Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich folgendes bemerken. In der dritten Beratung des Entwurfs eines Landbeschaffungsgesetzes, Drucksache 2909, wurde gestern der § 62 gestrichen. Folgerichtig muß daher auch § 11 Abs. 2 gestrichen werden. Es handelt sich dabei um eine rein redaktionelle Maßnahme, weil § 11 Abs. 2 lediglich eine Verweisung auf den gestrichenen § 62 enthält. Ich nehme an, daß das Haus mit dieser redaktionellen Änderung einverstanden ist. — Es ist so beschlossen.
Über die Gestaltung der heutigen Tagesordnung findet um 14 Uhr 10 eine Sitzung des Ältestenrats unter dem Vorsitz des Herrn Präsidenten Dr. Gerstenmaier statt. Ich darf deshalb die endgültige Festlegung der Tagesordnung bis zum Abschluß der Beratungen im Ältestenrat zurückstellen. — Das Haus ist damit einverstanden.
Wir beginnen mit Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde .
Ich rufe auf Frage 1 — des Abgeordneten Dr. Bucher — über Hinweisschilder an Bundesstraßen:
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, die an verschiedenen Bundesstraßen, z. 13. an der Bundesstraße Nr. 3 in der Gegend von Soltau, anzutreffenden Hinweisschilder mit dem Text „Nebenraum nicht befahrbar" oder „lose Seitenräume" durch Schilder in deutscher Sprache zu ersetzen?
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin mit dem Herrn anfragenden Kollegen der Auffassung, daß der Text der von ihm bezeichneten Hinweisschilder mißverständlich ist. Sowohl die Aufstellung wie der Text dieser Schilder werden aber durch die zuständige Landesstraßenbauverwaltung bestimmt. Ich habe, weil ich zu der gleichen Meinung wie der Herr Anfragende gekommen bin, schon vorher mit der niedersächsischen Straßenbauverwaltung über diese Beschilderung verhandelt. Die niedersächsische Straßenbauverwaltung hat am 23. August dieses Jahres die Anweisung an die nachgeordneten Behörden gegeben, daß die
Schilder, die dazu dienen sollen, darauf aufmerksam zu machen, daß die seitlich an die Fahrbahn angrenzenden Teile des Verkehrsraums der Straße nicht befahrbar sind, in Zukunft die Aufschrift tragen: „Seitenstreifen nicht befahrbar".
Ich rufe auf Frage 2 — des Abgeordneten Frenzel — betreffend Äußerungen des Herrn Bundesverteidigungsministers über Professor Dr. Bechert:
Hat der Herr Bundesverteidigungsminister beim Betrachten eines, Lichtbildes des ihm persönlich unbekannten Professors an der Universität Mainz, Dr. Bechert, die in Nr. 43 der .,Neuen Illustrierten" vom 27. Oktober 1956 abgedruckte Äußerung getan: „Gucken Sie sich mal dieses Gesiebt an, der Mann ist fanatisch, zudem voller Geltungsbedürfnis und in seiner politischen Einstellung verdächtig"?
Wie will der Herr Bundesverteidigungsminister, falls er ein Lichtbild zum Anlaß nahm, eine derart abfällige und verdächtigende Bemerkung zu machen, sein Verhalten rechtfertigen?
Ist der Herr Bundesverteidigungsminister bereit, sich entweder von der Veröffentlichung zu distanzieren oder zu entschuldigen?
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die einzelnen Fragen des Kollegen Frenzel folgendermaßen:
1. Nein.
2. Antwort entfällt durch Antwort zu 1.
3. Ich habe gemäß den geltenden presserechtlichen Vorschriften eine Berichtigung in der „Neuen Illustrierten" verlangt.
Dazu folgendes im einzelnen. In einem beinahe einstündigen Gespräch habe ich mich als Bundesminister für Atomfragen mit dem Korrespondenten der „Neuen Illustrierten" Dr. Reinbacher über das Problem der Radioaktivität unterhalten. In diesem Zusammenhang habe ich auf seine Frage über Professor Bechert geäußert, 'daß er nicht spezifischer Genetiker, sondern theoretischer Physiker ist, der seine Behauptungen weniger auf eigenen Forschungen als vielmehr auf einer mehr oder minder einseitigen Zusammenstellung in- und ausländischer wissenschaftlicher Stimmen aufbaut. Ich habe in diesem Zusammenhang gesagt, daß Professor Bechert seine Ansichten im subjektiven Bewußtsein ihrer Richtigkeit auf diesem Gebiet genauso fanatisch vertritt wie früher im sogenannten Schulkampf in Rheinland-Pfalz, als es um das mehr mit der Pädagogik als mit der Physik zusammenhängende Problem der Konfessionsschule ging.
— „genauso fanatisch im subjektiven Bewußtsein der Richtigkeit vertritt!"
Der Korrespondent hat sich während des ganzen Gespräches keine Notizen gemacht, aber trotzdem, um den Schein des wörtlichen Zitats zu wahren, meine angeblichen Äußerungen zwischen Anführungszeichen gesetzt. Diese Methode wird von jedem klassebewußten Journalisten als unseriös empfunden.
— Nicht Klassen, Klasse!
Die „Neue Illustrierte" hat sich bereit erklärt, an Stelle einer nach presserechtlichen Vorschriften zu bringenden Berichtigung im Falle meines Einverständnisses eine Darstellung des Sachverhalts von meiner Seite zu veröffentlichen. Dieser Sachverhalt ist, so wie er von mir dargestellt wurde, von zwei bei dieser Unterredung anwesenden Bundesbediensteten bestätigt worden.
Ich rufe Frage 3 des Abgeordneten Dr. Bucher betreffend Festzeitgespräche auf:
Warum wird seitens der Deutschen Bundespost nicht wieder die Möglichkeit geschaffen, Festzeitgespräche zu führen, wie es sie früher im Bereich der Deutschen Reichspost gab und wie es sie auch heute zum Teil noch im Ausland gibt?
Das Wort hat der Herr Staatssekretär im Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Möglichkeit, Festzeitgespräche zu führen, besteht auch heute noch im Bundesgebiet. Allerdings hat der Postverwaltungsrat auf Vorschlag des Bundespostministers in seiner Sitzung vom 23. Oktober dieses Jahres beschlossen, mit dem 1. Januar des Jahres 1957 diese Gesprächsart wegfallen zu lassen. Für diesen Beschluß waren zwei Gründe maßgebend. Erstens: Es werden zur Zeit im Bundesgebiet 80 v. H. aller Gespräche im Sofortdienst oder im Selbstwählferndienst abgewickelt, so daß insofern Festzeitgespräche entbehrlich sind. Zum zweiten aber macht das Publikum von dieser Gesprächsart so wenig Gebrauch, daß auf 30 000 Gespräche nur ein Festzeitgespräch entfällt.
Darf ich eine Zusatzfrage stellen?
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Halten Sie es nicht für möglich, daß man ohne besonderen Aufwand für diejenigen Fernsprechteilnehmer, die noch nicht in den Genuß des Selbstwählfernverkehrs gekommen sind, die Festzeitgespräche doch noch zuläßt, bis die Umstellung vollends erfolgt ist, und daß man auf diese Möglichkeit, die bis jetzt in weiten Kreisen gar nicht bekannt war, noch hinweist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
An sich ist diese Gesprächsart bekannt und besteht schon seit 1929. Es wird aber von ihr, wie ich schon ausführte, so wenig Gebrauch gemacht, Herr Abgeordneter, daß es für das Bedienungspersonal unserer Fernsprechanlagen sehr schwierig ist, all die vielen Sonderbestimmungen für die verschiedensten Arten der so sehr selten vorkommenden Gespräche im Gedächtnis zu behalten. Wir haben das Bestreben, den Dienst für unser Personal zu erleichtern und deshalb diese Gesprächsarten wegfallen zu lassen.
Im übrigen ist für Gesprächsbeziehungen zum Ausland, wo mitunter noch Wartezeiten zu verzeichnen sind, diese Gesprächsart auch weiterhin zugelassen.
Ich rufe auf Frage 4 des Abgeordneten Schmitt über Anredeform in Tagesbefehlen des Bundesministers für Verteidigung:
Hält die Bundesregierung die Anredeform „Ihr" und „Euch" in Tagesbefehlen des Bundesverteidigungsministers für richtig, und billigt sie, daß der Bundesverteidigungsminster „als Euer oberster Vorgesetzter" es für richtig hält, Vertrauen zu „verlangen"?
Das Wort hat der Bundesminister für Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung nimmt zu dem in der Frage des Abgeordneten Schmitt angeschnittenen wichtigen Sachverhalt nach eingehender Prüfung folgendermaßen Stellung.
1. Es ist ein Irrtum — der sich durch die Verschiedenheit der landsmannschaftlichen Gepflogenheiten und ihrer Sprachgebräuche erklären läßt —, anzunehmen, daß die Anredeform „Ihr" und „Euch" den Plural der vertraulichen Anredeform „Du" darstellt.
Das trifft ebensowenig zu, wie die Anredeform
„Sie" den Plural der Anredeform „Er" darstellt.
Herr Abgeordneter Wehner, das Wort „Kasperltheater" stammt aus dem süddeutschen Sprachgebrauch. Ich glaube gar nicht, daß Sie das gebrauchen dürfen!
So weit sind wir aber auch noch nicht, daß eine sachliche Antwort
durch ein solches Verhalten — —
— „Es ist ein Irrtum, anzunehmen, daß die Anredeform ,Ihr` und ,Euch` den Plural des ,Du` darstellt. Dieser Irrtum ist durch landsmannschaftlich verschiedene Sprachgepflogenheiten erklärlich."
— Hören Sie mich zu Ende an und bilden Sie sich dann Ihr Urteil!
2. Zur Vorgeschichte darf bemerkt werden, daß in dem vom Bundesverteidigungsminister verfaßten Entwurf des Tagesbefehls die Anrede „Sie" enthalten war. Diese Anrede wurde auf Bitten der durch diese Form der Anrede angeblich beleidigten Soldaten vor der Veröffentlichung umgewandelt in „Ihr" und „Euch".
3. Wenn offensichtlich im Sinne des Fragestellers z. B. der Landesvorstand Bayern der SPD feststellt, daß der Ton dieses Tagesbefehls würdig an die Zeiten des alten preußischen Militarismus anschließt,
so liegt hier offensichtlich eine Verwechslung zwischen einem im süddeutschen Sprachgebrauch noch erhalten gebliebenen Patriarchalismus mit einem dem Verteidigungsminister persönlich unbekannten Stil des preußischen Militarismus vor.
4. Die Bundesregierung glaubt zu dieser Feststellung um so eher berechtigt zu sein, als der aus den Reihen der Fraktion der SPD stammende, im Sudetenland geborene, in Württemberg tätige und über jeden Verdacht des Sympathisierens mit dem preußischen Militarismus erhabene Kollege Oskar Matzner bei der Arbeitseinteilung die Schriftführer des Bundestags regelmäßig in der Formel einlädt „In Eurem Auftrag — Euer Oskar Matzner".
Die Bundesregierung hat bei der Lektüre dieser Einladungen niemals das Gefühl gehabt, daß der Kollege Oskar Matzner damit Stil und Tonart des alten preußischen Militarismus in den Reihen der Schriftführer des Bundestages einzuführen gedenkt.
5. Die Feststellung, daß der zivile Bundesverteidigungsminister der oberste Vorgesetzte der Bundeswehr ist, ist nichts anderes als eine Wiedergabe des Art. 65 a unseres Grundgesetzes, der mit den Stimmen der Fraktion des Fragestellers bei einigen Stimmenthaltungen verabschiedet worden ist.
6. Wenn der Bundesverteidigungsminister von seinen militärischen Untergebenen — um den Tagesbefehl richtig und nicht entstellt wiederzugeben — von den Soldaten der Bundeswehr Vertrauen und Zivilcourage verlangt, dann unter der selbstverständlichen Voraussetzung, daß Vertrauen und Zivilcourage beim Soldaten gegenüber seiner Führung ein zusammengehöriges Ganzes bilden, auf das er sich muß verlassen können.
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der Abgeordnete Schmitt .
Herr Minister, halten Sie es für richtig, durch ein Ablenkungsmanöver wie das Zitat der Ausführungen des Kollegen Matzner hier von der Sache abzulenken?
Es ging hier um eine Interpretation des politischen Inhalts oder des persönlichen Gefühlsgehalts der Anredeform „Ihr" und „Euch", und wenn der laut Grundgesetz — ich kann nichts dafür, das ist so — zuständige oberste Vorgesetzte der Bundeswehr seine Soldaten mit „Ihr" und „Euch" so anredet, wie der federführende Schriftführer seine Kollegen in diesem Bundestag, dann, meine ich, sollte man — damit darf ich jetzt auch einmal das etwas deutlicher sagen — die Fragestunde im Bundestag nicht für solche Fragen gebrauchen.
Das Wort zu einer zweiten und nach der Geschäftsordnung letzten Zusatzfrage hat der Abgeordnete Schmitt .
Halten sie es für richtig, Herr Minister, Abgeordnete, die hier Fragen stellen, zu zensieren?
Ich zensiere keine Abgeordneten; die Fragestellung selbst zensiert ihre Fragesteller.
Meine Damen und Herren! Unbeschadet des süddeutschen Sprachgebrauchs, dem ich mich an sich verpflichtet fühle, wollen wir in der Anredeform zwischen dem amtierenden Präsidenten und dem Hohen Hause beim „Sie" bleiben.
Ich rufe auf Frage 5 — des Abgeordnete Pohle — betreffend Auslage von Tageszeitungen in den Gemeinschaftsräumen der Bundeswehr:
Ist der Herr Bundesverteidigungsminister bereit, dafür Sorge zu tragen, daß die Tageszeitungen verschiedener politischer Richtungen, „Das Parlament" sowie die Protokolle der Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages den Angehörigen der Bundeswehr in ihren Gemeinschaftsräumen zur Einsichtnahme zur Verfügung stehen?
Der Herr Bundesverteidigungsminister kann gleich am Rednerpult bleiben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Frage des Abgeordneten Pohle wie folgt beantworten:
Auf Grund der bisher bewilligten Haushaltsmittel können zur Zeit je Kompanie fünf bis sechs Tageszeitungen gehalten werden. Ihre Auswahl bleibt grundsätzlich den Einheiten selbst überlassen. Nach den §§ 10 und 33 des Soldatengesetzes haben die Einheitsführer dafür Sorge zu tragen, daß die ihnen unterstellten Soldaten nicht zugunsten oder zuungunsten einer bestimmten politischen Richtung beeinflußt werden. In den „Informationen für die Truppe" wird ständig auf diese Verpflichtung hingewiesen.
Der Bezug der Zeitung „Das Parlament" ist durch Veröffentlichung in der letzten Ausgabe des Ministerialblattes des Bundesministeriums für Verteidigung allen Einheiten empfohlen worden. Da hierin die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit des Parlaments wiedergegeben werden, ist bisher eine Beschaffung der Protokolle der Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages zur Auslage in den Gemeinschaftsräumen nicht vorgesehen worden.
Im Zusammenhang damit lasse ich außerdem zur Zeit prüfen, ob ein Informationsdienst etwa nach dem Muster des „Presse- und Funkberichts", der den Abgeordneten regelmäßig zugeht, allen Dienststellen und Einheiten der Bundeswehr zur Verfügung gestellt werden kann.
Wird eine Zusatzfrage gestellt? — Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Frage 6 — des Abgeordneten Pohle — betreffend Mittel für die Kapitalisierung der Renten nach dem BVG:
Hält der Herr Bundesarbeitsminister die für die Kapitalisierung der Renten nach dem BVG bereitgestellten Mittel für ausreichend, oder gedenkt er nach den vorliegenden Anforderungen der Länder weitere Mittel beim Herrn Bundesfinanzminister anzufordern?
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage des Abgeordneten Pohle habe ich wie folgt zu beantworten:
Das Bundesministerium für Arbeit hält die für Kapitalabfindungen nach dem Bundesversorgungsgesetz im laufenden Rechnungsjahr bisher bereitgestellten 77 Millionen DM nach den vorläufigen Bedarfsanmeldungen der Länder nicht für ausreichend. Das Ministerium steht deshalb mit dem Bundesfinanzministerium in Verhandlungen, um die bisherigen Beträge um weitere 17 bis 18 Millionen DM zu erhöhen.
Wird das Wort zu einer Zusatzfrage gewünscht? — Nein. Dann komme ich zur Frage 7 — des Abgeordneten Pohle — betreffend Beseitigung der Trümmer der ehemaligen Wehrmachtliegenschaften in der Ostsee im Raum der Gemeinde Schwedeneck:
Ist der Herr Bundesfinanzminister bereit, die Bundesvermögensverwaltung anzuweisen, entweder für eine Beseitigung der Trümmer der ehemaligen Wehrmachtsliegenschaften in der Ostsee im Raum der Gemeinde Schwedeneck zu sorgen oder wenigstens, besonders in den Sommermonaten, eine ausreichende Absicherung zum Schutz der Badegäste vorzunehmen?
Das Wort hat der Herr Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anfrage betrifft wohl die Anlagen der ehemaligen Torpedoversuchsanstalt Ost in Surendorf, die seinerzeit auf Veranlassung der Besatzungsmacht gesprengt worden sind. Zu diesen Anlagen gehörte eine etwa 300 m lange Betonbrücke, deren Trümmer zum Teil aus dem Wasser herausragen. Die Oberfinanzdirektion Kiel ist beauftragt worden, durch Hinweisschilder auf diese Trümmerreste aufmerksam zu machen. Eine Beseitigung ist mit tragbarem Kostenaufwand — die Kosten würden mindestens 250 000 DM ausmachen — nicht möglich. Die Trümmer liegen übrigens außerhalb des konzessionierten Badestrandes.
Die gesprengte Landanlage ist durch eine Umzäunung abgesichert. Soweit dies zur See hin nicht möglich ist, ist die Oberfinanzdirektion angewiesen worden, auf mögliche Gefahren durch Schilder hinzuweisen.
Wird das Wort zu einer Zusatzfrage gewünscht?
Ich frage den Herrn Staatssekretär, ob er nicht Anweisung geben will, daß die Trümmergrundstücke einmal dahingehend überprüft werden, inwieweit sie eine Gefährdung von Personen darstellen, und daß die Verwaltungsstellen nicht nur die Antwort geben sollen, für die Beseitigung oder die Abschirmung stünden keine Haushaltsmittel zur Verfügung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß man hier den Kostenaufwand und den Erfolg in das richtige Verhältnis setzen muß. Wenn hier noch einige Betontrümmer außerhalb des konzessionierten Badestrandes im Wasser stehen, dann glaube ich nicht, daß man für deren Beseitigung 250 000 DM ausgeben kann, solange auf anderen Gebieten noch andere, erheblich vordringlichere Ausgaben zu machen sind.
Das Wort zu einer zweiten Zusatzfrage hat der Abgeordnete Pohle.
Der Herr Staatssekretär hat mich mißverstanden. Ich habe nicht nur auf diese Liegenschaften in der Gemeinde Schwedeneck Bezug genommen, sondern ich weiß,
daß ungleich bedenklichere, lebensgefährdende Verhältnisse bei der TV Süd im Raum Eckernförde vorhanden sind. Dort ist eine Gefährdung von Kindern alltäglich gegeben. Ich möchte, daß diese Liegenschaften überhaupt auf ihre Gefährlichkeit für die Öffentlichkeit einmal überprüft werden und nach dieser Überprüfung von den Verwaltungsstellen entsprechende Maßnahmen getroffen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich werde gern eine Überprüfung in dieser Hinsicht in die Wege leiten.
Danke.
Ich rufe auf Frage 8 — des Abgeordneten Dr. Schellenberg — betreffend Rentenverbesserung bei Arbeitnehmern, die über die Altersgrenze hinaus berufstätig sind:
In der Regierungserklärung zur Konjunkturpolitik kündigte der Bundeswirtschaftsminister am 2. Juni 1956 an, daß die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Rentenreform Vorschläge zur Begünstigung solcher Arbeitnehmer machen werde, die über die Altersgrenze hinaus berufstätig sind.
Hat die Bundesregierung nunmehr diese Absicht endgültig aufgegeben?
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Die Frage des Herrn Professor Schellenberg habe ich folgendermaßen zu beantworten: Es bestehen verschiedene Möglichkeiten, in Zusammenhang mit der Rentenreform solche Arbeitnehmer zu begünstigen, die über die Altersgrenze hinaus berufstätig sind. Zur Zeit werden diese Möglichkeiten auf ihre Durchführbarkeit und Wirksamkeit geprüft. Eine solche Überprüfung ist insbesondere deshalb notwendig, weil die Verbesserung von Renten für Arbeitnehmer, die auch nach Erreichung der Altersgrenze berufstätig sind, von der Festsetzung dieser Altersgrenze durch den Bundestag abhängig ist.
Wird das Wort zu einer Zusatzfrage gewünscht? — Bitte.
Herr Minister, befürchten Sie nicht, daß durch die Anregungen, die die Bundesregierung geben wollte, bei der versicherten Bevölkerung die Befürchtung erweckt wird, eine Rente bei Erreichung der Altersgrenze von 65 Jahren sei nicht ausreichend, so daß eine Weiterarbeit über das 65. Lebensjahr hinaus gefördert werden müsse?
Ich glaube nicht, Herr Professor, daß eine derartige Meinung entstehen kann. Vor allen Dingen ist doch entscheidend, welche Meinungen über diese Frage die Mitglieder des Sozialpolitischen Ausschusses haben, über den gesetzgeberische Vorlagen an das Hohe Haus gehen.
Ich rufe auf Frage 9 des Abgeordneten Dr. Schellenberg betreffend Gutachten Dr. Heubeck über die finanziellen Auswirkungen der Rentenreform:
Entspricht es den Tatsachen, daß die Richtigkeit des Gutachtens, das Dr. Heubeck im Auftrage des Bundesfinanzministers über die finanziellen Auswirkungen der Rentenreform erstattet hat, von führenden Mathematikern der Sozialversicherung bestätigt wird?
Das Wort hat wieder Herr Staatssekretär Hartmann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das von dem Vorstandsmitglied der Deutschen Versicherungsmathematischen Gesellschaft Dr. Heubeck erstattete Gutachten zu den vorliegenden Entwürfen eines Rentenversicherungsgesetzes ist folgenden Versicherungsmathematikern zur Überprüfung unterbreitet worden: Herrn Diplom-Mathematiker Giese, Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Herrn Regierungsdirektor Karrer, Bayerische Versicherungskammer, Herrn Dr. Sachs, Stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Versicherungsmathematik, und Herrn Dr. Fischer, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Versicherungsmathematik. Diese Versicherungsmathematiker haben den Ergebnissen des Gutachtens des Herrn Dr. Heubeck im Grundsätzlichen zugestimmt.
Das Gutachten ist weiter zur Überprüfung unterbreitet worden: Herrn Ministerialrat Tietz vom Bundesarbeitsministerium, von dem dem Hohen Hause eine in der Zwischenzeit eingegangene Gegenstellungnahme vorliegt, die andere Ergebnisse ausweist, und Herrn Dr. Rocktäschel, Verband der Rentenversicherungsträger, der sich in einigen Punkten eine endgültige Stellungnahme vorbehalten hat.
Die näheren Einzelheiten der Ergebnisse der Besprechung über das Gutachten des Herrn Dr. Heubeck mit den vorgenannten Mathematikern sind in einem Protokoll vom 28. September 1956 niedergelegt worden.
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Haben die leitenden Beamten der Sozialversicherung, nach denen ich gefragt habe, ihre von der Auffassung des Arbeitsministeriums abweichenden Ansichten schriftlich niedergelegt, oder wird dies gegebenenfalls im Hinblick auf die Bedeutung der Materie für die finanziellen Auswirkungen der Rentenreform noch nachgeholt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es ist mir nicht bekannt, ob die von Ihnen in der Zusatzfrage angesprochenen Herren ihre Ansichten schriftlich niedergelegt haben. Ich darf mir vorbehalten, diese Zusatzfrage, wenn Sie es wünschen, schriftlich zu beantworten.
Das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Was will das Bundesfinanzministerium tun, um eine einheitliche Auffassung der leitenden Beamten über die finanziellen Auswirkungen der Rentenreform herb eizuführen und dem Zustand ein Ende zu machen, daß in der Öffentlichkeit mit unterschiedlichen Auffassungen von Beamten über den Regierungsentwurf operiert wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, ein Ministerium ist nicht in der Lage, eine einheitliche Auffassung von Wissenschaftlern oder Praktikern über einen so schwierigen Fragenkomplex von sich aus herbeizuführen.
Ich rufe auf Frage 10 des Abgeordneten Dr. Schellenberg betreffend Mitteilungen des Bundesfinanzministeriums über Rentenzahlungen vom 1. Januar 1957:
Hat das Bundesarbeitsministerium bereits einigen Rentnern mitgeteilt, mit welchen Rentenzahlungen sie vom 1. Januar 1957 an auf Grund der noch zur Beratung stehenden Gesetzentwürfe rechnen können?
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundesministerium für Arbeit pflegt Auskünfte über die künftige Höhe der Renten nicht zu geben. Bestimmend dafür ist, daß die endgültige Fassung des Gesetzes erst von den gesetzgebenden Körperschaften festgelegt werden muß. Den Rentnern ist allerdings vielfach durch die Presse und auch durch die Einsicht in den Regierungsentwurf bekanntgeworden, auf welche Weise in Zukunft die Renten berechnet werden sollen und wie die Umstellung der laufenden Renten vorgesehen ist. Über die vorgesehenen Berechnungsmethoden sind verschiedentlich Anfragen an das Ministerium gerichtet worden. Diese Anfragen sind aufklärend mit dem Hinweis beantwortet worden, daß abgewartet werden müsse, in welcher Fassung die gesetzgebenden Körperschaften das Gesetz verabschieden.
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Entspricht es also nicht den Tatsachen, daß, wie „Bild" berichtet, für das Kanzlerinterview mit den Rentnern Ausrechnungen des Bundesarbeitsministeriums erfolgt sind? Müssen nicht diese Besprechungen, die im „Bild" veröffentlicht wurden, im Hinblick darauf, daß noch keine Klärung über die Rentenberechnung erfolgt ist, falsche Vorstellungen über die Höhe der Renten erwecken?
Mir ist von einer derartigen Ausrechnung und Unterlagenlieferung aus meinem Ministerium nichts bekannt. Wenn es so wäre, dann wüßte ich es.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schellenberg?
Wollen Sie darüber Nachforschungen im Ministerium anstellen und mir darüber eine schriftliche Mitteilung zugehen lassen, ob solche Mitteilungen an die Presse erfolgt sind?
Das will ich gern tun, Herr Professor. Ich habe keine Veranlassung, Ihnen auf diesem Gebiet nicht jede Antwort zu geben, die Sie wünschen.
Danke sehr.
Ich rufe auf die Frage 11 — des Herrn Abgeordneten Kirchhoff — betreffend Zulassungsordnung für Ärzte und Zahnärzte:
Wann wird endlich die Zulassungsordnung für Ärzte und Zahnärzte erlassen?
Ist beabsichtigt, Kriegsteilnehmern die Zulassung bevorzugt zu gewähren?
Der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entwürfe einer Zulassungsordnung für Ärzte und einer Zulassungsordnung für Zahnärzte liegen vor. Sie werden am 6. und 7. dieses Monats mit dem Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen und am 13. und 14. dieses Monats mit dem Bundesausschuß der Zahnärzte und Krankenkassen, mit denen nach § 368 c Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung die Zulassungsordnungen zu beraten sind, besprochen. Besprechungen mit den sonstigen Beteiligten, vor ,allem den anderen Bundesressorts und den Arbeitsministern und Senatoren der Länder sollen nach den Weihnachtsferien stattfinden, so daß damit zu rechnen ist, daß die Zulassungsordnungen im Monat Januar des kommenden Jahres dem Bundesrat, dessen Zustimmung erforderlich ist, zugeleitet werden.
Es ist beabsichtigt, für Kriegsteilnehmer im Rahmen des Auswahlkataloges des § 368 c Abs. 2 Nr. 11 der Reichsversicherungsordnung einen Vorrang zu schaffen.
Eine Zusatzfrage wird nicht gestellt.
Ich rufe auf Frage 12 — des Abgeordneten Wienand — betreffend Wohnungsverhältnisse ausländischer Diplomaten im Bonner Raum:
Sind der Bundesregierung die schwierigen Wohnungsverhältnisse vieler ausländischer Diplomaten im Bonner Raum bekannt?
Liegen Nachrichten darüber vor, inwieweit diese Verhältnisse im Ausland einen ungünstigen Eindruck erwecken oder hinterlassen haben?
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um hier Abhilfe zu schaffen?
Wer beantwortet die Frage? — Vorgesehen ist der Herr Bundesminister für Wohnungsbau. Es ist offenbar kein Vertreter der Regierung zur Beantwortung der Frage da.
Dann rufe ich die Frage 13 — des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt — betreffend Anwendung des sogenannten Sammlungsgesetzes von 1934 auf:
Wird die Bundesregierung, notfalls im Wege der Gesetzesinitiative. dem vom Arbeitskreis I der Arbeitsgemeinschaft der Innenministerien der Bundesländer am 17./18. November 1952 in Hamburg eingenommenen Standpunkt entgegentreten, daß das sogenannte ..Sammlungsgesetz" vom 5. November 1934 noch gelte, und klarstellen, daß dieses sowohl wegen seiner Ableitung aus dem nichtigen „Ermächtigungsgesetz" Hitlers als auch infolge seiner nationalsozialistischen Zielsetzung ungültige „Sammlungsgesetz" jedenfalls mit dem Bonner Grundgesetz unvereinbar ist?
Teilt die Bundesregierung die Rechtsauffassung, daß das sogenannte „Sammlungsgesetz" insbesondere wegen Verstoßes gegen die Grundrechte der Glaubens- und Gewissensfreiheit , der auch in Spenden zum Ausdruck kommenden Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) und der Freiheit der politischen Parteibildung (Art. 18 GG) verfassungswidrig ist?
Wie soll die Rechtsunsicherheit behoben werden, daß das sogenannte „Sammlungsgesetz" nur in vereinzelten Fällen willkürlich angewandt, im allgemeinen aber mit Recht — z. B. bei spontanen Spendenaufrufen auf Grund von Notständen oder Katastrophen — gar nicht mehr beachtet wird?
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Ritter von Lex vom Bundesministerium des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Materie des Sammlungswesens gehört nach Art. 70 des Grundgesetzes zur ausschließlichen Zuständigkeit der Länder. Eine Gesetzesinitiative des Bundes auf diesem Gebiet ist daher nicht gegeben. Die Bundesregierung bejaht jedoch das Bedürfnis nach einer Klärung und einheitlichen Regelung dieser Materie im ganzen Bundesgebiet. Der Bundesminister des Innern wird daher die nächste Zusammenkunft mit den Innenministern der Länder dazu benutzen, eine solche Klärung und einheitliche Regelung anzuregen.
Danke schön.
Das Wort zu einer Zusatzfrage wird nicht verlangt.
Ist jetzt ein Vertreter ,der Regierung da, um die Frage 12 zu beantworten? — Nein. Wir stehen damit am Ende der Fragestunde. Ich bedaure, daß es nicht möglich war, eine Frage zu beantworten; aber sie wird in geeigneter Form weiter behandelt werden.
Meine Damen und Herren, bevor ich mit der Tagesordnung fortfahre, habe ich die angenehme Pflicht zu erfüllen, dem Herrn Abgeordneten Barlage zum heutigen 65. Geburtstag zu gratulieren.
Im Ältestenrat ist eine interfraktionelle Vereinbarung dahin erzielt worden, daß um 15 Uhr die Beratung des Tagesordnungspunktes „Osthandel" beginnt. Bis dahin sollen — soweit Zeit zur Verfügung steht — von der heutigen Tagesordnung die Punkte 3 und 5 bis 24 erledigt werden. Ich unterstelle, daß das Haus damit einverstanden ist, daß der weitere Verlauf der Tagesordnung dann festgesetzt wird.
Ich komme also zu Punkt 3 der heutigen Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Petitionen über seine Tätigkeit gemäß § 113 der Geschäftsordnung (Drucksache 2890).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Körner. Er hat das Wort.
— Erübrigt sich eine mündliche Berichterstattung? Ich nehme an, meine Damen und Herren, daß Sie auf mündliche Berichterstattung verzichten*).
Es ist also gemäß dem Antrag des Ausschusses Beschluß zu fassen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich komme damit zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, FVP, DP eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (Drucksache 2877).
') Schriftlicher Bericht: Anlage 2.
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als federführenden und an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen als mitberatenden Ausschuß vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Genossenschaftskasse .
Ich schlage Ihnen vor, auf Begründung und Aussprache zu verzichten und die Vorlage an den Ausschuß für Geld und Kredit als federführenden und den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Dann rufe ich Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur gleichmäßigen Besteuerung des Sparverkehrs .
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als federführenden Ausschuß sowie an die Ausschüsse für Geld und Kredit und für Kommunalpolitik als mitberatende Ausschüsse vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 8 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs .
Auf Begründung und Aussprache wird auch hier verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als federführenden und an den Ausschuß für Außenhandelsfragen als mitberatenden Ausschuß vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Eckhardt, Goldhagen, Dr. Wellhausen, Dr. Miessner, Eickhoff und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes .
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Nun folgt Punkt 10 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Fraktionen der FDP, CDU/CSU, SPD, GB/BHE, FVP, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes .
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/ BHE, DP, FVP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (Drucksachen 2934, zu 2934).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Peters. Ich erteile ihm das Wort.
— Es liegt ein Schriftlicher Bericht*) vor. Ich nehme an, daß das Haus auf einen weiteren, mündlichen Bericht verzichtet. — Das ist der Fall.
Dann rufe ich in zweiter Beratung auf die Artikel 1, — 1 a, — 1 b, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen! Enthaltungen? — Bei Enthaltungen ohne Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Außenhandelsfragen über den Entwurf einer Elften Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Drucksachen 2930, 2678).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Diekmann. Es liegt jedoch ein Schriftlicher Bericht**) vor, so daß sich ein weiterer, mündlicher Bericht erübrigt. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer dem Ausschußantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Ergänzung von Vorschriften des Umstellungsrechts (Drucksache 2912).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Geld und Kredit vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
*) Siehe Anlage 3.
**) Siehe Anlage 4.
Wir kommen zu Punkt 14 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
eines Gesetzes zur Aufhebung der Beschränkung des Niederlassungsbereichs von Kreditinstituten ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Geld und Kredit (Drucksache 2899).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Kirchhoff. Ein mündlicher Bericht erübrigt sich, da ein Schriftlicher Bericht*) vorliegt.
Ich rufe in zweiter Beratung auf die §§ 1, — 2,
— 3, — 4, — 5, — 6, — Einleitung und Überschrift.
— Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ohne Gegenstimmen. Enthaltungen? — Ohne Enthaltungen einstimmig angenommen.
Nun rufe ich Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen vom 5. März 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, Kanada, Australien, Neuseeland, der Südafrikanischen Union, Indien und Pakistan sowie der Französischen Republik über Militärfriedhöfe, Kriegsgräber und Gedenkstätten des Britischen Commonwealth und über das Abkommen vorn 5. März 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, Kanada, Australien, Neuseeland, der Südafrikanischen Union, Indien und Pakistan über Kriegsgräber, Militärfriedhöfe und Gedenkstätten des Britischen Commonwealth im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland .
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. April 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über den Luftverkehr .
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Verkehrswesen vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
*) Siehe Anlage 5.
— Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Abgeordnete Bender.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gemäß der Übung dieses Hauses, die vor kurzem aufgenommen wurde und sich bewährt hat, bitte ich um Überweisung auch an den Ausschuß für Außenhandelsfragen. Diesen Antrag stelle ich namens des gesamten Ausschusses für die Punkte 16 bis 18 der Tagesordnung.
Ein solcher Antrag kann zwar nicht namens des Ausschusses gestellt werden, da der Ausschuß noch nicht mit der Sache befaßt war. Aber es genügt, daß der Herr Kollege den Antrag allein stellt, auf daß er hier behandelt wird.
Die Vorlage unter Punkt 16 der Tagesordnung ist also an den Ausschuß für Verkehrswesen überwiesen worden, der federführend sein soll. Sie wünschen den Ausschuß für Außenhandelsfragen mitberatend zu beteiligen. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Erhebt sich Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist auch die zusätzliche Überweisung beschlossen.
Ich komme zu Punkt 17 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Mai 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Luftverkehr .
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet.
Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß ) für Verkehrswesen — federführend — vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Der Abgeordnete Bender schlägt weiter vor, die Vorlage zur Mitberatung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen zu überweisen. Wird Widerspruch erhoben? — Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 18 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Enwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Juni 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Irland über den Luftverkehr .
Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Verkehrswesen vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Auch zu diesem Punkt wird beantragt, den Außenhandelsausschuß mitberatend zu beteiligen. Wird Widerspruch erhoben? — Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen.
Ich komme zu Punkt 19 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik des Schiffs- und Güterverkehrs auf den Binnenwasserstraßen und die Fortschreibung des Schiffsbestandes der Binnenflotte .
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet.
Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Verkehrswesen vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Hier werden keine weiteren Anträge gestellt.
Dann komme ich zu Punkt 20 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Abkommen vom 21. Mai 1954 über die Arbeitsbedingungen der Rheinschiffer .
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet.
Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Arbeit vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 21 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fünften Berichtigungs- und Änderungsprotokoll vom 3. Dezember 1955 zum Wortlaut der dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen beigefügten Zollzugeständnislisten .
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet.
Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Punkt 22 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. Juli 1955 über die Gewährung der Meistbegünstigung und über gewerbliche Schutzrechte zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Paraguay ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (Drucksache 2929).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Albrecht . Es liegt ein Schriftlicher Bericht*) vor; der mündliche Bericht erübrigt sich.
Ich rufe auf in zweiter Beratung Art. 1, — 2, —3, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig ohne Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf Punkt 23 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Protokoll vom 10. Mai 1948 zur Änderung des Abkommens vom 22. November 1928 über Internationale Ausstellungen ;
*) Siehe Anlage 6.
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (Drucksache 2931).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Unertl. Es liegt ein Schriftlicher Bericht**) vor.
— Wenn Sie wollen, kann der Abgeordnete Unertl ergänzen. Aber ich glaube, er legt keinen Wert darauf.
— Er verzichtet, — um es ausdrücklich festzustellen. Ich danke dem Herrn Berichterstatter und rufe auf in zweiter Beratung Art. 1, — 2, — 3,
— Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — 'Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung,
und ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ohne Gegenstimmen. Enthaltungen? — Ohne Enthaltungen einstimmig angenommen.
