Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich zunächst einige Glückwünsche auszusprechen. Der Abgeordnete Kirchhoff hat am 6. Juni sein 72. Lebensjahr vollendet.
Der Abgeordnete Kunze ist am selben Tage 65 Jahre alt geworden,
der Abgeordnete Heide am 20. Juni 60 Jahre
und der Abgeordnete Dr. Bergmeyer am 22. Juni ebenfalls 60 Jahre.
Gestern hat unsere Alterspräsidentin, Frau Dr. Dr. h. c. Marie-Elisabeth Lüders, ihren 79. Geburtstag gefeiert.
Ich wünsche allen Genannten herzlich Glück zu diesen Jahrtagen.
Ihnen, verehrte und liebe Kollegin Dr. Lüders, wünsche ich im Namen unseres Hauses ganz besonders Glück und Segen.
Sie haben schon früh Ihre Arbeit in den Dienst des gemeinen Wohls gestellt, schon zu einer Zeit, die dem Wirken der Frau im öffentlichen Leben nicht sehr hold gewesen ist. Der Fürsorge für die Armen und Vergessenen galt von jeher Ihre Liebe und dem Kampf um das Recht der Schlechtweggekommenen Ihre Energie. Das hat Sie den Men-
Zum Dank für Ihre Leistung entsandte Sie das deutsche Volk im Jahre 1919 in die Nationalversammlung in Weimar, ein Jahr darauf in den Reichstag, dem Sie bis zum Jahre 1932 angehört haben. Nach 1933 haben Sie Berufsverbot erhalten. Sie haben Gestapohaft und das Zuchthaus kennenlernen müssen. Das hat Ihre Kraft nicht gebrochen. Sie haben sich wieder in den Dienst der Allgemeinheit gestellt, und nun sind Sie hier in unserer Mitte. Wir alle sind Zeugen Ihrer Beredsamkeit und der Leidenschaft, mit der Sie für Ihre Sache, die immer noch die Sache derer ist, die einen Verteidiger brauchen, einstehen. Wir wissen um die Großherzigkeit der Gesinnung, mit der Sie auch dem politischen Gegner gegenübertreten. Sie sind uns darum allen ein Vorbild, und wir möchten von diesem Vorbild noch lernen und darum hoffen, daß Sie noch recht lange in unserer Mitte wirken. Sie wünschen es sich vielleicht anders. Sie haben den Frieden der Abendsonne des Lebens sicher verdient wie nur einer, aber wir sind Egoisten, und wir lassen Sie nicht freiwillig los. In diesem Sinne: ad multos annos!
Meine Damen und Herren,
ich habe einer schmerzlichen Pflicht zu genügen. Am 4. Juni dieses Jahres ist in Berlin Frau Dr. h. c. Louise Schroeder, Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Ehrenbürgerin der Stadt Berlin, im 71. Lebensjahr verschieden. Diese Frau, die von den Bürgern ihrer Wahlheimat „unsere Louise" genannt wurde, wurde im Jahre 1887 zu Altona als Tochter eines Bauarbeiters geboren. Sie hat schon früh erkannt, daß es nicht genügt, über das Elend dieser Welt zu sinnieren und zu klagen, sondern daß man sich anstrengen muß, es zu verringern. Sie hat weiter erkannt, daß dazu auch politische Arbeit nötig ist, neben der freilich das Menschliche nicht vergessen werden dürfe. So trat sie schon mit 22 Jahren einer politischen Partei, der Sozialdemokratischen Partei, bei, um in ihren Reihen für Menschlichkeit und politische wie soziale Gerechtigkeit zu kämpfen. Der Schutz der Schwachen, der Schutz der Alten, der Schutz von Mutter und Kind, der Schutz der Jugend, das waren die Gebiete, denen ihre hauptsächliche Fürsorge galt, und sie hat noch zu einer Zeit, die der Frau die parlamentarische Tätigkeit verweigerte, manchem Geschehen auf dem Gebiet der Sozialpolitik ihren Stempel aufgedrückt. So war es nicht weiter verwunderlich, daß Louise Schroeder 1919 in die Weimarer Nationalversammlung und 1920 in den Reichstag gewählt wurde. Sie hat dem Reichstag his 1933 angehört, und manches sozialpolitische Gesetz dieser Zeit trägt unverkennbar ihr Gepräge. Das Gesetz über Mutter- und Kinderschutz wurde nicht umsonst die „Lex Schroeder" genannt.
Im Unglücksjahre unseres Volkes erlitt sie das Schicksal so vieler aufrechter und tätiger Demokraten: aller öffentlichen Funktionen entkleidet, ward sie zu einem kargen Leben in der Zurückgezogenheit Altonas verurteilt. Sie nahm ihr und ihrer Angehörigen Schicksal tapfer in die Hand und hat so schließlich in ihrer Wahlheimat Berlin den Krieg überdauern können. Alsbald trat sie wieder in Reih und Glied, und das Vertrauen des Volkes von Berlin machte sie zum Bürgermeister. Als Oberbürgermeister Ernst Reuter durch die sowjetische Besatzungsmacht an der Übernahme seines Amtes gehindert wurde, bekam sie die schwere Last des verantwortlichen Oberhauptes dieser belagerten Inselfestung der Freiheit zu tragen. Sie ist .es gewesen, die während der entsetzlichen Zeit der Blockade den Mut der Berliner aufrechterhielt, nicht durch prahlerische Kraftmeierei, sondern indem sie die schwere Tugend der Tapferkeit in der Geduld und der Kraft des reinen Herzens auch in der Schwachheit auf die Menschen ausstrahlte, die in ihr die Sachwalterin und Vorkämpferin sahen. In diesem stillen Heldentum hat Louise Schroeder sich für immer in das Ehrenbuch des deutschen Volkes eingeschrieben, nicht nur des deutschen Volkes, nein, in das Ehrenbuch der Menschlichkeit.
Es könnte viel Rühmen um diese Frau gemacht werden. Man könnte daran erinnern, daß sie eine Zierde der Beratenden Versammlung des Europarats gewesen ist, daß sie eine Zeitlang Präsidentin des Städtetages war und vieles andere mehr. Das alles ist bedeutsam. Aber wenn man von Louise Schroeder spricht, dann meint man jene stille, lautere Frau, die das Volk Berlins auch heute nach ihrem Tode „seine Louise" nennt. Eine höhere Ehrung als diese hat das Volk einer Stadt nicht zu vergeben. Und wenn diese Stadt die Hauptstadt Deutschlands ist, dann wiegt diese Ehrung schwer. Wir selber haben eine liebe Kollegin verloren und der Deutsche Bundestag eines seiner würdigsten Mitglieder. Wir trauern und gedenken Louise Schroeders in Dank und Treue.
Doch wir haben einen weiteren bitteren Anlaß zur Trauer. Am 3. Juni dieses Jahres sind beim Überqueren der Iller anläßlich einer der Ausbildung dienenden Übung 15 Soldaten des 19. Luftlande-Jägerbataillons, Standort Kempten, ertrunken. Es sind dies die Jäger Hans Föhrenbach aus Donaueschingen, Walter Hanakam aus Oberjetten, Günter Isak aus Watterdingen, Willi Kleinknecht aus Ellhofen, Karl Koczor aus Neuhausen a. d. Filder, Horst Leidner aus Schlatt, Johannes Leippert aus Großengstingen, Helmut Ottmüller aus Waldenbuch, Gerhard Pfeifer aus Dossenheim, Werner Puschler aus Keppershausen, Walter Schneider aus Donaueschingen, Siegfried Schwartz aus Rimbach, Günter Stegmaier aus Schwäbisch Gmünd, Rudolf Weiß aus Tiengen, Gerhard Zarn aus Trittlingen.
Am 14. Juni fand in Grafenwöhr der Unteroffizier Huber aus Schneidensee den Tod, als ein Blindgänger krepierte, und vier Soldaten wurden bei diesem Unglück verwundet.
Jenseits der bangen Frage, ob hier ein blindes Schicksal waltete, dem menschliches Vermögen nicht zu steuern vermochte und das Schuldlose schuldig werden ließ, oder ob pflichtwidriges Verhalten Schuldiger so viele blühende Leben vernichtete und andere Leben in ihrem Kern getroffen hat, haben diese schwarzen Tage unser ganzes Volk in tiefste Trauer geworfen. Viele Menschen sterben an jeglichem Tag. Aber es ist immer etwas Besonderes, wenn junge Menschen ihr Leben im gemeinsamen Dienst an ihrem Volke lassen, sei es in der Uniform des Soldaten, sei es in der rußigen Arbeitskleidung des Bergknappen. Darum geben wir heute bei dieser unserer ersten Zusammenkunft nach den Unglückstagen unserer Trauer sichtbaren Ausdruck, und auch bei dieser Gelegenheit handeln wir als Beauftragte des ganzen deutschen Volkes.
Die Frage nach Verantwortung und Schuld mögen die dazu berufenen Organe unseres Staates, jedes nach seiner Zuständigkeit und innerhalb der Ordnung unserer Gesetze und zum gebotenen Zeitpunkt, klären. In diesem Augenblick können wir nichts anderes tun, als uns insgesamt in einträchtiger Trauer vor den Gräbern dieser jungen Menschen und dem Leide ihrer Angehörigen tief zu verneigen. Vielleicht ist es auch die rechte Zeit, uns daran zu erinnern, daß auch dieses Geschehen uns Pflichten auferlegt hat.
Sie haben sich zu Ehren der Toten von Ihren Sitzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Ich habe bekanntzugeben, daß für die verstorbene Abgeordnete Frau Louise Schroeder am 11. Juni der Abgeordnete Dr. Grunner in den Bundestag eingetreten ist. Der Abgeordnete Dr. Grunner hat am 18. Juni auf sein Mandat verzichtet; die Verzichtserklärung ist mit Wirkung vom 21. Juni vom Vorstand des Bundestages beschlußmäßig anerkannt.
Nachfolger für Herrn Dr. Grunner ist mit Wirkung vom 25. Juni der Abgeordnete Tausch-Treml. Ich begrüße unseren neuen Kollegen in unserer Mitte und wünsche ihm eine gute Arbeit.
Der Abgeordnete Prinz zu Löwenstein hat mit Schreiben vom 6. Juni dieses Jahres mitgeteilt, daß er aus der Fraktion der FDP ausgetreten ist und dem Bundestag als fraktionsloser Abgeordneter angehört. Mit Schreiben vom 25. Juni hat er mitgeteilt, daß er der Fraktion der DP(FVP) beigetreten ist.
Mit Rücksicht auf die finanziellen Auswirkungen, die sich ergeben, wenn den von den Ausschüssen beschlossenen Fassungen entsprochen wird, schlägt der Ältestenrat auf Anregung des Bundesfinanzministers und des Haushaltsausschusses vor, folgende Gesetzentwürfe nach § 96 der Geschäftsordnung dem Haushaltsausschuß zu überweisen:
Gesetz über die Einbringung der Steinkohlenbergwerke im Saarland in eine Aktiengesellschaft, Drucksache 3420;
Getreidepreisgesetz 1957/58, Drucksache 3520;
Sechstes Gesetz zur Änderung des Zuckersteuergesetzes, Drucksache 3199;
Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen, Drucksache 3540 und 3159 ;
Zweite Novelle zum Gesetz 131, Drucksache 2255.
Ist das Haus damit einverstanden? — Ich stelle das fest.
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 7. bzw. 21. Juni 1957 den folgenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Sechstes Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes,
Gesetz über die Ausübung des Berufs der Krankenschwester, des Krankenpflegers und der Kinderkrankenschwester ,
Gesetz über die Feststellung eines Fünften Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1956 ,
Gesetz zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes,
Gesetz über den Wehrbeauftragten des Bundestages,
Gesetz über die Statistik der Bevölkerungsbewegung und die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes,
Rahmengesetz zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts ,
Bundesgesetz zur Regelung der rückerstattungsrechtlichen Geldverbindlichkeiten des Deutschen Reichs und gleichgestellter Rechtsträger ,
Gesetz zur Änderung der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Mali der öffentlichen Fürsorge,
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Förderung des Wohnungsbaus für Umsiedler in den Aufnahmeländern und des Wohnungsbaus für Sowjetzonenflüchtlinge In Berlin,
Gesetz über die Allgemeine Statistik in der Industrie und im Bauhauptgewerbe,
Gesetz zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften,
Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Rechnungsjahr 1957 ,
Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Aktienrechts und des Mitbestimmungsrechts,
Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle,
Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke,
Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für
das Rechnungsjahr 1957 .
Zum Gesetz zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher
Vorschriften sowie zum Haushaltsgesetz 1957 hat der Bundesrat Entschließungen gefaßt, die als Drucksachen 3611 und 3630 verteilt werden.
Dem Gesetz zum Schutze der Berufsbezeichnung „Ingenieur" hat der Bundesrat am 9. Juni nicht zugestimmt. Sein Schreiben wird als Drucksache 3610 verteilt.
Zum Gesetz über allgemeine Höchstgeschwindigkeitsgrenzen für Kraftfahrzeuge hat die Bundesregierung mit Schreiben vom 14. Juni 1957 Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangt. Ihr Schreiben wird als Drucksache 3617 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Finanzen hat unter dem 13. Juni 1957 die Kleine Anfrage 326 der Abgeordneten Albrecht und Genossen betreffend Erhebung einer Monopolausgleichsabgabe auf ausländischen Wermut- und Dessertwein (3175) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3619 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 23. Mai 1957 die Kleine Anfrage 356 der Fraktion der FDP betreffend Übergangsmaßnahmen auf dem Gebiet des Besoldungs- und Versorgungsrechts beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3544 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 29. Mai 1957 die Kleine Anfrage 358 der Fraktion der FDP betreffend Erhöhung der Gebührensätze der amtlichen Gebührenordnung für approbierte Ärzte und Zahnärzte (3514) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3597 verteilt.
Der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat unter dem 21. Juni 1957 die Kleine Anfrage 362 der Abgeordneten Schmücker, Stücklen und Genossen betreffend Aufkommen und Verwendung von ERP-Mitteln beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3646 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 4. Juni 1957 auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestags in seiner 138. Sitzung über Maßnahmen zur Förderung des kulturellen Austausches sowie des Reise- und Besuchsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten des Europarates berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3614 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestags in seiner 89. Sitzung über Maßnahmen der Regierung im Hinblick auf die Hochwasser- und Unwetterschäden des Jahres 1956 berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3624 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 3. Juni 1957 auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner 209. Sitzung über die Weitergabe der Entschließung des Bundestages betreffend Atomwaffen berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3009 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 24. Mai 1957 den Jahresbericht 1955 der sozialen KrankenversIcherung übersandt, der im Archiv zur Einsichtnahme ausliegt.
Der Herr Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung hat unter dem 21. Mai 1957 den Geschäftsbericht der Bundesanstalt für 1954 übersandt, der im Archiv zur Einsichtnahme ausliegt.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 18. Juni 1957 den Geschäftsbericht der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte für die Zeit vom 1. August 1953 bis 31. Dezember 1954 übersandt, der als Drucksache 3622 verteilt wird.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 31. Mai 1957 gemäß § 20 Abs. 5 des Milch- und Fettgesetzes in der Fassung vom 10. Dezember 1952 die Verordnung M Nr. 1/57 zur Änderung der Verordnung M Nr. 2/56 über Preise für Milch übersandt, die im Archiv zur Einsichtnahme ausliegt.
Der Herr Oberstaatsanwalt von Hildesheim hat unter dem 18. Februar 1957 mitgeteilt, er habe mit Verfügung vom gleichen Tage das Ermittlungsverfahren gegen leitende Angestellte der VWW-GmbH in Wolfsburg — insbesondere den Gen.-Dir. Prof. Dr. Heinz Nordhoff — wegen Verdachts der Untreue hier: Bezahlung eines Wahlinserats der CDU durch das Volkswagenwerk eingestellt. Die Verfügung liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 24. Juni 1957 die Kleine Anfrage 363 der Fraktion der CDU/ CSU betreffend Energiebilanz des Bundesgebietes beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3665 verteilt.
Meine Damen und Herren, ich habe die Ehre, elf französische Kollegen, die unserem Hause die Ehre ihres Besuches geben, bei uns zu begrüßen.
Sie werden unseren Beratungen von der Tribüne aus beiwohnen. Ich begrüße diese französischen Kollegen ganz besonders, ist dieser Besuch doch ein sehr sprechendes Zeichen dafür, daß sich im Verhältnis unserer Länder, Völker und Staaten zueinander etwas Entscheidendes geändert hat.
Ich glaube, daß wir diese Änderung aus vollem Herzen begrüßen, wir alle miteinander,
ohne eine einzige Ausnahme. Ich kann unseren französischen Kollegen versichern, daß in diesem Hause keine einzige Frau und kein einziger Mann sitzen, die nicht davon überzeugt wären, daß die Ära der Konflikte zwischen unseren Völkern ein für allemal vorbei ist
und nunmehr eine Epoche engster Zusammenarbeit begonnen hat, die zu immer nutzbringenderer gemeinsamer Leistung für alle führen soll.
Der Abgeordnete Rasner wünscht das Wort zur Geschäftsordnung. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, Punkt 18 der heutigen Tagesordnung, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP, GB/BHE, DP und dem Abgeordneten Stegner eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Artikel 74 und 75 des Grundgesetzes, von der Tagesordnung abzusetzen.
Wird das Wort dazu ergriffen? — Keine Wortmeldungen?
— Wollen Sie Ihren Antrag vielleicht begründen?
— Ein Teil des Hauses wünscht eine Begründung. Sie sind dazu nicht verpflichtet, aber vielleicht könnten Sie aus Courtoisie doch eine Begründung geben.
Ich will gern begründen. Die Verabschiedung des Wasserhaushaltsgesetzes bedarf nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge nicht mehr einer Änderung und Ergänzung des Grundgesetzes. Wir sind bei uns in der Fraktion der Meinung, wenn das nicht der Fall ist, sollten wir das Haus hier und heute mit dieser Grundgesetzergänzung und -änderung nicht belasten.
Es soll also nicht geantwortet werden. Dann stimmen wir ab. Wer dem Antrag zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen und bei zahlreichen Enthaltungen ist dieser Antrag angenommen.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf Punkt 1:
Erklärung des Bundesministers für Verteidigung
Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 3. Juni des Jahres sind 15 junge Soldaten der Bundeswehr beim Überqueren der Iller tödlich verunglückt. Bevor ich den Bericht über diesen Unglücksfall im einzelnen gebe, darf ich auch vor diesem Hohen Hause im Namen der Bundesregierung das tiefe Beileid und die innige Anteilnahme gegenüber den Angehörigen der Opfer dieses Unglücks zum Ausdruck bringen.
Nach den geltenden rechtlichen Bestimmungen ist die Feststellung der individuellen Schuld und die strafrechtliche Verfolgung ausschließlich Angelegenheit der ordentlichen Gerichte. In das laufende Verfahren konnte und wollte der Bundesminister für Verteidigung nicht eingreifen, und er wird es auch in Zukunft nicht tun. Sein Maßnahmen dienten in erster Linie innerdienstlichen Zwecken, um etwaige Lücken oder Mängel in Dienstvorschriften, bei der Ausbildung oder auf sonstigen Gebieten, z. B. auf personellem Gebiet, festzustellen. Darüber hinaus sollte auf Anforderung den Organen der Staatsanwaltschaft jede erdenkliche Unterstützung zuteil werden. Vor den Entscheidungen des Gerichts ist daher auch eine abschließende Wertung bzw. Schuldfeststellung nicht möglich.
Neben der durch den Staatsanwalt verfügten vorläufigen Festnahme der Stabsunteroffiziere Schäffler und Julitz ordnete der Bundesverteidigungsminister nach Meldung des Unglücksfalles als Sofortmaßnahmen an: erstens die vorläufige Dienstenthebung des Bataillonskmmandeurs und des Kompaniechefs — diese Maßnahme sollte ausschließlich die objektive Durchführung des gerichtlichen Verfahrens fördern, um allen zu vernehmenden Soldaten jede mögliche Befangenheit zu nehmen —, zweitens die Bildung einer Untersuchungskommission des Bundesverteidigungsministeriums, die sich aus dem Leiter der Rechtsabteilung, dem Inspizienten des Schulwesens im Truppenamt und einem Ausbildungsreferenten des Führungsstabes des Heeres zusammensetzt.
Der Bundesverteidigungsminister, der Generalinspekteur der Bundeswehr, der Inspekteur des Heeres 'und der Kommandierende General des II. Korps trafen am 3. Juni abends in Kempten ein. Während der Nacht fanden 'mehrstündige Besprechungen und ausgedehnte Besichtigungen der Un-
fallstelle statt. Dabei wurden die eingeleiteten Rettungsmaßnahmen überprüft und bis in die Morgenstunden hinein verfolgt.
Schon am 6. Juni 1957 erstattete der Staatssekretär des Verteidigungsministeriums dem Verteidigungsausschuß unter Verwertung der ersten Untersuchungsergebnisse und persönlicher Eindrücke einen vorläufigen Bericht. Hierbei wurde im Auftrag des Verteidigungsministers der Bericht vor dem Plenum des Bundestages angekündigt, der heute gegeben wird. Diesem Bericht liegen neben eigenen Feststellungen der am 18. Juni fertiggestellte erste ausführliche Bericht der Untersuchungskommission zugrunde, der am 19. und 20. Juni vom Minister, vom Staatssekretär, vom Generalinspekteur und vom Inspekteur des Heeres zur Kenntnis genommen, am 21. Juni in einer Besprechung in diesem Kreise behandelt und am folgenden Tage in einer ganztägigen Besprechung in Anwesenheit der Inspekteure der Teilstreitkräfte, der Korps- und Divisionskommandeure sowie der Kommandeure der Schulen im einzelnen erörtert wurde.
Die bisherigen Ermittlungen ergaben folgenden Tatbestand, den ich dem Hohen Hause unterbreite.
Die ersten Soldaten trafen zur Aufstellung des Luftlande-Jägerbataillons 19 in Stärke von 2 Offizieren, 16 Unteroffizieren und 14 Mann am 1. August 1956 in Kempten ein. Bis zum 3. Januar 1957 hatte das Bataillon die Stärke von 19 Offizieren, 103 Unteroffizieren und 255 Mann erreicht. Im Zuge der Vorbereitung für die Einstellung von 287 wehrpflichtigen Rekruten am 1. April 1957 wurde in den Monaten Januar bis März 1957 die Zahl der Ausbilder laufend erhöht. Am 3. Juni fehlten gegenüber dem Soll gemäß Stärke- und Ausrüstungsnachweisung, die allerdings nicht mit den zur Verfügung stehenden Planstellen identisch ist, noch 11 Offiziere, während die Unteroffizierplanstellen besetzt waren. Das Bataillon unterstand seit dem 15. Januar 1957 der 1. Luftlandedivision. Bataillonskommandeur war seit Beginn der Aufstellung Major Genz. Oberleutnant Sommer führte die 2. Kompanie seit dem 3. September 1956.
Im Hinblick auf die Einstellung von wehrpflichtigen Rekruten am 1. April 1957 fand in der Zeit vom 15. Januar bis 3. März 1957 beim Bataillon ein Unterführerlehrgang statt. Außerdem wurden die für die Ausbildung der Wehrpflichtigen vorgesehenen Unteroffiziere in der zweiten Märzhälfte nochmals zusammengezogen und auf ihre Aufgabe besonders vorbereitet. Den Unteroffizieren, die entweder aus der ehemaligen Wehrmacht oder dem Grenzschutz bzw. der Bereitschaftspolizei stammten, wurden in diesen Lehrgängen die zusätzlichen Kenntnisse vermittelt, um Rekruten im Frieden nach den neuen Vorstellungen ausbilden zu können.
Am Montag, dem 3. Juni 1957 stand auf dem Dienstplan der 2. Kompanie für die Zeit von 7 Uhr bis 12 Uhr Infanteriegefechtsausbildung, und zwar 1. Verhalten des Schützen als Feldposten, Beobachten und Melden, 2. Schanzen, Tarnen und Täuschen, 3. das Verhalten des Schützen im Spähtrupp. Die entsprechenden Ziffern der Ausbildungsvorschrift waren hinter den verschiedenen Ausbildungsaufgaben aufgeführt, um den Unterführern die Vorbereitung auf den Dienst zu erleichtern. Als Leitender war der Kompaniechef, als Übungsort der Raum um .den Schießstand angegeben.
Am 3. Juni morgens trat die Kompanie in Anwesenheit des Kompaniechefs an. An Stelle des Stabsunteroffiziers Schäffler, der sich zur Behandlung seines Fußes in das Revier begeben mußte, übernahm der dienstälteste Gruppenführer, Stabsunteroffizier Julitz, die Führung des 4. Zuges. Die Kompanie rückte um 7 Uhr zugweise nach dem etwa eine Stunde entfernten Übungsgelände unter dem Befehl des dienstältesten Zugführers, Feldwebel Obermüller, ab. Der Kompaniechef nutzte die Marschzeit für die Erledigung von schriftlichen Arbeiten aus. Er ist etwa urn 8.30 Uhr mit seinem Pkw nachgefahren, urn dann an Ort und Stelle den Dienst zu beaufsichtigen. Nach Eintreffen der Kompanie am Schießstand teilte Feldwebel Obermüller den Zügen die einzelnen Übungsräume zu. Er gab die Weisung, daß die Kompanie um 10.45 Uhr am Schießstand sammeln sollte, urn dann nach kurzer Rast den Rückmarsch geschlossen anzutreten.
bei der verfehlten Wehrpolitik des Herrn Bundeskanzlers und seiner Regierung, des Verteidigungsministers und, meine Damen und Herren, der dafür zuständigen Verantwortlichen, und das sind Sie, die Sie jetzt glauben, das mit einem Lächeln und mit Zwischenrufen abwehren zu können.
— Dann sehen Sie sich einmal um; man glaubt, das mit Lachen abtun zu müssen.
— Daß es für Sie peinlich ist, wenn das mit aller
Deutlichkeit festgestellt wird, kann ich mir denken.
Aber es kommt noch etwas hinzu. Sie haben uns in der Vergangenheit gesagt, und Sie sagen uns das jetzt immer noch — und es gibt leider noch viele, die Ihnen das glauben —, daß wir auf Grund der Verträge verpflichtet seien, 500 000 Mann an Soldaten aufzustellen. Inzwischen wissen Sie so gut wie Ihr Verteidigungsminister, daß wir von diesen Zahlen längst abgekommen sind, nicht, weil es an der Hinderungspolitik der Opposition liegt, sondern weil die gesamten internationalen Verhältnisse inzwischen sich so weit entwickelt haben, daß das eine Selbstverständlichkeit werden muß. Nur bei Ihnen hat sich in dieser Hinsicht angeblich immer noch nichts geändert. Nun, es mag sein, daß Sie glauben, es wäre um der Vertragstreue willen notwendig, aber von einer sinnlosen Hast und Überstürzung des Aufbaus unserer Bundeswehr steht in den Verträgen nirgendwo etwas geschrieben. Diese Eile und diese Hast haben sich zuungunsten der Ausbildung der Truppe ausgewirkt. Ich werde nachher versuchen, Ihnen an Einzelbeispielen den Nachweis zu bringen, wo das der Fall ist. Es ist festzustellen, daß im System der Bundeswehr gewisse Dinge nicht in Ordnung sind. Auf die verfehlte Konzeption der Politik des Aufbaus der Bundeswehr ist es zurückzuführen, daß wir solche schweren Geschehnisse zur Kenntnis nehmen und zu ihnen Stellung nehmen müssen.
Wir haben vor zwei Jahren in Amerika mit Politikern des größten Partnerlandes der Bundesrepublik über diese Dinge gesprochen; die Abgeordneten Jaeger, Berendsen, Josten und Kliesing sind Zeugen gewesen. Die Menschen da drüben haben uns gesagt: „Nehmen Sie sich Zeit, gehen Sie Schritt für Schritt in der Entwicklung und im Aufbau der Bundeswehr vor. Auch wir haben ein großes Interesse daran, daß der Aufbau nicht übereilt und überhastet geschieht, sondern daß eine gründliche Arbeit geleistet wird." Immer, wenn wir seitens der Opposition warnend unsere Stimme erhoben haben, schrittweise, mit vernünftigen Planungen und gründlich vorzugehen, um die Grundlage zu schaffen, die hier notwendig ist, haben Sie uns damit abgetan, daß Sie zum Ausdruck brachten, wir sagten immer und zu allem nein und betrieben hier eine Hindernispolitik; es ging sogar so weit, daß Sie sagten, seitens der Opposition werde für die Sicherheit der Bundesrepublik und ihrer Bevölkerung nichts getan.
— Sie sagen „Sehr wahr". Sie wissen genau, daß das nicht stichhaltig, daß das nicht wahr und zurückzuweisen ist.
Um das ganze Problem gründlich zu beleuchten, ist es notwendig, einen Blick in die Bundeswehr und in die Truppe zu tun. Ich stelle einmal die Frage: sind Sie wirklich der Meinung, daß in der Bundeswehr das Prinzip der Disziplin und des Ernstnehmens von Befehlen — es gibt keinen Zweifel darüber, daß eine Truppe auf den Grundlagen von Befehl oder Anordnung und Gehorsam aufgebaut sein muß — so klar und eindeutig ist, wie es der Fall sein sollte? Wir müssen diese Dinge hier behandeln — lassen Sie mich das noch einflechten —, weil wir keine Gelegenheit mehr haben, dies in Unterausschüssen zu tun. Auch der
Unterausschuß „Führung", in dem wir über die Angelegenheiten der Ausbildung, der Lehrgänge und Schulen gesprochen und aus der Erfahrung Vorschläge gemacht haben, wie man es machen sollte, ist auf Ihren Antrag hin aufgelöst worden. Wir haben im Verteidigungsausschuß vor der heutigen Erklärung des Herrn Verteidigungsministers nur einen Zwischenbericht bekommen; sonst sind diese Dinge nicht beraten worden. Wir müssen uns also hier im Plenum damit beschäftigen.
Die Vorstellungen über die Präsentiergriffe — um nur ein Beispiel herauszugreifen, das Ihnen vielleicht simpel erscheinen mag; aber dieses Problem ist da — und über die Grußordnung sind von den Politikern im Einverständnis mit den zuständigen Stellen des Verteidigungsministeriums in monatelangen Beratungen und Besprechungen erörtert worden. Es ist festgelegt worden, in welcher Form, in welcher Art und Weise diese Dinge gemacht werden sollen. Wir waren und sind der Meinung, daß Beschäftigungstheorie und überflüssige Dinge wie z. B. Präsentiergriffe überhaupt nicht mehr geübt werden sollten, und zwar aus Zeitgründen nicht und auch aus Gründen der Tatsache nicht, daß ein solcher Verteidigungsapparat viel Geld kostet und man das Geld zweckmäßig anlegen sollte, nicht für Beschäftigungstheorie. Was wird in der Bundeswehr gemacht, meine Damen und Herren? Es werden wieder fleißig Präsentiergriffe gekloppt.
Nach der alten Methode wird wieder fleißig die Grußordnung geübt und durchgeführt. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Weil es in der Bundeswehr an den Stellen, wo das geschieht, Offiziere gibt, die nicht geneigt sind, Befehle, die ihnen nicht zusagen, auszuführen. Sie umgehen sie, weil sie ihnen unbequem sind.
Das ist hier der Fall. Und wenn, wie sich an solchen simplen Beispielen zeigt, die Dinge oben nicht in Ordnung sind, wie sollen sie dann — und das möchte ich Sie einmal fragen — unten in Ordnung sein. wenn man dort die Beispiele sieht und den Anschauungsunterricht bekommt, wie oben gehandelt wird?
Es gibt auch eine Anordnung über Vereidigungsfeiern, die Einfachheit und Schlichtheit vorschreibt. Ich frage Sie: Haben Sie nicht Anschauungsunterricht nehmen können. wie das gehandhabt wird. mit welcher Aufmachung, mit welchem Porno? Von den Reden, die dabei gehalten werden, will ich hier gar nicht sprechen.
Meine Damen und Herren, nehmen wir das unmittelbare Beispiel an der Iller und überprüfen wir einmal, wie es in dieser Hinsicht in der Befehlsgebung und in der Ausführung aussieht. Es ist die Stellenbesetzung angesprochen worden. Wir wissen, daß vier Offiziersstellen in der Kompanie vorhanden sind. Nur eine war besetzt. Die unmittelbare Aufsicht über die übende Truppe hatten die Unteroffiziere. Nun gut, die Unteroffiziere können Aufsicht führen. aber nur dann. wenn ihnen die Grundlage einer eingehenden Ausbildung gegeben worden ist und wenn sie über die notwendige Erfahrung verfügen. die zur Ausübung dieser Dienstaufsicht und zur Übernahme von Verantwortung bei der übenden Truppe notwendig ist.
Es ist hier gesagt worden: Der Dienstplan an diesem Tag beinhaltete Gefechtsausbildung des Einzelschützen, Schanzen, Tarnen, Täuschen und Spähtruppausbildung, das Verhalten des Schützen im Spähtrupp. Meine Damen und Herren, militärtechnisch, ausbildungstechnisch gesehen, möchte ich Ihnen dazu sagen, daß mir jedenfalls die erfahrenen Soldaten unserer Bundeswehr, mit denen ich gesprochen habe — abgesehen von meiner eigenen Erfahrung, die ich in diesen Dingen habe —, gesagt haben: Eine solche Ausbildung, bei der in einem Spähtruppübungsverfahren die letzte Konzentration und die letzte Fertigkeit des Soldaten verlangt wird, gehört niemals an den Anfang der Ausbildung von Rekruten, sondern wenn schon, dann in die Endphase der Ausbildung. Auch dann wird der Rekrut nach modernen Grundsätzen noch nicht in der Lage sein, diese Fertigkeit eingehend und bis ins letzte gekonnt auszuüben.
Aber an diesem Tage stand in dem Dienstplan nichts von einem Flußübergang an der Iller. Wenn es vorgesehen gewesen wäre, diesen Ausbildungspunkt durchzuführen, dann hätte man sich an die Sicherheitsbestimmungen halten müssen, die auf dem Papier gegeben sind — der Herr Verteidigungsminister hat sie hier angedeutet —: Die Flußtiefe und die Geschwindigkeit des Wassers müssen überprüft werden; es muß vorher abgesteckt werden, wie die Bodenbeschaffenheit ist; die Wattiefe darf für Fußsoldaten nicht mehr als einen Meter betragen, und es muß flußoberseitig ein Seil gespannt werden. Sicherheitsmaßnahmen müssen getroffen werden, wenn etwas Derartiges geübt wird. Nun ist festzustellen, daß diese Sicherheitsvorkehrungen nicht getroffen waren. Auch hier möchte ich daraus ableiten: damit ist der Nachweis erbracht, daß ausbildungsmäßig jedenfalls diejenigen, die die Dienstaufsicht hatten, nicht reif waren, entsprechend richtig zu handeln und zu verfahren. Es gibt keinen Zweifel darüber, daß die Ausbildung der Ausbilder in unserer Bundeswehr auf Kosten des übereilten und überhasteten Aufbaus der Bundeswehr gegangen ist.
Wir wissen heute. daß in den Stäben unserer Bundeswehr eine ganze Reihe von Offizieren und Unteroffizieren sitzen, die über Friedensausbildungserfahrung und auch über Fronterfahrung aus dem letzten Krieg verfügen. Man sollte in eine Überprüfung eintreten — und das sollte man schnellstens tun —, um dort Umbesetzungen vorzunehmen. Man sollte die Offiziere und Unteroffiziere, die dazu ausbildungsmäßig in der Lage sind, umsetzen, damit sie in der Truppe die Ausbildung übernehmen und zeigen können. wie so etwas gemacht wird.
Aber zurück zum Tag an der Iller. Es handelt sich la nicht nur um das, was aus dem Dienstplan herauszulesen war, und um das, was daraus geschehen ist und sich so bitter und grausig dartut. Schon vorher ist bekanntgeworden, daß bei diesen seit nur drei Monaten eingezogenen Rekruten nach drei Wochen Dienstzeit unter anderem ein Gewaltmarsch von 50 km angesetzt worden ist.
Es ist bekanntgeworden, daß nach Rückkehr von diesem Gewaltmarsch mit dreiwöchigen Rekruten um Mitternacht in der Unterkunft bereits um 2 Uhr wieder Alarm gegeben worden ist und diese Rekruten in eine Alarmübung geführt worden sind.
Nach Rückkehr um 10 Uhr in die Unterkunft, mit geschwollenen, mit verwundeten Füßen hat noch eine Inspektion von einer Stunde stattgefunden, und dann erst sind die jungen Soldaten zur Ruhe gekommen.
Wir sollten überprüfen, ob da etwas im System nicht in Ordnung, ob da etwas in Ordnung zu bringen ist. Hier wird der Zwischenruf gemacht, ob da auch nur die Unteroffiziere verantwortlich sind. Ich glaube nicht, daß man es, wie das Herr General Heusinger am Tage des Unglücksfalls tat, mit der Parole abtun kann: Was da geschehen ist, liegt allein in der Schuld der Unteroffiziere; Offiziere sind unbeteiligt.
So geht es nicht, so kann man es nicht machen.
Es ist notwendig, in der Truppe selbst zu versuchen, durch wirklich erfahrene Ausbilder, Offiziere und Unteroffiziere, eine Änderung herbeizuführen, um den jungen Menschen und ihren Eltern, die diese jungen Menschen noch zur Verfügung stellen, wenn sie Soldat werden sollen, die Gewähr zu geben, daß solch schwere Unglücksfälle, jedenfalls so weit, wie das nur irgend möglich ist, ausgeschaltet werden.
Meine Damen und Herren, Sie können es vielleicht damit abtun, daß Sie diese Geschehnisse mit unglücklichen Umständen erklären. Da sind wir eben entgegengesetzter Meinung, Herr Verteidigungsminister. Die Bundeswehr ist nach unserer Auffassung eben nicht reif, Rekruten aufzunehmen und sie mit all den Sicherheitsvorkehrungen und mit der Gründlichkeit, die notwendig ist, zu Soldaten auszubilden, die wirklich ihren Zweck erfüllen. Alle Maßnahmen, die ein Minimum an diesen Möglichkeiten und Sicherungen bieten, müssen angewandt werden, um die Soldaten in die Lage zu versetzen, nicht nur auszubilden und dann Aufsicht auszuüben, sondern auch Verantwortung zu übernehmen.
Meine Damen und Herren, in Gesprächen mit Offizieren und Unteroffizieren der Bundeswehr — zuletzt habe ich selber auf der Tagung des Bundeswehrverbandes Gelegenheit gehabt, das festzustellen — ist erhebliche Klage darüber geführt worden und wird sie immer noch geführt, daß die Offiziere und die Unteroffiziere in unserer Bundeswehr viel zu sehr zum Improvisieren in jeder Hinsicht gezwungen seien, und zwar auf Grund der dort in bezug auf Unterbringung, Unterkunft, Bekleidung und sonstige Versorgung, aber auch ganz besonders in bezug auf die Ausbildung bestehenden Mißstände. Diese Soldaten erklären im Gespräch, sie seien nicht in der Lage, die Verantwortung so zu übernehmen, wie man es von ihnen verlange, eben weil die Voraussetzungen für Gründlichkeit in all diesen Dingen nicht gegeben seien. Wenn Sie, meine Damen und Herren, mit diesen Soldaten sprechen, sagen sie es Ihnen auch, sie sähen und erkennen selber, daß das eine Folge der Überhastung und Übereilung beim ganzen Aufbau der Bundeswehr sei. Meine Damen und Herren, wenn diese Mißstände bereits unter den derzeitigen Verhältnissen festzustellen sind, wie hätte es dann aussehen sollen und wie würde es aussehen, wenn es im Aufbau der Truppe nach den Vorstellungen des Herrn Blank gegangen wäre? Sie wissen doch alle, daß Herr Blank sechs Divisionen und noch viel mehr innerhalb von 22 Monaten komplett aufstellen wollte. Es wäre nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn es so vor sich gegangen wäre.
Meine Damen und Herren, es gibt natürlich eine ganze Reihe von Beispielen, die noch als weitere Begründung dafür anzuführen wären, daß es eine politische Schuld gibt, vor der man nicht ausweichen kann und zu der man Stellung nehmen muß, wie ich Ihnen schon eingangs meiner Ausführungen glaubte sagen zu müssen.
Auch über die Frage der Versorgung der Ange-
hörigen der Toten wäre noch etwas zu sagen; doch darüber wird Ihnen mein Kollege Rasch im Verlauf der Debatte noch einiges sagen.
Ich möchte aber noch einmal ganz kurz zusammenfassen, daß es nach Auffassung meiner Fraktion nicht angeht, in dieser Frage nun einige unglückliche Unteroffiziere als Sündenböcke hinzustellen. Meine Fraktion möchte diese Frage auch nicht nach der Parole von Herrn Heusinger, daß, wie ich eben sagte, die Schuld bei den Unteroffizieren und nicht bei den Offizieren liege, geregelt sehen, auch nicht über den vom Verteidigungsministerium selber im Bulletin vom 13. Juni aufgezeigten Wog. Denn da heißt es, die Soldaten an der Iller hätten den Befehl verweigern können. Meine Damen und Herren, das scheint mir eine Abwälzung der Schuld nach unten zu sein und ein doch sehr schmähliches Verfahren, ein schmählicher Weg, nämlich die Schuldfrage sogar auf die Toten zu verschieben. Das sollte man nicht tun; das ist nicht der Weg, um mit dieser Frage fertig zu werden.
Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß aus dieser ganzen Situation Konseqenzen gezogen werden müssen und daß wir alle einer Verpflichtung nachzukommen haben. Etwa vor drei Tagen haben wir in den Zeitungen lesen können, daß jetzt in den Besprechungen des Herrn Verteidigungsministers mit seinen hohen Generälen die Auffassung bekanntgegeben worden sei, die die Herren Generäle angeblich schon seit Monaten hätten, daß nämlich die Bundeswehr eine Atempause benötige und daß man erst einmal zum Ausbau und Aufbau von Ausbildungskadern kommen müsse, die es überhaupt gewährleisteten, daß die Rekruten ausgebildet werden können. Aber gestern war Zeitungsmeldungen zu entnehmen, daß niemals an einen Aufbaustopp gedacht sei und daß die bewußten Vorfälle, die Unglücke an der Iller und in Grafenwöhr, keinerlei Anlaß dazu gäben, nun anders zu verfahren als bisher, daß also der
Aufbau der Bundeswehr weiterhin a tempo betrieben werden solle.
Meine Fraktion ist der Meinung, ,daß ausbildungserfahrene Offiziere und Unteroffiziere aus den Stäben, wo sie sitzen, in die Truppe umgesetzt werden sollten, damit sie in der Truppe zeigen, wie die richtige Ausbildung durchgeführt wird, und daß es bei Tagesbefehlen, Standortbefehlen und wie diese Dinge alle heißen, die auf Gefahrenpunkte hinweisen, die allen Unterführern zur Kenntnis gebracht werden und aktenkundig gemacht werden, nicht bei der Aktenkundigmachung und Abzeichnung bleiben darf, sondern daß es notwendig ist, die Durchführung dieser Befehle zu überwachen. Da scheint es in unserer Bundeswehr, in der Truppe selbst nicht :in Ordnung zu sein. Hier scheint mir der Beweis zu liegen, daß auch das eine Folge des übereilten Aufbaues ist, den in erster Linie der Herr Bundeskanzler immer haben wollte. Das sollte die Aufgabe dieser Offiziere sein.
Ich habe seit gestern aus der Presse entnommen, daß man im Verteidigungsministerium jetzt auf einmal mehr dazu neigt, auch ältere, erfahrene Unteroffiziere und Offiziere einzustellen. Ich will hier nicht die Frage untersuchen, ob sich bisher die Besten beworben und gemeldet haben. Wir wissen, daß sich eine ganze Reihe ehemaliger guter Offiziere und Unteroffiziere mit bester Ausbildung, auch Friedensausbildung, nicht nur im Kriege, sondern auch nachher bewährt haben und nach 1915 Positionen beziehen konnten, die ihrer Haltung und ihrer ganzen Qualifikation entsprachen. Sie sind nicht zur Bundeswehr gekommen, weil der Anreiz nicht :allzu groß war; das wissen Sie, meine Damen und Herren. Das gilt für die Besoldung, für die Unterbringung und all die Dinge, bei denen es aber an guten Vorschlägen von uns, wie man es verbessern könnte, nicht gefehlt hat. Nur sind Sie diesen Vorschlägen nicht gefolgt.
Ich habe die Befürchtung, Sie folgen unseren Vorschlägen auch auf einem bestimmten Gebiet nicht, das jetzt ansteht. Es handelt sich um die Sanitätsoffiziere. Ich habe mir sagen lassen, daß im Beamtenrechtsausschuß in dieser Frage Entscheidungen gefallen sind, die mir nicht die Gewähr geben, daß die Truppe in die Lage versetzt wird, solche Sanitätsoffiziere zu bekommen, die wirklich mit Lust :und Liebe den Dienst für die Truppe aufnehmen, der mir schon sehr dringend zu sein scheint, allein auf Grund der Übungen, die man in nach meinem Dafürhalten sinnwidriger Weise mit Rekruten macht, die erst drei Wochen dabei sind. Mit .ihnen macht man diese Marschübungen und andere Dinge, die eigentlich in die letzte Phase der Ausbildung gehören.
Wir sind ferner .der Meinung, daß niemand Unterführer werden darf, der nicht neben seiner Waffenausbildung eine gründliche, einwandfreie Ausbildung auf einer Unteroffiziersschule erhalten hat. Erst das gibt die Gewähr dafür, daß ein Ausbilder, ein Unterführer in der Lage ist, Rekruten auszubilden. Mir genügt das, Herr Verteidigungsminister, was Sie in Ihrem Bericht angeführt haben, was bisher für die qualifizierte Ausbildung vorgesehen ist, nicht.
Weiter sind wir der Meinung, daß niemand zum Offizier ernannt werden sollte, der nicht eine zweieinhalbjährige Ausbildung auf den entsprechenden Schulen und in der Truppe selbst durchgemacht
hat. Nur wenn das der Fallist, ist die Gewähr gegeben, daß der Offizier in der Lage ist, auszubilden.
Im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren —das nehme ich als sicher an —, und im Gegensatz zum Herrn Verteidigungsminister sind wir der Ansicht, daß ab sofort kein Rekrut mehr zusätzlich eingezogen werden dürfte, ehe die leistungsfähigen Ausbildungskader erstellt sind, die in der Lage sind, richtig auszubilden und die letzte Verantwortung zu übernehmen. Nur wenn das geschieht, glauben wir, daß wir auch den Eltern der Söhne gerecht werden, die noch Soldat werden sollen, daß wir ihnen die Gewißheit geben, daß von den Verantwortlichen hier in diesem Plenum, aber auch vom Verteidigungsministerium die richtigen Konsequenzen gezogen worden sind.
Wir werden weiter debattieren, und es wird möglich sein, in der Debatte das eine oder andere noch zu sagen. Ich möchte :abschließend zum Ausdruck bringen, daß uns eine ganze Reihe der Dinge, die jetzt in der Bundeswehr gemacht werden sollen und die der Herr Verteidigungsminister hier vorgetragen hat, so anmuten wie nach dem Spruch: das Kind ist in den Brunnen gefallen, jetzt wird der Deckel daraufgelegt. Wenn jetzt erst diese Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden — daß überprüft wird, .daß die Befehle aktenkundig gemacht, daß sie abgezeichnet werden und daß die Ausführung der Befehle überwacht wird - dann ist das doch der Beweis dafür, daß das bisher nicht gemacht worden ist und daß es bisher eben nicht in Ordnung war, und dann ist das auch die Begründung und der Beweis dafür, daß die Bundeswehr eben nicht reif war, Rekruten aufzunehmen, sie zu verkraften, sie entsprechend auszubilden, und was sonst dazugehört. Deshalb sind wir der Meinung, daß das schnellstens in Ordnung gebracht werden sollte. Aber um Schlimmeres zu verhüten, glauben wir mit unserer Auffassung recht zu haben: keine weiteren Einstellungen, bis die Ausbildungskader stehen und die Voraussetzungen geschaffen sind.
Sie haben über die Befehlstreue gesprochen, Herr Verteidigungsminister, und waren .der Meinung, daß nach der Pause, die wir gehabt haben, und nach den Vorgängen im letzten Kriege diese Befehlstreue nicht mehr so ernst genommen werde. Herr Verteidigungsminister, für die alten ehemaligen Soldaten möchte ich Ihnen erklären: Das können Sie nicht allgemein sagen, das müssen Sie dann schon in bestimmter Richtung sagen. Ich möchte hier stellvertretend für alle, die bis zuletzt ihre Pflicht getan haben, betonen: Die Befehlstreue war da und ist geblieben, sie besteht auch heute noch für sinnvolle und wirklichkeitsnahe Befehle. Darüber gibt es keinen Zweifel. Wenn Sie aber recht haben sollten, dann ist der Standpunkt um so richtiger, daß desto sorgfältiger und gründlicher ausgebildet werden müßte. Das ist in der Bundeswehr nach unserer Auffassung nicht der Fall. Deshalb ist, wenn wir die Frage der Schuld beleuchten, die Schuld eindeutig — wie ich es eingangs gesagt habe — bei den Verantwortlichen zu suchen, und die sitzen in Ihren Reihen, meine Damen und Herren; die sitzen in der Regierung, angefangen bei dem Herrn Bundeskanzler und seiner Regierung, und im Verteidigungsministerium. Das sei noch einmal mit aller Deutlichkeit gesagt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Jaeger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns in diesem Hohen Hause oft über grundsätzliche und praktische Fragen des Wehrwesens und der Wehrpolitik unterhalten. Noch niemals hatten wir einen so traurigen Anlaß, dies zu tun. Dieser konkrete, für uns alle — nicht nur für die Betroffenen, sondern für alle und sicherlich auch für dieses Hohe Haus — schmerzliche Anlaß sollte uns allen, gleich ob wir Parteien der Koalition oder der Opposition angehören, ein bestimmtes Maß an Zurückhaltung auferlegen.
Wir müssen eine menschliche Tragödie, die aus Zufall, Schicksal und menschlichem Versagen zustande gekommen ist, so würdigen, wie sie zustande kam, und wir müssen versuchen, über die Frage der Schuld, über die Frage der Versorgung und vor allem über die Frage der Vermeidung einer Wiederholung solcher Unglücke hier zu sachlichen Vorstellungen zu kommen. Wir dürfen aber nicht politisches Kapital aus diesem traurigen Ereignis schlagen.
Ich werde daher, so hoffe ich, der Versuchung, in parteipolitische Einseitigkeiten abzugleiten, in meiner Rede widerstehen, auch wenn es mein Herr Vorredner nicht in allen Teilen seiner Rede vermocht hat.
Das Unglück an der Iller — auch das in Grafenwöhr, aber das Unglück an der Iller vielleicht noch l etwas sichtbarer, weil es das erste Unglück war und weil es eine große Zahl von Soldaten getroffen hat, nicht zuletzt auch, weil es lauter Wehrpflichtige getroffen hat — hat an das Herz des ganzen Volkes gerührt, weil es ja Söhne und Brüder unserer Mitbürger waren, die in die Iller hineinmarschiert und die in der Iller ertrunken sind. Und es hätten doch unser aller Söhne und unser aller Brüder sein können! Dieser Gedanke, daß ein solches Schicksal aus heiterem Himmel kommen kann, ist es, der die Menschen so tief anrührt und verständlicherweise nach einem Schuldigen suchen läßt, aber noch viel mehr danach suchen lassen sollte, wie nach menschlichem Ermessen eine Wiederholung eines solchen Unglücks vermieden werden kann.
Bereits drei Tage nach dem Unglück ist der Bundestagsausschuß für Verteidigung zusammengetreten und hat in einer sehr guten Besetzung — trotz der parlamentarischen Ferien — den vorläufigen Bericht des Ministeriums entgegengenommen, dem gegenüber im heutigen Bericht nicht sehr viel Neues gesagt werden konnte, — wenn wir es auch begrüßen, diesen Bericht heute hier zu hören, weil es notwendig ist, beim ersten Male, da der Bundestag nach dem Unglück als Plenum zusammentritt, diese Dinge vor der Öffentlichkeit des ganzen Volkes zu vertreten und auszusprechen.
Schon bei den Beratungen des Verteidigungsausschusses haben wir uns von dem Gedanken leiten lassen, daß wir nicht unser Recht als Untersuchungsausschuß ausüben. Denn hier ist, was die Schuldfrage betrifft, zuerst einmal das Gericht berufen zu sprechen. Es geht für den Ausschuß, es geht für das Plenum darum, einen Bericht über Tatsachen zu erhalten, nicht ein Urteil über die strafrechtliche Schuld zu fällen, aber doch den Kreis der Verantwortungen und Verantwortlichen abzugrenzen und bestimmte sachliche Folgerungen aus Fehlern, die wir feststellen können, zu ziehen.
Am Anfang aller unserer Überlegungen steht der Gedanke an den Wert des Menschenlebens in einem freiheitlichen Staat. Gerade weil in einer nicht sehr ferner Vergangenheit das Menschenleben sehr wenig gegolten hat, wollen wir immer wieder daran erinnern, daß das Menschenleben etwas Einmaliges, etwas Unersetzbares ist, das unser aller Achtung und den Schutz unserer Gemeinschaft erfordert. Der Wert dieses Menschenlebens macht ja gerade die jungen Rekruten, die als Wehrpflichtige zu den Fahnen eilen, zu dem wertvollsten Gut, das das Volk den Männern anvertraut, die als militärische Führer und Unterführer über sie in einem gewissen Grade zu verfügen haben. Wir möchten aber grundsätzlich feststellen, daß uns ebenso wie das Leben der Wehrpflichtigen das Leben der Freiwilligen in gleichem Maße schätzenswert erscheint und in gleichem Maße unserer Achtung und Hilfe bedarf. Denn wir sind alle, ganz gleich, welche Bürger unseres Staates wir sind, ob solche in Zivil oder solche in Uniform, welche Art von Soldaten wir sind, ob Wehrpflichtige, Soldaten auf Zeit oder Berufssoldaten, in gleicher Weise in diesem Staat berechtigt und verpflichtet.
Es ist verständlich, daß man bei der Suche nach einem Schuldigen gern einen möglichst hohen findet. Das entspricht einer ganz einfachen menschlichen Mentalität. Ein General auf der Anklagebank in dem Prozeß in Kempten wäre eine Sensation und würde sicherlich dazu beitragen, viel von verständlichem und unverständlichem Unmut abzureagieren. Aber Sie werden — das, glaube ich, kann man jetzt bereits sagen — einen solchen auf dieser Anklagebank nicht finden. Ja, man weiß in dieser Stunde nicht, ob Sie überhaupt einen Offizier auf der Anklagebank finden werden, schon gar nicht, wie das Gericht urteilen wird. Dieser Tatbestand. daß man in diesem Augenblick nicht mit klarer Eindeutigkeit eine hochgestellte Persönlichkeit als Schuldigen betrachten kann, sollte schon zu einer gewissen Zurückhaltung in der ganzen Beurteilung führen.
— Ich will das, was ich für mich selbst gelten lasse und für Sie, Herr Kollege Paul. selbstverständlich auch für hohe Generäle gelten lassen. Eine andere Frage ist, ob und wo dagegen verstoßen worden ist. Das ist eine andere Angelegenheit, die ich nicht zu vertreten haben.
Man hat gesagt, es sei unmöglich, daß als Schuldige an diesem Unglück allein zwei Unteroffiziere, zwei Soldaten im Range eines Unterfeldwebels, oder, wie man früher bei uns gesagt hat, im Range eines Sergeanten übrigbleiben. Nun, möglich ist es durchaus. Es kann durchaus ein Urteil ergehen, das dies feststellt. Deshalb soll man nicht von vornherein meinen. daß immer und überall, weiß Gott an welcher Stelle, eine Verantwortung für ein Unglück vorhanden sein müsse, das in seinem Ausmaß groß und entsetzlich war, das aber doch in einem erheblichen Umfang durch ganz besondere Umstände herbeigeführt worden ist.
