mit vollem Recht darauf hingewiesen, daß die Belange des Commonwealth denen einer Freihandelszone vorgehen. Das ist natürlich und berechtigt. Die Franzosen haben — von ihrem Standpunkt völlig zu Recht — die nationale Frage ihrer überseeischen Gebiete angeschnitten, und zwar gar nicht einmal so sehr früh, sondern, wie ich hörte, zu einem recht späten Zeitpunkt der Verhandlungen. Sie haben deutlich zum Ausdruck gebracht, daß sie dem Vertrag nur beitreten, wenn die Frage der überseeischen Gebiete als nationales Problem geregelt ist. Sie haben ihre Meinung mit Recht durchgesetzt.
Wenn die anderen Nationen sagen: Erst Regelung unserer nationalen Probleme und dann supranationale Lösung, sollten wir Deutsche, die doch die blutendste nationale Wunde tragen, uns dieser Tendenz durchaus anschließen. Wir Abgeordnete des Gesamtdeutschen Blocks/BHE stehen auf dem Standpunkt, daß die Lösung der deutschen Frage, nämlich die Wiedervereinigung, der supranationalen Lösung unter allen Umständen hätte vorangehen müssen. Das ist nicht geschehen.
Nun haben Herr v. Brentano als Bundesaußenminister und viele andere Herren ja deutlich erklärt, daß es sich bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht nur um eine Zollunion handelt, auch nicht um eine erweiterte Zollunion, sondern um das Fundament, um den Start für eine politische kleineuropäische Entwicklung, die zu einer europäischen Staatenföderation führen soll. Ja, meine Damen und Herren, wenn .diese Staatenföderation angestrebt wird — ich bezweifle nicht, daß das das .ernstliche Bestreben aller Beteiligten ist —, dann bleibt im Grunde kein Platz mehr für die Wiedervereinigung in dem Sinne, wie wir Deutsche sie fordern müssen. Wenn festgelegt ist — ich weiß nicht, ob in den Verträgen, in den Protokollen oder sonstwo —, daß für eine gesamtdeutsche Regierung Entscheidungsfreiheit über den Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft besteht, so ist das wohl zu begrüßen. Aber, wie stellen Sie sich denn die Wiedervereinigungsmöglichkeiten vor, wenn die Bundesrepublik Deutschland bereits jahrelang in die europäische Staatenföderation — sei es auch nur wirtschaftlich, sozialpolitisch und währungspolitisch - eingeschmolzen ist?
Wenn wir die Wiedervereinigung schon hätten, wären das nur technische Schwierigkeiten. So aber erschweren Sie, indem Sie einen Teil der deutschen Entwicklung, nämlich die Entwicklung der Bundesrepublik, sozusagen an eine andere Entwicklung anklammern, die Wiedervereinigung sehr. — Frau Kollegin Weber, Sie schütteln wieder den Kopf. Ich will Ihnen eines sagen. Man könnte die Dinge noch sehr viel weitertreiben und folgende Überlegung anstellen: Wenn dereinst diese europäische Staatenföderation ohne Wiedervereinigung besteht, könnten die Russen vielleicht sogar ins Feld führen, der einzige deutsche Staat, der übriggeblieben sei, sei die DDR, weil sie noch als selbständiger Staat existiere, wir aber nicht.
— Sie nehmen das auf die leichte Schulter, aber wir müssen diese Dinge vortragen, weil für einen großen Teil der uns nahestehenden deutschen Bevölkerung aus den Ostgebieten und aus der Sowjetzone die deutsche Wiedervereinigung das Kernproblem schlechthin ist, da es für sie ein Heimatproblem is t.
Wenn ich diese Dinge hier vorgetragen habe — vielleicht sogar etwas schärfer, als ich ursprünglich beabsichtigt hatte —, wollen Sie daraus ersehen, daß wir unseren Standpunkt nicht aus kleinlichen Gesichtspunkten festgelegt haben, sondern aus allgemein deutschen Überlegungen, die zu .gesamteuropäischen Lösungen führen sollen.
Wir bedauern an diesen Verträgen, deren Kern
von uns durchaus gebilligt wird — wie ich immer
wieder betonen möchte —, den Zeitpunkt des Ab-
schlussec. Hätten wir die Dinge nicht forciert, sondern noch etwas gewartet, vielleicht wäre die deutsche Entwicklung schneller vorangegangen; dann hätten wir in die europäische Entwicklung einsteigen können.
- Eben, herr Ehren, es ist eine Frage des Zeitpunktes. Vielleicht geht trotz unserer heutigen Ratifizierung das ganze Experiment schief. Das „Vielleicht" können wir bei internationalen Verträgen nie ausschalten.
Der Kollege Margulies hat bereits mit Recht darauf hingewiesen, daß die Symptome eines gutwilligen europäischen Geistes, der alle kopfüber in das Wasser der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wird hineinspringen lassen, im Augenblick gar nicht zu sehen sind. Wir haben in den acht Jahren unserer Tätigkeit im Bundestag mehrfach vor der Frage dies richtigen Zeitpunktes gestanden, gerade bei internationalen oder supranationalen Verträgen. Ich möchte auch heute noch behaupten: wenn die EVG-Verträge etwas langsamer und ruhiger gelaufen wären, wäre der europäischen Idee viel Schaden erspart geblieben.
Obwohl wir also die Verträge aus klaren Motiven deutscher 'und gesamteuropäischer Politik ablehnen, darf ich erklären, daß wir, wenn die Verträge in diesem Hause angenommen werden, der Entwicklung alles Glück wünschen. Wir wünschen, daß sich alle die Bedenken, die hier mit Recht angeführt worden sind, nicht als so hindernd erweisen, wie das zu befürchten ist.
Wir werden selbstverständlich auch späterhin immer zur Hand sein, wenn es darum geht, die Entwicklung zu fördern, soweit sie den gesamteuropäischen und den deutschen Belangen entspricht; darüber wollen wir gar keinen Zweifel lassen. Wir werden aber auch nicht aufhören, unseren Standpunkt warnend und mahnend immer wieder zur Geltung zu bringen, damit auch die Belange aller der deutschen Menschen, die ihre Heimat im deutschen Osten und in Mitteldeutschland haben, in diesem Hause und überall, wo wir die Möglichkeit haben aufzutreten, entsprechend zu Gehör kommen.
Ich darf noch einmal sagen, daß wir das Ratifizierungsgesetz, soweit es die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zur Grundlage hat, ablehnen müssen. Anders liegen die Dinge bei Euratom. Wir halten die Euratom-Entwicklung, so wie sie in den Verträgen festgelegt wird, für durchaus fortschrittlich, für :durchaus der Situation. angepaßt und den deutschen Belangen gerecht werdend. Ich möchte auf Einzelheiten verzichten. Da aber leider nur ein Ratifizierungsgesetz für beide Verträge vorliegt, müssen wir, obwohl wir Euratom sonst, .in einem eigenen Gesetz, zustimmen würden, dem gesamten Ratifizierungsgesetz unsere Zustimmung verweigern.
Herr Abgeordneter Dr. Elbrächter.
Dr. Elbrächter : Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Menschen unserer Zeit sind empfindlich geworden gegen große Worte. Trotzdem möchte ich noch einmal hier feststellen,
daß die Ratifizierung dieser Verträge einen geschichtlichen Augenblick von allerhöchster Bedeutung darstellt.
Mit diesen Verträgen sollen 1000 Jahre europäischer Politik des Haders, des Gegeneinanders zu Ende gehen. Ich sage ausdrücklich ,,sollen". Selbstverständlich wissen wir nicht, was aus diesen Verträgen wird. Aber ich und alle meine politischen Freunde sind der Meinung, daß es auf uns ankommt, gerade auf uns Deutsche, diesen Verträgen Leben zu geben. Ich darf allen Skeptikern dieser Verträge sagen, daß 1000 Jahre Politik nicht durch einen spontanen Akt einfach aus der Weltgeschichte weggewischt werden können. Dazu bedarf es einer langen geschichtlichen Entwicklung des Zueinanders.
Dieser Vertrag ist eigentlich nur der erste Schritt. Deswegen stellen wir alle Bedenken zurück, die auch wir haben; wir sehen das geschichtliche Ziel, das uns mit diesen Verträgen aufgegeben ist.
Wir sollten uns bewußt machen, daß drei große Potenzen in unserer Zeit den einzelnen Menschen und die Völker formen. Viel mehr, als es uns bewußt ist, werden wir durch die Wissenschaft gestaltet. Der Wissenschaftler ist eigentlich der Repräsentant !unserer Zeit. Bis auf einen ganz kurzen Rückfall, etwa seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges, hat die Wissenschaft übernational gearbeitet. Das liegt einfach im Wesen der Wissenschaft, in der Zielsetzung der objektiven Wahrheitsfindung. Nach der Katastrophe zweier Weltkriege sind sich heute die Wissenschaftler wieder bewußt, daß sie miteinander arbeiten müssen.
Zwei weitere Mächte wirken auf uns ein, die Technik rund die Wirtschaft. Auch diese beiden Kräfte verlangen den großen Raum zur freien Entfaltung.
Wenn der Politiker erkennt, daß uns diese Mächte auf die Dauer zum Zusammenschluß nötigen, dann hat er die Aufgabe .aufzugreifen, :die ihm gestellt ist, und die erforderlichen Formen und Institutionen zu schaffen. Das ist mit diesen Verträgen geschehen. Wir sollten uns der geschichtlichen Bedeutung gerade in diesem Zusammenhang bewußt sein.
Ich verzichte darauf, jetzt in kleinlicher Beckmesserei Kritik zu üben; ich darf Ihnen nur einige Sorgen vortragen, die auch meine Freunde haben.
Selbstverständlich sehen wir mit einer gewissen Besorgnis, daß unser westlicher Nachbar Maßnahmen ergreift, die eigentlich in Widerspruch zur Zielsetzung stehen. Aber wir sind überzeugt, daß gerade der Abschluß dieser Verträge es ihm erleichtern wird, zu einer gesunden finanzpolitischen Lösung zu kommen. Im Grunde genommen sind die Maßnahmen, die dort ergriffen werden, doch nur der Ausdruck dafür, daß die Währung korrigiert werden muß. Ich darf zugleich meiner Überzeugung Ausdruck geben, daß die französische Wirtschaft im Gegensatz zur Währung — völlig gesund ist. Wir werden mit dem Abschluß dieser Verträge, glaube ich, Gelegenheit haben und Mittel finden, unseren Nachbarn im Westen davon zu überzeugen, daß die expansive Wirtschaftsform die richtige Form ist, zur Gesundung zu kommen; wir werden es ihm psychologisch zumindest erleichtern.
Ich glaube, daß dieses Problem ganz klar gesehen und angesprochen werden soll, wie das hier geschehen ist. Aber ich komme deshalb nicht zu einer Negation. Ich halte es für eine sterile Haltung, wenn man sagt: Weil ich nicht alles zu gleicher Zeit haben kann, tue ich selbst den ersten Schritt nicht.
Ich darf auch auf das besondere Problem der Assoziierung der afrikanischen Gebiete eingehen. Ich tue das deswegen schon, um eine Berichterstattung zu korrigieren, die ich hin und wieder in deutschen Zeitungen gefunden habe, als wäre ich :der Auffassung, wir seien verpflichtet, Frankreich in seinem Kampf in Algerien etwa zu unterstützen, sogar militärisch. Ich halte das für töricht und völlig unmöglich. Was ich hier gesagt und gefordert habe —und diese Auffassung vertrete ich heute noch - ist, daß wir Frankreich natürlich helfen müssen, diese Frage in einem für Europa notwendigen Sinne zu lösen. Ich habe gewarnt vor jeder radikalen Lösung sowohl nach der einen als auch der anderen Richtung hin. Ich glaube, Sie werden mir zustimmen, daß wir uns sehr zurückhalten müssen.
Ich dart feststellen, daß all diese Besorgnisse hinsichtlich der französischen Algerienpolitik nicht auf Französisch-Äquatorial-Afrika, Zentral-Afrika, Kongo usw. zutreffen. Dort wird eine grundsätzlich .andere Kolonialpolitik betrieben als in Algerien. Das muß hier der objektiven Wahrheit wegen festgestellt werden.
Ich habe also nicht die Befürchtung, daß wir mit einer solchen Assoziierung in den Geruch geraten, etwa einen deutschen Kolonialismus aufleben zu lassen. Wir können aber andererseits — das ist
meine feste Überzeugung — auch nicht so tun, als wollten wir mit Kolonien nichts mehr zu :tun haben. Ich darf Ihnen sagen, gerade die afrikanischen Völker haben den Wunsch, daß sich Europa beteiligt. Diese Lösung darf nicht nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen werden; das ist das Entscheidende. Wenn wir die afrikanischen Völker im Stich lassen, dann tritt dort eine politische Entwicklung ein, die gegen uns, gegen Europa und damit gegen Deutschland arbeitet.
Es sind also in erster Linie — das muß klar herausgestellt werden — nicht so sehr die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Expansion, es locken dort nicht die Rohstoffe, sondern für uns muß die politische Aufgabe maßgebend sein, dieses große Gebiet zu konsolidieren.
Ich gebe den Kritikern allerdings zu, daß das die Entwicklungsländer in Asien mit einem gewissen Mißtrauen betrachten; sie fürchten, daß, wenn wir die Mittel nach Afrika lenken, ihnen nichts mehr zugute kommen werde; eine völlig verständliche Haltung. Aber die Alternative kann sowohl für uns Deutsche als auch für uns Europäer nicht lauten: entweder Afrika oder Asien, sondern die Aufgaben in Asien sind genauso groß und müssen von Europa gemeinsam gelöst werden. Ich glaube also sagen zu .können, daß trotz aller Sorgen, die wir haben, der Vertrag Ansatzpunkte dafür gibt, diese Fragen in positivem Sinne zu lösen.
Wir haben eine weitere Sorge hinsichtlich der Gestaltung der Behörde. In einer großen Behörde steckt selbstverständlich immer die Gefahr des Dirigismus. Aber, ich habe das schon mal zum Ausdruck gebracht, ich bin sowohl mit dem Herrn Wirtschaftsminister als auch mit dem Herrn
Außenminister darin einig, daß zumindest wir Deutsche jeden Dirigismus ablehnen und uns stark genug fühlen, ihn zu überwinden.
Ich bedaure, daß das europäische Parlament zunächst eine so schwache Funktion hat. Aber ich darf daran erinnern, daß Parlamente am Beginn ihrer Geschichte immer sehr zarte Pflänzchen gewesen sind. Das Montanparlament — auch die Herren Kritiker geben das zu — hat gezeigt, daß es in der Lage war, immer mehr Funktionen an sich zu ziehen. Wir dürfen also die Hoffnung haben, daß auch dieses europäische Parlament eines guten Tages die Exekutive gehörig kontrollieren wird. Wir wollen also den jetzigen Mangel nicht überbetonen.
Hinsichtlich Euratom nur ganz wenige Worte. Ich selber sehe den Abschluß der Euratomverträge als eine notwendige Konsequenz der Verträge über den Gemeinsamen Markt an. Auch hier liegen sicherlich Bedenken hinsichtlich des Dirigismus vor. Wir sehen die Gefahr, daß sich aus der ungleichen Einstellung — die Deutschen wollen die Atomenergie nur zu friedlichen Zwecken verwenden, die Franzosen und auch andere Mächte behalten sich vor, gegebenenfalls, je nach den politischen Umständen, für die kriegerischen Entwicklungsarbeiten frei zu sein — gewisse Diskriminierungen hinsichtlich der Forschung ergeben können. Aber wir sind der Überzeugung, daß unsere Partnerstaaten im Rahmen der gesamtpolitischen Entwicklung darauf verzichten werden und können, sich auf die kriegerischen Entwicklungsarbeiten einzulassen. Ich persönlich hege diesen Optimismus.
Ich will hier nicht auf die grundsätzliche Frage eingehen, ob es notwendig ist, einen besonderen Vertrag über Euratom zu schließen. Es ist sicherlich ein gewisser Widerspruch, daß für die Zusammenarbeit zur friedlichen Nutzung der Atomenergie — hauptsächlich zur Gewinnung von Energie in Form von Elektrizität — eine Institution geschaffen werden muß; denn auf anderen Gebieten, wo die Elektrizität allein in Frage steht, ist bereits ohne jeden Vertrag eine gute europäische Zusammenarbeit vorhanden. Ich will diese Frage nicht weiter erörtern. Sicherlich spricht für den Abschluß der Verträge die Größe der Investitionen, die auf diesem Gebiet erforderlich sind, und die Notwendigkeit gemeinsamer Forschung.
Ich habe nicht die Sorgen, die hier hinsichtlich der Wiedervereinigung ausgesprochen worden sind. Ich persönlich bin fest davon überzeugt, daß der Zusammenschluß zu einem Europa unser spezielles deutsches Anliegen erleichtern wird. Ich warne davor, immer wieder den Kurzschluß zu begehen, daß man sagt: Weil wir das noch nicht haben, dürfen wir in einer anderen europäischen Zielrichtung nicht voranschreiten. Dann leisten wir im Grunde genommen den Sowjets Vorschub; denn genau das wollen sie doch, daß wir nämlich nicht zu einer europäischen Einigung kommen, weil wir dann gemeinsam mit Europa zusammen mit dem freien Westen im Grunde genommen ein gleichwertiger Verhandlungspartner sind. Diesen Zeitpunkt versuchen die Sowjets immer wieder hinauszuschieben. Gerade die Kollegen, die diese Frage zum Zentralpunkt gemacht haben, sollten sich sehr ernst überlegen, ob dieser Gedankengang nicht ein Kurzschluß ist.
Ich persönlich bin dieser Auffassung.
Ich glaube, daß die Russen, wenn sie eines Tages erkannt haben — so hat es auch die Regierung in ihrer Erläuterung geschrieben —, daß Europa nicht mehr getrennt werden kann, geneigt sein werden, echt zu verhandeln. Ich glaube nicht, daß sie jetzt schon dazu bereit sind. Wir nützen also unseren Brüdern jenseits des Eisernen Vorhangs gar nicht, wenn wir uns im Grunde genommen die Zielrichtung unserer Politik von den Russen aufzwingen lassen.
Auch eine weitere Sorge, die hier zum Ausdruck gekommen ist, teile ich nicht, die Sorge, daß wir hiermit ein Kleineuropa zementierten. Ich habe aus Anlaß der Diskussion dieser Verträge mehrmals als meine Auffassung zum Ausdruck gebracht, daß wir eines guten Tages diese Lösung für Gesamteuropa erstreben müssen. Ich bin aber der Ansicht, daß gerade dieser Vertrag für die sechs Staaten ein Kristallisationspunkt ist und daß sich die anderen Staaten, wenn sie wollen, diesem Kristallisationspunkt anschließen werden. Es gibt sicherlich Staaten in Europa, die kein Interesse daran haben; aber wenn wir jetzt diesen Schritt nicht tun, dann werden wir nicht zur Freihandelszone kommen. Das ist meine Überzeugung.
Den Befürwortern des völlig freien Weltmarkts darf ich doch eins sagen — ich habe es schon einmal getan; aber es muß wiederholt werden —: Die Weltwirtschaft hat sich in einem sehr langwierigen Prozeß vor 1914 zusammengefunden. Das ist durch die Weltkriege zerstört worden, und wir können daher auch nicht das Rezept des Herrn Kollegen Stegner anwenden, einfach zu sagen: Erst bringen wir alles in Ordnung, und dann schließen wir einen Vertrag.
Wir müssen den umgekehrten Weg gehen. Es ist eine sehr langwierige Operation, die sich auseinanderentwickelnden nationalen Wirtschaften wieder aufeinander abzustimmen. Wenn wir jetzt eine Radikalkur machten und einfach beschlössen: Ab morgen ist Zollunion — ohne jede Schutz- und Übergangsmaßnahme —, würden soundso viele Betriebe in den einzelnen Staaten ruiniert werden. Eine solche Operation, fürchte ich, würde manch ein Staat nicht überleben.
Es ist daher sehr viel vernünftiger, klar zu erkennen, daß man nicht alles auf einmal haben kann, daß man langsam gehen muß, um gegebenenfalls Schäden korrigieren zu können. Ich glaube also, daß die Methodik dieses Vertragswerks die allein angemessene ist.
Ich möchte zum Schluß kommen und dem Hohen Hause mitteilen, daß meine Freunde von der Fraktion der DP aus diesen Gründen dem Vertrag zustimmen werden. Ich erkenne gerade in diesem Vertrag die Aufgabe unserer Zeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Herr Bundesaußenminister hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich hier anläßlich der dritten Lesung der Verträge über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und über die Europäische Atomgemeinschaft noch einmal namens der Bundesregierung das Wort ergreife, darf ich meine besondere Genugtuung über den Verlauf der Debatte und der vorbereitenden Verhandlungen äußern. Ich möchte allen danken, die zu dieser Arbeit beigetragen haben.
Wir hatten nach der ersten Lesung der Verträge in diesem Parlament einen besonderen Ausschuß mit der Prüfung der Vertragsbestimmungen beauftragt. Die Arbeit liegt hinter uns, und ich glaube, ich darf sagen, daß in den Ausschußberatungen alle Argumente und Gegenargumente, Kritik und Anerkennung, geltend gemacht wurden. Wir hatten in dem Ausschuß Gelegenheit, im Gespräch zwischen den Vertretern des Bundestages und denen der Bundesregierung alle möglichen Aufklärungen zu geben. Aber ich darf auch sagen, daß sich von der ersten Beratung an in diesen Besprechungen doch eine ziemlich übereinstimmende Auffassung abzeichnete, die Auffassung nämlich, daß die Verträge — alles in allem und selbstverständlich unter Anerkennung von Fehlern, Mängeln und Lücken — doch sinnvoll und zweckmäßig seien.
Ich möchte dem Herrn Kollegen Mommer in einem Punkte antworten. Er hat beanstandet, das Parlament sei zu spät eingeschaltet worden; Herr Kollege Margulies hat diese Beanstandung aufgegriffen. Ich darf daran erinnern, daß, obwohl die Verhandlungen erst Mitte 1956 begonnen haben, bereits im März 1956 der Bericht der Delegationsleiter vorgelegt worden ist, in dem sämtliche Fragen in These und Antithese zusammengefaßt waren, so daß die Ziele, die in den Verhandlungen angestrebt wurden, und auch die Bedenken gegen die Verwirklichung des einen oder anderen Planes daraus sichtbar wurden.
Von Januar 1957 an ist darin ein Unterausschuß des Auswärtigen Ausschusses laufend unterrichtet worden, und gerade auch die Frage der Assoziierung der überseeischen Gebiete, die hier angeschnitten worden ist, wurde in diesem Unterausschuß, wie ich mich erinnern kann, sehr eingehend besprochen. Sie werden Verständnis dafür haben, wenn ich in aller Offenheit sage, daß es gar nicht möglich gewesen wäre, einen so komplexen und so in die Einzelheiten gehenden Vertrag laufend im Parlament zu besprechen. Wenn alle diese Einzelheiten in den sechs Parlamenten parallel zu den Regierungsverhandlungen besprochen worden wären, wären wir, fürchte ich, niemals zum Abschluß gekommen und hätten den heutigen Tag gar nicht mehr lebendig erlebt. Es lag also sicherlich nicht etwa an einem Mangel an Bereitschaft der Bundesregierung, hier das Parlament zu informieren und seine Meinung einzuholen.
Noch einen zweiten Punkt möchte ich aufgreifen, den Herr Kollege Mommer zur Sprache gebracht hat. Er hat die Warnung ausgesprochen, wir sollten diese europäische Gemeinschaft nicht etwa als antibolschewistisch hinstellen oder als gegen die Sowjetunion gerichtet bezeichnen. Ich möchte offen sagen, daß ich diese Auffassung teile und daß das auch der Auffassung der Bundesregierung entspricht. Wir haben es bedauert, daß die Sowjetunion — ich glaube, in Verkennung der Ziele und Aufgaben eines solchen Vertrages — sich in verschiedenen amtlichen und offiziösen Stellungnahmen sehr scharf gegen eine Ratifizierung geäußert und Warnungen ausgesprochen hat, die unveranlaßt waren. Diese Verträge sollen nicht dazu dienen, gegen irgend jemanden zu arbeiten, sondern sie sollen zum Nutzen der in der Gemeinschaft Zusammengeschlossenen durchgeführt werden. Ich glaube, daß ihre Verwirklichung auch das Gewicht
der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen europäischen Staaten steigern und damit zu einer Belebung und Intensivierung des Welthandels schlechthin nach allen Seiten beitragen wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch auf einige 'wenige andere Einwendungen und Bemerkungen eingehen, die heute hier angeklungen sind.
Es ist die Frage gestellt worden, ob der künftige gemeinsame Zolltarif .der Gemeinschaft nicht zu einer Verteuerung der Lebenshaltung und vielleicht zu einer Steigerung des gesamten Kostenniveaus auch in der Bundesrepublik führen müsse. Ich möchte nicht auf 'Einzelheiten eingehen, sondern will die Argumente zusammenfassen und antworten: Dieser gemeinsame Außentarif besteht ja noch nicht. Seine Aufstellung beginnt erst in der Übergangszeit, und seine erste Auswirkung, also die erste lineare oder Durchschnittssenkung der Zolltarife, :wird erst nach vier Jahren sichtbar werden. Dieser neue Gemeinschaftszolltarif wird — das bitte ich Sie zu beachten — ein Verhandlungszolltarif mit einer Beweglichkeit nach oben und nach unten sein. Damit ist auch für die mit Recht interessierten dritten Länder reichlich Zeit, sich in diese Verhandlungen und Gespräche einzuschalten. Die Mitarbeit von Ländern wie der Bundesrepublik und auch der Staaten der Benelux-Gemeinschaft, die so sehr auf Freihandel und Liberalisierung eingestellt sind, dürfte, glaube ich, schon eine Garantie dafür geben, daß sich in der Gemeinschaft kein unberechtigter Protektionismus breitmachen wird.
Für die Bundesrepublik selbst haben wir den Versuch unternommen — Sie wissen das aus den Verhandlungen im Ausschuß —, einmal, soweit das heute schon möglich ist, zu berechnen, wie sich der gemeinsame Außenzolltarif auswirken wird. Wir konnten feststellen, daß die Außenzolltarife der Bundesrepublik zwischen denen der Teilnehmerstaaten etwa in der Mitte liegen. Wir müssen also, insgesamt gesehen, bei der Anhebung der Zolltarife, die ja nicht mechanisch erfolgt, nur mit einer sehr geringen Anhebung und nur für bestimmte Zollpositionen rechnen. Wir glauben bestimmt, daß eine Erhöhung des Kostenniveaus durch diese Anpassung des Außenzolltarifs nicht ausgelöst werden wird.
Es sind Besorgnisse geäußert worden, ob die Garantien für eine gemeinsame Wirtschafts-, Währungs- und Konjunkturpolitik im Vertrag ausreichend seien, und es wurde der Wunsch geäußert, daß der Vertrag hier etwas konkretere Formulierungen hätte 'aufweisen sollen, um eine einheitliche Haltung ,der sechs Regierungen zu diesen Fragen sicherzustellen. Ich möchte gar nicht bestreiten, daß auch die Bundesregierung hier vorn Vertrag mehr erwartet hat und daß wir uns bemüht haben, mehr durchzusetzen. Aber ich glaube, man kann doch folgendes feststellen:
Im Vertrag verpflichten sich die Gemeinschaftsstaaten zu einer schrittweisen Annäherung und Anpassung ihrer Wirtschaftspolitik; sie betrachten ihre Konjunkturpolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse, und sie äußern die Absicht, ihre Währungspolitik durch Koordinierung anzupassen und zusammenzuführen. Das sind Vertragsbestimmungen, deren Ausfüllung natürlich von der Praxis und dem guten Willen abhängt, die es aber zum mindesten, wenn dieser Wille vorhanden ist — und die Bundesregierung hat diese
Absicht —, ermöglicht, diese Gemeinschaft auszugestalten im Sinne einer wirklich funktionierenden Wirtschaftsgemeinschaft. Ich glaube, wir müssen auch mit einem gewissen Optimismus an diese Dinge herangehen und müssen davon überzeugt sein, daß sich in der Funktion des Gemeinsamen Marktes ja auch neue Diskussionen ergeben und neue Notwendigkeiten zeigen werden. Wenn der Vertrag irgendeine solche Entwicklung verbaute, würde ich ,die vorgebrachten Bedenken viel ernster nehmen; aber ich wiederhole: der Vertrag erlaubt eine solche Entwicklung nach vorn auch im Sinne der geäußerten Kritik, und ich bin optimistisch genug zu glauben, daß sich diese extensive Interpretation durchsetzen wird. Wir haben ja erlebt, daß auch der Vertrag über die MontanUnion in seiner Anwendung nicht verbatim interpretiert worden ist, sondern daß sich auch dort bei der Anwendung gezeigt hat, daß der Vertrag ausgelegt werden mußte, so wie die wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Gemeinschaft es verlangten.
Des weiteren ist auch hier noch einmal die Frage der Assoziierung der überseeischen Länder — zum Teil kritisch — gestreift worden. Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß es tatsächlich gelungen ist, wenigstens der großen Mehrheit des Hauses die Überzeugung zu vermitteln, ,daß es sich bei der Assoziierung der überseeischen Gebiete nicht darum handelt, irgendeinen Kolonialismus alten Stils aufzugreifen, zu legalisieren oder gar zu subventionieren. Ich meine aber, daß andererseits ein sehr ernsthaftes Interesse daran besteht, daß das, was wir in anderen Teilen der Welt zu tun entschlossen sind — nämlich an der Entwicklung der entwicklungsfähigen Länder teilzunehmen —, im Bereich etwa Afrikas auf Grund des Vertrages möglich sein wird. Dabei wissen wir, daß die Finanzierung durch die Investitionskredite etwa der Gemeinschaft nicht ausreichend sein wird. Es wird nötig sein — und ich glaube, dazu geben wir dann sogar einen gewissen Anstoß —, eine sehr liberale Handelspolitik zu führen, eine Handelspolitik der offenen Tür, um auch Kapitalien, die in anderen Teilen der Welt für solche Zwecke bereitstehen oder bereitgestellt werden können, den Zugang zu diesen Gebieten zu verschaffen. Denn es liegt ja im eigenen Interesse der beteiligten Regierungen und Bevölkerungen, hier in Europa und im afrikanischen Raum, diese Entwicklung zur wirtschaftlichen und damit auch zur politischen Unabhängigkeit zu fördern.
Des weiteren ist — und auch diese Kritik ist teilweise sicherlich berechtigt — der institutionelle Teil der Verträge kritisiert worden. Es wurde gesagt, die Befugnisse der Versammlung seien zu schwach, eine echte demokratische Kontrolle zu gewährleisten. Das offenbare sich vor allem darin, daß der Versammlung kein Budgetrecht zustehe. Die Rechte, die dien einzelstaatlichen Parlamenten durch den Vertrag verlorengingen, gingen nicht unmittelbar auf die Gemeinsame Versammlung über, und auch die Kommission sei in ihrer Anlage und ihren Zuständigkeiten nicht stark genug; sie sei weitgehend von den Entscheidungen des Ministerrates abhängig und bei der Durchführung des Gemeinschaftsvertrages an diese Entscheidungen gebunden. Sicherlich ist es richtig — und ich gebe das unumwunden zu —, daß auch die Bundesregierung es mit dem Hohen Haus bedauert, daß es nicht möglich war, die Zuständigkeit der Versammlung stärker auszubauen. Wir haben das
in den Verhandlungen immer wieder versucht. Ich glaube, wir haben auch einige Teilerfolge erzielt. Aber Sie wissen, daß man nicht überall schon bereit war, weiter zu gehen, so daß wir uns auf einer mittleren Linie einigen mußten; und wir glauben, ,daß diese Linie gangbar ist. Auch hier gilt nämlich meiner Überzeugung nach, daß wir dieses Funktionieren abwarten müssen, daß doch in der Entwicklung, die sich mit der Ratifizierung des Vertragesanbahnen wird, eine gewisse Eigengesetzlichkeit liegt, daß ein solches Parlament dann nach und nach auch Zuständigkeiten und Aufgaben an sich ziehen wird, die ihm vielleicht zunächst statutarisch nicht anvertraut waren.
Wir haben auch hier, glaube ich, die Möglichkeit, auf Vorgänge zu verweisen. So hat etwa die Beratende Versammlung des Europarats längst die Grenze der durch Statut gezogenen Zuständigkeiten überschritten, und auch im Rahmen der Montanunion haben wir gesehen, daß die Versammlung, wie das einem Parlament eigen ist und eigen sein muß, sich bemüht, ihre Zuständigkeiten auszudehnen und auch im Wege der Interpretation oder sogar im Wage der kontroversen Diskussion mit den Regierungsvertretern ihre Aufgaben zu erweitern.
Ich glaube aber nicht, daß die Feststellung richtig ist, eine Reihe von parlamentarischen Rechten gingen mit dem Vertrag unter. Sicherlich ist es richtig, daß der Rat in bestimmten Fällen ermächtigt ist, bindende Entscheidungen zu treffen, und .in besonderen Fällen kann ja auch, wie Sie wissen, die Europäische Kommission Verordnungen erlassen, die für die Staatsangehörigen dann unmittelbar verbindlich sind. Aber vergessen Sie nicht, daß die Mitglieder des Ministerrats ja ihrerseits wieder der parlamentarischen Kontrolle unterliegen. Es kommt hinzu, daß wir bei Betrachtung der Entscheidungen des Rates feststellen, daß zur Durchführung innerdeutsche Gesetze nötig sind. Ich wende noch darauf zu sprechen kommen, wie wir zu dem Ergebnis gelangten, daß auch die laufende Konsultation dieses Hauses in der praktischen Verwirklichung der Gemeinschaft sichergestellt sein wird.
Wir sind mit der großen Mehrheit des Hauses und des Ausschusses der Meinung, daß es eine Aufgabe auch der Bundesregierung sein wird, dafür zu sorgen, daß die drei Gemeinschaften, die demnächst bestehen, also Montanunion, Euratom und Gemeinsamer Markt, enig koordiniert werden. Wir müssen dafür sorgen, daß die Arbeit in den Ministerräten dieser drei Gemeinschaften aufeinander abgestellt wird, daß wir zu einer rationellen Arbeit kommen, um Überschneidungen und eine Zweigleisigkeit zu verhindern. Wir denken daran — ich darf das für die Bundesregierung sagen —, Versuche zu unternehmen, für die drei Ministerräte nur ein gemeinsames Sekretariat zu schaffen, um schon durch den Unterbau sicherzustellen, daß nicht eine den Erfolg gefährdende Vielgleisigkeit entsteht.
Ein letztes Wort noch zu einem besonderen Einwand, nämlich zu der Frage der Freihandelszone. Meine Damen und Herren, ich glaube hier klar feststellen zu dürfen, daß die Formulierung von einem Kleinsteuropa nicht richtig ist. Wir können eine solche Gemeinschaft nur mit denen schaffen, die im Augenblick geneigt sind, uns auf diesem Weg zu folgen.
Das schließt ja doch nicht aus, daß wir bereit sind und bereit bleiben werden, mit jedem anderen, der morgen in irgendeiner Weise den Zutritt zu der Gemeinschaft sucht, zu sprechen und ihm den Zutritt selbstverständlich zu ermöglichen oder Formen der Zusammenarbeit zu finden, wie sie. sich uns nun einmal jetzt in der Diskussion über die Freihandelszone anbieten. Es wird — das darf ich ausdrücklich sagen, und hier besteht, glaube ich, zwischen dem Hohen Haus und der Bundesregierung keine Meinungsverschiedenheit — nicht an dem guten Willen der Bundesregierung fehlen, sich zu solchen Verhandlungen zu stellen und alles zu tun, um den Gemeinsamen Markt durch eine Freihandelszone in seinem Einfluß, in seiner wirtschaftlichen Bedeutung zu fördern.
Das gemeinsame Ziel ist doch die größtmögliche Handelsfreiheit unter den europäischen Staaten,
die Abschaffung von Zöllen und Kontingenten, die ja alle wettbewerbsverfälschenden und wettbewerbshindernden Charakter haben. Der feste Kern, der zunächst entstehen sollte, ist nun einmal diese Gemeinschaft. Die Idee der europäischen Freihandelszone ist überhaupt erst dadurch entstanden, daß wir uns über den Gemeinsamen Markt ernsthaft unterhalten haben.
Ich bin sogar überzeugt — ich sage das nicht, weil ich den guten Willen und die Bereitschaft anderer anzweifele —: indem Augenblick, wo dieser Gemeinsame Markt scheitern würde, wäre die Bereitschaft, das Gespräch über die Freihandelszone fortzuführen, erloschen.
Ich glaube deshalb, daß wir den richtigen Weg gehen. Wir haben das auch in unseren Verhandlungen anläßlich des Besuchs des englischen Premierministers und Außenministers festgestellt. Wir gehen den richtigen Weg, wenn wir sagen: Tun wir das, was im Augenblick möglich ist. Und das ist die Verwirklichung dieser Gemeinschaft, die offen sein und nicht etwa ein neues Autarkiedenken schaffen soll. Die Gemeinschaft soll sich nicht abschließen, sondern sie soll mit nach außen offenen Grenzen bestehen. Wir haben schon die Gespräche im Rahmen von OEEC und im bilateralen Verkehr mit den anderen Staaten aufgenommen, um eine möglichst rasche und eine möglichst weitgehende Verwirklichung des Gedankens der Freihandelszone sicherzustellen.