Ich komme zu Punkt 24 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das deutschösterreichische Protokoll vom 1. Dezember 1955 über die Verlängerung des deutschen Zollzugeständnisses für Loden ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (Drucksache 2932).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Unertl. Der Abgeordnete Unertl verzichtet auf mündliche Berichterstattung. Es liegt ja ein Schriftlicher Bericht***) vor.
Ich komme zur zweiten Beratung und rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ohne Gegenstimmen. Enthaltungen? — Ohne Enthaltungen einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, die Punkte, die der Ältestenrat zur Beratung vorgeschlagen hatte, sind
*) Siehe Anlage 7. **) Siehe Anlage 8.
bereits erledigt. Ich schlage Ihnen vor, daß wir mit Punkt 26 weiterfahren, da jetzt auch wieder Punkte kommen, bei denen keine nähere Beratung erforderlich ist. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich rufe also auf Punkt 26:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Lücke, Heiland und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Anordnung über die Zulässigkeit von Konzessionsabgaben der Unternehmen und Betriebe zur Versorgung mit Elektrizität, Gas und Wasser an Gemeinden und Gemeindeverbände ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Kommunalpolitik (Drucksache 2935).
Berichterstatter ist Abgeordneter Lahr. Es liegt ein Schriftlicher Bericht*) vor.
Ich rufe deshalb in zweiter Beratung auf Art. 1, — 2, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Wer in der Schlußabstimmung dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Ohne Enthaltungen einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 27 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Merkblatt für Reisende aus der Sowjetzone (Drucksachen 2880, 2562).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Dr. Rinke.
— Verzichtet das Haus auf Berichterstattung?
— Das ist der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich lasse abstimmen. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache 2880 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung, sonst einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 28:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Sozialpolitik über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP, FVP betreffend Gutachten zur Reform
*) Siehe Anlage 9.
der Rentenversicherung .
Es liegt ein Schriftlicher Bericht**) vor. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich lasse abstimmen. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache 2886 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf Punkt 29:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Sicherstellung der Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (Drucksache 2943).
Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Abgeordnete Kurlbaum.
Wir sind durchaus dafür, daß dieser Punkt heute behandelt wird, bitten jedoch, ihn an das Ende der Tagesordnung zu setzen.
Als späteren Punkt der Tagesordnung?
— Also stelle ich den Punkt jetzt zurück.
1 Meine Damen und Herren, der Herr Außenminister ist noch nicht da. Es ist auch noch nicht 3 Uhr. Ich schlage Ihnen vor, daß wir die Sitzung — —Zurufe.)
— Haben Sie einen Punkt vorzuschlagen, den wir jetzt behandeln können? Ich sehe keinen.
— Ich sehe, daß der Herr Staatssekretär kommt. Wir sind also bereits vor 3 Uhr in der Lage, mit der Anfrage zu beginnen, wenn die Fraktion der SPD zur Begründung der Anfrage bereit ist. Ist das der Fall?
Herr Präsident! Wir hätten gern den Herrn Bundesaußenminister dabei. Er muß natürlich die Begründung hören, weil er antworten soll.
Wir hatten uns an sich vorgenommen, um 3 Uhr damit zu beginnen. Es ist etwas zu früh. — Herr Abgeordneter Schoettle zur Geschäftsordnung!
Ich würde vorschlagen, daß wir jetzt, nachdem Sie ein ganz bemerkenswertes Tempo vorgelegt haben, 5 Minuten Pause einschalten und pünktlich um 3 Uhr beginnen.
Das, meine Damen und Herren, hatte ich selber vorzuschlagen beab*) Siehe Anlage 10.
sichtigt, nachdem Sie das Tempo mitgehalten hatten.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung für 5 Minuten.
Die Sitzung wird um 15 Uhr 2 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Wir setzen, nachdem der Herr Bundesaußenminister auf die Minute pünktlich eingetroffen ist, die Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Osthandel ;
b) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betreffend Errichtung einer ständigen Wirtschaftsdelegation in Peking ;
c) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betreffend Errichtung von Handelsmissionen .
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands betreffend Osthandel hat der Abgeordnete Kalbitzer.
Kalbitzer , Anfragender: Meine Damen und Herren! Wir begrüßen es, daß der Herr Außenminister gekommen ist, um die Große Anfrage selbst zu beantworten. Wir hätten Einspruch erheben müssen, wenn der Herr Außenminister am Freitag, wie ursprünglich vorgesehen, nicht hätte zugegen sein können und der Herr Staatssekretär die Beantwortung übernommen hätte. Dieser Protest hätte sich nicht gegen die Person gerichtet, sondern wäre aus der Sache heraus begründet gewesen, die es nötig macht, diese Fragen politisch zu diskutieren, also nicht auf der mehr technischen Ebene stehenzubleiben.
Die Osthandelspolitik ist nämlich ein Teil des Gesamtproblems des deutschen Verhaltens gegenüber den Ostblockmächten und ihrer Vormacht, der Sowjetunion. Das Ziel unserer gesamten Ostpolitik — ich denke, darüber besteht doch Einigkeit — soll auch sein, von der Seite des Ostens die Zustimmung zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands zu erhalten. Es müssen also die Voraussetzungen für Verhandlungen über die Wiedervereinigung geschaffen werden. Das heißt: erst einmal muß der Drahtverhau, das Dickicht der Mißverständnisse, der politischen Nadelstiche und des Unverständnisses fortgeräumt werden, ehe man zu dieser Kernfrage durchdringen kann.
Aus einer unseligen deutschen Vergangenheit heraus werden diese Fragen bei uns in der Regel nur militärpolitisch angepackt, also von der Seite, auf der uns von unseren östlichen Nachbarn das meiste Mißtrauen entgegengebracht wird. Dieser falsche Ausgangspunkt der Diskussion mit dem Osten rührt von dem deutschen Irrtum her, daß sich politische Bedeutung nur militärpolitisch manifestieren könne. Wir möchten diese Diskussion heute so geführt wissen, daß wir auf den deutschen Einfluß von der wirtschaftspolitischen Seite her Bedacht nehmen. Wir wollen die Diskussion
also von einer Seite führen, von der wir wissen, daß sie im Osten viel weniger Mißtrauen erregt, damit ein Anfangspunkt der weitergehenden Diskussion gefunden werden kann.
Wenn sich die Bundesregierung entscheidet, von welcher Seite aus sie diese Diskussion mit den Ostmächten anfangen will, so hat sie nach ihren eigenen Äußerungen aus der letzten Zeit zwei Möglichkeiten. Ich meine einmal die von mir sehr bedauerten prahlerischen Äußerungen des Herrn Strauß, der wörtlich sagte — Sie erinnern sich noch —:
„In unserem technischen Zeitalter verfügen die Bündnispartner der NATO in ihrer Zusammenfassung über ein Abwehrpotential, das im Falle sowjetischer Angriffe die Vernichtung des Angreifers bedeuten würde."
Die andere Äußerung von offizieller Seite zu dem Problem war die des Herrn Bundeskanzlers in der außenpolitischen Erklärung Anfang November, also vor einem Monat. Es ging damals um die Aussprache über die Vorgänge in Ungarn. Der Bundeskanzler sagte: „Die Bundesregierung wird sich auch weiterhin bemühen, mit der Sowjetunion im Gespräch zu bleiben." Ich muß sagen, daß ich die Haltung des Bundeskanzlers in diesem Falle als Ausgangspunkt für unsere Diskussion vorziehe und wünsche, daß die heutige Aussprache in diesem Sinne geführt wird.
Nun darf ich zu den einzelnen Punkten unserer Großen Anfrage auf Drucksache 2736 kommen. Sie lautet:
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Auf Grund welcher internationalen Verträge und Abmachungen hat die Bundesregierung Handelsbeschränkungen gegenüber der Sowjetunion und den anderen Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes sowie der Volksrepublik China verhängt?
Ich glaube, Ihre Antwort, auf die ich gespannt bin, kann nicht unterstellen, daß ein solcher völkerrechtlicher Vertrag überhaupt besteht, und wir wünschen, daß Sie daraus die politischen Konsequenzen ziehen.
Punkt 2 der Großen Anfrage lautet:
Auf welche Rechtsgrundlage stützt die Bundesregierung ihre Befugnisse zu solchen Vereinbarungen, und warum hat sie nicht diese Vereinbarungen dem Bundestag gemäß Art. 59 GG zur Zustimmung durch Gesetz vorgelegt oder den Bundestag wenigstens unterrichtet?
Soweit meine Unterlagen reichen, ist die einzige Grundlage für das Embargo erst im vergangenen Jahre mit dem Abkommen über gegenseitige Verteidigungshilfe mit den Vereinigten Staaten, die dieses Embargo zur Bedingung machten, geschaffen worden. Die Haltung der Vereinigten Staaten ist im Rückblick auf die Zeit des koreanischen Krieges durchaus verständlich. Aber, nachdem die koreanische Krise überwunden ist und die Welt sich um eine Normalisierung der Beziehungen bemüht, kann man nur sagen, daß das amerikanische Drängen auf Beibehaltung des Embargo heute rein emotionale. rein gefühlsmäßige Gründe hat. Hinzu kommt für die Amerikaner — das muß von unserer Seite natürlich bedacht werden —, daß sie seit eh und je keinen intensiven Handel mit den Staaten des Ostblocks gehabt haben.
Punkt 3 und 4 der Großen Anfrage lauten:
3. Weshalb gehen die Handelsbeschränkungen gegenüber der Volksrepublik China weiter als gegenüber den anderen betroffenen Ländern?
4. Weshalb führt die Bundesregierung die am 4. August 1953 ausgesprochene Verschärfung der Handelsbeschränkungen gegenüber der Volksrepublik China fort, obwohl sie auf 120 Tage begrenzt war?
Die gefühlsmäßige Ablehnung des jetzigen Chinas durch die Vereinigten Staaten und die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten ist besonders stark. Aber ich glaube, die Entwicklung in den letzten Wochen zwischen Amerika, Indien und China — in diesem Dreieck spielt sich das wohl ab — zeigt, daß die Amerikaner selber dabei sind, die allmählich unhaltbar und unmöglich gewordene Situation zu überwinden.
Ich möchte, anstatt meiner eigenen Meinung über China Ausdruck zu geben, mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren, was ein deutscher Außenhandelskaufmann, der sein Leben lang in China gewesen ist, der Bremer Kaufmann Lindemann, kürzlich über China und die Chinesen und über die Notwendigkeit eigener deutscher Beziehungen zu diesem größten Land gesagt hat:
Meine Herren! In meiner jahrelangen persönlichen Verbundenheit mit China und den Chinesen habe ich mich gelegentlich gefragt: sind die Chinesen das außerordentlichste Volk der Erde? Nach meiner persönlichen Überzeugung muß ich diese Frage bejahen. Wenn ein Volk schon vor 3000 Jahren über eine hohe Kultur verfügt und heute nicht nur existiert, sondern mit Fortbestand seiner hohen Kultur heute noch sehr vital existiert und sich anschickt, der ausschlaggebende politische und wirtschaftliche Faktor im Fernen Osten mit seiner einen Milliarde Menschen Einwohner zu werden, so halte ich das allein schon für eine ganz außerordentliche Tatsache, eine Tatsache, deren Bedeutung für die ganze Weltpolitik und Weltwirtschaft vielleicht nicht immer in voller Tragweite erkannt wird.
Das Verhalten der Bundesregierung gegenüber diesem großen Volk und Land ist zur Zeit von einer solchen Kleinmütigkeit, daß es dem Problem in keiner Weise entspricht. Ich habe hier einen Hinweis auf folgenden Fall vor mir liegen. Die Chinesen hatten in Deutschland einige hundert Traktoren bestellt, die auch geliefert werden sollten. Als von einer Sorte glücklich 30 Stück geliefert worden waren, wurde die Erlaubnis zurückgezogen. Der größte Teil dieser Lieferungen an China wurde aufgehalten. Wir haben also einmal dieses Geschäft mit China nicht machen können und haben zum anderen einen Ansatzpunkt, die Beziehungen mit diesem Lande zu intensivieren, zunichte gemacht und gerade das erreicht, was wir doch überwinden sollten, nämlich Mißverständnisse und Mißtrauen.
5. Welche Erfahrungen und Unterlagen besitzt die Bundesregierung darüber, ob durch diese Handelsbeschränkungen — ausgenommen Rüstungslieferungen — das Kriegspotential der betroffenen Länder geschwächt oder ob es von diesen Maßnahmen unberührt geblieben ist?
Ich darf schon jetzt sagen, daß der Effekt des Embargos militärisch ganz zweifellos negativ ge-
wesen ist und gegenteilige Behauptungen nur als komisch wirkender Zweckoptimismus bezeichnet werden können. Die Atomstrategie beider Weltmächte geht heute von der Voraussetzung aus, daß man gleichgezogen hat. Diese Situation hat 1950, als das Embargo begann, offenbar noch nicht bestanden. Da also die militärische Begründung für dieses Embargo, wie man es in den ersten Jahren hier und im Ausland gehört hat, nicht stimmt, bleibt für diese Begründung nur übrig, daß es sich heute darum handelt, den Kalten Krieg fortzusetzen und der anderen Seite, mit der man normale Beziehungen nicht herstellen will, das Gesicht zu nehmen.
Punkt 6 und 7 lauten:
6. Weshalb lehnt die Bundesregierung den Abschluß eines Handelsabkommens mit der Sowjetunion ab, obwohl von deren Seite ein solches Abkommen angeregt und eine gleichzeitige Regelung anderer Differenzen dabei in Aussicht gestellt wurde und obwohl im Schlußkommuniqué anläßlich des Besuches des Bundeskanzlers in Moskau am 13. September 1955 Verhandlungen über dieses Thema ausdrücklich vorgesehen waren?
7. Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch die Ablehnung eines solchen Abkommens deutsche Handels- und Schiffahrtsinteressen ernsthaft geschädigt werden und daß zwischen der Sowjetunion und anderen NATO-Mitgliedsländern derartige Abkommen bestehen, die erhebliche Vergünstigungen mit sich bringen?
Es handelt sich im wesentlichen darum, daß infolge Fehlens eines Handelsabkommens den deutschen Geschäftsleuten eine erheblich geringere Rechtssicherheit gegeben ist als denen anderer Mächte, die Handelsabkommen mit der Sowjetunion haben. Das wirkt sich insbesondere für die deutsche Schiffahrt nach Rußland aus. In einem Falle, der mir bekannt ist, betragen die Kaigebühren in Leningrad für Schiffe aus Ländern ohne Handelsabkommen mit der Sowjetunion, also auch aus der Bundesrepublik, 5,40 Rubel pro Tonne, für Schiffe anderer Länder mit Abkommen wie Belgien, Holland, Norwegen, Schweden, England und Frankreich, der seefahrenden Nationen Europas also, die derartige Abkommen haben, nur ein Drittel des genannten Betrags, nämlich 1,80 Rubel. Die deutsche Regierung bringt sich hier also selber und selbstverschuldet in einen Nachteil, der durch nichts anderes aufgewogen wird.
Punkt 8 heißt:
8. Verhindert die Bundesregierung den Abschluß des privaten Handelsabkommens zwischen dem Ostausschuß der deutschen Wirtschaft und der staatlichen chinesischen Außenhandelsgesellschaft, oder ist sie bereit, die Unterzeichnung des Abkommens in Peking zu gestatten?
Punkt 9:
9. Gedenkt die Bundesregierung, die Fragen der Handelsbeschränkungen erneut zu überprüfen und diese eventuell abzubauen oder aufzugeben und den Abschluß von Handelsabkommen vorzubereiten?
Lassen Sie mich abschließend sagen, meine Damen und Herren: Ich stelle diese Fragen nicht, um die Bundesregierung in irgendeine Verlegenheit zu bringen, sondern um sie aufzurütteln, endlich ihre Lethargie in der Ostpolitik abzulegen. Deutschland hat nur eine Zukunft, wenn wir erreichen, möglichst viele Freunde und keine Feinde zu haben. Politische Freundschaft bedeutet auch in bezug auf die Ostländer nicht ideologische Übereinstimmung, sondern Ausgleich und Abstimmung der politischen Interessen.
Meine Damen und Herren! Es ist wohl zweckmäßig und entspricht der Vereinbarung im Ältestenrat, wenn nunmehr die beiden anderen Punkte begründet werden und dann der Herr Außenminister Stellung nimmt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schwann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an die Ausführungen anschließen, die unser Kollege Kalbitzer soeben gemacht hat. Die Anfrage der SPD und auch die Anträge der FDP sind nicht gestellt worden, um politische Schwierigkeiten zu schaffen, sondern sind gestellt worden, um neue Anregungen und Impulse zu geben, vielleicht auch einmal unseren außenpolitischen Weg zu überprüfen. Ich bin aber nicht der Meinung, daß wir im Zusammenhang mit der Anfrage und den Anträgen heute eine politische Aussprache herbeiführen sollten, sondern der Auffassung, daß wir uns ganz konkret auf die Materie beschränken sollten, die hier zur Debatte steht.
Meine Freunde und ich sind der Meinung, daß die Politik der wirtschaftlichen Abschnürung vom kommunistischen Osten überholt ist, daß vor allem die übergroße Zurückhaltung diesen Staaten gegenüber. die auf dem Gebiet der Wirtschaft gewünscht wurde, keinen politischen Nutzen gezeitigt hat. Wir bejahen durchaus den in der bisherigen Politik erkennbaren Grundgedanken, die Mittel der Wirtschaft auch zur Erreichung politischer Ziele einzusetzen. Im Negativen aber ist dieser Weg, wie wir feststellen müssen, ohne Erfolg geblieben. Er mußte erfolglos bleiben, weil die übrigen nichtkommunistischen Länder des Westens zu einer einheitlichen Haltung nicht bereit waren. Gerade auf dem Gebiet der Wirtschaft hat sich deutlich erwiesen, daß die so häufig apostrophierte Einheit des Westens in Wirklichkeit außerordentlich schwach gewesen ist und auch in Zukunft bleiben wird.
Sehr bemerkenswert in dieser Hinsicht waren die vor kurzem erst betriebenen französischen und englischen Bemühungen um russisches Öl. Es ist schwer, keine Satire zu schreiben. Zunächst verstopft man sich die bisher fließenden Ölquellen im Kampf gegen befürchtete kommunistische Expansionsabsichten am Suez-Kanal, und dann bemüht man sich im Kampf gegen die verbündeten USA um Ersatzlieferungen von Öl aus Rußland. Wie hier, so auch im Verkehr mit den übrigen kommunistischen Ländern. Ein Sprecher des französischen Ministeriums für Industrie und Handel charakterisiert die Lage richtig, wenn er sagt:
Es erscheint seltsam, daß wir unser Öl gerade von den Russen beziehen müssen, die unsere Schwierigkeiten im Nahen Osten verursacht haben, während die Amerikaner müßig dastehen.
Diese Uneinheitlichkeit des Westens auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet ist keinesfalls eine Erscheinung nur von heute. Man einigte sich im Zuge der Korea-Krise z. B. in der westlichen
Welt auf eine Embargo-Politik gegenüber dem Osten und auf ein verschärftes Embargo gegenüber China. Das Ergebnis? In China gibt es alle auf der Verbotsliste stehenden Waren aus den Industriestaaten des Westens, angefangen beim amerikanischen Personenauto über englische Traktoren bis zum französischen Stahl. Der bedingungslose deutsche Gehorsam gegenüber den Embargo-Bestimmungen ist — so meint ein amerikanischer Politiker — zwar offiziell sehr erfreulich. Er fährt dann fort:
Aber die amerikanische Wirtschaft vermißt den Markt Chinas zu sehr, als daß sie sich länger um überholte politische Meinungen kümmern wird.
Ich darf den Bericht des japanischen Komitees für die Förderung des internationalen Handels in diesem Hause als bekannt voraussetzen. Er stellt eindeutig fest, daß die Verletzungen des China-Embargos durch westliche Großmächte immer häufiger und offensichtlicher werden. Im einzelnen nennt dieser Bericht folgende Beispiele: Britische Firmen haben Verträge über die Lieferung von Lastkraftwagen, Traktoren und Frachtschiffen von 10 000 t unterzeichnet. Eine französische Handelsmission hat Verträge über die Lieferung von 100 000 t Stahlplatten und anderen Stahlprodukten abgeschlossen. Außerdem hat — so wird behauptet — die französische Regierung eine Garantie gegeben, daß sie der Einfuhr jeder von der Mission vereinbarten Lieferung zustimmen wird. Die Schweiz steht in diesem Katalog mit Generatoren und Bohrmaschinen, Belgien mit Werkzeugmaschinen usw.
Vor einigen Tagen schreibt die „Neue Zürcher Zeitung" von großen chinesischen Einkäufen in Schweden, u. a. von Werkzeugmaschinen, Instrumenten usw. im Gesamtwert von 40 Millionen Schwedenkronen. Die Exportlizenzen der schwedischen Behörden sind bereits gewährt worden. Gegenwärtig weilt außerdem eine chinesische Delegation in Schweden, um dort Sägewerke und Zellulosefabriken zu studieren und die Möglichkeiten weiterer Maschinenkäufe für die Holz- und Zelluloseindustrie zu untersuchen.
Der deutsche Warenverkehr mit China hat folgende Entwicklung genommen: 1936 rund 120 Millionen RM, 1952 73 Millionen DM, 1953 139 Millionen DM und von da an eine ständige Steigerung. Charakteristisch für diesen Warenaustausch ist jedoch, daß er weitgehend über dritte Länder abgewickelt wird. Hierdurch wird nicht nur die chinesische Wertung der deutschen Wirtschaftskapazität beeinträchtigt, sondern die Ostblockstaaten versuchen, ihre Überschüsse an China-Produkten zum Ausgleich der Clearing-Salden mit der Bundesrepublik zu verwenden. Dieses Verfahren kann nicht im Interesse der Bundesrepublik liegen.
Der direkte Warenaustausch zwischen China und Deutschland betrug 1953 noch 91,2 Millionen DM; er sank 1954 auf 47,6 und 1955 auf 41 Millionen DM. Das bedeutet, daß nur etwa 20 % unseres gesamten China-Exports im direkten Verkehr abgewickelt werden und die restlichen fast 80 % über dritte Länder. Es wäre reizvoll, auf die politische Seite dieser Tatsachen einzugehen. Wir sollten uns das jedoch aufsparen, bis hoffentlich in Kürze in diesem Hause die Möglichkeit besteht, einen Antrag vorzulegen, auch die diplomatischen Beziehungen zwischen China und uns aufzunehmen.
Mir scheint, daß es mehr als irgendein Auftrag ist — und damit wende ich mich gegen Ausführungen in einer Rede des Herrn Bundesaußenministers —, wenn wir in Ägypten über den Nil eine neue Brücke bauen, wenn ein westdeutsches Unternehmen in der Wüste südlich Kairo ein Hüttenwerk mit einer Kapazität von 260 000 t errichtet und zusammen mit einem ägyptischen Konsortium betreiben will, wenn die AEG und Siemens gemeinsam in der Nähe von Heluan ein Elektrizitätswerk bauen, das von den Ägyptern als Versorgungszentrale für eine im dortigen Gebiet einzurichtende Kleineisen- und Textilindustrie gedacht ist, die sie in Zusammenarbeit mit westdeutschen Firmen errichten wollen.
Ich glaube, wir sollten alle darüber nachdenken, daß wir vor einer entscheidenden Wende im politischen Leben stehen: Entweder der Kalte Krieg wird fortgesetzt und verschärft, oder die beiden Atomgiganten Rußland und Amerika finden sich zu einer politischen Entspannung. Ich hoffe auf und glaube an das letztere, trotz allem, was an Menschenunwürdigem in den letzten Wochen in Ungarn und in Ägypten geschah. Das Zeitalter der politischen Entspannung muß kommen, einfach deshalb, weil die Vernichtungswaffen, die Menschengeist geschaffen, der Kontrolle der Menschen entwachsen sind. Dann aber beginnt — und deshalb vorhin meine Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Außenministers bezüglich Ägypten — der Kampf um die Vorherrschaft auf dieser Erde mit anderen Mitteln, mit den Mitteln der Wirtschaft. In diesem mit allem Einsatz geführten Kampf werden wir einigermaßen nur bestehen, wenn wir alle Märkte, zu denen wir gute Beziehungen haben, sehr pfleglich behandeln und wenn es uns gelingt, neue Märkte zu erschließen. Gute Beziehungen hatten wir im Nahen Osten, ein Goodwill dazu. Sie müssen wiederhergestellt werden. Neue Märkte sind im Fernen Osten zu erschließen. China umfaßt heute allein ein Viertel der Erdbevölkerung — ein ungeheurer Markt, wenn er erschlossen wird; unvorstellbare Probleme, die auf Jahrzehnte hinaus die ganze Welt beschäftigen können, harren ihrer Lösung.
Was hat nun die Regierung getan, um den Weg zu den neuen Märkten freizumachen? Da möchte ich die Große Anfrage der SPD um einige Fragen erweitern. Ich muß hier an die Forderung unseres früheren Kollegen Pfleiderer aus dem Jahre 1954 erinnern. Er sagte damals:
. . . eine rechte terra incognita der auswärtigen Politik, über die wir heute nur vom Hörensagen und durch Dritte unterrichtet sind. — Ich meine, die ganze Welt von Warschau bis nach Peking im Fernen Osten.
Und an anderer Stelle hat er darauf verwiesen, daß man gute und schlechte Beziehungen zu Staaten haben kann, aber man solle sich davor hüten, keine Beziehungen zu haben.
Reichte etwa die deutsche Souveränität nicht aus, um Entscheidendes zu tun? Liegt hier die Ursache dafür, daß das Auswärtige Amt die ihm und dem Wirtschaftsministerium in erster Linie zustehende Aufgabe der Herstellung von Beziehungen an ein privates Spitzengremium delegiert hat? Eine unschöne Lösung, wenn der Verantwortliche sich der Verantwortung entledigt und Interessenten, die bei Beratungen als Sachverständige unentbehrlich sind, eine von ihnen nie angestrebte und auch von ihnen nicht zu tragende Verantwortung zuschiebt.
Seit Jahren ist der Ostausschuß ermächtigt, Verhandlungen zu führen. Die Ermächtigung bedeutet allerdings nur eine Grundsatzermächtigung. Ich habe nie feststellen können, ob dieser Ausschuß auch schon die Erlaubnis hat, die grundsätzliche Ermächtigung in die Praxis zu überführen, d. h. mit den Verhandlungen beginnen zu können. Es würde uns interessieren zu wissen, ob und wann diese Genehmigung erteilt worden ist. Wir möchten auch wissen, ob der Ostausschuß nach Beginn der Verhandlungen das Recht hat, wenn die Regierung die Erlaubnis zum Beginn gegeben haben sollte, einen verbindlichen Abschluß zu machen. Natürlich interessiert in diesem Zusammenhang auch die Frage, seit wann diese Ermächtigung zum Abschluß vorliegt.
Nicht zuletzt interessiert es uns zu erfahren, ob die Regierung etwa Bedenken gegen Verhandlungen in Peking erhoben hat. Die Frage liegt deshalb nahe, weil die good-will-mission des Bundesverbandes der Industrie im Frühjahr dieses Jahres bei ihrer Reise in den Fernen Osten um China herumgefahren ist; ein Besuch in Peking war also offenbar unerwünscht. Die Frage ist deshalb auch von großer Bedeutung, weil wir uns nicht vorstellen können, daß man vernünftige Verhandlungen mit einem Partner führen kann, wenn man ihn und seine Verhältnisse nicht an Ort und Stelle studiert. Wir fragen deshalb so konkret, weil es nicht möglich war, darüber Einzelheiten zu erfahren.
Vor allem interessiert natürlich die Begründung, weshalb hier die Verhandlungen von einem privaten Gremium geführt werden sollen, anstatt sie einer unserer Kontrolle unterstellten amtlichen Delegation zu übertragen, bei der selbstverständlich Sachverständige der Wirtschaft, des Handels und der Bankenwelt beratend mitwirken sollen und müssen. Mir sind in China zahlreiche Delegationen der verschiedensten europäischen Länder begegnet, Wirtschaftler, Wissenschaftler, Gewerkschaftler und viele andere, auch eine ganze Delegation englischer Parlamentarier des Ober- und Unterhauses aller Parteien, nachdem vor Jahren bereits der damalige englische Oppositionsführer Attlee im Auftrage seines Ministerpräsidenten Churchill eine Reise durch China machen sollte.
Unser dringendes Anliegen geht dahin, daß wir nun Schluß machen mit der Politik der Halbheiten, daß nicht nur in China, sondern auch in den übrigen Staaten, zu denen wir noch keine diplomatischen Beziehungen haben, wenigstens ständige Handelsmissionen eingerichtet werden und die weißen Flecken auf der Weltkarte verschwinden.
Unter diesem Gesichtswinkel kann Westdeutschland der Vermittlungsaktion des indischen Regierungschefs Nehru nur einen vollen Erfolg wünschen. Man darf hoffen, daß zwischen den USA und China erneut ein Gespräch in Gang kommen wird. Man darf weiter der Erwartung Ausdruck geben, daß das Angebot, das der chinesische Ministerpräsident Tschu En-lai an den Generalissimus Tschiang Kai-schek gerichtet hat, es der amerikanischen Politik erleichtern wird, das Gespräch mit China aufzunehmen. Wenn auch die Problematik um die Insel Formosa sowohl in ihrem Gewicht als auch in der Größenordnung eine gänzlich andere ist als die der Lage im geteilten Deutschland, so kommt doch der Initiative der chinesischen Staatsführung eine beispielhafte und nachahmenswerte Bedeutung zu. In jedem Falle sollten wir eine Politik treiben, die den mir gelegentlich eines ausführlichen Gesprächs mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Marschall Tschen-Yi gemachten Vorstellungen entspricht. Er sagte: Wenn die Beziehungen zwischen Deutschland und China aufgenommen werden, darf dadurch das gute Verhältnis zwischen Bonn und Washington nicht gestört werden. — Und meine Antwort an ihn: Wenn die Beziehungen zwischen China und Deutschland aufgenommen werden, sollte davon das Verhältnis zwischen Peking und Moskau nicht tangiert werden.
Das Wort zur Begründung des anderen Antrags der Fraktion der FDP — Drucksache 2937 — hat der Abgeordnete Rademacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von meiner Fraktion gestellte Antrag zur Errichtung von gegenseitigen Handelsmissionen mit Polen, der Tschechoslowakei, Rumänien und Bulgarien, die gleichzeitig mit konsularischen Rechten ausgestattet sind, hat ein ganz bestimmtes Ziel, das sich am besten in drei Punkten definieren läßt.
Das erste wäre die Legalisierung bereits mit diesen Ländern bestehender Handelsabmachungen. Das zweite wäre die Schaffung besserer Rechtsgrundlagen oder überhaupt erst von Rechtsgrundlagen. Der schwierigste Punkt ist das Politikum, das mit den beiden erstgenannten Punkten — nämlich mit der Legalisierung der Handelsbeziehungen und mit den zu schaffenden Rechtsgrundlagen — unabdingbar verknüpft ist. Diesem Politikum will ich im Auftrage meiner Freunde in meiner Begründung nicht ausweichen.
Seit Jahren unterhalten wir Handelsbeziehungen zu den in meinem Antrag genannten Ländern. Ungarn haben wir in diesem Antrage bewußt ausgenommen, weil wir die politische Entwicklung in diesem Lande, die wir alle mit größter Spannung und Aufmerksamkeit, ja, auch mit Hoffnung verfolgen, abwarten müssen. Die von mir erwähnten Handelsbeziehungen sind aus politischen Gründen auf eine merkwürdige Weise und in einer sonderbaren Form zustande gekommen. Mein Freund Schwann ist schon darauf eingegangen. Mit Ausnahme von Rumänien werden von beiden Seiten Delegierte der zuständigen Ministerien beauftragt, in Form von sogenannten Protokollen die Bedingungen der Handelsbeziehungen festzulegen. In Rumänien, wo jetzt der gleiche Weg beschritten werden soll, war die Situation bis heute noch grotesker; denn hier war es der schon genannte Ostausschuß der deutschen Wirtschaft, der unter Beteiligung von Vertretern unseres Wirtschaftsministeriums verhandelt hat.
Es scheint mir notwendig zu sein, meine Damen und Herren, Ihnen zunächst auch bei dieser Gelegenheit einmal eine Übersicht über den Umfang der Handelsbeziehungen der Bundesrepublik mit diesen Ländern überhaupt zu geben. Mit der Tschechoslowakei tauschen wir etwa den Gegenwert von 37,5 Millionen Dollar jährlich aus. Das sind — nebenbei bemerkt — weniger als 2 % des etwa 2 Milliarden betragenden Außenhandels dieses Landes. Bei Rumänien sind es etwa 30 Millionen Dollar, und bei Bulgarien sind es etwa 15 Millionen Dollar. Am interessantesten ist aber die Entwicklung unserer Handelsbeziehungen zu Polen, dessen politische Entwicklung wir ja auch
mit ganz besonderer Aufmerksamkeit verfolgen. Hier wird für etwa 40 Millionen Dollar ausgetauscht, und hinzugekommen ist ein auch für unsere Landwirtschaft hochinteressantes Zusatzabkommen, wonach etwa 300 000 t Roggen von der Bundesrepublik nach Polen geliefert werden.
In diese Beträge sind auch Dienstleistungen eingeschlossen, auf die ich besonders hinweisen möchte. Diese Dienstleistungen kommen in erster Linie den deutschen Seehäfen zugute. Ich brauche wohl nicht zu betonen, welches Interesse gerade Lübeck und Hamburg an diesen Dienstleistungen haben, da beide Häfen nach dem totalen Zusammenbruch rund 50 % ihres Hinterlandes verloren haben und da diese beiden Häfen in einem ständigen schweren Kampf mit ihren westlichen Konkurrenten einschließlich der Benelux-Häfen stehen.
Hamburg ist überdies außerordentlich an einer Vereinbarung mit der Tschechoslowakei über unseren Schicksalsstrom, die Elbe, d. h. konkreter gesagt, an der Elbregulierung, interessiert. Auch hier finden wir einen merkwürdigen Zustand vor. Nachdem gewisse Besprechungen technischer Art durch die zuständigen Behörden des Verkehrsministeriums stattgefunden haben, gibt es z. B. auch in dieser Sache — und wir begrüßen das — einen Schriftwechsel zwischen dem tschechischen Verkehrsminister und unserem Verkehrsminister. Ich frage mich nun: ist dieser Schriftwechsel offiziell, inoffiziell, oder ist er nur rein persönlicher Natur?
Ich darf auch darauf hinweisen, daß der Tag nicht mehr allzu fern ist, an dem die Deutsche Lufthansa daran interessiert sein wird, den Anschluß an die Ostblockstaaten in der Luft zu erreichen. Das bedarf nach den internationalen Bestimmungen bilateraler Verträge mit den einzelnen Ländern. Man könnte sagen, hier biete sich vielleicht zunächst Jugoslawien mit dem Hafen Belgrad an; aber das eigentliche Luftkreuz dieser Ostblockstaaten — das muß man persönlich gesehen haben — ist Prag, also die Tschechoslowakei. Darauf möchte ich bei dieser Gelegenheit hinweisen.
Während der Warenhandel grundsätzlich einen glatten Ausgleich ohne zusätzliche Überweisungen, also ohne zusätzlichen Devisentransfer anstrebt, sind die Währungsfragen für den immer stärker werdenden Strom von reisenden Kaufleuten, Touristen und erfreulicherweise auch von reisenden Angehörigen getrennter Familien in einer unsere Reisenden belastenden Weise geregelt; manche Fragen sind völlig ungeklärt. Dazu will ich Ihnen ein Beispiel dafür geben, wie grotesk die Situation ist. Wenn Sie in Prag eine D-Mark wechseln, erhalten Sie dafür den Gegenwert von 1,70 Tschechenkronen. Wenn dagegen eine Ost-Mark gewechselt wird, wird eine Gegenleistung von 3,10 Tschechenkronen gewährt. Das hängt mit der unterschiedlichen Bewertung des Rubels und des Dollars in diesen Ländern zusammen. Aber ich glaube, das erste Ziel, wenn die Grundlagen dafür vorhanden wären, wäre die Schaffung einer Touristen-Mark mit diesen Ländern, wie sie übrigens in der Tschechoslowakei schon geschaffen wurde, so daß bei Reisen in die Tschechoslowakei Ausweichmöglichkeiten bereits heute bestehen.
Der ständig steigende Außenhandel der in meinem Antrag genannten Länder dürfte durchaus die Möglichkeit einer weiteren Ausweitung desjenigen Teils. der mit der Bundesrepublik abgewickelt werden soll, bieten, wobei natürlich — das möchte ich ausdrücklich betonen — eingehend zu untersuchen wäre, welche wirklichen Bedürfnisse unter den Partnern vorhanden sind, und gleichzeitig zu untersuchen wäre, ob die Abmachungen, die auf dem Papier stehen, in Wirklichkeit auch von beiden Seiten, d. h. — wir verstehen uns! — in erster Linie von der anderen Seite erfüllt werden können.
Die wenigen von mir angegebenen Zahlen beweisen natürlich gleichzeitig, daß das Gesicht des Außenhandels der genannten Ostblockstaaten — wie könnte es anders sein — eindeutig nach dem Osten ausgerichtet ist. Dennoch glaube ich behaupten zu können, daß auch in diesen Ländern der aufrichtige Wunsch besteht, die Beziehungen zum freien Westen, insbesondere zur Bundesrepublik, wenigstens handelsmäßig zu erweitern.
Hier möchte ich mir die erste politische Bernerkung erlauben. Bei einem Besuch in diesen Ländern gewinnt man den Eindruck, daß man sich dort trotz der ideologischen Kluft im Wirtschafts- und Gesellschaftssystem wenigstens bezüglich der Handelsbeziehungen gegenüber dem freien Westen, mit anderen Worten gegenüber Europa nicht ganz entfremden möchte.
Im übrigen noch einige Einzelheiten! Rumänien z. B. bemüht sich zum Ausbau der bestehenden Handelsbeziehungen seit Juli dieses Jahres um ein Veterinärabkommen. Es ist bis heute nicht möglich gewesen, dieses Abkommen zustande zu bringen. Bulgarien wünscht, nachdem nunmehr nach der Lissabonner Fahrplankonferenz die Personenzüge wieder über Bulgarien geleitet werden, eine gleiche Regelung für den Frachtverkehr. Dabei könnte für unsere Frachtverrechnungen eine Einsparung von nicht mehr und nicht weniger als 442 km erreicht werden. Andererseits ist die bulgarische Staatsbahn bereit, wie es früher schon einmal der Fall war, außerhalb der eigenen Herbstkampagne der Deutschen Bundesbahn leihweise Waggons zur Verfügung zu stellen, eine Methode, die wir ja heute schon mit anderen europäischen Ländern praktizieren.