Wir müssen uns außerdem doch wahl sagen, daß es gar nicht so verwunderlich wäre, wenn im wesentlichen die Verantwortung allein zweier
Unteroffiziere — Verantwortung mindestens im strafrechtlichen Sinne — übrigbliebe. Denn was man in den vergangenen Jahren vielfach zu Unrecht und manchmal zu Recht am deutschen Militär mit dem Schlagwort des Militarismus — in diesem Falle auszulegen als ein Mißbrauch der Befehlsgewalt und eine Verachtung menschlicher Würde — kritisiert hat, das ist doch im wesentlichen immer auf das Konto einzelner Unteroffiziere und nur in seltenen Fällen auf das Konto einzelner Offiziere geschrieben worden. Schließlich sind Himmelstoß und Platzek, jene Romanfiguren, die vielleicht oder sicherlich für diesen Fall gar nicht einschlägig sind, nun einmal beide Unteroffiziere — gleichmäßig verteilt der aktiven Truppe und der Reserve — gewesen.
Wir sollten also nicht so tun, als wenn dies eine völlige Unmöglichkeit wäre oder als ob man sich hier höheren Orts vor einer Verantwortung drükken wollte, die in diesem Fall gar nicht zu tragen ist. Deshalb glaube ich auch, daß es völlig verfehlt ist, zu sagen, hier liege eine politische Schuld vor; denn die sinnlose Eile und Hast des Aufbaues unserer Bundeswehr habe diese zwangsläufige Folge gehabt. Nein, meine Damen und Herren, selbst wenn Sie unterstellen, daß die Bundeswehr in sinnloser Eile und Hast aufgebaut wind, können Sie das Unglück ,an der Iller oder das in Grafenwöhr nicht für eine zwangsläufige Folge halten. Schließlich und endlich ist jenes schon erwähnte Unglück an der Weser im Jahre 1925 in einem Heere vorgekommen — in der Reichswehr —, das bestimmt nicht in sinnloser Eile .und Hast vergrößert oder aufgebaut wurde, sondern das vielmehr abgebaut und verkleinert wurde aus dem hochqualifizierten Heer des ersten Weltkrieges. Also solche Unglücke können passieren ganz unabhängig davon, ob wir uns im Stadium eines schnellen oder eines langsamen Aufbaues oder überhaupt im Stadium eines Aufbaues oder einer normalen Weiterentwicklung befinden.
Außerdem ist der Standpunkt, daß Qualität vor Quantität geht, sowohl von meinen politischen Freunden als auch insonderheit vom Herrn Verteidigungsminister vertreten worden. Ich glaube, sinnlose Eile und Hast darf man uns bei den derzeitigen Planungen des Aufbaues der Bundeswehr keineswegs unterstellen oder vorwerfen. Wir haben in der Bundeswehr zur Zeit über 27 000 Unteroffiziere und über 10 000 Offiziere. Wenn sich nun wirklich das Maximum, was herauskommen kann, wenn sich nämlich drei Unteroffiziere — zwei in Kempten und einer in Grafenwöhr — einer strafbaren Handlung schuldig gemacht haben, wenn es vielleicht noch ein Offizier, der Kompaniechef in Kempten, gewesen sein soll — ich unterstelle es einmal —, was ist das unter so vielen, und was beweist das für das Ganze?
Man soll doch hier nicht die Dinge übertreiben. Das Übertreiben wäre ein ebenso großer Fehler, als wenn man die Unglücke und die dabei vorhandene Schuld leugnen oder als recht gering bezeichnen wollte. Nein, man muß die Dinge ohne Vergrößerungs- und ohne Verkleinerungsglas ganz in ihrer natürlichen Ordnung sehen.
Deshalb ist auch der Ruf, es sollte kein Rekrut eingestellt werden, bevor eine durchgreifende Änderung erfolgt sei, ein gar nicht zutreffender Ruf, um so weniger, als allen in diesem Hohen
Hause bekannt ist, daß nach den Planungen des Ministeriums die nächsten Rekruten erst am 1. April des nächsten Jahres eingezogen werden. Es besteht also gar keine Gefahr, daß dies bereits in den nächsten Monaten geschieht.
Meine Damen und Herren, ich will nicht leugnen, daß für den unabhängigen Beurteiler der Dinge manches an den Vorgängen an der Iller rätselhaft ist. Es ist mir jedenfalls sehr rätselhaft, wie es sich ein Unteroffizier erlauben kann, gegen zwei Befehle, gegen den Befehl, den Fluß nicht zu durchschreiten, und gegen .den Befehl, sich an den Dienstplan zu halten, zu verstoßen und außerdem seinen Zug in durchnäßten Kleidern zur Kompaniesammelstelle zu führen. Hier liegt zweifellos der Verdacht vor, daß die Dienstaufsicht durch den zuständigen Offizier, in diesem Falle den Kompaniechef, vielleicht nicht immer mit der notwendigen Härte und Genauigkeit ausgeübt worden ist. Das ist eine Frage, die auch gerichtlich wird geprüft werden müssen. Jedenfalls muß es in einer Kompanie schon etwas merkwürdig aussehen, wenn sich ein Unteroffizier einen Befehlsverstoß leisten kann, der so offenkundig ist wie der ,des Durchwatens und Duschschwimmens eines Flusses, wobei die ganze Ausrüstung und Uniform der Soldaten und diese selbst doch naß werden, so daß das ohne weiteres von jedem höheren Vorgesetzten festgestellt werden kann.
Hier sind Quellen von Fehlern vorhanden, die sicherlich nach der gerichtlichen Untersuchung noch eine genaue disziplinare Behandlung notwendig machen. Aber ich erkenne dies ohne weiteres an und möchte doch andererseits sagen, daß man die Bedeutung dieser Sache nicht übertreiben sollte. Vor allem sollte man aus diesem Unglück an der Iller nicht folgern, daß unsere Bundeswehrsoldaten durch die Bank unerfahrenen Unteroffizieren in die Hand gegeben werden. Da müssen Sie schon andere Beispiele bringen, die mehr beweisen. Wenn einem Unteroffizier wie demjenigen, der den Befehl zum Durchwaten der Iller gegeben hat, der 23 Jahre alt ist — was bestimmt kein besonders junges Alter für einen Unteroffizier in der Vergangenheit war und in der Gegenwart und Zukunft ist —, der eine Ausbildung ausgerechnet bei der Bereitschaftspolizei, die der stärksten Belastung aus der Situation, nämlich der Berlins, ausgesetzt ist, mitgemacht hat und jetzt bereits über ein Jahr bei der Bundeswehr ist, der sehr gut qualifiziert ist, so etwas passiert, so soll er nicht freigesprochen werden. Das kann ich ebensowenig, wie ich ihn verurteilen kann. Es gibt Fehlerquellen genug. Man weiß, wie oft menschliche Beurteilungen Fehlbeurteilungen sind. Aber ich muß doch nach Betrachtung der Dinge sagen, hier handelt es sich um einen Mann, der als junger Unteroffizier schon immerhin mit 23 Jahren das Höchstmaß an militärischer oder militärähnlicher Vorbildung hat, das im gegenwärtigen Augenblick gegeben werden kann.
Ich stelle noch fest: der Befehl, der zum Durchschreiten der Iller gegeben wurde, wurde weder aus Böswilligkeit noch aus Schikane gegeben, vielleicht ,aus einem gewissen sportlichen Übermut, aber jedenfalls nicht aus diesen beiden sehr traurigen Beweggründen, der Böswilligkeit und Schikane, die wir aus dem Film 08/15 und anderen Dingen so eindrucksvoll kennen. Wir müssen auch
feststellen, daß dieser Befehl keineswegs gegen die Menschenwürde verstoßen hat, ja nach der Meinung dessen, der den Befehl gegeben, und aller, die ihn ausführten, überhaupt keine Gefahr für ihr Leben dargestellt hat. Man kann nicht behaupten, aus diesem Vorgang sei zu folgern, daß die Gedanken bezüglich der inneren Führung, die unter den Schlagworten „Inneres Gefüge" und „Graf Baudissin" dieses Hohe Haus und die Offentlichkeit lange Zeit beschäftigt haben, von der Bundeswehr verlassen worden seien, das sei durch dieses Unglück zu beweisen. Es war kein Befehl gegen die Menschenwürde, es war kein Befehl, bei dem irgend jemand an eine besondere Gefahr gedacht hat. Die Frage, ob die Rekruten den Befehl hätten verweigern können oder nicht, stellt sich gar nicht, weil sich niemand über die Situation wirklich im klaren gewesen ist. Allerdings ist es bedauerlich, daß es Soldaten gibt, die an einem bayerischen Gebirgsfluß üben und über Stromschnellen und ihre Gefährlichkeit nicht Bescheid wissen, vielleicht auch nicht hinreichend belehrt worden sind. Auch hierüber wird eine Klarstellung erfolgen müssen. Aber die Folgerungen, die hier gezogen wurden, können nicht gezogen werden.
Schließlich müssen wir auch bedenken, daß es sich um Luftlandetruppen, um Nachfolger der alten Fallschirmjäger, also um eine Truppe handelt, die immer über besondere Bravour und besonderen Korpsgeist verfügte. Die 15 Toten haben sich alle freiwillig zur Luftlandetruppe gemeldet. Sieben davon, fast die Hälfte, haben sich freiwillig verpflichtet, sechs Monate länger zu dienen als zwölf Monate. Sie sehen, daß es sich hier um besonders einsatzfreudige, um begeisterte junge Soldaten gehandelt hat. Keineswegs also eine Situation, in der Unwillige oder Zögernde zu etwas gezwungen worden wären, was sie nicht gewollt haben. Eine ganz andere Frage ist, ob angesichts solcher junger Idealisten, solch einsatzfreudiger und begeisterungsfähiger Soldaten, die Verantwortung der militärischen Führer und Unterführer, diese Begeisterung zu zügeln und in die richtige Bahn zu lenken, nicht noch größer ist als bei solchen Soldaten, die vielleicht nicht ganz über diesen Schwung verfügt hätten.
Wir werden uns darum bemühen müssen, alles zu tun, was die Wiederholung eines solchen Unglücks vermeidbar macht. Weil wir aber alle über genügend Erfahrung verfügen, wissen wir, daß leider die Wiederholung solcher Unglücke für alle Zukunft und unter allen Umständen niemals ausgeschlossen werden kann, daß das Risiko, das über allem menschlichen Leben lastet, nur vermindert, leider Gottes niemals beseitigt werden kann.
Im übrigen hat gerade der Vorgang in Grafenwöhr gezeigt, daß sogar das, was mein Herr Vorredner so sehr fordert, alles aktenkundig zu machen, mit Unterschriften zu versehen und dergleichen, nicht davor schützt, daß ein Unglück passiert. Denn jener Unteroffizier, der mit dem Blindgänger in Grafenwöhr umgegangen ist, ist ja ausgerechnet noch am selben Tage belehrt worden. Das hat — bei einer offenbar etwas leichtsinnigen Veranlagung — leider Gottes nichts geholfen. Auch alle Vorschriften und Vorsorgen können eben Unsicherheitsfaktoren, die in der Natur des Menschen liegen, nicht beseitigen. Ich zweifle auch daran, ob eine Erziehung auf Schulen, sei sie noch so lang, diese vollkommen beseitigen kann, so notwendig eine solche Erziehung auch ist.
Wir haben uns nun zu fragen, was für Folgerungen wir aus dem, was hier geschehen ist, und aus den Tatsachen, soweit sie uns in diesem Augenblick bekanntgeworden sind, ziehen wollen. Wir werden — ich glaube, das ist das erste — weiterhin mit besonderer Aufmerksamkeit auf den Fragenkreis schauen, der mit den Worten Befehl und Gehorsam umrissen ist. Wenn ich die Vorgänge sowohl in Grafenwöhr als auch an der Iller betrachte, dann glaube ich, daß der erste Punkt, auf den wir zu achten haben, nicht die Möglichkeit einer Befehlsverweigerung ist; denn an der Iller hat niemand die Möglichkeit dafür erkannt, und in Grafenwöhr war ein solcher Fall gar nicht gegeben. Ich glaube vielmehr, daß wir beim Aufbau der Bundeswehr immer wieder in besonderer Weise betonen müssen, daß die Bundeswehr wie jedes Militär, auch in demokratischen Staaten, auch in der Schweiz, in den Vereinigten Staaten oder in England, wohin der Ausschuß für Verteidigung Studienreisen unternommen hat, auf Befehl und Gehorsam beruht und daß die Befehlsverweigerung nur im extremen Fall das Ausnahmerecht des Soldaten sein kann. Über die Möglichkeit eines solchen extremen Falles soll er allerdings eingehend belehrt werden. Wir hoffen, hierüber in Zukunft noch deutlichere Mitteilungen des Ministeriums zu erhalten.
Aber ich habe ,den Eindruck, daß durch die jahrelange Diskussion über den Aufbau eines modernen Militärs bei der Neigung unseres Volkes, von einem Extrem ins andere zu fallen, also vom Kadavergehorsam sozusagen zur Zügellosigkeit überzugehen, die Gefahr besteht, daß die Notwendigkeit der Autorität im Leben überhaupt und nicht zuletzt im Militär nicht immer in der nötigen Klarheit erkannt wird. Das ist besonders gefährlich in einer Zeit, in der leider auch in Elternhaus und Schule Autoritätslosigkeit vielfach festgestellt werden muß, ein Umstand, den das Militär nicht wieder gutmachen kann, dem gegenüber es aber gewisse Schutzmaßnahmen treffen muß, die eben auf einer klaren Befehlsgabe, auf dem Bewußtsein der Verantwortung für den gegebenen Befehl, aber auch auf dem Bewußtsein der Verantwortung für die Durchführung und Anerkennung des gegebenen Befehls beruhen.
Schließlich ist das Unglück an der Iller durch den Verstoß gegen zwei Befehle passiert. Der Verstoß wurde von Unteroffizieren begangen, also von solchen Soldaten, die in besonderer Weise auf die militärische Aufgabe eingestellt und vorgebildet sind und sich zu dieser Aufgabe besonders berufen fühlen. Es scheint also notwendig zu sein, die Achtung vor dem Befehl erst einmal im Unterführerkorps zu stärken, um sie damit auch in der gesamten Truppe zu stärken.
Ferner wird darauf zu achten sein, daß sich die militärischen Führer und Unterführer solcher Einheiten, in denen besonders einsatzfreudige Soldaten sind, in denen besonders viele Freiwillige oder freiwillige Wehrpflichtige sind, wie bei den Luftlandetruppen, der Verantwortung für ihre jungen Männer in besonderer Weise bewußt sind und deren Begeisterungsfähigkeit zu sinnvollem Einsatz lenken und nicht unsinnig verschwenden lassen und damit diese jungen Männer selber gefährden.
Das nächste, worauf wir zu achten haben, ist die gründliche Ausbildung unserer Unteroffiziere. Diesen Männern, die eine hohe Verantwortung tragen, da sie die unmittelbare Führung der freiwilligen und der wehrpflichtigen Soldaten haben, muß klar sein, welche Verantwortung sie haben. Sie müssen mit den modernen technischen Me-
thoden, aber gerade auch mit den modernen Methoden der inneren Führung vertraut gemacht werden, die keineswegs durch diese Ereignisse als in der Bundeswehr gefährdet erscheinen, aber ebensowenig als widerlegt. Die Gedanken der inneren Führung sollten niemals die Verbindlichkeit des Befehls in Frage stellen, sondern sie sollten nur den Vorgesetzten zu sinnvollem Befehl veranlassen und andere Befehle ausschließen. Es kommt also darauf an, diese Gedanken in immer breitere Kreise unseres Unteroffizierskorps hineinzutragen, sein Verantwortungsbewußtsein zu stärken, damit auch eine gewisse Zurückhaltung, ein Wägen vor dem Erlaß eines Befehls, aber dann ebenso die Bestimmtheit des Auftretens zur Durchführung des einmal gegebenen Befehls sich bildet.
Wir müssen uns auch darüber im klaren sein, daß die Erfahrungen, die schließlich in der Führung von Menschen wichtiger sind als alles Studium, nicht auf Lehrgängen erworben werden können und daß gerade eine Erfahrung mit modernen technischen und mit modernen pädagogischen Methoden nur in der Praxis, hier und heute in der Führung der Truppe, gelernt werden kann.
Schließlich haben wir darauf zu achten, daß die Unteroffiziere selber von Offizieren geführt und beaufsichtigt werden, die auch in ausreichender Zahl da sein müssen. Im Wort „Unteroffizier" stecken zwei Bestandteile: „Unter" und „Offizier". In diesem Zusammenhang ist es notwendig, die erste Hälfte des Wortes deutlich zu betonen. Denn der Unteroffizier ist der Mann, der dem Offizier zur Hand geht, der ihm bei der Führung der Truppe hilft, 'der unter der ständigen Leitung und Weiterbildung und auch Aufsicht des Offiziers zu stehen hat. Die Ereignisse gerade bei dem Vorgang an der Iller — in einer Kompanie, die an diesem Tage unglückseligerweise besonders schwach besetzt war; am gleichen Tage sollte sich bereits ein neuer, ein zweiter Offizier zu dieser Kompanie melden, aber an jenem Tage war sie besonders schwachbesetzt — zeigen uns, daß die Truppe mehr Offiziere braucht und daß die Stellen, die der Bundestag bewilligt hat, nun auch besetzt werden sollten.
In besonderer Weise erscheint es uns wichtig, dafür zu sorgen, daß jene Form des Dienstes, die nun einmal die bedeutsamste ist und die auch das größte Risiko für die Soldaten mit sich bringt, der Außerdienst, regelmäßig von Offizieren geleitet wird, nicht nur auf dem Dienstplan, sondern auch in Tat und Wahrheit draußen im Gelände. Es ist zu überlegen, ob es nicht notwendig ist, wenn im Augenblick junge Offiziere noch nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen, in größerem Umfang mindestens für einige Jahre auf das doch recht große Angebot älterer Offiziere zurückzugreifen, auch wenn vielleicht zeitweise etwas zu hohe Dienstgrade Einheiten führen, zu deren Führung sie sonst im ,allgemeinen nicht berufen sind. Man wird damit für eine gewisse Zeit ein wertvolles Kapital menschlicher Erfahrungen einsetzen können und wird, bis die jungen Offiziere ausgebildet sind, gewisse Lücken überbrücken können.
Das andere ist allerdings auch die Bitte an das Bundesministerium für Verteidigung, den Papierkrieg, der leider Gottes unvermeidlich ist, auf das möglichste Mindestmaß einzuschränken, so wie es uns heute schon von dem Minister verkündet wurde, eine Forderung, die aber nicht nur für das Ministerium, sondern auch für die nachgeordneten Dienststellen gilt, damit die Offiziere und insonderheit der Kompaniechef in ihöherem Maße in der Lage sind, sich persönlich um den Außendienst und um die Rekruten zu kümmern.
Des weiteren ist zu fordern, daß die Sicherheitsbestimmungen überprüft und in jenem strengen Geist durchgeführt werden, der auch in früheren Zeiten üblich war. Wenn ich an eine Schießübung in der früheren Wehrmacht denke, dann weiß ich, daß der leitende Offizier beinahe ständig mit einem Fuß im Gefängnis stand. So streng waren die Forderungen, die an ihn und an seine Unteroffiziere gestellt waren.
Wenn es sich nun einmal zeigt, daß der höchste Prozentsatz an Toten — offenbar nicht nur in der Wehrmacht und in der Reichswehr, sondern auch in den Armeen anderer Nationen — durch Ertrinken gestellt wird, so können wir daraus, glaube ich, nur die Folgerung ziehen, daß mit besonderer Sorgfalt vorgegangen werden muß, sobald Soldaten mit dem Wasser in Berührung kommen. Sobald Flüsse überschritten werden, sobald Schwimmübungen gemacht werden, muß alles zur Sicherheit Notwendige, müssen insbesondere auch Kameraden am Ufer, die im Rettungsdienst ausgebildet sind, zur Verfügung stehen. Gerade diese Tätigkeit kann nur unter Aufsicht von Offizieren durchgeführt werden. Besonders die Zahlen, die der Herr Verteidigungsminister aus den Armeen anderer Nationen hier verlesen hat, zeigen, wie groß die Gefahr auf diesem Gebiet ist und wie notwendig es ist, hier zu steuern und der Gefahr entgegenzutreten und sie auf das Menschenmögliche zu verringern.
Das gleiche gilt für die Gefahren, die im Verkehr — im Verkehr im Dienst und im Privatverkehr in der Freizeit — nun einmal gegeben sind. Wir müssen versuchen, allgemein die Zahl der Verkehrstoten zu verringern, und wir wollen ganz besonders durch eine gute Erziehung unserer Soldaten dafür sorgen, daß die Zahl der Verkehrstoten bei der Bundeswehr, auch in der Freizeit, zurückgeht, selbst wenn dies mit einer gewissen Beschneidung der Freiheit allzu jugendlicher Soldaten verbunden sein sollte.
Die letzte Frage, der wir jetzt und in Zukunft unser Augenmerk zuwenden müssen, ist die der Versorgung. Wir haben das Versorgungsgesetz, das nun bald in Kraft treten und rückwirkend angewendet werden wird, in diesem Hohen Hause einstimmig verabschiedet. Vorwürfe, die außerhalb des Hohen Hauses gegen das Gesetz erhoben werden, treffen also alle politischen Parteien in gleicher Weise und sind in allen Fällen unberechtigt; denn wir alle haben erklärt, daß dieses Gesetz ein erster Schritt zu einer weiterhin zu verbessernden Versorgung unserer Bundeswehr ebenso wie der Angehörigen der alten Wehrmacht sein soll.
In diesem Fall, wo glücklicherweise wenigstens keine Familienväter Opfer des Unglücks sind, haben wir schon im Ausschuß die Regierung aufgefordert, von den Möglichkeiten, die das Gesetz in bezug auf Elternrente und Elternbeihilfe und in der Härteklausel bietet, oder die außerhalb des Gesetzes in Form von Sonderhilfen gegeben sind, in großzügiger, schneller und unbürokratischer Weise Gebrauch zu machen. Wir möchten diese Forderung heute und hier erneut erheben.
Ich komme zum Schluß. Das Unglück, das die Bundeswehr, das so viele Familien und das schließlich das ganze deutsche Volk getroffen hat, sollte für uns kein Anlaß zu gegenseitiger Polemik sein,
sondern uns veranlassen, einiger zusammenzurükken, um unseren jungen Menschen den moralischen Halt und die Mittel an die Hand zu geben, die die Wiederholung solcher Unglücksfälle verhindern können, und auf diese Weise dem Aufbau unserer Bundeswehr und unserem ganzen Volk zu dienen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider .
Schneider (DP [FVP]): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, namens der Fraktion der Deutschen Partei (Freien Volkspartei) folgendes zu dem hier anstehenden Tagesordnungspunkt zu erklären.
Ich möchte vorausschicken, daß wir angesichts der großen Tragik dieses Unglücks selbstverständlich davon Abstand zu nehmen wünschen, etwa an den politischen Grundlagen der Dinge, die hier zur Verhandlung stehen, zu rütteln. Wir wollen weder in irgendeiner Form Propaganda machen noch etwa die strafrechtliche Seite der Sache untersuchen, was den Gerichten überlassen bleiben muß, noch etwa einen Vorwurf gegen die Bundeswehr in ihrer heutigen Form bzw. gegen die Soldaten und Offiziere unserer Bundeswehr erheben. Aber immerhin ist dies bei aller Tragik des Geschehens ein Anlaß, in aller Sachlichkeit diejenigen Gesichtspunkte aufzuzeigen, die vielleicht dazu führen könnten, daß wir in Zukunft von derartigen Vorkommnissen verschont bleiben.
Es ist eine Tatsache, daß die bewaffnete Macht gerade im demokratischen Staat im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, und wir alle haben aus diesem Grunde die Verpflichtung, zu untersuchen, was wir als Parlament tun können, um einmal das Ansehen und zum anderen das Funktionieren dieser bewaffneten Macht sicherzustellen.
Sicherlich sind die Aufbauzeiten wie diese — wir schicken uns an, der Bundeswehr erst die endgültige Form zu geben — besondere Zeiten, und sie erfordern mitunter besondere Maßnahmen. Gewiß soll man nicht in dieser oder jener Richtung übertreiben, wenn man nach Maßnahmen, sei es zur Abstellung von Mängeln, sei es zur Findung oder Bestrafung von Schuldigen, ruft. Für meine politischen Freunde erhebt sich die Frage, ob wir in der Vergangenheit wirklich alles richtig gemacht haben. War es genug, daß sich das Hohe Haus, wenn es sich um Fragen der Wiederbewaffnung oder der Bundeswehr handelte, hauptsächlich mit der Frage: „Staatsbürger in Uniform oder nicht" befaßte? Haben wir uns nicht — dieses Unglück gibt uns Veranlassung, diese Frage zu stellen — vielleicht etwas leichtfertig der Erfahrungen, die gerade die Deutschen mit einer Wehrmacht haben, begeben? Ich will hier nicht untersuchen — es ist auch nicht der Ort und der Platz dazu —, ob Unteroffiziere oder Offiziere an dem Unglück an der Iller schuld gewesen sind. Aber ich kann das unterstreichen, was einer meiner Herren Vorredner hier gesagt hat: daß Befehl und Gehorsam in Verantwortung — jawohl, in Verantwortung! — zur Maxime auch unserer jungen Bundeswehr gemacht werden müssen.
In diesem Zusammenhang wurden hier auch einige Worte über die heute vielfach mangelnde Autorität auf allen Gebieten unseres Lebens — sei
es in der Schule, sei es im Elternhaus, sei es in den Betrieben und sei es letzten Endes auch in den Streitkräften — gesprochen. Meine politischen Freunde können das, was mein Herr Vorredner zu diesem Punkt gesagt hat, nur vollinhaltlich unterstreichen. Wir können dabei darauf zurückblicken, daß wir seit Jahren — oftmals allerdings deswegen angegriffen — auf diese Dinge hingewiesen haben. Deswegen bin ich Herrn Dr. Jaeger besonders dankbar, daß er dieses Wort ausgesprochen hat. Ich bin mir nämlich darüber klar, daß es, aus dem Munde der Rechten dieses Hauses gesagt, vielleicht hier und dort hätte Veranlassung geben können, uns erneut als reaktionär oder militaristisch zu verdächtigen.
Die Maßnahmen, die der Herr Bundesverteidigungsminister dem Hohen Hause erläutert hat, finden unsere Anerkennung und Billigung. Allerdings muß es mir gestattet sein, zu sagen, daß diese Maßnahmen allein nicht ausreichen, insbesondere im Hinblick darauf, daß wir alle — gleichviel welcher Partei wir in diesem Hause angehören — die Verantwortung gegenüber den Eltern draußen, die die Wehrpflichtigen diesem Staat überantworten, zu tragen haben. Ich habe vorhin bereits angedeutet, daß wir aus einem verständlichen Gefühl der Notwendigkeit der Umordnung der Dinge in der Vergangenheit bei der Aufstellung der Streitkräfte vielleicht zu viel nach Kontrollen und anderen Dingen gerufen haben und daß dabei vielleicht das rein Militärische etwas zu kurz gekommen ist. Ich darf mir die Bemerkung erlauben, daß ich damit unter anderem meine, daß hierbei die ehemaligen Soldaten schlechthin zu kurz gekommen sind. Es ist sicherlich übertrieben, was jener Schweizer Journalist im Oktober 1956 schrieb; aber es ist symptomatisch, und ein Körnchen Wahrheit steckt doch darin. Deswegen möchte ich Ihnen diese wenigen Sätze vorlesen:
Am Problem des Militärs
— so schreibt die „Schweizer Weltwoche" —
wird die ganze geistige Situation Westdeutschlands symbolhaft sichtbar. Was von Bonn und ebenso auch aus dem Ausland während all der letzten Jahre immer wieder zu hören war, hieß, daß man sich gegenüber den gefährlichen, zum Mißbrauch der Macht und Autorität neigenden deutschen Soldaten vorsehen müsse. Nun hat man erreicht, daß der Soldat kein Übermensch ist, sondern ein Untermensch. Man hat die Wiederbewaffnung mit quasi schlechtem Gewissen und unter tausend ängstlichen Entschuldigungen akzeptiert, als wäre sie etwas, was den Krieg fördere und die Demokratie korrumpiere, und nun wird sie auch vom Volke als das empfunden.
Ich sage, das ist sicherlich etwas übertrieben; aber ein kleines Körnchen Wahrheit ist doch darin. Wir können nicht übersehen, daß trotz unserer idealen Bestrebungen bezüglich des sogenannten inneren Gefüges im inneren Gefüge der Bundeswehr bei aller Solidität, bei allem Können und Wissen der Führer und Unterführer doch eine gewisse Unsicherheit herrscht. Ich gebe zu, daß die großen Schwierigkeiten, die unter anderem darin begründet sind, daß wir gleichzeitig mit der Truppe das Ministerium aufbauen mußten, ich gebe zu, daß der Neubeginn der Aufstellung von Streitkräften schlechthin und alles, was an Imponderabilien und Schwierigkeiten damit zusammenhängt, es unver-
meidbar machen werden, daß wir ab und zu Unebenheiten im Aufbau erleben werden. Dazu kommt aber leider, daß wir — ich darf das ganz offen und ohne jedes Ressentiment aussprechen — sicherlich zu viel auf die gut en alten Traditionen und g u t e n Dinge, die sich in den Streitkräften deutscher Vergangenheit bewährt haben, verzichtet haben. Es kommt außerdem hinzu — und hier stütze ich mich auf Auskünfte der verschiedensten Stellen —, daß auch in der Personalauswahl nicht immer eine glückliche Hand gewaltet hat. Es kommt hinzu, daß man damals — meine Fraktion ist ja dagegen Sturm gelaufen — einen Personalgutachterausschuß eingerichtet hat, der letzten Endes diesem Hohen Hause eine Verantwortung abnahm, die eigentlich diesem Hohen Hause selbst zugekommen wäre.
Meine politischen Freunde und ich sind nicht so töricht, etwa die Einstellung aller ehemaligen deutschen Soldaten zu fordern. Wir wissen wie Sie, daß es Millionen gewesen sind. Wir wissen auch, aus welchen Gründen es Millionen gewesen sind. Aber was wir fordern müssen und was wir in den vergangenen Jahren auch immer wieder gefordert haben, ist, daß man auf die Erfahrungen dieser ehemaligen Offiziere und Unteroffiziere im Frieden und Krieg nicht in dem Maße verzichten durfte, wie man es getan hat.
Meine Damen und Herren, ich glaube auch folgendes feststellen zu dürfen. Man hat u. a. auf diese Erfahrungen verzichtet, weil man diese ehemaligen Offiziere und Unteroffiziere mit ihren Erfahrungen nicht wollte. Ein Leitartikler der Bremer Nachrichten, einer bekannten Tageszeitung, hat vor einigen Tagen geschrieben:
Man konnte nur beschränkt auf Altgediente zurückgreifen, um nicht einen unerwünschten alten Geist zu konservieren.
In der Demokratie ist es erlaubt, alles auszusprechen und alles zu sagen, und es ist auch wieder nicht erlaubt, alles zu sagen. Es spielen auch viele Dinge im Hintergrunde, die man, sei es aus Takt, sei es aus anderen Gründen, nicht aussprechen soll oder nicht aussprechen darf. Ich spreche es hier ganz offen aus: Es ist mit einer der Hauptgründe, die ich eben zitiert habe — und ich führe es auf die Nachkriegsverhältnisse und auf die vielfältigen Ressentiments gegen den Soldaten schlechthin zurück —, daß man ,auf die sogenannten Ehemaligen und damit auf ihre Erfahrunagen verzichtet hat.
Dabei kann heute bei ruhiger und sachlicher Betrachtung niemand bestreiten, daß sie ihre Pflicht zwar für einen Staat, den wir als einen Unrechtsstaat ansehen, getan haben, aber daß sie sie letzten Endes für das gleiche Vaterland, nämlich Deutschland, getan haben, für das auch unsere jetzige Bundeswehr eines Tages — Gott möge es verhüten - immerhin aufgerufen sein könnte. Die Systeme haben sich geändert; das Vaterland und die Pflichten, ihm zu dienen, haben sich nicht geändert. Deswegen, weil es das gleiche Vaterland, nämlich das gleiche Deutschland, ist, in dem wir heute leben, durfte nach Auffassung meiner Freunde nicht auf diese Männer verzichtet werden. Es bereitet mir, ehrlich gesagt, keine Freude — auch nicht meinen politischen Freunden —, wenn ich das einmal so offen ausspreche.
Es ist in diesem Hause schon wiederholt gesagt worden, daß die politischen Ressentiments nach
1945 gerade in bezug auf ,den ehemaligen Uniformträger sehr bestimmend gewesen sind. Ich darf allerdings mit aller Bescheidenheit sagen, daß meine politischen Freunde davon seit eh und je eine Ausnahme gemacht haben und daß man, wie ich schon anfangs erwähnte, uns dieserhalb wiederholt als reaktionär und militaristisch verschrien hat. Es war einfach ein Fehler — ,das ist nicht etwa der alleinige Grund für das Iller-Unglück und ist auch nicht der Grund für ,etwaige Unglücke, die noch über die Bundeswehr kommen könnten, was wir alle nicht hoffen —, daß wir die Traditionen und die Erfahrungen rücksichtslos über Bord geworfen haben, was selbst höhere ausländische Militärs vor gar nicht langer Zeit auf einer Akadiemietagung in Loccum veranlaßte, ihr Erstaunen hierüber den Deutschen gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Wenn man nach dem Kriege die Presse und überhaupt einen großen Teil der öffentlichen Meinung und der Publikationsorgane über den deutschen Soldaten schlechthin hörte, dann mußte man den Eindruck haben, daß alles aber auch alles einfach schlecht, falsch und gemein gewesen ist. Deshalb entspricht es nicht ganz den Tatsachen, wenn Kollege Eschmann von der Sozialdemokratischen Partei vorhin gesagt hat, daß die guten Elemente unter Iden Ehemaligen davon Abstand genommen hätten, sich wieder zu melden, weil ihnen Versorgung und Besoldung nicht ausreichend schienen. Über diese materiellen Dinge hinaus gibt es gerade bei diesen sogenannten guten Elementen noch etwas, was nicht zu leicht gewogen werden darf; das ist die Gesinnung und die Art und Weise, in der man sie behandelt hat. Das hat sie in vielen Fällen davon abgehalten, zur Bundeswehr zu kommen. Andere sind gekommen, die meisten sind sicherlich nicht gekommen. Jedenfalls darf ich feststellen, daß wir zumindest einen Baustein, einen traurigen Baustein ,dazu gelegt haben, indem wir praktisch nach 1945 die vernünftigen Grundlagen - ich betone: die vernünftigen Grundligen — des deutschen Soldaten zerstört haben. Vergessen Sie nicht und wägen Sie bitte einmal ebenfalls ohne jedes Ressentiment, welche Auswirkungen dies auch heute noch vielfach auf die Eltern jener jungen Männer haben muß, die als wehrpflichtige Soldaten in die Kasernen der Bundeswehr gerufen werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich, wenn ich den Verzicht auf den Gebrauch der Erfahrungen der Ehemaligen so stark herausstelle, ausdrücklich sagen, daß einerseits die Auslassungen des Herrn Bundesverteidigungsministers, der die Prozentsätze der ehemaligen, erfahreneren Soldaten bekanntgegeben hat, in den Augen meiner politischen Freunde kein genügender Beweis dafür sind, daß man sich diese Erfahrungen ausreichend zu eigen gemacht hat. Auf der anderen Seite betone ich, daß diejenigen, die heute oft unter schwierigsten Umständen — wie es gestern auch der Wehrpolitische Ausschuß meiner Partei festgestellt hat — ihren Dienst tun, praktisch keine Schuld treffen kann. Die Quintessenz dessen, was ich sagte, ist: manchmal kommt es meinen Freunden und mir so vor, als hätten wir überhaupt noch nie Soldaten in Deutschland gehabt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Wehrpolitische Ausschuß meiner Partei hat gestern in einer Sitzung die Forderung aufgestellt, daß, veranlaßt durch die tragischen Unfälle an der Iller und in Grafenwöhr, eine vermehrte oder zu-
sätzliche Einstellung ehemaliger Offiziere, Unteroffiziere und Unterführer erfolgt. Ich freue mich, daß mein Vorredner, Herr Kollege Jaeger, einen Vorstoß in der gleichen Richtung gemacht hat. Finanzielle Bedenken dürfen nicht im Vordergrund stehen. Sicherlich haben wir dem Steuerzahler mit der Wiederbewaffnung sowieso eine gewisse Last aufgebürdet. Er würde es uns aber niemals verzeihen, wenn wir die Mittel nicht so ansetzten, daß auch das aus den Dingen herauskommt, was er schlechthin erwarten kann, nämlich daß Leben und Gesundheit der Soldaten einerseits und die Sicherheit des Staates andererseits gewährleistet sind. Deshalb darf die Erfahrung der Ehemaligen nicht mit Geld gewogen werden, und das Parlament darf nicht kleinlich sein in dem Bestreben, sich diese Erfahrungen für die neue Bundeswehr zunutze zu machen.
Die vom Herrn Verteidigungsminister angeordnete Maßnahme, insgesamt, glaube ich, 250 Offiziere aus den Stäben in die Truppe einzuschleusen, ist meinen Freunden keine ausreichende Gewähr, ohne daß ich dabei eine Qualifikation der Betreffenden, die ich im einzelnen ja nicht kenne, hier abgeben möchte. Es kommt eben — ich möchte es noch einmal betonen — entscheidend darauf an, daß wir ohne jedes politische Ressentiment und ohne den einen oder anderen zu verdächtigen, daß er etwa den alten „Kommiß" — und was derlei Redensarten mehr sind — wiederhaben wolle, uns darüber einig sind, daß wir die vorhandenen Erfahrungen im Militärischen stärker als bisher verwerten müssen. Es kann doch wirklich niemand mehr mit Berechtigung sagen, daß die schreckliche Nachkriegszeit und daß die zivile Arbeit — von Einzelfällen abgesehen, die es in allen Berufssparten gibt und die es im menschlichen Leben immer geben wird — an uns ehemaligen aktiven Soldaten, die wir uns nach 1945 in der zivilen Arbeit zu bewähren hatten, etwa spurlos vorübergegangen wären, vor allem an jenen, die heute, enttäuscht und abgelehnt, draußen noch warten.
Als Vertreter der Rechten dieses Hauses muß es mir aber auch verstattet sein, einige wenige Worte zu den Argumenten der Opposition zu sagen. Ich glaube, daß die Ausführungen des Kollegen Eschmann an den wirklichen Argumenten, jedenfalls in sehr vielem, vorbeigegangen sind. Es ist ein eigenartig Ding um die Auffassung der Opposition in Fragen des Militärs. Auf der einen Seite ist es — ich stelle auch das ohne jedes Ressentiment fest, es ist nur eine Feststellung — eine bekannte Tatsache, daß sich das Militär schlechthin bei der Opposition keiner großen Beliebtheit erfreut; das ist aus ihrer Tradition geboren und hat sich bis heute nicht sehr viel geändert. Auf der anderen Seite wetteifert die Opposition mit den übrigen Fraktionen und Parteien in der Fürsorge für den Soldaten. Aber es ist nicht angängig, Vorwürfe gegen die Regierung in bezug auf ihre Wiederbewaffnungs- bzw. Wehrpolitik zu erheben, wenn man auf der anderen Seite auch selbst kräftig dazu beigetragen hat, daß nicht die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden konnten.
Ich darf daran erinnern, daß es die Sozialdemokratische Partei gewesen ist, die zwar einerseits — das will ich loyalerweise zugeben — von ihrem Standpunkt aus wiederholt vor einem übereilten Aufbau der Bundeswehr gewarnt, die aber auf der
anderen Seite auch nichts unterlassen hat, um gerade auch in personeller Hinsicht laufend Schwierigkeiten zu machen.
Es war die Sozialdemokratische Partei, die immer und immer wieder in Presseverlautbarungen und im Verteidigungsausschuß die Streichung von Stellen für die Bundeswehr verlangt hat.
— Sicherlich hat es sich dabei auch um Generals-stellen gehandelt.
— Aber, verehrter Herr Kollege Schmidt, ich bitte doch, daß wir hier in Ruhe über die Dinge sprechen.
— Ich bin gerne bereit, bei nächster Gelegenheit wieder mit schweren Säbeln zu fechten; aber ich glaube, daß der Anlaß, der zu dieser Debatte geführt 'hat, uns verpflichtet, absolut sachlich zu bleiben.
Meine Damen und Herren, die Überhaltung beim Ausbau und Aufbau der Bundeswehr, die von der Sozialdemokratischen Partei den Regierungsparteien vorgeworfen wird, kann von meinen Freunden, natürlich auch von mir selbst, nicht als Argument akzeptiert werden. Es ist eine feststehende Tatsache, daß jedenfalls schon mit dem Ministerwechsel damals ein sehr stark retardierendes Moment in die Dinge hineingekommen ist, und jeder, auch wenn er nicht Militärexperte ist, weiß, daß die Frage der Umrüstung in der ganzen Welt, in allen Ländern, zur Zeit eine so große Rolle spielt, daß es heute selbst allen denjenigen, die schon über stehende Heere verfügen, große Schwierigkeiten macht, die endgültige Form und Organisation ihrer Verbände bekanntzugeben.
Aber eines hat den Regierungsparteien stets vor Augen gestanden — und die Sachlichkeit gebietet, auch das hier festzustellen —: angesichts einer Welt, die uns nicht die Garantie dafür gibt, daß wir in Frieden leben können, die Sicherheitsvorkehrungen für unsere Nation zu treffen, zu denen jede verantwortungsvolle Regierung verpflichtet ist.
Meine Freunde und ich sind mit den Vorrednern darin einig, daß dieses tragische Unglück für alle verantwortlichen Stellen in Regierung und Parlament sowieso Anlaß sein wird, diejenigen Maßnahmen zu überlegen und zu treffen, die solche Vorkommnisse nach Möglichkeit ausschalten. Daß menschliche Unzulänglichkeit und auch Fügungen des Schicksals, Zusammentreffen unglücklicher Umstände es nicht ausgeschlossen machen, daß immer wieder da und dort einmal etwas passiert, so wie es auch im übrigen täglichen Leben geschieht, weiß jeder von uns. Aber gerade das sollte uns Verpflichtung sein, unter allen Umständen davon abzulassen, dieses Unglück nun etwa dazu zu benutzen, eine Fanfare zu blasen. Wir dienen der
Sache am besten, wenn wir in gemeinsamer Beratung überlegen — teilweise sind die Maßnahmen vom Verteidigungsministerium bereits getroffen—, wie eine intensivere Schulung des Führer- und insbesondere des Unterführerkorps erfolgen kann. Darauf sollte das Hauptaugenmerk des Verteidigungsministeriums und auch des Verteidigungsausschusses gerichtet sein.
Darüber hinaus haben es meine Freunde beklagt, daß sich dieser Bundestag nicht dazu aufraffen konnte, das Organisationsgesetz zu verabschieden. Es hätte das Unglück an der Iller sicherlich nicht verhindern können. Es ist aber doch ein Baustein beim Aufbau der Bundeswehr, und es hätte durch die klarere Abgrenzung von Befehlsgewalt, Kommandogewalt und Organisation die Möglichkeit eröffnet, da und dort vielleicht schon etwas zu tun. was bis heute unterblieben ist. Es darf nicht so sein, daß Vorkommnisse wie die, die wir hier zu beklagen haben, den Anstoß dazu gehen, daß wir uns über solche Maßnahmen unterhalten. Als verantwortungsbewußte und vom Volk hierher gewählte Vertreter haben wir die Verpflichtung, vorausschauend alle Maßnahmen zu treffen, damit solche Dinge nicht passieren können.
Ich sagte zu Beginn, daß es nicht meine Aufgabe ist, die strafrechtlichen Fragen hier zu untersuchen. Ich kann es mir deshalb auch versagen, darauf einzugehen, Ob wir etwa einen Offizier oder einen Unteroffizier bestraft zu sehen wünschen. Ich kann nur sagen: möge das Gericht die Umstände so aufklären können, daß die wirklich Schuldigen gefunden werden. Es ist allzu billig, in einem solchen Falle etwa diesen Dienstgrad gegen jenen auszuspielen oder diesen Dienstgrad vor jenem in Schutz zu nehmen. Sosehr die Opfer in der Iller zu bedauern sind, so sehr sind in einer Weise auch diejenigen zu bedauern, die aus jugendlicher Unerfahrenheit, die sicherlich ein erhebliches Moment war, dazu beigetragen haben, daß es zu einem solchen Unglück kommen konnte. Schon aus diesem Grunde darf nur absolut Recht gesprochen werden. Es darf nicht politisch Recht gesprochen werden, indem man den Stab über die Unteroffiziere oder über die Offiziere 'bricht.
Ich wiederhole, es geht um Leben und Gesundheit unserer Soldaten, die die Eltern zu uns in die Bundeswehr schicken, und es geht um die Sicherheit unseres Staates schlechthin. Deshalb sind wir alle aufgerufen, gemeinsam daran zu arbeiten, daß die Lehren aus dem Unglück gezogen und die Maßnahmen getroffen werden, die es wahrscheinlich machen, daß sich derartiges nicht wiederholt. Mein Appell zum Schluß ist: Verzichten Sie hierbei nicht, aus welchen Gründen auch immer, auf die Erfahrung derjenigen, che schon einmal eine solide militärische Ausbildung im Frieden und im Krieg bekommen haben!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der ,Freien Demokratischen Partei teilt die Auffassung, daß die Unglücksfälle von. Kempten und Grafenwöhr kein Anlaß sein sollten, mit der Majestät des Todes parteipolitische Geschäfte verbinden zu wollen. Es sollen also keine Propagandafanfaren geblasen werden. Ebenso falsch wäre es aber, mit gedämpftem Trommelklang an der Wahrheit vorbeimarschieren zu wollen. Wenn die sinnlosen Opfer von Kempten und Grafenwöhr einen letzten Sinn haben sollen, dann doch den, aus den beiden Unglücksfällen Konsequenzen zu ziehen, um nach menschlichem Ermessen die Wiederholung solcher Unglücksfälle auszuschließen.
Ohne Zweifel wird es immer in einer modernen Wehrmacht ein hohes Unfallrisiko geben. Aus diesem Grunde haben wir bei der Debatte des Wehrpflichtgesetzes die Ausschließung der, letzten Sahne von der Wehrpflicht beantragt. Die verehrte Alterspräsidentin, Frau Dr. Lüders, hat sich damals von einem Kollegen der Fraktion der CDU/CSU sagen lassen müssen, daß auch das Skifahren gefährlich sei und man dann ja auch den jungen Deutschen das Skilaufen verbieten müßte. Nun, das Haus hat sich dieser oberflächlichen Auffassung nicht angeschlossen, die letzten Söhne sind aus der Wehrpflicht ausgeklammert worden. Der Unglücksfall an der Iller bestätigt das hohe Unfallrisiko einer modernen Bundeswehr.
Trotzdem ist es abwegig — und da widersprechen wir dem Herrn Verteidigungsminister —, mit Statistiken und mit Vergleichen früherer Unglücke hier operieren zu wollen. Der Unterschied zu dem Niobe-Unglück und zu dem Unglück der Reichswehr an der Weser ist der: Bei diesen beiden Unglücken der Reichsmarine und der Reichswehr haben sinnvolle Übungen stattgefunden, unter den entsprechenden Sicherungen und unter der Aufsicht der dafür verantwortlichen Offiziere. In diesem Falle hat eine sinnlose Übung stattgefunden, die weder auf dem Dienstplan vermerkt war noch unter der Aufsicht eines dafür verantwortlichen Offiziers gestanden hat.
Wir vermerken mit einer gewissen Genugtuung, daß beispielsweise beim Bundesgrenzschutz in sechs Jahren auch bei der Ausbildung von 10- und schließlich 20 000 Soldaten, bei der Anlage auch größerer Übungen, etwa bis zum Divisionsverband, gottlob nicht ein einziges Mal ein ähnliches. Unglück passiert ist, während leider bereits wenige Monate nach 'der Einführung der Wehrpflicht bei der Bundeswehr ein so tragischer Unglücksfall zu verzeichnen war. Es erhebt sich also die Frage: Ist es ein 'bloßer Gl'ückzufall, daß sich. beim Bundesgrenzschutz in sechs Jahren nichts derartiges ereignet hat? Oder liegt möglicherweise ein Grund nicht auch darin, daß sich beim Bundesgrenzschutz ein organisches Wachstum vollzog, vielleicht auch bei den Offizieren des Bundesgrenzschutzes mehr Truppenerfahrung als bei manchem Offizier der Bundeswehr vorhanden war, der den größten Teil seiner militärischen Dienstzeit im höheren und höchsten Stäben verbracht hat?
In den bisherigen Beiträgen zur Diskussion ist hier mehrfach von Schuld und von Verantwortung gesprochen worden. Wir sollten streng trennen zwischen der Frage der individuellen Schuld — denn eine Kollektivschuld gibt es nicht, in einem Rechtsstaat gibt es mir die individuelle Schuld — und der Verantwortung, die sowohl individuell von einzelnen getragen werden kann als auch kollektiv von gewissen Institutionen. Es widerspricht den Prinzipien einer rechtsstaatlichen Demokratie, sich in schwebende Verfahren einzumischen. Insofern scheidet hier aus der Stellungnahme zum Bericht des Herrn Verteidigungsministers die Prüfung der Schuldfrage der beiden Unteroffiziere und der aufsichtführenden Offiziere aus. Das ist eine Angelegenheit der ordentlichen Gerichte.
Der Schwerpunkt unserer Betrachtung muß also auf der Prüfung der Verantwortung liegen. Hier stellt sich eine dreifache Frage. Weiche Verantwortung trägt die Bundeswehr, welche Verantwortung die Bundesregierung und welche Verantwortung auch dieses Parlament?
Bei der Verantwortung, die die Bundeswehr als Institution trägt, fällt auf, daß dieser Unteroffizier über insgesamt nur ein Jahr Dienst in einer militärischen Einheit verfügte. Ich rechne an, daß er über einige Jahre Dienst in einer Polizeieinheit verfügte. Die Frage ist nun: Hat man nicht einem Unteroffizier zuviel Verantwortung aufgebürdet, als man ihm nach einen Jahr Dienstzeit, nach wenigen Monaten Erfahrung als Unteroffizier bereits die Verantwortung für einen Zug Rekruten anvertraute? Es ehrt diesen jungen Unteroffizier, daß er nach dem Prinzip handelte: Man soll von seinen Untergebenen nicht mehr verlangen, als man selbst zu geben jederzeit bereit ist. Er hat die Überquerung des Flusses selbst an der Spitze begonnen, das Maschinengewehr tragend. Es ehrt diesen jungen Unteroffizier, daß er selbst sich als erster in die Gefahr begab. Aber es entbindet uns nicht von der Verpflichtung, zu fragen: Wer kann es mit seinem Gewissen vereinbaren, diesem ganz unerfahrenen militärischen Unterführer die Verantwortung für einen ganzen Zug völlig unerfahrener Rekruten aufzubürden?
Es ist ferner die Frage zu stellen: Welche Unterfahrer waren außerdem noch beim Zug? Bisher ist weder taus den Äußerungen des Herrn Verteidigungsministers noch aus den Äußerungen der beiden Sprecher der Regierungskoalition erkenntlich gewesen, wieviel sogenannte Stammsoldaten bei dem Unglück beteiligt waren. Normalerweise ist es doch so, daß auf einen Zug von etwa 30 Rekruten mindestens sechs Stammsoldaten kommen, also nach der früheren Art Gefreite, die bereits über eine mindestens einjährige Erfahrung verfügen, während die Rekruten nur eine Erfahrung von 2 Monaten verzeichnen konnten. Wir bitten daher den Herrn Verteidigungsminister, auch einmal die Zusammensetzung dieses Rekrutenausbildungszuges uns hier darzulegen. Bisher war nirgendwo ersichtlich, wieviel Unteroffiziere, wieviel ausgebildete ältere Soldaten aus dem sogenannten Stamm bei dem Zuge waren. Die Zahl der Rekruten ist uns ja bekannt.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, mit den Ausbildungszeiten der Reichswehr vergleichen, dann werden Sie natürlich ein großes Mißverhältnis zwischen den Dienstgraden und der Ausbildungszeit zur heutigen Zeit feststellen können. Aber die Zeit der Reichswehr ist für einen Vergleich objektiv nicht richtig gewählt. Wir wissen, daß durch gewisse Beschränkungen viele auf einem Dienstgrade jahrelang sitzen mußten, so daß es zum Teil sechs-, acht- und zehnjährige Stabsgefreite gab. Vergleichen wir aber mit einer Zeit, die ähnlich war, nämlich mit der Zeit des Aufbaus der Wehrmacht von der Einführung der Wehrpflicht 1935 bis zum Kriegsbeginn, bis zum 1. September 1939! Niemand kann leugnen, daß es dem damaligen politischen System mit der Aufstellung einer großen Wehrmacht sehr eilig gewesen ist. Trotzdem hat in dieser Zeit jeder Soldat bis zur Rekrutenbesichtigung mindestens vier his sechs Monate Einzelausbildung hinter sich bringen müssen. Erst dann hat man ihn Verbandsausbildung in Gruppe unid Zug machen lassen. Man brauchte ein
Jahr vom Schützen bis zum Oberschützen oder zum Gefreiten. Wollte man Unteroffizier werden, wurde man es, wenn man Reserveoffiziersanwärter war, frühestens nach eineinhalb Jahren, wenn man kein Reserveoffiziersanwärter war, frühestens nach zwei Jahren. Wollte man gar Leutnant werden, brauchte man etwa zweieinhalb bis drei Jahre. Bei allen diesen Zeiten ist noch zu berücksichtigen, daß nach der Einführung der Reichsarbeitsdienstpflicht vorher meistens ein halbes Jahr Arbeitsdienst abgeleistet wurde, in dem zweifelsohne auch schon gewisse Erfahrungen der Einordnung in eine Gemeinschaft, der Härten beim Marschieren, der Leibesübungen vermittelt werden konnten.
Wenn man diese Zeiten beim Aufbau der Wehrmacht mit den Zeiten vergleicht, nach denen man heute Unteroffizier und offensichtlich auch Offizier in der Bundeswehr werden kann, so zeigt sich ein Widerspruch, der meines Erachtens auch mit dazu beiträgt, daß unerfahrenen militärischen Graden Verantwortung auferlegt wird, die sie eben nicht tragen können; denn man kann gewisse organische Entwicklungen und Erfahrungen einfach nicht erzwingen.
Es ist hier schon bemerkt worden, daß das Wesen der Rekrutenausbildung in der Einzelausbildung besteht. Um so unverständlicher ist es, daß bereits in Gruppe und Zug geschlossene Übungen stattfanden. Und, meine Daumen und Herren, selbst wenn sie stattfanden, ist es für jeden älteren Soldaten unverständlich, daß kein Aufsichtführender dabei war, ganz abgesehen von den üblichen Vorsichtsmaßnahmen, mit denen man das Überschreiten eines jeden Flusses, nicht nur eines Gebirgsflusses, verbindet.
Ich will zu der Frage der Verantwortung der Regierung zitieren, was eine Koalitionspartei gestern in einer Verlautbarung ihres Pressedienstes dazu vermerkt hat. Ich bitte den Herrn Bundeskanzler, einmal seinen Herrn Nachbarn, seinen Stellvertreter, der vorhin neben ihm saß, zu fragen, ob das Urteil in dieser Härte nicht eigentlich mehr in die Reihen der Opposition gehörte. Der Pressedienst schreibt, daß diese unglückseligen Vorkommnisse eine Folge der völlig verfehlten — man beachte: der völlig verfehlten! — Personalpolitik beim Aufbau der Bundeswehr sind. Wörtlich heißt es weiter:
Die Verantwortung dafür tragen diejenigen parlamentarischen und Regierungsstellen, die aus politischem Vorurteil und in Verkennung der militärischen Notwendigkeiten einen Aufbau der Bundeswehr mach bewährten Grundsätzen verhindert haben.