Was ich bezüglich der Freihandelszone sagte, gilt mutatis mutandis für die Europäische Atomgemeinschaft. Alle Partner dieser Gemeinschaft wünschen übereinstimmend — Herr Kollege Furler hat das als Berichterstatter auch ausdrücklich betont —, daß die gemeinsamen Arbeiten auf dem Gebiet der Kernenergie im Rahmen der OEEC weitergeführt werden sollen. In den Verhandlungen im Sonderausschuß haben meine Mitarbeiter und ich Ihnen sagen dürfen, daß die Bundesregierung eine gute arbeitsteilige Zusammenarbeit zwischen Euratom und OEEC anstrebt. Bei den Verhandlungen in Brüssel und Paris zeichnen sich bereits Möglichkeiten ab, z. B. im Hinblick auf die Planung gewisser gemeinsamer Unternehmen, zu
der die OEEC mit ihrem lockeren, aber wohlgefügten Zusammenhang auf breiterer Basis beitragen kann.
Dem Bundestag liegt weiter — und auch das unterstreicht das, was ich sagte — der Gesetzentwurf über den Beitritt der Bundesrepublik zu der im Oktober letzten Jahres gegründeten weltweiten internationalen Atomenergiebehörde vor. Den Staaten der Welt wird es durch diese Behörde ermöglicht, in freiwilliger Zusammenarbeit die Ausnutzung der Atomenergie zu friedlichen Zwecken zu betreiben, und die Bundesregierung wünscht, daß uns durch den Beitritt zu dieser Organisation die Möglichkeit gegeben wird, an dieser Zusammenarbeit teilzunehmen. Ich würde es darum dankbar begrüßen, wenn dieser Gesetzentwurf noch verabschiedet werden könnte. Die Bundesrepublik könnte dann an der im Oktober dieses Jahres in Wien stattfindenden ersten Sitzung der Behörde als vollberechtigtes Mitglied teilnehmen.
Auf andere Einzelheiten brauche ich wohl kaum mehr einzugehen. Hinsichtlich der Wünsche, die der Bundesrat geäußert hat, möchte ich mich darauf beschränken, auf die Ausführungen Ihres Berichterstatters Professor Furler Bezug zu nehmen. Soweit es um die Frage der Erteilung von Weisungen und um die Information geht, haben wir eine Formulierung gefunden, von der ich hoffe, daß sie allgemeine Zustimmung finden wird. Wir haben bei den Verhandlungen den Art. 1 a eingefügt, wonach die Bundesregierung den Bundestag und den Bundesrat über die Entwicklungen im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und im Rat der Europäischen Atomgemeinschaft laufend zu unterrichten hat.
Soweit durch den Beschluß eines Rats
— so heißt es dort —
innerdeutsche Gesetze erforderlich werden oder in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar geltendes Recht geschaffen wird, soll die Unterrichtung vor der Beschlußfassung des Rats erfolgen.
Ich glaube, daß wir damit das legitime Bedürfnis und den legitimen Anspruch des Bundesrats befriedigt haben, ihn bei diesen Entscheidungen nicht etwa zu übergehen, sondern ihn rechtzeitig einzuschalten.
Ich möchte darauf verzichten — obwohl es hier noch einmal aufgegriffen worden ist —, auf die besonderen Fragen der Wiedervereinigung, des Interzonenhandels und der Stellung Berlins einzugehen; denn ich hoffe, es ist doch gelungen, auch hier zu der gemeinsamen Überzeugung zu kommen, daß das Mögliche und Nötige geschehen ist, so daß wir sagen können, daß diese Verträge den berechtigten Interessen und Wünschen des ganzen deutschen Volkes diesseits und jenseits der Zonengrenze voll entsprechen.
Ich kann mich den Bedenken, die Herr Kollege Stegner geäußert hat, nicht anschließen. Ich frage mich auch, ob es sehr glücklich ist, von der Tribüne des Bundestages aus bereits die Ankündigung zu machen, die Verträge könnten dazu führen, daß die Sowjetunion später einmal mit Recht behaupten könne, die sogenannte DDR sei der einzige legitime Staat.
Wenn ich dieses Hohe Haus bitte, die Verträge über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und über die Europäische Atomgemeinschaft nun zu verabschieden, dann tue ich das nicht, ohne der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß das Werk, zu dessen Verwirklichung wir uns jetzt anschicken, uns, dem ganzen deutschen Volke und den kommenden Generationen und allen Völkern unseres alten Erdteils, neuen Wohlstand vermitteln, eine gesicherte Zukunft bringen und zu einer festen und unauflöslichen Einheit dieser kontinentalen und nichtkontinentalen europäischen Staaten beitragen möge.
Meine Damen und Herren, es wird mir der Vorschlag gemacht, in die Mittagspause einzutreten; auf der Rednerliste stehen noch fünf Redner. Wenn ich keinen Widerspruch höre, dann vertage ich anschließend die Sitzung ibis 15 Uhr.
Ich gebe noch folgendes bekannt. Der Ältestenrat hat sich eingehend mit der Geschäftslage befaßt. Wir haben zu einem Teil Übereinstimmung erzielt, zu einem anderen nicht. Wir haben darüber Übereinstimmung erzielt, den Punkt 27 der Tagesordnung zu behandeln. Punkt 28 ist eine Formalität; er wird hinter Punkt 27 erledigt. Dann kommen die Punkte 25, 14 und 21 a bis c. Hier wird die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Bundesevakuiertengesetzes hereingenommen. Soweit ist Einstimmigkeit im Ältestenrat erzielt worden.
Nicht einmütig war man sich über die dann vorgeschlagenen anderen Punk te. Darüber muß dann um 15 Uhr hier im Plenum abgestimmt werden, und zwar, ob Punkt 6 vor Punkt 15 und ob Punkt 15 vor Punkt 1 a — erneute Behandlung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, der Drucksache 3726 — behandelt werden soll und schließlich ob die zweite und dritte Beratung des Krankenversicherungsgesetzes Berlin vor dem Punkt 6 der Tagesordnung erfolgen soll. Die Entscheidung über die Reihenfolge der drei letzten Punkte muß also um 15 Uhr getroffen werden.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
Meine Damen und Herren, ehe wir fortfahren, wollen wir eine Klarstellung über die Reihenfolge in der Tagesordnung herbeiführen. — Der Herr Abgeordnete Rasner hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie, Herr Präsident, haben vorhin dem Hause die Tagesordnungspunkte 1 bis 5 bekanntgegeben, über die heute morgen im Ältestenrat ein Einvernehmen erzielt werden konnte. Meine Fraktion schlägt ab Punkt 6 der Tagesordnung für heute folgende Reihenfolge vor: Punkt 6, zweite und dritte Beratung des Gesetzentwurfs über die Berufsausübung im Einzelhandel, Punkt 7, zweite Beratung des Entwurfs des Kriegsfolgenschlußgesetzes — die Frage der zeitlichen Einordnung der Abstimmung über die zweite Lesung der Grundgesetzergänzung haben wir in Ihr Ermessen gestellt, Herr Präsident —, und Punkt 8, Drucksache 3720, Gesetz über die Selbstverwaltung in der Krankenversicherung in Berlin.
Herr Präsident, wir haben noch einmal versucht, einen Kompromißvorschlag dahingehend zu machen, daß wir uns nicht nur, wie es geschehen ist, über die ersten fünf Punkte einigen, sondern daß wir im ganzen Hause auch noch eine Einigung über die Punkte 6 und 7 erzielen. Wir hatten uns bereit erklärt, die zweite Lesung des Kriegsfolgenschlußgesetzes als Punkt 6 — einem Wunsch der sozialdemokratischen Fraktion entsprechend — zu akzeptieren, wenn die sozialdemokratische Fraktion auf der anderen Seite unseren Wunsch, als Punkt 7 das Gesetz über die Berufsausübung 'im Einzelhandel zu nehmen, akzeptiert. Wir können diesen unseren Vorschlag auch mit guten Gründen untermauern. Denn im Ältestenrat ist damals die Beratung des Gesetzes über die Berufsausübung im Einzelhandel als Punkt 6 der Ihnen alien gedruckt vorliegenden Tagesordnung beschlossen worden. Auf dieser Basis ist ,das Haus in die Beratung dieser vier Tage gegangen. Wir sind jetzt schon bei den Punkten 15, 16 und 17, und aus der gedruckt vorliegenden Tagesordnung ist lediglich der Punkt 6 ausgeklammert worden.
Weil das so ist, Herr Präsident, und weil der Versuch der Einigung auch auf der Kompromißbasis, die wir soeben vorgeschlagen haben, d. h. einem Entgegenkommen den Wünschen der sozialdemokratischen Fraktion entsprechend zunächst die zweite Lesung des Kriegsfolgenschlußgesetzes vorzunehmen und dann erst das Gesetz über die Berufsausübung im Einzelhandel zu beraten, weil auch diese faire Bemühung fehlgeschlagen ist, möchten wir jetzt die von mir eben vorgeschlagene Reihenfolge der Tagesordnungspunkte aufrechterhalten.
Herr Abgeordneter Menzel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion schlägt nach Punkt 5 — Evakuiertengesetz — folgende Reihenfolge vor: Punkt 6, zweite Beratung des Kriegsfolgenschlußgesetzes, Punkt 7, Grundgesetzänderung, soweit sie erforderlich ist, um ein Atomgesetz zu verabschieden, und dann als Punkt 8 den Gesetzentwurf über die Berufsausübung im Handel.
Ich darf dazu ausführen. Herr Kollege Rasner, es ist richtig, daß wir im Laufe dieser Tage von der ursprünglich vereinbarten und ausgedruckten Tagesordnung abgewichen sind. Aber ich glaube, daß gerade Ihre Fraktion nicht das Recht hat, sich darüber zu beklagen; denn als wir diese Tagesordnung vereinbarten, stand interfraktionell fest, daß es bei der Verabschiedung des Atomgesetzes und der dafür erforderlichen Grundgesetzänderung keine Schwierigkeiten geben würde. Ferner stand auf Grund interfraktioneller Vereinbarung fest, daß zur Behandlung und Verabschiedung des Gesetzes über die Regelung der Rechtsverhältnisse des Personenkreises, der durch Art. 131 des Grundgesetzes erfaßt wird, keine besondere Aussprache erforderlich sein würde. Erst durch das Abgehen Ihrer Fraktion von diesen beiden wichtigen Vereinbarungen ist es notwendig geworden, von der in der gedruckten Tagesordnung vorgesehenen Reihenfolge abzuweichen.
Wir wollen das Gesetz über die Berufsausübung im Einzelhandel gar nicht in seiner Bedeutung herabsetzen. Aber nachdem man auf diesem Gebiet
seit Jahrzehnten ohne ein solches Gesetz ausgekommen ist, gibt es für den Bundestag an diesen beiden Tagen vordringlichere Aufgaben, als Gesetze wie dieses zu verabschieden.
Ich darf noch einmal an das erinnern, was ich bereits gestern namens meiner Fraktion zur Tagesordnung ausgeführt habe: Tausende warten draußen auf das Kriegsfolgenschlußgesetz. Dabei verkennen wir nicht, daß dieses Gesetz Mängel hat und daß viele Bedenken bestehen, es zu verabschieden. Aber wie können Sie bestreiten, daß dieses Gesetz viel wichtiger ist als die Regelung einiger Fragen des Einzelhandels!
Dann verstehe ich überhaupt nicht mehr die Weigerung der CDU, über die Grundgesetzänderungen abzustimmen, die für den Erlaß eines Atomgesetzes erforderlich sind. Als Grund haben Sie heute früh u. a. angegeben — ich glaube Sie richtig verstanden zu haben, Herr Kollege Rasner —, die CDU-Fraktion könne der Behandlung dieses Gesetzes nicht zustimmen, weil ihr die SPD noch eine Erklärung schuldig sei. Das ist doch, gelinde gesagt, eine völlige Verdrehung der Tatsachen. Wenn jemand diesem Hause und der Öffentlichkeit eine Erklärung für die Mißachtung der Atomfragen, wie sie durch Ihre Fraktion zum Ausdruck gebracht worden ist, schuldig ist, dann ist es allein die CDU/CSU-Fraktion und nicht wir!
Übrigens hat man draußen, nicht nur bei der Presse, sondern auch bei der Bevölkerung, viel besser verstanden, was da in Wirklichkeit durch Ihr Verhalten geschehen ist, als Sie es jetzt wahrhaben möchten.
Meine Damen und Herren von der CDU, Sie haben nun durch den Antrag der DP eine Chance, den Schaden, den 45 Mitglieder Ihrer Fraktion vorgestern angerichtet haben, wieder gutzumachen, wenn Sie es wirklich wollen. Daran, wie Sie jetzt abstimmen werden, werden wir erkennen, ob Sie wirklich noch eine Atomgesetzgebung wollen oder nicht. Daher ist die Reihenfolge der vor uns liegenden Tagesordnungspunkte gar nicht mehr eine Frage der formalen Geschäftsordnung oder der Einteilung von Stunden und Minuten, sondern mit ihr wird eine eminent politische Frage entschieden. Daran, wie Sie jetzt stimmen, werden wir und alle Menschen draußen feststellen können, welche Bedeutung Sie den Fragen der friedlichen Verwendung der Atomspaltung und den Fragen des Strahlenschutzes in Wirklichkeit beimessen, ob Sie überhaupt erkannt haben, was in dieser Zeit die Bevölkerung von uns erwartet. Sie will endlich das Gefühl der Sicherheit haben, daß die Ausnutzung der Atomspaltung nur für friedliche Zwecke erfolgt und daß ein wirksamer Strahlenschutz geschaffen wird. Daran, wie Sie jetzt abstimmen werden, wird man erkennen können, ob Sie dieses wichtige Problem immer noch für bedeutsamer halten als einige Randfragen des Einzelhandels.
Meine Damen und Herren, bevor wir abstimmen, möchte ich noch auf einen Punkt aufmerksam machen, der von den beiden Herren soeben nicht berührt worden ist. Es handelt sich um die Fragestunde morgen vormittag.
Diese Frage hat uns bereits im Ältestenrat beschäftigt. Vereinbart worden ist und auf der Tagesordnung steht, daß morgen vormittag, 8.00 Uhr, Fragestunde ist. Ich habe im Ältestenrat vorgeschlagen, mit Rücksicht auf die Überbeanspruchung des Hauses damit einverstanden zu sein, daß die Fragestunde gestrichen wird, die Fragen schriftlich beantwortet werden und das Haus um 9 Uhr anfängt.
Können wir uns darüber einigen, oder müssen wir darüber abstimmen? - Herr Kollege Ritzel.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
— Ich muß leider die Abstimmung wiederholen. Wer dafür ist, daß das Atomgesetz dem Punkt Selbstverwaltung in der Sozialversicherung in Berlin vorgezogen wird, den bitte ich, sich zu erheben.
.— Keine Einigung im Vorstand. Wir müssen über diese Frage durch Hammelsprung abstimmen.
- Die Abstimmung geht darüber: Soll das Atomgesetz vorgezogen werden? Wer dafür ist, daß es
vorgezogen wird, der geht durch die Ja-Türe. —
Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Mit Ja, also für die Vorziehung des Atomgesetzes, haben 156 Mitglieder des Hauses gestimmt, mit Nein 169 Mitglieder des Hauses, enthalten haben sich vier. Damit ist der Antrag abgelehnt, das Atomgesetz vor dem Gesetz über die Selbstverwaltung der Sozialversicherung in Berlin zu behandeln.
Darf ich daraus schließen, daß dann das Gesetz über die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung in Berlin nach dem Tagesordnungspunkt 15 behandelt wird?
Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß ich es nicht noch einmal zu rekapitulieren brauche. Bei mir ist es klar; ich habe es aufgeschrieben. Vielleicht vertraut mir das Haus, daß es bei diesem Fahrplan bleibt.
Damit haben wir die Tagesordnung vollends festgestellt. Wir kehren zurück zu der Aussprache über den Gemeinsamen Markt. — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Fraktionsfreund Mommer hatte zu Beginn seiner Ausführungen bemängelt, daß dem Parlament nicht ausreichend und rechtzeitig genug Gelegenheit gegeben war, sich mit einem so wichtigen Gesetzeswerk zu befassen. Der Herr Bundesaußenminister hat geglaubt, diese Bemängelung zurückweisen zu müssen, zum Teil mit der Begründung, es handle sich um eine so wichtige und eine so große und komplexe Angelegenheit, daß es sehr schwer sei, sie im Rahmen von Parlarnentsberatungen ordnungsgemäß zu bearbeiten.
Ich möchte an das erinnern, was in der Einleitung zur Begründung der vorgelegten Verträge steht. Dort hat die Bundesregierung darauf hingewiesen, daß hier eine mit eigenen Hoheitsbefugnissen ausgestattete übernationale Gemeinschaft gebildet werde und daß es sich um ein euronäisches Gebilde verfassungsrechtlicher Gattung handle. Das heißt, hier wird ein Stück europäischer Verfassungsgeschichte geschrieben. Daher wäre es schon angemessen gewesen, wenn wir in anderer und gültigerer Weise zu diesen Problemen hätten Stellung nehmen können, als das hier der Fall gewesen ist. Es wäre gut gewesen, wenn Sie auch in vielen anderen Dingen die Bedeutung erkannt hätten, die es hat, wenn man dem Parlament in wichtigen politischen Fragen den ihm zukommenden Rang gibt und seiner Stimme das Gewicht
verleiht, das nun einmal dem Parlament in verfassungsrechtlichen Fragen zukommen sollte. Ich vermag daher nicht anzuerkennen, daß die Darlegungen des Herrn Bundesaußenministers berechtigt waren.
Dann möchte ich einige Bemerkungen im Anschluß an die Ausführungen des Herrn Kollegen Margulies machen. Er meinte, mein Freund Mommer habe im 'Grunde genommen ein Plädoyer für die Ablehnung des Vertragswerks gehalten und sei dann etwas unvermittelt zu dem Bekenntnis gekommen, ,daß man den Verträgen zustimmen solle. Es handelt sich hier um internationale Verträge, also um Verträge, bei ,denen wir leider nicht die Möglichkeit haben, einzelne Bestimmungen zu verändern oder abzulehnen, sondern wir können nur das ganze Vertragswerk entweder annehmen oder ablehnen. Da bleibt nur die eine Möglichkeit, abzuwägen, ob man die positiven Ansatzpunkte für so wichtig und durchschlagend hält, daß man dafür die Mängel und Fehler, die das Vertragswerk enthält, in Kauf nehmen muß.
Wir haben bei der Prüfung der Frage, ob es sich hier um eine realistische Methode der Europapolitik handelt, einige Fortschritte gegenüber der Europapolitik, wie sie bisher hier im Hause vertreten wurde, gefunden, und ich möchte Ihnen dazu fünf Punkte nennen.
Wir halten es erstens für einen Fortschritt, daß gegenüber allen bisherigen Versuchen der Versuch, eine europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit herbeizuführen, von der Verkopplung mit macht- und militärpolitischen Ideologien losgelöst wurde.
Wir halten es zweitens für gut, daß gegenüber den bisherigen Versuchen ein organischer Weg gegangen wird, der in Etappen über die Zoll- zur Wirtschaftseinheit führen muß, so daß wir von der Methode eines übertriebenen Perfektionismus loskommen.
Einen dritten Vorzug dieses Versuchs gegenüber allen bisherigen Versuchen sehen wir darin, daß die Beschränkung auf die Teilintegration gewisser Wirtschaftszweige überwunden ist und mit diesem Gesetzeswerk eine europäische Zusammenarbeit auf der breiten Basis der Gesamtwirtschaft der sechs Staaten eingeleitet werden soll.
Der vierte fortschrittliche Gesichtspunkt scheint uns zu sein, daß hier erstmals eine reale Chance gegeben ist, über den Kreis der sechs Staaten hinaus mit Hilfe der Freihandelszone auch die übrigen Staaten Europas zu einer gemeinsamen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu bringen.
Und schließlich der letzte Punkt: Wir sind zu der Überzeugung gekommen, daß im Gegensatz zu allen bisherigen Versuchen dieses Gesetzeswerk keine schwerwiegenden Hindernisse für die Wiedervereinigung aufbaut, und zwar aus mehreren Gründen:
erstens wegen der Trennung von macht- und militärpolitischen Vorstellungen,
zweitens, weil langfristig im Laufe von 12 bis 15 Jahren organisch aufgebaut wird, und
drittens, weil ausdrücklich festgelegt ist, daß der Interzonenhandel eine innerdeutsche Angelegenheit ist, so daß damit der Politik der Bundesregierung die Möglichkeit gegeben ist, auf diesem Gebiet die erforderlichen Gegengewichte zu setzen.
Meine Damen und Herren, weil wir diese positiven Ansatzpunkte sehen, wird meine Fraktion dem Gesetzeswerk zustimmen.
Aber wir machen kein Hehl daraus, daß dieses Vertragswerk bei uns erhebliche Vorbehalte hervorruft, und wir werden diese Vorbehalte auch durch meine Ausführungen sehr deutlich unterstreichen. Bei den Fanfarentönen, mit denen die Bundesregierung und die Regierungskoalition ihr Gesetzeswerk begleiten, scheint es mir durchaus unangemessen, zu sein, wenn diese Töne von der Opposition noch verstärkt werden; deren Aufgabe ist vielmehr, gerade die Probleme und die Schwierigkeiten darzulegen, die auf uns zukommen. Denn eine realistische Außenpolitik muß sich darüber klar sein, wie schwer die Aufgabe ist und wie groß die Gefahren sind, die uns auf dem Wege durch die nächsten zwölf bis fünfzehn Jahre noch begegnen werden.
Darum, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich auch hier zwei Ereignisse der letzten Wochen ins Gedächtnis rufen, die für die Situation im Hinblick auf die Fragen wirtschaftlicher Zusammenarbeit in Europa von außerordentlicher Bedeutung sind.
Der eine Gegenstand ist schon berührt worden. Zum 18. Juni 1957 hat Frankreich seine gesamte Einfuhr entliberalisiert und damit restlos kontingentiert. Das ist das zweite Mal, daß Frankreich zu diesem Mittel greifen muß. Das erste Mal geschah es im Zusammenhang mit der Korea-Krise im Jahre 1952, als es seine 75%ige Liberalisierung aufhob. Es hat drei Jahre gedauert, bis Frankreich mit Hilfe von Importtaxen und Exportsubventionen wieder eine 75%ige Liberalisierung herbeiführen konnte. Wir wissen nicht, wie lange es diesmal dauern wird, his die Entliberalisierung wieder überwunden ist. Wir sind sicher, daß mit einfachen steuer-, finanz- oder wirtschaftspolitischen Maßnahmen in Frankreich dieses Problem nicht gelöst werden kann, sondern hier steht zur Debatte, ob Frankreich mit dem Algerien-Problem fertig wird.
Das scheint mir eine so schwerwiegende Belastung zu sein, daß gerade diejenigen, die einer realistischen Europapolitik positiv gegenüberstehen, eine solche Situation gebührend beachten sollten.
Dann eine zweite Tatsache, die durch Presseveröffentlichungen über die Abrüstungskonferenz in London stark in den Hintergrund geraten ist. Das ist die Commonwealth-Tagung, die in diesen Tagen in London stattgefunden hat. Meine Damen und Herren, wer — soweit überhaupt Berichte darüber vorlagen — versucht hat, diese Berichte zu verfolgen, wird gesehen haben, wie stark hier wieder die Tendenzen zu einer Verstärkung des wirtschaftlichen Zusammenhangs im Commonwealth und die Bestrebungen zur Stärkung der Zusammenarbeit in Europa miteinander ringen und daß hier noch erhebliche Gefahrenelemente vorhanden sind. Ich habe gerade heute morgen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen Bericht gelesen, der die Quintessenz in sehr bemerkenswerten Worten zum Ausdruck bringt. Dort heißt es:
Hierbei
- in den Verhandlungen —kam der Wunsch aller Teilnehmer zum Ausdruck, die wirtschaftlichen Bande des Commonwealth nach Möglichkeit enger zu knüpfen.
Und weiter:
Zu dem Vorschlag einer europäischen Freihandelszone äußerten sich die Minister reserviert zustimmend. Es schien, daß sie jeden Schritt für eine Stärkung der britischen Wirtschaft begrüßten, solange die Interessen des übrigen Commonwealth hierdurch nicht beeinträchtigt werden.
Meine Damen und Herren, das ist ein deutliches Zeichen dafür, welche Schwierigkeiten auf dem Wege zu einer Freihandelszone über die Zollunion der sechs Mitgliedstaaten hinaus noch zu überwinden sind. Ich glaube, wer den ganzen Fragenkomplex verantwortungsbewußt betrachtet, wer sich frei von Illusionen in aller Nüchternheit mit dem Problem der europäischen Zusammenarbeit auseinandersetzt, der muß diese Tatsachen sehen und in Rechnung stellen.
Die Vorgänge in Frankreich haben die ganze Problematik des Weges, den wir hier beschreiten, deutlich aufgezeigt. Zunächst haben diese Vorgänge gezeigt, wie eng die europäischen Wirtschaften miteinander verzahnt sind und wie Vorgänge des einen Landes zurückwirken auf die Verhältnisse des anderen Landes und umgekehrt. Daß eine Zollunion unausweichlich durch eine einheitliche Wirtschafts- und Währungspolitik ergänzt werden muß, zeigt dieses französische Beispiel ganz evident. Die Vorgänge in Frankreich zeigen aber auch, daß wir uns auf der anderen Seite darüber klar werden müssen, wie labil die Situation in Europa noch ist. Darüber muß man sich klar sein, wenn man den Mut hat, einen Weg zu einer einheitlichen Wirtschafts- und Währungspolitik zu beschreiten.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit einige Ausführungen wiederholen, die mein Freund Birkelbach bei der ersten Lesung gemacht hat. Er zitierte Herrn Dr. Günther Kaiser, und zwar wie folgt:
. . . letztens ist ein solcher Zollunionsvertrag auch nur ein Stück Papier. Wenn die Zahlungsbilanz Frankreichs oder Deutschlands als Folge einer extremen Gestaltung des Güterstromes ernstlich in Unordnung gerät, wenn einem Land das Wasser am Hals steht, dann platzt dieser Vertrag in kürzester Zeit auf.
Meine Damen und Herren, das sind keine rechtlichen Probleme, das sind die politischen Probleme, die vor uns stehen, wenn wir uns mit europäischer wirtschaftlicher Zusammenarbeit befassen. Denn es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Frankreich denselben Weg beschritten hätte und hätte beschreiten müssen, auch wenn wir heute bereits eine europäische Wirtschaftsgemeinschaft und einen Gemeinsamen Markt hätten.
Darum haben wir in den vergangenen beiden Debatten Wert darauf gelegt, darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist, daß die konjunkturpolitischen Instrumente in einer Hand sind. Wir wissen aus unserer Konjunkturpolitik hier in Deutschland sehr deutlich, was es bedeutet, wenn selbst in einem Staate die verschiedenen Minister und sonstigen Instanzen die konjunkturpolitischen Instrumente nicht einheitlich, sondern nach verschiedenen Gesichtspunkten handhaben. Um wieviel schlimmer, wenn zuständigkeitsgemäß ein wichtiges Instrument wie die gesamte Handelspolitik in der Hand einer übernationalen Autorität ist, während sich die übrigen Instrumente in der Hand der Nationalstaaten befinden!
Meine Damen und Herren, nach dem Vertrage besteht kein Zweifel darüber, daß der Weg über diese Zollunion zu einer größeren Wirtschaftseinheit gehen soll. Ich glaube, das ist nirgends deutlicher gesagt, als in dem programmatischen Artikel 2, in dem von harmonischer Entwicklung des Wirtschaftslebens, beständiger und ausgewogener Wirtschaftsausweitung, größerer Stabilität und beschleunigter Hebung der Lebenshaltung gesprochen wird und in dem zugleich Mittel für den Weg zu diesem politischen Ziel angegeben werden, nämlich die Errichtung des Gemeinsamen Marktes, d. h. Beseitigung der Schranken zwischen den sechs Staaten, und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, d. h. aktive wirtschaftspolitische Maßnahmen, um diesen Weg zu beschleunigen und vorwärtszutreiben.
Es ist ganz interessant, daß die Vertreter der Regierung im Ausschuß sehr deutlich darauf hingewiesen haben — eigentlich deutlicher, als das sonst in der Öffentlichkeit geschieht -, daß der Gemeinsame Markt binnenmarktähnliche Verhältnisse herbeiführen solle und daß dazu auch eine einheitliche Wirtschafts- und Währungspolitik gehöre. Da hieß es: Sonst funktioniert das ganze System nicht. Wir haben bereits in den bisherigen Debatten darauf hingewiesen, daß diese Frage im Vertrag völlig ungenügend gelöst ist. Wir erwarten nichts von einer Dekretierung im Vertrag: Ab dann und dann existiert eine einheitliche Wirtschafts- und Konjunkturpolitik. So formalistisch kann man nicht denken. Aber es wäre doch möglich gewesen, in einem solchen Vertragswerk, das so viele Verpflichtungen auferlegt, die Verpflichutng der Europäischen Kommission zur Entwicklung einer einheitlichen Währungs- und Wirtschaftspolitik ausdrücklich zu statuieren. Das ist nicht im Vertrag enthalten. Es ist auch nichts an Methoden, an Verfahren und Institutionen vorgesehen. um Vorbereitungen auf diesem Gebiet zu treffen. Es scheint mir wichtig zu sein, daß sich z. B. in dem Titel II „Wirtschaftspolitik" ein einziger Artikel mit dem Problem der Konjunkturpolitik befaßt. Dieser Artikel sagt lapidar und völlig unverbindlich: Die Konjunkturpolitik ist eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse. Weniger kann man beinahe nicht sagen.
Auch bei der Wechselkurspolitik erscheint dieselbe merkwürdige Formulierung, daß es sich hier um eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse handle.
Wenn ich mir dann die Formulierung zur Zahlungsbilanz in Art. 104 ansehe, so muß ich sagen: Man kann die Autonomie der Nationalstaaten kaum herausfordernder betonen. Da heißt es nämlich:
Jeder Mitgliedstaat betreibt die Wirtschaftspolitik, die erforderlich ist, um unter Wahrung eines hohen Beschäftigungsstands und eines stabilen Preisniveaus das Gleichgewicht seiner Gesamtzahlungsbilanz zu sichern und das Vertrauen in seine Währung aufrechtzuerhalten.
Das ist eine so deutliche Betonung der nationalstaatlichen Autonomie, wie man sie sich stärker nicht wünschen kann.
Auf dem Gebiet der Währungspolitik ist dann wenigstens noch ein beratender Ausschuß für Währungspolitik vorgesehen, aber in den anderen Fra-
gen der Konjunkturpolitik, auch der Investitionspolitik, ist von derartigen Institutionen leider keine Rede. Wir erinnern uns bei diesen Bestimmungen an die Erfahrungen mit der Montanunion, aus denen wir wissen, daß die deutsche Bundesregierung sich in allen Fragen einer einheitlicheren Wirtschaftspolitik sehr, sehr — ich möchte vorsichtig sein — zurückgehalten hat und keineswegs als Motor einer einheitlichen europäischen Wirtschafts- und Konjunkturpolitik aufgetreten ist, wie das eigentlich jeder tun muß, der dieses Vertragswerk vertritt und sich dafür einsetzt.
So komme ich zu der Feststellung: Wir freuen uns immerhin über die theoretische Einsicht der Vertreter der Bundesregierung im Hinblick auf die Bedeutung einer einheitlichen Wirtschafts- und Währungspolitik; wir bedauern es außerordentlich, daß in dem Vertragswerk dieser Gedanke nur eine unzulängliche Ausdeutung gefunden hat. Wir haben — es tut uns leid, das feststellen zu müssen — zur Bundesregierung nicht das Vertrauen, daß sie diese Ansatzpunkte einer aktiven europäischen Wirtschaftspolitik wirklich sinnvoll nutzen wird. Deshalb legten wir Wert darauf, in unserer Resolution unmißverständlich und eindeutig klarzulegen, daß die Herbeiführung einer einheitlichen Wirtschafts- und Währungspolitik eine der entscheidenden Aufgaben der Bundesregierung ist. Wir legen hier keinen Wert auf eine gemeinsame Erklärung, weil wir wissen, wie viele verschiedene Auffassungen, Motive und Zwecksetzungen sich normalerweise hinter gemeinsame Erklärungen verbergen. Wir wollen ganz eindeutig klarstellen, daß es sich hier für uns um eine verbindliche politische Richtlinie für jede zukünftige Bundesregierung handelt.
Damit komme ich zu dem zweiten Problem: Zollunion und Freihandelszone. Die Zollunion zusammen mit dem Versuch, eine stärkere Wirtschaftseinheit herbeizuführen, muß, wenn sie überhaupt Sinn haben soll, zu entscheidenden strukturellen Veränderungen in den sechs europäischen Staaten führen. Andernfalls wäre sie sinnlos. Sie wird also große Einflüsse haben nicht nur auf die Standortverteilung der Wirtschaft innerhalb der sechs Staaten, sondern auch auf das Zollaufkommen und auf die Handelsbeziehungen zu den übrigen Staaten der Welt.
Wir bedauern sehr, daß es nicht möglich war, in den Beratungen im Ausschuß genaueres Zahlen- und Tatsachenmaterial zu erhalten, das hätte erkennen lassen, mit welchen Tendenzen der Entwicklung wir rechnen müssen. Niemand verlangt von den Herren der Ministerien eine Prophezeiung: Das und das und das wird eintreten. — Aber bei den Möglichkeiten statistischer und sonstiger Feststellung, die uns auch in Deutschland zur Verfügung stehen, wäre es sehr wohl möglich gewesen — nicht nur möglich; es wäre notwendig gewesen, und zwar als man in die Verhandlungen eintrat —, sich über die Konsequenzen der verschiedenen getroffenen Maßnahmen auf dem Gebiete der Zollfestsetzung Klarheit zu verschaffen.
Der Einwand, das sei nicht sehr zweckmäßig, das grenze an Prophetie, zeigt doch sehr deutlich, mit welcher Leichtherzigkeit die Bundesregierung nicht nur in die Verhandlungen hineingegangen ist, sondern sie auch bis zum Ende durchgeführt hat. Es war ihr nicht einmal möglich, dem Bundestag ausreichende Beurteilungsgrundlagen darüber zu geben, mit welchen Möglichkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung wir nach dem Abschluß des Vertrages zu rechnen haben.
Auch aus diesem Grunde haben wir Wert darauf gelegt, daß in dem Ratifikationsgesetz festgelegt wird, daß der Bundestag in den Erlaß der Durchführungsverordnungen eingeschaltet wird. Wir wollen jeweils im einzelnen über die wirtschaftlichen Auswirkungen unterrichtet werden, damit wir in der Lage sind, etwa notwendige Konsequenzen zu ziehen.
Ein weiteres Gebiet ist die Freihandelszone. Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, daß sie die Freihandelszone ernsthaft anstrebe. Dem Vertrag ist auch eine entsprechende sogenannte Absichtserklärung beigefügt. Inzwischen sind bei der OEEC eine Arbeitsgruppe und drei Unterarbeitsgruppen tätig, und es ist ein korrespondierender Ausschuß der sechs Montanunion-Staaten gebildet worden. Es wurde uns versichert, das laufe alles ganz ordentlich und die Zusammenarbeit lasse nichts zu wünschen übrig.
Worauf es uns ankommt, ist die Feststellung, daß auf dem Gebiete der Freihandelszone praktische Fortschritte offensichtlich nicht in Aussicht stehen. Zunächst bestand die große Hoffnung, daß es möglich sei, die Verhandlungen um die Freihandelszone so zu beschleunigen, daß man bei Inkrafttreten des Gemeinsamen Marktes doch eine gewisse Abrundung würde feststellen können. Dann ergaben sich technische Schwierigkeiten. Zur Zeit muß man feststellen, daß keinerlei materielle Fortschritte mehr erzielt werden. Es ist auch bedauerlich, daß die wichtigste Vorfrage, die zu lösen ist, bis heute nicht gelöst wurde, nämlich die Frage, ob man sich im wesentlichen auf einen Zollabbau beschränken will oder ob man an umfassendere Zusammenarbeit auch im Rahmen der Freihandelszone denkt. Denn natürlich vermehrt eine größere Zusammenarbeit über den Rahmen der engeren Gemeinschaft der sechs Staaten hinaus die Schwierigkeiten für die Schaffung einer Freihandelszone.
Aus den Auskünften in den Ausschüssen haben wir die Überzeugung gewinnen müssen, daß auch hier die Bundesregierung — wie die fünf anderen Staaten — inzwischen nicht zu konkreten Vorstellungen gekommen ist, welchen Weg sie beschreiten wolle, um von der Proklamation und dem Bekenntnis zur Freihandelszone zu ihrer Realisierung zu kommen.
