Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 152. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich habe zunächst bekanntzugeben, daß der Abgeordnete Leibfried gemäß § 51 Abs. 1 Ziffer 3 des
Wahlgesetzes zum 2. Deutschen Bundestag seine Verzichterklärung vor dem Präsidenten des Deutschen Bundestages am 21. Juni dieses Jahres unterzeichnet und somit sein Bundestagsmandat niedergelegt hat.
Der Vorstand des Deutschen Bundestages hat gemäß § 52 Abs. 1 Ziffer 3 des Wahlgesetzes die Wirksamkeit der Niederlegung des Mandats am 21. Juni 1956 beschlußmäßig anerkannt.
Eine amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 20. Juni 1956 die Kleine Anfrage 256 der Fraktion der FDP betreffend Frostschäden — Drucksache 2433 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2541 vervielfältigt.
Vor Eintritt in die Tagesordnung erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß wir im Rahmen der heutigen konjunkturpolitischen Debatte und im Rahmen der sonst zu diesem Komplex gehörenden Anträge und Gesetzentwürfe die Tagesordnung noch um zwei Punkte ergänzen. Im Umdruckverfahren wird jetzt mit der künftigen Drucksache 2522 ein nur drei Artikel umfassender Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes betreffend Abzahlungsgeschäfte vom 16. Mai 1894 verteilt werden. Ich bitte, dem zuzustimmen, daß dieser Gesetzentwurf heute in erster Lesung mitbehandelt wird.
Zweitens bitte ich um Ihr Einverständnis damit, daß ein Antrag unserer Fraktion, der ebenfalls jetzt im Umdruckverfahren verteilt werden, und der als Drucksache die Nummer 2523 bekommen wird, mit auf die Tagesordnung gesetzt wird. Dieser Antrag befaßt sich mit der Auskunftspflicht auf dem Gebiet der Wirtschaft. Ich habe mit einigen Herren von den anderen Fraktionen noch sprechen können; sie hatten keine Bedenken.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Scheel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vor Eintritt in die Tagesordnung etwas zu dem Stil sagen, der bei der Beantwortung Großer Anfragen von Bedeutung in der Zukunft offensichtlich gehandhabt werden soll, nämlich zu der Methode, Große Anfragen der Fraktionen dieses Parlaments durch eine Regierungserklärung vorweg zu beantworten. Ich halte diesen Stil für falsch.
Wir könnten ja, wenn wir vorher davon informiert würden, daß Große Anfragen hier so behandelt werden sollen, eine Woche vorher damit auf den Marktplatz gehen, um das wieder auszugleichen. Ich glaube, es ist die Pflicht der Regierung, Große Anfragen von Parteien dieses Hauses zu beantworten und nicht den Versuch zu machen, solche Anfragen, wenn sie von Wichtigkeit sind, jeweils durch eine Regierungserklärung vorwegzunehmen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist mir völlig klar, daß ein Antrag, etwa die Punkte 1 und 2 der heutigen Tagesordnung umzustellen, in diesem Hause keine Mehrheit finden wird. Ich ver-
zichte deswegen auf diesen Antrag, möchte aber nicht versäumen, zu Beginn der Sitzung Ihnen meine Beanstandungen vorzutragen weniger über die Tagesordnung als vielmehr über den Stil, den die Regierung und die ihr attackierten Fraktionen in diesem Hause offensichtlich von nun an zu handhaben gedenken.
Meine Damen und Herren, der Antrag des Herrn Abgeordneten Menzel ist nicht auf Widerspruch gestoßen. Ich nehme an, das Haus ist damit einverstanden, daß entsprechend verfahren wird.
— Einen Moment!
Ich möchte noch bekanntgeben, daß nach einer Vereinbarung im Ältestenrat die zweite Beratung des Haushalts nach der konjunkturpolitischen Debatte fortgesetzt werden soll. — Auch damit ist das Haus einverstanden.
Dann erteile ich das Wort zur Geschäftsordnung dem Abgeordneten Horlacher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst zur Geschäftsordnung sagen, daß das gar keine geschäftsordnungsmäßige Bemerkung war. Der Stil, den die Regierung handhabt, ist der Stil, der in der Geschäftsordnung festgelegt ist.
Die Regierung hat jederzeit das Recht, das Wort zu ergreifen. Wir befinden uns in ständigem Fluß, 1 die Dinge können sich jederzeit ändern, und wenn die Regierung das Bedürfnis hat, eine Erklärung abzugeben, geht das allem anderen voraus. Das hindert nicht, zu einzelnen Punkten der Großen Anfrage noch einmal eine besondere Antwort zu geben.
Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Abgeordnete Dr. Deist.
Meine Damen und meine Herren! Wenn ich den Beanstandungen des Herrn Kollegen Scheel beitrete, dann tue ich das nicht, weil wir der Auffassung wären, es seien formale Grundsätze der Geschäftsordnung oder des Grundgesetzes verletzt worden. Darum handelt es sich nicht, sondern es handelt sich darum, ob hier ein Verfahren angewandt wird, das dem Geist einer guten parlamentarischen Demokratie entspricht.
Die politische Kontrolle der Regierung ist eine der wichtigsten Aufgaben eines demokratischen Parlaments, und das Interpellationsrecht ist eines der vornehmsten Mittel zur Durchführung dieser Kontrolle.
Das Wesen dieser Einrichtung der Interpellation
besteht darin, daß das Parlament das Recht hat zu
fragen und daß die Regierung die Verpflichtung
hat, auf Fragen aus dem Parlament zu antworten.
Die Umkehrung dieses Vorganges entspricht nicht dem Geist einer guten Handhabung dieses Interpellationsrechts. Das möchten wir mit unserem Einspruch zum Ausdruck bringen. Ich bedaure sehr, daß die Bundesregierung bei dieser Gelegenheit wieder einmal zum Ausdruck gebracht hat, welche Achtung sie den grundlegenden Rechten des Parlaments entgegenbringt.
Ich denke, daß wir die Geschäftsordnungsdebatte über diese Frage beenden können.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hatte anläßlich der letzten Tagung des Bundestages in Berlin dem Hohen Hause ein erstes konjunkturpolitisches Programm vorgelegt. Dieses war in der Auswahl und in den Ausmaßen der vorgeschlagenen Maßnahmen der konjunkturellen Situation vom Herbst des vorigen Jahres angepaßt. Sie hat inzwischen den Fortgang der Entwicklung genauestens weiter verfolgt, um ohne Verzögerung, aber auch ohne Überhastung jene Maßnahmen treffen zu können, die dem Fortgang der konjunkturellen Entwicklung seither entsprechen.
Die winterliche Saisondämpfung wurde durch einen außerordentlich starken konjunkturellen Anstieg im Frühjahr abgelöst, der eine weitere Anspannung gewisser Marktbereiche und Preise zeitigte, die die Bundesregierung nunmehr veranlaßt, ein zweites Konjunkturprogramm vorzulegen. Sie legt damit ihre Ansicht zu einer gegenwärtig die ganze Öffentlichkeit bewegenden Frage vor. So ist es kein Zufall, daß heute die Erklärung der Bundesregierung und die Anfragen der SPD und der FDP zusammentreffen.
— Sie wünschten ja diese Debatte, und Sie haben sie.
Sie begrüßt diese gemeinsame Erörterung um so mehr, als in der Öffentlichkeit je nach der Interessenlage der Parteien sehr unterschiedliche, ja geradezu gegensätzliche Auffassungen vertreten wurden. Zwischen der Feststellung, daß überhaupt keine Konjunkturüberhitzung vorliege und folglich auch keine konjunkturpolitischen Maßnahmen vonnöten seien, und der Anklage, daß die Bundesregierung in unverantwortlicher Weise die Dinge haben treiben lassen, sind in der öffentlichen Diskussion unzählige Varianten des Zuviel und Zuwenig, des Zufrüh und Zuspät in Erscheinung getreten.
Sicher ist das eine, daß in der Depression eine aktive, auf Expansion hinzielende Konjunkturpolitik immer populär ist, während konjunktur-
politische Maßnahmen zur Bändigung einer drohenden Überkonjunktur immer unpopulär sein müssen. Diese subjektive und interessengebundene Wertung kann und darf indessen niemals das Handeln einer verantwortungsbewußten Regierung bestimmen.
Tatsächlich hat die Bundesregierung die wirtschaftliche Lage und konjunkturelle Entwicklung gerade in diesem letzten Jahre laufend sorgfältig beobachtet, wobei auch noch die Arbeit der wissenschaftlichen Konjunkturforschung zusätzlich berücksichtigt wurde. Die Ergebnisse der Konjunkturbeobachtung werden monatlich im Lagebericht des Bundeswirtschaftsministeriums veröffentlicht, und auf Grund dieser Konjunkturdiagnose werden die seit geraumer Zeit wahrnehmbaren Übersteigerungstendenzen von der Bundesregierung auf ihre Verursachung und Wirkung hin sorgfältigst überprüft.
Der Bundeswirtschaftsminister hat darüber hinaus in wiederholten Appellen an die verschiedensten Wirtschaftskreise und die Sozialpartner immer wieder auf die sich abzeichnenden Gefahren hingewiesen und ein verantwortungsbewußtes Verhalten aller am Wirtschaftsprozeß Beteiligten gefordert.
Die Bundesregierung hat darum dem Deutschen Bundestag im Herbst 1955, als die Konjunkturtendenzen eindeutig geworden waren, ein erstes Konjunkturprogramm vorgelegt und der damaligen Lage angemessene Maßnahmen zur Stabilisierung der Konjunktur ergriffen. Daß gleichwohl die Expansion ungemindert angehalten hat und jetzt weitere Maßnahmen erforderlich macht, ist auf folgende Ursachen zurückzuführen.
Einmal haben von der Außenwirtschaft her immer neue und in der Größenordnung nicht vorausschätzbare Impulse auf unsere Binnenkonjunktur eingewirkt. Unsere Exportüberschüsse als Folge der heute in weiten Teilen der freien Welt vorherrschenden Hochkonjunktur und eines unsere Ausfuhr begünstigenden vergleichsweise stabilen und niedrigen deutschen Preisniveaus haben auf dem Binnenmarkt eine zunehmende güterwirtschaftliche Spannung zwischen Angebot und Nachfrage entstehen lassen. Diese Disharmonie wirkt sich tendenziell preissteigernd aus. Aber die Versorgung selbst ist auf allen Gebieten voll gesichert.
Zum andern konnten bedauerlicherweise nicht alle Maßnahmen in die Tat umgesetzt werden, die die Bundesregierung in ihrem Konjunkturprogramm vom Oktober vorigen Jahres vorgeschlagen hatte. So ist z. B. das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen noch nicht verabschiedet worden. Auch die Mahnung der Bundesregierung und besonders des Bundeswirtschaftsministers, auf jenen Gebieten Maß zu halten, auf denen der Bundesregierung keine direkten Eingriffsmöglichkeiten zustehen, sei es z. B. auf dem Gebiete der Lohnpolitik, sei es auf dem Gebiete der Bautätigkeit der Länder, Gemeinden und sonstigen öffentlichen Körperschaften, fanden nur zum Teil Beachtung.
Entsprechend der damaligen Konjunkturlage glaubte die Bundesregierung ihre Aufmerksamkeit insbesondere auf eine psychologische Beeinflussung der Preise richten zu sollen. Es ist auf Grund eines internationalen Vergleichs der Preisbewegungen auch unverkennbar, daß damit im Bereiche der gewerblichen Wirtschaft tatsächlich auch Erfolge erzielt wurden, die nachweisbar sind.
Darüber hinaus haben zwei konjunkturpolitisch gezielte Zollsenkungen, die Ermäßigung gewisser Verbrauchsteuern, die Abschaffung der Notopfermarke und die von der Post durchgeführte beträchtliche Senkung der Fernsprechgebühren im Fernverkehr dem gleichen Ziel gedient.
Der Bund hat ferner seine Bemühungen darauf gerichtet, eine bessere Verteilung des Bauvolumens über das ganze Jahr zu erreichen. Auch die Anstrengungen nach dieser Richtung hin haben ein positives Ergebnis gezeitigt. Was die Zurückhaltung in der Bautätigkeit betrifft, so ist der Bund selbst im Hochbau vorbildlich vorangegangen. Die Bundesbauten — ohne Bundesverkehrsbau, Post- und Fernmeldewesen und deutschen Verteidigungsbau — werden 1956 nur einen Betrag von 110 Millionen DM erreichen gegenüber 240 Millionen DM im Jahre 1955.
Die Bundesregierung hat ferner alles unternommen, um die Preispolitik der Bundesunternehmen zu beeinflussen. Man muß diesen auch zugestehen, daß sie sich im Rahmen der Wettbewerbswirtschaft der notwendigen Preisdisziplin befleißigt haben.
Der Zentralbankrat hat ebenfalls gemäß seiner im Rahmen des ersten Konjunkturprogramms angesprochenen Aufgabe mit seinen Mitteln mäßigend eingegriffen. Er hat mit der Offen-Marktpolitik beruhigend gewirkt. Er hat den Diskontsatz im März 1956 noch einmal erhöht, nachdem er schon im August 1955 sowohl den Diskontsatz als auch die Mindestreservensätze angehoben hatte. Der Zentralbankrat ist wie die Bundesregierung bei seinen konjunkturpolitischen Maßnahmen relativ vorsichtig vorgegangen, um nicht durch zu frühzeitige und zu scharfe Maßnahmen die Konjunktur als solche und die Vollbeschäftigung im besonderen zu gefährden.
Die wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik ist trotz der bisher eingeleiteten Maßnahmen gleichwohl durch Spannungen gekennzeichnet. Es kann aber als sicher angenommen werden, daß diese selbst bedrohlichere Formen angenommen hätten, wenn es kein erstes Konjunkturprogramm gegeben hätte und in der Zwischenzeit keine konjunkturpolitischen Anstrengungen unternommen worden wären.
Die Bundesregierung hat allerdings mit voller Absicht nicht schon früher weitergehende und härtere konjunkturpolitische Maßnahmen vorgeschlagen, weil sie sich erst nach Ablauf des winterlichen Saisontiefs ein Urteil über das Ausmaß und die Kraft der im Frühjahr wieder aufkommenden Konjunkturtendenzen bilden wollte. Ein zu frühzeitiges und hartes Eingreifen hätte gegebenenfalls auch die günstige Konjunkturentwicklung unterbinden können.
Es besteht wirklich auch kein Grund, die bisherige Konjunktur- und Preisentwicklung über Gebühr zu dramatisieren.
Gewisse Preisschwankungen, ganz abgesehen von der notwendigen Beweglichkeit der Einzelpreise, sind der Marktwirtschaft adäquat, die es durch ihre Dynamik und Ergiebigkeit ermöglicht hat, daß erhöhten Preisen gegenüber das Realeinkommen doch noch sehr viel stärker angestiegen ist. So ist z. B. das Nominaleinkommen der Arbeiter allein in den letzten beiden Jahren um 16 % ge-
stiegen, während sich die Lebenshaltungskosten nur um 4 % erhöhten, so daß daraus eine Reallohnsteigerung von 12 % resultiert. Die historische Erfahrung bestätigt darüber hinaus, daß noch zu jeder Zeit und in jedem Lande eine Hochkonjunktur preissteigernde Tendenzen auslöste, aber mit ihrem Abklingen dann auch wieder Preiskorrekturen nach unten einsetzten. Es ist also nicht angängig, in jeder einzelnen Preiserhöhung eine Dauererscheinung erblicken zu wollen.
Unter Berücksichtigung der gestiegenen Realeinkommen erscheinen auch die Nahrungsmittelpreise für den mit einem Arbeitseinkommen ausgestatteten Verbraucher wohl noch erträglich,
um so mehr als zu beachten ist, daß es in den rückliegenden Monaten besonders ungünstige Witterungsverhältnisse waren, die die Preise wichtiger Lebensmittel haben ansteigen lassen. Hier indessen sind bereits Ansätze einer Rückbildung erkennbar.
Die Bundesregierung darf auch darauf verweisen, daß sie auf Grund gesetzlicher Verpflichtungen die besondere Lage der Landwirtschaft zu berücksichtigen hat, soweit diese aus historischen, strukturellen und naturbedingten Gründen in ihrer Leistungskraft zurückgeblieben ist. Die Förderung der Landwirtschaft hat der Bundestag einstimmig beschlossen. Es ist nun aber einmal so, daß die Preise, die der eine, d. h. hier die Landwirtschaft, bekommt, der andere, nämlich der Verbraucher, zu bezahlen hat. Die Gerechtigkeit gebietet immerhin, festzustellen, daß es der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung in steigendem Maße gelungen ist, dem Verbraucher durch einen beträchtlichen Realeinkommenszuwachs eine immer bessere Deckung seiner Lebensbedürfnisse zu ermöglichen.
Wenn auch bei der Beurteilung der konjunkturellen Erscheinungen gerade in der Bundesrepublik verständlicherweise zu beachten ist, daß der Verbraucher gerade auf kurzfristige Preissteigerungen besonders empfindlich reagiert, so kommt es doch entscheidend auf die Sicherung der längerfristigen Geldwertstabilität an. Diese aber ist bisher nicht verletzt worden, denn die für die letzten Jahre zu verzeichnende Erhöhung des Preisniveaus um 4 bis 5 % hat nur wieder den Ausgleich für den in den vorangegangenen Jahren erfolgten Preisrückgang gebracht. Wir bewegen uns mithin heute wieder auf dem durchschnittlichen Preisstand des Jahres 1951.
Dieser beruhigende, aber sachliche Hinweis soll allerdings unsere Sorge nicht einschläfern. Es ist jetzt zweifellos der Zeitpunkt gekommen, zu dem eine aktivere Konjunkturpolitik einsetzen muß, um ein weiteres Ansteigen des Preisniveaus zu verhindern und damit die schon gekennzeichnete längerfristige Geldwertstabilität zu gewährleisten. Die Bundesregierung hegt die Überzeugung, daß es ihrer Konjunkturpolitik und der Kreditpolitik des Zentralbankrates gelingen wird, dieses Ziel zu erreichen, wenn alle für das Gedeihen unserer Wirtschaft verantwortlichen Instanzen und Persönlichkeiten jene Maßnahmen, die heute von der Regierung in einem zweiten Konjunkturprogramm vorgeschlagen werden, billigen und unterstützen.
Dieses zweite Konjunkturprogramm setzt bei den Ursachen an, die zu den konjunkturellen Spannungen geführt haben. Diese sind vielfältiger Natur. Einmal sind auf Grund der gestiegenen Finanzkraft die öffentlichen Investitionen, insbesondere Bauten, in den vergangenen Jahren stark erhöht worden, zum anderen hat sich auf Grund günstiger Unternehmererwartungen und reichlicher Kreditmöglichkeiten besonders ab Mitte 1954 eine starke Investitionswelle in der privaten Wirtschaft herausgebildet. Insgesamt stiegen die Investitionen und die Bautätigkeit so stark an, daß im Laufe des Jahres 1955 auf diesem Gebiete und in den vorgelagerten Grundstoffbereichen die Kapazitäten voll ausgelastet waren, die Auftragsbestände anwuchsen, die Arbeitskräfte immer knapper wurden und die Preise tendenziell anzogen. Gefördert wurde diese Entwicklung durch Nachfragestöße, wie sie zum Teil durch das Außerkrafttreten besonderer steuerlicher Begünstigungen —etwa in Gestalt des § 36 des Investitionshilfegesetzes — ausgelöst wurden, sowie auch durch die steuerliche Anerkennung einer Abschreibungsmethode, die in den ersten Jahren der Lebensdauer bestimmter Anlagegüter sehr hohe Abschreibungssätze zuläßt. Es ist bekannt genug, daß die Vornahme von Investitionen aus Steuerersparnisgründen großes Gewicht erlangt hat. Der Optimismus, der die Unternehmer zu einer starken Ausweitung ihrer Investitionen veranlaßte, ist international zu beobachten, und daher trägt auch die Konjunktur international — nicht nur bei uns — stark expansive Züge.
Nicht allen Volkswirtschaften aber ist es wie der deutschen gelungen, im Zuge dieser Entwicklung ein gleiches Maß an Ordnung und besonders an Preisstabilität aufrechtzuerhalten, so daß, wie schon eingangs erwähnt, unsere Exportpreise heute besonders günstig liegen.
Wie stabil unser Preisniveau geblieben ist, zeigt ein internationaler Vergleich der Lebenshaltungskosten auf der Basis 1950 als dem Jahr der seit der Währungsreform niedrigsten Preise. Seit dieser Zeit sind in der Bundesrepublik — und das sei gar nicht bagatellisiert — die Lebenshaltungskosten um 13 °/o gestiegen, in anderen Ländern aber, wie z. B. in Frankreich, Großbritannien, Schweden und Norwegen, um ein Drittel und mehr. Allein in europäischen Ländern gehen die Preisanstiege bis zu 60 °/o. Zusammen mit den Vereinigten Staaten, den Beneluxländern und der Schweiz verzeichnet die Bundesrepublik den geringsten Preisauftrieb. Das aber ist zugleich der Grund für die starke Exportkonjunktur der Bundesrepublik. Demgegenüber sind zwar auch die Importe erhöht worden, aber Ausmaß und Tempo dieser Steigerung reichen trotz einer Reihe von importfördernden Maßnahmen nicht hin, um eine immer stärkere Anreicherung von Gold und Devisen bei unserer Notenbank zu verhindern. Das besonders starke Wachstum der Investitionen und die erhebliche Exportausweitung haben trotz der bekannten Geldstillegung durch die Kassenüberschüsse des Bundes die Einkommens- und Nachfrageentwicklung im Inland derart verstärkt, daß auch die erhöhte Produktion und die Einfuhr gegenüber diesen Ansprüchen nicht ausreichten, um Preisanstiegstendenzen zu unterbinden.
Das reale, also zu fixen Preisen gerechnete Bruttosozialprodukt war im zweiten Halbjahr 1955 um 20 % höher als im zweiten Halbjahr 1953. Die Steigerung der Industrieproduktion betrug im gleichen Zeitraum 28 %.
Die auf die Nachfrageausdehnung, insbesondere die Steigerung der Investitionstätigkeit, zurückzuführende Anspannung auf dem Arbeitsmarkt begünstigte einen Lohnauftrieb, der seit Herbst vorigen Jahres in wichtigen Bereichen unserer Wirtschaft die zwischenzeitlich erreichte Produktivitätssteigerung übertrifft. Während z. B., bezogen auf das jeweilige Quartal des Vorjahres, im dritten Quartal 1955 der Zuwachs an Produktivität in der Industrie 7,8 %, die Erhöhung der Stundenverdienste 7,1 % betrugen, ändert sich im vierten Quartal 1955 das Bild dahin, daß einem Produktivitätszuwachs von 6,4 % eine Verbesserung der Stundenverdienste um 7,5 % gegenübersteht, und im ersten Quartal 1956 gar begegnet ein Produktivitätszuwachs von nur noch 3,6 % einer Verbesserung der Stundenverdienste um 9,9 %. Im Wettbewerb um die Arbeitskräfte und gestützt auf die Erwartung, erhöhte Stückkosten auf die Preise abwälzen zu können, gaben die Unternehmer überhöhten Lohnforderungen teilweise verhältnismäßig leicht nach.
Die starke Zunahme der Beschäftigung und der so gekennzeichnete Lohnanstieg bringen eine so kräftige Belebung der Letztverbrauchernachfrage mit sich, daß sich seit einigen Monaten auch auf den bis dahin verhältnismäßig ruhigen Konsumgütermärkten gewisse leichte Preiserhöhungen abzeichnen.
Diese Darstellung der Ursachen zeigt, an welchen Stellen angesetzt werden muß, um die Konjunkturentwicklung wieder in jene Bahnen zu leiten, die eine Beruhigung des Preisniveaus gewährleisten. Das konjunkturpolitische Erfordernis geht dahin, sowohl die Ausweitung der Gesamtnachfrage etwas zu verlangsamen wie auch das Güterangebot zu erhöhen. In dieser spezifischen Konjunkturphase ist vor allem Sorge zu tragen, daß im Inland keine zusätzliche, güterwirtschaftlich ungedeckte Nachfrage entsteht. Das ist auch der Grund, warum eine weitere Übersteigerung der Investitionen verhindert werden muß. Nur auf diese Weise kann die preissteigernde Lücke zwischen Gesamtnachfrage und Gesamtangebot geschlossen werden.
Die Konjunkturpolitik der Bundesregierung und die Kreditpolitik des Zentralbankrats tragen diesen Gesichtspunkten Rechnung. So hat der Zentralbankrat seine Kreditpolitik am 18. Mai 1956 verschärft, indem er den Diskontsatz noch einmal um 1 % auf 51/2 % erhöht und die Refinanzierungsmöglichkeiten der Geschäftsbanken dadurch eingeengt hat, daß er bisher freigestellte Wechselarten in die Rediskontkontingente der Banken einrechnete. Durch diese Maßnahmen werden der Kredit und damit das Geld teurer und knapper, und es wird eine bremsende Wirkung auf die Gesamtnachfrage unserer Volkswirtschaft ausgeübt.
Die vom Zentralbankrat getroffenen kreditpolitischen Maßnahmen stellen aber keineswegs einen Ersatz für angeblich versäumte konjunkturpolitische Schritte der Bundesregierung dar. Die moderne Konjunkturpolitik arbeitet mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen, wobei die Kreditpolitik nur als eines der verfügbaren Instrumente aufzufassen ist. Sobald stärkere Konjunkturausschläge erkennbar sind, wird man allerdings niemals auf die Instrumente der Kreditpolitik verzichten können. Aus dem Umstand jedoch, daß der Zentralbankrat solche Maßnahmen getroffen hat, zu schließen, das sei deshalb geschehen, weil die Bundesregierung ihre Verpflichtung gröblich vernachlässigt habe, bedeutet eine bemerkenswerte Verkennung des Instrumentariums der modernen Konjunkturpolitik.
Der Zentralbankrat kann allerdings schnell eingreifen, während die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den gesetzgebenden Körperschaften zwangsläufig längere Zeit benötigt, um ihre Maßnahmen abzustimmen, durchzusetzen und effektiv werden zu lassen. In der Zwischenzeit muß naturgemäß die Kreditpolitik wirksam sein. Je eher deshalb die von der Bundesregierung beabsichtigten ergänzenden Maßnahmen des zweiten Konjunkturprogramms ihre Wirkung tun werden, um so schneller sich demzufolge die Konjunkturlage entspannt haben wird, desto eher wird auch der Zentralbankrat in der Lage sein, die Zügel wieder etwas zu lockern.
Die Bundesregierung schlägt hiermit das zweite folgende Konjunkturprogramm vor:
1. Maßnahmen zur Verlangsamung der überstarken Expansion der Investitionen und der Gesamtnachfrage.
a) Die Expansion der Gesamtnachfrage wird, wie bereits ausgeführt, zu einem Teil durch kreditpolitische Maßnahmen des Zentralbankrats eingeengt. Diese Politik kann um so milder sein, je mehr die Wirtschaft bestrebt ist, ihre Investitionen in jenen Grenzen zu halten, die durch die Kapazitäten des Investitionsbereichs und die verfügbaren sachlichen und menschlichen Produktivkräfte gegeben sind. Die Bundesregierung ist sich darüber im klaren, daß die geltenden Bestimmungen über die steuerliche Anerkennung von Abschreibungen starke Investitionsimpulse auslösen, wenn die Wirtschaft bei ihrer Investitionstätigkeit zum Teil steuerliche Erwägungen über die rein betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte setzt. Im Hinblick auf die Investitionsnotwendigkeit einer modernen und dynamischen Wirtschaft und mit Rücksicht auf die Rationalisierungserfordernisse will die Bundesregierung aber zur Zeit noch keine einschränkenden Schritte bezüglich der Abschreibungen unternehmen. Sie richtet jedoch an die Unternehmerschaft den ernsten Appell — —
— Sie sind offenbar der Meinung, daß die Menschen auf gesunden Menschenverstand und wirtschaftliche Vernunft nicht mehr ansprechbar sind?! Ich bin bis zum Beweis des Gegenteils nicht dieser Auffassung.
Sie richtet jedoch an die Unternehmerschaft den ernsten Appell, ihre Investitionen sorgfältig auf die echten betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten abzustellen und mit der jeweiligen Markt- und Preissituation abzustimmen. Die Bundesregierung wird die Markt-, Preis- und Lohnentwicklung in der westdeutschen Wirtschaft, insbesondere im Investitionsgüterbereich und auf dem Arbeitsmarkt, besonders sorgfältig daraufhin beobachten, ob von der Investitionstätigkeit auch in Zukunft überstarke und das Preisniveau gefährdende Konjunkturimpulse ausgehen.
b) Die Bundesregierung wird die Gewährung von Bürgschaften für Investitionskredite der Wirtschaft
auf Fälle zwingender volkswirtschaftlicher Notwendigkeit beschränken. Sie wird den Ländern empfehlen, in ihrem Bereich in gleicher Weise zu verfahren.
c) Die öffentlichen Investitionen, insbesondere Bauten, müssen eingeschränkt werden. Soweit nicht Freigaben bereits erfolgt sind, sollen von allen Bewilligungen des Bundeshaushalts für Investitionen 10 °/0 einbehalten werden. Ausgenommen sind der Soziale Wohnungsbau und die Bauten für Verteidigungszwecke. Eine Vorfinanzierung von öffentlichen Investitionen, bei der auf Haushaltseinnahmen des Bundes in späteren Jahren vorgegriffen oder Notenbankkredit in Anspruch genommen werden würde, erscheint in der gegenwärtigen Konjunkturlage nicht angängig.
d) Um die konjunkturpolitisch dringend gebotene Entlastung des Baumarktes zu erreichen, ist außerdem auch die Bautätigkeit der Länder, Gemeinden und sonstigen öffentlichen Körperschaften vorübergehend zu beschränken. Die Bundesregierung bedauert lebhaft, daß ihr das Grundgesetz keine rechtliche Handhabe bietet, zur Erreichung dieses Zieles einen unmittelbaren und entscheidenden Einfluß auf die Investitionspolitik der genannten öffentlichen Körperschaften auszuüben.
Sie ist auf freiwillige Zusammenarbeit angewiesen. Um aber in dieser Hinsicht alle Möglichkeiten auszuschöpfen, regt die Bundesregierung die Bildung eines Gemeinschaftsausschusses an, dem Vertreter der Bundesregierung, der Länderregierungen und der kommunalen Spitzenverbände angehören sollen. Die Bundesregierung schlägt vor, daß diesem Gemeinschaftsausschuß alle öffentlichen Hochbauvorhaben unterbreitet werden, die nicht unmittelbar der Wohnungsversorgung, dem Schulwesen. dem Krankenhauswesen, Kultuszwekken oder der Verteidigung dienen.
Dieser Ausschuß soll konjunkturpolitisch tragbare. unter Umständen regional differenzierte Plafonds für diese Bauvorhaben festlegen und Empfehlungen aussprechen können. Die Bundesregierung erwartet, daß solche Empfehlungen von gleich bindendem moralischem Gewicht sein werden, wie es der Verkündung von Empfehlungen bei internationalen Körperschaften zukommt.
Die Bundesregierung regt des weiteren an. daß auch die Spitzenverbände der privaten Wirtschaft und die bundeseigenen Unternehmungen gemeinsam ein ähnliches Verfahren freiwilliger Selbstkontrolle entwickeln, um eine Beschränkung von Verwaltungsbauten und ähnlichen Objekten zu erreichen.
e) Neben diesen Maßnahmen und unabhängig davon ist eine weitere Verbesserung der Verteilung des Bauvolumens über das ganze Kalenderjahr erforderlich. In der besseren Ausnutzung der Baumöglichkeiten im Frühjahr sind bereits erfreuliche Erfolge zu verzeichnen. Die Bundesregierung wird ihre bisherigen Bemühungen, die preistreibende Sommerspitze weiter abzuflachen, mit Nachdruck fortsetzen.
f) Die Gesamtnachfrage soll auch auf dem Sektor der Konsumgüter durch ein verstärktes Sparen wirksam gemildert werden. Auf diese Weise werden auch die Konsumgüterpreise unmittelbar günstig beeinflußt. Andererseits bewirkt Sparen eine echte Kapitalbildung und ermöglicht im Gegensatz zu den aus Kreditschöpfung stammenden Mitteln eine Investitionsausweitung bei gleichzeitig stabilen Preisen. Die Bundesregierung schlägt daher vor, das Sparen wieder stärker zu fördern, und zwar beim steuerbegünstigten Sparen durch eine Verkürzung der Festlegungsfrist von jetzt, je nach Alter, zehn bzw. sieben Jahren auf drei Jahre.
Einkommensteuerpflichtige sollen bis zu 5 % ihres Einkommens absetzen können, wenn 10 % ihres Einkommens gespart und mindestens auf drei Jahre festgelegt werden. Bei der steuerlichen Begünstigung des Bausparens bleibt es bei der bisherigen Regelung.
g) Um der breiten Masse der Sparer neue, zusätzliche Sparanreize zu geben, hat die Bundesregierung die Absicht, dem Sparer über entsprechende Investment-Gesellschaften eine Beteiligung an Bundesunternehmungen durch Kauf von kleingestückelten Investmentpapieren zu ermöglichen.
h) Eine weitere Beruhigung der Konsumentennachfrage kann von Maßnahmen auf dem Gebiete der Teilzahlungsgeschäfte erwartet werden. Die Bundesregierung erbittet die Ermächtigung, prozentuale Mindestanzahlungen und bestimmte Abzahlungsfristen festsetzen sowie eine doppelte Preisauszeichnung zur Kenntlichmachung des Barpreises und des Ratenpreises zur Pflicht machen zu können.
2. Maßnahmen zur Förderung der Einfuhr.
a) Die gegenwärtige Konjunktur- und Außenhandelslage erfordert einerseits eine großzügige Förderung der Einfuhr, andererseits die Unterlassung zusätzlicher Maßnahmen zur Exportförderung. Keineswegs hingegen ist — das sei hier ausdrücklich festgestellt — daran gedacht, den Wechselkurs der D-Mark in Form einer Aufwertung zu ändern.
b) Die Förderung der Einfuhr und ein Abbau der Exportüberschüsse sind konjunkturpolitisch auch deshalb notwendig, weil die Zahlungsbilanzüberschüsse im Inland eine zusätzliche Kaufkraft entstehen lassen, der wegen des Fehlens entsprechender Einfuhren kein ausreichendes bzw. kein gleich großes Güterangebot gegenübersteht. Diese Situation trägt erheblich dazu bei, die Gesamtnachfrage gegenüber dem Gesamtangebot zu übersteigern und deshalb das Preisniveau nach oben hin tendieren zu lassen. Dieser Trend wird noch dadurch verstärkt, daß die Devisenankaufsüberschüsse der Notenbank zu einer ständigen Liquidisierung des Bankenapparats führen, der, gestützt auf diese Mittel, ein Mehrfaches an Kreditgewährung aufbauen kann. Dem also muß durch eine größere Einfuhr, die das heimische Güterangebot erhöht und dadurch die Preissituation entspannt, wirkungsvoll entgegengetreten werden. Das ist auch der Grund, warum gerade in dieser Konjunktursituation der Einfuhrsteigerung der Vorzug gegenüber der theoretischen und technisch praktizierbaren Möglichkeit deutscher Kapitalanlagen im Ausland zu geben ist.
Im übrigen sind bei einer solchen Fragestellung nicht nur außenwirtschaftliche, sondern auch außenpolitische Probleme angesprochen.
c) Die Förderung der Einfuhr ist auch aus außenwirtschaftlichen Gründen notwendig. Die Bundesrepublik hat binnen fünf Jahren um 8,5 Milliarden DM mehr exportiert als importiert. Der Gold- und Devisenbestand bei der Bank deutscher Länder beträgt jetzt über 14 Milliarden DM. So erfreulich diese Entwicklung auch für die Begründung einer starken außenwirtschaftlichen Position der D-Mark gewesen sein mag — sie ist heute wirklich eine der härtesten Währungen der Welt —, so sehr wird doch die weitere Anhäufung von Gold und Devisen problematisch. Unsere Überschüsse bedeuten nämlich Zahlungsbilanzdefizite und folglich Gold- und Devisenverluste unserer Handelspartner, und deshalb könnten sich diese sehr wohl veranlaßt sehen, ihre Importpolitik zu überprüfen, wenn die Defizite anhalten. So besteht also auch um der Sicherung unserer Exportwirtschaft willen geradezu eine Notwendigkeit, unsere Importe zu steigern.
Eine weitergehende Bereinigung der internationalen Zahlungsbilanzsituation kann allerdings nicht durch Maßnahmen nur eines Staates herbeigeführt werden. Dazu bedarf es vielmehr gemeinsamer und gleichzeitiger Bemühungen aller Länder um eine Entzerrung der Kursrelationen. Diese könnte jedoch nur im Rahmen einer vom Bundeswirtschaftsminister bereits angeregten internationalen Währungskonferenz erreicht werden.
d) Eine wirksame Einfuhrförderung zusammen mit direkten Preissenkungseffekten läßt Zollsenkungen nützlich und notwendig erscheinen. Die Bundesregierung legt folgende Maßnahmen als ein Mindestprogramm vor; sie hat die zu deren Verwirklichung erforderlichen Schritte bereits in die Wege geleitet: Die Geltungsdauer der sogenannten „individuellen" Zollsenkung — 19. bzw. 54. Verordnung — wird bis auf weiteres, die der beiden bisherigen konjunkturpolitischen Zollsenkungen —48. und 51. Verordnung — bis Ende 1957 verlängert.
e) Für den Bereich der gewerblichen Wirtschaft wird mit Wirkung vom 1. Juli 1956 eine zunächst bis Ende 1957 befristete allgemeine Zollsenkung durchgeführt. Dabei werden die Zollsätze von 1 % bis 16 % des Wertes einschließlich um 20 %, die Zollsätze von 17 % bis 27 % des Wertes einschließlich um 25 % ermäßigt. Alle Zollsätze von 28 % des Wertes und darüber werden einheitlich auf 21 % gesenkt.
Um speziell auf dem Investitionsgüterbereich zusätzliche Beruhigungseffekte zu erzielen und um zugleich über das technische Leistungsvermögen der einschlägigen deutschen Industriezweige hinaus eine stärkere und raschere Rationalisierung zu ermöglichen, wird für eine Reihe von Produktionsmitteln, deren Zollbelastung bis zu 5 % beträgt, der Zoll auf Null gesenkt. Auch die bei den GATT-Verhandlungen von deutscher Seite zugestandenen Zollermäßigungen werden schon ab 1. Juli 1956 in der vereinbarten Höhe durchgeführt.
Die von der „individuellen" Zollsenkung betroffenen Zollsätze unterliegen der nochmaligen Senkung durch die jetzige generelle Aktion. Die schon bisher in den beiden konjunkturpolitischen Zollsenkungsaktionen in der Regel um 50 % ermäßigten Zölle hingegen werden nicht erneut ermäßigt. Ausgenommen von der Ermäßigung sind zunächst auch noch die Zollsätze der auf Grund des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl mit bezeichneten Erzeugnisse der eisenschaffenden Industrie (Tarifnummern 7301 bis 7316). Jedoch sollen auch diese Zölle gesenkt werden, sobald die von der Bundesregierung angeregten Verhandlungen in Luxemburg ein positives Ergebnis zeitigen.
f) Auf dem Gebiet der Finanzzölle soll nach Vorschlag der Bundesregierung der Heizölzoll völlig beseitigt werden.
g) Bundesregierung und Bundestag haben für die Agrarwirtschaft Marktordnungsgesetze beschlossen, durch die besondere Prinzipien der landwirtschaftlichen Preisbildung zur Anwendung kommen. Aus diesem Grunde erschien es nicht möglich und auch nicht sinnvoll, alle landwirtschaftlichen Produkte generell in die Zollsenkung einzubeziehen. So mußte auf diesem Gebiete die Zollsenkung auf gewisse außerhalb des Marktordnungsprinzips liegende Waren beschränkt werden.
h) Die Markt- und Einfuhrpolitik der Bundesregierung wird indessen mit Ernst und Nachdruck darauf gerichtet sein, durch die rechtzeitige Vornahme ausreichender Importe einen Preisanstieg für Nahrungsmittel im Inland zu verhindern.
i) Um die finanziellen Einfuhrmöglichkeiten zu verbessern, hält die Bundesregierung eine Erweiterung der steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten bei der Bevorratung mit Importgütern für notwendig. Die Bundesregierung hat des weiteren beim Zentralbankrat eine Prüfung angeregt, ob und inwieweit die Finanzierung der Einfuhr durch kreditpolitische Maßnahmen verbilligt werden kann.
k) Die Liberalisierung der Einfuhr wird fortgesetzt. Auch Einfuhren aus dem Dollarraum werden künftig zu 93 % statt bisher 68 % von mengenmäßigen Beschränkungen befreit. Produktionsmittel sind im wesentlichen liberalisiert.
1) Das Einfuhrverfahren wird dadurch erleichtert werden, daß vor allem der Kreis der Importberechtigten im normalen Einfuhrverfahren ausgeweitet wird.
3. Die Politik der Bundesregierung auf dem Gebiete der Ausfuhr und des Kapitalimports.
a) In voller Würdigung der grundlegenden Bedeutung der Ausfuhr für unsere Volkswirtschaft und im Interesse eines freien Welthandels und der internationalen Arbeitsteilung ist die Bundesregierung bestrebt, die Außenhandelsverflechtungen der Bundesrepublik weiter zu verstärken. Deshalb kann die Bundesregierung auch in der gegenwärtigen Konjunkturlage bei der Beurteilung der Außenhandels- und Exportsituation nicht nur konjunkturpolitische Gesichtspunkte zur Geltung kommen lassen, sondern sie muß auch längerfristige Erwägungen berücksichtigen, so im besonderen die Erhaltung unserer Absatzmärkte und unsere Beteiligung am Aufbau der Entwicklungsländer. Diese Erwägungen aber verbieten jede administrative Behinderung des Exports. Eine zusätzliche Exportförderung über den gegenwärtigen Stand hinaus ist allerdings in der augenblicklichen Konjunkturlage ebenfalls nicht vertretbar. Aus den gleichen Gründen muß die Bundesregierung in Zukunft etwaige Kreditwünsche des Auslandes stärker als bisher auf den Kapitalmarkt verweisen. In der Gewährung von Bürgschaften für Exportkredite erscheint eine entsprechende Zurückhaltung geboten.
b) Gegenüber der Aufnahme von Auslandskapital ist, sofern sie nicht zu Mehrimporten, sondern nur zu einer Erhöhung des Devisenbestandes der Bank deutscher Länder und damit des inländischen Geldumlaufs führt, aus konjunkturpolitischen Gründen weitere Zurückhaltung angezeigt.
4. Arbeitsmarkt- und lohnpolitische Maßnahmen.
a) Es ist offensichtlich, daß die Lohnbewegung ein eigenes konjunkturdynamisches Element werden kann, sobald sie im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt den Produktivitätszuwachs übersteigt. Sowohl aus kostenwirtschaftlichen Gründen wie auch als Folge der Nachfrageübersteigerung muß in diesem Fall eine Erhöhung des Preisniveaus Platz greifen. Das wieder hätte zwangsläufig zur Folge, daß außerordentlich harte und die Konjunktur drosselnde Maßnahmen erforderlich würden. Je mehr also die Sozialpartner — und ich hoffe, hier erkennen sie die Empfehlung an — in ihrem Verhalten Rücksicht auf die konjunkturpolitische Situation nehmen, um so weniger einschneidend werden die preisstabilisierenden Maßnahmen sein müssen, und um so weniger werden wir Gefahr laufen, die Vollbeschäftigung, deren Aufrechterhaltung das gemeinsame Anliegen der Regierung und der Sozialpartner, ja des ganzen deutschen Volkes ist, wieder zu verlieren. Die Bundesregierung erwartet daher von den Sozialpartnern nicht zuletzt in deren eigenem Interesse ein konjunkturgemäßes, verantwortungsbewußtes Verhalten und eine Unterstützung ihrer Bemühungen um eine dem Wohle des ganzen Volkes dienende wirtschaftliche Stabilität.
Eine zurückhaltende Lohn- und Arbeitszeitpolitik der Sozialpartner ist also in unserer Konjunkturlage das Gebot der Stunde. Es könnten vor dem deutschen Volke in seiner Gesamtheit heute keine Maßnahmen verantwortet werden, die einen Rückgang der Produktion, d. h. des Sozialprodukts, bei gleichem oder sogar steigendem nominellen Masseneinkommen zur Folge haben müßten. Denn ein solches Verhalten der Sozialpartner würde Preissteigerungen unvermeidlich machen. Die Bundesregierung weist mit großem Ernst daraufhin, daß angesichts der entscheidenden Engpässe auf den Gebieten der menschlichen Arbeitskraft und der Energieversorgung eine Verkürzung der Arbeitszeit und im besonderen ein Absinken der Kohlenförderung ohne Beeinträchtigung des Lebensstandards unseres Volkes nicht denkbar erscheint,
sofern sich diese Maßnahmen nicht im Rahmen nachweisbarer Produktivitätssteigerungen bewegen.
Auch sollte die anzuerkennende soziale Forderung nach Erhaltung der Arbeits- und Lebenskraft des deutschen Arbeiters durch Verkürzung der Arbeitszeit nicht zu einer neuen Variante der Lohnpolitik degradiert werden.
Diese Freiheit der Sozialpartner schließt die volle Mitverantwortung für die Wahrung der Stabilität unseres Geldes und unserer Wirtschaft ein. Die Bundesregierung regt an, daß die Sozialpartner paritätisch besetzte Schlichtungsstellen einrichten, deren Spruch sie unter Ausschluß der Ablehnung
anzuerkennen bereit sind. Die Bundesregierung wird jeden Antrag auf Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrags daraufhin überprüfen, ob dessen Inhalt dem Gesamtinteresse entspricht. Sie wird einen solchen Antrag ablehnen, wenn festgestellt werden müßte, daß die in dem Tarifvertrag festgelegten Lohn- und Arbeitszeitbestimmungen die gebotene Rücksichtnahme auf die Interesen der Gesamtheit und die konjunkturelle Situation vermissen lassen.
Die Bundesregierung mißbilligt im besonderen jedes Verhalten, das, wie z. B. die Bindung der Löhne an die Lebenshaltungskosten, praktisch einer Spekulation auf sinkenden Geldwert gleichkommt und das Vertrauen des Volkes in unsere feste Währung zu erschüttern geeignet ist.
Sie mißbilligt damit im gleichen Maße die mißbräuchliche Anwendung der sogenannten Preisgleitklauseln und ist entschlossen, alle gesetzlichen Maßnahmen zur Beseitigung dieses echten Mißstandes zu ergreifen. Gegebenenfalls werden dazu auch neue gesetzliche Grundlagen geschaffen werden müssen.
b) Die Bundesregierung wird ihre Bemühungen um einen Ausgleich auf dem Arbeitsmarkt verstärken, um die Hemmnisse zu beseitigen, die aus der Erschöpfung des Arbeitsmarktes einer gesunden wirtschaftlichen Fortenwicklung entgegenstehen. Sie wird verstärkte Anstrengungen unternehmen, ausländische Arbeiter zur Arbeit in der Bundesrepublik zu veranlassen. Die Hereinnahme fremder Arbeitskräfte wird ein Lohndumping nicht zur Folge haben.
c) Bei der parlamentarischen Beratung der dem Hohen Hause zugegangenen Gesetzentwürfe zu einer Reform der Rentenversicherungen wird die Bundesregierung Vorschläge zur Begünstigung solcher Arbeitnehmer zur Erörterung stellen, die bereit sind, über die Altersgrenze hinaus beruflich tätig zu sein. Bei den Beamten könnte eine weitere berufliche Tätigkeit über die Altersgrenze hinaus durch Erhöhung des Pensionsalters auf 68 Jahre erreicht werden, soweit nicht die Behörde oder der Beamte selbst die vorherige Pensionierung wünschen.
5. Haushaltspolitik.
Von entscheidender Bedeutung für alle Bestrebungen zur Konjunkturstabilisierung ist die künftige Gestaltung der öffentlichen Haushalte, insbesondere des Bundeshaushalts in seiner kassenmäßigen Ausgaben- und Einnahmenentwicklung. Die Entstehung eines Kassendefizits muß unbedingt verhindert werden, weil ein solches Defizit die Gefahr eines neuen expansiven Effekts heraufbeschwören würde, der dann wieder nur mit weiteren und noch schärferen Maßnahmen begegnet werden könnte. Der Vollzug des hier vorgeschlagenen Konjunkturprogramms entbindet die politisch verantwortlichen Organe nicht von der schweren Aufgabe, das Gleichgewicht des Bundeshaushalts herzustellen und mit allen Mitteln zu sichern.
Dieses hiermit vorgelegte Konjunkturprogramm ist bei voller Durchführung zusammen mit den Maßnahmen des Zentralbankrats nach Auffassung der Bundesregierung geeignet, das Verhältnis
I zwischen Gesamtnachfrage und Gesamtangebot in unserer Volkswirtschaft zu verbessern und damit den Preisauftrieb abzudämmen, ohne daß die güterwirtschaftliche Expansion und das Wachstum der Realeinkommen und des Lebensstandards behindert und die Vollbeschäftigung gefährdet werden müßten. Dieses Konjunkturprogramm erhebt nicht den Anspruch, mit äußersten Mitteln gegen die Hochkonjunktur angehen zu wollen. Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, auf diesem Gebiet gleichsam zur Bestätigung ihrer selbst eine Politik der Härte zu demonstrieren. Die vorgeschlagenen konjunkturpolitischen Maßnahmen dürften der realen konjunkturellen Situation gerade entsprechen. Die Bundesregierung wird aber weiterhin die wirtschaftliche Entwicklung auch kurzfristig sorgfältig beobachten, um ihre konjunkturpolitischen Maßnahmen jedweden Wandlungen und Entwicklungen rasch und beweglich anpassen zu können. Je vollständiger indessen dieses Programm Erfüllung findet und je rascher die gewünschten Ziele erreicht werden, desto eher wird der Zentralbankrat die Kreditpolitik wieder lockern können. Damit würden auch jene negativen Wirkungen wieder beseitigt werden können, die, wie befürchtet, von der restriktiven Kreditpolitik auf einzelne weniger rentable, übermäßig verschuldete oder auf hohe Kredite angewiesene Bereiche unserer Volkswirtschaft ausgehen.
Die Bundesregierung möchte aber die Feststellung treffen, daß diese negativen Auswirkungen auf einzelne Bereiche auch nicht überschätzt werden dürfen. Gegen eine besondere Benachteiligung der mittleren und kleineren Unternehmungen z. B. spricht einmal die Struktur unseres Bankensystems mit seinen großen und leistungsfähigen Bereichen der Sparkassen, Kreditgenossenschaften, Privatbankiers und kleineren Banken, die sich prinzipiell von jeher vornehmlich dem Kredit an den Klein- und Mittelbetrieb gewidmet haben; sie werden das ihrer Struktur und Aufgabenstellung nach auch in Zukunft tun. Weiter sind gerade diese mit den Mittel- und Kleinbetrieben kooperierenden Kreditinstitute nicht diejenigen, die besonders im Wechselrediskont engagiert sind. Das sind vielmehr gerade die größeren Bankinstitute, die vor allem als Hausbanken von Großbetrieben fungieren. Ferner wirkt die bremsende Kreditpolitik infolge der heute bestehenden engeren Verflechtung zwischen Geldmarkt und Wertpapiermarkt verhältnismäßig stark auf die Kapitalmarktlage ein und führt dort zu einer Angebotsenge, die vor allem die Großbetriebe zu spüren bekommen. Mittel- und Kleinbetriebe hingegen pflegen die Finanzierung für ihre Investitionen kaum am Wertpapiermarkt zu suchen. Schließlich muß noch bedacht werden, daß die Mittel- und Kleinbetriebe in ihrer Marktposition meist viel näher am Letztverbrauchermarkt liegen als die Großbetriebe. Die Kreditpolitik berührt aber die Verbrauchernachfrage doch nur sehr mittelbar und an letzter Stelle. Trotzdem könnte natürlich bei jenen Mittel- und Kleinbetrieben, die sich bei größeren Banken kurzfristig und relativ hoch verschuldeten, eine Benachteiligung gegenüber großen Kreditnehmern hie und da wohl eintreten, wenn diese Banken die Mittel- und Kleinbetriebe in der Tat schlechter behandelten. Die Bank deutscher Länder wirkt aber bei ihren Gesprächen mit den Banken ständig in der Richtung, daß solche Benachteiligungen unterlassen werden, und auch die Bundesregierung wird sich weiterhin in diesem Sinne einsetzen.
Was die Auswirkungen der Kreditverteuerung betrifft, so richtet sich die Fähigkeit, höhere Zinsen zu bezahlen, nach der Rentabilität eines Unternehmens. Die Rentabilität aber, d. h. das Verhältnis zwischen Reinertrag und im Betrieb eingesetztem Kapital, steigt keineswegs parallel mit der Betriebsgröße. Die Verhältnisse sind bei Kleinen und Großen, wie so oft, auch in dieser Hinsicht sehr differenziert.
Im übrigen setzt die Bundesregierung ihre schon eingeleiteten Bemühungen fort, in der strukturellen Frage der Kreditsicherheiten für die mittelständische Wirtschaft eine Verbesserung zu erreichen. Ebenso wird sie ihre Sonderhilfen für andere strukturell schwächere Bereiche und Personenkreise, wie z. B. der Vertriebenenwirtschaft, nicht etwa einschränken, sondern voll aufrechterhalten und so ausgleichend für den Fall wirken, daß die Kreditpolitik hier besonders drückend empfunden werden sollte. Sobald sich etwa Schäden in einem gesamtwirtschaftlich gefährlichen Umfang anbahnen sollten, wird die Bundesregierung der Konjunkturlage angemessene und im Bereich ihrer Möglichkeiten liegende Hilfsmaßnahmen vorschlagen.
Es ist keinesfalls zu erwarten, daß die Konjunkturpolitik der Bundesregierung und des Zentralbankrats die deutsche Landwirtschaft in ihrer Rentabilität und Bewegungsfreiheit stärker einschränkt, als das für andere Bereiche unserer Volkswirtschaft gilt. Schließlich bedeuten die Maßnahmen auf Grund des „Grünen Berichts" nach wie vor eine zusätzliche erhebliche Förderung. Gerade dadurch, daß die Konjunkturmaßnahmen besonders auch die Preisgestaltung der Betriebsmittel sowie der von der Landwirtschaft gekauften gewerblichen Konsumgüter günstig zu beeinflussen geeignet sind und die gesamte Lohnsituation tendenziell entspannen sollen, überwiegen auch für die Landwirtschaft die Vorteile des Konjunkturprogramms. Im übrigen muß auch die bäuerliche Bevölkerung das größte Interesse an der Stabilität unserer Währung haben.
Ich komme zum Schluß:
Die Konjunkturpolitik der Bundesregierung wird nach den grundlegenden Richtlinien des Bundeskanzlers von der Bundesregierung in den zuständigen Ressorts konzipiert, die eng miteinander und auch mit der Bank deutscher Länder in Verbindung stehen. Die weitere Koordinierung erfolgt im Kabinettsausschuß, dem sogenannten Wirtschaftskabinett, und im Kabinett selbst. Der Präsident des Zentralbankrats nimmt in der Regel an den Sitzungen des Kabinettsausschusses teil.
Die Aufgabe, die gegenwärtigen Konjunkturübersteigerungen zu meistern, erschöpft sich indessen nicht in der Koordinierung innerhalb der Regierung bzw. zwischen der Regierung und dem Zentralbankrat. Hier ist vielmehr die Frage des Ausgleichs der Wünsche und Forderungen aller Gruppen unseres Volkes mit dessen Gesamtinteresse angesprochen. Es handelt sich dabei nicht zuletzt um eine Frage des Verhaltens der einzelnen wirtschaftenden Menschen, gleich, ob sie als Unternehmer, als Landwirte, Handwerker, Händler oder als Arbeitnehmer im Produktions- und Verteilungsprozeß unserer Volkswirtschaft
stehen. Die Wirtschaft wird nun einmal von Menschen getragen. Wenn diese Menschen aber unter dem Eindruck der guten Geschäftslage, der allseitigen Chancen, der Vollbeschäftigung und der Expansion in ihren Dispositionen, gleich, ob es sich um Investitionen, Preis- oder Lohnforderungen handelt, das Gefühl und das Wissen um die Maße verlieren, wenn sie sich nicht mehr an die volkswirtschaftlich gesetzten Grenzen halten wollen, dann allerdings obliegt der Regierung die Verantwortung, den ruhigen Ablauf der wirtschaftlichen Entwicklung konjunkturpolitisch abzusichern, insbesondere auch im Interesse jener Teile der Bevölkerung, die — wie die Rentner — von einem Sinken des Geldwertes am härtesten betroffen würden.