Nun, Herr Bundeskanzler, dia wir ja nicht mehr in der Koalition, sondern in der Opposition sind, fällt unser Urteil über die Verantwortung der Regierung wesentlich milder aus als das der Koalitionspartei. Wir glauben nämlich nicht, daß es richtig ist - wie es Herr Kollege Eschmann hier darlegte —, daß die Wehrpolitik der Bundesregierungschlechthin die Verantwortung für solche Unglücksfälle trägt. Das geht weit über eine sachliche Prüfung dieser Vorkommnisse hinaus. Man kann nicht den Erfindern des Ottomotors und des Dieselmotors die Verantwortung für sämtliche Kraftfahrzeugunfälle auf dieser Erde zuschieben. Man kann also nicht denen, die eine gewisse Politik mit gutem Glauben vertreten, jedwedes Versagen menschlicher Art, aber auch disziplinarer Art, poli-
tisch in die Schuhe schieben wollen. Das ist entschieden über das Ziel einer sachgerechten Kritik hinausgeschossen.
Die Frage ist aber und sie muß geprüft werden, ob nicht die Einziehungen zum 1. April dieses Jahres zu früh erfolgt sind. Man hat, nachdem der jetzige Bundesverteidigungsminister gewarnt hat, sich damit begnügt, 10 000 Rekruten zum 1. April einzuziehen und nicht etwa 80 000, wie sie aus dem Jahrgang zur Verfügung standen. Herr Kollege Jaeger hat bereits dargelegt, daß die nächsten Einziehungen erst April des nächsten Jahres vorgenommen werden. Die Frage ist also, ob nicht auch die Einziehung dieser 10 000 Rekruten zum 1. April 1957 zu früh erfolgt ist, weil die Voraussetzungen für ihre sachgemäße Ausbildung noch nicht gegeben sind und angesichts der Zerschlagung des gesamten wehrpolitischen Apparates nach dem 8. Mai 1945 noch nicht gegeben sein können.
Als wir vor einem Jahr in der Debatte um das Wehrpflichtgesetz darauf hinwiesen, daß wir sämtlichen wehrpolitischen Vorlagen der Bundesregierung zugestimmt haben und auch weiter zustimmen werden, aber das Wehrpflichtgesetz nicht unsere Zustimmung finden könne, weil es zur Unzeit und nicht in der modernsten Form vorgelegt wird, hat man uns hart kritisiert. Wir haben damals den Terminus geprägt „Nicht jetzt und nicht so", d.h. nicht jetzt, weil noch andere Voraussetzungen des Wehrpflichtgesetzes fehlen, wie das Besoldungsgesetz, das Versorgungsgesetz und das Organisationsgesetz; und nicht so, weil man doch offensichtlich mit der Berücksichtigung alter Vorstellungen in der Wehrpflicht nicht mehr auskommt, sondern im Rahmen einer allgemeinen Bundesverteidigungspflicht darüber hinausgehen muß, was jetzt Allgemeingut auch der Bundesregierung geworden ist. Wir haben uns deshalb harte Kritik gefallen lassen müssen. Ich freue mich, heute feststellen zu können, daß Herr Kollege Schneider ebenfalls beklagte, daß das Organisationsgesetz, das letzten Endes die Verantwortlichkeiten festlegt, immer noch nicht verabschiedet ist. Ich glaube, es wird in dieser Wahlperiode nicht mehr verabschiedet werden können. Das bedeutet, wir sind mit der Konstruktion des Daches weiter beschäftigt, haben aber die Fundamente für die Organisation der Bundeswehr noch nicht gelegt, d. h. wir wissen immer noch nicht, wie sich die militärische und politische Verantwortung, also wie sich die höchste Spitze im Rahmen einer neuen Spitzengliederung, ja wie sich die Frage der Kompetenz zwischen mobiler Truppe und Reserve, zwischen Heimatverteidigung und NATO-Kontingent letztlich stellen wird.
Herr Kollege Jaeger, ich erinnere Sie daran, daß wir vor einigen Wochen den Besuch von Lehrern der Militärakademie hatten. Sie fragten uns als erstes: „Wann erfahren wir endlich die Vorstellungen der Bundesregierung über die Heimatverteidigung? Denn wir sollen Offizieren als Lehrer beibringen, wie dieses Gebiet einmal gestaltet werden soll, aber wir selbst haben noch gar keine Vorstellung über Gliederung, Organisation und Funktion der Heimatverteidigung!" Das ist nur ein Kapitel aus der Vielzahl der Themen, die wir vernachlässigt haben, als wir um einer politischen Demonstration des guten Willens gegenüber den NATO-Partnern willen das Wehrpflichtgesetz nach unserer Überzeugung zur Unzeit und auch nicht in
einer zeitgemäßen modernen Form verabschiedet haben. Ich frage auch: Hat man sich damals unsere Mahnungen zunutze gemacht, daß man zwischen den Offizieren, die aus höchsten Stäben kommen, und den sogenannten Truppenoffizieren ein gesundes Maß finden sollte? Es ist kein Geheimnis, daß das Bundesverteidigungsministerium nicht organisch gewachsen ist. Aus vielen sowohl inner- wie außenpolitischen Gründen begann man mit einer Dienststelle Blank. Man begann mit einigen wenigen Offizieren höchster Stäbe. Sie holten ihre früheren Mitarbeiter nach, und allmählich wurde das Verteidigungsministerium mehr oder minder eine Summierung von ehemaligen höchsten Offizieren aus OKH, OKW, OKL und OKM. Der Anteil der Truppenkommandeure, d. h. der Leute, die die hohe generalstabsmäßige Theorie in der Praxis am eigenen Leibe erlebten, war keineswegs so, wie wir ihn wünschten.
Wir haben dem Herrn Bundeskanzler vor zwei Jahren in der Debatte um das Freiwilligengesetz nahegelegt, darauf zu achten, daß eine gesunde Mischung der selbstverständlich notwendigen Erfahrung hoher und höchster Stäbe mit der Erfahrung der Truppenoffiziere erfolgen muß. Wir haben damals wörtlich den Satz geprägt: Es ist oft ein weltweiter Unterschied gewesen zwischen der Lagebeurteilung durch einen Obersten im Generalstab einer Armee mit mancher illusionären — ich möchte keinen stärkeren Ausdruck gebrauchen - und optimistischen Darstellung der Lage und dem, wie der Kompaniechef. der Bataillons-, der Regimentskommandeur an Ort und Stelle, an der Front die Lage beurteilten. Wir haben damals festgestellt, wieviel der theoretischen „Klugheiten" oben unten mit Blut und Tränen bezahlt werden mußten. Es ist nicht so, Herr Bundeskanzler, daß alles, was in der Wehrmacht Hitlers an Unglücken, an Katastrophen, Fehlentscheidungen und Verbrechen geschehen ist, einzig und allein auf einen Mann, nämlich auf Hitler, rubriziert werden kann. Auch ein Teil seiner Umgebung, auch höchste Stellen der Wehrmacht haben ein gerüttelt Maß an Schuld und Verantwortung zu tragen.
Niemand weiß das besser als der Truppenoffizier, der manche Dummheiten da oben unten mit seinem Blute bezahlen mußte.
Darum ist es immer gut, in jeder Institution Theorie, die sein muß, und Praxis in eine Synthese zu bringen. Mir scheint, Herr Bundeskanzler, das ist bei der Organisation des Verteidigungsministeriums auch heute noch nicht der Fall. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie, um in Zukunft eine ähnliche Kritik ausschließen zu können, dafür sorgten, daß möglichst viele, die bis jetzt jahrelang im Verteidigungsministerium am Grünen Tisch saßen, nunmehr in die Praxis kommen, um zu prüfen, was von ihrer schönen Bonner Theorie durchführbar ist.
Wir haben auf eine Anfrage im Jahre 1956 eine Antwort bekommen, die etwas erschütternd ist. Unter dem 29. November 1956 hat der Bundesminister für Verteidigung mit der Drucksache 2953 geantwortet, daß von den 38 Generalen der Bundeswehr nur 6 vom 1. September 1939 bis 5. Mai 1945 länger als drei Jahre Führer von Feldtruppenteilen waren. Von 38 Generalen haben also nur 6 mehr als drei Jahre unmittelbare praktische
Truppenerfahrung. Von 237 Obersten der Bundeswehr haben nur 64 Oberste drei Jahre und mehr in einem fast sechsjährigen Krieg in der Frontpraxis gestanden, und von 225 Oberstleutnanten haben nur 75 Oberstleutnante drei Jahre und mehr die Frontpraxis erfahren. Meine Damen und Herren, das scheint uns ein Mißverhältnis zu sein. Das ist eben nicht die gesunde Synthese zwischen notwendiger Erfahrung höchster Stäbe und der praktischen Erfahrung in der Verwirklichung genenalstabsmäßiger Theorien in Kompanie, Bataillon, Regiment, Division und Korps.
Nun zu der Verabschiedung des Wehrpflichtgesetzes! Ich glaube, daß wir wesentlich mehr für den Aufbau unserer Bundeswehr getan hätten, wenn wir den Schwerpunkt unserer Gesetzgebungsarbeit damals auf die Schaffung der Voraussetzungen des Wehrpflichtgesetzes gelegt hätten. Aber nun ist es geschehen. Wir müssen sehen, wie wir begangene Fehler und ihre Folgen beseitigen, und möglichst schnell noch jene gesetzliche Grundlagen schaffen, die hätten da sein müssen, bevor der erste Rekrut in eine Kaserne der Bundeswehr ging.
Im übrigen will ich mir versagen, auf die in der Öffentlichkeit bekannten Mängel in bezug auf Ausrüstung, Unterbringung, Wohnungen, Material und Bekleidung einzugehen, die Ihnen ebenso bekannt sind wie mir, die aber nach einem so langen Zeitraum der Vorbereitung des Aufbaus der Bundeswehr hätten vermieden werden können.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einige Vorschläge machen. Die Debatte würde nicht sinnvoll sein, wenn sie sich in einer Kritik erschöpfen würde. Kritik ist nur demjenigen erlaubt, der bereit ist, bessere Vorschläge zu machen. Meine Herren Vorredner, vor allem Herr Kollege Jaeger, haben schon einige Vorschläge gemacht, denen sich der Kollege Schneider angeschlossen hat.
Wir Freien Demokraten kündigen einen Antrag an, einen Antrag zur Schaffung von 1500 Planstellen für Offiziere und Unteroffiziere zur vorübergehenden Einstellung auf etwa drei bis vier Jahre als Lehroffiziere für den Aufbau der Bundeswehr. Es handelt sich also um eine befristete Einstellung von bewährten Offizieren, die sowohl Kriegs- wie Friedensausbildung haben. Denn vergessen wir bei einer objektiven Betrachtung des Unglücks auch nicht, daß der Faden einer friedensmäßigen Ausbildung am 1. September 1939 abgerissen ist und daß bis 1955, d. h. 16 Jahre, jegliche Kontinuität der friedensmäßigen Ausbildung verlorengegangen ist.
Wir stellen uns vor, daß jedem Stab von der Kompanie aufwärts über das Bataillon ibis zum Regiment, also jeder Einheit von der Kompanie aufwärts, ein älterer Offizier beigegeben wird, wobei der Dienstgrad gar keine Rolle spielt, ein älterer Offizier mit Front- und. Friedenserfahrung, d. h. ein Offizier, der vor dem 1. September 1939 eine gediegene Ausbildung erfahren hat. Diese Berateroffiziere sollen für drei bis vier Jahre auf Planstellen der Bundeswehr geführt werden. Die Verantwortung für die Führung der jeweiligen Einheit soll bei dem Einheitsführer und bei dem Kommandeur umeingeschränkt verbleiben; die Einheitsführer führen also ihren Verband selbstverantwortlich. Der Berateroffizier hat nur die Funktion der Beratung. Die letzte Entscheidung obliegt dem Einheitsführer und Kommandeur. Es bedeutet also keime Einschränkung seiner Befehls- und Kommandogewalt.
Wenn das geschieht, können auf diese Weise Erfahrungen nutzbar gemacht werden, die sowohl im Frieden wie im Krieg von den Berateroffizieren gesammelt wurden, die aber den jüngeren Offizieren jetzt natürlich abgehen müssen, nachdem ab 1939 eine Friedensausbildung nicht mehr möglich war und auch nach dean 8. Mai 1945 sämtliche militärpolitischen Grundlagen zerschlagen wurden.
Diese Berater würden auch die Frage prüfen müssen, ob es wirklich nötig ist, jenen schon früher überdimensionalen Schreibkram beizubehalten, oder ob es nicht besser ist, viele schriftliche Fragen unmittelbar durch mündliche Inspektionen zu ersetzen. Beispielsweise kann der Funktionsunteroffizier, der täglich seine Meldungen über Verpflegungsstärken der Kompanien, über Ausrüstung und sonstigen Bedarf braucht, sich diese Meldungen holen, indem er von Kompanie zu Kompanie geht; er muß nicht unbedingt am Tisch seine fünf Formulare haben, vom Stab und den vier Kompanien seines Bataillons. Wir glauben, daß gerade unter der Anleitung solcher Berateroffiziere vieles vermieden werden kann, auch an der bürokratischen Entwicklung der Bundeswehr.
Die Kostenfrage dürfte dabei nicht ins Gewicht fallen, denn diese älteren Offiziere sind ja im Grunde genommen alle bereits irgendwie nach Art. 131 versorgungsberechtigt. Man könnte ihnen die Differenz zwischen ihrem Pensionsbetrag oder Versorgungsbetrag und den Dienstbezügen zahlen. Man könnte ihnen auch sonst eine Aufwandsentschädigung geben — wir haben ja beim Personalgutachterausschuß eine ähnliche Lösung gefunden — und würde ihnen dann die abgeleistetem Dienstjahre — drei bis vier Jahre als Berateroffiziere auf ihre Versorgung gemäß Art. 131 anrechnen können.
Wir würden außerdem den Vorschlag machen, daß speziell für die Funktionen dieser Berateroffiziere Kriegsvermehrte eingestellt werden, die schon aus ihrem eigenen Erleben die nötige Umsicht und Vorsicht bei der Ausbildung werden walten lassen, ganz abgesehen davon, daß ein einarmiger Offizier oder ein ;beinamputierter Offizier auch durchaus wehrpsychologisch auf die jungen Rekruten gut wirken würde, nämlich im Sinne der letzten Funktion unserer Armee, der Erhaltung des friedlichen Gleichgewichts und damit des Friedens und der Vermeidung jeglichen kriegerischen Abenteuers.
Die Fraktion der Freien Demokraten wird sich erlauben, in der nächsten Sitzung des Verteidigungsausschusses diesen formellen Antrag einzubringen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reichstein.
Herr Präsident! Meine. Damen und Herren! Wir haben schon oft Anlaß gehabt, von der Tragik zu sprechen, die über der Entwicklung unserer Bundeswehr liegt. Bisher war allerdings der Anlaß für diese unsere Worte immer der Gang der Gesetzgebung, den als nicht sehr glücklich zu bezeichnen wir in vielen Fällen Grund hatten. Der Umstand jedoch, der uns heute zu dieser Debatte führt, verdient das Wort Tragik in seiner ganzen Bedeutung.
Wir haben uns hier die Frage nach der politischen Verantwortung der Gesetzgebung und der Exekutive an diesen Umständen zu stellen. Wir haben dabei insbesondere den Aufbau unserer Bundeswehr kritisch zu prüfen. Ich kann hier nicht ganz dem folgen, was der Herr Verteidigungsminister und was auch der Kollege Dr. Jaeger gesagt haben. Auch wir haben bei Anerkennung des Prinzips der Wehrpflicht vor einem unorganischen Aufbau rechtzeitig gewarnt. Sie haben, nicht mit stärkeren Argumenten, sondern durch Ihre Stärke, unsere Argumente beiseite geschoben. Der Herr Verteidigungsminister hat auf die große Zahl der Gedienten hingewiesen, die bei der Bundeswehr tätig seien. Nun, dazu steht aber in Widerspruch, daß es trotzdem eine so große Zahl von Fehlstellen allein bei einem Bataillon gibt.
Es ist dann zumindest die Frage der zweckmäßigen Verteilung dieser Gedienten, etwa auf die Schreibstubensoldaten und die bei der Truppe stehenden Soldaten, noch einmal, und zwar sehr gründlich zu prüfen. Es kann eben nicht übersehen werden, daß die Reichswehr erst nach etwa zehn Jahren in einem Stand war, in den man die Bundeswehr eben schon nach zwei oder drei Jahren setzen will.
Wir haben uns, wenn wir selbst die eigene Verantwortung und die der Exekutive überdenken, eine ganz besondere Frage vorzulegen — darauf will ich dann noch etwas später eingehen —: die Frage, welche Sorgfalt wir einer Institution bei der Bundeswehr widmen, die ausschließlich die Aufgabe hat, der Gesunderhaltung der Soldaten zu dienen: das Gesundheitswesen bei der Bundeswehr.
Aber lassen Sie mich zuerst zur allgemeinen politischen Verantwortung noch etwas sagen, insbesondere also zu unserer Verantwortung und zur Verantwortung des Verteidigungsministeriums, soweit sie die Verhinderung von Unfällen als Folge von Befehlen betrifft. Zweifellos ist es das große Problem aller soldatischen Gemeinschaften, den doch wohl vorhandenen Widerspruch, der zwischen der Pflicht zum schuldigen Gehorsam und der auch notwendigen Kritik am Befehl liegt, wirklich zu lösen. Wir können nicht übersehen, daß auch in einer Demokratie, und in der besten, die denkbar ist, das soldatische Leben zwangsläufig ohne die formalen Methoden des demokratischen Lebens abläuft. Das setzt aber dann die besondere Pflicht, durch eine intensive und nach dem Ziel ausgerichtete Schulung der Vorgesetzten und Belehrung der Soldaten die uns allen von uns selbst gestellte Aufgabe zu erfüllen, nämlich den Bürger in Uniform zu schaffen und zu erhalten.
Ich will hier eine Bemerkung des Herrn Dr. Jaeger aufgreifen, die auch in einem Wort des Herrn Ministers mitklang, nämlich die Frage der Notwendigkeit harter, kriegsmäßiger Ausbildung. Ich möchte keinen Zweifel daran lassen, daß nach Auffassung unserer Partei zwischen harter Ausbildung und den tatsächlichen Ereignissen in einem Krieg ein breiter Raum liegt, der im Frieden überhaupt nicht betreten werden darf,
weil die Gefährdung der Menschen auch im Hinblick auf eine harte Ausbildung eine natürliche Grenze finden muß. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch am Rande zu überlegen bitten, ob nicht
überhaupt Wasserübungen in Tarnanzügen zu verbieten sind. Das ändert nichts daran, daß man in einem Ernstfall doch mit Tarnanzug ins Wasser gehen muß. Aber die Gefährdung, in einem solchen wasserundurchlässigen Anzug im Wasser zu sein, der sich dann mit Wasser füllt und den Menschen wie einen nassen Sack hinunterzieht, ist doch zumindest einmal der Überlegung wert.
Ich frage auch den Herrn Minister, ob die Unterrichtung der Soldaten über ihre Rechte, so wie sie im Soldatengesetz niedergelegt sind, wirklich im nötigen Umfang durchgeführt wird, insbesondere also die Belehrungen über den § 11 des Soldatengesetzes. Auch hier wollen wir nicht verkennen, welcher Unterschied zwischen Theorie und Praxis liegt.
Der Herr Verteidigungsminister hat in einem Fernsehgespräch davon gesprochen, daß die Soldaten den Befehl — man möge das auch nicht Befehl nennen —, über die Iller zu schreiten, hätten verweigern können. Herr Minister, ich muß Ihnen widersprechen. Nach meiner Auffassung gibt der § 11 des Soldatengesetzes den Soldaten kein Recht, einen solchen Befehl zu verweigern; denn er ist sicher nicht gegen die Menschenwürde gerichtet, und er ist sicherlich im dienstlichen Auftrag und zur Dienstausübung gegeben. Ich weiß also nicht, wie es einem Soldaten gegangen wäre, der einen solchen Befehl verweigert hätte, wenn das Unternehmen ohne Folgen ausgegangen wäre.
Wir, das Parlament und auch Sie, Herr Minister, haben uns sehr genau zu überlegen, ob man nicht die Formulierung des § 11 des Soldatengesetzes, der die Pflicht zum Gehorsam regelt, dahin ändern sollte, daß — um ein schon einmal erwähntes Wort zu gebrauchen, das auf dem Grabstein eines preußischen Offiziers steht — die Möglichkeit der Befehlsverweigerung gegeben ist, wenn „Gehorsam nicht Ehre bringt", wenn ein Befehl unsinnig ist und wenn ein Befehl mit den Rechten eines Bürgers in Uniform — um diesen Ausdruck zu gebrauchen — nicht mehr vereinbar ist.
Wir wollen auch nicht das Problem verkennen, das sich aus dem Gegensatz von Gehorsam und Gehorsamsverweigerung in einer soldatischen Gemeinschaft ergibt, in der der Soldat in einer besonderen psychologischen Situation steht. Er will weder gegenüber dem Vorgesetzten noch in seiner Gruppe auffallen. Es ist eine Frage, die sich auch bei der gesamten Erziehung der Menschen, überhaupt der ganzen Bevölkerung stellt, wie wir das Leben und Verhalten in einer soldatischen Gemeinschaft gestalten, damit nicht die Neigung, sich der Gruppenmoral — wie man es wohl zu nennen pflegt — zu beugen, in einem gefährlichen Maße die Begrenzung des Handelns nach eigener Kritik hervorbringt. Dieses Problem stellt sich für den Menschen überhaupt, angefangen von der Schule, und nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der Bundeswehr. Das Gefühl für die Rechte der Persönlichkeit ist deshalb so zu stärken, daß es auch unter den Besonderheiten des soldatischen Lebens nicht vollkommen verloren geht. Es darf nicht eintreten, daß — wie eine französische Zeitung schrieb — die Soldaten einem Menschen wie einem Flötenspieler ins Verderben folgen.
Herr Minister und Herr Bundeskanzler, ich darf Sie hier ganz besonders ansprechen; Herr Bundeskanzler, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diesen Ausführungen einen Augenblick Ihre Auf-
merksamkeit schenken könnten. Wir haben bei der Bundeswehr besondere Einrichtungen, die dem Anliegen, mit dem wir uns heute beschäftigen, dienen. Es handelt sich um die Einrichtungen zur Erhaltung und zum Schutze der Gesundheit der Soldaten. Ich meine also die gesamten Einrichtungen des Sanitätswesens in der Bundeswehr. Wir haben heute, zwei Jahre, nachdem wir die Bundeswehr aufbauen, noch immer keinen verantwortlichen Leiter für diese Stelle, und wir haben heute noch immer nicht einen Arzt für jedes Bataillon.
Ich frage Sie, meine Herren Kollegen: wer von Ihnen wäre bereit, die Verantwortung eines Bataillonskommandeurs zu übernehmen, ohne die Möglichkeit zu haben, im Falle eines Unfalls sofort den Arzt an der Seite zu haben? Ich frage Sie, Herr Minister und Herr Bundeskanzler: gibt es eine soldatische Institution, eine Wehrmacht in irgendeinem anderen Lande, die sich einen solchen Zustand erlauben dürfte? Das ist doch unerträglich.
Herr Minister, ich verkenne nicht, daß sich seit Ihrer Amtsübernahme in der Auffassung zum Grundsätzlichen Erhebliches geändert hat. Aber das Tatsächliche ist geblieben: heute noch nicht ein Arzt für jedes Bataillon. Ich weise Sie auf die Gefahr hin, die darin liegt. Gott wolle es verhüten, daß wir uns einmal über ein anderes Unglück, über nicht rechtzeitig erkannte ansteckende Krankheiten, über nicht rechtzeitig erfolgte Versorgung von verunglückten Soldaten wieder Gedanken zu machen haben, weil wir diese Dinge nicht geregelt haben.
Herr Minister, es liegt zu einem Teil auch an Ihrem Haus — ich sage das in aller Offenheit; ich will es mir heute versagen, einzelne Äußerungen von hohen Offizieren und Beamten, die ich kenne, zu nennen —, daß wir in dieser Frage nicht weiterkommen, es liegt an den Widerständen, die ebenso unverständlich wie unvernünftig sind. Als Beispiel will ich Ihnen sagen: Es ist doch unmöglich, daß Ihr Haus den Haushaltsplan, den es vorzulegen hat, so vorlegt, daß wieder keine Stelle für einen leitenden Sanitätschef enthalten ist und daß das Parlament diese Stelle erst hineinbringt. Wollen Sie das mit den Pflichten Ihres Hauses, Maßnahmen zum Schutze der Gesundheit vorzusehen, in Einklang bringen? Hier liegen Gefahren, die wir gerade im Rahmen der heutigen Debatte einmal aussprechen wollen.
Eine unzureichende Versorgung unserer Soldaten mit Ärzten, soweit sie aus einer unverantwortlichen, jedenfalls nicht zu billigenden Einstellung zu dieser Frage kommen sollte, muß endgültig abgestellt werden.
Hier gilt es zweifellos, große Widerstände in Ihrem Hause und im Finanzministerium zu beseitigen. Herr Minister, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß keiner dieser Herren die Verantwortung dafür übernimmt, wenn einmal etwas geschieht. Diese Herren werden sich zurückziehen und sagen, sie hätten selbstverständlich nur ihre Pflicht getan, sie werden sich auf den Bundeshaushalt berufen, und weiß Gott, was man alles sagen wird.
Hier müssen wir endlich die notwendigen Verhältnisse schaffen, wie wir sie in allen Wehrmachten anderer Staaten haben; denn es ist Ihre wie unsere Aufgabe — das ist unsere Auffassung —, nichts zu tun, was uns gegenüber der Öffentlichkeit unglaubwürdig macht, daß es wirklich unser Bemühen ist, den Wert des Lebens auch der Soldaten so hoch wie nur möglich zu schätzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Rasch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einer Antwort an den Herrn Kollegen Schneider einleiten, der jetzt der Opposition die Schuld in die Schuhe zu schieben versucht mit der Bemerkung, die Opposition habe bei der Bewilligung von Stellen Schwierigkeiten gemacht. Herr Kollege Schneider, ich will nicht sagen, daß Sie gelogen haben, aber ich möchte betonen, daß Sie bewußt die Unwahrheit gesagt haben; denn Sie können nicht beweisen, daß die Opposition beantragt hat, Unterführerstellen zu beseitigen. Sie hat vielmehr verlangt, daß Generalsstellen beseitigt werden.
Ich möchte feststellen: die volle Verantwortung für alle militärpolitischen Maßnahmen trägt die Bundesregierung mit ihrer Mehrheit. Wenn Sie etwas anderes hätten tun wollen — Sie haben als CDU/CSU-Fraktion mit Ihrem Trabanten, der Deutschen Partei, in diesem Hause die absolute Mehrheit. So ist es nun einmal. Ich darf Sie daran erinnern: als die Situation des Herrn Blank schon sehr komisch und sehr schwierig war, haben Sie ihm noch immer mit Beifallsrauschen den Rücken gestärkt. Nicht die Opposition hat ihn beseitigt, sondern die eigene Regierung mußte ihn wegen Unfähigkeit nach Hause schicken. Das möchte ich hier einmal ganz klar feststellen.
Mit dem Iller-Unglück verbindet sich noch ein soziales Problem: die Frage der Versorgung der Hinterbliebenen dieser ertrunkenen Soldaten. Auf der Tagesordnung, die uns für vier Tage vorliegt, ist als Punkt 3 verzeichnet die Beschlußfassung über die Vorlage aus dem Vermittlungsausschuß zum Soldatenversorgungsgesetz. Tatsache ist, daß bis zur Stunde die Wehrpflichtigen keinen Versorgungsanspruch haben, weder ,für sich noch für ihre Hinterbliebenen; wenn es auch so gehandhabt werden soll, daß das Bundesversorgungsgesetz bei entsprechenden Vorfällen anzuwenden ist. Das ist das Ergebnis einer innerministeriellen Besprechung,
und es wird, soweit ich weiß, danach verfahren.
Tatsache ist: Wir haben zum 1. April dieses Jahres Wehrpflichtige eingezogen und haben bis zur Stunde in der Bundesrepublik kein Gesetz für die Versorgung dieser Wehrpflichtigen und ihrer Hinterbliebenen geschaffen.
Das ist eine unmögliche Situation. Herr Bundesverteidigungsminister, vor Weihnachten habe ich Sie in einer Unterredung darauf aufmerksam gemacht und auf die schlechte Versorgungslage der deutschen Kriegsopfer hingewiesen. Für einen Rechtsstaat sollte es eine Unmöglichkeit sein, Men-
sehen zum Dienst mit der Waffe zu verpflichten, ohne ihnen sagen zu können, was geschieht, wenn ihnen etwas zustößt. Was wäre einem Privatmann geschehen, der etwas Derartiges getan hätte? Ich stelle mir vor, ein Sportlehrer einer Sportschule hätte gesagt: Wir wollen das mal versuchen, und er hätte das getan. Dann hätte man meiner Überzeugung nach in der Öffentlichkeit von leichtsinnigem und leichtfertigem Handeln, wenn nicht gar von einem Verbrechen gesprochen. Was man von dem Privatmenschen, dem Einzelmenschen verlangt, das müßte meiner Meinung nach für die Regierung und für den Staat eine Selbstverständlichkeit sein.
Ich kann mir die Antwort, die ich vielleicht gleich bekommen werde, schon vorstellen. Man wird mir sagen, das Soldatenversorgungsgesetz, das auch die Ansprüche der Wehrpflichtigen regelt, trete rückwirkend vom 1. April dieses Jahres in Kraft. Das stimmt; das wird wohl so sein. Ich komme zurück auf die Mahnungen der Opposition, als es galt, über die Versorgungsansprüche der Opfer der zwei vergangenen Kriege zu beraten und zu beschließen. Hier ist interessant festzustellen, daß man alle unsere Mahnungen und Hinweise in den Wind geschlagen hat. Mir fällt gerade ein, daß uns ein Kollege der CDU-Fraktion bei der Beratung des Kindergeldgesetzes sagte: Sie können noch so viel sachliche Argumente bringen, wir werden nach unserer politischen Meinung entscheiden. — Ich könnte Ihnen weitere Beispiele bringen, die noch ganz andere Dinge aussagen.
Als einige Pressevertreter fragten: Was erhalten denn nun die Hinterbliebenen der ertrunkenen Soldaten?, da ist das in der Öffentlichkeit — zum Teil zu Recht, zum Teil zu Unrecht — als Pietätlosigkeit angesprochen worden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte schön!
von Manteuffel (DP [FVP]): Herr Kollege, Sie haben mich wegen meiner geringen Körpergröße bisher wohl nicht bemerkt; ich hatte mich gemeldet, weil Sie davon sprachen, daß dieses Soldatenversorgungsgesetz voraussichtlich am 1. April 1957 in Kraft trete. Ich nehme an, daß gerade Sie sich auf Grund Ihrer Vorbildung 'besonders damit beschäftigt haben und wissen, daß dieses Gesetz nach § 93 rückwirkend mit dem 1. April 1956 in Kraft tritt. Ist Ihnen das entgangen?
Entschuldigen Sie, das ist richtig.
Nun, meine Damen und Herren, kommt die Frage: Was erhalten denn die Eltern der Soldaten, die Wehrpflichtige gewesen sind? Dafür maßgebend ist das Bundesversorgungsgesetz, und dieses Gesetz regelt die Ansprüche der Eltern, der Frau und der Kinder, die eventuell Hinterbliebene werden, und die Ansprüche der eventuellen Beschädigten der neuen Bundeswehr. Dazu darf ich Ihnen einmal kurz den einschlägigen § 36 des Bundesversorgungsgesetzes vorlesen. Dort heißt es:
Beim Tode eines rentenberechtigten Beschädigten
— das werden sie sein oder waren es mit der Stunde des Todes —
wird ein Bestattungsgeld gewährt. Es beträgt 300 Deutsche Mark,
Im Absatz 2 heißt es dann weiter:
Vom Bestattungsgeld werden zunächst die Kosten der Bestattung bestritten und an den gezahlt, der die Bestattung besorgt hat. Dies gilt auch, wenn die Kosten der Bestattung aus öffentlichen Mitteln bestritten worden sind.
Das könnte, meine Damen und Herren, wenn Sie nicht bald etwas anderes tun, jetzt bedeuten, daß man, wenn der Versorgungsanspruch angemeldet wird und wenn der zuständige Beamte, wie er ja gehalten ist, diese Bestimmungen richtig auslegt, vielleicht noch an den 300 DM Bestattungsgeld herumdeutelt. Und dann kommt es noch tragischer: Auf diese 300 Mark werden angerechnet eventuelle Sterbegelder, die die Hinterbliebenen des Verstorbenen auf Grund von Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung beanspruchen können; also dann, wenn sie einen Anspruch an die Ortskrankenkasse oder die Ersatzkasse des Verstorbenen usw. haben, werden diese Beträge noch in Anrechnung gebracht.
Und nun kommt die Frage: Was erhalten denn die Eltern an Rente? Auch dazu sagt das Bundesversorgungsgesetz einiges aus. Unter anderem heißt es — § 50 Bundesversorgungsgesetz —:
Die Elternrente wird für die Dauer der Bedürftigkeit gewährt, wenn der Verstorbene der Ernährer seiner Eltern gewesen ist oder geworden wäre.
Herr Arbeitsminister, Sie wissen doch am besten, wie viele Schwierigkeiten diese Bestimmung des Bundesversorgungsgesetzes in den letzten Jahren der Versorgungsverwaltung gemacht hat, weil man die Entscheidung über die Frage, ob der Verstorbene der Ernährer der Eltern geworden wäre, immer dem untersten Beamten zugeschoben hat.
Nun darf ich auch aus der Verwaltungsvorschrift einen Satz zitieren. Die Verwaltungsvorschriften sind ja ein deutsches Erbübel; es gibt meines Wissens wenige Länder in der Welt, die ein Gesetz dergestalt mit Verwaltungsvorschriften ausstatten, daß die Verwaltungsvorschriften nach zwei Jahren siebenmal soviel Papier beanspruchen wie 'das Gesetz selbst. In den Verwaltungsvorschriften 'heißt es nun:
Leben noch Geschwister des Verstorbenen, so ist festzustellen, wie sie sich den Eltern gegenüber verhalten. Aus ihrem Verhalten ist im allgemeinen der Schluß zu ziehen, daß der Verstorbene nicht anders gehandelt hätte.
Ich weiß nicht, ob das mit der Würde, die man jedem einzelnen Menschen entgegenbringen sollte, in Einklang zu bringen ist. In den Tagesbefehlen ist doch davon gesprochen worden, daß diese ertrunkenen Soldaten auch Vorbild seien. Bei einem vorbildlichen Menschen sollte man nicht fragen, wie sich der Bruder oder die Schwester verhalten. Denn schwarze Schafe soll es auch in der Familie der CDU einige geben.
Vor einigen Wochen haben wir hier im Plenum die Sechste Novelle zum Bundesversorgungsgesetz verabschiedet. Da haben wir beschlossen, daß auch die Witwen eine höhere Leistung erhalten. Es muß daran erinnert werden; denn, Herr Dr. Jaeger und Herr Schneider, Sie haben doch erklärt, da müsse so bald wie möglich etwas geschehen, das Versorgungswesen müsse ausgebaut werden. Hier darf ich Ihnen sagen: wenn es das Unglück gewollt
hätte, daß einer der toten Soldaten verheiratet gewesen wäre, dann hätte seine Frau bis zum Inkrafttreten der Sechsten Novelle, wenn sie nicht über 40 Jahre gewesen wäre — und es ist wohl kaum anzunehmen, daß die Frau eines Wehrpflichtigen über 40 Jahre alt ist —, laut Bundesversorgungsgesetz 30 DM im Monat erhalten. Sie wäre ausgeschlossen gewesen von dem Bezug der Ausgleichsrente, die ja eine Bedürftigkeits- oder Fürsorgerente ist. Das wollen wir hier ruhig feststellen, weil gesagt wird, die sozialdemokratische Opposition tue nichts für die Soldaten. Die Sozialdemokraten haben im Kriegsopferausschuß mit der Begründung, daß jetzt auch die Soldaten der Bundeswehr nach diesem Gesetz versorgt werden, beantragt, daß diese unterschiedliche Behandlung der Witwen beseitigt wird. Und sollten Sie das nicht glauben, meine Damen und Herren von der CDU, dann schauen Sie sich Ihren Antrag an, der diese Trennung der Versorgungsleistungen nicht beseitigen wollte.
Wie sieht es heute aus? Wie sieht es aus, wenn dieses Gesetz für die wehrpflichtigen Soldaten Gültigkeit haben wird? Dann werden die Witwen 70 DM pro Monat erhalten, und wenn sie Tiber 45 Jahre alt sind, haben sie einen Anspruch auf eine Ausgleichsrente, die im Höchstfall 80 DM betragen darf.
In diesem Zusammenhang stellt sich eine weitere Frage. Die Soldatengesetze sehen vor, daß auch Wehrübungen stattfinden werden. Es wird wohl so sein, daß diejenigen, die Wehrübungen zu leisten haben, größtenteils Verheiratete sind. Dann trifft für diese eine Wehrübung Leistenden das gleiche zu wie für diejenigen, die in Erfüllung ihrer aktiven Wehrpflicht beschädigt werden.
Nun frage ich, meine Damen und Herren: Wenn man einen Mann z. B. mit 40 Jahren aus dem Beruf herausholt, wenn man ihn verpflichtet, wieder eine Übung zu machen, und wenn ihm bei dieser Übung etwas geschieht, kann man es dann verantworten, ist es dann gerecht, seiner Witwe 70 DM im Monat zu geben? Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß man diesen Menschen so behandeln muß, als wäre ihm in seinem Beruf oder in seinem Betrieb etwas geschehen. Eine andere Regelung dürfte auch rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht gerecht werden.
Den Waisen — den Kriegerwaisen oder den Waisen der kommenden Bundeswehrsoldaten — geht es genauso, und den Beschädigten geht es ebenfalls nicht anders. Nur einige Zahlen, um Ihre Erinnerung aufzufrischen: Ein Soldat, der ein Auge verliert, erhält nach jetzt gültigem Recht des Bundesversorgungsgesetzes 30 DM im Monat. Ein Soldat, der ,den ganzen Fuß verliert, erhält nach gültigem Recht 38 DM im Monat und hat keinen Anspruch auf eine Ausgleichsrente. Derjenige Soldat, der als sogenannter Schwerbeschädigter mit dem Verlust eines ganzen Unterschenkels entlassen werden muß, erhält 48 DM, und wenn er keine anderen Einkünfte bezieht und unter die Richtlinien der allgemeinen Fürsorge fällt, kann er zusätzlich 70 DM Monat erhalten, also im Höchstfalle 118 DM. Das sind Tatbestände, meine Damen und Herren,
und diesen Katalog könnte man noch lange erweitern.
Nun hat Herr Kollege Mende gesagt, man solle nicht Kritik üben, wenn man keine besseren Vorschläge zu machen wisse. Ich bin der Meinung, man darf auch dem Pflichtsoldaten nicht zumuten, daß er mit der Gewißheit Dienst leistet: im Schadensfalle bin ich ein armer Teufel, und wenn ich gar getötet werden sollte, dann erhalten meine Frau und meine Kinder so viel, daß es, wie man im Volksmunde sagt, zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig ist. Nach meiner Auffassung ist es notwendig, im dritten Deutschen Bundestag die Versorgungsgesetzgebung so aufzubauen, daß sie rechtsstaatlichen Grundsätzen und echten Versorgungsgrundsätzen gerecht wird. Das dürfte am einfachsten in der Weise geschehen, daß man sich in etwa an die unfallrechtlichen Bestimmungen hält.
Bei den Ledigen gibt es auch in der Unfallversicherung keine Schadenrente. Ich darf Sie aber auch hier daran erinnern, daß Sie — die Regierungsmehrheit — bei der Beratung der Rentengesetze den Antrag der SPD auf Gewährung einer Elternrente, wenn die Eltern bedürftig sein sollten, geschlossen abgelehnt haben. Hoffentlich werden Sie sich anders verhalten, wenn es zur Beratung einer endgültigen Reform dieser Dinge kommt.
Und nun etwas Betrübliches, was man hier doch wohl sagen muß: Der bedauerliche Tod der 15 Soldaten wirft doch auch ein bezeichnendes Licht auf die ganze Situation. Herr Kollege Schneider, Sie haben von der Diffamierung der ehemaligen Soldaten gesprochen. Ich könnte Ihnen einige Dinge erzählen, wie es mit der Versorgung der ehemaligen Soldaten aussieht; denn ich glaube, das ist bestimmt einer Diffamierung gleichzusetzen, und ich bin sogar der Hoffnung, daß der Herr Bundesarbeitsminister hier bis zu einem gewissen Grade der gleichen Auffassung ist wie ich.
Alles das, was ich hier gesagt habe, hat zum Teil mein Kollege Pohle schon bei der Verabschiedung der 6. Novelle erklärt. Wir hier im Parlament sollten auch auf Dinge achten, die von Fachgremien außerhalb dieses Parlaments ,an die Regierungen und die einzelnen Minister herangetragen werden. Es wäre mit der schlechten, unzulänglichen Elternversorgung nicht mehr so schlimm, Herr Arbeitsminister, wenn Sie dem Vorschlag Ihres Beirats für Versorgungsrecht gefolgt wären, die Frage der Ernährereigenschaft zu beseitigen, und auch Ihre Fraktion angeregt hätten, diesem Beispiel Ihres Beirats zu folgen.
Meine Damen und Herren! Wenn Sie die umfangreiche Tagesordnung hier einmal durchlesen — —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Rasch, darf ich Sie bitten, sich kurz zu fassen. Wir haben heute keine Einzeldebatte, sondern wir sprechen zu Punkt 1 der heutigen Tagesordnung.
Das gehört alles dazu, Herr Präsident. Im übrigen bin ich sofort fertig.
Meine Damen und Herren! Auf der heutigen Tagesordnung steht auch ein Punkt 19, der das Tragen von ehemaligen Kriegsauszeichnungen und Orden regelt. Ich weiß aus meinem persönlichen Erleben, daß der verstorbene Herr Innenminister Dr. Lehr im Jahre 1952 einen sogenannten Ordensausschuß berufen hat. Damals schon hat man sich mit der Frage des Wiedertragens von Orden beschäftigt und hat um Rat gebeten. Aber in der Frage der Versorgung der Wehrpflichtigen ist man heute noch nicht soweit, daß man diese Dinge einigermaßen geklärt hat. Ich möchte abschließend
sagen — ich möchte dem Wunsche dies Herrn Präsidenten nachkommen —: Für alle diese Unzulänglichkeiten, meine Damen und Herren von der Christlich-Demokratischen Union, tragen Sie allein die Verantwortung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Das Protokoll des vorausgehenden Teils der Sitzung ist mir jetzt vorgelegt worden. Ich muß da leider feststellen, daß der Abgeordnete Schmidt zu dem Abgeordneten Schneider (Bremerhaven) gerufen hat: „Bei der Wahrheit zu Bleibei, Herr Schneider, und nicht zu lügen!" Wegen dieses Vorwurfs erteile ich dem Herrn Abgeordneten Schmidt (Hamburg) einen Ordnungsruf.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Petersen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das tragische Unglück der Soldaten in der Iller vereinigt uns wohl alle in der Anteilnahme und in der Trauer, und ich möchte meinen, daß wir uns außerhalb jeder parteipolitischen Betrachtung mit den Fragen befassen sollten, die aus diesem Unglück für uns als Gesetzgeber zwingend anstehen. Dieses Unglück wirft sehr schwere Schatten auf die unzulängliche Versorgung, die wir unseren Kriegsopfern angedeihen lassen. Der Herr Kollege Rasch hat in seinen Ausführungen einen Teil dieser Dinge schon beleuchtet. Ich möchte darüber hinaus sagen, daß die Versorgung der Hinterbliebenen — und als solche kommen wohl nur die Eltern in Frage, da ja Verheiratete unter den jungen Soldaten nicht gewesen sind — sehr mangelhaft sein wird. Wir sollten uns keinen Illusionen hingeben und auch keine großen Empfehlungen an dieser Stelle aussprechen, aus dem Bundesversorgungsgesetz Möglichkeiten für eine wirksame Hilfe zu schaffen. Die Elternversorgung nach § 50 ist sehr eng. Sie setzt einmal die Bedürftigkeit voraus und verlangt weiter, daß für den Verstorbenen die Ernährereigenschaft bejaht wird und daß bei den Hinterbliebenen die Mutter 50 Jahre und der Vater 65 Jahre alt sein müssen, wenn sie eine Elternrente in Anspruch nehmen wollen. Ich darf wohl unterstellen, daß der Großteil der Hinterbliebenen dieses Alter nicht hat. Damit entfällt an sich schon eine Elternrente, es sei denn, daß eines der anderen Tatbestandsmerkmale, nämlich körperliche oder geistige Gebrechlichkeit vorliegt. Hier werden wir nur im Wege einer weiten Auslegung des Härteparagraphen, § 89, helfen können.
Wenn aber alle Voraussetzungen für die Elternrente erfüllt sind, dann ist das Ergebnis hinsichtlich der materiellen Versorgung noch denkbar dürftig. Selbst nach den Verbesserungen der Sechsten Novelle werden das Elternpaar nur eine Elternrente von 130 DM und ein Elternteil, also die hinterbliebene Mutter oder der hinterbliebene Vater, nur eine Versorgung in Höhe von 90 DM monatlich erhalten.
Ich darf vielleicht anregen, daß die Bundesregierung sich Gedanken darüber macht, wie bei diesem Unglück an der Iller über die Gesetze hinaus die materielle Versorgung der Hinterbliebenen verbessert werden kann. Ich möchte hier noch einmal das aussprechen, was wir bei der Verabschiedung der Sechsten Novelle sehr stark unterstrichen haben: Auf der Grundlage des Bundesversorgungsgesetzes kann von einer gerechten Elternversorgung keine Rede sein. Überhaupt läßt die ganze Kriegsopferversorgung noch so viele Mängel erkennen, daß wir es uns im 3. Bundestag dringend angelegen sein lassen müssen, eine grundlegende und umfassende Reform der Kriegsopferversorgung anzustreben.
Bei der Behandlung des Unglücks an der Iller muß betont werden, daß die Behauptung, wir bewegten uns mit unserer Sozialpolitik in einen Versorgungs- oder Wohlfahrtsstaat hinein, falsch ist. Die unzureichende Versorgungslage der Hinterbliebenen beweist klar, daß sehr vieles unzulänglich geregelt ist. Eine sozial gerechte Lösung bieten unsere Gesetze nicht.
Wir sollten deshalb alle aufgerufen sein, bei der zukünftigen gesetzgeberischen Arbeit gegenüber diesen dringenden sozialen Anliegen eine größere Aufgeschlossenheit als in der Vergangenheit zu zeigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesverteidigungsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Absicht, noch Ergänzungen zu dem Bericht zu geben oder zu der Gesamtproblematik zu sprechen. Ich halte es aber wohl für meine Pflicht, zu einigen Gesichtspunkten, Forderungen, Wünschen und Beschwerden, die hier vorgebracht worden sind, noch vom Standpunkt des Verteidigungsministeriums aus punktweise einige Ausführungen zu machen.
Ich möchte mich nicht länger zu der ja zum Teil politisch, zum Teil sachlich bedingten Frage äußern: Ist der Aufbau der Bundeswehr zu schnell erfolgt bzw. ist das Tempo, in dem er jetzt vorgesehen ist, immer noch zu schnell? Ich habe einige Oberschriften gelesen, in denen es hieß: ,.Aufbau der Bundeswehr wird rasch fortgesetzt", „Es werden im Aufbau keine Konsequenzen gezogen" usw. Ich darf feststellen, daß die staatsrechtliche oder die völkerrechtliche Souveränität und damit das Recht, eine Bundeswehr aufzubauen, am 5. Mai 1955 erteilt worden ist. Im November 1955 sind die ersten Soldaten berufen warden. Es waren durchweg Soldaten in Stäben und in Ämtern. Im Januar 1.956 gab es die ersten Soldaten auf dem Kasernenhof in Andernach.
Wie ich heute gesagt habe — man soll ja Irrtümer oder Erfahrungen immer berücksichtigen —, war der Plan, beginnend vom 1. Januar 1956 an nach 12 Monaten 96 000 Mann, nach weiteren 12 Monaten 270 000 Mann unter Waffen zu haben. Ich darf hier darauf hinweisen, daß es nach dem Urteil mancher militärischer Fachleute, insbesondere auch nach dem Urteil ausländischer militärischer Fachleute, hätte möglich sein sollen, dieses Aufbautempo und diese Aufbauphasen einzuhalten.
Als ich am 14. Oktober 1956 die Verantwortung für den weiteren Aufbau im Rahmen der Verantwortungsgrenzen eines Bundesministers, eines Ressortministers, übernommen habe, waren 65 000 Soldaten im Dienst und weitere 10 000 Soldaten einberufen; es waren also insgesamt 75 000 Soldaten. Ich habe erwähnt, daß in der Zwischenzeit
etwa 22 000 Einberufungen erfolgt sind. In den Dienst eingetreten sind praktisch 32 000. Ich glaube nach wie vor, daß der Zuwachs in acht Monaten von etwa 30 000 Soldaten, darunter eine Reihe gedienter Soldaten, nach Ablauf einer Frist von schon fünf Vierteljahren vorher, also vom Mai 1955 bis Oktober 1956 — jetzt einmal ohne jede politische Polemik und auch ohne Antwort ,auf politische Polemik gesprochen —, nicht als zu schnell bezeichnet werden kann. Ich habe ferner im Aufbau die Kader von sieben Divisionen vorgefunden. Damals habe ich die Frage gestellt, ob es notwendig oder zweckmäßig ist, statt der sieben in Aufbau befindlichen Divisionen die Zahl der Großverbände, die aufgebaut werden, zunächst zu reduzieren, d. h. aus etwa sieben Divisionskader drei oder vier zu machen. Mir ist von allen militärischen Fachleuten aus Stäben und aus der Truppe erläutert worden, daß dies von neuem unübersehbare Schwierigkeiten, von neuem Verwirrung erzeugen müsse und monatelange Einzelausbildung oder Spezialausbildung erfolglos gewesen sei, weil von neuem Umschulungen stattfinden müßten, während eben erst die Schulung vollzogen wurde. Die Konsequenz war dann die, den Aufbau der sieben Großverbände fortzusetzen, was auch geschieht. Sie kennen die Termine, daß am 1. Julidrei Grenadierdivisionen, am 1. Januar zwei Panzerdivisionen und am 1. April nächsten Jahres zwei Sonderdivisionen, die Luftlandedivision und die Gebirgsdivision, beschränkt Verwendungsfähigkeit erhalten sollen. Ich babe ebenfalls — ich sage es nur zur Feststellung der Tatsachen, ohne jede Polemik — gegen Anraten militärischer Fachleute von der Truppe und aus Stäben angeordnet, daß die Aufstellung weiterer Großverbände weder in diesem Jahr noch zu Beginn des nächsten Jahres erfolgt. Diese Frage wird vielmehr his zum Ende des nächsten Jahres zurückgestellt, um in die bestehenden Verbände das Maß an Konsolidierung hineinzubringen. das im Interesse des heute ven allen Rednern des Hauses aufgezeigten Zieles für notwendig gehalten wird. Mehr möchte ich zu diesem Punkt aus diesem Anlaß nicht sagen.
Ich darf noch einen zweiten Punkt anschneiden. Ich fürchte, daß Kollege Eschmann meine Ausführungen über Befehlsklarheit und Befehlstreue mißverstanden haben könnte. Sie enthielten in keiner Weise einen Angriff gegen diejenigen oder eine Herabsetzung derjenigen, die im Krieg bis zur bitteren letzten Stunde in anständiger Pflichterfüllung, wenn auch oft mit sehr ,geteilten Gefühlen ihre Pflicht erfüllt haben und da stehengeblieben sind und ausgehalten haben, wo sie glaubten, im Interesse des Vaterlandes und des Lebens der ihnen anvertrauten Männer aushalten zu müssen. Ich glaube, es hat in diesem Haus noch kein Zweifel darüber bestanden, daß im letzten Kriege in den Verhältnissen des Dritten Reiches, die ich hier nicht näher zu schildern brauche, die Befehlsklarheit, ich meine einmal im Sinne von Befehlsschärfe und Befehlstreue, mißbraucht worden ist und daß der Mißbrauch gegenüber Befehlsschärfe und Befehlstreue in den Jahren nach dem Kriege mit Recht einer scharfen Kritik, angefangen von den „berühmten" Gerichtsverhandlungen bis zur öffentlichen Meinung, seinen Niederschlag gefunden hat und heute eine gewisse Unsicherheit bei militärischen Unterführern und Führern darüber vorhanden ist, wo die richtigen Grenzen liegen. Hätten wir eine kontinuierliche demokratische Wehrtradition wie in anderen Ländern, in denen auch
Mißbräuche und in einzelnen Fällen Mißstände vorkommen, dann wäre diese Unsicherheit bzw. die Notwendigkeit, erst wieder zu einer sicheren inneren Haltung zurückzufinden, nicht so akut und nicht so bitter notwendig, wie es bei uns der Fall ist. Anders, Herr Kollege Eschmann, war es nicht zu verstehen. Anders bitte ich es auch nicht auszulegen. Ich würde mich schämen, wenn ich irgendwie denen, die befehlstreu gewesen sind, einen billigen Vorwurf machte, ganz gleich unter welcher Fahne sie dienten oder haben dienen müssen, wie eben alle.
Ich darf einen dritten Punkt anschneiden, die Frage der Befehlsverweigerung. Hier ist durch die von uns gegebenen Antworten ein falsches Bild entstanden. Ich sage Antworten; wenn man nämlich die Frage vorher nicht hört und nicht wiedergibt, die an uns gerichtet worden ist — zum Teil gezielt, zum Teil in der öffentlichen Meinung —, dann wirkt die Antwort natürlich deplaziert. Es wäre töricht und unanständig gewesen, als Kommentar zu dem tragischen Unglücksfall an der Iller zu sagen, die Soldaten hätten den Befehl verweigern können. Das wäre nicht nur unanständig, sondern dem weiteren Aufbau der Bundeswehr auch schädlich gewesen; denn ohne bestimmte Klarheiten auf diesem Gebiet - —
— Ich bitte, die Erläuterung geben zu dürfen. — Wenn man nicht die Fragestellung, sondern nur die Antwort kennt, dann muß ohne Zweifel der Eindruck der Deplaziertheit — das ist ein milder Ausdruck —, des Unanständigen und letzten Endes auch Sachschädlichen entstehen.
Als ich in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni an der Iller war, wurde ich zum ersten Mal von einer Schar Journalisten, zum Teil Bildberichterstattern, zum Teil Nachrichtenredakteuren, gefragt: „Hätten diese Soldaten den Befehl verweigern können? Wie denken Sie angesichts dieses Unglücksfalls und seiner Umstände über die Befehlsverweigerung?" Diese Frage wurde einen Tag später, am 4. Juni, abends in einem Fernsehinterview, um das ich gebeten worden bin, wiederholt. Ich bitte also, zu verstehen, Herr Kollege Eschmann, daß die Antwort, die wir gegeben haben, nicht eine Feststellung zum Iller-Unglück an sich war; diese wäre ohne Fragestellung nie getroffen worden. Aber nachdem die Frage gestellt war, hätte es falsch gewirkt und wäre es als eine billige Entschuldigung aufgefaßt worden, wenn wir auf eine gestellte Frage keine Antwort gegeben hätten. Die Antwort, die ich, ich darf sagen, ex improviso gegeben habe, entsprach — das war in dem Fall wohl mehr Fingerspitzengefühl — auch der rechtlichen Nachprüfung, die dann im Bundesverteidigungsministerium stattgefunden hat.
Wenn Sie die Publizistik der ersten Tage nach dem Unglück überprüfen, dann werden Sie feststellen, daß sich die Frage der Befehlsverweigerung wie ein roter Faden da hindurchzieht und diese Frage immer wieder an das Bundesverteidigungsministerium gerichtet worden ist. Die Antwort, die wir darauf gegeben haben, finden Sie im Bulletin vom 13. Juni, wo es heißt:
Unverbindlich sind nach einer ausdrücklichen Bestimmung des Soldatengesetzes drei Gruppen von Befehlen: Befehle, die die Menschenwürde verletzen, Befehle, die nicht zu dienst-
lichen Zwecken erteilt worden sind, sowie Befehle, durch deren Ausführung der Untergebene ein Vergehen oder gar ein Verbrechen begehen würde.