Die von Herrn Kalbitzer angesprochenen uns auferlegten Handelsbeschränkungen — die Angelegenheit ist ja noch etwas unklar, eine entsprechende Anfrage hat Herr Kalbitzer gestellt —, die Embargo-Bestimmungen also, treiben seltsame Blüten, von denen ich in Ergänzung dessen, was Herr Kalbitzer gesagt hat, nur zwei Fälle hinzutragen möchte. So hat beispielsweise die Tschechoslowakei ein Seeschiff bauen lassen. Dieses Seeschiff konnte nicht in Deutschland gebaut werden, weil wir nach den einschränkenden Bestimmungen nur einen 13-Knoten-Motor liefern durften. Statt dessen wurde das Schiff in Finnland gebaut, und hier konnte die deutsche Motorenfabrik den 17-Knoten-Motor liefern und ihn in das tschechische Schiff einbauen. So ausgestattet kam das Schiff das erstemal in den Hamburger Hafen. Sie werden mir zugeben, das sind groteske Situationen.
Nur um die Dinge zu illustrieren, möchte ich noch eine auf einer weniger bedeutsamen Ebene liegende amüsante Sache anführen. Die Oper in Sofia benötigte eine Luftdruckpumpe hervorragenden deutschen Fabrikats für das Bühnenhebewerk. Diese Pumpe konnte wegen der gleichen Beschränkungsbestimmungen nicht geliefert werden. Ja, das sind Einzelfälle, aber sie sind Beispiele für viele und zeigen mit einiger Deutlichkeit, wie diese Dinge, die früher einmal eine Bedeutung gehabt haben mögen, durch die Ereignisse überholt sind.
Wenn man die Notwendigkeit der Ausweitung und der Legalisierung der Handelsbeziehungen zu den genannten Ländern behandelt, taucht natürlich auch die Frage auf, ob die Bundesrepublik allein aus wirtschaftlichen Gründen ein Interesse hat, diese Beziehungen zu legalisieren und auszubauen. Ich bin der Meinung — und mit mir meine Freunde —, daß wir uns keinesfalls in der Gewißheit wiegen dürfen, der Markt der freien Welt werde für immer und alle Zeiten genügen, um unseren gegenwärtigen Lebensstandard zu sichern. Auch der Staat sollte das tun, was jeder kluge Kaufmann selbst in den Zeiten der Konjunktur nicht unterläßt: er sollte sorgsam nach neuen Märkten Ausschau halten, die gleichzeitig das Risiko von etwa kommenden Krisen vermindern könnten. Das bitte ich Sie, meine Damen und Herren, bei der Beurteilung unseres Antrags keinesfalls zu übersehen.
Ich wende mich nun dem zweiten Punkt meiner Begründung zu, in dem ich Ihnen verständlich machen möchte, wie sehr gerade der Bundesrepublik Deutschland daran gelegen sein müßte, über Handelsmissionen mit konsularischen Rechten bessere Grundlagen, als sie in der Gegenwart vorhanden sind — wenn man überhaupt von solchen sprechen kann —, zu schaffen.
Da ist erstens die Notwendigkeit einer schnelleren Erteilung der Visen. Das bezieht sich nicht nur auf Geschäftsleute, die gezwungen sind, an Ort und Stelle über ihre Abschlüsse zu verhandeln. Das bezieht sich ebensosehr auf den Besuch von deutschen Menschen bei Verwandten in den Ländern, die unser Antrag erfaßt. Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, meine Damen und Herren, daß in der Tschechoslowakei, nämlich im Sudetenland, noch 200 000 deutsche Menschen leben? Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß in Rumänien, nämlich in Siebenbürgen und im Banat, noch etwa 350 000 deutsche Menschen leben, die in vielen Fällen Verwandte bei uns in der Bundesrepublik haben und deren natürliches Bestreben es ist, gelegentlich auch einmal wieder zusammenzukommen? Mein Freund Bucher hat auf unserer gemeinsamen Reise zu unserer großen Genugtuung festgestellt, daß beispielsweise über Wochenende von Bayern her ein ständiger Strom zu den Verwandten im Sudetenland unterwegs ist.
Ich glaube, daß es daher notwendig ist, über offizielle Vertretungen in Zukunft bessere Amts-und Rechtshilfe zu erreichen. Einer meiner Fraktionskollegen, der aus der Tschechoslowakei vertrieben wurde, hat mich besonders darauf aufmerksam gemacht, wie segensreich es wäre, wenn wir für die beschleunigte Abwicklung der Lastenausgleichsansprüche dementsprechende Amts- und Rechtshilfen zur Verfügung hätten.
Schließlich ist es auch ein unwürdiger Zustand, daß unsere Staatsbürger bei Einreisen notfalls auf fremde Schutzmächte angewiesen sind. Mein Kollege Bucher und ich haben das anläßlich unserer letzten Reise, von der übrigens bereits acht Tage absolviert waren — ich sage das betont —, bevor die Sowjetarmee in Ungarn eingriff, so recht empfunden und erlebt, wie es ist, wenn man sich in schwierigen Situationen nicht auf eine eigene Vertretung stützen kann.
Ich komme jetzt zum letzten und sicherlich nicht zum einfachsten Teil meiner Begründung, nämlich zur politischen Seite. Mutmaßlich wird gegen unseren Antrag hauptsächlich eingewandt, daß die Errichtung von Handelsmissionen mit konsularischen Rechten indirekt eine Anerkennung von Pankow bedeute. Das eben ist einer der Gründe, weshalb wir uns in der gegenwärtigen politischen Situation mit der Errichtung von Handelsmissionen, allerdings ausgestattet mit konsularischen Rechten, begnügen wollen. Freilich — und darauf muß man aufmerksam machen — würden wir bei einem erfolgreichen Abschluß dieser Verhandlungen die schwierige Situation haben, daß die Leiter der bundesrepublikanischen Handelsmissionen protokollmäßig gesehen wahrscheinlich eine Stufe unter den entsprechenden Vertretern der Regierung von Pankow stehen würden. Hierüber müßte man in den beteiligten Ausschüssen mit Unterstützung des Auswärtigen Amts eingehende Betrachtungen anstellen. Aber, meine Damen und Herren, schließlich gibt es ja auch eine offizielle diplomatische Vertretung in der UdSSR, ohne daß daraus der Schluß gezogen werden könnte, wir hätten damit die Regierung von Pankow anerkannt.
Da wir uns keinesfalls der Gefahr aussetzen können, daß unsere aufzunehmenden Verhandlungen um die gegenseitige Errichtung von Handelsmissionen in den genannten Ländern von vornherein eine Ablehnung erfahren würden, haben wir uns auf unserer völlig inoffiziellen Reise von den zuständigen Stellen die Versicherung mit auf den Weg geben lassen, daß man durchaus bereit ist, diese erste Stufe zur Normalisierung der Verhältnisse zu besteigen; die Frage der Einrichtung voller diplomatischer Vertretungen möge dabei der Zukunft überlassen bleiben, die wiederum zweifelsohne von der ganzen politischen Entwicklung in diesen Ländern abhängig ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Welt ist in Bewegung gekommen. Was gestern richtig war, muß nicht auch noch heute richtig sein. Nach meiner Ansicht wird es allein einem Akt politischer Klugheit entsprechen, mit diesen Ländern, in denen sich einiges tut, nun zu einem besseren Kontakt zu kommen. Das alles hat nicht das geringste mit unserer Ablehnung der dort herrschenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zustände zu tun. Die Emanzipation dieser Länder von Moskau ist ein Phänomen, das wir noch vor wenigen Monaten für kaum möglich hielten. Deutschland, geographisch, also nicht ideologisch, zwischen Ost und West gelegen, hat eine große Aufgabe zu erfüllen, ohne sich dabei zum Schiedsrichter der Welt aufzuwerfen. Wir wissen genau, wo wir stehen, nämlich auf der Seite der Freiheit. Wenn nunmehr die ersten heldenhaften, leider aber auch tragischen Versuche unternommen wurden, einen Zipfel der Freiheit wieder zu erhaschen, dann müssen wir mit einer klugen Politik diese Bemühungen unterstützen. Dabei darf es nicht, wie kürzlich in einer Schweizer Zeitung treffend zum Ausdruck gebracht wurde, zu einer „Kreuzritterei" kommen, bei der wir uns, wie in Ungarn, leider in der Gefahr befinden würden, einen langen, letzten Endes evolutionären Prozeß zu stören. In Polen und Ungarn hat die Freiheit an sich eine Schlacht gewonnen, was man nicht unbedingt vom freien Westen angesichts der Schatten, die gerade in diesen Wochen und Monaten auf ihn gekommen sind, behaupten kann.
Mit meiner Begründung, insbesondere mit ihrem letzten Teil, wollte ich namens meiner Freunde auch unmißverständlich zum Ausdruck bringen, daß es uns um mehr geht als um die Verbesserung von Handelsbeziehungen und um den Austausch
von Waren. Die wirtschaftliche Stärkung der von mir genannten Länder durch Handelsbeziehungen ist eine politische Notwendigkeit, von der wir dreierlei erhoffen: erstens die allmähliche Wiederherstellung der persönlichen Freiheit unter entsprechender Auswirkung auf unsere 18 Millionen Menschen in Mitteldeutschland, zweitens die Stabilisierung des Selbstbewußtseins dieser bisher von Moskau völlig abhängigen Staaten, und schließlich soll unser Antrag und sollen diese Beziehungen dem Wichtigsten dienen, das uns allen am Herzen liegt, der Erhaltung des Friedens dieser unserer Welt.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung der Großen Anfrage und der beiden Anträge unter Punkt 2 der heutigen Tagesordnung gehört. Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, bevor ich auf die Einzelheiten der Großen Anfrage und der Anträge eingehe, einige kurze Vorbemerkungen.
Ich bitte Sie, Herr Kollege Kalbitzer, davon überzeugt zu sein, daß ich selbstverständlich selbst kommen wollte und daß ich nur gebeten hatte, Verständnis dafür zu haben, daß heute der Staatsbesuch mich etwas über Gebühr in Anspruch nimmt. Aber ich bitte Sie auch, mir zu glauben, daß, wenn der Staatssekretär des Amtes hier spräche, er sicherlich in der gleichen Art sprechen würde wie ich. Aber ich begrüße es, daß ich selbst sprechen kann, meine Damen und Herren, denn ich glaube, daß die Darlegungen, die gerade zur Begründung dieser Anfrage gemacht wurden, mir guten Anlaß geben, einige Fragen zu beantworten.
Ich möchte zunächst eines feststellen. Ich glaube, daß wir uns doch in einer Frage unterscheiden. Der Herr Kollege Kalbitzer hat in seiner Begründung der Großen Anfrage davon gesprochen, es sei ein deutscher Irrtum, politische Bedeutung mit militärischer Bedeutung zu verwechseln. Erlauben Sie mir zu sagen: Es mag sein, daß das einmal ein deutscher Irrtum war. Es ist heute kein Irrtum mehr. Wir wissen um den Unterschied zwischen politischer und militärischer Bedeutung sehr wohl. Aber wenn ich Ihnen eine Antwort geben darf, Herr Kollege Kalbitzer: wir wissen auch um den Unterschied zwischen Politik und Wirtschaft, und wir sind nicht der Meinung, daß wir Politik um der Wirtschaft willen zu treiben haben.
Sie haben dann meinen Kollegen Strauß zitiert. Meine Damen und Herren, ich glaube, mein Kollege Strauß wird jederzeit selbst in der Lage sein, seine Außerungen zu erklären. Ich meine, wenn Sie Herrn Minister Strauß zitieren, sollten Sie vielleicht auch sagen, aus welchem Anlaß er das gesprochen hat. Ich finde: wenn ein Irrtum zwischen politischer und militärischer Bedeutung sichtbar geworden ist, dann in den letzten Noten der Sowjetunion. Und daß diese Noten auch eine Antwort verdienen, meine Damen und Herren, ich glaube, das verlangt schon der Wille, unsere Freiheit zu erhalten. Dazu zu schweigen, schiene mir allerdings falsch.
Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß zwischen der Erklärung meines Kollegen Strauß und der Regierungserklärung, die der Herr Bundeskanzler vor wenigen Wochen hier abgegeben hat, durchaus kein Unterschied besteht. Ich unterstreiche — und es ist wirklich ein gemeinsamer Ausgangspunkt, Herr Kollege Kalbitzer —, daß wir uns auch weiterhin um ein Gespräch, um eine Verständigung mit der Sowjetunion und naturgemäß auch mit den anderen Staaten des Ostblocks bemühen werden, um eine Verständigung, von der wir wissen, daß sie letzten Endes notwendig ist für die Beantwortung der Frage, die uns alle bewegt.
Ich glaube nicht, daß Herr Kollege Kalbitzer recht hat, wenn er im Zusammenhang mit den Handelsbeschränkungen die Auffassung vertreten hat, die Haltung der Vereinigten Staaten sei mehr oder weniger emotional, ja vielleicht seien die Vereinigten Staaten an einem solchen Handel auch nicht so sehr interessiert. Meine Damen und Herren, man mag der Politik der Vereinigten Staaten alles vorwerfen, aber ihr ausgerechnet in diesem Augenblick eine übertriebene Emotionalität vorzuwerfen, wo wir alle — und ich meine, auch Sie — anerkannt haben, daß sich die Vereinigten Staaten in einer ungewöhnlichen Weise von sehr realpolitischen und rationalen Erwägungen haben leiten lassen, scheint mir doch ein nicht ganz lösbarer Widerspruch zu sein.
Ich möchte, ohne daß ich dazu den Auftrag habe, sagen: ich hatte bisher den Eindruck, daß die Vereinigten Staaten in der rationalen und nüchternen Betrachtung der Realitäten der Welt manchmal sogar gewissen Politikern in Deutschland überlegen waren.
Ich habe ein dringendes Anliegen auch an einige Vertreter unserer Wirtschaft, deren Interesse an der Ausdehnung ihres Handels ich durchaus legitim finde und verstehe. Ich bitte, doch manchmal darüber nachzudenken, daß gute Bilanzen letztlich ein Erfolg einer guten Politik sind. Es gab einmal eine Zeit, da hat die deutsche Wirtschaft ausgezeichnete Bilanzen gehabt, und das deutsche Volk hat die Konsequenzen getragen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, wirklich zu glauben, daß es kein Ausdruck der Lethargie ist — das Wort Lethargie ist gefallen —, wenn die Bundesregierung in diesen Fragen eine gewisse Zurückhaltung zeigt, über deren Gründe ich mich schon wiederholt im Auswärtigen Ausschuß ausgesprochen habe. Es ist mein Wunsch und meine Bitte, daß wir das Gespräch im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages fortsetzen können; denn im Auswärtigen Ausschuß lassen sich manche Dinge noch etwas offener sagen als hier im Plenum.
Es ist auch nicht unsere Absicht, wenn wir über Erfolg oder Mißerfolg solcher Politik sprechen — ich werde darüber später noch ein Wort sagen —, nun etwa die These zu vertreten, die Herr Kollege Kalbitzer angesprochen hat: entweder wollten wir mit einer solchen Politik gewissen Nationen auf der Welt das Gesicht nehmen, oder es führe jedenfalls zwangsläufig dazu. Meine Damen und Herren, es ist doch nicht so, daß wir damit, daß wir eine gewisse Zurückhaltung zeigen, die Existenz dieser Länder leugnen. Und es ist auch
nicht so, daß es nicht unser Wunsch sei, mit diesen Ländern in ein vernünftiges und gutes Verhältnis zu kommen, sondern es ist das Interesse des ganzen deutschen Volkes — nicht nur der Wirtschaft —, mit allen Ländern der Welt in ein Verhältnis zu kommen, das, nun, sagen wir mal, soweit es überhaupt möglich ist, normal ist. Spannungen sind uns ebenso unerwünscht wie hoffentlich den anderen auch. Aber die Gründe dieser Spannungen sind nicht erwähnt worden. Erlauben Sie mir, daß ich darauf eingehe, wenn ich mit einigen Worten auch noch zu den Erklärungen des Herrn Kollegen Schwann und des Herrn Kollegen Rademacher Stellung nehme.
Meine Damen und Herren, es ist nicht so, wie es Herr Kollege Schwann darzustellen versuchte, daß sich die Bundesregierung einer Verantwortung entziehen wolle, indem sie dem Ostausschuß volle Unterstützug gewährt habe. Herr Kollege Schwann, ich glaube, Sie sind sehr wohl unterrichtet über die Tätigkeit des Ostausschusses. Wir haben uns hier nicht einer Verantwortung entzogen, sondern im Bewußtsein äußerster Verantwortung an diesen Bestrebungen teilgenommen, die im Interesse der deutschen Wirtschaft lagen. Ich bedauere, daß Sie eine Darstellung gegeben haben, der ich in diesem Hause nicht in der nötigen Form widersprechen möchte; vielleicht kann ich es an anderer Stelle tun.
Sie haben gesagt, wir sollten Schluß machen mit der Politik der Halbheiten. Sie haben gemeint, vielleicht sei die Haltung Chinas im Augenblick beispielhaft, und Sie haben auch an die Vorschläge des chinesischen Ministerpräsidenten an Marschall Tschiangkaischek erinnert. Ich glaube wohl, daß ich das nicht dahin interpretieren muß, daß Sie meinten, wir sollten eine gleiche Anregung nach Pankow richten oder sie von dort erwarten. Deswegen weiß ich nicht, was in dieser Politik „beispielhaft" sein soll.
Sie haben von der Notwendigkeit diplomatischer Beziehungen gesprochen und haben mit Recht darauf hingewiesen, Herr Kollege — und ich unterstreiche das —, daß wir z. B. in Ägypten wirtschaftliche Interessen haben, die wir fördern sollten. Aber ich sage hier, daß die Bundesregierung alles getan hat, um gerade die Projekte zu fördern, von denen Sie hier gesprochen haben. Ich glaube, Sie würden mir den Beweis schuldig bleiben, wenn Sie behaupten wollten, die Bundesregierung habe irgendwann, irgendwo irgend etwas getan, um eine solche Entwicklung zu stören oder gar zu verhindern.
Sowohl in den Ausführungen des Kollegen Schwann als auch in den Ausführungen des Kollegen Kalbitzer habe ich eines vermißt. Lassen Sie mich das offen sagen. Ich habe den Hinweis auf die politischen Zusammenhänge vermißt, den später Herr Kollege Rademacher nachgebracht hat. Ich bitte Sie sehr aufrichtig, diese politischen Fragen nicht so beiseite zu schieben, als bestünden sie nicht. Wir sind uns die Ehrlichkeit in diesem Hause wohl schuldig, daß wir die Frage stellen: Was bedeutet die Aufnahme von politischen Beziehungen, wie wir sie auch immer gestalten wollen? Wir wollen diese Frage offen diskutieren, aber dann auch versuchen, gemeinsam eine Antwort zu finden.
Die Bundesregierung hätte sich Ihren Tadel zugezogen, meine Herren gerade von der Opposition, wenn sie so getan hätte, als gehe sie an der Teilung Deutschlands vorüber und als sei es für uns gleichgültig, wer in der Welt die Realität der beiden deutschen Staaten nach der These der Moskauer Regierung anerkennt. Bisher hat die Politik der Bundesregierung dazu geführt, daß — ich glaube die Zahlen genau nennen zu können — von 93 Staaten der Welt 11 Staaten — die Staaten des Ostblocks — die sogenannte Deutsche Demokratische Republik als einen souveränen Staat anerkannt und sämtliche anderen Staaten der Welt diese Anerkennung bis zur Stunde verweigert haben. Meine Damen und Herren, es ist ein ziemlich schwerer Entschluß, über den wir nicht so einfach hinwegkommen können: ob wir dazu beitragen sollen, daß es morgen nicht mehr elf, sondern 92 sind.
Es ist vom Kollegen Schwann in diesem Zusammenhang — er hat von dem Embargo gesprochen
— gesagt worden: Ihr seid so ernst, Ihr nehmt das alles viel zu ernst! Er hat dann einen amerikanischen Politiker genannt, der uns ob unseres bedingungslosen Gehorsams getadelt hat. Ich kenne diesen amerikanischen Politiker nicht. Aber ich darf wohl ganz offen sagen, daß ich nicht jede Äußerung eines mir unbekannten amerikanischen Politikers ernst nehme; denn es gibt auch in Amerika Politiker, die die Dinge vielleicht nicht so übersehen, wie es auch in Deutschland vielleicht einzelne gibt, die in ihren Auffassungen abweichen.
Auch das Zitat aus den Feststellungen eines japanischen Komitees — erlauben Sie mir, das zu sagen — kann mich nicht sehr beeindrucken; denn ich weiß ja nicht, zu welchem Zweck dieses Komitee gebildet ist. Es kann ein Komitee sein, das zur Förderung des japanisch-russischen Handels gebildet worden ist. Eine sehr legitime Angelegenheit! Aber dann können mich die Feststellungen nicht vollkommen überzeugen, denn da steckt etwas mehr an Interesse dahinter als vielleicht an politischem Verständnis. Außerdem scheinen mir die Voraussetzungen für Japan und für die Bundesrepublik doch nicht genau gleichzuliegen.
Herr Kollege Rademacher sprach von der, wie er sagte, Legalisierung der Handelsbeziehungen, von der Schaffung einer Rechtsgrundlage; und er begründete den Antrag, handelspolitische Missionen mit konsularischen Befugnissen in einer Reihe von Ländern des Ostblocks zu errichten, wobei er
— ich gestehe, daß ich das nicht ganz verstanden habe — ausdrücklich betonte, daß er Ungarn davon ausnehmen wolle.
— Ah so!
Wir sind uns wohl alle darüber einig, und wir sollten es in aller Sachlichkeit diskutieren, daß es ernste politische Gründe, die wir prüfen müssen, und politische Erwägungen gibt, die uns vielleicht veranlassen sollten, die Beziehungen zu diesen Ländern irgendwann aufzunehmen. Wir haben darüber schon in den Ausschüssen und auch an anderer Stelle gesprochen. Ich weiß nicht, ob der Augenblick der richtige ist, und ich möchte darüber hier keine weiteren Ausführungen machen.
Ich begnüge mich mit der Fragestellung, ob wir nicht vielleicht dadurch, daß wir heute oder mor-
gen eine solche Entscheidung träfen, das Gegenteil dessen erreichten, was wir wünschen. Es soll nicht der Eindruck entstehen — ich glaube, darüber sind wir uns einig --, als wollten wir durch eine Entscheidung jetzt, zu diesem Zeitpunkt und bei dieser Entwicklung irgendwie ein Interesse an einer gewissen Entwicklung in diesen Ländern bekunden. Ich glaube, wir sollten uns um äußerste Zurückhaltung bemühen und nicht diesen falschen Eindruck erwecken, der vielleicht sogar dieser von uns allen gewünschten Entwicklung schädlich sein könnte.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist doch kein hinreichender Grund, wenn man hier z. B. Einzelfälle bringt und sagt: Wie wird in Prag die D-Mark und wie wird die Ost-Mark getauscht! Das ist nachteilig für den Eintausch von Reisedevisen. Haben Sie nicht vielleicht auch den Eindruck, daß gerade dieser Zwangskurs, der dort bestimmt worden ist, zeigt, daß die Entscheidung, vor der wir stehen, keine wirtschaftliche, sondern eine politische ist und auch von dort als eine solche gesehen wird?
Sie haben dann von Wünschen gesprochen, Wünschen, die uns sicherlich interessieren, von einem Veterinärabkommen, das Rumänien mit uns schließen wolle, von einem Abkommen über den Zug-und Kraftverkehr mit Bulgarien und von dem Interesse Bulgariens, für die Oper in Sofia eine Luftdruckpumpe zu erhalten. Meine Damen und Herren, alles legitime Interessen. Aber ich möchte eines hier klar sagen. Wir haben diesen Ländern gegenüber auch ein legitimes Interesse. Wir haben nämlich die Frage an sie zu richten, ob, wenn wir das Veterinärabkommen abschließen, sie vielleicht auch dafür Verständnis haben, daß 17 Millionen deutsche Menschen von uns getrennt leben und durch die gemeinsamen Bemühungen des Ostblocks bisher daran gehindert werden, sich mit uns in Freiheit zusammenzuschließen.
Sollen wir denn, meine Damen und Herren, diese Frage beiseite schieben und sollen wir denn die Antwort geben an die Menschen in der sowjetisch besetzten Zone, daß wir dazu beigetragen haben, daß ihr Schicksal als endgültig von diesen Ländern anerkannt wird, weil sie sagen: „Wenn die Bundesrepublik, der Teil Deutschlands, der die Freiheit noch verteidigt, sich nicht daran stößt, daß wir an der Unterjochung dieser 17 Millionen Menschen zum mindesten ideologisch, wenn nicht praktisch beteiligt sind, dann können wir damit rechnen, daß auch die Anerkennung der DDR in Deutschland auf keine Schwierigkeiten mehr stößt."? Nichts wäre gefährlicher, als wenn dieser Eindruck entstehen würde; denn es könnte daraus geschlossen werden, auch in anderen Teilen der Welt, daß uns diese Frage nicht so wichtig erscheint wie die Frage von Handelsbeziehungen.
Und ein letztes, das ich dem Herrn Kollegen Rademacher sagen möchte. Er hat — ohne es im einzelnen anzusprechen — gesagt, die Politik müsse wendig sein. Ich stimme ihm zu. Er hat gesagt: was gestern richtig war, sei es heute vielleicht nicht mehr. Ich stimme ihm zu. Aber, meine Damen und Herren, es gibt nirgends den Satz, daß das, was gestern falsch war, heute richtig sein muß.
Lassen Sie mich nun — —
Herr Kollege, ich glaube, ich habe nur versucht, dem Niveau zu entsprechen, das mir begegnet war.
Ich möchte nun noch zu der Anfrage der Fraktion der SPD im einzelnen Stellung nehmen, denn es sind ja konkrete Fragen gestellt. Ich möchte dazu folgendes sagen.
Die Bundesregierung hat sich bisher wirklich bemüht — und ich meine, sagen zu dürfen, nicht ohne Erfolg —, die Wirtschaft in ihrer Arbeit und Entwicklung zu fördern. Dasselbe gilt auch für unsere Wirtschaftsbeziehungen mit den Ländern des Ostblocks und der Volksrepublik China. Der Außenhandel der Bundesrepublik mit dem Ostblock ist tatsächlich seit dem Jahre 1950 im Gesamtvolumen — Einfuhr plus Ausfuhr — von 710 Millionen DM auf 1351 Millionen DM im Jahre 1955 gestiegen und hat in den ersten zehn Monaten des Jahres 1956 bereits die Größenordnung von 1786 Millionen DM überschritten. Der Handel mit dem Ostblock hat damit, ziffernmäßig gesehen, bereits das Gesamtvolumen vom Jahre 1937 — 1569 Millionen RM — überschritten.
Es ist der Bundesrepublik im Laufe der Jahre gelungen, ihre Stellung im Handel mit den einzelnen Ostblockstaaten weiter zu verbessern. Unter den westlichen Ländern steht sie im Außenhandel Bulgariens, der Tschechoslowakei, Ungarns sowie der Volksrepublik China an erster Stelle, im Außenhandel Polens nach Großbritannien und im Außenhandel Rumäniens nach Finnland an zweiter Stelle, im Außenhandel der Sowjetunion nach Großbritannien, Finnland und Frankreich an vierter Stelle.
So erfreulich diese Entwicklung ist, dürfen wir, wie ich glaube, bei der derzeitigen weltpolitischen Lage nicht vergessen, daß alle diese aufgezählten Länder letzten Endes doch nur politische Märkte sind, die zu erschließen in normalen Zeiten nützlich sein mag, die aber im Falle einer Krise nur zu leicht versagen könnten. Hier möchte ich an das anknüpfen, was gesagt wurde, eine gesunde Wirtschaft müsse für die Zeit einer Krise vorsorgen, um das, was an Macht im anderen Bereich verlorengehen könne, in Reserve zu haben. Meine Damen und Herren, ich fürchte, daß diese Rechnung nicht aufgehen wird. Ich fürchte, daß diese Märkte, wenn wir sie erschließen, uns im Zeitpunkt der Krise eben nicht mehr offenstehen werden, denn es sind politische Märkte, und ich glaube nicht, daß wir schon so weit sind, damit rechnen zu können, daß der Ostblock ein humanitäres Interesse daran habe, im Zeitpunkt der Krise die wirtschaftlichen Folgen einer Krise von Deutschland wegzunehmen, seinen Markt zu erschließen und seine Aufträge zu erhöhen.
Ich glaube, daß wir mit der Realität rechnen müssen und daß im Augenblick einer Krise die Grenze dieses politischen Marktes geschlossen wird mit dem Ziel, die wirtschaftliche Krise bei uns zu erhöhen.
Darum meine ich, wir sollten verhindern, daß es dahin kommt, daß aus Gewohnheiten Abhängigkeiten entstehen.
Meine Damen und Herren! Selbstverständlich müssen wir auch der Tatsache Rechnung tragen, daß die Sowjetunion -- und das ist ein legitimes Mittel der Politik — auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen zum westlichen Ausland einen besonderen Akzent gerade aus den politischen Erwägungen heraus gelegt hat. Ich glaube, wir sollten daraus auch die Konsequenzen ziehen, die sich für unsere Politik ergeben.
Die Bundesregierung hat sich — ich komme zu den Einschränkungen, von denen wir sprachen — Anfang 1950, als die damaligen Besatzungsmächte sie aufgefordert haben, bereit erklärt, sich an dem gemeinsamen Embargo gegenüber dem Ostblock zu beteiligen. Sie hat die gemeinsam beschlossenen Embargo-Bestimmungen auch nach Erlangung der Souveränität weiterhin eingehalten. Dabei sind keine völkerrechtlichen Verträge abgeschlossen worden. Daher kam auch eine Vorlage dieser Bestimmungen an den Bundestag zwecks Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 wohl nicht in Betracht. Bundestag und Bundesrat sind aber in ihren außenpolitischen Ausschüssen über alle Fragen, die mit den Embargo-Verpflichtungen zusammenhängen, mehrfach unterrichtet worden. Sie sind auch davon in Kenntnis gesetzt worden, daß die Teilnahme am Embargo nach amerikanischer Gesetzgebung die Voraussetzung für eine wirtschaftliche, finanzielle und militärische Hilfe der Vereinigten Staaten war und ist. Anläßlich der Ratifizierung des Abkommens mit den Vereinigten Staaten über die gegenseitige Verteidigungshilfe vom 30. Juni 1955 hat der Bundestag mit Billigung des Art. X dieses Abkommens der weiteren Teilnahme der Bundesrepublik an den Embargo-Maßnahmen zugestimmt. Ich darf diesen Art. X verlesen:
Um die gemeinsamen Interessen und die Hilfsquellen der beiden Regierungen zu sichern, wird die Regierung der Bundesrepublik Deutschland mit der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika bei der Durchführung vereinbarter oder zu vereinbarender Sicherheitskontrollen über die Ausfuhr strategischer Güter zusammenarbeiten.
Meine Damen und Herren! Nach dem Eingreifen der Volksrepublik China in den Korea-Krieg wurde von den Teilnehmerländern in Verfolg einer Empfehlung der Vollversammlung der Vereinten Nationen eine Verschärfung der Handelsbeschränkungen auch gegenüber diesem Lande beschlossen. Sie sollte zeitlich beschränkt bleiben. Die Fortdauer des Krieges in Korea, die darauf folgenden militärischen Operationen in Indochina und die ständigen Spannungen in Fernost haben dazu geführt, daß dieses ursprünglich befristete verschärfte Embargo gegenüber der Volksrepublik China bisher aufrechterhalten blieb. Selbstverständlich mußte die Bundesrepublik die von den übrigen Teilnehmerländern gleichmäßig angewandten verschärften Embargo-Bestimmungen ebenfalls beibehalten. Sie sah auch keine Veranlassung, von sich aus allein ihre Lockerung oder gar Aufhebung ins Auge zu fassen.
Meine Damen und Herren! Es ist hier gesagt worden, daß einzelne am Embargo beteiligte Länder sich nicht an diese Vorschriften hielten. Jeder Fall, den ich bisher nachprüfen ließ, hat ergeben, daß die Behauptungen nicht zutrafen. Es ist auch, glaube ich, nicht ausreichend, wenn man nach einem Bericht sagt, die und die Länder lieferten das und das; denn auch im Rahmen der Embargo-
Bestimmungen haben wir die Möglichkeit zu liefern. Ich darf daran erinnern, daß wir beispielsweise an Rotchina — ich glaube die Zahl zu wissen — monatlich zwischen 10- und 12 000 t Stahl liefern. Es steht also durchaus nicht in Widerspruch zu den Embargo-Bestimmungen, wenn ein anderes Land im Ausgleich und im Rahmen dieser gemeinsam vereinbarten Bestimmungen auch Stahl dorthin liefert. Aber ich bin dankbar, wenn ich einen konkreten Fall höre; denn das wird mir Veranlassung geben, nachzuforschen und darauf hinzuweisen, daß selbstverständlich Embargo-Vereinbarungen für uns nicht mehr Verbindlichkeit besitzen als für unsere Vertragspartner.
Den Umfang der Auswirkungen des Embargo kann die Bundesregierung naturgemäß nicht genau umschreiben. Wir wissen, daß gewisse Länder wegen ihrer Neutralität an dem Embargo nicht teilnehmen. Aber wir glauben doch zu wissen, daß sich das Embargo sowohl im Ostblock als auch in der Volksrepublik China ausgewirkt hat. Die Sowjetunion hat bekanntlich mehrfach mit Nachdruck eine Lockerung des Embargo zu erreichen versucht, und auch die übrigen Länder des Ostblocks haben keine Gelegenheit versäumt, handelspolitisch auf ihre Benachteiligung durch das Embargo hinzuweisen. Bei Kontakten deutscher Firmenvertreter mit chinesischen Stellen ist von diesen auf die Schwierigkeiten, die durch das Embargo herbeigeführt werden, häufig Bezug genommen worden. Gerade dieses drängende Fordern nach Aufheben des Embargo dürfte zeigen, daß zumindest ein Teil des gemeinschaftlichen Zieles dadurch erreicht worden ist.
Die Bundesregierung hält aber in den Fragen des Embargo stets Fühlung mit den übrigen Teilnehmerländern. Sie verfolgt in engstem Einvernehmen mit ihnen die Frage der Handelsbeschränkungen in dem Bestreben, sie den jeweils vorhandenen tatsächlichen politischen Erfordernissen anzupassen.
Erlauben Sie mir, nach diesen Ausführungen zur Embargo-Politik — also zur negativen Seite des West-Ost-Handels — noch einiges von der positiven Seite aus zu schildern und einiges zur Erweiterung und Ausgestaltung unserer Handelsbeziehungen zu den einzelnen Ländern des Ostblocks zu sagen. Nach Auffassung der Bundesregierung setzt der Abschluß eines Handelsvertrags mit der Sowjetunion — und ich antworte damit auf die Anfrage — allerdings ein besseres Verhältnis voraus, als es gegenwärtig zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion leider besteht. Es trifft nicht zu, daß im Moskauer Schlußkommuniqué vom 13. September 1955 Verhandlungen über den Abschluß eines Handelsabkommens mit der Sowjetunion ausdrücklich vorgesehen worden seien. Im Kommuniqué heißt es vielmehr, beide Seiten hätten sich darüber geeinigt, daß in nächster Zeit zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland Besprechungen über die Frage der Entwicklung des Handels durchgeführt werden sollen. Ich darf als Teilnehmer an den Moskauer Besprechungen ausdrücklich unterstreichen, daß wir nicht bereit waren, eine Vereinbarung über den Abschluß eines Handelsabkommens oder eines Handelsvertrags einzugehen, und deswegen bewußt diese lose Formulierung gewählt haben. Besprechungen über die Frage der Entwicklung des Handels haben auch, wie ich Ihnen sagen darf, in der Zwischenzeit zwischen dem Auswärtigen Amt und der Botschaft der UdSSR in Bonn stattgefunden.
Der Bundesregierung ist aber nicht bekannt — um die weitere Frage zu beantworten —, daß die Regierung der Sowjetunion in Aussicht gestellt hätte, andere mit der Sowjetunion bestehende Differnzen zu regeln, sofern nur ein Handelsvertrag mit ihr abgeschlossen würde. Die Bundesregierung kennt lediglich die allgemeinen Formulierungen, die in einigen Noten der Sowjetunion zu finden waren, daß der Abschluß eines Handelsvertrages oder eines Handelsabkommens dazu beitragen könne, die Beziehungen zwischen beiden Ländern etwas besser zu gestalten und damit auch andere Fragen zu berühren.
Bei dieser grundsätzlichen Einstellung zu der Frage eines Handelsabkommens ist es selbstverständlich, daß wir kleinere Benachteiligungen, die sich aus dem Fehlen eines solchen Vertrags ergeben, auf uns nehmen müssen. Wir wissen z. B., daß die deutschen Schiffe in den sowjetischen Häfen wie Leningrad höhere Hafengebühren zu zahlen gezwungen sind als die Schiffe jener Nationen, die vertragliche Abmachungen mit der Sowjetunion getroffen haben. Wie wenig diese Dinge die Entwicklung unseres Handels mit der Sowjetunion beeinflussen konnten, beweist die Tatsache, daß sich in der Zeit vom Januar bis Oktober 1956 das Außenhandelsvolumen mit der Sowjetunion verglichen mit dem Volumen in den gleichen Monaten des Vorjahres von 175 Millionen DM auf 403 Millionen DM erhöht hat, was eine Steigerung um 130 % oder auf 230 % bedeutet.
Mit Polen, mit der Tschechoslowakei, mit Ungarn und Bulgarien bestehen seit 1948 Handelsabkommen, die auf frühere Vereinbarungen der JEIA zurückzuführen sind, deren Warenlisten alljährlich erneuert und erweitert werden. Mit Rumänien hat seit 1954 der Ostausschuß der deutschen Wirtschaft Handelsvereinbarungen geschlossen, über die noch in diesem Jahre zum erstenmal von einer Regierungsdelegation der Bundesrepublik neu verhandelt werden soll. Das Gesamtvolumen unseres Außenhandels mit diesen Ländern ist in den ersten zehn Monaten 1956 gegenüber dem gleichen Zeitraum 1955 um 75 % von 617 auf 1082 Millionen DM gestiegen.
Zu unseren Handelsbeziehungen mit der Volksrepublik China möchte ich darauf hinweisen, daß die Bundesrepublik bereits vor Jahren es dem Ostausschuß der deutschen Wirtschaft freigestellt hat, sich mit der staatlichen chinesischen Außenhandelsgesellschaft über alle jene Fragen des Warenaustausches und des Zahlungsverkehrs zu verständigen, die der Erleichterung des Handelsverkehrs mit diesem Lande dienen, und erforderlichenfalls auch eine solche Rahmenvereinbarung abzuschließen.