Ich möchte hier ganz deutlich sagen: wir halten das Zustandekommen einer Freihandelszone für eine entscheidende Voraussetzung für ein gutes Funktionieren des Gemeinsamen Marktes. Die Bundesregierung sollte sich darüber klar sein, daß nicht nur die anderen Staaten außerhalb der Gruppe der Sechs ein Interesse an der Freihandelszone haben, sondern daß die sechs Mitglieder der Zollunion — und insbesondere auch Deutschland — an einer Ausweitung über den Rahmen der sechs Staaten ein eigenes lebenswichtiges Interesse haben.
Deshalb, meinen wir, müßte die Bundesregierung mehr Initiative entwickeln. Sie müßte auch die Bereitschaft zu wesentlichem Entgegenkommen gegenüber den Staaten entwickeln, die bisher an den Verhandlungen nicht beteiligt waren. Ich habe das Gefühl, daß die bisherigen Verhandlungen die Haltung der sechs Staaten sehr verfestigt haben,
j so daß sich aus dieser Haltung, den bisherigen Verhandlungsstand aufrechtzuerhalten, große Schwierigkeiten für wirklich fruchtbare Verhandlungen über eine Freihandelszone ergeben.
Im Zusammenhang damit komme ich zu einem dritten Punkt: zum Außenzolltarif. Auch aus den Ausführungen des Herrn Bundesaußenministers ist klargeworden, daß wir jedenfalls mit der Erhöhung zahlreicher Zollpositionen zu rechnen haben, und in weiten Teilen Deutschlands ist die Sorge verbreitet, daß damit eine Erhöhung des Preisniveaus und eine Verteuerung der Lebenshaltung verbunden sein könnte.
Der Herr Bundesaußenminister hat heute wieder beruhigend darauf hingewiesen, es handele sich um einen Verhandlungstarif. Wer im 1. Bundestag die Verhandlungen über den Zolltarif mit seinen hohen Zollsätzen mitgemacht hat, dem klingt es noch in den Ohren, daß das ja nur ein Verhandlungstarif sei und daß man in den Verhandlungen im Rahmen des GATT eben eine solche Ausgangsposition haben müsse, um zu normalen Zollsätzen zu kommen. Wir wissen, daß im Verhandlungswege über GATT an diesem Zolltarif kaum etwas verändert worden ist. Wenn später etwas verändert wurde, dann aus ganz anderen Gründen, nämlich wegen der innerdeutschen und der Zahlungsbilanzsituation. Dieses Argument mit dem Verhandlungstarif ist also nicht sehr überzeugend.
Es wird ein zweites Argument vorgebracht, nämlich daß die bisherigen Zolltarifabreden mit unseren Handelsvertragspartnern aufrechterhalten bleiben. Das ist nach dem Vertrag sicherlich richtig. Aber ebenso richtig ist, daß der Vertrag ausdrücklich vorschreibt, daß diese Abreden im Laufe der Zeit — natürlich im Vertragswege — geändert werden und wir auf dieses einheitliche Außenzollniveau zusteuern. Die Ausgleiche und die Kompromisse, die geschlossen werden, werden nicht auf dem Gebiete dieser Zollsätze, sondern irgendwo anders getroffen werden, so daß kein Zweifel darüber ist, daß wir in absehbarer Zeit mit diesem Zolltarifniveau zu rechnen haben. Wir bedauern, daß wir auch hier über die Auswirkungen eines solchen Zolltarifs auf das Zollaufkommen und auf den Warenstrom von und zu anderen Ländern nichts haben erfahren können. Ich bedauere, daß der Herr Bundesaußenminister, der diese Frage heute ebenfalls angeschnitten hat, keine konkreteren Angaben dazu gemacht, sondern wieder nur allgemeine Hoffnungen erweckt und allgemeine Ansichten vertreten hat. Das ist doch eine zu wichtige Sache, als daß ein Parlament, das sieht, daß sich hier wesentliche Veränderungen einstellen werden, sich damit zufrieden geben könnte, daß nicht das Mindeste über die möglichen Konsequenzen festgestellt und offengelegt wird. Ich möchte sagen: hier hat das Schuldkonto des Herrn Bundeswirtschaftsministers eine neue schwere Belastung erfahren; offenbar fehlt ihm eine genügend ausgestattete Abteilung für die Probleme einer echten wirtschaftlichen Zusammenarbeit, sonst wären wirtschaftspolitische Überlegungen bei der Abfassung der Vertragsentwürfe stärker durchgedrungen. Ich hoffe, daß bei den zukünftigen Verhandlungen mit dritten Ländern realere Unterlagen zur Verfügung stehen, damit nicht aus der Entwicklung des Außenzolltarifs unangemessene Belastungen für die deutsche Wirtschaft entstehen.
Gestatten Sie mir eine abschließende letzte Bemerkung, die den innerdeutschen Handelsverkehr betrifft. Mein Fraktionsfreund Mommer hat bereits darauf hingewiesen, daß nach unserer Auffassung die formale Regelung in diesem Vertragswerk keinen Anlaß zu wesentlichen Beanstandungen gibt. Dazu möchte ich mich auch nicht äußern. Mir kommt es hier auf die praktische Politik im Hinblick auf den innerdeutschen Verkehr an. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß, je stärker sich diese Gemeinschaft der sechs Staaten entwickelt, zwangsläufig ein Zusammenwachsen —das bedeutet schließlich das Wort „Integration" — dieser sechs Staaten erfolgt. Man soll sich auch offen eingestehen, daß damit parallel natürlich ein entsprechendes Zusammenwachsen auf der anderen Seite des Vorhangs verbunden ist, so daß mit dem Ablauf der Zeit die Gefahr besteht, daß sich die beiden Seiten Deutschlands stärker voneinander trennen, wenn nicht die Bundesregierung alle ihr zur Verfügung stehenden politischen und wirtschaftspolitischen Möglichkeiten einsetzt, um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken.
Hier handelt es sich nicht mehr um den Vertrag und seine Formulierungen, sondern hier handelt es sich um Politik. Der Vertrag gibt die Möglichkeit zur Ausweitung des innerdeutschen Handels. Wir wissen sehr gut und machen uns darüber keine Illusionen, daß Verhandlungen mit den Partnern jenseits der Zonengrenze ihre Schwierigkeiten haben, und wir beabsichtigen nicht, sie zu bagatellisieren. Aber wir haben die Überzeugung gewonnen, daß auch diesseits der Zonengrenze nicht das genügende Verständnis für die politische Bedeutung der innerwirtschaftlichen Beziehungen über die Zonengrenze hinaus besteht. Wir haben die Überzeugung gewonnen, daß nicht alles geschieht, um die verwaltungsmäßigen und sonstigen Hemmungen, die auf unserer Seite bestehen, zu beseitigen, um diesen innerdeutschen Handel so stark zu entwickeln, wie das nur irgend denkbar ist.
Wenn wir die Opfer sehen, zu denen wir — und ich glaube, mit guten Gründen — im Rahmen einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bereit sind, dann sollten wir auch zu finanziellen und anderen Opfern bereit sein, um den innerdeutschen Handel, und den Handel mit den übrigen Ostblockstaaten stärker zu intensivieren als bisher. Diese Opfer bringen wir nicht der Regierung in Pankow, sondern den Millionen Deutschen in der Ostzone und der deutschen Einheit.
Wir wünschen sehr und erwarten, daß die Bundesregierung die gleiche Energie, die sie auf die europäische Integration verwendet, auch auf die innerdeutsche Integration verwendet, d. h. auf eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit über die Zonengrenze.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellwig.
-Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich meiner Befriedigung über den bemerkenswerten Diskussionsbeitrag meines Vorredners Ausdruck geben,
der in der zu Anfang gegebenen Aufzählung von fünf Punkten, worin die Fortschritte des nunmehrigen Vertragswerkes liegen, tatsächlich sehr präzise das Wesen dieser Verträge herausgestellt hat. Ich glaube, daß mit ,dieser übereinstimmenden Beurteilung in der Tat auch eine geeignete Grundlage dafür geschaffen ist, an den Stellen, wo in der weiteren Entwicklung noch viele Ergänzungen vorgenommen werden müssen — wir sind uns über die Lücken ja weitgehend einig —, auch unsererseits wirklich konstruktive Beiträge zu bringen.
Ich darf hier aber zunächst noch auf Ausführungen zurückkommen, die heute vormittag gemacht worden sind, insbesondere als von zwei Sprechern Kritik geübt wurde, die ihren ablehnenden Standpunkt damit begründet haben, daß hier eben nur ein kleinerer Teil von Europa erfaßt sei und daß sich dieser Teil Europas durch .die hohe Mauer eines protektionistischen gemeinschaftlichen Zolltarifs von dem übrigen Europa absetze. Ich möchte hier ,einmal folgendes deutlich machen. Ich glaube, man muß endgültig die Illusion begraben, daß Europa politisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell nur mit einer einfachen Rückkehr zu jener Freizügigkeit von 1914 zu einer größeren Einheit zusammenwachsen könne. Europa wird nicht mehr zu dem liberalistischen Wirtschaftssystem von 1914 zurückkehren;
darüber muß man sich klar sein. Die Nationalstaaten haben abseits der ganzen Diskussion um die früheren Streitpunkte ,des Nationalismus ja längst cine divergierende Entwicklung zur Sicherung des Lebensstandards nach verschiedenen wirtschafts- und sozialpolitischen Systemen hinter sich gebracht und sind dadurch erheblich auseinandergekommen. Wenn sie heute wieder zusammenkommen sollen, dann muß man eben über die reine Liberalisierung des Außenhandels durch Zollabbau und Kontingentsabbau oder durch Rückkehr zum Goldstandard, über diese Techniken der Zeit vor 1914 hinaus die Wirtschafts- und Sozialverfassungen anpassen. Denn von dort kommt doch die Divergenz, und von dort kommen solche starken Störungen, wie wir sie gelegentlich im Außenhandel und in der Zahlungsbilanz mit all ihren Konsequenzen für das Zusammenleben mit den anderen zu spüren bekommen.
Ist es überhaupt berechtigt, den Außentarif des Gemeinsamen Marktes als eine hohe Schutzzoll-mauer zu bezeichnen? Wie sieht es denn zur Zeit aus? Wir haben zwei Hochschutzzolländer, Frankreich und Italien, auf der einen Seite, Niedrigzollländer wie die Benelux-Staaten auf der anderen Seite. Die Bundesrepublik steht ungefähr in der Mitte, im gewerblichen Sektor mehr zur niederen, im Agrarsektor mehr zur höheren Seite. Ich habe mir die Listen des Vertragswerkes für den kommenden Außentarif genau angesehen. Ich habe ferner untersucht, wie sich die Einfuhr der Bundesrepublik nach Herkunftsgebieten — Länder des Gemeinsamen Markts einerseits und andere Länder andererseits — aufgliedert. Der neue Außentarif, der das arithmetische Mittel der jetzigen Einfuhrzolltarife der Mitgliedländer sein soll, wird im ganzen kaum merklich über dem jetzigen deutschen Zolltarif liegen. Was aber darüber liegt, wird — von der Seite der Bundesrepublik aus dargestellt — zunächst einmal durch den Zollabbau für die Einfuhren aus den Mitgliedländern des Gemeinsamen Marktes kompensiert. Ich glaube schon jetzt sagen zu können: da die Einfuhren der höher zollbelasteten Waren, nämlich der gewerblichen Fertigwaren, zu einem bedeutenden Teil aus Ländern des Gemeinsamen Marktes kommen, werden etwaige Erhöhungen, die der neue Außentarif des Gemeinsamen Marktes gegenüber dem deutschen Zolltarif bringt, für die Bundesrepublik durch die Zollsenkungen innerhalb des Gemeinsamen Marktes kompensiert, so daß es nicht zu einer Erhöhung des Zollniveaus kommt.
Zum zweiten enthält der Vertrag ja auch bestimmte Senkungstendenzen für den Außentarif. Für gewisse Waren, die in den Rohstoff-, Halbwaren- und weiteren Listen aufgeführt sind, sind Zollbegrenzungen vorgesehen. Weitere Positionen sind künftigen Verhandlungen vorbehalten, die das Ziel haben, die betreffenden Waren überhaupt zollfrei zu stellen. Da sich das Hauptinteresse der Bundesrepublik auf die Einfuhr von Rohstoffen und Halbwaren erstreckt, ist diese Tendenz zur Senkung der Durchschnittssätze im Außentarif des Gemeinsamen Marktes sehr von Vorteil, weil die Bundesrepublik bei der besonderen Eigenart ihrer Einfuhr hier im ehesten Berücksichtigung finden wird.
Schließlich eine Bemerkung zum Außentarif aus der Sicht dies europäischen Gemeinsamen Marktes. Ein Vergleich der Großwirtschaftsräume der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion mit dem des Gemeinsamen Marktes ist hinsichtlich der Bevölkerungszahl, der Marktgröße, der Produktionskraft usw. oft genug gezogen worden. Ein solcher Vergleich ist meines Wissens bisher aber noch kaum gezogen worden hinsichtlich der Außenzolltarife und sonstigen Techniken, mit denen der Außenhandel beschränkt wird. Wir dürfen nach dem jetzt vorliegenden Vertragswerk mit Sicherheit sagen: die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft wird mit ihren 160 Millionen Einwohnern derjenige Großwirtschaftsraum sein, der im ganzen, verglichen mit den USA und der Sowjetunion, den niedrigsten Außenzolltarif und die geringsten sonstigen Behinderungen des Außenhandels hat. Dass ist etwas, was mit Deutlichkeit herausgestellt werden muß. Es hat bei den Verhandlungen mit Frankreich über den Außentarif wiederholt den Hinweis gegeben, daß derartige große Räume notwendigerweise einen hohen Einfuhrtarif haben müßten. Das war das Beispiel USA. Die deutsche Seite hat zunächst ,den gewogenen Durchschnitt für den Außentarif verlangt, weil er niedriger sein würde. Aber als Kompromiß mußte man zu dem arithmetischen Mittel übergehen. Im ganzen jedoch ist die Tendenz, sich etwa an der hochzöllnerischen Außenhandelspolitik der USA für den Gemeinsamen Markt zu orientieren, erheblich abgeschwächt worden.
Nun einige Fragen über das Verhältnis zu denen, die draußen bleiben, zu den Ländern in Europa, mit denen wir die Verbindung über die Freihandelszone wollen. Heute morgen ist von zwei Sprechern gesagt worden, man hätte doch eine Gesamtlösung, an der alle europäischen Länder — Gesamteuropa hieß es — teilnehmen könnten, schaffen sollen. Meine Damen und Herren, wenn man hier aufs Ganze gegangen wäre, wären wir sicher nicht zum Ziel gekommen. Wir sehen ja jetzt schon bei der Diskussion um die Ausgestaltung des Freihandelssystems, wie nahezu unversöhnlich sich gerade bei den dritten Ländern in Europa bestimmte Bindungen und Interessenlagen einander gegen-
überstehen. Ich verweise auf die Ausführungen des Berichterstatters Kollegen Scheel im Bericht hierzu, wo er die einander entgegengesetzten Interessen der skandinavischen Länder einerseits und Großbritanniens andererseits miteinander vergleicht. Es geht um die landwirtschaftliche Einfuhr. Großbritannien möchte die Freihandelsverbindung mit dem Gemeinsamen Markt ohne Einbeziehung der Landwirtschaft, die skandinavischen Länder möchten sie unter Einbeziehung der Landwirtschaft. An diesem einen Beispiel wird schon deutlich, mit welchen Schwierigkeiten eine gesamteuropäische Freihandelsregelung als Anfang einer weitergehenden Integration hätte rechnen müssen. Ich glaube, es ist schon richtig, den Schritt so zu gehen, wie es jetzt vorgesehen ist.
Der Kollege Deist hat auf die Schwierigkeiten für das Zustandekommen der Freihandelszone hingewiesen. Die Schwierigkeiten liegen nicht bei uns, sondern sie liegen, wie ich soeben gezeigt habe, bei den unterschiedlichen Interessen der Partner. Ich möchte annehmen, daß wir dieser komplexen Situation nur mit einem differenzierten Freihandelssystem gerecht werden können. Ich meine damit, daß man vielleicht mit Großbritannien eine Freihandelsregelung ohne die Landwirtschaft, mit Skandinavien eine solche mit der Landwirtschaft begründet. Ich weiß nicht, inwieweit man bei den bisherigen Verhandlungen hierüber schon konkrete Vorstellungen über ein differenziertes Freihandelsvertragssystem gewonnen hat. Ich glaube aber, man wird wegen der sehr unterschiedlichen Interessenlage der anderen diese Konsequenz zu ziehen haben.
Es ist der Hinweis gebracht worden, daß der deutsche Handel, der zur Zeit einseitig nach dem Westen gerichtet sei, dadurch für die Zukunft den Kontakt mit seinen östlichen Partnern verlieren oder daß der Kontakt zumindest gefährdet werden könne. Es ist sogar davon gesprochen worden, daß man doch jetzt zunächst einmal abwarten müßte, was sich im Raume der sogenannten Sowjetsatelliten, Polen usw. entwickeln werde, ehe man die Bundesrepublik mit ihren Handelsinteressen so stark an den Westen binde. Ich glaube, hier ist eine Warnung angebracht, die Warnung vor der Vorstellung nämlich, daß die deutsch-osteuropäischen Handelsbeziehungen auf das Vorkriegsniveau und in den Vorkriegsstil des Austausches zurückgeführt werden könnten. Die industrielle Umwandlung der Länder im sowjetischen Einflußbereich ist so tiefgreifend, daß eine einfache Wiederherstellung des früheren Austausches von Industrieerzeugnissen gegen Agrarüberschüsse mit Sicherheit nicht mehr zu erwarten ist. Die jungindustrialisierten Länder des Sowjetbereichs sind industrielle Länder mit einer steigenden Konsumkraft für Agrarprodukte, für industrielle Fertigerzeugnisse, die sie aber selbst herstellen wollen, und ihr Haupteinfuhrinteresse ist heute nicht mehr komplementär zu dem der Bundesrepublik, sondern gleichlaufend, nämlich an Rohstoffen und Halbwaren für eine zu entwickelnde Fertigwarenindustrie. Die strukturellen Verschiebungen in diesem Bereich sollte man mit Ernst sehen. Ich würde es sehr begrüßen — über diese Dinge habe ich auch 'wiederholt mit dem Kollegen Baade gesprochen —, wenn man sich bei uns mit diesen Fragen einmal intensiver befaßte und nicht einerseits vorschnell Schlußfolgerungen zöge und andererseits Warnungen ausspräche und Vorbehalte machte, wie eben erwähnt.
Nun noch kurz zu dem Problem: die Bundesrepublik im Verhältnis zum Interzonenhandel. Ich glaube, die Bundesrepublik ist jederzeit von der Bereitwilligkeit getragen gewesen, den Interzonenhandel auszuweiten. Aber das Problem ist doch nicht die Liefer- und Handelswilligkeit von uns, sondern die Liefer- und damit die Zahlungsfähigkeit der anderen Seite.
Solange auf der anderen Seite die eiserne Hand einer zentralistischen Zwangswirtschaft im Interesse der Sowjetmacht mit allen ihren Anforderungen an die Produktionsleistung der Zone herrscht, wird den Bemühungen zur Ausweitung des Interzonenhandels auf unserer Seite und auch in der sowjetischen Besatzungszone leider eine Grenze gezogen sein.
Ich möchte noch einmal die große Lücke unterstreichen, die wir hinsichtlich der institutionellen Ansätze für eine europäische Konjunktur- und Währungspolitik erkennen. Wir wissen aber, daß die Europäische Kommission alle Möglichkeiten hat, diese Dinge zu entwickeln. Niemand wird die Europäische Kommission daran hindern — im Gegenteil, sie muß es tun, wenn sie überhaupt zu einer vernünftigen Geschäftsführung kommen will —, sich das Instrument einer europäischen Konjunkturbeobachtung und Konjunkturanalyse zu schaffen.
Eine letzte Bemerkung: Ich würde es begrüßen — und wir haben das in unserem Entschließungsentwurf in Weiterführung eines Gedankens aus dem SPD-Entschließungsentwurf ausdrücklich gesagt —, wenn man auch bei uns schon rechtzeitig die Auswirkungen struktureller Art untersuchte. Man kann sich an Hand der Standortbedingungen der deutschen Wirtschaft sehr genau bereits jetzt eine Vorstellung davon machen, wo in der Kostensituation durch die Veränderung der Lieferbeziehungen und Warenströme, der Ein- und Ausfuhrmöglichkeiten, der Zölle und vor allem durch die Anpassung der Verkehrstarife besondere Gefahren auftreten werden. Diese strukturellen Verschiebungstendenzen sollte man so rechtzeitig wie möglich zu erkennen versuchen; denn hier hilft doppelt nicht, wer schnell hilft, sondern wer sich rechtzeitig auf die Entwicklung vorbereitet hat. In diesem Sinne darf ich Ihnen besonders diesen Punkt des Entschließungsentwurfes meiner Fraktion empfehlen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Metzger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, noch einige Worte zu den überseeischen Gebieten zu sagen. Ich will es dahingestellt sein lassen, ob die überseeische Hitze einem solchen Beginnen günstig oder ungünstig ist.
Ich will aber feststellen, daß die Frage der überseeischen Gebiete eine der kritischen Fragen dieses Vertrages ist. Die SPD-Fraktion hat sich bemüht, diese Verträge so gewissenhaft wie möglich zu
prüfen. Es ist schon ausgeführt worden, daß wir im Prinzip den Gemeinsamen Markt bejahen. Aber es ist gar kein Zweifel, wenn man an die Prüfung solcher Verträge geht, ergeben sich eine ganze Reihe von Argumenten dafür und dagegen. Bei der Betrachtung der Frage der Assoziierung der überseeischen Gebiete müssen wir zunächst feststellen, daß das eines der Probleme ist, von dem man sagen müßte, daß es gegen die Bejahung des Vertrages spricht. Denn ganz ohne Zweifel tauchen hier Probleme auf, die uns in der Zukunft noch viel zu schaffen machen werden und die politisch von allergrößter Bedeutung sind. Wenn wir davon ausgehen, daß wir nicht an irgendeinem Kolonialismus teilnehmen wollen, ja, wenn wir davon ausgehen, daß wir den Kolonialismus nach Möglichkeit überwinden wollen, bringt uns der Vertrag in dieser Richtung sehr wenig. Der Art. 131 des Vertrags spricht nur davon, daß Ziel der Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung dieser Länder sei. Es ist also nur davon die Rede, daß man diese Länder wirtschaftlich und sozial entwickeln wolle. Dabei gibt es drei Kategorien von Ländern und Hoheitsgebieten. Das sind auf der einen Seite die Länder, die so weit fortgeschritten sind, daß sie eine eigene Entschließung treffen können, wie Marokko, Tunis usw., die selbst die Assoziierung vornehmen. Aber die Länder und Hoheitsgebiete, von denen im Vertrag die Rede ist, sind in einer Lage, daß mit ihnen die Assoziierung vorgenommen wird. Sie sind also durchaus leidend, durchaus passiv an diesen Dingen beteiligt. Wie gesagt, das Ziel, das gesteckt wird, geht gar nicht allzu weit. Ich glaube, das haben wir alle im Ausschuß sehr deutlich empfunden. Das ist sehr deutlich zum Ausdruck gebracht worden.
Nun haben wir ein klassisches Beispiel dafür, wie man einen Vertrag nach der einen oder anderen Richtung auslegen kann, wie man also versuchen kann, das, was an Ansatzpunkten in einem Vertrage vorhanden ist, zu entwickeln, oder wie man es zurückdrängen kann. In Abs. 3 des Art. 131 heißt es nämlich, daß entsprechend den in der Präambel dieses Vertrags aufgestellten Grundsätzen die Assoziierung in erster Linie den Interessen der Einwohner dieser Länder und Hoheitsgebiete dienen und ihren Wohlstand fördern soll. Es heißt also: „entsprechend den in der Präambel aufgestellten Grundsätzen". Der Ausschuß hat sich auf den Standpunkt gestellt — und das hat in dem Bericht der beiden Berichterstatter Dr. Leverkuehn und Dr. Pohle seinen Niederschlag gefunden —, daß damit die Präambel zum Vertragsinhalt geworden sei, was absolut nicht so ganz sicher ist — das will ich ehrlich gestehen; denn es ist nur von „entsprechend" die Rede; aber der Vertrag läßt sich so auslegen —, und daß, da die Präambel von der Charta der Vereinten Nationen spricht, auch die Charta der Vereinten Nationen zum Vertragsinhalt geworden sei. In der Präambel heißt es:
in der Absicht, die Verbundenheit Europas mit den überseeischen Ländern zu bekräftigen, und in dem Wunsch, entsprechend
— wiederum „entsprechend" —
den Grundsätzen der Satzung der Vereinten Nationen den Wohlstand der überseeischen Länder zu fördern.
Auch das ist nicht allzuviel. Es ist nur davon die Rede, daß der Wohlstand der überseeischen Gebiete gefördert werden soll.
Es ist also die Frage, ob die gesamte Charta damit überhaupt, wenn man sie als anwendbar erklärt, zur Anwendung kommt oder ob das nicht für ein begrenztes Gebiet gemeint ist. Auch ein solcher Vertrag läßt sich weitherzig oder engherzig auslegen. Der Ausschuß ist zu dem Ergebnis gekommen, damit solle zum Ausdruck gebracht werden, daß all die Gedankeninhalte der Charta damit zum Zuge kommen und daß zum Wohlstand dieser Völker auch gehört, daß sie in ihrer politischen und sonstigen Entwicklung gefördert werden, daß also mit anderen Worten auch das, was in der Charta über das Selbstbestimmungsrecht der Völker gesagt ist, damit zum Zuge kommt. Wenn man den Vertrag in dieser Weise auslegt, nimmt man eine deutliche antikoloniale Stellung ein. Auch das ist im Bericht deutlich gesagt worden und ist die einhellige Meinung des Ausschusses gewesen, daß man also einer Tendenz Rechnung tragen soll, die nicht nur dazu führt, daß diese Gebiete und Länder kulturell, sozial und wirtschaftlich gefördert werden, sondern daß man auch dafür eintritt, daß sie sobald wie möglich in der Lage sind, über sich selbst politisch und staatlich zu bestimmen. Man soll auch dafür sorgen, daß die betreffenden Länder und Gebiete, wenn diese Entwicklung so weit vorangetrieben ist, auch wirklich über ihr eigenes Schicksal entscheiden können. Das ist der Sinn dessen, was im Ausschuß gesagt worden ist. Ich hebe es so hervor, weil ich der Meinung bin, daß das damit zu einer einhelligen Meinung des Bundestages geworden ist, die nicht nur eine Meinungsäußerung ist, sondern die gleichzeitig bedeutet, daß damit der Regierung und den Vertretern unserer Regierung im Rat eine Richtlinie gegeben ist, die sie nicht verlassen können und dürfen. Es ist der Wille des Bundestages — ich will das auch ausdrücklich als die Meinung meiner Fraktion herausstellen —, daß diesen Ländern, wenn sie mit in diese wirtschaftliche Einheit hineingenommen werden, so geholfen wird, daß sie so schnell wie möglich über sich selbst verfügen können und damm die Möglichkeit haben, aus freiem Willen diesem Wirtschaftsvertrag beizutreten und damit die ganze Entwicklung mitzumachen. Es kommt hier darauf an, Freunde zu erwerben, indem man ihnen selbstlos hilft, um sie dazu zu bringen, daß sie freiwillig in einem solchen System bleiben. Wir sind der Meinung, daß mit dem Versuch, durch kleine Mittel des Zwangs hier etwas zu erreichen, gar nichts getan ist.
Wir sollten auch nicht der Meinung sein, daß die weiße Rasse um ihres Prestiges willen immer versuchen sollte, ihre Überlegenheit zum Ausdruck zu bringen. Wenn von Überlegenheit die Rede ist, kann sie nur darin bestehen, daß wir unsere Hilfe, soweit wir sie leisten können, so gut wie möglich auch diesen Völkern angedeihen lassen. So gut wie möglich heißt auch so selbstlos wie möglich und ohne Hintergedanken profitmäßiger oder sonstiger Art.
Wir müssen uns nämlich auch über die Gefahr im klaren sein, daß man diesen Vertrag ausnuzt, sei es im nationalen egoistischen Interesse, sei es auch im privaten egoistischen Interesse. Darüber kann es gar keinen Zweifel geben; denn der Vertrag gibt ja sehr viele Möglichkeiten. Er gibt z. B. die Möglichkeit der Niederlassung. Auch die an-
deren europäischen Staatsangehörigen —Unternehmer usw. — werden die Möglichkeit haben, sich in diesen Ländern niederzulassen, und wenn nun Gelder aus dem Entwicklungsfonds in diese Länder fließen, sollten sie nicht unter dem Gesichtspunkt gegeben werden, daß man möglichst vielen europäischen Unternehmern die Möglichkeit geben will, möglichst viel aus diesen Ländern herauszuholen, sondern die Gelder sollten unter dem Gesichtspunkt gegeben werden, daß man die Einwohner dieser Länder wirklich so weit wie irgend möglich fördern will.
Auch da gibt der Vertrag Ansatzpunkte. Er sieht nicht etwa vor, daß die Gelder aus dem Entwicklungsfonds global vergeben werden, sondern sie werden auf Grund eines Antrags von Fall zu Fall gewährt, und die Projekte, für die die Gelder gegeben werden, sind zu prüfen, sei es durch den Rat, sei es durch die Kommission. Also auch hier besteht wieder die Möglichkeit, einen Einfluß geltend zu machen. Die Bundesrepublik, die ja einen erheblichen Anteil an Stimmen hat — keineswegs die absolute Mehrheit; außerdem soll ja mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden —, hat, wenn sie nur einen Bundesgenossen hat, immer die Möglichkeit, dafür zu sorgen, daß solche Gelder in einer vernünftigen Weise — ich sage wiederum — zugunsten der Bevölkerung, zugunsten der Entwicklung der Gebiete diesen schwarzen Erdteils gegeben werden.
Wir haben also die Möglichkeit — wenn wir wollen und wenn dem, was der Ausschuß und der Bundestag selbst erklärt haben, Genüge geschieht —, dafür zu sorgen, daß in einer Weise Hilfe geleistet wird, die es nicht erlaubt, von einem Kolonialismus im alten Sinn zu sprechen.
Die Sozialisten der sechs Montanunionländer haben bei einer Zusammenkunft gerade über diese Frage eingehend gesprochen. Sie haben festgestellt, daß während des Voranschreitens auf dem Wege zur Unabhängigkeit die in den betreffenden Ländern und Gebieten vorhandenen parlamentarischen Vertretungen der Völker fortschreitend herangezogen werden müssen und daß bei der Erwerbung der Unabhängigkeit die Assoziierung nur dann fortzusetzen ist, wenn das betreffende Land souverän diesen Wunsch ausspricht. Ich halte es für sehr wichtig, daß man zu dem Ergebnis kommt: wir wollen nicht nur die Länder fördern und dafür sorgen, daß sie souverän werden, sondern wir wollen ihnen auch die Freiheit geben, dann selber zu entscheiden, ob sie bei dieser Assoziierung bleiben oder ob sie sich anders entscheiden wollen. Diese Möglichkeit muß von vornherein gegeben sein. Nur in dieser Tendenz können wir die ganze Entwicklung sehen, und nur von da her gesehen ist es überhaupt möglich, den Bestimmungen über die Assoziierung der überseeischen Gebiete zuzustimmen. Denn nur dann können wir es verantworten; nur dann können wir mit gutem Gewissen sagen: wir sind in diesen Vertrag nicht hineingegangen, um uns in eine alte Kolonialpolitik zu begeben, sondern wir werden alle Kräfte anstrengen, daß wir da zu neuen Wegen kommen.
Wenn wir das mit gutem Gewissen draußen sagen können und wenn wir das durch unsere Handlungen bestätigen, sei es durch die Regierungsvertreter im Rat, sei es auch durch unsere Vertreter hier im Parlament — das Parlament hat immerhin einiges mitzureden und ist anzuhören — oder in der Versammlung, werden wir eine ganze Reihe von Mißverständnissen beseitigen und manches Mißtrauen widerlegen können. Es wird also ganz wesentlich auch auf uns ankommen, nämlich darauf, wie wir selber den Vertrag handhaben, wie wir ihn auslegen und in welche Richtung wir ihn entwickeln.
Es liegt im Wesen solcher Verträge, daß überall Ansatzpunkte zur Entwicklung vorhanden sind — zum Guten und zum Schlechten —; es kommt darauf an, was wir selber aus diesen Ansatzpunkten machen. Deshalb bejahen wir diesen Vertrag nicht nur in seiner prinzipiellen Haltung, sondern auch als Ganzes. Wir glauben, daß von da her mancherlei getan werden kann, was zum Besten Europas, was aber auch zum Besten der Völker ist, die als Assoziierte dem Vertrag beitreten werden.
Wir haben außerdem noch etwas Beruhigendes gehört. Die Länder wie Algerien und die Gebiete, die als Bestandteil Frankreichs betrachtet werden, sollen zwar nach dem Artikel 16 genauso behandelt werden wie die übrigen Gebiete, die im Durchführungsabkommen genannt sind. Aber die französische Regierung hat erklärt, sie habe die Absicht, für Algerien für die nächste Zeit keine Anträge auf Zuteilung von Mitteln aus dem Entwicklungsfonds zu stellen. Das bedeutet also, daß die französische Regierung die Fragen, die hier in der Schwebe sind und die ohne Zweifel dringend der Bereinigung bedürfen, zunächst einmal selber bereinigen will. Hier soll also vom europäischen Markt aus zunächst sehr wenig geschehen. Abgesehen davon sieht auch der Artikel 227 noch gewisse Einschränkungen für Algerien und die überseeischen Departements Frankreichs vor. Das liegt also in derselben Linie.
Wir haben allerdings zu beanstanden, daß im Durchführungsabkommen selbst gesagt ist, Algerien und die französischen überseeischen Departements sollten die gleichen Rechte haben und in der gleichen Weise behandelt werden wie die übrigen Gebiete, die im Durchführungsabkommen genannt sind. Die französische Regierung hat in den Verhandlungen erklärt, daß sie von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch machen will. Deswegen hätte man Algerien und die übrigen Gebiete überhaupt herauslassen sollen; dann wäre es deutlich gewesen. Wir hätten gewünscht, daß unsere Regierung in dieser Richtung sehr viel mehr für Klarheit gesorgt hätte, wie es auch im Hinblick auf die Entwicklung der einzelnen Länder und Staaten zur Souveränität notwendig gewesen wäre. Dann hätte man es nicht nötig gehabt, die geringen Ansatzpunkte erst durch Auslegung und nachher natürlich auch durch Handeln so zu entwickeln, daß dabei etwas Gutes herauskommt. Aber immerhin, die Erklärung der französischen Regierung liegt vor, daß sie in bezug auf Algerien vor allem in der nächsten Zeit keine Anträge stellen wird. Das Durchführungsabkommen ist für fünf Jahre geschlossen. Nach fünf Jahren besteht die Möglichkeit, in einem neuen Abkommen die Erfahrungen der Vergangenheit zu verwerten. Es besteht aber auch die Möglichkeit, vieles von dem noch zu verbessern, was hier der Verbesserung bedarf.
Auf das Ganze gesehen: wir haben hier einen Ausschnitt — allerdings einen sehr wichtigen Ausschnitt —, die Frage der überseeischen Gebiete,
die Frage der kolonialen oder nichtkolonialen Entwicklung. Wir sehen, welche Möglichkeiten der Vertrag bietet — Möglichkeiten zum Guten und zum Bösen.
Wir Sozialdemokraten sind gewillt, mitzuarbeiten, zu helfen., daß die Entwicklung zum Guten geht und daß die guten Ansatzpunkte zum Tragen kommen. Das gilt für diese Frage, das gilt für alle anderen Fragen. Und weil wir glauben, daß hier etwas Entscheidendes geschehen kann und daß damit Gesamteuropa gedient werden kann, haben wir uns nach sehr schweren Überlegungen — unsere Entscheidung ist uns nicht leicht geworden, meine Damen und Herren, sondern wir haben durchaus die Argumente und die Gegenargumente gesehen — dafür entschieden, zu diesen beiden Verträgen ja zu sagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Prinz zu Löwenstein.
Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Freund und Kollege Dr. Elbrächter hat bereits darauf hingewiesen, daß es sich bei diesen Verträgen um ein historisches Ereignis von größter Bedeutung handelt, die endgültige Liquidierung dies jahrhundertelangen Streites zwischen den beiden Schwesternnationen Frankreich und Deutschland, und er hat ferner dargestellt, daß es hier in allererster Linie nicht um ein wirtschaftliches, sondern um ein politisches Moment geht. Von diesem selben Standpunkt aus möchte ich einiges hinzufügen.
Zum Wirtschaftsgeschichtlichen nur noch eine Ergänzung: Noch zur Zeit Napoleons III. bestand Freizügigkeit für Eisen zwischen Frankreich und dem Deutschen Bund. Auch in den ersten Jahren nach der Gründung des Reiches bestand diese Freizügigkeit weiter. Erst nach 1878 ist der „eiserne Vorhang" für Eisen heruntergegangen.