Gewiß ließe sich auch eine konjunkturpolitisch entartete Wirtschaft mit unkontrollierten Preisbewegungen durch den Einsatz massiver Mittel wieder bändigen; aber ein solches „zu spät" bedeutet dann, daß die Konjunktur selbst zerschlagen und die Vollbeschäftigung abgebaut werden muß.
Handeln wir also rechtzeitig und einsichtig, und erkenne jeder seine Verantwortung! Insbesondere aber sind die Sozialpartner, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, aufgerufen, sich in ihrer Lohn- und Preispolitik der volkswirtschaftlichen Gefahren und der Konsequenzen einer Mißachtung der Maße — d. h. also der „Maß-Losigkeit" — bewußt zu sein.
Das gleiche gilt in bezug auf die Forderungen, die wieder andere Gruppen an den Staat stellen. Wenn wir alle, die wir die Erhaltung der realen Kaufkraft unseres Geldes als oberstes Gebot einer aufstrebenden wirtschaftlichen Entwicklung gesetzt wissen wollen, den Mut und das Verantwortungsbewußtsein bezeugen, auch subjektiv berechtigte Interessen einmal zurückzustellen und an das Ganze zu denken, d. h. dem Gesamtwohl den Vorrang zu geben, dann wird uns die Erhaltung einer segensreichen Konjunktur und Vollbeschäftigung und unserer wertbeständigen Deutschen Mark mit Sicherheit gelingen.
Meine Damen und Herren! Ich schlage Ihnen vor, vor Eintritt in die Besprechung der Regierungserklärung die beiden Großen Anfragen zu behandeln und die große allgemeine Konjunkturaussprache nach der Beantwortung dieser Anfragen durch die Regierung zu beginnen. Ist das Haus damit einverstanden? — Dann rufe ich auf Punkt 2 a) der Tagesordnung:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Konjunkturpolitik .
Das Wort zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD erteile ich dem Abgeordneten Dr. Deist.
Dr. Deist , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich glaube, nach der Regierungserklärung kann kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß es sich hierbei um die Antwort auf die Fragen 1 und 6 unserer Großen Anfrage handelte. Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, dann konnte der Herr Bundeswirtschaftsminister die Bestätigung aus dem freundlichen Beifall entnehmen, den er erhielt, als er feststellte, daß das Zusammentreffen von Regierungserklärung und Großer Anfrage nicht auf einem Zufall beruhe. Nicht nur bei uns, sondern weit darüber hinaus in Deutschland ist man doch wohl allgemein überzeugt, daß wir diese Regierungserklärung, man mag sie beurteilen, wie man will, heute nicht bekommen hätten, wenn die Regierung nicht durch die Große Anfrage der Opposition zum Reden gezwungen worden wäre.
Wir werden uns jedoch das Vorgehen, das wir in dieser Konjunkturdebatte einnehmen, nicht durch die Methoden der Behandlung der konjunkturpolitischen Lage hier im Bundestag vorschreiben lassen. Ich werde mich jetzt auf die Begründung der Großen Anfrage beschränken und behalte mir vor, zur Erklärung der Bundesregierung Stellung zu nehmen, wenn sie die Antwort auf die von uns gestellten Fragen erteilt hat.
Damit komme ich zur Frage 1 unserer Großen Anfrage. Wir haben in dieser Frage 1 das Augenmerk der Bundesregierung und der Öffentlichkeit auf die Preisentwicklung gelenkt. Ich sehe mich leider genötigt, ungeachtet der Regierungserklärung auf dieses Problem besondere Aufmerksamkeit zu verwenden, weil wir der Auffassung sind, daß die Regierungserklärung die Entwicklung der Preise in einem Maße bagatellisiert hat, das der Sache nicht angemessen ist.
Seit zwei Jahren haben wir in Deutschland eine stetige allmähliche Steigerung des Preisniveaus. Die Indizes der Lebenshaltungskosten sind in den beiden letzten Jahren um 5 % gestiegen, die Erzeugerpreise der industriellen Produktion um 4 %, die Baukosten um 12 % und die Erzeugerpreise der landwirtschaftlichen Produktion um 14 %;
und das, obwohl vom Weltmarkt aus nicht etwa steigernde Tendenzen auf die Preisentwicklung gewirkt haben, sondern gegenläufige, senkende Tendenzen vom Weltmarkt ausgegangen sind.
Wenn der Lebenshaltungsindex im Laufe von zwei Jahren um 5 % steigt, dann heißt das: im Laufe der letzten zwei Jahre regelmäßig pro Jahr um 2 bis 3 %. Aber was viel entscheidender ist: in den Monaten März, April und Mai dieses Jahres lag der Lebenshaltungskosten-Index bereits um 3,5 bis 4 % über dem Stande des Vorjahres.
Das heißt, wir haben nicht nur eine gleichmäßige Steigerung der Lebenshaltungskosten, sondern eine sich allmählich beschleunigende Entwicklung; und darin scheint mir ein besonders ernstes Moment zu liegen. Diese Preisentwicklung ist das Ergebnis einer natürlichen beziehungsweise künstlichen Angebotsverknappung, wie sie insbesondere durch die Marktordnungspolitik auf landwirtschaftlichem Gebiet verursacht wurde.
Es ist sicher richtig, daß ein Teil der Preiserhöhung für landwirtschaftliche Erzeugnisse auf die schwere Frostperiode insbesondere des Monats Februar zu-
rückzuführen ist. Aber es scheint mir doch sehr bemerkenswert zu sein, daß der Rückgang der Nahrungsmittelpreise im April und Mai, nach Beendigung der Frostperiode, gering geblieben ist und sich auf den Lebenshaltungskosten-Index keineswegs nennenswert ausgewirkt hat; sondern gegenteilige Entwicklungen im Rahmen des Lebenshaltungskosten-Indexes haben zur Folge gehabt, daß er sich auf diesem um 31/2 bis 4 % erhöhten Niveau gehalten hat. Wir haben also nicht etwa nach der Beendigung der Frostperiode ein Wiederabsinken der Lebenshaltungskosten auf das frühere Niveau, sondern wir haben weiter eine steigende Preistendenz. Man sollte diese Dinge nicht bagatellisieren. Hier zeigt sich eine langsame schleichende Entwertung der Kaufkraft der Mark, die ernsteste Besorgnis hervorruft.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in seiner Regierungserklärung an einer Stelle geglaubt, die Politik der Bundesregierung damit rechtfertigen zu können, daß wir den Preisstand des Jahres 1951 gehalten haben. Ich weiß nicht, ob dem Herrn Bundeswirtschaftsminister ganz entgangen ist, daß das das Preisniveau der Überhitzung nach der Koreakrise gewesen ist und daß er etwa ein oder zwei Minuten später davon sprach, daß die Lebenshaltungskosten sich gegenüber dem Stande von 1950 immerhin um 13 % erhöht haben.
So kann man doch die Entwicklung der Lebenshaltungskosten und die darin liegende Tendenz zur Aufweichung der Kaufkraft nicht bagatellisieren!
Es ist doch auch weiß Gott kein Entschuldigungsgrund für die Bundesregierung, wenn sie sagen kann: Wir haben nur eine solch langsame inflationäre Entwicklung von 13 °/o, andere Länder Europas haben eine solche von 60 °/o gehabt! Was ist denn das für eine Entschuldigung für eine schlechte Wirtschaftspolitik, daß sie sagt: Sie ist aber nicht so schlecht gewesen wie in anderen Ländern, wo wir eine viel stärkere Preissteigerung haben.
Ich meine das ganz so ernst, wie ich das hier ausgesprochen habe. Wir werden im Laufe der Debatte auf diese Frage und auf frühere Äußerungen der Bundesregierung zu demselben Problem noch zurückkommen müssen.
Ich muß im Zusammenhang mit der Frage der Steigerung der Lebenshaltungskosten auf eine Äußerung zurückkommen, die der Herr Bundeskanzler in der letzten Zeit gemacht hat. Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, die Verbraucher sollten sich gegen überhöhte Preise wehren, vor allem solle die Hausfrau wieder lernen, mit dem Pfennig zu rechnen und keine Überpreise zahlen.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe vermerkt, daß aus dem Hause dazu „Sehr richtig!" gerufen wurde. Darf ich einmal fragen, auf welche Preissteigerungen die Steigerung der Lebenshaltungskosten im wesentlichen zurückzuführen ist? Ich will Sie Ihnen aufzählen. Es war die Milchpreiserhöhung, die durch staatliche Maßnahmen herbeigeführt wurde; es war die Kartoffelpreiserhöhung, die durch staatliche Marktordnungsmaßnahmen herbeigeführt wurde.
— Aber ich bitte Sie, meine Damen und Herren, alle diese Dinge sind doch weitgehend genug in der Öffentlichkeit behandelt worden.
Es ist die Fleischpreiserhöhung, die ebenfalls mit der Marktordnungspolitik der Bundesregierung zusammenhängt. Und ich nehme an, daß Sie nach den Äußerungen des Herrn Bundesernährungsministers zu diesem Problem nicht mehr protestieren werden.
Es war weiter die Butterpreiserhöhung, die
ebenfalls auf das Versagen der Marktordnungspolitik der Bundesregierung zurückzuführen ist,
und es war die Mietpreiserhöhung, die eine Maßnahme staatlicher Preisbildungspolitik ist.
Es war ferner die Hausbrandkohlenpreiserhöhung, die auch ein Ergebnis der Kohlepreispolitik der Bundesregierung ist.
Warum sage ich das? Glauben Sie denn wirklich, daß Ihnen in der Öffentlichkeit einer das Argument abnimmt, die Hausfrau soll mit dem Pfennig rechnen und sich auf Gebiete begeben, wo die Preise niedriger sind, wenn die Preiserhöhungen ein Ergebnis der Tätigkeit der Bundesregierung sind?
Sie können doch schließlich nicht verlangen, daß eine Mutter ihrem Säugling statt Milch vielleicht Mineralwasser gibt, weil das billiger ist.
— Meine Damen und Herren, auf den meisten dieser Gebiete, die ich nannte, gibt es für die Hausfrau praktisch keine Möglichkeit des Ausweichens auf andere Produkte.
Wenn Sie sich einmal die Entwicklung der Lebenshaltungskosten im einzelnen ansehen, werden Sie feststellen, daß die Preissteigerungstendenz gerade auf diesen „starren Verbrauch" zurückzuführen ist, nämlich den Verbrauch an Lebensmitteln, bei denen es keine Ausweichmöglichkeiten gibt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Der Abgeordnete Bock möchte Sie etwas fragen.
Bitte sehr!
Ist dem Herrn Redner nicht bekannt, daß Mineralwasser teurer als Milch ist?
Herr Kollege, ich habe sogar gelesen, daß Leitungswasser wesentlich billiger ist als Milch. Aber es kam mir auf den Vergleich an, daß es für den größten Teil dieser Produkte, bei denen die Preiserhöhung auf Maßnahmen der Bundesregierung zurückzuführen ist, keine Ausweichmöglichkeiten gibt.
Ungeachtet eines einzelnen Beispiels, das vielleicht bestritten werden kann — ich bin sehr loyal in der Diskussion —, ist doch der Tatbestand der, daß diese Preiserhöhung zu einem wesentlichen Teil auf die Politik der Bundesregierung zurückzuführen ist, daß im übrigen die Hausfrau auf vielen Gebieten einem Preisdiktat mächtiger Industriegruppen und Unternehmungsgruppen gegenübersteht, daß es für sie praktisch keine Ausweichmöglichkeit gibt und daß darum der Hinweis, die Hausfrau solle mit dem Pfennig rechnen und sie solle sich auf andere Produkte ausrichten, eine Verhöhnung der Hausfrau ist.
— Herr Kollege, ich spreche von den Gebieten, wo die Hausfrau nicht ausweichen kann. Das sind die entscheidenden, und das sind die Gebiete, die ich soeben genannt habe und die die Lebenshaltungskosten besonders beeinflussen. Um diese Feststellung ging es mir.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in seinen Ausführungen wiederum den Appell an die verschiedenen Kreise der Bevölkerung zur Mäßigung gerichtet und hat gemeint, auf etwas skeptische Zwischenrufe sagen zu müssen, er glaube an die Möglichkeit, durch Appelle Einfluß auf die Bevölkerung zu nehmen. Ich weiß nicht, ob er diese Erfahrung auf dem Preisgebiet gemacht hat; ich weiß nicht, ob er diese Erfahrung insbesondere in den Unterhaltungen — wenn ich mich einmal vorsichtig ausdrücken soll —, die er z. B. mit dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie hatte, gemacht hat. Ich möchte diese Methode des Appells an die Öffentlichkeit, die Methode dieser psychologischen Kriegführung nur an einem Beispiel klarmachen.
Meine Damen und Herren, Sie entsinnen sich vielleicht, daß bei der Eröffnung der Werkzeugmaschinenausstellung im September 1955 der Herr Bundeswirtschaftsminister geäußert hat, er werde alle so lange zu Preissenkungen und zum Mitmachen auffordern, bis sich jeder schäme, das nicht mitzumachen. Das war der psychologische Appell an die Bevölkerung. An anderer Stelle, wo es verhältnismäßig ungefährlich ist, pflegt der Herr Bundeswirtschaftsminister kräftigere Worte zu sagen. So hat er z. B. auf der Diözesantagung des Familienbundes deutscher Katholiken am 12. Februar 1956 in Bamberg sehr kräftig erklärt, er werde die Mittel der Wirtschaftspolitik rücksichtslos einsetzen, um Preissteigerungen zu verhindern, zu denen im Augenblick nicht der geringste Grund vorliege. Ein Wirtschaftsminister dürfe niemals seine Politik unter die Devise: „Mitglieder aller Gruppen — bereichert euch!" stellen. Der Interessentenklüngel müsse deshalb auf das schärfste bekämpft werden.
— Einen Augenblick, meine Damen und Herren, ich bin ja noch nicht am Ende. Dies erklärte der Herr Bundeswirtschaftsminister auf der Diözesantagung, wo solche Äußerungen auf entsprechenden Beifall rechnen können und wesentlicher Widerspruch nicht zu erwarten ist.
Aber wie sieht das aus, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister vor den Repräsentanten dieser Interessentengruppen selber steht? Ich will Ihnen noch ein Beispiel nennen. Vor der Mitgliederversammlung der Eisen- und Stahlindustrie am 24. Mai 1955 hat der Herr Bundeswirtschaftsminister sich mit der Preiserhöhung für Eisen und Stahl befaßt. Wir entsinnen uns, daß er sich vorher über amtliche und halbamtliche Veröffentlichungen sehr stark gegen eine Erhöhung der Eisenpreise ausgesprochen hatte. Dieser heftige Kampf gegen die Interessentengruppen und gegen eine Erhöhung der Eisenpreise sah dann nachher, vor dieser Mitgliederversammlung folgendermaßen aus. Dort sagte nämlich Herr Professor Erhard:
Ich bin auch rein juristisch formal in der Situation, nach der es mir nicht zusteht, Ihnen eine Preisempfehlung nach oben oder nach unten mit zwingender Gewalt zu geben. Es ist an sich schon merkwürdig, wenn wir uns über einen Eisenpreis unterhalten, der natürlich angesichts der breiten Lagerung und der Übereinstimmung in allen Betrieben ja nur verständlich und nur durchsetzbar ist eben mittels eines ausgesprochenen oder unausgesprochenen Kartells. Haben Sie keine Sorge, ich bekomme darüber keine Krämpfe, sondern ich betrachte das als eine gewachsene Erscheinung.
Ich weiß wohl, daß bei Eisen und Stahl differenzierte Preise in einem Markt auf die Dauer gar nicht denkbar sind. Ich bin aber vernünftig und lebensnahe genug, um das einzusehen. Aber Sie müssen auch einsehen, daß ich als Wirtschaftsminister nicht das Kartell von vornherein anerkennen kann und sage: Das ist der Kartellpreis, den ich euch sozusagen zubillige. Das Beste oder das einzige, das wir schließlich in weiteren Gesprächen erreichen können, ist, daß Sie den Eindruck haben: Der Wirtschaftsminister verhält sich unserem Wunsch, unserem Anliegen und einer entsprechenden Bitte gegenüber etwas mehr oder weniger wohlwollend und ablehnend. Ich werde Ihnen aber nicht schriftlich attestieren, in keinem Falle, daß ich mit dieser oder jener Eisenpreisregelung einverstanden bin oder Ihnen sogar empfohlen habe. Ich habe, wie gesagt, nicht einmal zu genehmigen.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, so sieht der Kampf des Herrn Bundeswirtschaftsministers um Stabilisierung der Preise aus, wenn er vor den Interessentengruppen der großen Wirtschaftszweige spricht.
Der Effekt dieses Auftretens war folgender. Die Mitgliederversammlung fand am 24. Mai statt, und am 26. Mai, zwei Tage danach, veröffentlichte die Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie eine Pressenotiz, die besagte:
Am 26. Mai haben erneut Besprechungen
zwischen der eisenschaffenden und eisenverarbeitenden Industrie über die Lage auf dem
Eisen- und Stahlmarkt stattgefunden. Die Gespräche werden fortgesetzt. Es ist damit zu rechnen, daß sich wegen der bekannten Kostenlage gewisse Preiskorrekturen für Walzstahl nicht vermeiden lassen.
Und zum 1. Juni 1956, nach wenigen Tagen, wurde diese Preiserhöhung verkündet.
Das ist keine mannhafte Preispolitik der Bundesregierung, wenn sie große, kräftige Reden dort hält, wo es ungefährlich ist, und dort, wo es auf Taten ankommt, in der Weise reagiert, wie ich das soeben geschildert habe.
— Ich bin gern bereit, auf diese Frage zu antworten, und gebe sie daher loyalerweise wieder. Herr Kollege Even — —
— Herr Kollege Albers — ich glaube, das wird nicht als ein schwerwiegender Fehler angekreidet —
hat soeben gefragt, wie sich denn ein Arbeitnehmervertreter in einem Aufsichtsrat der eisenschaffenden Industrie verhalte, wenn der Vorstand Neigung habe, in einer solchen Situation Preiserhöhungen zu beantragen.
— Ich nahm an, daß Sie auf mich als den Vertreter der Arbeitnehmerschaft in einem Aufsichtsrat abzielen.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie unterbrechen. Es ist im allgemeinen nicht üblich, persönliche Fragen zu stellen.
Aber ich bitte, Herr Präsident, doch auf die Frage antworten zu dürfen.
Es könnten sehr merkwürdige Fragen an die Mitglieder des Hauses gestellt werden.
Meine Damen und Herren, ich kann diese Frage eindeutig beantworten. Der Mann müßte sich und hat sich in dem Aufsichtsrat genau so verhalten, wie er das hier tut.
Wenn Sie, Herr Kollege Albers, die Presse verfolgt hätten, hätten Sie das in den letzten Tagen sogar schwarz auf weiß lesen können.
Sie werden verstehen, daß wir zur Frage 1 ungeachtet der Erklärung der Bundesregierung, die hierzu völlig ungenügend war, wenigstens in der Antwort der Bundesregierung deutlich hören wollen, welche effektiven Maßnahmen die Bundesregierung insbesondere auf dem Gebiete der staatlich beeinflußten Preise ergreifen wird, um weitere Preissteigerungen zu verhindern.
Ich komme damit zu der Frage 2. Ich weiß, daß diese Frage erhebliche Unruhe verursacht hat. Es handelt sich nämlich um das Problem, daß die Bundesregierung ganz offensichtlich in ihren wirtschafts-, sozial- und finanzpolitischen Entscheidungen allzu stark unter dem einseitigen Einfluß mächtiger Interessengruppen der Industrie und der Landwirtschaft steht. Ich muß dazu einige Erläuterungen geben. Der Herr Bundeswirtschaftsminister, der Herr Bundesfinanzminister und der Präsident des Direktoriums der Länderbank einigten sich am 7. Mai auf einschneidende Maßnahmen zur Bekämpfung der konjunkturellen Entwicklung, und es war sehr deutlich, daß eine dieser Maßnahmen eine lineare, sehr stark wirkende allgemeine Zollsenkung sein sollte. Da von der Bundesregierung keine Maßnahmen erfolgten — auf die merkwürdige Betrachtungsweise in der Erklärung der Bundesregierung werde ich später eingehen —, hat die Bank deutscher Länder am 18. Mai zu dem scharfen Mittel der Diskonterhöhung gegriffen.
Danach war klar, daß es, wenn diese Bestrebungen zum Erfolg führten, eine verhältnismäßig lineare Zollsenkung geben würde, daß dagegen keine lineare Steuersenkung erfolgen würde. Bald ergab sich deutlich, daß innerhalb der Verbände der deutschen Industrie sowohl die Möglichkeit einer linearen Zollsenkung als auch die sonstigen Maßnahmen, die die Bank deutscher Länder vornahm, abgelehnt wurden; denn es drohte die Gefahr, daß möglicherweise durch die Durchführung dieser Maßnahmen die Gruppeninteressen, die auf eine starke lineare Steuersenkung drängten, nicht zum Erfolg kommen würden, sondern sich die allgemeinen Interessen an einer Preissenkung durchsetzen könnten.
Um den Kampf gegen eine solche Politik des Konjunkturrats zu stützen, veranstaltete der Bundesverband der Deutschen Industrie am 23. Mai eine Mitgliedertagung in Köln. Auf dieser Mitgliedertagung stellte der Präsident des Bundesverbandes drei Fragen heraus. Erstens wandte er sich gegen den Konjunkturrat. Nun bestand nach der zweiten Diskonterhöhung in Deutschland eigentlich allgemein die Auffassung, daß es höchste Zeit ist, daß sich Bundeswirtschaftsminister, Bundesfinanzminister und Bank deutscher Länder regelmäßig zusammensetzen, um die konjunkturpolitische Situation zu besprechen und geeignete Maßnahmen vorzuschlagen.
Wir haben uns eigentlich alle gewundert, daß aus dieser Selbstverständlichkeit eine so große Aktion gemacht, daß sie sogar im Bulletin als besonders wichtiger Akt herausgestellt wurde. Dem Bundesverband der Deutschen Industrie war das unangenehm, und der Präsident des Bundesverbandes hat sehr deutlich gesagt, weshalb; weil nämlich dieser Konjunkturrat keine Verbindung mit der Praxis habe, d. h. weil er nicht beeinflußt werden könne durch die verschiedenen Interessengruppen der deutschen Wirtschaft.
Und er hat mit Freude und mit Zustimmung des Bundeskanzlers auf dieser Tagung vermerkt, daß sich der Herr Bundeskanzler glücklicherweise dieser Auffassung bereits angeschlossen und den Kon-
junkturrat entsprechend den Wünschen der Industrie abgelehnt habe.
Das war Punkt 1 auf dieser Tagung.
Das zweite war die Frage der Zollsenkung. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie wehrte sich gegen die Zollsenkung, die er für konjunkturpolitisch falsch erklärte, bezeichnete den Senkungssatz von 30 °/o als einen maßlosen Satz und kennzeichnete die ganze Zollsenkungsaktion als übereilt und überstürzt. Zum dritten wandte er sich gegen die Diskonterhöhung der Bank deutscher Länder.
Was geschah dann? Dann erklärte der Bundeskanzler — uneingeladen, ohne Begleitung der zuständigen Minister, die auch nicht eingeladen waren —, daß er sich hinter diese Forderungen der Industrie stelle, und er lehnte die Pläne des Bundeswirtschaftsministers, des Bundesfinanzministers und der BdL mit Wendungen ab, die man nur als unqualifizierbar bezeichnen kann.
Zur Beurteilung dieser Situation ist es vielleicht wichtig, sich klarzumachen, was dieses Programm des Bundesverbandes der Deutschen Industrie bedeutete. Der Bundesverband der Deutschen Industrie verlangte eine Erweiterung der degressiven Abschreibungen, d. h. Erhöhung der Gewinne der Unternehmungen, um höhere Investitionen vornehmen zu können — in der augenblicklichen Konjunktursituation! Er verlangte bei der augenblicklichen Außenhandelssituation eine weitere Begünstigung der Ausfuhr und er verlangte eine lineare Steuersenkung, obwohl wir allmählich alle begriffen haben sollten, daß die Kleine und Große Steuerreform der Jahre 1953 und 1955 die Tendenzen zu einer Übersteigerung der Investitionen wesentlich gefördert hatten. Auf der anderen Seite lehnte er jede konjunkturpolitisch kontraktive Maßnahme ab. Er lehnte die Kreditbeschränkung durch die BdL ab, und er lehnte die Zollsenkung ab. Meine Damen und Herren, es kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß das ein Wirtschaftsprogramm ist, das geradewegs in eine krisenhafte Entwicklung hineinführen muß.
Mit diesen Äußerungen des Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie identifizierte sich der Herr Bundeskanzler in weitgehender Weise, als er sich ganz offen auf die Seite dieses größten Interessenverbandes der deutschen Wirtschaft stellte und gegen eine Politik wandte, die letzten Endes doch den allgemeinen Interessen dienen sollte.
Nach dieser Tagung geschah etwas Merkwürdiges. Die beiden Seiten begannen, Punkte zu sammeln. Sie sammelten nämlich Punkte, welche Interessengruppe hinter wem stünde. Der Herr Bundeskanzler war dabei in der Vorhand, denn er hatte schon den Bundesverband der Deutschen Industrie hinter sich. Aber nachdem er — wohl nicht ganz freiwillig — dem Bundeswirtschaftsminister seine Sympathieerklärung geschickt hatte, gab er mit darauffolgender Postnummer eine Erklärung, ich glaube, des Groß-, Ein- und Ausfuhrhandels in die Öffentlichkeit, in der seine Stellungnahme, also die Stellungnahme gegen den Herrn Bundeswirtschaftsministers, unterstrichen und begrüßt wurde.
Was geschah auf der anderen Seite? Der Bundeswirtschaftsminister, nicht faul, ließ in der Presse folgende Notizen veröffentlichen: Es seien bei ihm inzwischen überwältigende Sympathieerklärungen der Wirtschaft eingegangen. Der Präsident der deutschen Industrie, Herr Otto A. Friedrich, und sein Kollege Dr. Könnecke hätten sich inzwischen unmittelbar an den Bundeswirtschaftsminister gewandt. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer habe sich immerhin mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister in Verbindung gesetzt, anscheinend telephonisch. Und das Vorstandsmitglied des Deutschen Industrie- und Handelstages, Herr Dr. Beyer, habe eine Reise abgebrochen, um Herrn Erhard zu besuchen. Der Herr Präsident des Sparkassenverbandes, Herr Dr. Butschkau, habe inzwischen dem Herrn Bundeswirtschaftsminister ebenfalls seine Zustimmung mitgeteilt. Da offenbar die telephonische Verbindung der ASU nicht ganz ausreichte, wurde mitgeteilt, daß am 12. Juni der Vorsitzende der ASU mit mehreren Vorstandsmitgliedern persönlich beim Herrn Bundeswirtschaftsminister gewesen sei, die die Lage besprochen und ihn ihrer vollen Unterstützung versichert hätten.
Was heißt denn das? Daß heißt doch, daß die Entscheidung um die Grundlagen der Wirtschaftspolitik davon abhängig ist, ob man von den Interessenverbänden mehr oder minder unterstützt wird. Das Parlament wird erst vier Wochen später zur Diskussion zugelassen.
Noch eine Bemerkung, weil man die Behauptung, daß die Regierung unter Einfluß von Interessenverbänden stehe, natürlich begründen muß und sie nicht einfach hinwerfen soll. Vielleicht entsinnen Sie sich, daß nach der Diskonterhöhung im August 1955 Herr Präsident Berg im Dezember eine Rede hielt, die sich gegen diese Diskonterhöhung wandte, und dabei erklärte, diese Maßnahme der Bundesnotenbank sei ein massiver Schlag gegen die gute Konjunktur. Er wurde dann von der BdL heftig zurückgewiesen und, wie wir alle wissen, durch die Tatsachen in einer eklatanten Weise widerlegt. Denn die Konjunktur ist weitergelaufen; es war kein massiver Schlag.
Nun ist es doch interessant, daß auf der Tagung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie der Bundeskanzler sechs Monate später die Formulierung wählte: Es ist der deutschen Konjunktur ein schwerer Schlag versetzt worden. Diese Übereinstimmung bis zur Formulierung, die doch irgendwie nach sechs Monaten aus dem tiefen Unterbewußtsein hervorgekommen sein muß, ist ein bemerkenswertes Zeichen für die geistige Abhängigkeit des Bundeskanzlers von jenen Kreisen, die sich um den Bundesverband der Deutschen Industrie gruppieren.
Ich komme zur Frage 3. Die Frage 3 befaßt sich mit den merkwürdigen Methoden der Zusammenarbeit in unserer Bundesregierung. Wir wissen, daß der Herr Bundeskanzler über demokratisches Verhalten Auffassungen hat, die wir von der Opposition jedenfalls nicht ganz teilen können. Wir wissen, daß der Bundeskanzler der Opposition ihre Aufgabe erschwert und teilweise unmöglich gemacht hat, obwohl jeder Anhänger demokratischer Auffassungen wissen muß, daß die Opposition ein
notwendiger Bestandteil einer demokratischen Ordnung ist und daß Demokratie nicht denkbar ist, ohne daß man auch innerlich anerkennt, daß die Opposition die potentielle Regierung von morgen ist.
Wir haben dann erfahren müssen, daß diese Haltung des Bundeskanzlers sich nicht nur auf die Opposition, sondern auch auf die Koalitionsparteien erstreckte, die gezwungen wurden, sich entweder gleichschalten oder sich zersetzen zu lassen. Aber jetzt hat der Herr Bundeskanzler diese zersetzende Sonde an sein eigenes Kabinett und an die Bank deutscher Länder angesetzt.
Das ist doch kein Zustand für eine Regierung, daß der Herr Bundeskanzler eine Zollvorlage, von der er weiß, daß sie vom Bundesminister für Wirtschaft vertreten wird, als eine verrückte Idee hinstellt, daß er dem Präsidenten des Direktoriums der Bank deutscher Länder, der sich mit der beängstigenden inflatorischen Entwicklung beschäftigt, vorwirft, er habe ein leichtfertiges Gerede angestellt, daß er die Vorschläge des Bundeswirtschaftsministers, des Bundesfinanzministers und der Bank deutscher Länder in aller Öffentlichkeit desavouiert und erklärt, er werde am nächsten Tage die beiden Minister für ihr Verhalten zur Rechenschaft ziehen.
— Also diese Formulierungskunststückchen kennen wir.
— Meine Damen und Herren, die Versuche, Korrekturen an dem wörtlichen Text der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers anzubringen, beweisen jedenfalls — ganz gleich, ob das, was ich gesagt habe, auf den Buchstaben oder das Wort mit der Erklärung übereinstimmt —, daß ich den Geist der Äußerung des Herrn Bundeskanzlers richtig wiedergegeben habe.
Offenbar damit nicht der Eindruck entsteht, daß das eine einmalige Erscheinung ist, ist in den letzten Tagen der getreueste der Paladine des Herrn Bundeskanzlers, der Herr Bundesminister von Merkatz, von dem Herrn Bundeskanzler in einer Weise behandelt worden, die selbst von dieser sehr gehorsamen Koalitionsgruppe als Brüskierung empfunden wurde. Wenn ich dann noch an die Auseinandersetzungen erinnere, die in den letzten Tagen über das Verhalten des Herrn Bundesfinanzministers Schäffer zur Frage der Stationierungskosten stattgefunden haben, dann ist, glaube ich, das Maß einigermaßen voll.
Aber es stellt sich doch die Frage nicht nur für uns als Opposition, sondern für das Funktionieren einer gesunden Demokratie, ob es wirklich zulässig ist, daß am laufenden Band Mitglieder des Kabinetts und die leitenden Männer der Bank deutscher Länder in aller Form desavouiert und bloßgestellt werden. Und es stellt sich zugleich die Frage, ob das dem Ansehen und der Achtung, die das Amt des Bundeskanzlers verlangt, angemessen ist und ob das angemessen ist der Selbstachtung und dem
Ehrgefühl von Männern, die sich immerhin als selbstverantwortliche Minister fühlen sollten.
Mich wundert dabei eins: Der Minister und der Bundeskanzler starren immer auf den Artikel 65 Satz 1 unseres Grundgesetzes, in dem steht, daß der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimme.
— „Sehr richtig!"
Ich habe nämlich zufällig richtig zitiert; da können Sie schon „sehr richtig" rufen.
Aber diese Herren beachten nicht, daß z. B. der Artikel 62 des Grundgesetzes nicht etwa lautet: „Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler, der seine Gehilfen nach Gutdünken vom Bundespräsidenten ernennen oder entlassen läßt", sondern daß diese Bestimmung heißt:
Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler u n d den Bundesministern.
Sie denken auch nicht daran, daß der Art. 65 des Grundgesetzes noch zwei weitere Bestimmungen hat. Da steht nämlich, daß im Rahmen dieser Richtlinien immerhin die Minister selbständig und unter eigener Verantwortung handeln; da steht weiter, daß der Bundeskanzler verfassungsmäßig an die Einhaltung einer Geschäftsordnung gebunden ist. In dieser Geschäftsordnung steht, daß der Bundeskanzler auch Pflichten gegenüber dem Kabinett und den Mitgliedern dieses Kabinetts hat. Ich glaube, unter diesen Umständen ist es nicht ungerechtfertigt, wenn wir fragen, welche Maßnahmen die Bundesregierung — und nicht nur der Herr Bundeskanzler - zu ergreifen gedenkt, um diese gute verfassungsmäßige Ordnung einer modernen Demokratie in Zukunft zu garantieren.
— Ich darf darauf nicht eingehen; es tut mir leid.
Zur Frage 4: Wir haben darauf aufmerksam gemacht, daß sich Bundesminister und Bundeskanzler immer wieder in der Öffentlichkeit widersprechen und völlig gegensätzliche Auffassungen verbreiten. Ich habe mir erlaubt, dazu in Berlin einige Kostproben zu geben, die Ihnen hoffentlich noch geläufig sind. Aber ich möchte doch noch einige weitere Proben zur Verfügung stellen. Zunächst zur Frage der Währungsstabilität.
Der Herr Bundeskanzler hatte offenbar übersehen, daß er Ende Januar 1955 aus dem Bunkanzleramt eine Mitteilung hat herausgehen lassen, in der es hieß:
Im Interesse der Erhaltung der Kaufkraft und damit des Vertrauens zur Stabilität der D-Mark muß jetzt etwas gegen die Versuche unternommen werden, durch eine Preiswelle die Politik der Regierung zu gefährden.
Und ganz im Sinne dieser Ausführungen hatte der Präsident der Bank deutscher Länder, Herr Vocke, im Herbst 1955 vor inflationären Entwicklungen gewarnt. Dann — immer noch im selben Trend — äußerte sich der Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard im Oktober 1955 in Berlin im Bundestag:
Die Bundesregierung wird jener gefährlichen These
— Herr Bundeswirtschaftsminister! —
begegnen, daß eine leichte fortdauernde Verdünnung der Kaufkraft — Steigerung der Lebenshaltungskosten seit 1950 um 13 % — sogar als ein wertvoller Konjunkturimpuls gelten könne.
Nachdem sich der Herr Bundeswirtschaftsminister so deutlich geäußert hatte, mußten wir dann erleben, daß bei der Einbringung des Rentenversicherungsgesetzes der Herr Bundesarbeitsminister, als er nämlich von der Erhöhung der Lebenshaltungskosten sprach, ganz im Gegenteil sagte:
Da diese Entwicklung seit Jahrzehnten empirisch festgestellt wird und auf mit der Wirtschaftsordnung eng verbundenen Faktoren beruht, ist auch für die Zukunft langfristig mit einer tendenziell ähnlichen Entwicklung zu rechnen.
Das ist doch das Bekenntnis zu einer schleichenden ständigen Erhöhung des Preisniveaus, das hier als selbstverständlich und nicht mehr gefährlich angesehen wird.
Ich will mich mit diesen Beispielen, die zeigen sollen, wie widerspruchsvoll die Bundesregierung in Fragen der Währungsstabilität in Erscheinung tritt, begnügen.
Zur Zollfrage brauche ich vielleicht nur daran zu erinnern, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister am 4. Juni erklärte:
Und wenn Sie mich schlagen: ich trage Sorge, ob eine Senkung von 30 % überhaupt genügt, um die gewünschte preis-, devisen- und handelspolitische Wirkung zu erzielen.
Wenn ich mir nun ansehe, was bei dieser Zollvorlage praktisch herausgekommen ist, dann weiß ich nicht mehr, was von den Erklärungen von Mitgliedern der Bundesregierung in der Öffentlichkeit zu halten ist.
Ich will mich auf diese Proben beschränken. Ich könnte den Streit zwischen dem Bundesaußenminister und dem Bundeswirtschaftsminister über die Fragen der Handelspolitik, der auch munter in der Öffentlichkeit ausgetragen wird, erwähnen; ich könnte den neuen Streit von Außenminister und Bundeskanzler mit Herrn Schäffer anführen, der ebenfalls munter in der Öffentlichkeit breitgewalzt wird.
Herr Abgeordneter Dresbach, wollen Sie nicht an das Mikrophon gehen? Man könnte Sie dann besser hören.
Ich habe den Zwischenruf des Herrn Dr. Dresbach auch ohne Mikrophon verstanden. Er fragte, ob wir nicht auch für Publizität seien.
Herr Dr. Dresbach, Publizität ist eine ausgezeichnete Sache.
— Na, lassen Sie mich doch mal ein bißchen weiterreden. — Wir wünschen, daß die Bundesregierung dort, wo es angemessen ist, ihrer Pflicht zur Publizität mehr nachkommt, als sie das üblicherweise tut.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Heute spreche ich für meinen Etat, morgen spreche ich für das Bundeskabinett. Ist denn das bei uns in Deutschland ein Unterschied?
Damit komme ich zum Punkt 5 der Tagesordnung, Verzeihung, zum Punkt 5 der Großen Anfrage — —
Leider nicht der Tagesordnung!
Meine Damen und Herren, ich komme zu Punkt 5 der Großen Anfrage der Sozialdemokratie. Auch wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister das heute in seiner Regierungserklärung anders darzustellen versucht hat, so kann doch kein Zweifel darüber sein, daß die Bank deutscher Länder zu ihren harten kreditpolitischen Maßnahmen greifen mußte, weil die Bundesregierung nicht rechtzeitig ihre Maßnahmen ergriffen hat. Ich werde darauf im Laufe der Debatte noch zurückkommen und das nicht nur als Behauptung hier hinstellen.
Vielleicht ist die Berichterstattung der Bank deutscher Länder in ihrem Jahresbericht 1955 nicht ohne Bedeutung. Da heißt es nämlich:
Aber die Bank, deren vornehmste Aufgabe es ist, die Währung zu sichern, fühlt sich verpflichtet, mit allem Nachdruck darauf hinzuweisen, daß in einer Situation, in der die Wirtschaft so sehr wie heute im Zeichen der Vollbeschäftigung steht, das Schicksal der Währung enger noch als sonst nicht nur mit einer straffen Kreditpolitik, sondern auch mit einer gesunden Finanz- und Wirtschaftspolitik verknüpft ist.
Meine Damen und Herren, wenn das bei der Zurückhaltung, die die Bank deutscher Länder in ihren Berichten zu üben pflegt, keine Kritik an der Bundesregierung ist, dann weiß ich nicht, wie sie bei der Bank deutscher Länder aussehen soll. Wir wissen, daß die Geld- und Kreditpolitik Grenzen hat. Wir wissen auch, daß die Maßnahmen der Bundesnotenbank global und hart waren, wie eben leider kreditpolitische Mittel immer global und hart sind. Ich glaube, der Herr Bundeswirtschaftsminister hat die Auswirkungen der Maßnahmen der Bank deutscher Länder auf kleinere und mittlere Betriebe doch etwas sehr bagatellisiert. Es gibt zahlreiche andere Regionen und Wirtschaftsbereiche, die diese Kreditmaßnahmen sehr heftig treffen. Aber wir weigern uns, gegen die Bank deutscher Länder Vorwürfe zu erheben, wenn sie
von den ihr gemäßen Mitteln Gebrauch macht, weil die Bundesregierung die ihr zur Verfügung stehenden, dieses Bündel von Mitteln, von denen der Herr Bundeswirtschaftsminister gesprochen hat, nicht anwendet.
Es steht einem Lokomotivführer — und in dieser Situation befindet sich der Bundeskanzler —, der in der Lokomotive eines Zuges sitzt, über den er die Herrschaft zu verlieren droht, nicht gut an, denjenigen zu beschimpfen, der die Notbremse zieht, und in der Lage des Notbremsers war die Bank deutscher Länder.
Aber es handelt sich nicht nur um diesen Vorgang an sich, sondern es handelt sich um das Problem der Unabhängigkeit der Notenbank.
Die Notenbank hat eine entscheidende Aufgabe: das ist die Aufgabe, die deutsche Währung zu sichern. Unqualifizierbare Angriffe gefährden die Unabhängigkeit und insbesondere den Glauben der Öffentlichkeit an die Unabhängigkeit der Notenbank. Dabei handelt es sich nicht darum, ob man in der Öffentlichkeit in sachlicher Form Maßnahmen der Bundesnotenbank kritisiert oder nicht. Es handelt sich vielmehr darum, daß das nicht in einer Form geschieht, die den Glauben der Offentlichkeit an die Achtung der Unabhängigkeit der Notenbank durch die Bundesregierung schwer diskreditieren muß.
Und das ist der Fall, wenn der Chef der Bundesregierung von Maßnahmen der Notenbank sagt, es handle sich bei der Diskonterhöhung um ein Fallbeil. Das ist der Fall, wenn der Bundeskanzler in einer Fraktionssitzung in einer Form berichtet, daß die Presse die Vorgänge mit der Überschrift versieht „Adenauer greift wieder die Notenbank an". Leider haben die Bundesregierung und der Bundeskanzler viel zu wenig Hehl aus der Tatsache gemacht, wie unangenehm ihnen die Unabhängigkeit der deutschen Notenbank ist.
Wir möchten demgegenüber erklären: Wir halten eine unabhängige Notenbank für die sicherste Garantie der deutschen Währung. Das haben uns insbesondere die letzten Monate gezeigt, in denen die Bundesregierung der Entwicklung mit einer Lethargie sondergleichen zugesehen hat.
Wir möchten hier erklären: wer diese Unabhängigkeit der Notenbank antastet, gefährdet die Währung. Wir haben leider — ich glaube, das nicht überhört zu haben — in der Regierungserklärung kein Bekenntnis zu dieser Unabhängigkeit der Notenbank gehört; wir möchten hier eine unzweideutige Antwort erhalten.
Damit komme ich zum Punkt 6 unserer Großen Anfrage. Im Hinblick darauf, daß ich mich jetzt noch nicht mit der Regierungserklärung befassen will, kann ich mich kurz fassen. Die Regierung hat bereits einmal eine Regierungserklärung in Berlin abgegeben, die 11 Punkte, man könnte sagen, 11 Pünktchen enthielt.
Die Presse berichtete darüber mit Überschriften „Elf Punkte und kein Programm". Abgesehen von zahllosen völlig unverbindlichen Deklamationen in dieser Regierungserklärung enthielt sie allein drei Punkte, fein säuberlich geteilt, die sich mit der Preispolitik befassen, erstens das Bekenntnis zur Stabilität von Wirtschaft und Währung, zweitens die Zusicherung, daß man Preissenkungen unterstützen würde, und drittens die Zusicherung, man werde sich bemühen, staatlich gebundene Preise nicht zu erhöhen. Das waren die drei Punkte zur Preispolitik, die in diesem Programm einigermaßen greifbar waren. Und ich glaube, was für uns aus der Entwicklung der letzten Zeit greifbar geworden ist, das ist die Tatsache, daß diese drei Punkte der Erklärung von damals jedenfalls nicht durchgeführt worden sind.
Wir haben auch heute wieder wie in der Erklärung vom Oktober des vergangenen Jahres eine Aufforderung an den Bundestag gehört, nun endlich die Kartellgesetzgebung zu verabschieden. Wie oft sollen wir diese Bitten der Bundesregierung an den Bundestag noch hören? Und warum benutzt die Bundesregierung, die doch über eine kompakte Mehrheit in diesem Bundestag verfügt, nicht wie in so vielen anderen Fällen ihre Autorität, um dafür zu sorgen, daß dieses Grundgesetz der deutschen Marktordnung nach fünf, sechs oder sieben Jahren nun endlich die Hürden der Interessengruppen in diesem Bundestag passiert?
Noch eines. Wir haben es bedauert, daß die Bundesregierung 101/2 Monate seit dem August des vergangenen Jahres hatte verstreichen lassen, ohne ernsthafte konjunkturpolitische Maßnahmen zu ergreifen. Heute haben wir nun vom Herrn Bundeswirtschaftsminister gehört, worauf das zurückzuführen ist. Die Bundesregierung ist nämlich der merkwürdigen Auffassung gewesen, daß sie erst einmal die Auswirkung des saisonalen Abschwungs im Winter abwarten müsse und daß sie im Frühjahr bei der Frühjahrsbelebung sehen müsse, wie sich die Konjunktur entwickele, damit sie nicht allzu früh mit harten Maßnahmen die Konjunktur vielleicht sogar störe.
Wußte man denn im Herbst vergangenen Jahres nicht, daß nach dem winterlichen Abschwung immer wieder eine starke Frühjahrsbelebung eintritt? Wußte man denn im Herbst wirklich nicht, daß z. B. mit den Rentenerhöhungen eine Kaufkraftvermehrung eintritt, die konjunkturpolitische Probleme aufwarf? Und wußte man denn im Herbst nicht, daß die Bestrebungen zum Aufbau der Rüstungswirtschaft im Frühjahr ein Ausmaß erreichen würden, das nicht ohne Einfluß auf die konjunkturpolitische Entwicklung bleiben konnte?
Kann man denn da sagen: Wir wollten erst einmal sehen, wie die Dinge sich bis zum April entwikkeln? Das ist doch nur eine höchst unglaubwürdige nachträgliche Entschuldigung dafür, daß die Bundesregierung nicht den Mut, wahrscheinlich aber im Hinblick auf die hinter ihr stehenden Kräfte nicht die Kraft gehabt hat, echte konjunkturpolitische Maßnahmen zu ergreifen.
Darum habe ich zu diesem Punkt 6 unserer Großen
Anfrage die Bitte, daß sich die Bundesregierung
nicht darauf beruft, sie habe in ihrer Erklärung
bereits alles gesagt. Hier bleiben noch zahllose Fragen offen, wenn wir den Glauben haben sollen, daß die Bundesregierung wirklich eine aktive Konjunkturpolitik betreibt.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Auf den sachlichen Teil der Ausführungen meines Herrn Vorredners wird der Herr Bundeswirtschaftsminister antworten. Aber Herr Kollege Deist hat geglaubt, in diese Konjunkturrede soviel persönliche Angriffe gegen mich hineinflechten zu sollen, daß, aus einem solchen Munde ausgesprochen, mich das doch veranlaßt und sogar reizt, zu antworten.
Zunächst glaube ich — das gilt für alle Parteien —, daß es immer zweckmäßig ist, wenn sich Parteiredner etwas aufeinander abstimmen. Gestern hat mir Herr Mellies vorgeworfen, daß ich die Zügel im Kabinett zu sehr schleifen lasse. Heute wirft mir Herr Deist genau das Umgekehrte vor.
— Ich kann nur das wiederholen, was ich gestern gesagt habe: Es scheint mir doch, daß ich in der Zügelführung das richtige Maß halte. Denn wenn ich von einer Seite einen Vorwurf bekomme und von der anderen Seite sogar den entgegengesetzten Vorwurf erhalte, dann scheint meine Zügelführung doch diesen Anspruch erheben zu können.
— Meine Herren, lassen Sie mich doch aussprechen! Ich höre Sie ja auch an.
Dann hat Herr Kollege Deist über die Verfassungslage gesprochen. Ob das in diesem Zusammenhang eine so absolute Notwendigkeit war, weiß ich nicht.
— Gut, dann will ich auch darauf antworten. — Die Verfassung, das Grundgesetz, schreibt vor, daß der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt und daß innerhalb dieser Richtlinien jeder Minister seine Geschäfte unter eigener Verantwortung führt. Aber, Herr Kollege Deist, unser Grundgesetz hat, im Gegensatz zu der früheren Reichsverfassung, auch noch etwas anderes bestimmt. Der Artikel, den Sie angeführt haben und den ich jetzt zitiert habe, ist der früheren Reichsverfassung entnommen. Aber während früher das Parlament jedem einzelnen Reichsminister ein Mißtrauensvotum aussprechen konnte, kann es das jetzt nicht mehr,
sondern das Mißtrauensvotum kann nur gegenüber dem Bundeskanzler ausgesprochen werden.
Ich stelle die Tatsachen fest, an denen Sie mitgewirkt haben, meine Damen und Herren. Wenn nun der Bundeskanzler für alles das, was jeder einzelne Bundesminister tut, hier schließlich nach dem Grundgesetz die Verantwortung übernehmen muß, dann werden Sie verstehen, daß sich der Bundeskanzler innerhalb eines gewissen Rahmens auch um diese Dinge bekümmert.
Nun hat ganz abseits von dieser Debatte Herr Deist es für richtig befunden, mein Verhältnis zu Herrn von Merkatz anzusprechen. Das hat mit Konjunktur gar nichts zu tun.
Aber meine Damen und Herren, mein Verhältnis zu Herrn von Merkatz ist ausgezeichnet.
Ich kann mich gar nicht über Herrn von Merkatz beklagen, und Herr von Merkatz wird sich nicht über mich beklagen können.
Herr Deist hat dann weiter mein Verhalten gegenüber dem Kollegen Schäffer erwähnt. Ich glaube, es würde zu weit führen und auch nicht richtig sein, wenn ich diese ganzen Fragen, die noch nicht ausgetragen sind, hier vor Ihnen ausbreiten würde. Sie sind leider an die Öffentlichkeit gekommen, und ich bemühe mich, im Kabinett den Gegensatz, der zwischen Herrn Schäffer und einem anderen Mitglied des Kabinetts in großer Schärfe entbrannt war und entbrannt ist, beizulegen. Das ist mein Verhalten gegenüber dem Kollegen Schäffer.
Ich kenne Herrn Deist aus manchen Verhandlungen als einen sehr sachlichen Mann, und ich glaube auch jetzt von ihm, daß er ein sachlicher Mann ist. Deswegen nehme ich auch an, daß er die — „Rede" kann man kaum sagen, aber lasse ich es einmal dabei — Rede, die ich damals beim Bundesverband der Deutschen Industrie im Gürzenich gehalten habe, nicht gelesen hat.
— Nein, die haben Sie bestimmt nicht gelesen!
Es ist mir ganz lieb, daß ich über diese Rede, von der Gott weiß viel mehr gemacht wird, als sie verdient, etwas sagen kann.
Sie sehen, wie klar und offen ich spreche, daß ich sogar Ihren Beifall finde.
Ich möchte zunächst an die Spitze stellen, daß ich die Rede des Herrn Berg nicht vorher gekannt habe.
Ich möchte weiter erklären, daß die Akustik im Gürzenich in Köln
— Sie wissen ja noch gar nicht, was ich sagen will; aber ich freue mich immer, wenn Menschen lachen —
gerade in der Mitte besonders schlecht ist,
dort, wo ich gesessen habe. Ich hatte die Genugtuung, daß acht Tage darauf die Kölner Stadtvertretung mehrere hunderttausend Mark
bewilligt hat, um diesen Fehler zu beheben. (Heiterkeit bei der SPD und rechts.)
Es war ein angenehmer Zufall — das gebe ich zu —, daß gerade da der Beschluß gefaßt wurde. So habe ich — und die Herren, die mit mir am Tisch saßen, wie z. B. Herr Friedrich aus Hamburg und Herr Haberland werden mir das bestätigen — nur ganz bruchstückweise etwas von dem verstehen können, was Herr Berg sagte, der sehr schnell sprach.
Und nun war ich gebeten worden, ein Wort zu sagen über die außenpolitische Lage und über meine Stellungnahme zu dem Beschluß in Frankfurt. Über die außenpolitische Lage werde ich nicht sprechen; das werden wir ja nächste Woche miteinander abmachen. Ich hatte kein Konzept.
— Also, meine Herren, dann lassen Sie mich ganz korrekt sagen: ich hatte keine schriftliche Vorlage. Aber ohne mein Wissen hat einer der Herren Journalisten, die da waren, meine Rede auf Band aufgenommen.
Und das, meine Damen und Herren, war mein Glück.
Denn infolgedessen ist das nun auf Band niedergelegt und später in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" wörtlich abgedruckt worden.
— Nun, meine Damen und Herren, ich habe doch eben gesagt, an einer bestimmten Stelle des Gürzenich sei die Akustik schlecht, wo ich gesessen habe.
— Nein, meine Damen und Herren. Die Journalisten saßen auf dem Podium. Nehmen Sie die Sache doch ein bißchen vernünftig und ernst.
Nun will ich Ihnen jetzt — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — vorlesen, was auf Band von dem mir bis jetzt noch dem Namen nach nicht bekannten Journalisten aufgenommen worden ist. Ich habe folgendes gesagt:
Aus Gesprächen, namentlich mit meinen Tischgenossen, habe ich entnommen, daß über das Verhältnis zwischen Bundesregierung und der Bank deutscher Länder, dem Zentralbankrat, keine Klarheit besteht. Der Zentralbankrat, meine verehrten Herren, ist vollkommen souverän gegenüber der Bundesregierung. Er ist natürlich verantwortlich gegenüber sich selbst. Aber wir haben hier ein Organ, das niemandem verantwortlich ist, auch keinem Parlament, auch nicht einer Regierung.
Um so größer
ist nach meiner Meinung die Verantwortung, die ein jedes Mitglied eines solchen Organs vor sich selbst zu tragen hat. Ich bin, ich sage das in aller Offenheit, heute abend noch nicht in der Lage, mir ein definitives Urteil zu bilden über die Einzelheiten der Beschlüsse, die gefaßt worden sind. Aber eines weiß ich schon jetzt: es ist der deutschen Konjunktur ein schwerer Schlag versetzt worden,
und, meine Herren, auf der Strecke bleiben werden die Kleinen,
und zwar, meine verehrten Herren, gilt das sowohl für die kleinen Industrien wie für die kleineren Landwirte wie für die kleineren Handwerker. Kurz und gut, das Fallbeil trifft die kleinen Leute.
Und deswegen bin ich sehr betrübt darüber. Ich habe bisher nicht die Überzeugung gewonnen, daß eine derartige Maßnahme notwendig war. Ich habe nicht einmal die Überzeugung gewonnen, daß sie den gewollten Effekt erreicht.
Das hat übrigens eben Herr Deist bestätigt, indem
er sagte, die Konjunktur sei ruhig weitergegangen.
Ich habe für morgen abend
— das wird mir ja auch immer vorgeworfen —
eine Kabinettssitzung anberaumt, in der wir uns mit diesen Fragen beschäftigen werden und in der namentlich auch der Wirtschaftsminister und der Finanzminister, die an den Beratungen des Zentralbankrates teilgenommen haben, uns darüber Rechenschaft geben werden, warum und was sie
— das Wort ist klein geschrieben —
dort vorgeschlagen haben.
Meine verehrten Herren, ich möchte eines hier sehr betonen, und zwar gegenüber der gesamten Öffentlichkeit: die deutsche Währung ist in keiner Weise gefährdet.
— Das habe ich doch vorhin gesagt! Ich kann es doch nicht deutlicher sagen, daß die Notenbank weder einem Parlament noch einer Regierung, sondern nur sich selbst verantwortlich ist.
Meine Damen und Herren, ich will noch mehr vorlesen, wenn Sie das gerne haben. Ich habe dann ausgeführt — und ich meine, ich sollte damit den Beifall des ganzen Hauses, auch des Herrn Deist, finden —:
... Wirtschaft und Politik sind in unserer Zeit untrennbar miteinander verbunden.
Wenn die Wirtschaft nicht stabil ist, kann man keine stabile Politik treiben, und wenn die Politik nicht stabil ist, kann die Wirtschaft auch nicht stabil sein.