Diese Aufzählung
— so heißt es weiter —
erfaßt aber keineswegs alle Arten unverbindlicher Befehle. Das Soldatengesetz greift vielmehr nur die wesentlichsten Beispiele heraus. Eine ganze Reihe weiterer Gruppen von Befehlen ist schon vom früheren Reichskriegsgericht
— also in einer Zeit, in der die Fragen der Disziplin wesentlich strenger und mit strengeren Konsequenzen gehandhabt wurden als heute —
in einer grundsätzlichen Entscheidung für unverbindlich erklärt worden. Es heißt dort: „Die Pflicht zum Gehorsam entfällt für den Untergebenen dann, wenn ein Befehl eines Vorgesetzten ohne einen sich aus dem Dienstverhältnis ergebenden Grund so tief in das Rechtsgebiet des Untergebenen, in seine Ehre, sein Ansehen, seine militärische Stellung, seine Gesundheit, sein Leben, sein wirtschaftliches Dasein usw. eingreift, daß dem Untergebenen bei Abwägung aller Gesichtspunkte nicht zugemutet werden kann, den Befehl zu befolgen.
— Ich habe das Urteil nicht gemacht, Herr Kollege. Aber, ich glaube, es hat sich auch Herr Kollege Erler darauf berufen, und zwar zu Recht, um einen Beitrag zur Klärung der Problematik zu bringen. Ich hätte diese Äußerungen zur Frage der Befehlsverweigerung überhaupt nicht gemacht. Aber wenn ich gefragt werde: „Hätten die Soldaten diesen Befehl verweigern können?", dann muß ich sagen: für diesen Fall trifft, rein rechtlich gesehen, diese Gruppe von Befehlen zu; es war eine in kameradschaftlichem Ton gegebene Aufforderung — ich wollte, es wäre ein klarer Befehl mit klarer Verantwortung gewesen, dann lägen die Dinge viel einfacher —, die ohne Zweifel zu der Gruppe von Befehlen gehört, die man hätte verweigern können.
Aber — jetzt kommt das Aber — wir haben deshalb in dem Zusammenhang zu Befehlsverweigerungen nicht Stellung nehmen wollen, weil kein einziger dieser Soldaten die geringste Ahnung oder auch nur eine Vorstellung oder ein Gefühl von der Gefährlichkeit dieses Unternehmens gehabt hat, einschließlich des Zugführers, der als erster mit der schwersten Waffe des Zuges vorausgegangen ist. Es ist müßig, über Befehlsverweigerung zu sprechen, wenn jemand überhaupt nicht auf die Vorstellung kommt, einen Befehl verweigern zu wollen oder verweigern zu müssen, weil ihm das Ganze wie ein harmloses Durchwaten eines Teiches vorkommt und weil man eben über die lokalen Verhältnisse, ihre Besonderheiten und Gefahrensmöglichkeiten nicht die Vorstellung hatte.
— Das bestreitet ja niemand. Aber die Soldaten des Zuges einschließlich sämtlicher Geretteten, die alle befragt worden sind, haben ausgesagt, daß sie
-- obwohl sie die Warnung zum Teil gehört, zum Teil offensichtlich nicht gehört haben; zum Teil waren es auch Leute aus dem südlichen Raum, die von der Gefährlichkeit gerade der Flüsse im allgemeinen eine gewisse Vorstellung haben — nicht auf den Gedanken einer Gefahr gekommen seien. Wenn die Leute hineingetrieben worden wären, läge ein klarer „Himmelstoß"-Fall vor. Es ist tragisch, daß sie mit Scherzworten und mit spöttischen Zurufen in das Wasser gegangen sind, weil sie das Ganze zum Abschluß der Übung noch für eine interessante Einlage gehalten haben. Hier liegt die Tragik des furchtbaren Problems.
Noch in einem zweiten Zusammenhang ist eine Auskunft über Befehlsverweigerung gegeben worden. Den Soldaten war selbst das an die Unterführer gegebene Verbot, das Überschreiten der Iller nicht durchzuführen und nicht zu befehlen, nach den bis jetzt vorliegenden Informationen nicht bekannt; jedenfalls war es ihnen nicht offiziell bekanntgegeben worden. Es war eine Anweisung an die Zugführer und eine Anweisung an die Gruppenführer. Hier erhebt sich auch bei der Befehlsverweigerung die Frage: wenn die Soldaten gewußt hätten, daß ein Bataillonsverbot oder ein Kompanieverbot vorliegt, hätten sie auch nach unserer Auffassung, wenn ein Zugführer oder Gruppenführer etwas befiehlt, was gegen das Kompanieverbot oder das Bataillonsverbot verstößt — ohne Einholung der Ausnahmegenehmigung —, ebenfalls den Befehl verweigern können.
Aber diese beiden Feststellungen haben wir nur auf Fragen getroffen. Die erste Frage war: Wenn die Soldaten gewußt hätten, wie gefährlich es ist, hätten sie den Befehl verweigern können? Die zweite Frage war: Wenn sie das Bataillonsverbot gekannt hätten, hätten sie den Befehl verweigern können? Auf diese Fragen ist eine gezielte Antwort gegeben worden. Allerdings, durch die Wiedergabe der Antwort ohne Wiedergabe der Frageumstände muß zwangsläufig ein solcher Eindruck entstehen, den ich hiermit, mit diesen Ausführungen, ausdrücklich beheben will.
Ich darf an zwei Fälle erinnern. Ich habe heute davon gesprochen, daß bei dem Unterführerlehrgang die Iller mehrfach in sachkundiger Weise unter Führung eines Offiziers überquert worden ist. Diese Überquerung war der Anlaß für den Bataillonskommandeur und den Divisionskommandeur, das Verbot zu erlassen. Bei dieser Überquerung — —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage?
Bitte schön!
Darf ich eine Frage stellen, Herr Minister Strauß! Ist Ihnen bekanntgeworden, wie häufig das nach diesem Unterführerlehrgang erlassene Verbot, die Iller zu überschreiten, in jenem Bataillon übertreten worden ist? Ist Ihnen bekannt, in wie vielen Fällen die Soldaten trotz Verbot die Iller haben überschreiten müssen, zum Teil bei Nacht? Welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Befolgung dieser Befehle in diesem Bataillon im allgemeinen und im besonderen?
Wenn Sie mir gestatten, Herr Kollege Schmidt, meine weiteren Ausführungen fortzusetzen, dann ist auch die Antwort auf 'diese Frage im einzelnen darin enthalten.
Bei diesem Unterführerlehrgang hat unter sachkundiger Führung eines Leutnants, der vom Bundesgrenzschutz kam — Alter, ich glaube, etwa 23 oder 24 Jahre —, die Überquerung der Iller ohne irgendwelche Schäden stattgefunden. Aber diese Überquerung des Leutnants mit den Unterführern war der Anlaß für das heute mehrfach erwähnte und eben jetzt wieder zitierte Verbot. Ein Lehrgangsteilnehmer ,des Unterführerlehrgangs hat sich geweigert, den Befehl des Leutnants Dietrich auszuführen, und ist auf dem Ufer zurückgeblieben. Dieser Lehrgangsteilnehmer ist nicht nur nicht wegen Befehlsverweigerung zur Rechenschaft gezogen worden, dieser Lehrgangsteilnehmer hat au ch — im Gegensatz zu anderen, die das Lehrgangsziel nicht erreicht haben und durchgefallen sind — die Unteroffiziersprüfung bestanden und ist zum Unteroffizier ernannt worden. Als derselbe Leutnant Dietrich eln zweites Mal im Zusammenhang mit dem Unterführerlehrgang die Iller durchquerte, haben einige alte Feldwebel — da taucht wieder der Komplex auf: der Leutnant hat den Übergang befohlen —, die in der Zwischenzeit hinzugekommen waren, gesagt: Wir machen nicht mit! Gegen diese Feldwebel ist in keiner Weise irgendwie vorgegangen worden. Es ist auch nicht irgendein Wort der Kritik oder des Tadels oder der militärischen Maßregelung laut geworden.
— Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich natürlich nicht jede einzelne Beurteilung gelesen habe. Aber ich wollte heute bewußt, um die Dinge nicht zu sehr zu vereinfachen, nicht sagen: Hätten die Feldwebel den Zug geführt, wäre nichts passiert; hätte der Leutnant Dietrich den Zuggeführt, wäre es passiert. Der Leutnant gibt also keine Garantie dafür, daß es nicht passieren kann. Ich bin auch der Meinung, daß ein Offizier keine Garantie darstellt, daß allerdings Ausbildung und Umsicht eines Offiziers größer sein sollten, als bei einem älteren Gruppenführer oder einem jungen Zugführer.
Nun zu Ihrer Frage, Herr Kollege Schmidt. Der Bericht, der dem Verteidigungsausschuß dann vorvorgelegt werden wird, ist ja wesentlich umfangreicher als ,das, was ich heute zum Ablauf des Unglücks und seiner Vorgeschichte in Anbetracht der kurzen Zeit bringen konnte, weil er eine Fülle von Details enthält, die einem Gesamtbericht vor dem Parlament nicht unterzubringen sind. Sie werden ihn aber in allernächster Zeit erhalten. Er zählt alles auf, was dem Untersuchungsausschuß bekanntgeworden ist. Der Untersuchungsausschuß hat vom 4. Juni morgens bis zum 18. Juni und dann noch über den 18. Juni hinaus pausenlos Zeugen vernommen und Ortsbesichtigungen vorgenommen. Ich muß mich an den Bericht dieser Untersuchungskommission, die, wie Sie wissen, aus Ministerialdirigent Barth, Brigadegeneral Schwatlo-Gesterding und einem Oberstleutnant bestand, halten, der die Fälle im einzelnen aufzählt. Ich habe aber bewußt — dafür bitte ich um Verständnis — die Konsequenzen punktueller Art, die daraus zu ziehen sind, heute nicht erwähnt, weil ein Gerichtsurteil noch nicht vorliegt. Ich habe mich peinlich bemüht, auch im Interesse derer, die heute entweder unter Anklageerhebung stehen oder die vom Staatsanwalt in den Kreis der möglicherweise Anzuklagenden einbezogen werden, wie ich es der Pressemeldung entnommen habe, keine voreilige Feststellung von seiten des Ministeriums zu treffen, die die Lage der Betroffenen entweder ungerecht verbessern oder unbillig verschlechtern würde. Darum habe ich diesen Komplex heute nicht erwähnt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage?
Bitte.
Ich stimme völlig mit Ihren zuletzt geäußerten Motiven überein, Herr Minister Strauß. Trotzdem möchte ich — denn es handelt sich hier um eine reine Tatsachenfrage — die Frage wiederholen: Wieviel Soldaten dieses Bataillons haben insgesamt seit Erlaß des Verbots, die Iller zu überqueren, bis zum Tage des Unglücks in dienstlichem Auftrag oder in dienstlich gegebenem Befehl die Iller überqueren müssen, und zwar bei Tag und bei Nacht?
Herr Kollege Schmidt, ich habe den Bericht der Untersuchungskommission, der sich mit der Frage sämtlicher Iller-Durchquerungen seit der ersten uns bekanntgewordenen Durchquerung unter Befehl von Leutnant Dietrich 'befaßt. Die Untersuchungskommission hat sich bemüht, diese Fälle lückenlos aufzuzählen. Wenn Ihnen weitere Fälle bekannt sind als die in dem Ihnen zugehenden Untersuchungsbericht aufgeführten, sind wir Ihnen für Mitteilung dankbar, weil wir dann auch hinsichtlich der Untersuchungsmethode und der Vervollständigung der Untersuchungsergebnisse noch einiges hinzufügen können.
— Ich sagte schon, daß Leutnant Dietrich die Iller zweimal überquert hat. Das zweite Mal haben sich einige ältere Feldwebel geweigert, diesem Befehl Folge zu leisten. Es ist dann noch — ich kann das nicht auswendig sagen, aber wir haben es schwarz auf weiß — zwei- oder dreimal im Rahmen von Übungen und sogar unter bewußter Verletzung des bekannten Verbots die Iller bei Tag — bei Nacht ist mir im Augenblick kein Fall bekannt — überschritten worden.
Ich habe die individuelle Seite jetzt bewußt aus gewissen Gründen weggelassen. Sie wird hochkommen, Herr Kollege Schmidt, und es werden personelle Veränderungen die unausweichliche Folge davon sein, aber es ist nicht meine Pflicht als Vorgesetzter, heute die Lage der Betroffenen im günstigen oder im ungünstigen Sinne durch Feststellungen, die dann doch nicht die letzte Befragungsmöglichkeit aufweisen, zu beeinflussen.
Ich darf jetzt etwas sagen, was einen bei aller Tragik noch zum Kopfschütteln bringt. Wir haben jetzt Meldungen bekommen, daß einige Soldaten
derselben Einheit unter Berufung auf ihre ihnen nach den neuen Grundsätzen der inneren Führung außerhalb des Dienstes zustehende freie Betätigungsmöglichkeit nunmehr die Iller freiwillig überschwimmen, um zu beweisen, daß sie dieser Strapaze gewachsen sind. Darum habe ich heute diese Ausführungen gemacht. Das ist nun einmal heute im Zeitalter der Technik und des Sports die Einstellung einer sehr wagemutigen Jugend. Ich möchte mich hier jeder positiven oder negativen Charakterisierung enthalten.
Dazu kommt ohne Zweifel die gerade bei einer Luftlandeeinheit vorhandene Vorstellung, die heute schon von einem Vorredner angeschnitten wurde: „Wir sind eine Eliteeinheit, wir haben Bravourstückchen zu leisten, wir haben eine ganz besondere Tradition." Wir wollen versuchen, dem entgegenzuwirken, denn in der Bundeswehr soll es nicht Eliteeinheiten in dem Sinne geben, daß man zwischen Einheiten erster und zweiter Klasse unterscheidet und daß in der einen Einheit vielleicht das menschliche Leben weniger hoch geschätzt wird als in der anderen und daß in der einen leichtsinniger mit ihm umgegangen wird als in der anderen Einheit.
Aber zum Generellen, Kollege Schmidt, was Ihre Frage anlangt, muß ich folgendes sagen: hier liegen ja gerade unsere innerdienstlichen Konsequenzen vor. Es werden innerdienstliche Vorwürfe erhoben, daß Befehle, die gegeben werden, vielleicht nicht genau, nicht oft genug gegeben werden. Es wird verlangt, daß Befehle auch aktenkundig gemacht werden, daß eine Sammelmappe darüber angelegt wird. Es wird angeführt, daß auf seiten der Vorgesetzten heute oft genug eine Unsicherheit herrscht, welche Mittel er hat, um die Durchbrechung und Mißachtung seiner Befehle und Verbote zu bestrafen bzw. um die Einhaltung der Befehle zu erzwingen, und daß auf seiten der Untergebenen — ich sage das ohne billige Anschuldigung — eine falsche Vorstellung hinsichtlich des Respekts vor einem Befehl besteht. Man glaubt nämlich heute, daß die Dinge sich etwas gelockert hätten, daß der Vorgesetzte nicht mehr so scharf befehlen könne, daß er Befehle zwar geben muß, weil die oben es verlangen, daß aber die Dinge heute fließender geworden sind. Wir wollen nicht haben, daß die guten Grundsätze der inneren Führung neuer Vorstellung jetzt dadurch Schaden leiden, daß man sie dafür verantwortlich macht, daß sie für Verfälschungen mißbraucht werden. Es muß der Zustand wiederhergestellt werden, daß ein Vorgesetzter erstens Bescheid weiß, zweitens die Befehlssprache beherrscht, drittens den Mut hat zu befehlen, die Verantwortung hat, den richtigen Befehl zu finden, und viertens aber auch dann die Courage hat, bei Mißachtung des Befehls ohne Angst vor einem Angriff von irgendwelcher Seite auch strafend seine Hand auszustrecken. Wenn das nicht wiederhergestellt werden kann, dann haben wir bei der Bundeswehr Verhältnisse, die zwar nicht spezifisch für die Bundeswehr sind, die aber die Bundeswehr zum Spiegelbild einer heute bestehenden weitgehenden Autoritätslosigkeit in den gelockerten Nachkriegsverhältnissen machen, die sich erst allmählich wieder fangen.
Das ganze Phänomen im traurigen Sinne des Wortes „Illerunglück" wäre sehr viel leichter zu fassen — nicht daß ich es wünschte; ich bitte, mich nicht falsch zu verstehen —, wenn hier ein Himmelstoß-Fall vorläge. Aber ein Himmelstoß wäre, wenn er einen solchen Befehl gegeben hätte, nicht
vorausgesprungen und hätte es nicht mit der schwersten Waffe vorzumachen versucht. Ein Himmelstoß schindet die Leute, schleift sie, mutet ihnen menschenunwürdige Dinge zu. Er stellt sich mit gespreizten Beinen, die Hände in die Hüften gestützt, hin. Aber er weiß aus seiner alten Erfahrung heraus sehr genau, wo die Grenze liegt.
Das Tragische ist, daß sich hier so viele allgemeine und individuelle Gesichtspunkte vermischen. Wir werden uns über die Konsequenzen im einzelnen und auch im großen noch sehr wohl unterhalten müssen.
Ich habe heute bewußt einzelne Zahlen ausgelassen. Ich habe trotzdem von Herrn Kollegen Mende als Vorwurf — er hat es aber nicht so 'gemeint — die Vergleichszahlen bei Unfällen genannt bekommen. Es ist erschreckend, wie leichtsinnig heute mit dem eigenen und wie leichtsinnig mit dem Leben anderer umgegangen wird. Das zeigt sich nicht nur allein an Einzelfällen wie dem Explosionsunglück von Grafenwöhr, wo der Unteroffizier nicht einmal Vorgesetzter war. Er war einfach Kamerad, er war Richtschütze in einer Panzerbesatzung. Wir erleben das heute auch im Verkehr. Ich darf nur an die 12 500 Verkehrstoten erinnern, an die insgesamt — wenn meine Statistik stimmt — etwa 30 000 Unfalltoten, an die Tatsache, daß zu Pfingsten 100 Leute beim Baden im Bundesgebiet ertrunken sind. Ich darf daran erinnern, daß insbesondere bei den 18-, 20- bis 25jährigen, die die Hauptbenutzer von Motorrädern, Mopeds und oft sehr schnellen anderen Fahrzeugen sind, ein unerhört hoher Blutzoll gebracht wird, den der einzelne im Rausch der Geschwindigkeit vielleicht gar nicht vorher fürchtet und nachher nicht mehr fürchten kann, weil es meistens für ihn zu spät ist. Das ist ein Symptom des technischen und sportlichen Zeitalters, mit dem wir uns alle heute auseinanderzusetzen haben und dessen vermeidbare Extreme wir in allen Bereichen des Lebens, von der Bundeswehr bis zur Wirtschaft hinüber, soweit es überhaupt möglich ist, abzustellen haben. An sich dürfte heute niemand ruhig schlafen, wenn man weiß, daß täglich 35 Beerdigungen von Leuten stattfinden, die im Verkehr ums Leben kommen. Dabei sind nach der Statistik nur höchstens 10 % auf das Versagen der Technik zurückzuführen, 90 % sind auf das Versagen des Menschen zurückzuführen. Wieweit das in den Betrieben der Fall ist, vermag ich nicht zu ermessen.
Die Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben, die Ehrfurcht vor dem eigenen Leben und die Ehrfurcht vor dem Leben des anderen, den man in Gefahr bringt, angefangen vom Fußgänger bis zum Omnibuslenker, ist weitgehend abhanden gekommen. Die Mißstände, die wir heute allgemein haben, sind in verschärftem Maße nach dem Kriege aufgetreten. Natürlich kann man sagen: mehr Straßen!, bei der Bundesbahn: alle Übergänge beschranken! usw. Es gibt eine Reihe von technischen Maßnahmen, die die Unfallzahlen erheblich herabsetzen könnten. Aber der Faktor des menschlichen Versagens, der heute in allen Bereichen unseres Lebens festzustellen ist, muß wieder auf ein tragbares Maß herabgesetzt werden, weil wir zu viele Tote — jeder Mensch ist ja gleich viel wert — in den jungen Jahrgängen, in den arbeitsfähigen Jahrgängen haben, die nach den Maßstäben, die wir heute angelegt haben, vermeidbarerweise ums Leben gekommen sind.
Ich darf einen vierten Gesichtspunkt erwähnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. Wir hatten im Ältestenrat eine Pause von 13 bis 14.30 Uhr vereinbart. Als Sie anfingen zu sprechen, hatte ich angenommen — es war 20 Minuten vor 1 Uhr —, daß wir um 1 Uhr fertig sein würden. Falls Sie nach allzu lange Ausführungen machen, müßte ich das Haus fragen, wie wir verfahren wollen. Wollen wir den Punkt zu Ende bringen?
— Bitte sehr!
Ich habe von dieser Abmachung nicht gewußt und bitte um Nachsicht.
Ich darf kurz die Punkte noch anführen. Ein weiterer Punkt, den ich behandeln wollte, war die Einstellung truppenerfahrener Offiziere. Uns fehlen erfahrene Offiziere vor allen Dingen in den Rängen Leutnant, Oberleutnant und Hauptmann. Aber hier, meine Kollegen, muß ich um Ihr Verständnis bitten. Wenn wir heute 40-, 42-, 45jährige Leutnante, Oberleutnante und Hauptleute anstellen, dann können wir sie nur als Berufssoldaten einstellen. Wir werden sie nicht als Soldaten auf Zeit gewinnen; denn welcher tüchtige Mann ist mit 40 Jahren bereit, für drei oder vier Jahre zur Bundeswehr zu gehen und dann mit 45 Jahren wieder in das Berufsleben zu treten? Stellen wir sie aber andererseits als Berufssoldaten ein, dann sitzen sie bis zum 60. Lebensjahr auf ihren Planstellen, und wir haben nicht den normalen Altersaufbau der Bundeswehr, wie wir ihn brauchen. Darum haben wir zur Zeit 2700 Offiziersanwärter für die Ernennung zum Leutnant im Nachwuchs, deren durchschnittliche Ausbildung 26 Monate benötigt. Hier ist eine Lücke. Wir haben 560 Leutnante, 1000 Oberleutnante und über 2000 Hauptleute, also einen völlig ungesunden Aufbau, den man aber nicht allein durch die Einstellung der Alten verbessern kann; denn sonst wird das Problem, das wir jetzt haben, in dreifacher Schwere uns in einigen Jahren treffen.
Ich möchte zu der Frage der 10 000 Wehrpflichtigen nicht mehr Stellung nehmen. Es sind genau 7800 plus 2000 wehrpflichtige Freiwillige, die diesem Quartal angehören. Ich wollte hier nicht über die zweifellos sehr interessante Frage Heimatverteidigung — Bundesverteidigungspflicht sprechen. Ich wollte nur dem Kollegen Mende sagen, daß unsere Gedankengänge sich in derselben Richtung bewegen, daß wir es aber bewußt vermieden haben, noch diesem Bundestag die notwendigen gesetzlichen Maßnahmen vorzuschlagen. Sie sind schwierig, sie bedürfen langwieriger Überlegungen, und sie können in diesem Bundestag, nachdem unsere Pläne im Mai fertiggestellt worden sind, was die gesetzlichen Erfordernisse betrifft, nicht mehr verabschiedet werden.
Ich darf allerdings — und ich bitte den Kollegen Schneider um Verständnis — sagen, daß manche Worte der Kritik, die er oder die der Wehrpolitische Ausschuß seiner Partei — wenn ich ihn richtig verstanden habe — gefunden hat oder die ich vor einigen Tagen in der Presse gelesen habe, an die falsche Adresse gerichtet worden sind. Das Organisationsgesetz liegt dem Bundestag seit langer Zeit vor. Die Vorschläge, die wir zur Änderung des Organisationsgesetzes, um eine klare militärische Spitzengliederung zu bekommen, gemacht haben, liegen ebenfalls bereits seit geraumer Zeit dem Ausschuß vor. Aber die Arbeitslage im Ausschuß ist so — ich sage es ohne jeden Vorwurf —, daß dieses Gesetz nicht mehr rechtzeitig verabschiedet werden konnte. Ein Ministerium kann ja bekanntlich kein Gesetz verabschieden.
— Es stand schwarz auf weiß in einer Verlautbarung. Herr Kollege Schneider, es ist gut, daß die Dinge angesprochen und ohne Bitternis und ohne Schärfe behandelt werden.
In einer Vorstellung werden wir nicht ohne weiteres einig werden können — was auch innerhalb einer Koalition vorkommen mag —: in der Vorstellung eines obersten, mit Kommando- und Befehlsgewalt ausgestatteten, unmittelbar vorgesetzten Soldaten. Wenn ich die politische Meinung dieses Hauses richtig verstanden .und im Ausschuß richtig gehört habe, dann war die übereinstimmende Meinung , keinen Oberbefehlshaber der deutschen Bundeswehr mit absoluter Kommando-und Befehlsgewalt zu schaffen, sondern ich mußte mich hier dem Willen des Parlaments, dem Beschluß der Regierung und natürlich meiner eigenen Einsicht fügen, daß die Spitzengliederung der Bundeswehr in das Ministerium einzubauen ist und daß die Kommando- und Befehlsgewalt der Inspekteure und des Generalinspekteurs vom Minister abgeleitet ist. Ich machte auch sehr bestreiten, daß Sie für eine andere Vorstellung in diesem Hause oder jemals in einem Bundestag eine Zweidrittelmehrheit zur Änderung der Verfassung finden werden. Daß manche alten Soldaten das wünschen, ist richtig. Ob aber diese Vorstellung einer Spitzengliederung der Bundeswehr zur Abhilfe all der heute vorhandenen Klagen über die Wohnung, Trennungsgeldzulage, Bekleidung, Ausrüstung unid Unterkunft führen würde, möchte ich bestreiten, ohne daß ich aus Zeitgründen in die Details gehen kann.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort zum Gesundheitswesen in der Bundeswehr sagen. Vom 14. Oktober 1956 bis zum 1. Juli 1957 hat sich die Zahl der Sanitätsoffiziere etwa verdoppelt, nämlich von 190 auf 380. Es ist jetzt eine Sanitätsinspektion geschaffen worden, die allerdings noch keinen Sanitätsinspekteur hat. Ich darf Sie daran erinnern, Herr Kollege Reichstein, daß erst vor wenigen Wochen der Haushalt in Kraft getreten ist, der die Planstelle für einen Sanitätsinspekteur vorsieht. Es ist nicht richtig, daß der Sanitätsinspekteur nicht von uns gewünscht, sondern uns erst aufgezwungen worden ist. Nur sind die Pläne, die den Sanitätsinspekteur vorsehen sollten, im langwierigen Gang eines Haushalts aufgestellt warden. Ich habe mich aber mit Ihnen und Ihren Kollegen geeinigt und meine Herren angewiesen, im Ausschuß von uns aus die Stelle eines Sanitätsinspekteurs zu verlangen, ursprünglich mit drei Sternen, dann mit zwei Sternen. Jetzt haben wir sie.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Die Sitzung ist wiederaufgenommen. Wir fahren in der Tagesordnung aufgenommen. Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Erste Beratung der Ergänzung zu dem Entwurf des Gesetzes zu den Verträgen vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft .
Es ist vorgesehen, den Punkt ohne Begründung und ohne Aussprache zu erledigen. Ich darf annehmen, daß das Haus ,damit einverstanden ist.
Es ist Überweisung an den 3. Sonderausschuß vorgeschlagen. Ich bitte diejenigen Kollegien, welche dem Antrag zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dann ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über die Versorgung für die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und ihre Hinterbliebenen (Soldatenversorgungsgesetz — SVG) (Drucksache 3570).
Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Seidl . Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich bitten, den Bericht über das Unterhaltssicherungsgesetz — Punkt 4 der Tagesordnung — vorwegnehmen zu dürfen, weil in diesem Bericht auf den anderen Bericht Bezug genommen ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn das Haus damit einverstanden ist, dann rufe ich Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über die Sicherung des Unterhalts für Angehörige der zum Wehrdienst einberufenen Wehrpflichtigen (Unterhaltssicherungsgesetz) (Drucksache 3569).
Darüber wird zunächst abgestimmt.
Danke sehr! — Der Bundesrat hat den Vermittlungsausschuß in erster Linie wegen der im Unterhaltssicherungsgesetz enthaltenen Kostenregelung angerufen. Er hat beantragt, in § 17 eine Vorschrift einzufügen, nach der der Bund die bei der Durchführung des Gesetzes entstehenden Verwaltungskosten trägt, und in § 20 Abs. 1 die Vorschrift über die Beteiligung der Länder an bestimmten Sachaufwendungen in Höhe von 20 v. H. zu streichen.
Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, den Antrag zu § 17 hinsichtlich der Erstattung der Verwaltungskosten durch den Bund abzulehnen, dem Antrag auf Streichung der Vorschriften über die Belastung der Länder mit einer Interessenquote dagegen stattzugeben. Für die Empfehlung des Vermittlungsausschusses waren folgende Erwägungen ausschlaggebend.
In § 17 des Gesetzentwurfes in der vom Bundestag beschlossenen Fassung ist auf Grund von Art. 87 b des Grundgesetzes vorgesehen, daß das Gesetz im Auftrage des Bundes von den Ländern durchgeführt wird. In § 20 Abs. 1 des Entwurfs ist auf Grund des allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatzes des Art. 106 Abs. 4 Nr. 1 des Grundgesetzes dementsprechend vorgesehen, daß der Bund — abgesehen von der später zu erörternden Frage der Interessenquote — die im Gesetz vorgesehenen Leistungen zur Unterhaltssicherung trägt. Diese Vorschrift bezieht sich jedoch nicht auf die persönlichen und sächlichen Verwaltungskosten, die sich bei der Durchführung des Gesetzes durch die zuständigen Landesbehörden ergeben.
Nach dem Begehren des Bundesrates sollte der Bund auch die persönlichen und sächlichen Verwaltungskosten übernehmen, wobei auch erörtert wurde, ob etwa eine pauschale Abgeltung dieser Kosten möglich sei, da die tatsächliche Feststellung dieser Kosten praktisch fast unmöglich sei.
Der Vermittlungsausschuß hat sich eingehend mit dieser Frage, vor allem auch mit der verfassungsrechtlichen Frage, auseinandergesetzt. Eine völlige Übereinstimmung konnte nicht erzielt werden. Von einer Minderheit des Ausschusses war die Auffassung vertreten worden, daß Art. 106 Abs. 4 Nr. 1 des Grundgesetzes es nicht verbiete, daß eine Kostenbeteiligung des Bundes auch bei der Auftragsverwaltung gesetzlich verankert werde. Die seinerzeitige Regelung bei der Neufassung des Grundgesetzes im Zusammenhang mit dem 4. Überleitungsgesetz — Finanzanpassungsgesetz — habe sich nur auf die seinerzeit bekannten Aufgaben und nicht auf neue, zusätzliche Aufgaben bezogen.
Auf der anderen Seite wurde seitens der Bundesregierung und von der Mehrheit des Ausschusses die Auffassung vertreten, daß der verwaltungsmäßige Vollzug eines Bundesgesetzes auch im Falle der Auftragsverwaltung allein eine Aufgabe der Länder im Sinne des Lastenverteilungsgrundsatzes des Art. 106 Abs. 4 Nr. 1 des Grundgesetzes sei. Auch die in Art. 85 des Grundgesetzes vorgesehene Aufsicht des Bundes führe nicht zu einer Aufteilung der Vollzugskompetenz auf Bund und Länder, die eine Beteiligung des Bundes an den Verwaltungskosten rechtfertigen könnte.
Außerdem sei die seinerzeitige Regelung im 4. Überleitungsgesetz als endgültige Regelung zu betrachten, was sich auch aus den Ausführungen des seinerzeitigen Berichterstatters im Vermittlungsausschuß, Minister Dr. Troeger, ergebe. Ein etwa notwendiger Ausgleich durch Mehrbelastungen der Länder könne nur mehr auf dem in Art. 106 Abs. 5 des Grundgesetzes vorgesehenen Wege, also im Wege der Erhöhung des Anteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer, vorgenommen werden. Eine gesetzliche Regelung, nach der die sächlichen und persönlichen Verwaltungskosten vom Bund übernommen werden, würde daher gegen Art. 106 Abs. 4 Nr. 1 des Grundgesetzes verstoßen. Der Ausschuß hat daher in
Übereinstimmung mit der bei der Verabschiedung des Vierten Überleitungsgesetzes in der gleichen Frage eingenommenen Haltung das Anrufungsbegehren des Bundesrates zu § 17 abgelehnt. Für die Entscheidung war neben verfassungsrechtlichen Gründen auch die Überlegung maßgebend, daß eine eigenverantwortliche verwaltungsmäßige Durchführung der Bundesauftragsaufgabe durch die Länder auch in finanzieller Hinsicht dem föderalistischen System am besten gerecht wird.
In der Frage der Beteiligung der Länder mit einer Interessenquote an den Aufwendungen für bestimmte Leistungen des Gesetzes ist der Vermittlungsausschuß dagegen einstimmig dem Antrag des Bundesrates gefolgt.
In § 20 Abs. 1 der Bundesratsfassung war eine Interessenquote der Länder in Höhe von 20 % zu den Sonderleistungen nach § 8 Abs. 2 Nrn. 5 und 6 und zu den Aufwendungen für den Härteausgleich nach § 24 vorgesehen, weil den ausführenden Landesbehörden bei der Entscheidung über die Höhe der Aufwendungen ein Ermessensspielraum eingeräumt ist, der nach dem allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatz des Artikels 106 Abs. 4 Nr. 1 des Grundgesetzes eine Beteiligung der Länder an der Finanzverantwortung rechtfertigt.
Der Vermittlungsausschuß empfiehlt jedoch aus folgenden Gründen, von einer Interessenquote abzusehen.
Bei den Sonderleistungen ist durch die Beschlüsse des Bundestages der Ermessensspielraum der Länder gegenüber der Regierungsvorlage allein auf die finanziell nicht ins Gewicht fallenden Fälle des § 8 Abs. 2 Nrn. 5 und 6 beschränkt worden. Unter diesen Umständen kann nach Auffassung des Vermittlungsausschusses bei den Sonderleistungen allgemein auf eine Interessenquote verzichtet werden. Die Entscheidung hinsichtlich der Interessenquote bei den Aufwendungen für den Härteausgleich beruht dagegen auf der Erwägung, daß nach § 24 des Gesetzentwurfs alle Entscheidungen über die Gewährung eines Härteausgleichs im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen und dem Bundesminister für Verteidigung zu Bundesinstanzen bei allen von den Ländern zu treffen sind. Durch die Einschaltung der genannten treffenden Entscheidungen über die Gewährung eines Härteausgleichs entfallen nach Auffassung des Vermittlungsausschusses die Voraussetzungen für eine finanzielle Beteiligung der Länder an den Aufwendungen im Rahmen des Härteausgleichs, also die Einführung einer Interessenquote.
Mit dieser Empfehlung des Vermittlungsausschusses steht die Empfehlung zu § 24 des Gesetzentwurfs in unmittelbarem Zusammenhang, nach der der Antrag des Bundesrates, die Vorschrift über das Einvernehmen mit den genannten Bundesressorts bei Entscheidungen über den Härteausgleich zu streichen, abgelehnt worden ist. Ebenfalls ist abgelehnt worden, das „Einvernehmen" durch „Benehmen" zu ersetzen. Eine unzulässige Mischverwaltung konnte darin nicht erblickt werden.
Im übrigen empfiehlt der Vermittlungsausschuß, den Änderungsvorschlägen zu den §§ 21, 26 und 28 zuzustimmen und entsprechend dem Antrag des Bundesrates einen neuen § 29 a mit der negativen Saarklausel einzufügen. Die Paragraphierung hat sich durch Streichung des § 28 geändert. Zu § 21 hat sich der Vermittlungsausschuß der Begründung des Bundesrates angeschlossen, daß sich die ent-
sprechende Bestimmung des § 27 der Fürsorgepflichtverordnung in der Praxis bewährt habe. Insofern ist in den §§ 21 und 26 die Wiederherstellung der Regierungsvorlage erfolgt.
Zu § 28 hat sich der Vermittlungsausschuß ebenfalls der Begründung im Anrufungsbegehren des Bundesrates angeschlossen, daß nämlich die Ermächtigung eines einzelnen Bundesministers zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften nicht im Einklang mit dem Wortlaut dem Grundgesetzes stehe und eine allgemeine Ermächtigung im Hinblick auf Art. 85 Abs. 2 des Grundgesetzes überflüssig sei.
Ich darf zum Schluß darauf aufmerksam machen, daß der Ausschuß gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen hat, daß im Bundestag über die vorgeschlagenen Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Ich bitte das Haus, dem Unterhaltssicherungsgesetz in der vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagenen Fassung in Drucksache 3569 die Zustimmung zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Eine Debatte findet nicht statt. Die Abgabe von Erklärungen ist hier nicht angemeldet.
Ich darf annehmen, daß wir zur Abstimmung kommen können. Es ist gemeinsame Abstimmung über alle Änderungsvorschläge vorgesehen. Wer für diesen Vorschlag des Vermittlungsausschusses zustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe nunmehr auf den Punkt 3 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über die Versorgung für die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und ihre Hinterbliebenen (Soldatenversorgungsgesetz — SVG) (Drucksache 3570).
Ich bitte den Herrn Berichterstatter, den Bericht zu erstatten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch beim Soldatenversorgungsgesetz wie beim Unterhaltssicherungsgesetz hat in erster Linie die Frage der Verwaltungskosten Anlaß zur Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat gegeben. Die Rechtslage ist hier die gleiche wie beim Unterhaltssicherungsgesetz. Ich darf insoweit auf meinen soeben gegebenen Bericht verweisen. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt daher in Übereinstimmung mit seinem Beschluß zu § 17 des Unterhaltssicherungsgesetzes, die Einfügung einer Vorschrift in § 88 Abs. 1 des Entwurfs, nach der der Bund die persönlichen und sächlichen Verwaltungskosten trägt, abzulehnen. Im übrigen empfiehlt der Vermittlungsausschuß, den vom Bundesrat beantragten Änderungen der §§ 10, 19 und 27 zu entsprechen.
In § 10 werden lediglich wegen der Sonderstellung dieser Berufsgruppen die Bezirksnotare in Baden-Württemberg eingefügt.
Zu § 19 ist der Ausschuß der Begründung des Bundesrates gefolgt und hat unter Wiederherstellung der Regierungsvorlage den sechsjährigen Beförderungsschnitt wieder hergestellt und ebenso auch die 30jährige Frist durch eine 36jährige ersetzt. Eine allgemeine Änderung der Vorschriften über den' Beförderungsschnitt würde dem Bedenken begegnen, daß die erforderliche Verwaltungsmehrarbeit — Neuberechnung der Versorgungsbezüge — in keinem Verhältnis zu dem sachlichen Nutzen stände. Dazu wurden auch noch sonstige Gründe vorgebracht, die sich insbesondere auf das Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes beziehen.
Zu § 27 ist der Ausschuß ebenfalls dem Anrufungsbegehren des Bundesrates in der Hauptsache gefolgt, was im wesentlichen eine Wiederherstellung der Regierungsvorlage in den §§ 24 und 25 bedeutet. Die Auffassung, daß die vom Bundestag beschlossene Fassung eine Fortentwicklung gegenüber dem Bundesbeamtenrecht darstelle und angenommen werden könne, daß in den kommenden Jahren dieser fortschrittliche Gedanke im Beamtenrecht auch seinen Niederschlag finden werde, wurde wenigstens für dieses Gesetz vom Ausschuß nicht geteilt. Es wird empfohlen, den § 27 dahin zu ändern, daß in Abs. 4 letzter Satz entsprechend der Regelung in den analogen Fällen der §§ 19, 55 und 63 die Worte „die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedürfen" eingefügt werden. Als Folge des Beschlusses zu § 27 ergeben sich einige redaktionelle Änderungen in § 14, § 43 Abs. 1, § 52, § 75 Abs. 2 und § 76 Abs. 2 Satz 1, die in dem Änderungsvorschlag des Vermittlungsausschusses berücksichtigt sind.
Der Vermittlungsausschuß ist schließlich auch den weiteren Änderungsvorschlägen des Bundesrates zu § 88, soweit sie sich nicht auf die eingangs erwähnte Verwaltungskostenregelung erstrecken, gefolgt. Wesentlich ist hierbei die Änderung, nach der auch die soziale Fürsorge nach den §§ 25 bis 27 des Bundesversorgungsgesetzes im Rahmen des vorliegenden Gesetzes im Auftrage des Bundes durchgeführt werden soll, womit für diese Leistungen die allgemeine Lastenverteilung nach diesem Gesetz gilt. Auch die Neufassung von Abs. 2 Satz 2 des § 88 bringt eine Klarstellung, daß es sich nur um ein Weisungsrecht des zuständigen Bundesministers im Rahmen des Art. 85 des Grundgesetzes handelt, nicht jedoch um ein selbständiges Entscheidungsrecht.
Auch für das Soldatenversorgungsgesetz hat der Ausschuß gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Bundestag über die vorgeschlagenen Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Ich bitte, dem Soldatenversorgungsgesetz in der vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagenen Fassung der Drucksache 3570 Ihre Zustimmung zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete von Manteuffel.
von Manteuffel (DP [FVP]): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Deutsche Partei bedauert, daß in der Begründung des Bundesrats für die Anrufung der Vermittlungsausschusses zum Gesetz über die Versorgung für die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und ihre Hinterbliebenen unter Ziffer 2 zu § 19 u. a. gesagt ist:
Eine allgemeine Änderung der Vorschriften über den Beförderungsschnitt unter Einbeziehung der Bundesbeamten und der unter das Gesetz zu Art. 131 GG fallenden Personen würde dem Bedenken begegnen, daß die erforderliche Verwaltungsmehrarbeit in keinem angemessenen Verhältnis zu dem sachlichen Nutzen steht.
Die Deutsche Partei bedauert dies um so mehr, als die Berechnungsgrundlagen für die Bezüge der Versorgungsempfänger vorhanden sind, es sich also nur um eine überhaupt nicht ins Gewicht fallende Mehrarbeit handelt, die die Bearbeiter in den Versorgungsämtern als Kollegen und Kameraden der Betroffenen zweifellos in allen Fällen gern auf sich genommen haben würden.
Die nunmehrige Regelung in § 19 trägt nach Auffassung der Deutschen Partei dem Umstand nicht Rechnung, daß ein großer Teil der Berufssoldaten in verhältnismäßig frühem Lebensalter, nämlich als Major, auszuscheiden gezwungen ist und nach der derzeitigen Regelung oft nicht die Versorgungsbezüge des tatsächlich erreichten Dienstgrades erhält. Diese Regelung widerspricht dem Leistungsprinzip und den vom Soldaten in sehr frühem Lebensalter notwendigerweise zu f ordernden Höchstleistungen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat zu einer Erklärung Herr Abgeordneter Berendsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch namens der CDU/CSU habe ich die Erklärung abzugeben, daß sie bedauert, daß es dem Vermittlungsausschuß nicht gelungen ist, den Fünf-Jahres-Beförderungsschnitt zu erhalten, den wir einstimmig in der Fraktion beschlossen hatten. Wir wissen, daß wir im Augenblick das Gesetz nicht ändern können, da sonst die gesamte Soldatenversorgung zu Fall käme und in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden könnte. Die Fraktion bedauert dies und beabsichtigt, dieses Problem im nächsten Bundestag sofort wieder aufzugreifen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort zu weiteren Erklärungen wird nicht mehr gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich stelle den Antrag Drucksache 3570 zur Abstimmung. Es ist gemeinsame Abstimmung vorgesehen. Wer diesen vorgesehenen Änderungen insgesamt zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Fortsetzung der zweiten und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die
Tuberkulosehilfe (Drucksache 2213);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Fragen der öffentlichen Fürsorge (Drucksachen 3489, zu 3489).
Berichterstatterin ist Frau Abgeordnete Bennemann.
— Ich danke schön!
Zu § 6 a liegt ein Änderungsantrag Umdruck 1181 Ziffer 1 vor. Wird zur Begründung des Antrags das Wort gewünscht? — Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Berg.
Dr. Berg : Meine Damen und Herren! Der Antrag sieht vor, daß die Behandlungsbedürftigkeit auch durch Fachärzte, vor allen Dingen Tuberkulose-Fachärzte, aus der freien Praxis festgestellt werden kann. Es ist kaum einzusehen, warum ausschließlich beamtete Ärzte dazu in der Lage sein sollten. Die Gefahr von sogenannten Gefälligkeitsattesten — ganz abgesehen davon, daß diese auch auf der anderen Seite vorkommen — dürfte bei der Tuberkulose völlig ausgeschlossen sein. Dazu kommt, daß sich das Gesetz im Grunde mit der wirtschaftlichen und sozialen Seite der Tuberkulosehilfe befaßt. Es legt zwar in einem Paragraphen, dem § 4, den Umfang der Heilbehandlung fest, ohne aber weitere Modalitäten in bezug auf die ärztliche Tätigkeit vorzusehen. Die Einfügung, die erst im Ausschuß erfolgt ist — die Regierungsvorlage sah die Einfügung nicht vor; es handelt sich bei unserem Antrag um die Wiederherstellung der Regierungsvorlage —, ist also nicht gesetzessystematisch und würde gesetzessystematisch auch nicht richtig sein. Ich bin der Auffassung, daß die Regierung das bei ihrem Entwurf sehr wohl bedacht hat.
Ich bitte um Annahme meines Antrages.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön, Frau Kollegin!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der in dem Änderungsantrag angesprochene § 6 a Abs. 4 soll die Festlegung des Zeitpunktes, in dem die Behandlungsbedürftigkeit gegeben ist, deshalb sichern, weil durch einen Wechsel in der Zuständigkeit des Kostenträgers die Behandlung nicht unterbrochen wird. Die Formulierung, so wie sie hier vorgesehen ist, verhindert einen Wechsel in der Zuständigkeit des Aufgabenträgers. Es ist in der Diskussion des Ausschusses nicht bestritten worden und wird auch hier von mir nicht bestritten, daß die Behandlungsbedürftigkeit in aller Regel zunächst einmal durch den Facharzt oder einen anderen Arzt in Privatoder Kassenpraxis festgestellt wird. Es wird von mir auch nicht in Zweifel gezogen und ist ebenfalls im Ausschuß nicht in Zweifel gezogen worden, daß das Urteil dieser Ärzte fachlich genauso gut ist wie das Urteil eines amtlich bestellten Arztes. Es ist aber notwendig, daß bei einem sich mitunter erst nach langen Monaten herausstellenden Zweifel über die Zuständigkeit und bei einem sich dann ergebenden Streit zwischen den Kostenträgern der maßgebende Zeitpunkt festgelegt wird, zu dem die Behandlungsbedürftigkeit festgestellt war.
Bei der großen Zahl der in Betracht kommenden Ärzte wird sich nicht immer genau sagen lassen, an welchem Tage sich der Verdacht auf Tuberkulose zur Behandlungsbedürftigkeit vertieft hat.
Daher sollen nur die Feststellungen gelten, die amtlich bestellte Ärzte aktenkundig vorliegen haben. Jeder Tbc-Kranke kommt mit einem amtlich bestellten Arzt in Berührung, zumindest mit dem Gesundheitsamt. Amtlich bestellte Ärzte, die bei der Durchführung des Tbc-Hilfe-Gesetzes tätig werden, sind aber ebenso etwa Ärzte der Versorgungsbehörden, der Bundeswehr, der übrigen Dienstherren, der Träger der Sozialversicherung, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie Beamte oder Vertrauensärzte oder Vertragsärzte sind. Aus diesem Grunde konnte sich der Ausschuß nicht dazu entschließen, einen Katalog dieser Ärzte aufzuführen, und fand die Formulierung „amtlich bestellten Arzt".
Ich bitte, den Änderungsantrag abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen? — Bitte, Herr Kollege!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich dem, was Frau Kollegin Niggemeyer gesagt hat, weitgehend anschließen. Es handelt sich hier nicht darum, ob für die Feststellung freie Fachärzte oder Amtsärzte vorgesehen werden sollen, sondern es handelt sich hier darum, daß ein Amtsarzt die Zuständigkeit feststellen soll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 1181 Ziffer 1, den Herr Kollege Dr. Berg begründet hat, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den § 6 a in der Ausschußfassung auf. Wer diesem Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — § 6 a ist angenommen.
Ich rufe § 6 b auf und darf annehmen, daß das Haus auch mit der Behandlung des § 6 c — zu beiden liegen keine Änderungsanträge vor - einverstanden isst. Ich stelle die beiden aufgerufenen Paragraphen zur Aussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer den §§ 6 b und 6 c in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Die beiden Paragraphen sind angenommen.
Ich rufe § 7 auf. Hierzu liegt auf Umdruck 1187 Ziffer 1 ein Antrag der SPD vor. Wird der Antrag begründet? — Bitte, Herr Kollege!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, Ihnen schon von vornherein sagen zu müssen, daß ich bei diesem Änderungsantrag Umdruck 1187 Ihre Zielt etwas in Anspruch nehmen muß; denn der § 7 hat eine eigen artige Geschichte.
Wir, die Opposition, beantragen die Wiederherstellung der Regierungsvorlage. Das Tuberkulosehilfegesetz, so wie es Ihnen hier vorgelegt worden ist, wind in § 7, bei dem es sich darum handelt, wie weit die Betroffenen zu den Kosten herangezogen werden sollen, verschlechtert, d. h. — ganz korrekt gesagt — verbessert und in wenigen Tagen verschlechtert; ich möchte mich nicht darauf gegebenenfalls hinweisen lassen.
Was ist hier geschehen? Die Regierung hat in § 7 eine Regelung getroffen, die :deshalb so großzügig war, weil man mit Recht davon ausging, daß das Tuberkulosehilfegesetz dazu dienen solle, möglichst die Sorgen von den Menschen zu nehmen, die in ihrer Familie Kranke haben, deren Genesung im allgemeinen und im eigenen Interesse notwendig wird. Darum heißt es z. B. in der Begründung auch, daß man hier eine Hilfeleistung so gut wie möglich schaffen ;und generell von einer großzügigen Regelung ausgehen wolle.
Übrigens, Herr Präsident, darf ich um folgendes bitten. Mit unserem Antrag zu § 7 — Umdruck 1187 — hängen die Anträge Ziffer 3 und Ziffer 4 — zu § 25 und zu § 29 — sehr eng zusammen, es sind Folgeparagraphen des § 7. Wenn Sie einverstanden sind, begründe ich die Anträge Ziffer 3 und Ziffer 4 gleich mit; wir sparen dann viel Zeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich nehme an, daß das Haus gern damit einverstanden ist.
Wie ist es also dazu gekommen? In unserer Ausschußsitzung vom 21. März 1957 wurde aus dem Ausschuß seitens eines Kollegen der CDU erklärt, daß es doch nicht gut sei, in § 7 Abs. 1 von der Krankenversicherungspflichtgrenze auszugehen, daß man vielmehr hier einen fixen Betrag nehmen sollte. Die Dinge sollten in den Fraktionen besprochen wenden. Sie wurden lam 1. April 1957 erneut zurückgestellt. Dann passierte folgendes. Am 4. Mai 1957 legte uns das Innenministerium für den § 7 einen neuen Text vor, der von einer Festlegung der Einkommensgrenze auf 600 DM ausging. Ich habe in dem mir später vorliegenden Protokoll vergeblich nach der Bemerkung gesucht, die wir zu dieser zweiten Regierungsvorlage gemacht haben. Wir haben nämlich gefragt: Was ist denn nun eigentlich die Regierungsvorlage, ist es das, was uns hier im Entwurf vorgelegt worden ist, oder ist es diese völlige Umänderung, die von einem Betrag von 600 DM ausgeht? Wir haben im Ausschuß sehr nett zusammen gearbeitet und wir haben uns über Änderungen des Gesetzes sachlich und freundschaftlich ausgesprochen, aber ich muß schon sagen: diese Behandlung 'des § 7 ist alles andere als sachdienlich.
Dazu kommt noch 'etwas anderes. Die Regierung, die sich von ihrer eigenen Kabinettsvorlage zurückgezogen hat, hat damit gleichzeitig Änderungen des Gesetzentwurfs ausgelöst, die sich in § 25 und in § 29 niederschlugen. Der § 25 tut nichts anderes, als das Körperbehindertengesetz, das wir mit Wirkung ab 1. April 1957 vor kurzem angenommen haben, ebenfalls 'abzuändern und auch hier die steuerpflichtigen Einkünfte auf den Betrag von 600 DM festzulegen. Auch im Körperbehindertengesetz stand zuerst, daß die Krankenversicherungspflichtgrenze die Grenze sein soll. Die Krankenversicherungspflichtgrenze ist zur Zeit 500 DM. Es ist ein offenes Geheimnis, daß wir in wenigen Tagen in diesem Hohen Hause eine Krankenversicherungspflichtgrenze von 660 DM beschließen werden. Das bedeutet, daß sowohl im Körperbehindertengesetz als auch im jetzt vor-
liegenden Tuberkulosehilfegesetz eine Verschlechterung dahingehend eintritt, daß die Grenze um 60 DM nach unten ,abgesenkt wird. Es ist deshalb interessant, einmal nachzulesen, was unsere verehrte Frau Kollegin Niggemeyer in ihrem Schriftlichen Bericht zum Körperbehindertengesetz damals gesagt hat. Es heißt dort:
Um die materiellen Grundlagen des Heil- und Eingliederungsplans zu schaffen, bestand im Ausschuß keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß es notwendig sei, die Maßstäbe der Bedürftigkeit entgegen den bisher im Fürsorgerecht geltenden Bestimmungen — vor allem bei stationärer Behandlung des Behinderten - wesentlich zu ändern. Er glaubte, der .allgemeinen Reform des Fürsorgerechtes hier Wegbereiter zu sein.
Dazu kann man nur „bravo!" saugen.
Und was sagte die Bundesregierung in der Begründung ihres Entwurfs eines Körperbehindertengesetzes? Sie sagte folgendes:
In § 10 Buchstabe a .hat der Entwurf bei der schonenden Heranziehung von. Einkommen einen Maßstab gewählt, der im Bereich der Hilfe für Behinderte und Kranke bereits eine wichtige Rolle spielt. Dem Körperbehinderten soll nunmehr bei den häufig so ungleich längeren und kostspieligeren Heilverfahren mindestens die gleiche Hilfe zuteil werden, wie sie der Kranke im Rahmen der Krankenversicherung erhält; insoweit sollen ihm auch hier die notwendig entstehenden Kosten ferngehalten werden, wenn seine steuerpflichtigen Einkünfte — die Wahl dieses Begriffes erwies sich als notwendig, um einen gerechten Maßstab auch für die selbständigen Berufe zu finden — unterhalb der genannten Verdienstgrenze liegen.
Ich habe so ein wenig den Verdacht, daß die Verbrennung des Ahlener Programms und die Rede unseres verehrten Kollegen Gerstenmaier auf dem Parteitag der CDU bereits ihre Früchte getragen haben. Ich bin der Auffassung, die Bundesregierung sollte auch heute zu dem stehen, was sie in ihrer Begründung zum Körperbehindertengesetz gesagt hat. Dazu sollten auch die Ausschußmitglieder stehen, die sich diese Auffassung zu eigen gemacht haben, und dazu sollten auch die Fraktionen stehen, die damals dieses Gesetz in dieser Form angenommen haben.
Ich bitte Sie deshalb, unseren Änderungsantrag auf Umdruck 1187 Ziffer 1 ,anzunehmen, in § 7 Nr. 1 die Regierungsvorlage wieder herzustellen und die Krankenversicherungspflichtgrenze als Einkommensgrenze festzulegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort weiter gewünscht? — Frau Abgeordnete Ganswindt.