Ich erwähne das, weil es mir für die heutige Betrachtung von Bedeutung erscheint. Selbst im 19. Jahrhundert mit seinem sich entwickelnden Nationalstaatsgedanken hat etwas von der lebendigen Tradition Europas weitergewirkt, von der Tradition der Einheit. Und ich meine, daß der Gemeinsame Markt, sosehr er in erster Linie wirtschaftliche Fragen regelt, doch geboren wurde aus dem wiedergeborenen Bewußtsein dieser Einheit und daß es sich letzten Endes also um die Wiederherstellung historischer Formen in moderner Gestalt handelt. Manche der Argumente, die gegen dein Gemeinsamen Markt vorgetragen wurden, erinnern an die gleichen Einwände, die man seinerzeit gegen die Bildung des Deutschen Zollvereins vorbrachte. Herr Kollege Margulies hat freilich gemeint, man könne das nicht ganz vergleichen, weil es sich dort um einen politischen Willen gehandelt habe. Ich stimme dem völlig zu; auch ich bejahe den Primat der Politik, die sich dann das Wirtschaftliche als Werkzeug heranzieht. Wir haben die Überzeugung, daß es sich auch heute bei dem Gemeinsamen Markt um einen politischen Willen handelt und daß gerade aus diesem politischen Willen heraus die wirtschaftliche Gemeinsamkeit geformt wird.
Wenn wir von Europa sprechen, so ist das ein politisches Bekenntnis. Dieser Begriff ist heute nicht mehr belastet. Seit der Lösung der Saarfrage steht nichts mehr zwischen Frankreich und Deutschland. Ein Kampf zwischen diesen beiden Ländern ist so unvorstellbar wie etwa ein Krieg zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten. Es wäre ein Anachronismus, für den es gar keine Ausdrücke gibt.
Es ist auch eine haltlose Behauptung, wenn immer wieder vorgetragen wird, daß Frankreich die Wiedervereinigung nicht wolle. Es gibt dafür keine Beweise, und ich halte diese Behauptung für gefährlich, weil sie dazu angetan ist, Trübung zwischen den Ländern zu schaffen. Ich war jetzt selbst nach langer Zeit wieder in Paris und konnte feststellen, daß idle Stimmung des Volkes, seine innere Bereitschaft der deutsch-französischen Verständigung gegenüber so gut ist wie wahrscheinlich nicht mehr seit den Tagen von Stresemann und Briand.
Herr Kollege Deist hat auf die Gefahren hingewiesen, die in der Entliberalisierung liegen, also in der neuen französischen Politik seit dem Ausbruch der letzten akuten Wirtschaftskrise. Das sind freilich Gefahren, die nicht übersehen werden dürfen. Dennoch stimme ich mit Herrn Kollegen Elbrächter überein, der gemeint hat, daß Frankreich im Kern ein gesundes Land sei, gesund auch in seiner Wirtschaft trotz der äußeren Finanzkrisen und gesund noch in einem viel tieferen Sinne, gesund in seinem Familienleben, moralisch gesund und gesund in seiner geistigen Erneuerung.
Anläßlich der Beratung des Kulturhaushalts des Auswärtigen Amts habe ich von dieser Stelle aus gesagt, daß wir uns eigentlich ein Beispiel an dieser geistigen Erneuerung in Frankreich nehmen könnten. Während wir vielfach nur von der Vergangenheit zehren, sind auf künstlerischem und geistigem Gebiet in Frankreich sehr konkrete Werte geschaffen worden. Diskrete und taktvolle Hilfe für Frankreich liegt im wohlverstandenen deutschen Selbstinteresse.
Ich bin Herrn Kollegen Metzger sehr dankbar dafür, daß er die Kolonialfrage ausführlich angesprochen hat. Es ist selbstverständlich, daß wir alle gegen jede Ausbeutung sind. Wir haben jahrelang erlebt, was es bedeutet, ein unterdrücktes, ausgebeutetes Volk zu sein. Andererseits müssen wir uns hüten, uns als Lehrmeister aufzuspielen. Manche Kräfte, die in Afrika am Werke sind, sind sehr verschieden von dem, was man im allgemeinen glaubt. Wir werden doch von einer Propaganda überschüttet — Sie alle, meine Damen und Herren —, die ziemlich kräftiger Natur ist. Es vergeht kaum eine Woche, da wir nicht mit einer ganz bestimmten Propaganda nationalistischer, zum Teil nationalkommunistischer Art aus Afrika eingedeckt werden. Es ist auch eine Tatsache, daß der Terror in Nordafrika bereits zehnmal soviel Opfer unter der einheimischen Bevölkerung gekostet hat wie unter der französischen Bevölkerung. Es wäre eine Vereinfachung, eine Übervereinfachung, zu meinen, daß auf der einen Seite die weißen Franzosen stünden, während auf der anderen Seite die eingeborene Bevölkerung stehe. So ist das doch gar nicht. Die Fronten gehen quer durch idle Nationalitäten und die Rassen hindurch.
Ich glaube, daß wir als Deutsche allen Grund haben, mit äußerster Vorsicht an dieses Problem heranzugehen. Sollte Frankreich vertrieben werden, sollte es zu einer Vernichtung der Franzosen
in Algerien kommen, wäre das furchtbarer Schlag für ganz Europa und füeinr die ganze freie Welt. Die Gefahr, die wir heute sehen müssen, ist doch die, daß der Nachfolger Frankreichs nicht etwa ein freier Nationalstaat wäre, sondern daß ,die Nachfolge von den Kräften der Sowjetunion angetreten würde.
Wir müssen tuns hüten, Frankreich irgendwelche Vorschriften machen zu wollen. Aber in Frankreich selber spricht man heute von dem konstruktiven Gedanken der union fédérale, der bundesstaatlichen Lösung, und wenn wir durch den Gemeinsamen Markt an dieser Lösung mithelfen können, haben wir zweifellos einen Beitrag, wiederum tauch im Geiste dies bestverstandenen deutschen Selbstinteresses, geleistet.
Herr Kollege Dr. Mommer hat die Besorgnis ausgedrückt, daß es ein Kleinsteuropa sein könnte; aber er hat die Hoffnung hinzugefügt, daß aus diesem Klein- oder Kleinsteuropa eine größere Einheit entstehen wird. Das ist auch die Überzeugung meiner Freunde. Daß die Gemeinschaft der sechs Staaten gebildet wird, heißt doch der Not gehorhorchen, heißt, daß gesammelt wird, was gesammelt werden konnte, wo die praktische Staatsklugheit es erforderlich machte, um diese Länder enger zusammenzuschließen, selbstverständlich ohne irgendeinen inneren Verzicht auf das wahre, umfassende Europa.
Die Frage der Wiedervereinigung steht damit in engstem Zusammenhang. Wir dürfen nichts tun —darin stimmen wir alle überein —, was die Wiedervereinigung gefährden könnte. Aber wir sind der Überzeugung — und ich hatte diese Überzeugung von Anfang an, als wir uns zum erstenmal mit den Verträgen beschäftigten -, daß die Wiedervereinigung nicht nur nicht gefährdet, sondern daß sie gefördert wind. Ich kann den Einwand nicht anerkennen, den Sowjets gegenüber sei keine Besserung erfolgt. Ich glaube, daß diese Verträge eine sehr erhebliche Verbesserung unserer Position gegenüber den Sowjets mit sich bringen, weil Moskau erkennen mag, daß Europa entschlossen ist, sich nicht erschüttern zu lassen. Immerhin, die Anziehungskraft eines Marktes von 160 Millionen Menschen ist tauch eine gewaltige, eine überzeugende politische Kraft.
Noch eines: Manchmal sind Befürchtungen laut geworden, daß der Westen in seiner Bündnistreue uns gegenüber lau werden könnte. Gerade in den letzten Wochen gab es allerlei Gerüchte, die sich dann als unbegründet herausstellten. Der Gemeinsame Markt führt unserer Überzeugung nach zu einer Stärkung der Solidarität des Westens, und an eine Wiedervereinigung ohne engste Verbindung mit unseren Westalliierten zudenken, wäre völlig utopisch. Was die neueste Entwicklung in der Sowjetunion bringen wird, wissen wir nicht. Alles ist möglich. Aber zweifellos gilt gerade in dieser Stunde das Wort: Toujours en vedette — nicht in der Wachsamkeit erlahmen! Zwar stimme ich mit der Auffassung des Herren Bundesaußenministers und 'des Herrn Kollegen Mommer völlig überein, daß der Gemeinsame Markt nicht eine Spitze gegen die Sowjetunion haben darf. Selbstverständlich ist er nicht in einer Antihaltung gebaut, als eine Kampffront gegen die Sowjets. Das ist auch unsere Meinung. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß Ungarn die letzte und dauernde Warnung ist, die wir alle erhalten haben, und ein Beispiel dafür, was einem Volke geschieht, das ohne die Unterstützung der freien Welt ist, einem Volke, das für seine Freiheit gekämpft und geblutet hat und das dennoch niedergeschlagen worden ist, weil es keine Verbündeten hatte, die rechtzeitig in friedlicher Weise mit friedlichen Mitteln einen solchen Ausgang hätten verhindern können. Dieses Los, das wir dort täglich sehen — wenn auch unsere Öffentlichkeit etwas abgestumpft ist —, wäre das Los aller freien Völker, wenn sie sich nicht zu einer konstruktiven Gemeinsamkeit zusammenschlössen.
Was das Sicherheitsbedürfnis der Sowjets anlangt, so denkt im Westen — das sollten wir doch noch einmal ganz klar herausstellen — niemand an eine aggressive Handlung. Niemand ist so wahnwitzig, eine Aggression auch nur in Gedanken zu erwägen. Aber die Realisten im Kreml mögen eine weitere Befriedigung ihres, nennen wir es: Sicherheitsbedürfnisses darin finden, daß die Nationen Europas sich in dieser europäischen Gemeinschaft zusammenschließen. In der Bindung, die jetzt entsteht, liegt doch — und das müßte auch in Moskau gesehen werden — eine weitere Garantie für den friedlichen Aufbau aller dieser Völker. Da mögen die Realisten im Kreml, wie ich sie nannte, auch erkennen, daß es letzten Endes für sie vorteilhafter wäre, der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zuzustimmen, und vorteilhafter, mit einem wahrhaft demokratischen Deutschland, das im Verband der anderen freien Nationen steht, Handel zu pflegen — vorteilhafter jedenfalls, als den Kalten Krieg mit immer neuen Mitteln und unter immer neuen Vorwänden fortzusetzen, der doch nur für sämtliche Nationen dieses Erdballs eines Tages zur Katastrophe führen kann.
Auch unter diesem Gesichtspunkt der Friedenssicherung und des Beitrags zu einem wiedervereinigten Deutschland und um der 18 Millionen in der sowjetisch besetzten Zone willen haben wir bereits erklärt, daß wir diesen Verträgen unsere Zustimmung geben, nicht nur formell, sondern aus tiefster innerer Überzeugung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen zur allgemeinen Aussprache liegen nicht vor. Ich schließe sie hiermit.
Wir kommen zur
dritten Beratung
des Gesetzentwurfs. Anträge liegen nicht vor.
Wir kommen demgemäß zur Abstimmung. Vor der Abstimmung hat zur Abgabe einer Erklärung der Herr Abgeordnete Mellies das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich die Gründe für die Haltung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion kurz in einer Erklärung zusammenfasse, die ich im Namen dieser Fraktion hier abzugeben habe.
Europäische Zusammenarbeit und Überwindung des politischen und wirtschaftlichen Nationalismus sind alte Grundgedanken sozialdemokratischer Politik. In den vergangenen Jahren haben wir jedoch oft feststellen müssen, daß nicht alles europäisch ist, was als europäisch angepriesen wird. Das eklatanteste Beispiel war die geplante Euro-
päisierung der deutschen Saar. Wir haben auch immer prüfen müssen, wie sich vorgeschlagene Integrationsmaßnahmen der Bundesrepublik mit ihren westlichen Nachbarn für die Integration unseres geteilten Vaterlandes auswirken müßten. Den Versuchen militärischer und politisch-verfassungsrechtlicher Integration sind wir immer in der Überzeugung entgegengetreten, daß sie die Wiedervereinigung erschweren würden. Wir waren dabei weiter der Überzeugung, daß man auf Sand baue, wenn man eine größere europäische Einheit über die militärische und staatsrechtliche Konstruktion zu erreichen versuche. Wir sahen im Wirtschaftlichen, Sozialen und Kulturellen das weite und fruchtversprechende Feld europäischer Politik.
Nachdem die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und mit ihr die geplante politische Gemeinschaft gescheitert waren, haben in Messina die Regierungen der Montanunion-Staaten das Steuer herumgelegt. Man nahm Kurs auf gemeinsame und friedliche Nutzung der Atomenergie, man wandte sich ab von militärisch-politischen Projekten und hin zur Schaffung eines Gemeinsamen Marktes. Hier sollte der jetzt von allen zugegebene Konstruktionsfehler der Montanunion, die sich in unhaltbarer Weise auf einen aus politischen Gründen ausgewählten Sektor der Wirtschaft beschränkt, in der Weiterentwicklung nach vorn beseitigt werden. Es kam der gute Vorsatz hinzu, aus der Supranationalität nicht wieder ein Glaubensbekenntnis zu machen und in der kleinen Gemeinschaft der Sechs ein vielleicht unvermeidliches Durchgangsstadium, auf keinen Fall aber einen Selbstzweck und eine geschlossene Gesellschaft zu sehen.
Wir haben schon damals unserer Befriedigung über diesen Wandel in Wort und in Tat Ausdruck gegeben. Nicht wir, sondern die gescheiterten EVG-Politiker mußten umlernen. Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands wurde Mitglied des Monnet-Komitees, das viel für das Zustandekommen der Verträge getan hat.
In dem Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft begrüßt die sozialdemokratische Fraktion das Bemühen, den Rückstand in der Entwicklung der Nutzbarmachung der Atomenergie unserer Länder durch gemeinsame Anstrengungen, durch gemeinsame Forschung und Investitionen aufzuholen. Das ausschließliche Eigentum der Gemeinschaft an dem spaltbaren Material erleichtert nach unserer Überzeugung die Kontrolle über den gefährlichen Brennstoff.
In Übereinstimmung mit den sozialistischen Parteien der anderen fünf beteiligten Länder fordert die Sozialdemokratie, daß die Entwicklung der Atomenergie ausschließlich friedlichen Zwecken dienen soll. Wir Sozialisten werden uns dafür einsetzen, daß die öffentliche Hand einen solchen Einfluß auf die Atomwirtschaft erlangt, der der besonderen Bedeutung und Gefährlichkeit der Atomenergie und den großen öffentlichen Leistungen für die Forschung, die Ausbildung und die Investitionen entspricht. Im Interesse der Arbeitnehmer und der gesamten Bevölkerung muß der Strahlenforschung und dem Strahlenschutz in der Atomgemeinschaft großes Gewicht beigelegt werden. Die sozialdemokratische Fraktion ist der Meinung, daß im Rahmen der Atomgemeinschaft Kontrolle und Entwicklung der Atomenergie besser gesichert sind, als es bei Beschränkung auf ein einzelnes Land möglich wäre. Wie schlecht es um die Atompolitik der gegenwärtigen Bundesregierung bestellt ist, haben die Ereignisse in diesem Hause in den letzten Tagen zur Genüge bewiesen.
Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft darf nicht nur dem Abbau der Handelshemmnisse zwischen den sechs Staaten dienen. Sie muß auch eine aktive Wirtschaftspolitik zur Stabilisierung der Währungen, zur Ausweitung der Produktion, zur krisenfesten Vollbeschäftigung und stetigen Steigerung des Lebensstandards treiben. Dazu enthält der Vertrag Ansätze, die kräftig entwickelt werden müssen.
Die Aufnahme neuer Mitglieder und die Assoziierung anderer muß durch tätiges Handeln herbeigeführt werden. Die Erreichung der Ziele des Vertrags erscheint gefährdet, wenn die geplante Freihandelszone nicht zustande käme. Die gleiche Gefahr bestünde, wenn die Außenzölle der Gemeinschaft nach den protektionistischen Wünschen bestimmter Kreise in der Gemeinschaft entwickelt würden.
Wir Sozialdemokraten haben als erste in diesem Bundestag Wirtschaftshilfe für die Entwicklungsländer gefordert. Die Einbeziehung der überseeischen Gebiete der Mitgliedstaaten in den Gemeinsamen Markt erweckte jedoch die Befürchtung, wir könnten mitverantwortlich werden oder scheinen für die Fortführung einer geschichtlich überholten Kolonialpolitik. Es erfüllt uns mit Zuversicht, daß uns gerade auch in diesem Punkte mit den Sozialisten in den fünf anderen Mitgliedstaaten der einheitliche Wille verbindet, daß die Einbeziehung dieser Gebiete und die von uns mitfinanzierte Wirtschaftshilfe der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklung einschließlich der politischen Unabhängigkeit der Völker jener Gebiete dienen. Unabhängig werdende Völker müssen frei sein, in der Gemeinschaft zu bleiben oder sie zu verlassen. Die deutschen Vertreter in den Organen der Gemeinschaft sollen das Gewicht ihrer Stimmen immer in diesem Sinne in die Waagschale werfen.
Wir haben zur Kenntnis genommen, daß die Verträge nichts mehr enthalten, was der Entwicklung des Interzonenhandels nach Art und Umfang entgegenstünde. Hier hat sich die — leider allzu späte — Einschaltung des Bundestages in die Verhandlungen noch kurz vor der Unterzeichnung vorteilhaft ausgewirkt. Wir werden uns immer bewußt bleiben müssen, daß der Interzonenhandel eine der wenigen starken Klammern um das geteilte Deutschland ist.
Die Regierung eines wiedervereinigten Deutschlands soll gegenüber diesen Verträgen die Entscheidungsfreiheit haben. Wir bedauern jedoch, daß die Bundesregierung diesen Grundsatz nicht in den Vertragstext selbst hat aufnehmen wollen oder können. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird immer allen Tendenzen entgegentreten, eine engere Einheit mit unseren westlichen Nachbarn als einen Ersatz für die Befreiung der 17 Millionen Menschen in Mitteldeutschland durch die Wiedervereinigung in Freiheit anzusehen.
Wichtige Gesetzgebungsbefugnisse des Parlaments gehen durch diese Verträge nicht etwa auf die Europäische Versammlung, sondern auf den Rat der Minister über. Es ist in der Ausschußberatung gelungen, im Ratifikationsgesetz den Deutschen
Bundestag und den Bundesrat in die Entwicklung der Politik einzuschalten, die die deutschen Vertreter im Rat befolgen sollen. Es bleibt aber eine der dringendsten Aufgaben für die Entwicklung dieser Verträge, der Europäischen Versammlung jene Kontrolle und Gesetzgebungsrechte zu sichern, deren sich die nationalen Parlamente der sechs Staaten jetzt begeben.
Mit diesen Vorbehalten betrachten wir die Verträge als eine Grundlage, auf der weiter gebaut werden kann und muß. Wir können diese Verträge annehmen, weil ihr Inhalt trotz der schweren Mängel, die bei den Verhandlungen, zum Teil durch die Schuld der Bundesregierung, in die Verträge Eingang fanden, doch in entscheidenden Punkten unseren Zielen entspricht. Die Sozialdemokratische Partei wird mit ihren Bruderparteien daran arbeiten, daß dieses schwierige und für Europas Zukunft bedeutsame Werk mit friedlichem, mit sozialem und demokratischem Geist erfüllt wird. Mit dieser Zielsetzung geben wir dem Ratifikationsgesetz unsere Zustimmung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen zur Abstimmung. Ich .rufe das Gesetz, bestehend aus den Artikeln 1, 1 a, 2, 3, 4 sowie Einleitung und Überschrift, zur Schlußabstimmung auf. Wer diesem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich danke. Enthaltungen? — Ich stelle fest, daß die Rechtsgrundlage für die Annahme dieses Gesetzes nach Art. 24 Abs. 1 des Grundgesetzes ,gegeben ist. Einfache Majorität genügt. Ich stelle hiermit fest: Das Gesetz ist mit sehr großer Mehrheit angenommen.
Es liegen zwei Entschließungsanträge vor, der eine auf Umdruck 1298, der andere auf Umdruck 1300, beide unter dem ,gleichen Datum, dem 4. Juli 1957. Beide Entschließungsanträge decken sich in wesentlichen Punkten. Das Wort zu einer Erklärung hierzu hat der Abgeordnete Furler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht zum sachlichen Inhalt dieser Entschließungsanträge sprechen. Hierüber wurden schon in der dritten Lesung eingehende Ausführungen gemacht. Lediglich zur Abstimmung möchte ich bemerken, daß die Koalitionsparteien mit einigen Formulierungen des Entschließungsantrags Umdruck 1298 nicht einig gehen. Es handelt sich nicht um sehr entscheidende Punkte, aber doch um solche, die uns veranlassen, diesen Entschließungsantrag nicht anzunehmen. Wir haben einen Entschließungsantrag eingereicht, dessen Annahme wir erbitten und von dem wir überzeugt sind, daß er alle wesentlichen Punkte 'des anderen Entschließungsantrags enthält, aber außerdem noch einige Fragen, über die wohl keine Differenzen bestehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entschließungsantrag der CDU/ CSU enthält eine viel komplettere Aufzählung all der Dinge, die nach unserer Auffassung eigentlich im Vertrag stehen müßten. Wir haben also keine
Bedenken gegen ihn. Die Freien Demokraten werden diesem Entschließungsentwurf zustimmen, damit die „frommen Wünsche" wenigstens auf diesem Wege noch einmal festgelegt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat decken sich die beiden Entschließungsanträge in einer beträchtlichen Anzahl von Punkten. Jedoch ist folgendes zu beachten. In dem Entschließungsantrag der CDU/CSU, DP sind gewisse Formulierungen, die in dem SPD-Antrag enthalten sind, entweder weggelassen oder 'abgemildert. Unser Antrag ist außerdem, wie sich aus seiner Nummer ergibt, der frühere. Wir bitten deswegen, Herr Präsident, daß über unseren Antrag zuerst abgestimmt wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen 'hierzu liegen nicht vor.
Nach der Geschäftsordnung habe ich zunächst über den weitergehenden Antrag abstimmen zu lassen. Wir haben uns die Mühe gemacht — auch Herr Präsident Gerstenmaier —, festzustellen, welches wohl der weitergehende Antrag ist. Die Anträge scheinen sich in der Frage 'des Interzonenhandels, in der Frage der Gestaltung und Durchführung der Wiedervereinigung, in der Frage der Heranführung der unterstützten Länder in Afrika an eine, im SPD-Antrag heißt es: „Unabhängigkeit", im CDU-DP-Antrag heißt es: „Entscheidungsfreiheit" — im Grunde ist der Unterschied nicht groß — und in vielen anderen Punkten zu decken. Wenn ich sagen soll, welches der weitergehende Antrag ist, bin ich beinahe gezwungen, mich an eine Äußerlichkeit zu halten. Diese Äußerlichkeit ist nicht das Datum, sondern die Tatsache, daß im Antrag der CDU und DP zum Schluß etwas zum Ausdruck gebracht wird, was im Antrag der SPD mindestens nicht mit dieser Klarheit zum Ausdruck kommt, nämlich der Wunsch, „daß die neuen europäischen Gemeinschaften zu einer umfassenden Einigung Europas führen werden". Ich habe aber keine Bedenken, über beide Entschließungen nacheinander abstimmen zu lassen, da sie sich nicht ausschließen, sondern höchstens ergänzen.
Ich rufe den Entschließungsantrag Umdruck 1300 auf. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen.
Ich rufe den Entschließungsantrag Umdruck 1298 auf. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um 'das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Sollen wir darüber einen Hammelsprung machen?
— Sie enthalten sich, wenn ich 'es recht interpretiere. Dann sind also beide Entschließungsanträge angenommen.
Meine Damen und Herren, da der Präsident ja wohl auch bestellt ist, die Rechte des Parlaments zu wahren, gestatten Sie mir zu der Frage der
Entschließungen — nicht nur dieser, sondern allgemein - eine kurze Bemerkung! Ich habe manchmal gehört — auch eben ist es bei einem Redner durchgeklungen; von „frommen Wünschen" war die Rede —, daß man die Entschließungen oft nicht sehr ernst nimmt. Ich möchte darauf hinweisen, daß Entschließungen eines Parlaments ernst genommen sein wollen, ernst genommen bei der Formulierung und Beschlußfassung, ernst genommen aber auch von der Regierung. Wer in westeuropäischen Parlamenten, in europäischen Parlamenten einmal beobachtet hat, wie die recommandations, die recommendations, auf deutsch Entschließungen, behandelt werden und welche Bedeutung ihnen beigemessen wird, der weiß, daß sie zwar nicht Gesetzeskraft haben, daß aber die Regierung an ihre Durchführung gebunden ist und nur dann davon abweichen darf, wenn sie sich nach pflichtgemäßem Ermessen zur Abweichung gezwungen sieht, und daß sie für dieses Abweichen dem Parlament gegenüber verantwortlich ist. Das möchte ich in diesem Zusammenhang einmal festgestellt haben.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe auf:
Erste und zweite Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfügung eines Artikels 135 a in das Grundgesetz .
Es handelt sich um die mit dem Erlaß ides Kriegsfolgengesetzes zusammenhängende Grundgesetzänderung. Es war heute früh beschlossen worden, diesen Gesetzentwurf heute in erster und zweiter Lesung zu behandeln. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte mich für verpflichtet, zu dem Ihnen vorliegenden Entwurf einer Grundgesetzänderung auf folgendes hinzuweisen.
Für die beantragte Grundgesetzänderung ist von entscheidender Bedeutung, daß der Herr Bundesjustizminister die Ziffern 2 und 3 der beantragten Änderung für unerläßlich hält, um ein Kriegsfolgengesetz in der vorliegenden Form überhaupt zu beschließen. Er würde es wahrscheinlich von seinem Standpunkt aus ablehnen müssen, eine Vorlage an den Herrn Bundespräsidenten zur Herbeiführung der Verkündung eines ohne die beantragte Grundgesetzänderung beschlossenen Kriegsfolgengesetzes gegenzuzeichnen. Das bedeutet aber, wie ich Ihnen nicht weiter zu sagen brauche, daß wir ohne die Grundgesetzänderung das Allgemeine Kriegsfolgengesetz in seiner jetzigen Fassung dann nicht in Kraft setzen können.
Lassen Sie mich ganz kurz das Wesentliche zu den einzelnen Ziffern des Änderungsvorschlags darlegen.
Zu Ziffer 1 möchte ich mir nähere Ausführungen ersparen.
Bei der Ziffer 2 geht es praktich um Ansprüche auf Herausgabe von Grundstücken, die sich im Besitz des Reiches befanden, und um die Beseitigung von Störungen, die vom Reich verursacht worden sind. Über die sachliche Frage, inwieweit diese Ansprüche erfüllt oder nicht erfüllt werden sollen, ist, wie Sie bei der Beratung des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes sehen werden, praktisch teils durch die Formulierungen, teils durch Sonderaktionen mit allen interessierten Kreisen, vor allem mit der Landwirtschaft, eine Einigung erzielt worden. Danach sollen Beseitigungsansprüche nicht erfüllt werden, wenn die Beseitigung wirtschaftlich sinnlos wäre. Das gilt, um nur ein Beispiel zu nennen, für die Beseitigung eines Bunkers, der auf einer nicht nutzbaren Felsen- oder Ödfläche steht. Mir haben Mitglieder dieses Hauses, die gestern gegen die beantragte Grundgesetzänderung gestimmt oder sich der Stimme enthalten haben, ausdrücklich erklärt, daß sie mit diesem Ergebnis sachlich an sich völlig einverstanden seien.
Man muß sich aber hier klarmachen, daß die von allen Kreisen gebilligte Nichterfüllung von gewissen Beseitigungsansprüchen im allgemeinen Kriegsfolgengesetz nur möglich ist, wenn eine entsprechende verfassungsrechtliche Ermächtigung geschaffen wird. Es handelt sich ja nach der Rechtsprechung, die hier nicht dem von vielen vertretenen Grundsatz der Identität von Reich und Bund folgt, um Ansprüche, die zwar aus der Erbschaft des Reiches stammen, sich aber juristisch gegen den Bund richten. Gerade weil sich diese neue Auffassung in der Zivilrechtsprechung durchgesetzt hat, ist die Notwendigkeit der verfassungsrechtlichen Schlußfolgerung gegeben. Es gibt aber, wenn man nicht zu den Artikeln 134 und 135 eine andere Auffassung vertreten will, keine Verfassungsbestimmung, die die Streichung eines Anspruchs gegen den Bund z. B. auf Beseitigung eines Ödlandbunkers gestatten würde.
Es ist in bezug auf Ziffer 2 das Bedenken erörtert worden, ob hier nicht eine Bestimmung geschaffen werde, die in alle Zukunft fortwirke und ein Abweichen von dem Grundsatz des Art. 14 des Grundgesetzes gestatte. Ich darf hierzu erklären, daß die Ziffer 2 mit dem Erlaß des Kriegsfolgengesetzes völlig ausgeschöpft, also sozusagen gegenstandslos wird. Ich glaube deshalb, daß sich die insoweit gehegten Bedenken bei richtiger Prüfung als unbegründet erweisen.
Die Ziffer 3 enthält, auf einen einfachen Nenner gebracht, den Gedanken, daß Ansprüche aus Maßnahmen, die andere öffentliche Rechtsträger an Stelle des handlungsunfähig gewordenen Reiches vorgenommen haben, wie Reichsverbindlichkeiten zu behandeln, also entweder zu erfüllen oder nicht zu erfüllen sind. Ich habe bei der Beratung des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes aus elf Ausschüssen dieses Hauses nicht eine einzige Stimme gehört, die diesem Grundgedanken nicht zugestimmt hätte. Sie wissen, daß die Bestimmung auch dazu dienen soll, Schadensersatzprozesse zu vermeiden, die im Laufe der Zeit in immer stärkerem Maße von Exponenten des früheren NS-Regimes namentlich gegen Gemeinden wegen Maßnahmen angestrengt werden. die diese Gemeinden in Wahrnehmung von Reichsaufgaben getroffen haben.
Es ist Ihnen vielleicht noch der Fall eines Polizeioffiziers in Erinnerung, der eine hohe Schadensersatzforderung gestellt hat. Es sind dann weitere Klagen anderer hoher Polizei- und SS-Führer
erfolgt. Vor kurzem ging durch die Presse die Nachricht, daß ein früherer SA-Führer seine Gemeinde wegen Wegnahme seiner SA-Uniformen verklagt hat. Ich bin — das darf ich hier ausdrücklich betonen — der Allerletzte, der zivile Rechte allein deshalb beschränken möchte, weil der Betroffene früher einmal der NS-Bewegung angehört oder ihr nahegestanden hat. Auf der anderen Seite glaube ich aber der Zustimmung des ganzen Hauses gewiß zu sein, wenn ich erkläre, daß man Auswüchsen, wie sie sich in den von mir erwähnten Fällen gezeigt haben, steuern muß. Dazu brauchen wir aber die sogenannte Kommunalklausel im Allgemeinen Kriegsfolgengesetz und die entsprechende verfassungsrechtliche Ermächtigung in Ziffer 3 der beantragten Änderung. Wie stark wir überdies aus rechtsstaatlichen Erwägungen die Kommunalklausel eingeengt haben, läßt sich aus einem Blick in das Allgemeine Kriegsfolgengesetz unschwer erkennen.
Es ist erwähnt worden, daß Ziffer 3 deshalb bedenklich sei, weil auch Ansprüche aus Amtspflichtverletzung von der Ziffer 3 gedeckt würden. Es ist richtig, daß Ziffer 3 auch Amtspflichtverletzungen erfaßt. Insoweit werden aber diese Gemeindeverbindlichkeiten nicht anders behandelt als alle Reichsverbindlichkeiten. Die Behandlung von Ansprüchen aus Amtspflichtverletzung ist im Rahmen der Beratung des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes eingehend erörtert worden. Mitglieder dieses Hauses haben sich zunächst geradezu mit Leidenschaft für eine Erfüllung von Ansprüchen aus Amtspflichtverletzung eingesetzt. Eine eingehende Prüfung hat indessen gezeigt, daß im NS-Unrechtsstaat letzten Endes alle Maßnahmen als Unrechtsmaßnahmen bezeichnet werden können. Eine Einbeziehung von Ansprüchen aus Amtspflichtverletzung schlechthin in die Erfüllungspflicht hätte deshalb das ganze Kriegsfolgenschlußgesetz geradezu aus den Angeln gehoben. Im übrigen ist es durchaus nicht so, daß alle Ansprüche aus Amtspflichtverletzung unter den Tisch fallen. Haben die Maßnahmen, die die Amtspflichtverletzung darstellen, zu einem Schaden an Leib und Leben geführt, so sind die darauf gegründeten Ansprüche vom Reich — wenn es sich um Reichsverbindlichkeiten handelt — oder von den Gemeinden — wenn sie unter die Kommunalklausel fallen — voll zu erfüllen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, Ihnen in aller Kürze dargetan zu haben, daß hinter dieser Grundgesetzänderung keinerlei Geheimnisse stecken, daß die Grundgesetzänderung vernünftig, zur Bereinigung der ganzen Angelegenheit unentbehrlich und vom Standpunkt aller Interessen annehmbar ist. Ich bitte Sie deshalb, ihr zuzustimmen.
Und nun noch ein Wort: Was wäre die Folge, wenn die Verfassungsänderung abgelehnt werden würde? Da, wie ich schon ausgeführt habe, das Gesetz ohne die Grundgesetzänderung angesichts des Widerspruchs des Herrn Bundesministers der Justiz — dem ich beitreten muß — nicht verkündet werden könnte, bedeutete die Ablehnung der Grundgesetzänderung im Ergebnis das Scheitern des Gesetzes selbst. Der verschiedentlich geäußerte Gedanke, das Gesetz selbst so umzubauen, daß die Grundgesetzänderung nicht notwendig sei, ist meiner Überzeugung nach irrig. Abgesehen davon, daß ein so geändertes Gesetz einen Mehraufwand von mehreren hundert Millionen DM erfordern
würde, würde auch die Zeit dazu nicht ausreichen, diese Änderungen im Gesetz vorzunehmen; denn es wären nicht nur einige einfache Streichungen, sondern vermutlich schwierige Änderungen notwendig. Wenn also das Allgemeine Kriegsfolgengesetz jetzt scheitern sollte, wäre die Folge, daß Millionen von Gläubigern, die seit dem Zusammenbruch auf eine Regelung warten und die nach diesem Gesetz Leistungen erhalten sollen — wobei es sich um zahlreiche sozial schwache Gläubiger handelt —, leer ausgehen würden. Ich richte daher an Sie noch einmal die dringende Bitte, der Grundgesetzänderung zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Atzenroth.
Meine Damen und Herren, der Herr Minister hat soeben mit Recht zum Ausdruck gebracht, daß wir ein Kriegsfolgenschlußgesetz nicht machen können, wenn wir nicht vorher die Verfassungsänderung durchführen. Ich lege aber Wert auf das Wort Schluß Besetz. Wir können durchaus ein Kriegsfolgengesetz machen, ohne daß die Verfassung vorher von diesem Bundestag geändert wird.
Wenn wir die Verfassungsänderung beschließen, dann vernichten wir eine ganze Reihe von Rechtsansprüchen, von denen wir noch nicht übersehen können, ob sie nicht von uns, von der Bundesrepublik, doch noch finanziell erfüllt werden können, ob es nicht doch möglich ist, gewisse Kreise noch zu befriedigen, die jetzt ¡ausgenommen werden, ob wir nicht auch in rechtlicher Hinsicht zu der Überzeugung kommen, daß andere. jetzt zum Untergang verurteilte Rechtsansprüche doch so schwerwiegend sind, daß wir im 3. Bundestag noch einmal nach einer Möglichkeit suchen sollten, sie zu erfüllen.
Meine Damen und Herren, was hier vorgeschlagen wird, ist ein so starker Eingriff in die Rechtspflege, daß man es nicht mit dem schwarzen Mann der SS-Ansprüche abtun kann. Das ist ein Teilgebiet. Es gibt ganz andere Ansprüche, die viel tiefer begründet sind. Ich glaube, ein großer Teil der Mitglieder des 3. Deutschen Bundestages wird überzeugt sein, daß hier etwas getan werden muß. Wenn wir aber das Grundgesetz ändern, dann verbauen wir uns selbst die Möglichkeit dazu.
Wir als Schuldner haben diese Schuld nicht leichtfertig als Nachfolger des ehemaligen Reiches übernommen. Wir haben aber nicht alles getan, wir haben nicht unser übernommenes Vermögen eingesetzt. Diese Verpflichtung bleibt bestehen. Wenn wir sie durch die Änderung des Grundgesetzes einfach streichen, dann handeln wir nicht fair.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers waren nicht geeignet, die rechtlichen Bedenken, die uns zu unserer Haltung veranlaßt haben, zu beseitigen. Das um so weniger, als die schon von heute vormittag bekannten SA-
Hosen oder -Stiefel wieder als Zeugen einer schrecklichen Simplifikation auch in der Begründung des Herrn Bundesfinanzministers aufgetaucht sind. Das spricht dafür, daß man keine wirklich guten Argumente hat. Niemand kann uns heute Aufklärung darüber .geben oder die Gewißheit geben — darin stimme ich mit Herrn Atzenroth völlig überein —, daß nicht auch sehr viele gute und reelle Ansprüche zum Untergang verurteilt sein werden.