Ich glaube, meine Damen und Herren, das ist ein Satz, der wirklich von niemandem beanstandet werden kann. Aber dann habe ich noch etwas mehr gesagt, Herr Deist, das wird Sie und die Herren von der Linken überhaupt interessieren:
Und nun, meine verehrten Herren, wollen wir die Situation, wie sie nun einmal entstanden ist — und sie ist nach meiner Meinung, ich sage das in aller Offenheit hier, entstanden, weil man die Probleme, die mit einer Vollbeschäftigung naturgemäß verbunden sind, nicht mit der nötigen Kaltblütigkeit betrachtet hat —, sehen. Nun müssen wir sehen, meine verehr- ten Herren, das Beste daraus zu machen. Und ich glaube, es wird auch notwendig sein, daß Vertreter von Ihnen, Vertreter der Landwirtschaft, Vertreter des Mittelstandes, Vertreter der Gewerkschaften, alle das ihrige dazu sagen.
Nicht zu beanstanden, Herr Deist! Können Sie nichts gegen sagen!
— Sie haben mir doch eine so schlechte Note gegeben; das habe ich gar nicht verdient.
Dann habe ich weiter gesagt — und das hat den Finanzminister geschmerzt, ich gebe das zu; er hat mir nämlich selbst gesagt, er sei unschuldig daran —, ich hätte gerade an dem Tage von einem meiner Söhne den neuen Fragebogen für die Einkommensteuerveranlagung zugeschickt bekommen, und der enthalte 125 Fragen.
Ich habe darauf gesagt — unter der Voraussetzung, daß das richtig ist —:
... dann meine ich, meine verehrten Herren, wir alle miteinander, Sie und wir,
- Groß! —
sollten zuerst uns einmal bemühen, eine Vereinfachung des ganzen Steuersystems herbeizuführen.
Meine Herren — ich bin sogar so vermessen, zu sagen, ich weiß, es ist nicht ohne Risiko —, das scheint mir vielleicht noch wichtiger zu sein als eine lineare Steuersenkung. Wenn jeder weiß nach verhältnismäßig kurzem Studium der ganzen Geschichte, was er zu versteuern hat, und wenn er nicht zu allen möglichen Hilfsmitteln — in Ausführungszeichen gesprochen — zu greifen gezwungen wird, meine verehrten Herren, dann, glaube ich, können wir alle eine solche Vereinfachung nur begrüßen.
Ich hoffe, Sie haben verstanden, Herr Deist, was ich damit meine. Ich habe damit gemeint: wenn man keinen Steuerberater mehr nötig hat, sondern wenn man, wie das früher einmal gewesen ist, in der Lage ist, seine Steuererklärung vernünftig und einfach selbst zu machen, dann wird eine Quelle, ich will mal sagen, der Dunkelheit, der Verdunkelung in der Steuerveranlagung beseitigt.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Frage?
Herr Bundeskanzler, glauben Sie nicht, daß es im Vermögen der Bundesregierung und ihrer Mehrheit läge, dies zu ändern?
Ja nun, meine Damen und Herren, selbst auf die Gefahr hin, daß ich mir jetzt wieder einen Tadel zuziehe, weil ich mich zu sehr in die Geschäfte von einzelnen Ministern einmenge,
muß ich bekennen, verehrter Kollege Schmid, daß ich im Bundeskanzleramt Überlegungen angestellt habe, wie man diese Dinge einmal ändern kann. Ich möchte sie geändert sehen.
Ich finde nämlich in diesem ganzen Steuersystem ein Dickicht, in das sich doch Leute, die nun nicht gerade gern Steuern zahlen, leicht verkriechen können.
Dann habe ich zum Schluß gesagt,
— ja, Sie müssen, meine Damen und Herren; an all dem ist Herr Deist schuld, ich wollte gar nicht sprechen, aber ist schuld, daß ich jetzt so lange sprechen muß:
Es handelt sich um soziale Fragen allerersten Ranges dabei. Und deswegen wollen wir gemeinsam mit aller Ruhe, aber auch mit allem Ernst an die Lösung des Problems,
— d. h. der Vollbeschäftigung —
das jetzt so plötzlich vor uns getreten ist, herangehen. Ich weiß, daß auch Sie helfen werden. Ich bin überzeugt, daß auch andere Verbände, die ich eben genannt habe, auf demselben Standpunkt stehen. Seien Sie überzeugt, daß ich den Standpunkt teile.
Nun habe ich gedacht, meine Damen und Herren, ich hätte im großen und ganzen gar nicht eine so schlechte Rede gehalten.
Ich habe mir, Herr Deist — das muß ich Ihnen
doch erwidern —, die Forderungen des Bundes-
verbandes der Deutschen Industrie nicht zu eigen gemacht.
— Na, wir wollen es später nachlesen. Wir wollen uns jetzt nicht darüber zanken; das hat keinen Zweck.
Aber meine Damen und Herren, ich möchte noch ein Wort über Inflation sagen, und zwar deswegen, weil Sie, Herr Deist, mich getadelt haben, daß ich irgendwo einen leitenden Beamten der Bank deutscher Länder angegriffen hätte, weil er davon gesprochen habe. Ich gebe zu, daß ich das getan habe.
Ich habe das getan, und ich sage Ihnen in aller Öffentlichkeit auch folgendes: Inflationen beruhen zu einem ganz großen Teil auf psychologischen Grundlagen,
und deswegen sollte jeder, der an verantwortlicher Stelle steht,
sich vor diesem Wort scheuen.
Ich halte es — —
— Ich nicht, meine Damen und Herren, das will ich Ihnen doch gerade sagen, wer davon redet.
Meine Damen und Herren! In einer Rede, die ein führender Mann der Bank deutscher Länder im August des vergangenen Jahres in Hamburg gehalten hat, ist, wie mir von Ohrenzeugen mitgeteilt wurde, 26mal das Wort Inflation gefallen.
Ich bin also, wie gesagt, der Auffassung, daß man immer daran denken sollte, daß man durch Reden über Inflation die beste Währung kaputtmachen kann,
und daran können Sie ebensowenig Interesse haben wie die Regierungskoalition. Ich glaube, da haben wir ein gemeinsames Interesse. Deswegen glaube ich noch einmal hier sehr nachdrücklich das wiederholen zu sollen, was ich auch bei dem Bundesverband der Deutschen Industrie gesagt habe: Die deutsche Währung ist eine der stärksten und besten Währungen der Welt.
Meine Damen und Herren, es war vorgesehen, daß vor der Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD erst die Große Anfrage der Fraktion der FDP begründet werden sollte, daß dann die Antwort der Regierung auf beide Anfragen zugleich erteilt werden und daß dann in die Beratung eingetreten werden sollte. Ich frage den Herrn Bundesminister für Wirtschaft, ob er sich diesem Verfahren anschließen will. Wollen Sie jetzt sprechen?
Herr Bundesminister, nach § 47 der Geschäftsordnung muß ich Ihnen das Wort geben, wenn Sie das jetzt wünschen. Ich weiß nicht, ob das zweckmäßig ist und ob es nicht richtiger wäre, zunächst die Große Anfrage der FDP begründen zu lassen. Herr Abgeordneter Scheel, Sie wollten die Anfrage begründen.
— Meine Damen und Herren, das ist der Sieg einer rationellen Überlegung. Es paßt ausgezeichnet in die Konjunkturpolitik.
Zur Begründung der Großen Anfrage der FDP hat also der Herr Abgeordnete Scheel das Wort.
Scheel , Anfragender: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich nehme an, daß Sie nicht der Auffassung gewesen sind, ich hätte den Minister um Erlaubnis gefragt. Wir haben uns vielmehr freundschaftlich verständigt. Ich glaube, das liegt im Interesse der ordentlichen Abwicklung der heutigen Diskussion.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube zu Beginn einmal fragen zu müssen, ob die Regierungserklärung, deren Abgabe als Punkt 1 der Tagesordnung ich heute morgen ja schon beanstandet habe, alsobald gekommen wäre, wenn die Großen Anfragen nicht gestellt worden wären.
Ich will einmal ein Zitat wiederholen — ich habe die Zeitung, die der Herr Bundeskanzler soeben hatte, auch mitgebracht —, das der Herr Bundeskanzler im Wortlaut eben nicht ganz richtig wiedergegeben hat
— ich habe genau aufgepaßt —, und zwar ist das die Stelle, an der es heißt:
Und deswegen wollen wir gemeinsam mit aller Ruhe, aber auch mit allem Ernst an die Lösung des Problems herangehen, das jetzt z u plötzlich vor uns getreten ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben bereits im Oktober des vorigen Jahres über dieses Problem mit dem hier zitierten Ernst gesprochen: seitdem ist ununterbrochen von diesem Problem die Rede gewesen, so daß man, glaube ich, nicht sagen kann, daß es jetzt plötzlich, „zu plötzlich" über uns gekommen sei.
Die konjunkturpolitische Situation in der Bundesrepublik ist in der Tat kritisch geworden, nicht so sehr wegen der objektiven Krisenanzeichen, sondern weil in breiten Kreisen der Bevölkerung der Eindruck entstanden ist, daß die Bundesregierung kein konjunkturpolitisches Programm hat und der Entwicklung hilflos und, wie wir ja gesehen haben, innerlich gespalten gegenübersteht. Die — ich glaube, das darf ich sagen — erstaunliche Rede des Herrn Bundeskanzlers im Kölner Gürzenich hat diesen peinlichen Eindruck noch verstärkt. Die beiden für die Entwicklung der Wirtschaft vorweg
verantwortlichen Bundesminister ziehen in der einen, der Bundeskanzler zieht in der anderen Richtung. Man greift sich an, desavouiert sich aufs gröbste, zieht sich zur Rechenschaft, aber nichts Gescheites kommt dabei heraus. Ratlosigkeit regiert bis zur Stunde noch hier in Bonn, die gleiche Ratlosigkeit, die sich auch auf anderen politischen Gebieten breitgemacht hat, etwa der Außenpolitik, der Militärpolitik und auch der Sozialpolitik.
— Es stimmt sehr genau; ich werde noch darauf kommen.
— Dieser Einwurf ist durchaus richtig. Wir haben schon einmal eine Regierungserklärung hinter uns. Darauf werde ich gleich kommen.
Für die Bundesregierung gibt es bis zur Stunde auf jeden Fall nur eine einzige Idee, und die heißt doch: Verhalte dich so, daß du die nächsten Wahlen gewinnst! Gerade Ihr „Kuchenausschuß", Herr Lücke, ist doch ein Symbol für diese Politik, die Wähler sozusagen interessentenhaufenweise einzukaufen.
Vielleicht sieht der Herr Bundeskanzler in dieser spezifischen Art, den Wählern entgegenzukommen, den wahren Sinn der Demokratie. Wir sind da etwas anderer Auffassung. Die Ratlosigkeit der Regierung und noch mehr das offene Zurschaustellen dieser Ratlosigkeit ist die eigentliche Gefahr, vor der wir heute stehen. Im Wirtschaftsleben sind zahlreiche psychologische Faktoren wirksam, zum Guten und zum Schlechten hin. Eine Wirtschaft kann nicht funktionieren, wenn deren Träger mehr und mehr zu der Überzeugung gebracht werden, daß die Regierung die Situation nicht mehr überblickt und daher zu unangemessenen und unsteten Mitteln greift, um sich mit ihr auseinanderzusetzen.
Wir aber wollen die in der ersten Gesetzgebungsperiode von der damaligen Koalition mit Mühe und mit Erfolg eingeleitete Entwicklung nicht nur vor einem kritischen Rückschlag bewahren, sondern sichern und festigen. Deshalb verlangen w i r heute im Parlament von der Bundesregierung Rechenschaft - die ja unter Umgehung der üblichen Methoden der Beantwortung einer Großen Anfrage heute schon durch eine Regierungserklärung gegeben worden ist —, und zwar Rechenschaft über den Beitrag, den sie selbst zu der jetzigen Situation geleistet hat. Dazu gehört doch vor allem die Krisenpropaganda selbst. Ich meine damit die bemerkenswerte Erscheinung, daß verschiedene verantwortliche Regierungsfunktionäre die Kassandrarufe einiger Experten willig aufgegriffen haben, weniger aus echter Besorgnis, als vielmehr um sich selbst als Retter anpreisen zu können. Der Herr Bundesfinanzminister z. B. erzählt in seinen niederbayerischen Versammlungen schon seit Jahr und Tag, daß er die deutsche Währung retten und sich jeder Inflation widersetzen werde. Das ist doch aus seinem Munde immer wieder zu hören. In Wirklichkeit aber ist der Bundesfinanzminister mit seinem fiskalischen System nach der Methode „die Haut über die Ohren der Steuerzahler" selbst der Hauptschuldige an der jetzigen Krisenerscheinung, von deren Folgen er ständig uns zu retten verspricht. Er hat am meisten mitgewirkt, daß „Konjunkturkrise" und „Inflation" Schlagwörter des täglichen Lebens geworden sind, gefährliche Schlagwörter nota bene, die er aber — und das ist bemerkenswert — in den Dienst seines Fiskalismus zu stellen sucht. „Je mehr Steuern ich einnehme", so sagt er, „desto mehr Kaufkraft schöpfe ich ab." Er glaubt, seine Milliarden-Kassenbestände auf diese etwas primitive Weise als ein Bollwerk im Kampf gegen die Inflation anpreisen zu müssen. Tatsächlich haben sich einige Leute weismachen lassen, daß der Fiskalismus eine positive konjunkturpolitische Seite habe. Sie betrachten dann den Finanzminister als den guten Hausvater, als der er sich selber gern in der Öffentlichkeit vorstellt. In Wirklichkeit hat der Fiskalismus aber keine positive konjunkturpolitische Seite. Die Konjunktur ist eine Sache, die sich auf die Wirtschaft bezieht und nicht auf den Fiskus. Der gute Hausvater ist ein Mann, der keine Schulden macht, sondern der spart. Der Bundesfinanzminister macht für den Fiskus zwar keine Schulden, er zwingt aber durch seine schlechte Steuerpolitik die Wirtschaft dazu, sich immer mehr zu verschulden. Er tut in bezug auf Wirtschaft und Konjunktur also genau das, was ein schlechter Hausvater macht, und ist somit die Gefahr Nr. 1 für die wirtschaftliche Entwicklung. Darüber werden wir noch ein paar Worte sagen müssen.
Warum ist es so bedenklich, daß das Wort „Inflation" sogar vom Bundesfinanzminister fortwährend gebraucht wird? Unter Inflation versteht der Deutsche nach zwei Kriegen nicht eine Steigerung der Preise im Ausmaß von 2 bis 3 % im Jahr, sondern einen rapiden Währungsverfall und einen Zusammenbruch bis zur Bewirtschaftung hin. Wer denken kann, wird zugeben, daß solche Gefahren zur Zeit überhaupt nicht zur Debatte stehen können.
Außerdem wird heute von einer Konjunkturkrise gesprochen. Unter Konjunkturkrise ist aber allenfalls ebenso etwas ganz anderes zu verstehen als das, was wir unter der jetzigen wirtschaftlichen Entwicklung sehen. Von einer Konjunkturkrise spricht man doch erst dann, wenn die wirtschaftliche Tätigkeit nachläßt, das Kreditwesen zusammenbricht, wenn Arbeitslosigkeit ausbricht, das Sozialprodukt absinkt usw. Alle Wirtschaftszahlen beweisen jedoch, daß wir von einem solchen Zustand noch weit entfernt sind.
In Wirklichkeit stehen wir in einem immer noch sehr schnellen wirtschaftlichen Expansionsprozeß. Die Expansion ist im ganzen gesund, glücklich und das, was wir uns wünschen. Denn was kann der Wirtschaftspolitik überhaupt anderes am Herzen liegen als eine Erweiterung der Produktion mit einer fortlaufend steigenden Kaufkraft der breiten Masse! Das ist doch unser aller erklärtes Ziel.
Der Expansionsprozeß, in dem wir uns befinden, erstreckt sich aber nicht gleichmäßig auf die ganze Wirtschaft, sondern er hat Schwerpunkte, die sich allmählich als Flaschenhälse entwickeln. Diese Schwerpunkte liegen z. B. in der Investitionsgüterindustrie und viel mehr noch vielleicht auf dem Baumarkt. Hier sind die Produktionsanstiege am steilsten, und hier sind auch die Preissteigerungen am sichtbarsten und am höchsten. Hier kann man de facto von einer gewissen Gefahr sprechen, nämlich von der, daß sich diese Preissteigerungen auf
andere Sektoren auswirken, daß sie übergreifen werden und daß sich der seit langem nicht nur bei uns, sondern auch im ganzen Ausland zu beobachtende Prozeß eines sanften Preisanstieges plötzlich beschleunigen könnte. Veranlassen solche Preissteigerungen sodann die Zentralbank zu heftigen Kreditkürzungen, dann kann sich allerdings eine Wirtschaft, die in einem so hohen Maße mit Fremdkapital arbeitet wie die unsere, dem Stadium einer Konjunkturkrise sehr wohl nähern.
Es sind also drei Unruheelemente vorhanden: 1. die Tendenz zur mählichen Preissteigerung, 2. die Überbelastung gewisser Bereiche unserer Volkswirtschaft und 3. die übermäßige, meist solar kurzfristige Verschuldung unserer Wirtschaft.
Nun hat die Notenbank als Ultima ratio ein klassisches Rezept, einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken: sie erhöht den Bankzins und fängt an, den Geldumlauf zu verknappen. Mit solchen Methoden, so glaube ich in Übereinstimmung mit vielen Kollegen hier, wird in der augenblicklichen Situation kein durchschlagender Erfolg zu erzielen sein. Es kommt in der gegenwärtigen Lage auf wirtschaftspolitische, auf konjunkturpolitische Maßnahmen an. Aber die Bundesregierung hatte bisher — ich glaube, es ist genügend Zeit gewesen, etwas zu unternehmen — weder einen Plan noch eine Idee. Hier wurden immer nur Ressortinteressen, politische Wahlkampfinteressen in den Vordergrund gestellt.
In Wirklichkeit müßte es aber der Bundesregierung verhältnismäßig leichtfallen, Wandel zu schaffen und die Gefahrenherde zu beseitigen. Bei genauem Zusehen merkt man nämlich gleich, daß die Krisenfaktoren, die ich soeben genannt habe, im allgemeinen von der öffentlichen Hand und in erster Linie von der Bundesregierung selber und allerdings . auch — was die steuerpolitische Seite angeht — von den Mehrheitsparteien des Hauses mitverschuldet sind. Das Übermaß an Fremdkapital, d. h. Idas unzulängliche Maß der Eigenfinanzierung beruht in erster Linie auf der Steuerpolitik der Bundesregierung, die zur Zeit immerhin etwa 7 Milliarden DM allein an Kassenbeständen für den Bund aufgestapelt hat und die darüber hinaus zusieht, wie die öffentliche Hand als Ganzes etwa 13 Milliarden DM auf Konten liegen hat. Würden diese 13 Milliarden DM in den Händen der Steuerzahler geblieben sein
— nein, ich werde nachher darauf kommen, wohin diese Summe gehen könnte —, so würde ein einigermaßen normales Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdmitteln in der Wirtschaft bestehen. Die Verantwortung für die übermäßige kurzfristige Verschuldung trägt ganz ohne Zweifel diese Steuerpolitik.
Die Regierung trägt aber auch die Verantwortung für die sogenannte Überhitzung im Investitionsgüter- und vor allem im Baumarkt. Bei Gesamtinvestitionen in Höhe von etwa 40 Milliarden DM im Jahre 1955, von denen noch 5 Milliarden DM auf Vorratshaltung abzuziehen sind, hat die öffentliche Hand immerhin allein 12,2 Milliarden DM investiert. Diese Investitionen sind zum größten Teil in den Baumarkt gegangen und haben dort die Preissteigerungen bewirkt, die dazu führen, daß bei einem für dieses Jahr vorauszusehenden
Bauvolumen von ca. 25 Milliarden DM kaum mehr gebaut werden kann als vor einem Jahr bei einem Bauvolumen von 22 Milliarden DM.
— Aber Sie glauben doch nicht, daß der Hochbau heute nach Aufträgen im Hochbau rufen würde, wo es Engpässe aller Art im Hochbau gibt. Sie verwechseln das mit dem Tiefbau, über den ich gar nicht spreche. Der Tiefbau ist bei seiner Kapazität durchaus in der Lage, Aufträge aufzunehmen. Ich glaube, daß man die Entwicklung am Baumarkt an den effektiven Zahlen ablesen muß, die sich hier am Maß der Preisentwicklung im Hochbau ergeben.
— Gut, das können wir ja tun. Ich meine jetzt den Bau insgesamt; dafür treffen diese Feststellungen zu. Gerade hier zeigt sich der Unsinn einer solchen Politik. Durch diese Investitionen wird für mehr Geld heute bereits weniger gebaut, da das Baugewerbe ständig über seine Kapazität beschäftigt ist. Es handelt sich gar nicht darum — um das hier einmal klarzustellen —, daß der Soziale Wohnungsbau etwa die große Gefahr wäre und angegriffen werden soll. Keineswegs! Aber was z. B. hier in Bonn an Regierungsgebäuden, was an anderen Gebäuden der öffentlichen Hand, an Finanzämtern, Arbeitsämtern usw. errichtet worden ist, wozu jetzt noch Milliardenbeträge für Wehrmachtbauten hinzukommen, das ist doch der Grund für die überstarke Anspannung auf diesem Sektor. Auch die Erwartung wirkt sich ja in dem Klima aus, das in einem Gewerbezweig herrscht, und das ist hier der Fall. Das ist der eigentliche Grund für die Entwicklung auf einem Sektor, der immerhin ein Siebentel des Bruttosozialprodukts ausmacht. Hier gibt es Investitionen — und ich befinde mich da in voller Übereinstimmung mit dem Programm der Bundesregierung, das in der Erklärung heute vorgelegt worden ist —,
die auf jeden Fall gekürzt werden müssen, nämlich die Investitionen der öffentlichen Hand. Nicht aber dürfen die Investitionen der produzierenden Wirtschaft gekürzt werden, die bei dem immer stärker wachsenden Arbeitskräftemangel die einzige Methode sind, das Sozialprodukt weiter zu steigern. Denn im Arbeitsmarkt haben wir keine Ausweitungsmöglichkeit mehr, um das Sozialprodukt weiter zu steigern und somit auch einen steigenden Wohlstand zu garantieren.
Aber das ist noch nicht alles. Die Regierung trägt darüber hinaus ein gerüttelt Maß von Schuld an den Preissteigerungen; denn einer der größten Faktoren — das sollte man einmal in aller Objektivität untersuchen — in der volkswirtschaftlichen Rechnung ist der sogenannte Staatsverbrauch, die Einkünfte der Staatsverwaltung. Was bedeutet der Staatsverbrauch für die Bevölkerung? Er ist der Preis — wenn ich es so ausdrücken darf —, den die Bevölkerung für unsere staatliche, politische und soziale Ordnung zahlt. Während aber die Preise der übrigen Produkte, die wir immer unter die Lupe nehmen — Nahrungsmittel, Konsumgüter, Investitionsgüter —, im allgemeinen von 1950 bis heute um etwa Null bis 30% gestiegen sind — die Güter der Industrieproduktion
z. B. stehen auf einem Index von 119 —, ist der Index des Staatsverbrauchs — und das muß man sich vor Augen halten — seit 1950 auf 173 gestiegen. Einer der wichtigsten Preise, den der Bund, die Gebietskörperschaften und vor allem in letzter Linie dieses Parlament beeinflussen, ist seit 1950 um 73 % teurer geworden.
— Wir haben den Antrag gestellt, die Steuern linear um 10 % zu senken. Wenn Sie diesem Antrag damals, als es Zeit gewesen wäre, nämlich im Herbst vorigen Jahres, zugestimmt hätten, wäre die Sache schon in Ordnung. Damals hätten Sie zustimmen müssen.
— Nein, wir haben Steuersenkungsanträge gestellt.
Sie wollen doch wohl nicht etwa behaupten, daß die Ausgabenbeschlüsse der letzten Zeit den Juliusturm des Finanzministers und vor allen Dingen die Berechnung in die Zukunft beeinflußt hätten! Wir reden doch immer noch von Überschüssen, die in die Milliarden gehen; darum geht es doch. Wenn Sie unserem Antrag zugestimmt hätten, als es Zeit dazu war, brauchten wir uns die Sorgen, die wir heute haben, überhaupt nicht mehr zu machen.
— Ich sagte doch schon — und mehr kann man wohl nicht bemerken —: Wollen Sie mir erzählen, daß die Überschüsse des Bundes und die aufgestapelten Milliarden verschwunden sind?
— Das steht doch gar nicht zur Diskussion.
Es sollte Ihnen in der Zwischenzeit aufgefallen sein, daß es bei der heutige Methode in den Parlamenten — ich will das gar nicht angreifen — völlig unmöglich ist, etwa Ausgabensenkungen, -drosselungen und -zügelungen durchzuführen. Woher ist es denn gekommen, daß hier ein edler Wettstreit besteht, Steuergelder möglichst an irgendwelche Gruppen zu verteilen?
— Na sicher, aber es gehört nicht zur Sache.
—Herr Huth, es fällt schwer, Zwischenrufe zu
machen, die zur Sache gehören; wenigstens Ihnen.
Bei der heutigen Art der Parlamente, die nun einmal gegeben ist, gibt es nur eine Möglichkeit, zu einer vernünftigen Budget-Politik zu kommen; das ist einfach die Diktatur der knappen Kassen. Wir können nur noch durch Steuersenkungen uns selber — wenn Sie wollen; und ich sage das in aller Offenheit — dazu zwingen, in unserer Ausgabenpolitik sparsam zu sein.
Die Auffassung — um einmal zu meiner soeben angeführten Meinung zurückzukommen —, daß diese Preissteigerung, an der doch jeder mitzahlt, die anderen Preise und Löhne unberührt lassen könnte, ist wirklich naiv. Das galt für eine Zeit, als sich die Einkommensteuer etwa zwischen 3, 4 oder 10 % bewegte. Das gilt aber doch heute nicht mehr. Die ungeheuerliche Preissteigerung auf diesem Sektor — bitte, verzeihen Sie mir, daß ich das immer „Preis" nenne; in dem Sinne ist es ein Preis — ist heute in Wirklichkeit doch ein Teil der Kalkulation in allen Bereichen, der sich somit ganz automatisch auch auf die Preise anderer Produkte überträgt. Ich will hier in aller Offenheit aussprechen, daß diese Entwicklung zumindest den gleichen Anteil an der Schwierigkeit hat, in dem Bestreben, die Preise niedrig zu halten, die Wirtschaft nicht über das Maß der Produktivitätssteigerung zu überfordern, wie die Lohnforderungen. Demgegenüber bedeutet es gar nichts, wenn heute etwa 2 bis 3 Milliarden DM sterilisiert werden. Das ist keine Bremse dagegen.
Wahrscheinlich wird der Herr Bundesfinanzminister, der jetzt durch seinen Staatssekretär vertreten ist — er ist leider bei der Diskussion nicht dabei —, sagen, das sei das sagenhafte Gesetz vom steigenden Staatsbedarf. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen, daß dieses Gesetz vom steigenden Staatsbedarf in der augenblicklichen Situation gar nichts anderes ist als das Gesetz der Unfähigkeit, sich den Wünschen von Interessenten zu widersetzen,
auf deren Unterstützung und Zustimmung bei der nächsten Wahl man nicht glaubt verzichten zu können.
Was hat denn der Herr Bundesfinanzminister bisher eigentlich getan? Er hat sich, ausgehend von einer Steuertabelle der Besatzungsmächte, die nicht zur Finanzierung von Staatsausgaben gedacht war, sondern die doch der völligen Vernichtung der deutschen Produktionskraft im Rahmen des Morgenthau-Planes dienen sollte — es gab damals Einkommensteuersätze, die, glaube ich, mit der Kirchensteuer und der Gewerbesteuer zusammen über 100 % ausmachten —, im Laufe der Zeit Abstriche abringen lassen. Aber wir wissen alle, unter welchen Mühen wir ihm diese Abstriche haben abringen müssen.
Er hat seit nunmehr fast vier Jahren in jedem Jahr auf jeden Fall weit mehr Steuern erhoben, als der echte Staatsbedarf es erfordert hätte, und zwar unter allerlei Vorwänden, Verschleierungen, um nicht zu sagen, unter Täuschungen. Der Bundesfinanzminister redete immerfort von einem Defizit, während er gleichzeitig gewaltige Überschüsse hatte. Mit seinen eigenen Schätzungen des Steueraufkommens blieb er häufig bis zu 20 % hinter den wirklichen Beträgen. Er hat damit erreicht — das muß einmal festgestellt werden —, daß Zahlenangaben des Bundesfinanzministers in weiten Kreisen der Öffentlichkeit als vollkommen irrelevant angesehen werden, als Phantasieprodukte zum Zweck der Propaganda, denen kein Wahrheitsgehalt zuzumessen ist. Es ist eben eine allzu zielbewußte fiskalische Phantasie, die hier am Werk gewesen ist, angetrieben offenbar von der Idee, man könne auf der Woge überhöhter Kassenbestände vielleicht, wer weiß, eines Tages auch unversehens ins Palais Schaumburg ge-
schwemmt werden. Aber wahrscheinlich wird das nicht mehr geschehen. Denn inzwischen hat die Öffentlichkeit so gründlich von der Tendenz dieser Politik der falschen Schätzungen Kenntnis genommen, daß das Ansehen ihres Erfinders in schnellem Absinken begriffen ist.
— Doch, doch, das ist sicherlich ein Bestandteil der Großen Anfrage.
Mit den einzelnen Zahlen, die diese Fehlschätzungen beweisen, will ich mich jetzt nicht aufhalten, weil sie jedem bekannt sind. Aber vielleicht ist es nicht allen Kollegen bekannt, mit welcher Kommuniquépraxis das außerdem noch umrahmt wird. Es wurden doch zeitweise Überschüsse und Mehreinnahmen in einer Form verschleiert, die es der „Welt" einmal geraten erscheinen ließ, ein solches Kommuniqué mit der Überschrift „Schon wieder weniger Steuereinnahmen" abzudrucken, obwohl es bekannt war, daß Millionenbeträge als Überschuß zu verzeichnen waren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie werden in Kürze sehen, was es mit diesen Ankündigungen unseres Finanzministers auf sich hat, wenn der Herr Bundesfinanzminister demnächst freiwillig, na, sagen wir 21/2 Milliarden DM für Stationierungskosten bezahlt, obgleich er uns vorher zu beweisen versuchte, daß eine 10prozentige lineare Senkung der Einkommensteuer, mit einem Ausfall von etwa 1/2 Milliarde DM, oder die Streichung des Notopfers Berlin — das würde vielleicht den doppelten Ausfall ergeben — gänzlich unmöglich sei. Das Geld der Steuerzahler wünscht er in seinen Juliusturm zu legen, dort holen es dann die Besatzungsmächte heraus, wenn sie gehört haben, daß genug aufgestapelt ist. Aber ich glaube, daß der Finanzminister diese letztere Wirkung, diesen „Erfolg" hausväterlicher Tugenden, nicht in Betracht gezogen hat; denn dazu braucht man mehr als fiskalische Phantasie.
Was wurde heute in der Regierungserklärung vorgetragen, auf die ich gar nicht einzugehen die' Absicht habe und wozu ich auch nicht angehalten bin? Ich habe mich bereits heute morgen in der Geschäftsordnungsdebatte darüber mit Ihnen unterhalten, ob es ein richtiges Verfahren gewesen ist. Was ist zu tun? Ich glaube, man sollte hier einmal wirklich den Kern der Probleme angehen. Er liegt nur in wenigen Punkten: erstens in der Steuerpolitik, zweitens in dem Sparen schlechthin, drittens in der Zollpolitik und viertens in der Koordinierung aller konjunkturpolitischen Maßnahmen.
Sie wissen, wir haben seit drei Vierteljahren vergeblich darauf gewartet, daß unser Antrag auf Senkung der Lohn- und Einkommensteuer um 10 % verabschiedet wird. Ich bin recht froh darüber, daß sich in diesen drei Vierteljahren die Meinung über den Antrag erheblich gewandelt hat. Damals war es eine Minderheit, die ihm zustimmte, nicht nur in diesem Parlament, sondern auch außerhalb des Parlaments. Heute ist es gängige Meinung, daß unser Antrag die einzig wirkungsvolle steuerpolitische Maßnahme ist.
Ich sagte eben schon: in der Konjunkturpolitik muß man rasch handeln. Es ist völlig töricht, Konjunkturpolitik anzukündigen und erst nach zwei Jahren mit den Maßnahmen beginnen zu wollen. Das Geheimnis gerade dieses Teils der Wirtschaftspolitik ist es, daß nur mit schnellen und durchgreifenden Maßnahmen etwas erreicht werden kann, weil ein großer Teil der Konjunkturpolitik eben auch Psychologie ist. Ich habe schon in einem anderen Zusammenhang einmal — ich glaube, es war bei der vorigen Debatte — dem Herrn Bundeswirtschaftsminister bescheinigt, daß ich seine Meinung über diesen Punkt hundertprozentig teile; ich habe auch seine psychologischen Kampagnen immer unterstützt, weil Konjunkturpolitik zu einem großen Teil mit psychologischen Mitteln betrieben werden muß. Aber deshalb ist auch schnelles Handeln erforderlich und nicht des Verschleppen notwendiger Maßnahmen über drei Vierteljahre hinaus.
Wir müssen zu der Budgetpraxis zurückkommen, die einzig richtig ist, nämlich nur so viel Steuern zu erheben, wie für den notwendigsten Ausgabenbedarf wirklich benötigt werden. Es ist unmöglich, über Jahre hinaus immerwährend neue riesige Überschüsse zu machen, die unsere gesamte wirtschaftliche Entwicklung bedrohen und uns in Situationen hineinführen, vor denen wir nun stehen.
Als zweiten Kernpunkt eines konjunkturpolitischen Programms spricht meine Fraktion die Förderung des Sparens an, und ich bin froh darüber, daß das Programm der Bundesregierung auch diesem Punkt ganz besondere Aufmerksamkeit schenkt. Ich wage allerdings zu bezweifeln, ob mit den dort vorgesehenen Maßnahmen der gewünschte Effekt erreicht wird. Die Fristverkürzung auf drei Jahre ist ein Ergebnis, das ich begrüße. Aber wir müssen bedenken, daß man im Augenblick auf diesem Gebiete mit anderen Zeiträumen rechnet. Ich will einmal als einen Maßstab den Zeitraum nehmen, der im Teilzahlungsgeschäft vorherrscht. Das sind im Schnitt 18 Monate, weit darüber hinaus geht das wirtschaftliche Denken nicht. Wir sollten uns mit dieser Frage noch einmal in den Ausschüssen befassen; denn es müßte möglich sein, dem Konsumenten den horrenden Unterschied zwischen den Teilzahlungskosten und den Vorteilen des Ansparens vor Augen zu führen.
Die Notwendigkeit der Förderung des Sparwillens ergibt sich ganz von selbst aus dem sehr ungünstigen Verhältnis zwischen Eigenkapital und Fremdkapital in weiten Kreisen der Wirtschaft. Wenn heute — und das ist ja einer der Krisenpunkte — die kurzfristige Verschuldung unserer Wirtschaft auf ca. 30 Milliarden DM angewachsen ist, muß das immerhin Bedenken erregen, und wir sollten etwas unternehmen. Ich habe einige Zahlen vor mir liegen, die sicherlich keinerlei Anspruch auf Exaktheit erheben können. Es handelt sich um eine Umfrage im Rahmen eines Unternehmerverbandes über die Entwicklung des Verhältnisses von Eigenkapital zu Fremdkapital. Da ist bemerkenswert, daß das Eigenkapital Ende des Jahres 1950 noch 54,8 %, während es im September 1955 nur noch 34,5 % betrug. Dies sind, wie gesagt, keine exakten Zahlen, die auf repräsentativen Erhebungen beruhen. Aber ich glaube sagen zu dürfen, daß sie für den Trend, für die gesamte Entwicklung kennzeichnend sind. Ich muß der Bundesregierung sagen, daß wir die Förderung des Sparens nur mit drastischen Maßnahmen erreichen können. Es handelt sich dabei um das Sparen in allen Bereichen, im eigenen Betrieb — hier haben wir ja den An-
trag vorliegen, den § 10a der alten Fassung wieder in Kraft zu setzen —, das Sparen von Wertpapieren jeder Art, von festverzinslichen Wertpapieren, von Investmentpapieren und anderen, und auch das Kontensparen. Aber es scheint nötig zu sein, heute mit sehr hohen Prämien zu arbeiten, um gerade die kleinen und mittleren Einkommensträger zum Sparen anzuregen. Das wird nur gelingen, wenn wir ihnen für ihren Sparwillen einen sichtbaren Vorteil bieten. Hier sollten wir nicht kleinlich sein und sollten auf hundert Mark gespartes Geld eine großzügige Prämie gewähren, ähnlich wie wir es im Rahmen des Bausparens tun. Ich halte eine solche Prämie aus den überhöhten Steuereinnahmen für eine gerechte Reprivatisierung der uns gegen alle wirtschaftliche Vernunft aus der Tasche gezogenen Steuermittel, und zwar eine Reprivatisierung in die Hände volkswirtschaftlich wertvoller Mitglieder unserer Gesellschaft, nämlich der Sparwilligen.
Auch aus volkswirtschaftlichen Gründen ist es darüber hinaus nötig, das mit allen Mitteln zu betreiben. Wir haben heute schon das Verhältnis der Investitionsrate zur Spartätigkeit in einigen Zahlen gehört. Ich glaube, es ist dringend nötig, nachträglich die steil ansteigende Investitionsrate durch eine Förderung des Sparens abzudecken, um damit eine Konsolidierung der Entwicklung zu erreichen.
Als dritten Punkt nannte ich Zollmaßnahmen. Meine Fraktion hatte sich vorgestellt, daß die Ankündigungen des Bundeswirtschaftsministers, eine wirkungsvolle Zollsenkung durchsetzen zu wollen, in der Tat auch gehalten werden würden. Wir sind enttäuscht, daß das nicht der Fall ist. Denn was uns in den Zollsenkungen, die in dem Regierungsprogramm heute hier erwähnt worden sind, geboten wird, ist eine Durchlöcherung des Systems, die die Maßnahmen fast unwirksam macht. Bedenken Sie die psychologische Seite! Es ist in der Tat in der breiten Öffentlichkeit der Eindruck entstanden — ich will in diesem Augenblick noch nicht einmal sagen, ob zu Recht oder zu Unrecht —: Wir retten unser augenblickliches Preisgefüge nur, wenn wir eine lineare mindestens 30%ige Zollsenkung durchführen. Dieser Eindruck entstand nicht etwa von selbst, sondern dadurch, daß man in der breiten Öffentlichkeit den Worten des Bundeswirtschaftsministers noch Glauben schenkt. Wenn nunmehr plötzlich ein Regierungsprogramm vorgelegt wird, das diese Feststellung nicht berücksichtigt, muß in der Öffentlichkeit die Sorge entstehen: wenn das, was er als notwendig bezeichnet hat, nicht durchgeführt wird, kann wahrscheinlich die Entwicklung nicht mehr gerettet werden.
Das ist eine psychologische Seite, die wir auf jeden Fall berücksichtigen müssen. Deswegen bedauern wir, daß die Bundesregierung sich nicht zu einer linearen Zollsenkung entschließen konnte.
Ich will hier einschaltend ein Wort sagen, das die Landwirtschaft betrifft. Wir wollen mit dem Wunsch, eine lineare Zollsenkung unter Einschluß aller Produkte hier durchzusetzen, nicht etwas der Landwirtschaft Abträgliches tun. Keinesfalls! Aber das sind zwei völlig verschiedene Bereiche. Der Bereich der Notwendigkeit von Stützungsmaßnahmen für die Landwirtschaft hat nichts mit der Zollpolitik der Bundesregierung zu tun. Wir sind jederzeit bereit, über nötige Stützungsmaßnahmen mit der Bundesregierung zu verhandeln.
Aber das wäre doch genau dasselbe, meine Damen und Herren, als wenn ein Unternehmen, das einen staatlichen Kredit in Anspruch nimmt, nunmehr daraus die Folgerung zöge, keine Steuern mehr zu zahlen, weil es unsinnig erscheint, so etwas zu tun. Ich will also noch einmal deutlich sagen: soziale Maßnahmen werden von uns da, wo sie notwendig sind, immer befürwortet; aber wir können nicht notwendige wirtschaftspolitische, zollpolitische Maßnahmen dadurch verwässern lassen. Wir müssen es auf zwei verschiedenen Wegen tun. Das ist das Entscheidende.
Die Zollpolitik und die Zollsenkungsaktion hat doch neben dem Gedanken, das Preisgefüge zu beruhigen, sicherlich — ich hoffe es wenigstens — einen weiteren Grund. Ich nehme an, daß man die Absicht hat, dadurch den Import anzuregen, damit unsere Außenhandelsbilanz in ein ausgewogenes Verhältnis kommt. Es ist mit Recht schon gesagt worden, daß die laufenden Überschüsse unserer Zahlungsbilanz eine Geldvermehrung ergeben, die bei dem monatlichen Abfluß hoher Warenbestände ins Ausland wesentlich zum Steigen des Preisniveaus beigetragen hat. Man muß sich also überlegen, ob nicht neben den Zollmaßnahmen, die dazu mitwirken müssen, die Außenhandelsbilanz zu beruhigen und auszugleichen, gerade in diesem Bereich weitere Maßnahmen erfolgen sollten, um den Kapitalexport zu fördern. Damit kann man eine gewisse Lockerung der inzwischen schwierig gewordenen Situation herbeiführen und darüber hinaus in der Zukunft durch Erträge aus den Rückflüssen von Investitionen im Ausland unsere Zahlungsbilanz günstig gestalten, ohne daß das Angebot auf dem Inlandsmarkt knapper wird.
Zur Frage der Zollmaßnahmen will ich ebenfalls der Deutlichkeit halber hier sagen, daß wir auf keinen Fall irgendeine Drosselung des Exports wünschen, im Gegenteil, wir wollen den Export im gleichen aufsteigenden Trend halten wie bisher, wir denken nur mehr an eine Förderung des Imports zum Ausgleich der Außenhandelsbilanz.
Als Punkt 4 hatte ich die Notwendigkeit der Koordinierung aller Maßnahmen zur Konjunkturpolitik genannt. Ich glaube, die Ereignisse der letzten Monate haben jedem von uns bewiesen, daß eine Koordinierung wirtschafts- und finanzpolitischer 'Maßnahmen im Rahmen der Konjunkturpolitik oberstes Gebot ist. Das war auch unsere Absicht, als wir schon im Herbst vorigen Jahres in Berlin den Antrag stellten, einen Konjunkturbeirat zu bilden, der einem zu bestimmenden Gremium beratend zur Seite steht, das allein für die Konjunkturpolitik verantwortlich sein soll.
Die Ereignisse der letzten Monate haben schlagend gezeigt, wie richtig unsere damalige Auffassung war. Sie haben bewiesen, wie notwendig es ist — ich wiederhole es —, eine einheitliche Konjunkturpolitik zu treiben und ein einziges Gremium zu haben, das hier Maßnahmen trifft und auch Empfehlungen gibt.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister sprach vom moralischen Gewicht von Empfehlungen. Ich stimme ihm völlig in der Bewertung zu, welch hohe Bedeutung einer solchen Empfehlung mit morali-
schem Gewicht in der Konjunkturpolitik zukommt. Aber ich wiederhole: moralisches Gewicht kann nur durch ein alleinverantwortliches Gremium zustande kommen und nicht dadurch, daß vier einander widersprechende Empfehlungen von vier verschiedenen Stellen gegeben werden.
Über die öffentlichen Bauten habe ich soeben schon unter Punkt 2 der Großen Anfrage gesprochen.
Lassen Sie mich, weil das Problem in diesem Rahmen aufgekommen ist und der Herr Bundeswirtschaftsminister es so ebenfalls angesprochen hat, in aller Kürze ein Wort zu den Abschreibungsmethoden sagen. Kürzlich wurde die degressive Abschreibung angegriffen. Ich bin beruhigt, daß die Bundesregierung gesagt hat, sie werde vorläufig keine einschränkenden Maßnahmen auf diesem Gebiet treffen. Herr Minister Professor Erhard, die Formulierung der Erklärung der Bundesregierung ist aber ein klassisches Zeichen schlechter Psychologie, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Denn was wird der Erfolg dieser Bemerkung sein, daß Sie vorläufig keine Änderung zu treffen gedenken? Jeder einigermaßen helle Unternehmer wird sagen: „Vorläufig nicht" heißt mit Sicherheit: „Bald, jetzt aber ran!" Und es wird noch einmal ein Run auf Investitionen losgehen, um die vorläufig noch bestehenden Vergünstigungen auszunutzen. Ich halte einen Wechsel in der Abschreibungsmethodik für unmöglich, nicht etwa aus wirtschaftspolitischen Gründen, sondern aus betriebswirtschaftlichen Gründen. Es ist ausgeschlossen, daß ein Unternehmer immer unter dem Damoklesschwert der Veränderung der Abschreibungsmethodik steht. Hier muß er auf Jahrzehnte denken. Als Typ hat sie sich in hochindustrialisierten Ländern bewährt. Ich möchte bitten, daran festzuhalten.
Die Bundesregierung sollte sich an Hand unseres Antrages, der bereits im Herbst 1955 gestellt wurde, überlegen, ob die etwas globale Wirkung der degressiven Abschreibung nicht dadurch gemildert oder in einzelnen Bereichen aufgehoben werden könnte, daß Investitionsrückstellungen steuerlich begünstigt oder prämiiert werden. In dem etwas grellen Bild, in dem Schwarzweißbild, das sich bei den degressiven Abschreibungen ergibt, würden graue Zwischentöne sehr wohl möglich sein. Hier kann man durch unseren Gesetzentwurf durchaus eine Differenzierung erzielen. Ich bitte also, darauf noch besonders zu achten.
Ich wiederhole: Investitionen, auch die durch Abschreibungsbegünstigungen erzielbaren Investitionen, sind zwingend notwendig zur stetigen Ausweitung unseres Sozialprodukts, die die einzige Garantie für die Erhöhung des Lebensstandards der breiten Massen darstellt.
Zur Notenbank ist hier von allen Seiten Richtiges gesagt worden. Der Deutlichkeit halber möchte ich mich für meine Fraktion der Feststellung anschließen: an der Unabhängigkeit der Notenbank wird nicht gerüttelt. Darüber hinaus möchte ich weiter feststellen: Notenbank und Zentralbankrat sind überfordert, wollte man ihnen etwa konjunkturpolitische oder wirtschaftspolitische Aufgaben zuweisen. Das ist nicht Aufgabe der Notenbank, nicht Aufgabe des Zentralbankrats; dazu sind sie nicht da! Es geht zwar um eine Abstimmung der Maßnahmen, aber Wirtschaftspolitik und Konjunkturpolitik sind allein von der Bundesregierung zu betreiben und von diesem Parlament zu beschließen.
Ich glaube, es ist nützlich, daß wir diese Diskussion hier noch einmal führen. Allerdings befindet sich unsere Volkswirtschaft nicht etwa in einem Zustand zunehmender Verelendung, wie man manchmal den Eindruck haben kann
— ich habe nicht davon gesprochen, Herr Kollege Samwer —, wenn man die Berichte einzelner Gruppen liest. Ich stelle zu meiner persönlichen Überraschung fest — wenn ich sie einmal zusammenzähle —, daß nahezu alle im Wirtschaftsprozeß tätigen Gruppen von der guten Konjunktur nichts mitbekommen haben. Ich habe nach Prüfungen der Äußerungen großer, mittlerer und kleinerer Verbände bisher schlüssig nur entnehmen können, daß offensichtlich die einzig Begünstigten die Rentner sein müssen. Die haben nämlich noch nicht festgestellt, daß sie an der Konjunktur nicht teilgenommen hätten. Also so ist es nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist aber auch nicht von uns behauptet worden, und das ist auch nicht der Gegenstand unserer Sorge.
Hinter der scheinbar glänzenden Fassade und hinter diesem nach außen hin doch manchmal sichtbar ins Auge fallenden Wohlstand der Wirtschaft und unseres ganzen Volkes ist eine Gefahr erkennbar geworden. Diese Gefahr gilt es rechtzeitig zu erkennen und im Entstehen zu bekämpfen. Das ist doch unser aller Petitum, und da unterscheidet sich meine Fraktion weder von Ihnen noch von Ihnen (zur CDU/CSU) noch wahrscheinlich von der Bundesregierung. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir alle das Ziel haben, dieser Gefahr zu begegnen. Die ganze Diskussion dreht sich darum, welches die geeigneten Mittel sind. Ich glaube, daß die bisher angewandten Mittel uns keinen Schritt weitergebracht haben, sondern daß es endlich gilt, etwas Entscheidendes zu tun, und zwar ohne Rücksicht auf irgendwelche Gruppeninteressen, ganz allein im Interesse des gesamten Volkes. Denn jeder einzelne von uns lebt nur gut und lebt nur im Wohlstand, wenn die Volkswirtschaft als Ganzes im Wohlstand lebt.
Das Wort zur Beantwortung der beiden Großen Anfragen der Fraktionen der SPD und FDP hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wohl richtig, daß nach der von mir abgegebenen Regierungserklärung die Beantwortung der beiden Großen Anfragen in der Form von der sonstigen Übung zwangsläufig etwas abweichen muß; zumindest schiene mir das sinnvoll zu sein.
Ich möchte Herrn Dr. Deist zuerst sagen, daß er doch einem argen Irrtum verfällt, wenn er glaubt, daß erst die Anfrage der SPD die Bundesregierung bewogen habe, sich um die Konjunkturpolitik zu bekümmern. Es ist eher umgekehrt. Ich glaube, unser ständiges Ansprechen der Konjunktur mit ihren Gefahren hat auch die SPD auf den Plan gerufen, nun von sich aus ein konjunkturpolitisches Programm vorzulegen.
Im übrigen ist in der Rede so etwas durchgeklungen, als ob ich hier Taschenspielertricks mit Statistiken machen wollte. Ich habe wohl gesagt, daß unser heutiges Preisniveau im Schnitt etwa dem von 1951 entspricht. Sie haben, Herr Deist, sehr recht, wenn Sie sagen, das wäre jenes Preisniveau, das in der hektischen Zeit nach Korea entstanden sei. Aber ob ein Preisniveau unter politischen oder unter ökonomischen Akzenten etwas aus den Fugen gerät bzw. welche Verursachung die Konjunkturüberhitzung im einzelnen hat, — in der Ausprägung und in der Wirkung ist das ziemlich gleichgültig. Ich darf auch darauf verweisen, daß ich gerade bei dem angezogenen internationalen Vergleich und bei der Nennung der 13%igen Preissteigerung für Deutschland seit 1950 auf das billigste Jahr seit der Währungsreform Bezug genommen habe, so daß ich also sowohl einen Vergleich mit dem Jahr höchster Preise wie auch einen mit dem Jahr niedrigster Preise durchgeführt habe. Damit glaube ich wirklich, in der Betrachtung eine gerechte Wägung angestellt zu haben.
Ich bin mit Ihnen der Meinung, Herr Kollege Deist, daß es natürlich zu billig wäre, dem deutschen Volk zu sagen: Wenn irgendein Bedarf teurer wird, dann weiche aus! Das hat sicher seine Grenzen. Vor allen Dingen wird es sicher auch nicht unseren wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Anliegen und Zielsetzungen gerecht, wenn wir diese Methode als ein prinzipielles Verfahren dem deutschen Volke empfehlen wollten.
Sie haben wie so viele — und da befinden Sie sich in einer merkwürdigen Übereinstimmung auch mit den Unternehmerorganisationen —
meine Appelle an das deutsche Volk gerügt oder zumindest in Zweifel gesetzt, ob solche Appelle die beabsichtigte Wirkung auslösen könnten. Dazu möchte ich Ihnen eines sagen: Ich habe meine Appelle niemals an Organisationen und an Verbände, sondern immer an die einzelnen Menschen gerichtet und sogar dazu gesagt, daß es unnütz sei, einen Verband anzusprechen. Denn ob ein Unternehmer seine Preise senken will, ist ihm nicht vom Verband her aufzugeben, das kann er vielmehr nur auf Grund der betriebsindividuellen Kostenverhältnisse in eigener Verantwortung entscheiden. Deshalb geht der Appell niemals an Organisationen und Verbände, sondern er geht ausschließlich an Menschen.
Zum Beweis, daß die Bundesregierung in bezug auf ihre Preispolitik etwas lax operiert haben soll, führen Sie den Stahlpreis an. Ich muß schon sagen: Als Sie meine Rede vorgelesen haben, dachte ich mir, daß es eigentlich eine sehr gute Rede gewesen sei, die ich da gehalten habe.
Unter Berücksichtigung aller Imponderabilien in der Eisen- und Stahlindustrie — und jetzt wollen wir einmal unter Auguren sprechen — wissen wir beide ganz genau, daß die Vorstellung eines individuellen oder besser differenzierten Stahlpreises der Hüttenwerke für die einzelnen Sorten doch mehr oder minder utopisch ist — es immer war — und daß fast in keinem Land differenzierte Stahlpreise effektiv sind.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Dr. h; c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft: Ja bitte!
Herr Bundeswirtschaftsminister, das will ich natürlich nicht bestreiten. Aber ist Ihnen nicht doch aufgefallen, daß meine Bemerkungen in ganz anderer Richtung gingen? Sie gingen nämlich in der Richtung, ob Sie gegenüber Interessenverbänden die gleiche klare Sprache mit dem gleichen Nachdruck reden, wie Sie sie vor anderen Institutionen zu reden pflegen, und ob Sie nicht meinen, daß dieser Unterschied in der Tonart, den Sie dort zeigen, letzten Endes die Glaubwürdigkeit Ihrer Erklärungen berühren könnte.
Ich habe gestern schon zum Ausdruck gebracht, daß ich das beste Gewissen von der Welt habe,
wenn ich auf den Verdacht angesprochen werden sollte, Interessenverbänden hörig bzw. Sonderinteressen irgendwelcher Gruppen zugängig zu sein. Ich glaube, daß ich vor dem ganzen deutschen Volk wirklich nicht zu beteuern brauche, über den Vorwurf, Interessentenpolitik unterstützen zu wollen, erhaben zu sein.
Einen Augenblick, Herr Minister! Meine Damen und Herren, ich muß mich korrigieren. Ich habe versehentlich die Frage zugelassen. Wir haben nach unserer Vereinbarung die Zulassung der Zwischenfragen erst dann, wenn die Aussprache eröffnet ist. Nachdem auch der Redner so freundlich war, sie zuzulassen, habe ich mich damit einverstanden erklärt.
Ich möchte aber, Herr Kollege Deist, zum Stahlpreis noch etwas Besonderes sagen. Sie sind ja hier auch Fachmann. Sie wissen, daß wir am 23. Juli 1953 den sogenannten Kissingen-Rabatt zwischen 3 und 5 % verfügt haben. Den habe ich selber ausgehandelt. Am 1. Februar 1954 kam der sogenannte Monnet-Rabatt von 21/2 % dazu, und erst am 1. August 1954, in einer ganz anderen Konjunktursituation, als eine sehr starke Anspannung auf diesen Märkten zu verzeichnen war, ist der Fortfall dieses Rabatts beschlossen worden. Am 1. Februar 1955 erfolgte eine Erhöhung der Aufpreise, die etwa 3 % ausmachte, und nach meiner Rede vom Mai 1955 wurde dann eine Preiserhöhung von 2,3 % für alle Sorten durchgeführt. Ich stelle also damit fest, daß der deutsche Eisen- und Stahlpreis heute nicht höher liegt, als er im Jahre 1953 gelegen hat. Dieses Phänomen ist mindestens für die europäischen Länder einmalig. Im übrigen freue ich mich, feststellen zu können, Herr Kollege Deist, daß wir in bezug auf die gegenwärtige Situation und die drohende Gefahr einer weiteren Stahlpreiserhöhung einer Meinung sind.
Die Art, Reden oder Teile aus Reden zu zitieren, ist naturgemäß vor einem politischen Forum immer etwas billig. Herr Dr. Deist, was könnte ich mir für ein Vergnügen daraus machen, Reden von der SPD hier wortwörtlich vorzulesen!
Ich bin zu zartfühlend dazu.
Zu den Punkten 2 und 3 Ihrer Großen Anfrage hat ja im wesentlichen der Herr Bundeskanzler Stellung genommen. Ich möchte dazu folgendes sagen: die Mißverständnisse kamen wohl im wesentlichen daher, daß in der Presse auf einmal von einem „Konjunkturrat" als einer institutionellen Körperschaft gesprochen worden ist, die womöglich noch das Recht für sich in Anspruch nehmen wollte, gesetzgeberische Gewalt auszuüben. Dieses Mißverständnis hat sich schnell aufklären lassen; etwas Derartiges war niemals beabsichtigt.