Herr Kollege Rademacher, ich darf Ihnen sagen, der Ostausschuß holt keine Genehmigungen der Regierung ein. Er ist ein Organ, das von der freien Wirtschaft gebildet ist und auch den Regeln der freien Wirtschaft untersteht. Aber ich begrüße es dankbar, daß der Ostausschuß in einem engen Kontakt mit dem Auswärtigen Amt und mit der Bundesregierung arbeitet, ohne daß wir uns gegenseitig — das möchte ich Ihnen ausdrücklich sagen — etwa Weisungen geben; wohl aber tauschen wir unsere Meinungen und Erfahrungen aus und sind nicht immer einig.
Das Gesamtvolumen unseres Außenhandels mit den eben genannten Ländern ist, wie ich gesagt habe, um 75 % gestiegen, so daß ich meine sagen zu können, daß das Fehlen eines Handelsvertrages nicht von Einfluß auf den Umfang dieses Handels ist.
Überhaupt glaube ich, wenn Sie mir eine Zwischenbemerkung erlauben, daß die klassische Form des Handelsvertrags mit Ländern, die eine völlig andersartige ökonomische Struktur haben, überhaupt nicht denkbar ist. Deswegen sind wir es nicht allein, die keinen Handelsvertrag haben, sondern auch andere Länder, etwa Großbritannien, haben keinen Handelsvertrag und begnügen sich mit Rahmenvereinbarungen etwa über Zahlung, Lieferung, devisentechnische Bedingungen und anderes mehr.
In den Gesprächen mit den Exponenten des Ostausschusses haben wir auch in jüngster Zeit die Frage der politischen Opportunität eines Abschlusses im gegenwärtigen Zeitpunkt noch einmal diskutiert. Auch hier ist darauf hinzuweisen, daß in Beziehung zu Rotchina ohne jene vertragliche Regelung eine Steigerung des Volumens unseres Außenhandels während der ersten zehn Monate des Jahres 1956 gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um 18 °/o von 256 auf 302 Millionen DM erfolgt ist.
Erlauben Sie mir noch einige allgemeine polititische Bemerkungen zu der Frage des Ost-West-Handels; einiges davon habe ich schon vorweggenommen. Ich glaube — und darin stimme ich völlig dem zu, was bei der Begründung der Anfrage gesagt wurde —, wir sollten auf dem Gebiet unserer wirtschaftlichen Beziehungen zu den Staaten des Ostblocks unsere Politik nicht von irgendwelchen Gefühlen polemischer Abwehr bestimmen lassen. Die ideologische Verschiedenheit eines Staatsaufbaus darf hier keine Rolle spielen, wie sie nach meiner Überzeugung auch keine Rolle spielen sollte, wenn wir zu einem späteren Zeitpunkt in politische Beziehungen zu diesen Ländern treten; denn so wie wir den Wunsch haben, daß wir unsere Dinge frei zu bestimmen vermögen, wollen wir selbstverständlich dieses Recht auch den anderen überlassen.
Es wäre schlecht, wenn unsere Politik von solchen Gefühlen bestimmt würde; denn wir würden damit gewissen Realitäten, die wir anerkennen müssen, glaube ich, nicht Rechnung tragen. Wir müssen diese Realitäten anerkennen, auch wenn sie unseren Vorstellungen und Wünschen nicht entsprechen.
Aber ich hatte in politischen und in wirtschaftlichen Gesprächen — gerade auch in Gesprächen mit Vertretern der deutschen Wirtschaft — zuweilen den Eindruck, daß in der Frage des Osthandels manchmal eine — erlauben Sie mir, es zu sagen — Euphorie auftaucht, für die, wie ich glaube, nicht die nötigen realen Voraussetzungen gegeben sind.
Man sprach in den letzten Monaten viel von der Notwendigkeit, unsere derzeitige Ostpolitik schlechthin zu ändern, und man sprach davon, daß die Voraussetzungen für die Politik der letzten Jahre gegenüber dem Osten nicht mehr in gleichem Maße gegeben seien wie vordem. Vielleicht hat manchmal ein gewisses Wunschdenken schon Tatbestände an die Wand gezaubert, die noch nicht vorhanden sind. Man spricht, wie ich glaube, etwas
zu viel von Entspannung und tut so, als ob sie da wäre, weil man sie wünscht. Aber ich möchte doch noch einmal sagen: Wir sollten uns, wenn wir die Frage der wirtschaftspolitischen oder der diplomatischen Beziehungen zu diesen Ländern prüfen, von einem Mindestmaß von Wunschvorstellungen bestimmen lassen, und wir dürfen es nicht zulassen, daß in der realen Auseinandersetzung um politische Fragen und politischen Einfluß vielleicht Interessen einzelner Gruppen über das Interesse des deutschen Volkes gestellt werden.
Ich will keine Vorwürfe erheben, aber ich habe manchmal doch den Eindruck, daß man jetzt eine Radikalkur wünscht, daß man der Meinung ist, weil der Zahn wehtut, müßte man den Kopf abschlagen. Diese Fragen, wie wir unser Verhältnis zu den Staaten des Ostblocks gestalten, sind letztlich rein politische Fragen. Wir dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, Herr Kollege Rademacher — ich bin dankbar, daß Sie es am Schluß Ihrer Ausführungen auch gesagt haben —: Ob wir nun diplomatische oder Handelsbeziehungen aufnehmen, eine Handelsmission einrichten, der wir auch konsularische Rechte, also das Recht des Exequatur, geben, ist ja eigentlich nur ein gradueller Unterschied. Die politische Entscheidung ist, wie ich glaube, letztlich damit identisch. Wir sollten vielleicht sogar einmal die Frage prüfen, ob wir, wenn wir eine solche Entscheidung treffen, sie nicht gleich ganz treffen sollten, wenn der Zeitpunkt gegeben ist. Vielleicht — ich bin bereit, darüber zu sprechen — ist er im einen oder anderen Fall früher gegeben, als wir vor wenigen Wochen noch dachten.
Aber ich darf unterstreichen, daß wir in der Bundesregierung entschlossen sind, nach wie vor gewisse Vorsichtsmaßnahmen im Einvernehmen mit unseren Alliierten beizubehalten. Ich bitte, mich richtig zu verstehen, wenn ich Ihnen ganz offen sage, daß wir uns von einer solchen politischen Entscheidung auch nicht durch eine zuweilen recht laut werdende Kritik aus einigen Kreisen der Wirtschaft oder der Öffentlichkeit abbringen lassen. Ich glaube, die Ereignisse haben es bewiesen — wie ich es schon angedeutet habe —, daß diese Märkte politische Märkte sind, daß die Beziehungen — nennen wir sie, wie wir sie nennen wollen — letztlich politische sind, daß es eine politische Frage ist und keine wirtschaftspolitische, wie wir unsere Beziehungen gestalten. Ich glaube, Sie sollten es auch der Bundesregierung zugute halten, wenn sie vielleicht etwas sorgfältiger an die Zukunft denkt und es für ihre Verpflichtung hält, künftigen Schäden der deutschen Wirtschaft vorzubeugen, die durch eine falsche Politik im Augenblick entstehen könnten.
Ich glaube, daß nicht alle Einzelheiten, die wir zu diskutieren haben, sich für die Diskussion im Plenum eignen. Wir müssen alle diese Fragen, die wir hier angeschnitten haben, in einem inneren Zusammenhang sehen; auch die Einzelfragen, die Sie gestellt haben, meine Herren von der Sozialdemokratischen Partei, stehen im Zusammenhang. Ich glaube nicht, daß man etwa sagen könnte: Geben wir die Embargopolitik auf!, ohne daß man gleichzeitig sagen müßte: Ändern wir unsere Politik gegenüber unseren Vertragspartnern! Denn diese Embargopolitik ist ein Bestandteil der Politik; sie ist ja auch in dem Hilfsabkommen des Jahres 1955 verankert.
Deswegen begrüße ich die Gelegenheit, daß wir uns hier und, wie ich hoffe, sehr bald in den zuständigen Ausschüssen über die Anfrage noch einmal unterhalten und selbstverständlich auch über die Anträge, wobei ich wohl unterstellen darf, daß sie zur Weiterbehandlung an die Ausschüsse überwiesen werden. Die Bundesregierung will sich einem solchen Gespräch nicht etwa entziehen, und sie will auch, ich möchte es noch einmal sagen, sich jeder guten Erkenntnis bedienen, die ihr von anderer Seite zugetragen wird. Sie wird ihre Politik auch — seien Sie überzeugt! — jederzeit den Voraussetzungen anpassen, die sie zu sehen glaubt, — wobei Sie nicht erwarten dürfen, daß damit die grundsätzliche politische Linie der Bundesregierung etwa in diesem oder in einem anderen Falle aus diesem oder aus einem anderen Grunde verlassen wird.
Sie haben die Antwort auf die Große Anfrage gehört. Ich nehme an, daß Beratung gewünscht wird. — Wir treten in die Beratung ein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Leverkuehn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde unterscheiden sich von den Fragestellern und den Antragstellern in der Bestimmung der Scheidelinie zwischen Wirtschaft und Politik. Wir wehren uns dagegen, daß wir durch den Druck, den man zum Abschluß von Handelsabkommen ganz offenbar auf uns auszuüben wünscht, ins Schlepptau genommen werden. Das Handelsabkommen und die Handelsdelegation haben in der Beziehung der Staaten untereinander einen anderen Standort für uns als für die Herren Fragesteller und Antragsteller. Das ist, glaube ich, das Ergebnis der heutigen Aussprache. Erst der Handel, dann das Handelsabkommen und die Handelsdelegation! Ein totalitärer Staat muß notwendigerweise aus seiner Konstruktion heraus den Wunsch haben: Erst das Handelsabkommen und die Handelsdelegation, und dann werden wir sehen, wieviel Handel wir treiben. Das ist eine Pression, der gegenüber wir sehr vorsichtig sein müssen.
Wie wir soeben von dem Herrn Außenminister gehört haben, haben die Besprechungen mit der Sowjetunion seit dem September vorigen Jahres eine ganz entschiedene Erhöhung des Handelsvolumens gebracht, nämlich um die immerhin beachtliche Zahl von 130 %. Gerade an diesem Beispiel sehen wir, daß die Steigerung des Handels und der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen unserem Land und der Sowjetunion, aber auch zwischen allen anderen Ländern und der Sowjetunion, die wir in den letzten Jahren beobachtet haben, schließlich nicht das Ergebnis gehabt hat, das man wünschen möchte und das sich die Herren Antragsteller und Fragesteller offenbar versprechen, nämlich eine Milderung in der Gesamtauffassung. Was wir in den letzten Monaten erlebt haben, bedeutet in keiner Weise, daß durch die Bereicherung der Beziehungen zur westlichen Welt bei der Sowjetunion eine friedlichere Haltung gegenüber der Freiheit oder auch nur gegenüber den mit ihr verbündeten Mächten — ich denke an den Warschauer Pakt — eingetreten ist.
Was nun die Länder zwischen der Sowjetunion und dem Eisernen Vorhang angeht, so sollten wir sehr sorgfältig unterscheiden zwischen denjenigen, die eine Erweiterung der Handelsabkommen und die Schaffung von Handelsdelegationen deswegen wünschen, um ihr augenblickliches Regime zu stützen, und den Ländern, denen eine zu emphatische Betonung der Förderung des gegenseitigen HandeLs im Augenblick vielleicht nicht einmal taktvoll und erwünscht erscheinen würde.
Wenn man eigene Vertretungen schafft, so werden das zweifellos Zwitter werden müssen, solange die großen politischen Entscheidungen nicht gefallen sind. Wieweit daran ein Interesse besteht, werden wir besser in den Ausschüssen, in denen wir uns über das Weitere aussprechen werden, im einzelnen erörtern.
Wir wissen, daß Polen vor kurzem mit der Sowjetunion ein Abkommen abgeschlossen hat, das nach den vorliegenden Nachrichten der polnischen Volkswirtschaft Erleichterungen gewährt, die unbedingt erforderlich waren, um den Lebensstandard über das Niveau hinauszuheben, das im Juni zu den unglücklichen Ereignissen in Posen geführt hat. Die polnische Regierung hat mit uns in dem bereits vom Kollegen Rademacher zitierten Abkommen, das über Getreidelieferungen, also das Nötigste, das tägliche Brot, abgewickelt ist, Erfahrungen gesammelt. Sie wird am besten wissen, in welcher Richtung sie noch Wünsche zur Erweiterung des Handels hat. Auf deutscher Seite besteht zweifellos der Wunsch auf weiteren Handelsaustausch. Wir sind überzeugt, daß die Hebung des Lebensstandards des polnischen Volkes etwas ist, wozu wir beitragen können, seien wir es nun selbst, sei es — und das möchte ich hier besonders hervorheben — auf europäischer Ebene, auf der es in mancher Weise vielleicht besser geschehen könnte. Ich hoffe, daß die Wünsche und Bedürfnisse im europäischen Austausch, in dem großen europäischen Markt, den wir ja teilweise schon haben, gerade hinsichtlich Polens in der Session des Europarats im kommenden Januar besprochen werden.
Ein kurzes Wort noch zu der Volksrepublik China. Wenn man die lebhaften Klagen über die Behinderung hört, die das schärfere Embargo China gegenüber mit sich bringt, dann sieht es beinahe so aus, als wenn der deutsche Handel gegenüber China unbedeutend bleiben müßte, weil dieses Embargo ein Hindernis ist. Die Zahlen, die der Bundesaußenminister genannt hat, beweisen aber, daß das keineswegs der Fall ist. Vor allen Dingen müssen wir einmal überlegen, um welche Waren es sich handelt. Verweigern wir der Volksrepublik China Waren, die sie für den Aufbau ihrer Wirtschaft und für ihre Bevölkerung dringend nötig hat? Ich erinnere mich, daß ich im vorigen Jahr im Hafen von Hongkong auf einem — nicht einmal unter deutscher Flagge fahrenden — Dampfer war, der fast ausschließlich deutsche Waren geladen hatte: es handelte sich um künstliche Düngemittel und um Medikamente. Das sind die Dinge, die die Volksrepublik China für ihre Bevölkerung, für ihre Landwirtschaft dringend benötigt. Sie stehen weder auf einer Embargo-Liste noch unterliegen sie bezüglich ihrer Ausfuhr aus Deutschland irgendeiner Behinderung.
Nun wird, wie wir annehmen, die Bundesregierung in der Zusammenarbeit mit den westlichen
Mächten — auf die Bindung der Bundesregierung durch den Vertrag vom 30. Juni 1955 hat der Herr Außenminister hingewiesen —, sicher darauf hinweisen können, daß sich die Verschärfung gegenüber China von unserem Standpunkt aus gesehen heute vielleicht nicht mehr ganz rechtfertigt, zu einem Zeitpunkt, in dem wir die Ereignisse in Ungarn unmittelbar hinter uns haben und sie noch weiter miterleben. Diese Diskriminierung wird zu besprechen sein, und da die Amerikaner gegenüber dem Wort Diskriminierung ein besonders scharfes Ohr haben, glaube ich wohl, daß man zu einer Aussprache darüber und auch über die gelegentlichen Klagen über die Diskriminierung deutscher Waren bei der Erlaubnis zur Einfuhr wird kommen können. Die Bundesregierung wird sich bestimmt auch der Wünsche annehmen, die sich in der deutschen Wirtschaft daraus ergeben, ,daß manche Bestimmungen des Embargos, welche heute nicht mehr existieren oder gelockert sind, zu Verfahren gegen Deutsche geführt haben, die heute nicht mehr zeitgemäß sind und daher beendet werden sollten.
Wenn wir nun die jetzt vorliegenden Nachrichten, die von den Herren Kollegen bereits erwähnt worden sind, abwägend vor uns halten, dann müssen wir sagen, daß sich vielleicht binnen kurzem, vielleicht über längere Zeit hin, eine Lockerung der Verhältnisse und eine Befriedung der Welt in den Teilen anbahnt, wo wir bisher den Frieden vermissen müssen. Bevor wir aber unsererseits, gerade im Fernen Osten, einem Gebiet, das den Amerikanern, und zwar mit Recht, besonders am Herzen liegt, auf neue Freundschaften zugehen, sollten wir, glaube ich, dafür sorgen, ,daß die alten Freundschaften nicht gestört, sondern konsolidiert werden. Vielleicht geht es uns so, daß wir den amerikanischen Standpunkt in bezug auf den Fernen Osten nicht überall verstehen, und vielleicht geht es den Amerikanern so, daß sie unseren Standpunkt in bezug auf die Fragen der Wiedervereinigung, des Verhältnisses zur Sowjetunion und zu den Satellitenstaaten, wie wir sie auffassen, nicht in vollem Umfang erfassen können. Deswegen, meine Damen und Herren, würde ich es zunächst einmal für besonders begrüßenswert halten, wenn wir nicht nur auf der Regierungsebene, sondern auch auf der Ebene des Parlaments mit unseren amerikanischen Freunden zu einer Aussprache kommen könnten. Sehr viele von uns sind Gäste der Regierung der Vereinigten Staaten und des amerikanischen Kongresses gewesen. Der amerikanische Kongreß ist vor kurzem neu gewählt worden, und ich bitte das Hohe Haus, zu bedenken, ob wir nicht, sobald nach dem 1. Januar der Zeitpunkt des Zusammentretens gekommen ist, unsererseits eine Einladung an den amerikanischen Kongreß ergehen lassen sollten, uns einen Besuch zu machen und uns Gelegenheit zu geben, die Gastfreundschaft zu erwidern, die wir in so vielfachem Maße genossen haben.
Ich möchte daher schließen mit der Bitte an den Herrn Präsidenten, diese Einladung in Erwägung zu ziehen und zum passenden Zeitpunkt ergehen zu lassen.
Herr Kollege Dr. Leverkuehn, ich nehme Ihre Anregung gern auf. Ich werde diese Anregung in Erwägung ziehen und
die Einladung, sobald es irgendmöglich ist, ergehen lassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema, das durch das Wort „Osthandel" heute umrissen wird, ist weit genug. Wenn Sie die drei Anlässe, die uns zu der heutigen Debatte geführt haben, also die Große Anfrage der SPD und die beiden Anträge der FDP, nach ihrem Inhalt bedenken, dann werden Sie erkennen, daß der räumliche Bereich sich von den Grenzen der Satellitenstaaten im Osten bis fernhin nach China erstreckt. Aber ich möchte meinen, daß damit die Weite des Themas noch gar nicht richtig zum Ausdruck gebracht ist. Auch die Probleme sind derart vielschichtig und derart differenziert, daß es in einer gemeinsamen Aussprache unter dem Begriff „Osthandel" überhaupt nicht möglich ist, die Dinge hier auch nur annähernd zu diskutieren. Ich habe sowohl bei den Begründungen als auch bei der Erklärung des Herrn Bundesaußenministers und zuletzt bei den Ausführungen meines unmittelbaren Vorredners eine gewisse Zurückhaltung empfunden, gewisse Dinge nur anzudeuten, gewisse Akzente zu setzen und die eingehende Aussprache dahin zu verlegen, wo sie allein in aller Offenheit bis zu den letzten Konsequenzen geführt werden kann, nämlich in die Ausschüsse.
Ich möchte mich deshalb, auch für meine politischen Freunde, ebenfalls darauf beschränken, einige Akzente zu setzen und vielleicht ein Zweites zu tun: auf die Verantwortung hinzuweisen, die wir alle ohne Ausnahme bei der Behandlung eines solchen Themas tragen, die Verantwortung, die wir besonders dann zu tragen haben, wenn wir uns zu diesem oder jenem Entschluß durchringen wollen. Ich glaube, es war nötig, die Verantwortung herauszustellen. Es war für mich und für meine Freunde durchaus eindrucksvoll, und wir begrüßen es, daß der Herr Bundesaußenminister so klar und deutlich aussprach: daß hier letzten Endes keine wirtschaftlichen Interessen des Großhandels oder des Spediteurgewerbes oder einer sonstigen ehrsamen Sparte des Handels zur Debatte stehen, sondern daß es sich um echte politische Entscheidungen handelt,
um die Frage politischer Kontaktnahme, um die Voraussetzungen, die Möglichkeiten, die Folgewirkungen.
Es ist bisher auch noch kein Widerspruch dagegen erhoben worden, daß der Herr Außenminister es für selbstverständlich hielt, daß diese Dinge im Auswärtigen Ausschuß behandelt werden sollten.
Ich hoffe, daß die Begründer der Anfrage und der Anträge auch dagegen nichts einzuwenden haben. Wir sind bereit, sehr ernst, sehr nachhaltig und mit großer Sorgfalt die Dinge zu besprechen, und meinen sogar, daß wir, nachdem diese Frage einmal angeschnitten ist und diese Probleme zur Erörterung gestellt werden, darauf dringen müssen, daß die Dinge bis in alle Verzweigungen hinein klar gesehen werden und daß jeder zu einer Meinungsbildung kommt. Denn hier gibt es kein Herumdrücken um die Probleme und um die Folgen, die auf uns zukommen.
Das Wort „Entspannung" ist mehrfach gefallen. Man hat gepriesen, daß gerade wirtschaftliche und handelspolitische Mittel uns zu einer Entspannung bringen könnten. Meine Damen und Herren, darf ich an folgendes erinnern. Es ist noch gar nicht so lange her, nämlich knapp eineinhalb Jahre — es war um die Zeit der ersten Genfer Konferenz —, daß auch in diesem Hause, wenn ich mich nicht irre, völlige Übereinstimmung darüber bestand, daß jeder Schritt Entspannung gleichzeitig einen Schritt Wiedervereinigung bedeuten müsse. Das war doch die These, die, wenn ich mich recht erinnere, auf deutsche Veranlassung von den drei westlichen Staatsmännern sowohl in der ersten als auch in der zweiten Genfer Konferenz, das erstemal mit Erfolg, das zweitemal mit völligem Mißerfolg, vertreten worden ist: kein Schritt Entspannung ohne einen Schritt Wiedervereinigung.
Ich möchte nicht mißverstanden werden. Solche Erklärungen haben keine apodiktische Kraft. In den eineinhalb Jahren ist so viel geschehen, daß selbstverständlich auch solche Grundauffassungen, in denen wir mal einer Meinung waren, in denen wir in einem wichtigen Augenblick unsere gemeinsame Auffassung vertraten, überprüft werden müssen. Ich will damit aber nur andeuten, wie tief wir gründen müssen, um bei der Behandlung dieser Probleme nicht zu Fehlschlüssen zu kommen.
Über den Zeitpunkt der Behandlung dieses Themas sind einige kritische Worte gefallen. Ich möchte sagen: es läßt sich einiges Positives und einiges Negatives dazu sagen, daß wir im Bundestag die Dinge gerade jetzt behandeln. Zum Positiven gehören nach meiner Meinung die Ereignisse der letzten Zeit insofern, als uns allen eine Reihe von Illusionen zerstört worden sind, als die falschen Meinungen in der Periode des Lächelns, glaube ich, bei keinem von uns mehr herrschen.
Denn die Ereignisse in Ungarn hätte sich in der Periode des Lächelns kaum einer von uns überhaupt vorzustellen vermocht. Wir waren doch fast so weit, daß wir wirklich glaubten, es sei etwas Neues angefangen, und alte grausige Methoden würden nicht wiederkehren. Insofern ist -es also gut, daß wir heute darüber sprechen und daß die Behandlung dieser Probleme in diesem Zeitpunkt beginnt. Wir werden alle mit einer genügenden Nüchternheit und mit einem genügend klaren Blick für die grausige Wirklichkeit an die Dinge herantreten; und das ist gut.
Weiter sollten wir uns vor der Gefahr hüten — ich glaube, der Herr Bundesaußenminister war es, der auch schon darauf hinwies —, etwa zu meinen, daß man mit handelspolitischen Mitteln gerade in den Satellitenstaaten, also in der nächsten Nachbarschaft, zu erheblichen politischen Wirkungen kommen könne. Auch da, glaube ich, ist uns Ungarn eine Lehre. Es ist doch ein sehr ermutigendes Zeichen gewesen — und so wurde es auch in diesem Hause bei anderer Gelegenheit gewertet —, daß ein Volk nicht aus materieller Not, sondern um der Freiheit willen aufstand und einen Heldenmut an den Tag legte, der unerhört war. Wir sollten uns davor hüten, anzunehmen, daß wir mit handelspolitischen Hilfeleistungen oder Wirtschaftshilfen solche elementaren Entwicklungen fördern oder hemmen könnten. Die Mittel, die uns hier zur Verfügung stehen, sind in ihren Auswirkungen doch außerordentlich bescheiden.
Nun möchte ich einen Akzent auf etwas setzen, was bisher nicht angesprochen worden ist. Er gilt besonders den Antragstellern des zweiten Antrages der FDP. Ich möchte den Antragstellern nicht unterstellen, daß sie es nicht gesehen haben. Aber ich wunderte mich, daß Herr Rademacher mit keinem Wort auf die Frage einging, ob der Austausch von Handelsmissionen mit konsularischen Berechtigungen nicht in genau dem gleichen Maße ein Thema auf die Tagesordnung bringt, über das wir uns bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Moskau schon einmal unterhalten mußten, nämlich die Frage, ob dann nicht gewisse Vorbehalte unerläßlich sind, um deutsche Rechtsansprüche nicht zu verschweigen. Meine politischen Freunde sind dieser Auffassung. Wir können uns dabei auf den Rat sehr beachtlicher Sachkenner des Völkerrechts stützen, die der Meinung sind, daß es nicht erst der Aufnahme diplomatischer Beziehungen bedarf, um diese Frage akut zu machen, sondern daß es bereits internationale Vereinbarungen von wesentlich geringerer Bedeutung — also etwa in dem Umfang, wie es Ihr Antrag anregt — notwendig machen, die Klärung dieser Fragen auf die Tagesordnung zu setzen.
Herr Kollege Rademacher, ich wäre Ihnen dankbar — Sie werden verstehen, daß diese Frage für uns ein besonderes Gewicht hat —, wenn Sie uns die Auffassung Ihrer Fraktion zu folgender Frage noch in dieser Aussprache mitteilten. Wenn sich unsere Voraussetzungen als richtig herausstellen, daß auch bei dem Austausch handelspolitischer Missionen mit oder ohne Konsularrechte die Vorbehalte hinsichtlich unserer heimatpolitischen Ansprüche auf deutsche Ostgebiete hervortreten, sind Sie dann auch bereit, mit uns dafür Sorge zu tragen, daß in dieser Beziehung nichts unterbleibt, was zur Aufrechterhaltung unserer Ansprüche notwendig ist?
Meine Damen und Herren, ich habe schon unsere Bereitwilligkeit, mitzuarbeiten, zum Ausdruck gebracht. Die drei großen Problemteile, um die es sich handelt — China, Moskau und die Satellitenstaaten —, sind außerordentlich verschieden. Was China anlangt, so meinen wir, daß die Große Anfrage der SPD wirklich einem Bedürfnis entspricht. Wir sollten im zuständigen Ausschuß einmal überlegen, ob auf diesem Sektor nicht noch mehr zu tun ist. Dabei schwebt mir nicht etwa eine Aufweichung der Embargobestimmungen vor, zu der wir gar nicht in der Lage sein werden. Aber es wäre gut, einmal das ganze Gebiet zu überlegen und sich Gedanken darüber zu machen, was man hier mehr tun könnte.
In der Frage der Aufnahme von Handelsbeziehungen mit Moskau bin ich zusammen mit meinen politischen Freunden in Abweichung von der Meinung des Herrn Außenministers der Ansicht, daß wir trotz all dessen, was in letzter Zeit geschehen ist, allen Anlaß haben, diese Frage sehr ernstlich ins Auge zu fassen; denn wir waren nicht nur um eines Augenblickseffektes wegen bereit, diplomatische Beziehungen aufzunehmen, sondern wollten ja doch zu einem wirklichen Gespräch kommen. Hier gelten eine Reihe von unseren Besorgnissen, die wir gegenüber den Satelliten geltend machen sollten, nicht.
Ich habe eine Bitte an das Auswärtige Amt. Man möge dem Auswärtigen Ausschuß für die Behandlung dieser Fragen rechtzeitig ausreichendes Material zur Verfügung stellen. Ich meine damit auch für die Behandlung der von mir angedeuteten
Rechtsprobleme; denn da brauchen wir wohl die Hilfe sehr sachkundiger Kenner des Völkerrechts, um zu keinen Fehlentscheidungen zu kommen.
Wir erklären unsere volle Bereitschaft, in eine sehr eingehende Aussprache über die Dinge einzutreten, und hoffen nur, daß es zu einer einhelligen Meinungsbildung kommt, an der nachher nicht gezweifelt werden kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kalbitzer.
Meine Damen und Herren! Der Herr Außenminister und der Herr Dr. Leverkuehn von der CDU haben versucht, mit uns „Verwechselt das Bäumchen!" zu spielen; denn sie haben gemeint, die Mahnung aussprechen zu müssen, die Sozialdemokratie solle sich in ihrer Politik nicht allzusehr von den Geschäftsleuten beeinflussen lassen. Ich glaube, diese Mahnung sollte sich Ihre Partei hinter den Spiegel stecken. Wenn man auf diese Ebene absinken will, kann man hier nicht ernsthaft über die Frage reden.
Von Anfang an ist klargemacht worden, daß es sich bei der Großen Anfrage darum handelt, eine politische Frage zu klären. Ich habe keinen Anlaß gegeben, etwas anderes aus meinen Worten herauszulesen, auch nicht, als ich einen Geschäftsmann zitiert habe.
Bei den Ausführungen des Herrn Bundesaußenministers bemerkte ich, daß offenbar zwei Seelen in seiner Brust miteinander kämpfen. Auf der einen Seite weist er es ganz rigoros zurück, jetzt ein Handelsabkommen mit der Sowjetunion zu treffen, und bringt zur Begründung alle die Argumente vor, die wir schon seit Jahr und Tag kennen und die dadurch, daß sie alt sind, nicht besser geworden sind. Er sagt nämlich, das bedeute die Anerkennung der DDR usw. Auf der anderen Seite kommt er plötzlich zu der Meinung , daß für die Aufnahme derartiger Beziehungen jetzt das Datum nicht günstig sei, wie er sich wörtlich ausgedrückt hat, und daß man die politischen Beziehungen zu den Ostländern also irgendwann, zu einem Datum, das genehmer sei, aufnehmen wolle. Wenn man überhaupt in Erwägung zieht, diese Beziehungen aufzunehmen, kann man doch nicht mit der Argumentation kommen, daß es ganz und gar und im Prinzip unmöglich sei, diese Beziehungen aufzunehmen, weil es Konsequenzen habe, die man aus seiner ganzen Politik heraus ablehne. Die Regierung kann nur das eine oder das andere sagen. Wenn sie beides sagt, versucht sie, zuviel zu beweisen, und beweist überhaupt nichts.
Wie man sich auch windet, wir hören aus alledem nur das Nein der Regierung heraus, das Nein zu jedem Versuch, ihre eigene Ostpolitik zu mobilisieren, und zwar auch zu dem Zweck zu mobilisieren — was ich an den Anfang meiner Großen Anfrage gestellt hatte —, um das Gespräch über die Wiedervereinigung voranzubringen. Man kann doch nicht die Frage der Wiedervereinigung, die hier z. B. vom BHE und natürlich auch vom Außenminister aufgegriffen wurde, als einzige und erste Frage auf den Tisch legen, wenn nicht vorher in anderen Punkten das Klima normalisiert worden ist. In diesem politischen Zusammenhang war hier von dem Osthandel die Rede.
Es wäre interessant gewesen, von der Bundesregierung einiges zu hören, wie sie denkt, aus die-
ser — ich muß das Wort wiederholen — Lethargie, aus der völligen Untätigkeit herauszukommen. In der Öffentlichkeit, aufgeregt noch durch die Vorgänge nicht nur in Ungarn, sondern auch und vor allem in Polen, ist die Vorstellung lebendig, daß die deutsche Politik in bezug auf den Osten sich bewegen müsse, nicht als Selbstzweck, sondern um in den deutschen Schicksalsfragen etwas weiterzukommen. Un da genügt mir, verehrter Herr Kollege Leverkühn, nicht Ihr Vorschlag, den Sie am Ende Ihrer Ausführungen über den Osthandel machten: man solle amerikanische Kongreßmitglieder in die Bundesrepublik einladen. Herzlich gern sollen amerikanische Kongreßmitglieder hierher eingeladen werden, damit die Reiserei nicht gar so einseitig wie bisher vonstatten geht. Aber das müssen Sie doch in einem anderen Zusammenhang hier vorbringen als unter dem Tagesordnungspunkt Osthandel. Das müssen Sie unter dem Tagesordnungspunkt Westhandel, Westpolitik, Amerikapolitik vorbringen und nicht unter diesem.
Wir haben nicht geglaubt, daß die Bundesregierung allein schon auf unsere Große Anfrage hin ihre Embargo-Politik gegenüber dem Osten aufgeben wird. Ich stelle fest, daß diese Embargo-Politik wirtschaftlich völlig zwecklos ist, daß sie politisch nichts anderes ist als eine Nadelstichpolitik, als eine Politik — auch hier wiederhole ich meine Behauptung vom Anfang —, dem anderen das Gesicht zu nehmen und ihn politisch zu schädigen. Diese Politik hat keinen wirtschaftlichen und erst recht keinen militärischen Zweck. Aber was will man mit dieser Embargo-Politik machen? Man will sie belassen. Wir haben, offen gesagt, von der Bundesregierung nicht erwartet, daß sie in ihrer Antwort in diesem Punkte umschwenken würde, weil das — letzten Endes — natürlich eine Veränderung der Politik gegenüber der NATO bedeuten würde. Es müßte aber nicht ein Aufgeben alter Freundschaften und ein Suchen neuer Freundschaften bedeuten, sondern eine Revision und eine außer in Deutschland überall in der Diskussion befindliche Fortentwicklung der Politik. Aber das zu tun, ist die Regierung zu gefesselt; dazu ist sie nicht imstande. Wir nehmen das zur Kenntnis.
Wir hatten aber wenigstens gehofft, daß die Bundesregierung sich in den Punkten, in denen die westlichen Verbündeten längst vorangegangen sind, doch entschließen würde, einige vorsichtige Schritte zu tun, z. B. in der Frage der Herstellung von offiziellen Handelsbeziehungen zur Sowjetunion.
Der Herr Bundesaußenminister hat geltend gemacht, auch andere Länder hätten keine Handelsverträge mit der Sowjetunion. Eben deshalb steht in unserer Großen Anfrage auch nichts von Handelsverträgen, sondern von Handelsabkommen, weil wir diesen Unterschied, ehe der Herr Bundesaußenminister ihn hier vorgetragen hatte, auch schon kannten.
Aber darüber hinaus: Was soll denn das bedeuten, daß man sagt, die deutsch-russischen Beziehungen seien zu schlecht, als daß man zu einem Handelsabkommen gelangen könnte, aber der deutschrussische Handel blühe, wachse und gedeihe ja auch ohnehin? Sehen Sie, das ist für uns Sozialdemokraten eben nicht der Weisheit letzter Schluß, daß Handel und Verkehr blühen; das ist notwendig, aber kein Selbstzweck. Hier war eine politische Absicht gemeint — und sie war doch auch wohl klar ausgesprochen —: das so schlechte Verhältnis zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik in diesem einen Punkte zu verbessern.
Ich kann den Ausführungen des Herrn Außenministers nicht zustimmen, wenn er sagte, ihm sei nichts davon bekannt, daß die Sowjetrussen bereit gewesen seien, die Frage des Abschlusses eines Handelsabkommens mit anderen Punkten, an denen wir Bundesrepublikaner sehr wohl interessiert sind — z. B. Heimführung von Deutschen, die sich noch in der Sowjetunion aufhalten, konsularische Rechte der Botschaft usw. — gemeinsam zu diskutieren. Ich wiederhole meine Feststellung: Es ist evident, daß die Russen bereit waren, über diese Fragen gemeinsam zu verhandeln. Aber die Bundesregierung hatte die, ich muß schon sagen, absurde Vorstellung, daß man die Frage „Handelsabkommen" nur mit der Frage der Wiedervereinigung koppeln könne. Das allerdings sind, glaube ich, zwei Größenordnungen, die nicht zusammenzubringen sind. Die Frage der Wiedervereinigung ist doch die Kardinalfrage, die als oberste steht und die man nicht schon gleich bei den Vorfragen mit lösen kann; das wissen Sie, hoffe ich, so gut wie ich.
Wir hätten also gehofft, daß Sie bei der Frage „Handelsabkommen mit der Sowjetunion" einen kleinen Schritt gehen könnten und sich nicht darauf zurückziehen würden, Sie könnten Handelsabkommen mit den Russen erst treffen, wenn Deutschland wiedervereinigt werde. Das ist keine Gegenleistung, die zusammen harmoniert.
Unsere westlichen Partner in Europa — ich habe den größten Teil aufgezählt — haben diese Abkommen. Es stehen diesen also keine NATO-Hemmnisse entgegen. Sie können, wenn Sie wollen, hier einen Schritt zur Entspannung gehen. Daß Sie ihn nicht gehen, zeigt, daß Sie unbeweglich und steif auf Ihrer vor Jahren einmal bezogenen Position verharren, unfähig, die neuen Situationen zu erfassen.
Ebenso habe ich mich der optimistischen Auffassung hingegeben, Sie würden wenigstens in der Frage der Verbesserung der Beziehungen zu China versuchen, nun voranzukommen. Auch in dem Punkte haben wir von Ihrer Seite trotz aller schönen Worte nur ein klipp und klares Nein gehört. Das, meine ich, ist auch bedauerlich, weil andere Länder — Länder, auf die wir ja wohl auch Wert legen, wie England, wie Frankreich, wie Skandinavien — ihre Beziehungen mit China zu normalisieren getrachtet haben.
Die ablehnende Antwort des Herrn Außenministers, man könne das Embargo gegenüber China nicht lockern, weil in Ostasien die Friktionen noch beständen, ist von der Bundesregierung doch wohl etwas sehr weit hergeholt und entbehrt der inneren Substanz und der inneren Glaubwürdigkeit.