Nun sagt man uns, wenn die Verfassungsänderung nicht angenommen werde, könnten wir kein Kriegsfolgenschlußgesetz verabschieden. Wir halten das einmal nicht für richtig. Aber zweitens kann uns das auch nicht schrecken; denn wir halten dieses Gesetz für so schlecht, daß wir ohnehin entschlossen sind, ihm nicht zuzustimmen, wenn unseren Änderungsanträgen nicht stattgegeben wird.
Der Herr Bundesfinanzminister hat gesagt: Millionen warten auf das, was dieses Gesetz geben soll. Der Herr Bundesfinanzminister geht mit den Zahlen etwas leichtsinnig um. Es kann gar keine Rede davon sein, daß Millionen in positiver Hinsicht betroffen werden. Umgekehrt ist es: Millionen werden leer ausgehen.
Wir werden daher bei unserer Haltung bleiben und die Verfassungsänderung ablehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Wittrock.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich glaube, man kann das Problem, das gerade in der Kommunalklausel steckt, nicht in dieser Weise vereinfachen, ja, ich möchte sogar sagen: verniedlichen, wie es der Herr Kollege Dr. Kather getan hat. Ich möchte mich mindestens gegen diese Art der Darstellung — ich möchte zu anderen Ausführungen von Ihrer Seite, Herr Kather, nicht Stellung nehmen — namens meiner Fraktion auf das entschiedenste verwahren.
Die Veranlassung, mich zu Wort zu melden, geben mir in erster Linie die Ausführungen des Kollegen Atzenroth. Herr Kollege, ich glaube, Sie und sicherlich manche aridere Kollegen in Ihrer Fraktion sind in einem sehr .wesentlichen Irrtum befangen. Sie haben hier gesagt, Sie seien deshalb gegen diese Grundgesetzänderung, weil durch diese Ergänzung mit einem Federstrich Ansprüche vernichtet werden. Sie nicken zustimmend. Herr Kollege, bitte, lesen Sie die Drucksache 3727 nach! Sie können daraus erkennen, daß diese Grundgesetzergänzung überhaupt nichts vernichtet. Diese Grundgesetzergänzung berührt überhaupt keine Ansprüche, sondern sie schafft erst die notwendige Grundlage für eine gesetzliche Regelung. Dias ist doch zweierlei.
Man sollte also Gesichtspunkte, die allenfalls in der Debatte über das Kriegsfolgenschlußgesetz vorzutragen wären und ,die möglicherweise in irgendwelchen Vorbehaltsklauseln angesprochen werden können, nicht zur Begründung für die Ablehnung dieser Grundgesetzergänzung verwenden, wie Sie es getan haben.
Ich wollte also nur darauf hinweisen, Herr Kollege, daß die sicher auch ,bei Ihren Freunden bestehende Auffassung über die ,unmittelbare Bedeutung dieser Grundgesetzergänzung irrig ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die erste Lesung ist damit geschlossen.
Wir kommen zur
zweiten Beratung.
Darf ich fragen, ob Wortmeldungen vorliegen? — Das scheint nicht der Fall zu sein.
Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst müssen wir darüber entscheiden, in welcher Form abzustimmen ist. Das Gesetz als Ganzes muß zweifelsfrei mit Zweidrittelmehrheit angenommen werden. Wir sind aber jetzt in der Abstimmung in zweiter Lesung. Heute vormittag ist hier im Plenum die Theorie vertreten worden, daß zur Abstimmung in zweiter Lesung die Zweidrittelmehrheit nicht erreicht zu werden brauche und demgemäß die Abstimmung durch Handaufheben erfolgen könne.
Zur Unterstützung dieser Theorie wird angeführt, daß Änderungsanträge hierzu ja auch mit einfacher Mehrheit in zweiter Lesung angenommen werden könnten. Darauf ist zu erwidern, daß bei der Schlußabstimmung erneut die Frage auftaucht, ob die so geänderten Paragraphen mit Zweidrittelmehrheit oder einfacher Mehrheit angenommen werden können.
Ich persönlich stehe auf dem Standpunkt — und zwar auf Grund von § 49 Abs. 2 der Geschäftsordnung, der keinen Unterschied zwischen zweiter und dritter Lesung macht—, daß an sich zweckmäßigerweise auch in der zweiten Lesung die verfassungsmäßige Mehrheit festgestellt werden sollte; denn wenn etwa einmal Karlsruhe der Meinung wäre, daß auch schon in der zweiten Lesung die verfassungsmäßige Mehrheit hätte vorhanden sein müssen — und sie nicht da war —, wäre es nicht zur dritten Lesung gekommen.
Da wir diese verschiedenen Meinungen haben, gibt es zwei Möglichkeiten: Wir können darüber eine halbe Stunde debattieren; wir können aber auch die Frage erledigen, indem wir innerhalb fünf bis acht Minuten eine Auszählung machen. Dann haben wir eine klare Unterlage, und die Sache ist in Ordnung.
Bitte, Herr Kollege Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir jetzt in zweiter Lesung ein Quorum von zwei Dritteln verlangten, hätte das zur Folge, daß wir in dritter Lesung für jeden Änderungsantrag eine Zweidrittelmehrheit haben müßten. Das kann aber nicht der Fall sein.
Im übrigen hat das Haus auch bisher immer in der Weise entschieden, daß eine einfache Mehrheit in der zweiten Lesung genügte. Ich darf darauf hinweisen, daß auch heute im Ältestenrat die Auffassung einhellig war, daß in zweiter Lesung einer Grundgesetzänderung eine einfache Mehrheit ausreiche. Die Zweidrittelmehrheit, das qualifizierte
Quorum, ist erst bei der Schlußabstimmung in dritter Lesung notwendig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Schmid!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat nie einem Zweifel unterlegen, daß der Inhalt der einzelnen Bestimmungen eines Gesetzes mit einfacher Mehrheit festgestellt wird und daß die qualifizierte Mehrheit nur bei der Abstimmung über das Gesetz im ganzen erforderlich ist. Das ist der Sinn der Verfassungsbestimmung, nach der wir handeln, und wir haben in diesem Hause nie anders gehandelt.
Ich möchte dem Vorschlag, den der Herr Präsident eben gemacht hat, widerraten. Es könnte, wenn wir ihm folgten, vielleicht daraus der Schluß gezogen werden, daß dieses Haus unsicher ist in der Art und Weise, wie es die Verfassung und die Geschäftsordnung handhaben soll. Vielleicht könnte sogar ein scharfsinniger Mann auf den Gedanken kommen, daß wir hier den Anfang eines neuen Gewohnheitsrechtes setzen wollten, und das will, glaube ich, in diesem Hause niemand.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort weiterhin gewünscht? — Herr Kollege Schneider!
Dr. Schneider (DP [FVP]): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben das Problem heute morgen in der Sitzung des Ältestenrates auf meinen Antrag noch einmal ausdrücklich behandelt, weil ich schon fühlte, daß es so kommen würde. Ich warne Sie dringend, anders zu verfahren, als wir das bisher getan haben. Sonst könnten scharfsinnige Juristen in Karlsruhe wirklich auf die Idee kommen, daß wir daraus grundsätzlich ein neues Prinzip machen wollten. Wir haben uns in der Vergangenheit in den acht Jahren immer so verhalten und sollten bei diesem Gewohnheitsrecht verbleiben. Ich schließe mich in jeder Weise den Worten an, die Herr Kollege Schmid hier soeben vorgetragen hat, und ich möchte das Haus dringend bitten, danach zu verfahren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort weiterhin gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich kann nur feststellen, daß ich persönlich mich nicht überzeugen lassen kann, daß durch ein Gewohnheitsrecht klare Bestimmungen der Geschäftsordnung außer Kraft gesetzt werden. Ich persönlich wasche meine Hände in Unschuld. Mögen Sie verfahren, wie Sie bisher verfahren haben.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich darf wohl mit Ihrer Zustimmung die §§ 1 und 2 gleich gemeinsam aufrufen. Wer dem Gesetz in zweiter Lesung, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? - Bei wenigen Enthaltungen und einigen Gegenstimmen in zweiter Lesung angenommen.
Die Zahl der Stimmen, mit welcher der Gesetzentwurf angenommen wurde, steht also nicht fest. Wir brechen die Beratung ab. Die dritte Lesung soll vereinbarungsgemäß am 29. August stattfinden.
Ich habe dann noch etwas nachzuholen. Ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß der Punkt 28 der gedruckten Tagesordnung erledigt wird, den ich hiermit aufrufe:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Gemeinsamer Markt und Euratom (Drucksachen 3530, 3138).
Dieser Punkt ist als besonderer Tagesordnungspunkt auf die gedruckte Tagesordnung gesetzt worden. Er betrifft die Annahme eines Mündlichen Berichts, die im Anschluß an die Verträge Gemeinsamer Markt/Euratom zu erledigen wäre.
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Kopf. Ich nehme an, daß eine Berichterstattung nicht erforderlich ist. — Der Berichterstatter verzichtet.
Es handelt sich lediglich darum, daß ein Antrag Drucksache 3181, der mit dem Gemeinsamen Markt und Euratom in Verbindung stand, für erledigt erklärt wird. Wird das Wort hierzu gewünscht?
— Während wir sonst bei den Tagesordnungspunkten die dazugehörigen Anträge bei dem betreffenden Punkt mit erledigen, ist hier in einem besonderen Punkt der Tagesordnung vorgesehen, daß durch die Annahme des Ratifikationsgesetzes über den Gemeinsamen Markt und Euratom ein Antrag der Fraktion der SPD aus dem Januar 1957, Drucksache 3138, für erledigt erklärt wird. Herr Abgeordneter Kopf als Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses hat auf Berichterstattung verzichtet. Ich frage, ob das Wort dazu gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall.
Dann darf ich diejenigen, die dem Antrag, die genannte Drucksache für erledigt zu erklären, zustimmen, um das Handzeichen bitten. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen; Punkt 28 der Tagesordnung ist damit erledigt.
Nach der Reihenfolge, die vorhin festgestellt worden ist, kommt jetzt Punkt 25 der gedruckten Tagesordnung zur Verhandlung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Militärseelsorge ;
Mündlicher und Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (Drucksachen 3673, zu 3673).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Huth.
— Der Berichterstatter verweist auf den Schriftlichen Bericht.
Der Antrag des Ausschusses — Drucksache 3673
— lautet:
Der Bundestag wolle beschließen,
den Gesetzentwurf — Drucksache 3500 — mit der Maßgabe, nach Artikel. 2 folgenden Artikel 2 a einzufügen:
„Artikel 2 a
Dieses Gesetz gilt nicht im Saarland.",
im übrigen unverändert nach der Vorlage anzunehmen.
Ich rufe auf zur zweiten Lesung: Art. 1, — Art. 2, — Art. 2 a nach dem Antrag des Ausschusses, —Art. 3, — Einleitung und Überschrift. — Ich darf annehmen, daß das Haus mit der gemeinsamen Verabschiedung in der zweiten Lesung einverstanden ist. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Artikeln, der Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe auf zur
dritten Lesung.
Ich bitte um Wortmeldungen zur Aussprache, wenn sie gewünscht wird. — Keine Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen. Änderungsanträge in dritter Lesung liegen nicht vor.
Wer dem Gesetz mit den Anlagen, die dem Entwurf beigefügt sind, in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in dritter Lesung einstimmig angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 14 der gedruckten Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Einbringung der Steinkohlenbergwerke im Saarland in eine Aktiengesellschaft
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 (neu) der Geschäftsordnung (Drucksache 3679)
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (Drucksachen 3642, zu 3642).
Das Wort hat der Berichterstatter Herr Sabaß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde sicher den Beifall des ganzen Hauses, wenn ich auf mündliche Berichterstattung verzichte.
Ich muß aber auf die drei Drucksachen hinweisen, die der Haushaltsausschuß und der Ausschuß für Wirtschaftspolitik Ihnen zu diesem Tagesordnungspunkt vorgelegt haben, und beantrage im Auftrage des Ausschusses für Wirtschaftspolitik die Annahme des Gesetzentwurfs nach der Regierungsvorlage — Drucksache 3420 —, allerdings mit der Maßgabe, daß in § 3 Satz 3 das Wort „Pfandbrief" durch das Wort „Pfandrecht" ersetzt wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe auf in zweiter Lesung § 1, — § 2, — § 3 — unter Hinweis darauf, daß es im dritten Satz statt „Pfandbrief" „Pfandrecht" heißen muß —, — § 4, — § 5, — § 6, — Einleitung und Überschrift. — Ich darf wohl annehmen, daß das Haus mit der gemeinsamen Behandlung der aufgerufenen Teile des Gesetzes einverstanden ist. — Widerspruch höre ich nicht; dann isst so beschlossen. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die in zweiter Lesung den §§ 1 bis 6, der
Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — In zweiter Lesung angenommen.
Ich rufe auf die
dritte Lesung.
Ich rufe auf zur Generaldebatte. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Die ,Generaldebatte ist geschlossen. Änderungsanträge zur dritten Lesung liegen nicht vor.
Wir kommen zur Schlußabstimmung über das Gesetz. Wer den §§ 1 bis 6, der Einleitung und der Überschrift dieses Gesetzes in der Fassung der Drucksache 3420 in der !Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist auch in dritter Lesung angenommen.
Nunmehr rufe ich den Punkt 21 der Ihnen gedruckt vorliegenden Tagesordnung auf:
Fortsetzung der zweiten und dritte Beratung des
a) Entwurfs eines Zolltarifgesetzes und des Deutschen Zolltarifs 1958
b) Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes
c) Entwurfs eines Gesetzes über die Ausfuhrzollliste ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (Drucksache 3587),
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Serres.
Wir hatten den § 1 dieses Zolltarifgesetzes schon durchberaten. Außerdem sind bereits eine große Zahl von Änderungsanträgen erledigt. Ich bitte Sie, den Änderungsantrag auf Umdruck 1215 zur Hand zu nehmen. — Das Wort hat der Abgeordnete Kalbitzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Drucksache 3587 handelt es sich fast ausschließlich um reine Zollformalitäten, die heute sicher nicht das besondere Interesse des Hauses beanspruchen können. Aber in diesem Schriftlichen Bericht sind einige wenige Zahlen enthalten, die nicht hineingehören und die deshalb nach Meinung der Sozialdemokraten — und deshalb unser Antrag Umdruck 1215 — wieder heraus sollen. Aus dem 'Schriftlichen Bericht ergibt sich nämlich, daß unter der Hand eine Zollerhöhung für Brauereimalz eingeführt werden soll. Das ist natürlich eine Kuriosität angesichts der Tatsache, daß wir in der Bundesrepublik im Zeitalter des Zollabbaues leben. Sie haben gestern abend einer Zollermächtigung für die Bundesregierung zugestimmt, auf Grund deren die Zölle erheblich gesenkt werden sollen. Hier aber ist im Gegensatz zu dem gestrigen Beschluß eine Zollerhöhung für eine einzelne Position, eben für Brauereimalz, vorgesehen.
Eine Begründung sachlicher Art für diese Zollerhöhung ist leider auch in den Ausschußsitzungen nicht zu hören gewesen. Es handelt sich ganz einfach darum, daß die Mälzereien einen besseren Schutz gegenüber der ausländischen Konkurrenz haben sollen, obwohl es ihnen finanziell ausgezeichnet geht. Sie befinden sich in keiner Weise in
einer Krisensituation, brauchen also durchaus keinen höheren Schutz.
Wenn es sich nur um das Malz handelte, wäre die Sache noch nicht von der Bedeutung, die ich ihr jetzt beimesse. Aber ,das Malz ist, wie Sie wissen, das Vorprodukt für Bier. Jede Verteuerung des Vorprodukts durch Zoll oder auf eine andere Art bedeutet im Endergebnis eine Verteuerung des Endprodukts, also des Bieres.
Ich habe schon in der vorigen Woche, als diese Frage erörtert, aber leider nicht abschließend behandelt werden konnte, die CDU inständig gebeten, mir doch einmal zu erklären, wieso sie auf die absurde Idee komme, sich in der heutigen Zeit für eine Zollerhöhung einzusetzen, deren Folge über kurz oder lang eine Erhöhung des Bierpreises sein muß. Wenn es der CDU gelingt, mich davon zu überzeugen, daß das unbedingt notwendig ist, will ich meinen Antrag gern zurückziehen. Wenn das aber nicht der Fall ist, bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen und ,den ,bisherigen niedrigeren Zollsatz wieder einzufügen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort hierzu gewünscht? — Bitte, Herr Kollege Serres!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß die sehr wichtige Verabschiedung des Zolltarifs 1958 gewissermaßen im Schatten einer Malzzolldebatte erfolgt. Ich persönlich bin der Meinung, daß dieser Angelegenheit eine solche Bedeutung nicht zukommt.
Herr Abgeordneter Kalbitzer hat soeben gesagt, die CDU/CSU-Fraktion habe den Antrag gestellt. Ich darf Sie ergebenst darauf hinweisen, Herr Kollege Kalbitzer, daß kein Antrag der CDU/CSU-Fraktion vorliegt und daß ich selber nicht zu den Unterzeichnern des Antrags Umdrucks 1234 gehöre. Wenn Sie genau hinsehen, werden Sie feststellen, daß Mitglieder dreier Fraktionen diesen Antrag gestellt haben; sie haben ihn auch nicht deshalb gestellt, verehrter Herr Kollege Kalbitzer, um den Biertrinker zu ärgern — was in diesen Tagen besonders sträflich wäre —, sondern doch wohl aus anderen, sachlicheren Gründen. Bekanntlich bestehen bei der Malzerzeugung im In- und Ausland verschiedene Wettbewerbsverhältnisse. Ich brauche nur daran zu erinnern, daß wir gestern ein Getreidepreisgesetz verabschiedet haben und daß der Preis für Gerste im In- und Ausland eine sehr verschiedene Höhe hat. Darin liegt es begründet, daß für Malz eine entsprechende Gleitzollformel gefunden werden muß.
Bei der ersten Regelung im Jahre 1954 hatten wir die Formel eingeführt: „20 %, mindestens aber DM 60 abzüglich 70 %." Die Antragsteller waren der Auffassung, daß damit eine genügende Marge zum Ausgleich der verschiedenen Wettbewerbsverhältnisse nicht gefunden sei, und haben deshalb vorgeschlagen: 20 % mindestens für 100 kg 60 DM abzüglich 67 % des Wertes.
Ich darf ,daran erinnern, daß Herr Kollege Horlacher den Antrag der Kollegen Stammberger, Stücklen usw. insofern geändert hat. Ich persönlich werde diesem Antrag um so eher zustimmen, als ich festgestellt habe, daß die Brauereiwirtschaft nicht etwa die Absicht hat — weder wegen der
Festsetzung des Gerstenpreises noch wegen dieses Kompromißvorschlags für dein Malzzoll —, den Bierpreis zu erhöhen. Aus diesem Grunde glaube ich, daß man guten Gewissens empfehlen kann, der beantragten Kompromißformel zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, Herr Abgeordneter Kalbitzer!
Meine Damen und Herren! Mit Vergnügen gebe ich zu, daß es sich nicht um einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion handelt. Die Damen und Herren der Regierungskoalition sind also völlig frei, in diesem Punkt nach ihrer eigenen Überzeugung und Einsicht zu handeln.
Herr Kollege Dr. Serres, Sie geben mir doch zu, daß das, was Sie — ich weiß nicht warum — einen Kompromißvorschlag nennen, faktisch eine Zollerhöhung bedeutet. Sie können in der heutigen Zeit eine Zollerhöhung doch nur damit begründen, daß sich eine Industrie in einer schweren Krise befindet und ohne einen solchen zusätzlichen Schutz nicht zu halten wäre. In einer solchen krisenhaften Situation befindet sich aber die Malzindustrie nicht. Das wagt doch kein Mensch zu behaupten!
Nun, die Zusage der Bierbrauereien gibt man merkwürdigerweise Ihnen. Ich weiß immer noch nicht, warum die Bierbrauereien solche Zusagen nicht der Öffentlichkeit geben. Sie geben sie immer nur einzelnen Herren dieses Hauses. Aber angenommen, sie täten das auch in der Öffentlichkeit, so muß man doch einmal darauf hinweisen,. daß sich die Bierbrauereien wie auch andere Markenartikelfirmen gegenübendem Bundeswirtschaftsminister bereit erklärt haben, bis zum Jahresende die Preise nicht zu erhöhen, wenn sich nicht die Preise der Vorprodukte erhöhten. Der Preis des Vorprodukts Gerste wird — abgesehen davon, daß gestern die Getreidepreise sowieso erhöht worden sind, was nicht hierher gehört — durch diese Zölle nochmals erhöht. Damit sind also die Bierbrauer aus der Verpflichtung, die sie sich auferlegt haben, enti assen.
Ich frage Sie, Herr Dr. Serres, warum Sie eigentlich einen einzelnen Industriezweig aus dieser Verpflichtung entlassen wollen. Ich dachte, die CDU sei vital daran interessiert, daß Preise nicht erhöht werden. Hier schaffen Sie alle Voraussetzungen, die Preise dennoch zu erhöhen. Davon beißt keine Maus einen Faden ab: Ihr Antrag bedeutet im Effekt eine Preiserhöhung für Malz. Das sind doch die Erfahrungen in der Wirtschaft. Sie nennen das merkwürdigerweise immer „LohnPreis-Spirale". Hier ist es doch eine ,ausgesprochene Preisschieberei nach oben, und zwar durch das Parlament und durch Einflußnahme eines einzelnen Wirtschaftszweiges auf einzelne Mitglieder dieses Parlaments. Ich finde, idas ist in keiner Weise zu vertreten; es widerspricht der klaren Preispolitik, die wir in Deutschland heute zu betreiben haben.
Sie wissen, die Preispolitik ist sowieso labil, labil in dem Sinne, daß die Preise idle Tendenz haben, bei dem leichtesten Anstoß sich nach oben zu bewegen. Warum, frage ich Sie, wollen Sie diesen Anstoß geben? Ich habe Sie auch schon in der vorigen Woche aufgefordert, mir doch ein Argument dafür zu geben, daß die Malzindustrie ohne diese Zollerhöhung nicht leben könne. Ich bin ja kein Unmensch, ich will diese Leute nicht in den
Ruin treiben. Aber diesen Leuten geht es auch ohne die Zollerhöhung ausgezeichnet. Was also, frage ich abschließend, ist für Sie der Grund, zu der guten Situation dieser Branche noch einen zusätzlichen Schutz hinzuzufügen?
Es wird für die Damen und Herren vielleicht noch bemerkenswert sein, daß, wenn es zum Schluß heißt „70 % des Wertes", das einen niedrigeren Zollsatz bedeutet, als wenn da bloß „67 %" steht. Das kommt daher, daß die Zollformel im Grunde eine mathematische Formel ist — die so kompliziert ist, daß wir nicht mehr die Zeit haben, sie hier zu erklären —; aber „abzüglich 70 % des Wertes" bedeutet eben den alten, niedrigen Zoll, und die von Herrn Dr. Serres vorgeschlagene Formulierung „abzüglich 67 %" bedeutet faktisch eine Zollerhöhung. Das ist in der heutigen preispolitischen Lage unter keinen Umständen zu verantworten.
Deshalb bitte ich Sie, unserem Änderungsantrag, der die bestehenden Zollsätze wiederherstellt, Ihre Zustimmung zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön, Herr Dr. Starke!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann sehr wohl verstehen, was Sie, Herr Kollege Kalbitzer, zu diesen Fragen sagten. Ich möchte mich nur auf folgendes beschränken. Es handelt sich um einen Industriezweig, der unmittelbar an die Preisregelungen für die Landwirtschaft in Westdeutschland anschließt. Die erste gewerbliche Stufe nach dem landwirtschaftlichen Preisregelungssystem ist immer diejenige, die in Druck kommt. Als seinerzeit die Einfuhr von Malz liberalisiert worden war, war lelie Wirkung so, daß die Malzeinfuhr — natürlich mit Zustimmung des Bundeswirtschaftsministers, der, wie Sie wissen, keineswegs für solche Sachen ist — schließlich wieder entliberalisiert werden mußte, bis man den Gleitzoll geschaffen hatte. Es ist ein ganz einfacher Tatbestand. Das Mälzen, die Herstellung von Malz aus Gerste, ist kein Fabrikationsvorgang von sehr hohem Veredelungswert. Wenn nun der jenige, der in Belgien oder Dänemark oder in der Tschechoslowakei sitzt, die Gerste zum Weltmarktpreis hat, die deutsche Mälzerei aber diese Gerste zum hohen Inlandspreis kaufen muß, so ist der Unterschied sehr groß. Daraus ergab sich die Notwendigkeit des Gleitzolls, der damals auch ganz glatt eingeführt wurde.
Jetzt komme ich einmal mit den tatsächlichen Zahlen. Ich weiß nicht, ob sie Ihnen bekannt sind; aber ich will sie einmal auch für Sie nennen. Wenn Sie von einem Durchschnittspreis von 78 DM für 100 l Bier ab Brauerei ausgehen und annehmen, daß das gesamte für dieses Bier verwendete Malz zu dem Zollsatz aus dem Ausland käme, wie er in der Kompromißformel, d. h. in dem berichtigten Umdruck 1234, vorgeschlagen ist, dann sind das 32 Pf Mehrkosten auf 78 DM für 100 1 Bier. Das ist also gar nichts. Im allgemeinen kommt aber höchstens ein Viertel ides Malzes aus dem Ausland; die Mehrkosten machen also 8 Pf auf 78 DM aus. Diese Zahlen sind nicht aus der Luft gegriffen, sie sind Tatsache.
Ich bitte also, dem Antrag Umdruck 1234 zuzustimmen, nachdem auch die Brauereien sich sozusagen damit einverstanden erklärt und gesagt haben, daß man das machen kann, ohne daß eine Bierpreiserhöhung eintritt. Sosehr ich es richtig finde, daß Sie auf den Braupreis hingewiesen haben, so glaube ich doch, daß diese Bedenken nicht bestehen. Man sollte diese erste gewerbliche Stufe nach der landwirtschaftlichen Preisregelung nicht in Schwierigkeit bringen. Ich glaube, daß dazu auch kein Anlaß besteht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß der Änderungsantrag Umdruck 1234, gestellt von den Abgeordneten Dr. Stammberger, Stücklen, Schild und anderen, dieselbe Materie — Malz, auch geröstet — und dieselbe Nummer 11.07 betrifft. Ich kann nicht überschauen, ob die Anträge einander ergänzen, einander überschneiden oder sich gegenseitig ausschließen. Ich wäre für Aufklärung dankbar, damit wir richtig abstimmen können.
Bitte, Herr Abgeordneter.
Beide Anträge betreffen dieselbe Sache. Es liegt ein Ausschußbericht vor. Der sozialdemokratische Antrag auf Umdruck 1215 ist für die bisherige Regelung. Der Antrag der Abgeordneten Stammberger, Stücklen usw. auf Umdruck 1234 ist eine Kompromißlösung, berichtigt auf 67 % des Wertes.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Welches der weitergehende Antrag ist, ist mir immer noch nicht klar.
— Der mit 70 % ist der weitergehende; außerdem ist er der ältere Antrag. — Ich danke Herrn Kollegen Starke für die Aufklärung.
Ich stelle also — das Wort wird nicht mehr gewünscht — zuerst den Antrag Umdruck 1215 zur Abstimmung. Wer dafür zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich stelle den Antrag Umdruck 1234 zur Abstimmung und mache darauf ,aufmerksam, daß „68 %" in „67 %" geändert worden ist. Wer den Antrag mit dieser Änderung anzunehmen wünscht, den bitte ich idas Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU, DP Umdruck 1242 Ziffer 1 auf. Wird der Antrag begründet? — Er wird nicht begründet. Wird idas Wort hierzu gewünscht? — Das Ist nicht der Fall. Ich schließe die Debatte. Ich stelle den Antrag Umdruck 1242 Ziffer 1 zur Abstimmung. Wer dafür zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzechen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.
Jetzt kommt der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP Umdruck 1228 Ziffer 1. Wird dieser Antrag begründet? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Debatte. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 1228 Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? —Angenommen.
Ich rufe den Änderungsantrag Umdruck 1228 Ziffer 2 auf. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Debatte. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Wer dem Antrag Umdruck 1228 Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte urn die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Angenommen.
Ich rule nunmehr den Antrag Umdruck 1228 Ziffer 3 auf. Wird der Antrag begründet? - Nein. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wer dem Antrag Umdruck 1228 Ziffer 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Angenommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich rufe den Antrag Umdruck 1242 Ziffer 2 auf. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 1242 Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Antrag Umdruck 1223 auf. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht?
- Das ist nicht der Fall; ich schließe die Aussprache. Wer dem Antrag Umdruck 1223 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nunmehr die drei Gesetzentwürfe auf, die in Drucksache 3361 enthalten sind. Ich rufe sie einzeln auf.
Zunächst: Entwurf eines Zolltarifgesetzes - Drucksache 3361, Anlage 1 -. Ich rufe die §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6, Einleitung und Überschrift auf. Ich eröffne ,die Aussprache in der zweiten Lesung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Paragraphen, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Bei zahlreichen Gegenstimmen in zweiter Lesung verabschiedet.
Ich rufe dann den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes Drucksache 3361, Anlage 2 auf Seite 50 auf.
- Ich rufe in zweiter Lesung die Artikel 1, 2, 3, 4, Einleitung, und Überschrift auf. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den aufgerufenen Artikeln, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit verabschiedet.
Ich rufe den Entwurf eines Gesetzes über die Ausfuhrzolliste - Anlage 3 auf Seite 55 der Drucksache 3361 - auf. Ich rufe in zweiter Lesung die §§ 1, 2, 3, 4, 5, Einleitung und Überschrift auf. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den aufgerufenen Paragraphen, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei vielen Gegenstimmen angenommen.
Damit sind wir am Ende der zweiten Beratung. Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist, daß über diese drei Gesetze gemeinsam abgestimmt wird. - Bitte, Herr Abgeordneter Kalbitzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, über die drei Gesetze getrennt abzustimmen. Das Zolltarifgesetz wird von unserer Fraktion ,abgelehnt, weil es de facto - darüber haben wir vorhin gesprochen - Zollerhöhungen vorsieht. Dem Fünften Zolländerungsgesetz stimmen wir zu. Die Ausfuhrzolliste halten wir nicht für politisch vernünftig; wir werden sie ablehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird hierzu noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird im übrigen in der allgemeinen Aussprache das Wort gewünscht? - Ebenfalls nicht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung über die Gesetzentwürfe in Drucksache 3361.
Wer dem Entwurf eines Zolltarifgesetzes und des Deutschen Zolltarifs 1958 - Anlage 1 - zuzustimmen wünscht, erhebe sich bitte. - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Wer dem Entwurf eines Fünften Zolländerungsgesetzes - Anlage 2 - zuzustimmen wünscht, erhebe sich bitte. - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wer dem Entwurf eines Gesetzes über die Ausfuhrzolliste - Anlage 3 - zuzustimmen wünscht, erhebe sich bitte. - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Bei einer Enthaltung und vielen Gegenstimmen angenommen.
Wir kommen zum nächsten Punkt der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesevakuiertengesetzes und des von den Abgeordneten Dr. Graf (München), Kunze (Bethel), Funk und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesevakuiertengesetzes (Drucksache 1803);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (Drucksachen 3667, zu 3667). (Erste Beratung: 108. Sitzung.)
Die Frau Berichterstatterin verweist auf den Schriftlichen Bericht. Verzichtet das Haus auf mündliche Berichterstattung? - Das ist der Fall.
Wir treten in die zweite Lesung ein. Ich rufe auf Art. I Nrn. 1, -- 2, - 3, - 4, - 5, - 6, - 7, 8, - 9, - 10, - 11, - 12, -- 13, - 14, - 15, -16, - Art. II, - Art. III, - Art. IV, - Einleitung und Überschrift.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall; ich schließe die Aussprache.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Ge-
genprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht; ich schließe die allgemeine Aussprache.
Änderungsanträge liegen nicht vor.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, erhebe sich bitte. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig verabschiedet.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Berufsausübung im Handel ; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sonderfragen des Mittelstandes (24. Ausschuß) (Drucksachen 3654, zu 3654).
Das ist der Punkt 6 der seitherigen gemeinsamen Tagesordnung.
Ich erteile das Wort dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Held.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich verweise auf den Schriftlichen Bericht und mache insbesondere auf den Nachtrag zu dem Bericht aufmerksam, der die Stellungnahmen des Rechtsausschusses und des Wirtschaftspolitischen Ausschusses enthält.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die zweite Lesung des Gesetzentwurfs ein. Ich rufe § 1 auf. Dazu liegen folgende Änderungsanträge vor: Umdruck 1253 Ziffer 1 und Umdruck 1297.
Wer begründet? — Herr Abgeordneter Lange zum Änderungsantrag Umdruck 1253 Ziffer 1.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 1 dieses Gesetzentwurfes bestimmt in seinem Abs. 1:
Einzelhandel betreibt, wer gewerbsmäßig Waren anschafft und sie unverändert oder nach im Einzelhandel üblicher Be- oder Verarbeitung in einer oder mehreren offenen Verkaufsstellen zum Verkauf an jedermann feilhält.
Sie könnten mir entgegenhalten, es sei völlig überflüssig, einen solchen, von jedem zu verstehenden Paragraphentext zu zitieren. Mir kommt es aber bei der Anführung dieses Textes auf folgendes an. Hier wird definiert: Wer Einzelhandel betreibt, verkauft im Grunde an jedermann.
Ich will mich noch nicht zu den Grundsätzen dieses Gesetzes äußern; das werde ich in der dritten Lesung tun. In der zweiten Lesung will ich nur unseren Antrag begründen.
Wenn der Abs. 1 des § 1 festlegt, daß Einzelhandel betreibt, wer in einer offenen Verkaufsstelle Waren zum Verkauf an jedermann feilhält, so fallen hierunter auch die Einrichtungen, die in Abs. 3 genannt sind, nämlich die Genossenschaften, und zwar insoweit, als sie nach § 8 Abs. 4 des Genossenschaftsgesetzes von dem Recht zum Verkauf an jedermann — sprich: an Nichtmitglieder — Gebrauch machen. Insoweit bedarf es also in diesem Zusammenhang keiner besonderen Bestimmung.
Jetzt kommt aber die andere Frage, die durch den § 1 Abs. 3 mit zur Debatte gestellt ist. Wenn ich mich mit, sagen wir, sieben Leuten zusammentue -- das ist die Mindestzahl der Mitglieder für den Verein und für die Genossenschaft —, so kann es den übrigen Beteiligten am Markte völlig gleichgültig sein, ob diese Einrichtung von jemandem geleitet wird, der die nach der Meinung der Initiatoren dieses Gesetzes erforderliche Berufsausbildung mitbringt oder nicht mitbringt; denn welche Anforderungen die Leute, die sich in einer solchen Genossenschaft zusammenschließen, die eben nicht an jedermann verkauft, an die Leitung stellen, ist ihre ureigenste Angelegenheit; und wenn sie ihr Geld verlieren wollen, ist das wiederum ihre eigene Sache. Das Moment des Schutzes der Öffentlichkeit oder des öffentlichen Interesses sticht hier nicht. Weil auf der anderen Seite Genossenschaften, die, wie ich soeben sagte, vom Recht des Nichtmitgliedergeschäfts Gebrauch machen, von vornherein dem § 1 unterfallen, braucht man die Genossenschaften nicht besonders zu erwähnen. Diese besondere Erwähnung der Genossenschaften ist nach meiner Überzeugung aus einer noch in der Vergangenheit liegenden Vorstellung von den besonders begünstigten Genossenschaften — die es nebenbei gesagt nie waren — übriggeblieben. Wir sind der Meinung, daß diese Bestimmung des § 1 Abs. 3 durch die Erwähnung der Genossenschaften einfach eine Diskriminierung der Genossenschaften darstellt. Lassen Sie uns die Genossenschaften — wenn Sie schon ein solches Gesetz wie dieses heute beschließen wollen — so behandeln wie jeden anderen in der Absatzwirtschaft Tätigen. Dann brauchen wir den Abs. 3 nicht; denn wer vom Recht des Nichtmitgliedergeschäfts Gebrauch macht, verkauft ja an jedermann und unterfällt von vornherein dem § 1 dieses Gesetzes. Insoweit bitte ich Sie also, wenn Sie in der Tat die unterschiedlichen rechtlichen Unternehmensformen, soweit sie am Marktgeschehen in der Absatzwirtschaft beteiligt sind, gleich behandeln wollen, von dieser Bestimmung abzusehen, weil das in § 1 gedeckt ist und im übrigen das, was nicht am Markt beteiligt ist, auch nicht dem § 1 unterfällt. Ansonsten wäre von dem immer wieder auch von Ihrer Seite ausgesprochenen Grundsatz der Gleichbehandlung in diesem Zusammenhang nicht das mindeste zu spüren. Die Gleichbehandlung ist durch den § 1 gewährleistet. Durch die Streichung des Abs. 3 würden Sie Ihrem Grundsatz, den Sie betonen, entsprechen und die Diskriminierung vermeiden. Ich bitte also, den Antrag anzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort zur Begründung von Umdruck 1297 hat Herr Abgeordneter Dr. Schild.