Aber es wäre töricht, leugnen zu wollen, daß gewisse unterschiedliche Auffassungen zwischen dem Herrn Bundeskanzler und einigen seiner Minister und vielleicht mir im besonderen zutage getreten sind. Sie sind, wie es zwischen Männern üblich ist, mit der entsprechenden Klarheit und, wenn Sie wollen, auch Härte ausgetragen worden.
Ich muß Ihnen sagen: wenn ein Minister — und jetzt meine ich mich — mit dem Herrn Bundeskanzler sieben Jahre zusammenarbeitet, verbindet diese Männer nicht nur ein Gefühl selbstverständlicher Loyalität, sondern auch ein Gefühl menschlicher Treue.
Aus diesem Grunde lehne ich es ab und halte es für einen schlechten politischen Stil, eine solche Auseinandersetzung zum Gegenstand einer parteipolitischen Agitation herabwürdigen zu wollen.
Im übrigen darf ich Ihnen versichern, daß ich mir keine Sympathiekundgebungen bestellt habe. Es ist vielmehr im Wirtschaftsministerium üblich, daß dort alle Menschen, die ein Anliegen haben, auch gehört werden. Das gilt nicht nur für unternehmerische Verbände, sondern das gilt in gleichem Maße für Verbraucherverbände und gilt insonderheit auch für die Gewerkschaften. Ich habe es mir wirklich angelegen sein lassen, unter Wahrung der Interessen der gesamten Volkswirtschaft mit den Gewerkschaften — auch mit dem gleichen Ton, Herr Kollege Deist, und mit der gleichen geistigen Aufgeschlossenheit und Ehrlichkeit! — fortdauernd Gespräche zu führen, um unserem deutschen Volk damit einen guten Dienst zu erweisen.
Wir sind hingegen wieder einer Meinung in der Beurteilung der Gefahr, die darin zu erblicken wäre, daß wir etwa aus einer leichtfertigen Haltung einer fortdauernden, wenn auch vielleicht nur ganz leise sich verstärkenden Aushöhlung der Realkaufkraft unseres Geldes Vorschub leisten wollten oder eine solche Entwicklung nicht ernst zu nehmen bereit wären. Ich habe das wiederholt ausgesprochen. Wenn aber in einem besonderen Zusammenhang darauf verwiesen wurde, daß man auf lange Sicht doch mit der Möglichkeit einer gewissen Verschlechterung des inneren Geldwertes rechnen muß, bedeutet das nicht, daß das etwa die Politik der Bundesregierung wäre, sondern dieser Hinweis diente der Feststellung, daß leider in der Vergangenheit solche Entwicklungen wahrnehmbar waren und darauf bei einer sozialen Gesetzgebung vorsorglich gebührend Rücksicht genommen werden muß. Unbedingt steht aber die Regierung auf dem
Standpunkt — und ich glaube, das ist heute völlig deutlich geworden —, daß die Erhaltung der Realkaufkraft unseres Geldes, d. h. die Sicherung eines stabilen Preisniveaus, das erste Anliegen einer aktiven Konjunkturpolitik überhaupt ist.
Nun zur Zollvorlage und zur Zollpolitik. Ich habe heute selbst gesagt: es ist ein Mindestprogramm,
und das Hohe Haus hat selbst zu beschließen, ob es bei der Behandlung dieses Gegenstandes in der einen oder anderen Form davon abweichen möchte. Ich persönlich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube — ich habe es ja in aller Öffentlichkeit gesagt —, aber ich halte mich hier an die Geschäftsordnung der Bundesregierung — was ja auch Ihr Wunsch ist — und vertrete damit die Auffassung des Kabinetts.
Herr Kollege Scheel meinte, die Bundesregierung hätte keine konjunkturpolitische Konzeption oder kein konjunkturpolitisches Programm. Ja, meine Damen und Herren, selbstverständlich stimmen die Auffassungen der einzelnen Minister in allen einzelnen Punkten nicht völlig überein. Aber sicher ist es auch nicht so, daß das Konjunkturprogramm einer Regierung etwa dem arithmetischen Mittel aus den Vorstellungen von 18 Ministern entspricht. Das Ergebnis ist die Frucht ernster Auseinandersetzungen. Die Politik ist bekanntlich immer die Kunst des Möglichen.
Was die Bank deutscher Länder anlangt, meinten Sie im Zusammenhang mit ihrer Kreditpolitik, sie sei gezwungen gewesen, diese Maßnahme durchzuführen, weil die Bundesregierung gezaudert habe oder untätig gewesen sei. Dazu darf ich Ihnen sagen: die Initiative zu konjunkturpolitischen Gesprächen mit dem Finanzminister und mit dem Präsidenten der Bank deutscher Länder ist von mir ausgegangen, und der Präsident der Bank deutscher Länder hat ausdrücklich anerkannt und im Zentralbankrat auch erklärt, daß die Maßnahmen, die die Bank auf dem Gebiete der Kreditpolitik ergreift, unabhängig von den Maßnahmen der Regierung seien und daß sie diese nicht zu ersetzen habe. Wohl ist es notwendig, daß die Bundesregierung die Maßnahmen der Bank deutscher Länder durch ihre Politik ergänzend unterstützt. Aber das war in unserem gemeinsamen Programm von Anfang an festgelegt. Ich habe vorhin in meiner Erklärung darauf hingewiesen, daß es in der Natur der Dinge und in der Ordnung der Institutionen liegt, wenn die Bank deutscher Länder schneller reagieren kann, als es die Regierung im Einvernehmen insbesondere mit diesem Hohen Haus vermag.
Als letztes haben Sie die Konjunkturdebatte in Berlin angeführt und glaubten rügen zu müssen, daß ich vorhin äußerte, während des Saisontiefs in den Wintermonaten habe man keine konjunkturpolitische Aktivität entfalten können. Und Sie fragten: Wußte man denn eigentlich im Herbst vorigen Jahres nicht, wie in diesem Jahre die Konjunktur aussehen wird? Doch, in etwa wußte ich das natürlich auch, Herr Kollege Deist — das ist ganz sicher —; es kommt hier ja aber auch auf die Ausmaße an. Und da darf ich zum Beispiel unter Verweis auf die Entwicklung in der amerikanischen Automobilindustrie und auch in anderen Zweigen
I sagen: so sicher hat nun wirklich keine Regierung die Konjunktur im Griff, daß sie auf lange Sicht absolut sichere Prognosen treffen könnte.
— Auch nicht über ein halbes Jahr! Über diesen Gegenstand werden wir uns ja noch zu unterhalten haben, wenn wir über das Nationalbudget diskutieren. Die Gabe eines Laubfrosches glaube ich jedenfalls nicht zu besitzen.
Aus diesem Grunde sage ich mit aller Deutlichkeit
— und ich habe es soeben erklärt —: eine Konjunkturpolitik muß gerade in dieser Phase sehr feinnervig und sehr reagibel gehandhabt werden, um allen, unter Umständen sehr schnell einsetzenden Wandlungen und Wendungen der Konjunktur mit dem geeigneten Instrumentarium rasch und wirksam begegnen zu können.
Was den Einfluß der Rentenerhöhung und der Rüstungsausgaben anlangt, ist das, Herr Kollege Deist, was da bisher an Auswirkungen spürbar geworden sein kann, praktisch überhaupt gleich Null, so daß wir in den Konjunkturerwägungen während des Winters diesen auf uns zukommenden Erscheinungen und Aufgaben nicht schon gerecht werden konnten und es auch nicht mußten.
Lesen Sie im übrigen einmal die Zeitungen und nehmen Sie alle verfügbaren Berichte her, dann werden Sie finden, daß insbesondere das Wirtschaftsministerium während des ganzen Winters dabeigewesen ist, an der Stabilisierung der Konjunktur zu arbeiten. Ich brauche nur an unsere Bemühungen, den Kohlenpreis zu stabilisieren, zu erinnern. Sie wissen ja, was wir alles veranstalten mußten und was alles durchzusetzen und zu ordnen war, um gerade von dieser Seite her keinen neuen Konjunkturstoß und keine Gefährdung des Preisniveaus aufkommen zu lassen.
Ich habe schon den Einwand des Herrn Kollegen Scheel zurückgewiesen, die Bundesregierung hätte kein konjunkturpolitisches Programm. Selbstverständlich bin ich mit ihm der Meinung — und die ganze Bundesregierung mit ihm —, daß wir, sosehr wir eine Konjunkturüberhitzung zu unterbinden haben, selbstverständlich einem Konjunktureinbruch wirksam zu begegnen hätten. Die Erhaltung der Hochkonjunktur, die Ausnutzung aller sachlichen und menschlichen Produktivkräfte, die Sicherung der Vollbeschäftigung ist die vordringlichste und gerade unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten wichtigste Aufgabe der Bundesregierung. Also wir sind einig: ein Rückschlag soll und darf nicht eintreten, und betonen deshalb auch die Notwendigkeit eines schnellen Reagierens auf konjunkturelle Entwicklungen.
Was Sie ansonsten sagten, war eigentlich nicht Gegenstand Ihrer Großen Anfrage, so daß es für mich schwierig ist, darauf einzugehen. Nicht, daß ich nicht in vielem mit Ihnen übereinstimmte, so z. B. in dem Grundsatz, daß der Staat nur gerade das, aber ganz bestimmt nicht mehr, an Steuern erheben sollte, was er unter sparsamster Verwaltung und unter Anwendung strengster Maßstäbe an die staatsbürgerliche Verantwortung auszugeben verpflichtet ist. Ich glaube, das ist selbstverständlich!
— Wenn Sie mit dem Finanzminister sprechen, so werden Sie erfahren, daß er für das Jahr 1957 wahrscheinlich andere Probleme zu bewältigen haben wird als gerade dieses. Im übrigen: Seien wir einmal ehrlich! Es ist doch so, daß hohe Steuern nach diesem Zusammenbruch einfach unser Schicksal waren. Es gab doch keinen Kapitalmarkt, und wer wäre schon bereit gewesen, Mittel in den Kapitalmarkt zugunsten der öffentlichen Hand hereinzugeben? Wir mußten also angesichts der Dringlichkeit der vielen Aufgaben, die gleichzeitig an uns heranbrandeten, und der hohen sozialen Verpflichtungen auch hohe Steuern setzen,—selbstverständlich mit dem Ziel und mit dem letzten Ideal, sie so niedrig als möglich werden zu lassen. Daß die Besteuerung hoch gewesen sein muß, war eine Selbstverständlichkeit. Es bedeutete deshalb auch einen untauglichen Versuch, zu glauben, daß man dieser staatspolitischen Notwendigkeit entrinnen könne.
Das gleiche gilt auch in bezug auf die Kapitalstruktur der Unternehmungen, also etwa auf die Bemessung des Verhältnisses von Eigenkapital zu Fremdkapital. Ich bestreite nicht die Ziffern, die Sie genannt haben. Aber ich möchte wieder meinen, daß dabei ebenfalls eine gewisse Zwangsläufigkeit vorliegt, so bedenklich oder gefährlich im einzelnen diese Relation sein kann, zumal dann, wenn die Hochkonjunktur wirklich gefährdet und ein Rückschlag zu erwarten wäre. Aber besinnen Sie sich darauf, wo wir im Jahre 1948 standen, daß wir seinerzeit — es hat sich der Tag gerade zum achten Male gejährt — auf der Grundlage eines uns aus tragischer Vergangenheit noch geretteten Geldkapitals von 6,5 % der früheren Reichsmarkbeträge eine wirtschaftliche Expansion aufbauen mußten, die sowohl in ihrer Dynamik wie in ihren Ausmaßen gar nicht vorausgeahnt werden konnte! Wenn mir heute jemand sagte, er sei in bezug auf seine Kapitalstruktur wunschlos glücklich, d. h. wenn das Fremdkapital heute nicht noch einen verhältnismäßig großen Anteil am Eigenvermögen der einzelnen Unternehmungen ausmachte, dann hätten wir eine schlechte oder mindestens keine soziale Politik getrieben. Das hindert uns nicht, für die Folgezeit, die ja sehr viel stärker im Zeichen einer Konsolidierung stehen wird, wieder dafür zu sorgen, daß die innere Gesundung unserer Wirtschaft weitere Fortschritte macht. Ich glaube also, daß man mit dem Blick auf die Vergangenheit und auch in der Wertung der gegenwärtigen Verhältnisse an diesen schicksalhaften Gegebenheiten einfach nicht vorbeigehen kann.
Ich stimme auch in einem weiteren mit Ihnen überein: Heute ist es Mode und Sitte geworden, zu klagen.
Das ist in der Hochkonjunktur — ich sprach es in diesen Tagen scherzhaft in einem Ausschuß aus — anscheinend der New Look. Keiner will an der Konjunktur beteiligt sein. Wenn man die Zeitungen aufschlägt, dann strotzen diese geradezu von Versicherungen, daß dieser oder jener Wirtschaftszweig überhaupt noch nichts von einer Belebung gemerkt habe, obwohl fast alle aus den Nähten platzen.
Und zum Schluß: Es ist immerhin erfreulich, wenn man eine Konjunkturdebatte auf dem sicheren Bord des deutschen Wiederaufbaues führen kann. Gerade im Hinblick auf das, was auch Kol-
lege Scheel sagte, bin ich der Ansicht: hätte ich im Jahre 1948 — seit dieser Zeit trage ich ressortmäßig die Verantwortung für die Wirtschaftspolitik — jedem deutschen Staatsbürger eine gute Fee zur Seite gestellt und ihm die Freiheit eröffnet, alle seine Wünsche und Vorstellungen zu äußern, wie er sich das Leben und seine Zukunft im Jahre 1956 denkt, dann glaube ich, daß es niemand gewagt hätte, auch nur die Hälfte dessen zu fordern, was in der Zwischenzeit durch unsere Politik erreicht worden ist.
Meine Damen und Herren, das Haus steht vor der Notwendigkeit, in eine Mittagspause einzutreten. Zunächst hat aber der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten das Wort gewünscht. Herr Bundesminister, wollen Sie noch zur Beantwortung der Großen Anfrage sprechen?
— Dann schlage ich dem Hause vor, daß wir den Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Rahmen der Beantwortung der Großen Anfrage noch hören.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht wäre zu der Beantwortung der Großen Anfrage von meiner Seite nicht mehr allzuviel beizutragen gewesen, weil wir ja gestern abend beim Etat des Landwirtschaftsministeriums schon darüber gesprochen haben. Aber ich möchte einige Angaben von Herrn Kollegen Deist und auch von Herrn Scheel nicht unwidersprochen lassen.
Herr Deist hat erklärt, daß die Teuerung auf dem Gebiet der Milch- und Kartoffelpreise sowie der Mietpreise — das letztere möchte ich nicht behandeln — im Winterhalbjahr wesentlich durch Maßnahmen der Bundesregierung hervorgerufen worden sei.
— Praktisch kann es sich doch nur um das Winterhalbjahr handeln; bei den Kartoffelpreisen handelt es sich um das Winterhalbjahr, und die Steigerung des Milchpreises trat am 1. April ein; also muß man doch wohl beides hineinrechnen.
Über den Milchpreis haben wir uns oft genug unterhalten; darüber brauche ich heute nicht mehr zu sprechen. Wir waren uns über die Notwendigkeit dieser Preiserhöhung in weitesten Kreisen, auch in Ihrer Fraktion klar.
Daß die Kartoffelpreiserhöhung eine staatliche Maßnahme gewesen sei, ist eine Behauptung, die auch an anderer Stelle erhoben wird, und der möchte ich mit aller Entschiedenheit entgegentreten.
Wir hatten im vergangenen Jahr eine Kartoffelernte, die um 4 Millionen t niedriger lag. Nun wird behauptet, daß die Kartoffelpreise durch die Verknappung der Futtergetreideeinfuhr künstlich hochgehalten würden. Demgegenüber darf ich folgendes feststellen: In diesem Winterhalbjahr sind 3 Millionen t Kartoffeln weniger verfüttert worden als im vorherigen Jahr. In diesem Winterhalbjahr sind aber 300 000 t Futtergetreide mehr eingeführt worden. Das sind zwei Tatsachen, die von jedem nachzuprüfen sind, und die sprechen absolut gegen Ihre Behauptung. Dazu kommt, daß die eigene Produktion von Futtergetreide im Jahre 1955 um 500 000 t höher war als im vergangenen Jahr. Man muß also schon wirklich suchen, wenn man behaupten will, daß die Regierung Mittel ergriffen hätte, um den Kartoffelpreis hochzuhalten.
Des weiteren ist immer vergessen worden, daß in diesem Winterhalbjahr, das durch den Frost eine so nachteilige Preisentwicklung genommen hat, außer der Preiserhöhung für Kartoffeln, Butter, Eier und Fisch, die sehr bedeutungsvoll und sehr betrüblich für uns war, z. B. für Zucker, Margarine, Nährmittel, Gemüse, Südfrüchte, pflanzliche Öle und Fette und Schweineschmalz recht erhebliche Preisminderungen eingetreten sind, z. B. bei pflanzlichen Ölen und Fetten von 5,6 %, bei Gemüse von 3,3%, bei Schweineschmalz von 15,6 %. Es sind also auf diesem Gebiete nicht nur Verschlechterungen eingetreten.
Weiterhin haben Sie behauptet, die normale Preisberuhigung habe sich nach dieser Zeit, April, Mai, nicht rechtzeitig eingestellt. Der Erzeugerpreis für Kartoffeln war im Höchststand 9,20 DM, noch im April; er beträgt jetzt 5 bis 6 DM für Kartoffeln der alten Ernte. Der Großhandelseinstandspreis für Eier lag Mitte März bei 23,75 DPf, Ende April bei 16,75 und am 20. Juni bei 17,50 DPf. Bei Butter ist seit Februar eine Preisminderung um 40 Pf je Kilo eingetreten. Das sind doch Dinge, die mit Ihren Angaben nicht in Einklang zu bringen sind.
Sie meinen weiter, die Hausfrau habe in vielen wichtigen Ernährungsfragen keine Möglichkeit des Ausweichens. Ich habe schon gestern abend angeführt: Sie können Eiweiß in Gestalt von Kalbfleisch, von Rindfleisch, von Schweinefleisch, in pflanzlicher Form in Gestalt von Hülsenfrüchten, von Eiern, von Vollmilch, von Magermilch, von Quark und von Fischen haben. Wenn Sie die Differenz zwischen dem billigsten Eiweißnahrungsmittel zum teuersten betrachten, haben Sie eine Wahl unter den Preisen im Verhältnis von 1 : 8. Bei Schweinefleisch z. B. kosten 100 g Eiweiß 4,10 DM, bei Kalbfleisch 3,60, bei Rindfleisch 3,00, bei Eiern 3,50, bei Vollmilch 1,30 DM, bei Fisch 90 Pf und bei Quark 50 Pf. Ich glaube, das gibt, ohne den Küchenzettel langweilig zu machen, eine große Zahl von Abwechslungsmöglichkeiten.
Von Herrn Kollegen Scheel wurde behauptet, die Senkung der Zölle habe mit den Forderungen des Landwirtschaftsgesetzes, eine leistungskräftige und leistungsfähige Landwirtschaft zu erhalten, nichts zu tun. Man könne die Zölle ruhig senken und eventuell durch Subventionen nachher wieder helfen. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben eine derartige Auffassung des Landwirtschaftsgesetzes bisher nicht gehört.
Das Landwirtschaftsgesetz schreibt vor, daß geprüft wird, ob die notwendigen Aufwendungen durch Einnahmen gedeckt werden. Sind sie nicht durch die Einnahmen gedeckt, dann hat die Bundesregierung die Pflicht, darüber nachzudenken und entsprechende Vorschläge zu machen, wie man dieses Minus in möglichst produktiver Weise aus der Welt schaffen kann. Wenn ich aber dieses Mi-
nus durch Senkung der Zollsätze vorher vergrößere, wirke ich doch einer vernünftigen Handhabung des Bundeslandwirtschaftsgesetzes von vornherein entgegen, oder ich muß mich darauf einstellen, etwa wie die Engländer, daß die Landwirtschaft in ihrer ganzen Wirtschaftsführung auf Subventionen vom Bund oder von den Ländern angewiesen ist. Das würde eine ständige Unzufriedenheit in der Landwirtschaft mit sich bringen, und das Ansehen des Berufsstandes würde auf das schwerste gefährdet. Eine solche Agrarpolitik ist ein Widerspruch in sich.
Damit sind beide Großen Anfragen beantwortet.
Ich unterbreche die Sitzung; wir treten um 14 Uhr 30 in die allgemeine Aussprache ein.
Die Sitzung wird um 14 Uhr 31 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier wieder eröffnet.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, die Antworten der Regierung auf die Großen Anfragen sind erfolgt. Ich frage, ob in die Beratung eingetreten werden soll.
- Die Beratung ist beantragt.
Ich eröffne die Beratung.
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/ CSU bitte ich, gestützt auf § 30 der Geschäftsordnung
— es bleibt mir nichts anderes übrig, Herr Kollege —, die Beratung der Großen Anfragen zu vertagen.
— Ich lege großen Wert darauf, Herr Kollege Mellies.
— Herr Abgeordneter Mellies, ich lege wirklich großen Wert darauf, daß das Parlament noch ernst genommen wird; ich will es Ihnen auch gern begründen.
— Herr Kollege Mellies, auf diesen Zwischenruf hin: Sie haben vorhin über den Lautsprecher gehört, daß meine Fraktion gegenwärtig eine Fraktionssitzung hat; sie kommt gleich herunter. Herr Kollege Menzel ist in derselben mißlichen Lage, in der ich mich heute und hier befinde, d. h. auf die rechtzeitige Rückkehr der Fraktion warten zu müssen, auch schon gewesen. Uns parlamentarische Geschäftsführer verbindet — das will ich bei der Gelegenheit einmal sagen - mancherlei gemeinsames Leid.
Sie haben gesagt, Herr Kollege Mellies, daß wir das Parlament nicht ernst nähmen. Unser Antrag die Beratung der Großen Anfragen zu vertagen, geht darauf zurück, daß wir die zweite Lesung des Haushalts noch in dieser Woche gern sichergestellt sehen möchten. Zweck dieser Maßnahme ist es, die dritte Lesung des Haushalts in der nächsten Woche zu gewährleisten. Alle Fraktionen des Hauses wissen, wie Landesregierungen und Kommunalvertretungen — ich möchte beinahe sagen, seit vielen Monaten — darauf warten, daß der Haushalt verabschiedet wird. Sie wissen alle, wie sich diese Landesparlamente und diese Kommunalvertretungen auf unseren Haushalt einstellen müssen, wie sie von der Verabschiedung dieses Haushalts abhängig sind. Deswegen möchten wir gern diesen Weg gehen.
— Lieber Herr Kollege Kalbitzer, keine Schweigeminute. Ich hoffe, daß das Haus bereit sein wird, die zweite Lesung des Haushalts heute noch bis zum Schluß durchzuführen. Wir waren uns im Ältestenrat darüber einig, daß wir zunächst einmal versuchen wollten, dieses Ziel bis 23 Uhr zu erreichen. Wenn sich alle Fraktionen in dem Bestreben einig sind, die dritte Lesung in der nächsten Woche durchzuführen, sollte das bei einigermaßen gutem Willen möglich sein.
Aber ich habe noch eine andere Begründung für dies unser Petitum. Gerade auch von den Oppositionsfraktionen ist genug gebeten worden, zwischen eine Regierungserklärung und die Aussprache über eine Regierungserklärung eine Frist von 24 Stunden zu legen.
— Beides. Ich könnte mir jedenfalls vorstellen, daß die Redner meiner Fraktion diese 24 Stunden
— vielleicht werden es auch noch mehr — sehr gern dazu benutzen, sich auf das vorzubereiten, was der Herr Kollege Deist gesagt hat;
und ich kann mir gut vorstellen, daß Herr Kollege Deist gern eine längere Frist hat, um das gründlich zu durchdenken, was der Herr Bundeswirtschaftsminister und der Herr Bundeskanzler gesagt haben.
Vor diesem Hintergrund bitte ich also noch einmal, die Aussprache über die Konjunkturpolitik zu vertagen und jetzt in die zweite Beratung des Haushalts wieder einzutreten.
Wird dazu das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Menzel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag des Herrn Kollegen Rasner würde bedeuten, daß wir aller Wahrscheinlichkeit nach morgen vormittag eine Plenarsitzung haben müßten. Niemand in diesem Hohen Hause wird bestreiten, daß die heutige konjunk-
turpolitische Debatte längst fällig war. Das bewiesen das Interesse der Öffentlichkeit und die Rede des Herrn Bundeskanzlers, wobei man sich bei der Rede des Herrn Bundeskanzlers mit einiger Bestürzung fragen mußte: Wo befinden wir uns eigentlich?
Ich sagte, diese Debatte war seit langem fällig. Wir Sozialdemokraten hatten sie bereits für den 8. Juni, d. h. 14 Tage zuvor, beantragt. Daß sie damals nicht zustande kam, lag nicht an uns. Es lag an der Regierung, die wegen des Kölner Ereignisses oder, vielleicht sollte man richtiger sagen, gerade wegen der Gürzenich-Rede des Herrn Bundeskanzlers ratlos war und erklären ließ, sie müsse sich nun selbst einmal schlüssig werden, was jetzt zu geschehen habe. Wir Sozialdemokraten sind nicht bereit, diese Ratlosigkeit und diese Verwirrung in den Kreisen der Regierung nun auf dem Rücken der Volksvertretung austragen zu lassen.
Außerdem weiß ich gar nicht, warum es mit der zweiten Lesung des Haushalts nun plötzlich so pressiert. Sie haben doch selbst die Schuld daran, daß wir heute die konjunkturpolitische Debatte einschalten mußten.
Wir haben in der nächsten Woche zwei ganztägige Sitzungen und eine halbtägige Sitzung des Plenums, und wir haben in der übernächsten Woche noch einmal zwei bis drei Tage für Plenarsitzungen frei. Wir können also in aller Ruhe, so wie es sich für einen 32 1/2-Milliarden-Haushalt gehört, den Haushalt sorgfältiger und besser beraten, als das bisher im Husch-Husch-Verfahren geschehen ist.
Zudem wissen Sie, meine Damen und Herren, daß mindestens die Hälfte der Mitglieder dieses Hauses bereits vor Wochen Verpflichtungen übernommen haben, an diesem Wochenende an Kongressen, Versammlungen, politischen Veranstaltungen usw. teilzunehmen und auch sonstige politische Verpflichtungen haben. Gerade wir Mitglieder des Ältestenrats haben in diesen Tagen, wenn auch leider nicht mit großem Erfolg, darum gekämpft, daß die Empfehlungen des Ältestenrates hier respektiert werden und nach ihnen verfahren wird. Dann aber kann man jetzt nicht fordern, daß wir in Abweichung von den Vorschlägen des Ältestenrates morgen eine Plenarsitzung abhalten.
Ich bitte daher namens der sozialdemokratischen Fraktion, diesen Antrag abzulehnen. Wir können dieses Durcheinander um der Würde des Hauses willen nicht mehr mitmachen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Wir können uns dem Beschluß, den die CDU gefaßt hat, nicht widersetzen; denn sie hat die Mehrheit. Aber ich habe doch das Bedürfnis, für meine Fraktion das Unbehagen über die Methoden zum Ausdruck zu bringen, die jetzt in diesem Hause einzureißen drohen.
Es ist das zweite Mal, daß wir die Besprechung einer Großen Anfrage ad Calendas graecas verschieben. Ich erinnere an die Aussprache über die Kohlenwirtschaft; sie wurde erst nach vier oder sechs Wochen unter völlig veränderten Verhältnissen durchgeführt. Wenn wir diese Debatte über die Konjunkturlage in vierzehn Tagen oder vielleicht erst nach den Ferien stattfinden lassen, werden wieder ganz veränderte Verhältnisse vorliegen.
Wir selbst sind auch der Meinung, daß der Haushalt schnell verabschiedet werden muß. Aber das alles hätte man vorher wissen können. Jeder konnte wissen, daß wir mit einer Konjunkturdebatte nicht in einem halben Tage durchkommen werden. Und dann die üble Methode, an die Spitze dieser Konjunkturdebatte eine Regierungserklärung zu setzen, hat eigentlich dem Faß den Boden ausgeschlagen.
Das Wort zur Geschäftsordnung wird nicht weiter gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Abgeordneten Rasner, der dahin geht, die Beratung der Großen Anfragen jetzt zu vertagen und mit der weiteren Beratung des Haushalts fortzufahren. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
— Meine Damen und Herren, beruhigen Sie sich!
Achten Sie die Beschlüsse nach den Ordnungen dieses Hauses!
Eine Sache muß ich aber noch prüfen. Ich bitte deshalb, mir noch etwas Zeit zu lassen. Ich werde nämlich von dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft
— lassen Sie mich doch endlich auch einmal ausreden — darauf aufmerksam gemacht, daß die Punkte 5 a usw. — habe ich Sie recht verstanden, Herr Bundesminister, welche Punkte der Tagesordnung über die Zollvorlagen sind es? — auf Grund von § 96 der Geschäftsordnung heute auf der Tagesordnung bleiben müßten.
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Kalbitzer!
Herr Präsident, soll ich das so verstehen, daß jetzt die Zolldebatte als nächster Punkt behandelt werden soll?
Herr Abgeordneter Kalbitzer, ich werde die Bestimmungen der Geschäftsordnung auf das genaueste prüfen, nachdem sich der Herr Bundesminister für Wirtschaft an mich gewandt und unter Berufung auf die Geschäftsordnung der Auffassung Ausdruck gegeben hat, daß diese Vorlagen heute noch verhandelt werden müßten. Ich kann mich im Augenblick deshalb meinerseits nicht dazu äußern. Das Haus
wird frei sein, dazu Stellung zu nehmen. Ich schlage Ihnen aber vor, daß wir jetzt zunächst einmal in die Beratung des Haushalts eintreten. Ich kann dem Herrn Bundeswirtschaftsminister im Augenblick nicht zustimmen.
— Nein, Herr Abgeordneter Kalbitzer hat noch immer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dann möchte ich Ihnen vorschlagen, jetzt sofort in die Zolldebatte einzutreten. Ich glaube, die Argumentation des Herrn Bundeswirtschaftsministers hat etwas für sich. Zollverordnungen müssen innerhalb von vierzehn Tagen im Parlament behandelt werden. Darauf bezieht sich der Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Es hieße doch das Durcheinander vollkommen machen, wenn man jetzt etwa eine Stunde über den Haushalt debattierte und dann wieder zur Wirtschaftsdebatte zurückkehrte. Sie wissen doch, daß schon heute vormittag wesentliche Einzelpunkte der Zolldebatte vorweggenommen worden sind. Lassen wir uns wenigstens etwas Kontinuität in diesem Hause und stimmen Sie zu, daß, wenn schon Zolldebatte, sie jetzt sofort beginnt.
Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Argumentation des Kollegen Kalbitzer hat mich überzeugt; wir stimmen dem Antrag des Kollegen Kalbitzer zu.
Herr Abgeordneter Dr. Becker!
Meine Damen und Herren! ich möchte Sie auf folgendes aufmerksam machen. Wenn jetzt beschlossen wird, daß die Konjunkturdebatte nicht weitergeführt wird, aber in einiger Zeit die Zolldebatte beginnt und nun Beschlüsse über die Zollvorlagen gefaßt werden sollen
— ganz gleich; ob jetzt oder in einer halben Stunde oder Stunde, ist egal — und die Konjunkturdebatte zwischendurch ausfällt, dann wird das, was die logische Schlußfolgerung aus der Konjunkturdebatte sein soll, nämlich die Beschlußfassung über die Zollvorlagen — die Zollfrage ist ja ein Teil der Konjunkturdebatte — vorweggenommen, ohne daß die Sache selber ausdiskutiert ist. Das scheint mir nicht gerade sehr logisch zu sein.
Herr Bundesminister für Wirtschaft!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist völlig ausgeschlossen, daß die Zolldebatte verschoben wird. Ich bitte Sie, sich der Konsequenzen bewußt zu sein. Das würde nämlich bedeuten, daß am 1. Juli dieses Jahres die im vorigen Jahre um 50 % gesenkten Zölle erhöht werden müßten und daß überhaupt unsere ganzen außenwirtschaftlichen Beziehungen auf das ernsteste gestört und gefährdet werden, wenn die Unsicherheit über den 1. Juli hinaus andauern müßte.
Meine Damen und Herren, man merkt, daß das Wochenende herbeigekommen ist und das Haus am Freitagnachmittag im allgemeinen nicht tagt.
Herr Bundeswirtschaftsminister, darf ich fragen, welche Punkte der Tagesordnung Sie mit Ihrem Antrag meinen? Die Punkte 5 a, 5 b, 5 c, 5 e, 5f; weitere Punkte?
— Einen Augenblick, meine Damen und Herren, wir müssen uns über die Punkte der Tagesordnung, um die es sich handelt, klarwerden. — Der Herr Bundeswirtschaftsminister besteht also auf der Behandlung der Punkte 5 a, 5 b, 5 c, 5 e, 5 f, 6, 7, 8, 9 und 14 der Tagesordnung.
Herr Abgeordneter Kalbitzer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister ist völlig im Recht; darüber ist nicht zu debattieren. Zu debattieren ist nur über das Durcheinander, das durch den Antrag von Herrn Rasner und Kollegen entstanden ist. Ich muß Ihnen offen sagen, Herr Rasner, das von Ihnen vorgeschlagene Verfahren ist unmöglich. Wenn wir die Zolldebatte führen, haben wir de facto natürlich auch eine Wirtschafts- und die Konjunkturdebatte. Wir können im besten Fall die Überschrift für diese Debatte wählen. Aber Sie werden uns wohl nicht verwehren, daß, wenn wir über Konjunkturpolitik sprechen, wir über konjunkturpolitische Zollsenkungen beraten.
Ich möchte Ihnen vorschlagen, um das Knäuel nun endlich zu entwirren: nehmen Sie Ihren Antrag zurück; es geht so faktisch nicht.
— Also gut, dann darf ich Ihnen jetzt in aller Freundschaft sagen, daß wir auf Vorschlag Ihres Bundeswirtschaftsministers über Konjunkturpolitik debattieren werden. Sie hängen mit Ihrem Antrag völlig in der Luft.
Herr Abgeordneter Krone zur Geschäftsordnung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte annehmen, daß wir uns in einem einig sind: Ich glaube, daß auch Sie ein Interesse daran haben, daß der Haushalt möglichst bald verabschiedet wird. Ich möchte an Sie appellieren, mit uns übereinzustimmen, daß wir den Haushalt heute noch erledigen, zumal Sie ja morgen auch eine Tagung haben, an der Sie teilnehmen wollen. Um das zu erreichen, haben wir die Bitte ausgesprochen, erstens die Zollvorlagen vorwegzunehmen — wir stimmen da mit Ihnen überein — und dann den Haushalt zu nehmen in dem Bemühen, fertig zu werden. Ich hoffe, daß dieser Appell vielleicht doch dazu beiträgt, daß wir uns verständigen. Aber das ist natürlich unmöglich, Herr Kollege Kalbitzer, wenn Sie an
die Zolldebatte die gesamte Konjunkturdebatte anschließen. Dann geht es natürlich nicht.
Herr Abgeordneter Kalbitzer!
Meine Damen und Herren! Wir haben Ihnen gegenüber weiß Gott noch niemals Obstruktion getrieben. Aber es muß doch ein Sinn in dieser Debatte sein. Der Antrag, über konjunkturpolitische Zollmaßnahmen zu sprechen, ist doch von Ihrer Seite gekommen. Er ist nicht von mir gestellt worden. Also darüber ist zu sprechen. Deshalb können Sie das doch nicht voneinander trennen. Sie können doch hier nicht immer nur halbe Gedankengänge von sich geben, sondern Sie müssen, wie das heute morgen angeklungen ist, die Konjunkturpolitik natürlich als Ganzes sehen. Es ist doch Ihr Bundeswirtschaftsminister, der ein Bukett von konjunkturpolitischen Maßnahmen vorgelegt hat. Eine Blume aus diesem Bukett ist eben die Zollpolitik. Ich möchte nachdrücklich auch den entferntesten Verdacht zurückweisen, daß wir hier filibustern wollten. Es kommt für uns darauf an: wenn über Konjunktur und über Zölle gesprochen wird, dann muß das in einem Zuge geschehen. Anders ist es nicht denkbar.
Meine Damen und Herren, ich entnehme also aus den Erklärungen der Sprecher der Fraktion der CDU/CSU, daß sie davon absehen, auf dem Beschluß des Hauses zu bestehen, der auf ihren Antrag vorhin gefaßt worden ist, nämlich jetzt in die Haushaltsberatung einzutreten, und daß sie damit einverstanden sind, daß die Zollvorlagen, d. h. also die Punkte 5 a, b usw., jetzt verhandelt werden. Ich habe auch verstanden, daß die SPD insoweit damit einverstanden ist.
Herr Abgeordneter Kalbitzer, ich habe Sie recht verstanden, daß Sie damit einverstanden sind, daß diese Punkte vor der Haushaltsdebatte verhandelt werden?
Herr Abgeordneter Professor Schmid zur Geschäftsordnung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird ein wenig formalistisch klingen, was ich sage. Aber ich meine, daß man sich in Dingen der Geschäftsordnung an die Geschäftsordnung halten muß. Es ist der Beschluß gefaßt worden, nunmehr in die Etatberatungen einzutreten. Dieser Beschluß wird nicht dadurch gegenstandslos, daß die Fraktion, die den Antrag gestellt hat, der zu dem Beschluß führte, nun darauf verzichtet. Dieselbe Fraktion oder eine andere Fraktion müßte den Antrag stellen, daß dieser Beschluß aufgehoben und daß nunmehr in die Zolldebatte eingetreten wird.
Meine Damen und Herren, wenn wir so verfahren, daß wir es genügen lassen, daß Beschlüsse dieses Hauses durch das Verhalten einer einzigen Fraktion so oder so gegenstandslos gemacht werden,
dann wissen wir vielleicht die ersten Schritte des. Weges, auf den wir uns begeben, aber nicht die fünften und sechsten Schritte.
Herr Abgeordneter Dr. Horlacher!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das hindert nicht, folgendes zu tun: daß wir in die Haushaltsberatung eintreten, auf Grund der überzeugenden Ausführungen des Herrn Bundesministers für Wirtschaft zunächst die Zolldebatte einschalten und dann den Antrag weiterverfolgen, den der Herr Kollege gestellt hat.
Ich stelle den Antrag, die Zolldebatte zunächst einzuschalten.
Meine Damen und Herren, es ist ein neuer Antrag gestellt. Ich habe recht verstanden, Herr Abgeordneter Horlacher, daß jetzt in die Zolldebatte eingetreten werden soll? — Der Antrag ist gestellt. Ich bringe diesen Antrag zur Abstimmung. Er hebt selbstverständlich, wenn er angenommen wird, den anderen Antrag, der vorhin gestellt wurde, auf. Wer diesem Antrag, nunmehr in die Zolldebatte einzutreten, zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Wir treten in die Zolldebatte ein. Ich rufe den Punkt 5 a der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Außenhandelsfragen über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Geltungsdauer der Achtundvierzigsten, Einundfünfzigsten und Vierundfünfzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen (Drucksachen 2535, 2372).
Wünscht der Herr Berichterstatter — der Abgeordnete Richarts — das Wort zu nehmen?
Meine Damen und Herren, ich frage, ob der Herr Berichterstatter dazu das Wort zu nehmen wünscht.
— Der Schriftliche Bericht*) liegt vor. Auf mündliche Berichterstattung wird verzichtet. Ich eröffne die Beratung dieser Vorlage. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kalbitzer.
Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, sich doch nun allmählich zu beruhigen. Wir müssen doch schließlich mit irgendeinem Punkt der Tagesordnung weiterkommen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Ihnen vorschlagen, den Punkt 5 a nicht gesondert, sondern gemeinsam mit den Punkten 5 e und f zu behandeln. Es handelt sich dabei um Maßnahmen zur Verlängerung länger zurückliegender Zollsenkungen. Bereits vor 14 Tagen habe ich mir erlaubt, dem Hohen Hause zu sagen, daß man schon zu diesem Zeitpunkt die
*) Siehe Anlage 2.
bestehenden Zollsenkungen hätte verlängern sollen. Das hat man nicht getan. Dafür muß man heute büßen. Die sozialdemokratische Fraktion, die diesen Antrag eingebracht hat, erklärt sich selbstverständlich mit dem Bericht des Ausschusses einverstanden, nach dem die Verlängerungen durchgeführt werden. So bitte ich also den Bericht des Herrn Berichterstatters zu verstehen, wenn er schreibt, die Anträge der SPD seien erledigt. Sie sind eben in unserem Sinne erledigt. Es ist nur festzustellen, daß die Bundesregierung eine ungewöhnlich lange Zeit brauchte, um die im Grunde nur formale Erledigung dieser Vorlagen in die Wege zu leiten. Ich bitte deshalb, diese Punkte a,
e und f gemeinsam zu behandeln und dem Ausschußantrag zuzustimmen.
Wird dazu weiter das Wort gewünscht?
Es wird also vorgeschlagen, die Punkte 5 a, e und
f gemeinsam zu behandeln. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich- höre keinen Widerspruch; das Haus ist damit einverstanden. Mit der Beratung des Punktes 5 a sind also verbunden:
e) Beratung des Schriftlichen Berichts*) des Ausschusses für Außenhandelsfragen über den Entwurf einer Sechundfünfzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen (Zweite Fristverlängerung der Individuellen Zollsenkung) (Drucksachen 2532, 2500)
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Serres;
f) Beratung des Schriftlichen Berichts**) des Ausschusses für Außenhandelsfragen über den Entwurf einer Siebenundfünfzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen (Fristverlängerung der Konjunkturpolitischen Zollsenkung, 1. und
2. Teil)
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Löhr.
Auf mündliche Berichterstattung wird verzichtet?
Dann rufe ich auf Punkt 5 c:
Beratung des Schriftlichen Berichts***) des Ausschusses für Außenhandelsfragen über den Entwurf einer Achtundfünfzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen (Koniunkturpolitische Zollsenkung,
3. Teil) .
Berichterstatter ist ebenfalls Herr Abgeordneter Dr. Serres.
— Auch hier wird auf mündliche Berichterstattung verzichtet.
Das Wort zu diesem Punkt hat Herr Abgeordneter Kalbitzer.
Meine Damen und Herren! Jetzt sind wird endlich bei dem Tagesordnungspunkt, bei dem es um politische Entscheidungen geht. Es handelt sich hier darum, die gesamten
*) Siehe Anlage 6. **) Siehe Anlage 7. ***) Siehe Anlage 4. deutschen Zollsätze linear allgemein zu senken. So der Vorschlag des Herrn Bundeswirtschaftsministers vor einigen Wochen. Nun hat der Herr Bundeswirtschaftsminister gestern in der Debatte über seinen Haushalt die Vaterschaft für diese Politik linearer Zollsenkungen beansprucht. Wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister lineare Zollsenkungen für sich in Anspruch nimmt, so muß ich darauf hinweisen, daß die sozialdemokratische Fraktion und ich in diesem Falle im Jahre 1954 zum erstenmal einen Vorschlag 20%iger linearer Zollsenkungen einbrachte, daß wir diesen Antrag im Herbst des vergangenen Jahres wiederholt haben — damals allerdings mit Ausschluß agrarischer Zölle — und daß wir, als immer noch nichts geschah — außer einzelnen individuellen Zollsenkungen, über die man ein paar Minuten vorher hier in diesem Hause entschieden hat —, diesen Antrag in diesem Frühjahr wiederholt haben. Wenn also der Herr Bundeswirtschaftsminister mein Kind als Bankert für sich haben wollte, so müßte er — das muß ich schon sagen — auch wenigstens die Alimente zahlen, d. h. daß er die Vorstellung einer linearen Zollsenkung im Interesse der Normalisierung der Konjunktur honorieren müßte. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sich für lineare Zollsenkung in Worten außerordentlich stark gemacht, aber leider nicht die Möglichkeit gehabt, im Kabinett und in der Hauptkoalitionspartei für seine Idee auch eine Mehrheit zu finden.
Das Ergebnis ist nun die Drucksache 2502, in ,der das Prinzip linearer Zollsenkungen erheblich durchbrochen wird. Ich will hier nicht auf Prinzipien herumreiten, ob linear oder nicht, sondern nur feststellen, daß es für uns darum geht, der Tendenz, daß die Preise davonlaufen, mit wirksamen Mitteln entgegenzutreten. Darüber waren sich der Wirtschaftsminister und wir völlig einig. Wenn man die Stabilisierung der Preise als oberstes Prinzip hat, dann muß man natürlich Maßnahmen ergreifen, die diesen wichtigen wirtschaftspolitischen Prinzipien entsprechend sind, und dann muß man vor allen Dingen auch einigermaßen schnell handeln. Wenn man das will, dann kann man nicht zu individuellen Zollsenkungen übergehen; denn das haben wir in jahrelanger Zollpolitik hier im Bundestag erlebt: Sobald man Zollpositionen, von denen es viele Tausende gibt, Punkt für Punkt durchgeht, ist man der Bürokratie völlig ausgeliefert, und dann ist man, schlimmer noch, den Interessentenkreisen ausgeliefert; denn es ist dann faktisch nicht möglich, berechtigte Wünsche nach Zöllen von bloßem Geschrei um Schutz, um Sicherheit, um Naturschutz in der Wirtschaft zu unterscheiden. Wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister wirklich die Konjunktur durch zollpolitische Maßnahmen regulieren will, dann mußte er den Vorschlag der SPD auf lineare Senkung aufgreifen. Das hat er auch getan, ist dann aber nach einigen Wochen von dieser guten Absicht wieder abgegangen. Das bedauern wir auf das tiefste.
Der Vorschlag, wie er in der Drucksache 2502 vorliegt, ist im Ausschuß behandelt worden. Ich muß sagen, daß er in seiner Begründung der Logik entbehrt; denn er sieht vor, daß Waren mit geringem Zollschutz eine geringere prozentuale Zollsenkung erfahren sollen als Waren mit einem hohen Zollschutz. Er sieht außerdem vor, daß für eine ganze Reihe von sogenannten Agrarprodukten die Zölle gesenkt werden, von Agrarprodukten, die keine Agrarprodukte in dem Sinne sind, daß sie
der Bevölkerung etwa als Ernährungsgüter interessant wären. Die Zölle für eine ganze Reihe solcher Produkte, wie z. B. lebende Pflanzen, Fische oder Orchideen, die noch nicht erblüht sind, und ähnliche, völlig abseitige Warengruppen, sind Stück für Stück gesenkt worden. Mir scheint, wenn man von dem Prinzip der linearen Zollsenkung heruntergeht, kommt man notwendigerweise in die Schwierigkeit, daß jeder einzelne Wirtschaftskreis für sich mit vollem und gutem Recht behaupten kann, daß auch er in Schwierigkeiten sei und daß auch er einer Prüfung seiner Zollwünsche genauso für wert erachtet werden müsse wie die erwähnten noch nicht erblühten Orchideen. Deshalb meine ich, wenn man genau Punkt für Punkt durchgeht, um der Gerechtigkeit willen, wie sie von einigen Seiten verstanden wird, dann hat das Ganze keine konjunkturpolitische Bedeutung, dann kann man das nicht als konjunkturpolitische Maßnahme bezeichnen. So steht es aber in der Überschrift dieser Verordnung: es soll eine konjunkturpolitische Maßnahme sein. Wenn man das wollte, hätte man von dem linearen Prinzip nicht abgehen dürfen.
Dann hat sich der Bundeswirtschaftsminister dafür stark gemacht, daß es mindestens eine 30%ige lineare Zollsenkung sein sollte. Das ist sie ja nun ganz offensichtlich nicht. Die Senkung ist erheblich geringer und bezieht sich nur auf einen Teil der Gesamtwirtschaft. Ich habe schon gesagt, was alles ausgeschlossen wird. So kommen wir im Ergebnis nicht auf eine, wie wir gefordert haben, 40%ige lineare Zollsenkung , sondern auf eine Prozentzahl, die etwa bei 20% liegt. Ich muß offen sagen: mir fehlt das Vertrauen, daß mit dieser von Interessentengruppen zerredeten Teilmaßnahme der Effekt, den man erzielen wollte, nämlich die Konjunktur zu 1 beeinflussen. erreicht wird. Weil das angesteuerte Ziel nicht im Auge behalten worden ist, haben wir für diesen Antrag keinerlei Sympathie.
Nun ist die Frage, ob aus dieser Erkenntnis die Zollsenkung so, wie sie jetzt in außerordentlich viel kleinerem Maße als angekündigt beschlossen werden soll, von uns abgelehnt werden sollte oder nicht. Ich verstehe durchaus die Verbitterung einiger Kollegen im Hause, die sagen: Die uns vorgelegte Zollsenkungsverordnung ist nicht von konjunkturpolitischer Wirksamkeit; das ist unbestreitbar, also lehnen wir diese Zollsenkungsverordnung ab. Meine Freunde und ich dagegen sind der Meinung: obwohl das erstrebte Ziel, auf die Konjunktur einzuwirken, nicht erreicht wird, akzeptieren wir diese Zollsenkung, so wie wir frühere ungenügende Zollsenkungen auch als solche akzeptiert haben in der Erwartung — und in der leider pessimistischen Erwartung —, daß weitere Zollsenkungsmaßnahmen dann getroffen werden, wenn die konjunkturpolitischen Ziele nicht erreicht worden sind.
Wir selber haben vor mehreren Jahren, als die Konjunktur durchaus noch nicht das heutige Tempo erreicht hatte und als die Preissteigerungen durchaus noch minimal waren, nur 20% gefordert. Wir wollten damals mit dieser linearen Zollsenkung gleich zu Anfang einer preissteigernden Tendenz entgegentreten. Je mehr im Laufe der Jahre die Preise anzogen, desto mehr mußten wir konsequenterweise auch die Schraube der linearen Zollsenkungen anziehen. Deshalb sind unsere Zollsenkungsanträge von Mal zu Mal stärker geworden. Wenn Sie auch jetzt auf diese Politik nachhaltiger Zollsenkung zur Stabilhaltung der Preise nicht eingehen, so isst vorauszusehen, daß Sie in absehbarer Zeit härtere Maßnahmen ergreifen müssen, weil Ihnen die Preise noch mehr davonzulaufen drohen als im Augenblick. Wir sind immer noch in einer ersten Phase der Preissteigerungen, und zu einer krisenhaften oder Katastrophenstimmung besteht absolut kein Anlaß. Aber man muß sich, wenn man eine wirtschaftliche Entwicklungslinie klar erkennen kann — und der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sie klar erkannt, sonst hätte er nicht die viel weitergehenden Vorschläge unterbreitet —, im Interesse der ganzen Wirtschaft dazu entschließen, auch einige Nachteile in Kauf zu nehmen. Wir bestreiten keinesfalls, daß bei einer linearen Zollsenkung der eine oder andere Wirtschaftsteil hart getroffen werden kann. Aber hier geht es doch um die Frage, was wichtiger ist. Soll eine einzelne Gruppe einmal einen besonderen Nachteil in Kauf nehmen, oder sollen wir uns mit einer Wirtschaftsentwicklung unwidersprochen abfinden, die zu dauernden Preiserhöhungen führt? Und da kann es für die Mehrheit eines Volkes nur eine einzige Entscheidung geben: der Forderung auf Stabilhaltung der Preise sind alle anderen Überlegungen und auch alle anderen Bedenken hintanzustellen. Deshalb meine ich, daß der vorgeschlagene Entwurf Drucksache 2502, der hier zur Beratung steht, keine ausreichenden Maßnahmen im Sinne derer vorsieht, um derenthalben hier heute vormittag die Diskussion um die Konjunkturpolitik begonnen worden ist.
Man hat doch den Eindruck, daß Sie die ganze Frage der Konjunkturpolitik außerordentlich dilatorisch behandeln, daß Sie sagen: „Na, wir werden uns schon weiterwursteln!" und daß Sie ganz andere politische Maßnahmen, eben die der Aufrüstung und der Wehrpflicht, die Sie doch in der nächsten Woche behandeln wollen, für wichtiger halten als eine normale Beschäftigung und eine normale wirtschaftliche Weiterentwicklung. Ich muß diese Unterbewertung der Konjunkturdebatte und damit auch der Konjunkturpolitik durch dieses Haus aufs tiefste bedauern, und ich muß sagen, daß wir dem zur Debatte stehenden Antrag nur mit allergrößter Zurückhaltung unsere Zustimmung geben.
Bevor ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Serres gebe, mache ich noch einmal darauf aufmerksam, meine Damen und Herren, daß wir die Drucksachen 2535, 2532 und 2534 jetzt in dieser Reihenfolge verbunden haben und nachher der Reihe nach darüber abstimmen werden.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Dr. Serres.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Kalbitzer vertrete ich namens der Regierungskoalition die Auffassung, daß die Regierungsvorlage Drucksache 2502 durchaus geeignet ist, die erwünschten konjunkturellen Erfolge zu erzielen. Wir sind der Auffassung, daß der Vorschlag der sozialdemokratischen Fraktion hierzu weniger geeignet ist: Es erscheint uns als eine zu grobe Maßnahme, einen einheitlichen Satz, nämlich den von 40 %, quer durch den ganzen Zolltarif zur Anwendung zu bringen. Wir haben deshalb — ich spreche vom gewerblichen Teil des Tarifs — in Übereinstimmung mit der Bundesregierung den Standpunkt
vertreten, daß es zweckmäßiger ist, einen gestaffelten Satz anzuwenden, was im übrigen in der Auswirkung ungefähr dieselbe Bedeutung hat wie die 40%ige Senkung, die von der sozialdemokratischen Fraktion vorgeschlagen worden ist.
Ich darf darauf hinweisen, daß nach dem Vorschlag der Bundesregierung, wonach beispielsweise die Zollsätze von 35 % auf 21 % gesenkt werden sollen, die Nachrechnung auch eine Senkung von 40 % ergibt. Wir stehen also bei der Regierungsvorlage vor der Tatsache, daß die höchsten Zollsätze des gewerblichen Tarifs statt bisher etwa 35 % in Zukunft 21 % betragen werden. Meine Damen und Herren, es bedarf keiner Frage, daß das eine sehr bedeutende und sehr einschneidende Maßnahme ist. Wenn man noch hinzunimmt, daß die mittleren Sätze um 25 % und die unteren Sätze um 20 % gesenkt werden, dann wird, glaube ich, niemand behaupten können, daß das keine geeignete Maßnahme im Rahmen des Konjunkturprogramms der Bundesregierung ist.
Ich möchte daher namens der Regierungskoalition den Antrag stellen, der Vorlage der Bundesregierung, wie es der Ausschuß getan hat, zuzustimmen und den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion auf Vornahme einer linearen Senkung von 40 % abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf an das anknüpfen. was heute morgen mein Freund Scheel zu den Zollfragen gesagt hat, nämlich, daß sich in der Öffentlichkeit, und zwar überraschend breit, an den Gedanken des Herrn Bundeswirtschaftsministers, eine 30%ige lineare Steuersenkung durchzuführen, die Vorstellung knüpft, daß mit dieser Maßnahme, die als unerläßlich und notwendig angesehen wird, die Tendenz der Preissteigerung abgefangen werde.
Nun entspricht die Vorlage der Bundesregierung weder den Gedanken, die der Herr Bundeswirtschaftsminister zu diesem Thema geäußert hat. noch diesen Vorstellungen. Denn wenn auch der Herr Bundeswirtschaftsminister nie von den Finanzzöllen gesprochen hat, so ist doch in der Öffentlichkeit selbstverständlich mit einer 30%igen linearen Zollsenkung auch der Gedanke verknüpft daß dann der Zoll auf Tabak, Kaffee. Tee und Kakao mitgesenkt würde. Die konjunkturpolitische Wirkung, die der Herr Bundeswirtschaftsminister mit der Zollsenkung erreichen will, würde in diesen Warengattungen ebenso erzielt werden wie die außenhandelspolitische Wirkung. von der der Herr Bundeswirtschaftsminister heute morgen gesprochen hat. Leider finden wir in der Vorlage über die Finanzzölle überhaupt nichts.
Der zweite große Bereich sind die agrarischen Zölle. Wenn ich einmal davon absehe, daß Austern künftig zollfrei werden und Langusten und Hummer im Zoll ziemlich erheblich gesenkt werden, dann ist doch die Last ganz einseitig auf zwei Gruppen gelegt, nämlich auf die Hochseefischerei und auf den Gartenbau, also zwei Berufszweige, die wir ohnehin als empfindlich ansehen, während die ganze Gruppe der wichtigen Lebensmittel von dieser Zollverordnung überhaupt nicht betroffen wird. Wir wissen allerdings alle, daß diese Gruppe
durch die Marktordnungsgesetze ohnedies vom normalen Marktablauf ausgenommen ist, also über Zollsenkungen kaum berührt werden kann. Aber unter diesen Umständen ist der harte Widerstand gegen eine allgemeine 30%ige Zollsenkung erst recht unverständlich.