Herr Präsident! Meine Herren und meine Damen! Ich muß zu dem, was Herr Konen gesagt hat, bemerken, daß in § 7 doch eine Verbesserung vorliegt. Wir haben jetzt zwar festgelegt, daß die Automatik nicht vorhanden ist. Aber durch die Einsetzung eines Betrages von 600 DM ist eine Verbesserung eingetreten; dazu kommen die 60 DM für jeden Angehörigen bis zur Höchstgrenze von 300 DM. Wenn also einer Familie im ganzen 900 DM nicht angerechnet werden, dann ist das schon eine ganz große Hilfe, und man kann das nicht als einen Rückschritt bezeichnen.
Genauso ist es bei dem Körperbehindertengesetz, das in § 25 des Tbc-Hilfe-Gesetzes angesprochen ist. Auch hier besteht ein Irrtum. Es ist keine Verschlechterung vorgenommen worden, sondern durch die Festlegung einer Grenze von 600 DM zuzüglich 60 DM für die Angehörigen ist ebenfalls eine Verbesserung eingetreten.
— Es ist keine Automatik da, sondern es liegt eine Berücksichtigung des Notstandes vor. Immerhin werden doch 900 DM nicht angerechnet, Herr Könen.
Ich bitte also, den § 7 in der vom Ausschuß beschlossenen Fassung anzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Konen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich von Verbesserungen oder Nichtverbesserungen gesprochen habe, meine ich ,das Verhältnis der Regierungsvorlage zur jetzigen Situation. Darin ist die Verbesserung zu sehen. Die Krankenversicherungspflichtgrenze beträgt zur Zeit 500 DM. Sie wird in Kürze 660 DM betragen. Dann kommen die Dinge, die die verehrte Frau Kollegin Ganswindt genannt hat. Es wird eine Grenze von 600 DM festgelegt. In den ersten 14 Tagen wird also eine Verbesserung eingetreten sein. Hinterher wird aber eine Verschlechterung vorliegen.
Verehrte Frau Kollegin Ganswindt, Sie sprachen davon, daß ein Notstand vorliege. Dieses Gesetz und das Körperbehindertengesetz haben ausdrücklich zur Aufgabe, gar nicht erst zu warten, bis notstandsähnliche Verhältnisse vorliegen. Der Lebensstandard der Familie, die von einem solchen Unglück geschlagen ist, soll nach Möglichkeit so gehalten werden, daß von der materiellen Seite her keine Hemmnisse bestehen, einen kranken Menschen wieder gesund machen zu können. Darum geht es.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, Frau Kollegin Ganswindt.
Herr Präsident! Meine Herren und meine Damen! Ich muß da doch widersprechen. Der § 7 ist so gestaltet, daß ein Betrag von 600 DM oder rund gesagt von 900 DM so lange nicht angerechnet wird, wie sich der Kranke in Heilbehandlung befindet oder eine Eingliederungshilfe gewährt wird. Das sind Zeiten, die sehr lange dauern können. Hier wird der Familie geholfen. Ich bin wirklich die letzte, die der Familie nicht helfen will. Aber ich meine, wir müssen auch im Rahmen bleiben und können die Dinge nicht ins Uferlose ausdehnen und die Fürsorgeverbände zu sehr belasten.
— Nein, auch ich gehe nicht vom Notstand aus. Aber es wird eine ausgesprochen große Hilfe gewährt. Es steht im § 7 Abs. 1, daß die Verhältnisse angemessen zu berücksichtigen sind. Ich weiß aus der Praxis, daß die Fürsorgerinnen und die Ämter auf dem Gebiet der Tbc-Behandlung wirklich sehr großzügig gehandelt haben, wenn sie irgendwie nur die Möglichkeit hatten, im Gesetz ein Loch zu finden. Wo sie sich nicht stur nach den Paragraphen zu richten brauchen, da tun sie es. Jeder, der sich für die Behandlung dieser Krankheit einsetzt, ist nämlich bestrebt, zu helfen, wo er nur helfen kann. Die Beobachtung haben Sie, Herr Könen, Frau Bennemann und Frau Schanzenbach, die Sie alle in der sozialen Arbeit stehen, bestimmt gemacht.
Ich bitte, den § 7 in der Ausschußfassung anzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte hierzu.
Ich rufe auf den Antrag Umdruck 1187 Ziffer 1. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht — er betrifft die Wiederherstellung der Regierungsvorlage —, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf den § 7 in der Ausschußfassung. Wer dem § 7 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen.
— Dann rufe ich nur § 8 auf. Wortmeldungen hierzu liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über § 8. Wer
§ 8 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der § 8 ist angenommen.
Ich rufe § 9 auf. Wortmeldungen hierzu liegen nicht vor.
Es wird beantragt, über § 9 abschnittweise abstimmen zu lassen; ich nehme an: über jeden der Absätze für sich. Einverstanden?
Ich rufe § 9 Abs. 1 auf. Wer diesem Abs. 1 des
§ 9 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Abs. 1 ist angenommen.
Ich stelle nunmehr den Abs. 2 des § 9 in der Ausschußfassung zur Abstimmung. Wer diesem Abs. 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Abs. 2 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe nunmehr den Abs. 3 des § 9 auf und mache darauf aufmerksam, daß die Berichterstatterin seinerzeit darauf hingewiesen hat, daß es im letzten Satz des Abs. 3 richtig „4. Dezember 1924" statt „24. Februar 1924" heißen muß. Ich stelle also den § 9 Abs. 3 mit dieser von der 'Berichterstatterin angeregten Richtigstellung bzw. Ergänzung hiermit zur Abstimmung. Wer dem so gefaßten Abs. 3 des § 9 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Abs. 3 ist ebenfalls angenommen und damit der ganze § 9.
Ich rufe auf die §§ 9 a, — 9 b, — 10, — 10 a. — Ich mache darauf aufmerksam, daß es in § 10 a Abs. 1 folgendermaßen heißen muß:
Der Landesfürsorgeverband hat unbeschadet der Zuständigkeit der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung durch Hilfe zur Unterbringung im Beruf oder
— und nun kommt die Änderung —
in einer anderen Tätigkeit darauf hinzuwirken...
Es wird also nur das Wort „in" hinzugesetzt.
Ich rufe auf § 10b, — § 12, — § 12a,—§ 14. —Ich nehme an, daß das Haus mit der Erledigung der aufgerufenen Paragraphen einverstanden ist.
— Es ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache und stelle die eben aufgerufenen Paragraphen mit der zu § 10 a vorgetragenen Berichtigung zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte 'ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Die Paragraphen sind angenommen.
Ich rufe auf § 15. Hierzu liegt ein Antrag der SPD auf Umdruck 1187 Ziffer 2 vor. Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Könen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 15 ist sozusagen der Angelpunkt, das Kernstück dieses Gesetzes. Wir geben zu, daß wir im Ausschuß gegenüber der ursprünglichen Fassung dieses Paragraphen einige Verbesserungen erreicht haben. Das genügt aber unseres Erachtens nicht. Gerade in diesem § 15 macht sich die Unvollkommenheit bemerkbar, das Fehlen von Ergebnissen aus der Arbeit an der sogenannten Sozialreform, an der Neuordnung der sozialen Leistungen. Wenn von Vereinbarungen gesprochen wird, genügt uns das auch dann nicht, wenn die Regierung verpflichtet ist, gegebenenfalls Druck dahinter zu setzen. Immerhin existiert eine Vereinbarung vom 11. März 1953, die wohl von den Trägern durchgehalten, die aber nie unterschrieben wurde, weil der Bund es wegen der in § 9 vorgesehenen Mitbeteiligung an den Kosten abgelehnt hat, sich ebenfalls der Unterschriftsleistung zu unterwerfen.
Unser Änderungsantrag zu § 15 will nichts anderes als eine Festlegung der Rechte eines ganz bestimmten Personenkreises, nämlich der Rentenversicherten, um sicherzustellen, daß sie einen Rechtsanspruch haben. Wenn man uns entgegenhalten sollte, daß hier gegebenenfalls schon wieder eine Änderung des Rentenneufestsetzungsgesetzes vorgenommen werden müßte, möchte ich in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, daß wir bereits dabei sind, das Rentengesetz zu novellieren; dann kann man das, wenn es notwendig werden sollte,
mit hereinnehmen. Wenn Sie unseren Antrag annehmen, hätten wir eine ganz klare Festlegung. Ich bitte Sie herzlich darum, aus rein sachlichen Erwägungen unseren Änderungsantrag auf Umdruck 1187 anzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Varelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Beratung des Gesetzes zur Regelung der Neuordnung der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten befaßten sich der Sozialpolitische Ausschuß des Bundestages und das Plenum dieses Hauses bereits sehr eingehend mit der Frage, ob die Heilbehandlung oder die Maßnahmen zur Berufsförderung und zur sozialen Betreuung als Regel- oder Pflichtleistung gewährt werden sollen. Die Mehrheit des Bundestags entschied sich damals dafür, daß es eine Regelleistung sein soll. Seit dieser Beratung sind erst einige wenige Monate verstrichen. Seit dem Jahre 1950 ist die Tbc-Erkrankung in der Bundesrepublik erfreulicherweise sehr stark rückläufig, in Norddeutschland interessanterweise wesentlich stärker als in 'Süddeutschland. Allgemein wird angenommen, daß die Tbc-Reihenuntersuchungen und die großen Maßnahmen der Rentenversicherung zu diesem Ergebnis beitrugen. Im Bereich der Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen gingen die Tbc-Fälle von 3890 im Jahre 1955 auf 3084 im Jahre 1956 zurück; das ist ein Verhältnis von 100 zu 67. Seit einer Reihe von Jahren ist im Bereich der Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen nicht ein einziger Fall bekannt, wo ein Tbc-Heilverfahren von der Rentenversicherung abgelehnt wurde. Das ist, soweit ich unterrichtet bin, auch bei den übrigen Landesversicherungsanstalten so und trifft nicht nur auf die Rentenversicherten zu, sondern auch auf deren Ehefrauen und Kinder.
Wir haben aber die andere Sorge, daß etwa 30% der Versicherten ein Heilverfahren, das ihnen die Versicherung gewähren will, ablehnen, zum Teil aus falscher Scham, zum Teil in der Meinung, die Krankheit sei gar nicht so schlimm. Zum anderen gibt es auch berechtigte Gründe aus Sorge um die Versorgung der Familie. Dies soll nun durch das zur Beratung stehende Gesetz geändert werden.
Wir sind der Auffassung, daß der Antrag der SPD in der Praxis keinen Fortschritt bedeutet, sondern unter Umständen sogar eine rückläufige Entwicklung bewirken kann. Ich bekam heute morgen die Information, daß die Rentenversicherung das Tbc-Heilverfahren sogar in den Fällen durchführt, wo erst ein einziger Beitrag an die Rentenversicherung entrichtet wurde. Die CDU-Fraktion ist der Auffassung, daß für eine Regelung, wie sie der Antrag der SPD beinhaltet, in der Praxis kein Bedürfnis besteht. Wir bitten darum, den Antrag abzulehnen und die Ausschußvorlage anzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wormeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte zu § 15.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf den Antrag Umdruck 1187 Ziffer 2, Neufassung des § 15. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Abgelehnt.
Ich rufe auf den § 15 in der Fassung des Ausschusses. Wer dem § 15 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der § 15 ist angenommen.
Ich darf Ihr Einverständnis annehmen, wenn ich wieder eine Reihe von Paragraphen, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen, zusammen aufrufe.
— Ich rufe auf die §§ 16, — 17, — 18, — 19, — 20,
— 21.
Zu § 22 bemerke ich, daß der Antrag der DP auf Umdruck 1181 zu Absatz 2 zurückgezogen ist. Ich rufe also auf den § 22, — ebenso den
§ 23 und bemerke zu § 23, daß es in Abs. 1 textlich richtig wie folgt heißen muß:
Der örtlich zuständige Landesfürsorgeverband ist verpflichtet, auf Antrag einer Berufsgenossenschaft, einer Krankenkasse, einer Versorgungsbehörde, eines Dienstherrn oder eines
— hier ist also das Wort „eines" einzufügen — Trägers der Versorgungslast . . .
Ich rufe also den § 23 in der soeben wiedergegebenen Fassung auf, — ferner den § 24 — und den
§ 24 a. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den eben aufgerufenen Paragraphen in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —Enthaltungen? — Die eben saufgerufenen Paragraphen sind angenommen.
Ich rufe auf den § 25. — Hierzu liegt der Antrag Umdruck 1187 Ziffer 3 vor, der vorhin schon mit begründet worden ist.
— Zunächst über Ihren Antrag, nicht wahr? — Ich muß also zunächst Ihren Antrag zur Abstimmung stellen, der die Streichung des Abs. 2 von § 25 bezweckt. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht. den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dann ist dieser Antrag, also der negative Antrag, abgelehnt.
Nun muß ich § 25 in der Ausschußfassung zur Abstimmung stellen, abschnittweise, wenn ich recht verstanden habe. Ich rufe also auf § 25 Abs. 1 in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe jetzt auf § 25 Abs. 2 in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — § 25 Abs. 2 ist ebenfalls angenommen und damit der ganze § 25 in der Ausschußfassung.
Ich rufe nunmehr auf die §§ 26 und 27 in der Ausschußfassung. Ich eröffne die Debatte. — Wortmeldungen liegen nicht vor; die Debatte ist geschlossen. Ich stelle die beiden Paragraphen zur Abstimmung. Wer den eben aufgerufenen §§ 26 und 27 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe nunmehr auf § 27 a. — Hierzu liegt auf Umdruck 1180 ein Änderungsantrag zu Abs. 1 und Abs. 3 vor. Wird dieser Antrag begründet? — Auf Begründung wird verzichtet. Wird das Wort hier-
zu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich zunächst den Änderungsantrag Umdruck 1180 Buchstabe a zu § 27 a Abs. 1 zur Abstimmung. Wer diesem Antrag stattzugeben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen angenommen.
Ich stelle jetzt den Antrag Umdruck 1180 Buchstabe b zur Abstimmung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Ich stelle dann § 27 a mit den eben beschlossenen Änderungen zur Abstimmung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ich darf mir vielleicht die Anregung gestatten, daß sich die verehrten Kolleginnen und Kollegen so an der Abstimmung beteiligen, daß zu ersehen ist, wie der einzelne abzustimmen wünscht. — § 27 a ist also mit den beschlossenen Änderungen angenommen.
Ich rufe auf § 28. Hierzu liegt ein Antrag auf Umdruck 1105 vor. Wird der Antrag begründet? — Das ist nicht der Fall. Wortmeldungen liegen auch nicht vor. Wer dem Antrag Umdruck 1105 zu § 28 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag Umdruck 1105 ist angenommen.
Ich stelle nunmehr § 28 mit der eben beschlossenen Änderung zur Abstimmung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — § 28 ist in der heute beschlossenen Form angenommen.
Ich rufe auf § 29. Hierzu liegt ein Antrag auf Umdruck 1187 Ziffer 4 vor; er ist vorhin schon begründet worden.
— Der Antrag wird zurückgezogen. Ich stelle dann § 29 in der Fassung des Ausschusses zur Abstimmung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — § 29 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich mache noch auf folgendes aufmerksam. Im § 27, den wir bereits erledigt haben, ist noch ein Druck- oder Fassungsfehler zu berichtigen. Ich darf bitten, § 27 Ziffer 3 aufzuschlagen. In der Ausschußfassung heißt es: „unverändert". Es wird auf die Regierungsvorlage verwiesen. In der Regierungsvorlage wird zitiert: „". Das richtige Zitat muß nunmehr heißen: „(§§ 6 c bis 9, 16, 17)". Wird hierzu noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Darf ich bitten, zu dem § 27 mit dieser eben vorgetragenen textlichen Richtigstellung noch einmal Stellung zu nehmen. Ich bitte also diejenigen, die diesem Paragraphen in der eben vorgelesenen Fassung zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dann ist diese Fassung des § 27 an Stelle der vorhin beschlossenen angenommen.
Ich rufe auf Einleitung und Überschrift. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dann ist das Gesetz in zweiter Lesung angenommen.
Ich rufe auf die
dritte Lesung
dieses Gesetzes. Ich nehme an, daß der dritten Lesung nicht widersprochen wird. Ich eröffne die Generalaussprache. Wird das Wort zur Generalaussprache gewünscht? — Bitte, Herr Kollege Könen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur dritten Lesung sind von meiner Fraktion keine Änderungsanträge mehr gestellt, weil wir wissen, daß wir in der dritten Lesung mit den von Ihnen abgelehnten nicht mehr durchkommen würden; wir wollen die Zeit sparen. Aber wir möchten einige Worte zu diesem Gesetz sagen.
Es sind immerhin eine halbe Million Tuberkulosekranke, die wir in der Bundesrepublik haben und für die dieses Gesetz von entscheidender Bedeutung sein wird. Ich habe vorhin bei meinen Ausführungen zu unserem Änderungsantrag zum § 7 bereits bedauert, daß die Grundhaltung in diesem Gesetz, die dahin geht, die materiellen Sorgen weitgehend wegzuhalten, durch Ihre in der Abstimmung beschlossene Verschlechterung etwas durchlöchert worden ist. Der entscheidende Wert muß bei diesem Gesetz auf die Sicherstellung der Entlastung der Familie und auf die Eingliederungshilfe gelegt werden. Es muß dafür gesorgt werden, daß die Kosten der Behandlung und all der Dinge, die damit zusammenhängen, nicht eine Verzögerung für den Gesundungsprozeß des Kranken selbst darstellen.
Ich möchte noch einmal auf das Körperbehindertengesetz zurückkommen. Wir bedauern es sehr, daß dieses Gesetz, das am 1. April in Kraft getreten ist, nun bereits wieder geändert und, wie wir meinen, verschlechtert worden ist. Das Körperbehindertengesetz hat an und für sich Zeit genug zum Ausreifen gehabt, genau wie das Tuberkulosehilfegesetz. Ich darf daran erinnern. daß unsere Fraktion, die sozialdemokratische Fraktion, im Jahre 1951 erstmals forderte, daß ein solches Gesetz von der Regierung vorgelegt wird. Wir haben dann wiederholt gemahnt — ich will die Mahnungen, ich habe sie hier alle bei mir, nicht aufzählen, es ist ein ganz schönes Paketchen —, und es hat glücklich bis 1957 gedauert, bis wir dieses Gesetz hatten.
Auch beim Tuberkulosehilfegesetz lege ich Wert darauf, festzustellen, daß die sozialdemokratische Fraktion ebenfalls im Jahre 1951, und zwar am 25. Januar 1951, eine Anfrage an die Regierung wegen dieses Gesetzes gestellt hat. Wir erhielten von der Regierung eine Antwort unter dem 12. Mai 1951, Drucksache 2248. In dieser Antwort des Bundesministers des Innern hieß es:
Bis zum 1. Oktober 1951 soll eine Neuabgrenzung der Tuberkulosehilfsmaßnahmen zwischen den Rentenversicherungsträgern und den Landesfürsorgeverbänden erfolgen.
Das war die berühmte Vereinbarung. Es gibt in unserer Bundesrepublik eine ganz originelle Sache, nämlich eine nicht unterschriebene Vereinbarung zwischen den Trägern der Rentenversicherung und den Landesfürsorgeverbänden, die, obwohl sie nicht unterschrieben worden ist, erfreulicherweise im Interesse der Tuberkulosekranken durchgeführt worden ist.
Ich möchte, zurückkommend auf die Debatte der zweiten Lesung, nur noch folgendes sagen. Wenn wir den § 15 so gefaßt zu sehen wünschten, wie wir ihn in unserem Änderungsantrag vorgelegt haben, dann nicht etwa deshalb, weil wir die Auffassung vertreten hätten, daß die Rentenversicherungsträger hier nicht bestens geholfen hätten. Das möchte ich bei dieser Gelegenheit ausdrücklich feststellen. Aber der § 9 der Vereinbarung sprach davon, daß die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung die vorgesehenen, mit stationärer Absonderung verbundenen Dauerbehandlungen nur gewähren werden, wenn der Bund die Aufwendungen für diese Leistungen den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung erstattet. Das war der Grund, warum der Bund es abgelehnt hat, dieser Vereinbarung beizutreten und dem § 9 zu entsprechen, und damit die Landesfürsorgeverbände und die Träger der Rentenversicherung veranlaßt hat, diese ihre Vereinbarung nicht zu unterschreiben, wohl aber durchzuführen.
Es liegt sicher im Interesse der vielen Dinge, die das Hohe Haus noch zu erledigen hat, wenn ich damit schließe. Ich möchte hier aber einen Wunsch aussprechen: sowohl das Körperbehindertengesetz als auch das Tuberkulosehilfegesetz sind Gesetze, die in ihrer Durchführung nicht das bewirken werden, was sie bewirken sollen, wenn man sich nur nach dem Buchstaben der Gesetze richtet. Es sind zwei Fürsorgegesetze, diese Gesetze appellieren an die Menschen, appellieren an das Herz. Das gilt für alle Instanzen, vom Bund über die Länder, die Landesfürsorgeverbände bis zu den Bezirksfürsorgestellen, zu den Kostenträgern, und wer alles dazugehört. Wir hoffen und wünschen sehr, daß es keine Landesfürsorgeverbände geben wird, die den § 7 dazu verwenden, zu sagen: Was über den 600 DM bzw. über dem für die Familienangehörigen ,aufgestockten Betrag liegt, können wir wegkassieren; denn es ist in unser Ermessen gestellt, wieviel wir davon nehmen. Wir haben den herzlichen Wunsch an alle beteiligten Instanzen, aus dem Tuberkulosehilfegesetz in der Praxis ein echtes Fürsorgegesetz werden zu lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Frau Kollegin Niggemeyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist niemand in diesem Hause, der nicht dem Appell von Herrn Könen, daß dieses Gesetz, das für die leidenden Menschen geschaffen sei, nicht nach dem Buchstaben des Gesetzes, sondern mit menschlichem Gefühl gehandhabt werden sollte, aus tiefstem Herzen zustimmt. Darum beginne ich auch von mir aus mit dieser meiner Zustimmung.
Wegen der Fülle der anstehenden Arbeit möchte ich nur ein paar Gedanken zu dem Gesetz vortragen. Es ist doch wichtig, auf das hinzuweisen, was das Gesetz an Gutem bringt, neben der Kritik, die von der Opposition an einigen Paragraphen geübt worden ist, wenn ich hier auch loyalerweise sagen möchte, daß ich Verständnis für den Versuch habe, für einen Kreis notleidender Menschen über das im Ausschuß Beschlossene hinaus noch größere Sicherungen zu schaffen.
Was kann an diesem Gesetz als gut herausgestellt werden? Es ist einmal die Tatsache, die auch Herr Könen angesprochen hat, daß wir nach Jahren endlich zu einem Tuberkulosehilfegesetz kommen, auf das alle mit der Tuberkulosefürsorge befaßten Stellen seit Jahren gewartet haben. Es ist zweitens die Tatsache — und ich glaube, das ist wert herausgestellt zu werden —, daß in diesem Gesetz ein Rechtsanspruch auf Tuberkulosehilfe verankert worden ist. Es ist drittens die Rechtssicherheit und Rechtseinheit, die damit im ganzen Bunde geschaffen worden ist. Es ist viertens die Tatsache, daß versucht wird, die gesamte Tuberkulosehilfe den medizinischen Erkenntnissen anzupassen. Und es ist schließlich die Tatsache — das ist in allen bisherigen Ausführungen noch nicht angeklungen, ist aber auch notwendig und wert gesagt zu werden, eben wegen der Kritik, die an dem Gesetz geübt worden ist —, daß es uns, allerdings nach mühseliger Arbeit mit dem Finanzministerium, gelungen ist, die Beteiligung des Bundes an den neuen Aufgaben dieses Gesetzes zu 50 % zu sichern.
Wir wünschen, daß dieses Gesetz auch in der Arbeit draußen zu einem guten Gesetz wird. Ich möchte mit der Feststellung schließen, daß beide Gesetze, das Körperbehindertengesetz und das Tuberkulosehilfegesetz, ein beachtlicher Schritt auf dem Wege zur Gesamtreform des Fürsorgerechts sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Generalaussprache.
Ich rufe nunmehr auf die §§ 1 bis 29 in der Fassung der zweiten Lesung einschließlich Einleitung und Überschrift. Wer diesem Gesetz in der dritten Lesung in seiner Gänze zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist damit angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (Drucksachen 3509, zu 3509).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Lindrath. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften nach 'der Drucksache 3509 und zugleich zu den Anträgen gemäß Ziffer 6 der heutigen Tagesordnung habe ich unter dem 23. Mai I 957 einen ausführlichen Schriftlichen Bericht unter der Bezeichnung „zu Drucksache 3509/zu Drucksache ache 3510" [Anl. 2] erstattet. Ich muß diesem Bericht noch folgendes hinzufügen:
1. Der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen hat die Absicht gehabt, den allgemein ausgesprochenen Wunsch zur Vereinfachung unseres Steuerrechts so weit als möglich zu verwirklichen. Aus diesem Streben heraus wurde der vorliegende Gesetzentwurf angeregt. Während der Beratung erging der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Ehegattenbesteuerung. Die hiernach
erforderlich gewordene Schließung einer so entstandenen Gesetzeslücke hat zum Bedauern des Ausschusses neue Komplikationen in das Steuerrecht hineingebracht, die unvermeidbar waren. Nachdem der Ausschuß in der 180. Sitzung am 13. Dezember 1956 auf dem Gebiet der Umsatzsteuer eine ganze Fülle von Erleichterungen und Vereinfachungen hat in Vorschlag bringen können, wird er auf diesem Steuergebiet heute weitere Vorschläge dieser Art dem Hohen Hause unterbreiten.
In dem jetzt zur Beratung anstehenden Gesetzentwurf sind folgende Elemente zur Vereinfachung des Steuerrechts enthalten:
,a) Die Besteuerung von Gewerbetreibenden mit einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr ist wesentlich einfacher geregelt, als dies bisher der Fall war.
b) Der Wegfall des Steuerabzugs von Aufsichtsratsvergütungen bei unbeschränkt Steuerpflichtigen bedeutet eine Vereinfachungsmaßnahme.
c) Die Kapitalertragsteuer ist sozialer gestaltet worden.
d) Die Veranlagung von Steuerpflichtigen mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit aus mehreren Dienstverhältnissen ist vereinfacht worden.
e) Kleinstbeträge bei der Einkommensteuer und der Lohnsteuer bleiben urierhoben.
f) Die Ermächtigung für die Bundesregierung zur Bemessung der Lohnsteuer nach Pauschsätzen und die Verwendung von Hilfswerten an Stelle der Anschaffungs- und Herstellungskosten dient der Vereinfachung des Steuerrechts.
g) Der Änderungszwang für die Feststellung eines neuen Einheitswertes durch die Finanzämter ist im Interesse der Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung in bemerkenswerte Weise gelockert worden.
h) Der Jahreswert der von der Vermögensteuerpflicht befreiten Rentenansprüche ist erhöht worden, so daß sich hieraus eine Vereinfachung der steuerlichen Behandlung dieser Renten ergibt.
i) Die Vermögensteuerfreibeträge für alte Steuerpflichtige sind erhöht worden.
k) Die Mindestbesteuerungsfreibeträge — das gilt insbesondere für die kleineren Vereine — sind im Interesse einer Vereinfachung der Vermögensteuer erhöht worden.
Neben einigen anderen Vereinfachungsvorschriften enthält der Entwurf eine Reihe sonstiger Vorschriften, vornehmlich Erleichterungen aus sozialen Gründen. Sie einzeln hier zu nennen würde den Rahmen einer Berichterstattung überschreiten.
2. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zu § 26 des Einkommensteuergesetzes hat dem Bundestag in der Öffentlichkeit bisweilen den Vorwurf eingetragen, er lasse es an der erforderlichen Sorgfalt bei der Prüfung ,der Frage fehlen, ob ein Gesetz dem Grundgesetz entspricht oder nicht. Hierzu stellt der Ausschuß fest, daß weder der 1. Bundestag noch der 2. Bundestag jemals die jetzt für grundgesetzwidrig erklärten Bestimmungen über die Zusammenveranlagung von Ehegatten beschlossen hat. Diese Vorschriften gelten seit dem Anfang der 20er Jahre und seit dem Jahre 1939 in wörtlich der 'gleichen Form, wie sie bis heute angewendet wurden. Im Jahre 1951 hat der Bundestag im Plenum und in seinen Ausschüssen die Frage der Zusammenveranlagung diskutiert, aber zu einer formellen Beschlußfassung ist es nicht gekommen. Bei den Steuerdebatten und Beschlüssen im Jahre 1954 hat der Bundestag zu erkennen gegeben, daß er zu einer getrennten Veranlagung oder zu einem Splitting kommen möchte. Er hat damals die Möglichkeit geschaffen, Einkünfte aus .unselbständiger Arbeit und selbständiger Arbeit unid zum Teil aus Gewerbebetrieb aus einer Zusammenveranlagung herauszunehmen. Er hat damit den ersten Schritt auf dem Wege getan, den jetzt der Beschluß des Karlsruher Urteils für das Ganze weist. Somit entbehren die gegen das gesetzgebende Organ mitunter erhobenen Vorwürfe ihrer Berechtigung. Das gilt um so mehr, als die Verfassungsmäßigkeit aller übrigen nur möglichen Formen der Besteuerung von Ehegatten, d. h. der Zusammenveranlagung, der Getrenntveranlagung und einer Veranlagung in Form eines Splitting, von verschiedenen höchsten Gerichten und Instanzen verschieden beurteilt und auch angezweifelt wird.
Dem Gesetzgeber ist daher in dieser Frage ein ganz besonders schwieriges Problem zur Lösung gestellt warden.
Um den höchsten Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit der steuerlichen Vorschriften zur Ehegattenbesteuerung gerecht zu werden, glaubte der Ausschuß, den Steuerpflichtigen für die Übergangszeit in weitestem Maße Wahlmöglichkeiten einräumen zu sollen. Allerdings wird hierdurch das Streben nach einer Vereinfachung des Steuerrechts nicht gerade gefördert. Der Ausschuß hat immer wieder feststellen müssen, daß die Kreise der Steuerpflichtigen, die die Vereinfachung unseres Steuerrechts am lautesten und am dringlichsten fordern, die gleichen sind, die alle nur denkbaren Tatbestände unter dem Zeichen der Forderung einer steuerlichen Gerechtigkeit im Steuergesetz — oft in perfektionistischer Weise — verankert sehen möchten. Deshalb legt der Ausschuß Wert darauf, allen Kritikern Zurückhaltung bei der gesetzesmäßigen Verwirklichung ihrer Wünsche anzuempfehlen. Möge jeder bedenken, daß es noch immer wahr ist: Die Gerechtigkeit und die Einfachheit sind Grundsätze im Steuerrecht, die sich gesetzgeberisch entgegengesetzt auswirken müssen. Der Gerechtigkeit gebührt aber der Vorzug vor der Vereinfachung.
3. In der Öffentlichkeit ist die Frage diskutiert worden, ob nicht noch weitergehende Steuererleichterungen gewährt werden könnten, als es in diesem Gesetz vorgesehen ist. Dias ist letzten Endes eine Frage des Haushaltsausgleichs. Die sorgfältigen Schätzungen der volkswirtschaftlichen Abteilung des Bundesfinanzministeriums haben für dieses Gesetz bestimmte Ausfallziffern ergeben. Der Ausschuß und auch die Bundesregierung wissen um die Schwierigkeiten solcher Schätzungen. Sie wissen auch, daß gerade bei solchen Gesetzesänderungen, wie sie in diesem Entwurf vorgeschlagen werden, die Genauigkeit einer Schätzung besonders fragwürdig bleiben muß. Immerhin glaubt der Ausschuß dem Hohen Hause die Größenordnungen für die Ausfälle wie folgt angeben zu sollen.
Für Bund und Länder zusammen sind folgende Ausfallziffern ermittelt worden.
Bei der Neugestaltung der Ehegattenbesteuerung belaufen sich die Ausfälle
für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1954 auf 100 Millionen DM,
für den Veranlagungszeitraum 1955 auf 50 Millionen DM,
für den Veranlagungszeitraum 1956 auf 140 Millionen DM,
für den Veranlagungszeitraum 1957 auf 150 Millionen DM.
Das ergibt insgesamt 440 Millionen DM.
Durch Manipulierungen, die im Wahlrecht zugelassen worden sind, wird zumindest für das Jahr 1957 ein weiterer Steuerausfall in Höhe von 200 Millionen DM eintreten.
Die Erhöhung ,des Freibetrages für die Hausfrau von 250 auf 720 DM, wie vom Ausschuß vorgeschlagen, wird einen Ausfall in Höhe von 590 Millionen DM zur Folge haben.
Die Ausfälle durch die Übergangsregelung bed der Ehegattenbesteuerung betragen somit insgesamt für Bund und Länder 1230 Millionen DM.
Hinzu kommen durch andere Bestimmungen dieses Gesetzentwurfs noch folgende Ausfälle:
1. Die steuerliche Begünstigung der Importwarenläger wird voraussichtlich 150 Millionen DM Ausfälle zur Folge haben,
2. die steuerliche Begünstigung neuer Schachtanlagen im Bergbau wird 45 Millionen DM Ausfall zur Folge haben,
3. die Bildung einer Preissteigerungsrücklage 5 Millionen DM,
4. die Begünstigung von Luftreinigungsanlagen 3 Millionen DM,
5. ,der Wegfall der steuerlichen Kleinstbeträge 10 Millionen DM,
6. die Begünstigung des nichtentnommenen Gewinnes 10 Millionen DM,
7. die Begünstigung der Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit 4 Millionen DM,
8. die Begünstigung der außerordentlichen Aufwendungen für die Berufsausbildung 2 Millionen DM,
9. die Erhöhung der Geburtsbeihilfen und der Heiratsbeihilfen 1 Million DM.
Einschließlich der Ausfälle bei der Ehegattenbesteuerung betragen die Ausfälle somit 1415 Millionen DM.
Endlich kommen noch die Ausfälle aus dem nachher noch zu behandelnden Neunten Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes hinzu. Diese werden zirka 70 Millionen DM für den Bund allein betragen, so daß diese beiden Gesetzentwürfe, alles in allem ,gesehen, für die Bevölkerung der Bundesrepublik eine ,steuerliche Entlastung um rund 1.5 Milliarden DM bedeuten. Die angespannte Haushaltslage, wie sie gerade bei der jetzt zu Ende gehenden Haushaltsdebatte zutage getreten ist, gestattet nach Ansicht der Mehrheit des Ausschusses leider keine weiteren Steuererleichterungen.
4. Dem Ausschuß ist insbesondere aus Kreisen des Mittelstands und des Handwerks der Wunsch vorgetragen worden, geringwertige Wirtschaftsgüter, die ohne ihre Zugehörigkeit zu einer als
einheitliches Wirtschaftsgut zu behandelnden Sachgesamtheit sofort abgeschrieben werden können, auch weiterhin dm Gegensatz zur neuesten Rechtsprechung selbständig bewertungs- und nutzungsfähig bleiben zu lassen. Der Ausschuß 'hat diesem Wunsch in der Gesetzgebung nicht Rechnung getragen, da der Vertreter des Bundesfinanzministeriums eine steuerliche Behandlung dieser Frage für das Jahr 1957 im Sinne der Antragsteller aus dem Grundsatz von Treu und Glauben heraus zugesagt hat. Diese Zusage sollte bei der Berichterstattung, vor dem Plenum dieses Hohen Hauses der Öffentlichkeit bekanntgegeben werden.
5. Wenn der Ausschuß davon abgesehen hat, die in der Drucksache 3007 vorgesehene Änderung des Gewerbesteuergesetzes — betreffend die steuerlichen Vergünstigungen für die Vertriebenenwirtschaft — in diesen Gesetzentwurf aufzunehmen, so geschah dies nach Abgabe einer Erklärung des Regierungsvertreters im Ausschuß, daß durch eine dem Antrag Drucksache 3007 entsprechende Verwaltungsanordnung mit Zustimmung des Bundesrates die notwendige Konsolidierung der Vertriebenen- und Flüchtlingsbetriebe erfolgt.
6. Der Deutsche Bundestag hat am 24. Mai 1957 dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen — federführend — und dem Ausschuß für Außenhandelsfragen — mitberatend — den Entwurf eines Gesetzes über die steuerliche Begünstigung von Importwaren, Drucksache 3427, zugewiesen. Beide Ausschüsse haben den Entwurf beraten. Der Inhalt dieses Gesetzentwurfs ist unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates im Entwurf des Gesetzes zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften mit eingearbeitet worden. Der federführende Ausschuß ist daher der Auffassung, daß nunmehr auch der Gesetzentwurf Drucksache 3427 in den Kopf der Drucksache 3509 und in Ziffer 1 des Antrages des Ausschusses, wie er in dieser Drucksache wiedergegeben worden ist, mit aufgenommen werden sollte.
7. und letztens. In der Öffentlichkeit sind Bedenken laut geworden. ob die in diesem Entwurf u. a. auch geregelte Ehegattenbesteuerung als ein Gesetz ohne erste Lesung in diesem Hohen Hause auf diese Weise gesetzmäßig zustande kommt. Der Ausschuß stellt fest. daß auch dieser Teil des Gesetzentwurfs unter genauer Beachtung der gesetzlichen und geschäftsordnungsmäßigen Vorschriften geschaffen und dem Plenum des Bundestages heute zur Entscheidung vorgelegt wird.
Ferner darf ich bemerken, daß auf Seite 12 meines Schriftlichen Berichts zu Drucksache 3509 und zu Drucksache 3510 gesagt wird, der Kreis der steuerlich begünstigten Importwaren solle klein gehalten werden. Im Ausschuß wird Wert auf die Feststellung gelegt, daß nach Ansicht des Ausschusses der Begriff „klein" bedeutet, daß in der Tat nur volkswirtschaftlich besonders wichtige Wirtschaftsgüter unter diese Vorschrift fallen sollen.
Namens des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen empfehle ich dem Hohen Hause, entsprechend dem abgeänderten Antrag des Ausschusses nach Drucksache 3509 zu beschließen.
Endlich darf ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zu den Anträgen zu Punkt 6 der heutigen Tagesordnung das Hohe Haus bitten, den Anträgen des Ausschusses nach der Drucksache
3510 seine Zustimmung zu geben. Zu diesen Anträgen verweise ich im übrigen auf meinen Schriftlichen Bericht und verzichte schon jetzt auf eine mündliche Zusatzberichterstattung zu Punkt 8 der heutigen Tagesordnung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Nach einer mir vorliegenden Notiz soll im Ältestenrat beschlossen sein, über die Tagesordnungspunkte 6, 7, 8 und 9 die Debatte gemeinsam zu führen. Ich sehe da aber gewisse Schwierigkeiten. Wir haben zunächst die zweite Lesung, und in zweiter Lesung gibt es keine allgemeine Debatte. Wir haben zu Punkt 7 ebenfalls zunächst eine zweite Lesung vorzunehmen; zu den Punkten 8 und 9 sind nur zweite Lesungen vorgesehen. Wenn ich die Tagesordnung richtig interpretiere, ist also nach dem Willen der Ausschußmehrheit an Beerdigung I. Klasse gedacht, so daß hier, wenn sich die Ausschußmehrheit im Plenum widerspiegelt, keine Generaldebatte in der dritten Lesung zustande käme. Es wäre nur so möglich, daß nach Durchführung der zweiten Lesungen zu den Punkten 6, 7, 8 und 9 dann eine Generaldebatte in der dritten Lesung stattfinden könnte.
Ich mache ferner — damit wir eine richtige Ordnung in die Dinge hereinbekommen — auf folgendes aufmerksam. Zu Punkt 6 der Tagesordnung liegen elf Umdrucke mit 27 Änderungsanträgen und dazu vier Entschließungsanträge vor. Über die vier Entschließungsanträge wird erst bei der dritten Lesung abgestimmt. Hinsichtlich der Ausschußanträge zu Punkt 6 der Tagesordnung wird in der zweiten Lesung nur über Ziffer 1 abgestimmt, während die Ziffern 2, 3 und 4 erst in der dritten Lesung beschieden werden können.
Für Punkt 7 der Tagesordnung gilt das gleiche, nur ist hier die Zahl der vorliegenden Anträge etwas geringer; es handelt sich um neun Änderungsanträge auf sieben Umdrucken.
Endlich mache ich zu Punkt 6 der Tagesordnung noch auf folgendes aufmerksam. Der Umdruck 1203 ändert die Ziffer 3 des Umdrucks 1125. Ich bitte, davon Kenntnis zu nehmen.
Nun darf ich fragen, ob Sie mit dieser Art der Verhandlung einverstanden sind, daß wir also zunächst die zweite Lesung zu Punkt 6 der Tagesordnung vornehmen.
Zur Geschäftsordnung Herr Kollege Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es entspricht einer interfraktionellen Besprechung, wenn ich Ihnen vorschlage, so zu verfahren, daß wir zunächst die Tagesordnungspunkte 6 und 8, die hauptsächlich Einkommensteuerfragen betreffen, also die Drucksachen 3509 und 3510, die soeben zusammen begründet worden sind, beraten, und zwar jeweils zunächst in zweiter Lesung und anschließend beide Drucksachen in dritten Lesung. Gleichfalls bitten wir Sie, ausnahmsweise eine Generaldebatte dieser Drucksachen in der zweiten Lesung vorzunehmen — was ja möglich ist —, weil dann vieles vorweggenommen werden kann, was sonst bei den Einzelanträgen Zeit erfordern würde. Anschließend würde dann die Beratung der Punkte 7 und 9, d. h. der Änderung des Umsatzsteuergesetzes, Drucksachen 3511 und 3512, erfolgen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Miessner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir ist von dieser Vereinbarung nichts bekannt. Ich würde es auch nicht für gut halten, die Generaldebatte in der zweiten Lesung vorzunehmen; denn es ergibt sich ja erst nach der zweiten Lesung, was man noch generaliter zu sagen hat. Herr Seuffert, es ist doch ohne weiteres möglich, jeweils zu den einzelnen Paragraphen Stellung zu nehmen. Bei § 26 a ergibt sich eine längere Debatte um diesen Fragenkomplex; das ist selbstverständlich, damit rechne ich auch, aber deshalb brauchen wir jetzt vorweg keine Generaldebatte zur gesamten Gesetzesvorlage zur Änderung des Einkommensteuergesesetzes, die doch mindestens 20 verschiedene Themen enthält.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben den Antrag des Kollegen Seuffert gehört, der dahin geht, die für die Tagesordnungspunkte 6 und 8 vorgesehene zweite Lesung gemeinschaftlich vorzunehmen. Sie sind damit einverstanden?
Der zweite Antrag geht dahin, zu den Punkten 6 und 8 die Generaldebatte, die sonst in der dritten Lesung stattfindet, in der zweiten Lesung vorzunehmen. § 80 der Geschäftsordnung bestimmt, daß im allgemeinen bei der zweiten Lesung keine Generaldebatte stattfindet, allerdings kann sie der Bundestag zulassen. Ich stelle also den geschäftsordnungsmäßigen Antrag des Herrn Kollegen Seuffert auf Zulassung der allgemeinen Debatte in der zweiten Lesung der Tagesordnungspunkte 6 und 8 zur Abstimmung. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dieser zweite Antrag ist abgelehnt.
Ich darf dann den Willen des Hauses folgendermaßen interpretieren. Wir treten jetzt in die zweite Lesung der miteinander verbundenen Punkte 6 und 8 der Tagesordnung ein und lassen die Generaldebatte anschließend in der dritten Lesung stattfinden.
Nachdem der Bericht erstattet ist und da eine Generaldebatte nicht stattfindet, rufe ich aus dem Entwurf des Gesetzes — die Beschlüsse des Ausschusses finden sich in dem Schriftlichen Bericht Drucksache 3509 — den Ersten Abschnitt Artikel 1 auf. Zu Nr. 1 liegt auf Umdruck 1212 der Änderungsantrag der Fraktion der DP vor, in Nr. 1 den Buchstaben a neu zu fassen. Ich darf fragen, ob das Wort gewünscht wird. — Herr Kollege Schild hat das Wort.
Dr. Schild (DP [FVP]): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Berichterstatter hat in seinen einleitenden Worten darauf hingewiesen, daß in dem Gesetz insofern eine steuerliche Verbesserung vorgenommen worden sei, als den gewerblichen Betrieben auf entsprechenden Antrag hin vom Finanzamt gestattet werden könne, nach subjektivem Ermessen an Stelle des Kalenderjahres ein anderes Wirtschaftsjahr der Unternehmung als Veranlagungsjahr einzusetzen. Der Fraktion der Deutschen Partei (Freien Volkspartei) ist diese Erleichterung nicht weitgehend genug.
Sie kennen alle die Eingabe der mittelständischen gewerblichen Spitzenorganisationen vom 22. Juni 1957, die an alle Fraktionen dieses Hohen
Hauses geleitet worden ist, unterzeichnet vom Zentralverband des Handwerks, von der Hauptgemeinschaft des Einzelhandels, vom Gesamtverband des Groß- und Außenhandels, vom Deutschen Hotel-und Gaststättenverband und der Zentralvereinigung der Handelsvertreter. In dieser Eingabe der Spitzenorganisationen der gewerblichen Wirtschaft an die Fraktionen wird der Wunsch geäußert, daß endlich einmal aufgeräumt wird mit der Gliederung in Betriebe, die ins Handelsregister eingetragen sind und ordnungsgemäße Bücher führen müssen, und Betriebe, die nicht ins Handelsregister eingetragen sind, aber auch ordnungsgemäße Bücher führen müssen. Der Antrag meiner Fraktion geht dahin, diese Gliederung aufzuheben.
Nach den steuerlichen Vorschriften, die seit dem 1. Januar 1955 gelten, haben wir drei Arten von Gewerbebetrieben: einmal die Betriebe, die ins Handelsregister eingetragen sind, für die nach subjektivem Ermessen die Gleichsetzung von Wirtschaftsjahr und Steuerjahr sowieso möglich ist. Die zweite Gruppe muß nach § 161 Abs. 1 der Abgabenordnung ebenfalls ordnungsgemäße Bücher führen und ist bisher gehalten gewesen, das Kalenderjahr als Steuerjahr zu nehmen. Die dritte Gruppe von Betrieben fällt weder unter die für die erste noch für die zweite Gruppe bestehenden Vorschriften, sie vollziehen aber aus eigenem Ermessen eine ordnungsgemäße Buchführung und machen regelmäßige Abschlüsse. Auch für diese Gruppe gilt die Bestimmung, daß das Kalenderjahr das Steuerjahr ist.
Der vorliegende Antrag räumt mit diesen Differenzierungen auf. Wir sind der Auffassung, daß es jedem Gewerbebetrieb, der ordnungsgemäße I Bücher führt und regelmäßig Abschlüsse macht, gestattet sein muß, dasjenige Wirtschaftsjahr als Steuerjahr für sich in Anspruch zu nehmen, für das er seine Buchführung eingerichtet hat. Dieses Wirtschaftsjahr braucht aus wirtschaftlichen und kalkulatorischen Gründen nicht unbedingt mit dem Kalenderjahr übereinzustimmen. Für die Gewinnermittlung und für die Veranlagung sind seit dem 1. Januar 1955 sowieso einheitliche Gesichtspunkte gegeben. Durch die Gleichstellung wurden den oben genannten verschiedenen Gruppen von Gewerbetreibenden Verpflichtungen auferlegt, die praktisch dahin führen, daß alle genannten Gruppen die Rechnungslegung nach den gleichen Grundsätzen und nach den gleichen Vorschriften — falls keine Sondervorschriften entgegenstehen — vornehmen müssen.
Die jetzt durch die Beschlüsse des Ausschusses vorgeschlagene Regelung bedeutet, daß jeder, der bisher nach dem Kalenderjahr veranlagt worden ist und einen anderen Zeitabschnitt haben möchte, dazu die Zustimmung des Finanzamts braucht. Das betrachtet meine Fraktion als eine Einengung der Entscheidungsfreiheit der Unternehmer um so mehr, als alle diejenigen, die im Handelsregister eingetragen sind, diese Entscheidungsfreiheit eo ipso haben. Die übrigen, die nicht im Handelsregister eingetragen sind, sollen also durch die Pflicht, einen Antrag zu stellen, mehr oder weniger unter die Botmäßigkeit des Finanzamtes gestellt werden.
Meine Fraktion bittet, dem Antrag Umdruck 1212 zur Wahrung der gleichberechtigten Behandlung aller derjenigen Betriebe, die ordnungsgemäße Bücher führen und regelmäßig Abschlüsse machen, Ihre Zustimmung zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf namens der Bundesregierung bitten, den Antrag abzulehnen. Der Herr Antragsteller hat einleitend gesagt, daß mit der Spaltung zwischen denjenigen Betrieben, die im Handelsregister eingetragen sind, und denen, die zwar ordentliche Bücher führen, aber nicht im Handelsregister eingetragen sind, endlich Schluß gemacht werden müsse. Es handelt sich also um einen grundsätzlichen Antrag. Dann wäre es nach meiner Meinung wohl angebracht gewesen, diesen Antrag bereits bei der langen Beratung dieses Gesetzentwurfs im Finanzausschuß einzubringen und dort zur Erörterung zu stellen. Im Finanzausschuß wären dann wahrscheinlich alle die Bedenken schon geltend gemacht worden, die dem Antrag entgegenstehen.
Es hat ja schließlich einen guten Grund — und das ist gar kein steuerlicher Grund, sondern ein handelsrechtlicher Grund, der seit über 50 Jahren gilt —, daß es Betriebe gibt, die Vollkaufleute sind; sie sind im Handelsregister eingetragen. Die Minderkaufleute sind nicht im Handelsregister eingetragen, haben aber unter bestimmten Voraussetzungen durchaus die Möglichkeit, ihre Eintragung im Handelsregister zu bewirken. Das ist eine bürgerlich-rechtliche, eine handelsrechtliche Vorschrift. Nachdem im Jahre 1955 durch den Gesetzgeber gerade erst die jetzige Regelung beschlossen worden ist, kann man, glaube ich, nicht ohne eingehende und gründliche Beratungen jetzt in der zweiten Lesung davon abgehen.
Auch damit willkürliche Änderungen aus steuerlichen Gründen vermieden werden, ist es wichtig, daß der Beschluß des Finanzausschusses aufrechterhalten wird, wonach die Umstellung des Wirtschaftsjahres auf ein anderes, vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr nur im Einvernehmen mit dem Finanzamt vorgenommen werden kann. Durch diese Regelung wollte der Finanzausschuß gewährleisten, daß eine aus wirtschaftlichen Gründen erforderliche Umstellung möglich bleibt, daß aber Mißbräuche vermieden werden.
Herr Präsident, der Herr Berichterstatter hat soeben gesagt, daß eine Erklärung der Bundesregierung zu dem Punkt des Wirtschaftsjahres zugesagt worden ist. Darf ich sie gleich anschließend abgeben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf auf die Worte des Herrn Berichterstatters zurückkommen und die in Aussicht gestellte Erklärung nunmehr abgeben.
Die Neuregelung würde eine erhebliche Vereinfachung sowohl für die Verwaltung als auch für die Steuerpflichtigen bedeuten. Der Übergang zu der neuen Regelung soll im Veranlagungszeitraum 1957 erfolgen. Dieser Veranlagung wäre dann der Gewinn des Wirtschaftsjahres zugrunde zu legen, das im Kalenderjahr 1957 endet. Läuft das Wirtschaftsjahr z. B. vom 1. Juli bis zum 30. Juni des folgenden Jahres, so wäre demnach der Veranlagung für 1957 das volle Ergebnis des Wirtschaftsjahres vom 1. Juli 1956 bis zum 30. Juni 1957 zugrunde zu legen, während nach bisherigem Recht
bei monatlich gleich hohen Umsätzen sechs' Zwölftel des Gewinns des Wirtschaftsjahres vom 1. Juli 1956 bis zum 30. Juni 1957 zuzüglich sechs Zwölftel des Gewinns des folgenden Wirtschaftsjahres vom 1. Juli 1957 bis zum 30. Juni 1958 der Besteuerung im Veranlagungszeitraum 1957 zugrunde zu legen gewesen wären. Im Jahr des Übergangs zur Neuregelung, 1957, würde also der Gewinn, der auf die Zeit vom 1. Juli 1956 bis zum 31. Dezember 1956 entfällt, zum zweitenmal Bemessungsgrundlage sein, da er bereits für den Veranlagungszeitraum 1956 als Bemessungsgrundlage diente. Hierdurch tritt aber eine finanzielle Benachteiligung des Steuerpflichtigen im allgemeinen nicht ein; denn beiden Veranlagungen werden gleichermaßen nur die Ergebnisse eines zwölf Monate umfassenden Bemessungszeitraums zugrunde gelegt. Lediglich in den Fällen, in denen der Steuerpflichtige nach dem Übergang zu der neuen Regelung den Betrieb aufgibt oder auf ein anderes Wirtschaftsjahr übergeht, würde ihm dadurch ein Nachteil entstehen, daß der Gewinn, der auf die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1956 entfällt, zweimal als Bemessungsgrundlage herangezogen ist; denn der Steuerpflichtige würde nach der Neuregelung zu dem Veranlagungszeitraum des Jahres, in dem er den Betrieb aufgibt, den vollen Gewinn des in diesem Jahr endenden letzten normalen Wirtschaftsjahres zuzüglich des Gewinns der noch bis zum Tag der Betriebsaufgabe verbleibenden Monate zu versteuern haben, während er nach der bisherigen Regelung im Jahr der Aufgabe auch den Gewinn vom 1. Januar dieses Jahres bis zum Tag der Aufgabe zu versteuern hätte. Das Entsprechende gilt, wenn der Steuerpflichtige von einem abweichenden Wirtschaftsjahr auf das Kalenderjahr übergehen würde. Die in diesen beiden Fällen sich ergebende Härte soll beseitigt werden, indem auf Grund der in § 51 Abs. 1 Ziffer 2 Buchstabe a EStG enthaltenen Ermächtigung bestimmt werden soll, daß der Gewinn, der beim Übergang zur Neuregelung zweimal als Bemessungsgrundlage gedient hat, von dem Gewinn des Jahres der Aufgabe des Betriebs oder des Übergangs auf ein anderes Wirtschaftsjahr abgezogen werden kann.
Die Tatsache, daß beim Übergang zur Neuregelung der auf den Zeitraum vom 1. Juli 1956 bis 31. Dezember 1956 entfallende Gewinn zweimal als Bemessungsgrundlage dient, kann auch dann zu einer Mehrbelastung führen, wenn der Gewinn des im Jahr des Übergangs zur Neuregelung ablaufenden abweichenden Wirtschaftsjahres außerordentlich hoch ist. Diese Mehrbelastung gleicht sich jedoch regelmäßig aus, wenn in späteren Wirtschaftsjahren wieder ein höherer Gewinn erzielt wird. Härtefälle dieser Art werden im Einzelfall durch Stundungen beseitigt werden können. Es ist deshalb beabsichtigt, einen Steuermehrbetrag, der sich im Veranlagungszeitraum 1957 ergibt, in der Weise zu stunden, daß je ein Drittel dieses Betrags erst in den folgenden drei Kalenderjahren zu zahlen ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.
— Ich kann es nicht sehen. Bitte, Herr Schild. Ich darf aber darauf aufmerksam machen, nach der Geschäftsordnung sind die Wortmeldungen schriftlich zu machen. Ich gehe gern aus Kulanz auf
etwas anderes ein, unter der Voraussetzung, daß ich es sehen kann. Das Haus ist breiter als tief, und um die Ecke herum zur Regierungsbank kann ich überhaupt nicht sehen.