Dr. Schild (DP [FVP]): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage, die hier angeschnitten wird, ist Gegenstand eingehender Behandlungen im federführenden Ausschuß gewesen, und sie ist von diesem verneint worden,
nämlich die Frage, ob der Leihbuchhandel mit unter die Bestimmungen dieses Gesetzes zu nehmen ist. Es ist eine Tatsache, daß Buchhändler an sich unter dieses Gesetz fallen; eine zweite Tatsache ist es, daß Buchhändler, die gleichzeitig einen Leihbuchhandel haben, auch unter diese Bestimmungen fallen. Die dritte Tatsache ist, daß Nur-Leihbuchhändler nicht unter die Bestimmungen dieses Gesetzes fallen sollen. Das schafft eine gewisse Diskriminierung. Es ist gesagt worden, daß aus rechtssystematischen Gründen der Leihbuchhandel nicht unter dieses Gesetz fallen könne. Diese Auffassung kann vertreten werden. Aber es gibt, wenn man diese drei Sparten — den Direktbuchhandel, den Buchhandel mit Leihgeschäft und den Alleinleihbuchhandel — in einer soziologischen Gesamtheit sieht, keine andere Möglichkeit, den Leihbuchhandel unter die Wirkungen dieses Gesetzes zu bekommen. Ich wüßte auch nicht, wie aus rechtssystematischen Gründen der Leihbuchhandel in einem anderen Gesetz untergebracht werden sollte, sagen wir, beispielsweise in der Gewerbeordnung. Ich bitte, diese Frage erneut zu prüfen und unserem Antrag zuzustimmen. Ich beziehe mich auf eine auch hinsichtlich der kulturellen Aufgabe des Leihbuchhandels sehr gute und umfangreiche Denkschrift, die dem Hohen Hause und den einzelnen Fraktionen zugegangen ist. Die Leihbuchhändler in unserer Wirtschaft haben selbstverständlich den Wunsch, mit Rücksicht auf ihre kulturellen Aufgaben ebenfalls unter die Möglichkeiten dieses Gesetzes zu fallen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung gehört. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Meyer-Ronnenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten ursprünglich die Absicht, angesichts der vorgeschrittenen Stunde möglichst wenig Worte zu diesem Gesetzentwurf zu machen. Aber leider hat uns unser sehr geschätzter Herr Kollege Lange einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich verstehe nicht ganz, Herr Lange, warum Sie so darauf erpicht sind, den Abs. 3 aus dem § 1 zu entfernen. Wir haben uns im Ausschuß darüber sehr viel Gedanken gemacht und sind zu dem Schluß gekommen, daß eine Unterscheidung gar nicht angebracht ist. Wir wollen ja die Tatbestände gleichartig erfassen. Wenn in § 1 Abs. 1 der Ausdruck „an jedermann" gebraucht wird, müssen wir uns auch zu einer Bestimmung entschließen, die diejenigen trifft, die eben nicht an jedermann verkaufen wollen. Herr Lange hat klar zum Ausdruck gebracht, daß es auch Genossenschaften gibt, die von diesem Recht keinen Gebrauch machen. Es ist den Genossenschaften freigestellt. Ich betone immer wieder: es gibt nicht nur Konsumgenossenschaften, sondern auch Genossenschaften des Handels. Auch sie können nach eigenem Ermessen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Wir können also aus formalen Gründen, Herr Lange, nicht darauf verzichten, das zu berücksichtigen.
Es ist keine Grundsatzfrage, sondern eine Frage der Gesetzeskonsequenz. Wenn wir den Ausdruck „an jedermann" nicht für alle gelten lassen können, müssen wir einen Ausweg für die anderen haben.
Ich bitte das Haus, den Antrag der SPD-Fraktion abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja eine lobenswerte Absicht, möglichst wenig Worte auf ein Gesetz zu verschwenden. Aber dann müßte ein Gesetz auch danach sein, daß man mit wenigen Worten auskommt. Das ist hier leider nicht der Fall. Deshalb muß man etwas dazu sagen.
— Natürlich, das ist meine Meinung und die meiner Freunde, und, ich glaube, sie ist auch noch die
Meinung einiger anderer Kollegen dieses Hauses.
Wer sich die Sache einmal genau anschaut und wer sich im Grunde — soll ich an die vorgestrige Kartelldebatte wieder erinnern? — für die Freiheit entscheiden will, der muß unserem Antrag zustimmen. In der dritten Lesung des Kartellgesetzes hat Ihr Sprecher gesagt, daß die Freiheit das Anliegen sei; wer Macht habe oder ausüben wolle, solle nicht frei sein. Aber dazu sprechen wir noch in der dritten Lesung, weil wir in der zweiten Lesung nur einige technische Bemerkungen machen wollen. In der dritten Beratung können wir uns darüber auseinandersetzen; die Grundsatzdebatte gehört nicht zur zweiten Lesung.
Wenn der Gesetzentwurf solche Bestimmungen enthält, muß man hier darüber reden, sei es auch fünf Minuten vor zwölf, d. h. fünf Minuten vor der Todesstunde dieses Parlaments. Das spielt gar keine Rolle dabei.
Es kommt darauf an, diejenigen, die an jedermann verkaufen wollen, zu erfassen. Sobald eine Genossenschaft davon Gebrauch macht — auch wenn sie es bisher nicht getan hat —, unterfällt sie diesem Gesetz. Das ist völlig klar, darüber gibt es gar keinen Zweifel.
Ich würde sogar so weit gehen, Herr MeyerRonnenberg und meine Herren Kollegen, die Sie der Meinung sind, man brauche eine solche Bestimmung, zu sagen, daß eine Bestimmung dieser Art, die eine bestimmte Unternehmensform ohne irgendeinen sachlich gerechtfertigten Grund erwähnt, weil man glaubt, nur sie eben erwähnen zu müssen, gegenüber dem Grundgesetz nicht zu verantworten ist. Ich will hier nicht mit Verfassungsklage und ähnlichem drohen. Ich will nur darauf hinweisen, daß auch Genossenschaften, die ausschließlich an Mitglieder verkaufen und die nach dem Genossenschaftsrecht innerhalb ihres Bereiches völlig souverän sind, nicht am Marktgeschehen in dem Sinne beteiligt sind, wie Sie es beim Einzelhandel definieren wollen. Sie fühlen sich durch dieses Gesetz in ihrer Entscheidungsfreiheit und in der Freiheit der Verwendung der Mittel, die die Genossen zur Verfügung stellen, beschränkt und können wegen dieser Einengung ihres Rechtes durchaus eine Verfassungsklage anstrengen.
Sie sollten auch aus diesem Grunde — und das sehen Sie ruhig einmal als einen wohlgemeinten Rat der Opposition an; sie hat schon manchen wohlgemeinten Rat in diesem Zusammenhang ge-
geben — darauf verzichten, die Bestimmung des Abs. 3 aufrechtzuerhalten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Meyer-Ronnenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe schon einmal betont, es handelt sich nur um eine formale Angelegenheit, die wir im Text berücksichtigen müssen. Ich darf darauf hinweisen, Herr Lange, daß Sie im Ausschuß die Meinung vertreten haben — immer .ausgehend von der falschen Überlegung, daß es sich nur die Konsumgenossenschaften handelt; es handelt sich nicht nur darum, wie ich noch einmal betonen möchte —, die Konsumgenossenschaften seien ja aus dem Markt; infolgedessen komme für sie eine Einbeziehung in ein Berufsgesetz sowieso nicht in Frage.
Ich glaube, es genügt ein kurzer Hinweis, daß die Konsumgenossenschaften mit ,allen Mitteln im Markt sind. Sie haben an allem teilgenommen, auch an der Fleischkonservenverteilung, und sie haben sich heute durch die Kühlschrankaffäre genügend als in den Markt eingeschaltet angesehen und danach gehandelt.
Also bitte, lassen Sie uns hier ,nicht um Worte streiten. Ich habe eingangs erklärt, wir wollen es kurz machen und uns nicht um Verfahrensdinge und dergleichen streiten; darum handelt es sich hier. Wenn es sich um mehr handeln sollte, Herr Lange, kann ich Ihnen überhaupt nicht recht geben; dann würde es nämlich glatt zweierlei Recht bedeuten, und dem kann ich nicht zustimmen.
Ich muß Sie daher bitten, den Antrag der SPD abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Lange.
Also keine Ungeduld, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, Sie haben das Gesetz auf der Tagesordnung haben wollen. Nun lassen Sie uns auch in aller Ruhe darüber reden.
Natürlich, vom Ursprung des Genossenschaftsgedankens her sind einmal solche Erwägungen angestellt worden. Das wissen Sie genau. Da wir aber den § 8 Abs. 4 des Genossenschaftsgesetzes so geändert haben, daß Verkauf auch an Nichtmitglieder möglich isst, habe ich im Ausschuß erklärt, daß die Konsumgenossenschaften, sofern sie an Nichtmitglieder verkaufen — das gilt im übrigen auch für jede Wandere Genossenschaft —, von vornherein dem § 1 Abs. 1 unterliegen. Eine zusätzliche Bestimmung ist also gar nicht erforderlich. Diejenigen Genossenschaften, die von dem Recht des Nichtmitgliedergeschäfts keinen Gebrauch machen, können dieser Bestimmung des Gesetzes einfach nicht unterworfen werden. Aber die Erwähnung der Genossenschaft, die Erwähnung einer einzigen Unternehmensform, einer einzigen Gesellschaftsform als Rechtsform in dem Gesetz als Besonderheit ist schon diskriminierend. Darin liegt die Ungerechtigkeit.
Das steht hier vorläufig einmal von der sachlich-technischen Seite und gar nicht vom Grundsätzlichen her zur Debatte. Ich will hier keine Genossenschaftsdebatte, ich will keine Debatte über sonstige Einzelhandelsformen. Das ist dabei alles völlig uninteressant. Hier gehrt es einfach darum, daß man dort irgendwelchen Ressentiments glaubt Rechnung tragen zu können, indem man die Genossenschaften in einem besonderen Absatz des § 1 erwähnen will. Das halte ich für ein Unrecht, weil sie sonst in jeder anderen Hinsicht — steuerlicher und sonstiger Art — in gleicher Weise behandelt werden .wie alle übrigen Unternehmensformen und Gesellschaftsformen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Beratung über den aufgerufenen Paragraphen und komme zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 1253 Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich lasse über den Antrag Umdruck 1297 abstimmen. Wer ihm zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme dann zur Abstimmung über den § 1 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Gegenstimmen und mehreren Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
§§ 2, 3 und 4 entfallen.
§ 5 in der Ausschußfassung. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann komme ich zur Abstimmung. Wer dem § 5 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Gegenstimmen und vielen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf § 7, dazu den Umdruck 1253 Ziffer 2 und den Umdruck 1278.
Herr Lange, begründen Sie den Antrag Umdruck 1253? — Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem § 7 handelt es sich um ein etwas schwerer wiegendes Problem, als es beim § 1 der Fall war, obwohl auch das Problem des § 1 schon schwerwiegend genug war. Man muß hier einmal daran erinnern, daß in der ersten Legislaturperiode nach der Verabschiedung der Handwerksordnung in der Öffentlichkeit und auch hier im Hause Vorstellungen aufgekommen sind, die dahin gingen: Jetzt hat das Handwerk seine Ordnung, jetzt will sie der Einzelhandel auch, und das soll man so im Stil der Handwerksordnung machen! — Dann kam die Vorstellung von den 32 Warenkreisen und schließlich die Reduktion auf sieben Warenkreise. Das Ergebnis war der ursprünglich vorgelegte Gesetzentwurf — Drucksache 1872 — über die Berufsausübung im Handel, wobei Großhandel und andere einbezogen werden sollten. Die erste Debatte hierüber hat am 16. Dezember 1955 stattgefunden.
Nun waren sich, wie uns schien, die Initiatoren einer solchen Berufsordnung für den Handel darüber klar, daß die händlerische oder besser: kaufmännische Betätigung einiges andere voraussetzt als etwa die handwerkliche Betätigung, die ja aus
der Produktion kommt und bei der technische Fertigkeiten und Kenntnisse unbedingt erforderlich sind. Der Einzelhandelskaufmann dagegen muß in jedem Fall kaufmännische Grundsätze beherrschen und kann im übrigen mit der Beherrschung der kaufmännischen Grundsätze wohl schlechthin jeden Handel betreiben ohne Rücksicht auf die Warengattung oder den Warenkreis, dem er sich zuwenden will. Eine Spezialausbildung als Kaufmann kann es — Gott sei Dank — nicht geben. Daß von gesundheitspolitischen Erwägungen her bei Lebensmitteln durch ein besonderes Lebensmittelgesetz — das wir ja haben und das reformiert werden soll — bestimmte Sicherungen und Vorkehrungen getroffen werden sollen, daß beispielsweise besondere Bestimmungen den Verkauf von Milch oder den Verkauf von Fischen regeln sollen, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber das geschieht in einem Spezialgesetz, das in keiner Weise den Personenkreis berührt, der kaufmännische Tätigkeit im Einzelhandel ausüben will.
In diesem § 7 taucht nun nochmals solch ein Relikt, solch ein Überbleibsel der Warenkreis-Vorstellung auf. Man könnte sich zur Not — ich sage: zur Not — noch mit einer gewissen Voraussetzung, nämlich Sachkunde, einverstanden erklären. Es gibt keinen Streit darüber; wir alle miteinander sehen für die Berufsausübung, gleichgültig wo, eine ordentliche Berufsausbildung als Voraussetzung an. Das ist wieder ein anderes Problem.
Wir sollten aber in einem solchen Gesetz nicht noch zusätzlich Fachkunde für bestimmte Warengattungen verlangen. In Briefen, die uns geschrieben wurden, hieß es wiederholt, daß man eine Sachkunde haben wolle. Diese Leute verwechseln Sachkunde und Fachkunde. Die Sachkunde umfaßt die kaufmännische Ausbildung als Einzelhandelskaufmann oder Bankkaufmann oder Industriekaufmann. Die Fachkunde ist die Kenntnis, bezogen auf die einzelne spezielle Ware, die sich jeder im Verlauf seiner Berufstätigkeit, wenn er nicht ein außergewöhnlich hohes Risiko eingehen will, so oder so aneignen muß. Für den Schutz der Bevölkerung sind, wie ich schon sagte, spezielle Gesetze vorhanden.
— Verzeihung, das können Sie hier ja noch viel weniger. Dazu werden wir aber erst in der dritten Lesung etwas sagen.
In den § 7 ist nun wieder die Fachkunde hineingekommen, und zwar für den Lebensmitteleinzelhandel — eine Sache, die ins Lebensmittelgesetz gehört — und für die Arzneimittel und Drogen. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß wir uns vor Jahr und Tag bei der Einbringung des Apothekengesetzes nach dem Arzneimittelgesetz erkundigt haben. Nun, wir haben das Arzneimittelgesetz noch nicht; aber wir haben immer noch die alte Verordnung von 1901, auf Grund deren der ganze Verkehr mit Arzneimitteln und Drogen geregelt ist.
Es bestehen auch, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, die Sie dieses Gesetz mit mehr oder weniger sanfter Gewalt als Wahlspeck wollen, rechtliche Bedenken.
- Daß Sie es jetzt, fünf Minuten vor Toresschluß, habe ich gesagt, noch wollen! Sie wissen genau, welche Unzulänglichkeiten auch in rechtlicher Beziehung dieses Gesetz enthält.
Also die Spezialgesetze sind vorhanden. Die Kaiserliche Verordnung von 1901 ist nach wie vor in Kraft, damit arbeitet das Innenministerium, damit arbeitet das Wirtschaftsministerium; sie arbeiten im Einvernehmen. Das Lebensmittelgesetz existiert, die Novelle noch nicht; aber auf der Grundlage des Lebensmittelgesetzes werden alle den Einzelhandel mit Lebensmitteln betreffenden Fragen geregelt werden müssen und können. Es lassen sich also rechtliche Bedenken gegen die Überschneidung dieser Bestimmungen erheben.
Hinzu kommt: Wenn man überhaupt den Grundsatz einer gesetzlichen Regelung aus Gründen der Rechtsvereinheitlichung — wie von den Antragstellern behauptet worden ist — vertritt, nämlich den Grundsatz, daß einheitliche Zulassungsvoraussetzungen für die Ausübung ,des Einzelhandels geschaffen werden müssen, kann man es nur bei den in der Person begründeten Voraussetzungen belassen, also der ursprünglich darin enthaltenen Voraussetzung der Sachkunde. Man darf nicht zusätzlich die Fachkunde hinzufügen. Tut man das, so bevorrechtigt man denjenigen, der diese zusätzliche Fachkunde mitbringt. Der Lebensmitteleinzelhändler darf ohne weiteres in jede andere Warengattung einsteigen; umgekehrt darf aber der Einzelhändler, der an sich auch nach diesem Gesetz die Voraussetzungen für die Betätigung im Einzelhandel mitbringt, nicht in den Lebensmittelhandel einsteigen. Das ist wieder so eine inkonsequente Haltung in bezug auf die gleiche Behandlung unserer Staatsbürger, die man doch nach dem Grundgesetz erwarten darf.
Das ist der entscheidende Grund, weshalb wir in § 7 Abs. 3 die Sätze 2 und 3 gestrichen, d. h. die Warenkreise wieder herausgebracht wissen wollen.
Im Grunde bezieht sich, Herr Präsident, das, was in Ziffer 3 und Ziffer 4 gesagt ist, auf den gleichen Komplex, so daß die soeben gegebene Begründung auch für die Ziffern 2, 3 und 4 gilt.
— Schönen Dank, daß Sie mich ,darauf aufmerksam machen! Es ist ein Druckfehler; es muß heißen: „10 a". Dieser Druckfehler war mir bis zur Stunde entgangen. Es muß also in Ziffer 4 heißen:
In § 10 a wird Satz 2 gestrichen.
Dieser bezieht sich auf den gleichen Komplex, nämlich auf die beeiden Warenkreise.
Ich habe allerdings nach der Abstimmung, die soeben zu § 1 Abs. 3 vorgenommen worden ist, wenig Hoffnung, daß Sie den Gründen, die wir vorgetragen haben, irgendwie zugänglich sein werden. Ich bitte trotzdem noch einmal, in den paar Minuten, die bis zur Abstimmung zur Verfügung stehen, zu bedenken, daß man sich zwar in bezug auf das Erfordernis der Sachkunde verständigen kann, daß aber ein Hereinbringen des Erfordernisses der Fachkunde — sprich: Warenkreise — zu ungerechtfertigten Bevorzugungen oder Benachteiligungen bestimmter Personenkreise führt und deshalb das Erfordernis der Fachkunde in diesem Gesetz nicht verantwortet werden kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich stelle die Begründung des Antrags Umdruck 1278 einen Moment zurück; denn es könnte ja doch sein, daß der Antrag Umdruck 1253 Ziffer 2 angenommen wird, und dann wird der Antrag Umdruck 1278 obsolet.
Zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Schoettle das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Gesetz bedeutet doch im Bereich der marktwirtschaftlichen Ordnung, die wir haben, eine bemerkenswerte Durchbrechung des Systems,
für das Herr Bundeswirtschaftsminister bei jeder Gelegenheit eine Lanze bricht. Ich finde es bei einem Blick auf die Regierungsbank außerordentlich merkwürdig, daß weder der Herr Bundeswirtschaftsminister, in dessen Bereich sich diese Geschichte abspielt, noch sein Staatssekretär hier ist. Ich beantrage die Herbeirufung des Herrn Bundeswirtschaftsministers.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Schmücker!
Es liegt daran, daß wir vorher keine allgemeine Aussprache gehabt haben. Sonst müßte Ihnen ¡bekannt sein, daß das Hauptanliegen dieses Gesetzes die Aufhebung der Rechtszersplitterung auf dem Handelsgebiet ist. Tatsächlich ist es so, daß wir in sieben Ländern Gesetze haben, die demgegenüber wesentliche Einschränkungen enthalten, so daß wir mit diesem Gesetz den Grundsätzen der Freiheit erst mal zum Durchbruch verhelfen. Ich glaube, nach diesen Ausführungen ist Ihr Antrag überflüssig geworden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, es ist der Antrag auf Herbeirufung des Bundeswirtschaftsministers gestellt worden.
— Lassen Sie mich bitte sprechen! § 46 unserer Geschäftsordnung gibt jedem Abgeordneten das Recht, jederzeit einen derartigen Antrag zu stellen. Er muß allerdings von 30 anwesenden Abgeordneten unterstützt werden. Ich frage: Wird der Antrag von 30 Abgeordneten unterstützt? — Das ist der Fall. Dann entscheidet das Haus mit Mehrheit. Ich komme also zur Abstimmung über den Antrag. Wer dem Antrag, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister herbeigerufen wird, zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Sache zurück. Das Wort hat der Abgeordnete Meyer-Ronnenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir könnten ja den Überlegungen unseres Kollegen Lange zustimmen, der behauptete, daß allgemeine Fachgruppenunterteilungen in ein Gesetz für einen einzelnen Beruf nicht hineingehören. Aber bezüglich des Faches Lebensmittel glauben wir diese Ausnahme verantworten zu können. Denn wenn wir schon ein Lebensmittelgesetz machen, das Gebiet also von der Materie aus behandeln, dann ist es wohl auch gerechtfertigt, etwas auf den Personenkreis zu achten, der sich mit dieser Materie befaßt. Die Angehörigen dieses Personenkreises müssen sich schon innerhalb ihres kleinen Geschäftes mit sehr vielen Materien befassen. Ich darf einmal darauf hinweisen, daß ein kleiner Lebensmitteleinzelhändler, von dem wir zur Zeit keine besondere Vorbildung verlangen, sich mit einem halben Dutzend Gesetzen befassen und sie genau befolgen muß, soweit sie nur den Verkauf der Waren betreffen. Das setzt eine gewisse Grundbildung voraus. Diese Grundbildung soll sich nicht auf allzu spezifische Dinge erstrecken, sie soll aber eine bescheidene Grundlage hinsichtlich der fachlichen Ausrichtung sein.
Daher möchte ich bitten, den Antrag der SPD, der auf Ausklammerung der Lebensmittelsonderbestimmungen hinzielt, abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn hier 'gesagt wird: wir glauben es verantworten zu können, daß für denjenigen, der Einzelhandel mit Lebensmitteln treiben will, zusätzliche Fachkenntnisse verlangt werden, — mit welchem Recht? Politisch können Sie es verantworten. Das ist aber kein Argument. Sie wollen es, deshalb schreiben Sie es ins Gesetz hinein. Aber hier geht es zunächst um die sachliche Rechtfertigung eines solchen Arguments.
Von der Sache her ist diese Forderung einer zusätzlichen Fachkunde für denjenigen, der Einzelhandel mit Lebensmitteln betreiben will, nicht gerechtfertigt, weil Sie damit den Lebensmitteleinzelhändler gegenüber allen anderen Einzelhändlern bevorzugen und andererseits alle anderen Einzelhändler gegenüber dem Lebensmitteleinzelhändler benachteiligen. Der Lebensmittelhändler kann Möbel aufnehmen. Aber der Möbelhändler kann nach diesem Gesetz keine Lebensmittel aufnehmen. Er muß dann zusätzlich den Nachweis der Fachkunde erbringen, er muß also noch eine zusätzliche Prüfung machen. Das ist eine nach unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu rechtfertigende Benachteiligung der einen und Bevorzugung der anderen.
Das, was Sie von der Sache, von der Warengattung her wellen, gehört in das die Ware betreffende Gesetz und nicht in das die Person betreffende Gesetz. Das ist doch ,der entscheidende Punkt dabei.
Mir ist auch klar, daß es schwierig ist, wenn die Mehrheitsfraktion das Gesetz will, fünf Minuten vor Schluß dieses Parlaments noch mit Gründen der Vernunft oder .der Logik zu versuchen, hier eine Meinungsänderung herbeizuführen, besonders wenn man glaubt, daß bestimmte politische Dinge daran hängen können. Aber hier ,sollte man wirklich einmal politische oder sonstige Erwägungen einfach an die Seite stellen und in der Tat von der Sache her an die Geschichte herangehen. Zufällig sitzt der Abgeordnete Lübke da unten. Vielleicht kann er sich einmal .auch in seiner Eigenschaft als Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu diesem Komplex äußern,
weil das, was vom Standpunkt der Volksgesundheit in bezug auf Einzelhandel mit Lebensmitteln zu sagen ist, insoweit also nicht von der Person aus zu begründen ist, auch sein Interesse finden dürfte. Eine ganz andere Sache ist es, wenn einer schon einmal einschlägig wegen Milchpanscherei vorbestraft ist. Milchpanscherei ist verboten. Dem Betreffenden kann man keinen Milchhandel anvertrauen. Das ist völlig klar. Oder nehmen wir an, daß einer Lebensmittel verfälscht hat und dafür schon vorbestraft ist Dem muß man natürlich nicht nur den Lebensmitteleinzelhandel verbieten, sondern dem kann man vermutlich überhaupt eine händlerische Betätigung nicht mehr zugestehen, weil auf Grund der Versuche, sich ungerechtfertigt zu bereichern, die mit solchen betrügerischen Absichten verbunden sind, zu vermuten ist, daß er das auch in anderen Branchen so machen wird. Insofern sind ganz allgemeine Voraussetzungen zur Gewerbeausübung in der Person festzulegen — an ganz anderer Stelle als in diesem Gesetz — oder, wenn wir von einem Gesetz über die Berufsausbildung im Einzelhandel reden, ganz allgemeine Grundsätze aufzustellen, aber nicht diese die Fachkunde betreffenden. Insofern würde ich gern den Minister und nicht den Abgeordnetenkollegen am Rednerpult sehen. Ich möchte Sie bitten, Herr Lübke, sich einmal au diesen Fragen zu äußern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Lange hat soeben gesagt, daß hier mit sachlichen Argumenten argumentiert werden solle, und damit nun keiner von Ihnen der Aufforderung nachkommt und jetzt versucht zu sagen, daß es ihm doch um die Sache gehe, möchte ich Sie daran erinnern, wie Sie sich heute bei unserem Antrag, das Lebensmittelgesetz auf die Tagesordnung zu setzen, verhalten haben. Sie sagen: Wir müssen doch die Verbraucher schützen; bei Lebensmitteln muß man natürlich einen sehr viel strengeren Maßstab anlegen. — Daß es sich .aber nur .darum handelt, die Konkurrenz einzuschränken, darüber sind wir uns alle völlig im klaren; daß es sich nur darum handelt, irgendwelche Erschwerungen des Wettbewerbs — —
— Das müssen Sie wissen, gerade wie Sie gebaut sind!
— Ja, Sie wissen besser, was Sie sagen!
— Natürlich! Sie haben sogar recht. Sie wissen ja noch Ihren berühmten Ausspruch von den sachlichen Argumenten, und daß da die politische — — na, Sie wissen, was ich meine.
Wenn es Ihnen wirklich um den Schutz des Verbrauchers ginge, wenn Sie wirklich der Meinung wären, mit Lebensmitteln müsse so vorsichtig umgegangen werden, daß es notwendig sei, die Kaufleute einer besonderen Ausbildung zu unterziehen, dann hätten Sie sich in erster Linie für die höchst dringende Reform des Lebensmittelgesetzes mit einsetzen müssen.
Aber weil Ihnen in Wirklichkeit gar nichts daran liegt, sondern weil Sie bei ein paar Leuten den Eindruck 'erwecken wollen, als täten Sie etwas für sie — in Wirklichkeit bedeutet das Gesetz gar nichts —, deswegen versuchen Sie hier, auf eine billige Weise wegzukommen.
Sie haben es dem Bundeswirtschaftsminister erspart, hierherzukommen, obwohl eigentlich jede Koalitionspartei stolz darauf sein sollte, ihren Wirtschaftsminister zu zeigen, obwohl eigentlich jede Regierungspartei jede Gelegenheit dankbar begrüßen sollte, mit ihrem Wirtschaftsminister ein bißchen Parade zu machen. Wir hätten ihn gerne gefragt, wie sich das, was Sie sich hier vorstellen und was Sie heute erstreben, mit ,all dem vereinbart, was hier gestern mit so großartigen Reden über Wettbewerbswirtschaft, über die Freiheit in der Wirtschaft usw. gesagt worden ist. Daß der Bundeswirtschaftsminister darauf keine vernünftige Antwort geben kann, wissen wir auch. Er ist nun einmal in der zweifelhaften Lage, daß er so etwas propagiert und daß Sie mit ihm eine andere Politik machen, daß Sie andere Interessen durchsetzen. Das wollte ich Ihnen einmal gesagt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Lübke das Wort — wobei ich es dem Herrn Abgeordneten überlasse, das zu sagen, was er sagen wollte, wenn ich es ihm als Minister gegeben hätte; er hat sich aber vom Abgeordnetenplatz aus gemeldet, und deshalb: Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann es sehr kurz machen.
Herr Kollege Lange, ich darf Ihnen sagen, daß ich seit Anfang meiner Zeit — 1947 — als Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Düsseldorf genau das gefordert habe, was in diesem Gesetz vorgeschlagen worden ist.
— Sehen Sie mal, so ist das: wenn einer dumm, ist, dann verhärtet sich das mit den Jahren noch, daran können Sie nichts machen. Es ist ja auch von der Opposition aus viel leichter zu erkennen als von der Regierungskoalition.
Wir haben gerade im Lebensmitteleinzelhandel in den Jahren der Bewirtschaftung sehr betrübliche Erfahrungen ,gemacht. Ich habe immer gesagt, man muß erstens eine Qualifikation vom Menschlichen her haben, zweitens aber auch die Fachkunde, um wirklich Lebensmitteleinzelhändler sein zu können.
Wenn Sie auf die Gesundheit der Konsumenten anspielen, muß ich Ihnen sagen: Gerade dieses Gesetz enthält Bestimmungen, die dem Schutz der Gesundheit dienen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Da hier so viel von der Gesundheit die Rede ist und von ,der Wichtigkeit, das alles zu kontrollieren, ist es vielleicht auch einmal ganz gut, etwas über ,die Anstrengungen zu sagen, mit denen die Gesundheit geschützt wird und wie die Räuber verfolgt werden.
Ich habe mich ein bißchen zu schnell zu Wort gemeldet; ich wäre gern erst noch einmal in mein Zimmer hinaufgegangen, um Ihnen die Abschrift eines Briefes eines Landesernährungsamtes zu holen.
— Ich weiß, so etwas sind peinliche Sachen! — In dem Brief wird den beteiligten Molkereien mitgeteilt — diesmal dreht es sich gerade nicht um die Bonner Molkerei; was die für Schweinereien gemacht hat, haben Sie in den Zeitungen lesen können; hoffentlich ist Ihnen dabei der Appetit auf Milch nicht vergangen! —, daß der zuständige Kontrolleur einen Angestellten einer Molkerei dabei betroffen hat, wie er einen Butterwürfel, so ein Probeexemplar zur Qualitätsbestimmung, für eine ,andere Molkerei fertigmachte, die an dem Tage leider nicht im Besitze solcher Butter war, die sie hätte vorzeigen können. Wegen der besonderen Umstände des Falles wurde von einer Bestrafung abgesehen.
Wer ein bißchen über Lebensmittelfälschungen Bescheid weiß und über die Kontrollen, die dort vorgenommen werden, wer weiß, wie wenige wirkliche Anstrengungen gemacht werden, um solchen Leuten das Handwerk zu legen, gegen die wir uns gemeinsam wenden sollten, für den sind alle Beteuerungen, hier gehe es um den Schutz des Konsumenten, hier müßten wir besondere Ausbildungsmaßstäbe haben, hier müßten wir Fachkunde vorschreiben, wirklich nur leere Worte, hinter denen sich etwas anders verbirgt. Ich habe Ihnen schon gesagt, was: die Angst vor der Konkurrenz!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lübke oder Herr Minister Lübke — wie Sie wollen —, ich habe mit Interesse Ihre Erklärung zur Kenntnis genommen, genau das, was in diesem Gesetz stehe, hätten Sie schon in Ihrer Eigenschaft als Minister für Ernährung und Landwirtschaft in Nordrhein-Westfalen gefordert. Ich hatte bisher immer die Auffassung, daß Sie von der Sache — sprich: von den Lebensmitteln — her solche Voraussetzungen gefordert haben. Dann haben Sie sie mit Recht gefordert. Wenn Sie aber sagen, Sie hätten das genauso gefordert, wie es hier in diesem Rahmen enthalten ist, dann ist es, muß ich sagen, überhaupt eine völlig unmögliche Haltung zur Sache. Das hat nichts mit Ihrer Feststellung zu tun, die die von uns aus leichter erkennbare Verfassung betrifft, sondern es hat etwas damit zu tun, daß dieses Gesetz auf Personen angewandt wird, ein Gesetz dagegen, das die Fachkunde betrifft, auf Sachen anzuwenden ist.
Sache und Person soll und muß man trennen. Wenn Sie aber glauben, das nicht tun zu können, dann, Herr Kollege Lübke, hätten Sie mit Ihren Kollegen der CDU/CSU-Fraktion eigentlich nur eine Konzessionierung des Lebensmittelhandels fordern dürfen. Dann hätte es vielleicht noch einen Schein der Berechtigung gehabt, wenn Sie so wie eben argumentierten. Ansonsten halte ich es für eine völlig unmögliche Sache, in diesen Rahmen zwei Warenkreise aufzunehmen mit den Folgen der Benachteiligung und der Bevorzugung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 1253 Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Abgelehnt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Dittrich zur Begründung des Antrags Umdruck 1278.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wußte offengestanden gar nicht, daß das Gesetz über die Berufsausübung im Handel einen so heftigen, energiegeladenen Streit für und gegen mit sich bringen würde. Ich glaubte, die Materie als solche biete keinen Anlaß, mit solcher Heftigkeit wie hier zu kämpfen.
Der Antrag Umdruck 1278, den ich zu begründen habe, ist nur von verhältnismäßig geringer Bedeutung. Im § 7 Abs. 3 und ebenso in den §§ 8 Abs. 2 und 10 a sollen die Worte „— ausgenommen aus amtsärztlich kontrollierten Drogenschränken —" gestrichen werden. Ich darf das kurz begründen.
Die Bestimmungen im Gesetz über die Berufsordnung des Handels sehen Ausnahmen bezüglich der Erlaubnis beim Handel mit Arzneimitteln vor. Dem ist ohne Zweifel zuzustimmen. Es ist nur die Frage — hier hat der Kollege Lange schon etwas anklingen lassen —, ob diese Festlegung in diesem Gesetz zur Berufsausübung im Handel erforderlich ist, d. h. ob hier die sedes materiae ist, oder ob nicht die Kaiserliche Verordnung über den Verkehr mit Arzneimitteln aus dem Jahre 1901 diese Bestimmungen schon enthält.
Übrigens sei auch noch angeführt, daß im Innenministerium ein Gesetzentwurf über den Verkehr mit Arzneimitteln im Werden ist. Ich möchte aber das alles einmal unberührt lassen.
Fest steht jedenfalls, daß das Erfordernis einer Erlaubnis für den Handel mit Arzneimitteln schon
aus Gesundheitsgründen zu bejahen ist. Arzneimittel sind ein Lebensbedürfnis besonderer Art; sie dürfen nur mit Sachkunde gehandhabt werden. Es ist unmöglich, beim Handel mit Arzneimitteln Ausnahmen irgendwelcher Art zuzulassen. Ich meine, zu diesen Ausnahmen gehören auch die amtsärztlich kontrollierten Drogenschränke. Ich glaube, daß damit die Pflicht zur Erlangung einer Erlaubnis für den Handel mit Arzneimitteln durchlöchert werden könnte, ja geradezu umsonst vorgesehen wäre, ganz abgesehen davon, daß wir dem künftigen Gesetz über das Arzneimittelrecht vorgreifen würden, wenn wir hier einen solchen Passus einsetzten.
Ich bitte Sie deshalb — ich glaube, meine Begründung hat Sie überzeugt —, diesen Zwischensatz in § 7 Abs. 3 „ausgenommen aus amtsärztlich kontrollierten Drogenschränken" zu streichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat der Abgeordnete Elbrächter.
Dr. Elbrächter : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, dem Kollegen Dittrich mitteilen zu müssen, daß mich seine Begründung absolut nicht überzeugt hat. Er hat zwar recht: es ist eine Durchbrechung des für den Arzneimittelhandel geltenden Prinzips. Aber man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.
Worum handelt es sich denn? Es ist seit Jahrzehnten üblich, daß auf den Dörfern gewisse Drogen, Tees, Haustees, die dort altbewährt sind — ob sie Erfolg haben oder nicht, sei hier gar nicht geprüft; die Bevölkerung verwendet sie, zum Teil natürlich auch mit gutem Erfolg, jedenfalls sind es im Grunde genommen harmlose Haustees —, von dem dort ansässigen Einzelhandelskaufmann aus Drogenschränken vertrieben werden. Es wäre völlig unsinnig, wenn man dies verbieten würde. Es wird damit niemand Schaden getan; denn auf den Dörfern gibt es keine Drogerien, wo die gleichen Erzeugnisse wie in der Stadt gehandelt werden. Es gibt meist auch keine Apotheken. Wir würden also der Dorfbevölkerung ganz einfach den Zugang zu diesen harmlosen, andererseits aber doch notwendigen Drogen versperren.