Aber auch auf dem gewerblichen Sektor ist die Wirkung dieser Zollverordnung völlig unterschiedlich, weil sie auf ganz unterschiedliche Tatbestände gleichmäßig angewandt wird. Wir wissen doch, daß in einem ganz großen Bereich der gewerblichen Wirtschaft die Preise im Ausland höher sind als bei uns, daß also hier eine Zollsenkung völlig ins Leere trifft. Es gibt aber auch auf diesem Sektor einige wenige Gruppen, die wir bereits heute als sehr empfindlich ansehen und denen es nicht ganz so gut geht. Wir wollen nicht in das allgemeine Geschrei über die Schattenseiten der Konjunktur einstimmen, aber es gibt ja Bereiche, die sich schwerer tun als andere, und genau in diese Bereiche trifft dann die Zollsenkung hinein.
Wir Freien Demokraten sind gewiß immer und jederzeit für eine vernünftige Zollsenkung. Wir haben das in der Vergangenheit immer wieder bewiesen. Aber in diesem Falle müssen wir die Vorlage der Bundesregierung zu unserem Bedauern ablehnen, weil sie in gar keiner Weise den Vorstellungen unserer Fraktion und erst recht nicht den Vorstellungen, die in der Öffentlichkeit an diese Maßnahmen geknüpft werden, entspricht.
Das Wort hat der Abgeordnete Kalbitzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD Drucksache 2370 auf lineare Zollsenkung um 40 % dürfte wohl durch meine vorherigen Ausführungen als begründet gelten. Wenn der Herr Kollege Margulies auf eine 30%ige Zollsenkung abhebt — wohl weil der Bundeswirtschaftsminister diese Prozentzahl auch genannt hat —, so muß ich natürlich erklären, warum wir auf 40 % gekommen sind: nicht etwa aus Bosheit, um irgendeine höhere Zahl zu nennen, sondern weil wir seit langem diesen Standpunkt vertreten haben. Wir sind für eine solche generell anzuwendende Zahl, weil wir im Interesse der gesamten Konjunkturpolitik glauben, daß man mit einer Filigranarbeit nicht auskommen kann. Wieso allerdings Kollege Dr. Serres zu der Rechnung gekommen ist, daß der Antrag der Regierung in Drucksache 2502 auch eine Senkung von 40 % bedeutet, weiß ich nicht.
— Eben, da haben Sie natürlich recht, in der Spitze ist bei einer dieser hier schon mehrfach genannten, ein bißchen albern wirkenden Positionen — ich meine die nichterblühten Orchideen usw. — eine solche Senkung möglich. Das ist für die Konjunkturpolitik völlig uninteressant. Für die Konjunkturpolitik ist von Interesse, daß d i e Waren im Zoll gesenkt werden, die den volkswirtschaftlichen Umsatz bewirken und die Versorgung der Bevölkerung sicherstellen. Darauf ist der Blick der Konsumenten mit Recht gerichtet. Deshalb stimmt auch die ähnliche Rechnung nicht, die man uns durch den Bundeswirtschaftsminister im Ausschuß aufgemacht hat, daß nämlich diese Senkung zum Schluß
doch 30 % ergäbe; das ist einfach nicht wahr. Die Drucksache der Regierung sieht eine Senkung vor, die, wenn man das Gewicht abrechnet, im höchsten Falle 20 % ergibt. Das kann in keinem Falle ausreichen, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Um möglichst viele Stimmen zu vereinigen, wären wir bereit, unseren Antrag, der auf 40 % lautet, zu reduzieren, wenn die Fraktion der Freien Demokraten auf dem Antrag von 30 °% beharrte. Der geänderte Antrag würde auf eine lineare Zollsenkung von 30 % lauten.
Um Zeit zu sparen, möchte ich noch zu einem zweiten Änderungsantrag das Wort nehmen. Zu dem Schriftlichen Bericht des Herrn Dr. Serres, Drucksache 2536, hat der Ausschuß einige Änderungsanträge eingebracht und sie mit einer Mehrheit, die sich im wesentlichen aus der CDU-Fraktion zusammengesetzt hat, zur Annahme empfohlen. Diese Änderungsanträge sind nur deshalb interessant, weil sie eine kleinliche Tendenz aufweisen, die verkümmerten Vorschläge der Bundesregierung noch weiter zu verkümmern. Es ist der Antrag gestellt worden — weil man in der kaufmännischen Lehre gelernt hat, daß sich. wenn gewisse Produkte im Preis prozentual gesenkt werden, naturgemäß eine Dezimalstelle hinter dem Komma ergibt —, bis 0,4 zu streichen und ab 0,5 zu erhöhen. Die Bundesregierung hatte — aus welchen Gründen auch immer — bis dahin vorgesehen, die Dezimalstellen fallenzulassen. Dabei wäre im Effekt eine zwar winzige, aber doch immerhin etwas größere Zollsenkung herausgekommen. Man ist dann auf den ganz und gar unlogischen Vorschlag verfallen. die sowieso schon niedrigen Zollsätze von 1 bis 3 %, die im übrigen mehr Verwaltungsarbeit machen als — auch schon in der Vergangenheit — wirtschaftspolitischen Effekt, von der prozentualen Zollsenkung auszunehmen. Verständliche Argumente hierfür waren im Ausschuß leider nicht zu hören.
Wenn ich auf diese Kleinigkeiten zu sprechen komme, so tue ich das nur in der Absicht, zu zeigen, welche negative Tendenz in der konjunkturellen Zollsenkung auf seiten der Koalitionsparteien besteht. Ich bitte deshalb das Haus, den Ausschußantrag so zu ändern, daß die Punkte 1 und 2 — also die andere Behandlung der Dezimalstellen usw. — gestrichen werden und Punkt 3 auf der Rückseite des Umdrucks zu Punkt 1 wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Serres.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Regierungskoalition widerspreche ich zunächst dem Antrag, der hier gestellt worden ist, statt einer 40%igen linearen Zollsenkung eine 30%ige lineare Senkung durchzuführen, und wiederhole den Antrag der Regierungskoalition, der Regierungsvorlage mit den Änderungen zuzustimmen, die der Auschuß in der Drucksache 2536 niedergelegt hat.
Ich darf, Herr Kollege Kalbitzer, kurz darauf hinweisen, daß ich nicht behauptet habe, daß nunmehr durch die Regierungsvorlage eine lineare Senkung von 40 % herbeigeführt worden sei. Ich habe vielmehr gesagt, daß in der Spitze eine Senkung von 40 % und unten eine Senkung von 20 % eintritt. Sie können dann aber nicht sagen, daß das
Mittel etwa bei 20 % liege. Wenn Sie es ganz genau wissen wollen: das Mittel liegt etwa bei 25 %. Wir sind der Auffassung, daß damit den derzeitigen Erfordernissen auf konjunkturellem Gebiet Genüge getan ist. Das ist auch der Grund gewesen, weshalb wir uns entschlossen haben, der Regierungsvorlage zuzustimmen.
Soweit dann Ausführungen gemacht worden sind, daß das System des Abrundens bzw. Aufrundens etwas Außergewöhnliches sei, muß ich offen gestanden sagen, daß ich das nicht verstehen kann. Es erscheint mir geradezu gerecht zu sein, daß man abrundet bzw. aufrundet. Im übrigen glaube ich, daß die Intelligenz der Zollassistenten an der Grenze doch noch so groß ist, daß sie in der Lage sind, das Abrunden bzw. Aufrunden vorzunehmen. Wenn wir also bis vier Zehntel abrunden und ab fünf Zehntel aufrunden, so möchte ich wissen, was damit verfälscht ist, wieso damit die guten Absichten, durch Zollsenkungen einen Einfluß auf die Konjunktur zu nehmen, gestört werden. Das vermag ich überhaupt nicht einzusehen. Ich weiß nicht, wieso man hier von Interessenstandpunkten usw. reden kann.
Ich kann nur noch einmal namens der Regierungskoalition zum Ausdruck bringen, daß wir an unseren Beschlüssen festhalten. Ich bitte Sie, dem Ausschußbericht auf Drucksache 2536 Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie doch sehr, sich noch einmal an den Ausgangspunkt der Diskussion zu erinnern. Wir wollten hier nicht irgendeine handelspolitische Frage besprechen, sondern wir sind davon ausgegangen, daß zur Dämpfung gewisser Erscheinungen in unserem Wirtschaftsleben bestimmte Maßnahmen erforderlich sind. Als unerläßliches Kernstück dieser konjunkturpolitischen Maßnahmen bezeichnete der Herr Bundeswirtschaftsminister eine 30%ige lineare Zollsenkung. Wenn wir diese Wirkung mit der Zollsenkung, die in Drucksache 2502 vorgeschlagen wird, nicht erzielen, dann ist doch die ganze Sache wertlos. Wenn wir diesen Effekt nicht erreichen, sehen wir keinen Grund, die Gruppen, von denen ich vorhin sprach, nun besonders zu schädigen bzw. ihnen allein Opfer aufzuerlegen, während die übrigen Teile der Wirtschaft unberührt bleiben.
Ich begrüße daher das Entgegenkommen der sozialdemokratischen Fraktion. Ich glaube Herrn Kalbitzer so verstanden zu haben, daß er einen Änderungsantrag zu dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 2370 gestellt hat, nämlich die Zahl 40 durch die Zahl 30 zu ersetzen. Sollte er das nicht getan haben, dann würde ich diesen Antrag stellen. Ich bitte Sie also, meine Damen und Herren, dem Antrag der SPD in dieser Form zuzustimmen.
Ich darf nochmals darauf hinweisen, daß das mit unserer grundsätzlichen Einstellung zur Agrarpolitik nichts zu tun hat,
sondern daß wir hier eine allgemeine konjunkturpolitische Preisdämpfung und eine Dämpfung der
Bereitschaft zu Preissteigerungen erreichen müssen. Wenn dadurch auf dem einen oder anderem Gebiet ein Schaden entstehen sollte, muß dieser durch andere gezielte Maßnahmen wieder beseitigt werden.
Meine Damen und Herren! Jetzt sind wir glücklich in der Situation, daß zu einem weiteren Punkt gesprochen worden ist, über die Drucksachen 2537 und 2370. Sie haben gehört, daß hierzu ein wichtiger Änderungsvorschlag vorliegt.
Ich rufe deshalb also noch diese beiden anderen Punkte auf:
5 b) Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs ; Schriftlicher Bericht*) des Ausschusses für Außenhandelsfragen (23. Ausschuß) Drucksache 2537).
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Serres ;
5 d) Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zolltarifgesetzes ;
Schriftlicher Bericht**) des Ausschusses für Außenhandelsfragen (Drucksache 2538).
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Serres .
Damit ist der ganze Tagesordnungspunkt 5 aufgerufen.
Trotzdem werden wir zunächst über die Anträge des Ausschusses abstimmen, also nicht über die Gesetze, über die ich noch die zweite Beratung eröffnen muß. Wird zu diesen Ausschußanträgen
— das sind Drucksachen 2535, 2536, 2532 und 2534
— noch das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung. Wir kommen zur Abstimmung.
Ich rufe zunächst auf Drucksache 2535 mit dem Antrag des Ausschusses. Wer dem Ausschußantrag auf Drucksache 2535 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag des Ausschusses ist angenommen.
Ich komme zu Drucksache 2536, das ist also Punkt 5 c der Tagesordnung. Hier stimmen wir zunächst ab über den Änderungsantrag des Herrn Abgeordneten Kalbitzer, die Ziffern 1 und 2 zu streichen. Dann wird Ziffer 3 die Ziffer 1
— und folgende. Wer diesem Änderungsantrag des Herrn Abgeordneten Kalbitzer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache 2536. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag des Ausschusses auf Drucksache 2536 ist angenommen.
Ich komme zu Punkt 5 e der Tagesordnung auf Drucksache 2532. Wer dem Antrag des Ausschusses
*) Siehe Anlage 3. **) Siehe Anlage 5. zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen.
— Gegenprobe! — Der Antrag ist angenommen.
Ich komme zu Punkt 5 f der Tagesordnung auf Drucksache 2534. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe auf Punkt 5 b der Tagesordnung. Das ist Drucksache 2537, und dazu gehört die Drucksache 2370.
Wir treten in die
zweite Beratung
dieses Initiativgesetzentwurfs ein. Ich frage, ob der Herr Berichterstatter dazu das Wort wünscht?
— Auf Berichterstattung wird verzichtet.
Ich eröffne die Beratung in zweiter Lesung. Ich setze das Einverständnis des Hauses voraus, daß hier eine allgemeine Beratung für den gesamten Gesetzentwurf vorgenommen wird. Wird dazu das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Kalbitzer?
— 2370!
Sie haben den Antrag gestellt, in Art. 1 die Zahl 40 in die Zahl 30 zu verwandeln, der vom Herrn Abgeordneten Margulies unterstützt worden ist. Insofern ist also die Sache klar. Wenn dazu weiter das Wort nicht gewünscht wird, kommen wir zur Abstimmung über diesen Initiativgesetzentwurf.
Ich rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer dem Entwurf zustimmen will. den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe!
— Das letzte ist die Mehrheit; die Vorlage ist abgelehnt.
Nun komme ich zum Tagesordnungspunkt 5 d, Drucksache 2538; dazu gehört Drucksache 2371. Das ist die zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zolltarifgesetzes. Wird auf mündliche Berichterstattung verzichtet?
Wir treten in die Beratung ein.
Ich rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift. — Wird dazu das Wort gewünscht? — Nicht gewünscht. Die Beratung ist geschlossen.
Wer dem Entwurf in der vorliegenden Gestalt zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen.
— Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Damit ist Punkt 5 der Tagesordnung erledigt. Ich komme zu Punkt 6 und rufe auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, DP, DA eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs .
Wird dazu das Wort gewünscht?
— Auf Begründung wird verzichtet.
Ich eröffne die Aussprache. Wird dazu das Wort gewünscht?
— Herr Abgeordneter Kalbitzer, damit teilen Sie das Schicksal der meisten Kollegen in diesem Hause. Es sind bei weitem nicht alle so sachverständig, daß sie sich durch die vielen Papiere durchfinden können. Dafür habe ich volles Verständnis. Trotzdem bitte ich aber auch dafür Verständnis zu haben, daß wir in der Debatte fortfahren müssen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit diesem Antrag wird dem Herrn Bundeswirtschaftsminister die Ermächtigung gegeben,
— der Bundesregierung die Ermächtigung gegeben, die spärlichen Zollsenkungen, die wir soeben auf der Grundlage der Drucksache 2502 beschlossen haben, wieder rückgängig zu machen, d. h. in dem Fall, daß sich einmal Schäden herausstellen, den Zollsatz wieder zu erhöhen. Ich kann mir natürlich nicht verkneifen, darauf aufmerksam zu machen, daß Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, soeben die umgekehrte Ermächtigung, nämlich die Ermächtigung für die Bundesregierung, Zölle auch zu senken, abgelehnt haben.
Herr Abgeordneter Dr. Serres!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Die Regierungskoalition hat mit Drucksache 2527 den Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs eingebracht und schlägt hierin eine Ermächtigung an die Bundesregierung vor, eine sogenannte negative Ermächtigung. Ich bekenne ausdrücklich, daß die Regierungskoalition sich bisher gegen eine Ermächtigung an die Bundesregierung zur Senkung von Zöllen stets zur Wehr gesetzt und auch heute wieder den sozialdemokratischen Antrag abgelehnt hat. Es handelt sich hier um eine negative Ermächtigung. Das bedeutet, daß, wenn einmal ernsthafte Schäden eintreten oder einzutreten drohen, die Bundesregierung dann in die Lage versetzt wird, schnell eine Entscheidung zu treffen, d. h. solche Schäden durch eine völlige oder teilweise Aufhebung der Zollsenkungen zu vermeiden. Wir sind der Meinung, daß hier eine echte Notwendigkeit vorliegt, da wir durch die konjunkturpolitischen Zollsenkungen sehr weitgehende Maßnahmen ergriffen haben und daraus, was heute noch nicht zu übersehen ist, für einzelne Sparten der gewerblichen Wirtschaft ernsthafte Schäden eintreten können. In einem solchen Falle — es werden im übrigen nur Ausnahmefälle sein — glauben wir, daß es zweckmäßig ist, der Bundesregierung eine solche negative Ermächtigung zu erteilen.
Ich darf Sie daher namens der Regierungskoalition bitten, der Drucksache 2527 ihre Zustimmung zu geben, bzw., da wir ja noch in der ersten Lesung sind, den Gesetzentwurf an den Ausschuß zu überweisen.
Herr Abgeordneter Kalbitzer!
Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, Sie scheinen ja heute eine Wollust zu haben, alles völlig durcheinanderzubringen.
Ich muß sagen: nun haben Sie es vor zwei Minuten abgelehnt, der Bundesregierung eine Vollmacht zu geben, und zwar aus konjunkturpolitischen Gründen — das ist doch die politische Lage in der Bundesrepublik! —,
die Zölle zu senken, um die Mühle zu beschleunigen, die eine entsprechende Politik mit den Gegebenheiten in Übereinstimmung bringen soll. Das lehnen Sie ab, kommen aber, wie Sie das selber wirklich doppeldeutig richtig bezeichnen, mit einem negativen Antrag, der der Regierung in einer möglichen Krisensituation — wir rechnen nicht mit einer Krisensituation — die Ermächtigung geben soll, von sich aus die Zölle, um deren Senkung wir uns hier seit Jahr und Tag bemühen, dann, wenn Sturm am Horizont aufkommt, wieder zu erhöhen. Ich muß fragen: Welche reale politische Situation ist die Grundlage für diesen Vorschlag?
Warum sehen Sie eine Krise? Man redet so etwas doch nicht ins Blaue hinein! Welche Anzeichen einer echten Krise sind gegeben, die Sie veranlassen, uns diesen Antrag auf den Tisch des Hauses zu legen?
— Ja, er kommt erst in den Ausschuß, das ist richtig. Aber ich erlaube mir, einen Unsinn schon jetzt als Unsinn zu bezeichnen und nicht erst nächstes Mal.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Punkt liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Beantragt ist Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen. Wer dieser Überweisung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts*) des Ausschusses für Außenhandelsfragen über den Entwurf einer Zweiundfünfzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen (Edel-Zellstoff, Modellhüte usw.) (Drucksachen 2449 [neu], 2276).
Berichterstatter: Abgeordneter Finckh.
Ich frage, ob das Wort zur Berichterstattung gewünscht wird. — Es wird verzichtet.
Ich eröffne die Beratung. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag des Ausschusses ist angenommen.
*) Siehe Anlage 8.
Wir kommen zu Punkt 8 der Tagesordnung: Beratung des Schriftlichen Berichts**) des Ausschusses für Außenhandelsfragen über den Entwurf einer Fünfundfünfzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen (Chlor, Asbestfäden usw.) (Drucksachen 2531, 2499).
Berichterstatter: Abgeordneter Wehr.
Ich frage, ob das Wort zur Berichterstattung gewünscht wird. — Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht.
Ich eröffne die Beratung. Wird das Wort in der Beratung gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung.
Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag des Ausschusses ist angenommen.
Ich komme zu Punkt 9 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts***) des Ausschusses für Außenhandelsfragen über den Entwurf einer Neunundfünfzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen (Schweröle zum unmittelbaren
Verheizen) . Berichterstatter: Abgeordneter Richarts.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
— Das Wort wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Beratung. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht; ich schließe die Beratung. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe auf Punkt 14 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts****) des Ausschusses für Außenhandelsfragen über den Entwurf einer Achten Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Drucksachen 2407, 2027).
Berichterstatter: Abgeordneter Brand .
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
— Es wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Beratung. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht; ich schließe die Beratung. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir zwar keineswegs am Ende des heutigen Tages. Aber es ist der Vorschlag gemacht worden, für eine halbe Stunde zu unterbrechen, um einer großen Fraktion die Möglichkeit für eine kurze Fraktionssitzung zu geben. Ich schlage Ihnen vor, daß wir jetzt vertagen und um 16.15 wieder zusammentreten. — Bis dahin ist unterbrochen.
Die Sitzung wird um 16 Uhr 18 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger wieder eröffnet.
**) Siehe Anlage 9. ***) Siehe Anlage 10. ****) Siehe Anlage 11.
Meine Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort. Wenn der Stand der Dinge noch der alte ist, kommen wir nunmehr zur Haushaltsberatung.
Ich rufe auf:
Fortsetzung der zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1956 (Drucksache 1900);
Berichte des Haushaltsausschusses (Drucksachen 2450 bis 2480). Einzelplan 11, Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit (Drucksachen 2460, zu 2460, Umdrucke 628, 643, 668).
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Arndgen als Berichterstatter.
Ich verweise auf den Schriftlichen Bericht*) zu Drucksache 2460.
Der Herr Abgeordnete Arndgen verweist auf den Schriftlichen Bericht. — Das Haus ist damit einverstanden.
Wir kommen zu den Anträgen auf den Umdrucken 668, 628 und 643. Wird der Antrag auf Umdruck 668 begründet? — Herr Abgeordneter Arndgen!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Umdruck 668**) verfolgt das Ziel, in den Stellenplan des Bundesarbeitsministers eine weitere Dirigentenstelle einzufügen. Diese Stelle erscheint notwendig — das ist auch im Haushaltsausschuß von dem Vertreter des Herrn Ministers eingehend dargelegt worden —, weil einmal dem Bundesarbeitsministerium im Verlaufe des letzten Jahres durch die internationale Zusammenarbeit auf sozialem Gebiet eine ganze Reihe Aufgaben zugewachsen sind. Zudem kommen auf das Bundesarbeitsministerium Aufgaben zu, die mit der Eingliederung des Saargebietes in unsere Sozialgesetzgebung verbunden sind. Das Saargebiet soll ja bekanntlich am 1. Januar des kommenden Jahres in das Bundesgebiet einbezogen werden. Auch auf anderen Gebieten sind die Aufgaben derart gewachsen, daß die Ansprüche, die physisch an die Menschen des Bundesarbeitsministeriums gestellt werden, kaum noch mit den bisherigen Kräften zu erfüllen sind. Obwohl diese Notwendigkeiten dem Haushaltsausschuß eingehend dargelegt worden sind, hat er die Einbeziehung einer siebten Dirigentenstelle abgelehnt. Da aber meine Freunde und ich der Meinung sind, daß einem Ministerium, dem derart viele Aufgaben zugewachsen sind, die notwendigen Kräfte zur Verfügung gestellt werden müssen, bitte ich, dem Antrag Umdruck 668 zuzustimmen.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Preller!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Antrag der SPD Umdruck 643***) zu begründen. Ich bitte den Herrn Präsidenten aber um Einwilligung, daß ich um der Verkürzung des Verfahrens willen diese
*) Siehe Anlage 12. **) Siehe Anlage 15. ***) Siehe Anlage 14.
Begründung mit den allgemeinen Bemerkungen verbinde, die die sozialdemokratische Fraktion zum Haushalt des Bundesarbeitsministers im übrigen zu machen hat.
Ich darf vorab bemerken, daß wir von der Haushaltsseite selbst, abgesehen von diesem Antrag, den wir hier vorliegen haben, keine Beanstandungen vorzunehmen haben. Das Unbehagen, dem ich hier Ausdruck zu geben habe, ist ein politisches Unbehagen, das bei Gelegenheit der Haushaltsdebatte zum Ausdruck kommt.
Einige kleinere Dinge darf ich vorwegnehmen, ehe ich auf den Antrag Umdruck 643 zu sprechen komme. Ich möchte darauf hinweisen, daß nach unserer Meinung die Dotationen, die für das „Bundesarbeitsblatt" und für das „Bundessozialblatt" ausgeworfen worden sind, reichlich hoch sind. Sie belaufen sich auf über 160 000 DM, die Zuschüsse zu diesem amtlichen Blatt sind. Ich selbst habe in der Weimarer Zeit den Vorgänger dieses Blattes, das „Reichsarbeitsblatt", zu redigieren gehabt und weiß, daß man damals mit sehr viel weniger ausgekommen ist. Auch unter Berücksichtigung der Geldentwertung ist das, was für dieses Blatt jetzt an Zuschüssen gegeben wird, so hoch, daß wir Sie bitten möchten, Herr Bundesarbeitsminister, darauf zu schauen, daß sich dieser Posten nicht noch weiter vergrößert.
Kurz möchte ich auch auf den Antrag Umdruck 628*), der an sich von den Juristen eingebracht worden ist und der eine dritte Senatspräsidentenstelle beim Bundesarbeitsgericht vorsieht, hinweisen. Es ist ein interfraktioneller Antrag, und wir hoffen, daß er in dieser Form angenommen wird; denn es ist tatsächlich unerträglich, daß infolge der Zusammensetzung des Bundesarbeitsgerichts praktisch der Präsident dieses Gerichts in der Lage ist, unter seinen Richtern jeweils auszuwählen. Ich weiß nicht — ich bin nicht Jurist, um das zu beurteilen —, ob dies direkt verfassungswidrig ist. Auf jeden Fall ist es unerträglich, und wir würden Sie bitten, durch die Bereitstellung der dritten Stelle diesem Übel abzuhelfen.
Wir müssen auch wissen, woher wir für das Bundesarbeitsgericht als das höchste Gericht — dasselbe gilt für das Bundessozialgericht — die fachlich vorgebildeten juristischen Kräfte nehmen sollen. Ich möchte die Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen lassen, darauf hinzuweisen, daß die Zahl der Lehrstühle für Arbeitsrecht an unseren Hochschulen bei weitem nicht ausreicht, solche Posten, um die es sich hier handelt, tatsächlich auszufüllen. Wir sollten uns in diesem Hause darin einig sein, daß wir, obwohl das an sich eine Angelegenheit der Länder ist, von hier aus den Appell an die Länder richten, die Zahl der Lehrstühle für Arbeitsrecht zu vermehren und es nicht so zu halten, wie es schon zu Zeiten Sinzheimers und Kaskels war, daß der Lehrstuhl für Arbeitsrecht nur eben mit einem anderen Lehrauftrag verbunden wird. Es handelt sich hier um eine echte, wichtige Aufgabe, die es wert ist, daß ihr auch eigene Lehrstühle gewidmet werden.
Nun zu dem Umdruck 643**). Die SPD-Fraktion bittet, den Ansatz in Kap. 11 13 Tit. 622 — Zuschuß des Bundes zu den Ausgaben der Rentenversicherungen —, einen Titel, der jetzt mit 200 Millionen DM vorgesehen ist, um 1015 Millionen DM auf insgesamt 1215 Millionen DM zu erhöhen. Das hängt
*) Siehe Anlage 13. **) Siehe Anlage 14.
mit dem Antrag zusammen, den die sozialdemokratische Fraktion zur Frage der Rentenneuordnung eingebracht hat. Dieser Entwurf hat dem Grunde nach ein anderes System der Finanzierung als das, das augenblicklich gilt. Wir verfolgen mit dem Entwurf die Absicht, daß alle Zuschüsse, aber auch alle Erstattungen, die bisher im Bundeshaushalt enthalten waren, zusammengefaßt werden und daß diese Zuschüsse und Erstattungen gemeinsam mit 40% der Ausgaben durch den Bund gedeckt werden. Das würde eine Summe von 1629 Millionen DM für das vor uns liegende Haushaltsjahr ergeben. Aber wir hatten vorgesehen, daß dieser Entwurf ab 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten sollte. Dementsprechend ist unser Antrag darauf abgestellt, drei Viertel dieser Summe, insgesamt also rund 1,2 Milliarden DM, dafür zur Verfügung zu stellen.
Dazu eine Bemerkung. Wir möchten die Rentenreform ab 1 Juli in Kraft gesetzt sehen — die Beratungen werden allerdings erst später sein können —; denn wir wissen alle, daß die Not der Rentner, die sowieso schon in vielen Fällen außerordentlich groß ist, sich vor allem im Winter bemerkbar macht. Wir möchten damit erreichen, daß den Rentnern noch vor dem Winter die schon seit vier Jahren immer und immer wieder zugesagte Rentenerhöhung nun auch tatsächlich ausgezahlt wird.
Wir haben vor wenigen Tagen auf Initiative des Kollegen Professor Böhm in diesem Hause einen Film sehen können, der sich mit dem Schicksal der jüdischen Emigranten in Paris beschäftigt und das unsagbare Elend schildert, das dort zu finden ist. Wir haben unterdessen durch einen Beschluß — wenn auch in bescheidenem Maße — versucht, dem entgegenzuwirken. Aber ich fürchte, wir könnten einen ähnlichen Film auch vom Elend der Sozialrentner in der Bundesrepublik drehen. Wir haben gerade jetzt erst im Bundesarbeitsblatt noch einmal mitgeteilt bekommen, wie die Durchschnittsrenten zur Zeit liegen, nämlich für die Arbeiterrentner bei rund 100 DM im Monat, für die Witwen bei rund 65 DM im Monat. Wer soll damit auskommen? Wir wollen diesen Zustand ändern, aber wenn wir dies tun wollen, dann müssen wir auch dafür sorgen, daß diesen Rentnern die seit mehreren Jahren versprochene Rentenerhöhung nun auch in diesem Jahre vor diesem Winter bereitgestellt wird.
Wir glauben, daß für die beantragte Summe die möglichen Reserven im Bundeshaushalt zu finden sind. Einmal mache ich darauf aufmerksam, daß wir, da es sich zunächst um die Deckung der für dieses Jahr notwendigen Summen handelt, die Möglichkeit haben, für dieses Jahr auf die Reserven der Rentenversicherung selbst, die sich im Augenblick auf rund 8 Milliarden DM belaufen, zurückzugreifen. Im übrigen — davon werden aber meine Kollegen noch zu sprechen haben — sind in dem Haushalt Einzelplan 14 bei der Bundeswehr, wie wir wissen und wie wir glauben nachweisen zu können, genügend Reserven vorhanden, um den Sozialrentnern diesen Betrag zukommen lassen zu können. Auch ist hier genug von den Ansammlungen im Juliusturm des Herrn Bundesfinanzministers gesprochen worden.
Worauf es uns ankommt, ist, daß den Rentnern geholfen wird vor der Aufstellung einer Wehrmacht,
vor der Ausgabe für die Stationierungskosten, vor etwaigen Steuersenkungen für die Beschäftigten. Bevor das alles geschieht, muß der Not der Alten und Invaliden selbst gesteuert werden.
Das Wort von dem Wirtschaftswunder ist ja nun schon etwas abgegriffen.
Aber lassen Sie es mich aussprechen: ein Anrecht auf das Wirtschaftswunder sollten auch diejenigen haben, die immer noch auf das „soziale Wunder" in der Bundesrepublik warten. Ich erinnere Sie an das Wort des Herrn Bundeskanzlers in der Regierungserklärung von 1953, und ich darf Ihnen dies mit Genehmigung des Herrn Präsidenten ins Gedächtnis zurückrufen. Der Bundeskanzler hat damals in der Regierungserklärung ausgeführt:
An dem wirtschaftlichen Aufstieg in der Bundesrepublik haben jedoch nicht alle Bevölkerungskreise gleichmäßig teilgenommen.... Es wird das besondere Anliegen der Bundesregierung sein müssen, die Arbeitslosen einzugliedern
— wir müssen zugeben: das ist weitgehend geschehen —
und dem Bundestag Maßnahmen vorzuschlagen, durch die die wirtschaftliche Lage der Rentner, Invaliden, Waisen und Hinterbliebenen weiter verbessert wird.
Meine Damen und Herren, dieses Versprechen des Herrn Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung von 1953 ist heute praktisch noch nicht erfüllt.
— Herr Schüttler, Sie wollen wie wir die Renten der Rentner mindestens verdoppeln; also ist ihre Lage noch schlecht. — Es ist bis heute, drei Jahre nach dieser Erklärung, noch nichts geschehen. Ich bedaure, das in dieser Form aussprechen zu müssen, aber dies ist die historische Schuld des Herrn Bundesarbeitsministers.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mein Herr Minister hat ganz klar ausgesprochen, daß in diesem Jahre
— 1955 —
die Beiratsberatungen zu Ende geführt werden sollen, daß gleichzeitig die Gesetzentwürfe fertiggestellt werden und daß wir bereits nach den Ferien beginnen wollen, einzelne dieser Gesetzentwürfe unter Vorlegung eines Gesamtplans dem Parlament zur Beratung zur Verfügung zu stellen, damit wir mit Bestimmtheit im Jahre 1956 die Reform abschließen können.... Die Vorarbeiten dazu laufen.
Er sagte weiter, daß dies in einem einheitlichen Gesetz geschehen solle. Er fuhr fort:
Wir werden dann alles in dieses Gesetz hineinbringen, so daß man auf diesem Gebiet nur noch mit einem einzigen Gesetz zu tun hat.
Hier hat mein Kollege Schellenberg einen Zwischenruf gemacht: „Bis wann wird das sein?" Darauf Herr Staatssekretär Sauerborn:
— Ende 1956, habe ich gesagt, soweit wir in Frage kommen.
Das war die Zusage, nicht etwa nur die Rentenreform durchzuführen, sondern auch noch im Jahre 1956 einen Gesamtplan vorzulegen und darauf die anderen Entwürfe, an denen man bereits arbeite, aufzubauen. Sowohl der Bundesarbeitsminister Storch als sein Staatssekretär Sauerborn haben also in diesem Hause selber Termine für die umfassende Sozialreform gesetzt, und diese Termine haben beide Herren nicht eingehalten.
In diesem Zusammenhang ein Wort zu den Ausschiessen des Beirats. Im Haushalt ist in Kap. 11 09 Tit. 221 u. a. ein Betrag von 25 000 DM für die Ausschüsse für Fragen der Krankenversicherung und für Fragen der Fürsorge vorgesehen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat im April 1954 bei der damaligen Haushaltsdebatte im Zusammenhang mit der Vermehrung der Invalidenrenten, die wir zu beobachten haben, gesagt:
Wir müssen deshalb bei der ganzen Reform unserer Sozialversicherung vor allem die Frage prüfen, wie der Gesundheitsdienst sein muß, um gerade die vorzeitige Invalidität in Zukunft zu verhindern.
Wir stimmen diesem Wort vollinhaltlich zu. Aber wir fragen, weshalb, wenn der Bundesarbeitsminister diese Dinge schon 1954 so klar gesehen hat, der entscheidende Ausschuß des Beirats, eben jener für die Krankenversicherungsfragen, erst in der Mitte des Jahres 1955 begründet und ins Laufen gesetzt worden ist und warum gerade dieser Ausschuß, auf dessen Wichtigkeit der Herr Bundesarbeitsminister selber verwiesen hat, in der Zwischenzeit so wenig aktiv geworden ist.
Ich will Ihnen nachweisen, weshalb diese Frage so wichtig ist. In beiden Gesetzentwürfen, die jetzt zur Rentenreform vorliegen, ist auch die sogenannte Rehabilitation geregelt. Im Entwurf der Bundesregierung ist dabei die Rehabilitation praktisch den Landesversicherungsanstalten überantwortet. Wir haben uns in unserem SPD-Entwurf sehr viel vorsichtiger geäußert. Wir haben alle diese Fragen zu regeln gesucht „bis zur Neuregelung von Gesundheitsvorsorge und Krankenversicherung". Bei der Bundesregierung fehlt nun gerade in diesem Punkt jener von Staatssekretär Sauerborn bereits im vorigen Jahr zugesagte Gesamtplan, und weil dieser Gesamtplan fehlt, weil der entscheidende Ausschuß des Beirats überhaupt noch nicht recht zu Stuhle gekommen ist, kann der Entwurf der Bundesregierung gerade in diesem wichtigen Punkt der Rehabilitation praktisch nur Stückwerk bleiben. Herr Staatssekretär Sauerborn — ich habe gerade das Bulletin von gestern hier vorgefunden — hat ja in Genf darauf hingewiesen, daß zwar nur ein Teilbereich dieser Gesamtordnung vorläufig geregelt wurde, daß damit, so sagte Herr Sauerborn, aber auch gleichzeitig die Grundauffassungen der Gesamtreform festgelegt seien. Man hat sich aber im Rahmen des Bundesarbeitsministeriums über diesen Gesamtplan, wie wir wissen, noch gar nicht schlüssig werden können, geschweige denn, daß dieser Gesamtplan im Rahmen des Kabinetts beschlossen ist. Trotzdem wird nun versucht, in einem Teilstück diese Dinge schon vorab zu regeln. Es fehlt eben im Bundesarbeitsministerium und im gesamten Kabinett an der Gesamtkonzeption, die erforderlich ist, um eine umfassende Sozialreform durchzuführen. Wir dagegen hatten unseren Sozialplan und konnten infolgedessen auch in unserem Teilplan, in unserem Rentenentwurf, von einer Gesamtkonzeption ausgehend, diesen Teil der Re-
habilitation in der richtigen Weise, wie wir meinen, placieren.
Im Zusammenhang mit dem Sozialplan endlich nur noch ein Wort. Auch die Regierung sollte in ihren Äußerungen darauf Bedacht nehmen, die Arbeiten, die von allen Kreisen des Volkes für die Sozialreform vorgenommen worden sind — und so auch von der Opposition —, gerecht zu würdigen. Aber wir erleben es immer und immer wieder, daß in den Äußerungen des Arbeitsministeriums der Sozialplan der SPD praktisch totgeschwiegen wird, obgleich sowohl der Verband junger Unternehmer als auch die Zeitschrift „Arbeit und Sozialpolitik", auf die ich mich sonst sehr ungern stütze, kürzlich darauf hingewiesen haben, daß die Vorarbeiten der Sozialdemokratie entscheidend für die Entwicklung der Sozialreform waren. In der letzten Nummer des „Bundesarbeitsblatts", Nr. 11, hat ein jüngerer Referent des Bundesarbeitsministeriums bei der Betrachtung der sogenannten Anpassung der Löhne alle möglichen Stellen als Vorarbeiten genannt, aber auf die Vorarbeiten der SPD nicht hingewiesen. Meine Damen und Herren, wenn Sie wünschen, daß die Opposition mit Ihnen an dieser wichtigen Sache arbeitet, dann soll der Bundesarbeitsminister diese Fragen auch richtig würdigen lassen.
Vorhin habe ich von der historischen Schuld des Bundesarbeitsministers an der Verzögerung der Sozialreform gesprochen; jetzt muß ich noch auf eine andere Schwäche des amtierenden Bundesarbeitsministers hinweisen. Ich habe soeben gesagt, daß ich im alten Reichsarbeitsministerium unter dem von vielen von uns, und so auch von mir, sehr verehrten Dr. Heinrich Brauns gearbeitet habe. Unter Dr. Brauns wäre es nicht möglich gewesen, daß sowohl Lohn- wie auch Arbeitszeitverhandlungen — jetzt über die Verkürzung der Arbeitszeit — nicht im Arbeitsministerium, sondern im Wirtschaftsministerium geführt werden.
Wir verlangen und erwarten, gleichgültig, ob wir mit der Person des Arbeitsministers einverstanden sind oder nicht, daß die Position des Arbeitsministeriums gewahrt wird und der Arbeitsminister in allen sozialpolitischen Fragen in der Bundesrepublik die Führung hat.
Wir geben zu, daß sich der Arbeitsminister in einigen Fällen hat durchsetzen können; so insbesondere darin, daß die Rente keine Zuschußrente mehr, sondern eine Lebensunterhaltsrente sein soll. Aber bei der so wichtigen dynamischen Rente, wo sicher ein Teil des Verdienstes, daß die Dinge jetzt so geregelt werden, dem Bundesarbeitsminister zukommt, hat er sich in der entscheidenden Frage der Dynamisierung der laufenden Rente nicht durchsetzen können; und das ist die Schwäche, die wir beklagen. Wir hätten in diesem Punkt vom Bundesarbeitsminister die Festigkeit gewünscht, die er, wie wir zugeben, bei der Verhandlung über die Hereinnahme italienischer Arbeiter seinerzeit gegenüber dem Wirtschaftsminister gezeigt hat. In diesem Zusammenhang darf ich sagen: in diesem Fall haben sich die Befürchtungen sowohl des Bundesarbeitsministers als auch der Opposition als zutreffend erwiesen; denn, wie wir alle wissen, statt der vorgesehenen rund 13 000 italienischer Landarbeiter sind bisher nur 2500 bereit gewesen, in die Bundesrepublik zu kommen. Weshalb? Weil die Lebens-, Lohn- und Arbeitsbedingungen der Landarbeiter in anderen Ländern besser sind als in der Bundesrepublik; ein bezeichnendes Schlaglicht auf
die Verhältnisse in der Landwirtschaft der Bundesrepublik.
Damit komme ich zum Schluß. Weil wir die Tätigkeit des Arbeitsministeriums in einem sozialen Rechtsstaat für einschneidend und wesentlich halten, haben wir diese Kritik an der Person und an der Tätigkeit des amtierenden Ministers, wie in jedem Jahr, so auch in diesem, für erforderlich gehalten. Ich weiß, daß diese Kritik, ob ausgesprochen oder nicht, von weiten Teilen des Hauses geteilt wird. Wenn wir nur von der Person des Herrn Bundesarbeitsministers auszugehen hätten, müßten wir den Haushalt ablehnen. Aber es geht gleichzeitig um außerordentlich wichtige Positionen in seinem Etat, die für die Bedrängten und für die Notleidenden und für die Rentner wichtig sind. Weil wir die Notwendigkeit der Summen, um die es sich handelt, anerkennen, aber um gleichzeitig unsere Kritik am Arbeitsminister selber zum Ausdruck zu bringen, werden wir uns auch in diesem Jahr bei der Abstimmung über diesen Haushalt der Stimme enthalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit gehört auch das Bundesarbeitsgericht. Ich habe die Ehre, einige Worte zu dem interfraktionellen Antrag zu sagen, durch den gebeten wird, die Stelle eines dritten Senatspräsidenten beim Bundesarbeitsgericht zu bewilligen, damit das Bundesarbeitsgericht ordnungsgemäß die Zahl der zur Zeit erforderlichen vier Senate bekommen kann.
Das Gesetz über das Bundesarbeitsgericht bestimmt, daß dieses Bundesgericht seine Entscheidungen durch Senate trifft, die mit je einem Präsidenten, mit zwei rechtskundigen und hauptamtlichen Bundesrichtern sowie mit zwei ehrenamtlichen Bundesarbeitsrichtern zu besetzen sind. Bisher sind beim Bundesarbeitsgericht zwei Senate errichtet. Die Erfahrung hat leider gelehrt, daß zwei Senate nicht ausreichen, um die Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht in angemessener Zeit durch einen Urteilsspruch zum Abschluß zu bringen. Gerade die Bundesarbeitsgerichtsbarkeit muß wegen der Art der von ihr zu entscheidenden Streitigkeiten so kurzfristig wie möglich zu Ergebnissen führen, weil Prozesse über Arbeitsverhältnisse, die vielfach über Existenzfragen wie die des Arbeitsplatzes entscheiden, eine lange Dauer einfach nicht vertragen.
Das Bundesarbeitsgericht selber, das Bundesministerium für Arbeit und der Haushaltsausschuß des Bundestages stimmen deshalb dankenswerterweise darin überein, daß die Zahl der Richter und der Senate in diesem ursprünglich leider zu klein geplanten Bundesarbeitsgericht vergrößert werden muß. Der Bundestag hat deshalb bereits in den vergangenen Jahren mehr Stellen für rechtskundige Bundesrichter bewilligt und will darin auch jetzt fortfahren, um diesem unstreitigen Mißstand abzuhelfen.
Die Folge auf der anderen Seite ist jedoch, daß alsdann den bisherigen beiden Senaten oder künftig den drei Senaten, die bis jetzt nur geplant sind,
mehr rechtskundige und hauptamtliche Bundesrichter angehören, als es der gesetzlichen Besetzung eines Senats entspricht. Dadurch entsteht das auch bei anderen Gerichten und früher schon beim Reichsgericht nicht unbekannte, aber bedenkliche Problem der Überbesetzung. Dürfen nämlich nach zwingender gesetzlicher Vorschrift an der Streitentscheidung in einem Senat außer einem Vorsitzenden und den beiden ehrenamtlichen Bundesarbeitsrichtern nur jeweils zwei rechtskundige und hauptamtliche Bundesrichter mitwirken, gehören aber dem Senat mehr als zwei solche Bundesrichter an — in der Vergangenheit war es bei einem Senat des Bundesarbeitsgerichts sogar die doppelte Zahl von Bundesrichtern, als sie zulässig ist —, so erhebt sich die Frage, nach welchem Turnus die rechtskundigen und hauptamtlichen Bundesrichter an den Entscheidungen ihres Senats mitzuwirken haben.
Diese Frage hat nicht nur Bedeutung für die Glaubwürdigkeit des Gerichts, sondern sogar verfassungsrechtlichen Rang. Nach unserem Grundgesetz darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Es herrscht jedoch kein Streit darüber, daß zum Begriff des gesetzlichen Richters auch die Beständigkeit des Richters gehört. Mit anderen Worten: unabhängig vom einzelnen Streitfall muß im voraus feststehen, wer nach dem Gesetz zur Mitwirkung als Richter in einem Senat berufen ist. Weder darf irgendeine Instanz, also etwa das Präsidium des Bundesarbeitsgerichts, noch der Vorsitzende des Senats im Einzelfall nach seinem Ermessen bestimmen, welcher Richter für die Entscheidung eines bestimmten Verfahrens zuzuziehen ist. Aus diesen zwingenden Bestimmungen des Verfassungsrechts darf dem Senat eines Bundesgerichts, und zwar gilt das für alle Bundesgerichte, allein genau die Richterzahl angehören, die nach dem Gesetz für den Senat als das erkennende Gericht vorgeschrieben ist. Eine Überbesetzung der einzelnen Senate kann dagegen nur in den engsten Grenzen sowie aus anders nicht vermeidbaren Sachgründen in ganz besonderen Ausnahmefällen vorübergehend zu dulden sein, obgleich auch dann noch Bedenken bleiben. Dieser Fall ist beim Bundesarbeitsgericht nicht gegeben. Beim Bundesarbeitsgericht liegen die Verhältnisse so, daß ihm mehr rechtskundige und hauptamtliche Bundesrichter angehören, als sogar für vier Senate notwendig wären. Das Bundesgesetz über das Bundesarbeitsgericht im Zusammenhang mit dem Grundgesetz erfordert daher, daß diese Bundesrichter in der Art und Weise einzelnen Senaten zugeteilt werden, daß eine Überbesetzung vermieden sowie der Grundsatz des gesetzlichen, d. h. im voraus als beständig feststehenden Richters gewahrt wird.
Sinn des Gesetzes ist übrigens — ebenfalls nach der in der Rechtsprechung und in der Wissenschaft unbestrittenen Lehre —, daß ausdrücklich die Besetzung mit einem Vorsitzenden für jeden Senat deshalb vorgeschrieben ist, um diesem Vorsitzenden die Übersicht über die Rechtsprechung des ganzen Gerichts und die Leitung des Senats zu ermöglichen. Nach der Rechtstradition und nach dem zwingenden Gesetzeswortlaut ist es deshalb nicht statthaft, daß ein Präsident in mehreren Senaten den Vorsitz führt, weil er dann der ihm kraft Gesetzes obliegenden Aufgabe nicht mehr gerecht werden kann. Aus diesem. Grunde bitten wir, daß
die Stelle eines dritten Senatspräsidenten beim Bundesarbeitsgericht eingerichtet wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoogen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der Zeitnot, in der das Parlament im Augenblick den Haushalt behandelt, kann ich mich sehr kurz fassen. Namens der Antragsteller, für die ich zu sprechen die Ehre habe, und namens meiner Fraktion schließen wir uns dem Antrag an und auch den Ausführungen, die Herr Kollege Arndt hierzu gemacht hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, die von dem Kollegen Preller begonnene Diskussion über die Notwendigkeit und Dringlichkeit und die Art und Weise der Reform der Leistungen in der Rentenversicherung zu vertiefen. Das ist in den hinter uns liegenden Monaten und Wochen schon ausgiebig in der Öffentlichkeit, in Fachzirkeln und sonstigen Gremien getan worden. In der nächsten Woche, wenn der Regierungsentwurf über die Reform der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten hier eingebracht wird, haben wir Gelegenheit, dies zu tun.
Ich habe mich zum Wort gemeldet, um einige Ausführungen zu dem Antrag Umdruck 643*) zu machen. Die Antragsteller haben nach meinem Dafürhalten bei der Einbringung dieses Antrags nicht daran gedacht, daß die Konstruktion der Finanzierung der Leistungen aus der Rentenversicherung noch gar nicht feststeht.
Gewiß sieht der Entwurf der SPD-Fraktion eine Finanzierungsform vor. In § 104 dieses Gesetzentwurfs ist gesagt, daß 40 % der Rentenleistungen vom Bund zu tragen sind, und es mag sein, daß aus dieser Form der Finanzierung der Antrag der SPD herausgewachsen ist.
Aber Sie wissen, daß in dem Entwurf der Bundesregierung, der uns schon vorliegt, eine ganz andere Finanzierungsart und eine ganz andere Konstruktion der Finanzierung der Rentenleistungen vorgesehen sind. Ich brauche auf diese andere Form nicht näher einzugehen. Wir werden uns in der kommenden Woche über diese Dinge hier zu unterhalten haben. Beide Entwürfe, sowohl der Entwurf der SPD als auch der Entwurf der Bundesregierung, haben eines gemeinsam: beide gehen von der bisherigen Form des Kapitaldeckungsverfahrens ab und sehen ein Abschnittsdeckungsverfahren für die kommende Finanzierung der Leistungen vor. Das Abgehen von der bisherigen Form macht es möglich, daß auch aus den jährlich laufenden Beitragseinnahmen der Rentenversicherung erheblichere Beträge als bisher in die Leistungen hineingesteuert werden können.
Es mag auch sein, daß diese Erhöhung des Ansatzes bei Tit. 622 in Kap. 11 13 beantragt worden
*) Siehe Anlage 14.
ist, weil die SPD-Fraktion in ihrem Antrag einen bestimmten Termin für die Inkraftsetzung des kommenden Gesetzes vorgeschlagen hat. Über die Höhe, die Art und Weise und auch den Zeitpunkt der Inkraftsetzung der Reformen wird ja dieses Hohe Haus einmal zu beschließen haben. Gleichgültig wie hoch die Leistungen werden und gleichgültig wann die Reform in Kraft tritt, sind in dem Ansatz Tit. 622 ja Mittel vorgesehen. Je nachdem, wie der Termin festgelegt ist, kann man dann auch mit diesem jetzt schon vorhandenen Titel manipulieren. Wir sehen daher gar nicht die Notwendigkeit ein, den Ansatz jetzt zu erhöhen.
Ich möchte auch, sehr verehrter Herr Kollege Preller, auf folgendes hinweisen. Sie haben von der Not gesprochen. Die sehen wir alle ein. Das ist ja auch der Grund, weshalb wir diese Reformen durchführen. Ich möchte aber doch darauf verweisen, daß schon auf Grund des Rentenzulagengesetzes, das wir im Dezember des vergangenen Jahres verabschiedet haben, jetzt im Monat Juni eine zweite Zulage an alle Rentner ausgezahlt worden ist.
Wenn man also heute noch nicht weiß, wie die Finanzierungskonstruktion, die das Gesetz einmal haben wird, aussieht, dann, glaube ich, kann man heute auch noch nicht den endgültigen Betrag, der notwendig ist, im Haushalt ansetzen. Meine Freunde und ich sind der Meinung, daß der schon jetzt für diesen Zweck in Tit. 622 angesetzte Betrag von 200 Millionen DM ausreichend ist, um diesem Gesetz, gleichgültig zu welchem Zeitpunkt es in Kraft tritt, den Start zu ermöglichen.
Ich habe daher den Auftrag, Sie zu bitten, den Antrag der SPD-Fraktion auf Umdruck 643 abzulehnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kalinke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, zum Haushalt des Arbeitsministeriums zu sprechen, obwohl bei dieser Gelegenheit sehr viel zu sagen gewesen wäre. Wir werden das bei der dritten Lesung tun.
Ich möchte aber zum Antrag der Sozialdemokratischen Partei und zu den Ausführungen des Herrn Professors Preller sagen, daß ich in einem Satz mit ihm einig bin: nämlich in der Feststellung der „politischen Unlust" an den Leistungen, die aus dem Arbeitsministerium im Zusammenhang mit der Gesamtsozialreform gekommen sind. Nicht aber einig bin ich mit ihm in der Methode, mit der hier über Gesetzentwürfe gesprochen wird, die beide in ihren Grundlagen hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen so wenig übersichtlich sind; wobei ich der Sozialdemokratischen Partei zugebe, daß es eine Konsequenz ihres eingebrachten Antrages ist, nun auch nach den Mitteln zu fragen und die finanziellen Voraussetzungen im Haushalt zu fordern. Ich wäre glücklich, wenn auch im Regierungsentwurf die klare Konsequenz der dort angedeuteten finanziellen Auswirkungen gezogen wäre und der Finanzminister mit dem Herrn Arbeitsminister die Möglichkeiten und die Folgen der Verwirklichung seiner Vorlage abgestimmt hätte. Das ist leider nicht in voller Klarheit geschehen, und es wird uns bei den Beratungen im Ausschuß noch sehr viel Mühe machen, die wirklichen Belastungen festzustellen.
Ich möchte im Zusammenhang mit den hier angesprochenen Fragen noch einiges klarzustellen versuchen.
Ich bin genausowenig wie Professor Preller ein Verteidiger der einen oder anderen Fachzeitschrift oder der einen oder anderen Unternehmergruppe. Aber die beiden Zeitschriften, die er genannt hat, pflege ich zusammen mit einigen Dutzend anderen Zeitungen und Zeitschriften regelmäßig zu lesen. Aus seinen Ausführungen könnte entnommen werden, daß diese Zeitschriften und die jungen Unternehmer oder die selbständigen Unternehmer etwa die Auffassung vertreten hätten, daß der PrellerPlan nun das Ziel sei,
daß er so große Erfolge gehabt hätte und daß sie ihn positiv diskutiert hätten. Ich habe diese Stellungnahmen so gelesen, daß darin festgestellt wurde: Der Sozialplan der SPD marschiert, er marschiert deshalb, weil — wie Sie richtig bemerkt haben — in dem Entwurf des Herrn Bundesministers für Arbeit nur Nuancenunterschiede gegenüber Ihrem Plan sind. Der Regierungsentwurf ist in seinen Zielen allerdings wesentlich unklarer als das, was Sie in Ihrem Entwurf sehr klar und zielbewußt fordern.
Wir als Abgeordnete werden im Ausschuß sehr ernsthaft zu prüfen haben, ob die Weichen, die der Herr Arbeitsminister gestellt hat, oder die klare Frontlinie, die Sie aufzeigen, im Gesetz eine Verwirklichung finden sollen. Das ist eine sehr ernsthafte Frage. Ob der Versuch, den der Herr Arbeitsminister gemacht hat, zum Versicherungsprinzip zurückzukehren, oder der Versuch, den Sie machen, auf Umwegen zum totalen Versorgungsstaat zu kommen, realisiert werden wird, wird ganz entscheidende Auswirkungen auf die Finanzierung haben. Wenn Sie von vornherein sagen, 40 % der Versorgung innerhalb der Rentenversicherung sollen in Zukunft von den Steuerzahlern finanziert werden, so ist das eine saubere Forderung. Aber ich wünsche dann, daß Sie uns im Ausschuß auch ebenso eindeutig sagen, was diese Forderungen kosten werden. Wir haben von Ihrem Genossen, dem leider zu früh verstorbenen Professor Makkenroth, und seinen Mitarbeitern gelernt, daß die Steuerzahler und Beitragszahler vor allem die Ärmsten der Armen — von denen Sie immer sprechen — sind, die das dann bezahlen müssen. Auch darüber werden wir uns bei den Finanzierungsplänen sehr ernsthaft zu unterhalten haben.
Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß viele Dinge unklar sind. Ich möchte nur mit ganz wenigen Worten feststellen, was alles unklar ist: 1. die Höhe der Leistungen, 2. die Rentenformel und ihre Auswirkungen, 3. die Fragen der Ersatzzeiten, 4. die Staatszuschüsse. Die von Ihnen so gepriesene Dynamik, die zu einer Automatik führen kann, wird zur Folge haben, daß sich nicht allein der Herr Bundesminister für Arbeit, sondern auch der Bundesminister für Finanzen sehr bald für einen Nachtragshaushalt wird überlegen müssen, wieweit die gleiche wertgesicherte soziale Leistung — wenn wir sie für die Sozialrentner beschließen sollten — auch den Kriegsopfern, den Lastenausgleichsempfängern wie allen Sparern, die unter Konsumverzicht selbst Vorsorge getrieben haben,
nicht versagt werden kann. Diese Rechnung wird dann so aussehen, daß Ihre Milliarde nicht ausreichen wird und wir, fürchte ich, über sehr viel höhere Beträge sorgenvoll werden diskutieren müssen.