Ich muß sagen, ich hatte von dieser Aussprache nicht erhofft, daß die Bundesregierung auf unsere Plattform treten würde; aber ich hatte gehofft, daß sie versuchen würde, sich selber zu aktivieren. Ich dachte, man könnte eine Brücke dahin bauen. Ich muß mit Bedauern feststellen, daß die Bundesregierung wie eh und je an Meinungen festhält, die sich vor drei, vier Jahren gebildet haben, die der heutigen Zeit nicht entsprechen und die der deutschen Situation und den dringenden deutschen Problemen und auch den europäischen Problemen der Zusammenarbeit zwischen Ost und West in keiner Weise gerecht werden. Sie laufen hinter den Ereignissen her. Sie versuchen immer, der Hemmschuh in der Entwicklung zu sein, anstatt innerhalb der westlichen Mächte eine fortschrittliche
Linie zu beziehen, wie sie andere Westmächte auch bezogen haben. Das bedauere ich zutiefst.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Elbrächter.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Meine Freunde von der Fraktion der Deutschen Partei haben mich gebeten, zu diesen wichtigen Problemen Stellung zu nehmen. Ich muß offen bekennen, daß ich das mit einiger Beklommenheit tue, und zwar deswegen — ich glaube, die Diskussion hat das sichtbar werden lassen —, weil mit Ausnahme weniger Kollegen keiner von uns eigene Kenntnisse der Länder hat, über die wir hier diskutieren. Ich darf hier gleich einen Mann zitieren, mit dem ich kürzlich gesprochen habe, der seit vielen Jahren häufig im Osten gewesen ist und mir gesagt hat, jedesmal, wenn er dort gewesen sei, sei ihm diese Welt noch unverständlicher geworden. Ich erwähne das, um deutlich zu machen, mit welchen Vorbehalten wir an diese Fragen gehen müssen, da es sich ja nicht so sehr um die Frage der wirtschaftlichen Beziehungen, sondern in der Tat nur um die politischen Beziehungen handelt.
Ich glaube, wir dürfen es uns nicht so leicht machen und sagen, gewisse Kreise hätten ein Interesse daran, den Handel mit dem Osten auszudehnen; sondern dahinter steht doch eine rein politische Frage: Wie können wir die Beziehungen zu diesen Welten gestalten? Ich meine — es ist meine persönliche Auffassung —, wenn wir in diesem Hohen Hause über die Frage der Handels) beziehungen wie auch der politischen Beziehungen zum Osten sprechen, dann sollten wir als Deutsche vorher eines ganz deutlich machen: daß nämlich das Schwergewicht unserer politischen und der wirtschaftlichen Beziehungen eindeutig gegenüber dem Westen festgelegt ist. Ich glaube, daß wir nur dann Aussicht haben, unser Handelsvolumen mit dem östlichen Partner, ganz gleich, ob es im Nahen Osten, ob es Rußland oder ob es im Fernen Osten ist, wirksam zu erweitern, wenn wir das in völliger Solidarität mit unseren Freunden im Westen machen. Ich glaube, das sollte vorausgeschickt werden.
Ich darf eine zweite Vorbemerkung machen. Wir sollten diese Frage des Handels mit dem Osten nicht nur runter den tagespolitischen Fragen sehen, sondern müssen, glaube ich, hier einen recht weiten Maßstab haben. Für mich war es außerordentlich eindrucksvoll, als ich kürzlich Gelegenheit hatte, anläßlich der Tagung der Interparlamentarischen Union in Bangkok durch Indien zu reisen, das heute nicht erwähnt ist, aber im Grunde genommen bei der Erörterung des Osthandels berücksichtigt werden müßte. Für mich war es deswegen so bedeutsam, weil ich dort erlebt habe, wie sehr sich die Bevölkerungspolitik in der Gestaltung eines Staates, in dem Versuch des Staates, sich zu organisieren, auswirkt. Deshalb ist es, glaube ich, nützlich, wenn wir als Deutsche einige richtige Größenordnungen immer vor unser Bewußtsein stellen.
Wir leben jetzt in dieser Welt mit rund 2,6 Milliarden Menschen. Davon sind bestenfalls 7- bis 800 Millionen — es kommt auf 100 Millionen ja gar nicht an, sondern nur auf die Größenordnung — europäischer Abstammung. Wir wollen Rußland und den ihm befreundeten Block einmal mit rund 300 Millionen ansetzen. Dann sind noch rund 1,3 bis 1,4 Milliarden Menschen in den Ländern, mit denen wir es in Zukunft im wesentlichen zu tun haben werden. Und nun dürfen wir nicht vom jetzigen Status ausgehen. In Indien werden in jedem Jahr nicht nur 5 Millionen Menschen geboren, sondern dies ist bereits der Geburtenüberschuß. In China erreicht diese Zahl sogar 12 Millionen. Es gibt die verschiedensten Methoden, die Entwicklung unserer Bevölkerung zu errechnen.
Alle Methoden ähneln sich im Ergebnis. Das heißt, daß in etwa 200, 300 Jahren — erschrecken Sie nicht, daß ich in so weiten Zeiträumen operiere — etwa 6 bis 8 Milliarden Menschen diese Erde bevölkern werden, und davon werden aller Voraussicht nach 5 bis 6 Milliarden Menschen im Fernen Osten leben. Ich glaube, allein diese Relationen der Zukunft zwingen uns, jetzt schon über das Problem der Beziehungen zum Osten nachzudenken.
Nun bin ich allerdings der Auffassung, daß die Erwartungen gewisser Wirtschaftskreise, der Handel sowohl mit den Ländern des Nahen Ostens als auch des Fernen Ostens könne im jetzigen Zeitpunkt wesentlich ausgeweitet werden, nicht ge'rechtfertigt sind. Wir müssen, wenn wir diese Frage analysieren, doch wohl unterscheiden, mit welchen Ländern wir es zu tun haben.
Wir haben es zunächst mit unseren unmittelbaren östlichen Nachbarn zu tun. Die politische Entwicklung der jüngsten Wochen hat gezeigt, daß der Begriff „Satelliten" dem politischen Sachverhalt nicht mehr ganz gerecht wird. In unserer Diskussion hat es zwei verschiedene Auffassungen gegeben: Erschwert die Verstärkung des Handels mit diesen Ländern — ich brauche sie namentlich nicht mehr aufzuführen — unser außenpolitisches Ziel Nr. 1, die Wiedervereinigung, oder führt sie zu einer Erleichterung? Ich bin der Auffassung, daß es zu einer Erleichterung führen wird, wenn wir den Handel mit diesen Ländern verstärken; denn je stärker die wirtschaftliche Verflechtung ist, desto stärker zwingt sie auch die Menschen zu einem friedlichen Zusammenleben. Ich weiß, man könnte mir viele Einwände dagegen machen: Siehe die Erfahrungen 1914! Ich darf aber darauf hinweisen, daß damals die Staatsmänner ahnungslos waren — ich darf den Ausdruck wohl gebrauchen
gegenüber dem Problem der industriellen Entwicklung und auch hinsichtlich der Konsequenzen, die dieser Krieg mit sich bringen würde. Ich darf an den Donauraum erinnern mit all dem Unheil, das aus der Nachkriegsgliederung 1918 entstanden ist. Wir täten also gut daran, auf dem jetzigen Wege — wir haben ihn ja schon beschritten und sollten uns gar nicht so sehr streiten — der Ausweitung des Handels mit diesen Völkern fortzuschreiten. Ich glaube zu wissen, daß das einem echten Anliegen dieser Völker entspricht. Der Streit könnte doch nur darum gehen, ob wir dem sehr weit vorpreschenden Vorschlag von Herrn Kollegen Rademacher und seiner Fraktion folgen oder ob wir nicht vorsichtiger sein und etwa den Weg gehen sollten, den wir im Grunde genommen mit Rumänien in Aussicht genommen haben. Ich darf hier nur meinem Bedauern Ausdruck geben, daß die beiderseitigen Verhandlungen, die doch seit Jahren laufen, noch nicht zur Errichtung einer ähnlichen Delegation geführt haben, wie wir sie in Frankfurt bereits von rumänischer Seite haben. Es ist nicht gut, wenn wir uns hier von deutscher
Seite hinter der Kostenfrage verstecken, wenn sie auch nicht zu gering zu werten ist. Wir sollten dieses Problem bei der Behandlung dieser Anträge eingehend besprechen und zu einer wirklichen Lösung kommen. Ich glaube, wenn wir die anderen Staaten analog diesem Vorgehen behandelten, würden wir die außenpolitischen Schwierigkeiten, auf die der Herr Außenminister mit Recht hingewiesen hat, vermeiden können. Aber die Frage ist ja schon eingehend behandelt worden.
Nun zur Frage Rußland. Ich stimme Herrn Kollegen Leverkuehn zu: es ist ein anderes, ob man Handelsverträge mit Staaten der freien Welt schließt oder mit Staaten wie Rußland, die autoritäre Diktaturen darstellen. Selbstverständlich wird Rußland aus politischen Gründen ein Interesse daran haben, mit uns einen Handelsvertrag abzuschließen. Ich halte es aber mit Rücksicht auf die Geschehnisse, die sich vor wenigen Wochen in Ungarn abgespielt haben, für unmöglich, im jetzigen Augenblick einen solchen Vertrag zu schließen. Ich möchte die Reaktion der öffentlichen Meinung in Deutschland sehen, wenn wir in diesem Moment den Beschluß faßten: wir wollen unter allen Umständen einen Handelsvertrag mit Rußland schließen. Mir haben Wirtschaftler versichert, daß der Effekt nicht groß sein werde; die Zahlen beweisen es. Wir handeln bereits mit Rußland. Das Volumen nimmt zu. Ich bin der Auffassung, daß Rußland gar kein allzu großes Interesse hat, den Handel stärker auszudehnen, als es ihm genehm ist. Wir hängen also in allen diesen Beziehungen zu Rußland immer von ausschließlich russischen Wünschen ab.
Es ist richtig, es besteht ein Embargo gegen Rußland. In der Praxis ist es aber so, daß Rußland auch ohne Embargoliste genau das nicht liefert, was es nicht liefern will. Man erklärt uns: das besitzen wir nicht. Also hat Rußland praktisch die gleichen Methoden, die der Westen gegen Rußland anwendet, nur in einer anderen Form.
Ich glaube also, dieses Problem Rußland stellt sich gar nicht so schwierig. Wenn die Wahl besteht, Handel mit Rußland zu treiben oder aber die gleichen Rohstoffe, Erze und was es sein mag, aus Ländern des Nahen und Mittleren Ostens — Türkei, Iran, Pakistan, Indien, den Colombo-Staaten — zu beziehen, dann fällt die Entscheidung für mich nicht schwer: ich werde die Wahl selbstverständlich zugunsten der letztgenannten Ländergruppe treffen. Ich glaube also, daß wir uns über die Frage des Handelsvertrags mit Rußland jetzt gar nicht die Köpfe zu zerbrechen brauchen; diese Entscheidung wird einer späteren Zeit vorbehalten sein. Im Augenblick steht nämlich die politische Frage dahinter, welche Auswirkungen das auf die russischen Satelliten hat; ich darf diesen Ausdruck jetzt doch einmal gebrauchen. Die werden nämlich dann selbstverständlich die gleichen Forderungen mit all den Konsequenzen stellen, die hier schon angedeutet worden sind.
Dann darf ich ganz kurz noch eine Bemerkung machen; ich habe darauf einleitend schon hingewiesen. Die Frage des Osthandels ist hier nicht vollständig abgehandelt. Es gehört nämlich dazu auch der Handel mit dem ganzen Länderblock, den ich eben nannte. Auch dieses Problem muß hier im Hause einmal behandelt werden. Ich glaube, es war sehr nützlich, daß eine Reihe von Abgeordneten Gelegenheit hatte, anläßlich der Bangkok-Reise diese Länder zu besichtigen und sich einen lebendigen Eindruck davon zu verschaffen, welche politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten gerade dort noch liegen.
Ich glaube, das Schwergewicht unserer wirtschaftlichen Beziehungen sollte gerade dorthin gelenkt werden, wo wir einen großen politischen Effekt erzielen können. Ich darf Ihnen sagen, es war für uns überraschend, welch ein Goodwill wir dort haben, und wir sollten dieses Goodwill, das durch die Ereignisse der jüngsten Zeit nicht kleiner, sondern eher größer geworden ist, nicht nur im Interesse Deutschlands, sondern im Interesse der gesamten freien Welt ausnutzen. Das ist eine politische Aufgabe, die sich uns in allernächster Zeit stellt und die von uns gelöst werden muß. Ich bin nicht der Meinung, daß es gut ist, wenn wir uns hinstellen und Milliarden-Beträge in Aussicht stellen. Das können wir nicht. Ich bin aber des Glaubens, daß es unsere Devisenbilanz uns gestatten wird, dort zu anderen Zahlungsbedingungen zu kommen, die den Wünschen dieser Länder gerechter werden. Aber das ist ein Problem, was ich jetzt hier nicht aushandeln will. Ich hoffe, daß' wir Gelegenheit nehmen werden, es in absehbarer Zeit hier im Hause zu diskutieren.
Nun noch ein paar Worte zu Rotchina. Ich muß mich auch da, weil ich eben keine eigenen Erfahrungen habe, auf Urteile von Männern verlassen, die seit Jahren im praktischen Handel mit China stehen. Es war für mich interessant, von einem Kaufmann, mit dem ich von Bangkok nach Karatschi zurückflog, zu hören, daß die Frage des Handelsvertrages für die Chinesen zwar interessant sei, aber gar nicht wichtig. Hauptsache sei, sagen sie, daß der Handel laufe; und wie er mir sagte, gehe er ganz gut. Die Schwierigkeiten — die gesehen würden — lägen darin, daß ja infolge der steigenden Industrialisierung dieses Landes nicht mehr die Mengen an Exportgütern zur Verfügung stünden wie früher. Der Kaufmann nannte als Beispiel dafür Eier. Der Eierkonsum sei durch den gehobenen Lebensstandard gestiegen, und so stünden nicht mehr so viele Eier zum Export zur Verfügung wie früher. — Das nur einmal als praktisches Beispiel!
Ich glaube also, daß es bei unseren Beziehungen zu China nicht so sehr auf den Handelsvertrag ankommt als vielmehr darauf, daß wir dort eine Delegation haben. Ich bin erfreut, von dem Herrn Außenminister gehört zu haben, daß es die Regierung begrüßen würde, wenn der Ostausschuß der deutschen Wirtschaft eine Delegation dorthin schickte.
Ich bin nicht ganz von der Beantwortung der Ziffer 8 der Großen Anfrage der SPD-Fraktion befriedigt. Ich hätte gern gehört, mit welchem Zeitpunkt etwa die Bundesregierung rechnet. Wenn ich richtig informiert worden bin, besteht schon Anfang Januar die Möglichkeit, eine solche Delegation zu schicken. Grundsätzlich hat die chinesische Regierung ihr Einverständnis erklärt, und ich glaube, es wäre sehr nützlich, wenn wir das wahrnähmen.
Zur Frage des Embargos! Auch da muß ich mich wieder auf die Urteile erfahrener Wirtschaftler verlassen. Es scheint in der Tat so zu sein, wie es Kollege Kalbitzer dargestellt hat, daß das Embargo gegen China völlig wirkungslos ist. Es ist besten-
falls eine gewisse Verteuerung im Bezug von gewissen Waren damit verbunden. Im übrigen beziehen die Chinesen über Rußland oder andere befreundete Staaten alles das, was sie haben wollen und was der Westen liefern kann. Es scheint mir also nicht sinnvoll zu sein, eine politische Maßnahme, die ja gegenüber China verschärft worden war, durchzuhalten, wenn der wirtschaftliche Effekt gleich Null ist.
Nun verkenne ich gar nicht, daß das eine Frage ist, die wir hier gar nicht lösen können, vielmehr kann sie nur in vollem Einvernehmen namentlich mit den USA gelöst werden. In diesem Zusammenhang möchte ich den Kollegen Kalbitzer und auch den Kollegen Schwann doch einmal an etwas erinnern, das gerade die Frage der Beziehungen zu Rotchina doch wohl in ein etwas kritischeres Licht stellt. Ich glaube, es hat den Engländern nicht sehr viel genützt, daß sie als erste Großmacht sehr bereitwillig Rotchina schon diplomatisch anerkannt haben. Ich meine auch, daher schließen zu dürfen, daß es für die Chinesen ziemlich belanglos ist, wenn ausgerechnet wir den Versuch machen, nun etwa über den Abschluß von Handelsverträgen Rotchina anzuerkennen.
Der springende Punkt für Rotchina ist selbstverständlich der Ausgleich mit den USA. Die USA sind seit mehr als 200 Jahren politisch und wirtschaftlich der Hauptpartner Chinas gewesen, und die Nordamerikaner betrachten gerade China immer so sehr als ihren Partner, daß sie jede fremde Einmischung dort höchst ungern gesehen haben. Ich glaube, das ist zu respektieren. Wir sollten das Schwergewicht, das wir haben, nicht überschätzen. Es liegt, glaube ich, nicht an uns, diese Frage zu sehr voranzutreiben. Wohl aber möchte ich — und damit darf ich schließen —, daß unsere Regierung nicht zu sehr zaudert, zu vorsichtig ist, daß sie diese Probleme öfter und häufiger mit unseren Freunden aus dem Westen bespricht, und zwar immer unter dem Gesichtspunkt des politischen und wirtschaftlichen Effekts. Ich meine, es dürfte nicht allzu schwer sein, unsere Freunde im Westen davon zu überzeugen, daß wir gerade mit den Ländern — ich darf jetzt auf unser eigentliches Anliegen zurückkommen —, die unsere unmittelbaren Nachbarn im Osten sind, einen besonderen Kontakt haben müssen, einen Kontakt, der ja 'technisch auch da ist. Ich meine daher, es ist richtiger, diesen technischen Kontakt von Ministerium zu Ministerium — das wurde erwähnt — in normale Kanäle zu leiten, so daß die erfreuliche Aufwärtsentwicklung unseres Handels konsolidiert und, wenn möglich, ausgeweitet wird. Diese Kontaktaufnahme zu den östlichen Nachbarn wird uns politisch einstmals eine Unterstützung sein. Das ist, glaube ich, genau das — daran darf ich zum Schluß erinnern —, was mein Freund Merk a t z schon vor längerer Zeit mit seinen Hinweisen hat sagen wollen, als er ausführte, es werde eine politische Notwendigkeit sein, zunächst auf wirtschaftlichem Gebiet mehr Kontakte zu unseren Nachbarn aufzunehmen, — eben weil über die Wirtschaft gewisse Fakten geschaffen werden, die sich dann politisch auswirken werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rademacher.
Meine Damen und Herren! Wenn ich aus der Antwort des Herrn Außenministers das Fazit ziehe, dann muß ich sagen: aus allem hören wir nur das Nein! Um dieses Nein zu unterstreichen und verständlich zu machen, weicht man auf eine einfache Schwarz-weiß-Methode aus, indem man sagt, das, was sowohl in der Großen Anfrage als auch in den von uns gestellten konkreten Anträgen zum Ausdruck komme, sei ausschließlich der Gedanke, wirtschaftliche Interessen zu unterstützen und zu fördern. Das wird dann noch im weiteren dadurch belegt, daß man vom Interesse der einzelnen spricht, daß man von dem legitimen Recht guter Bilanzen spricht. Nur ist dem Herrn Außenminister ein großer Fehler unterlaufen, ein Widerspruch; er hat nämlich später gesagt: Wozu brauchen Sie eigentlich diese Handelsmissionen, wozu brauchen Sie diplomatische Vertretungen?, ich kann Ihnen doch an Hand einer Reihe von Zahlen beweisen, daß der Warenaustausch sich nicht nur auf gleicher Ebene hält, sondern ständig im Wachsen begriffen ist. Nun, das haben wir natürlich auch gemerkt. Einer der Gründe für die Stellung unseres Antrags ist ja, den nun einmal vorhandenen Warenaustausch und die Steigerung des Austausches durch ein legales Fundament im Interesse der Beteiligten und nicht zuletzt auch im Interesse der Bundesrepublik entsprechend zu fördern.
Ich bedaure sehr, daß auch der Vertreter der CDU, Herr Leverkuehn, sich im großen und ganzen dieser Auffassung angeschlossen hat. Denn er hat gesagt: Der große Unterschied in unseren Auffassungen besteht darin, daß auch wir die Dinge ausschließlich von der Politik her sehen möchten und Sie ausschließlich von der Wirtschaft her. — Meine Damen und Herren, wenn wir eine Politik betrieben, die eine derartige Differenzierung zwischen Wirtschaft und Politik überhaupt vornimmt, dann würden wir, glaube ich, einen gewaltigen Fehler begehen. Ich hätte an dieser Stelle sehr gern auch den Herrn Bundeswirtschaftsminister auf der Regierungsbank gesehen, gerade als diese Ausführungen von dem Herrn Außenminister gemacht wurden.
Zu den Embargobestimmungen! Ich weiß nicht, ob der Herr Außenminister darüber unterrichtet ist oder ob ihn seine Herren entsprechend darüber aufgeklärt haben oder bereit sind, ihn darüber aufzuklären: die Dinge stehen doch praktisch nur noch auf dem Papier! Herr Staatssekretär Hallstein — als Vertreter des Ministers —, Sie werden mir doch zugeben, daß genau das gleiche, was diese Länder haben wollen, über dritte Länder geliefert wird und daß damit der Korruption und der Schiebung Tür und Tor geöffnet sind und beides auch tatsächlich leider praktiziert wird, zum Nachteil des Ansehens derjenigen Wirtschaften, die eben diesen Ausweg gehen. Wenn mit diesen ursprünglichen Handelsbeschränkungen wenigstens wirklich etwas erreicht worden wäre! Aber haben wir es verhindern können, daß in der UdSSR und ihren Satellitenstaaten die schreckliche Waffe der H-Bombe hergestellt wird, so daß ihr Einsatz nicht mehr nur von den verantwortlichen Kräften des freien Westens abhängt?! Das sind doch die großen Sorgen, die wir haben und die am Ende meiner Ausführungen wohl sehr deutlich zum Ausdruck gekommen sind. Ich fürchte beinahe, daß der tiefere Sinn dieser Anträge auch von der Bundesregierung leider nicht richtig verstanden worden
ist. Man kann hier im Plenum nicht alles sagen. Vielleicht habe ich gerade am Ende meiner Ausführungen schon etwas zuviel gesagt.
Ich bin jetzt noch Herrn Gille eine Antwort schuldig, der an die Freien Demokraten eine Anfrage wegen ihrer Auffassung zu dem gerichtet hat, was er die heimatpolitischen Forderungen nannte. Auch das ist einer der Punkte, über die man hier nicht in der offenen Weise sprechen kann, wie man es vielleicht gern möchte.
— Warten Sie, Herr Kollege, bis ich am Ende bin; dann werden Sie hören, daß ich bereit bin, im Namen meiner Freunde grundsätzlich eine Erklärung dazu abzugeben. — Ich weiß nicht, ob die Möglichkeit der Einrichtung von Handelsmissionen mit oder ohne konsularische Rechte schon der richtige und endgültige Ausgangsspunkt für heimatpolitische Forderungen ist. Das ist eine offene Frage. Ich darf Ihnen aber mit aller Deutlichkeit erklären, daß die Freien Demokraten soweit wie möglich jede heimatpolitische Forderung unterstützen, soweit sie auf friedlichem Wege zu erfüllen ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rinke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch die Ausführungen von Herrn Kollegen Kalbitzer klang zum Schluß sehr deutlich durch, daß nicht die Wirtschaft im Vordergrund dieser Anträge steht, sondern die Politik. Es klang weiter durch, daß man die Handelsmissionen mit konsularischem Status gewissermaßen als eine Vorstufe für diplomatische Beziehungen zu den Satellitenstaaten, überhaupt zu den Staaten des Ostblocks betrachte. Darin liegt ja gerade die Gefahr, Kollege Kalbitzer! Sie sprachen auch von der Wiedervereinigung; aber gerade wenn man an die Wiedervereinigung denkt, muß man die Frage der diplomatischen Beziehungen, auch schon die Frage von Handelsmissionen, nicht nur anschneiden, sondern auch bis zum letzten durchdenken. Denn wir könnten sonst das sorgfältig aufgebaute Gebäude der Nichtanerkennung der DDR zum Einsturz bringen.
— Auch darauf möchte ich Ihnen eine Antwort geben. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Moskau war, abgesehen von der Zwangslage im Hinblick auf die Kriegsgefangenen, schon deshalb notwendig, weil Moskau eine der vier Besatzungsmächte ist und weil die Fragen der Wiedervereinigung, des Friedensvertrages usw. nur mit Moskau als vierter Besatzungsmacht geregelt werden können.
Die Vorbehaltserklärung, von der Herr Gille sprach, genügt auch nicht. Denn die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, vielleicht auch schon die Errichtung einer Handelsmission mit konsularischem Status, ist im Völkerleben nun einmal ein derart entscheidender Schritt, daß jede Vorbehaltserklärung in der Regel nur als eine schöne Geste aufgefaßt wird,
manchmal sogar dem eigenen Volke gegenüber.
— Nun, es war trotzdem sehr schwer, diese Vorbehaltserklärung gegenüber der Sowjetunion durchzubringen. Aber z. B. bei Polen würde eine Vorbehaltserklärung — für Polen ist es doch eine vitale Frage, ob es die Gebiete ostwärts der Oder-Neiße-Linie, unser Ostdeutschland, behält oder nicht —, also bei Polen würde eine solche Vorbehaltserklärung von vornherein auf Schwierigkeiten stoßen.
— Der Versuch ist inoffiziell schon oft erfolgt. Lesen Sie doch die neueste Presse! Lesen Sie doch, was Gomulka, der neue Herrscher von Polen, darüber spricht! Der ist ja darin viel schlimmer als das bisherige Regime.
— Wir meinen, daß eine Vorbehaltserklärung Polen gegenüber im Augenblick völlig zwecklos wäre, da Polen nie und nimmer eine derartige Vorbehaltserklärung akzeptieren würde, und zwar aus angeblich vitalen Interessen.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns gerade die Frage der Wiedervereinigung in diesem Zusammenhang immer wieder vor Augen führen, damit nicht eines Tages aus dem Eisernen Vorhang ein ,,Stählerner Vorhang" wird; den wollen wir alle nicht.
Deshalb das Problem bis zu Ende durchdenken und nicht von Lethargie sprechen, wo nur kühle Überlegung uns verbietet vorzusprechen!
Weil es sich um ein eminent politisches Problem handelt, beantrage ich im Namen meiner Fraktion, daß der Auswärtige Ausschuß als federführend und der Ausschuß für Außenhandelsfragen als mitberatend bestimmt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen zu diesem Punkt liegen nicht mehr vor. Das Wort wird auch weiter nicht gewünscht? — Dann schließe ich die Beratung.
Eben wurde hier der Antrag gestellt, den Auswärtigen Ausschuß zum federführenden Ausschuß zu bestimmen. Es handelt sich um zwei Drucksachen. Gilt der Antrag für beide Drucksachen?
— Die eine Drucksache wird ja nicht überwiesen. Die Große Anfrage ist mit der Begründung und der Diskussion erledigt.
— Er gilt also für die beiden Anträge, sowohl den Antrag auf Drucksache 2734 wie den auf Drucksache 2937. Beide Anträge sollen nach Ihrem Antrag dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten als federführendem Ausschuß und dem Aus-
schuß für Außenhandelsfragen zur Mitberatung überwiesen werden. Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann komme ich zur Abstimmung. Wer dem Antrag, daß die Anträge auf den Drucksachen 2937 und 2734 an den Ausschuß für auswärtige Angelenheiten — federführend — und an den Ausschuß für Außenhandelsfragen — mitberatend — überwiesen werden sollen, zustimmt, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist so beschlossen. Damit ist der Punkt 2 a bis c der heutigen Tagesordnung erledigt.
Meine Damen und Herren, bevor ich fortfahre, möchte ich noch einmal bekanntgeben, in welcher Reihenfolge wir in der Tagesordnung verfahren. Als erstes kommt jetzt Punkt 8 der gestrigen Tagesordnung, dann Punkt 7 der gestrigen Tagesordnung, dann Punkt 5 der gestrigen Tagesordnung, dann Punkt 4 der heutigen Tagesordnung, dann Punkt 25 der heutigen Tagesordnung, dann Punkt 6 der gestrigen Tagesordnung, dann Punkt 9 der gestrigen Tagesordnung und schließlich Punkt 29 der heutigen Tagesordnung. So hat es das Plenum bestimmt.
Ich rufe den Punkt 8 der gestrigen Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Fürsorge für Körperbehinderte und von einer Körperbehinderung bedrohte Personen; ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Fragen der öffentlichen Fürsorge (Drucksache 2885, Umdrucke 856, 857,
863 [neu], 873).
Ich erteile das Wort der Berichterstatterin, der Frau Abgeordneten Niggemeyer.
Frau Niggemeyer , Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich habe nicht die Absicht, meinem schriftlichen Bericht noch sehr viel hinzuzufügen. Ich habe nur die Bitte, eine redaktionelle Änderung vorzunehmen, weil leider sowohl beim Regierungsentwurf als auch bei der Fassung des Ausschusses etwas übersehen worden ist. Ich bitte, in § 7 Abs. 2 im zweiten Satz:
Den Landesfürsorgeverbänden obliegt ferner die Versorgung mit Körperersatzstücken sowie größeren orthopädischen und anderen Hilfsmitteln; eine mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassende Rechtsverordnung . . .
hinter dem Wort „Rechtsverordnung" die Worte „der Bundesregierung" einzufügen. Das war vergessen worden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke der Frau Berichterstatterin.
Wir treten in die zweite Lesung des Gesetzentwurfes ein. Ich rufe § 1 auf und dazu den Änderungsantrag auf Umdruck 857*) Ziffer 1. Darf ich fragen, wer begründet? — Zur Begründung hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Bärsch.
*) Siehe Anlage 13.
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion bittet Sie, dem § 1 Abs. 1 folgenden neuen Satz hinzuzufügen:
Es findet keine Anwendung auf Personen mit
altersbedingten Abnutzungserscheinungen. Der Grund für unseren Antrag ist folgender. Wir haben bei diesem Gesetzentwurf die frühere Überschrift „Krüppelfürsorgegesetz" ersetzt durch die Überschrift „Fürsorgegesetz für Körperbehinderte", und zwar aus sehr verständlichen und berechtigten psychologischen Gründen. Trotzdem sind wir uns aber wohl alle einig darüber, daß am Wesen des Gesetzes dadurch nichts geändert wird und daß infolgedessen diejenigen Fälle von Körperbehinderungen nicht unter das Gesetz fallen können, die nichts anderes sind als der Ausdruck einer mehr oder weniger normalen Entwicklung im Laufe des Lebens, d. h. Körperbehinderungen, die Ausdruck altersbedingter Abnutzungserscheinungen sind. Wir möchten Sie deshalb bitten, unserem Antrag zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Niggemeyer.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der auf Umdruck 857 von der Fraktion der SPD beantragte Zusatz zu dem Abs. 1 des § 1 bedeutet keine materielle Änderung des Gesetzentwurfes. Ich glaube, darin müssen Sie mir zustimmen. Selbstverständlich ist schon in der Begründung zu diesem § 1 ausdrücklich festgelegt worden, daß Personen mit altersbedingten Abnutzungserscheinungen nicht unter dieses Gesetz fallen. Aber selbst wenn das nicht wäre und selbst wenn man annimmt, daß nicht jeder die Begründung des Gesetzes zu Rate ziehen oder auswendig lernen wird, läßt nach meiner Ansicht und auch nach der Ansicht des Ausschusses die Begriffsbestimmung des Körperbehinderten, wie sie in § 1 enthalten ist, keinen Zweifel darüber aufkommen, daß Personen mit altersbedingten Abnutzungserscheinungen nicht unter dieses Gesetz fallen.
Sie könnten jetzt sagen: Ja, wenn Sie eingangs erklärt haben, unser Zusatz bedeute keine materielle Änderung, warum stimmen Sie dann nicht zu? Nun, ich bitte, den Antrag aus folgendem Grunde abzulehnen. Wird dieser Zusatz hinzugefügt, besteht die Gefahr — und zumindest jeder, der in der praktischen Arbeit der Fürsorge steht, wird das bestätigen —, daß, sagen wir einmal: ein überängstlicher Leiter eines Fürsorgeamtes oder des Landesfürsorgeverbandes, auch Personen des Gesundheitsamtes, das ja letztlich die Betreuung, die Heilbehandlung einleiten soll, zu strenge Maßstäbe hinsichtlich des Begriffs „altersbedingte Abnutzungserscheinugen" anlegen werden. Würden wir den Zusatz anfügen, müßten wir festlegen, mit welchem Alter Abnutzungserscheinungen anfangen. Die Alterserscheinungen können bei dem einen bei 40, bei dem zweiten bei 50 und bei Menschen mit sehr guter Gesundheit bei 80 Jahren beginnen.
Um also nicht Gefahr zu laufen, daß Menschen, die unter dieses Gesetz fallen sollen, aus einer zu ängstlichen und engen Auslegung der Gesetzesbestimmungen nicht in den Genuß der Hilfeleistungen nach diesem Gesetz kommen, bitte ich, den Antrag abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bärsch.
Meine Damen und Herren! Wir haben hier praktisch einen Antrag des Gesundheitsausschusses aufgenommen. Ich freue mich, daß wir einig sind, auch mit Frau Kollegin Niggemeyer, daß die altersbedingten Abnutzungserscheinungen nicht unter das Gesetz fallen sollen. Nur finde ich, daß in der Begründung, die Sie, verehrte Frau Kollegin, soeben vorgetragen haben, ein gewisser Widerspruch insofern liegt, als Sie einmal sagen: „Wir sind auch der Meinung, daß die altersbedingten Abnutzungserscheinungen nicht darunterfallen" und dabei auf die Begründung des Gesetzes verweisen, die das sehr klar herausstellt, als Sie andererseits erklären: „Ja, wie sollen die altersbedingten Abnutzungserscheinungen denn von anderen sicher abgetrennt werden, besteht nicht die Gefahr, daß eine kleinliche Behörde hier die Grenze eventuell zu eng zieht?".
Wenn wir uns einig sind, daß die altersbedingten Abnutzungserscheinungen aus Gründen der Systematik nicht unter das Gesetz fallen, sollten wir uns auch klar dazu bekennen. Dann ist es, so finde ich, eine schlechte Sache, zu sagen: Das brauchen wir im Gesetz nicht zu erklären; das steht in der Begründung. Ich bin der Meinung — da sollten wir uns auch einig sein —, daß das, was notwendig ist, soweit es geht, ins Gesetz geschrieben werden sollte; denn das Gesetz allein setzt Recht, nicht die Begründung. Ich bitte Sie, wenn Sie in der Sache mit uns einverstanden sind, unserem Antrag zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Niggemeyer.
Es tut mir leid, wenn hier eine Diskussion verlängert wird, die nicht verlängert zu werden brauchte.
Herr Dr. Bärsch hat mir in seinen Ausführungen etwas unterstellt. Ich habe nicht nur auf die Begründung, sondern auch auf die Begriffsbestimmung des Gesetzes verwiesen und habe nur erläuternd dazu gesagt, wie schwierig es sein könnte, wenn wir im Gesetz diese Feststellung träfen, und daß wir das volle Vertrauen zu dem Arbeitsteam haben, das berufen ist, später das Heilverfahren einzuleiten und die Eingliederung vorzunehmen, daß es in einer echten Sorge um die Körperbehinderten entscheiden wird. Und nun lassen Sie mich ruhig ein Bekenntnis ablegen: es ist mir lieber, es kommen zehn Menschen mehr in den Genuß der Regelung dieses Gesetzes, bei denen man vielleicht den Anfang einer altersbedingten Abnutzungserscheinung feststellen könnte, als es sind drei echte Körperbehinderte da, die nicht in den Genuß kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag zu § 1 auf Umdruck 857*) Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer nunmehr dem aufgerufenen § 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das
') Siehe Anlage 13. Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Wenn ich recht gesehen habe, gegen eine Stimme angenommen.
Ich rufe § 2 des Gesetzes auf und eröffne die Aussprache. — Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache. Wer dem § 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr § 3 auf, dazu die Änderungsanträge auf den Umdrucken 863 , 856, 857 Ziffer 2 und 873 Ziffer 1.
Meine Damen und Herren, ich möchte vorschlagen, daß die Begründungen in der Reihenfolge gegeben werden, wie sie nach Rücksprache mit dem Herrn Ausschußvorsitzenden logisch erscheint. Wer begründet den Antrag auf Umdruck 863 **)? —Abgeordneter Dr. Hammer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind alle miteinander, soweit wir Gesundheits- und Sozialpolitik betreiben, darüber bekümmert und betrübt, daß Möglichkeiten zur Genesung, die für die Körperbehinderten in Deutschland vorhanden sind, nicht ausgenutzt werden. Wir alle sind über die Fortschritte der Wissenschaft, der Forschung, der ärztlichen Kunst unterrichtet und kennen hervorragende Institute. Auch wissen wir, daß die Möglichkeit besteht, durch eine Beratung und Umschulung, durch alle möglichen Maßnahmen und durch nachgehende Behandlung eine große Anzahl von unglücklichen Menschen glücklich zu machen. Aber wir sehen, daß die Chancen, die in Deutschland geboten werden, zum großen Teil nicht ausgenutzt werden.
Die Bundesregierung, die die Vorlage eingebracht hat, und die Mitglieder der an der Beratung beteiligten Ausschüsse haben sich die größte Mühe gegeben, Wege zu finden, um das zu ändern. Zunächst einmal haben sie in diesem Gesetz dafür gesorgt, daß erhebliche Mittel von den Fürsorgeverbänden bereitgestellt werden. Aber das nicht allein; es ist von der Bundesregierung mit dem § 3 auch der Versuch gemacht worden, das gewünschte Ziel durch eine Meldepflicht zu erreichen, ursprünglich durch eine unerhört weitgehende Meldepflicht. Es stand einmal in der Vorlage, daß der Arbeitgeber verpflichtet sei, sehr weit in die persönlichen Verhältnisse seines Arbeitnehmers einzugreifen, ihn nämlich der zuständigen Behörde zu melden.
Meine Damen und Herren, wir bezweifeln die Zweckmäßigkeit einer Meldepflicht überhaupt. Im übrigen erhebt sich bei dieser Meldepflicht auch noch die Frage, ob man derartige Eingriffe in einem demokratischen Staat vornehmen darf.
Wir hatten in Deutschland seit dem Jahre 1920 eine Regelung, die etwa so aussah: In Preußen galt ein Gesetz, das damals Krüppelfürsorgegesetz hieß; heute vermeiden wir diesen ein wenig peinlichen Ausdruck. Die übrigen Länder von Baden bis Oldenburg hatten ihre entsprechenden Ausführungsbestimmungen, so daß also annähernd ähnlich verfahren wurde. Nach dem preußischen Gesetz bestand eine Meldepflicht für Minderjährige.
Speziell aus Hannover lagen uns im letzten Jahr Berichte über die unbefriedigenden Resultate der Betreuung der Körperversehrten vor, also aus
s') Siehe Anlage 14.
einem Bereich, in dem das preußische Krüppelfürsorgegesetz mit seiner Meldepflicht gehandhabt wurde. Wenn man diese Berichte durchlas, hatte man den Eindruck: der Jammer war groß; denn es war außerordentlich, was da noch gefehlt hat und wieviel Menschenkinder mit allen möglichen schweren Erkrankungen, die später kaum mehr zu beheben sind, im Lande herumlaufen.