Dr. Schild (DP [FVP]): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich dem Herrn Staatssekretär erwidern, daß es nach allen Gepflogenheiten dieses Hohen Hauses üblich ist, in der zweiten Lesung Anträge zu stellen, die unter Umständen noch nicht im Ausschuß behandelt worden sind. Aber diese Sache ist im Ausschuß behandelt worden, sonst könnte ja der Ausschuß nicht zu seiner Formulierung gekommen sein, die in der Drucksache 3509 vorliegt. Denn da dreht es sich letztlich um die Ermächtigung, mit Zustimmung des Finanzamtes ein Wirtschaftsjahr zu wählen. Meine Fraktion wünscht ausdrücklich, daß diese Zustimmung des Finanzamtes nicht erforderlich ist für alle diejenigen Vollkaufleute und Minderkaufleute, die ordnungsgemäße Bücher führen und eine entsprechende Rechnungslegung in einem kontinuierlich sich fortsetzenden jährlichen Rahmen durchführen. Es ist aber geradezu eine Diffamierung für die im Handelsregister nicht eingetragenen Gewerbetreibenden, die nach steuerlichen Vorschriften genauso behandelt werden wie die im Handelsregister Eingetragenen, wenn ihnen nicht die Freiheit der Wahl des Wirtschaftsjahres gegeben wird. Wir sind uns darüber klar, daß es sich zahlenmäßig unter Umständen nur um wenige Betriebe handelt; denn das Gros all dieser Betriebe wird mit der Steuer- und Handelsbilanz beim Kalenderjahr bleiben. Wo aber die Situation im einzelnen oder in ganzen Wirtschaftszweigen eine Änderung des Wirtschaftsjahres bedingt und das Kalenderjahr nicht mehr maßgebend sein kann, sollte man diesen Betrieben und Wirtschaftszweigen die Möglichkeit dazu geben. Nichts anderes besagt unser Antrag. Ich bitte noch einmal, die Diffamierung dieser sogenannten Minderkaufleute — die gar keine Minderkaufleute im tatsächlichen, sondern nur noch im formalen Sinne sind — endgültig aufzuheben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungenn liegen nicht vor. — Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf den Umdruck- 1212. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe nunmehr auf Art. 1 Nr. 1 in der Ausschußfassung. Wer dieser Nr. 1 nebst den vorangehenden Einleitungssätzen des Art. 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — .Enthaltungen? — Die Einleitung von Art. 1 und die Nr. 1 sind angenommen.
Ich rufe auf die Nr. 2 in Art. 1. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU auf Umdruck 1175 Ziffer 1 vor. Wird der Antrag begründet? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich stelle den Antrag zur Debatte. — Wortmeldungen liegen dazu nicht vor. Wer der Ziffer 1 dieses Antrages auf Umdruck 1175 zu Nr. 2 von Art. 1 – der Antrag wünscht die Einfügung eines Buchstaben k hinter dem Buchstaben i — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die
Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Zur Nr. 2 in Art. 1 liegt kein weiterer Antrag vor. Dann stelle ich die Nr. 2 mit der soeben beschlossenen Änderung zur Abstimmung. Wer der Nr. 2 mit dem soeben beschlossenen Zusatz zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Darrst ist nunmehr auch diese Nr. 2 angenommen.
Nun liegt ein Antrag der FDP auf Umdruck 1182 Ziffer 1 vor, der in Artikel 1 nach Nr. 2 eine neue Nr. 2 a einzufügen wünscht, ferner ein Antrag der Fraktion der DP auf Umdruck 1176 (neu), der ebenfalls die Einfügung einer neuen Nr. 2 a verlangt, wonach § 10 Absatz 1 eine Ziffer 9 erhalten soll, sowie ein Antrag auf Umdruck 1186 Ziffer 1, ebenfalls von der FDP, eine neue Nr. 2 a ö. Diese Anträge beziehen sich auf den § 10, und zwar die beiden Anträge 1176 (neu) und 1186 auf eine Nr. 9 in § 10 Abs. 1. Sind sich die Antragsteller darüber einig, welches der weitergehende Antrag ist? Darf ich rum die Begründung bitten? — Herr Atzenroth hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag auf Umdruck 1182 ist der weitergehende; wir haben auf Umdruck 1186 einen Alternativantrag gestellt, der sich ungefähr mit dem Antrag der DP deckt. Unser Antrag auf Umdruck 1182, den zu begründen ich die Ehre habe, soll einen Teil der unterlassenen Rentenreform darstellen.
Beim Rentenerhöhungsgesetz ist ein Kreis von Menschen mit höheren Renten bedacht worden. Man hat diesen Personenkreis von der Steuerpflicht für alle Aufwendungen, die er zur Erlangung seiner Renten macht, voll und ganz befreit. Wir haben uns eine Rentenreform seinerzeit" anders gedacht. Das war einer der Hauptgründe, weshalb wir gegen das hier beschlossene Gesetz gestimmt haben. Wir hatten zur Grundlage unserer Betrachtungen ein Wort genommen, das einer Ihrer Minister vor einiger Zeit besonders trefflich formuliert hat. Herr Minister Erhard hat im Frühjahr dieses Jahres wiederholt, was er schon früher gesagt hat: Wir müssen zu einer anderen Geisteshaltung kommen; wir müssen dafür sorgen, daß die Selbstvorsorge des einzelnen Menschen gestärkt wird und daß der einzelne Mensch nicht immer nach dem Staat ruft und die Hilfe des Staates in Anspruch nimmt.
Das ist — ich habe zitiert — Ihr Minister Erhard.
— Das hat er in Godesberg anläßlich eines Besuchs des österreichischen Wirtschaftsministers wörtlich gesagt.
— Ach so; ich bitte um Entschuldigung.
Das ist der Gedanke, der uns bei der Stellung dieses Antrags bewegt hat. Es gibt einen großen Kreis von Menschen, die trotz des letzten Rentengesetzes noch selbst für ihr Alter vorsorgen. Diesen Kreis von Menschen wollen wir durch unsere Anträge begünstigen. Wir wollen diese Menschen, die aus ihren eigenen Kräften Vorsorge leisten, steuerlich nicht schlechter stellen als den Kreis, der von der Sozialversicherung betroffen ist. Wir wollen ihn auch nicht besserstellen, sondern nur eine Gleichstellung vornehmen.
Zu diesem Zweck beantragen wir eine Änderung des § 10 Abs. 3. Es handelt sich z. B. um Personen, die Beiträge für eine Versicherung in voller Höhe selbst zahlen müssen, für die kein Arbeitgeber einen Teil der Beiträge zahlt. Sie könnten über die Grenze der Sonderausgaben hinauskommen. Das soll durch unseren Antrag verhindert werden. Wir wollen so viel steuerfrei lassen wie in der Sozialversicherung. Man kann uns nicht den Einwand bringen, daß wir einen Personenkreis erfassen wollen, der so gut gestellt ist, daß er Beiträge in sehr großer Höhe der Einkommensteuer entzieht. Ein Fall, der uns mehrfach vorgetragen worden ist, betrifft die Mitglieder der gesetzlichen Ärzteversicherung in Bayern, die sich in einer besonders ungünstigen Lage befinden. Wir wollen also — das ist der erste Teil unseres Antrags — die Beiträge, die sie zahlen, in dem Umfange steuerfrei lassen, in dem sie nicht über den Sozialversicherungsbeiträgen liegen.
Ich darf bei dieser Gelegenheit, Herr Präsident, die Punkte 3 und 4 mitbegründen, denn sie sind unabdingbar mit dem ersten verknüpft. Wenn wir nämlich das Einkommensteuergesetz hier ändern, müssen wir logischerweise auch das Vermögensteuergesetz ändern. Denn auch in dem Vermögensteuergesetz ist dieser Personenkreis schlechtergestellt als die Sozialversicherten. Der kapitalisierte Wert aus der Sozialversicherung unterliegt keiner Vermögensteuer. Der kapitalisierte Wert von Verträgen des Personenkreises, den wir hier ansprechen, wird. aber in einem bestimmten Rahmen von der Vermögensteuer erfaßt. Das ist ebenfalls ungerecht. Der dritte Teil unseres Antrags soll diese Ungerechtigkeit beseitigen. Wenn wir die Versicherungen bis zu einer Grenze von 100 000 DM hier anführen, so sind wir davon ausgegangen, daß wir eine monatliche Rente von 500 DM zugrunde legten. Das sind 6000 DM im Jahre. Bei einer Lebenserwartung von 15 Jahren nach dem Zur-
Ruhe-Setzen wären das 90 000 DM, auf 100 000 DM abgerundet.
Schließlich ist eine Änderung des Versicherungsteuergesetzes notwendig, die unter Punkt 4 unseres Antrages gefordert wird.
Unser Antrag entspricht der Gerechtigkeit, der Gleichstellung eines Personenkreises, dessen Belastungen im Rentenversicherungsgesetz verschieden gestaltet worden sind. Hier sollen sie wieder einigermaßen angeglichen werden. Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, wollen Sie auch gleich den Eventualantrag Umdruck 1186 begründen?
Meine Damen unid Herren! Der Eventualantrag auf Umdruck 1186 sieht eine geringere steuerliche Begünstigung für den Fall vor, daß die Mehrheit dieses Hauses unseren ersten Vorschlägen nicht zustimmt. Nach Punkt 1 soll nur die Hälfte der Beiträge der Berufsangehörigen, die zu Versicherungs- oder Versorgungseinrichtungen einer Berufsgruppe im Sinne des § 7 usw. geleistet werden, steuerfrei bleiben. Hier ist also die steuerliche Begünstigung wesentlich geringer. Wir haben
es aber als Eventualantrag für den Fall beantragt, daß das Hohe Haus unserem ersten Antrag nicht zustimmt, den wir jedoch für den allein gerechten halten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird der Antrag Umdruck 1176 zu Ziff. 1 begründet? — Bitte, Herr Kollege Berg!
Dr. Berg : Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei meiner Begründung kann ich mich im wesentlichen auf die Ausführungen des Kollegen Atzenroth stützen, da, wie er selbst bereits betont hat, der Umdruck 1186 und der Umdruck 1176 (neu) in wesentlichen Punkten übereinstimmen. Ich möchte hier nur sagen, warum wir von der Deutschen Partei und der Freien Volkspartei uns von vornherein mit dem bescheideneren Antrag begnügt haben. Es ist eine verhältnismäßig einfache Sache. Wir sind der Meinung, daß wir mit dem weitergehenden Antrag der FDP eine erhebliche Änderung des Finanzvolumens dieses Gesetzes herbeiführen und dann auf dem Wege über den § 96 a der Geschäftsordnung das gesamte Gesetz ernsthaft gefährden würden. Das ist einer der wesentlichen Gründe. Im Grunde genommen soll dieser unser Antrag nur ein Anfang in der Angleichung der in der Entwicklung zurückgebliebenen freien Berufe an die Sozialversicherten sein. Er soll der Anfang dafür sein, daß die freien Berufe in ihren Versicherungsaufwendungen genau die gleichen Steuervorteile genießen wie die Sozialversicherten auch. Wir haben uns allerdings auf die Hälfte der Beiträge beschränkt, weil diese Hälfte sinngemäß dem Arbeitgeberanteil in der Sozialversicherung entspricht. Die andere Hälfte unterliegt ja in bezug auf ihre Anrechnung bei den Sonderausgaben den gleichen Bedingungen wie auch bei den freien Berufen.
Den Zusatz „sofern die Beiträge von den Versicherten allein aufzubringen sind" zu begründen, erübrigt sich wohl. Er ist gesetzessystematisch notwendig.
Zur Begründung der Vergünstigungen hinsichtlich der Vermögensteuer und der Versicherungsteuer ist das Notwendige ebenfalls bereits von dem Kollegen Atzenroth gesagt worden.
Ich betone, unser Antrag stellt nur einen Anfang von dem dar, was wir im Grunde wollen. Im Grunde wollen wir eine weitere und energischere Begünstigung der freien Berufe im Rahmen des § 10 des Einkommensteuergesetzes; aber das wird sich in dieser Legislaturperiode leider nicht mehr in diesem Umfange durchführen lassen.
Ich bitte um Annahme unseres Antrages.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Lindrath.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag auf Umdruck 1182 von der Fraktion der FDP, den der Herr Kollege Atzenroth soeben begründet hat, ist zweifellos der weitestgehende Antrag. Er würde bedeuten, daß der an sich schon völlig unübersichtliche § 10 des Einkommensteuergesetzes eine weitere Komplikation schlimmster Art erhält. Er würde bedeuten, daß das Höchstbetragssystem für die Sonderausgaben praktisch noch ausgeweitet bzw. völlig zerstört wird. Darüber hinaus würde dieser Antrag, wie der Herr Kollege Dr. Berg auch schon ausgeführt hat, eben doch ein Antrag sein, der den Vorschriften des § 96 der Geschäftsordnung unterliegt; er müßte also noch einmal an den Haushaltsausschuß zurückverwiesen werden.
Meine Fraktion sieht sich daher nicht in der Lage, diesem Antrag auf Umdruck 1182 zuzustimmen. Wir werden den Antrag ablehnen, um das Gesetzgebungswerk nicht unnötig zu verzögern, sosehr uns das grundsätzliche Anliegen, das hier auch zum Ausdruck gekommen ist, nämlich die Förderung der freien Berufe hinsichtlich ihrer Altersversorgung, ebenfalls am Herzen liegt, das Anliegen, sie etwa mit den Rentenversicherungen der Angestellten gleichzustellen.
Das gleiche gilt aber auch für die eingeschränkten Anträge Umdruck 1182 von der FDP und Umdruck 1176 von der DP (FVP), die ja im wesentlichen übereinstimmen. Diese beiden Anträge haben zusätzlich noch den Nachteil, daß hier nur eine kleine Gruppe von Personen herausgenommen wird, die eine Begünstigung bekommen sollen, nämlich die Personen, die durch die neue Rentengesetzgebung sozialversicherungspflichtig geworden sind, weil sie sich im Angestelltenverhältnis befinden und weil jetzt die Grenze für die Angestelltenversicherungspflicht von 750 DM auf 1250 DM erhöht worden ist. Nur diese kleine Gruppe sollte herausgenommen werden. Das erscheint uns nicht möglich und hat auch bei den berufsständischen Kreisen selbst Ablehnung erfahren.
Wir möchten deshalb, daß diese Dinge grundsätzlich geregelt werden. Das läßt sich aber, wie gesagt, jetzt nicht mehr machen. Diese Anregung ist sehr kurzfristig jetzt hier eingebracht worden. Wir werden daher in der dritten Lesung eine etwas stärker fundamentierte und begründete Entschließung einbringen, um den grundsätzlichen Wünschen, die hier zum Ausdruck gekommen sind, Rechnung zu tragen. Im übrigen wird meine Fraktion die drei Umdrucke 1182, 1186 und 1176 ablehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Herr Hartmann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich den Ausführungen, die der Herr Abgeordnete Dr. Lindrath gemacht hat, nur anschließen. Auch hier muß ich den Einwand bringen, daß es doch vielleicht sachlich richtiger gewesen wäre, eine so komplizierte Angelegenheit — in allen Einzelheiten scheint sie nämlich noch gar nicht klar zu sein — rechtzeitig in den Finanzausschuß zu bringen. Herr Dr. Schild hat soeben darauf hingewiesen, daß das Recht, in der zweiten oder dritten Lesung Anträge einzubringen, nicht beeinträchtigt werden dürfe. Rechtlich ist das ganz klar; aber es handelt sich hier um die sachliche Zweckmäßigkeit.
Der Finanzausschuß hat sich in einer ganz großen Anzahl von Sitzungen sehr ausführlich und sehr genau mit diesem Gesetzentwurf befaßt. Vielleicht wäre es möglich gewesen, im Finanzausschuß zu einer gewissen Verständigung über das zu kommen, was an einem berechtigten Rest in den Anträgen steckt, wie es ja auch der Entschließungsent-
wurf zur Prüfung bringen will. Aber ,einer Annahme dieser Anträge hier würde ich ganz entschieden widerraten.
Es ist hier schon von Herrn Dr. Berg auf den § 96 der Geschäftsordnung hingewiesen worden. Ich muß noch einen anderen Punkt hier nennen, der vielleicht auch noch ein anderes Mal oder zweimal in der heutigen Debatte eine Rolle spielen wird, nämlich die voraussichtliche Stellungnahme des Bundesrates. Wir sind keine Propheten; aber es wäre doch wohl sehr erwünscht, daß dieses wichtige und umfangreiche Gesetz .bei der vorgeschrittenen Zeit auch die Zustimmung des Bundesrates findet, ohne daß dieser den Vermittlungsausschuß anrufen müßte. Ich darf mir vielleicht erlauben, diese allgemeine Bemerkung nicht nur zu diesen Anträgen zu machen. Ich wäre im Interesse des baldigen Zustandekommens dieses Gesetzes dankbar, wenn bei den Beratungen und Abstimmungen am heutigen Nachmittag auch immer im Auge behalten werden könnte, daß das Gesetz bereits hier eine Form bekommt, die dem Bundesrat die Zustimmung ermöglicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Wir sind es in achtjähriger Tätigkeit in diesem Hause gewohnt, gerade von dem Herrn Bundesfinanzminister Belehrungen zu erhalten. Aber wir müssen es bei jeder Gelegenheit wieder zurückweisen, daß uns der Herr Minister oder sein Staatssekretär Vorschriften oder Vorschläge macht, wie und wann wir Anträge einbringen.
Wenn die Meinung des Herrn Staatssekretärs richtig wäre, dann ,dürften in einer zweiten Lesung keine Anträge mehr 'eingebracht werden, weil man sie ja im Ausschuß hatte stellen können. Herr Staatssekretär, gerade dazu ist die zweite Lesung da, daß vor aller Öffentlichkeit Anträge gestellt werden. Hier kann die Öffentlichkeit ,erfahren, was gefordert wird und was abgelehnt wird; im Ausschuß nicht. Das ist der entscheidende Punkt.
— Nein, Herr Krammig, in diesem Fall fasse ich mich nicht kurz, sondern ich werde mit aller Deutlichkeit sagen, was hierzu zu bemerken ist.
Man kann in bezug auf den Personenkreis, der hier betroffen wird, nicht sagen, zu dieser Forderung liege nur ein Rest von Berechtigung vor, sondern hier liegt volle Berechtigung vor. Herr Staatssekretär, der Herr Bundesfinanzminister hätte bei der Rentenreform diese Vorschläge von sich aus dem Hohen Hause vortragen müssen. Es ist ja nicht die Aufgabe der Abgeordneten, mit diesen Dingen zu kommen, sondern es ist eine Aufgabe des Finanzministers, für die Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu sorgen. Der Sinn unserer Anträge ist doch der, die Ungleichmäßigkeit der Besteuerung zu beseitigen. Sie können also nicht damit kommen, daß wir diese Anträge erst in letzter Minute einbringen. Wir bringen sie deswegen jetzt ein, weil ein Versäumnis des Bundesfinanzministers vorliegt.
Herr Dr. Lindrath schlägt nun vor, uns mit der Annahme einer Entschließung in der dritten Lesung zu begnügen. Die betroffenen Kreise werden sich darüber nicht freuen. Ich darf daran erinnern, was mit Entschließungen in diesem Hohen Hause bisher passiert ist. Entschließungen, die Wünsche an die Adresse der Bundesregierung beinhalten, sind niemals zum Zuge gekommen.
— Ich will es einschränken; es könnte schon einmal der Fall gewesen sein. Aber gerade der Herr Bundesfinanzminister ist es gewesen, der von diesem Platz aus gesagt hat: Entschließungen binden mich in keiner Weise, sondern nur Gesetze, die dieses Hohe Haus macht; Entschließungen brauche ich nicht zu befolgen.
Der Einwand mit dem § 96 ist so oft vorgetragen worden, daß er in diesem Hause langsam an Glaubwürdigkeit verliert. Ich habe es noch nicht erlebt, daß der Herr Bundesfinanzminister tatsächlich von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, wenn er davon gesprochen hat, daß der Etat ein zu großes Ausmaß angenommen habe. Er hätte so oft Gelegenheit gehabt, von seinem Einspruchsrecht Gebrauch zu machen. Aber er kommt immer dann damit, wenn eine Oppositionspartei einen Antrag stellt, der ihm nicht in sein Konzept paßt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei diesen drei Anträgen handelt es sich darum, daß bestimmte Versicherungsbeiträge, deren Abzugsfähigkeit als Sonderausgaben vollständig außer Frage steht, außerhalb der Höchstbeträge für solche Sonderausgaben abgerechnet werden sollen. Was den in der Tat weitestgehenden Antrag auf Umdruck 1182 anlangt, der diese Frage für sämtliche Versicherungsbeiträge, sowohl Sozialversicherungsbeiträge als auch Beiträge für Krankenversicherungen und private Lebensversicherungen, anschneidet, so wirft er, wie auch hier schon zum Ausdruck gebracht worden ist, eine Frage auf, die vom nächsten Bundestag im Anschluß an die Regelung der Rentenversicherung geklärt werden muß und durchaus beherzigenswert ist. In der vorliegenden Form — da schließe ich mich meinen Vorrednern an — kann der Antrag jetzt nicht verabschiedet werden. Erstens liegt überhaupt keine Kalkulation über den Ausfall vor, der immerhin nennenswert sein dürfte. Sodann brauche ich nur die Frage zu stellen, wie denn festzustellen ist, z. B. bei einer privaten Lebensversicherung eines Selbständigen, was bei Bestehen einer Versicherungspflicht zu zahlen gewesen wäre, um darzutun, daß er in dieser Form überhaupt nicht praktikabel ist.
Eine Bemerkung zu Ihnen, Herr Kollege Atzenroth! Sie können Ihre Anträge zweifellos anbringen, wann Sie wollen. Aber ich glaube, wenn Sie mit Ihrem Antrag nicht nur eine Demonstration erzielen wollen, sondern Erfolge, dann wäre es ratsam, Anträge mit der Vorbereitung und zu dem Zeitpunkt einzubringen, daß sie sachgemäß behandelt werden können. Ich möchte annehmen, daß eine sorgfältige Arbeit in solchen Dingen auch dem Kreis, auf den Sie Eindruck zu machen wünschen,
einen besseren Eindruck machen würde. Wir sind also nicht in der Lage, diesem Antrag zuzustimmen. Ich habe deswegen auch von mir aus keine Veranlassung, eine Reihe von Unrichtigkeiten und Mißverständlichkeiten, Behauptungen einer erforderlichen Gleichstellung oder ähnliches, die vorgetragen worden sind, richtigzustellen.
Was die in der Praxis gleichlautenden Anträge Umdruck 1176 und den Eventualantrag Umdruck 1198 anlangt, so möchte ich klarstellen, daß die Anträge in der Fassung, in der sie eingereicht worden sind, übrigens auch nicht den Wünschen der Verbände der freien Berufe entsprechen, sondern bestimmte Versicherungen ins Auge fassen, die für die Angestellten der freien Berufe, nicht für die freien Berufe selbst, bestimmt sind. Auch da handelt es sich bei den Antragstellern offenbar um ein vollständiges Mißverständnis. In der Praxis wären derartige Anträge für eine Weiterversicherung bei ganz bestimmten, nicht einmal den gewöhnlichen Ärzte- und Anwaltsversicherungen, sondern bei ganz bestimmten Spezialversicherungen von Bedeutung. Es würde sich nicht um eine Gleichstellung handeln, sondern darum, daß die Weiterversicherung von Leuten, die einmal in einem Angestelltenverhältnis gewesen sind, bei einigen speziellen Versicherungen anders und zwar besser behandelt würde ais bei der Weiterversicherung in der Sozialversicherung oder der freien Versicherung überhaupt. Also es handelt sich um keine Gleichstellung, sondern um eine in dieser Form denkbarerweise kaum gewollte Begünstigung ganz bestimmter Versicherungen sowohl vor der Sozialversicherung als auch der freien Versicherung.
Wir sehen uns deswegen ebenfalls nicht in der Lage, diesen Anträgen zuzustimmen. Dem Entschließungsantrag Umdruck 1198 — das kann ich gleich sagen — werden wir zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Kammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir liegt es vollkommen fern, Herrn Kollegen Dr. Atzenroth eine Belehrung erteilen zu wollen. Aber wenn er davon sprach, daß hier nicht von § 96 der Geschäftsordnung gesprochen werden sollte, weil der Herr Bundesfinanzminister damit zwar schon immer gedroht, aber nie davon Gebrauch gemacht habe, so liegt offenbar eine Verwechslung mit Art. 113 des Grundgesetzes vor. § 96 (neu) hat sich der Bundestag in weiser Selbstbeschränkung selbst auferlegt, und er ist ex officio verpflichtet, von § 96 (neu) seiner Geschäftsordnung Gebrauch zu machen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Ich stelle zunächst als weitestgehenden Antrag den Antrag auf Umdruck 1182 Ziffer 1 zur Abstimmung. Wer für diesen Antrag zu stimmen wünscht — es ist der Antrag, den Kollege Atzenroth begründet hat —, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen dann zu dem Antrag Umdruck 1176 Ziffer 1 und dem Antrag Umdruck 1186 Ziffer 1. Beide stimmen im wesentlichen überein mit dem einen Unterschied, daß auf Umdruck 1176 (neu) unter Ziffer 1 in der Nr. 9 der Zusatz gemacht ist:
sofern die Beiträge von den Versicherten allein aufzubringen sind.
Dieser Zusatz fehlt in dem Antrag der FDP. Demgemäß ist der Antrag der FDP der weitergehende. Ich stelle zuerst ihn zur Abstimmung.
Wer dem Eventualantrag Umdruck 1186 Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich stelle dann den weniger weitgehenden Antrag der DP auf Umdruck 1176 (neu) Ziffer 1 zur Abstimmung, der den Zusatz enthält:
sofern die Beiträge von den Versicherten allein aufzubringen sind.
Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Auch dieser Antrag ist abgelehnt. Die Anträge, eine Nr. 2 a einzufügen, sind damit sämtlich abgelehnt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu Nr. 3 des Art. 1 sind Änderungsanträge nicht gestellt. Wer der Nr. 3 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit verabschiedet.
Ich rufe Nr. 4 und dazu die Anträge Umdrucke 1189, 1182 Ziffer 2, 1175 Ziffer 2 und 1204 auf. Ich lasse die Anträge in der Reihenfolge begründen, wie ich sie aufgerufen habe. Wer begründet den Antrag Umdruck 1189? — Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Lindrath.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Umdruck 1189 enthält im wesentlichen nur eine Klarstellung des Begriffs „Berichtigungsveranlagungen" im Sinne der Neuregelung des Ehegattenbesteuerungsrechts. Da der Beschluß des Karlsruher Gerichts an die Rechtskraft der Steuerveranlagungen knüpft und bei Steuerbescheiden von einer doppelten Rechtskraft insofern gesprochen werden kann, als an sich auch schon rechtskräftig gewordene Bescheide durch Berichtigungsveranlagung wieder aufgerollt werden können, mußte hierzu im Gesetz etwas gesagt werden. Für diese Frage kommen allerdings nur Berichtigungsveranlagungen im Sinne der §§ 218 und 222 der Abgabenordnung zum Zuge. Es gibt aber auch noch Berichtigungsveranlagungen aus anderen Anlässen, 'beispielsweise aus Anlaß der D-Mark-Eröffnungsbilanzen, auch im Falle des § 96 der Abgabenordnung.
Diese Berichtigungsveranlagungen sollen ausgeschieden werden. Deshalb haben wir den Änderungsantrag eingereicht, um hier für die Praktizierung dieses schwierigen Rechtsgedankenguts die in der Praxis notwendige Klarheit zu schaffen. Außerdem haben wir in den Daten noch einige Änderungen vorgenommen, insbesondere den Satz eingefügt:
Das gleiche gilt für vor dem 21. Februar 1957 erlassene Steuerbescheide für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1957, gegen die wegen der Zusammenveranlagung der Ehegatten form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde eingelegt worden ist.
Hierdurch ermöglichen wir dem Bundesverfassungsgericht, einige dort noch anhängige Verfah-
ren schnell zu erledigen. Ich bitte deshalb, diesem Antrag zu entsprechen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wer begründet den Antrag der FDP Umdruck 1182 Ziffer 2? — Abgeordneter Dr. Miessner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist die ganze Nr. 4 aufgerufen. Diese Nummer enthält nun allerdings mehrere Probleme zur Ehesteuer, bezüglich derer, wie ich glaube, auch eine getrennte Begründung erfolgen sollte. Ich glaube nicht, daß es dem sachlichen Verständnis gut tut, wenn wir das jetzt alles zusammenziehen.
Wir von der Freien Demokratischen Partei haben schon im 1. Bundestag durch unsere Kollegin Frau Dr. Ilk 'die Zusammenveranlagung der Ehegatten für verfassungswidrig erklärt. Dann ist anläßlich der Neufassung des § 26 des Einkommensteuergesetzes im Jahre 1954 von unserer Kollegin Frau Dr. Lüders der Begriff der sogenannten „Ehestrafsteuer" geprägt worden; dieser Begriff ist ja auch in die Öffentlichkeit eingegangen. Nachdem wir in diesem Hause mit unseren Gedanken nicht hatten durchdringen können, kam uns eine Hilfe von Karlsruhe; die Zusammenveranlagung ist nun durch unser höchstes Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden.
Wir sind der Meinung, das hätte zur Folge haben sollen, daß man das Splitting nach dem amerikanischen Muster einführt. Es ist uns in den Ausschußberatungen nicht 'gelungen, diesen Gedanken schon jetzt durchzusetzen. Allerdings darf ich wohl sagen, daß fast alle Mitglieder im Ausschuß im Grunde der Meinung waren, daß das Splitting letztlich die allein gerechte Regelung für alle verschiedenen Fälle der Ehegattenbesteuerung ist.
Wenn es sich auch bei dem heute zu verabschiedenden Steueränderungsgesetz nur um eine Übergangsregelung handelt, so muß man doch versuchen, 'dem Grundsatz der steuerlichen Gerechtigkeit wenigstens einigermaßen Rechnung zu tragen. Da war es die allgemeine Auffassung — das ist wohl das Problem Nr. 1 —, daß den Eheleuten, die nicht die Möglichkeit haben, der Steuerprogression in den höheren Einkommenstarifen durch getrennte Veranlagung zu entgehen, dafür zum Ausgleich ein erhöhter Freibetrag zu gewähren ist. Es geht heute um die Frage der Höhe dieses Freibetrages. Es wird jedem einleuchten, daß derjenige, der die Möglichkeit hat, sein Einkommen mehr oder weniger auf zwei Personen aufzuteilen, einen Vorteil hat. Entfallen beispielsweise bei einem Einkommen von 15 000 DM 9000 auf den Mann und 6000 DM auf die Frau, so werden mindestens 1000 DM an Einkommensteuer gespart gegenüber demjenigen, der diese 15 000 DM in einer Summe zu versteuern hat. Hier geht es um den Ausgleich. Wir sind der Meinung, daß dieser Ausgleich dadurch gefunden werden könnte, daß der Freibetrag, der zur Zeit bei der Zusammenveranlagung für Ehegatten zusätzlich 250 DM jährlich beträgt, auf mindestens 100 DM im Monat, also 1200 DM im Jahr, festgesetzt werden muß. Es war nicht möglich, für diesen Betrag im Ausschuß eine Mehrheit zu finden. Der Ausschuß hat sich aber gerade unter dem Eindruck unserer Argumente immerhin zu einer Erhöhung von 250 DM auf 720 DM entschlossen. Für mindestens drei Viertel aller Steuerpflichtigen ist die Frage der Höhe des Freibetrages von außerordentlicher Bedeutung; ich möchte sagen, für drei Viertel dieser Steuerzahler ist dies letztlich die einzige positive Auswirkung des Karlsruher Urteils. Dazu gehören alle die Einkommensbezieher, die als Angestellte, Arbeiter oder Beamte tätig sind, ohne daß die Ehefrau ein Einkommen bezieht. Es gehören ferner aber auch dazu die Ehepaare, bei denen die Frau nur gelegentlich einmal im Geschäft mithilft und diese Mithilfe nicht als so stark angesehen werden kann, daß sich daraus eine getrennte Veranlagung ergibt.
Der Betrag von 720 DM, auf den wir im Finanz- und Steuerausschuß und vorher im Unterausschuß „Ehegattenbesteuerung" gekommen sind, war, nachdem der von mir namens der FDP vorgeschlagene Betrag von 1200 DM abgelehnt worden war, ein Vorschlag des Vorsitzenden des Unterausschusses, des Kollegen Dr. Lindrath von der CDU. Seine Begründung war eigentlich ganz plausibel. Er sagte: Wir müssen den Freibetrag für die Eheleute doch wenigstens so weit erhöhen, daß wir ihn wenigstens auf die Höhe des Freibetrages für das erste Kind bringen. So kam es auf Grund eines einstimmigen Beschlusses des Ausschusses zu dem § 26 d der Vorlage, der einen Freibetrag von 720 DM vorsieht, nachdem unser weitergehender Antrag auf 1200 DM vorher abgelehnt worden war.
Die CDU beantragt nun heute — dieser Antrag ist, glaube ich, von Ihnen, Herr Lindrath, noch nicht begründet worden —,
den Freibetrag auf 600 DM herabzusetzen. Ich finde das wirklich ungeheuerlich. Es handelt sich hier um den Kernpunkt der Übergangsregelung zur Ehegattenbesteuerung. Die Beratungen waren doch im wesentlichen von einer ziemlichen Einmütigkeit getragen, und wir haben sie — ich möchte sagen — in größtmöglicher Harmonie beendet. Aber gerade darum ist es für uns sehr überraschend, daß man daran hinterher wieder rührt und den Betrag auf 600 DM herabsetzen will.
Wir verwahren uns ganz entschieden dagegen und bleiben bei unserem Antrag auf Erhöhung des Freibetrages auf 1200 DM. Wir bitten Sie, meine Damen und Herren, aber mindestens für die Beibehaltung des Freibetrages von 720 DM zu stimmen, den die Ausschußvorlage vorgesehen hat. Ich betone nochmals, diese Ausschußvorlage ist einstimmig von Ballen Kollegen des Hauses, die in dem Ausschuß mitgearbeitet haben, angenommen worden. Ich machte insbesondere auch die Kollegen aufrufen, die hier mittelständische Interessen vertreten wollen. Denken Sie daran, meine Kollegen, daß es in sehr vielen Fällen Streit mit dem Finanzamt darüber geben wird ,ob der mittelständische Gewerbebetrieb die Möglichkeit hat, für die Ehefrau des Mittelständlers ein gesondertes Gehalt anzusetzen. In sehr vielen Fällen wird das nicht der Fall sein, nämlich dann nicht, wenn die Frau nur eine gelegentliche Mithilfe, aber nicht eine ständige Mitarbeit leistet. Dann ist es gerade auch für diese Kreise entscheidend, wie hoch der Freibetrag heute von uns festgesetzt wird.
Herr Präsident, darf ich fragen, ob ich auch den anderen Punkt unseres Antrags noch begründen, soll oder ob erst die Debatte über den ersten Punkt geführt und dann erst der andere Antrag begründet werden soll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eigentlich muß ich die einzelnen Nummern und die zu den Nummern
vorliegenden Änderungsanträge aufrufen. Ich bitte Sie aber, Ihren Änderungsantrag auf Umdruck 1204 zu § 26 a Abs. 1 noch zu begründen, weil ich die Debatte dann zusammenfassend führen lassen wollte.
Der Änderungsantrag auf Umdruck 1204 betrifft den § 26 a, in dem auch ein Kernproblem angesprochen wird. Der Satz 1 des Abs. 1 des § 26 a lautet nach der Ausschußvorlage:
Bei getrennter Veranlagung der Ehegatten sind jedem Ehegatten die von ihm bezogenen Einkünfte zuzurechnen.
Hier erhebt sich insbesondere die Frage, inwieweit hier die Rückwirkung für die Jahre 1956 und 1957 gegeben ist. Es unterliegt keinem Zweifel, daß ein Gewerbetreibender — nehmen wir einmal den Bäckermeister, dessen Frau den Ladenbetrieb versieht — nach dem Karlsruher Urteil in der Lage ist, mit seiner Frau eine Vereinbarung dahin zu treffen, daß sie, sagen wir, monatlich 400 oder 500 DM für ihre Mitarbeit in seinem Betrieb erhält.
— Den kann er jetzt ja schließen.
— Es handelt sich hier um steuerliche Bestimmungen.
— Es unterliegt keinem Zweifel, daß in Zukunft diese Möglichkeit gegeben ist. Das ist ja gerade der Sinn des Karlsruher Urteils, wobei ich noch darauf hinweisen möchte, daß das Entgelt, das der Bäckermeistersfrau eingeräumt werden kann, nicht unbedingt mit dem Entgelt gleichzusetzen ist, das eine Verkäuferin bekommt. Es kann durchaus höher sein; denn schließlich versieht die Bäckermeistersfrau im Laden auch noch gewisse Aufsichtspflichten, und sie hat die Kasse. Sie hat zusätzlich auch eine gewisse Vertrauensstellung.
Es taucht also die steuerrechtliche Frage auf, ob dieser Bäckermeister bei den Veranlagungen für die Jahre 1956 und 1957, die ja noch ausstehen, geltend machen kann: Meine Frau arbeitet schon seit zehn Jahren in meinem Geschäft mit; ich verlange nun für die Jahre 1956 und 1957 die Berücksichtigung eines entsprechenden Entgeltes für meine Frau und beantrage getrennte Veranlagung. Das ist das Problem. Nach meiner Auffassung, die ich auch im Ausschuß zum Ausdruck gebracht habe, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß dieser Bäckermeister so argumentieren kann. Es kann ihm doch nicht ernsthaft eingewandt werden: Du darfst das nicht, weil du keinen Vertrag mit deiner Frau hattest. Denn warum sollte er bisher einen Vertrag mit seiner Frau schließen, wenn das steuerlich völlig irrelevant war?
Da sich aber diese Dinge aus dem Gesetzestext nicht völlig zweifelsfrei ergeben und man schließlich gewisse Erfahrungen hat, daß die Finanzämter die Bestimmungen zunächst einmal eng auslegen werden, d. h. eine solche Rückbeziehung vermutlich ablehnen werden, erscheint es uns zweckmäßig, dies in dem Gesetzestext klarzustellen.
Darum haben wir beantragt, in § 26 a hinter dem ersten Satz, nach dem jedem Ehegatten die von ihm bezogenen Einkünfte zuzurechnen sind, einen zweiten Satz einzufügen, der wie folgt lautet:
Die Anerkennung eines Arbeitsentgelts für die Mitarbeit eines Ehegatten bei der Erzielung von Einkünften des anderen Ehegatten in der Vergangenheit wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß ein Arbeitsentgelt bisher nicht vereinbart war.
Nur wenn dieser Satz hier eingefügt wird, sind wir sicher, daß es über die Frage der Rückwirkung auf die jetzt noch zur Veranlagung anstehenden Jahre 1956 und 1957 keinen Streit mit den Finanzämtern gibt.
Zu dem zweiten Satz des § 26 a Abs. 1 der Ausschußvorlage möchte ich in diesem Zusammenhang noch einige Bemerkungen machen. Dort heißt es:
Einkünfte eines Ehegatten sind nicht allein deshalb zum Teil dem anderen Ehegatten zuzurechnen, weil dieser bei der Erzielung der Einkünfte mitgewirkt hat.
Das ist eine erhebliche Einschränkung für die Gewerbebetriebe, in denen die Frau mitarbeitet, diese Mitarbeit aber vielleicht nicht in feste juristische Formen gekleidet oder diese Mitarbeit nur eine gelegentliche Mithilfe ist. Nicht jede nur lose gelegentliche Mithilfe der Frau kann bereits als echte Mitarbeit angesehen werden, und daraus kann nicht ein Anspruch auf Entgelt und weiter folgernd ein solcher auf getrennte Veranlagung hergeleitet werden. Ich möchte aber meinerseits klarstellen, daß in jedem Fall, wo die Frau tatsächlich mitarbeitet, die Ehegatten die Möglichkeit haben, dafür ein Entgelt anzusetzen und dementsprechend getrennte Veranlagung zu verlangen.
Um noch einmal auf den Freibetrag zurückzukommen, so verwundert es mich, daß der Familienminister nicht in die Beratungen des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen eingegriffen hat. Herr Minister Wuermeling, Sie hätten an sich hier Gelegenheit finden können, sich für die Erhöhung des Freibetrages einzusetzen. Ich nehme aber an, daß Sie sich heute mindestens für die Beibehaltung des vom Ausschuß beschlossenen Freibetrags von 720 DM einsetzen; denn dieser Freibetrag betrifft ganz ausgesprochen Ihre Schützlinge, nämlich Familien mit drei, vier und fünf Kindern, wo die Frau durch das Großziehen der Kinder gar nicht in der Lage ist, selbständig noch einem Erwerb nachzugehen. Gerade diese Ehen werden sehr benachteiligt, wenn nicht ein gewisser Ausgleich — ein völliger Ausgleich ist das ohnehin nicht — durch einen ausreichenden Freibetrag gewährt wird. Ich darf das zustimmende Nicken des Herrn Familienministers wohl dahin deuten,
daß er hier quasi geistig und körperlich an meiner Seite steht und mindestens für den Betrag von 720 DM kämpft.
Ich wollte eigentlich sagen: Hier müßte der Herr Minister Wuermeling auf die Barrikaden;
aber da er freundlich genickt hat, möchte ich mich nicht so ausdrücken.
Ich darf Sie also bitten, hinsichtlich dieser beiden grundsätzlichen Probleme unseren Anträgen zuzustimmen, einmal bezüglich der Frage des Freibetrags — es also mindestens bei den 720 DM der Ausschußvorlage zu belassen — und zum andern bezüglich der Klarstellung, daß in den genannten Fällen der Mitarbeit — das Beispiel der Bäckersfrau — das Arbeitsentgelt auch für die vergangenen Jahre 1956 und 1957 mitgerechnet werden kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort zur Begründung des Umdrucks 1175 hat der Abgeordnete Dr. Lindrath.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Antrag auf Umdruck 1175 Ziffer 2 beantragt meine Fraktion, den Freibetrag von 720 DM auf 600 DM herabzusetzen. Die Begründung gibt mir Veranlassung, gleichzeitig — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — zu dem Antrag und den Ausführungen meines Vorredners, des Herrn Kollegen Miessner, Stellung zu nehmen, der zur Begründung des Umdrucks 1182 Ziffer 2 gesprochen und eine Heraufsetzung dieses Freibetrags gewünscht hat. Er hat die Vorgänge im Unterausschuß Ehegattenbesteuerung und im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen richtig dargestellt, und ich bekenne mich auch dazu, daß ich es selbst gewesen bin, der seinerzeit den Betrag von 720 DM in Übernahme des Kindergeldfreibetrags für das erste Kind genannt hat.
Ich aber darf ergänzend bemerken, daß dieser Betrag, über den in den Ausschussen sehr viel diskutiert worden ist. immer mehr oder weniger ein gegriffener Beitrag war. Der Grundgedanke und die Bedeutung des Ehegattensteuerungsrechts liegt ach nicht primär in dem Freibetrag, sondern das, was wir hier geschaffen haben, hat seine primäre und grundsätzliche Bedeutung darin, daß dem Steuerpflichtigen das Recht gewährt wird, zwischen der Getrenntveranlagung, der Zusammenveranlagung und einer eingeschränkten Zusammenveranlagung zu wählen. Außerdem haben wir, weil in den Fällen, in denen die beiden Ehegatten ein einheitliches Einkommen haben, eine getrennte Veranlagung eben deshalb nicht durchgeführt werden kann, weil man rein zahlenmäßig nicht weiß, welcher Anteil des Einkommens auf den Ehemann und welcher Anteil auf die Ehefrau entfällt, für diese Fälle Manipulierungsmöglichkeiten geschaffen. Wir haben nämlich entgegen den Wünschen meiner Freunde die Möglichkeit geschaffen, zwischen Mann und Frau eine Art Arbeitsverhältnis oder — was uns noch angenehmer ist — eine Art Gesellschafterverhältnis zugrunde zu legen, wobei dann die Ehegatten vereinbaren können, welcher Teil auf jeden der beiden entfällt. Dabei haben wir nur die Einschränkung gemacht, daß derartige Verträge echt gemeint sein müssen, d. h. sie müssen so abgeschlossen werden, wie das auch zwischen Fremden der Fall wäre.
— Schön. — Es muß aber auch nach der wirtschaftlichen und finanziellen Seite der Inhalt dieses Verhältnisses irgendwie dargelegt werden,
einfach damit der Steuerbeamte weiß, welchen Teil er wem zurechnen soll.
Deswegen hatten wir nach einer Möglichkeit gesucht, dieses Auseinanderrechnen zu vermeiden, und haben eine solche Möglichkeit in der Gewährung eines Freibetrags gefunden. Dieser Freibetrag soll nicht einer Entlohnung der Ehefrau gleich sein oder dem Wert ihrer Arbeit gleichgesetzt werden. Er hat einen anderen Charakter. Der Freibetrag schneidet von dem Gesamteinkommen in der Spitze einen Betrag ab und vermindert damit die Wirkung der Progression unseres Tarifs. Damit wird erreicht, daß letzten Endes die Steuer bei einer Zusammenveranlagung, im Schnitt gesehen, nicht höher ist als bei einer getrennten Veranlagung.
Wenn der von Herrn Kollegen Miessner angeführte Bäckermeister beispielsweise seiner Ehefrau durch einen Vertrag 3000 DM als Einkommen zubilligt — um eine Zahl zu nennen —, dann sind diese 3000 DM kein Freibetrag. Die 3000 DM sind selbstverständlich nach Steuerklasse I zu versteuern. Wenn hingegen diese 3000 DM zu dem Einkommen des Bäckermeisters von, sagen wir, 6000 DM hinzukämen, dann würden von den 9000 DM 720 DM frei gelassen, so daß er um 720 DM niedriger veranlagt würde. Dieser Freibetrag soll also die Progression mildern. Wenn man diese Beträge in Tabellen durchrechnet — das kann nur im Schnitt geschehen —, dann kommt man etwa zu demselben Ergebnis. So waren wir in den Ausschüssen zu einem Betrag von 720 DM gekommen.
Später hat sich herausgestellt, daß der durch einen solchen Freibetrag verursachte Ausfall außerordentlich hoch wäre. Insofern gebe ich Ihnen recht, Herr Kollege Miessner; das ist natürlich das finanzielle Kernstück der Ehegattenbesteuerung. Denn allein der Ausfall bei einem Freibetrag von 720 DM würde 590 Millionen DM betragen. Wenn man den Freibetrag auf 600 DM heruntersetzte, wie die CDU es jetzt vorschlägt, dann wäre der Ausfall um 240 Millionen niedriger; es würde also noch ein Ausfall von etwa 350 Millionen DM bleiben.
Der Bundesrat hatte zu erkennen gegeben, daß er bei 500 DM wahrscheinlich kein Veto einlegen würde. Mit Rücksicht darauf, daß wir dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode unter Dach und Fach bringen müssen, wollten wir nach Möglichkeit einen Einspruch des Bundesrats vermeiden und zu verhüten versuchen, daß der Vermittlungsausschuß dieserhalb angerufen wird. Die Fragen sind weniger rational zu lösen als vielmehr durch eine allgemeine Schätzung. Wir glauben, daß der Bundesrat bei 600 DM kein Veto einlegen wird.
Hinzu kommt noch folgendes. Das Ziel — auch das war entscheidend für uns — der Ablösung dieser Übergangsregelung ist doch die Einführung eines Verfahrens etwa dem Splitting gemäß. Wenn wir unter Anlegung der heutigen Tabellen einmal untersuchen, wie die Dinge dann bei einem kinderlosen Ehepaar mit einem Einkommen von 6000 DM aussehen, dann ergeben sich folgende Zahlen. 6000 DM zusammen veranlagt abzüglich 720 DM Freibetrag ergibt nach der Steuerklasse II einen Einkommensteuerbetrag von 513 DM im Jahre. Wenn ich das Splitting einführte und denselben Tarif hätte, dann wäre dieses Ehepaar mit
je 3000 DM in Steuerklasse I zu veranlagen. Diese Veranlagung würde dazu führen, daß jeder 263 DM — nach den jetzigen Tarifen — zu zahlen hätte. Beide zusammen hätten also nach dem Splitting-verfahren 526 DM zu zahlen gegenüber den von mir vorhin erwähnten 513 DM. Das Splitting würde also eine gewisse Verschlechterung bringen. Darin sehen wir in einem gewissen Grade ein Hemmnis auf dem Wege zu dem Ziel, das wir alle anstreben. Wenn wir hingegen bei 6000 DM nur 600 DM Freibetrag geben, dann kommen wir auf einen Steuerbetrag von 533 DM gegenüber dem Splittingbetrag von 526 DM. Dann würde das Splitting einen weiteren Fortschritt im Steuerabbau, in der Steuerentlastung bedeuten. Wir fürchten, daß bei einem neuen Tarif, den wir ja schaffen müssen, um das Splittingverfahren einzuführen, sich tatsächlich die Zahlen noch etwas einschneidender auswirken würden. Deswegen sind wir zu 600 DM gekommen, um alle Schwierigkeiten auszuräumen. Ich bitte daher das Hohe Haus, unseren Antrag auf Umdruck 1175 Ziffer 2 anzunehmen und den Betrag von 720 DM auf 600 DM herabzusetzen.
Ich möchte mit Genehmigung des Herrn Präsidenten auch gleich noch zu dem Antrag Umdruck 1204 Stellung nehmen. Oder soll ich das später tun, Herr Präsident?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Sie können das jetzt tun.
Herr Dr. Miessner hat soeben auch den Antrag der Abgeordneten Eberhard und Dr. Miessner auf Umdruck 1204 begründet. Er möchte die Manipulierungsmöglichkeiten in den Fällen, in denen die Ehegatten ein Arbeitsverhältnis eingehen wollen, auch in die Vergangenheit zurückverlagern. Meine Freunde halten es für völlig unmöglich, daß wir das tun, daß wir auch für die zurückliegende Zeit eine Getrenntveranlagung durchführen nach Zahlen, die heute erst getrennt werden, während sie es damals nicht waren. Sie haben gewiß recht, Herr Dr. Miessner, wenn Sie sagen, damals habe kein Anlaß vorgelegen.
— Das will ich nicht sagen, es wäre schon möglich gewesen, man hätte es tun können: aber es lag keine Veranlassung vor — da gebe ich Ihnen recht —, von der steuerlichen Seite das zu tun. Deswegen haben wir ja jetzt das Wahlrecht und den Freibetrag geschaffen. Das müßte verwaltungsmäßig zu Komplikationen ,führen, die kaum zu meistern wären. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir mit der Durchführung der Ehegattenbesteuerung in der jetzt vorliegenden Form den Behörden, insbesondere den Finanzämtern und den Beamten, den Angestellten und allen Mitarbeitern der Finanzämter. eine Arbeit auferlegen, die für die Männer, die ihren Dienst dort erledigen müssen, wirklich mehr als schwer ist, und wir sollten unter keinen Umständen diese Verwaltungserschwernisse noch weiter verschärfen durch Dinge, die auch innerlich nicht begründet sind. Dieser zweite Satz in § 26 a steht ja in einem glatten Gegensatz zu dem jetzigen zweiten Satz, der dann der dritte würde. Dort haben wir ja gerade gesagt, daß bei mithelfenden Ehegatten in dieser Tatsache nicht ein Tatbestand erblickt
werden kann, der eine Getrenntveranlagung rechtfertigt. Der Ausschuß hat sich die Sache sehr reiflich überlegt. Ich möchte deshalb bitten, diesen Antrag abzulehnen. Für meine Freunde erkläre, ich, daß sich die CDU gegen den Antrag aussprechen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nachdem der Abgeordnete Lindrath schon in der Diskussion gesprochen hat, eröffne ich sie jetzt offiziell. Das Wort hat der Abgeordnete Lotze.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur einiges zu dem Antrage der Kollegen Eberhard und Dr. Miessner sagen. Meine Herren Kollegen, Sie haben in Ihrem Antrag die Anerkennung eines Arbeitsentgeltes für die Mitarbeit eines Ehegatten verlangt. Ich muß Ihnen dazu sagen, daß ein solcher Antrag nach meiner Meinung größte Bedenken rechtfertigt, und zwar nicht wegen des Wortes „Entgelt", sondern wegen des Wortes „Arbeits entgelt". Ich möchte Sie dringend bitten, Ihren Antrag dahin zu berichtigen, daß Sie statt ..Arbeitsentgeltes" „Entgeltes" sagen. In diesem Falle würde ich aus vollem Herzen einem solchen Antrage zustimmen können. Aber, meine Damen und Herren, das Wort ,.Arbeitsverhältnis" oder ,.Arbeitsvertrag" paßt nicht in die Ehe, jedenfalls so, wie ich sie als christlicher Demokrat ansehe. Eine Ehe kann und darf kein Arbeitsverhältnis sein. Aber eine Ehe ist — und das ist jede Ehe, das ist sie seit jeher gewesen, mindestens seit es ein Bürgerliches Gesetzbuch gibt — ein Gesellschaftsverhältnis. Dem Rechtskandidaten wird als eines der ersten Dinge gesagt: Wenn zwei in ein Lokal gehen und sich gemeinsam eine Flasche Wein bestellen und sie gemeinsam trinken, dann ist das eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, auf die die entsprechenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches Anwendung finden.
— Herr Kollege Lindrath, es kommt nicht darauf an, was einer denkt, wenn er etwas tut, sondern darauf, wie wir Juristen es sehen und wie das Gesetz es befiehlt, auch wenn die Leute sich nichts dabei gedacht haben. Es ist bei jeder Ehe so, daß eine Ehe einmal geschlossen wird aus ethischen und religiösen Gründen; aber sie wird auch aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen, und ich möchte das Ehepaar sehen, das nicht bei der Eheschließung die Absicht und den Wunsch hat, gemeinsam seine wirtschaftlichen Verhältnisse zu verbessern, und dieses Ziel des gemeinsamen Verbesserns der wirtschaftlichen Verhältnisse ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. die eines besonderen, ausdrücklichen Vertrages deswegen nicht bedarf, weil der Gesetzgeber weder eine schriftliche noch eine sonstige Vertragsform vorschreibt und weil Gesellschaften nach dem bürgerlichen Recht durch konkludente Handlungen geschlossen werden können, d. h. durch die Verwirklichung von Tatbeständen. Daher ist die Situation einfach so, daß in jeder Ehe das eheliche Verhältnis auch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist.
Das Hohe Haus hat das auch anerkannt. Denn wir haben vor gar nicht langer Zeit — es ist vor ein paar Tagen im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden — das Gesetz über die Rechtsverhältnisse
von Mann und Frau verabschiedet, und darin steht auch, daß der Zugewinn, also der wirtschaftliche Erfolg unter den Ehegatten, im Falle der Scheidung oder im Falle des Todes in einer bestimmten Form verteilt werden muß. Sie kennen das Gesetz, haben es ja beschlossen, und das war auch der Kernpunkt bei dem ehelichen Güterrecht und ist die Kernfrage bei der Ehegattenbesteuerung.
Ich möchte dringend davor warnen, uns etwa dazu verleiten zu lassen, wie es das Finanzministerium wünscht, daß das Leben sich nach den Wünschen der Steuerverwaltung zu richten hat.
Die Steuerverwaltung richtet sich gefälligst nach den Gegebenheiten des Lebens, und ob das Verwaltungsschwierigkeiten bringt oder nicht, darauf kommt es nicht an. Im übrigen, meine Damen und Herren, bringt es aber gar keine Verwaltungsschwierigkeiten. Die Finanzämter haben mit wissenschaftlicher Gründlichkeit seit Jahrzehnten diese Detailfragen in einer Weise erforscht, daß es der Finanzbürokratie keinerlei Schwierigkeiten machen könnte, heute ohne weiteres gerechte Richtlinien dafür herauszugeben, was die Mitarbeit einer Hoteliersfrau in einem mittleren Hotelbetriebe oder die Mitarbeit einer Schlachtermeistersfrau in einem mittleren oder größeren oder kleineren Betriebe wert ist und wie hoch ihr Anteil an der gemeinsamen Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu honorieren ist.
Denn, meine Damen und Herren, man erlebt es immer wieder, daß die Finanzämter dem Tischlermeister sagen: Du hast elektrische Maschinen, du hast soundsoviel Strom verbraucht, nach unseren Durchschnittsberechnungen mußt du also das und das Einkommen haben, dein Einkommen weicht von unseren Richtlinien ab, nun gib uns die Erklärung, warum es abweicht. Das ist nicht nur bei den Tischlern so, das ist bei den Metzgern so, das ist überall so. Auch bei den nicht buchführenden Betrieben kommt das Finanzamt mit diesen Werten an und hat auf Grund dieser Werte seine Schätzungsergebnisse genau aufgebaut.