Aus diesem Grunde, wegen der ungeklärten Finanzierungsfragen, die sich weiter aus den beiden Gesetzentwürfen ergeben, halte ich es für ganz unmöglich, diesem Antrag heute schon zuzustimmen,
vielmehr für sehr notwendig, sich sehr ernsthafte Gedanken dahingehend zu machen, daß die gesamte Sozialversicherungsbeitrags- wie die Steuerlast ihre natürliche Grenze haben muß, damit nicht eines Tages derjenige, der im Arbeitsleben steht und Beiträge und Steuern zahlt, ein geringeres Nettoeinkommen hat als der Großvater, der als Rentner aus diesen Steuern und Beiträgen seine Leistungen empfängt. Sie haben hier mit dem bekannten Pathos von der Not der Rentner gesprochen.
Ich darf dazu sagen, daß 3 °/o der Rentner Fürsorge erhalten. Das ist ein erfreulich niedriger Prozentsatz. Darüber hinaus — es wäre die Aufgabe des Arbeitsministers, das zu sagen, und nicht meine — möchte ich nur noch hinzufügen: wir werden in Monate großer sozialer Enttäuschungen hineingehen, wenn wir uns nächste Woche klarmachen werden, wohin die verkündeten Ziele, die einen wie die anderen, führen werden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsisent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich gleich zu Anfang meiner Ausführungen etwas zu dem sagen, was Frau Kalinke eben ausführte. Sie sagte, es seien nur 3 % der Sozialrentner, die zusätzlich die Möglichkeit eines Bezuges einer Wohlfahrtsrente in Anspruch nähmen. Ich sage Ihnen in aller Offenheit: wenn alle diejenigen, die auf Grund Ihrer Rente die Möglichkeit haben, zum Wohlfahrtsamt zu gehen, von dieser Möglichkeit Gebrauch machten, wären es nicht nur 3 %, sondern wahrscheinlich 15 %.
Sie sehen, hier haben wir es mit einem Kreis von Menschen zu tun, die in Wirklichkeit noch das innere Bestreben in sich tragen, für sich selbst zu sorgen. Daran sehen Sie am allerbesten, wie gut wir tun, wenn wir durch eine neue Ordnung unserer sozialen Leistungen aus der Sozialversicherung diesen Leuten helfen, daß sie weiterhin diese Geistesgröße behalten können.
Und nun lassen Sie mich einiges zu dem sagen, was Herr Professor Preller hier erklärt hat. Er hat damit begonnen, es sei erstrebenswert, daß wir für die großen Sozialgerichte mehr Nachwuchs hätten. Auf diesem Gebiet bin ich mit ihm ein und derselben Meinung. Diese Dinge müßten auf unseren Hochschulen in einem größeren Umfang jungen Menschen nahegebracht werden, damit wir auf den wichtigen Gebieten der Arbeitsgerichtsbarkeit und der Sozialgerichtsbarkeit in allen Instanzen den nötigen Nachwuchs haben.
Es sind nun einmal annähernd 18 Millionen Menschen, die heute im Arbeitsleben stehen. Ihre rechtliche Betreuung, soweit sich irgendwelche Streitigkeiten ergeben, müßte von Menschen besorgt werden, die dazu die nötige Vorschulung bekommen haben. Hier nützt es in Wirklichkeit in den meisten Fällen nichts, daß man nur die Paragraphen gut kennt. Man muß das Leben in der Wirtschaft und die Verhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern so sehen, wie sie tatsächlich sind.
Nun hat allerdings Herr Professor Preller mir persönlich den Vorwurf gemacht, daß die ganzen Fragen der Sozialreform, der Neuordnung unserer sozialen Leistungen, eben nicht schnell genug über die Bühne gegangen seien. Er sagte, es seien Jahre vergangen, in denen nichts getan worden sei. Ich gebe Ihnen zu, Herr Professor Preller, daß sich die Arbeiten für eine ganz durchgehende Neuordnung als viel schwieriger herausgestellt haben, als wir es vielleicht alle vor einigen Jahren gedacht haben, als die Einsetzung des Beirats für die Neuordnung der sozialen Leistungen in diesem Hause beschlossen wurde. Aber wir dürfen doch nicht übersehen, daß in dieser Zeit für die Sozialrentner und für diejenigen, die man gleichstellen muß, Leistungsverbesserungen durchgeführt worden sind, die sich sehr wohl sehen lassen können.
Bei dem, was ich jetzt sage, handelt es sich nicht um Zahlen für alle sozialen Leistungen in Deutschland; sie umfassen heute wahrscheinlich 24 Milliarden DM. Das, was ich Ihnen jetzt sage, sind nur die Zahlen für die Krankenversicherung, die Arbeitslosenversicherung, die Unfallversicherung, die Invalidenversicherung, die Angestelltenversicherung und die Knappschaftsversicherung, die Kriegsopferversorgung und die Arbeitslosenfürsorge, also nur die Sparten, die in meinem Haus bearbeitet werden müssen. Sie müssen sich die wirklichen Ausgaben, die wir auf diesen Gebieten gemacht haben, einmal ansehen.
Im Jahre 1950 waren es 10,6 Milliarden DM, 1951 12,9 Milliarden DM, 1952 15,2 Milliarden DM, 1953 15,8 Milliarden DM, 1954 16,3 Milliarden DM. Von 1955 habe ich allerdings die Zusammenstellung nur für das erste halbe Jahr; sie macht aber bereits 8,9 Milliarden DM aus, so daß wir wahrscheinlich im Jahre 1955 auf diesem Gebiet mit einer Gesamtausgabe von 18 Milliarden DM zu rechnen haben. Dieses Mehr von 8 Milliarden DM gegenüber dem Jahre 1950 ist als eine Vorleistung an diese Kreise der Rentner geflossen, und das scheint mir doch auch eine erwähnenswerte Zahl zu sein.
Nun, wir haben uns, nachdem der Beirat in meinem Ministerium gebildet war, mit allen Beteiligten über die Möglichkeiten der neuen Ordnung unterhalten. Im Anfang ist mir der Vorwurf gemacht worden, daß der Beirat hinter verschlossenen Türen tage, und ich gebe zu, daß es so war. Es kam mir darauf an, die Sachverständigen und die Vertreter der einzelnen Gruppen, die mit den unterschiedlichsten Auffassungen in diesem Beirat zusammengekommen waren, dazu zu bringen, sich offen und ehrlich über ihre Meinungen zu unterhalten, ohne Gefahr zu laufen, am anderen Tag irgendwo in der Öffentlichkeit wegen ihrer Stellungnahme angegriffen zu werden. Ich kann Ihnen nur sagen, alle, die in diesem Beirat waren, haben zum Schluß erklärt: Wir haben durch diese gemeinschaftliche Arbeit sehr viel von den wirk-
lichen Notwendigkeiten, die wir vorher ganz anders gesehen haben, in uns aufgenommen; wir haben unsere Meinung geändert.
Wir haben bereits im vergangenen Jahr die Beschlüsse dieses Beirates veröffentlicht, so daß jeder, der sozialpolitisch interessiert war, sich genauestens über die Ergebnisse der Arbeiten dieses Beirates informieren konnte. Wir haben uns selbstverständlich auch in der Regierung, wie das heute morgen sehr deutlich ausgesprochen worden ist, über die Art unterhalten, wie wir in der Zukunft die neue Ordnung gestalten wollen. Daß auch da nicht einheitliche Auffassungen vorhanden waren, wird jeder von Ihnen verstehen.
Wir haben, als Ostern vor einem Jahr vom Arbeitsministerium eine Vorlage gemacht wurde, gesehen, daß der Herr Bundeskanzler sich selbst noch nicht ganz klar darüber war: War das richtig, was aus seinem Ministerium kam? Er hat sich dann von Professoren Gutachten machen lassen, und ich sage Ihnen in aller Offenheit, daß ich mich darüber gefreut habe.
Denn hier wurde einmal klar sichtbar, ob es in Wirklichkeit so sei, daß man auf ganz anderen Wegen die Sicherheit der Invaliden und der alten Leute herbeiführen könne. Wir haben die anderen Gutachten gesehen. Wir wissen, daß diese Dinge nunmehr in der Offentlichkeit diskutiert worden sind, und ich sage es hier in aller Offenheit, daß, wenn wir heute so weitgehend die Zustimmung der öffentlichen Meinung zu dem Gewollten haben, dies darauf zurückzuführen ist, daß wir uns diese Zeit genommen haben.
Sicher gibt es unbelehrbare Leute. Ich habe eine
Zeitung in den Händen gehabt, die noch vor einem Vierteljahr geschrieben hat: Ja, der Bundesarbeitsminister, er ist ja nicht in der Lage, eine Konzeption für diese Dinge herauszubringen; es wird nichts anderes getan als diskutiert. Jetzt liegt der Gesetzentwurf vor, und dieselbe Zeitung schreibt: Ein übereiltes Machwerk!
— Ich will Ihnen ja nur sagen, worauf es ankommt. Sind wir in der Lage gewesen, auf diesem Gebiete eine Erkenntnis in die breitesten Volksschichten hineinzutragen — ja oder nein?
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen uns doch einmal über eines klar sein. Auch Sie, Herr Professor Preller, haben Ihre Meinung in der Zwischenzeit geändert. Ich bin vor Jahren bei Ihrer Parteitagung in Hannover gewesen, als Sie Ihren früheren Sozialplan vorlegten. Er sah anders aus als das, was Herr Professor Schellenberg auf Ihrer letzten Tagung in Köln vorgetragen hat.
Das ist gar kein Vorwurf.
Ich freue mich darüber, wenn sich die Menschen bei derartigen Dingen zusammenfinden.
Herr Professor Preller, eines möchte ich Ihnen in aller Offenheit sagen. Alles, was hier im Hause behandelt wird, kann man eventuell parteipolitisch so oder so auslegen. Auf diesem Gebiete sollten sich alle wohlmeinenden Menschen, gleichgültig zu welcher Partei sie gehören, zusammenfinden, und sie sollten sich gegenseitig ihr ernstes Wollen nicht abstreiten.
— Herr Professor Preller, ich darf Ihnen sagen, daß in diesem Artikel im Bundesarbeitsblatt kein abfälliges Wort über Ihren Plan enthalten ist.
— Aber das haben Sie doch selbst der Presse und damit der Öffentlichkeit genügend publik gemacht, das brauchten wir doch nicht zu tun.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sollten den endlich gefundenen Weg, der eigentlich als revolutionär bezeichnet werden kann, die Umwandlung der Renten von einem Zuschuß zu einer Lebensgrundlage, gemeinschaftlich begrüßen, und wir sollten zusammenarbeiten, daß dieser Gesetzentwurf noch im Laufe dieses Jahres verabschiedet wird, damit wir wirklich den heute noch Ärmsten der Armen helfen können. Ich persönlich, das sage ich Ihnen, würde mich freuen, wenn hier die Sachverständigen aus allen Kreisen zusammenwirkten und man dabei das Wahljahr 1957 noch nicht in den Vordergrund treten ließe.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche nicht zu dem Gesetzentwurf, den wir nächste Woche behandeln werden und mit dem eben der Herr Minister seine Darlegungen geschlossen hat. Aber es sind doch einige Bemerkungen zur Richtigstellung erforderlich. Der Herr Minister hat wieder Zahlen vorgetragen, die die Beiträge der Arbeiter und Angestellten einschließen, die sich seit 1949 verdoppelt haben und die nach weiteren Gesetzentwürfen noch stärker erhöht werden sollen.
Es ist eine unzulässige Methode, über Zahlen und Erhöhungen der Sozialaufwendungen zu sprechen, ohne zu sagen, daß darin die erhöhten Beitragsleistungen eingeschlossen sind.
Nun zurück zu dem Antrag, der bei der Etatposition 11 zur Beratung und zur Abstimmung steht. Herr Kollege Arndgen, Sie haben den Antrag des Ausschusses über den zusätzlichen Ansatz von 200 Millionen DM in dem Sinne dargestellt, daß damit keine Vorentscheidung über die Rentenreform getroffen werde. Das ist leider nicht der Fall. Sie haben genau den Aufwand eingesetzt, der sich aus dem Regierungsentwurf ergibt, und zwar bezogen auf den Zeitraum eines Vierteljahres. Sie beabsichtigen, durch die Annahme dieser Position eine Vorentscheidung für die Rentenreform zu treffen, und zwar erstens hinsichtlich des Zeitpunktes des Inkrafttretens, nämlich erst am 1. Ja-
nuar 1957, und zweitens in bezug auf die Höhe dieser Leistungen und der Bundeszuschüsse. Deshalb müssen wir Sozialdemokraten darauf bestehen, daß über unseren Antrag abgestimmt wird. Das ist für uns ein Anliegen grundsätzlicher Art. Heute wird die Vorentscheidung über den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rentenreform und über den Inhalt der Leistungen getroffen. Später werden Sie uns erklären, Herr Kollege Arndgen, im Haushalt seien keine anderen Mittel vorgesehen, und dann unter Bezugnahme auf den Haushalt das, was wir in unserem Gesetzentwurf beantragen wollen, ablehnen. Deshalb muß heute in dieser Sache eine Klärung und eine Entscheidung getroffen werden.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Umdruck 668*), Änderungsantrag der Abgeordneten Arndgen, Horn und Genossen betreffend Kap. 11 01 Tit. 101. Wer dem Änderungsantrag der Abgeordneten Arndgen, Horn und Genossen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Umdruck 628**), Änderungsantrag der Abgeordneten Hoogen, Dr. Arndt, Dr. Schranz und Genossen betreffend Kap. 1105 Tit. 101. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Umdruck 643***), Änderungsantrag der Fraktion der SPD betreffend Kap. 11 13 Tit. 622. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Gesamtabstimmung über den Bericht des Haushaltsausschusses unter Berücksichtigung der soeben beschlossenen Änderungen. Wer dem Haushalt als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen auf der linken Seite ohne Gegenstimmen angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf:
Einzelplan 12, Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr .
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um dem Hohen Haus die Kenntnis der Abschlußziffern im einzelnen und im ganzen zu erleichtern, liegt Ihnen ein Schriftlicher Bericht****) zu der Drucksache 2461 vor, auf den ich mich der Einfachheit halber beziehen darf. Ich habe Ihnen noch einiges mündlich nachzutragen. In dem gedruckt vorliegenden Bericht ist
*) Siehe Anlage 15.
**) Siehe Anlage 13. ***) Siehe Anlage 14. ****) Siehe Anlage 16, in bezug auf den Antrag der Abgeordneten Metzger, Ritzel und Genossen betreffend Errichtung einer Umgehungsstraße in Darmstadt eine Berichtigung anzubringen. Es darf nicht heißen, daß dieser Antrag durch die Annahme des Haushalts als erledigt zu bezeichnen ist, sondern er ist dem Bundesverkehrsministerium zur Berücksichtigung im Haushalt 1957 überwiesen worden.
Mit Drucksache 1975 haben die Abgeordneten Dr. Leiske, Schmidt , Dr.-Ing. Drechsel, Schneider (Bremerhaven) und Genossen den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verordnung über Vergünstigungen für Kriegsbeschädigte im öffentlichen Personenverkehr vorgelegt. Der Haushaltsausschuß hat am 24. April festgestellt, daß er für die Behandlung dieses Antrags zur Zeit nicht zuständig ist. Es handelt sich um eine Angelegenheit nach § 96 (neu) der Geschäftsordnung. Der Verkehrsausschuß hat darum gebeten, mitzuteilen, daß er sich mit diesem Antrag demnächst, also erst nach der Verabschiedung Haushalts, befassen kann.
Auf Drucksache 1297 hat die Fraktion der CDU/ CSU die Einführung von Familientarifen der Deutschen Bundesbahn gefordert. Der Haushaltsausschuß läßt durch mich zum Ausdruck bringen, daß er zur Zeit nicht in der Lage sei, endgültig Stellung zu nehmen. Der Verkehrsausschuß hat seinerseits beschlossen, die durch Annahme des Antrags 1297 entstehenden Ausfälle in voller Höhe auf den allgemeinen Bundeshaushalt zu übernehmen. Ein Bericht der Bundesregierung hierzu liegt noch nicht vor, so daß auch hier nicht abschließend berichtet werden kann.
Die Abgeordneten Müller-Hermann und Genossen haben mit Drucksache 1092 die Übernahme der betriebsfremden Lasten der Bundesbahn durch den Bund gefordert. Der Verkehrsausschuß hat wie folgt Stellung genommen: erstens der Drucksache 1092 im Grundsatz zuzustimmen. zweitens in Einzelplan 12 Kap. 12 02 Tit. 531 den Sperrvermerk aufzuheben und drittens die Erläuterungen zu Tit. 531 neu zu fassen. Der Haushaltsausschuß hat seinerseits auf Grund der Darlegungen der Bundesregierung noch nicht abschließend Stellung genommen.
Der Antrag der Fraktion der DA auf Förderung des Baues von Rad- und Mopedwegen an Bundesstraßen — Drucksache 2307 — soll nach dem Antrag des Haushaltsausschusses in bezug auf die für diesen Zweck bereits ausgebrachten Einzelansätze im Bundeshaushaltsplan für erledigt erklärt werden, der Antrag im übrigen der Bundesregierung zur Berücksichtigung im Rahmen des Zehnjahresplans überwiesen werden. Es wird interessieren, daß im Zehnjahresplan für die Errichtung von Rad- und Mopedwegen für 5 500 km à 60 000 DM die entsprechenden Mittel geplant. aber noch nicht verplant sind.
Bei der Beratung der einzelnen Stellenanforderungen — und damit komme ich zum vorliegenden Entwurf des Haushaltsplans - hat der Haushaltsausschuß wie auch hei anderen Etats einen strengen Maßstab angelegt. Ich bin aber in der glücklichen Lage, hervorheben zu dürfen, daß sich die Anforderungen auf neue Stellen im Rahmen des Verkehrshaushalts auf einem sachlich absolut vertretbaren Boden bewegt haben.
Im Zusammenhang mit den zitierten Ansätzen zugunsten der Deutschen Bundesbahn ist darauf
hinzuweisen, daß im Rechnungsjahr 1955 der Betrag von 200 Millionen DM als Liquidationshilfe im wesentlichen für den Nachholbedarf und für technische Verbesserungen in Anspruch genommen werden konnte, während die Bundesbahn in diesem Jahr gezwungen ist, im Interesse ihrer Liquidität den Betrag von 200 Millionen DM aus Bundesmitteln zum Rückkauf der von ihr im Jahr 1953 ausgegebenen Sonderschatzanweisungen zu verwenden. Damit steht fest, daß die Bundesbahn in diesem Jahre aus der Bundeshilfe nicht in der Lage ist, einen Nachholbedarf und technische Verbesserungen zu finanzieren. In bezug auf die Situation der Bundesbahn ist auch mit der Zuwendung der 200 Millionen keine Erleichterung zur Verringerung der bundesbahneigenen Belastung mit betriebsfremden Ausgaben gegeben und möglich. Hinsichtlich der Mittelverwendung zugunsten der Beseitigung schienengleicher Wegübergänge und der Schaffung von Blinklichteinrichtungen enthält der Haushalt, wie Sie sich überzeugt haben werden, erhebliche Ansätze. Angesichts dessen, was zu bewilligen notwendig wäre, genügen diese Ansätze für 1956 gegenüber dem wirklichen Bedarf aber leider bei weitem nicht. Für die folgenden Rechnungsjahre wird das ein besonderes Anliegen des Hohen Hauses sein müssen.
Den nichtbundeseigenen Eisenbahnen wird in diesem Haushalt der Betrag von 10 Millionen DM als Darlehen zu angemessenem Zinsfuß aus dem Aufkommen des Verkehrsfinanzgesetzes bewilligt. Damit ist ein Anfang gemacht, der den nichtbundeseigenen Eisenbahnen die Verbesserung ihrer Oberleitung und des rollenden Materials ermöglicht.
Besondere Aufmerksamkeit im Rahmen des Haushaltsplans 12 beansprucht die Bereitstellung von erheblichen Mitteln auf dem Gebiete der Luftfahrt für die Entwicklung des Luftverkehrs. Angesichts der ständig steigenden Inanspruchnahme der Verkehrsflughäfen, der notwendigen Förderung der Luftfahrtforschung und der erforderlichen Modernisierung der Flugzeuge, der Schulung des Personals der Deutschen Lufthansa und der Indienststellung von Düsenflugzeugen gewinnen die Ansätze im Haushaltsplan ihre ganz besondere Bedeutung.
In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß der Bundesfinanzminister nach der Zweckbestimmung zu Kap. A 12 02 Tit. 892 durch Beschluß des Hauses ermächtigt werden soll, zur Durchführung eines Beschaffungsprogramms gegenüber der Deutschen Lufthansa Verpflichtungen auf Zuführung von Investitionsmitteln bis zur Höhe von 60 Millionen DM einzugehen.
Auf dem Gebiete des Seeverkehrs entspricht die teilweise Erhöhung der Bundesleistung der Aufwärtsentwicklung der deutschen Seeschiffahrt. Jedoch konnte der vorjährige Ansatz von 50 Millionen DM als Darlehen für den Bau von Handelsschiffen in diesem Jahre auf den Betrag von 15 Millionen DM herabgesetzt werden.
Ein den Haushalt weithin beherrschendes Kapitel betrifft die Bundesfernstraßen. Der Berichterstatter hat im Haushaltsausschuß bereits auf die Entwicklung der Ausgaben für Bundesfernstraßen hingewiesen. Ich darf Ihnen wenige Angaben aus dem von mir dem Haushaltsausschuß schriftlich erstatteten Bericht zitieren. Die Haushaltsmittel für Bundesfernstraßen weisen folgende Steigerung auf: 1950 213 Millionen DM, 1951 225 Millionen DM, 1952 264 Millionen DM, 1953 306 Millionen DM, 1954 309,1 Millionen DM, 1955 518,65 Millionen DM, 1956 793,4 Millionen DM.
Ich habe als Berichterstatter bereits im Haushaltsausschuß zum Ausdruck gebracht — und der Haushaltsausschuß teilt diese Auffassung —, daß die Sorge um eine reibungslose und Verluste vermeidende Durchführung der gesteigerten Straßenbauaufgaben in bezug auf ihre künftige Finanzierung nicht unterdrückt werden kann. Die heutige Organisation, die praktisch bedeutet, daß Bundesmittel in erheblichem Ausmaß durch die Straßenbauverwaltungen der Länder verwaltet werden, hat nach den bisherigen Erfahrungen des Rechnungsprüfungsausschusses und des Haushaltsausschusses schon zu erheblichen Beanstandungen Veranlassung gegeben. Es stellt sich die Frage: Welche Möglichkeiten bestehen, um die Kontrolle durch den Bundesrechnungshof schärfer und vor allem zeitnaher durchzuführen? Und welche Notwendigkeiten erwachsen, um eine, erhebliche Verluste vermeidende Verwendung der Bundesmittel zu garantieren?
Eine den Absichten des Zehnjahresplanes genügend Rechnung tragende Personalausstattung der Straßenbaubehörden der Länder bildet die unverzichtbare Voraussetzung für die Durchführung des in Vorbereitung befindlichen Zehnjahresplans. Es müssen genügend Beamtenplanstellen — darauf muß ich heute bereits aufmerksam machen —, vor allem in den mittleren Rängen, und Angestelltenposten mit einer befriedigenden Bezahlung vorgesehen werden, so daß dem zur Zeit an vielen Stellen bestehenden Personalmangel und der Gefahr der Abwanderung gerade der besten Kräfte begegnet werden kann. Ich darf in diesem Zusammenhang auch auf die Denkschrift des Bundesrechnungshofs vom Jahre 1952 hinweisen.
Wegen des Zehnjahresplans bitte ich mir folgende Bemerkungen, die sich aus den Haushaltsberatungen ergeben, zu gestatten. Es verbleibt ein erheblicher ungedeckter Betrag. Die aus dem Verkehrsfinanzgesetz und aus dem Haushaltsplafond zur Verfügung stehenden Mittel genügen nur zu einem Bruchteil, um den Gesamtaufwand von 22,4 Milliarden DM zu decken, den der Zehnjahresplan erfordert. Im Haushaltsausschuß bestand Übereinstimmung dahin, daß der Zustand der deutschen Straßen, die Entwicklung des motorisierten Verkehrs und die Straßenbaupolitik die Durchführung weitreichender Maßnahmen erforderlich machten. Es wird die Aufgabe dieses Hohen Hauses sein, sich baldmöglichst wieder über die Bereitstellung ausreichender Mittel zu unterhalten.
Einige Bemerkungen noch zu der Unterhaltung und Instandsetzung von Bundesstraßen und Bundesautobahnen. Die seit etwa 15 Jahren in Betrieb befindlichen Bundesautobahnen bedürfen einer gründlichen Instandsetzung. Für Bundesstraßenkreuzungen ist mit Rücksicht auf den seit einigen Jahren stark gestiegenen Verkehr ganz allgemein ein höherer Aufwand an Unterhaltungskosten unabweisbar geworden. Höhere Ausgaben ergeben sich auch aus der Erhöhung des Kilometersatzes durch die Steigerung der Materialpreise und die Lohnerhöhung.
Ein Schmerzenskind besonderer Art ist der frostsichere Ausbau der Bundesstraßen. In diesem Haushalt konnten leider nach den Beschlüssen des
Haushaltsausschusses und den von der Regierung vorgesehenen Maßnahmen gegenüber der Aufgabe nur ungenügende Mittel bereitgestellt werden.
Im Haushaltsausschuß wurde ausdrücklich darauf hingewiesen — das ist ein Kapitel weiterer Art —, daß alles daran gesetzt werden muß, um die im Haushaltsplan bewilligten Beträge auch wirklich rechtzeitig und so frühzeitig zu verwenden, daß in diesem Haushalt aus diesem Anlaß keine Restebildung entsteht.
Nun habe ich heute morgen in der „Frankfurter Rundschau" einen Bericht über „Enttäuschungen im Straßenbau" gelesen. Ich fühlte mich verpflichtet, der Sache sofort nachzugehen, um dem Hohen Hause auch hierüber berichten zu können, weil das, was hier in bezug auf Enttäuschungen wegen der Nichtleistung von Vorschüssen im Straßenbau und der Nichterfüllung der Abrechnungsverpflichtungen der Bundesregierung gegenüber den Straßenbaufirmen behauptet wird, im Widerspruch zu dem steht, was von der Bundesregierung im Haushaltsausschuß erklärt worden ist. Ich habe mich sofort mit dem Herrn Bundesverkehrsminister in Verbindung gesetzt, der die Freundlichkeit hatte, mir in der Zwischenzeit eine Nachweisung zu geben, aus der sich ergibt, daß diese Behauptungen in der „Frankfurter Rundschau" nach dem Bericht der zuständigen Ministerien der Begründung entbehren.
Der Bundesrechnungshof bzw. der Bundesbeauftragte für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung hat seinerzeit einen Bericht in bezug auf den bundesdeutschen Wetterdienst erstellt. Ich freue mich hier namens des Haushaltsausschusses berichten zu können, daß die ziemlich großen Spannungen, die aus diesem Anlaß wegen der notwendigen Durchführung der Sparmaßnahmen entstanden waren, doch einer Verständigung Raum gegeben haben, die den Interessen des Wetterdienstes im allgemeinen, den verständlichen regionalen und lokalen Interessen und den Interessen der Beamten und Angestellten in weitgehender Übereinstimmung mit einem Gutachten des Bundesbeauftragten entspricht.
Es bleibt mir noch übrig, über das Schicksal einiger Anträge zu berichten, die im Haushaltsausschuß gestellt wurden. Ein sozialdemokratischer Antrag auf Bewilligung von 15 Millionen DM für die Beseitigung von schienengleichen Bahnübergängen im ordentlichen Haushalt, die Ausbringung eines neuen Titels im außerordentlichen Haushalt, dann an die Deutsche Bundesbahn für die Beseitigung schienengleicher Bahnübergänge und für die Erstellung von Blinklichtanlagen mit 20 Millionen wurde von der Mehrheit des Ausschusses abgelehnt.
Im Tit. 617, Forschungen und Untersuchungen auf dem Gebiete der Luftfahrt, verlangt der Haushaltsausschuß vom Bundesverkehrsministerium eine Darstellung der vorhandenen Einrichtungen und deren Finanzierung auch im Hinblick auf die Forderung des Bundesverteidigungsministeriums.
Schließlich und endlich sieht der Haushaltsausschuß im vorliegenden Haushaltsplan in bezug auf ein Kapitel, das dieses Haus wiederholt beschäftigt hat, nämlich auf die Staustufe Geesthacht, vor, daß der Bundesfinanzminister ermächtigt werden soll, Verpflichtungen aus Zuführung von Investitionsmitteln bis zur Höhe von 24 Millionen DM zuzüglich der damit verbundenen Finanzierungskosten einzugehen.
Der Berichterstatter ist zum Schluß noch verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß, wie er mit einer Träne im Auge feststellt, ein sozialdemokratischer Antrag, für die Beseitigung von Hochwasserschäden am Rhein entsprechende Mittel bereitzustellen, im Haushaltsausschuß keine Mehrheit gefunden hat. — Ich empfehle dem Hohen Haus die Annahme des Einzelplans 12.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Zur Begründung der Anträge hat zuerst der Abordnete Pusch das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, den Änderungsantrag der Herren Kollegen Erler, Dr. Bucher und Genossen auf Umdruck 630*) kurz zu begründen.
Es handelt sich darum, daß ein Betrag von 400 000 DM in Kap. 12 10 Tit. 710 für den Neubau der Pfinzbrücke in Berghausen Kreis Karlsruhe zur Verfügung gestellt werden soll. Die Gemeindeverwaltung Berghausen und auch der Landkreis Karlsruhe bemühen sich seit Januar 1950 darum, eine Verbreiterung oder einen Neubau dieser Brücke zu erreichen. Die Brücke liegt in der Gemeinde Berghausen; darüber führt die Bundesstraße Nr. 293, die eine immer mehr steigende Verkehrsdichte aufweist. Die nur 6 m breite Brücke ist in keiner Weise mehr den Anforderungen des Verkehrs gewachsen. Neben dem außerordentlich starken Kraftwagendurchgangsverkehr muß die Brücke ständig von den landwirtschaftlichen Fahrzeugen der Gemeinde und auch von vielen Fußgängern benutzt werden. Durch die Unzulänglichkeit der alten Brücke ergeben sich häufig Verkehrsstockungen größten Ausmaßes, und vielen Fußgängern und den zahlreichen landwirtschaftlichen Fahrzeugen ist es zu bestimmten Tageszeiten fast unmöglich, die Brücke zu passieren.
Alle Bemühungen der Gemeindeverwaltung und des Landrats sowohl beim Regierungspräsidium Nordbaden wie beim Innenministerium BadenWürttemberg, eine Erweiterung oder einen Neubau zu erreichen, waren leider bisher erfolglos. Die bestehende Brücke könnte man allenfalls noch für Verhältnisse gelten lassen, wie sie für Gemeindewege üblich sind, nicht aber als einen Übergang im Zuge einer sehr stark befahrenen Bundesstraße. Abgesehen von den ständig eintretenden Verkehrsbehinderungen ergeben sich laufend Gefahren, die täglich den Benutzern dieses Engpasses drohen. Daher ist ein dringendes Bedürfnis vorhanden, durch den Neubau einer Brücke Änderung zu schaffen. Ich bitte das Hohe Haus, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bleiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im Umdruck 644) vier Änderungsanträge vorgelegt. Ich habe im Auftrag meiner Fraktion die Anträge unter Ziffer 1 und Ziffer 3 b zu begründen.
*) Siehe Anlage 17. **) Siehe Anlage 18.
Der Antrag unter Ziffer 1 ist nicht neu; wir haben ihn schon in früheren Jahren gestellt. Es handelt sich darum, der Bundesbahn im laufenden Haushaltsjahr die betriebsfremden Lasten wenigstens teilweise abzunehmen. Der Antrag erfordert keine zusätzlichen Haushaltsmittel. Es wird von uns lediglich die Änderung des Verwendungszwekkes eines Titels vorgeschlagen. Über den Zweck und die Notwendigkeit dieser Titeländerung haben wir uns im vergangenen Jahr sehr ausgiebig unterhalten. Im letzten Jahr wurde unser Antrag in der zweiten Lesung angenommen, in der dritten Lesung mit knapper Mehrheit abgelehnt. Ich bitte Sie, diesmal in der zweiten u n d in der dritten Lesung zuzustimmen. In der Zwischenzeit ist es nämlich noch klarer geworden, daß die Bundesbahn einfach nicht in der Lage ist, die betriebsfremden Lasten zu tragen.
In dem Antrag unter Ziffer 3 b des Umdrucks 644 schlagen wir Ihnen die Erhöhung der Ansätze für den frostsicheren Ausbau von Straßendecken von 100- auf 150 Millionen DM vor. Die Notwendigkeit dieser Erhöhung werden alle Kollegen bestätigen müssen, die häufig mit ihrem Wagen unterwegs sind; denn sie werden festgestellt haben, daß trotz umfangreicher Straßensperren während der diesjährigen Tauperiode die Frostaufbrüche sich noch wesentlich verstärkt und vermehrt haben. Es ist nach unserer Auffassung ein dringendes Erfordernis, besonders die Bundesfernstraßen gegen Frostaufbrüche zu schützen. Um zu verhindern, daß der Verkehr auf den Hauptadern während der Tauperiode für längere Zeit blockiert wird, bitten wir Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Antrag.
Ich möchte noch ein Wort zur Deckung sagen, weil diese Frage von Ihnen wahrscheinlich aufgeworfen wird. Ich glaube, ich kann es mir in dieser Hinsicht diesmal leicht machen. Wenn ich die Regierungserklärung von heute vormittag richtig verstanden habe. plant die Bundesregierung eine Dämpfung der öffentlichen Investitionen — natürlich ohne die Rüstung — um 10 % der Ansätze. Dadurch werden erhebliche Mittel frei. Darüber hinaus bin ich der Meinung, daß die von uns vorgeschlagene Erhöhung ihre Deckung auch in dem zu erwartenden Mehraufkommen an spezifischen Verkehrsteuern findet, das nach unserer Auffassung zu niedrig angesetzt worden ist. Ich glaube also, daß angesichts der heutigen Regierungserklärung der Deckungseinwand diesmal von Ihnen nicht erhoben werden kann, und bitte Sie deswegen, unseren Anträgen zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zu dem Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Umdruck 644 Ziffer 2*) einiges sagen. Wir beantragen, in Kan. 12 03 — Binnenwasserstraßenverwaltung — einen neuen Tit. 775 — Bau des Estesperrwerkes — mit 1 800 000 DM einzuführen.
Lassen Sie mich kurz dazu sagen: Es handelt sich bei diesem Sperrwerk um ein Vorhaben, das wegen der Sturmflutgefahr in cien Küstengebieten unaufschiebbar ist. Darüber gibt es faktisch zwischen allen Beteiligten, d. h. den beiden Ländern Niedersachsen und Hamburg und dem Bundesverkehrsministerum, soweit ich das überblicken kann, keine Meinungsverschiedenheit. Das Bundesministerium für Verkehr hat Pläne. Ich glaube, ich
*) Siehe Anlage 18.
interpretiere seine Absichten nicht falsch, wenn ich sage, es will, daß dieses Werk in Angriff genommen wird. Die Notwendigkeit ist also nicht umstritten.
Weihnachten des Jahres 1954 waren Tage und Nächte, in denen das Alte Land, ein fruchtbares Gebiet, und die Orte dieses Gebietes tatsächlich in höchster Gefahr waren, weil damals Sturmflut war.
— Wie die gesamte Nordseeküste. Sie wissen ganz genau, daß man verpflichtet ist, dort, wo die Deiche gewackelt haben, das Menschenmögliche zu tun, damit man nicht durch neue Gefahren überrascht wird. Diese Gefahren sind noch an mehreren Stellen vorhanden; ich kann nicht für alle sprechen. Ich spreche für diesen Punkt, wo sich die Baufälligkeit der Deiche so klar gezeigt hat, daß man noch heute mit Schrecken daran denkt. Es ist selbstverständlich — ich sage es nochmals — auf allen Seiten unumstritten, daß man so schnell wie möglich bauen muß. Ihr Zwischenruf veranlaßt mich, noch einmal zu sagen, und ich hoffe, da auf Ihre Zuneigung zu stoßen: das Schicksal darf gerade in den Küstengebieten nicht herausgefordert werden.
Das Sperrwerk ist an sich keine Streitfrage. Bisher konnte noch nicht begonnen werden, obwohl der Beginn für das Frühjahr 1956 in Aussicht genommen war. Ich will hier in den Gründen nicht herumwühlen. Wenn drei beteiligt sind, ist es nicht immer möglich, sie sofort unter einen Hut zu bringen. Aber jetzt liegt erfreulicherweise auch von der niedersächsischen Landesregierung eine Erklärung vor — ich habe sie dieser Tage zugesandt bekommen —, die es ohne jeden Zweifel sein läßt, daß auch die Landesregierung Niedersachsen bereit ist, für den schnellstmöglichen Bau dieses Sperrwerks den auf sie entfallenden Kostenanteil zur Verfügung zu stellen. Es sind also alle drei jetzt klar darüber, nachdem es zunächst Zuständigkeitsfragen und auch Finanzierungsschwierigkeiten zu überwinden gegeben haben mag. Wir wollen mit unserem Antrag den Anstoß geben, daß das Bundesministerium für Verkehr jetzt vorangeht. Das ist keine Forderung, die über das Menschenmögliche hinausgeht. Wenn in den diesjährigen Einzelplan 12 unter dem Titel, den wir vorgeschlagen haben, die auf den Bund entfallende Summe eingesetzt wird, können wenigstens ohne weitere Verzögerung die dringendsten Arbeiten in Angriff genommen werden, und dafür wollte ich um Ihre Zustimmung bitten.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Lockmann.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir beantragen, in Tit. 711 des Kap. 12 03 den Ansatz um 30 Millionen DM zu erhöhen. Der Grund für den Antrag dafür ist folgender. Die deutsche Öffentlichkeit ist sehr beunruhigt durch die Zunahme der Unfälle an unbeschrankten Bahnübergängen. Die Statistik weist zwar nach, daß in der Gesamtunfallquote die Unfälle an unbeschrankten Bahnübergängen gegen die Zahl der allgemeinen Verkehrsunfälle nur gering seien. Im Jahre 1955 betrugen die Unfälle an Bahnübergängen 757 gegen 691 im Jahre 1954. Wir sehen also daraus, daß die Zahl im Steigen begriffen ist. Sie forderten 129 Tote und 457 Verletzte. Aus diesen Zahlen geht aber deutlich hervor, daß
die Unfälle an den Bahnübergängen anders zu werten sind als Unfälle auf der Straße schlechthin. Ich erinnere hier an die kurz aufeinandergefolgten schweren Unglücksfälle bei Hollenstedt im Wahlkreis des Herrn Ministers Seebohm und bei Warms Ende des Jahres 1955, die schwere Unruhe in der Bevölkerung ausgelöst haben. Ja, sie haben zu sehr unerfreulichen Prozessen geführt, in denen es an scharfen Worten der Kläger und der Angeklagten nicht gefehlt hat. Nicht nur die Kläger haben in diesen beiden Fällen ganz allgemein den Vorwurf erhoben: unbeschrankte Bahnübergänge sind Todesfallen; ja, meine Herren und Damen, sie sind Todesfallen. Es gibt im Bundesgebiet 18 500 beschrankte Übergänge gegenüber 35 000 unbeschrankten Übergängen. Davon entfallen auf schienengleiche Übergänge der Bundesbahn 21 500. Bei künftig steigendem Verkehr werden, ganz vorsichtig geschätzt, 5000 unbeschrankte Bahnübergänge als vordringlich bezeichnet. Von diesen 5000 vordringlichen Bahnübergängen sind 1800 Kreuzungen der deutschen Bundesbahn mit Landstraßen I. und II. Ordnung. Diese Kreuzungen zu sichern, kostet nach vorliegenden Berechnungen je Kreuzung 15 000,— DM. Das würde also 75 Millionen DM ausmachen.
Was geschieht nun mit den Bahnübergängen, die völlig ungesichert bleiben? Den Verkehr drängen wir nicht mehr zurück. An Sicherungen lassen wir es aber fehlen. Nicht der Einwand kann Geltung haben: Wir haben für solche Aufgaben kein oder nicht genügend Geld. Wir müssen versuchen, das vorhandene Geld so schnell und so richtig wie nur möglich anzuwenden. Es gilt also, die unbeschrankten Bahnübergänge da. wo es am dringlichsten ist, und im Rahmen des Geldes, das wir zur Verfügung haben, zu beschranken. Denn es ist nicht zu verantworten, daß wir den Tod als Schrankenwärter bestellen. Die Beseitigung der schienengleichen Übergänge aber setzt nach dem Kreuzungsgesetz die finanzielle Mitwirkung der Bundesbahn voraus. Bei der finanziellen Anspannung der Bundesbahn ist diese nicht dazu in der Lage. Der Bund muß hier in Vorlage treten. Daneben halten wir aber auch die Modifikation des überalterten Wegekreuzgesetzes für dringend erforderlich.
Bitte, stimmen Sie der von uns beantragten Erhöhung um 30 Millionen DM zu. Es ist unsere Aufgabe, für die Sicherheit unserer Menschen in Deutschland Sorge zu tragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Conring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf namens meiner Freunde zu den einzelnen hier vorgetragenen Anträgen in aller Kürze Stellung nehmen.
Ich möchte mich zunächst dem Umdruck 630*) zuwenden, der den Neubau der Pfinzbrücke in Berghausen Kreis Karlsruhe zum Gegenstand hat. Wir haben es uns im Haushaltsausschuß beinahe zur Pflicht gemacht, die Einzelvorschläge für Straßenbauten, die im Verkehrshaushalt in einer großen Anzahl erscheinen, nicht unsererseits durch von speziellen Interessen bestimmte Anträge zu ergänzen oder abzuändern. Ich wundere mich etwas darüber, daß die Herren Unterzeichner dieses An-
*) Siehe Anlage 17. trages erwarten, daß eine Einzelheit, der Neubau einer einzelnen Brücke mit einem Kostenaufwand von 400 000,— DM, nach ihrem Antrag hier vom Plenum in den Etat eingesetzt werden soll. Wohin würden wir kommen, wenn wir aus unseren einzelnen Wahlkreisen — in denen es ja auch Brücken gibt, in denen es auch Bundesstraßen und Autobahnen gibt — ebenfalls hier mit solchen Einzelanträgen kämen?
Ich glaube nicht, das es glücklich wäre, wenn wir hier eine solche Praxis begännen. Deshalb bitte ich die Antragsteller meinerseits, das Anliegen vielleicht in Form eines Entschließungsantrags vorzubringen. Ich möchte aber alle bitten, solche speziellen Anträge aus den einzelnen Wahlkreisen in bezug auf den Straßenbau hier doch lieber nicht vorzulegen.
In diesem speziellen Fall kommt hinzu, daß die eigene Straßenbauverwaltung, nämlich die des Landes Baden-Württemberg, welche dies Projekt natürlich kennt und es auch für dringlich hält, gleichwohl keinen Antrag dieser Art gestellt hat. Diese Straßenbauverwaltung hat dem Bundesverkehrsministerium gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß sie in ihrem Bereich eben noch dringlichere Straßenbauanliegen habe, die diesem auch dringlichen Anliegen vorangehen müßten. Um so weniger scheint mir Veranlassung zu bestehen, daß wir hier im Bundesparlament einer solchen einzelnen Sache unsere Stimme geben. Meine Freunde bitten darum, daß dieser Antrag, wenn er überhaupt gestellt werden soll, dann nur in der Form einer Entschließung gebracht wird. Ansonsten würden wir den Antrag als solchen ablehnen.
Ich komme in aller Kürze zu dem Antrag Umdruck 644**) Ziffer 1, dem „Zuschuß" an die Deutsche Bundesbahn. Wir haben uns über diesen Gegenstand im vorigen Jahr hier ausgiebig unterhalten. Wir haben das auch im Haushaltsausschuß mit den Experten des Verkehrsausschusses zusammen getan. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß der Sanierungsplan der Bundesbahn bis zum Herbst dieses Jahres vorliegen wird und daß wir dann eine ganz klare Sicht über die Finanzverhältnisse der Deutschen Bundesbahn haben werden. Zwischenzeitlich kann nichts passieren; denn die Bundesbahn hat aus dem hier genannten Titel die Liquiditätshilfe zu ihrer Verfügung. Da der Sanierungsplan im Herbst, also in wenigen Monaten, zur Debatte stehen wird, besteht jetzt keine Veranlassung, die Liquiditätshilfe in einen Zuschuß umzuwandeln. Meine Freunde werden diesen Antrag aus diesen Gründen ablehnen.
Ich komme zu dem Antrag Umdruck 644 Ziffer 2, dem Bau des Estesperrwerkes. Er ist hier mit der fehlenden Deichsicherheit begründet worden. Ich darf, da ich selbst hinter Deichen lebe, sagen, daß ich sehr viel Verständnis für diesen Antrag habe. Ich habe während der Weihnachtsflut des Jahres 1954 in meiner ostfriesischen Heimat selber auf den Deichen gestanden und ich weiß deshalb, wie wir um das Leben der hinter dem Deich wohnenden Menschen gezittert haben. Nur dem Umstand, daß die Flut, die noch einige Stunden hätte steigen müssen, nicht mehr stieg, sondern wider alles Erwarten zurückging, war es zu verdanken, daß nicht eine ungeheure Katastrophe eintrat. Aber diese Gefährdung im Küstengebiet hat ja den Küstenplan
**) Siehe Anlage 18.
ausgelöst, und ich darf Herrn Wehner darauf aufmerksam machen, daß wir die Mittel des Küstenplans im Zusammenhang mit dem Grünen Bericht in diesem Jahr, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, von 22 Millionen DM auf rund 39 Millionen DM heraufgesetzt haben. Zu diesen Millionenbeträgen kommen dann noch die Beträge, die die Länder ihrerseits dazugeben.
Wenn der Bau des Estesperrwerks, wie vieler anderer Bauwerke an der Küste, dringlich ist, wird wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß dieses Estesperrwerk eins der ersten sein wird, die aus den Mitteln des Küstenplans, die wir im Haushalt erhöht haben, oder aus anderen Mitteln gebaut werden. Aber ich muß leider hinzufügen: selbst wenn wir hier zusätzlich einen neuen Titel für das Estesperrwerk einführten, würde die Bauausführung doch daran scheitern, daß ein baureifer Entwurf leider nicht vorliegt. Und wenn ein baureifer Entwurf Ende Juni dieses Jahres noch nicht, vorliegt, dann kann jeder, der mit Deichbauten und ähnlichen Bauten an der Küste etwas zu tun hat, Ihnen voraussagen, daß mit dem Baubeginn in diesem Jahre überhaupt nicht mehr gerechnet werden kann und daß die Mittel des nächstjährigen Etats, in dem dieses Sperrwerk dann hoffentlich erscheinen wird, ausreichen werden.
Ich komme dann auf Ziffer 3 des Umdrucks 644, die Erhöhung der Mittel für einmalige Ausbauten an den Bundesstraßen, insbesondere für die Beseitigung von niveaugleichen Kreuzungen von Straße und Bahn. Ich brauche zu der Sache selbst nichts zu sagen; sie ist in aller Breite hier wiederholt behandelt worden und ist auch im Haushaltsausschuß ausgiebig erörtert worden. Für diese Position stehen nicht nur die in dem Antrag genannten 30 Millionen DM zur Verfügung. Aus den Verhandlungen ist Ihnen vielleicht noch in Erinnerung, daß auch die Bundesbahn ihrerseits Mittel einsetzt und daß — soweit meine Erinnerung reicht — auch ERP-Mittel eingesetzt werden, um diesen Mißstand, der wirklich allerseits gleichmäßig beklagt werden muß, sobald wie möglich zu beseitigen.
Es scheint aber der Antragstellerin entgangen zu sein, daß wir in der vorletzten Haushaltsausschußsitzung aus den Mitteln, die aus dem Verkehrsfinanzgesetz kommen — genauer gesagt: Tit. 788 —, ohnehin vermehrte Mittel eingesetzt haben. die in Höhe von 15 Millionen DM zu diesen 30 Millionen DM hinzukommen, so daß Ihr Antrag damit schon zu 50% erledigt ist. Darüber hinauszugehen, besteht nach unserer Auffassung im Augenblick — angesichts der vielen dringlichen Dinge. die gerade im Verkehrshaushalt ihre Erledigung finden müssen — keine Veranlassung.
Zu der Ziffer b, die eine Erhöhung der Mittel für den frostsicheren Ausbau der Straßen vorsieht, darf ich. wiederum in aller Kürze und ohne nähere Begründung, nur sagen: wir haben erstmalig in diesem Haushaltsjahr einen Betrag von 100 Millionen DM eingesetzt, um den frostsicheren Ausbau der Straßen zu fördern. einen nicht gerade ganz unbedeutenden Betrag. Wenn Sie dann vielleicht noch daran denken wollen, daß aus den eben genannten erhöhten Mitteln zu Tit. 788, die in der vorletzten Haushaltsausschußsitzung behandelt worden sind, für diesen Zweck 30 Millionen DM hinzukommen, so daß der Gesamtbetrag, der zur Verfügung steht, sich auf 130 Millionen DM belaufen wird, dann, glaube ich, wird auch die Antragstellerin damit zufrieden sein und nicht unbedingt darauf bestehen, daß wir diese Position von 130 Millionen DM um weitere 20 Millionen DM auf 150 Millionen DM erhöhen.
Ich habe namens meiner Freunde zu erklären, daß wir diese Anträge ablehnen werden.
Da zu den Anträgen das Wort nicht mehr gewünscht wird, kommen wir zur allgemeinen Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bleiß.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Conring, es war unschwer zu erraten, daß Sie Ihren Fraktionsfreunden die Ablehnung unserer Anträge empfehlen würden. Die Marschroute liegt ja bei Ihnen völlig fest. Ich möchte nur noch auf eines in diesem Zusammenhang hinweisen.
Sie sagten, Herr Kollege Conring, 100 Millionen DM für den frostsicheren Ausbau der Bundesstraßen seien schon ein ganz erheblicher Betrag und über diesen Betrag könne man im Augenblick wohl kaum hinausgehen. Wenn ich den Haushaltsplan richtig lese, sind die angesetzten 100 Millionen DM für den frostsicheren Ausbau von 320 km Straßenlänge vorgesehen. Die Bundesfernstraßen haben aber eine Gesamtlänge von etwa 22 500 km. Mit dem von Ihnen angesetzten und für ausreichend befundenen Betrag könnte also nur gut 1 % der Bundesfernstraßen frostsicher ausgebaut werden. Ich möchte Ihnen diese Zahlen vorhalten, um zu sagen, daß Ihre Auffassung, für 1956 genug getan zu haben, im Interesse der Festigung und Frostsichermachung unseres Straßensystems von uns nicht geteilt werden kann.
— Darauf komme ich zu sprechen. Ich möchte
Ihnen nur dieses eine Argument entgegenhalten:
die 100 Millionen DM, die im Haushalt stehen, sind
angesetzt für den Ausbau von 320 km, während
22 500 km an Bundesfernstraßen vorhanden sind.
Noch einige Sätze in der allgemeinen Aussprache zum Einzelplan 12. Der Herr Berichterstatter hat in seinem Mündlichen Bericht schon hervorgehoben, daß der Haushaltsplan 1956 in einigen Positionen gegenüber dem Vorjahr erhöhte Ansätze bringt. Das trifft insbesondere auf den Straßenbau zu, für den die Ansätze um rund 250 Millionen DM höher liegen als im vergangenen Jahr. Nun, Herr Kollege Dr. Conring, wir stellen diese Tatsache mit Befriedigung fest. Aber ich glaube, wir dürfen auch für uns in Anspruch nehmen, durch unsere Kritik an den früheren Haushalten zu den höheren Ansätzen wesentlich beigetragen zu haben.
Das entscheidende Kriterium ist für uns: auch der vorliegende Einzelplan 12 trägt den tatsächlichen Bedürfnissen unserer Verkehrswirtschaft in keiner Weise Rechnung. Er stopft wiederum nur Löcher, ohne zu einer wirklichen Bereinigung der Verkehrsmißstände zu kommen. Herr Kollege Dr. Conring, wir können uns diesmal in unserer Argumentation auf den Herrn Bundesverkehrsminister berufen. Er hat den besten Beweis dafür geliefert, wie unzulänglich die Haushaltsansätze sind. Er hat den Beweis erbracht durch die .Verkündung seines Zehnjahresplans für den Straßenbau auf
der letzten Verkehrsministerkonferenz. Gemessen an den dort zusammengetragenen und, wie ich betonen möchte, fundierten Zahlen sind doch die Ansätze im Haushalt außerordentlich bescheiden, um nicht zu sagen, sehr dürftig.
— An dieser Vorstellung, Herr Kollege Conring, ändert auch nichts die Vertröstung auf die Zukunft. Der Herr Bundesverkehrsminister hat vorsichtshalber gesagt, daß der Plan erst am 1. April 1957 anlaufen soll. Nun, wir sind der Meinung, daß es sich bei dem Zehnjahresplan im wesentlichen nicht etwa um einen Plan handelt, der die künftige Verkehrsentwicklung berücksichtigt, sondern um einen Plan, der den heutigen Nachholbedarf umfaßt, der ausgeht von dem schlechten Zustand der Straßendecken, von dem Vorhandensein einer Vielzahl von engen Ortsdurchfahrten und von der Vielzahl der schienengleichen Kreuzungen. Sie wissen genausogut wie ich, Herr Kollege Dr. Conring, welche schrecklichen Unfälle sich an den schienengleichen Kreuzungen ereignen. Ich möchte Ihnen privatissime einmal sagen, mit welchen Sorgen die Herren des Vorstandes der Bundesbahnverwaltung sich tragen, weil sie immer befürchten, daß täglich neue schwere Unfälle eintreten könnten.
Ich verstehe Ihre Argumentation nicht, wenn Sie sagen: 30 Millionen DM sind vorerst genug. Der Bedarf beläuft sich auf mindestens 200 Millionen DM.
Es ist nicht vertretbar, eine Gefahrenquelle, durch die in jedem Jahr eine Vielzahl Menschen den Verkehrstod sterben muß, erst in etwa sechs oder sieben Jahren zu beseitigen. Ich bin der Meinung, daß gerade unter diesem Gesichtspunkt Ihre Haltung in der Finanzierung nicht so hart sein dürfte.
Wenn die Dringlichkeit eines Zehnjahresplans erkannt ist, wenn ziffernmäßig und bauplanmäßig alles festliegt, wird sich doch nicht nur der Fachmann, sondern auch jeder vernünftig denkende Mensch fragen müssen: Warum verschiebt man die Realisierung eines solchen Planes auf die Zukunft? Warum fängt man mit der Realisierung eines solchen Planes nicht schon im laufenden Haushaltsjahr an? Davon ist in Ihrer Argumentation bisher keine Rede gewesen.
Ich bin der Meinung, man könnte trotzdem etwas mehr für die Verkehrswirtschaft tun, wenn man die Dringlichkeit anderer Objekte und anderer Vorhaben zurückstellte. Herr Kollege Dr. Vogel, Sie von der Regierungskoalition haben finanzielle Sorgen auf anderen Gebieten; das ist Ihre Sache. Ich jedenfalls muß feststellen, daß das Bundesverkehrsministerium zwar Pläne aufstellt, daß aber das Kabinett nicht daran denkt, diese Pläne zu realisieren. Das ist ein bedauerlicher Tatbestand, der befürchten läßt, daß die Unfallziffern weiter ansteigen und daß die volkswirtschaftlichen Schäden noch weiter wachsen werden. Ich habe diesmal wieder das Schwergewicht unserer Kritik dem Straßenbau zuwenden müssen, weil er nach unserer Auffassung in einem engen Zusammenhang mit der zunehmenden Verkehrsunsicherheit
und mit der ansteigenden Unfallkurve steht, die wir alle beklagen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen, daß wir auch mit der gesamten verkehrspolitischen Linie der Bundesregierung nicht einverstanden sind. Das Problem SchieneStraße bleibt auch weiterhin ungelöst. Die von der Bundesregierung eingeschlagene Methode, Verkehrspolitik durch fiskalische Maßnahmen zu betreiben, hat zu einer Verschärfung der Situation geführt. Das Echo, Herr Bundesverkehrsminister, das Ihre Politik in einem Teil der westeuropäischen Presse gefunden hat, ist alles andere als schmeichelhaft. Ich will diese Dinge hier nicht weiter vertiefen, weil sie über den Rahmen einer Haushaltsdebatte hinausgehen würden. Aber auf einen Punkt der letzten Verkehrsdebatte im Hohen Hause, Herr Bundesverkehrsminister, möchte ich noch einmal kurz zurückkommen.