Unverständlich ist die Behauptung, daß man das durch eine Ausdehnung der Meldepflicht Lindern könne. Verfolgen Sie doch bitte ein wenig das Verhalten des Auslandes und denken Sie zunächst einmal an folgendes. Der Gesetzgeber kann in einem Gesetz eine Meldepflicht verankern. Er kann aber in Deutschland unter demokratischen Verhältnissen kaum eine Operationsduldungspflicht erzwingen. Die Operationsduldungspflicht kannten wir in unserer gesundheitspolitischen Vergangenheit aus den KZs und soweit die Sterilisation nach dem Erbgesundheitsgesetz in Frage kam, also aus einer Welt, die uns — ich will mich wieder ganz vorsichtig ausdrücken — sehr, sehr fern geworden ist oder jedenfalls sehr fern geworden sein sollte. Eine Meldung allein — wenn sie in diesem Gesetz verankert wird — bringt es nicht zustande, daß der Körperversehrte auf den Operationstisch oder auf den Gipstisch kommt. Dazu gehört etwas ganz anderes. Dazu gehört bei den Jugendlichen die Beeinflussung der Eltern und der Erziehungsberechtigten. Diese Kinder sind nicht mangels einer Meldepflicht unbehandelt geblieben, sondern allein weil man ihren Müttern nicht beibringen konnte, daß dieses freundliche, lachende und fröhlich jaulende Kleinkind, das hier in seinem Bettehen lag, nicht nur eine Verzögerung beim Laufenlernen hatte, sondern eine angeborene Hüftgelenkverrenkung oder einen Klumpfuß. Es war eben nicht gelungen, die Mütter dazu zu bewegen, in dieses friedliche Leben ihres vergötterten Kindchens einzugreifen und es auf den Operationstisch zu tragen.
Wenn Sie die Resultate von Hannover betrachten, werden Sie feststellen, daß es eine große Ausnahme gibt. Diese große Ausnahme ist das Schicksal jener Menschenkinder, die mit einer Verstümmelung im Gesicht, der bekannten Hasenscharte oder Gaumenspalte, auf die Welt kommen. Dort sind die Resultate recht brauchbar. Fast jeder, der in Deutschland mit dieser angeborenen Mißbildung auf die Welt kam, ist — das wissen Sie aus Ihrer eigenen Umgebung — behandelt worden, und zwar aus einem einfachen Grunde: Hier war es der Mutter plausibel, daß dieser sichtbare Schaden für das geliebte Kleine in der Zukunft Elend und Unglück bedeuten würde. Eine jede Mutter weiß eben, daß eine Hasenscharte, eine offene Oberlippe, mit der Vorstellung von Apoll und Aphrodite wenig zu tun hat. Hier hat der Instinkt der Mutter zusammen mit dem Anschauungsunterricht genügt, um alles in die schönste Ordnung zu bringen.
Die Aufgabe besteht darin, die Mütter und überhaupt die Erziehungsberechtigten zu belehren. Auf dieser Basis des Belehrens beruht der Erfolg einer Fürsorge für Körperbehinderte in der westlichen Welt, der bekanntlich ganz ausgezeichnet ist, — ohne Meldepflicht. Nehmen Sie einmal diesen Meldebogen. Was ist denn das Schicksal eines Meldebogens? Der läuft zunächst einmal in den merkwürdigen Umlauf aller Akten. Charakteristisch für ihn, daß er nicht mehr beschwert ist mit dem dreiviertel Pfund Menschenherz, die hinter dem stehen, der Verantwortung trägt. Mit dem Meldebogen entlassen Sie den Arzt, der die erste Diagnose gestellt hat, aus dieser Verantwortung.
Was ich Ihnen hier auseinandergesetzt habe, das ist die Grundlage des Handelns in der ganzen Welt des Westens. Mir ist kein Gesetz mit Meldepflicht bekannt; mir ist aber bekannt, daß die Resultate der Fürsorge dort ausgezeichnet sind. Sie sind deshalb ausgezeichnet, weil man Mühe darauf verwandt hat, mit Fürsorge, Beratung, Belehrung, Aufklärung die Leute zum Arzt und in die Kliniken und Anstalten, in die Fürsorge usw. zu leiten.
In unserer Welt ist „derjenige, welcher" solche Aufgaben in der Gesellschaft übernimmt, nach der Auffassung der Freien Demokratischen Partei ein ganz bestimmter Typ. Es ist der Typ des Lehrers, gemeinhin Schulmeister genannt, und nicht der Typ des Polizeisergeanten. Solange dieser Typ des Lehrers unsere Welt gestaltet, sind wir Demokraten; wenn wir damit aufhören, sind wir keine Demokraten mehr.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir nun, ehe ich weitergehe, eine kurze Zwischenbemerkung. Ich werde nachher unsere sehr verehr-liche Kollegin Frau Niggemeyer ansprechen; und das will ich doch nicht tun, ohne eines zu sagen. In der langen Zeit, in der dieses Gesetz, das uns allen sehr am Herzen lag, bearbeitet wurde, hat sie mit emsiger Geduld und großer Aufopferung versucht, die Wogen der wild brandenden Meinungen zu glätten. Bei allen Meinungsverschiedenheiten, die auftraten, hat sie die Geduld und die Meisterschaft bewiesen, die man dem Leiter eines Ausschusses nur wünschen kann. Ich glaube, Sie alle im ganzen Hause nehmen es mir nicht übel, wenn ich Frau Niggemeyer zunächst einmal herzlichen Dank sage.
Nun zur Meldepflicht überhaupt. Es besteht gar kein Zweifel, daß das Recht der Persönlichkeit, das wir wohl alle zu wahren gedenken, seine Grenzen findet an den Ansprüchen des Nachbarn. Da, wo mit einer Meldung eine Gefahr für den Nachbarn abgewendet werden soll — Typhusgefahr oder was Sie annehmen wollen —, hat nie jemand die Berechtigung der Meldepflicht bezweifelt. Aber darum dreht es sich bei dem vorliegenden Gesetz nicht. Ich habe noch nie gehört, daß ein Körperbehinderter seinen Nachbarn durch eine Ansteckung bedroht hat.
Meine Damen und Herren! Vor einigen Tagen ging ich durch das Restaurant des Bundeshauses und wurde ohne Absicht Zeuge eines Tischgesprächs. Dabei sagte ein jugendlicher oder fast jugendlicher Abgeordneter: Ach, was liegt denn mir daran, wenn meine Krankheiten der Polizei gemeldet werden? Nun, seine Generation lebte in Begleitung von Soldbüchern mit, wenn auch chiffrierten, doch eindeutigen Eintragungen über Erkrankungen, lebte in einer Welt, in der seit Jahrzehnten die Krankenscheine durch die Schalter unserer sonst so nützlichen Krankenversicherungen gereicht wurden, die Krankenscheine mit dem Aufdruck „Analekzem", „Krätze", und was dazugehört hat.
Jener Abgeordnete hat das nicht anders gewußt. Wer, sagen wir, in den letzten 30 Jahren seine Jugend in Deutschland verbracht hat, hat allerhand
erlebt. Aber, meine Damen und Herren, glauben Sie, daß man mit einer so gearteten Äußerung in Südfrankreich, in Alt-England oder in Pennsylvanien in einer Tischgesellschaft hätte auftreten können, ohne in diesen alten Demokratien einzig und allein wegen dieser Äußerung aus der Tisch-und Bettgenossenschaft dieser Gesellschaft ausgeschlossen zu werden?
Wir alle wissen auf Grund unserer Lebenserfahrung und Selbsterkenntnis, daß der Mensch nur leben kann, wenn er eine Maske trägt. So wie er körperlich bekleidet ist und nicht nackt herumlaufen kann, so kann das auch seine Seele nicht. Den Anspruch auf das Geheimnis der Persönlichkeit und der Maske haben wir alle. Seit 2000 Jahren haben wir nur eine Ausnahme gemacht. Wir nehmen die Maske vor einem ab, vor dem einen, den wir seit diesen 2000 Jahren Vater nennen. Unmöglich, daß eine Gesellschaft auf diesen Kreis des geheiligten persönlichen Integritätsbezirks verzichten kann! Und bei diesem Gesetz macht man den Vorschlag, ohne dringende Not, obwohl andere Länder dieselben und bessere, segensreiche Erfolge in der Krüppelfürsorge erzielen, diesen heiligen Grundsatz zu verlassen. Warum gehört denn die Krankheit zum persönlichsten Geheimnis? Ich habe manchmal den Eindruck, daß es in Deutschland immer noch eine Reihe von Leuten gibt, die meinen, Krankheit sei eine Veränderung der Zellen des menschlichen Körpers, eine Veränderung, bei der in diesem Spezialfall der Verkrüppelung nur ein wenig leistungsfähiger Körper übrigbleibe. Als ob das Wort „Leib und Seele" noch nicht bekannt wäre.
Ein alter, von mir hochverehrter Arzt hat auf dem Deutschen Ärztetag vor einigen Monaten gesagt: Herzleiden kann nur der behandeln, der weiß, was Herzeleid ist. Wenn Sie, meine Damen und Herren, verstehen wollen, was Krankheit ist, empfehle ich Ihnen, sich einmal zu erinnern, daß an mehreren Stellen in den Evangelien ein fast gleichlautender Satz steht: „Stehe auf! Deine Sünden sind dir vergeben." Das ist die Begleitformel für das Heilwunder. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß zu den Vorstellungen des religiösen Menschen die eng miteinander verschlungenen Begriffe gehören: Schuld — Sühne, Sünde
— Krankheit, Gnade — Heilung. Damit ist doch erwiesen, daß Krankheit eines der gewichtigsten Geheimnisse darstellt, die der Mensch mit sich herumträgt. Über unsere Krankheit hat niemand ohne unsere Zustimmung Aussagen zu machen.
— Ich spreche nur über die Meldepflicht! Vermutlich sind Sie erst vor drei Sekunden in den Saal gekommen.
Die Einführung der Meldepflicht bedeutet, daß Sie einen Grundsatz, der Jahrtausende alt ist, verletzen. Die Meldepflicht bedeutet, daß Sie in Deutschland Methoden einführen, die es nur zwischen dem Obersalzberg und Moskau gibt. Im Westen gibt es keine Meldepflicht.
Die Meldepflicht bedeutet, daß Sie die Basis der Demokratie verlassen, den Respekt vor der Freiheit der einzelnen Person aufgeben. In diesem Fall würden Sie ohne Grund so handeln; denn die Be-
kämpfung der Schäden, die auf Grund eines unglückseligen Erbes nach Unfällen, auf Grund von Infektionen bei der Bevölkerung eingetreten sind, wird ohne die Meldepflicht bessere Resultate zeitigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort zur Begründung des Antrags Umdruck 856 hat der Abgeordnete Dr. Moerchel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mir Mühe geben, das Hohe Haus nicht leerzureden, und mich deshalb mit der Meldepflicht befassen und in wenigen sachlichen Bemerkungen unseren Antrag begründen. Das Fürsorgegesetz soll gewährleisten, daß der betroffene Personenkreis die bestmögliche Heilbehandlung und eine vollwertige Eingliederung in das Erwerbsleben erhält.
In § 3 sieht die Ausschußfassung eine Meldepflicht vor, und ,die Begündung zu dem Gesetz spricht davon, daß es sich hierbei um ein Kernstück des Gesetzes handelt. Ich bin dankbar, daß sich die Damen und Herren Kollegen des Fürsorgeausschusses mit den Empfehlungen des Gesundheitsausschusses sehr vertraut gemacht haben und auf wesentliche Vorschläge des Gesundheitsausschusses eingegangen sind. Ich verhehle allerdings nicht, daß ich mich mit einigen neuen Vorschlägen nicht einverstanden erklären kann, nämlich mit der Pflicht, daß auch ohne Einverständnis des betroffenen Personenkreises die Meldung an das Gesundheitsamt zu erfolgen hat. Nach der Formulierung des Abs. 3 Buchstabe e sind von dieser Meldepflicht alle Personen betroffen. Außerdem setzt Abs. 3 Buchstabe e voraus, daß der behandelnde Arzt eine Terminkartei führt. Dieser behandelnde Arzt übt also eine Kontrollfunktion für das Gesundheitsamt aus. Man mag mir sagen, daß die Meldepflicht, die hier auf alle Personen ausgedehnt wird, durch den Abs. 6 der Ausschußvorlage eigentlich beseitigt ist. Durch die Formulierung in Abs. 6 wird die Meldepflicht aber nicht beseitigt, sondern nur geringfügig gemildert.
Was ist denn der Sinn dieser Meldepflicht? Herr Kollege Hammer hat in einigen Sätzen darauf hingewiesen, daß es keinen Zwang zur Behandlung geben kann. Wir haben in der Bundesrepublik das Grundgesetz, das in Art. 2 Abs. 2 die körperliche Unversehrtheit garantiert. Allerdings sieht dieser Artikel gewisse Einschränkungen vor, die durch Gesetz vorgenommen werden können. Aber diese Einschränkungen sind eindeutiger Art. Dieses Grundrecht kann eingeschränkt werden, wenn dritte Personen oder die Gemeinschaft gefährdet werden. Das trifft bei Seuchen zu, und das ist mit einem Gesetz geschehen, das dieses Hohe Haus bereits verabschiedet hat, nämlich dem Geschlechtskrankengesetz. Da es aber keinen Behandlungszwang gibt und auch nicht geben kann, kann ich nicht einsehen, daß hier eine Meldepflicht abgeleitet werden muß. Was hat denn die Meldepflicht für einen Sinn, wenn ich die Behandlung nicht erzwingen kann? Das trifft aber, wie ich soeben ausgeführt habe, nicht zu. Ich bin deshalb der Auf fas-sung, daß die Meldepflicht in das Recht der Persönlichkeit, in die persönlichste Sphäre und in ein Recht eingreift, dessen wir uns nicht begeben dürfen: in das Recht der Eltern. Ich möchte sagen, daß
durch die Formulierung des Abs. 3 Buchstabe e ein Gesundheitskataster geschaffen wird, den wir in dieser oder einer anderen Form niemals billigen können.
Beachten Sie bitte die psychologischen Auswirkungen. Sie werden sagen, das ist nur notwendig, damit dem Gesundheitsamt oder der Behörde, die hierfür zuständig ist, bekannt wird, in welchem Umfang Mittel bereitgestellt werden müssen und in Anspruch genommen werden können. Durch die Tatsache, daß ein Mensch einer Behörde wegen dieser Sache mit Namen und Wohnort bekannt wird, belastet man diesen Menschen in einer nicht zu verstehenden psychologischen Weise. Wenn einmal bekanntgeworden ist, daß es sich hierbei um eine Hasenscharte oder um einen Klumpfuß oder um eine Wirbelsäulenverbiegung oder um ein Hüftleiden handelt, dann übersehe ich die Auswirkungen beispielsweise für ein junges Mädchen, das hier ein für allemal namentlich festgehalten wird, nicht.
Es wird davon gesprochen, durch die Einführung der Meldepflicht seien die Ärzte am meisten betroffen. Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen, auch wenn hier in diesem Hohen Hause Ärzte zu der Sache sprechen, so ist der Ärzteberuf in keiner Weise betroffen. Durch dieses Gesetz wird der Mensch betroffen. Hierbei hat der Arzt nur die Funktion des Gesundheitsanwaltes der betroffenen Menschen.
Damit komme ich auf unseren Antrag zu sprechen, den ich begründen möchte. Ich möchte Sie alle bitten, zunächst einige redaktionelle Änderungen vorzunehmen. In der Überschrift muß es statt „fürsorglicher" „fürsorgerischer Maßnahmen" heißen. Weiterhin bitte ich Sie, in Abs. 3 in der zweiten Zeile nach der Zahl 2 und in der dritten Zeile nach dem Wort „Sorgepflichtigen" jeweils ein Komma zu setzen. Als letzte redaktionelle Änderung bitte ich in der vorletzten Zeile unseres Änderungsantrags auf Seite 1 des Umdrucks 873 aus dem Wort „Absatz" das Wort „Satz" zu machen.
Dieser unser Antrag enthält verschiedene Pflichten. Er verpflichtet nämlich die Eltern, Vormünder und Pfleger, solche Personen, von denen wir in diesem Gesetz sprechen, dem Arzt zur Behandlung und zur Beratung vorzustellen. Kommen Eltern dieser Pflicht nicht nach, haben Hebammen und andere Medizinalpersonen, Lehrer und Fürsorger sie anzuhalten, ihrer Pflicht nachzukommen.
Nun zur Verpflichtung der Ärzte! Die Ärzte haben die Pflicht, den Personenkreis über all das zu belehren, was in diesem Zusammenhange zum Wohl des Betreffenden von Wichtigkeit ist. Sie haben ihm ein Merkblatt zu geben, woraus er ersehen kann, was er tun kann und für ihn getan werden kann. Der Arzt hat ihn anzuhalten, sich in Beratung und Behandlung zu begeben und zum Gesundheitsamt zu gehen, falls er die Rechte dieses Gesetzes in Anspruch zu nehmen gedenkt.
Die Einführung einer Verpflichtung allerdings halten wir für den Fall für notwendig, daß Eltern und sonstige sorgepflichtige Personen ihre Pflicht — nämlich eine genau umschriebene Pflicht — zum Nachteil ihrer Pflegebefohlenen nicht erfüllen. In diesem Fall allerdings hat der Arzt das Gesundheitsamt zu benachrichtigen.
Meine Damen und Herren, dieser unser Vorschlag dient der Steigerung der Eigenverantwortlichkeit und der Wahrung aller Persönlichkeitsrechte. Er dient der Sicherung der Freiheit zur Wahl des Arztes, zu dem der Betreffende Vertrauen hat, und er respektiert die Schweigepflicht.
Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nun der Antrag Umdruck 873. Wer begründet? — Bitte, Herr Abgeordneter Reichstein!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Herrn Kollegen Hammer danken, daß er die Fahne der persönlichen Freiheit hier so hoch geschwungen hat, und möchte mich dem weitgehend anschließen. Ich möchte jedoch auf eins hinweisen: Das hohe Rechtsgut der persönlichen Freiheit findet — wie er ja auch sagte — seine Begrenzung, wenn ein anderes gleich hohes oder höheres Rechtsgut gefährdet wird. Dieses andere gleiche oder höhere Rechtsgut sehen wir hier im Rechte des Kindes gegenüber unvernünftigen Eltern. Wir weichen vielleicht etwas von Ihrer Meinung ab, aber wir sind doch der Überzeugung, daß dieses Recht des Kindes nach der Erfahrung, die das Leben vermittelt, in jedem Fall sichergestellt sein muß. In diesem Falle geht es also um das Recht des Kindes, die notwendige Behandlung unter allen Umständen zu bekommen. Das ist der Kernpunkt unseres Antrages, der sich also weitgehend mit dem Antrag, den der Kollege Moerchel soeben begründet hat, deckt.
Nun darf ich unseren Antrag erläutern. Die Überschrift ist dieselbe wie bei dem soeben behandelten Antrag; ich brauche sie nicht zu begründen. Wir beantragen in Ziffer 1 Buchstabe b, in § 3 Abs. 2 letzter Satz die Worte „dem Gesundheitsamt Meldung zu erstatten" durch die Worte „das Gesundheitsamt zu benachrichtigen" zu ersetzen. „Meldung zu erstatten" ist eine etwas der Vergangenheit angehörende, zumindest im Zusammenhang mit kranken Personen nicht passende Formulierung, um deren Änderung wir bitten.
Nun darf ich noch einmal auf den Kernpunkt des Antrags kommen. Wir sind der Meinung, daß die Ärzte aus drei Gründen verpflichtet sind, das Gesundheitsamt zu benachrichtigen: wenn die Eltern nicht die notwendige ärztliche oder sonstige Pflege für ,ihre Pflegebefohlenen veranlassen, die Behandlung vernachlässigen oder notwendige Maßnahmen der Fürsorge nicht in Anspruch nehmen.
Mit dieser Einschränkung sind wir bereit, die Meldepflicht — um dieses Wort einmal zu gebrauchen — zu gestatten, weil — ich darf das wiederholen — wir der Meinung sind, daß das Recht des Kindes hier vorgeht.
Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe den Antrag Umdruck 857*) Ziffer 2 auf. — Herr Abgeordneter Könen hat das Wort zur Begründung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur dem Hause zur Kenntnis: ich bin nicht Arzt. Trotzdem möchte ich den Antrag
*) Siehe Anlage 13.
meiner Fraktion Umdruck 857 Ziffer 2 begründen. Ich muß aber bei dieser Gelegenheit doch einmal auf den Sinn des Gesetzes eingehen. Daß der § 3 — der ganze Komplex der Meldepflicht — dazu führt, daß eine Anzahl Anträge vorliegen, daß man sich darüber Gedanken macht, daß Herr Dr. Hammer hier sehr weitgehend seine Gedanken darüber entwickelt hat, ehrt uns, glaube ich, alle miteinander. Wir wollen alle nicht, daß eine Kindermordanstalt Galkhausen noch einmal Wirklichkeit wird. Aber, meine Damen und Herren, dann verschonen Sie uns auch mit Vergleichen solcher Art! Das muß man doch einmal dazu sagen.
Dieses Körperbehindertengesetz hat die Absicht, nicht nur ärztliche Maßnahmen für Körperbehinderte einzuleiten, sondern alle die Maßnahmen, die notwendig sind, um einen körperbehinderten Menschen erwerbsfähig, berufsfähig zu machen, ihm eine vernünftige Schulung zu geben, ihm ein bestimmtes Wissen zu vermitteln, ihn also so ins Leben hineinzustellen, wie es nach den heutigen Erkenntnissen moderner Wissenschaft und Technik überhaupt möglich ist. Dazu, Herr Dr. Hammer, braucht man Akten! Ich glaube, daß jeder Chef einer großen Klinik nicht nur seine medizinisch-technische Assistentin und nicht nur seine Sekretärin im Vorzimmer hat, die die Angelegenheiten seiner Patienten kennt. Wenn sein Klinikbetrieb so groß ist, dann sind Akten da, die auch seine Stenotypistin kennt, dann sind Akten da, die von irgend jemandem abgelegt werden. Ich stimme Ihnen völlig zu, Herr Dr. Hammer, wenn Sie sagen, in sehr vielen Lebensbereichen sei es nicht notwendig, daß jeder, der Lust und Laune dazu habe, in den Krankheitsberichten oder Attesten oder Rezepten der Ärzte herumschnüffle. Es gibt sicherlich Möglichkeiten, so etwas abzustellen, und es gibt vielleicht auch Möglichkeiten, folgendes abzustellen — das ist ein persönliches Erlebnis von mir während der Parlamentsferien —: daß man sich in Gegenwart von einem halben Dutzend mehr oder weniger großer Strolche fragen lassen muß, ob man schon einmal geschlechtskrank gewesen sei. Ich bitte die Herren Ärzte, das auch einmal zur Kenntnis zu nehmen. Danach werden Sie nämlich in einer Strafanstalt gefragt, wenn Sie dort einmal wegen Ihres Gesundheitszustandes antreten müssen. Das sind Dinge, die man abstellen muß.
Was wollen wir? Wir wollen, daß ein Material zusammengebracht werden kann, das dazu dienen soll, einem Menschen zu helfen. Das Anliegen des Gesetzes, das von der Meldepflicht der Erwachsenen ausgegangen ist, hat sich in diesem Punkte nicht durchsetzen können, wohl in der Ausschußfassung. Aber da wir keine Lust dazu haben, gegen Betonmauern anzurennen, und da wir wissen, daß es beachtliche Argumente gibt, die gegen die Meldepflicht der Erwachsenen sprechen, hat sich unsere Fraktion auf eine Meldepflicht für Minderjährige — Umdruck 857 — beschränkt. Dazu möchte ich jetzt etwas sagen. Ich habe die Zeitungsmeldung nicht bestellt, die Sie heute überall lesen können, nach der eine Frau 42 Jahre lang ihren Sohn und ihre Tochter nicht einmal wie Vieh, schlechter als Vieh irgendwo zurückgehalten hat; jetzt erst ist man dahintergekommen, der Sohn ist mittlerweile 53 und die Tochter ist 59. Was war der Grund? Mit 17 Jahren hat das junge Mädchen einen Unfall erlitten, es wurden ihm die Beine amputiert, und der Junge war gelähmt, und die Frau Mama, vielleicht aus Scham, vielleicht aus völlig falschen Ansichten, hat die beiden irgendwo eingesperrt und sie nicht mehr ans Tageslicht gelassen.
— Es wird berichtet, daß es niemand gemerkt hat; und es kommt hinzu, Herr Dr. Hammer, daß leider Gottes solche Dinge nicht nur im Ausland passieren!
Wenn man hier von dem Recht der Persönlichkeit spricht, wenn man davon spricht, daß es ein gewisses Gebiet gibt, in das man nicht jeden unnötigerweise hineinschauen lassen soll, wollen wir Ihnen darin gern folgen. Aber es gibt noch etwas anderes: In § 1 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes steht, daß das Kind ein Recht darauf hat, innerhalb unserer Gemeinschaft anständig erzogen zu werden, gesund zu sein und so zu leben, wie es in der Gemeinschaft möglich ist. Dieses Recht des Kindes und das Recht der Minderjährigen steht hier schließlich auch zur Debatte.
Unser Antrag hat nun folgendes zum Inhalt. Wir wünschen, daß den einzurichtenden Stellen bekanntgegeben wird, wenn Minderjährige zu dem Kreis zu gehören scheinen, der im Gesetz genannt ist, zum Kreis der Körperbehinderten. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß nach einer ausdrücklichen Bestimmung dieses Gesetzes der Arzt zur Meldung nicht verpflichtet ist, wenn es sich um Angelegenheiten handelt, die, aus seiner ärztlichen Schau beurteilt, in Kürze erledigt sein können, also nicht um schwere Fälle von Körperbehinderungen.
Ich muß Ihnen ehrlich sagen, daß ich mich sehr über den sachlichen Ton der ärztlichen Seite an diesem Pult gefreut habe. Als ich die hysterischen Wutausbrüche in ihren Fachzeitschriften las, habe ich mich manchmal an den Kopf gefaßt und hatte keine andere Erklärung als die, die man bei uns in Düsseldorf gibt: der Mann muß mal zu einem tüchtigen Arzt gehen. Wenn darin steht, dieses Gesetz sei der Anfang davon, daß man mit einem Ohrschmalzpfropfen in eine Kartei aufgenommen werde und fürsorgerechtliche Maßnahmen ergriffen werden, muß man fragen, wo die Sachlichkeit bleibt. Und wenn darin steht „Orthopäden, packt eure Koffer!", weiß ich nicht, warum man so etwas schreibt.
Man will den Ärzten nichts; das möchte ich einmal ausdrücklich feststellen. Ich möchte sogar, obwohl ich kein Arzt bin, annehmen: wenn dieses Gesetz so durchgeführt wird, wie es hier — hoffentlich — angenommen wird, werden die Orthopäden wahrscheinlich nicht darüber zu klagen haben, daß sie nicht genug zu tun hätten. Ich glaube, dann geht es erst richtig los mit der Behandlung der Menschen, die heute noch nicht so behandelt werden, wie es notwendig wäre, und der Minderjährigen, die sich nicht vor der Affenliebe der Eltern schützen können. Es brauchen nicht immer schlechte und niedrige Beweggründe bei den Erziehungsberechtigten zu sein, die einem Minderjährigen Schaden bringen. Es können Gründe sein, die in der Persönlichkeit selbst liegen und über die zu urteilen ich an diesem Pult nicht berechtigt bin.
Wir haben eine Pflicht zu erfüllen, die Pflicht, dem Minderjährigen den Schutz zu geben, den er selber von sieh aus nicht in Anspruch nehmen kann, weil er dazu zu klein ist, weil er dazu nicht
die Rechte hat, weil er auf seine Erziehungsberechtigten angewiesen ist. Ich bitte Sie, den Antrag meiner Fraktion Umdruck 857 unter diesem Gesichtspunkt zu sehen. Sehen Sie bei Ihrer Entscheidung die Zusammenhänge! Es dreht sich nicht um die ärztliche Maßnahme. Die ärztliche Maßnahme ist eine von vielen Maßnahmen. Der Heil-plan besteht aus einer ganzen Menge anderer Dinge. Wenn man sie durchführen will, muß man — ob es sich um eine Regelung auf der Grundlage der Freiwilligkeit oder der Meldepflicht handelt — Akten anlegen; dann müssen zusammenkommen der Vertreter des Arbeitsamts, der Vertreter der Fürsorge, der Vertreter der ärztlichen Stellen. Es müssen also Akten angelegt werden, und es liegt an uns, dafür zu sorgen, daß man den Inhalt der Akten nicht am andern Morgen in der Zeitung lesen kann.
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Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat die Abgeordnete Frau Niggemeyer.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die von allen Fraktionen des Hauses zum § 3 vorgelegten Änderungsanträge lassen zweierlei erkennen: einmal, daß es sich bei diesem Paragraphen wohl um das Kernstück des Gesetzes handelt — das ist schon erwähnt worden —, und zweitens, daß die Mitglieder des Ausschusses für öffentliche Fürsorge, die doch letztlich ihre Beschlüsse einstimmig gefaßt haben, hier so in eine Art Anklagezustand versetzt worden sind,
gegen den wir uns verteidigen wollen, zumindest zu verteidigen versuchen wollen.
Auf die Ausführungen des Herrn Dr. Hammer ist zum Teil durch den Vorredner eingegangen worden. Herr Dr. Hammer, trotz Ihrer freundlichen Worte, die Sie für mich und meine Arbeit gefunden haben, kann ich doch nicht allem zustimmen, was Sie gesagt haben. Ich bin Ihnen aber dankbar dafür, daß Sie zuerst — gefolgt dann von den anderen — versucht haben, das große Problem, um das es geht, nämlich die Not der Körperbehinderten, hier plastisch sichtbar werden zu lassen.
An sich sind wir ja durch unsere Geschäftsordnung gehalten, in der zweiten Lesung nur zu den einzelnen Bestimmungen zu sprechen. Da aber meine Herren Vorredner bei der Begründung ihrer Änderungsanträge weitgehend in das Grundsätzliche hineingekommen sind, lassen Sie mich bitte auch einige Gedanken zum Grundsätzlichen sagen, vielleicht in kurzen Stichworten das wiederholend, was schon andere gesagt haben.
Einmal: es ist ein Fürsorgegesetz, es ist ein Gesetz für eine Gruppe notleidender Menschen, nämlich für die Körperbehinderten, es ist kein Gesetz, das für die Ärzte geschaffen werden soll.
Ich bitte, das jetzt ohne jeden Beigeschmack anzunehmen.
Zur Klarstellung sage ich: es ist hier auch nicht
etwa ein Gesetz für irgendwelche bestimmten Anstalten oder orthopädischen Kliniken geschaffen
worden. Sinn und Zweck dieses Gesetzes ist die Fürsorge für die Körperbehinderten, und da die Mittel für ein Fürsorgegesetz, die für eine bestimmte Gruppe Notleidender erforderlich sind, von der Allgemeinheit getragen werden müssen, ist die Allgemeinheit auch an der Sicherung der richtigen Durchführung der Bestimmungen des Gesetzes interessiert.
Lassen Sie mich noch einmal kurz auf einen Teil meines Schriftlichen Berichts zu diesem Gesetzentwurf verweisen, wo ich — vielleicht zu kurz, ich hätte es länger machen sollen — gesagt habe, daß die Mitglieder des Ausschusses in echter Verantwortung und in Erkenntnis der verschiedenen Probleme dieses Gesetzes eine wirklich durchgreifende vorbereitende Arbeit geleistet haben. Das ist etwas anderes — bitte lassen Sie mich auch das sagen —, als wenn man etwa in seiner Umgebung, vielleicht in seiner Familie, vielleicht in seinem Bekanntenkreise oder in seinem Heimatorte einmal einem oder zwei Körperbehinderten begegnet und Mitleid hat. Das ist etwas anderes, als wenn man vielleicht einmal im Jahr eine Zahlkarte ausfüllt, wenn für irgendwelche Zwecke der Fürsorge für die Körperbehinderten gespendet werden soll, und das ist auch etwas anderes, als wenn man an der Tür die handwerklichen Dinge, die in KörperbehindertenAnstalten gemacht werden, kauft und glaubt, damit seiner Verpflichtung Genüge getan zu haben.
Aber ich sage noch folgendes: Die statistischen Zahlen, wie sie etwa in der Begründung des Gesetzes stehen, oder die statistischen Zahlen etwa
— worauf Sie verwiesen haben, Herr Dr. Hammer
— irgendeiner Anstalt haben uns nicht genügt. Nein, wir haben den Blick in die Wirklichkeit hinein getan, und diese Wirklichkeit sah so aus, daß das geballte massive Elend der Körperbehinderten uns auch mitleidig machte, uns aber neben dem Mitleid zur Gerechtigkeit zwang, nämlich zu einer gerechten Lösung der Frage: Wie helfen wir den Körperbehinderten?
— Ja, ich komme auf die Meldepflicht, Herr Doktor, seien Sie ohne Sorge. — Aus der Erkenntnis dieser Dinge heraus, aus der echten Vorbereitung zum Erkennen der Probleme ist der Ausschuß, ich wiederhole es, zu seinen einstimmigen Beschlüssen gekommen, was bei der Verabschiedung von Gesetzesvorlagen nicht sehr oft hier vorkommt.
Und nun die Frage der Meldepflicht! Es ist anerkannt worden — und wir freuen uns darüber —, daß wir im Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge gern der Anregung des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens gefolgt sind, an die Spitze unserer Arbeit — das sage ich mit aller Deutlichkeit und unterstreiche es — die Verpflichtung zur Sorge derjenigen zu stellen, die aus Gründen der Verwandtschaft durch unser Bürgerliches Gesetzbuch dazu verpflichtet sind. Das haben wir getan. Wir haben damit auch der Familie und dem Familienzusammenhalt dienen wollen.
Wir sind auch anderen Anregungen gefolgt. Bitte, wir haben nicht blind das übernommen, was etwa in dem preußischen Krüppelfürsorgegesetz gestanden hat, von dem Herr Dr. Hammer behauptet hat, daß es nicht zum Zuge gekommen sei. Wenn es nicht zum Zuge gekommen ist, Herr Dr. Hammer, dann aus dem Grund, weil die materiellen Grundlagen dafür nicht vorhanden waren,
daß die Körperbehinderten in den Genuß der Hilfeleistungen einer Anstalt oder einer ärztlichen Behandlung kamen. Wir haben das in den Ohren einzelner Vertreter — mehrerer oder vieler, ich kann es noch nicht beurteilen — ominöse Wort „Meldepflicht" nicht blind übernommen. Wir glauben, daß die vom Ausschuß in dem Gesetzentwurf verankerte Meldepflicht in der Praxis nicht zum zage zu kommen braucht, weil nämlich, wenn die Belehrung, Unterrichtung, Aushändigung des Merkblattes usw. einmal die Menschen darauf aufmerksam werden läßt, daß ihnen Hilfe zuteil werden kann, vielleicht auch die Mutter, die aus mißverstandener Kindesliebe ihr Kind bisher nicht zur Behandlung brachte, dann doch kommt. Aber bis dies wirksam werden kann, glaubten wir, selbst mit dieser ominösen Meldepflicht das Pflichtbewußtsein und das Verantwortungsbewußtsein nicht nur des Arztes, sondern auch der anderen Personen, die wir mit diesem Gesetz in die Meldepflicht einbeziehen wollen, ansprechen zu können.
Bauend auf die Tatsache, daß der mitberatende Ausschuß, wenn auch verklausuliert, nicht mit dem Ausdruck „Meldung erstatten", sondern mit dem schönen Wort „benachrichtigen" sich doch bereit fand, zu einer Meldepflicht für die Minderjährigen ja zu sagen, sind wir im Ausschuß für öffentliche Fürsorge über diesen Rahmen hinausgegangen; ich bestreite es nicht. Aber ich glaube, wir haben auch unsere echten Gründe dafür. Diese Gründe sind folgende. Wir wollen gerne, daß auch etwa die Gruppen der an spinaler Kinderlähmung erkrankten Erwachsenen, die an multipler Sklerose Leidenden, die Tuberkulose-Körperbehinderten und nicht zuletzt, sondern vor allem die große Gruppe der dem Minderjährigenalter Entwachsenen, die aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße zu uns kommen, wo vor dem Kriege die Fürsorge für Körperbehinderte nicht so entwickelt war wie in unseren westlichen Provinzen, so bald wie möglich in den Genuß der Hilfeleistungen dieses Gesetzes kommen. Den dem Minderjährigenalter Entwachsenen wollten wir durch die Verpflichtung eines bestimmten Personenkreises auch noch die Möglichkeit geben, so schnell und so sicher wie möglich Heilung zu finden, und, soweit es geht, die Möglichkeit zur Schulung, zur Berufsfindung und Berufsausbildung und möglichst auch die Existenzsicherung und Eingliederung geben.
Wir glaubten, daß wir dazu berechtigt sind, diesen Gedanken zu haben, weil doch folgendes berücksichtigt werden muß. Es ist sehr leicht, Fürsorgegesetze zu schaffen und die Allgemeinheit mit einer Leistungspflicht zu belegen. Wenn wir es in dem Rahmen tun, wie ihn dieses Gesetz gibt, dann obliegt uns die Verpflichtung, zu verhindern, daß Körperbehinderte der Allgemeinheit auf die Dauer, auf Lebenszeit zur Last fallen.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ich glaube für unsere Ausschußmitglieder trotz der Begründung, die Herr Könen gegeben hat — er ist auch Ausschußmitglied —, sagen zu können, daß wir Ausschußmitglieder zu unserem Beschluß stehen. Darum bitte ich, die übrigen Änderungsanträge abzulehnen. Ich weiß, daß ich, indem ich diese Bitte vortrage, von einem Großteil meiner Freunde unterstützt werde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hubert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Niggemeyer, Sie haben hier so sehr darauf hingewiesen, daß der Fürsorgeausschuß diese Beschlüsse einstimmig gefaßt hat. Das ist sicherlich richtig. Aber ich frage mich, warum wir im Gesundheitsausschuß eigentlich in Berlin mit Mitgliedern des Fürsorgeausschusses gemeinsam getagt haben. Mir liegt hier das Protokoll der Sitzung in Berlin vor. Damals waren vom Fürsorgeausschuß Frau Ganswindt und Frau Welter anwesend. Es wurde uns im Gesundheitsausschuß ein Änderungsvorschlag der Abgeordneten Frau Niggemeyer und Dr. Moerchel vorgelegt. In diesem Antrag heißt es in Abs. 3: „Ärzte sind verpflichtet usw. ..." Ich will nicht alles zitieren, um das Hohe Haus nicht zu sehr aufzuhalten. — Dann heißt es:
Wenn die Eltern oder sonstigen Sorgepflichtigen einverstanden sind, benachrichtigt der Arzt von sich aus das Gesundheitsamt.