Wir wollen uns nicht etwa durch die Behauptung hier irgendwie irreführen lassen, das Finanzamt wäre nicht in der Lage, es würde die Verwaltungsarbeit dadurch erschwert. Das ist gar nicht der Fall. Es gibt da Durchschnittswerte, und man weiß das. Ich bin der Meinung, wenn ein Fleischer seine Frau in den Laden stellt — und das ist beim Handwerk und bei weiten Kreisen des gewerblichen Mittelstandes nun einmal so — und die Frau arbeitet mit, dann muß die Arbeit der Frau steuerlich honoriert werden. Ich bin daher der Auffassung, daß in dem Antrag Eberhard und Dr. Miessner ein guter Kern steckt, der richtig ist. Aber der Antrag hat einen Schönheitsfehler, daß darin etwas von Arbeitsentgelt steht. Der Arbeitsvertrag gehört nicht in die Ehe.
— Gut, dann bitte ich das Hohe Haus, wenn das Wort „Arbeits-" gestrichen wird, dem Antrag zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Beyer .
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich möchte zu den Umdrucken 1175 und 1182, jeweils Ziffer 2, Stellung nehmen und zunächst erklären, daß meine Fraktion bereits in der Diskussion über die Frage des Nur-Hausfrauen-Freibetrages von 250 DM Einwände geltend gemacht hat, weil sie diesen Betrag für zu gering hält. Sie hat darüber hinaus in jeder Steuerdiskussion darauf hingewiesen, daß die Familienfreibeträge höher angesetzt werden müssen. Wenn sich nun der Ausschuß dazu durchgerungen hat, den Betrag von 720 DM zu akzeptieren, dann deshalb, weil die Steuerausfälle bei der Beratung dieser Anträge maßgebend sein mußten und vor allen Dingen der Bundesrat Einwendungen erheben kann.
Für meine Fraktion ist entscheidend, daß wir heute nur eine Übergangsregelung schaffen, die — so haben wir es festgelegt — bis zum 31. Dezember 1957 gelten soll. Wir haben also mit anderen Worten das größte Interesse daran, daß so rasch wie möglich ein neues Steuersystem verabschiedet wird. Darüber sind wir uns alle einig. Als dieses Steuersystem ist sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart immer wieder das Splitting herausgestellt worden. Wir sind uns aber auch in der Ausschußarbeit darüber klargeworden, daß im Zusammenhang mit dieser Neuregelung auch die Freibeträge eine ganz andere Rolle spielen. Das heißt, daß wir zu der Frage der Freibeträge erneut Stellung nehmen müssen. Unter dem Gesichtspunkt, daß wir so schnell wie möglich ein neues Steuersystem verabschieden wollen und auf der anderen Seite das größte Interesse daran haben, daß die Regelung, die wir heute verabschieden, so rasch wie möglich in Kraft tritt, wird meine Fraktion idem Antrag, der von der CDU/ CSU gestellt wird, zustimmen.
Herr Dr. Miessner, nachdem Sie verschiedentlich auf die Ausschußberatungen hingewiesen haben, möchte ich Sie daran erinnern, daß Sie selbst im Ausschuß erklärt haben, nicht unter 600 DM gehen zu wollen. Unter diesem Gesichtspunkt bitte ich Sie, zu bedenken, daß der Bundesrat den Vermittlungsausschuß anrufen wird, wenn man darüber hinausgehen wird. Das bedeutet mit anderen Worten, daß diese Regelung dann wahrscheinlich überhaupt nicht mehr in Kraft tritt. Das aber sollten wir unter allen Umständen verhindern; denn mit dieser Übergangsregelung ist eine Fülle von Verbesserungen durchgesetzt worden; ich brauche nur an die Wiedereinführung der Wahlmöglichkeit zu erinnern.
Im Hinblick auf diese Situation werden wir dem Antrag Umdruck 1175 Ziffer 2 unsere Zustimmung geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Miessner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es dreht sich in der Tat um die beiden Probleme des Freibetrages und der Rückwirkung. Nun meine ich allerdings, Frau Beyer, wenn Sie betonen, es handle sich nur um eine Übergangsregelung, so spricht das genauso gut auch für unsere Argumentation. Denn man kann
sagen: gerade weil es sich nur um eine Übergangsregelung handelt, die hoffentlich schon Ende dieses Jahres durch das Splitting beseitigt wird, kann man diesen höheren Ausfall um so eher hinnehmen. Schließlich sollte man auch bei der Übergangsregelung der gleichmäßigen Behandlung, der steuerlichen Gerechtigkeit nach Möglichkeit den Vorzug geben, insbesondere wenn es sich nur um einen Veranlagungszeitraum von zwei Jahren handelt.
Meine Damen rund Herren! Ich sagte vorhin — und darauf möchte ich noch zurückkommen —, diese Frage des Freibetrags ist in der Tat für mindestens drei Viertel aller Steuerzahler von Bedeutung. So erklärt sich ja auch der verhältnismäßig hohe Steuerausfall. Ich kann nur nochmals betonen: 720 DM ist der Betrag, der auch für das erste Kind angesetzt ist, den Herr Lindrath selber in den Ausschußsitzungen vorgeschlagen hat. Bei diesem Betrag sollte es bleiben. Ich bitte daher gerade die Damen und Herren von der CDU dringend, den Antrag ihrer Fraktion, nach dem jetzt der Freibetrag auf 600 DM herabgesetzt werden soll, abzulehnen. Ich bedauere es, daß für die SPD die Erklärung abgegeben worden ist, sie wolle diesem Antrag folgen.
Das Argument mit dem Bundesrat als dem bösen Mann, der dahintersteht, sollte uns nicht allzu sehr beeinflussen. Das hier ist eine Entscheidung für die steuerliche Gerechtigkeit! Dann möge der Bundesrat das Odium auf sich nehmen, daß er durch seinen möglichen Einspruch das Gesetz in einer Weise änderst, daß für drei Viertel der Steuerzahler der Tatbestand der steuerlich ungerechten Behandlung gegeben ist. Im übrigen haben wir es schon wiedenholt erlebt, daß, wenn hier mit dem Bundesrat gedroht wurde, meist auch von Regierungsseite, die Drohung nachher nicht eintraf; denn der Bundesrat hat seine Entscheidung auch vor der Öffentlichkeit zu verantworten.
Es ist etwas anderes, ob der Bundesrat jetzt bei unseren Beratungen uns durch seine Vertreter sagen läßt, er könnte einem Betrag, der über 600 DM hinausgeht, nicht zustimmen, oder ob er nachher, wenn wir 720 DM beschließen, tatsächlich sein Veto einlegt.
Nun noch ein paar Sätze zu einem anderen Problem. Herr Kollege Lotze hat meine Ausführungen von einer anderen Seite sehr unterstützt. Das ist nur ein redaktioneller Lapsus gewesen, daß unser Antrag von „Arbeitsentgelt" sprach. Sie wissen, Kollege Lotze, daß ich es war, der bei den Ausschußberatungen das Eheverhältnis eher als Gesellschtaftsverhältnis angesehen wissen wollte denn als ein Arbeitsverhältnis. Aber jetzt frage ich das Hohe Haus und frage Sie, Herr Kollege Lindrath: Was nützt denn dem Bäckermeister — ich frage auch Herrn Kollegen Eickhoff —, was nützt überhaupt das ganze Karlsruher Urteil?
— So habe ich es nicht gemeint!
— Ich glaube, die anderen haben mich schon richtig verstanden.
— Lassen Sie mich ausreden, Herr Seuffert! Was nützt denn das Karlsruher Urteil, also die Entscheidung des höchsten Verfassungsgerichts, wenn diese Grundsätze für die Veranlagungszeiträume 1956 und 1957, die ja noch vor uns liegen, praktisch doch nicht angewandt werden dürfen, weil die Rückwirkung nach Ihren Ausführungen versagt werden soll? Wenn die Bäckersfrau tatsächlich den Verkauf geleitet hat, dann hat sie ja gearbeitet und dafür ein Entgelt verdient, dann — hängen Sie mich nicht wieder tauf, Herr Lotze, wenn ich mich im Wort vergreife! — steht ihr dieses Entgelt dafür zu. Daß es nicht — „in Form eines Arbeits vertrages" darf ich wieder nicht sagen — in Form eines Vertrages mit Lohnsteuerkarte und Abführung von Lohnsteuer an das Finanzamt geschehen ist, liegt doch nur daran, daß wir im § 26 die Bestimmung der Zusammenveranlagung hatten. Diese ist eben jetzt als verfassungswidrig erklärt worden. Meine Damen und Herren, das ist doch ein vollkommen geschlossener logischer Kreislauf. Nur deshalb, weil eben dieser verfassungswidrige § 26 bestand, hat dieser Bäckermeister seiner Frau kein Entgelt gezahlt und keine Lohnsteuer abgeführt, und deshalb soll er nun bestraft werden.
Herr Lindrath hat seine Auffassung vorhin leider so kraß vertreten. Ich meine, Herr Kollege Lindrath, daß wir den Standpunkt im Ausschuß nicht so kraß erarbeitet hätten. Ich glaube, die Frage ist zumindest offengeblieben. Wenn nun aber nach den Worten des Kollegen Dr. Lindrath die Rückwirkung, d. h. die Wirkung der Teilung der Einkünfte, in diesem Fall des Bäckermeisters und in all den Fällen anderer Gewerbetreibender für 1956 und 1957 nicht mehr gelten soll, dann machte ich mal sehen, was für ein Sturm — und das mit Recht — aus diesen Kreisen kommt, wenn sich der Bundestag hier anmaßt, die Entscheidung des Karlsruher Gerichts noch für zwei ,weitere Veranlagungsjahre praktisch einfach zu inhibieren. Das halte ich für ganz unmöglich.
— Herr Krammig, das ist ein anderes Problem.
Der Hausfrau hilft eben nur der Freibetrag.
Das ist eine andere Sache.
Was hier noch unzulänglich ist, ist das Problem der Rückwirkung, das Ihr Kollege Lotze vorhin von der juristischen Seite her angesprochen hat. Ich habe es Ihnen von der steuerlichen Seite her dargelegt. Meine Damen und Herren, nach diesen Ausführungen des Kollegen Lindrath ist der Bundestag geradezu gezwungen, den Antrag Umdruck 1204 anzunehmen, um klarzustellen, daß, wenn ein echtes Arbeitsverhältnis vorgelegen hat, dieses mit steuerlicher Wirkung auch für die Jahre 1956 und 1957 anerkannt wenden muß.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Erhöhung des Freibetrages darf ich vielleicht noch einmal einige Zahlen mitteilen. Der Freibetrag beträgt nach geltendem Recht 250
DM. Eine Heraufsetzung auf 500 DM würde bereits eine Verdoppelung bedeuten, aber einen zusätzlichen Ausfall von 340 Millionen DM im Jahr verursachen. Eine Heraufsetzung auf 720 DM würde einen zusätzlichen Steuerausfall von 590 Millionen DM herbeiführen. Ich glaube, es ist völlig ausgeschlossen, daß Bund und Länder einen solchen Haushaltsausfall tragen können. Denn die Neuregelung der Ehegattenbesteuerung nach dem vorliegenden Entwurf — ohne jegliche Erhöhung des Freibetrages — für die zurückliegende Zeit bis einschließlich 1957 bringt für Bund und Länder schon einen Steuerausfall von 640 Millionen DM, wenn der Freibetrag also bei 250 DM bleibt. Wenn er auf 720 DM erhöht wird, kommen noch 590 Millionen DM dazu. Das sind über 1200 Millionen DM. Wenn der Ausfall im Rechnungsjahr 1957 auch nicht ganz in Erscheinung tritt, so wird dieses Rechnungsjahr immerhin mit dem größten Anteil davon belastet werden. Wenn der Freibetrag auf 600 DM bemessen würde, dann würde der Ausfall um 140 Millionen DM geringer sein als bei einem Freibetrag von 720 DM.
Soeben hat schon Frau Abgeordnete Beyer die voraussichtliche Haltung der Länder erwähnt. Ich glaube, daß dies vielleicht der Kernpunkt für die Haltung des Bundesrats sein würde. Jedenfalls ist für den Bund ein Steuerausfall in einer solchen Höhe untragbar. Er ist ja auch im Haushalt 1957, den das Hohe Haus verabschiedet hat, nicht berücksichtigt worden. Die Vorlage müßte also noch an den Haushaltsausschuß gehen.
Neben diesen Sorgen muß ich noch einmal auf das Sachliche kommen, das auch von verschiedenen Vorrednern erörtert worden ist. Die Vorlage darf doch nicht so gestaltet werden, daß damit die endgültige Lösung blockiert wird. 1m Finanzausschuß was eine gewisse Neigung, späterhin zu dem sogenannten Splitting überzugehen. Wenn man den Freibetrag jetzt schon sehr hoch festsetzt, kann man im nächsten Jahre nicht mehr zu der Lösung des Splitting kommen, weil sich dann ganz erhebliche Verschlechterungen ergeben würden.
— Weil wir dann nachher beim Splitting keinen vernünftigen Tarif mehr bekommen. Der Tarif muß doch später so ausgewogen werden — angesichts des großen Ausfalles, der durch die gesplittete Veranlagung der Ehegatten eintritt —, daß die anderen, das sind nämlich die Junggesellen und die Verwitweten, nach Möglichkeit nur im geringsten Maße belastet werden. Diese Vorsorge für die Zukunft muß doch auch das Hohe Haus, glaube ich, jetzt schon im Auge behalten.
Ich darf noch eines erwähnen. Ich habe gerade eine Schrift des Rundes der Steuerzahler hier, Nr. 33 vom Juni 1957. In der heißt es auf Seite 12: Es sollte auf die Erhöhung des Freibetrages verzichtet werden und statt dessen der bisherige Freibetrag in Höhe von 250 wegfallen. Der Bund der Steuerzahler ist also wenn Sie so wollen, sehr viel rückschrittlicher als die großen Fraktionen mit dem, was sie hier beantragen.
Nun zu dem Antrag Umdruck 1204. Der Antrag bedeutet die Anerkennung von Arbeitsverträgen, aber rückwirkend, auch wenn kein Arbeitslohn gezahlt worden Ist. Wir sind der Ansicht — Herr Dr. Lindrath hat ja auch schon darauf hingewiesen —, daß dieser Antrag mit dem Satz 2 des Abs. 1 überhaupt nicht in Einklang steht. Jedenfalls ist das Verhältnis dieser beiden Sätze nach unserer Ansicht äußerst unklar. Wir glauben, daß nur Arbeitsverträge — Verträge zwischen Ehegatten, Herr Lotze, ich will mich gern verbessern — anerkannt werden können, bei denen alle Folgerungen aus den Verträgen gezogen worden sind. Die Mehrzahl der Redner im Finanzausschuß war sich doch eigentlich darin einig, daß für die Übergangszeit, besonders für die Vergangenheit, eine Mitarbeit der Ehefrau im Betrieb des Ehemannes ohne ein ernsthaftes Gesellschaftsverhältnis keine steuerliche Wirkung haben könne. Es ist eben gesagt worden, daß sich die Finanzämter Mühe zu geben hätten, die Tatbestände zu erforschen, daß die Tatbestände nicht nach dem Willen der Finanzämter zu gestalten seien. Natürlich ist es so.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Frage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts über die Gesellschaft Bürgerlichen Rechts für das Steuerrecht nicht relevant sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Lotze, ich wollte gerade darauf kommen. Ich wollte sagen, daß es Aufgabe der Finanzämter ist, die Tatbestände zu erforschen und dabei die vertragliche Regelung zu berücksichtigen, wenn sie ernsthaft gemeint ist. Aber ich glaube, es ist Aufgabe der Gesetzgebung, der Finanzverwaltung die Erkenntnis dieser Tatsachen zu erleichtern und nicht zu erschweren. Dieses Gesetz ist schon in seinen Wirkungen so ,außerordentlich kompliziert, daß man auch darauf etwas Bedacht nehmen sollte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Staatssekretär? — Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Staatssekretär, Sie sprachen vorhin davon, daß der Tatbestand in seiner Ganzheit vorgelegen haben muß. Ich habe das auch in meinen Ausführungen gesagt. Ich meinte den Tatbestand der echten Mitarbeit. Wie stehen Sie nun zu meinem Argument, daß ein offizielles Vertragsverhältnis mit den Konsequenzen daraus — Zahlung von Lohn und Abführung von Lohnsteuer an das Finanzamt — nach den bisherigen Vorschriften der Zusammenveranlagung völlig sinnlos war?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Abführung der Lohnsteuer ist ja nur ein nachträglich eintretender Tatbestand, nämlich die Konsequenz aus der bürgerlich-rechtlichen Gestaltung, wenn sie ernsthaft gemeint war. Sie wollen doch nach Ihrem Antrag die Anerkennung eine Entgelts dann nicht
ausschließen, wenn das Entgelt nicht vereinbart war. Ich sehe in Ihrem Antrag einen Widerspruch in sich. Wenn das Entgelt nicht vereinbart war, können Sie auch nicht erwarten, daß das Finanzamt das Entgelt anerkennt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine weitere Frage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte.
Herr Staatssekretär, ein solches Arbeitsverhältnis war bisher nach dem bürgerlichen Recht gar nicht möglich. Glauben Sie, daß es einen Menschen gegeben hat, der in den vergangenen Jahren ein Arbeitsverhältnis mit den Konsequenzen der Lohnsteuer
aufgezogen hat? Die Sache war völlig sinnlos, weil das Finanzamt nach § 26 in verfassungswidriger Weise doch alles wieder zusammengerechnet hätte. Mir ist ein solcher Fall völlig undenkbar.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Dr. Miessner, ich glaube, es sollte gerade vermieden werden, daß Arbeitsverhältnisse nur deshalb konstruiert werden, um beim Finanzamt die Herabsetzung von Steuern zu erlangen.
Wissen Sie, daß es früher die Pflicht der Ehefrau war, im Betrieb des Mannes unentgeltlich mitzuarbeiten, und daß erst die Neufassung des bürgerlichen Rechts auf diesem Gebiet eine Änderung herbeigeführt hat? Nachdem das neue Familienrecht in Kraft getreten ist — praktisch seit 1953 —, kann überhaupt erst unter den Ehegatten ein entsprechendes Gesellschaftsverhältnis in geldlicher Beziehung eintreten. Man kann also nicht sagen, daß das früher in finanz-technischer, steuerlicher Beziehung schon einmal aktuell war. Ich glaube, das müßten wir wohl in Rechnung stellen. Ist Ihnen nicht gegenwärtig, Herr Staatssekretär, daß die Situation nach der Umarbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuchs gerade in dieser Hinsicht eine völlig andere wurde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, das ist mir gegenwärtig. Es ist mir außerdem gegenwärtig, daß nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch eine andere Situation eingetreten ist, der Rechnung zu tragen wir uns nunmehr alle gemeinsam bemühen wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Miessner, wenn ich Sie recht verstanden habe, wollen Sie in Ihrem Antrag Umdruck 1204 statt des „Arbeitsentgelts" nun auch das „Entgelt" für die Mitarbeit eines Ehegatten steuerlich begünstigen. Darf ich an Sie die Frage richten: Warum dann nur Entgelt für die Mitarbeit bei der Erzielung von Einkünften des anderen Ehegatten, warum dann nicht auch für die Mitarbeit als Hausfrau? Oder ist die Mitarbeit als Hausfrau nicht Ihrer Ansicht nach von Anfang an genauso wie irgendeine Mitarbeit im Geschäft Mitarbeit bei der Erzielung von Einkünften des anderen Ehegatten? Denken Sie doch einmal daran, welche Konsequenzen Sie hier aufreißen, Herr Kollege Miessner!
— Genau das.
Sie müßten sich doch darüber klar sein, daß Sie mit einem derartigen Antrag, der von der Verwaltung schlechterdings nicht zu handhaben ist, alle Bemühungen um eine Lösung all dieser Fragen vollständig in den Wind schlagen. Sie haben doch im Ausschuß mitgearbeitet. Ich wehre mich dagegen, Herr Kollege Miessner, den Kernpunkt der ganzen Angelegenheit etwa darin zu sehen, wie Sie es dargestellt haben, daß nämlich, nachdem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für den gegenwärtigen Augenblick im wesentlichen darauf hinausläuft, daß die getrennte Veranlagung zur Wahl gestellt wird, für den Verzicht auf diese getrennte Veranlagung ein möglichst hohes Entgelt gezahlt wird. Es geht doch nicht, Herr Kollege Miessner, daß Sie nach all den Ausschußberatungen, an denen Sie teilgenommen haben, an der grundsätzlichen Erkenntnis des Ausschusses, nämlich, daß eine grundlegende Änderung des Systems und des Tarifs die einzige Möglichkeit der Lösung ist, vorbeigehen.
— Herr Kollege Miessner, auch da haben Sie nicht hingehört; denn die Festsetzung des Freibetrages auf 600 DM findet deswegen unsere Zustimmung, weil es erstens vollkommen irreal ist, den Ländern im Augenblick einen höheren Steuerausfall zuzumuten, und weil zweitens die Festsetzung eines höheren Betrages, soweit wir es übersehen können, die Blockierung einer wirklichen Systemänderung
— sei es zum Splittingsystem oder zu etwas anderem — bedeuten würde.
Ich wehre mich dagegen, daß Sie an der grundlegenden Erkenntnis, daß eine Systemänderung das Notwendige ist und daß alles Vorhergehende nur eine Notlösung sein kann, wieder vorbeigehen und daß Sie in einer meines Erachtens nicht leicht zu verantwortenden Weise auf der einen Seite durch Erhöhung des Freibetrags der Hausfrau und auf der anderen Seite durch eine vollständig un-praktikable Vorschrift irgend jemand, der angibt, seine Ehefrau habe eine Tätigkeit ausgeübt, Vorteile zuschanzen wollen. Wenn Sie so fortfahren
— ich als Angehöriger der Opposition könnte es mir leichter machen, als daß ich das ausspreche — und die Dinge immer nur danach beurteilen, wem Sie bei dieser Gelegenheit noch irgend etwas anbieten können, kommen Sie, Herr Miessner, nie zu einer wirklichen Lösung dieser Steuerschwierigkeiten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Miessner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Seuffert, ich habe 'eingangs gesagt: die wirkliche Lösung ist allein
das Splitting. Darüber waren wir uns doch alle klar, daß jede andere Regelung entweder hier oder da Brüche in sich trägt und daher auf die Dauer nicht zu einer steuerlichen Gerechtigkeit führt.
— In den USA hat man jahrelang herumgebastelt, und schließlich konnte man auch dort nicht anders, als zum Splitting überzugehen, weil jede andere Lösung irgendwie hakt. Auch unsere heutige Übergangsregelung hakt. Aber daraus machen wir dem einzelnen keinen Vorwurf, sondern wir bedauern nur, daß wir nicht gleich zum Splitting gekommen sind.
Herr Seuffert, ich habe bei der Begründung unseres Antrags das Beispiel des Bäckermeisters gebracht und die Frage gestellt, ob er für die Veranlagungen 1956 und 1957 geltend machen kann, daß seine Frau den Laden geführt hat. Darum geht es doch. Wenn wir uns darauf beschränken, so tun wir das deshalb, weil wir uns selbstverständlich darüber klar sind, daß ein so weitgehender Schritt, auch die Arbeit der Hausfrau steuerlich zu bewerten, in der Übergangszeit nicht möglich ist. Wenn ich das hier proklamiert hätte, hätte mir allerdings mit Recht von meinen Kollegen im Ausschuß gesagt werden können: „Herr Miessner, diese Sache haben wir schon in der ersten Besprechung des Ausschusses klargestellt." Die Arbeit der Hausfrau kann eben in steuerlicher Beziehung nur durch das Splitting berücksichtigt werden, durch das die Ehe als Gemeinschaft angesehen wird, gleichgültig ob die Frau als Hausfrau oder im Gewerbebetrieb arbeitet. Bei diesem Verfahren wird das Einkommen durch zwei geteilt und die Hälfte des Einkommens zweimal nach den niedrigen Steuerprogressionssätzen versteuert. Das allein ist die Lösung für die Hausfrau. Diese Lösung konnten wir aber in der Übergangsregelung noch nicht erreichen.
Nun ist aber, Herr Seuffert, in Ihrem Gedankengang ein Bruch vorhanden, wenn Sie sich jetzt gegen einen angemessenen Freibetrag für die Hausfrau wenden. Mit dem geforderten Freibetrag verfolgen wir folgendes Ziel. Gerade weil wir bei der ganzen Übergangsregelung die Arbeit der Hausfrau überhaupt noch nicht berücksichtigen, wollen wir diesen Ehen, also diesen Wuermeling-Ehen — wenn ich so sagen darf, um dieses Kennzeichen für die kinderreichen Ehen zu gebrauchen —, zum Ausgleich einen angemessenen Freibetrag in Höhe von 720 DM gewähren. Darum noch einmal, Sie können nicht unter den Betrag von 720 DM gehen. Lehnen Sie meinetwegen unseren Antrag auf 1200 DM ab. Aber lehnen Sie insbesondere den Antrag der CDU, unter 720 DM auf 600 DM zu gehen, ab!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Eickhoff.
Eickhoff : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerade weil der Bäckermeister so oft angesprochen worden ist, möchte ich Ihnen den Wunsch, den wir Bäckermeister für unsere Frauen haben, einmal ganz klarlegen. Es geht natürlich nicht nur um den Wunsch der Bäckermeister. Viele andere Gruppen aus der mittelständischen Wirtschaft sind darin eingeschlossen.
Wir wollen nämlich gar keinen Arbeitsvertrag oder irgendeinen anderen Vertrag mit unseren Ehefrauen. Wir wollen auch nicht, daß unsere Ehefrauen dadurch zur Lohnsteuer herangezogen und sozialversicherungspflichtig werden. Unser Wunsch geht dahin, daß wir mit der Zeit zu einem Splitting kommen und daß unsere Betriebe mit dem Finanzamt einig werden, daß man sich meinetwegen bei einem Einkommen von 20 000 DM einigt: 8000 DM verdient die Ehefrau, 12 000 DM verdient der Ehemann, dann soll jeder Teil seine Einkommensteuer zahlen.
Aber Sie, meine Damen und Herren, die Sie nicht im Finanzausschuß tätig waren, werden allmählich gemerkt haben, in welchen Zeitdruck uns das Karlsruher Urteil gebracht hat. Wir haben für andere Arbeiten nicht viel Zeit übrig gehabt, sondern haben unsere ganze Aufmerksamkeit eben diesem Gerichtsurteil schenken müssen. Heute nachmittag haben Sie erlebt, daß wir durch einige wenige Änderungsanträge wieder in einen gewissen Zeitdruck kommen. Ich weiß nicht, wie wir in den nächsten Tagen unter diesem Zeitdruck ein solches Programm abwickeln wollen. Deswegen meine herzliche Bitte, sich kürzer zu fassen. Im Ausschuß ist wirklich alles gut vorbereitet worden.
— Wir können uns für die Übergangszeit sogar mit 600 DM abfinden. Auch meine Fraktion war für 720 DM. Aber irgendwie müssen wir zu Rande kommen. Deswegen hoffe ich, daß wir über die anderen Änderungsanträge nicht mehr so lange zu sprechen brauchen.
Sie, die Sie nicht im Finanzausschuß waren, können davon überzeugt sein, daß gute Vorarbeit geleistet ist. Wir wollen jetzt aus diesem Zeitdruck heraus, um überhaupt die Gesetze, die wir in dieser Legislaturperiode noch verabschieden wollen, verabschieden zu können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen jetzt nicht mehr vor. Ich schließe die Beratung zu Punkt 4.
Ich komme zur Abstimmung. Ich lasse zuerst über den Antrag der Abgeordneten Dr. Lindrath, Dr. Eckhardt, Seuffert auf Umdruck 1189 abstimmen, der beinhaltet, in Nr. 4 den § 26 zu ändern. Wer dem Antrag Umdruck 1189 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen zwei Stimmen, soviel ich sehen konnte, angenommen.
Nun komme ich zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 1204, der den § 26 a ergänzen will. Ich habe mir erlaubt — ich setze das Einverständnis der Antragsteller voraus —, den Antrag so zu ändern, daß er jetzt lautet:
Die Anerkennung eines Entgeltes . . .
Wer dem Änderungsantrag Umdruck 1204 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Nunmehr komme ich zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 1182 Ziffer 2, weil er der weitergehende ist. Er lautet:
Unter Nr. 4 werden in § 26 d Abs. 2 die Worte „720 Deutsche Mark" ersetzt durch die Worte „1200 Deutsche Mark".
Wer diesem Änderungsantrag Ziffer 2 des Umdrucks 1182 zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über den Antrag 1175 Ziffer 2, wonach die 720 DM der Vorlage auf 600 DM reduziert werden sollen. Wer dem zuzustimmen wünscht, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen und bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wer nunmehr der durch die Annahme der Änderungsanträge so geänderten Nr. 4 der Vorlage zuzustimmen wünscht, der gebe das Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe auf die Nrn. 5, 6 und 7 der Ausschußvorlage. Änderungsanträge dazu liegen nicht vor. Wird das Wort zur zweiten Beratung gewünscht?
— Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Wer den aufgerufenen Ziffern in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen!
Ich rufe auf Nr. 8. Dazu liegt ein Änderungsantrag Umdruck 1125 vor. Hierzu hat das Wort Frau Abgeordnete Beyer.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Änderungsantrag auf Umdruck 1125 bedeutet an sich nur eine Ergänzung; er hat im Hinblick auf die Gesamtvorlage materiell kaum Bedeutung. Im Unterausschuß wurde bereits zu dieser Frage Stellung genommen. So, wie es jetzt im Umdruck 1125 (neu) dargestellt ist, wurde es auch vom Unterausschuß gefordert. Es gibt wohl kaum ein Mitglied dieses Hauses, das nicht, nachdem wir den Altersfreibetrag von 720 DM eingeführt hatten, Anträge und Briefe von alten Menschen erhielt, wenn einer der Ehegatten verstarb. In dem Falle nämlich fällt der Freibetrag von 720 DM weg. Das bedeutet, daß der Betreffende, wenn er allein steht und auf fremde Hilfskräfte angewiesen ist, den Freibetrag von 720 DM nicht mehr erhält. Keiner der alten Menschen hat, auch wenn man ihnen diese Darstellung gab, Verständnis für die Schlußfolgerung gehabt, und sie wurde immer wieder als eine Ungerechtigkeit bezeichnet.
Nach der nun vom Ausschuß festgelegten Fassung käme die Halbierung von 720 DM nur bei getrennter Veranlagung in Frage. Ich habe bereits am Anfang meiner Ausführungen betont, daß das von den Ausschußmitgliedern nicht gewollt war.
Wir bitten daher, daß der Altersfreibetrag, wie es in unserem Umdruck unter Ziffer 1 festgelegt ist, im Veranlagungszeitraum 1957 für beide Teile mit je 360 DM festgelegt wird, und zwar sowohl bezüglich der Einkommensteuerpflichtigen nach § 32 c als auch bezüglich der Lohnsteuerpflichtigen nach § 41. Ich möchte jetzt bitten, nur über die Ziffern 1 und 2 des Umdrucks 1125 abzustimmen und die Ziffer 3 zurückzustellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Lindrath!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Spaltung des Freibetrags von 720 DM in zwei Beträge von je 360 DM für jeden der beiden Steuerpflichtigen begrüßen wir. Meine Fraktion wird diesem Antrag der SPD zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird noch weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall; dann schließe ich die Beratung.
Wer der Änderung auf Umdruck 1125 Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wer nunmehr der so geänderten Nr. 8 des Art. 1 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig verabscheidet.
— Frau Kollegin Dr. Ilk zur Geschäftsordnung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte doch sehr bitten, daß wir die Anträge betreffend Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes — Drucksachen 2984 und 2293 —, die den § 32 behandeln, jetzt schon erledigen, wenn es möglich ist, weil dieser Paragraph in die Systematik dieses Gesetzes hineingehört und hinterher nicht mehr sinngemäß behandelt werden könnte. Ich bitte also, zumal da es wahrscheinlich sehr kurz erledigt werden kann, das gleich einzubeziehen. Das ist übrigens auch ein Antrag von Ihnen, Herr Seuffert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, Herr Abgeordneter Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Frau Kollegin Ilk darauf aufmerksam machen, daß wir verabredet haben, die zweite Lesung des Punktes 8, also auch der Punkte, die sie soeben angesprochen hat, vor der dritten Lesung dieses Gesetzes vorzunehmen, so daß wir die Punkte, die sie zu besprechen wünschte, noch vor der dritten Lesung dieses Gesetzes behandeln können.
— Ja, natürlich!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das scheint mir, wenn ich es richtig übersehe, so geordnet zu sein, daß diese Probleme unter Tagesordnungspunkt 8 in der zweiten Lesung automatisch vorkommen werden.
Wir haben also Nr. 8 in der durch die Annahme des Antrags Umdruck 1125 Ziffer 1 geänderten Form verabschiedet. Ich rufe nunmehr auf Nr. 9, Nr. 10 und Nr. 11. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann komme ich zur Abstimmung.
Wer den aufgerufenen Nrn. 9, 10 und 11 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr auf Nr. 12 mit dem Antrag Umdruck 1175 Ziffer 3. Das soll jetzt wohl zu dem vorigen parallelgezogen werden. Herr Abgeordneter Dr. Lindrath.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier handelt es sich lediglich um das Korrelat für die Lohnsteuer zu dem, was unter Ziffer 2 für die Einkommensteuer gesagt ist, worüber wir bereits abgestimmt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann komme ich zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 1175 Ziffer 3 zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen mit Mehrheit angenommen.
Wer nunmehr der so geänderten Nr. 12 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe nunmehr auf Nr. 13. Dazu liegt ein Änderungsantrag nicht vor. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Wer der aufgerufenen Nr. 13 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe nunmehr auf den Änderungsantrag Umdruck 1125 Ziffer 2 — er ist schon begründet —, hinter der Nr. 13 eine Nr. 13 a, so wie sie dort formuliert ist, einzufügen. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann komme ich zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 1125 (neu) Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist — wie ich sehe, einstimmig — die beantragte neue Nr. 13 a in das Gesetz eingefügt.
Ich rufe nunmehr auf Nrn.14, — 15, — 16, — 17,
— 18 und 19. — Auch dazu liegen Änderungsanträge nicht vor. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall; ich schließe die Aussprache. Wer den aufgerufenen Nummern in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr auf den Antrag Umdruck 1203. Abgeordnete Frau Beyer zur Begründung!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich kann mich sehr kurz fassen und beziehe mich auf den sachlichen Inhalt des Umdrucks 1125 , den ich vorhin begründet habe. Es handelt sich hier um eine Änderung der Ziffer 3 des Umdrucks 1125 (neu). Sie ist durch eine Diskussion verursacht worden, die wir noch einmal im Steuerausschuß hatten, und betrifft beschränkt Steuerpflichtige. Nach Auffassung des Ausschusses soll die Regelung nicht allgemein Geltung haben, sondern ausschließlich für die Lohnsteuerpflichtigen. In § 50 Abs. 4 heißt es im
Schlußsatz: „Die Höhe der Lohnsteuer wird durch Rechtsverordnung bestimmt." Wir bitten nunmehr, dies dahin abzuändern, daß gesagt wird: „durch diese Rechtsverordnung wird auch bestimmt, daß § 41 Abs. 2 Anwendung findet." Das bedeutet, daß auch hier für die alten Menschen der getrennte Altersfreibetrag Gültigkeit erhält und damit, wenn ein Ehegatte stirbt, dem anderen noch ein Freibetrag von 360 DM verbleibt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben die Begründung gehört. Wird das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Lindrath!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antragsteller wünschen, daß auch nach § 50 ein Altersfreibetrag in Höhe von 360 DM gewährt wird. Die jetzige Fassung erscheint uns ein wenig unklar; es ist unklar, ob hier zwischen 360 DM oder 720 DM zu wählen sein würde. Ich würde deswegen vorschlagen, auf Umdruck 1203 die Fassung so zu wählen: „durch diese Rechtsverordnung wird auch bestimmt, daß ein Altersfreibetrag in Höhe von 360 DM gewährt wird." Meine Fraktion wird dem Antrag zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
— Ich habe sie nicht hier.
Meine Damen und Herren von der SPD, hier wird also ein Änderungsantrag zu Ihrem Änderungsantrag gestellt. Schließen Sie sich der Formulierung an? — Nein. Dann müßte ich also erst über diesen Änderungsantrag abstimmen lassen. Dieser Änderungsantrag wünscht folgenden Wortlaut:
Durch diese Rechtsverordnung wird auch bestimmt, daß ein Altersfreibetrag in Höhe von 360 DM gewährt wird,
statt, wie es in dem ursprünglichen Antrag der SPD lautet: ,,. . . wird auch bestimmt, daß § 41 Abs. 2 Anwendung findet." Wer dem Änderungsantrag, den ich eben verlesen habe und den die CDU/CSU-Fraktion gestellt hat, zuzustimmen wünscht, der gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist angenommen. Damit erübrigt sich wohl die Abstimmung über Ihren ursprünglichen Antrag.
— Ja, er gilt in dieser veränderten Form als angenommen. Also dann kann ich davon ausgehen. Es wird demnach Nr. 19 a in der eben beschlossenen Form in das Gesetz eingefügt.
Ich rufe nunmehr auf Nr. 20, dazu den Umdruck 1126 . Zur Begründung Herr Abgeordneter Dr. Königswarter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag betrifft nur eine Änderung der Nr. 20 hinsichtlich der Doppelbuchstaben aa und bb. Hier handelt es sich darum, daß importierte Wirtschaftsgüter, die von einer besonderen volkswirtschaftlichen Bedeutung sind und starken Preisschwankungen unterworfen sind, einer besonderen Abschreibungs- bzw. Bewertungsmöglichkeit unterliegen, um die Vorratshaltung zu fördern. Wir haben in Berlin solche Wirtschaftsgüter, da uns an einer Vorratshaltung aus besonderen Gründen sehr viel liegt, zum Teil durch den Senat finanziert. Es ist nicht einzusehen, daß hier das Preisrisiko, das wir dem Vorratshalter abnehmen wollen und das in diesen Fällen der Senat übernommen hat, doppelt bewertet wird. Denn wir würden dann ein Geschenk machen, das nicht gerechtfertigt ist. Ich hoffe, daß Sie diesem Antrag zustimmen werden, obwohl er von der Fraktion der SPD gestellt ist. Er entspricht aber den Wünschen des Berliner Senats, und ich glaube, auch der Herr Finanzminister wird nichts gegen diese Änderung einzuwenden haben, die wohl seinen Gedankengängen entspricht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung dieses Änderungsantrages vernommen. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Beratung und komme zur Abstimmung. Wer dem Umdruck 1126 zuzustimmen wünscht, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung angenommen.
Wer nunmehr der aufgerufenen Nr. 20, die in diesem einen Punkte geändert wird, im übrigen nach der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, der gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Wieder bei einer Enthaltung an- genommen.
Ich rufe auf die Nrn. 21, — 22 — und 23 des Art. 1 in der Ausschußfassung. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann komme ich zur Abstimmung. Wer den aufgerufenen Nummern zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr auf Art. 2, — Art. 3, — Art. 4 — und Art. 5. — Änderungsanträge sind nicht gestellt. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache. Wer den aufgerufenen Artikeln zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe nun auf: Dritter Abschnitt, Gewerbesteuer, Art. 6 und dazu den Änderungsantrag Umdruck 1197. Wer begründet diesen Antrag der Abgeordneten Corterier, Dr. Conring, Eickhoff und Genossen? — Abgeordneter Eickhoff, bitte!
Eickhoff : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag bezweckt die Beseitigung derjenigen Bestimmungen in § 8 des Gewerbesteuergesetzes, nach denen Gehälter und sonstige Vergütungen jeder Art, die für eine Beschäftigung der Ehegatten im Betrieb gewährt werden, dem Gewinn aus Gewerbebetrieb wieder hinzugerechnet werden, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt sind. Diese Zurechnungsvorschrift fußt auf der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, der ein Dienstverhältnis zwischen Ehegatten steuerlich nicht anerkennt. Sie ist nach der durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957, mit dem § 26 des Einkommensteuergesetzes für verfassungswidrig und daher nichtig erklärt wurde, geschaffenen neuen Rechtslage nicht mehr haltbar. Wie bei der Einkommensteuer, so wird auch bei der Gewerbesteuer dem Abschluß von Arbeitsverträgen zwischen Ehegatten die steuerliche Anerkennung nicht mehr versagt werden können.
Der Änderungsantrag Umdruck 1197 zieht hieraus die Folgerungen. Er will die bisherige steuerliche Schlechterstellung des Ehegatten, der im Betrieb des Unternehmers oder Mitunternehmers bzw. in einem Betrieb tätig ist, an dem der andere Ehegatte wesentlich beteiligt ist, gegenüber dem in einem fremden Betrieb tätigen Ehegatten beseitigen. Gerade in mittelständischen Gewerbebetrieben ist eine solche Mittätigkeit des Ehegatten besonders häufig und in vielen Fällen sogar ,geradezu Existenzbedingung. Ich betone, mit dem Realsteuer- oder Sachsteuercharakter der Gewerbesteuer hat die Hinzurechnungsvorschrift nicht das geringste zu tun.
Ich bitte Sie, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Dresbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, daß die Gewerbeertragsteuer, wie sie ja als Gewerbesteuerform hauptsächlich für den gewerblichen Mittelstand in Frage kommt, von diesem als eine zusätzliche Einkommensteuer betrachtet wird. Es ist
weiterhin richtig, daß das Recht der Gewerbeertragsteuer immer mehr dem Einkommensteuerrecht angepaßt worden ist. Aber der Charakter der Realsteuer oder der Objektsteuer ist bei der Gewerbesteuer bestehen geblieben. Mit dem Wesen der Objektsteuer verträgt sich dieser Antrag nicht, lieber Freund Eickhoff; denn es ist für den Objektcharakter einer Steuer wie der Gewerbesteuer völlig gleichgültig, ob Zuwendungen gemacht werden oder nicht. Ich möchte aber auf eines hinweisen: wenn wir die Gewerbeertragsteuer immer mehr auch mit der Schuldzinsenzurechnung der Berechnung des Gewinns bei der Einkommensteuer anpassen, werden wir eines Tages erleben, daß eine Klage beim Bundesverfassungsgerichtshof eingereicht wird, die besagt, daß diese Gewerbesteuer eine zusätzliche Einkommensteuer für Gewerbetreibende sei. Dann stelle ich allerdings, Herr Eickhoff, die Frage, wohin Sie mit den kommunalen Finanzen kommen wollen.
— Verzeihen Sie, Herr Eickhoff, ich bin durchaus ein Freund einer kommunalen Personalsteuer!
Aber sie kann nicht so gestaltet werden, daß sie
jemals den Raum ausfüllt, den jetzt die Gewerbesteuer bei der Deckung des kommunalen Bedarfs
— leider in einem steigenden Maße — ausfüllen muß. Ich bin, wie gesagt, der Meinung, daß dieser Antrag eine Gefährdung der kommunalen Finanzen für die Zukunft bedeuten kann, weil die Möglichkeit besteht, daß eine Klage erhoben wird, mit der man nachzuweisen sucht, daß diese Gewerbesteuer nur noch eine zusätzliche Einkommensteuer für Gewerbetreibende ist. Diese Meinung begründe ich damit, daß dieser Antrag den Real- und Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer verletzt.
Ich bitte deshalb meine Freunde und auch diejenigen, die sich von meinen Ausführungen überzeugt fühlen, diesen Antrag abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordneter Dr. Miessner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der FDP möchte ich erklären, daß wir den Antrag unterstützen. Es kommt hier nicht darauf an, ob die Gemeindefinanzen gefährdet sind oder nicht, sondern es kommt darauf an, daß wir in dieser Übergangsregelung, die sich auch auf die Gewerbesteuer beziehen muß, dem Karlsruher Urteil Rechnung tragen. Wir können es uns nicht leisten, nun noch einmal von neuem gegen das Grundgesetz zu verstoßen. Wenn hier nach dem Gewerbesteuergesetz bisher eine Zurechnung nur deshalb erfolgt, weil es sich um eine Ehefrau handelt, ist das eben mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Daher muß dieser Zuschlag gestrichen werden. Wir haben den Antrag schon im Ausschuß gestellt. Wir sind damit nicht durchgedrungen. Aber wir freuen uns, daß uns jetzt noch einmal Gelegenheit gegeben ist, hier diese Erklärung abzugeben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das Wort hat Herr Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe namens der sozialdemokratischen Fraktion den Gründen, die der verehrte Kollege Dresbach für die Ablehnung ides Antrags vorgetragen hat, nicht mehr viel hinzuzufügen. Richtig ist, daß die Gewerbesteuer einer grundsätzlichen Überprüfung bedarf, eben im Hinblick darauf, daß sie zwar eine Objektsteuer ist, aber weitgehend den Charakter einer Einkommensteuer, mindestens in der Empfindung der Beteiligten, bereits angenommen hat.
Das betont ja auch die Entschließung, deren Entwurf Ihnen bereits vorliegt 'und der wir gern zustimmen werden. Auf der anderen Seite darf nicht verkannt wenden, daß Zurechnungsvorschriften bei der Gewerbesteuer, bei der der Familienstand überhaupt keine Rolle spielt oder spielen darf, nicht so in einen Topf zu werfen sind mit Fragen der Familien- und Ehegattenbesteuerung, die verfassungsrechtlich jetzt vom Bundesverfassungsgericht behandelt worden sind.
Auch diese Zurechnung erfolgt bei der Gewerbesteuer zur Ermittlung des richtigen Gewerbeertrages genauso, wie Zinsen und Pachten zugerechnet werden. Da es bei der Gewerbesteuer nicht darauf ankommt, wie viele Unternehmer am Unternehmen beteiligt sind, würde es die merkwürdige Folge Ihres Antrags sein, daß mehr Gewerbesteuer zu zahlen ist, wenn die Ehefrau als Mitunternehmerin am Betrieb beteiligt ist, als wenn sie mittels eines Dienstverhältnisses oder fingierten Dienstverhältnisses als Angestellte tätig ist. Schon allein das dürfte zeigen, wie wenig überlegt der Antrag ist.
Ich bin über die Bemerkungen des Herrn Kollegen Dr. Dresbach über einen eventuellen künftigen Ausfall bei der Gewerbesteuer der Gemeinden hinaus der Ansicht, daß bei Annahme des Antrags schon ein sofortiger, sehr fühlbarer Ausfall eintreten würde. Denn da es hier nicht darauf ankommt, welche Art der Veranlagung bei der Einkommensteuer gewählt wird, besteht für jeden verheirateten gewerblichen Unternehmer überhaupt keine Hemmung, auch wenn er hei der Einkommensteuer die Zusammenveranlagung wählt und den entsprechenden Freibetrag für sich in Anspruch nimmt, hier irgend etwas für die Mitarbeit seiner Ehefrau abzusetzen und dadurch sein Gewerbesteueraufkommen zu vermindern. Das würde für uns jedenfalls in der jetzigen Lage der Gemeinden schon ein Grund sein, uns mit derartigen Experimenten nicht zu befassen. Wir müssen deshalb den Antrag ablehnen. Wir stimmen der Entschließung zu, die die Fragen, die hier auftauchen, in angemessener Weise behandelt.
Wird hierzu noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich über den Änderungsantrag der Abgeordneten Corterier, Dr. Conring, Eickhoff und Genossen auf Umdruck 1197 abstimmen, in Art. 6 eine Nr. 1 a einzufügen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme nunmehr zu Art. 6. Wer ihm in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegen-
probe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe Art. 7 auf. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer Art. 7 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe Art. 8 mit den dazu gestellten Änderungsanträgen .auf. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Auch nicht zur Begründung der Änderungsanträge? — Wir stimmen zuerst über den Antrag der FDP Umdruck 1182 Ziffer 3 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ,das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Dann kommen die Anträge Umdrucke 1176 und 1186 Ziffer 2, die inhaltsgleich sind. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die 'Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite ist die Mehrheit; die Anträge sind abgelehnt.
Ich komme zum Antrag der CDU/CSU auf Urn-druck 1175 Ziffer 4. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Wer dem Art. 8 in der Ausschußfassung, jedoch mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? —Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf die Artikel 9, — 10, — 11, — 12. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Art. 13 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich komme dann zu dem Antrag der FDP Umdruck 1182 Ziffer 4 auf Einfügung eines Art. 13 a. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich 'bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme nunmehr zu dem Antrag der DP Umdruck 1176 (neu) Ziffer 3 und zu dem Antrag der FDP Umdruck 1186 Ziffer 3 auf Einfügung wieder eines Art. 13 a; die Anträge sind gleichlautend. Wird Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer zuzustimmen wünscht, den 'bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; die Anträge sind abgelehnt.
Ich rufe auf die Artikel 14, — 15, — 16 — Einleitung und Überschrift. — Wer den aufgerufenen Bestimmungen, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, die zweite Beratung ist damit abgeschlossen.
Bevor wir in die dritte Beratung eintreten, kommen wir zu dem bereits aufgerufenen Punkt 8 der Tagesordnung, der zweiten Beratung einer Reihe von Anträgen bzw. Gesetzentwürfen. Der Ausschuß schlägt Ihnen vor, die Gesetzentwürfe, die jetzt zur Behandlung kommen, abzulehnen. Ich muß jedoch gemäß dem Brauch des Hauses die Gesetzentwürfe .aufrufen, und wenn Sie der Ausschußempfehlung folgen wollen, dann müssen Sie gegen die aufgerufenen Bestimmungen stimmen.
Ich komme zunächst zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD, FDP, GB/BHE Drucksache 2293. Ich rufe auf die Artikel 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? Das zweite war die Mehrheit; sämtliche Bestimmungen des Entwurfs sind abgelehnt.
Ich rufe auf Drucksache 2311 — DP —; die Artikel 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —Enthaltungen? — Das zweite ist die Mehrheit; sämtliche Bestimmungen des Gesetzentwurfs sind abgelehnt.
Ich rufe auf den Antrag der FDP Drucksache 2312; die Artikel 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; alle Bestimmungen sind abgelehnt.
Ich rufe auf Drucksache 2524 — FDP —; die Artikel 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; alle Bestimmungen des Gesetzentwurfs sind abgelehnt.
Ich komme zu Drucksache 2794 — FDP —; Artikel 1, — 2, — 3, — 4, — 5, —Einleitung und Überschrift sind aufgerufen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; alle Bestimmungen sind abgelehnt.
Ich komme zu Drucksache 2922 — SPD —; die Artikel 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift sind aufgerufen. — Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier handelt es sich wieder und noch einmal um die Steuerbegünstigung der sogenannten Ausgaben für staatspolitische Zwecke, d. h. der Parteiförderungsbeiträge. Ich gedenke nicht, Ihnen noch einmal ausführlich vorzutragen — wie wir es schon so oft hier getan haben —, aus welchen Gründen wir diese Bestimmung mit der Demokratie, mit den Grundsätzen eines parlamentarischen Rechtsstaates für schlechterdings unvereinbar halten.
Diesen Ausführungen, die Ihnen allen bekannt sind, kann ich im Augenblick nur hinzufügen, daß wir die Höhe der Gelder für dieses Wahljahr kennen. Sie sind in der Presse genannt. Es sind Unterlagen dafür da. Sie lassen sich berechnen. Es läßt sich auch der Steuerausfall berechnen. Es
handelt sich um 50 Millionen DM Steuergelder für Parteizwecke in diesem Wahljahr.
— Ich möchte wissen, wer widersprechen will.
Ein Zweites. Wenn Sie sich den § 10 b ansehen, werden Sie feststellen, daß er auf die Bedürfnisse und die Verhältnisse von wirtschaftlichen Unternehmen, insbesondere von Großunternehmen zugeschnitten ist. Schon aus den Berechnungsgrenzen der Höchstbeträge geht das klar hervor. Nun, dieser § 10 b war nach seiner ursprünglichen Fassung für die steuerliche Berücksichtigung der Beiträge bestimmt, die von den Unternehmen für karitative, wissenschaftliche und künstlerische Zwecke geleistet werden. Dazu war es gut. Diesen Zwekken geht allerdings das, was jetzt bei der Parteiförderung — und einer sehr einseitigen Parteiförderung — begünstigt wird, verloren. Es ist eine natürliche und eine wünschenswerte Sache, daß wissenschaftliche, karitative und ähnliche gemeinnützige Zwecke von großen Unternehmen gefördert werden und daß ihnen dabei die Steuer eine Anerkennung ausspricht. Aber Sie wissen, daß wegen der ganz anderen Berechnung der Sonderausgaben, um die es sich hier handelt, bei den Arbeitnehmern — dort werden sie nämlich in Pauschbeträgen und nicht einzeln wie bei den Unternehmen, abgerechnet; das ist ein Tatbestand, auf den wir Sie in unserem Antrag zur dritten Lesung noch einmal besonders aufmerksam machen — auch die Auswirkung des § 10 b sehr einseitig ist. Wenn nämlich derartige Zahlungen bei den Unternehmen steuerlich begünstigt werden, so ist wegen dieser anderen Abrechnungsweise noch lange nicht gesagt, daß auch dem Arbeitnehmer, der seine staatspolitische Gesinnung durch einen Parteibeitrag dokumentieren will, dafür eine steuerliche Belohnung gewährt wird. Das ist nämlich nicht der Fall. Ich sagte vorhin: es ist eine natürliche Sache, daß wissenschaftliche, künstlerische und karitative Zwecke unter steuerlicher Begünstigung von großen Unternehmen gefördert werden. Es ist eine ,unnatürliche Sache, daß für die politischen Interessen dieser Unternehmen steuerlich begünstigte Mittel ausgegeben werden. Bei dieser Abstimmung handelt es sich um 50 Millionen DM aus Steuergeldern im Wahljahr für die politischen Interessen der großen Unternehmen. Darüber haben Sie abzustimmen.
Wird noch das Wortgewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über die aufgerufenen Bestimmungen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Die Bestimmungen des Antrags auf Drucksache 2922 sind abgelehnt.
Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 2984. Ich rufe die Artikel 1, — 2, — 3, — die Einleitung und die Überschrift auf. — Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Ilk.
Herr Präsident, Sie haben vorhin leider meine Wortmeldung übersehen. Ich wollte zu dem vorhergehenden Antrag schon sprechen.
Ich möchte Sie, meine Damen und Herren, noch einmal bitten, das Urteil, das Sie gefällt haben, zu revidieren und zu überlegen, ob für die alleinstehenden Personen nicht doch grundsätzlich das 50. Lebensjahr für die Einstufung in Steuerklasse II festgelegt werden soll. Es war früher so, daß verwitwete Personen mit 50 Jahren in den Genuß der Steuerklasse II kamen, Geschiedene oder Ledige aber erst mit 60 Jahren. Bei der vorigen Steuerreform hat man den Mittelweg gewählt, für alle alleinstehenden Personen das 55. Lebensjahr für die Einstufung in Steuerklasse II als gegeben anzusehen. Das bedeutet natürlich für einen ganzen Personenkreis eine erhebliche Schlechterstellung.
Ich möchte Sie noch einmal bitten, ob Sie nicht unserem Antrag, der vorher auch von den Fraktionen der SPD und des BHE unterstützt worden ist, stattgeben können, in § 32 Abs. 3 Ziffer 2 als Lebensalter das 50. Lebensjahr einzusetzen. Sie wissen alle, daß heute jeder mit 50 Jahren durch die Arbeitslast und andere Belastungen, die er zu ertragen hat, schon so weit verbraucht ist — möchte ich einmal sagen —, daß man ihm wirklich eine Gleichstellung mit den Verheirateten zubilligen muß. Er braucht meistens in diesem Alter schon eine größere Pflege, die erhöhte Mittel erfordert. Ich meine deshalb, daß es nicht unbillig ist, den alleinstehenden Personen schon mit dem 50. Lebensjahr die Steuerklasse II zuzubilligen.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Herr Abgeordneter Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Kollegin Ilk, wir stehen Ihrem Antrag sicherlich nicht unfreundlich gegenüber. Sie wissen aber, daß wir vor einer vollständigen Neuordnung des Tarifs stehen, bei der wahrscheinlich die Steuerklassen überhaupt verschwinden oder eine ganz andere Bedeutung haben werden. Gerade bei Einführung des von Ihnen, Frau Kollegin Ilk, so sehr vertretenen Splitting wird man die Personen, um die es sich hier handelt, auch durch eine Steuerklassenversetzung nicht retten können; man würde sie wahrscheinlich außerordentlich belasten müssen, denn ich wüßte nicht, mit wem diese Leute ihr Einkommen splitten könnten. Aber sicherlich hat es, Frau Kollegin Ilk, keinen Sinn, in diesem Augenblick, wo wir vor dieser Neuordnung stehen, noch einmal für die letzten sechs Monate eine solche Änderung der Altersgrenze vorzunehmen.