In Ihrer Rede vom 6. Juni hatten Sie, Herr Minister, zur Rechtfertigung der Verordnung vom 21. März 1956 Herrn Präsidenten Geiger als Kronzeugen zitiert. Sie müssen sich nun, Herr Minister, vom Herrn Präsidenten Geiger schriftlich bescheinigen lassen, daß er von Ihren Ausführungen abrückt und daß er Sie der Unfairneß bezichtigt. Herr Geiger schreibt in einem am 7. Juni an Sie gerichteten Brief — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten wörtlich zitieren —:
So sehr ich mich freue, sehr verehrter Herr Minister, daß Sie an mich gedacht haben, so sehr muß ich bedauern, daß Sie durch das Herausgreifen eines Gesprächsfetzens in der Öffentlichkeit und insbesondere im Gewerbe den Eindruck erwecken, also ob ich Kronzeuge für die Richtigkeit oder Unrichtigkeit Ihrer Verkehrspolitik wäre.
In dem Brief heißt es an anderer Stelle:
Ganz nebenbei darf ich erwähnen, daß ich es eigenartig finde, Personen zu zitieren, die nicht in der Lage sind, an Ort und Stelle die erforderliche Aufklärung zu geben. Das Beispiel Dr. Meier hätte Sie zur Vorsicht mahnen müssen.
Es ist etwas blamabel, Herr Minister, wenn man auf solche Weise von dem angerufenen Kronzeugen korrigiert wird.
Meine Damen und Herren, ich darf noch mit ein paar Sätzen auf ein anderes Anliegen, auf die Binnenwasserstraßen zu sprechen kommen. Die Kanalbauten sind im Haushalt mit rund 70 Millionen DM angesetzt. Über die Nützlichkeit der Kanalbauten kann man verschiedener Meinung sein. Es gibt Kanäle, die wichtig und nützlich sind, es gibt aber auch Kanäle, deren Unterhaltungskosten in keinem Verhältnis zu ihrem wirtschaftlichen Nutzeffekt stehen. Die Bundesregierung hat vor vielen Monaten ein Kanalgutachten angefordert. Das Gutachten liegt inzwischen vor, und es liegt seit einiger Zeit im Kabinett. Warum, Herr Bundesverkehrsminister, wird das Gutachten der Öffentlichkeit, also dem Steuerzahler, der die Kanalbauten bezahlen muß, eigentlich vorenthalten? Ich würde Sie bitten, für eine Veröffentlichung dieses, wie mir scheint, sehr aufschlußreichen Gutachtens Sorge zu tragen.
Zu den Kanalbauten selbst bitten wir um eine ernsthafte Prüfung, ob sämtliche Bauten wirklich vordringlich sind. Die Bundesregierung hat heute
vormittag — ich darf darauf nochmals zurückkommen — in ihrer Erklärung zur Konjunkturpolitik die Dämpfung öffentlicher ziviler Aufträge empfohlen. Ich wollte mir in diesem Zusammenhang die Frage erlauben, ob und in welchem Umfang dabei auch an den Kanalbau gedacht ist.
Ich darf meine Kritik zu dem Einzelplan 12 zusammenfassen. Wir sind der Meinung, daß die Haushaltsansätze nicht den verkehrswirtschaftlichen Erfordernissen entsprechen. Wir sind der Meinung, daß die von der Bundesregierung betriebene Verkehrspolitik nach wie vor eine klare Linie vermissen läßt, daß die großen Verkehrsprobleme — Sanierung der Bundesbahn, ein vernünftiger Straßenbau, das Verhältnis von Schiene und Straße — nicht gelöst worden sind und ihre Lösung auch nicht ernsthaft betrieben wird. Ich habe vorhin Ihre Botschaft von der Sanierung der Bundesbahn gehört, Herr Kollege Conring. Allerdings muß ich sagen: daß mir der Glaube fehlt, daß die Sanierung bis zum Herbst dieses Jahres durchgeführt sein wird.
Meine Damen und Herren, wie in den vergangenen Jahren müssen wir auch diesmal wieder unsere stärksten Bedenken gegen die Person des Herrn Bundesverkehrsministers anmelden.
Aus allen diesen Gründen sind wir nicht in der Lage, dem Einzelplan 12 unsere Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst, da ich nur ganz kurz sprechen möchte, den beiden Herren Berichterstattern, Herrn Kollegen Ritzel und Herrn Kollegen Conring, für die gute und erfolgreiche Zusammenarbeit herzlich danken, die auch in diesem Jahr beim Einzelplan 12 geleistet worden ist. Ich fühle mich verpflichtet, diesen Dank zu betonen, weil ich Wert darauf lege, daß diese gute Zusammenarbeit auch in Zukunft in gleicher Weise besteht.
Ich möchte auf die verschiedenen Anträge hier nicht eingehen. Soweit sie über den Rahmen des Haushaltsplans hinausgehen, bin ich an den Haushaltsplan gebunden und kann mich dazu deswegen nicht äußern. Die sachlichen Verhältnisse sind richtig dargelegt. Zu der Frage der Este-Abschleusung darf ich bemerken. daß tatsächlich ein baureifer Entwurf noch nicht vorliegt, weil erst vor wenigen Tagen eine Einigung mit der Wasserwirtschaftsverwaltung Niedersachsens, wie Herr Kollege Wehner sie darlegte, getroffen worden ist und nunmehr an die baureife Ausführung des Entwurfs gegangen werden kann. Sie liegt leider noch nicht vor, weil diese Einigung bisher noch nicht gegeben war. Zwischen Planung und Baureife ist ja immer ein gewisser zeitlicher und sachlicher Unterschied, und insofern mag sich hier vielleicht eine gewisse Diskrepanz der Auffassungen ergeben haben.
Ich möchte nur noch zu einigen Bemerkungen des Herrn Kollegen Dr. Bleiß ganz kurz Stellung nehmen. Verehrter Herr Kollege Dr. Bleiß, ich habe Herrn Geiger niemals als Zeugen für meine Verkehrspolitik zitiert oder ihm gar unterstellt, daß er sie unterstütze. Das kann ich gar nicht von ihm erwarten, da natürlich manche Entscheidungen dem von ihm vertretenen Verband keineswegs angenehm sein können. Ich habe seinerzeit vielmehr nur gesagt — ich habe das Protokoll hier vor mir liegen —, daß Herr Geiger in seinem Betrieb keinen überschweren Anhänger eingesetzt hat, und bin damit Ihrer Auffassung entgegengetreten, mit der damaligen Veränderung von 22 auf 20 m sei es notwendig gewesen, die überschweren Anhänger einzuführen. Das war der einzige Punkt, in dem ich Herrn Geiger zitiert habe. Ich finde das weder unfair noch entstellend aus dem Gespräch herausgerissen. Tatsächlich ist das, was ich gesagt habe, der Fall.
Weiter darf ich zu der Frage des Kanalguttens auf Ihre Anfrage folgendes sagen: das Kanalgutachten liegt schon seit längerer Zeit vor, wie Sie richtig bemerken.
— Ja, etwa vier Jahre schon. Nicht jedes Gutachten, das der Wissenschaftliche Beirat auf Wunsch der Bundesregierung oder des Bundesministers für Verkehr erstellt, ist für die Veröffentlichung bestimmt. Viele dieser Gutachten werden nur zur Förderung der Arbeiten des Ministeriums oder zur Klärung der zu vertretenden Auffassungen angefordert und werden nicht veröffentlicht. Aber der allgemeine Teil des Kanalgutachtens ist seinerzeit veröffentlicht worden. Unterblieben ist nur die Veröffentlichung der Stellungnahme der Gutachter zu den einzelnen noch möglichen Wasserstraßenvorhaben, und es ist im wesentlichen aus außenpolitischen Gründen geschehen, daß dieser Teil des Gutachtens bisher nicht veröffentlicht worden ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß der Herr Minister sich mit einigen Bemerkungen an die Seite des Herrn Dr. Conring gestellt hat, der für eine Ablehnung unseres Antrags, Mittel für den Bau des Estesperrwerks einzusetzen, eingetreten ist.
— Haben Sie nur Geduld! Was ich will? Fragen Sie doch nicht so! Ich werde Ihnen das gleich sagen. Sie haben, verehrter Herr. nachdem Sie sagen, man müsse das ablehnen, weil es erstens Gegenstand des Küstenplans sei und weil zweitens gar kein baureifer Entwurf vorliege, doch zweifellos nicht erwartet, daß ich dazu nicht auch meine Meinung sage. Auch, nachdem der Herr Minister jetzt gesagt hat, daß kein solcher Entwurf vorliegt, muß ich dazu meine Meinung sagen. Niemand — auch Sie nicht — hat die sachliche Notwendigkeit dieses Baues bestritten, und ich möchte denjenigen sehen. der das angesichts der Sturmflut tun würde. Aber ich finde es auch nicht richtig, daß man nach diesen Sturmfluterfahrungen sagt: Nun. warten wir, weil das und das noch nicht geregelt ist.
Die Sache mit dem Küstenplan beruht. wie ich annehmen muß. auf einer information, die jedenfalls nicht den Ansichten entspricht. die die Regierung des Landes Niedersachsen in ihrer Erklärung, die ich gleich zitieren werde, zum Ausdruck gebracht hat. und die Sache mit dem nicht baureifen Entwurf ist auch noch einiger Sätze würdig. Die
amtliche Stelle des niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat erklärt, daß der vom Wasser- und Schiffahrtsamt Stade als einer Dienststelle des Bundes aufgestellte Entwurf des Estesperrwerks dem Bundesverkehrsministerium bereits seit Monaten vorliege. So die Erklärung der Landesregierung Niedersachsen. Es wird weiter gesagt:
Es trifft zu, daß ursprünglich das Land Niedersachsen zusammen mit Hamburg den Bau des Sperrwerks als einen Teil des gesamten Este-Projekts im Rahmen des Küstenprogramms planen und bauen wollte. Nachdem jedoch das Bundesverkehrsministerium später die Federführung für sich beansprucht hat, lag die weitere Verantwortung für Planung, Bau und Finanzierung bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes.
Und dann wird auseinandergesetzt, daß das Land Niedersachsen seinen Verpflichtungen nachkommen will.
Ich wollte das richtigstellen. Ich finde nicht, daß es angängig ist, einen solchen notwendigen Fall, dessen Ernsthaftigkeit auch Sie nicht und niemand bestreitet — ich nehme auch an, der Herr Minister weiß ganz genau, daß das dringend notwendig ist —, mit solchen Einwänden, hinter denen im Grunde genommen der Generaleinwand steht: Weil es in diesem Fall von der Opposition vorgeschlagen wird, muß es abgelehnt werden, nicht Rechnung zu tragen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Ja, bitte!
Herr Abgeordneter Wehner, ich darf Sie einmal bitten, mir zu sagen, wie Sie ein Bauvorhaben irgendwelcher Art durchführen wollen, wenn ein baureifer Entwurf noch gar nicht vorliegt. Das ist eine sachliche Unmöglichkeit, und nur deshalb habe ich gegen Ihren Antrag gesprochen. Ich weiß sehr wohl — und damit ist meine Frage beendet —, daß wir an der Küste völlig einer Meinung sind, daß dringend etwas geschehen muß.
Ich habe Ihnen aus der Erklärung der Landesregierung Niedersachsen zitiert, und ich zitiere es noch einmal, daß seit Monaten ein solcher Plan vorliegt, und es muß möglich sein, hier darüber zu reden.
— Bitte sehr, winken Sie doch ab! Wenn Sturmflut ist, können Sie nicht mehr abwinken. Es muß möglich sein, darüber zu reden, wer denn eigentlich die Verantwortung hat. Man muß nicht nur mit dem Kopf nicken oder wackeln, wie Sie das nur für genehm halten.
Da ich Ihre Entschlossenheit aus der Erfahrung kenne und da Sie sich in dieser Entschlossenheit von keinen sachlichen Erwägungen beeindrucken lassen, wie wir das von einem Ihrer Fraktionssprecher gehört haben,
stelle ich für den Fall, daß Sie so stimmen, wie es hier gesagt worden ist, den Eventualantrag, dann zumindest in Kap. 12 03 einen Tit. 775 — Bau des Estesperrwerks — als Leertitel einzusetzen mit all den Bemerkungen, die ich hier zur Dringlichkeit des Projekts gemacht habe. Aber ich hoffe immer noch, daß sich in diesem Hause eine Mehrheit findet, die gegenüber sachlichen Erwägungen nicht so völlig stumpf bleibt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Conring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir tun alle nicht gut daran, einander Motive zu unterstellen, da wir die Motive gar nicht kennen und sie allenfalls nur vermuten können.
Herr Kollege Wehner, ich möchte Sie bitten, weder in der Form, in der Sie gesprochen haben, noch mit derartigen Unterstellungen hier zu arbeiten, die wir zurückweisen müssen, weil sie unsere sachliche Arbeit stören.
Ich habe die Sorge, daß Sie nicht genau unterrichtet sind, was in diesem Bereich ein Plan und was ein baureifer Entwurf ist.
— Ich glaube, Sie sind nicht genau darüber unterrichtet, und nur deshalb geraten Sie in Erregung, die hier völlig unangebracht ist. Wir wissen, daß über all diese Baumaßnahmen an der Küste sehr viel Pläne vorhanden sind. Aber es ist ein großer Unterschied zwischen Planungen und Entwürfen und baureifen Entwürfen.
Ohne einen baureifen Entwurf aber kann man
kein Projekt in Angriff nehmen oder durchführen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider .
— Herr Abgeordneter Schneider verzichtet. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, zuerst über den Antrag Umdruck 644*) der Fraktion der SPD. Soll ich nach Ziffern abstimmen lassen, oder können wir in einem abstimmen?
— Die Antragsteller wünschen Abstimmung nach Ziffern. Ich lasse also zuerst abstimmen über Ziffer 1. Das ist die Änderung in Kap. 12 01 bei Tit. 531. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um
*) Siehe Anlage 18.
die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ziffer 2 betrifft Kap. 12 03 Tit. 775, Bau des Estesperrwerks. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Dann komme ich zu dem Eventualantrag des Abgeordneten Wehner, der soeben vorgelesen und begründet wurde, Tit. 775 als Leertitel. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich kehre zurück zu Umdruck 644, Ziffer 3. Sie betrifft Kap. 1210 Tit. 710 und 787. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zum Änderungsantrag der Abgeordneten Erler, Dr. Bucher und Genossen auf Umdruck 630*). Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zu dem Antrag der Abgeordneten Schoettle, Hilbert, Dr. Orth und Genossen, Umdruck 662 **), betreffend Kap. 1214. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich I) um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Dieser Antrag ist angenommen.
Wir kommen zur Gesamtabstimmung über Ziffer 1 des Antrags des Haushaltsausschusses mit der einzigen soeben beschlossenen Änderung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich komme zu den Ziffern 2 und 3 in der vom Herrn Berichterstatter vorgetragenen Form. Wer dem Antrag des Haushaltsausschusses in den Ziffern 2 und 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Damit ist dieser Einzelplan erledigt.
Ich komme nunmehr zum
Einzelplan 13, Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen .
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Seidel .
— Der Abgeordnete Seidel verzichtet auf die Berichterstattung. Das Haus ist damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Ich lasse abstimmen über den Ausschußantrag im Mündlichen Bericht des Haushaltsausschusses
*) Siehe Anlage 17. **) Siehe Anlage 19. auf Drucksache 2462. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erstere war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich komme zum nächsten Einzelplan:
Einzelplan 14, Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung .
Dazu liegen die Anträge Umdrucke 645, 663 und 685 (neu) vor.
Es liegt ein Schriftlicher Bericht*) vor. Ich nehme deshalb an, daß das Haus auf die Entgegennahme eines mündlichen Berichtes verzichtet. — Das ist der Fall.
Dann bitte ich die Änderungsanträge zu begründen. Wer wünscht hierzu das Wort? — Oder wird auf Begründung verzichtet?
Dann beginnen wir mit der allgemeinen Aussprache. Wer wünscht das Wort in der allgemeinen Aussprache? — Herr Abgeordneter Erler!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Hinblick darauf, daß diesem Hause in naher Zukunft ohnehin aus anderem Anlaß eine umfassende wehrpolitische Debatte bevorsteht, möchte ich davon Abstand nehmen, jetzt der begreiflichen Versuchung zu erliegen, die gesamte Tätigkeit des Verteidigungsministeriums auch im Hinblick auf die Wehrpolitik einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Ich möchte mich im wesentlichen auf die Vorlage des Haushaltsplans beschränken und einige Anmerkungen machen, weil es in diesem Zusammenhange eine ganze Reihe von Wünschen an das Ministerium so nachdrücklich wie möglich heranzutragen gilt, Wünsche, die das Haus als Ganzes geltend machen sollte und nicht nur die eine oder andere Partei.
Es ist in den Bemerkungen des Ministeriums zur Vorlage dieses Einzelplans wiederum wie im Vorjahr darauf hingewiesen worden, daß man einen genauen Voranschlag erst vorlegen könne, wenn das Aufstellungsprogramm für die Streitkräfte feststehe. Damit erhebt sich doch die Frage, was eigentlich das Bundesverteidigungsministerium und was die vor dem Bestehen des Ministeriums vorhandene Dienststelle im Bundeskanzleramt in den vergangenen Jahren unternommen hat, um das Aufstellungsprogramm, mit dem sich doch dieser Bundestag im Zusammenhang mit der Gesetzgebung schon seit langem beschäftigen mußte, wenigstens so weit vorzubereiten, daß ein einigermaßen gegliederter Voranschlag dem Hohen Hause hätte vorgelegt werden können. Man sage nicht, die Entwicklung sei so in Fluß, daß es eben auf diesem Gebiet nicht möglich sei, einen einigermaßen gegliederten Voranschlag vorzulegen. Dann würden wir überhaupt nie, zu gar keinem Zeitpunkt, auf diesem Gebiet, das einen erheblichen Prozentsatz aller Haushaltsausgaben des Bundes ausmacht, einen wirklichen Haushaltsplan vorgelegt bekommen; dann würden wir nie instand gesetzt sein, das vornehmste Recht des Parlaments, nämlich das Recht des Beschließens über die Verwendung der Haushaltsmittel im einzelnen und das Recht der Kontrolle über die Verausgabung dieser Mittel, auf dem Gebiet der Verteidigung auszuüben. Das käme einer Abdankung des Parlaments auf seinem wichtigsten Aufgabengebiet gleich. Da-
*) Siehe Anlage 20.
her beklagen wir, daß die beiden wesentlichsten Grundsätze jeder vernünftigen Haushaltsgebarung, die Grundsätze der Haushaltswahrheit und der Haushaltsklarheit, in so erschreckender Weise auch diesmal vernachlässigt worden sind.
Der Bundestag besitzt keine Übersicht über das Programm der Bundesregierung auf diesem Gebiet, der Bundestag besitzt keine Ubersicht über die Kosten, die insgesamt aus diesem Programm der Bundesregierung erwachsen. Der Bundestag kann aber doch die einzelnen Raten zu einem solchen Programm mit gutem Gewissen nur beschließen, wenn er in großen Zügen das Gesamtprogramm vor sich liegen hat. Dieser Aufgabe ist die Bundesregierung nicht nachgekommen. Sie legt uns wiederum einen Haushaltsplan vor, der einfach von der Globalsumme von 9 Milliarden DM ausgeht, von der man die Stationierungskosten abgezogen hat, die bis zu einem bestimmten Stichtag bereits im Einzelplan 35 dieses Haushaltsplans enthalten sind, und kommt so zu der Summe von
8 767 242 000 DM. Diese krumme Summe beruht also nicht auf genauen Berechnungen, sondern ist einfach der Rest von 9 Milliarden DM, der übrigbleibt, nachdem man die Stationierungskosten abgezogen hat. Und das Ganze nennt sich nun ein Einzelplan, den dieses Haus verabschieden soll; ein Einzelplan, der aus einer Summe besteht: aus
9 Milliarden DM. Punktum! So als wäre das ein Betrag, den der Deutsche Bundestag aus der linken Westentasche zahlen kann; als ware es nicht ein Betrag, der immerhin einer näheren Aufgliederung wert wäre.
Natürlich können wir nicht verlangen, daß der Bundesverteidigungsminister auf all den Gebieten, bei denen bei ihm selbst, in seinem Ministerium, noch keine ausreichende Klarheit über die Einzelheiten vorhanden ist, diesem Hause nun mehr Einzelheiten vorlegt, als er selber hat; das geht nicht. Aber dann sollten wir wenigstens von ihm verlangen, daß er in großen Zügen den Haushaltsplan so gliedert, wie es seinen Planungen entspricht. Daher kommt nämlich der Name Haushalts p 1 a n , daß er von den Plänen ausgeht, die die Regierung hat. Und die Regierung hat doch nun einmal Pläne auf dem Gebiet der Verteidigung. Dann sollte sie auch nach diesen Plänen den Haushaltsplan aufstellen; das ist ihres Amtes.
— Das Vorwort habe ich gelesen. Ich beklage den Inhalt dieses Vorworts, weil Sie dieses Vorwort bei der weltpolitischen und militärtechnischen Entwicklung in der Welt die nächsten 20 Jahre hineinschreiben könnten. Dann kommen Sie nie zu einer vernünftigen Darlegung des Haushaltsplans in bezug auf die Verteidigungsausgaben, sondern dann danken Sie eben einfach ab.
Die Bundesregierung ist verpflichtet, uns in großen Zügen die Aufgliederung der Haushaltsausgaben auf die verschiedenen Zweckbestimmungen auch in diesem Einzelplan vorzulegen, wobei es durchaus in ihrer Macht liegt, wenn die Umstände sich ändern, von dem Instrument des Nachtragshaushaltsplans Gebrauch zu machen, um einen Haushaltsplan zu ändern; das tun wir ja auf anderen Gebieten auch. Außerdem gibt es noch ein anderes Instrument, über das Sie verfügen, nämlich das Instrument der Deckungsfähigkeit. Man erklärt bestimmte Ausgaben, bei denen man nicht
genau weiß, ob das Schwergewicht mehr auf der einen oder mehr auf der anderen Art der Ausgaben liegen wird — etwa im Fahrzeugprogramm oder im Beschaffungsprogramm —, für gegenseitig deckungsfähig und läßt damit dem Ministerium eine gewisse Möglichkeit des Manövrieren.
Von all diesen Möglichkeiten ist kein Gebrauch gemacht worden, sondern praktisch soll der Bundestag über eine einzige Summe beschließen. Dann soll er zwei Ausschüssen — ich gehöre dem einen von ihnen an — die Ermächtigung geben, künftig vorweg, ohne Einschaltung des Plenums, die nähere Aufgliederung dieser Globalsumme vorzunehmen. Meine Damen und Herren, ich habe schwerste Bedenken dagegen, daß man bei einem Einzelplan, mit dem über 9 Milliarden DM entschieden wird, Ausschüsse an die Stelle des Parlamentes setzt. Außerdem hat das noch eine sehr beachtliche Nebenfolge. Bei Plänen dieser Größenordnung sollte es selbstverständlich sein, daß alle verfassungsmäßig in die Bewilligung von Haushaltsplänen eingeschalteten Organe des Bundes instand gesetzt werden, ihr Wort zu sagen. Diese Übertragung der näheren Aufgliederung durch eine Zweckbestimmung im Einzelplan 14 an den Haushaltsausschuß und an den Verteidigungsausschuß des Bundestages beraubt den Bundesrat seines verfassungsmäßigen Rechtes, zu den Einzelheiten der Haushaltsgebarung des Bundes Stellung zu nehmen.
Auch das sollten wir bei einem Plan dieser Größe nicht billigen.
Daher haben wir Ihnen einen Antrag vorgelegt, der verlangt, daß, wenn es nun einmal diesen Plan nur in der vorliegenden Form eines Torsos gibt, dann wenigstens die Aufgliederung der 9 Milliarden DM auf die einzelnen Zweckbestimmungen nicht von den Ausschüssen des Bundestages vorgenommen wird, sondern auf dem Wege der ordnungsmäßigen Verabschiedung von Nachtragshaushaltsplänen. Das hat aber dann auch die Vorlage eines Entwurfs der Bundesregierung an den Bundesrat zur Voraussetzung; denn wir können dieses gesetzgebende Organ von dieser Arbeit nicht ausschließen.
Nach diesen grundsätzlichen Bemerkungen werden Sie verstehen, daß meine Fraktion unbeschadet ihrer sonstigen Haltung zur Politik der Bundesregierung auf dem Gebiet der Verteidigung den Einzelplan 14 ablehnen muß, und zwar schon deshalb, weil es sich gar nicht um einen Plan handelt,
sondern nur um eine Einzelsumme, die in gar keiner Weise einer Rechtfertigung durch die Bundesregierung unterzogen worden ist.
Der Antrag, 1 Milliarde DM aus diesem Einzelplan abzuzweigen und für den Schutz der Zivilbevölkerung auf den Einzelplan 06 zu übertragen, ist bereits begründet worden. Dazu nehme ich hier nicht weiter Stellung.
Ich möchte noch einiges zu den weiteren Vorlagen der Bundesregierung sagen und gleich ein Wort zum vierten Nachtrag anschließen. Dort werden 54 000 Planstellen angefordert. Das ist immerhin im Verhältnis zu der Größenordnung der vorhandenen Bundesverwaltung eine ganze Masse. Diese Planstellen sind aber lediglich nach den verschiedenen Besoldungsgruppen und den damit ver-
bundenen Dienstgradbezeichnungen und militärischen Rängen verzeichnet; dann hört es auf. Es ist keine Übersicht gegeben, in welcher Weise die Bundesregierung diese 54 000 Stellen zu gliedern beabsichtigt. Selbst das Wilhelminische Deutschland war fortschrittlicher auf dem Gebiet der Mitwirkung des Reichstags der kaiserlichen Zeit bei der Behandlung der Vorlagen über die Organisation der Armee an Hand der Haushaltspläne. Der Haushaltsplan des Jahres 1912 und der Haushaltsplan des Jahres 1913 enthalten eingehende Übersichten über die verschiedenen Einrichtungen der damaligen Armee auf allen Gebieten, über die Zahl der militärischen Verbände und das diesen Verbänden zugeordnete Personal. Sie werden sagen: Diese 54 000 Stellen sind nur eine erste Rate, nur eine Anzahlung. Gut, dann lege man dem Haus eine Übersicht vor, wie das gesamte Gebilde aussehen soll und wo dann diese 54 000 als erste oder zweite Rate hineingebaut werden. Aber 54 000 Planstellen ohne Gliederung ist dasselbe wie 9 Milliarden DM ohne Gliederung, und damit wird dem Parlament keinerlei ernsthafte Mitsprache in diesen lebenswichtigen Fragen ermöglicht.
Dabei gebe ich zu, daß der Herr Verteidigungsminister einige begründete Sorgen hat. Auf dem Gebiet der Organisation hat sich etwas Entzückendes herausgestellt. Man hat dem Hohen Hause und der Öffentlichkeit Zahlen über die Freiwilligen unterbreitet, die sich zum Dienst in der Bundeswehr gemeldet haben. Wir sind unterrichtet worden, wie viele gediente Soldaten, Offiziere und Unteroffiziere sich darunter befinden, wie viele Verwaltungsangehörige, wie viele ungediente Neulinge, die neu in die Bundeswehr einzutreten beabsichtigen. Aber es ist ein kleines Unglück passiert. Man scheint diese Bewerbungen gewissermaßen laufend numeriert zu haben, so daß jemand, der ungeduldig wurde und sich nicht nur einmal, sondern zwei- oder dreimal beworben hat, dann eben dreimal erscheint. Infolgedessen kann heute niemand sagen, wieviel sich eigentlich tatsächlich bei der Bundeswehr beworben haben. Ich muß sagen, das hat mich deshalb so schmerzlich berührt, weil das in einem Hause passiert, das ein besonderes Referat aufgebaut hat, das dem maschinellen Berichtswesen dienen soll. Wenn man das schon tut, wäre es doch wohl an der Zeit gewesen, mit dem maschinellen Berichtswesen schon bei der Sortierung der in dieser großen Zahl eingegangenen Bewerbungen im eigenen Hause anzufangen. Das ist also nicht geschehen.
Eine weitere Bemerkung zu den Personalfragen auf dem Gebiet der Verteidigung; nur ein kleines Beispiel. Mir sind Stellenpläne der Wehrbereichsverwaltungen zu Gesicht gekommen. Ich möchte hier nachdrücklich davor warnen, auf dem Gebiet der Wehrbereichsverwaltungen Verwaltungen zu schaffen, die ausgesprochen kopflastig sind, weil sie im wesentlichen aus Angehörigen des höheren Dienstes bestehen, also vor allem aus Juristen. Worauf es bei den Wehrbereichsverwaltungen ankommt, das ist außer der Leitung und außer der Funktion des Justitiars, den man natürlich haben muß und der seine juristische Ausbildung braucht, doch vor allen Dingen das qualifiziert ausgebildete, für diese speziellen Aufgaben geschulte Personal des gehobenen Dienstes. Bekleidung, Verpflegung, Unterkunft und Gebührnisse einer Truppe brauchen Sie nicht von Juristen ausrechnen, verwalten und beschaffen zu lassen. Dazu brauchen Sie in erster Linie dieses Rückgrat einer jeden solchen technischen Verwaltung; das ist der gehobene Dienst. Auf diese Weise wird es zweckmäßiger gemacht, weil man nicht die Arbeitskraft des völlig anders ausgebideten Juristen dafür mißbraucht. Außerdem ist es auch noch billiger; denn diese Leute sind in einer niedrigeren Besoldungsgruppe. Ich möchte also die Überprüfung dieser Pläne dem Verteidigungsministerium dringend ans Herz legen.
Ein Drittes. In dem von uns bereits behandelten dritten Nachtrag ist u. a. über die Fliegerzulagen ein Wort enthalten. Sie waren dort in einer Summe enthalten. Erst bei den Beratungen hat sich herausgestellt, daß diese Fliegerzulage, die dem fliegenden Personal gewährt wird, in Wahrheit einen anderen Charakter hat, als man das auf den ersten Blick annehmen könnte. Wenn es eine Gefahrenzulage im vollen Sinne des Wortes wäre, dann kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß der fliegende Major oder Oberstleutnant in höherer Gefahr schwebt als der fliegende Leutnant oder Stabsgefreite. Die Gefahr ist doch bei allen die gleiche.
Aber die Gefahrenzulage ist merkwürdigerweise nach Besoldungsgruppen und militärischen Rängen verschieden. Auch hier wieder — oh welch Erschrecken in unserer Entwicklung — war das kaiserliche Deutschland demokratischer. Ich habe mir von einem Flieger des ersten Weltkrieges sagen lassen müssen, daß man seinerzeit alle Fliegergefahren gleichermaßen bewertet und jedem Flieger eine monatliche Zulage von 150 Mark gezahlt hat.
Im Zusammenhang mit der Personalpolitik hat sich die Öffentlichkeit sehr ausführlich mit dem Annahmeverfahren im Bundesverteidigungsministerium befaßt, ein Thema, das ja auch ein dafür zuständiger Unterausschuß im Verteidigungsausschuß aufgegriffen hat. Leider wird durch den Zeitdruck, den Ihre Beschlüsse dem Verteidigungsausschuß aufzwingen, dieser Ausschuß gar nicht mehr in den Stand gesetzt, seine wirklichen Kontrollaufgaben begleitend neben dem Aufbau der Bundeswehr her in dem notwendigen Umfang auszuüben. Ich sehe vorläufig noch nicht, wann wir je die Möglichkeit haben werden, den Bericht des Vorsitzenden dieses Unterausschusses über das Annahmeverfahren entgegenzunehmen.
Ich möchte daher hier, damit nicht erst einige Monate verstreichen, bevor wesentliche Anregungen dem Ministerium mit auf den Weg gegeben werden können, gleich einiges dazu sagen. Wichtig ist die Gestaltung dieses Annahmeverfahrens doch vor allem auch für die Auswahl der künftigen militärischen Führer, und zwar für diejenigen, die weniger werden als Oberst; denn bei den anderen haben wir den Personalgutachterausschuß eingeschaltet, da stehen wir also nicht ganz vor dem gleichen Problem. Wir alle wissen, von wie großer Bedeutung eine sorgfältige Personalauslese für den gesamten Geist der Bundeswehr und für ihr Verhältnis zur Bevölkerung sein wird. Hier schadet nichts mehr als unnötiger Zeitdruck, als die Vorstellung: Die Armee müßte eigentlich noch gestern fertiggestellt werden, denn morgen wird uns die Sowjetunion überfallen. Ich will hier keine weltpolitische Betrachtung anknüpfen. Jeder von Ihnen weiß genau wie ich, daß wir in dieser Frage nichts so überstürzen müssen, daß wir um der vermeintlichen äußeren Sicherheit willen im Innern
dem gesunden Wachstum unserer demokratischen Einrichtungen Schaden zufügen müßten.
Nun ist ein Annahmeverfahren aufgebaut worden unter der Mitwirkung von 170 Annahmegruppen, deren Personal selbst nicht durch den Personal-gutachterausschuß überprüft worden ist.
Das soll kein Vorwurf sein; ich halte es dennoch für eine schmerzliche Unterlassungssünde.
Aber weiter! Die Männer, die dort arbeiten, sind einer außerordentlich kurzen Vorbereitung für ihre Arbeit unterzogen worden. In wenigen Tagen sollten sie mit diesem schwierigen Geschäft der Beurteilung und Auslese von Menschen vertraut gemacht werden. Das hätte einer wesentlich längeren, intensiven Vorarbeit gerade bei diesen Männern bedurft, damit das Annahmeverfahren wirklich in der gesamten Bevölkerung als ein Modell für eine objektive Beurteilung der vorliegenden Bewerbungen allgemein hätte angesehen werden können. So muß zwangsläufig der Eindruck entstehen — manchmal berechtigt, in anderen Fällen sicher unberechtigt —, daß man hier einfach schematisch bestimmte Tests anwendet, ohne im einzelnen über das notwendige Instrumentarium zu verfügen, ohne diese Tests so auszuwerten, wie es im Interesse der Aufgabe notwendig gewesen wäre.
Ein paar Illustrationen! Da werden 40 Fragen gestellt. Ja, meine Damen und Herren, diejenigen, die sich bewerben, die kennen die Fragen alle schon, — oder ein großer Teil von ihnen. Die konnten sie nämlich im Platow-Dienst lesen; da sind sie abgedruckt worden. Der Platow-Dienst hat uns ja früher schon mit ähnlichen Indiskretionen einmal hier beschäftigt. Es gibt bereits drei Kommentare zu diesen Fragen, gewissermaßen als Handbuch für die Bewerber.
Da steht drin, wie sie sich zu benehmen haben, je nachdem — Kommentar A — falls es sich um eine für konservativ gehaltene Annahmegruppe handelt, — Kommentar B — falls man glaubt, vor eine etwas fortschrittlich eingestellte Annahmegruppe zu geraten
— ich nehme das mit Befriedigung zur Kenntnis; vielleicht werden Sie demnächst einmal einen Seitenwechsel vornehmen, das werden wir ja dann noch sehen! —
und Fall C: falls es sich um eine von den Verfassern des Kommentars gewissermaßen für farblos gehaltene Gutachtergruppe handelt.
Meine Damen und Herren, ein Verfahren, das bereits in dieser Weise den Bewerbern in Einzelheiten bekanntgegeben ist, so daß sie sich darauf einrichten können, und das dann nicht mehr elastisch genug gehandhabt wird, wird natürlich den Keim zu einer Reihe schmerzlicher Fehlentscheidungen in sich tragen. Die Lehre, die wir daraus zu ziehen haben, ist folgende. Es wäre besser gewesen, das gründlicher und sorgfältiger vorzubereiten, und es ist dringend notwendig, es im Lichte der gemachten Erfahrungen nunmehr gründlich zu überprüfen, wegen der Menschen, um die es dabei geht, und wegen des Vertrauens unseres Volkes zu dieser ganzen Institution. Denn ohne ein gewisses Mindestmaß an Vertrauen zu diesen Einrichtungen wird in Wahrheit alles, was da geschaffen wird, auf Sand gebaut sein.
Zu den Personalfragen gehört auch die Auseinandersetzung des künftigen Führerkorps der Bundeswehr mit den Fragen der staatsbürgerlichen Erziehung, mit den Grundlagen unseres demokratischen Staates und auch mit einigen sehr umstrittenen Fragen der deutschen Geschichte. Jawohl, das gehört dazu, daß man sich innerlich damit auseinandersetzt. Nun habe ich mit Bedauern von den Plänen erfahren, daß man gerade diese Fragen, weil es angeblich so furchtbar eilig ist, bei den künftigen Lehrgängen nicht mehr so ausführlich behandeln will, wie es bei dem ersten Lehrgang in Sonthofen geschehen ist, daß vielleicht sogar ähnliche Lehrgänge künftig überhaupt nicht mehr stattfinden sollen, sondern daß einer anderen, also mehr technischen Ausbildung der künftigen höheren Führer das Wort geredet wird. Das würde uns Gefahren für alle die Fragen wittern lassen, die unter dem Stichwort Innere Führung in unserem Volke lange erörtert worden sind und die gerade das besondere Interesse derer gefunden haben, die unter Umständen einmal unter die Bestimmungen des von Ihnen beabsichtigten Wehrpflichtgesetzes fallen. Meine Damen und Herren, Sie dürfen sich nicht dem Vorwurf aussetzen, daß die Diskussionen um die Innere Führung in Wahrheit nur propagandistisch den Boden bereiten sollten für eine gewisse Zustimmung großer Teile der betroffenen jüngeren Generation zum Aufbau der Bundeswehr und daß dann, wenn es ernst wird, alle diese Gedanken über Bord gehen, nach dem Motto: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen. — So viel zur Personalpolitik!
Über die volkswirtschaftlichen Probleme, die sich durch den Verteidigungshaushalt stellen, ist bereits in der konjunkturpolitischen Debatte einiges gesagt worden und wird wahrscheinlich in der Fortsetzung dieser Debatte noch weiter gesprochen werden. Was volkswirtschaftlich besonders gefährlich ist, das ist die Politik der Fondsbildung auf diesem Gebiet, der Übertragung von Ausgaberesten in Höhe von mehreren Milliarden auf das nächste Haushaltsjahr. Es ist eine Illusion, anzunehmen, daß man auf diese Weise in einem bestimmten Rechnungsjahr die Ausgaben für die Bewaffnung, die Ausrüstung und die Bauten der Bundeswehr bestreiten kann. Volkswirtschaftlich ist es so, daß alles, was in einem Jahr auf diesem Gebiet geschaffen wird, nur dem Sozialprodukt und den Einfuhren eben dieses Jahres entspringen kann und nicht der Produktion der Vergangenheit, in Wahrheit also nur gedeckt werden kann durch Konsumverzicht oder Investitionsverzicht in dem betreffenden Jahr auf anderen Gebieten, in Wahrheit also nur gedeckt werden kann durch Steuern des betreffenden Jahres oder durch Anleihen des betreffenden Jahres. Sie rufen zwangsläufig einen Inflationsdruck hervor, wenn Sie die Ausgabereste vergangener Jahre dann in dem neuen Jahr massiert zur Ausgabe bringen, damit eine Nachfrage auftreten lassen und nicht gleichzeitig an anderer Stelle die Nachfrage kürzen. Damit wird ein Druck auf die Preise nach oben ausgeübt, der sicher, das hat die Debatte ganz bestimmt schon gezeigt, für die Entwicklung unserer Konjunktur nur verhängnisvoll sein kann.
Deshalb sollten wir uns sorgsam darum bemühen, die Milliardenprogramme auf dem Gebiete der Verteidigung unter diesen Gesichtspunkten noch einmal zu durchleuchten. Es ist ja nicht über Beträge von mehreren hundert Millionen, sondern in Wahrheit von vielen Milliarden bereits praktisch verfügt worden. Wenn man Raten für Schiffe bewilligt, kann man eben nachher nicht mehr den Bau dieser Schiffe stoppen, sondern dann müssen in den nächsten Jahren die weiteren Raten kommen. Das ergibt sich einfach aus der Abwicklung eines solchen Auftrags.
Das Schiffbauprogramm, das Flugzeugprogramm, das Fahrzeugprogramm, das Panzerprogramm, die Bauten, das zusammen ergibt einen Druck öffentlicher Aufträge in Höhe von vielen Milliarden und reizt natürlich zwangsläufig diejenigen, die glauben, als Lieferer bei diesen Aufträgen tätig sein zu können, dazu an, jetzt schon in der Erwartung dieser Aufträge neue Investitionen vorzunehmen, also ununterbrochen neues Öl in das Feuer der Konjunktur zu gießen und damit diesen Ofen weiterhin anzuheizen. Gerade zu diesem Prozeß der Überhitzung durch die Aufträge auf dem Rüstungsgebiet muß in der konjunkturpolitischen Debatte nicht nur gesprochen, sondern vielleicht muß auch einiges getan werden.
Ein Letztes sind die Bauten des Verteidigungsministeriums selbst. Ich möchte sie hier nicht nur unter den Gesichtspunkten der Konjunkturpolitik betrachtet wissen. Aber eine Anmerkung kann ich mir nicht verkneifen. Das Verteidigungsministerium wird doch gebaut, weil man glaubt: „Möglicherweise ist es erforderlich, einen Konflikt für nicht ausgeschlossen zu halten; man muß sich also darauf einrichten." Wer der Überzeugung ist, ein Konflikt mit bewaffneter Macht sei völlig ausgeschlossen, der würde es ja bleibenlassen, ein solches Ministerium zu errichten. Wer also diese Gesamtapparatur schafft, muß die weltpolitische Lage so einschätzen, daß eben derartige Konflikte möglich sind. Ja, dann sollte man sich aber auch so einrichten, daß ein möglicher Gegner wenigstens zwei Bomben braucht, um die Regierung und den Kopf der Verteidigung aus der Welt zu bringen, und nicht beide zusammen mit einer einzigen Bombe erledigen kann. Ich glaube, daß die geographische Placierung der Spitze der Verteidigung unter diesem Gesichtspunkt von einem erfreulichen Optimismus des Verteidigungsministeriums über die Weltlage zeugt.
Meine Damen und Herren! Abschließend möchte ich Ihnen also sagen: der Haushaltsplan, der uns hier vorgelegt wird, ist kein Plan, sondern eine Summe, und das Parlament sollte sich nicht dazu hergeben, unter der Vorspiegelung, einen Plan verabschiedet zu haben, einer Summe seine Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Bundesminister für Verteidigung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Erler begann seine Rede damit, daß er sagte, wir würden ja in Kürze Gelegenheit haben, bei der Beratung eines Gesetzes in diesem Hohen Hause wieder eine ausführliche Wehrdebatte zu führen, und er wolle deshalb nicht alle die Probleme, die mit der Verteidigung in Zusammenhang stünden, aufreißen. Ich will diesem Beispiel folgen; auch ich will nur kurze Ausführungen machen und nur auf weniges von dem eingehen, was der Herr Kollege Erler gesagt hat. Zu den Grundzügen der deutschen Verteidigungspolitik werden wir bei dem angekündigten Anlaß wieder Stellung nehmen können.
Zunächst einmal zu dem Argument, daß hier nicht ein genau aufgegliederter Voranschlag vorgelegt werde und daß das Parlament gar nicht wisse, was mit dem Geld geschehe. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Bundesverteidigungsministerium befindet sich genau in der Lage, in der sich die Bundesregierung in den Jahren 1949 bis 1951 — meines Wissens haben wir damals mit Vorwegbewilligungen gearbeitet — befunden hat. Genau das, was sich damals als zwingende Notwendigkeit ergab, ergibt sich gegenwärtig bei dem Aufbau der deutschen Verteidigungskräfte. Aber es ist nicht richtig, wenn gesagt wird, daß damit das Parlament keinen Einblick in die Dinge bekomme. Dieses Parlament verfügt über einen Ausschuß, der mit Rechten ausgestattet ist, wie sie kein anderer Parlamentsausschuß hat und wie sie meines Wissens auch Parlamentsausschüsse in anderen Demokratien nicht haben. Dieser Verteidigungsausschuß soll nach der Vorlage das Recht bekommen, in Zusammenarbeit mit dem Haushaltsausschuß wieder wie im vergangenen Jahr Vorwegbewilligungen auszusprechen.
Wie hat sich das praktisch abgespielt? Das hat sich so abgespielt, daß wir die Programme vorgelegt haben, daß bei den einzelnen und entscheidenden Programmen monatelang über die Dinge gesprochen worden ist, daß in einem Umfang, wie das bisher nie der Fall gewesen ist, die Damen und Herren Abgeordneten die Möglichkeit gehabt haben, sich die Dinge selber anzusehen. Wir wissen doch alle, wie lange es gedauert hat, bis wir uns endgültig darüber klar waren — wir als Parlamentarier —, welches der richtige Jeep — kleiner Wagen — für die Bundeswehr sei. Ich darf daran erinnern, daß in einem anderen Fall, wo es sich darum handelte, ein Schulflugzeug für die erste Ausbildung auf Propellerflugzeugen in der Luftwaffe anzuschaffen, auch noch Gutachten von unabhängigen Sachverständigen eingeholt worden sind.
Es ist an sich nicht meine Aufgabe, aber ich bin es den Damen und Herren dieses Ausschusses ohne Rücksicht auf ihre Zugehörigkeit zu einer Fraktion dieses Hauses einfach schuldig, hier zu erklären, daß sich diese Damen und Herren mit allem Bemühen, das man überhaupt nur an den Tag legen kann, und mit allem Ernst dieser Aufgabe der Prüfung und der sachgemäßen Entscheidung unterzogen haben.
Wir können einen im einzelnen aufgegliederten Haushaltsplan schon deshalb nicht vorlegen, weil sich, so wie die Dinge bisher behandelt worden sind, das Parlament hier in einem Umfang bei der Auswahl mitbetätigt, wie das früher überhaupt nicht der Fall gewesen ist. Bei dieser Lage ist es eben unmöglich, heute schon im einzelnen die Programme so aufzustellen, daß ich hier genau die einzelnen Summen ausbringen könnte. Das hängt noch sehr davon ab, wie das Parlament mir hier
zu folgen bereit ist, wenn ich die Teilprogramme vorlege.
Aber, wenn diese Summe bewilligt wird, — wir sind ja gar nicht in der Lage, sie auszugeben! Diese Summe ist blockiert. Und wir stellen uns diesem Parlament nicht einmal, sondern wir stellen uns diesem Parlament und auch dem Bundesrat mehr als einmal, weil ja alle Vorwegbewilligungen nachher in Nachtragshaushalten zusammengefaßt werden müssen.
Wir verlangen gar nicht einmal, daß Sie uns jetzt Summen bewilligen, die, wie Herr Erler meint, dann gegeneinander deckungsfähig sein sollen. Nein, wir sind vielmehr der Meinung, daß wir uns nach Maßgabe des Fortschreitens der Arbeit sehr wohl mit jedem einzelnen Programm diesem Parlament stellen können. Die 58 Damen und Herren des Verteidigungsausschusses und des Haushaltsausschusses mit noch vier Unterausschüssen, die die Dinge im einzelnen prüfen, scheinen mir in vollem Umfang das Budgetrecht dieses Parlaments zu wahren. Ich bin absolut sicher, daß man diese Dinge hier im Gesamtparlament gar nicht mit der gleichen Intensität prüfen und behandeln könnte, wie es in diesen beiden Ausschüssen einschließlich der vier Unterausschüsse sachlich und fachlich möglich ist.
Der Herr Kollege Erler macht mir zum Vorwurf, daß ein Nachtragshaushalt, der 54 000 Planstellen für Soldaten vorsieht, mit keinem Wort etwas über die Gliederung dieser Soldaten bringe und daß man überhaupt nicht einmal wisse, was denn damit geschehe. Herr Kollege Erler, ich darf Ihnen sagen, daß in dem zweiten Nachtragshaushalt, der hier eingereicht und der gegenwärtig dem Bundesrat zugeleitet wird, sogar eine Aufgliederung noch weit über die 54 000 Mann hinaus erfolgt. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß ich dem Ausschuß für Verteidigung auf sein Verlangen pflichtgemäß eine genaue Schilderung des Aufstellungsvorgangs für das Jahr 1956 gegeben habe. Wenn diese Auskünfte nicht ausreichen, hat es dieser Ausschuß zu jeder Tageszeit in der Hand, weitere Auskünfte von mir zu fordern, die ich ihm auch geben werde.
Ich bin der Meinung, daß dieser Bundestag sehr wohl gut beraten ist, wenn er für dieses Jahr bei dieser Übung bleibt und wenn er, falls er wirklich bis ins letzte intensiv mitarbeiten will, wie er das bisher in den Wehrfragen getan hat, auch dann wieder die Einzelprogramme, so wie wir sie zusammenstellen und vorlegen können, mit dieser Intensität prüft und nachher, wenn die Vorwegbewilligungen ausgesprochen sind, diese in Nachtragshaushalten auffängt. Soviel zu dieser Frage.
Nun hat Herr Kollege Erler die Gelegenheit benutzt, noch einiges über das Verteidigungsministerium und über seine Arbeit zu sagen. Ich will meinem Versprechen treu bleiben, jetzt hier nicht die ganzen Probleme der Verteidigung aufzurollen, aber einiges wenige muß ich auch sagen. Der Kollege Erler möchte gerne wissen, wie viele sich tatsächlich beworben haben. Ich glaube, er hat irgendeinen Informanten gehabt, der ihm irgend etwas erzählt hat. Herr Kollege Erler, wenn es mir die Zeit hier erlaubte — ich habe ein sehr gutes Zahlengedächtnis, nicht immer zur Freude meiner
Bediensteten —, so könnte ich das fast ins Detail ohne jede Unterlage hier auseinanderlegen. Sie dürfen aber folgendes glauben.
— Selbstverständlich ist auch mal ein Doppel vorgekommen. Aber der Informant, der Ihnen erzählt hat, jede eingehende Bewerbung sei neunmal gezählt worden — eine solche Redensart habe ich einmal gehört, nicht von Ihnen —, hat Sie einfach, schlicht und ergreifend gesagt, belogen, wenn das der Fall sein sollte. Selbstverständlich sind in der ehemaligen Dienststelle Blank, die man ja niemals, und das muß ich noch nachträglich bedauern, in dem notwendigen Umfange mit Material und Personal ausgestattet hatte,
nicht einmal damals, als das Parlament zunächst seine Bereitwilligkeit erklärt hatte, Schattenstellen im Hinblick auf die kommenden Aufgaben zu schaffen, wie in jeder anderen Dienststelle Fehler gemacht worden. Sie hat Mängel gehabt, Irrtümer sind ihr unterlaufen, wahrscheinlich noch mehr als bei anderen Dienststellen. Aber ich muß im Interesse meiner Bediensteten, ich muß im Interesse der Leute, die auch einen Anspruch darauf haben, daß man ihre Arbeit achtet und hoch schätzt, erklären, daß diese Leute ihre Pflicht bis zum letzten erfüllt und auch die Bewerbungen, Herr Kollege Erler, gewissenhaft gezählt haben.
Nun lassen Sie mich zu den Bewerbungen einmal einiges sagen. Wir haben die Bewerbungen, die im Laufe von vielen Jahren unter sich ständig ändernden allgemeinen und insonderheit auch wirtschaftlichen Bedingungen eingegangen sind, natürlich nur sammeln können, ohne daß wir aus Mangel an Personal, aus Mangel an Geldmitteln Gelegenheit hatten, sie nun sozusagen personalaktenmäßig zu verarbeiten. Im Laufe der Zeit und im Laufe der Entwicklung ist sicherlich der eine oder andere Bewerber inzwischen zu alt geworden oder in einer anderen Stellung untergetaucht. Aber, Herr Kollege Erler, ich bin einigermaßen stolz darauf, daß die Herren, die ich dort eingesetzt habe, eine erstaunliche Leistung vollbracht haben. Wir haben mit Beginn des Jahres 1956 die Leute, die in dieser Organisation tätig sein sollten, erst einmal angeheuert, haben sie ausbilden lassen — auf das System komme ich gleich noch —, haben zugleich fortlaufend Einstellungen vornehmen müssen und haben ihnen auftragen müssen, diese Annahmeorganisation aufzubauen. Sie hat das mir gar nicht glaubhafte Ergebnis vollbracht — erst am 15. Mai dieses Jahres war sie personell einigermaßen voll —, von den vorliegenden Bewerbungen 60 000 Leute — Mann für Mann! — an sich vorüberziehen zu lassen, nicht nur die Akten eines solchen Mannes zu lesen, zu vervollständigen, Auskünfte einzuholen, sondern mit jedem dieser 60 000 Mann für Mann ein längeres Gespräch zu führen, um zu einer Beurteilung dieses Mannes zu kommen. Das ist eine erstaunliche Leistung, die leider Gottes — das muß ich von einer anderen Seite her sogar bedauern — nur möglich war, weil die Leute mehr an Arbeitszeit geleistet haben, als sie überhaupt verpflichtet gewesen wären.
Sie meinen, daß das dort angewandte System nicht
richtig sei. Wir haben in unserem Ausschuß, Herr
Kollege Erler, mehrfach darüber gesprochen, der Personalgutachterausschuß hat sich damit beschäftigt, einzelne Abgeordnete haben Gelegenheit gehabt, sich das anzusehen. Ich habe kritische Stimmen in der Zeitung gelesen. Aber ich habe bisher noch keinen gefunden, der mir wie in einer Reißbrettarbeit ein System auf den Tisch legen konnte, das ohne Fehler und Mängel ist. Wenn einmal besondere Fälle eintraten und ich eine Personalakte persönlich nachprüfen mußte, habe ich festgestellt, wie erstaunlich treffsicher und genau diese Urteile waren.
Ich weiß, Sie beklagen, daß nicht alle dort tätigen Personen durch den Personalgutachterausschuß
gegangen sind. Lassen Sie mich dazu mit allem
Freimut folgendes sagen. Herr Erler, es ist Ihnen
nicht bekannt, daß die wesentlichsten leitenden
Offiziere dieser Organisation Obersten sind, d. h.
Männer, die durch den Personalgutachterausschuß
gegangen sind. Gerade gestern und heute haben
wir sie einen ganzen Tag bei uns zusammengehabt.
Aber eine Bemerkung werden Sie mir nicht verargen. Ich habe bis heute allerdings noch nicht
festgestellt, daß ein durch den Personalgutachterausschuß gegangener Oberst fähiger ist, ein objektives Urteil zu fällen, als ein nicht durch den Personalgutachterausschuß gegangener Oberstleutnant.
Das allein macht den Mann nicht aus, sondern es macht den Mann aus, wie er ist.
Nun bin ich vor der deutschen Öffentlichkeit verpflichtet, für diese Männer einmal ein Wort zu sprechen, damit auch das klar wird. Ich habe persönlich nachgeprüft und auch noch sehr genau nachprüfen lassen, daß die über-, übergroße Mehrzahl aller in unsere Dienste getretenen Offiziere Männer sind, die sich in den vergangenen elf Jahren in zivilen Berufen bewährt haben. Ich habe festgestellt, daß die übergroße Mehrzahl aller dieser Männer sich gegenwärtig in der Bundeswehr materiell weit schlechter stehen, als sie im Wirtschaftsleben gestanden haben.
Auch das muß einmal ausgesprochen werden.
Herr Kollege Erler, mit der Frage der Personalauswahl beschäftige ich mich, wie Sie wissen, immer sehr gerne. Ich bin der Meinung, daß die Bundesregierung alles Erdenkliche getan hat, um zu einer vernünftigen Personalauswahl zu kommen, wenngleich sie freimütig zugibt, daß auch ihr und auch einer solchen Organisation Irrtümer unterlaufen. Herr Kollege Erler, ich will hier niemanden attackieren, weder Sie noch Ihre Partei noch sonst jemand. Aber ich habe nun doch schon einmal das Pech gehabt, daß ich auf einen hereingefallen bin, auf den auch Ihre Partei hereingefallen ist. So etwas kann ja mal vorkommen. Aber daraus kann man nicht schlußfolgern, daß die Annahmeorganisation zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht fähig sei.