— Wenn sie einverstanden sind, Frau Niggemeyer! Aber Sie kämpften soeben leidenschaftlich dafür, auch ohne Einverständnis zu melden. Ferner heißt es in Ihrer Vorlage:
Besteht der begründete Verdacht, daß die Eltern oder sonstige sorgepflichtige Personen zum Nachteil ihrer Pflegebefohlenen ihre Sorgepflicht versäumen, so hat der Arzt auch ohne deren Einverständnis dem Gesundheitsamt Meldung zu erstatten.
Dieser Vorschlag Niggemeyer wurde dann im Gesundheitsausschuß angenommen.
Ich verstehe nicht, gegen was Sie hier polemisiert haben, Frau Kollegin Niggemeyer, wenn von allen einschließlich der Damen des Fürsorgeausschusses der Antrag einstimmig angenommen worden ist. Ich bedauere, daß wir die viele Zeit in Berlin verschwendet haben, um uns zu einigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete Dr. Steinbiß hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haben Sie keine Sorge, daß ich mich mit dem Problem der Meldepflicht auch noch beschäftigen will; aber es sind hier doch einige Worte gefallen, die nicht unwidersprochen bleiben können.
Es wurde gesagt, der Arzt habe so großes Interesse an diesem Gesetz. Demgegenüber glaube ich doch einmal sagen zu dürfen, daß das Interesse des Arztes an diesem Gesetz keineswegs materieller Art ist. Der Arzt, der sich so stark mit kranken Menschen befaßt, die seiner Hilfe bedürfen, muß aus diesen Gründen selbstverständlich ein ganz starkes Interesse an diesem Gesetz bekunden, und es wäre einfach eine Pflichtvergessenheit, wenn er sich nicht genauestens damit beschäftigen würde. Ich könnte sogar sagen, Herr Könen: gerade dann, wenn der Arzt nur an sein Interesse dächte, wäre er vielleicht an einer Meldepflicht interessiert. Aber davon will er eben nichts wissen. Der Arzt, der so sehr in persönliche Beziehungen zu seinen Patienten tritt und um ihre Sorgen und Nöte so genau
weiß, braucht unbedingt ihr Vertrauen. Dieses Vertrauen, meine Damen und Herren, wird zu leicht zerstört, wenn eine Meldepflicht, wenn ein Meldezwang eingeführt wird. Arbeiten wir doch ohne Zwang! Glauben Sie mir, wir können dieses Gesetz — und es ist ein gutes Gesetz; das gebe ich Frau Niggemeyer gerne zu — ebensogut zum vollen Erfolg führen, wenn wir auf die Meldepflicht verzichten. Darum bitte ich Sie, dem Antrag auf Umdruck 856 Ihre Zustimmung zu geben. Sie können gewiß sein, daß Sie damit das Gesetz letztlich nicht verschlechtern, sondern ihm erst seine letzte Abrundung geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Dr. Hammer.
Meine verehrten Damen und Herren! Nachdem man den Herrn Kollegen Könen gehört hat, könnte man annehmen, ich hätte hier eine große Rede über das Interesse der Ärzteschaft an diesem Gesetz gehalten. Ich habe versucht, meine Gedanken zusammenzubringen: Ich glaube, ich habe einmal von dem Arzt gesprochen, der sich viel Mühe geben müsse, um die Mutter zu bewegen, ihr Kindchen zum Operationstisch zu bringen. Und dann habe ich noch einmal von einem Arzt gesprochen, — —
— Aber, Herr Kollege Könen, warum dann mit
aller Wucht auf mich und meine Standesgenossen?
Meine Damen und Herren, das Berufsgeheimnis liegt wie ein schweres bleiernes Gewicht auf den Lippen des Arztes. Der Arzt hat Geheimnisse zu tragen, die ungeheuer schwer sind. Wenn Sie diese Gewichte abnehmen, meinen Sie, Sie schädigten den Arzt damit?! Wenn Sie auf die Geheimhaltung verzichten, dann verletzen Sie die Interessen der Kranken, ohne deren Respektierung diese nicht leben können.
Das ist der Grund, warum wir sagen: Weg mit der Meldepflicht! Wenn Sie sich die Krüppelfürsorge der anderen Welt ansehen, dann werden Sie feststellen, daß im Westen ohne die Meldepflicht die Resultate ausgezeichnet sind. Allerdings: das bedeutet Mühe, das bedeutet Arbeit. Meine Damen und Herren, eine echte Fürsorge bedeutet, daß man sich Blasen an die Füße läuft, ehe man zum Schutzmann geht. Das ist die Auffassung der FDP.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete Niggemeyer hat das Wort.
Ein kurzes Wort zur Aufklärung! Ich glaube, es ist Frau Dr. Hubert bekannt, daß selbst wenn in einem Ausschuß ein oder zwei Mitglieder sich zu einer Meinung zusammengerauft haben — —
— Ja, gut! Ich bin in meinem Ausschuß auch nicht allmächtig gewesen. Herr Dr. Hammer hat ja festgestellt, daß es weiß Gott oft sehr schwierig gewesen ist, zu einer gemeinsamen Auffassung zu kommen. Die Tatsache, daß Mitglieder unseres Ausschusses an der Beratung im Ausschuß für Fragen
des Gesundheitswesens teilgenommen und auch einer Fassung dieses Ausschusses zugestimmt haben, rechtfertigt nicht den Schluß, daß der Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge unbedingt genauso stimmen muß. Frau Dr. Hubert, nachdem Sie diese Dinge hier in die Öffentlichkeit des Plenarsaals gebracht haben, sehe ich mich veranlaßt, diese Klarstellung zu geben.
Herr Dr. Hammer, eins darf ich sagen: Unser Ausschuß hat sich während der ganzen Jahre, die wir uns um dieses Gesetz bemühen, zu — ich sage es viel vorsichtiger, ich sage nicht „Streit", ich sage: zu der Auseinandersetzung verschiedener Ärztegruppen über die Frage der Meldepflicht in der Öffentlichkeit nicht geäußert. Ich bin natürlich traurig, daß ausgerechnet zwei Tage vor Verabschiedung dieses Gesetzes von einer Gruppe der Ärzte eine Pressekonferenz abgehalten wurde — das ist ihr gutes Recht, ich weiß auch, daß Ärzte dieses Hauses dabei nicht anwesend waren — und daß am folgenden Tage in führenden Tageszeitungen Berichte über diese Pressekonferenz standen, die den Inhalt des Gesetzes entstellt und unwahr wiedergegeben haben.
Ich drücke mich da sehr vorsichtig aus.
Nun noch ein Wort zur Frage des Berufsgeheimnisses, die ebenfalls angeklungen ist, Herr Dr. Hammer. Ja, das Berufsgeheimnis wollen wir schützen, wollen wir fördern und erhalten. Aber ich werfe jetzt folgende Frage auf: Ist es den Ärzten möglich, unter allen Umständen und immer das Berufsgeheimnis zu wahren?
Wenn ich jetzt auf etwas hinweise, werden Sie, Herr Dr. Hammer, und vielleicht andere sagen: Auch damals haben wir gekämpft! Ich verweise darauf, daß man mit demselben Recht von einem Bruch des Berufsgeheimnisses des Arztes sprechen könnte, wenn er der Krankenkasse seine Diagnose über einen kranken Patienten mitteilen muß.
— Eine Frage, Herr Dr. Moerchel! Hier wird die Lanze gebrochen für die Freiheit, hier wird die Lanze gebrochen für das Berufsgeheimnis, hier wird die Lanze gebrochen für die Würde der Persönlichkeit.
Gibt es einen Arzt, der bereit ist, um der Sicherung seiner Freiheit willen, um der Sicherung des Berufsgeheimnisses willen und um der Würde seiner Persönlichkeit willen auf die Krankenkasse zu verzichten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Könen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die Auseinandersetzung zwischen unseren Kolleginnen Niggemeyer und Hubert über die Verdienste der Ausschüsse und die Einstimmigkeit ihrer Beschlüsse zeigt Ihnen,
wie ernsthaft hier gerungen wurde und wie man keine Mühe und keine Arbeit gescheut hat, zu einem Ergebnis zu kommen. Ich will mich nicht daran beteiligen, festzustellen, wer das Bessere oder das Schlechtere dazu beigetragen hat.
Aber Herr Dr. Hammer hat mich insofern mißverstanden, als er glaubte, ich habe auf ihm, dem
armen Dr. Hammer, herumgehämmert. Das ist gar
nicht so, Herr Dr. Hammer. Ich habe hier mit
wirklicher, ehrlicher Freude anerkannt, daß unsere
ärztlichen Kollegen sich jeder Polemik bei dieser
Frage enthalten haben, und habe es für notwendig
gehalten, die Gelegenheit zu benutzen, hier vor der Öffentlichkeit zurückzuweisen, was wir außerhalb dieses Hauses von der ärztlichen Seite her zu hören bekommen haben. Sonst habe ich nichts gesagt, Herr Dr. Hammer. Ich weiß nicht, ob es einer ruhigen und sachlichen Arbeit dient, wenn z. B. die Arbeitsgemeinschaft der praktischen Ärzte eine Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft praktischer Ärzte Deutschlands zu diesem Gesetz veröffentlicht, in der — Herr Präsident, gestatten Sie bitte — steht:
Wenn im ärztlichen Sektor solche „Nötigungen" mit Einbau von Meldeaufträgen in den Kreis der Berufspflichten auf Laien gesetzlich erstreckt werden, dann will man bewußt und vorsätzlich störend in die Intim-Sphäre Arzt — Patient durch Dritte eingreifen lassen. Nur ein Naiver kann dies abstreiten;
—ich bin also naiv genug, das an dieser Stelle abzustreiten —; oder wenn man an anderer Stelle sagt, damit sei der Anfang gemacht, daß man nunmehr auch für jede Mücke, die in das Auge eines unserer Patienten fliege, eine gesetzliche Melde' pflicht einführen möchte; wenn man davon spricht, wenn einer eine Brille haben wolle, müsse er wegen der Sehstörung gemeldet werden, denn er könne blind werden, man habe eine Blindenfürsorge; und wenn es dann zum Schluß heißt, daß einer, wenn er infolge eines Ohrschmalz-Pfropfes schlechter höre, fürsorgegesetzlich für ärztliche Laien meldepflichtig gemacht werde. — Sehen Sie, das habe ich gemeint.
Das ist kein Gesetz für die Ärzte, das ist auch kein Gesetz gegen die Ärzte; es ist ein Fürsorgegesetz für körperbehinderte Menschen, mit denen die Ärzte nun einmal auf Grund ihres Berufes zu tun haben. Darum sind sie in diesem Gesetz mit darin. Hätten sie nichts damit zu tun, wären sie nicht mit darin. Das ist eine völlige Selbstverständlichkeit.
Ich darf noch einmal darauf hinweisen: der Antrag der SPD-Fraktion schaltet die Meldepflicht der Erwachsenen aus — entgegen dem Ausschuß-entwurf —, ganz einfach deshalb, weil wir uns davon überzeugen mußten, daß für eine so weitgehende Bestimmung keine Mehrheit in diesem Hause zu bekommen ist.
Wir bitten Sie aber herzlich, stellen Sie etwaige wirklich ernstzunehmende und auch wirklich beachtliche Bedenken in diesem Falle zurück, wenn es sich um Minderjährige handelt. Denken Sie daran, daß auch das Kind ein Recht zum Leben, zum anständigen und gesunden Leben hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Becker .
Meine Damen und Herren! Von zwei Rednern, glaube ich, ist der § 3 als Kernstück dieses Gesetzes angesprochen worden. Das ist er meiner Ansicht nach ganz und gar nicht, und es ist eigentlich zu bedauern, daß sich die Debatte so auf diesen Punkt konzentriert. Denn der eigentliche Inhalt, das Wesentliche des Gesetzes steht in späteren Paragraphen, dort nämlich, wo die neuen Maßnahmen aufgeführt sind, die nun in Zukunft zugunsten der Körperbehinderten ermöglicht werden sollen.
Daß es um den § 3 diese vielen Anträge und diese Debatte gibt, liegt daran, daß in die Regierungsvorlage die hier so viel behandelte Meldepflicht hineingenommen worden ist. Damit ist ein politischer Streitpunkt, der an sich mit der Sache der Fürsorge für die Körperbehinderten wenig zu tun hat, in das Gesetz hineingekommen. Ich bedaure sehr, gerade als Mitglied einer Koalitionspartei, daß unsere hochverehrte Regierung es sich auch bei diesem Gesetz nicht vorher überlegt hat, daß doch die wesentlichsten Teile der Koalitionsparteien nicht wünschen, daß wir auf dem Wege der Staatsbürgerbetreuung dort fortschreiten, wo es nicht unbedingt notwendig ist. Ich glaube nicht, daß, wenn der Meldezwang nicht in der Regierungsvorlage gestanden hätte, der federführende Fürsorgeausschuß diesen Weg gewählt hätte. Denn das eigentliche Anliegen des Fürsorgeausschusses wird durch diese Meldepflicht meiner Ansicht nach nicht berührt.
Nun hat die hochverehrte Frau Niggemeyer hier geäußert, sie habe den Eindruck, daß sie mit ihrem Ausschuß in Anklagezustand versetzt worden sei. Der Ansicht bin ich ganz und gar nicht.
Ich glaube, alle im Hause wissen — es ist ja schon ein paarmal gesagt worden — die intensiven Bemühungen des Ausschusses und seiner Vorsitzenden Frau Niggemeyer zu würdigen, die angestellt worden sind, um diesem Gesetz in anderer Beziehung die Form zu geben, mit der unter den heutigen Umständen das Bestmögliche erreicht werden kann.
In Anklagezustand versetzt sind aber jene Instanzen, die in Übertreibung eines Prinzips Menschen auch dann einer Betreuung ausliefern wollen, wenn diese Menschen dieser Betreuung gar nicht bedürfen. Es handelt sich hier wirklich nicht um die Ärzte, sondern um den betroffenen Personenkreis der Körperbehinderten. Gerade diese Menschen, die vom Schicksal schwer geschlagen sind, bedürfen, wenn sie den Lebenskampf bestehen wollen, ihres Selbstbewußtseins, und wenn es ihnen mit Hilfe ihres Arztes möglich ist, diesen Lebenskampf zu bestehen, ohne von der Wiege bis zur Bahre „betreut" zu werden, so soll man ihnen die Möglichkeit dazu geben und soll sie nicht von der Geburt bis zum Tode als arme betreuungswerte Geschöpfe behandeln.
Meine Damen und Herren! Der Antrag Umdruck 856, der von Herrn Kollegen Dr. Moerchel begründet worden ist und der von der gesamten Fraktion der Deutschen Partei sowie der Freien Volkspartei unterschrieben worden ist, berücksichtigt schon die finanziellen Bedenken, die hier vorgebracht worden sind, nämlich die schweren Belastungen, die gerade auf die Gemeinden und die Landesfürsorgeverbände auf Grund dieses Ge-
setzes zusätzlich zukommen werden. Nur mit Rücksicht auf diese Bedenken haben wir uns bereit finden müssen, für Minderjährige Ausnahmebestimmungen für den Fall vorzusehen, daß eine Vernachlässigung eines Minderjährigen zu befürchten ist und damit also auch eine Belastung der Öffentlichkeit, wenn dieser Minderjährige erwachsen ist.
Der Antrag Umdruck 856 ist doch schon ein Entgegenkommen gegenüber den Ansichten, die vom Fürsorgeausschuß vertreten werden. Darum bitte ich Sie und insbesondere auch die Kollegen von der SPD, diesem Antrag zuzustimmen; der Antrag beinhaltet fast dasselbe wie die Ziffer 2 ihres eigenen Antrags. Da er die entgegengesetzten Standpunkte ziemlich zum Ausgleich bringt, sollte er eine große Mehrheit in diesem Hause finden. Damit würde der politische Streit aus diesem Gesetz herausgenommen werden, und wir könnten uns bei den weiteren Beratungen den sachlichen Fragen widmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Könen hat hier aus einer Zeitschrift verlesen. Es gibt in Deutschland zahllose Blättchen zahlreicher Verbände. Wenn wir uns in diesem Hause der deutschen Politik nach all dem richten wollten, was da zusammengeschrieben wird, dann könnten wir gleich nach Hause gehen. Damit, lieber Herr Kollege Könen, können Sie nicht für die Meldepflicht argumentieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bärsch.
— Sie verzichten. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe als den weitestgehenden Antrag auf den Antrag Umdruck 863 *). Wer für diesen Antrag zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Abgelehnt.
Ich rufe auf den weniger weitgehenden Antrag Umdruck 856**). Wer für diesen Antrag zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Nachdem dieser Antrag angenommen ist, entfallen meiner Ansicht nach alle weiteren Änderungsanträge zu § 3, so daß eine Abstimmung über den Antrag Umdruck 873 Ziffer 1***) und den Antrag Umdruck 857 Ziffer 2****) entfällt.
Wer für den § 3 in der jetzt beschlossenen Fassung ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen bei einigen Enthaltungen angenommen.
*) Siehe Anlage 14. **) Siehe Anlage 12. ***) Siehe Anlage 15. ****) Siehe Anlage 13.
Wir kommen zu § 4. Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich eröffne die Aussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wer § 4 in der Ausschußfassung anzunehmen bereit ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Gegenstimme angenommen.
Wir kommen zu § 5. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 857 Ziffer 3*) vor. — Herr Kollege Bärsch zur Begründung!
Meine Damen und Herren! Wir bitten Sie, gemäß unserem Änderungsantrag in § 5 Abs. 2 den einleitenden Satz dergestalt zu ändern, daß es heißt:
Aufgaben der ärztlichen Beratung für Körperbehinderte bei den Gesundheitsämtern sind . . .
Es handelt sich im Grunde um nichts anderes als um die logische und notwendige Anpassung des § 5 Abs. 2 an den veränderten § 4 Abs. 2. Da hat nämlich der Fürsorgeausschuß die Fassung des Bundesrats übernommen und statt von „Beratungsstellen" davon gesprochen, daß die Gesundheitsämter die ärztliche Beratung für Körperbehinderte durchzuführen haben. Die Änderung des einleitenden Satzes in § 5 Abs. 2 ist deshalb notwendig und logisch, und ich brauche mich darüber nicht weiter zu verbreiten.
Des weiteren bitten wir Sie, in § 5 einen neuen Abs. 4 anzufügen. Wir haben dabei den Abs. 4 der ursprünglichen Regierungsvorlage in einer etwas veränderten und, wie wir glauben, verbesserten Form übernommen. Worauf kommt es uns dabei an? Wir wollen durch die Einfügung des neuen Absatzes erreichen, daß der frei praktizierende Arzt, dem sich der Patient mit einer Körperbehinderung vorstellt, von sich aus direkt beim Landesarzt den Antrag auf Heilverfahren stellen kann. Damit soll neben dem Weg über das Gesundheitsamt ein direkter Weg vom behandelnden Arzt zum Landesarzt geschaffen werden. Wir wollen, um es noch etwas deutlicher auszudrücken, auch für den Körperbehinderten und auch dann, wenn er für seine Behandlung der öffentlichen Mittel bedarf, die freie Arztwahl aufrechterhalten. Das ist der Sinn unseres Antrages.
Ich darf dazu noch bemerken, daß die Annahme dieses Antrages keinerlei Mehraufwendungen im Rahmen dieses Gesetzes bewirkt — das ist j a bei uns immer wichtig —, sondern die Entscheidung richtet sich ausschließlich danach, ob wir die freie Arztwahl auch für den Körperbehinderten aufrechterhalten wollen oder ob wir sie für den Körperbehinderten, weil er der öffentlichen Mittel bedarf, weitgehend einschränken wollen. Ich bitte Sie, dem Antrag zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen? — Frau Niggemeyer, darf ich bitten.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich kann dem Änderungsantrag der SPD, in § 5 Abs. 2 statt „Beratungsstellen" „Beratung" zu sagen, weil die gleiche Formulierung in § 4 zu finden sei, nicht zustimmen.
*) Siehe Anlage 13.
Wir sprechen auch bei der Organisation von der Einrichtung von Beratungsstellen. Ich sehe nicht ein, warum wir hier wieder versuchen sollen, etwas zu vertuschen, so zu tun, als ob es keine Beratungsstelle wäre.
Ihr zweiter Antrag behandelt den direkten Weg vom Patienten zum Landesarzt. Auch dem kann ich nicht zustimmen, Herr Dr. Bärsch. Ich bitte dafür Verständnis zu haben; es geschieht aus sachlichen Gründen. Einmal behaupten Sie, der Direktverkehr vom Patienten zum Landesarzt würde die Verwaltungskosten durch Büroeinrichtungen usw., die der Landesarzt haben müsse, nicht verteuern. Im § 4 haben wir beschlossen, daß bei den Gesundheitsämtern ärztliche Beratungsstellen einzurichten sind. Ich sehe nicht ein, warum wir diese Stellen dann übergehen sollen. Daß durch die Verschließung des direkten Weges vom Patienten zum Landesarzt irgendwie die freie Arztwahl behindert werde, werden Sie, Herr Dr. Bärsch, wenn Sie das Gesetz kennen, selber nicht glauben. Nach dem Gesetz ist die freie Arztwahl gesichert. Lassen Sie mich das auch zu allen noch kommenden Änderungsanträgen sagen. Es ist die freie Behandlungsart gesichert, und es ist dem Patienten jede Freiheit gegeben, die nur eben möglich ist.
Ich bitte, die Anträge abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bärsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entschuldigen Sie, verehrte Frau Kollegin, daß ich leider noch einmal auf Sie zurückkommen muß. Wenn Sie jetzt so leidenschaftlich für die Beibehaltung der Fassung in § 5 „ärztliche Beratungsstellen für Körperbehinderte" eintreten, verstehe ich nicht, warum Sie die Fassung des § 4 Abs. 2 dadurch abgeändert haben, daß Sie die Fassung des Bundesrates übernommen haben. In der Regierungsvorlage hieß es:
Bei den Gesundheitsämtern sind ärztliche Beratungsstellen für Körperbehinderte einzurichten.
Der Ausschuß schlägt vor:
Die Gesundheitsämter haben die ärztliche Beratung für Körperbehinderte durchzuführen.
Wenn Sie in § 4 diese Fassung angenommen haben, ist es doch nur logisch, daß der § 5 dieser Fassung angepaßt wird.
Aber nun noch ein Wort zu unserem Änderungsantrag betreffend § 5 Abs. 4. Sie, verehrte Frau Kollegin, sagen, daß auch ohne diesen Änderungsantrag die freie Arztwahl absolut sichergestellt sei. Lassen Sie mich einmal ganz konkret schildern, wie ohne den Antrag der Fall abläuft, wenn Frau Meier mit ihrem körperbehinderten Kind zum Arzt geht. Frau Meier kommt mit ihrem Kind zum Arzt. Der Arzt stellt eine Körperbehinderung fest und sagt ihr: Ich schlage Ihnen vor, daß wir das und das machen, eventuell auch eine operative Maßnahme durchführen. Frau Meier wird normalerweise nicht zum ersten besten Arzt gehen; denn das ist ja das Wesen der freien Arztwahl. Sie wird sich erkundigen, wo ein tüchtiger Arzt wohnt, den man für diese Sache in Anspruch nehmen kann. Wenn dieser neue Absatz nicht hineinkommt, muß der Arzt zu Frau Meier sagen: Nun gehen Sie zum Gesundheitsamt, damit ein Heilverfahren beantragt wird. Dann wird auf dem Gesundheitsamt vom Amtsarzt — wahrscheinlich aber von einem Hilfsarzt, denn der Amtsarzt kann sich nicht mit allen Dingen befassen — der Heilplan vorgeschlagen. Das heißt, es wird vorgeschlagen, wie und auf welche Weise das Kind behandelt werden soll. Dann kann Frau Meier — da haben Sie recht — zu ihrem behandelnden Arzt zurückgehen, und der hat dann das Kind so zu behandeln, wie es im Heilplan des Gesundheitsamtes, der im Einvernehmen mit dem Landesarzt aufgestellt worden ist, vorgeschrieben ist.
Wir wollen, daß sich Frau Meier den Orthopäden ihres Vertrauens aussuchen kann — zumal da es sich nicht selten um schwerwiegende Eingriffe, teilweise operative Eingriffe, handelt — und daß der frei gewählte Arzt nicht zum Ausführungsgehilfen der staatlichen Gesundheitsbehörde wird. Wir wollen, daß der Orthopäde den Behandlungsvorschlag macht, daß allerdings dann im Interesse der Sicherung der öffentlichen Mittel der Landesarzt als die öffentliche Stelle — in der Regel der Chef einer Klinik mit besonderer Erfahrung — dem Heilverfahren zustimmen muß.
Ich bitte Sie also, diesem Antrag zuzustimmen. Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, Ihnen klarzumachen, daß ohne diesen Antrag die freie Arztwahl eben nur fiktiv ist. Man kann zwar den Arzt wählen, der behandelt; aber der Arzt ist in seiner Behandlung an einen Heilplan gebunden, auf den er primär nicht oder kaum ernsthaft Einfluß nehmen kann.
— Wir können die Gesetze auch lesen!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Zur Abstimmung kommt der Änderungsantrag unter Ziffer 3 a des Umdrucks 857 *), der zu § 5 Abs. 2 gestellt ist. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich stelle Ziffer 3 b dieses Antrags — also die Einfügung des neuen Abs. 4 in § 5 — zur Abstimmung. Wer für diesen Antrag auf Umdruck 857 ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Wer für § 5 in der soeben beschlossenen Fassung ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen und bei einer Enthaltung angenommen.
Wir kommen zu § 6. Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich eröffne die Debatte. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte. Wer § 6 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
§ 7. Hierzu liegt unter Ziffer 4 des Umdrucks 857 ein Änderungsantrag vor. Wird der Antrag begründet? — Herr Kollege Hansing, bitte!
`) Siehe Anlage 13.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 7 Abs. 1 wird gesagt, daß bei den Landesfürsorgeverbänden Arbeitsgemeinschaften gebildet werden sollen. In diesem Paragraphen sind alle möglichen Organisationen wie die freien Wohlfahrtsverbände, die Krankenkassen und Rentenversicherungsanstalten usw. aufgeführt. Nur jene, die von diesem Gesetz betroffen sind, nämlich die Körperbehinderten selber bzw. ihre Organisationen, sind in diesen Arbeitsgemeinschaften nicht vertreten. Es ist unser Anliegen, daß diese Organisationen in den Arbeitsgemeinschaften mit vertreten werden. Wenn Sie die Begründung zu § 7 einmal durchlesen, werden Sie feststellen, daß die Landesfürsorgeverbände auch die Möglichkeit haben, Innungen, Handwerkskammern in die Arbeitsgemeinschaften aufzunehmen. Ich glaube, es ist nicht mehr als recht, daß jene Menschen, die hier Objekt sind, durch ihre Organisationen in den Arbeitsgemeinschaften auch vertreten sind.
Wir bitten daher, in § 7 Abs. 1 hinter „Stellen" die Worte „sowie den Verbänden ,die nach der Zusammensetzung ihrer Mitgliedschaft dazu berufen sind, die Interessen der Körperbehinderten auf Bundesebene zu vertreten, gebildet werden." einzufügen und die Worte „und Personen gebildet werden" zu streichen.
Ich bitte, diesen Antrag anzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Wer für den eben begründeten Änderungsantrag unter Ziffer 4 des Umdrucks 857*) zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das Ergebnis ist zweifelhaft. Ich bitte diejenigen, die für diesen Änderungsantrag zu stimmen wünschen, aufzustehen. — Ich danke Ihnen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist immer noch zweifelhaft. Wir schreiten zum Hammelsprung.
Ich bitte, die Türen zu schließen. — Die Abstimmung beginnt.
Die Abstimmung ist geschlossen.
Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt: Ja-Stimmen 144, Nein-Stimmen 139, Enthaltung 1. Damit ist der Antrag Umdruck 857 Ziffer 4 angenommen.
Ich bitte diejenigen, die § 7 in der Ausschußfassung mit der eben beschlossenen Änderung anzunehmen wünschen, um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich danke Ihnen. Wir beginnen von neuem. Ich bitte zunächst einmal, Platz zu nehmen. Ich bitte diejenigen, welche den § 7 mit der eben beschlossenen Änderung nunmehr als Ganzes anzunehmen wünschen, aufzustehen. — Ich danke Ihnen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich bitte, Platz zu nehmen. Das Ergebnis ist zweifelhaft. Wir schreiten erneut zur Auszählung.
Ich bitte, die Türen zu schließen, damit die Abstimmung beginnen kann. — Die Auszählung beginnt.
*) Siehe Anlage 13.
Die Abstimmung ist geschlossen. — Ich gebe das Ergebnis bekannt: 155 Ja-Stimmen gegen 153 Nein-Stimmen, 1 Enthaltung.
Damit ist der § 7 mit den beschlossenen Zusätzen in der Ausschußfassung angenommen.
Wir kommen zum § 8. Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich eröffne die Debatte. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte. Wer dem § 8 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Wir kommen zu § 9. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge auf Umdruck 857 Ziffer 5 *) und auf Umdruck 873 Ziffer 2 **) vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Frau Hubert, bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die §§ 9, 10 und 14 regeln die Kosten für die Heilmaßnahmen und die Beitragspflicht für diejenigen, die sich selbst einer Behandlung unterziehen, oder für die Sorgeberechtigten. Sie regeln sie aber unterschiedlich, je nachdem ob es sich um ein stationäres Heilverfahren, also eine Behandlung in einem Krankenhaus, oder um ein ambulantes Heilverfahren handelt. Der Beitrag, den die betroffenen Personen zu leisten haben, ist bei der ambulanten Behandlung sehr viel höher als bei der Behandlung im Krankenhaus. Bei der Behandlung im Krankenhaus wird das Einkommen nur insoweit berücksichtigt, als es monatlich jeweils ein Zwölftel der Verdienstgrenze der Krankenversicherungspflicht der Angestellten übersteigt. Bei dem ambulanten Heilverfahren aber heißt es, daß die Sorgeberechtigten oder die Personen, die sich selbst einer Behandlung unterziehen, soweit herangezogen werden, daß ihnen von ihrem Einkommen das Zweifache des Fürsorgerichtsatzes zuzüglich des einfachen Satzes einer etwa laufenden Miete bleiben muß. Was darüber liegt, wird zu den Kosten des Heilverfahrens herangezogen.
Uns scheint das eine ganz ungerechtfertigte, schwere Belastung für diejenigen zu sein, für die nur ein ambulantes Heilverfahren notwendig ist. Selbstverständlich sind die Kosten eines ambulanten Heilverfahrens sehr viel geringer als die eines stationären. Für den Betroffenen aber, der mit seinen eigenen Einnahmen für sich und seine Familie zu einer Beitragspflicht herangezogen wird, wiegen sie außerordentlich schwer.
Das kann auch die unerwünschte Folge haben, daß man unter Umständen in die stationäre Behandlung hineindrängt, wo sie gar nicht notwendig ist. Auch der Arzt kann verleitet werden, sich für ein stationäres Heilverfahren zu entscheiden, wo ein ambulantes genügen würde, weil er die wirtschaftliche, die soziale Situation der Familie sieht.
Stationäre Heilverfahren sind besonders für Kinder und Jugendliche infolge der Trennung von der Mutter eine schwere Belastung. Man wird darum, wo man es ermöglichen kann, die Behandlung sehr viel besser ambulant durchführen, weil dann die psychische Belastung für das Kind wegfällt. In ländlichen Gegenden wird das selten, in Städten wird das häufig der Fall sein.
Wir sind der Meinung, daß irgendwelche Erwägungen finanzieller oder wirtschaftlicher Art nicht
*) Siehe Anlage 13. **) Siehe Anlage 15.
in Betracht kommen dürfen, wenn es sich um die Entscheidung handelt, ob ein stationäres oder ein ambulantes Heilverfahren angezeigt ist. Das muß rein vom ärztlichen Gesichtspunkt aus entschieden werden.
Wir bitten Sie daher sehr dringend, die Beitragspflicht des Betroffenen für ein ambulantes Heilverfahren an die für das stationäre Heilverfahren anzugleichen. Zu diesem Zweck hat meine Fraktion einen Änderungsantrag zu § 9 gestellt. Wir beantragen, in § 9 das Wort „stationär" zu streichen, d. h. die Verpflichtung der Landesfürsorgeverbände zur Gewährung eines Heilverfahrens schlechthin festzulegen. Folgerichtig müssen dann auch in § 9 Abs. 1 die Worte „einschließlich der außerhalb der Anstalt durchzuführenden Maßnahmen" wegfallen, so daß § 9 heißen würde:
Verpflichtung des Landesfürsorgeverbandes bei Gewährung eines Heilverfahrens; Festsetzung einer Beitragspflicht.
Wird gemäß § 5 Abs. 2 oder Abs. 4 ein Heilverfahren festgelegt und will sich die in § 1 Abs. 1 oder 2 genannte Person diesem unterziehen, so hat der Landesfürsorgeverband dieses Heilverfahren unverzüglich zu gewähren.
Meine Damen und Herren, in der guten finanziellen Grundlage dieses Gesetzes liegt sein Erfolg. Wenn Menschen, für die oder für deren Kinder nur ein ambulantes Heilverfahren notwendig ist, so stark belastet werden, daß ihnen von ihrem Einkommen möglicherweise nur noch der zweifache Richtsatz der Fürsorgepflichtverordnung verbleibt, werden sich manche unter Umständen einer solchen Behandlung nicht unterziehen können. Ich bitte Sie daher sehr, im Hinblick auf die gute Durchführung dieses Gesetzes unserem Antrag zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird zur Begründung des anderen Antrags das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Niggemeyer.
Mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit will ich mich in meinen Ausführungen über die Gründe, die mich veranlassen, Sie zu bitten, den Antrag abzulehnen, recht kurz fassen. Es wäre sonst sehr reizvoll, auf die Ausführungen von Frau Dr. Hubert näher einzugehen.
Wir haben in diesem Gesetz — das hat Frau Dr. Hubert dargelegt — eine vollkommen neue Art der Finanzierung der Fürsorge für Körperbehinderte festgelegt. Wir unterscheiden in der Bemessungsgrundlage hinsichtlich der Bedürftigkeit zwischen stationärer und ambulanter Behandlung. Ich glaube, jeder muß in dieser verschiedenartigen Bemessungsgrundlage einen Akt der Gerechtigkeit sehen. Die ambulante Behandlung verursacht nicht die gleichen Kosten wie eine stationäre. Eine stationäre Behandlung bedeutet oft den Aufenthalt in einer Anstalt für Monate, wenn nicht für Jahre. Die hohe Grenze in der Bemessungsgrundlage, die wir geschaffen haben, soll die Familie, die irgendein körperbehindertes Familienmitglied in eine Anstalt schickt, vor dem sozialen Abgleiten schützen. Aber bei all unserem Mühen und guten Willen, noch mehr zu tun, haben wir als Gesetzgeber auch die Grenzen zu sehen, wenn wir die Allgemeinheit belasten, und wir haben im Bund vor allen Dingen die Grenzen für die Belastung der Landes- bzw. Bezirksfürsorgeverbände zu erkennen.
Ich bitte, die Anträge abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bärsch.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Laufe der Debatte ist man von allen Seiten sehr leidenschaftlich dafür eingetreten, daß für die Körperbehinderten das Menschenmögliche getan wird. Ich glaube, wir sind mit unserem Antrag an einen Punkt von entscheidender Bedeutung gekommen. Wahrscheinlich wird ein erheblicher Teil der Körperbehinderten, die in einem ambulanten Heilverfahren geheilt werden könnten, die Heilung nicht finden, wenn es bei der Fassung des Gesetzes bleibt.
Ich habe mir die Mühe gemacht, auf Grund des Bemessungsmaßstabes der §§ 10 und 14 konkrete Zahlen zu errechnen. Dabei stellt sich folgendes heraus. Bei einem stationären Heilverfahren wird in einer Familie mit zwei Kindern der Vater erst mit demjenigen Teil seines Einkommens zu einem eigenen Beitrag in Anspruch genommen, der wenigstens 650 DM im Monat übersteigt, und dieser Anteil des Einkommens ist bei der Festsetzung des Beitrags nur angemessen zu berücksichtigen. Derselbe Vater, der nun aber sein Kind ambulant behandeln lassen will und auch kann, weil es der Fall ermöglicht, müßte nach dem Bemessungsmaßstab des § 14 bereits den gesamten Teil seines Einkommens, der etwa 350 DM im Monat übersteigt, dafür aufwenden.
Meine Damen und Herren, wenn Sie etwas Wirksames tun wollen, um unseren Körperbehinderten und vor allem auch den Kindern zu helfen, dann stimmen Sie uns in diesem Fall zu, dann stellen Sie bitte das stationäre mit dem ambulanten Heilverfahren gleich. Nicht in jedem Fall umfaßt das stationäre Heilverfahren den schwereren Fall und das ambulante Heilverfahren den leichteren; das hängt von den Umweltverhältnissen, von den Verkehrsverhältnissen und von vielen anderen Dingen ab. Wir sollten auf alle Fälle das stationäre und das ambulante Verfahren in der Finanzierung gleichstellen. Wir können kein Interesse daran haben, daß die ambulanten Fälle deshalb nicht ordnungsgemäß und ausreichend behandelt werden, weil von der Familie die finanziellen Voraussetzungen nicht erfüllt werden können. Hier treffe ich mich als Arzt voll und ganz mit Ihnen, wenn ich sage: Es kommt darauf an — das ist bei der Fürsorge entscheidend —, die materiellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß allen Menschen und Familien, die von einem so schweren Schicksal betroffen sind, die notwendige Hilfe zuteil werden kann.
Ich gebe zu, daß gewisse Mehraufwendungen damit verbunden sind; aber sie können keinesfalls ernsthaft ins Gewicht fallen. Ich bitte Sie deshalb, im Interesse unserer Körperbehinderten die Gleichstellung vorzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Varelmann hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man in den alten Akten der Bezirksfürsorgeverbände blättert, kommt man
sehr oft zu sehr traurigen Feststellungen. In den Akten macht man die Beobachtung, daß der Fall der Körperbehinderung wohl festgestellt wurde und auch die Notwendigkeit der Heilbehandlung oder die Notwendigkeit einer schulischen Ausbildung, daß aber die Durchführung dieser Maßnahme an den Kosten gescheitert ist, erstens weil die Eltern dazu nicht in der Lage waren und zweitens weil der Bezirksfürsorgeverband sich nicht zur Übernahme der Kosten entschließen konnte. Ich habe sogar die Feststellung gemacht, daß sich in einzelnen Fällen die Entscheidung über eine Zeit bis zu sechs Jahren erstreckte.