— Aber heute ist heute, Frau Kollegin Ilk, gleichgültig, wann Sie den Antrag, die Altersgrenze herabzusetzen, eingebracht haben.
— Aber wir verzichten in dieser Situation zur Zeit darauf.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung über die aufgerufenen Bestimmungen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um
die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; die Bestimmungen sind abgelehnt.
Ich rufe nun den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 3185 auf, und zwar die Artikel 1,
— 2, — 3, — 4, — die Einleitung und die Überschrift. — Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen?
— Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; die Bestimmungen sind abgelehnt. Damit sind alle diese Gesetzentwürfe und auch der Punkt 8 der Tagesordnung erledigt.
Wir kommen nun zu Punkt 6 der Tagesordnung zurück, und zwar zur
Dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (Drucksachen 3509, zu 3509).
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lindrath
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diesem Ausschußbericht stimmen wir, wie Sie gesehen haben, im wesentlichen zu. Unsere Einzelwünsche haben wir begründet. Einigen davon ist ja auch Rechnung getragen worden. Unser Antrag zur dritten Lesung liegt Ihnen vor.
Der Kern des Ausschußberichts, sagt der Schriftliche Bericht, ist das Provisorium, die Notlösung für die Ehegattenbesteuerung. Es ist an sich nichts Besonderes, daß wir über Provisorien in der Steuergesetzgebung abstimmen. Das ist sogar die Regel; in der Regel haben uns die Regierung und die Mehrheit nicht mehr erlaubt. Aber der Kernpunkt des Berichts, richtig gelesen, ist doch vielmehr die Feststellung, daß wir als Ergebnis der Steuerpolitik zweier Bundestage nunmehr vor der Aufgabe stehen, einen vollständig neuen, grundsätzlich anderen Tarif zu schaffen, und ich füge gleich an: ein neues Steuersystem zu überdenken und zu schaffen; denn ohne Zusammenhang mit dem ganzen System kann diese Aufgabe nicht gelöst werden.
Diese Situation ist nicht allein durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts entstanden, von dem in der Öffentlichkeit gesagt wird, es habe plötzlich Verwirrung in die Steuergesetzgebung gebracht. Es ist richtig, daß Schwierigkeiten durch dieses Urteil entstanden und auch beleuchtet worden sind, Schwierigkeiten, die darin liegen, daß das Urteil gewisse verfassungsrechtliche Fragen behandelt, andere aber durchaus offengelassen hat. Die Situation, die der Bericht feststellt und vor der wir stehen, ist aber vielmehr dadurch entstanden, daß die Regierung die Fragen, um die es sich hier handelt, jahrelang geleugnet hat und daß die Mehrheit ihr erlaubt hat, sie zu leugnen und sie überhaupt nicht zu behandeln. Das ist der Grund des Fiaskos unserer Steuergesetzgebung, das wir am Ende dieses Bundestages zurücklassen.
Die Übergangslösung, die Notlösung, die wir Ihnen auf dem Gebiet der Einkommensteuer namens des Ausschusses vorschlagen mußten, hat das Prinzip in den Vordergrund gestellt, daß keine Mehrsteuer durch Heirat anfallen soll, und führt dieses Prinzip im Rahmen des § 79 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, d. h. für alle künftigen, für alle noch nicht rechtskräftigen und noch nicht abgewickelten Steuerfestsetzungen, durch. Das befriedigt uns, weil gerade wir von der sozialdemokratischen Opposition in einem harten Kampf bereits erreicht hatten, daß eben dieses selbe Prinzip für alle persönlichen Arbeitseinkommen galt. Jetzt ist auch wieder das volle Wahlrecht — und auch das befriedigt uns — für den Austausch der Steuerklassen zwischen den Ehegatten hergestellt.
Offen bleiben die sehr ernsten und sehr schwierigen Fragen der Gleichheit der Besteuerung, insbesondere der Gleichheit der Besteuerung für die mithelfende und für die mitarbeitende Frau und für die Hausfrau selbst. Denn darin sind wir uns doch einig, daß auch diejenige Frau, die sich auf die eigentlich familiären Aufgaben beschränkt, nicht etwa eine Faulenzerin oder ein Luxusweibchen ist, sondern ebenso hilft und tätig ist wie die außerhalb des Hauses tätige Frau.
Anmerkungsweise möchte ich dazu aus dem Wirrwarr unserer derzeitigen Steuergesetze noch die steuerlichen Vorteile hervorheben, die sich Ehegatten verschaffen können, indem sie getrennt leben. Auch das ist ein Problem. Das sind Fragen, die offenbleiben und die wir dem nächsten Bundestag überlassen; man muß sie sehr ernst nehmen. Es ist ganz offensichtlich und braucht hier nicht begründet zu werden, daß die Ehe auch steuerlich nicht nur als Einkommensgemeinschaft betrachtet werden kann und daß sie auch andere Ziele und einen anderen Sinn hat, als nur den, gemeinsam Einkommen zu erzielen und zu verbrauchen. Weiter ist offensichtlich, daß diese Fragen besonders schwerwiegend bezüglich des Einkommens sind, das persönlichen Einsatz erfordert, nämlich des Arbeitseinkommens, ,des Einkommens, das nicht aus Besitz fließt. Dafür wieder liegen die Verhältnisse grundsätzlich gleich, sei es, daß sich die Ehefrau selbst der Erzielung solchen Einkommens widmet, sei es, daß sie durch ihre Tätigkeit in der Familie und im Haus für den Mann die Voraussetzungen schafft, sich der Einkommenserzielung widmen zu können.
Das sind die ungelösten Fragen, vor denen wir stehen werden. Sie sind durch die Erhöhung des Freibetrags für die zusammenveranlagten Ehegatten nur versuchsweise angegangen, sie sind nicht gelöst worden. Wir haben mit einem notwendigerweise realistischen Blick auf die Leistungsfähigkeit insbesondere der Länderkassen den Freibetrag anders festsetzen müssen, als vom Ausschuß ursprünglich vorgesehen. Es wird überhaupt im gegenwärtigen Moment kaum übersehbar sein, was vom Standpunkt der Steuergerechtigkeit aus der richtige Freibetrag im Ausgleich zwischen der außerhalb und innerhalb des Hauses tätigen Frau ist. Es ist der Versuch einer Angleichung, aber es ist keine Lösung. Die Lösung überlassen wir dem nächsten Bundestag.
Nach dem Ausschußbericht ist die überwiegende Mehrheit des Ausschusses der Ansicht, daß diese Lösung das Splitting sein müsse. Einig ist sich der Ausschuß jedenfalls darin gewesen, daß mit dem gegenwärtigen Tarif und im gegenwärtigen
Zeitpunkt eine solche Lösung nicht möglich ist. Für mich und für die sozialdemokratische Fraktion ist die Feststellung, daß ein neuer Tarif und ein neues System der Einkommensteuer notwendig ist, wichtiger als die Frage, ob das neue System im Splitting oder in einem anderen Verfahren bestände. Es wird zu prüfen sein, welches die Vorteile und Nachteile jedes Systems sind. Ich will mich in diesem Augenblick nicht in die Prüfung dieser Fragen verlieren; ich will nicht auf die Vorteile und nicht auf die bekannten Nachteile des Splitting eingehen, auf seine Nachteile für die Nichtverheirateten, für die Verwitweten, für die Arbeitenden, und auf die Spannungen, die dadurch entstehen, daß es sich notwendigerweise gerade für höhere Einkommen besonders günstig auswirkt.
Immerhin darf daran erinnert werden, daß es neben diesem Splittingsystem, das ja schließlich eine recht kurzfristig in Übung befindliche Verlegenheitslösung des amerikanischen Steuerrechts aus gewissen Zwangslagen des dortigen Verfassungsrechts heraus ist, ein System gibt, das schon viele Jahre völlig klaglos und unangefochten in Übung ist, nämlich das englische System der grundsätzlich proportionalen Besteuerung mit teilweiser Zusatzsteuer. Auch dieses System wäre verfassungsmäßig völlig unangreifbar. Ich gebe zu, daß es zwei Nachteile hat: erstens, daß es von der Sozialdemokratie schon seit Jahren vorgeschlagen wird,
und zweitens, daß es in der Tat nicht so automatisch und systematisch die Vorteile für hohe und höchste Einkommen bringt, wie sie das Splittingsystem mit sich führt. Das war nur eine Erinnerung.
Heute legen wir Ihnen keine neuen Systemlösungen vor und beschließen über sie; heute handelt es sich um eine Übergangslösung, die — woran ich erinnern möchte — bereits sehr viel Geld kostet, das uns bei der endgültigen Lösung wieder fehlen wird, vielleicht Verzerrungen mit sich bringt, die die endgültige Lösung leicht blockieren können, wie auch immer sie ausfallen möge. Aus diesem Grunde war es notwendig, hier keinen Perfektionismus zu treiben und im Auge zu haben, daß es sich in der Tat nur um ein Provisorium handelt und daß eine wirkliche Reform kommen muß.
Unter diesen Überlegungen, meine Damen und Herren, stimmt die sozialdemokratische Fraktion zu — ohne Sentimentalität, ohne Begeisterung und ohne propagandistische Rücksichten — in der Verantwortung der Opposition, die sie immer übernommen hat. Wir stellen aber fest, daß dieser Bericht, dem wir zustimmen, nunmehr das Fiasko der bisherigen Steuerpolitik in bezug auf unser Steuersystem deutlich werden läßt, daß nach zwei Bundestagen in den wichtigsten Fragen praktisch nichts als ungelöste Probleme zurückbleibt und daß nunmehr unbestreitbar die Notwendigkeit einer wirklichen Reform ,feststeht. Wie oft, meine Damen und Herren, hat die Sozialdemokratie in diesem Bundestag auf die Notwendigkeit dieser Reform, auf die Notwendigkeit einer Tarifreform statt immer wiederwiederholter Tarifsenkungen hingewiesen, und wie oft ist sie damit gescheitert! Gewiß, da und dort sind im Laufe der Zeit Verbesserungen an den Steuergesetzgebungen vorgenommen worden. Aber wie klein waren sie doch, und wie sehr wissen wir, daß hinter jedem Paragraphen, der verbessert worden ist, praktisch zehn andere standen, die genauso verbesserungsbedürftig waren und deren Verbesserung aus politischen Gründen und anderen Interessengründen zurückgestellt worden ist! Und wenn Verbesserungen durchgeführt worden sind, woher kamen sie dann? Kamen sie etwa von der Regierung oder kamen sie, wenn überhaupt, nicht .aus dem Hause? Wo ist denn die Steuerreformpolitik der Regierung in diesen Jahren geblieben? Wie sehr sind wir uns dessen bewußt, wie viele sachliche Fragen, deren Dringlichkeit anerkannt war, aus politischen und anderen Interessen zurückgestellt wurden.
Meine Damen und Herren, man mag sagen, daß ,das in dieser Situation des Bundestages Leichenreden an einem offenen Grabe seien. Wir geben Ihnen zu, daß auch wir selbst von diesem Bundestag, von dem wir von Anfang an nicht sehr begeistert waren,
noch etwas mehr erwartet hätten. Sie wissen: Was ich Ihnen hier sage, ist keine Polemik der Opposition. Ich weiß, daß viele in Ihren Reihen genauso denken, und die Beschwerden der Öffentlichkeit sind zu allgemein, als daß man hier von einer einseitigen Polemik sprechen könnte.
Eines will ich allerdings sagen: Nicht alle Beschwerden, die vorgetragen werden, sind begründet, nicht alle Klagen und Angriffe sind berechtigt. Gerade ,an der Diskussion über die Fragen der Ehegattenbesteuerunag haben sich Leute beteiligt, die offensichtlich zu einer ernsthaften und ehrlichen Erörterung der Fragen entweder nicht fähig oder nicht gewillt waren.
— Das ist allerdings auch richtig, Herr Dr. Dresbach. — Er hat eine Bilanz über die Arbeit der letzten Jahre auf dem Gebiet der Steuerpolitk gezogen. Was er zur Ehegattenbesteuerung gesagt hat, die Problematik, die er hier aufgezeigt hat, die Feststellung, daß hier weitere Lösungen gesucht werden müssen und daß es uns nicht gelungen ist, hier eine Ideallösung heute vorzuschlagen und ,anzunehmen, können auch wir unterstreichen, das ist richtig. Aber in dem Fazit, das er gezogen hat, gehen wir nicht mit ihm einig, wenn er sagt, es sei ein Fiasko der Steuerpolitik festzustellen, und dieses Fiasko sei aus dem Ausschußbericht zu entnehmen.
Herr Kollege Seuffert, wenn wir eine Bilanz ziehen, müssen wir uns das Ganze anschauen und müssen zunächst einmal feststellen, daß allein das Haushaltsvolumen in den letzten vier Jahren um etwa 12 Milliarden DM gestiegen ist, von ungefähr 25 Milliarden DM auf etwa 37 Milliarden DM. Das bedeutet, daß die Einnahmenseite auch entsprechend wachsen mußte. Auf der anderen Seite ist aber durch das, was Sie Steuersenkung nannten und wofür Sie den Namen „Steuerreform" ablehnten, durch alle diese Maßnahmen einschließlich der Gesetzgebung, die wir gerade heute verabschieden wollen, die Gesamtheit der Steuerpflichtigen in diesen vier Jahren immerhin um über 10 Milliarden DM entlastet worden.
Das ist eine Leistung, die schlechthin nicht das Prädikat „Fiasko der Steuerpolitik" verdient.
In den zwanziger Jahren fing die Steuerreform mit verhältnismäßig niedrigen 'Sätzen an, und es entwickelte sich dann erst eine stärkere Belastung. Jetzt war es umgekehrt. Um all das zu erfüllen, gingen wir von einer uns aufgezwungenen Militärgesetzgebung mit sehr hohen Steuersätzen aus und haben sie dann mit Erfolg abgebaut. Wir stimmen mit Ihnen darin überein, daß bei dem Abbau manche Systematik noch besser hätte herausgekehrt werden können und sollen. Das ist richtig. Bedenken Sie aber, daß die Senkungen auch auf einem anderen Gebiet, nämlich als soziale Leistungen, etwas Großes geleistet haben. Wir haben doch den sozial Schwachen, seien es diejenigen, die geringe Einkünfte haben, seien es diejenigen, die durch die schicksalhafte Zeit der Vergangenheit als Vertriebene, als Flüchtlinge usw. Not leiden mußten, im weitestgehenden Umfange geholfen. Eben weil wir ihnen helfen wollten, mußten wir zu unserem Bedauern oftmals eine gewisse Unsystematik und eine gewisse Komplikation im Steuerrecht hinnehmen und konnten nicht das verwirklichen, was wir uns eigentlich unter Steuerreform vorstellen.
Ich sagte vorhin schon in meinem zusätzlichen mündlichen Bericht, daß auch bei der Ehegattenbesteuerung das Bundesverfassungsgericht letzten Endes auf einem Wege weitergeschnitten ist, den wir hier im Bundestag durch unsere Gesetzgebung im Jahre 1954 beschritten haben.
Ich komme also hinsichtlich dessen, was Sie, Herr Kollege Seuffert, ausgeführt haben, zu dem Ergebnis: wir lehnen es ab, von einem Fiasko der Steuerpolitik zu sprechen. Wenn wir die Bilanz ziehen und ,die Dinge im ganzen sehen, dann sind wir der Auffassung, daß der Bundestag für sich schon Erfolge in Anspruch nehmen kann, daß auch
die Arbeit des Bundesfinanzministeriums unter der Leitung des Bundesfinanzministers Schäffer ein Lob verdient und daß nicht gesagt werden kann, die Dinge seien einfach schmählich geendet. Wir haben einen um 12 Milliarden höheren Haushalt in vier Jahren finanzieren und gleichzeitig die Steuerlast für die Bevölkerung der Bundesrepublik um über 10 Milliarden senken können. Es wird die Aufgabe des nächsten Bundestages sein, auf dem begonnenen Wege einer stärkeren systematischen Steuerreform vorwärtszuschreiten, und ich bin gewiß, daß die Wege, die wir in dieser Hinsicht eingeschlagen haben, auch weiter beschritten werden können und daß der nächste Bundestag bei einer stärkeren Entlastung und bei Erhaltung des gegenwärtigen Wohltandes auch hier zu einem weiteren Erfolg kommen wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dresbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Umstand, daß ich mich bei der zweiten Lesung zur Ziffer 20 der Novelle der Stimme enthalten habe, nötigt mich, dazu einige Erklärungen systematischer Art abzugeben. Meine Enthaltung bezog sich auf die Formulierung — es handelt sich da um verstärkte Abschreibungsmöglichkeiten — „bei Wirtschaftsgütern, die wegen ihrer besonderen volkswirtschaftlichen Bedeutung zur Deckung des Bedarfs der deutschen Wirtschaft erforderlich sind ".
Hier wird meines Erachtens zum erstenmal der ) Versuch unternommen, in das Personalsteuerrecht Gedanken einer Planwirtschaft einzufügen. Diese Dinge sind für mich so bedenklich, daß ich mich der Stimme enthalten habe.
Meine Damen und Herren! Fragen wie die, ob ein Artikel volkswirtschaftlich wichtig ist oder nicht wichtig ist, werden im Verbrauchsteuerrecht einschließlich Umsatzsteuerrecht, werden im Zollwesen erledigt, gehören aber nicht in das Personensteuerrecht hinein. Wir werden es meines Erachtens erleben, daß nunmehr ein Run der Verbände und der Interessentengruppen einreißen wird, auf diese Liste, die in einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats erlassen werden soll, gesetzt zu werden. Man möchte auch in den volkswirtschaftlich wichtigen Dingen dabeisein. Ich darf noch betonen, daß solche Einstufungen nach Gesichtspunkten volkswirtschaftlichen Wertes seinerzeit 1935 in der Arbeitseinsatzgesetzgebung geschaffen worden sind, daß wir sie dann in der Rüstungswirtschaft im Kriege in den Dringlichkeitslisten gehabt haben.
Damit komme ich zu einem gewissen allgemeinen Abschluß. Meine Damen und Herren, meiner Auffassung nach sind wir in den Jahren der Vergangenheit auf einem nicht guten Weg insofern gewesen, als wir in das Abgabenrecht allzu viele Gesichtspunkte der Wirtschaftspolitik, der Sozialpolitik usw. hineingebracht haben, Dinge, die dann unter dem Stichwort „gezielte Maßnahmen" liefen und zu einer unendlichen Komplikation des Steuerrechts geführt haben. Der § 10, den unser Freund Miessner heute noch weiter komplizieren wollte, ist doch allmählich ein Monstrum geworden, in das alles hineingepackt worden ist, was an zeitweilig aktuellen sogenannten wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten vorhanden war. Ich denke nur daran — und, mein Freund Lindrath, wir haben in der Fraktion mit wenigen Ausnahmen mitgesündigt —, daß wir hier erklärten, dieser Paragraph sei ja nicht so sehr steuerlicher Natur, sondern sei geschaffen worden — ich meine seine Ergänzungen —, damit er erste Hypotheken für den sozialen Wohnungsbau gebären solle.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, eine zukünftige Steuerreform, über die so viel gesprochen wird, sollte sich eines zur Richtschnur nehmen: Wir haben es hier bei den Steuern mit Abgabenrecht zu tun. Die Maßnahmen der Wirtschaftspolitik, soweit sie den Charakter von Subventionen oder subventionsähnlichen Maßnahmen haben, gehören auf die Ausgabenseite des Haushalts, aber nicht in das Abgabenrecht, wo sie zu einer Verkrüppelung und einer Komplikation dieses Abgabenrechts führen müssen.
Ich glaube, wenn der 3. Bundestag unter diesem Gesichtspunkt an die Steuergesetzgebung und die verschiedenen Novellen herantreten wird, wird er einen guten Gedanken aufgreifen, in dem, wie ich glaube, eigentlich alle einig sind. Der 3. Bundestag sollte allerdings möglichst schon im ersten Jahr darangehen; denn im vierten Jahr kommen wieder nur gezielte Maßnahmen heraus. Wir haben es erlebt, daß an Geschenken spezieller Art ein stärkeres Interesse besteht als an einer allgemeinen Steuersenkung, wie wir, Freund Wellhausen und ich, sie vorgeschlagen hatten. Das hat auch damit viel zu tun, daß weite Bevölkerungskreise, nicht nur Einkommenbeziehergruppen, sondern ganze Berufsstände, nicht mehr einkommensteuerpflichtig sind und deshalb ein wesentliches Interesse an Änderungen des Einkommensteuerrechts nicht mehr haben. In Zukunft sollte also der Gedanke maßgeblich sein, nicht so sehr viel Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik in das Abgabenrecht hineinzupacken, sondern es einfach zu halten und tunlichst eine Senkung des Tarifs durchzuführen.
Das Wort hat der Abgeordnete Miessner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist vielleicht ein recht glücklicher Umstand, daß ich gleich nach Herrn Kollegen Dr. Dresbach spreche, weil alle die Ausführungen, die er soeben in grundsätzlicher Hinsicht gemacht hat, von den Vertretern der FDP schon seit gut zwei oder drei Jahren im Finanz- und Steuerausschuß immer wieder — leider ohne die nötige Mehrheit zu finden — vorgetragen worden sind. Ein hoher Steuertarif zieht nun einmal eine Reihe von Ausnahmen nach sich, und die Ausnahmen bewirken wieder, daß die Steuerausfälle zugunsten einiger weniger so groß sind, daß der Tarif für alle nicht gesenkt werden kann. Es ist ein ausgesprochener Circulus vitiosus, in dem wir uns in der Tat bei der ganzen Steuerfrage in den letzten Jahren befunden haben. Unser Grundsatz ist — damit möchte ich meine Ausführungen zu diesem Problem abschließen —: Tarifsenkung für alle ist auf jeden Fall besser als Sondervergünstigungen für einzelne!
Meine Damen und Herren, wir wollten uns aber eigentlich zur dritten Lesung über das Steueränderungsgesetz äußern. Dazu möchte ich namens der Freien Demokraten folgendes erklären: Wir haben in den Ausschüssen sehr eifrig mitgearbeitet und sind an sich auch bereit gewesen, die in manchen Punkten unzulängliche Übergangslösung mitzutragen, obwohl wir es begrüßt hätten, wenn das Splitting gleich eingeführt worden wäre. Wir hätten diese Übergangsmängel in Kauf genommen, weil wir ja die Hoffnung haben dürfen, daß das Splitting zum 1. Januar 1958 eingeführt wird.
Nun haben sich aber durch die heutige Debatte leider so entscheidende Veränderungen der Ausschußvorlage ergeben, daß wir dem Gesetz nicht mehr zustimmen können. Die Ausschußvorlage ist in dem einen Punkt des Freibetrages wesentlich dadurch geändert worden, daß auf Antrag der CDU der Freibetrag von 720 DM .auf 600 DM herabgesetzt worden ist. Das allein hätte vielleicht noch nicht ausgereicht, uns zur Ablehnung des ganzen Gesetzes zu bewegen — das möchte ich dahingestellt sein lassen —; aber die andere Frage, nämlich die, ob die Grundsätze des Karlsruher Verfassungsgerichts und die Bestimmungen des Grundgesetzes nunmehr für die noch vor uns liegenden Veranlagungen für die Jahre 1956 und 1957 angewendet werden oder nicht, ist für uns von alleräußerster Bedeutung. Wir haben heute durch die Erklärung des Kollegen Dr. Lindrath gehört, daß nach seiner Auffassung die Bestimmungen des Grundgesetzes und damit des Karlsruher Urteils für die Jahre 1956 und 1957 noch nicht angewendet werden sollen. Dementsprechend hat die Mehrheit des Hauses unseren Antrag gemäß Umdruck 1204 abgelehnt, in dem wir gerade klarstellen wollten, daß das Grundgesetz
bereits für die Veranlagung der Jahre 1956 und 1957 anzuwenden ist. Das ist die schwerwiegendste Entscheidung, die heute getroffen wurde! Wir Freien Demokraten jedenfalls können und wollen nicht daran mitwirken, daß sich der Bundestag erneut eines Verstoßes gegen das Grundgesetz schuldig macht. Aus diesem Grunde werden wir dem Gesetz nicht zustimmen.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die allgemeine Aussprache. Wir kommen in der dritten Lesung zur Einzelberatung.
Ich rufe auf Art. 1 mit 'dem Umdruck 1177, Änderungsantrag der Fraktion der SPD. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort hat Frau Abgeordnete Beyer.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Nachdem man unseren Antrag Drucksache 2922 abgelehnt hat und damit die Förderung und steuerliche Begünstigung staatspolitischer Zwecke weiter aufrechterhält, glauben wir, daß es folgerichtig ist, zumindest dem Arbeitnehmer die gleiche Chance zu geben. Das bedeutet, daß die vom Arbeitnehmer von dem lohnsteuerpflichtigen Einkommen laufgebrachten Beiträge außerhalb der Pauschbeträge berücksichtigt werden.
Wir 'bitten daher, unserem Antrag auf Umdruck 1177 stattzugeben und der Änderung in § 41 zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesfinanzministerium hat sehr erhebliche Bedenken gegen diesen Antrag. Wir sind der Ansicht, daß er dem System der einkommensteuerlichen Behandlung der Sonderausgaben zuwiderlaufen würde. Durch die Vorschrift über den Pauschbetrag für die Sonderausgaben sollte erreicht werden, daß gerade bei der Lohnsteuer mit diesem erhöhten Sonderpauschbetrag gegenüber den veranlagten Steuerpflichtigen die Prüfung von Einzelanträgen in möglichst weitem Umfange entbehrlich gemacht wird. Nach diesem Antrag wäre es aber notwendig, daß in jedem einzelnen Falle der politische Beitrag geltend gemacht wird. Das Sonderausgabenpauschale würde also geradezu seinen Sinn verlieren. Was ich hier ausgeführt habe, zeigt, daß der Antrag mit außerordentlicher Arbeitsvermehrung bei den Lohnsteuerstellen der Finanzämter verbunden wäre. Eine große Zahl von Arbeitnehmern, die bisher keine Veranlassung hatten, einen Antrag zu stellen, weil ihre gesamten Sonderausgaben unter dem Pauschbetrag liegen, müssen dann bei der Lohnsteuerstelle vorstellig werden. Wir haben auch Zweifel, ob aus dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit ein Bedürfnis ersichtlich ist, gerade die politischen Beiträge außerhalb des Sonderausgabenpauschales zu berücksichtigen. Wenn die Sonderausgaben einschließlich dieser Beiträge unterhalb des Pauschbetrages von 624 DM bleiben, sind sie durch diesen Pauschbetrag bereits berücksichtigt. Übersteigen sie einschließlich der Parteibeiträge den Pauschbetrag, so wird wie in allen anderen Fällen der übersteigende Betrag bereits jetzt auf der Lohnsteuerkarte als steuerfrei eingetragen. Es gab einmal vor einigen Jahren vorübergehend leine ähnliche Regelung für Beiträge zu Kapitalansammlungsverträgen, die auch gesondert berücksichtigt wurden. Damals war es die übereinstimmende Meinung von Bundestag und Finanzministern der Länder, also vom Bundesrat, daß diese Maßnahme nicht beibehalten werden könne. Sie ist dann abgeschafft worden.
Der Antrag führt auch insoweit zu einer gewissen Ungleichmäßigkeit, als die Maßnahme nur für Arbeitnehmer beantragt ist, die Parteibeiträge also bei Veranlagten, .die nicht Arbeitnehmer sind und keine sonstigen Sonderausgaben haben, unter den Pauschbetrag von nur 200 DM fallen.
Herr Abgeordneter Dr. Gülich!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regelung, die für die Förderung staatspolitischer Zwecke getroffen ist, ist nun wirklich ein Ärgernis, und zwar ein öffentliches Ärgernis. Sobald diese Novelle zum Einkommensteuergesetz damals herausgekommen war, habe ich mit Herrn Staatssekretär Hartmann wiederholt dar-
über verhandelt. Die Ungerechtigkeit liegt darin, daß Leute mit kleinem Einkommen, Arbeitnehmer, welche auch etwas für staatspolitische Zwecke tun möchten, beispielsweise ihren Parteibeitrag zahlen wollen, nicht in den Genuß kommen können, in den große Einkommensbezieher mit Spenden für staatspolitische Zwecke — sprich immer: für politische Parteien — kommen, weil die Sonderausga-
ben, die sie geltend machen können, die Höhe des Pauschbetrages fast niemals überschreiten. Das ist ungerecht. Ich habe mich damals darum bemüht, daß die steuerliche Gerechtigkeit durch eine entsprechende Regelung in der Durchführungsverordnung hergestellt wird.
Die Parallelität mit den Beiträgen zu Kapitalansammlungsverträgen ist nur rein formal. Wir haben diese Regelung in Angleichung an die frühere Regelung gewählt, weil man beim § 41 unser Anliegen sinnvoll unterbringen kann. Ich habe früher wiederholt zu demselben Problem gesprochen. Das geltende Recht schließt, um ganz klar zu sprechen, beispielsweise die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei von den Vorteilen, die das geltende Recht bietet, aus. Sie wissen, die Sozialdemokratische Partei ist eine Mitgliederpartei. Sie finanziert sich aus Mitgliederbeiträgen. Diese werden nach dem Einkommen der Mitglieder gestaffelt. Die Einkommensbezieher sind überwiegend Arbeitnehmer.
— Gewiß nicht alle, aber überwiegend. Sie können also nicht in den Genuß dieses von uns bekämpften und von uns als ungerecht empfundenen Paragraphen kommen.
Sie tun wirklich kein großes Werk, wenn Sie, nachdem Sie unseren Streichungsantrag vorhin abgelehnt haben, wenigstens diesem Antrag zustimmen, der noch immer nicht die Gerechtigkeit herbeiführt, der aber die Begünstigung der Ausgaben für staatspolitische Zwecke wenigstens auch für die Arbeitnehmereinkommen einführt. Das ist keine große Sache. Es ist auch keine Sache, die finanziell zu Buche schlägt, sondern es ist der Versuch, 'hier wenigstens ein bißchen Gerechtigkeit herbeizuführen. Deswegen sollten Sie sich das wirklich ernsthaft überlegen oder gar nicht mehr lange überlegen, sondern zustimmen.
— Jawohl, Herr Dresbach, die Sünde ist ganz klar. Die Sünde ist von Ihnen begangen und vorhin erneut bekräftigt worden.
— Schön, Sie haben dagegen gestimmt; dann stimmen Sie wenigstens jetzt hierfür. Die Sünde ist von Ihnen begangen, und Sie sind ja der Meinung. daß es eine läßliche Sünde sei. Wenn es eine läßliche Sünde ist, dann, bitte, stimmen Sie diesem Antrag zu, damit auch die Arbeitnehmer in den Genuß 'kommen — es ist ja gar kein Genuß -
damit die Arbeitnehmer wenigstens das Gefühl haben, daß auch sie gerecht behandelt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Eckhardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht. über Recht und Unrecht, Berechtigung oder Nichtberechtigung der Abzugsfähigkeit von Ausgaben für politische Zwecke zu sprechen. Darüber ist -das haben Sie selber schon hervorgehoben — in diesem Hause übergenug geredet worden.
Aber wenn schon eine Sünde vorliegen soll und Sie uns das Angebot machen, daß auch Sie sich an der Sünde beteiligen wollen, würde ich doch vorschlagen, das auf eine Weise zu machen, die wenigstens der Verwaltung gerecht wird. Wir haben nun einmal aus verwaltungsmäßigen Gründen mehrere Pauschbeträge für Arbeitnehmer im Einkommensteuergesetz. Wenn die Werbungskosten oder Sonderausgaben die Pauschbeträge übersteigen, werden die Beträge auf Antrag erhöht. Normalerweise überschreiten aber die Werbungskosten und Sonderausgaben diese Pauschbeträge gar nicht. Dann hat der Arbeitnehmer einen echten Vorteil; das ist eine Art besonderer Freibetrag für ihn.
Wir haben von vornherein auf dem Standpunkt gestanden, man soll die Werbungskosten- und Sonderausgaben-Pauschbeträge möglichst hoch festsetzen; tatsächlich sind die Pauschbeträge, die in § 10 des Einkommensteuergesetzes für alle anderen Steuerpflichtigen festgesetzt sind, wesentlich niedriger. Wenn wir nun noch den Abzug eines weiteren Betrages — außerhalb dieses Pauschbetrages — zulassen, verstoßen wir zunächst einmal gegen das von uns selbst begründete und von uns vertretene System, und wir machen den Finanzämtern ohne Zweifel eine zusätzliche Verwaltungsarbeit. Wir nutzen den Beteiligten auch nicht viel, denn — Herr Professor Gülich, damit haben Sie recht — es wird sich nicht um sehr große Beträge handeln. Gerade deswegen sollte man den anderen Weg gehen, den wir auch schon einmal vorgeschlagen haben, den Pauschbetrag für Werbungskosten und Sonderausgaben der Lohnsteuerpflichtigen zu erhöhen. Dann kommt man auf einem ganz anderen Wege zum selben Ziel und hat keine verwaltungsmäßige Komplikation. Es handelt sich hier nicht um eine Frage der steuerlichen Gleichmäßigkeit, sondern um eine Frage der Einfachheit, der Unkompliziertheit der Verwaltung. Auf diesem Wege, nämlich auf dem Wege einer Erhöhung des Pauschbetrages für Werbungskosten und Sonderausgaben, würden wir mit Ihnen gehen.
Meine Damen und Herren, noch eine Wortmeldung? — Herr Dr. Gülich!
Herr Kollege Eckhardt, das heißt doch einfach: den Antrag jetzt begraben. Wir können doch jetzt nicht neue Anträge stellen und über eine generelle Erhöhung der Pauschbeträge für Werbungskosten und Sonderausgaben diskutieren.
— Das trifft die Sache nicht, sondern es handelt sich darum, daß — wenn Sie dem Antrag zustimmen — diejenigen Arbeitnehmer, die für staatspolitische Zwecke einen Beitrag leisten wollen, nicht schlechter gestellt werden als die Unternehmer, die große Summen stiften. Das ist alles. Wir möchten, daß die Arbeitnehmer, die für staatspolitische Zwecke Beiträge leisten, diese Beiträge genauso von ihren Steuern absetzen können, wie es die Großeinkommensbezieher können, deren Betrag immer ohnehin über dem Pauschbetrag liegt. Ich verstehe nicht, warum Sie jetzt Vorschläge machen, die sich gar nicht verwirklichen lassen. Jetzt muß hier der Sache zugestimmt werden.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache zu diesem Punkt.
Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu Artikel 1, Umdruck 1177, eine neue Nummer 13 a einzufügen. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Damit ist die Einzelberatung beendet.
Ich komme nunmehr zur Schlußabstimmung in der dritten Beratung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —Enthaltungen? — Ohne Enthaltungen gegen einige Stimmen angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu den Entschließungsanträgen, deren es diesmal eine ganze Reihe sind. Ich rufe auf die Entschließungsanträge auf den Umdrucken 1178, 1198, 1218 und 1219. Wird hierzu noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Ich lasse abstimmen über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 1178. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Ich lasse abstimmen über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 1193. Wer zuzustimmen wünscht, ,den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. -
Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Ich komme zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der DP Umdruck 1218. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Ich komme zum Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 1219. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen. Damit sind die Entschließungsanträge verabschiedet.
Wir kommen nunmehr zu den Ausschußanträgen unter Ziffern 2, 3 und 4. Ich glaube, wir können über alles gemeinsam abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe nunmehr ,auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines
Neunten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ;
Schriftlicher Bericht dies Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (Drucksachen 3511, zu 3511).
sowie in Verbindung damit Punkt 9 der Tagesordnung:
Zweite Beratung
des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ,
des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ,
des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ,
des von den Abgeordneten Karpf, Dr. Franz, Frau Dr. Probst und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ,
des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ,
des von den Abgeordneten Kroll, Dr. Leiske, Gedat und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ,
des von den Abgeordneten Stiller, Frau Geisendörfer und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ,
des von den Abgeordneten Dr. Eckhardt, Dr. Dollinger, Höcherl, Wieninger und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Umsatzsteuergesetzes ,
des von den Abgeordneten Dr. Dollinger, Höcherl, Dr. Eckhardt, Wieninger und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Umsatzsteuergesetzes ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (Drucksachen 3512, zu 3512).
Berichterstatter zu Punkt 7 der Tagesordnung ist der Abgeordnete Dr. Eckhardt. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beziehe mich im wesentlichen auf meinen Schriftlichen Bericht. Ungeachtet der Bedeutung, die eine solche Reformmaßnahme hat, glaube ich doch, es mit der vorgeschrittenen Zeit rechtfertigen zu können, auf die einzelnen Punkte nicht noch einmal erläuternd einzugehen. Dennoch bedürfen einige Punkte einer gewissen Erklärung.
Ich darf zunächst zur formellen Seite darauf hinweisen — das ist schon auf Seite 7 meines Schriftlichen Berichts zu Drucksache 3511 gesagt —, daß in Artikel 2 des Gesetzentwurfs die Worte „im Geltungsbereich dieses Gesetzes" zu streichen sind.
Ich möchte weiter darauf aufmerksam machen, daß der Gesetzentwurf unter Nr. 2 einen § 7 b in das Umsatzsteuergesetz einfügt, der im wesentlichen einer Entschließung des Bundestages vom 13. Dezember 1956 entspricht. Hiernach ermäßigt sich die Steuer auf 1 v. H. für die im Großhandel ausgeführten Lieferungen von geschlachteten Rin-
dern usw. Ursprünglich hatte der Bundestag am 13. Dezember 1956 eine Entschließung gefaßt, wonach auch Hälften von Kälbern und Schafen begünstigt sein sollten. Der Bundesfinanzminister hat daher die entsprechende Umsatzsteuer gestundet. Es würde naheliegen — der Umsatzsteuer-Unterausschuß hat sich dazu bekannt —, hier von einer rückwirkenden Erhebung der gestundeten Steuer insoweit abzusehen.
Ich darf auf einen weiteren Punkt hinweisen, der in diesem Hause zu Fragen geführt hat. In Nr. 6 des Artikel 1 des Gesetzentwurfs finden Sie eine sehr wichtige Ermächtigung. Danach braucht die Umsatzsteuer dann nicht mehr erhoben zu werden, wenn der Unternehmer nicht in Wettbewerb zur gewerblichen Wirtschaft tritt. Beispiele dafür habe ich in meinem Schriftlichen Bericht gebracht. Ich weise insbesondere zum Beispiel auf die Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeit von Handwerksmeistern, auf Lieferungen zwischen Krankenhäusern und ähnliches mehr hin. Zufolge dieser Vorschriften können solche Umsätze künftig von der Umsatzsteuer freigestellt werden, während bisher in der Regel in solchen Fällen langwierige Auseinandersetzungen, Erlaßanträge und dergleichen erforderlich waren.
Nun ist von seiten der Jugendorganisationen gefragt worden, inwieweit die Jugendverbände im Rahmen des Gesetzentwurfs Berücksichtigung fänden. Es handelt sich hier um die Umsatzsteuerbefreiung von Lehrgängen, Freizeiten, Zeltlagern usw., die von den Jugendorganisationen seit langem gewünscht und auch von Vertretern dieses Hauses in Form von Anträgen gefordert worden ist. Auch diese Umsätze würden nach der Ermächtigung, die ich soeben zitiert habe, künftig nicht mehr unter die Umsatzsteuer fallen. Ich will ausdrücklich zitieren, was in den Besprechungen zwischen Bundestag, Bundesinnenministerium und Bundesfinanzministerium auf diesem Gebiet verabredet worden ist. Es werden folgende Leistungen der anerkannten Jugendverbände einschließlich ihrer Untergliederung und der Organe der öffentlichen Jugendpflege bei Annahme der Nr. 6 dieses Gesetzentwurfs künftig von der Umsatzsteuer frei sein: erstens die Durchführung von Lehrgängen, Freizeiten, Zeltlagern, Fahrten und Treffen sowie von Veranstaltungen, die der Leibeserziehung oder der Erholung dienen, soweit diese Leistungen Jugendlichen oder Jugendleitern unmittelbar zugute kommen: zweitens die Gewährung von Beherbergungen, Beköstigungen und den üblichen Naturalleistungen an Jugendliche und Jugendleiter in Verbindung mit den genannten Leistungen; drittens die Durchführung von kulturellen Veranstaltungen, wenn die Darbietungen von den Jugendlichen selbst erbracht werden oder die Einnahmen vorwiegend zur Deckung der Unkosten verwendet werden. Ich glaube. daß damit alles erfaßt ist, was auf diesem Gebiet füglich verlangt werden kann.
Auf Einzelheiten des Gesetzentwurfs möchte ich nicht mehr eingehen; unter Umständen wird anhand der Änderungsanträge darüber noch einmal gesprochen werden. Aber gerade im Hinblick darauf, daß vorhin ein sehr negatives Urteil über die Steuerpolitik der letzten Jahre gefällt worden ist, ist es vielleicht auch dem Berichterstatter gestattet, darauf hinzuweisen, daß der Gesetzentwurf eine Fülle von Erleichterungen und Verbesserungen, auch Vereinfachungen des Umsatzsteuerrechts,und zwar des geltenden Systems, enthält. Diese Erleichterungen, Verbesserungen und Vereinfachungen kommen sowohl dem Handel wie dem Handwerk, der Industrie und auch einer Reihe von Angehörigen freier Berufe zugute. Ich darf darauf hinweisen, daß nach dem Gesetzentwurf die Leistungen, die die freien Ingenieure für die Planung von Konstruktionen für Anlagen im Ausland erhalten, von der Umsatzsteuer frei sein werden. Ich darf weiter darauf aufmerksam machen, daß von dieser Befreiungsvorschrift auch die Industrie und insbesondere auch das Handwerk, vornehmlich das Kunsthandwerk, Vorteile haben wird. Die alte Klage der Journalisten und der ihnen verwandten Berufe, daß sie den Auslagenersatz für Ferngespräche, Fernschreiben und ähnliche Gebühren der Umsatzsteuer unterwerfen müssen, kann nach Ziffer 6 des Entwurfs in Zukunft behoben werden. Schließlich ist ein besonderer Wunsch des Handwerks, nämlich die Freistellung von Arbeitsgemeinschaften des Handwerks, insbesondere von Bauarbeitsgemeinschaften, von der Umsatzsteuer mit diesem Gesetzentwurf erfüllt worden. Auch der Kaffeegroßhandel, der insbesondere über Verletzungen der Wettbewerbsneutralität geklagt hat, findet Berücksichtigung seiner Wünsche. Die Versicherungswirtschaft, die Ausfuhrwirtschaft ganz allgemein — in einer Neuregelung der Vergütungsbestimmungen —, das Handwerk, der Handel, sie alle partizipieren an den Regelungen, die in langwieriger Arbeit im Umsatzsteuer-Unterausschuß und im Finanzausschuß des Bundestages beschlossen worden sind. Die Vorschriften, die Ihnen hier zur Annahme vorgeschlagen werden, schließen sich damit an die Fülle von Erleichterungen und Verbesserungen an, die die Verordnung vom 7. Februar 1957 auf diesem Gebiet bereits gebracht hat.
Gewiß. das alles ist noch nicht das, was wir uns wünschen. Eine vollständige Reform oder gar ein Systemwechsel auf dem Gebiet des Umsatzsteuerrechts haben in diesem Bundestag nicht durchgeführt werden können. Es ist zu bezweifeln, ob schon in nächster Zeit die Möglichkeiten für eine so vollständige Reform und für so weitgehende Maßnahmen gegeben sind, wenn man die außerordentlichen volkswirtschaftlichen Auswirkungen bedenkt, die mit der Umstellung einer 12-Milliarden-DM-Steuer innerhalb der deutschen Volkswirtschaft zusammenhängen.
Aber es ist doch einiges geschehen, auf das dieser Bundestag mit einer gewissen Befriedigung blikken kann. Ich meine, es sind auch weithin die Grundlagen gelegt, um auf diesem Wege in Zukunft, in den nächsten Monaten, in den nächsten Jahren und im nächsten Bundestag, erfolgreich fortschreiten zu können.
Ich bitte Sie im Namen des Finanzausschusses, die Vorschläge dieses Gesetzes anzunehmen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Lindrath.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der mündlichen Berichterstattung zu dem soeben verabschiedeten Gesetz gemäß Drucksache 3509 hatte ich darauf hingewiesen, daß der Gesetzentwurf über die steuerliche Begünstigung von Importwaren nach Drucksache 3427 dem Ausschuß für Finanz- und
Steuerfragen später überwiesen war und dann in das Gesetz, das wir verabschiedet haben, eingearbeitet worden ist. Deswegen mußte der Antrag des Ausschusses in Drucksache 3509 in Punkt 1 noch um die Drucksache 3427 ergänzt werden.
In dieser Form ist nicht darüber abgestimmt worden. Ich bitte den Herrn Präsidenten, hierüber noch abstimmen zu lassen, damit mit Punkt I des Antrags des Ausschusses vom 10. Mai nach der Drucksache 3509 auch über die Drucksache 3427 entschieden worden ist.
Meine Damen und Herren, ich darf zuerst den Dank an den Herrn Berichterstatter nachholen.
Ich schlage vor, da Widerspruch wohl nicht erhoben wird, daß die Berichtigung des Herrn Berichterstatters zum Beschluß erhoben wird. — Kein Widerspruch; es ist so geschehen.
Ich komme nunmehr zur Beratung des Art. 1 mit den Umdrucken 1111 , 1123, 1188 (neu), 1202, 1216 und 1109. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme an, daß der Herr Präsident zuerst den Art. 1 Nr. 1 aufgerufen hat. Hierzu liegen Ihnen die Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf Umdruck 1123 und der Fraktion der FDP auf Umdruck 1111 vor, die inhaltlich gleichlautend sind.
Ich kann mich kurz fassen. Durch die Neuordnung des Rundfunks nach dem Kriege ist in § 4 Nr. 7 eine Unklarheit hineingetragen worden, die vorher nicht darin war. Der staatliche Rundfunk, wie er vor dem Kriege bestand, war in seinen Umsätzen von der Umsatzsteuer befreit Jetzt haben wir öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten auf der Grundlage verschiedener Ländergesetze. Es ist Streit darüber entstanden, ob die Anteile an den Rundfunkgebühren, die diesen Rundfunkanstalten zufließen, umsatzsteuerfrei sind oder nicht.
In der Praxis wird nicht daran gedacht, diese Umsatzsteuer zu erheben. Es sind aber Steuerprozesse anhängig gemacht worden auf der Grundlage der verschiedenen Rundfunkgesetze, obwohl es offensichtlich sein sollte, daß diese Frage nicht von der Gestaltung des einen oder anderen Rundfunkgesetzes abhängig sein kann. Wir bitten Sie deswegen, ebenso wie die FDP, diese Frage klarzustellen, indem die Einnahmen der Rundfunkanstalten von der Umsatzsteuer freigestellt werden.
Was die Fassung des Antrags anlangt, so würde ich der des FDP-Antrags den Vorzug geben und unseren Antrag zu dessen Gunsten zurückziehen. Wenn, wie ich höre, gewünscht wird, in den §4 eine neue Nummer einzufügen — statt einer Änderung der Nr. 7 —, so stimmen wir auch dem zu.
Ich weiß nicht, in welcher Reihenfolge wir verfahren müssen, ob wir zuerst die gesamte Diskussion über sämtliche Anträge, Begründung und Aussprache halten, — —
— Wollen wir nicht zuerst die gesamte Diskussion führen und zum Schluß abstimmen? — Offenbar ist das der Wunsch.
— Die Abstimmung selbstverständlich getrennt. Aber wir können zuerst die gesamte Diskussion über sämtliche Anträge und Paragraphen machen und dann der Reihe nach abstimmen, oder wir können jeden Antrag einzeln begründen, darüber diskutieren und dann abstimmen. Welchen Weg wünschen Sie?
— Gut, wenn Sie das für das Bessere halten, machen wir das. Dann kommt also zuerst Umdruck 1111. Herr Dr. Miessner hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Antrag Umdruck 1111 der FDP begründen, der die Umsatzsteuerfreiheit der Rundfunkgebühren zum Ziel hat.
Bei den Rundfunkgebühren handelt es sich um eine Art öffentlich-rechtlicher Gebühr. Sie wurden vor 1945 nicht zur Umsatzsteuer herangezogen, nach 1945 zumindest im überwiegenden Teil der Bundesrepublik so lange nicht, wie die Länder für die Umsatzsteuer zuständig waren. Erst nach der Übernahme der Umsatzsteuer durch den Bund ergingen unterschiedliche Heranziehungen und entsprechende Urteile der Finanzgerichte. Das Finanzgericht in Freiburg z. B. war gegen die Umsatzsteuerfreiheit und das Finanzgericht in Hamburg dafür. Bei dieser Sachlage hat es naturgemäß keinen Sinn, den juristischen Streit in einem Parlament zu vertiefen. Man sollte aber die Entscheidung überhaupt nicht den Finanzgerichten überlassen; denn diese werden nach der Judikatur des Bundesfinanzhofs einen Teil der Rundfunkanstalten freistellen, andere wahrscheinlich wieder nicht, weil nun einmal die Frage sehr auf der Grenze liegt.
Bei dieser Sachlage erscheint uns die bundesgesetzliche Regelung dringend geboten. Diese kann entsprechend der früheren Praxis und der Rechtslage bei den wichtigsten Rundfunkanstalten nur dahin gehen, daß die Steuerfreiheit der Rundfunkgebühren von uns hier klargestellt wird. Wir bitten daher um Zustimmung zu unserem Antrag, der sich in der Tat mit dem SPD-Antrag sachlich deckt.
Bevor ich das Wort weiter erteile, bitte ich die Antragsteller der Umdrucke 1111 und 1123, die tatsächlich dasselbe beantragen, sich auf einen gemeinsamen Text zu einigen.
— Gut, Sie ziehen zugunsten von Umdruck 1111 zurück. — Das Wort hat Herr Staatssekretär Hartmann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte in diesem Moment nicht auf gewisse formelle Bedenken eingehen, die gegen die Fassung der Anträge sprechen.
Zur Sache selbst: Ich habe den Eindruck, daß die Angelegenheit für eine gesetzgeberische Behandlung noch nicht spruchreif ist. Es wurde soeben schon erwähnt, daß Steuerprozesse schweben und daß der Bundesfinanzhof in den Dingen noch nicht entschieden hat. Es ist etwas mißlich, während des Schwebens von Verfahren vor dem höchsten Steuergericht im Wege der Gesetzgebung einzugreifen. Die Umsatzsteuer ist in allen Fällen gestundet, so daß praktisch nichts passiert. Es ist möglich, daß beim Hessischen Rundfunk die Stundung noch nicht ausgesprochen worden ist; das soll aber geschehen.
Wir haben noch ein weiteres Bedenken. Wie Ihnen bekannt ist, schweben seit längerer Zeit zwischen dem Bundesinnenministerium und den Rundfunkanstalten umfangreiche Verhandlungen über die Neuordnung des Rundfunkwesens. Das Vertragswerk ist aufgestellt, und in diesem Vertragswerk soll auch die Frage der Umsatzsteuer geregelt werden. Wir würden also auch dieser ins Auge gefaßten Regelung zwischen der Bundesregierung und den Rundfunkanstalten vorgreifen, wenn wir diese Frage jetzt erörterten.
Es wurde darauf hingewiesen, daß die Umsatzsteuer früher bei der Reichspost auf Grund einer Sondervorschrift nicht erhoben wurde. Ich muß aber darauf hinweisen, daß der Reichsfinanzhof die Umsatzsteuerpflicht der Rundfunkgebühren bejaht hatte. Erst als das Dritte Reich den Rund funk zum Instrument seiner politischen Massenbeeinflussung gemacht hatte, sind durch eine Gesetzesänderung die Rundfunkeinnahmen der Reichspost umsatzsteuerfrei gestellt worden. Inzwischen ist durch die Schaffung selbständiger Rundfunkanstalten die Unabhängigkeit des Rundfunks wiederhergestellt worden. Ich glaube also nicht, daß man sich jetzt auf eine Spezialgesetzgebung der nationalsozialistischen Zeit, in der die Unabhängigkeit des Rundfunks vollkommen aufgehoben worden ist, berufen sollte.
Da, wie ich schon sagte, zwischen dem Bundesinnenministerium und den Rundfunkanstalten Vertragsverhandlungen schweben und, wie ich glaube, eine befriedigende Regelung dieser Frage im Gange ist, möchte ich bitten, in diesem Augenblick die Sache zurückzustellen und heute nicht eine Gesetzesänderung zu beschließen, gegen die außerdem, wie ich einleitend sagte, gewisse formale Bedenken bestehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Eckhardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Sache selbst will ich nur darauf hinweisen, daß an der Befreiung der Rundfunkgebühren von der Umsatzsteuer eigentlich kein großer Zweifel besteht, sondern daß hier lediglich die Terminfrage zur Debatte steht, ob diese Befreiung entsprechend dem Rechtszustand, der bis 1945 bestanden hat, jetzt ausgesprochen werden soll oder ob sie aus taktischen Gründen, insbesondere aus Gründen der Verhandlungstaktik zwischen Bund und Ländern, hinausgeschoben werden soll.
Aber für den Fall, daß dieser Antrag hier angenommen werden sollte, möchte ich vorschlagen, die Befreiungsvorschrift textlich anders zu fassen, um dem Umsatzsteuerrecht systematisch gerechter zu werden, nämlich unter der Nr. „vor 1" zu sagen:
§ 4 erhält folgende neue Ziffer 22: „Die Umsätze der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, soweit die Entgelte für die Umsätze in den Rundfunkgebühren bestehen ..."
Ich darf mich auf meine Gespräche mit Herrn Seuffert und auch Herrn Miessner beziehen, die ja, glaube ich, damit einverstanden sind und auch der Überzeugung sind, daß hier nicht eine sachliche, sondern nur eine formale Änderung im Interesse der Systematik vorgeschlagen wird.
Herr Abgeordneter Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke Herrn Kollegen Eckhardt für diesen Vorschlag und mache mir seine Fassung für unseren Antrag zu eigen. Ich hoffe daraus schließen zu können, daß er unserem Antrag zustimmen wird.
Dem Herrn Staatssekretär möchte ich erwidern, daß gerade die Führung dieser Steuerprozesse und der Vorhalt der Umsatzsteuerforderung wegen künftiger Finanzverhandlungen — obwohl man überzeugt sein kann, daß diese Umsatzsteuer niemals erhoben werden kann — durch die Gesetzesänderung beendigt werden soll.
Meine Damen und Herren, wenn ich Herrn Abgeordneten Dr. Eckhardt richtig verstanden habe, hat er selbst keinen Antrag gestellt, sondern Herrn Seuffert nahegelegt, seinen Antrag so zu formulieren. Das hat Herr Seuffert inzwischen getan.
Wird noch das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Miessner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir machen uns die Textfassung von Herrn Dr. Eckhardt zu eigen.
Wird noch weiter das Wort gewünscht? — Dann lasse ich über den Antrag Umdruck 1111, der also jetzt ein gemeinsamer Antrag von SPD und FDP ist, mit der soeben von den beiden Antragstellern gemachten Änderung abstimmen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Vorstand ist sich nicht einig. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Sitz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Da sich der Sitzungsvorstand auch jetzt nicht einig ist, muß ich Sie leider noch zu so später Stunde bitten, sich hinauszubemühen, damit wir auszählen können. Ich bitte, den Saal zu räumen und die Türen zu schließen.
Ich bitte, die Türen zu öffnen. Ich schließe die Abstimmung.
Meine Damen und Herren! Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt: Mit Ja haben gestimmt 139 Abgeordnete, mit Nein 126: enthalten haben sich 2 Abgeordnete. Der Antrag ist damit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Beratung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag, den 27. Juni 1957, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.