Ich möchte daher bitten, es bei der Ausschußfassung zu belassen und diesen Änderungsantrag abzulehnen. Der Änderungsantrag würde im Grunde genommen eine unnötige Einengung der von mir sonst für richtig gehaltenen Vorschriften mit sich bringen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 1278 — ich unterstelle, daß in den drei angezogenen Paragraphen dann diese Änderung vorgenommen würde und wir darüber nicht mehr abzustimmen brauchen — zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Präsidium ist sich nicht einig. Ich lasse nochmals abstimmen. Wer dem Antrag Umdruck 1278 zuzustimmen wünscht, erhebe sich bitte. — Gegenprobe! — Mit Mehrheit abgelehnt.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den § 7 in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung und vielen Gegenstimmen mit Mehrheit verabschiedet.
Ich rufe nunmehr § 8 mit dem Antrag Umdruck 1253 Ziffer 3 Buchstabe a auf. Herr Kollege Lange, kann ich unterstellen, daß Sie diesen Antrag vorhin mitbegründet haben; es ist wohl derselbe Sachzusammenhang, genau das gleiche Problem?
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 1253 Ziffer 3 Buchstabe a. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über § 8 in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Gegenstimmen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 8 a und dazu den Antrag Umdruck 1253 Ziffer 3 Buchstabe b auf. Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 1253 Ziffer 3 Buchstabe b zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über 8 a in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 9 und § 10 auf. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung. Wer den aufgerufenen Paragraphen in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. -
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 10 a auf, dazu den Antrag Umdruck 1253 Ziffer 4. Er betrifft ebenfalls das bisher behandelte Problem? — Jawohl. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 1253 Ziffer 4 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer § 10 a in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! -Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf die §§ 11. — 11 a. — 11 b, — 12, —13, — Einleitung und Überschrift. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall; ich schließe die Aussprache.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe die Verhandlungen dadurch abzukürzen, daß ich mich sofort zu Wort gemeldet habe. Hätte ich nach Ihnen gesprochen, Herr Lange, so würden Sie sich sicher noch einmal zu Worte gemeldet haben. Ich will versuchen, etwaige Einwände jetzt mit zu erledigen.
Wir haben uns im Ausschuß Mühe gegeben — wir sind ja nicht nur Parlaments-, sondern auch Berufskollegen —, einen fairen Kampf zu führen. Das sind wir so gewohnt. Es ist keine gute Sache, Herr Kriedemann, wenn Sie jetzt hier den Argumenten und Auffassungen der anderen Seite unlautere Beweggründe unterstellen. Sie müssen unseren Standpunkt respektieren, wie ich auch Ihren Standpunkt respektiere. Der Herr Ernährungsminister hat Ihnen — nach meiner Meinung — doch klargemacht, daß man unseren Standpunkt zumindest auch haben kann. Sie sollten also in Ihren Vorwürfen nicht so weit gehen.
Es wird behauptet, dieses Gesetz sei ein Schutzgesetz. Wenn es das wäre, würde ich mich dagegen aussprechen. Ich erinnere daran, daß wir in der Bundesrepublik siebenerlei Recht für die Berufsausübung im Handel haben; das muß vereinheitlicht werden. In einigen Ländern haben wir Zustände, die untragbar sind. Da wird noch jeder Schneider, der einen Schlips verkauft, angezeigt, und jeder Papierhändler, der Fotos verkauft, muß mit einer Strafe rechnen. Das ist beispielsweise im Lande Niedersachsen so, und jenes Gesetz wurde erlassen, als Ihr Parteifreund Hinrich Kopf noch unser Landesvater war.
Ich bin ebenfalls gegen ein Zulassungswesen, auch wenn es sich um akademische Berufe oder den halbstaatlichen Bereich der Sozialversicherung handelt. Leider haben wir von der anderen Seite, die uns sonst immer vorwarf, wir seien nicht freiheitlich genug, keine Unterstützung bekommen.
Herr Lange, ich bin mit Ihnen der Meinung, daß man diese Materie sowohl in der Gewerbeordnung als auch in einem Berufsgesetz regeln kann. In den meisten Ländern haben wir Berufsgesetze. Sie haben uns gegenüber immer wieder geäußert, bei einem Berufsgesetz befürchteten Sie berufsständische Tendenzen. Das tun wir nicht. Wir sind der Meinung, daß gegen eine berufsständische und berufspolitische Arbeit nichts einzuwenden ist, solange sie sich innerhalb der Berufe hält. Sobald sie darüber hinausgeht, glauben auch wir, daß sie vom Übel ist. Wir fürchten aber keine berufsständischen Tendenzen, sondern ganz im Gegenteil, wir unterstützen sie.
Von einem Ordnungsgesetz kann bei dieser Vorlage überhaupt keine Rede sein; denn dieses Gesetz enthält keinerlei Zulassungsbestimmungen, keinerlei Selbstverwaltungsbestimmungen; es ist ein Berufsausübungsgesetz.
Das wichtigste Anliegen — das sage ich als drittes — ist eben, daß wir die unterschiedlichen Ländergesetze auf einen Nenner bringen. Es sind Befürchtungen geäußert worden, daß vom Bundesrat sehr starke Widerstände kommen könnten. Nun, meine Damen und Herren, diese Widerstände kommen von den Referenten der Länder, die untereinander gegensätzliche Auffassungen haben. Herr Kriedemann, hier haben wir den typischen Fall, wo der Politiker dafür zu sorgen hat, daß die Sachverständigen, die aus einander widerstreitenden Gründen zu einer Mehrheit kommen könnten, keinen Unsinn machen.
Ich möchte viertens sagen, daß dieses Gesetz lediglich Vorschriften über Mindestvoraussetzungen gibt, die erfüllt sein müssen, um im Handel tätig werden zu können. Gleichwertige oder höherwertige Prüfungen sind mit erwähnt worden. Des weiteren gibt es die Möglichkeit, ohne Prüfungen im Handel tätig zu sein.
Ich glaube wirklich, daß dieses Gesetz ein sehr großer Fortschritt gegenüber dem bestehenden Recht ist. Wären wir Anhänger einer Schutzpolitik, dann würden wir unsere Argumente auch aus dem sozialpolitischen Bereich holen und von Wahrung des Besitzstandes und ähnlichen Dingen reden. Aber das wollen wir nicht. Wir wollen das unterschiedliche Recht, das in der Bundesrepublik besteht, vereinheitlichen. Wir wollen, daß ein lauterer Wettbewerb entsteht, und dieser lautere Wettbewerb ist zwischen fach- und sachkundigen Leuten nicht nur gut möglich, sondern besser möglich; dafür haben wir viele Beispiele.
Ich darf zum Schluß noch einmal sagen — ich schließe mich dabei der Argumentation des Herrn Ernährungsministers an —: wir müssen bezüglich der Lebensmittel eine Ausnahme machen, weil das Waren sind, die für die Gesundheit wichtig sind. Ich glaube, daß diese Ausnahme dem Verbraucher oder, ich sage lieber, dem Kunden dient.
Es braucht keiner der Meinung zu sein, daß wir eine Art Schutzgesetz machen wollten. Wenn einer denkt, daß man mit Schutzgesetzen den gewerblichen Mittelstand retten könne, kann auch ich ihm nur sagen: er irrt. Wir brauchen dem Mittelstand nur die Möglichkeit zur Leistungssteigerung zu geben; dann muß er in den Wettbewerb hinein und sich behaupten. Ich bin der Meinung, daß er das kann und auch tun wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist soeben gesagt worden, es sei Sache der Politiker, in einem solchen Fall dafür zu sorgen, daß die Fachleute unter einen Hut oder ihre einander widerstreitenden Argumente auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Und mir ist insbesondere der Vorwurf gemacht worden, ich hätte etwas unterstellt.
Ich unterstelle gar nichts. Ich bin mir völlig klar darüber, daß es Interessenlagen, sehr unterschiedliche Interessenlagen gibt. Man muß es sich nur gefallen lassen, daß man auf die Interessenlage angesprochen wird. Meiner Meinung nach ist es nun einmal ein Schutzgesetz, und Sie werden mir nicht ausreden können, auch wenn Sie darauf verzichten, die Argumente aus dem sozialpolitischen Bereich zu holen, daß es sich doch um die Wahrung eines Besitzstandes handelt.
Herr Kollege Schmücker, was soll ich Ihnen weiter sagen? Sie werden ohnehin in die Geschichte des neueren deutschen Parlamentarismus mit Ihrer klassischen Formulierung eingehen, daß noch so viele sachliche Argumente Sie von einer vorgefaßten politischen Meinung nicht abbringen können.
Und ich glaube, keinem steht es so an wie Ihnen, so zu argumentieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort in der Generalaussprache weiter gewünscht? — Herr Abgeordneter Lange.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre ja schön, wenn man allein mit seiner Fraktion die Beschlüsse des Hauses fassen könnte. Sie können es ja eigentlich in der Tat, weil Sie die Mehrheit haben; aber Sie müssen uns immerhin noch gestatten, unsere Meinung zu den Dingen zu sagen. Da nützt es Ihnen auch nichts, Herr Illerhaus, wenn Sie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Uns ist die Sache wichtig genug, um auch von der grundsätzlichen Seite her unsere Meinung zu sagen.
Sie werden sich erinnern, wie wir Ihnen im Ausschuß immer wieder zugestanden haben, daß die Berufsausübung von gewissen Voraussetzungen abhängig sein solle. Ich beziehe das jetzt nicht auf den Handel, sondern meine das ganz allgemein. Ich erkläre noch einmal, daß zusätzlich zu den Voraussetzungen von der Sache her, wie wir sie schon in der Gewerbeordnung kennen, möglicherweise auch Voraussetzungen von der Person her gegeben sein müssen, wo das aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses erforderlich scheint, d. h. zum Schutze Dritter, wo also Gesundheit und Leben Dritter gefährdet sind; ich nenne Nachbarschutz und ähnliches.
Ich darf weiter darauf hinweisen, daß wir eigentlich von jeher — auch im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die Handwerksordnung, um die damalige Novelle zur Gewerbeordnung — die Auffassung vertreten haben, daß wir ein dem gegenwärtigen Stand von Technik und Wirtschaft entsprechendes Berufs- und Gewerberecht brauchen. Wir haben Gesetzen, die in der Tendenz dieser Auffassung nicht zuwiderliefen, unsere Zustimmung gegeben; nehmen wir das jetzt vom Bundesrat aus ganz ,anderen Gründen abgelehnte Ingenieurgesetz. Diese Gesetze paßten in den Rahmen eines solchen allgemeinen Gewerbe- und Berufsrechts hinein.
In der ersten Legislaturperiode hat das Haus einstimmig einen Beschluß gefaßt, mit dem wir die Bundesregierung aufgefordert haben, eine Neukodifikation der Gewerbeordnung entsprechend dem Stand von Technik und Wirtschaft vorzulegen. Nichts ist in den vier Jahren geschehen, obwohl man sich im Wirtschaftsministerium und Verkehrsministerium — auch in anderen Ministerien - über die Notwendigkeit der Neukodifizierung der antiquierten Gewerbeordnung im klaren gewesen ist. Aber der Bundesfinanzminister hat in seinen Haushaltsvoranschlägen auch nicht einen Pfennig für diese Aufgabe bewilligt; es wäre notwendig gewesen — bei all den Aufgaben, die das Ministerium ansonsten hatte —, mindestens eine zusätzliche Stelle zu schaffen, um einen Mann dafür von anderen Aufgaben, für die er auch sachverständig ist, freizustellen.
Wir sind nach wie vor der Auffassung, daß auch dieses Problem, vor das Sie uns mit Ihrem Initiativentwurf eines Gesetzes über die Berufsausübung im Handel gestellt haben, im Zusammenhang mit einer so neukodifizierten Gewerbeordnung als einem modernen Berufs- und Gewerberecht gelöst werden könnte. Wir sind in der Tat, Herr Schmücker, im Gegensatz zu Ihnen und Ihren Freunden der Auffassung, daß Sie dadurch, daß Sie zusätzlich Fachkunde gefordert haben, zusätzlich Benachteiligungen und Bevorzugungen bestimmter Gruppen schaffen; das muß ich immer wiederholen.
— Herr Burgemeister, das ist eine wunderbare Zwischenbemerkung, daß jeder die Möglichkeit hat, die Prüfung abzulegen! Natürlich hat jeder die Möglichkeit, diese Prüfung abzulegen, daran ist keiner gehindert; insoweit haben Sie völlig recht. Es ist nur so — jetzt sage ich es noch einmal —, daß der Möbelhändler keinen Lebensmitteleinzelhandel betreiben kann, ohne eine zusätzliche Prüfung abzulegen, daß aber der Lebensmitteleinzelhändler sehr wohl Möbelhandel betreiben kann, ohne eine zusätzliche Prüfung abzulegen.
— Ein großer Unterschied, jawohl! Als Beispiel nehme ich jetzt einmal unseren Tischler oder Schreiner; ich denke auch an die handwerkliche Qualitätsarbeit des Schreiners
— Moment! — und sogar an die gewerbliche Qualitätsarbeit schlechthin. Wie würde es der Kollege Tischlermeister oder der Leiter eines qualitativ hochstehenden industriellen Tischlereibetriebes beurteilen, wenn der Lebensmittelhändler Kuntz sich auf einmal auf den Möbeleinzelhandel stürzte, ohne die sachlichen und fachlichen Voraussetzungen mitzubringen? Der Mann würde sich mit Recht dagegen wehren, daß der Lebensmitteleinzelhändler mit seinem Warenkreis tun kann, was ihm mit dem Warenkreis des Lebensmitteleinzelhändlers verwehrt ist. Das ist doch eine völlig unmögliche Sache. Die Belastung des Gesetzes mit solchen Bestimmungen macht es uns unmöglich, ihm zuzustimmen.
Nun darf ich noch auf einige nette Sachen hinweisen, die sich ergeben haben. Sie haben den Ausschußbericht vor sich liegen. Da wird zur Begründung gesagt, oder mindestens hat es eine Mehrheit im Ausschuß gesagt, man wolle mit dem Gesetz verhindern — bitte einmal genau aufzumerken —, daß durch eine schrankenlose Gewerbefreiheit der Einzelhandel „mehr und mehr" zu einem Ausweichplatz und Versuchsfeld für gescheiterte Existenzen und unlautere Elemente werde.
Hier heißt es „mehr und mehr", so ist es in der Beratung im Ausschuß gesagt worden.
— Gewiß ist es so im Ausschuß gesagt worden! Man müßte jetzt eigentlich die Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels fragen. Ich weiß nicht, ob der Herr Schmitz, unser ehemaliger Kollege und immer noch Präsident der Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels, in seiner Organisation, so wie es hier heißt, mehr und mehr gescheiterte Existenzen und unlautere Elemente hat. Soweit ich Herrn Schmitz kenne, würde er sich mit Entschiedenheit gegen eine solche Begründung wehren. Wer eine solche Begründung für das Gesetz gibt, der gibt eine verteufelt schlechte Begründung!
Mit anderen Worten heißt das doch, daß der Handel überhaupt sehr anfällig ist, anziehend für moralisch nicht ganz stabile Elemente, für moralisch labile Kräfte in unserer Bevölkerung ist. Wer diese Begründung wählt, der will einfach nicht mehr wahrhaben, daß es quer durch die Bevölkerung, durch alle Berufsgruppen je nach der persönlichen Veranlagung solche labile Charaktere gibt.
Wenn man eine solche Begründung wählt, müßte man im Grunde für alle anderen Handelszweige Ähnliches fordern. Wir warten darauf, ob Sie es tun.
— Sie billigen den Satz auch nicht, aber er ist von einem der Antragsteller so gesagt worden, und darauf verweise ich. Das ist nach unserer Überzeugung eine schlechte Sache.
Herr Schmücker, Sie haben weiter gesagt: Wir wollen keinen Schutz, sondern in der Person liegende qualitative Voraussetzungen — also von der Berufsausbildung her — für die Ausübung des Einzelhandels als Beruf haben. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, jetzt wollen Sie ein solches Gesetz für den Einzelhandel schaffen. Ich erinnere an die noch nicht erledigte Novelle zur Gewerbeordnung, die unsere Kollegen von der damaligen Deutschen Partei — also noch nicht DP — eingebracht haben. Da wollte man eine Berufsordnung auch für die Leichenbestatter haben. Das hat man auch im Anschluß an die Gesetzgebung von 1953 in die Gewerbeordnung einbauen wollen.
Wenn man ohne zwingenden Grund — und ein zwingender Grund besteht nicht - jetzt ein solches Gesetz verabschiedet, weckt man zweifellos die Begehrlichkeit auch anderer Berufsgruppen, die glauben, durch entsprechende Bestimmungen, nach denen es erst einer Erlaubnis bedarf, einen numerus clausus schaffen zu können; denn es ist ganz eindeutig — nicht zuletzt nach ,den Erwartungen, die die Leute draußen haben, denen ein solches Gesetz versprochen worden ist —, daß das Gesetz diesem Zweck dienen soll.
— Ich billige das niedersächsische Gesetz nicht, auch wenn zu der Zeit, als es erlassen wurde, mein Parteifreund Hinrich Kopf der liebenswerte Landesvater unseres Kollegen Schmücker gewesen sein sollte. In der Frage der Berufsausübung ist unser Standpunkt eindeutig, daß die Vermutung, wie auch vorgestern beim Kartellgesetz ausgeführt, zuerst für die Freiheit spricht.
Das ist unsere einheitliche Auffassung; wir sind ja mittlerweile auch ein paar Jahre weiter.
Ich knüpfe nun wieder an den Gedanken an, den ich soeben zu entwickeln begonnen habe. Wenn man berücksichtigt, daß bei den Leuten, die auf dieses Geestz warten oder denen man es versprochen hat, im Grunde genommen die Vorstellung vorhanden ist, dieses Gesetz verhindere, daß weitere Wettbewerber in den Einzelhandel hineinkommen, kann man nur sagen: Diese Leute haben sich doch geirrt.
Man hat doch vielfach ein solches Gesetz wie dieses mit der Begründung gefordert, man habe mit dem Einzelhandelsschutzgesetz gute Erfahrungen gemacht. Das Einzelhandelsschutzgesetz ist ein Gesetz, das aus der Nazizeit stammt. Zwar ist mit Recht eingewandt worden, daß es schon vorher fertig gewesen sei; aber bitte, das Einzelhandelsschutzgesetz ist in einer Zeit entstanden, in der man auf Grund der Krise in der Wirtschaft versuchen wollte, einen bestimmten Besitzstand zu wahren.
Nun haben Sie, Herr Schmücker, vorhin ausdrücklich gesagt: wir wollen keinen Besitzstand wahren. Sie wollen nicht; Sie wissen aber genau, daß die Leute draußen, die angeblich — das sage ich noch einanal - auf dieses Gesetz warten, in ihrer Vorstellung damit die Hoffnung verbinden, der Besitzstand könne gewahrt werden. In Wirklichkeit kann er eben nicht gewahrt werden. Insofern wird also mit diesem Gesetz, wenn Sie wollen, Sand in die Augen gestreut; man kann es auch als weiße Salbe bezeichnen.
Eine zwingende Notwendigkeit zur Verabschiedung dieses Gesetzes kann von uns nicht anerkannt werden. Wenn sich möglicherweise eine entsprechende Regelung als notwendig erweisen sollte, wünschen wir sie, wie vorhin schon angedeutet, in einer neu kodifizierten Gewerbeordnung, also in einem umfassenden Berufs- und Gewerberecht.
Wir führen noch einen dritten Grund dafür an, warum dieses Gesetz für uns nicht annehmbar ist. Er läßt sich schlicht und einfach in die Worte „die mit diesem Gesetz verbundene Verwaltungsmehrarbeit" zusammenfassen. Diese Verwaltungsmehrarbeit wird entstehen, und das steht im Gegensatz zu der im Hause immer wieder und nicht zuletzt in den Reihen Ihrer eigenen Fraktion geforderten Verwaltungsvereinfachung. Wenn ich jetzt einmal all die sachlichen und im Hinblick auf die Einheitlichkeit bis zu einem gewissen Grade politischen Überlegungen zurückstelle, bleibt doch dieses Moment der Verwaltungsmehrarbeit für die Länder, die ja dieses Gesetz durchführen müssen, immer noch bestehen.
Ich habe Ihnen die drei Gründe genannt, die uns veranlassen, das Gesetz nicht anzunehmen. Wir hätten es viel lieber gesehen, wenn Sie, statt den Versuch zu machen, falsche Hoffnungen durch einen unzulänglichen Gesetzentwurf zu wecken, sich mit uns darum bemüht hätten, insgesamt zu einer vernünftigen Neugestaltung des Berufs- und Gewerberechtes zu kommen.
Bitte, wenn wir das heute nicht können — und wir können es zweifellos jetzt im Augenblick nicht dann scheint es mir notwendig zu sein, daß diese Aufgabe unmittelbar nach Beginn der dritten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages angefaßt wird.
Ich bitte Sie aber auch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sich noch einmal — wie ich es eben auch versucht habe — zu überlegen, ob es unter diesen Voraussetzungen wirklich angebracht ist, dieses Gesetz zu verabschieden. Uns ist das Gesetz wichtig genug, auch im Hinblick auf die Konsequenzen, die sich aus der hier vorgenommenen Präjudizierung für andere Berufe und Gewerbe ergeben können.
Wir sehen uns also - für Sie: zu unserem Bedauern, für uns: aus den angeführten Gründen — nicht in der Lage, dem Gesetz zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Lüders.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer dieser sehr eingehenden Debatte aufmerksam gefolgt ist, der wird lebhaft an die sehr heftigen und lange andauernden Auseinandersetzungen über die Innungsgesetzgebung vergangener Jahrzehnte erinnert. Sie wissen ja alle, daß die Innungsgesetze schon vor vielen Jahrzehnten geschaffen worden sind. Aber wer die Argumente, die heute vorgetragen werden, um das zu erreichen, was in dem Antrag enthalten ist, mit den Argumenten vergleicht, die seinerzeit bei der Beratung der Innungsgesetze im Rahmen der Handwerkergesetzgebung vorgetragen wurden, der kann nur sagen: ein Argument gleicht dem andern wie ein Ei dem andern.
— So unfreundlich bin ich ja nicht; ich nehme an, daß alle Kollegen selbst bei dieser Hitze noch dazulernen!
Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen, für mein Gefühl sind wir auf dem besten Wege, einen ganz allgemeinen und sehr weitreichenden ersten Schritt in Richtung auf eine allgemeine Einführung des Innungszwangs zu machen.
— Fallen Sie nur nicht 'in Ohnmacht; Sie werden es erleben! Denn was ist denn das alles anderes als ein Schritt zur Einführung der Innungsgesetzgebung auch auf anderen Gebieten!
Es dauert gar nicht mehr lange, dann werden die anderen Gruppen — es sind wohl an die 67 —, die sich schon an den Herrn Wirtschaftsminister gewandt haben, mit ihren Wünschen nachkommen. Dann wird es ungeheuer schwer sein, diesen Wünschen entgegenzutreten, weil sich die Leute natürlich hierauf als Präzedenzfall berufen würden.
Nun noch etwas anderes. Wenn man solche Gesetze, wie sie hier vorgeschlagen werden, und solche Maßnahmen wirklich durchführen will, so braucht man dazu ein notwendiges Aufsichts- und Kontrollorgan. Wir wissen alle, daß schon heute die Organe der Gewerbeaufsicht an Zahl und oft auch an Ausbildung völlig unzureichend sind, weil sich inzwischen die wirtschaftlichen und technischen Verhältnisse grundlegend geändert haben. Alle unsere Bemühungen, einmal an dieses Problem hei anzugehen und die Gewerbeaufsicht wesentlich zu verstärken — einerlei ob mit Männern oder mit Frauen, Idas ist mir ganz egal —, sind meines Wissens 'bisher vergeblich gewesen.
Ferner frage ich mich, wenn ich dieser Diskussion hier zuhöre und mir die Vorschriften, die vorgeschlagen werden, ansehe: wie stimmen diese eigentlich mit den Grundsätzen des Herrn Wirtschaftsministers überein?
Sie verstoßen nicht nur in jedem Absatz — Kollege, Kopfschütteln nützt nichts gegen solche Tatsachen —, sondern beinahe in jedem Wort gegen diese Grundsätze. Leider ist Herr Minister Erhard, den ich persönlich sehr schätze, nicht zugegen. Ich hätte sonst gern gehört, wie er diese Vorschläge mit seinen Grundsätzen von der freien Marktwirtschaft überhaupt vereinbaren will. Er müßte sofort dagegen auftreten. Ob er es tut, werden die Herren und Damen ja im nächsten Bundestag merken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort in der Generalaussprache weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Generalaussprache.
Der Herr Abgeordnete Dr. Dittrich hat mich davon verständigt, daß er seinen Änderungsantrag Umdruck 1278, den er in der zweiten Lesung eingebracht hat und der abgelehnt worden ist, in der dritten Lesung wiederholen möchte. Da aber die Unterzeichner dieses Änderungsantrages teilweise nicht mehr anwesend sind, andererseits aber der § 86 unserer Geschäftsordnung zwingend vorschreibt, daß Änderungsanträge in der dritten Lesung der Unterstützung von mindestens 15 Mitgliedern des Hauses — soviel Mitgliedern, wie einer Fraktionsstärke entspricht — bedürfen, frage ich das Haus: Wird 'der Antrag Umdruck 1278, den Herr Abgeordneter Dr. Dittrich in der dritten Lesung erneut zu stellen wünscht, genügend unterstützt? Wer unterstützt? — Es sind keine 15. Der Antrag ist nicht genügend unterstützt; er kann also nicht 'gestellt werden.
Damit 'liegen Änderungsanträge zur dritten Beratung nicht vor.
— Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus den grundsätzlichen Erwägungen, die wir hier vorgetragen haben — worin ich auch die Darlegungen der verehrten Alterspräsidentin Frau Dr. Lüders einbeziehe —, legen wir im Hinblick auf die Beschlußfähigkeit dieses Hauses bei der Abstimmung Wert darauf, daß vor der Abstimmung die Beschlußfähigkeit festgestellt wird. Bei der jetzigen Besetzung bezweifle ich die Beschlußfähigkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, das ist eine sehr einfache Angelegenheit. Ich komme zur Schlußabstimmung, und zwar lasse ich auszählen. So schreibt es 'die Geschäftsordnung vor.
Bevor ich fortfahre, darf ich noch darauf aufmerksam machen, daß der Ausschuß die Überschrift etwas geändert hat; ich glaube, das vorhin mit berücksichtigt zu haben, indem ich formulierte: „Einleitung und Überschrift, auch in der Ausschußfassung", möchte aber ausdrücklich darauf hinweisen. Es heißt nicht mehr: „Entwurf eines Gesetzes über die Berufsausübung im Handel", sondern Jetzt: „ ... im Einzelhandel".
In dieser Form wird also nunmehr 'in der dritten Lesung abgestimmt.
Zur Abstimmung Herr Abgeordneter Schmücker.
Ich beantrage namentliche Abstimmung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Namentliche Abstimmung geht natürlich weiter ,als Auszählung. Der Antrag ist genügend unterstützt. Wir kommen also zur namentlichen Abstimmung in der Schlußabstimmung über dieses Gesetz. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, die Abstimmungskarten einzusammeln.
Ich frage die Damen und Herren, ob noch Abstimmungskarten abzugeben sind. — Dann bitte ich das zu tun. — Ich frage zum letztenmal: Sind noch Damen und Herren da, die Ihre Abstimmungskarten für die namentliche Abstimmung noch nicht abgegeben haben? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die namentliche Abstimmung.
Ich gebe das Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung über das aufgerufene Gesetz bekannt: Insgesamt haben 317 stimmberechtigte Abgeordnete und 10 Berliner Abgeordnete abgestimmt. Von den stimmberechtigten Abgeordneten haben 189 mit Ja und 124 mit Nein gestimmt, 4 haben sich der Stimme enthalten. Von den Berliner Abgeordneten haben 5 mit Ja und 5 mit Nein gestimmt. Damit ist das Gesetz in dritter Lesung verabschiedet.
Ich rufe auf den Punkt 15 der gedruckten Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur abschließenden Regelung durch den Krieg und den Zusammenbruch des Deutschen Reichs entstandener Schäden (Drucksache 1659); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Geld und Kredit (22. Ausschuß) (Drucksachen 3529, zu 3529)
Generalbericht des Abgeordneten Dr. Lindenberg
Allgemeine Vorschriften
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lindenberg
Zu erfüllende Ansprüche
Berichterstatter: Abgeordneter Seuffert
Ablösung von Kapitalanlagen
Berichterstatter: Abgeordneter Wittenburg
Härteregelung Berichterstatter: Abgeordneter Kirchhoff
Wirtschaftsfördernde Maßnahmen
Berichterstatter: Abgeordneter Kirchhoff
Schlußvorschriften
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lindenberg
Ich erteile dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Dr. Lindenberg das Wort.
*) Vgl. endgültiges Ergebnis S. 13469 — Der Berichterstatter Lindenberg verzichtet auf mündliche Berichterstattung und bezieht sich auf den Schriftlichen Bericht. Herr Abgeordneter Seuffert? — Ebenso. Herr Wittenburg? — Ich unterstelle: ebenso. — Herr Kirchhoff? — Auch.
Bevor ich in die zweite Lesung eintrete, gebe ich dem Herrn Bundesfinanzminister das Wort zu einer kurzen Erklärung. Ich unterstelle, daß das Haus ,damit einverstanden ist. — Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht zu dien grundsätzlichen Fragen dieses Gesetzentwurfs Stellung nehmen, sondern nur zu Einzelfragen — wobei ich in diesen Einzelfragen urn eine Stellungnahme gebeten worden bin —. in der Absicht, daß damit vielleicht eine Debatte über die einzelnen Fragen erspart bleibt.
Es handelt sich um folgende Einzelfragen. Erstens. Im Laufe der Ausschußberatungen sind Bedenken dagegen geltend gemacht worden, daß der Gesetzentwurf den überwiegenden Teil der Reichsverbindlichkeiten als erloschen erklärt. Dazu kann man sich gar nicht oft genug vor Augen halten, daß die Reichsverbindlichkeiten mit dem Zusammenbruch wertlos geworden sind, daß das vorliegende Gesetz insoweit also nur eine Feststellung trifft. Das Gesetz wertet praktisch einige sorgfältig und nach sachlichen Merkmalen ausgewählte Gruppen von Reichsverbindlichkeiten auf. Ich vermag schlechterdings nicht zu erkennen, was gegen diese Lösung grundsätzlich eingewendet werden kann. Daß eine Aufwertung aller Reichsverbindlichkeiten jetzt und in aller Zukunft unmöglich ist, kann für keinen, der sich mit diesen Dingen tiefer befaßt, zweifelhaft sein.
Nun kann allerdings nicht von der Hand gewiesen werden. daß sich auf Grund des in Durchführung des Gesetzes uns anfallenden Erfahrungsmaterials vielleicht noch einige Gruppen von Anspruchstatbeständen ergeben, bei denen eine Erhöhung der im Gesetz vorgesehenen Leistungen notwendig und gerechtfertigt erscheinen könnte. Tch würde es deshalb als eine zweckmäßige Lösung ansehen. wenn die Bundesregierung etwa ein Jahr nach Unkrafttreten des Gesetzes dem Bundestag einen Erfahrungsbericht vorlegt und in diesem Erfahrungsbericht auch zum Ausdruck bringt. in welchen Fällen sich eine Erhöhung der im Entwurf vorgesehenen Leistungen als gerechtfertigt ergeben hat. Der Bundestag wird alsdann über die notwendig werdenden gesetzgeberischen Maßnahmen zu beschließen haben.
Es erscheint mir auch zweckmäßig, diesen Gedanken einer späteren Überprüfung des Erfahrungsmaterials schon im Gesetz selbst zum Ausdruck zu bringen. Soweit mir bekannt ist, wird ein entsprechender Antrag, der eine Ergänzung des § 1 vorsieht, vorgelegt werden. Ich erkläre mich mit einer solchen Ergänzung des § 1 grundsätzlich einverstanden.
Im Rahmen dieser vorbehaltenen späteren Überprüfung wird der Bundestag auch zu dem in den letzten Tagen mir mehrfach vorgetragenen Problem Stellung nehmen können, ob und in welchem Umfang es gerechtfertigt erscheint, den durch den Viehabtrieb aus den vom Feind bedrohten Gebieten gegen Kriegsende entstandenen Schaden durch Gewährung zusätzlicher Leistungen in Härtefällen auszugleichen oder zu mildern.
Ich muß noch auf einige weitere mit § 10 des Gesetzentwurfs verknüpfte Probleme eingehen. Wenn ich dabei eine etwaige Diskussion vorwegnehme, so tue ich es aus dem schon erwähnten Grund, die Beratung zu beschleunigen und damit Zeit zu sparen. Denn ich beseitige möglicherweise schon jetzt Bedenken, die in den Ausschußberatungen nicht restlos beseitigt werden konnten und deshalb zu Änderungsanträgen und Debatten Anlaß geben könnten.
Es handelt sich um den Komplex von Fragen, welche sich aus der Inanspruchnahme fremden Grund und Bodens durch das Reich ergeben. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, daß das Gesetz sich grundsätzlich auf die Regelung von Ansprüchen beschränkt. Bei Inanspruchnahme fremden Grund und Bodens im Wege eines Rechtsgeschäfts oder im Wege der Enteignung, wo die Übereignung an das Reich erfolgt und der Gegenwert vom Reich voll bezahlt ist, sind Ansprüche nicht mehr gegeben.
Soweit dennoch Wünsche an mich herangetragen worden sind, derartige Übereignungen rückgängig zu machen, handelt es sich um kein Problem dieses Gesetzes. Ich werde jedoch die Oberfinanzdirektionen anweisen, zu überprüfen, in welchem Umfang es möglich ist, unter Beachtung des dringenden Eigenbedarfs des Bundes Grundstücke, die vom Reich seinerzeit in Anspruch genommen worden sind, den früheren Eigentümern wieder zur Verfügung zu stellen, und mir über das Ergebnis dieser Prüfung zu berichten. Sofern bei dem seinerzeitigen Erwerb dieser Grundstücke durch das Reich ein unter dem tatsächlichen Verkehrswert liegender Entschädigungsbetrag bezahlt sein sollte — diese Tatsache wird nach den bisherigen Erfahrungen nur in wenigen Ausnahmefällen gegeben sein —, könnte diesem Umstand vielleicht bei Festsetzung des Rückkaufspreises in angemessener Weise Rechnung getragen werden.
Es ist im Zusammenhang mit den Grundstücksgeschäften ferner wiederholt der Wunsch aufgetaucht, die noch offenen Verpflichtungen des Reiches zur Zahlung des Kaufpreises oder einer Enteignungsentschädigung im Verhältnis von 1 : 1 zu erfüllen. Die Regierungsvorlage wie auch der § 10 der Ausschußfassung sieht eine Erfüllung dieser Ansprüche nur im Verhältnis 10 : 1 vor. Trotz erheblicher finanzieller Bedenken würde ich einer Änderung dieser Bestimmung nicht widersprechen, die etwa dahin ginge, daß die noch offenen Verpflichtungen des Reiches in gleichem Umfang als erfüllbar erklärt werden, in dem gleichartige Verpflichtungen der Länder, der Kommunen und auch privater Schuldner nach dem Umstellungsrecht zu erfüllen sind. Das würde 'bedeuten, daß, soweit es sich bei diesen Verpflichtungen um Wertansprüche handelt, sie unter Umständen zum vollen RM-
Nominalbetnag in DM zu erfüllen wären.
Keinesfalls aber könnte ich einer Regelung zustimmen, welche eine 1 : 1-Erfüllung von Kaufpreisverpflichtungen vorsehen würde. Es erscheint mir unmöglich, in einem Gesetz, das im Hinblick auf den finanziellen Zusammenbruch des alten Reiches die Wertlosigkeit der großen Masse der Verbindlichkeiten des Reiches feststellen muß, den Gläubigern einer einzelnen Anspruchsgruppe Leistungen zukommen zu lassen, welche um das Zehnfache höher wären als die Leistungen, die nach dem Umstellungsrecht ein anderer Rechtsträger bei
gleicher Rechtslage zu erbringen haben würde. Eine solche Regelung würde auch zweifellos die Bestimmung des § 10 dieses Gesetzes verfassungswidrig machen. Ich bitte deshalb dringend, etwaige Wünsche auf Änderung des § 10, die über die allgemeine Regelung des Umstellungsgesetzes hinausgehen, in der heutigen Aussprache nicht erneut vorzutragen.
Noch eine Bemerkung zu dem Problemkreis der Grundstücksinanspruchnahmen. Der Bundesrat hatte beantragt, § 18 dahin zu ändern, daß Ansprüche auf Beseitigung von Störungen nicht nur bei Gefahr für Leib und Leben voll zu erfüllen sind, sondern auch dann, wenn ein Grundstück infolge einer vom Reich verursachten Beeinträchtigung für den Zweck unbrauchbar geworden ist, für den es vor der Inanspruchnahme genutzt wurde. In den Ausschußberatungen ist mehrfach der Wunsch ausgesprochen worden, dieser Änderungsanregung des Bundesrates zu entsprechen.