In den Beratungen des Ausschusses haben wir uns mit diesem Problem sehr eingehend befaßt und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß die Durchführung einer Heilbehandlung niemals an der Kostenübernahme scheitern darf und daß sich in den Fällen, wo die Eltern nicht dazu in der Lage sind, die öffentliche Hand, der Bezirksfürsorgeverband einschalten kann.
Wenn wir in diesem Fall bei der stationären Behandlung zu dem Entschluß gekommen sind, von der Versicherungspflichtgrenze der Angestellten in der Krankenkasse auszugehen, also von 500 DM für den Alleinstehenden und von rund 600 DM für ein Ehepaar mit einem Kind, dann sind wir der Auffassung, daß wir damit den Bedürfnissen sehr weitgehend gerecht geworden sind. Wir haben hierbei zu berücksichtigen, daß zwischen der stationären Behandlung und der ambulanten Behandlung insbesondere in dem Ausmaß der Kosten ein gewisser Unterschied ist. Bei der ambulanten Behandlung übernimmt in einer Vielzahl der Fälle eine Krankenkasse die Kosten.
Wir sind deshalb der Meinung, daß es bei dem Ausschußbeschluß belassen werden sollte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zu § 9 und den beiden Änderungsanträgen.
Ich stelle zunächst den Antrag Umdruck 857 Ziffer 5 *) Buchstabe a zur Abstimmung, wonach die Überschrift geändert werden soll. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu dem Antrag Umdruck 857 Ziffer 5 Buchstabe b, der dem Abs. 1 des § 9 eine völlig neue Fassung geben will. Der Antrag Umdruck 873 zu § 9 will nur einige Worte in der Ausschußfassung streichen. Der Antrag Umdruck 857 Ziffer 5 Buchstabe b geht also als der weitergehende Antrag vor. Ich stelle ihn hiermit zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die die dort vorgeschlagene neue Fassung annehmen wollen, um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Abgelehnt.
Wir haben nunmehr über den Antrag Umdruck 873 Ziffer 2**) abzustimmen. Er geht dahin, in § 9 Abs. 1 die Worte „in einer Anstalt" und die Worte „einschließlich der außerhalb der Anstalt durchzuführenden Maßnahmen" zu streichen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen.
*) Siehe Anlage 13. **) Siehe Anlage 15.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Wir müssen die Abstimmung wiederholen. Ich bitte diejenigen, die für diesen Antrag Umdruck 873 Ziffer 2 stimmen wollen, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich danke Ihnen.
— Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr kämen wir zur Abstimung über § 9 Abs. 1 in der Ausschußfassung, falls sie noch stimmen würde. Sie stimmt aber nicht mehr, weil wir inzwischen zum § 5 einen Abs. 4 angenommen haben. In § 9 Abs. 1 ist von einem Heilverfahren gemäß § 5 Abs. 2 Buchstabe e die Rede. Mir scheint
— ich bin kein Fachmann —, daß wir noch hinzusetzen müssen: „und § 5 Abs. 4". Ich bitte aber den Herrn Berichterstatter, sich zu äußern.
— Wird ein Antrag gestellt? Ich kann keinen Antrag stellen.
— Ich bitte, ihn nachträglich noch schriftlich hier heraufzureichen. Es sollen also nach den Worten „§ 5 Abs. 2 Buchstabe e" die Worte eingefügt werden „und § 5 Abs. 4" ***). Sind Sie damit einverstanden, daß abgestimmt wird, ehe der schriftliche Antrag hier vorliegt?
Dann bitte ich diejenigen, welche diesen Zusatz anzunehmen wünschen, um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.
Nunmehr stelle ich § 9 in der so korrigierten Ausschußfassung zur Abstimmung. Wer dafür zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen angenommen.
Wir kommen zu § 10. Hierzu liegen vor die Änderungsanträge. Umdruck 857 Ziffer 6 und Umdruck 873 Nr. 3. Werden die Anträge begründet? — Herr Kollege Prennel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im § 10 handelt es sich um den Umfang der Beitragspflicht. Der Antrag der SPD sieht nun vor, daß § 10 unter Buchstabe a folgende Fassung bekommen soll:
steuerpflichtige Einkünfte der in § 1 Abs. 1 oder 2 genannten Person und ihres nicht getrennt lebenden Ehegatten, soweit sie während der Dauer des Heilverfahrens monatlich jeweils ein Zwölftel der Verdienstgrenze der Krankenversicherungspflicht der Angestellten übersteigen; die Verdienstgrenze erhöht sich für die erste Person im Haushalt um 20 v. H. und für jede tatsächlich überwiegend unterhaltene Person um 10 v.H.;
Der Zusatz „jedoch höchstens um 50 v.H." soll gestrichen werden.
Meine Damen und Herren, dazu ist festzustellen, daß im Haushalt eine erwachsene Person, also die erste Person, mit 10 % den Lebensunterhalt nicht bestreiten kann. Deshalb sollten 20 % des Einkommens berechnet werden und für die weiteren im Haushalt lebenden Personen, hauptsächlich Kinder, 10 % angerechnet werden. Im Interesse der kinderreichen Familien sollte die Höchstgrenze von 50 % fallen und die Einkommenskürzung unbe-
*) Vgl. S. 9847 C.
schränkt angerechnet werden. Das wird sicherlich nicht auf Widerspruch stoßen; denn Ihnen, meine Damen und Herren, ist ja bekannt, daß die Not in kinderreichen Familien größer ist als in anderen Familien und daß diese ein Fall von Körperbehinderung schwerer trifft als andere.
Nach unserem Antrag soll § 10 unter c folgende Fassung erhalten:
Einsparungen an häuslichen Aufwendungen während der Dauer des stationären Heilverfahrens, wenn es sich über mehr als drei Monate erstreckt.
Einsparungen an häuslichen Aufwendungen sind höchstens während stationärer Behandlung möglich und auch nur bei längerer Dauer dieses stationären Heilverfahrens. Während der ersten drei Monate des stationären Heilverfahrens lasten meist noch so viele Verpflichtungen auf dem Körperbehinderten und seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten, daß es zu Einsparungen nicht kommen kann.
Ich bitte Sie also, meine Damen und Herren, da Sie auch sonst für die kinderreichen Familien eintreten, in dieser Frage, die gerade für kinderreiche Familien Bedeutung hat, nicht kleinlich zu sein und den Antrag der SPD anzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird der Antrag Umdruck 873 begründet? — Bitte schön!
Kurz zur Begründung! Der Änderungsantrag bezieht sich ausschließlich auf Punkt c, die Einsparungen an häuslichen Auf' wendungen, die, wie es heißt, angemessen zu berücksichtigen sind. Wir sind der Meinung, daß der Begriff des Angemessenen auch hier etwas näher festgelegt werden sollte, und stellen den Antrag, falls der Mehrheit des Hauses eine „finanzielle Schonfrist" von drei Monaten als zu weitgehend erscheint, sich mit einer solchen von zwei Monaten einverstanden zu erklären. Wir sollten nicht die Möglichkeit zulassen, daß man schon während der beiden ersten Monate Beteiligungen auf Kosten der Familie verlangt. Ich bitte Sie, falls Sie eine Frist von drei Monaten ablehnen wollen, wenigstens eine solche von zwei Monaten zuzubilligen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Debatte. Wird das Wort gewünscht? — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung über § 10 und die beiden soeben begründeten Änderungsanträge. Ich stelle zunächst zur Abstimmung den Antrag Umdruck 857 *) Ziffer 6 Buchstabe a, der eine Änderung in § 10 Buchstabe a vorsieht. Wer für diese Änderung ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Danke schön. Enthaltungen? — Abgelehnt.
Wir kommen dann zu dem Antrag Umdruck 857 Ziffer 6 Buchstabe b, der bis auf eine Änderung mit dem Antrag Umdruck 873 **) Ziffer 3 identisch ist. Der erstere ist insofern weitergehend, als er sich auf ein Heilverfahren bezieht, das sich über mehr als drei Monate erstreckt, während der andere sich nur auf ein Heilverfahren bezieht, das mehr als zwei Monate dauert. Wer dem Antrag der SPD
*) Siehe Anlage 13. **) Siehe Anlage 15. auf Umdruck 857 Ziffer 6 Buchstabe b zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es bestehen Zweifel. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag sind, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich danke Ihnen. Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen dann zu dem weniger weitgehenden Antrag auf Umdruck 873 Ziffer 3. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist von hier nicht zu erkennen, ob sich einige Damen und Herren an der Abstimmung beteiligen oder nicht. — Ich danke Ihnen. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen dann zu § 10 in der Ausschußfassung. Wer den § 10 anzunehmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich habe noch zu § 9 Abs. 1 eine Berichtigung vorzubringen. Wir hatten einen Zusatz angenommen, in dem auf den § 5 Abs. 4 verwiesen wird. Nach der deutschen Sprache muß es dort korrekter nicht „und § 5 Abs. 4", sondern „oder § 5 Abs. 4" heißen. Ich glaube, Sie sind damit einverstanden, wenn ich den gefaßten Beschluß in dieser Weise interpretiere und so als angenommen feststelle. — Ich danke Ihnen.
Wir kommen zu den §§ 11 und 12. Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich stelle beide zur Debatte. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Debatte ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die die §§ 11 und 12 in der Ausschußfassung anzunehmen wünschen, um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
§ 13. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 857 Ziffer 7 vor. Wird dieser Antrag begründet? — Herr Kollege Könen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Abstimmungsergebnis zu § 9, d. h. die Ablehnung der kostenmäßig gleichen Behandlung von ambulantem und stationärem Heilverfahren, macht unseren Antrag unter Ziffer 7 und — gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich gleich Ziffer 8 mit erledige — Ziffer 8, also Neufassung des § 13 und Streichung des § 14, hinfällig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Debatte. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich darf Ihr Einverständnis annehmen, wenn ich § 14, zu dem der Änderungsantrag *) eben zurückgezogen ist, gleich mit zur Debatte stelle.
— Jawohl, deshalb nehme ich § 14 gleich mit hinein. Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Debatte ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die §§ 13 und 14 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich bitte um Enthaltungen. — Mit Mehrheit angenommen.
§ 15. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 857 Ziffer 9 vor, den § 15 zu streichen, ferner
*) Siehe Anlage 13.
ein Änderungsantrag auf Umdruck 873 Ziffer 4. Zur Begründung des Antrags auf Umdruck 857 Ziffer 9 *) Frau Nadig!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 15 enthält eine Strafmaßnahme gegen die Körperbehinderten, die durch ihr Verhalten ein Heilverfahren oder eine Fürsorgemaßnahme gefährden. Aber dieser Paragraph richtet sich nicht nur gegen die Erwachsenen, die für sich selbst verantwortlich sind, sondern auch gegen die Minderjährigen, deren Heilverfahren durch die Eltern oder Erziehungsberechtigten gefährdet werden. Meines Erachtens geht das doch zu weit. Man kann unmöglich das verkrüppelte Kind für das törichte oder uneinsichtige Verhalten der Eltern bestrafen. Wir halten es darum für richtig, diesen Paragraphen ganz zu streichen. Wir alle wissen, daß, wenn ein Krüppelleiden nicht rechtzeitig behandelt wird, die Dinge sich nur verschlimmern und das Leiden früher oder später zu einer vollen Hilfsbedürftigkeit führt. Dieser Paragraph ist im letzten ein Bumerang, der auf uns zurückkommt. Denn wenn der Mensch hilfsbedürftig ist, muß die Allgemeinheit eintreten. Wir glauben deshalb, den Antrag auf Streichung durchaus mit Recht zu stellen. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung dazu.
Für den Fall, daß das Hohe Haus nicht der Meinung ist, daß der ganze Paragraph gestrichen werden sollte, bitte ich um Annahme eines Eventualantrags, damit wenigstens die Minderjährigen, d. h. also die Kinder oder die Minderjährigen, bei denen durch das Verhalten der Eltern oder Erziehungsberechtigten ein Heilverfahren oder eine Fürsorgemaßnahme gefährdet wird, von diesem Paragraphen ausgenommen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Antrag, der begründet worden ist, lautet also: in § 15 als Eventualantrag folgende Worte zu streichen: „oder gefährden im Falle der Minderjährigkeit dieser Person die Erziehungsberechtigten".
Wird der Antrag auf Umdruck 873 Ziffer 4 **) begründet? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reichstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 15 behandelt die mögliche gänzliche oder teilweise Entziehung der Leistung, wenn der Kranke selbst oder im Falle seiner Minderjährigkeit die Eltern den Erfolg der fürsorgerischen Maßnahmen gefährden. Wir sind nicht der Meinung, daß man unvernünftige Eltern, die ihr Sorgerecht vernachlässigen, mit Hilfe dieses Gesetzes zu einer rechten Ausübung ihres Sorgerechtes veranlassen kann. Wir glauben nicht, daß solche Schwierigkeiten dadurch gelöst werden, daß man diesen ganzen Paragraphen streicht und den Kindern damit auf alle Fälle die nötige Fürsorge sichern will. Das muß man anders regeln. Wenn die Eltern ihr Sorgerecht mißbrauchen, muß es ihnen entzogen werden, damit die Kinder entsprechend behandelt werden können. Wir sind also nicht dafür, diesen Paragraphen zu streichen.
Ich möchte aber anregen, dem Paragraphen einen Zusatz zu geben. Was wir hier den Fürsorgeverbänden in die Hand geben, ist im Hinblick auf das
*) Siehe Anlage 13. **) Siehe Anlage 15.
Ergebnis eine sehr schwerwiegende Entscheidung. Ich möchte daher meinen, daß es berechtigt ist, bevor eine solche Entscheidung fällt, die Stellungnahme der behandelnden Ärzte zu der Frage einzuholen, welches Risiko es für die Zukunft der Kranken, insbesondere der Kinder, bedeutet, wenn man eine Behandlung des Schadens abbricht. Ich glaube, daß diese Schutzbestimmung sehr wohl berechtigt ist.
Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen, der den Wortlaut des § 15 dahin ergänzt, daß solche Maßnahmen nur nach Stellungnahme der behandelnden Ärzte getroffen werden können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben die Begründung gehört. Wortmeldungen? — Bitte, Frau Niggemeyer.
Einer vollkommenen Streichung des § 15 können meine Freunde nicht zustimmen. Wir werden für den Antrag stimmen, den Herr Dr. Reichstein begründet hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir schreiten zur Abstimmung. Ich mache auf folgenden Gesichtspunkt aufmerksam, auf den ich freundlicherweise aus dem Hause hingewiesen worden bin. Einen Antrag, einen ganzen Paragraphen zu streichen, gibt es nicht; denn Sie können ja gleich mit Nein stimmen. Wenn wir erst über einen Antrag, einen Paragraphen zu streichen abstimmten und wenn der Paragraph dann nicht gestrichen würde, hätten Sie bei der Gesamtabstimmung noch einmal die Gelegenheit, ihn trotzdem zu streichen. Die doppelte Abstimmung können wir uns also schenken. Dann müssen wir aber zunächst über den Eventualantrag, den die Kollegin Nadig begründet hat, abstimmen, und anschließend folgt die Abstimmung über den Antrag, den der Kollege Reichstein begründet hat.
Ich darf also diejenigen, die dem Eventualantrag der Frau Kollegin Nadig zuzustimmen wünschen — nämlich dem Eventualantrag, die Worte „oder gefährden im Falle der Minderjährigkeit dieser Person die Erziehungsberechtigten" zu streichen —, um das Handzeichen bitten. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Abgelehnt.
Wir kommen zu dem Antrag unter Ziffer 4 des Umdrucks 873*), wonach § 15 ein weiterer Satzteil angehängt werden soll. Der Kollege Reichstein hat ihn vorgetragen. Wer dafür stimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Gegenstimme angenommen.
Nunmehr stelle ich den ganzen § 15 in der so zwiefach geänderten Fassung zur Abstimmung. Wer für diesen so geänderten § 15 zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Gegenstimme angenommen.
Wir kommen zu § 16. Hier liegt unter Ziffer 10 des Umdrucks 857 ein Änderungsantrag vor. Wird er begründet? — Bitte, Herr Könen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch unser Antrag
*) Siehe Anlage 15.
zu § 16 unter Ziffer 10 des Umdrucks 857*) erleidet infolge des Abstimmungsergebnisses bei § 9 das Schicksal der anderen Anträge. Er ist damit hinfällig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Debatte. — Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung über § 16. Wer diesen Paragraphen in der Ausschußfassung anzunehmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
§ 17, § 18 werden ohne Änderungsanträge präsentiert. Ich fasse sie zusammen und nehme Ihr Einverständnis damit an.
Ich eröffne die Debatte. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Ich komme zur Abstimmung über die §§ 17 und 18. Wer diese Paragraphen in der Ausschußfassung anzunehmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Gegenstimme angenommen.
Einleitung und Überschrift. Wer sie anzunehmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen. Damit ist die zweite Lesung abgeschlossen.
Bestehen Bedenken, die dritte Lesung vorzunehmen?
— Sie sind einverstanden. Ich eröffne die Generaldebatte in der
dritten Lesung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Generaldebatte.
Als erster Änderungsantrag liegt ein Antrag vor, § 7 in der Fassung der Regierungsvorlage wiederherzustellen. Dann liegt ein Änderungsantrag zu § 3 Abs. 3 und ein weiterer Änderungsantrag zu § 3 Abs. 6 vor. Weitere Anträge sind zu § 14 und zu § 9 gestellt. Die Anträge haben alle die nötige Anzahl Unterschriften.
In der Reihenfolge der Zählung kommt zunächst der Antrag zu § 3, gestellt von den Kollegen Dr. Bärsch, Könen, Frau Nadig und Fraktion der SPD; er lautet:
In § 3 Abs. 3 soll der letzte Satz lauten:
Besteht der begründete Verdacht, daß im Falle der Minderjährigkeit oder der Unmündigkeit die Eltern oder sonstige sorgepflichtige Personen zum Nachteil ihrer Pflegebefohlenen eine notwendige Behandlung nicht einleiten oder die Behandlung vernachlässigen, so hat der Arzt auch ohne deren Einverständnis das Gesundheitsamt zu benachrichtigen.
Der Antrag bezieht sich also auf § 3, den wir ja lange debattiert haben, und zwar auf Abs. 3. Wird der Antrag begründet? — Begründung entfällt.
') Siehe Anlage 13.
Ich eröffne die Debatte über diesen Antrag. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Wer diesem Änderungsantrag zu § 3 Abs. 3 — den ich vorgelesen habe — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung angenommen.
Zu § 3 Abs. 3 Buchstabe b wird beantragt, vor dem Wort „Merkblattes" das Wort „amtlichen" einzusetzen. Eine Begründung ist wohl nicht erforderlich.
Ich eröffne die Debatte. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Wer für diesen Änderungsantrag zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen angenommen.
Wir kommen jetzt zu dem Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Niggemeyer, Pelster, Frau Dr. Steinbiß und Genossen zu § 7*) :
Der Bundestag wolle beschließen,
§ 7 Abs. 1 in der Fassung der Regierungsvorlage wiederherzustellen.
Dem liegt folgender Tatbestand zugrunde. Wir haben vorher den § 7 Abs. 1 — Sie entsinnen sich der Auszählung — in der Fassung angenommen, wie sie mit Umdruck 857 beantragt war. Nunmehr wird beantragt, die in der vorigen Lesung angenommene Fassung durch die ursprüngliche Fassung, die der Regierungsvorlage, zu ersetzen.
— Die Ausschußvorlage hat die Regierungsvorlage , unverändert gelassen; auch hier steht: „in der Fassung der Regierungsvorlage".
Wird begründet?
Ich eröffne die Debatte. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für diesen Antrag zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte diejenigen, die sich an der Abstimmung beteiligen wollen, Platz zu nehmen! — Ich bitte nunmehr diejenigen, die dem Änderungsantrag auf Wiederherstellung des § 7 Abs. 1 in der früheren Fassung zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. § 7 Abs. 1 ist also in der Fassung der Regierungsvorlage wiederhergestellt.
Ferner liegt ein Änderungsantrag zu § 9 vor:
Die Überschrift erhält folgende Fassung: Verpflichtung des Landesfürsorgeverbandes bei Gewährung eines Heilverfahrens; Festsetzung einer Beitragspflicht.
Der Änderungsantrag enthält eine zweite Ziffer: § 9 Abs. 1 erhält folgende Fassung:
Wird gemäß § 5 Abs. 2 oder Abs. 4 ein Heilverfahren festgelegt und will sich die in § 1
Abs. 1 oder 2 genannte Person diesem unter-
*) Umdruck 875.
ziehen, so hat der Landesfürsorgeverband dieses Heilverfahren unverzüglich zu gewähren.
Das heißt, der zweite Antrag ist identisch mit dem, den wir in der zweiten Lesung angenommen haben. Dann brauchen wir darüber doch nicht noch einmal abzustimmen. — Herr Abgeordneter Bärsch!
Meine Damen und Herren! Wir haben als einzigen Antrag aus der zweiten Lesung diesen Antrag noch einmal gestellt in der Hoffnung, daß es vielleicht doch möglich ist, Sie davon zu überzeugen, daß es sich hier wirklich um eine schwerwiegende Frage für die Körperbehinderten handelt.
Stimmen Sie doch mit uns der Gleichstellung des ambulanten und des stationären Heilverfahrens zu! Sonst wird trotz Meldungen und was weiß ich ein erheblicher Teil der Körperbeschädigten von der notwendigen Behandlung ausgeschlossen. Halten Sie sich vor Augen, daß beim ambulanten Heilverfahren nach der derzeitigen Fassung bei einer zweiköpfigen Familie alles Einkommen über 350 DM dafür aufgewendet werden muß, im Gegensatz zum stationären Heilverfahren! Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß Sie auf diese Weise indirekt einen Zwang ausüben wollen, diejenigen Kinder und erwachsenen Körperbehinderten in die Anstalt zu bringen, die ambulant behandelt werden können. Stellen Sie sich schließlich vor, daß die Mehraufwendungen für die Gleichstellung der beiden Heilverfahren in keiner Weise sehr gravierend sind!
Wenn wir den Körperbehinderten wirklich so durchgreifend helfen wollen, wie es hier immer wieder zum Ausdruck gebracht wird, dann sollten wir uns zur Gleichstellung der beiden Heilverfahren durchringen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Niggemeyer hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Diejenigen, die glauben, der Gleichstellung der Bemessungsgrundlage für ambulante Behandlung und für stationäre Behandlung nicht zustimmen zu können, haben weiß Gott kein weniger soziales Gewissen und drängen mit genau der gleichen Liebe und Emphase, Herr Dr. Bärsch, dahin, das Problem richtig zu lösen. Wir können im Fürsorgerecht nicht zwei vollkommen getrennte Gebiete gleichstellen. Im übrigen verweise ich auf die Bestimmung im Fürsorgerecht, daß individuell bemessen werden soll. Auch im Gesetz ist weitgehend der Grundsatz verankert, die Notlage jeder einzelnen Familie individuell zu berücksichtigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dr. Bärsch!
Meine Damen und Herren! Ich kann es nicht akzeptieren, daß hier gesagt wird, ambulante und stationäre Behandlung seien zwei völlig getrennte Gebiete. Praktisch ist es doch für den Vater, der ein körperbehindertes Kind hat, dasselbe, ob sein Kind stationär oder ambulant behandelt werden soll. Aber es ist für ihn nicht dasselbe, ob er in dem einen Fall ein Einkommen von 650 DM freibehält und im andern Fall alles Einkommen über 350 DM für die Behandlung aufwenden muß. Es leuchtet doch wirklich nicht ein, warum hier ein so gravierender Unterschied gemacht werden soll. Es ist praktisch eine Differenz von 100 %, meine Damen und Herren. Stellen Sie doch das ambulante Heilverfahren gleich! Dann werden Sie in der Tat für eine Vielzahl von Körperbehinderten eine bessere Hilfe ermöglichen. Denn — das wissen wir doch alle — das A und O in dieser Frage ist das finanzielle Moment.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte zu diesem Antrag.
Eine getrennte Abstimmung ist nicht erforderlich, weil die Ziffer 1 nur eine Überschrift betrifft, die sich logisch aus Abs. 2 ergibt. Ich stelle den Antrag insgesamt zur Abstimmung. Wer für diesen Antrag zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —Ich danke Ihnen. Ich wiederhole die Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag zu stimmen wünschen, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich bitte Platz zu nehmen. Der Antrag ist angenommen.
Als letzter Änderungsantrag kommt nun ein Antrag zu § 14. Er geht dahin, daß in § 14 in der Überschrift ,die Worte „bei ambulanten Heilverfahren sowie" wegfallen. Diese vier Worte sollen also gestrichen werden. Ebenfalls sollen in § 14 Abs. 1 die Worte „eines ambulanten Heilverfahrens sowie" wegfallen. Der Sinn ist wohl derselbe wie bei dem eben behandelten Antrag.
— Jawohl. Ich eröffne die Debatte. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Debatte. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das Ergebnis ist unklar. Wir müssen die Abstimmung durch Aufstehen wiederholen. Ich bitte aber folgendes zu beachten. Es ist jetzt nur eine logische Folge des eben angenommenen Antrags. Um nichts anderes handelt es sich jetzt. Ich bitte also diejenigen, die für diesen Änderungsantrag zu § 14 stimmen wollen, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich danke Ihnen. Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir einmal ein sehr offenes Wort. Es ist die Beobachtung zu machen, daß sich bei Abstimmungen durch das Handzeichen sehr viele Kolleginnen und Kollegen kurzerhand an der Abstimmung nicht beteiligen. Dadurch wird das Bild sehr unübersichtlich und unklar. Dadurch verlieren wir nur Zeit, und ich muß Sie zu einer Freiübung animieren, damit man ein klares Bild bekommt. Ich bitte um Entschuldigung.
Damit sind wir mit den Änderungsanträgen am Ende. Ich rufe nunmehr das ganze Gesetz mit Einleitung und Überschrift in dritter Lesung auf. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen angenommen.
Nach der Tagesordnung, wie sie vom Ältestenrat empfohlen worden ist, wäre jetzt Punkt 7 a und b der Tagesordnung von gestern, also vom 5. Dezember, aufzurufen:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Hilfmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen in
Gebieten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland und Berlins in Gewahrsam genommen wurden (Drucksache 2637);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen (Drucksache 2888, Umdrucke 861, 862)
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b) Zweite Beratung ,des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen in Gebieten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland und Berlins in Gewahrsam genommen wurden (Drucksache 1837);
Mündlicher Bericht des Haushaltsausschusses (Drucksache 2940).
Ich bitte um die Berichterstattung. — Bitte, Herr Abgeordneter Hermsdorf!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure außerordentlich, daß ich zu dieser späten Stunde den Gesetzentwurf noch mündlich begründen muß. Aber ich werde es sehr kurz machen.
Die Drucksachen 2637 und 2888 behandeln eine erste Novelle zum Häftlingshilfegesetz vom 10. August 1955. Diese Novelle wurde erforderlich, da sich in der Praxis das dringende Bedürfnis nach einigen Klarstellungen geltend machte, um vor allen Dingen bei Verwaltungsstreitigkeiten Zuständigkeitsüberschneidungen zu vermeiden.
Darüber hinaus bringt die Ihnen vom Ausschuß vorgelegte Fassung, die Sie in der Drucksache 2888 finden, einige wesentliche materielle Verbesserungen. Es sei mir daher erlaubt, insbesondere auf zwei Paragraphen einzugehen, die diese wesentlichen Änderungen .des Ausschusses behandeln und die vom Ausschuß einstimmig verabschiedet worden sind.
Es handelt sich dabei um die §§ 9 a und 12. Ich möchte zuerst auf den § 9 a hinweisen, da in diesem Paragraphen die entscheidende Änderung dadurch vorgenommen wurde, daß man jetzt — im Gegensatz zum Häftlingshilfegesetz von 1955 --den ehemaligen Häftlingen den Rechtsanspruch zugesteht. Über diese Frage des Rechtsanspruches hat es im Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen lange Diskussionen gegeben, und es sind nach allen Seiten Erwägungen angestellt worden. Um so erfreulicher ist es, daß ich Ihnen heute mitteilen kann, daß der Rechtsanspruch einstimmig beschlossen wurde.
In der Drucksache 2888 ersehen Sie aus der synoptischen Gegenüberstellung, daß der ursprüngliche Entwurf der Regierung lediglich eine KannVorschrift enthielt, die eventuelle Entschädigungen nach der wirtschaftlichen Notlage des Einzelnen vorsah. Der jetzige § 9 a garantiert den Rechtsanspruch dadurch, daß der Halbsatz „erhalten auf Antrag in entsprechender Anwendung usw." eingefügt wurde.
In der Ziffer 3 des § 9 a wird dann nochmals gesagt, daß die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates ermächtigt wird, die Reihenfolge der Auszahlung der Leistungen nach Gesichtspunkten der sozialen Dringlichkeit zu bestimmen.
Bei der Behandlung des § 9 a gab es auch eingehende Beratungen wegen der dort festgelegten Sechs-Monats-Frist. Der Ausschuß war der Auffassung, daß man auf die jetzige festgesetzte Frist von sechs Monaten im Prinzip verzichten sollte. Die Schwierigkeit, in der man sich jedoch befand, lag darin, daß die vorliegende Novelle sowohl auf das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz als auch auf das Heimkehrergesetz Bezug nimmt. Man sah sich daher veranlaßt — um keine Weiterungen in den beiden genannten Gesetzen nachzuziehen —, an der von der Regierung vorgeschlagenen Sechs-Monats-Frist festzuhalten.
Allerdings war der Ausschuß einmütig der Auffassung, daß es bei den ehemaligen politischen Häftlingen aus der sowjetischen Besatzungszone eine Reihe von völlig anderen Gesichtspunkten geben muß als bei dem Personenkreis, den das Heimkehrer- und Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz umfaßt. Einer dieser Gesichtspunkte betrifft diese Frist. Der Ausschuß wünschte einstimmig, daß die Sechs-Monats-Frist in großzügigster Weise angewendet werden soll, er hat deshalb im § i2 diese seine Meinung ausdrücklich noch einmal bestätigt.
Es ist dort festgelegt worden, daß man zur Vermeidung unbilliger Härten Maßnahmen nach diesem Gesetz ganz oder teilweise zulassen soll, insbesondere bei Überschreitung der im § 9 a Abs. 1 vorgesehenen Frist. Ich habe den Auftrag, im Namen des Ausschusses auf diesen Punkt ausdrücklich und mit Nachdruck hinzuweisen.
Da diese erste Novelle zum Häftlingshilfegesetz vom 10. August 1955 wesentliche materielle Verbesserungen und eine Reihe von dringenden Klarstellungen gegenüber idem Häftlingshilfegesetz enthält, darf ich Sie im Auftrage des Ausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen bitten, sie in vorliegender Fassung anzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich darf vielleicht die Kolleginnen und Kollegen auf folgendes aufmerksam machen. Schließe ich vor 9 Uhr, dann habe ich den Beifall der communis opinio, ,der meisten Abgeordneten. Schließe ich aber zu früh, dann habe ich den Widerspruch der Herren Geschäftsführer der Fraktionen, die mit Recht darauf achten, daß die Dinge vorankommen. Wenn wir uns bei diesen Abschnitten noch zusammennehmen, meine Damen und Herren — es liegen nur zwei Änderungsanträge vor — und wenn wir uns dann auf das Notwendigste beschränken, dann hoffe ich, daß wir in 10 bis 12 Minuten mit der zweiten und dritten Lesung fertig sein können. Ich bitte also alle diejenigen, die den Wunsch hatten, schon vorher zu gehen, das nicht zu tun. Denn in dem Augenblick, wo die Abstimmung zweifelhaft ist und durch Hammelsprung Beschlußunfähigkeit herauskommt, haben wir nur Zeit verloren und müssen morgen die Sache nachexerzieren.
Ich bitte dann den Herrn Berichterstatter Abgeordneten Gengler.
— Das Haus verzichtet auf die Berichterstattung. Dann treten wir in die Beratung ein. Ich rufe auf den Ausschußantrag Drucksache 2888, Art. I. Hierzu liegt auf Umdruck 862 *) ein Änderungsantrag
*) Siehe Anlage 18.
vor, in Art. I Nr. 10 in § 9 a Abs. 1 die Worte „innerhalb von sechs Monaten" zu streichen. Wird der Antrag begründet? — Bitte, Herr Kollege!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe als Berichterstatter bereits darauf hingewiesen, daß es sich beim Häftlingshilfegesetz um einen anderen Personenkreis handelt als beim Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz und beim Heimkehrergesetz. Ich bitte Sie, weil es hier bei Festlegung einer Frist Härtefälle geben wird und weil die Frage einer Frist ständig aufs neue Härtefälle aufwirft, der Ausschuß aber im Prinzip auch zubilligt, daß man die Frist weglassen sollte, und nur Rückwirkungen auf das Heimkehrer- und auf das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz befürchtet, diesem Änderungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion stattzugeben.
Es kommt ein weiterer Punkt hinzu. Alle die Menschen, die aus den Anstalten der sowjetischen Besatzungszone entlassen worden sind, befinden sich in der Zone zweifellos in einer sehr schwierigen psychischen und physischen Situation. Sie können nicht so an den Termin gebunden werden, wie wir uns das hier am grünen Tisch vielleicht vorstellen.
Jeder einzelne hat da sehr viele seelische und materielle Sorgen, die zu berücksichtigen sind. Wir bitten aus diesem Grunde, hier einmal diese rein menschlichen Erwägungen vorangehen zu lassen.
Ich bitte Sie, dem Antrag der SPD-Fraktion zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, Frau Dr. Brökelschen!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich bin etwas erstaunt darüber, daß die SPD diesen Antrag eingebracht hat. Denn wir waren im Ausschuß einstimmig der Überzeugung, daß die Sicherung des Anliegens, das Herr Kollege Hermsdorf hier vorgetragen hat, mit der Präzisierung des § 12 vorgenommen worden sei, an den wir die Worte „insbesondere bei Überschreitung der in § 9 a Abs. 1 vorgesehenen Frist"angefügt haben. Ich bitte Sie dringend, dem Antrag der SPD-Fraktion nicht zuzustimmen; denn wir haben uns im Ausschuß davon überzeugt, daß weitreichende Auswirkungen auf andere Gesetze eintreten würden. Außerdem müßten wir, wenn der Antrag der SPD-Fraktion angenommen wird, auch § 12 ändern — einen solchen Antrag hat die SPD-Fraktion nicht gestellt —; denn dann hat es gar keinen Sinn mehr davon zu sprechen, daß vor allen Dingen bei Überschreitung der Frist Rücksicht zu nehmen sei. Das ist von der SPD übersehen worden. Bei Annahme des SPD-Antrages würde diese Bestimmung vollkommen in der Luft hängen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu Art. I liegt ein weiterer Änderungsantrag auf Umdruck 861 vor. Darf ich fragen, ob dieser Antrag begründet wird. — Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei Umdruck 861 *) handelt es sich um
*) Siehe Anlage 17. einen interfraktionellen Antrag, der eigentlich nur eine Formalität beinhaltet. Es handelt sich um den Wunsch der Länder, in Art. I Nr. 11 Buchstabe a an § 10 Abs. 2 Satz 2 den Halbsatz „soweit nicht von den Landesregierungen andere Behörden bestimmt werden." anzufügen. Es geht hier nur um die Frage, ob diese Behörden entweder die Kreisbehörden oder die Regierungspräsidenten sind. Ich bitte, diesem Antrag zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Debatte. — Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Debatte.
Wer 'dem Antrag auf Umdruck 861 — das ist der interfraktionelle — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der SPD-Fraktion auf Umdruck 862 auf Streichung der Worte „innerhalb von sechs Monaten". Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das Präsidium ist sich im Zweifel. Ich bitte diejenigen, die zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Ich bitte diejenigen, die dagegen stimmen wollen, sich ebenfalls zu erheben. — Danke schön. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den gesamten Art. I, den ich aufgerufen habe. Wer für diesen Art. I in der Fassung des Ausschusses mit dem beschlossenen Zusatz ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe Art. II, III, IV auf. Änderungsanträge liegen hierzu nicht vor. Ich eröffne die Aussprache. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Art. II, III und IV in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe Überschrift und Einleitung auf. — Entschuldigen Sie, es ist noch ein Art. V da; er ist so klein gedruckt, daß ich ihn nicht gesehen habe. Ich rufe Art. V auf. Eine Aussprache wird wohl nicht gewünscht. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer für ihn zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Art. V ist angenommen.
Einleitung und Überschrift! Keine Aussprache?
— Ich bitte um das Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Angenommen. Die zweite Beratung ist damit beendet. Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die Generalaussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor; Anträge ebenfalls nicht. Ich schließe die Aussprache. Ich rufe Art. I, II, III, IV, V, Einleitung und Überschrift auf. Wer das Gesetz anzunehmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Teil 2 dieses Punktes der Tagesordnung. Es liegt ein Mündlicher Bericht über einen Antrag der Fraktion der SPD vor, welcher den gleichen Gegenstand betrifft. Der Ausschuß schlägt vor, diesen Gesetzesvorschlag als durch das eben angenommene Gesetz erledigt abzulehnen
Geschäftsordnungsschriftgelehrte stehen auf dem Standpunkt, daß es so gemacht werden müßte, daß ich sämtliche Paragraphen dieses Gesetzes in zweiter Lesung aufrufe, daß Sie diese ablehnen und daß damit dann in zweiter Lesung dieses Gesetz erledigt sei. Ich rufe also, um dieser Auslegung der Geschäftsordnung nachzukommen, Art. 1, 2, und 3 des Gesetzentwurfes Drucksache 1837 auf. Ich eröffne die Aussprache. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wer den aufgerufenen Artikeln zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt. Damit ist auch dem Ausschußantrag, diesen Gesetzentwurf als erledigt abzulehnen, entsprochen.
Wir sind damit in kürzerer Zeit, als es vorgesehen war, mit diesem Punkt der Tagesordnung fertiggeworden. Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung.
Ich berufe die nächste Plenarsitzung auf morgen früh, 9 Uhr, ein mit dem ersten Tagesordnungspunkt: erste Beratung des Haushaltsgesetzes 1957 mit der Rede des Herrn Bundesfinanzministers. Für die anschließende Tagesordnung schlage ich Ihnen vor: Fortsetzung der heutigen Tagesordnung vorbehaltlich einer noch im Laufe der Sitzung zu treffenden interfraktionellen Verständigung.
Ich schließe die Sitzung.