Ich darf demgegenüber aber zu bedenken geben, daß es sich — wirtschaftlich gesehen — bei den Beseitigungsansprüchen um Schadensersatzansprüche handelt. Wollte man sie bei Grundstükken so weitgehend erfüllen, so müßte das auch für alle sonstigen noch heute fortwirkenden Störungen und Schäden gelten. Im übrigen wäre mit Sicherheit zu erwarten, daß diejenigen Grundstückseigentümer, deren Liegenschaften für ihren früheren Verwendungszweck nicht völlig, sondern nur teilweise unbrauchbar geworden sind, ebenfalls eine Entschädigung wegen der auch ihnen entstandenen Schäden verlangen würden. Denn es ist kein Rechtsgrund zu ersehen, aus dem einem solchen Verlangen widersprochen werden könnte, da es sich bei den verschiedenen Fällen nicht um einen Unterschied in der Sache, sondern nur um einen quantitativen Unterschied handelt. Die Beseitigung aller durch Beeinträchtigung entstandener Schäden würde aber den Bund in einer Höhe finanziell belasten, die ich als absolut unvertretbar und unmöglich bezeichnen muß.
Ich darf zudem darauf hinweisen, daß in den §§ 21 und 22 des Gesetzentwurfs eine Erwerbspflicht des Bundes festgestellt worden ist, sofern dem Eigentümer eines Grundstücks wegen der vom Reich verursachten Beeinträchtigungen oder Änderungen nicht zugemutet werden kann, sein Recht zu behalten. Ich bin der Ansicht, daß damit den berechtigten Wünschen der in ihren Rechten betroffenen Personen hinreichend Rechnung getragen ist.
Soweit durch die soeben dargelegte Problematik des § 18 das sogenante Westwallproblem berührt wird, möchte ich noch folgendes abschließend sagen. Der Bundestag hat durch Beschluß vom 29. Mai 1957 für das laufende Haushaltsjahr einen Betrag von 6 Millionen DM an Haushaltsmitteln zur Beseitigung von Westwallanlagen und zur Entschädigung der durch Westwallanlagen unmittelbar betroffenen Personen bereitgestellt. Diese Aktion wird durch das Ihnen vorliegende Gesetz nicht berührt. Ich bin der Ansicht, daß diese Aktion auch in den kommenden Haushaltsjahren fortgeführt werden muß, und versichere, daß ich mich im Rahmen der mir zustehenden Einflußmöglichkeiten für die Bereitstellung der entsprechenden Haushaltsmittel in den kommenden Jahren einsetzen werde.
Ich glaube, meine Damen und Herren, die Fragen, die an mich herangetragen worden sind, da-
mit beantwortet und zu einer raschen Erledigung
der Beratung des Gesetzes beigetragen zu haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe in der zweiten Beratung den § 1 und dazu die Anträge Umdruck 1276 Ziffer 1, Umdruck 1279 Ziffer 1 und schließlich Umdruck 1286 auf. Wer begründet? — Herr Abgeordneter Dr. Kather zum Antrag Umdruck 1276 Ziffer 1!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag Umdruck 1276 zu § 1 Abs. 1 erstrebt die Wiederherstellung der Regierungsvorlage. Sie sah vor, daß auf Grund von Forderungen gegen das Reich — einschließlich der Sondervermögen Deutsche Reichsbahn und Deutsche Reichspost —, das ehemalige Land Preußen und das Unternehmen Reichsautobahnen Leistungen nur nach Maßgabe dieses Gesetzes gefordert werden können. Die Ausschußfassung sagt von denselben Forderungen, daß sie „erlöschen, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt". Der Unterschied ist augenfällig. Er besteht darin, daß nach der Ausschußfassung eine endgültige negative Regelung beabsichtigt ist. Im Regierungsentwurf und damit auch in dem Antrag, den wir gestellt haben, wird die Frage offengelassen, und die Entscheidung bleibt der Zukunft vorbehalten. Ich befinde mich in der in meinem Leben einmaligen Situation, hier für etwas einzutreten, was der Bundesfinanzminister Schäffer vorgelegt hatte. Ich muß allerdings sagen, daß wir uns im Augenblick schon wieder nicht mehr in Übereinstimmung befinden; denn seine Ausführungen soeben haben deutlich ergeben, daß er sich inzwischen für die Ausschußfassung entschieden hat.
Es geht hier — das klang schon bei der Beratung über das verfassungsändernde Gesetz mit an — um eine der Grundsatzfragen des Gesetzes. Diesem Gesetz liegen Forderungen von etwa 800 Milliarden RM zugrunde; der Entwurf gibt 8 Milliarden DM. Die Gegenüberstellung zeigt, daß eine Entschädigung, alles zusammengenommen, von 1 % im Durchschnitt gegeben wird. Es gibt aber keine gleichmäßige Entschädigung oder gar eine soziale Staffelung, wie wir sie bei anderen Gelegenheiten als unerläßlich vorgesetzt bekommen haben, sondern hier wird eine kleine Gruppe streng quotai mit 10 % ausgestattet — ich gehe hier nur auf die wesentlichsten Gesichtspunkte ein —, und die anderen bekommen nichts. Es handelt sich also — das kann man wohl ohne Übertreibung sagen — um eines der größten Enteignungsgesetze, wenn nicht um das größte überhaupt, das wir in der deutschen Politik haben. Wir verkennen nicht die Bedeutung der großen Zahlen und die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Unser Antrag erstrebt ja auch für die Gegenwart keine anderweitige Regelung. Wir wenden uns nur dagegen, daß das Erlöschen ausgesprochen wird. Wir wollen die Entscheidung der Zukunft überlassen wissen.
Es geht uns dabei auch keineswegs um den großen Teil der verbrieften Forderungen, die bei den Banken liegen, sondern es geht uns im wesentlichen um die unverbrieften Forderungen, die man ungefähr auf 400 Milliarden Mark veranschlagen darf. Mit unseren Vorstellungen ist es unvereinbar, diese Gläubiger ausschließlich auf den Härtefonds zu verweisen.
Ich kann auch nicht die Äußerung des Herrn Bundesfinanzministers anerkennen, daß unsere Wirtschaftslage und unsere Entwicklung es ausschließen, hier eventuell noch Nachbesserungen vorzunehmen. Ich darf im übrigen darauf hinweisen, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister und der Antrag der CDU/CSU im Widerspruch zu jener Äußerung des Herrn Bundesfinanzministers stehen, weil auch sie vorsehen, daß noch Nachbesserungen erfolgen.
Man kann nicht sagen, hier liege ein Konkurs vor und man könne nicht mehr geben. Wir haben von der Bundesregierung einen Gesetzentwurf über die Entschädigung der Reichsbank-Anteilseigner vorgelegt bekommen. Dort sieht man eine 60%ige Entschädigung vor. Bemerkenswert dabei ist, daß in der Begründung zum Regierungsentwurf zum Ausdruck kommt, die Reichsbank sei total pleite gewesen und ein Vermögen stehe praktisch nicht mehr dahinter. Ich weiß nicht, wie man diese Dinge miteinander vereinbaren will. Es tröstet uns wenig, daß der Gesetzentwurf über die Entschädigung der Reichsbank-Anteilseigner nicht mehr zum Tragen kommt.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist insoweit nicht nur ungerecht und unsozial, er ist auch rechtlich unmöglich. Ich habe das schon gestern gesagt. Der Bund spielt hier den Richter in eigener Sache, er spricht sich von Schulden los, er erklärt, daß Forderungen erlöschen.
Es kommt die weitere Schwierigkeit hinzu, daß der Bund erklärt, gewisse Forderungen gegen das Reich gingen unter. Das halten wir nicht für möglich, und an dieser unserer Haltung ändert auch keine Verfassungsänderung irgend etwas. Sie würde diese Frage meiner Ansicht nach überhaupt nicht berühren. Die Bundesrepublik ist — das ist bisher wohl nicht streitig gewesen — nicht Rechts-, sondern Funktionsnachfolger des Reiches und daher nicht legitimiert, Ansprüche gegen einen Dritten, das Reich, für erloschen zu erklären.
Das Schicksal dieses Antrags wird unsere Haltung zum Gesetz bestimmen. Wird dieser Antrag abgelehnt, bleibt es beim Erlöschen aller Forderungen, die im Gesetz nicht berücksichtigt sind, insbesondere der unverbrieften Forderungen, dann können wir diesem Gesetz unsere Zustimmung nicht geben. Ich bitte also, unserem Änderungsantrag stattzugeben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat zur Begründung des interfraktionellen Antrags Umdruck 1279 Ziffer 1 der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der interfraktionelle Antrag Umdruck 1279 Ziffer 1 bezweckt eine redaktionelle Neufassung, die auf einen Beschluß des Rechtsausschusses zurückgeht und wohl keiner weiteren Begründung bedarf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort zur Begründung des Antrags Umdruck 1286 hat der Abgeordnete Dr. Lindenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Darlegungen von Herrn Kollegen Kather muß ich einige Ausführungen zu unserem Änderungsantrag Umdruck
1286 machen. Man versteht den Antrag am besten, wenn man sich vergegenwärtigt, welchen Grundsatz der § 1 des Kriegsfolgengesetzes in seiner jetzigen Fassung enthält. Der Grundsatz des § 1 ist der des Erlöschens der Reichsverpflichtungen auf der einen Seite und der Erfüllung einer sehr großen Zahl von Ansprüchen, die im Gesetz einzeln aufgezählt sind, auf der anderen Seite.
Soweit Ansprüche erlöschen — das muß immer wieder hinzugefügt werden —, tritt die sogenannte soziale Härteregelung ein, das heißt Unterhaltshilfen, Beihilfen, Existenzaufbaudarlehen, eine Regelung in Anlehnung an die Bestimmungen des Lastenausgleichsgesetzes. Es ist zuzugeben, daß dieser Grundsatz ein echtes Kompromiß ist zwischen einer quotalen Umstellung und einer sozialen Umstellung oder Ablösung oder auch, anders formuliert, der Versuch, die Entwertung der Reichsverpflichtungen nach einem Staatszusammenbruch ungewöhnlichen Ausmaßes auf die Leistungsfähigkeit des Bundes abzustellen. Hier tritt nicht, wie Herr Kather fälschlich sagte, eine Enteignung nie dagewesenen Ausmaßes ein. Herr Kather hätte daran erinnern sollen, daß der Zusammenbruch einen Staatsbankerott wie nie zuvor in unserer Geschichte hervorgerufen hat.
Wie jedes Kompromiß, hat natürlich auch dieses seine Fehler und Nachteile — das will ich ganz offen zuerkennen —, wie ja überhaupt in der Umstellungsgesetzgebung eine absolut gerechte Lösung nicht zu finden ist. Die Schwierigkeiten liegen in erster Linie darin, eine gerechte Abgrenzung zu finden zwischen denjenigen Forderungen, die erfüllt werden sollen, und denjenigen Verpflichtungen des Reiches, die untergehen sollen. Hier einen Grundsatz und eine Regel zu finden war bei den verbrieften Forderungen verhältnismäßig leicht; die Schwierigkeiten traten in erster Linie bei den unverbrieften Forderungen auf. Wie Sie aus der Vorlage des Ausschusses und aus der Regierungsvorlage haben entnehmen können, ist diese Abgrenzung zwischen Erfüllung und Untergang von uns nach gewissen konkursrechtlichen Grundsätzen gefunden worden, obwohl wir uns völlig klarwaren, daß man die privatrechtlichen Konkursgrundsätze nicht auf einen derart anomalen Staatszusammenbruch anwenden kann, wie wir ihn 1945 erlebt haben. Sie werden auch sehen, daß die Erfüllungstatbestände wesentlich zahlreicher sind als die, welche die Konkursordnung vorsieht. Wir haben im Ausschuß immer wieder geprüft, ob dieser Maßstab objektiv vertretbar und damit gerecht ist. Wie Sie sich erinnern, habe ich schon in der ersten Lesung auf dieses Problem hingewiesen. Hier liegt der Schwerpunkt des ganzen Gesetzes. Ich habe damals vorgeschlagen, zu versuchen, eine Art Aufwertungsgesetz in das Kriegsfolgengesetz einzuarbeiten, ähnlich wie wir es 1923/24 bereits einmal gehabt haben. Natürlich wird es nur wenig nützen, diese Aufwertung den ordentlichen Gerichten zu übertragen, was ich damals auch vorgeschlagen habe. Entscheidend wird vielmehr für die Gerichte sein und bleiben, daß sie schon eine Anweisung finden, nach welchen Maßstäben umgestellt, aufgewertet oder erfüllt werden soll.
In diesem Zusammenhang haben wir im Ausschuß geprüft, ob man eine sogenannte allgemeine Härteklausel bereits in das Gesetz einarbeiten könne und solle. Ich darf Ihnen sagen, daß es sehr schwer ist und es sich nachher als unmöglich herausgestellt hat, heute schon abstrakt festzulegen, unter welchen Voraussetzungen eine Gläubigergruppe, deren Ansprüche nicht erfüllt werden und die vielleicht auch keinen Anspruch auf Härteausgleich hat, gleichwohl eine Entschädigung unter dem Gesichtspunkt der Härte bekommen soll; wohlgemerkt eine Härte im Tatbestand, eine Härte, die durchaus nicht dazu zu führen braucht, daß die soziale Härteregelung des § 61 eingreift. Wir haben auch die Verbände, die ihre zahlreichen Anliegen vorgetragen haben, gebeten, an dieser Härteklausel mitzuarbeiten; leider auch mit absolut negativem Erfolg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, sich auf die Begründung des Antrags 1286 zu beschränken und nicht die allgemeine Aussprache wiederaufzunehmen.
Ich beschränke mich streng auf die im Antrag Umdruck 1286 geforderte Änderung, muß aber zur Begründung dieses Änderungsantrages kurz auf den Zusammenhang hinweisen.
Wo liegen die Schwierigkeiten einer solchen Härteklausel, und worin ist es begründet, daß der Grundsatz des § 1 zu gewissen Härten führen kann? Einmal handelt es sich um unverbriefte Ansprüche, um ein Konglomerat von Ansprüchen aus Rechtsgeschäften Ides Reiches. Entscheidend scheint mir zu sein, daß bisher ein genaues Gesetz zur Feststellung und Ermittlung dieser Verpflichtung des Reiches, ein Feststellungsgesetz, wie es z. B. beim Lastenausgleich ergangen ist, nicht vorliegt. Man ist also heute auf allgemeine Schätzungen angewiesen, sowohl was die Höhe dieser Schäden betrifft — sie werden auf 400 Milliarden RM geschätzt, das haben wir gehört — wie auch für die Frage, welche Anspruchsgläubiger und Gruppen von Anspruchsberechtigten in Betracht kommen.
Damit diese Lücke ausgefüllt wird — ich habe sie Ihnen soeben im Anschluß an die Ausführungen des Kollegen Kather etwas ausführlicher geschildert —, hat die CDU-Fraktion Ihnen den Antrag Umdruck 1286 vorgelegt. Mit diesem Antrag wollen wir eine Revision des Ihnen soeben entwickelten Grundsatzes erreichen. Wenn in Zukunft noch eine Gruppe von Anspruchsberechtigten oder auch nur ein einzelner Gläubiger gefunden werden sollte, der keine entsprechende Entschädigung nach diesem Gesetz erhalten hat, soll ihm die erforderliche Entschädigung noch gegeben werden können.
Um § 1 Abs. 3 verstehen zu können, muß man auf die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers zurückgreifen. Er hat dargelegt, daß vom Finanzministerium ein Erfahrungsbericht herausgegeben werden wird. Daraus werden wir entnehmen können, wie sich dieses Gesetz während eines Jahres oder auch eines längeren Zeitraums in der Durchführung bewährt hat. Dieser Erfahrungsbericht soll zugleich das fehlende Feststellungsgesetz ersetzen. Der dann vorliegende Erfahrungsbericht im Zusammenhang mit der Ergänzungsvorschrift des § 1 Abs. 3 wird die Möglichkeit geben, aufgetretene Ungerechtigkeiten auszugleichen, indem noch Entschädigungen gewährt werden können.
Von den Kritikern dieses Gesetzes — es hat zahlreiche Kritiker — ist mir entgegengehalten worden, dieser Zusatz sei nichts als eine Deklamation;
denn der Gesetzgeber könne jederzeit, wenn er wolle, auch ohne eine solche Bestimmung das Kriegsfolgenschlußgesetz erganzen. Meine Damen und Herren, die Frage ist nicht, ob der Gesetzgeber ergänzen kann, sondern die Frage muß so gestellt werden, ob er zu einer Ergänzung verpflichtet ist. Ich bejahe die letzte Frage und verweise Sie darauf, daß das Kriegsfolgenschlußgesetz auf die Vorschriften in Art. 134 des Grundgesetzes zurückgeht. Im Grundgesetz hat der Verfassungsgesetzgeber den einfachen Bundesgesetzgeber angewiesen, durch ein Bundesgesetz die Fragen betreffend das Reichsvermögen und den Übergang des Reichsvermögens auf den Bund zu regeln. Zum Reichsvermögen gehören auch die Passiven, die Verbindlichkeiten. Wenn nun aber in § 1 Abs. 3 der heutige Gesetzgeber erklärt — und diese Erklärung liegt in § 1 Abs. 3 —, daß er das Problem „Regelung der Reichsverpflichtungen" nur teilweise losen kann, dann ist auch der Verfassungsauftrag nur zum Teil erledigt. Dann hat der Bundesgesetzgeber nach der Verfassung weiter die Verpflichtung, wenn erforderlich — und das wird nach einigen Jahren festzustellen sein —, Erganzungen des Kriegsfolgengesetzes zu verabschieden.
Wir haben also mit dem Zusatz des Absatzes 3 die Tür nicht zugeschlagen; das ist für unsere Fraktion das Hauptanliegen. Es kann und muß geprüft werden, ob eine weitere Erganzung des Kriegsfolgengesetzes erforderlich ist; wenn ja, muß aas Gesetz, wie die Verfassung vorschreibt, ergänzt werden. Damit ist ein weitgehender Schutz für die Gläubiger geschaffen, die ohne den § 1 Abs. 3 zu einer Erfüllung ihrer Forderungen wahrscheinlich nichtgekommen wären.
Ich bitte deshalb, den Antrag auf Einfügung des I Zusatzes anzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Antrag, bezüglich der Fassung des § 1 Abs. 1, der von dem Kollegen Kather begründet worden ist, darf ich auf die Schriftlichen Berichte des Ausschusses Bezug nehmen. Dort ist im einzelnen auseinandergesetzt, warum der Ausschuß diese Fassung der Regierungslassung vorgezogen hat. Die Berichterstatter erstatten ausfuhrliche Schriftliche Berichte und verzichten mit Rucksicht auf die Geschäftslage des Hauses mit allseitiger Zustimmung daraus, diese Berichte hier vorzutragen. Wenn dann Fragen, die in den Berichten behandelt und beantwortet sind, hier in der Aussprache aufgeworfen werden, so kann natürlich der Eindruck entstehen, diese Fragen seien nicht beantwortet worden. Man muß also auf die Schriftlichen Berichte Bezug nehmen.
Ich darf deswegen nur ganz kurz sagen, daß die Ausschußfassung gegenüber der Regierungsfassung keine materielle Veränderung, sondern eine Klarstellung bedeutet; die Regierungsfassung muß im Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen der ursprünglichen Regierungsfassung gesehen werden. Materiell hat bereits die Umstellungsgesetzgebung sämtliche Ansprüche, um die es sich hier handelt, von der Umstellung ausgenommen, seit der Umstellung sind sie von der Geltendmachung ausgeschlossen. Es besteht seitdem nur
noch die Möglichkeit, Feststellungsprozesse zu führen und Feststellungsfragen bezüglich der Ansprüche zu erörtern, eine Möglichkeit, der man schließlich auch einmal ein Ende machen muß; denn einmal muß ja die Regelung erfolgen.
Ich füge dem noch an, daß jede Forderung auf quotale Befriedigung der Ansprüche gegen die hier in Frage kommenden Rechtsträger unter allen Umständen die Quote Null bedeuten muß, d. h. daß nichts gezahlt wird.
Wir können aus den in den Berichten niedergelegten Gründen und auch aus den von dem Kollegen Lindenberg zusätzlich vorgetragenen Gründen diesem Antrag nicht zustimmen.
Zu dem Antrag der CDU/CSU auf Umdruck 1286 darf ich sagen, daß die auch von uns mit eingebrachte Entschließung, die auf einen Bericht der Regierung über die Erfahrungen mit dem Gesetz hinzielt, in der gleichen Richtung liegt. Es kann allerdings die Frage aufgeworfen werden, ob es zweckmäßig und ratsam ist, eine solche Bestimmung in das Gesetz aufzunehmen. Der spätere Gesetzgeber kann durch ein Gesetz nicht gebunden werden; deswegen erscheint der Vorbehalt zugunsten des späteren Gesetzgebers überflüssig. Nur muß man davor warnen, an die Aufnahme einer solchen Bestimmung übertriebene und unerfüllbare Erwartungen zu knüpfen.
Trotz unserer Bedenken stimmen wir dem Antrag Umdruck 1286 zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird weiter das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Kather!
Ich will dem Herrn Abgeordneten Seuffert nur kurz erwidern. Es geht hier nicht um Tatsachen, sondern um Auffassungen, Herr Seuffert. Und wenn es zehnmal in dem Bericht steht, daß nach Ihrer Auffassung oder nach Auffassung eines anderen Berichterstatters zwischen der einen und der anderen Formulierung nur der Unterschied der größeren Klarheit ist — auch ein Herr aus dem Bundesfinanzministerium hat heute in einer sehr eingehenden Unterredung versucht, mir dasselbe klarzumachen —, ich bin eben anderer Auffassung, Herr Seuffert, und ich kann mich für meine andere Auffassung vielleicht gerade auf den Antrag berufen, der von der CDU gestellt und von Herrn Kollegen Lindenberg begründet worden ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Beratung.
Ich komme zur Abstimmung. Sie ergibt sich zwanglos; denn nach dem einen Antrag soll der Abs. 1 geändert werden, nach dem anderen der Abs. 2 und nach dem dritten der Abs. 3.
Ich komme zur Abstimmung über Umdruck 1276 Ziffer 1. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer dem interfraktionellen Antrag Umdruck 1279 Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen eine Stimme angenommen.
Wer dem Antrag auf Umdruck 1286 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen eine Stimme angenommen.
Wer nunmehr dem so geänderten § 1 in zweiter Lesung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen angenommen.
Ich rufe § 2 auf, dazu den Umdruck 1279 Ziffer 2. Auch dabei handelt es sich um einen interfraktionellen Antrag; er braucht wohl nicht näher begründet zu werden. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Beratung und komme zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 1279 Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen eine Stimme angenommen.
Wer dem so geänderten § 2 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen eine Stimme angenommen.
Ich rufe dann auf §§ 3 — entfällt —, 4 — entfällt —, 5, — 6, — 7, — 7 a, — 8, — 9 in der Ausschußfassung. — Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Paragraphen in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nunmehr § 10 auf, dazu den Umdruck 1279 Ziffer 3 — also den interfraktionellen Antrag — und den Antrag Umdruck 1276 Ziffer 2. Wer begründet? — Her Abgeordneter Dr. Kather!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! § 10 Abs. 1 bestimmt, in welchem Umfang Ansprüche auf Leistung eines Kaufpreises, einer Enteignungsentschädigung oder eines sonstigen Entgelts für im Geltungsbereich dieses Gesetzes belegene Grundstücke zu erfüllen sind. Unser Antrag bezweckt, die Worte „Geltungsbereich dieses Gesetzes" durch die Worte „Reichsmarkwährungsgebiet mit Ausnahme der sowjetischen Besatzungszone und des sowjetisch besetzten Sektors von Berlin" zu ersetzen. Damit wird zu erreichen versucht, daß auch die Inanspruchnahmen, Enteignungen, Kaufverträge aus den Vertreibungsgebieten in diese Bestimmung einbezogen sind.
Wir haben uns im Ausschuß — ich glaube, in München — über diese Frage unterhalten, und ich hatte damals eigentlich den Eindruck, daß der Ausschuß diesem Begehren stattgeben wollte. Es ist nicht einzusehen, weshalb diese Beschlagnahmen oder Enteignungen in den deutschen Vertreibungsgebieten, die vom Reich vorgenommen worden sind, nicht einbezogen werden sollen.
Ich bitte deshalb, unserem Antrag stattzugeben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Antrag Umdruck 1279 Ziffer 3 soll wohl nicht begründet werden? — Ich eröffne die Aussprache.
Ich darf meiner Verwunderung Ausdruck geben, Herr Abgeordneter Dr. Kather; denn Ihre Fraktion hat den interfraktionellen Antrag, der den § 10 in gewisser Weise ändern will, mit unterschrieben. Jetzt bringen Sie noch einen eigenen Antrag ein. Ich kann nicht ganz prüfen, wieweit sich die Dinge da überschneiden. Das wollte ich nur mal so am Rande bemerkt haben.
Herr Abgeordneter Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch zu diesem Antrag darf ich auf den Schriftlichen Bericht verweisen, und zwar auf die Ausführungen, die sich auf Seite 7 des Berichts zu Drucksache 3529 auf der rechten Spalte im zweiten Absatz finden. Das Problem ist in der Tat im Ausschuß besprochen worden. Es handelt sich darum, daß man auch rückständige Kaufpreise und Enteignungsentschädigungen zu Lasten des Reichs usw. für Grundstücke, die in den Vertreibungsgebieten belegen waren, erfüllen sollte. Wie Sie aus dem Schriftlichen Bericht ersehen, hat der Ausschuß jedoch vorgezogen, die Behandlung dieses Problems dem Lastenausgleichsausschuß zu überlassen; denn es ist richtiger, im Lastenausgleich entweder für die dort verlorengegangene Forderung oder für das Grundstück nach den Grundsätzen des Lastenausgleichs eine Entschädigung zu gewähren und den Betreffenden etwa so zu stellen, als wenn er das Grundstück behalten hätte und es ihm in seinem Eigentum in den Vertreibungsgebieten verlorengegangen wäre, also die Kaufpreis-
oder andere Forderung so zu behandeln, wie solche Dinge im Lastenausgleich behandelt werden. Das kann mehr und kann auch weniger sein als eine Einbeziehung in die Regelung dieses Gesetzes. Wenn sich auch auf diese Art, wie der Ausschuß sie empfohlen und in dem Bericht begründet hat, keine angemessene Regelung ergibt, wird für diesen Spezialfall eine Novelle zum Gesetz, die nach den Entschließungen sowieso in Betracht gezogen werden muß, Remedur schaffen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Ausführungen von Herrn Seuffert muß ich erwidern, daß in dieser Legislaturperiode der beabsichtigte Weg nicht mehr gangbar ist. Es ist eine Tatsache, daß diese Forderungen gegen das Reich bisher in das Lastenausgleichsgesetz nicht einbezogen worden sind. Wir haben keine Gewähr dafür, daß das in Zukunft geschieht. Deshalb haben wir hier den Antrag gestellt, und ich bitte erneut, ihn anzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reif.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich eigentlich weniger als Sprecher meiner Fraktion denn als Berliner zum Wort gemeldet. Ich finde es nachgerade unerträglich, daß man immer wieder, auch dort, wo es nicht auf die Person oder auf den Wohnsitz ankommt, in einem Bundesgesetz vorschreiben möchte, daß eine Grundstücksenteignung, die irgendwo im Osten stattgefunden hat, wo wir es kaum noch kontrollieren können, unter Umständen als entschädigungswürdig anerkannt wird, während eine Grundstücksenteignung, die jemanden trifft, der seit Jahr und Tag als politischer Flüchtling hier lebt, nur deshalb nicht anerkannt wird, weil sie in Ost-Berlin oder in der Ostzone stattgefunden hat. Dieser Grundsatz läßt sich nach meinem Dafürhalten auf die Dauer einfach nicht aufrechterhalten.
Nun weiß ich zwar, daß wir auch im Lastenausgleich diese Ausnahme gemacht haben. Wenn im Rahmen des Lastenausgleichs die Dinge so geregelt sind, ist das nicht schön, aber wir sollten wenigstens in einem neuen Gesetz nicht noch einmal den Grundsatz aussprechen, daß ein Schaden, der im Gebiet der sowjetisch besetzten Zone oder in Ost-Berlin entstanden ist, nicht entschädigungswürdig ist, obwohl der geschädigte Eigentümer vielleicht als politisch Verfolgter heute hier bei uns lebt, während die Schäden im fernen Osten ohne weiteres entschädigungswürdig sind.
Das geht, glaube ich, nicht länger so.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kather.
Herr Professor Reif, ich bin für die Formulierung und für die Gewohnheit, die wir haben, nicht verantwortlich; im Gegenteil. Ich darf daran erinnern, daß in der ersten Legislaturperiode gerade ich es war — der Gesetzentwurf hieß „Dr. Kather und Genossen" —, der auch die Sowjetzonenflüchtlinge in den Lastenausgleich einbeziehen wollte. Aber ich habe gesehen, wie der Herr Bundesfinanzminister bei Ihren Ausführungen mit dem Kopf geschüttelt hat, und ich weiß auch, wie die anderen Herren des Ausschusses darüber denken. Der Antrag wäre nach der gegebenen politischen Situation eben völlig unmöglich gewesen, wenn er nicht in dieser Form gestellt worden wäre. Es hat also mit meiner Einstellung zu dem Problem nichts zu tun.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Beratung und komme zur Abstimmung.
Ich lasse zuerst über den interfraktionellen Antrag Umdruck 1279 Ziffer 3 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich lasse dann abstimmen über den Antrag Umdruck 1276 Ziffer 2. Wer ihm zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe!
- Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer nunmehr dem geänderten § 10 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf den § 10 a, dazu den Änderungsantrag Umdruck 1293 Ziffer 1. Herr Abgeordneter Lindenberg zur Begründung!
Nur ein ganz kurzes Wort. Es handelt sich um eine redaktionelle Änderung, die dadurch bedingt ist, daß § 10 soeben geändert worden ist. Ich 'brauche zur Begründung nichts weiter anzuführen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 1293 Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
4 Wer nunmehr dem so geänderten § 10 a zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen gegen 1 Stimme angenommen.
Ich rufe nunmehr auf die §§ 11, — 12, — 13, —13 a, — 13 b, — 13 c und 14 in der Ausschußfassung. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Enthaltungen? — Gegen 1 Stimme mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf § 15, dazu den Änderungsantrag Umdruck 1293 Ziffer 2. Herr Abgeordneter Dr. Lindenberg zur Begründung!
Auch hier handelt es sich nur um eine redaktionelle Änderung, bedingt durch die beschlossene Änderung des § 10.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Beratung und komme zur Abstimmung. Wer dem Umdruck 1293 Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig — soviel ich sehe — angenommen.
Wer dem so geänderten § 15 zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Gegen 1 Stimme angenommen.
§ 16 und § 17 entfallen.
Ich rufe auf die §§ 18, — 19, — 19 a, — 20, —21, — 22, — 23, — 23 a, — 24, — 24 a, — 24 b, —25, — 26, — 27, — alle in der Ausschußfassung. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen 2 Stimmen angenommen.
Ich rufe . auf § 28, dazu den Änderungsantrag 'Umdruck 1276 Ziffer 3. — Herr Abgeordneter Dr. Kather!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag richtet sich gegen den Stichtag vom 31. Dezember 1952. Wir sind der Auffassung, daß, da es sich hier doch im wesentlichen um die verbrieften Forderungen und andere Ansprüche von zahlenmäßig geringerem Ausmaß handelt, eine so weite Zurücklegung des Stichtages nicht gerechtfertigt ist. Wir müssen unserer Auffassung nach überhaupt davon abkommen, die Stichtage so weit zurückzulegen. Wenn ein Mann — und es handelt sich ja hier in der Hauptsache um Sowjetzonenflüchtlinge — vier Jahre hier in der Bundesrepublik arbeitet und Steuern zahlt und nun einmal solche verbrieften Ansprüche hat, ist es in hohem Grade unbillig, ihn davon auszuschließen. Ich bitte also, unserem Antrag stattzugeben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Wittenburg.
Wittenburg : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Begründung des Regierungsentwurfs. In dieser Begründung war damals gesagt worden, daß idas Bundesgebiet ja nur einen Teil des Herrschaftsgebietes, des Sozialprodukts usw. des früheren Deutschen Reiches umfasse und daß deshalb grundsätzlich auch nur ein Teil der Ansprüche erfüllt werden könne, und zwar solche Ansprüche, die dem Westbestand entsprächen.
Der Ausschuß für Geld und Kredit hat sich mit dieser Frage sehr eingehend befaßt und sich der Ansicht der Regierung angeschlossen, daß wegen der Unterscheidung von West- und Ostmasse im Rahmen der abzulösenden Ansprüche auf die Wohnsitzvoraussetzungen des einzelnen Reichsgläubigers abgestellt werden müsse.
Bei der Frage, welcher Stichtag maßgeblich ist, ist der federführende Ausschuß etwas vom Regierungsentwurf abgewichen. Er hat nämlich den Stichtag vom 31. Mai 1950, der im Regierungsentwurf vorgesehen war, auf den 31. Dezember 1952 verlegt. Er ist dabei von der Erwägung ausgegangen, daß das Lastenausgleichsgesetz und die früheren Gesetze auf den gleichen Tag abgestellt warden sind. Er war der Auffassung, daß in der Zeit von 1950 bis 1952 kaum eine Verlagerung von Stücken vorn Osten nach dem Westen stattgefunden hat.
Wenn wir nun den Stichtag entsprechend dem Antrag des GB/BHE auf den Tag des Inkrafttretens des Kriegsfolgenschlußgesetzes verlegten, müßten wir doch wohl berücksichtigen, daß, seitdem wir uns hier mit diesem Gesetz befassen und seitdem hier die Gewährung einer Entschädigung beschlossen worden ist, eine Reihe von Papieren nach hier übertragen worden sind. Mit einem solchen Einströmen einer größeren Summe aus dem Ostgebiet ist bestimmt zu rechnen.
Es kommt hinzu, daß das vorliegende Gesetz nach § 93 mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse in Berlin erst am ersten Tage des zweiten Monats nach seiner Verkündung in Kraft treten soll. In der Zwischenzeit bis dahin wird noch weitere Gelegenheit gegeben sein, Papiere hierherzubringen. Ich halte aus diesem Grunde den vorliegenden Antrag für absolut unannehmbar und bitte, ihn abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. - Dann schließe ich die Beratung und komme zur Abstimmung.
Wer dem Änderungsantrag 1276 Ziffer 3 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer nunmehr dem § 28 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen mit Mehrheit verabschiedet.
Ich rufe nunmehr auf §§ 28 a, - 29, - 30, -31, - 32, - 32 a, - 33, - 34, - 35, - 36, -37,-38,-39,-40,-41,-42,-43,-44 -44a,-45,-46,-47,-48,-49,-50,-51,52,-53,-54,-55,-56,-57,-58 -59,- 60 entfällt, 61, - 62, - 63 und 64.
- Sie ziehen also den Antrag Umdruck 1276 Ziffer 4 zurück. Ich stelle das fest.
Ich rufe dann weiter auf §§ 65, - 66, - 67, - 68, - 69, - 70, - 71, - 72, - 73, - 74, - 75 entfällt, 76, - 77 entfällt, 78, - 79, - 80 entfällt, 81, - 81 a, - 81 b, - 81 c, - 81 d, - 81e, -81 f, - 81 g, - 81 h, - 81 i, - 82, - 82 a, - 83 entfällt, 84, - 85, - 86, - 86 a, - 87, - 87 a, -87 b, - 87 c, - 88, - 89, - 89 a, - 90 und 91.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.
Wer den laufgerufenen Paragraphen in der Ausschußfassung in zweiter Lesung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen 1 Stimme verabschiedet.
Ich rufe § 91 a und dazu den Änderungsantrag Umdruck 1279 Ziffer 4 auf. Es handelt sich um einen interfraktionellen Antrag, der wohl nicht begründet zu werden braucht. Wer diesem interfraktionellen Antrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen 1 Stimme verabschiedet.
Wer dem so geänderten § 91 a zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen 1 Stimme angenommen.
Ich rufe nunmehr auf § 92 und dazu den Änderungsantrag Umdruck 1293 Ziffer 3. Herr Abgeordneter Dr. Lindenberg, wollen sie ihn begründen?
- Danke. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung.
Wer dem Änderungsantrag Umdruck 1293 Ziffer 3 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen 1 Stimme angenommen.
Wer dem so geänderten § 92 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen 1 Stimme verabschiedet.
Ich rufe auf § 93, - Einleitung und Überschrift.
- Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige Stimmen mit Mehrheit verabschiedet.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der zweiten Lesung des Gesetzes. - Bitte, Herr Abgeordneter Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus verfassungsrechtlichen Gründen erscheint es bedenklich, die dritte Lesung dieses Gesetzentwurfs vor Verabschiedung der Grundgesetzänderung vorzunehmen. Ich bitte deswegen, die dritte Lesung für heute von der Tagesordnung abzusetzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist das Haus damit einverstanden? - Dann sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
- Ich habe dabei unterstellt, daß wir die Beratung des Gesetzes über die Berliner Selbstverwaltung heute nicht mehr anfangen wollen; denn es wurde im Ältestenrat immer gesagt, daß das eine lange Debatte gibt. Aber wenn das Haus es wünscht, - bitte.
- Nein. Gut, dann bleibt es dabei.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen 9 Uhr und schließe die heutige Sitzung.