Nun zu dem Gebiet der Wehrbereichsverwaltung. Es wurde gesagt, die Wehrbereichsverwaltungen hätten zu wenig Beamte des gehobenen Dienstes und seien zu kopflastig. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Personalstärken für die Wehrbereichsverwaltung kann ich ja nicht nach Belieben erfinden; das ist Ihnen doch bekannt. Ich werde hier später einmal sehr genaue Stellenpläne vorzulegen haben, und zwar mit Recht. Bisher können wir die Dinge doch nur so machen, daß die Stellen, die wir besetzen, vorher zwischen uns und dem Finanzministerium — ich glaube, ich darf von meinem Herrn Kollegen, dem Finanzminister, wohl sagen, daß er in dem Rufe steht, nicht der Nachgiebigste zu sein - und dem Rechnungshof genau besprochen und festgelegt werden. Ich kann mir also nicht vorstellen, daß es dem Bundesverteidigungsminister beim Einschalten dieser beiden Instanzen möglich gewesen wäre, nach dem Bestreben, kopflastig zu sein, sehr viel höhere Beamte zu haben.
Im übrigen bedaure ich, daß ich gar nicht mehr Beamte habe; denn wir leben im Zeitalter der Vollbeschäftigung, Gott sei Dank. Der Bundesvertigungsminister ist leider Gottes der letzte, der auf den Plan tritt, um nunmehr auch Menschen gewinnen zu können. Er ist in einer sehr schwierigen personellen Lage, auch was die Beamten anbetrifft.
Ich muß kurz etwas zu der Fliegerzulage sagen. Herr Kollege Erler, es hat mich sehr gefreut, daß Sie dieses Thema angeschnitten haben, als der Bundesverteidigungsminister sich erkühnte, für die Leute, die fliegen, und für die Leute, die als Flieger ausgebildet werden — ich bitte, für einen Augenblick einmal zu überlegen, was es bedeutet, wenn sich Männer, die heute das 40. Lebensjahr bereits überschritten haben, die Weltkriegsflieger waren, noch einmal einer vollen Ausbildung in den Vereinigten Staaten unterzogen haben, heute in diesem Lebensalter, was man im allgemeinen in der Welt nicht tut, auf die modernsten Düsenmaschinen setzen müssen, um wieder als Lehrer tätig zu sein —, den Antrag zu stellen, ihnen auch die Fliegerzulage zu geben, die es in der ganzen Welt gibt, Herr Kollege Erler. Da ist der Antrag abgelehnt worden mit der, ich will nicht sagen: Begründung, aber immerhin mit der Bemerkung, daß heute ja jeder Fußgänger in Gefahr sei. Als aber die Leute unten von den Flugplätzen — und Respekt vor meinen Leuten! — sich einmal selber an das Parlament wandten, da haben allerdings, Herr Kollege Erler, der Haushaltsausschuß und der Verteidigungsausschuß, der dabei mitgewirkt hat, einstimmig die jetzt geltende Fliegerzulage beschlossen.
Nun will ich Ihnen etwas über die Differenzierung der Fliegerzulage sagen, in der Sie offenbar eine sozial nicht gerechte Regelung sehen. In der ganzen Welt wird die Fliegerzulage wie folgt beurteilt: 50 % Leistungszulage, 50 % Gefahrenzulage. Daß die Leistung eines Lehrers und damit eines Offiziers, der x-mal mit einem Kandidaten aufsteigen muß, wegen der Gefahr höher honoriert werden muß als die Leistung des Mannes, der immer nur einmal aufsteigt, das scheint mir eine bare Selbstverständlichkeit zu sein, wie sie auch in allen anderen Staaten anerkannt wird.
Im übrigen, glaube ich, werden sich diese Dinge von selbst regeln; denn ich habe die Hoffnung auf das gesunde Sozialempfinden dieses Bundestages. Ich weiß, daß dies ein Parlament ist, das sich wirklich ernst mit sozialen Problemen beschäftigt. Ich habe die Hoffnung, daß dieses Parlament auch seinen Soldaten materiell das zukommen läßt,
worauf diese Soldaten einen berechtigten Anspruch haben.
Noch ein Weiteres: die innere Führung. Ich weiß, wenn man irgend etwas über das Bundesverteidigungsministerium sagen will, dann ist bekanntlich die innere Führung in Gefahr. Ich habe mich über diese Frage ja sehr oft äußern müssen. Herr Kollege Erler, ich kann mir denken, woher Sie diese Information haben. Ich sage hier mit aller Klarheit: Ich werde in meinem Hause keine Diva und keinen Personenkult dulden.
- Ich weiß genau, was das soll. — Was wir gemeinsam ausgearbeitet haben, nicht nur das Ministerium, sondern dankenswerterweise auch dieses Parlament, insonderheit die Damen und Herren des früheren Sicherheits- und jetzigen Verteidigungsausschusses, hat, wie Sie wissen, seinen Niederschlag in den Gesetzen gefunden; wenn nicht in vollem Umfang, dann müßten Sie sich da einen Vorwurf machen. Deshalb behaupte ich: in vollem Umfang. Bei all den Gesetzen, die wir noch zu machen haben werden, wird es weiter seinen Niederschlag finden. Dieses Parlament hat es selber in der Hand, ob es bei der Gestaltung der Gesetze das dort verwirklichen will oder nicht. Ich bin glücklich darüber, daß, unbeschadet der prinzipiellen Frage, ob deutscher Verteidigungsbeitrag oder nicht, in dieser praktischen Ausgestaltung dieses Parlament bisher eine bewundernswerte Einheit dargestellt hat; und das wird, glaube ich, so bleiben.
Aber diese Gedanken der inneren Führung finden ihren Niederschlag natürlich nicht nur in Gesetzen, sie finden ihren Niederschlag auch in gewissen Dienstanweisungen und -vorschriften. Ich sehe dort meinen Kollegen, den Abgeordneten Dr. Kliesing. Er hat noch vor kurzem von mir verlangt, daß ich ihm für seinen Unterausschuß „Innere Führung" sämtliche Vorschriften zur Verfügung stelle, die das Bundesverteidigungsministerium bisher erlassen hat. Ich bin dem Wunsche gern nachgekommen. Herr Kollege Dr. Kliesing, nichts würde mich mehr freuen, als wenn Ihre Belastung es Ihnen recht bald zuließe, die Dinge zu prüfen. Ich bin sicher, Sie werden in vielem damit einverstanden sein. Wenn Sie hier und da etwas finden sollten, — nun, meine Damen und Herren, der Bundesverteidigungsminister hat zu allen Zeiten dankbar anerkannt, wenn ihm aus dem Parlament Anregungen kamen, wenn ihm aus dem Parlament Unterstützung kam, auch in der Frage der inneren Führung. Die innere Führung ist nicht in Gefahr, wenn vielleicht der eine oder der andere glaubt, er sei bei einem Lehrgang um eine Stunde zu kurz gekommen. Wie wir das mit unseren Offizieren machen wollen, habe ich gerade noch heute nachmittag unter Ihrem Vorsitz dankenswerterweise wieder auf einem Teilgebiet ausführen können.
Was nun die volkswirtschaftlichen Fragen angeht, so möchte ich dazu im wesentlichen, wenn es in der Konjunkturdebatte noch nicht gesagt sein sollte, die Ausführungen meinem Kollegen Erhard überlassen. Wir haben das Prinzip festgelegt, daß für diese großen Fragen des Rüstungsbedarfs das Wirtschaftsministerium die wirtschaftspolitische Verantwortung übernimmt. Freilich, wenn man ein Schiffsbauprogramm in Auftrag gibt, dann hat man sich, wenn man den Auftrag gibt und die Anzahlung leisten muß, selbstverständlich auch verpflichtet, das Gesamte zu bezahlen. Das, Herr Kollege Erler, kann ich so lange nicht ändern, als man Schiffe nicht so bauen kann, daß man sich Jahr für Jahr ein Einzelteil kauft und das dann später einmal zusammenmontiert.
Solange man ein Schiff auf einer Werft bauen muß — —
— Ach, Herr Wehner, ach, Herr Wehner!
— Nein, Herr Wehner, das ist nicht billig, das sind nüchterne Tatsachen, denen man ins Auge sehen muß.
— Ich habe nicht provoziert. Ich antworte auf den Vorwurf, daß, wenn ich ein Schiffsbauprogramm anlaufen lasse, Milliarden gebunden seien. Das ist eine bare Selbstverständlichkeit.
— Ob ich das verstanden habe oder nicht, überlassen Sie mir! Ich glaube, daß ich das sehr gut verstehen kann.
— Ich glaube, daß ich das sehr gut verstanden habe; Ihre Belehrung brauche ich weiß Gott nicht. Im übrigen kann ich es nachlesen.
Nun noch folgendes. Sie können einer Werft keinen Auftrag geben, wenn nicht klar ist, was dieser Auftrag beinhaltet. Wir können keine Ausschreibungen machen, und man kann nicht einen Mantel auf Abzahlung kaufen, wenn man nicht beim Zahlen der ersten Rate auch ganz klar weiß, daß die Folgesummen aufzubringen sind.
Insofern muß man diese Bindung eingehen. Das ist ganz einfach wirtschaftliche Gepflogenheit.
— Ich will Sie ja gar nicht belehren.
Nun der Bau des deutschen Verteidigungsministeriums. „Man wird ein Verteidigungsministerium bauen, weil man den Konflikt fürchtet; sonst brauchte man doch kein Verteidigungsministerium", sagt Herr Erler. Meine sehr verehrten Damen und Herren, gegen diese Denkweise muß ich mich allerdings entschieden zur Wehr setzen. Wir brauchen einen deutschen Verteidigungsbeitrag, nicht, weil wir einen Konflikt fürchten, sondern weil wir das deutsche Volk vor einem solchen Konflikt bewahren wollen; das ist der Sinn!
Und das Bundesverteidigungsministerium braucht deshalb einen Bau — den Sie ja erst noch zu beschließen haben —, weil die Angestellten, Beamten und Arbeiter dieses Ministeriums, die sich gegenwärtig an 47 Stellen befinden, die keine Kantineneinrichtungen haben, die kilometerweite Anmarschwege haben, ein soziales Recht darauf haben, genau wie alle anderen Beschäftigten einen ihnen zumutbaren Arbeitsplatz zu bekommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Tonart, in der der Herr Bundesverteidigungsminister hier geantwortet hat, erinnert mich lebhaft an gewisse Vorbilder, die ich hier nicht näher nennen will.
Aber ich wäre dankbar, wenn der Bundesverteidigungsminister eine andere Tonart anschlüge.
Nun möchte ich zu einigen Einzelheiten sprechen, zunächst zu der Frage der Fliegerzulage, da ich als Mitglied des Haushaltsausschusses zweimal dabei war, als diese Sache zur Behandlung kam. Herr Bundesverteidigungsminister, vielleicht haben Ihnen Ihre Räte berichtet, daß es sozialdemokratische Mitglieder des Haushaltsausschusses gewesen sind, die während des noch nicht ausgetragenen Konflikts zwischen Ihrem Ministerium und dem Bundesfinanzministerium erklärt haben, daß sie verlangen müßten: wenn man schon Milliardenbeträge für die Rüstung aufwende und wenn man schon Menschen in Düsenflugzeuge setze, müsse man aus Gründen der Menschlichkeit und aus sozialer Verpflichtung rasch eine angemessene Fliegerzulage gewähren. Das besagt nichts bezüglich der Ausstellung, die der Herr Kollege Erler hier hinsichtlich der Differenzierung gebracht hat.
Ihre Bemerkung, Herr Verteidigungsminister, zu den gebundenen Milliarden eines Schiffbauprogramms veranlaßt doch zu der Feststellung — und Sie haben es ja später zugegeben —, daß Sie, wenn Sie 350 Millionen DM als erste Rate für ein Schiffbauprogramm von 3,5 oder 3,8 Milliarden DM zahlen wollen, damit Bindungen verlangen und Bindungen eingehen wollen.
— Selbstverständlich? Wie selbstverständlich? Ohne das Parlament?
Meine Damen und Herren, ich bin überrascht - eigentlich haben wir es ja in den letzten beiden Tagen verlernt, überrascht zu sein —,
in welcher Weise sich die Mehrheit dieses Hauses
Wünschen beugt und zu beugen gewillt ist, die
praktisch nichts anderes bedeuten als eine Außerachtlassung der elementarsten parlamentarischen Pflichten in bezug auf eine Haushaltsberatung.
Herr Verteidigungsminister, Sie fordern in einer einzigen Summe, ohne irgendeine detaillierte Nachweisung, 8 767 000 000 DM, und Sie vertrösten das Parlament mit dem Hinweis darauf, daß zwei Bundestagsausschüsse, der für Verteidigung und der für den Haushalt, die Vollmacht hätten, namens des Hauses im Rahmen einer Vorwegbewilligung die Entscheidung zu treffen, und Sie bezeichnen das System der Vorwegbewilligung auch heute wieder, wie früher, als eine zwingende Notwendigkeit. Herr Minister, Sie übersehen — oder wollen sie nicht sehen — die Tatsache, daß diese Ausschüsse, wie es in der Natur der Dinge liegt, unter Ausschluß der Öffentlichkeit hinter verschlossenen Türen, allein besucht und beehrt durch die Bürokratie, tagen und daß die öffentliche Auseinandersetzung, die Auseinandersetzung, die allein einen Wert hat, wenn nicht post festem lediglich irgendwelche Tatsachen zur Kenntnis genommen werden sollen, vor der Bewilligung und vor der Schaffung vollendeter Tatsachen damit umgangen und durchkreuzt wird.
— Das hat es nicht gegeben im Wilhelminischen Deutschland, das gibt es heute in keinem demokratischen Land der Erde.
Der Herr Bundesverteidigungsminister hat auch die Erinnerung an die vorjährige Beschlußfassung der beiden Ausschüsse heraufbeschworen. Damals wurden Abgeordnete aus ihren wohlverdienten Parlamentsferien zurückgeholt. Sie mußten im Juli oder Anfang August wegen Bewilligungen tagen, die so dringlich erschienen und als so dringend bezeichnet wurden, daß ich baß darüber erstaunt war, daß noch Monate später von der Vorwegbewilligung kein Gebrauch gemacht worden war und kein Gebrauch gemacht werden konnte. Ich weiß nicht, ob Sie die Absicht haben, Herr Bundesverteidigungsminister, dieses Spiel zu wiederholen. Aber ich befürchte — und damit knüpfe ich an das an, was ich gestern dem Herrn Bundesfinanzminister gesagt habe, als ich ihn bat, diesen Weg nicht weiter mitzugehen —, daß folgendes eintreten wird: in dem Augenblick, in dem Sie die summarische Bewilligung eines Einzelhaushalts mit 8,7 Milliarden DM verlangen, in einem Augenblick, wo das vor sich gehen soll, werden Sie bereits eine Vorwegbewilligung in Vorbereitung haben, mit der unmittelbar nach der Verabschiedung dieses Haushalts mit der einen Summe hinter den verschlossenen Türen der beiden Ausschüsse ein Betrag — Herr Minister, Sie können mich ja berichtigen — von sagen wir 2 bis 2,5 Milliarden DM verlangt wird; darüber hinaus werden Sie möglicherweise noch Bindungsermächtigungen über vielleicht 6 oder auch 7 Milliarden DM verlangen.
Herr Bundesverteidigungsminister, Sie haben vorhin gemeint, das Parlament beweise eine bewundernswerte Einheit. Ich muß Sie enttäuschen. Die bewundernswerte Einheit können Sie bestenfalls bei Ihren Koalitionsparteien konstatieren. Wir werden aus Gewissensgründen die Methoden nicht mitmachen. Herr Minister, Sie sind nicht
nur Minister, Sie sind ja auch Mitglied des Hohen Hauses, Sie sind Abgeordneter. Ich habe den Eindruck, daß der Geigerzähler Ihres parlamentarischen Gewissens nicht ausschlägt, daß er nicht funktioniert. Sonst könnten Sie dem Hause und auch dem Bundesrat so etwas nicht zumuten. Tatsache ist doch, daß eine Vorwegbewilligung ein Akt ist, der dem Hohen Hause, also dem verantwortlichen Parlament, entzogen ist. Tatsache ist, daß durch eine Vorwegbewilligung, zu der die beiden Ausschüsse des Bundestages ermächtigt werden sollen, dem Bundesrat, der Vertretung der Länder, die Möglichkeit der Einwirkung auf den Inhalt dieser Vorwegbewilligung genommen wird. Tatsache ist, Herr Minister, daß die Vorwegbewilligung später, wenn sie schon Rechtens geworden ist, auf Grund der Vollmacht, die hier erteilt werden soll, in einen Nachtragshaushalt mit den erforderlichen Einzelheiten kommt, zu dem Bundesrat und Bundestag nur ja und amen sagen können, weil sie daran nichts mehr ändern können. Ich möchte das als eine Farce bezeichnen.
Das hat mit Parlamentarismus und mit Verantwortlichkeit nichts mehr zu tun.
Und dann ein Letztes. Der Herr Bundesverteidigungsminister ist meiner Meinung nach hier und heute dem Bundestag Auskunft zu folgender Frage schuldig: Gehen Ihre Ansprüche im Rahmen der 8,7 Milliarden DM, der einen Summe Ihres Haushalts, auf Vorwegbewilligung und Bindungsermächtigung so weit, oder gehen sie nicht so weit, daß dem Herrn Bundesfinanzminister noch die Möglichkeit bleibt, das Versprechen zu erfüllen, das er gestern an dieser Stelle gegeben hat, nämlich, die Milliardenbeträge, die eventuell für Stationierungskosten erforderlich werden und bewilligt werden sollen, aus diesen Mitteln zu nehmen? Denn im Einzelplan 35 stehen für Stationierungskosten nur 232 000 DM. Wenn also für diesen Zweck Milliardenbeträge aufgewandt werden sollen, dann, meine Herren von der Bundesregierung, müssen Sie dem Hause hier und jetzt sagen, ob sie aus den Mitteln des Einzelplans 14 genommen werden sollen oder wo sonst her. Wenn sie aus dem Einzelplan 14 genommen werden sollen, dann hat das Haus und dann hat unser Volk ein Recht darauf, jetzt zu wissen, in welchem Umfang Sie nach der Verabschiedung eines solchen Scheinhaushaltes Vorwegbewilligungen und Bindungsermächtigungen auf Grund der angestrebten Vollmacht erteilt haben wollen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Berendsen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei ganz kurze Bemerkungen! Während der Rede des Herrn Kollegen Erler habe ich mir das Sitzungsprotokoll der 71. Sitzung vom 26. Februar 1955 kommen lassen. Der Kollege Erler hat damals auch gefordert, daß eine derartige Veranschlagung erfolgt. Der Herr Bundesfinanzminister schüttelte dazu den Kopf.
Ich habe — Protokoll Seite 3784 A — folgendes gesagt:
Nun hat aber der Herr Bundesfinanzminister nach § 8 Abs. 2 der Reichshaushaltsordnung feste Pflichten.
Ich habe zitiert, daß bei der erstmaligen Anforderung von Mitteln die Summen nach Inhalt und Dauer zu erläutern sind. Der Herr Abgeordnete Dr. Dresbach, der ein kluger und kritischer Mann ist, machte den Zwischenruf:
Herr Gülich, in dem ersten Haushaltsplan, wo die Zahlen in Erscheinung treten, sind die Erläuterungen zu geben. Das wird er auch schon besorgen!
Auf meine ironische Bemerkung: „Ach, das wird er besorgen", gab es nach dem stenographischen Protokoll Heiterkeit und Zurufe von der Mitte: „Wird, Wird!". Nun, Sie haben gesehen, was er „wird, wird".
Und jetzt kommt die wahrhaft ermüdende, seit einigen Tagen immer wieder wiederkehrende Behauptung: Wir haben ja 1949 bei dem Aufbau der Bundesverwaltung auch mit einem System von Vorwegbewilligungen gearbeitet. Hier ist es auf den Aufbau einer neuen Verwaltung beschränkt. Aber wollen Sie beim Aufbau aller neuen Verwaltungen jetzt mit dem System von Sonderbewilligungen arbeiten?
Wir haben doch seit fünf oder sechs Jahren Hunderte von Militärs und Hunderte von Verwaltungsbeamten im Verteidigungsministerium — Herr Blank nannte sie vorhin „meine Bediensteten" —;
können denn diese seine Bediensteten nicht — und das habe ich vor zwei Jahren gefordert — eine solche Aufstellung machen? Sollte man nicht endlich in der Lage sein, einen aufgegliederten Haushaltsplan vorzulegen? Aber der Herr Kollege Ritzel hat recht: Wir werden es erleben; wenn die Globalsumme bewilligt ist, dann kommt auch der längst fertige Vorwegbewilligungsplan zum Vorschein, und der nächste und der übernächste sind im Entwurf auch schon fertig.
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß es notwendig ist, mit dem Herrn Verteidigungsminister einmal eine Klärung darüber herbeizuführen, welche Körperschaft eigentlich das Parlament ist.
Das Parlament ist das Plenum. Die Ausschüsse des Parlaments sollen dem Plenum bei der Arbeit helfen. Aber die Ausschüsse des Parlaments können unter gar keinen Umständen als Ersatz des Parlaments betrachtet werden.
Das ist nun einmal ein sehr wichtiger Unterschied. Hier wurde durch den Herrn Minister der Eindruck erweckt, das Parlament sei in vollem Umfang an der Ausarbeitung der Voranschläge auf dem Gebiet der Verteidigung dadurch beteiligt worden,
daß die Vorwegbewilligungsanträge in zwei Ausschüssen verhandelt worden seien; das Parlament habe sogar zweimal Stellung nehmen können, denn hinterher, in dem Nachtragshaushaltsplan, den wir für die abgelaufene Zeit bekommen haben, stehe noch einmal das Ergebnis dieser Vorwegbewilligungen. Aber, meine Damen und Herren, dieser Nachtragshaushaltsplan kann an den Vorwegbewilligungen nichts mehr ändern; er registriert nur, was schon geschehen i s t.
Damit ist tatsächlich das Plenum in seiner wesentlichen Aufgabe als Beschlußkörperschaft bei der Feststellung des durch Gesetz zu beschließenden Haushaltsplans behindert worden.
Dadurch ist weiter der Bundesrat an seiner Aufgabe gehindert worden, mitzuwirken bei der Feststellung eines so wichtigen Teils des Bundeshaushalts, wie es die Verteidigungsausgaben nun einmal sind.
Mehr wollte ich dazu gar nicht sagen. Das hat der Kollege Ritzel auch festgestellt, und ich habe nicht den Eindruck, daß der Herr Verteidigungsminister diese Ausführungen hat entkräften können durch das Lob, das er gespendet hat, sehr freimütig nach allen Seiten, dem Haushaltsausschuß, dem Verteidigungsausschuß,
den Unterausschüssen dieser Ausschüsse
und auch den Angehörigen des Ministeriums.
Aber lassen Sie mich gleich dazu noch etwas sagen, weil mich dabei eine Frage beunruhigt, Herr Minister. Sie haben die Art, jede Feststellung. die schließlich nicht immer gleich eine Kritik sein muß, als einen persönlichen Angriff auf Sie zu empfinden. Sie haben hier unterstellt, daß mir in einer bestimmten Frage, entsprungen der Sorge um das innere Gefüge. Informationen zugeflossen seien. Dann fiel von Ihnen das harte Wort: In meinem Hause gibt es keine Diva und keinen Personenkult. Herr Minister, ich möchte Ihnen ganz nüchtern sagen: Den Mann, den Sie im Auge haben und den die meisten von uns kennen, habe ich seit Monaten überhaupt nicht gesehen, mit ihm kein Wort gewechselt. weder am Telefon noch sonstwo, keinen Briefwechsel mit ihm unterhalten. Die Sorge, die uns bewegt, ist nicht die Sorge, ob dieser Mann als Referent Ihres Hauses mehr oder weniger lange in Sonthofen redet. Das habe ich erst aus Ihren Bemerkungen erfahren, daß das offenbar auch mal ein Problem gewesen ist.
— Nein wir meinen beide genau den gleichen. Ich möchte vor diesem Hause sagen, daß entgegen der Art, wie der Herr Verteidigungsminister diesen Mann von dem Dank an die Angehörig en seines Hauses ausgenommen hat, dieser Mann, auf dem heute nach den Erklärungen des Ministers ein schwerer Vorwurf lastet
— es handelt sich um den Grafen Baudissin, wenn Sie es wissen wollen! —, für die Arbeit, die er in der Öffentlichkeit für die Sache des Ministeriums geleistet hat, mindestens den gleichen Dank verdient wie die anderen Angehörigen des Ministeriums, denen er zuteil wurde.
Wir wollen hier keine Auseinandersetzung mit dem Minister über einzelne Persönlichkeiten; das ist gar nicht das Problem. Aber ich bin davon überzeugt, daß der Bundestag schlecht beraten wäre, wenn er dem Irrtum nachhinge, als könne man allein durch ein paar gesetzliche Bestimmungen den künftigen Geist der Truppe bestimmen. Das, was in Worten seinen Niederschlag gefunden hat, muß vielmehr umgesetzt werden in die alltägliche Arbeit. Und da habe ich Sorge, daß die Gedanken, zu denen die übergroße Mehrheit dieses Hauses sich bekannt hat, einfach untergehen unter dem Zeitdruck, in dem jetzt an die Aufstellung bestimmter Verbände herangegangen wird, und der geistigen Seite, der persönlichen Seite dieses Problems nicht mehr die nötige Sorgfalt und Beachtung geschenkt wird. Das ist eine Gefahr. Der Herr Minister sieht sie nicht; wir jedenfalls sehen sie. Ich finde, die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, daß der Minister sich hierzu vor dem ganzen Volke ausdrücklich bekennt, daß er erklärt, daß nicht nur in Gesetzen, sondern in der Ausgestaltung von Lehrplänen, in der Ausarbeitung von Unterrichtsmaterial, in dem Geist des zu erteilenden Unterrichtes jene Prinzipien verwirklicht werden, für die er früher diese seine Ministerialangehörigen vor die junge Generation geschickt hat, damit sie ihr das draußen verkünden. Sonst wird das als ein Wortbruch empfunden werden. Diesem Vorwurf sollte sich am allerwenigsten der Verteidigungsminister einmal aussetzen müssen.
Und ein Letztes! Meine Damen und Herren, ich weiß auch, daß man ein Schiff nicht in Scheiben schneiden und jedes Jahr eine Scheibe kaufen kann. Das war einfach eine klare Verkennung der Bedeutung meiner Ausführungen zu diesem Thema.
Was habe ich denn gesagt? Ich habe darauf hingewiesen, daß wir keine Aufgliederung bekommen, was die 9 Milliarden bedeuten. Erst in den Vorwegbewilligungen sieht man, daß da z. B. 300 Millionen für ein Schiffbauprogramm drin sind und daß Sie mit diesen 9 Milliarden gleichzeitig noch eine ganze Reihe von Milliarden schon festgelegt haben. Sicher, das ist bei derartigen Beschaffungen unvermeidlich. Aber das Parlament muß das wissen, darauf kommt es an.
Es darf ihm nicht verschwiegen werden, welche
Verpflichtungen für die Zukunft es mit der Verabschiedung dieser Summe bereits eingegangen ist.
Was die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge mit der Fondsbildung angeht, so ist der Umstand, daß es im Verteidigungsministerium Überlegungen dieser Art offenbar kaum gibt, sondern daß diese Überlegungen vor allem im Wirtschaftsministerium angestellt oder auch unterlassen werden, eine Tatsache, die wir nur registrieren können; darüber wird in der Konjunkturdebatte zu sprechen sein.
Meine Damen und Herren, hier hat uns eine kleine Arabeske ein paar Minuten aufgehalten. Nur zur Feststellung des Wertes der Argumente des Herrn Ministers: Er sprach davon, daß natürlich bei der Fliegerzulage, diesem relativ unwichtigen, aber für die Betroffenen doch höchst bedeutsamen Problem, derjenige eine höhere Zulage haben müsse, der die größere Gefahr habe. Sicher! Das richtet sich danach, ob jemand nur fliegt oder Fluglehrer die höhere Gefahr erleidet. Der Fluglehrer kann durchaus z. B. ein Oberfeldwebel sein und derjenige, der fliegt, unter Umständen ein Major. Das ist eine Frage der Funktion — für eine solche Staffelung hätte ich Verständnis —, das ist aber keine Frage des militärischen Dienstgrades.
Das wollte ich hier nur einmal ganz nüchtern feststellen, damit wir sehen, daß mitunter auch die Argumente von der Regierungsbank nicht absolut hieb- und stichfest sind.
Das Wort hat der Herr Bundesverteidigungsminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar kurze Bemerkungen!
Herr Kollege Ritzel, da ich nicht Materialist bin, prüfe ich mein Gewissen nicht mit dem Geigerzähler, sondern ich prüfe und orientiere es an den Sittengesetzen, die meiner Weltanschauung und meinem Glauben entspringen.
Ein Zweites! Immer, wenn eine Debatte über das Bundesverteidigungsministerium und seine Aufgaben stattfindet, spricht man von dem Gespenst der bedrohten Inneren Führung. Ich stelle fest, daß ich als erster diese Aufgabe übernommen habe. als es Mitarbeiter bei mir noch nicht gab. Ich kann Ihnen aktenkundig darlegen, daß es keinen Mitarbeiter in meinem Hause gibt. der nicht beim Beginn seiner Tätigkeit auf der Linie arbeiten mußte, die ich durch meine ersten Grundsätze festgelegt hatte. Dazu gehören die Fragen der Inneren Führung.
Was den Zeitdruck anbetrifft, so wird der Verteidigungsminister häufig von zwei entgegengesetzten Seiten attackiert. Die einen behaupten, er mache das zu schnell, und die anderen behaupten, er mache das zu langsam.
Die Planungen sind seit langem festgelegt, und ich hoffe, sie laufen in diesem Zeitmaß ab. Das geplante Zeitmaß enthält selbstverständlich auch all die Arbeit, die auf dem Gebiete der Inneren Führung geleistet werden muß. Aber die Innere Führung wird nicht dadurch besser, daß sie Tag für Tag Gegenstand des Gespräches ist. — Ich glaube, Sie wollen mich etwas fragen.
Herr Minister, gestatten Sie dem Abgeordneten Erler eine Frage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gern, Herr Präsident!
Herr Minister, ich habe soeben gehört, daß die Planungen seit langem festgelegt sind. Wie erklärt sich dann der Satz in den Vorbemerkungen, daß wir den Haushaltsplan erst bekommen könnten, wenn die Planungen festlägen? Sie sind also noch gar nicht festgelegt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das kann ich Ihnen ganz genau sagen, Herr Kollege Erler. Wir sprachen jetzt implicite von den personellen Planungen; denn Sie haben von dem Zeitdruck gesprochen, der es dann nicht möglich mache, allen diesen wichtigen Dingen genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn ich von den Planungen spreche — und sie sind Ihnen genau bekannt, ich habe sie Ihnen oft genug auseinandergelegt —, meine ich das personelle Anwachsen der Verteidigungsstreitkräfte. Da ist genügend Gelegenheit, das zu behandeln. Aber das braucht noch lange nicht identisch zu sein mit den Planungen bezüglich der Bewaffnung und der Ausrüstung. Denn Sie wissen genau, daß es hier fortlaufend neue Probleme zu bewältigen gibt, weitere Verhandlungen über Außenhilfe, weitere Verhandlungen darüber, ob man sich zum Kauf dieser oder jener Dinge entschließt, und weiteres ständiges Beobachten und Neuplanen entsprechend der Entwicklung. — Ich glaube, Sie wollen noch eine Frage stellen.
Herr Minister, gestatten Sie dem Abgeordneten Ritzel eine Frage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gern, Herr Präsident!
Herr Minister, sind Ihre Planungen, die die Grundlage Ihres demnächst zu erwartenden Antrages auf Vorwegbewilligung von Milliardenbeträgen bilden werden, soweit gediehen, daß bereits in der nächsten Zeit — ich meine also, noch während der Zeit bis zu den Parlamentsferien — mit dieser Anforderung einer Vorwegbewilligung gerechnet werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich bitte vielmals um Entschuldigung, aber ich wurde einen Augenblick abgelenkt, da mir etwas heraufgereicht wude. Ich habe daher den Kern Ihrer Frage nicht erfaßt. Darf ich unter diesen Umständen bitten, daß Sie sie wiederholen.
Ich will sie gern wiederholen. Ich habe gefragt, Herr Minister, ob Ihre Planungen für die demnächst zu erwartende Vorwegbewilligung bereits, abgesehen vom Personellen, so weit gediehen sind, daß Sie in der Lage sind, detaillierte Anforderungen für Milliardenbeträge geltend zu machen — als Vorwegbewilligung — in einer Zeit, die noch vor dem Zeitpunkt liegt, in dem das Parlament in die Ferien geht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einem Teil ja, zu einem kleinen Teil. Denn wir haben einen solchen Vorwegbewilligungsantrag soweit vorbereitet. Wir haben einen Nachtragshaushalt vorbereitet, von dem ich aber nicht weiß, ob er noch so rechtzeitig fertiggestellt werden kann, daß er. vor dem Auseinandergehen des Parlaments behandelt wird.
Im übrigen, Herr Kollege, entschuldigen Sie, daß ich die Gelegenheit wahrnehme, gleich noch etwas zu sagen. Sie haben vorhin gesagt, der Bundesrat erfahre das nicht. Darf ich darauf hinweisen, daß ich sogar alle Vorwegbewilligungsanträge — die
ich dem Bundesrat nicht zuzuleiten brauchte — auf Grund einer Absprache dennoch dem Bundesrat zuvor zuleite und zur Kenntnis bringe, ehe sie an den Bundestag gehen.
Gestatten Sie eine weitere Frage, Herr Minister?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, gern!
Darf ich noch die weitere Frage stellen, Herr Minister: Liegt ein Beschluß des Bundesrates vor, wonach er auf sein Budgetrecht verzichtet?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mir ist nicht bekannt, daß der Bundesrat auf sein Budgetrecht verzichtet. Mir ist auch nicht bekannt, ob er einen solchen Beschluß gefaßt hat. Aber mir scheint es undenkbar, daß der Bundesrat einen solchen Beschluß fassen würde.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Haben Sie keine Sorge, daß ich zu dem eigentlichen Problem noch einmal das Wort ergreife. Ich möchte nur ganz kurz zu dem Antrag Umdruck 685 im Zusammenhang mit dem von der Koalition gestellten Antrag einige Bemerkungen machen.
Ich bitte Sie, im Zusammenhang mit dem Antrag Umdruck 685 den Umdruck 664 zur Hand zu nehmen, der zwar beim Einzelplan 27 ressortiert, der aber genau die gleiche Sache trifft. Sie werden finden, daß wir dort 2 Millionen DM — die Mittel sind gesperrt — „Für Förderung von gesamtdeutschen Aufgaben der deutschen Hochschulen" gefordert haben. In diesem Antrag ist der sogenannte Dozentenplan enthalten, der 300 neue Assistentenstellen und 100 neue Dozentenstellen vorsieht, so daß das Anliegen, das im Antrag Umdruck 685 (neu) von den Antragstellern der SPD vorgebracht worden ist ,sogar übertroffen wird.
Ich bin aber um der Sache willen, Herr Professor Gülich, bereit, den ersten Satz Ihres Antrages hier mit hineinzunehmen, und ich bin bereit, den Zusatz bei dem Koalitionsantrag: „Davon werden mindestens 7 Millionen DM zur Verfügung der Max-Planck-Gesellschaft gestellt" durch den Satz zu erweitern: „Außerdem werden 9,6 Millionen DM der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Bad Godesberg zur Verfügung gestellt". Weiter können wir leider nicht mit Ihnen gehen. Ich glaube aber, daß dieses Anliegen auch das Ihre trifft, und hoffe, daß Sie restlos damit einverstanden sein werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Jaeger.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte um den Haushalt des Verteidigungsministeriums hat einen besonderen Punkt berührt, den unsere Fraktion so nicht im Raume stehen lassen kann. Ich weiß nicht, welche Person der Herr Verteidigungsminister gemeint hat. Aber ich weiß, welche Person der Herr Kollege Erler gemeint hat, als er Vorwürfe zurückwies. Da die Möglichkeit besteht, daß man in der
Öffentlichkeit annimmt, der Verteidigungsminister habe denselben Mann gemeint, möchte ich hier klar und eindeutig feststellen: Die Fraktion der CDU/ CSU fühlt sich dem Verteidigungsminister und allen seinen Mitarbeitern zu Dank verpflichtet, nicht zuletzt, ich möchte sagen, ganz besonders dem Grafen Baudissin.
Die Ideen einer modernen Menschenführung in der Armee eines demokratischen Staates sind bestimmt nicht das Werk eines einzigen Mannes. An ihnen hat bestimmt der Herr Bundesverteidigungsminister von Anfang an großen Anteil gehabt, an ihnen haben zweifellos die Damen und Herren großen Anteil gehabt, die im Bundestagsausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit und heute für Verteidigung im 1. Bundestag saßen und im 2. Bundestag sitzen. Anteil daran haben auch die Mitarbeiter des Ministers. Aber es ist keine Frage, daß das Durchdenken und die Formulierung dieser Ideen in besonderer Weise durch den Grafen Baudissin in voller Übereinstimmung mit dem Bundestagsausschuß für Verteidigung erfolgt sind, und ich darf erklären, daß die Fraktion der CDU/CSU sich zu diesen Gedanken der Inneren Führung wie am ersten Tage so auch heute bekennt.
Wünscht noch jemand das Wort? — Das Wort hat der Abgeordnete Schneider .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seien Sie unbesorgt, ich will keine lange Rede halten. Ich möchte aber zu den Bemerkungen, die zuletzt vom Kollegen Erler und vom Kollegen Jaeger gefallen sind — ohne zu dem Thema inneres Gefüge oder zu der Person, die mit diesem Thema sehr eng zusammenhängt, Stellung zu nehmen —, im Namen meiner politischen Freunde feststellen, daß ich es für einen sehr schlechten parlamentarischen Stil halte, wenn hier der Dank einzelnen Personen ausgesprochen und damit quasi gewogen wird, was der eine .mehr oder weniger getan hat. Ich glaube, wenn wir überhaupt einen Dank auszusprechen haben, — —
— Herr Kollege, lassen Sie mich bitte ausreden; ich habe Ihre Redner auch nicht unterbrochen! — Wenn wir also danken wollen, dann kann es sich nur darum handeln, festzustellen, daß alle Bediensteten des Verteidigungsministeriums, gleich ob sie Zivilisten, Offiziere, Unteroffiziere oder Soldaten sind, ihrer Pflicht vollauf nachgekommen sind. Ich stehe auch gar nicht an, zu erklären, daß die vielfältigen Unzuträglichkeiten, die heute in der Offentlichkeit beklagt werden — den einen geht es zu langsam, wie ich glaube, den meisten zu langsam, und den anderen geht es zu schnell —, daraus resultieren, daß das Verteidigungsministerium tatsächlich mit seinem Mitarbeiterstab einfach nicht in der Lage ist, die gestellten Aufgaben wie gewünscht zu bewältigen, um so mehr, als es sich ja um einen vollkommenen Neubeginn im Aufbau der Bundeswehr handelt. Wir alle sollten, ohne diesen oder jenen besonders hervorzuheben oder zu loben, darauf hinwirken, daß die notwendigen
Voraussetzungen geschaffen werden, daß weniger
geredet wird und daß schneller Soldaten kommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur feststellen: es ist der Herr Bundesverteidigungsminister gewesen, der hier bei seinen Danksagungen nach unserem Empfinden, nach der Auffassung derer, die hören können, einen Mann ausgeschaltet hat.
Deswegen hielten wir es für unsere Sache, unsere Meinung dazu zu sagen. Ich spreche nur noch einmal dazu, weil Herr Kollege Schneider jetzt die Sache umdreht und sagt, er habe den Eindruck gehabt — dem er auch Ausdruck gab —, hier seien einzelnen Personen Danksagungen gewidmet worden. Wir haben uns verpflichtet gefühlt, das zu sagen, was wir gesagt haben, weil der Herr Minister leider den umgekehrten Weg gegangen ist.
Das Wort hat der Bundesverteidigungsminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle fest, daß ich — das wird sich auch aus dem Protokoll ergeben — allen Damen und Herren meinen Dank ausgesprochen habe. Aber ich habe mich nicht von Herrn Erler auf einen bestimmten Namen drängen lassen, und das werden auch Sie nicht schaffen. Ich habe gesagt und bleibe dabei: weder eine Diva noch Personenkult! Einen nennen, hieße die anderen zurücksetzen! Ich bin allen Dank schuldig, und das habe ich hier ausgesprochen.
Wünscht noch jemand das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung.
Wir stimmen zunächst über den Antrag auf Umdruck 645 *) ab, und zwar getrennt nach Litera a und Litera b. Ich rufe die Litera a auf. Wer diesem Antrag zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über die Litera b des Antrags Umdruck 645 ab. Wer für diesen Antrag ist, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu Umdruck 663**), wobei ich, Herr Kollege Vogel, Ihren Antrag — den Satz, für den Sie gewesen sind — nachher noch besonders zur Abstimmung stellen werde. Das Haus und wohl auch die Antragsteller werden damit einverstanden sein, wenn ich den Antrag auf Umdruck 685 satzweise zur Abstimmung stelle.
Zunächst stimmen wir über den Antrag auf Umdruck 663 ab. Wer ihm zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
*) Siehe Anlage 21. **) Siehe Anlage 22.
Wir stimmen nunmehr über Satz 1 vom Umdruck 685*) ab. Ich lese diesen Satz, damit kein Zweifel besteht, worum es sich handelt: „Außerdem werden davon 9 600 000 DM der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Bad Godesberg zur Verfügung gestellt." Wer für die Annahme dieses Antrages ist, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Nunmehr stimmen wir über den Rest des Antrages auf Umdruck 685 ab. Wer diesem Antrag zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 14. Wer Einzelplan 14 im ganzen zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; Einzelplan 14 ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht .
Änderungsanträge liegen nicht vor. Berichterstatterin ist Abgeordnete Frau Dr. Hubert.
— Auf Berichterstattung wird verzichtet. Allerseits? — Ja. Wird zur Aussprache das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir unmittelbar zur Schlußabstimmung. Wer dem Einzelplan 19 im ganzen zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe auf:
Einzelplan 20, Bundesrechnungshof .
Hier liegt ein Schriftlicher Bericht**) des Abgeordneten Dr. Conring vor. Verzichtet das Haus auf Entgegennahme des mündlichen Berichts?
— Das scheint die allgemeine Meinung zu sein. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wird das Wort zu diesem Einzelplan gewünscht? Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Einzelplan 20 im ganzen zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe auf:
Einzelplan 24, Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit .
Berichterstatter ist der Abgeordnete Heiland.
Wird auf Berichterstattung verzichtet?
— Kein Widerspruch.
Hier liegt ein Änderungsantrag vor; Sie finden ihn auf Umdruck 649***). Wer begründet diesen Antrag?
— Vielleicht begründet ihn doch jemand, Frau Abordnete Weber. Sie könnten Überraschungen
*) Siehe Anlage 23. **) Siehe Anlage 24. ***) Siehe Anlage 25.
erleben. — Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Ritzel. Sie sehen, Frau Abgeordnete Weber, ich habe mich nicht getäuscht.
Meine Damen und Herren, ich verspreche Ihnen, mich sehr kurz zu fassen. Meine Fraktion beantragt auf Umdruck 649, den Einzelplan 24 zu streichen. Ich könnte Ihnen all die Argumente vergangener Jahre wiederholen. Ich will es Ihnen und mir ersparen.
Wir sind der Auffassung, daß dieses Ministerium überflüssig ist, nicht wegen seiner Aufgabe, sondern aus organisatorischen Gründen. Es ist praktisch ein Ergebnis der Fraktionsarithmetik, daß dieses Ministerium existiert. Es gehört mit dem Wirtschaftsministerium vereinigt. So wie es hier ist, ist es eine teure Angelegenheit. Wir wollen sparen. Wir möchten Ihnen helfen. Stimmen Sie uns zu, streichen Sie diesen Einzelplan!
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich glaube, wir stimmen in der gewohnten Weise ab. Ich werde das Haus fragen, wer für den Einzelplan ist. Dann brauche ich nicht mehr über den Streichungsantrag abstimmen zu lassen.
— Bei Anträgen auf Streichung eines Teils einer Vorlage ist in diesem Hause immer so verfahren worden, daß an das Haus die Frage gestellt wurde, ob es dem Ausschußantrag zustimmen will. Daraus ergibt sich dann von selbst, daß jene, die für Streichung sind, dagegen stimmen. Sind sie in der Mehrheit, dann ist der zur Abstimmung stehende Teil der Vorlage gestrichen.
Wer dem Einzelplan 24 zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen ist Einzelplan 24 angenommen.
Ich rufe auf Punkt 18:
Einzelplan 25, Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungsbau .
Es liegt ein Schriftlicher Bericht*) vor, den der Abgeordnete Hilbert erstattet hat. Verzichtet das Haus auf mündliche Berichterstattung? — Das scheint allgemein der Wunsch zu sein.
Der Änderungsantrag befindet sich auf Umdruck 648**). — Zur Begründung der Ziffer 1 hat das Wort der Herr Abgeordnete Rehs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bisher hat uns in jeder Etatdebatte das Problem der Barackenräumung und der Auflösung der Altlager der Vertriebenen Anlaß zu Sorge und Kritik gegeben. Gleichwohl haben diese Dinge nicht den Fortgang bekommen, den sie bei der wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklung der Bundesrepublik und angesichts der Zeitdauer hätten nehmen müssen und können. Um diesem Zustand ein Ende zu machen, hat meine Fraktion bereits unter dem 1. Dezember vorigen Jahres den
*) Siehe Anlage 26.
**) Siehe Anlage 27.
Antrag eingebracht, der Ihnen jetzt in etwas geänderter Fassung vorliegt. Er sieht u. a. die Bereitstellung von 60 Millionen DM Darlehen zur beschleunigten Lagerauflösung unter einem besonderen Titel im Einzelplan 25 vor. Ich kann darauf verzichten, den Sachverhalt in seiner ganzen Dringlichkeit heute noch einmal darzustellen; das ist in der großen Vertriebenendebatte am 9. Februar dieses Jahres eingehend geschehen. Ich habe damals bereits darauf hingewiesen, daß es sich bei der Entscheidung über diesen Antrag zeigen wird, ob das Parlament und insbesondere auch der Vertriebenenflügel der CDU/CSU bereit ist, in dieser Frage endlich ein Machtwort zu sprechen und so dieses unwürdige Kapitel zum Abschluß zu bringen.
Ich möchte zur Klarstellung der Situation nur noch einmal auf folgendes hinweisen. Erstmalig in diesem Jahre haben die Länder in Sonderbauprogrammen erhebliche Beträge für die Lagerauflösung bereitgestellt, und zwar insgesamt 143 Millionen DM. Das ist eine Anstrengung, die volle Anerkennung verdient. Bei dieser Anstrengung kann — wie es in einem besonderen Bericht des Bundesvertriebenenministeriums hierzu heißt, unter der Voraussetzung, daß diese Räumungsaktion auch in den nächsten Jahren in demselben Umfang fortgeführt wird — erwartet werden, daß in den Ländern Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bremen und Hessen die Altläger in einem einigermaßen vertretbaren Restzeitraum aufgelöst werden können. Das gilt aber nicht für die Hauptvertriebenenländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern. Es kann wegen der Masse der Vertriebenen, die noch in diesen Ländern sitzen, nicht erwartet werden — selbst bei Zuhilfenahme der Kassenhilfe, die von dem Herrn Bundesfinanzminister durch eine Vorausfinanzierung der jährlichen Pauschbeträge für die Lageraufwendungen angeboten worden ist, und selbst bei Aufwendung der von den Ländern selbst eingesetzten Beträge —, daß das Barackenelend in diesen Ländern in einem vertretbaren Restzeitraum sein Ende findet. In diesen drei Ländern befinden sich 80 % der gesamten im Bundesgebiet gezählten Vertriebenenläger mit wiederum rund 80 % aller Lagerbewohner. Diese Tatsache allein zeigt, daß in diesen Ländern eine besondere, zusätzliche Hilfe des Bundes erforderlich ist. Wir hoffen, daß das Hohe Haus heute diese Situation erkennt und sich nicht länger der Notwendigkeit verschließt. Mit diesem Zustand muß jetzt einmal Schluß gemacht werden. Aus der Verantwortung für diese Menschen, die zu den am härtesten Geschlagenen gehören, bitten wir daher das Hohe Haus, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Wohnungsbauminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann nur zum Ausdruck bringen, daß die Bundesregierung für die hier vorgetragenen und im Antrag Umdruck 648 enthaltenen beiden Anregungen das allergrößte Verständnis hat. Zweifellos ist sowohl die Lagerauflösung wie auch die Evakuiertenrückführung dringend geboten.
Wir haben uns die Mühe gemacht, den Ländern für die Lagerauflösung eine Vorfinanzierung der ihnen pauschaliert zufließenden Kriegsfolgenhilfemittel anzubieten. Der Bundesminister für Vertriebene hat das auch bei der Beantwortung der
Großen Anfrage am 9. Februar 1956 vorgetragen. Über diese Angelegenheit ist noch keine endgültige Übereinkunft mit den Ländern erzielt.
Das gleiche gilt praktisch für die Rückführung der Evakuierten. Hier ist die angebotene Vorfinanzierung von 30 Millionen DM von den Ländern zunächst zurückgewiesen worden, weil sie dafür eigene Mittel haben wollten. Ich verstehe dieses Anliegen durchaus.
Wenn ich aber jetzt einmal den Mitgliedern dieses Hohen Hauses zwei Zahlen für die Debatte angebe, werden Sie vielleicht die Dinge etwas anders sehen. In der Zeit von 1952 bis 1956 hat der Bund laufend seine Mittel zur Finanzierung des Wohnungsbaus von 1,6 auf etwa 2 Milliarden DM pro Jahr erhöht. In der gleichen Zeit sind die Mittel, die die Länder für die Förderung des Wohnungsbaus zur Verfügung gestellt haben, von 800 auf 700 Millionen DM zurückgegangen.
Angesichts der gesamten Entwicklung, auch des Steueraufkommens, bei den Ländern dürfte wohl zunächst einmal der hier vom Bund großzügigerweise angebotene Weg der Vorfinanzierung der Leistungen im Rahmen der geschlossenen Abkommen derjenige sein, der auch vom Hause in Würdigung der gesamten Situation des Haushalts und der besonderen Leistungen für den Wohnungsbau akzeptiert werden kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Rehs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme an, daß auch der Herr Bundeswohnungsbauminister den Bericht des Bundesvertriebenenministeriums zur Kenntnis genommen hat, der zu dieser Frage ergangen ist. In diesem Bericht ist ausdrücklich festgestellt, daß die jährliche Pauschalierung der Beträge für die Lageraufwendungen für die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern nicht ausreicht, das Barackenelend in einem einigermaßen vertretbaren Restzeitraum zu beseitigen. Meine Damen und Herren, Sie sollten sich einmal selber überlegen, was die Menschen in den Lägern da draußen davon halten sollen, die wissen, daß die Bundesregierung durch den Herrn Bundesfinanzminister in den letzten Jahren Steuergelder bis zur Höhe von nun fast 8 Milliarden in die eisernen Kassen versenkt hat,
während sie ungerührt diese Menschen weiterhin ihrem Schicksal überlassen will.
Das Wort zur Begründung des Antrags Umdruck 648 Ziffer 2*) hat der Abgeordnete Dewald.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl der Herr Bundeswohnungsbauminister bereits auch auf die Lage der Evakuierten, soweit sie unser Antrag betrifft, eingegangen ist, muß ich sagen, daß meine Fraktion auf ihrem Antrag besteht, in Kap. A 25 03 einen neuen
*) Siehe Anlage 27. Tit. 531 einzufügen mit dem Ansatz von 100 Millionen DM für die Rückführung der Evakuierten.
Sie erlauben mir, daß ich dazu einige Worte sage.
Mit diesen Mitteln soll den immer noch in ihren Zufluchtsorten oft in den dürftigsten Verhältnissen lebenden Evakuierten die Rückkehr in ihre Heimat ermöglicht werden, auf die sie seit 12 Jahren warten. Damit soll eine Verpflichtung eingelöst werden, die der 1. Bundestag bei der Verabschiedung des Bundesevakuiertengesetzes vom 25. August 1953 übernommen hat. Ich darf Sie daran erinnern, meine Damen und Herren, daß bereits im Vorjahre ein ähnlicher Antrag meiner Fraktion vorlag, der mit einer verhältnismäßig kleinen Mehrheit der Ablehnung verfiel. Wir erneuern diesen Antrag, weil in der Zwischenzeit die Verhältnisse für die Evakuierten immer untragbarer geworden sind, die Unruhe unter ihnen täglich wächst und zum Teil gefährliche Formen annimmt. Es sind immer noch rund 350 000 Evakuierte zurückzuführen. Für sie alle stehen aber im Bundeshaushalt nach den Worten des Herrn Bundesvertriebenenministers keine Mittel zur Verfügung. Das ist ein unhaltbarer Zustand, und er soll durch diesen unseren Antrag behoben werden.
Ich habe bereits wiederholt darauf hingewiesen, daß es sich bei den Evakuierungen um eine unbestreitbare Kriegsfolgemaßnahme handelt. Die Evakuierungen erfolgten auf Grund des Reichsevakuiertenplans und wegen der verheerenden Bombardierungen der deutschen Städte. Für die Kriegsfolgen aber und ihre Beseitigung ist der Bund zuständig, und es ist nicht angängig, daß sich die Bundesregierung dieser Verantwortung weiter entzieht.
— Das Wohnungsbaugesetz nützt den Evakuierten gar nichts.
Wenn wir nicht in der Lage sind, Sondermittel für die Rückführung der Evakuierten zur Verfügung zu stellen,
dann werden die Evakuierten weiterhin draußen in ihren Zufluchtsorten sitzen bleiben. Daß es so sein wird, haben die Erfahrungen der hinter uns liegenden 12 Jahre mit aller Deutlichkeit bewiesen.
Auch das Zweite Wohnungsbaugesetz wird daran nichts ändern,
weil gerade diejenigen Evakuierten, auf deren Rückführung es hauptsächlich ankommt, nicht lastenausgleichsberechtigt sind, für sie die Spitzenfinanzierung fehlt und sie deshalb für die Rückführung auch bei diesem Zweiten Wohnungsbaugesetz nicht in Betracht kommen.
— Ich habe das Gesetz gelesen.
Aber es ist so, und ich versichere Ihnen: auch nachdem das Zweite Wohnungsbaugesetz in Kraft getreten ist, werden wir die Evakuierten nicht zurückführen können.
Wir haben uns im Ausschuß für innere Verwaltung, wo Kolleginnen und Kollegen sind, die diese Dinge wirklich von Grund auf kennen, darüber gründlich unterhalten. Dort wurde einstimmig anerkannt, daß die Rückführung der Evakuierten unmöglich ist, wenn dafür nicht Sondermittel zur Verfügung gestellt werden. Dieser Ausschuß hat einstimmig unserem Vorschlag zugestimmt.
Der Haushaltsausschuß ist anderer Meinung gewesen. Der Haushaltsausschuß hat diese Einigkeit nicht aufgebracht, sondern der Antrag ist gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Mitglieder dieses Ausschusses abgelehnt worden. Zu meinem Bedauern habe ich im Haushaltsausschuß von einem Vertreter des Baugewerbes hören müssen, Sondermittel dürften nicht zur Verfügung gestellt werden, weil die Baukapazität bereits so weit überschritten sei, daß es für das Baugewerbe unmöglich sei, diese 100 Millionen DM noch zusätzlich zu verkraften.
Daß ausgerechnet bei dem Thema Rückführung der Evakuierten ein solcher Einwand gebraucht wird, ist sehr betrüblich. Ich habe noch nie gehört, daß die Baukapazität durch den Bau von Kasernen zu sehr angespannt wird, ich habe noch nie gehört, daß dadurch die Konjunktur im Baugewerbe überhitzt wird. Vielleicht liegt der Grund darin, daß unter Umständen an den Kasernenbauten mehr zu verdienen ist als an dem Bau von Evakuiertenwohnungen.
Ich muß solche und ähnliche Begründungen ablehnen, weil in der Bundesrepublik bereits wieder eine neue Evakuierungswelle anläuft: die Leute, die in den Kasernen wohnen, werden im Gefolge unserer Aufrüstung aus den Kasernen entfernt.
— Dagegen habe ich nichts, daß sie aus den Kasernen entfernt werden; ich gönne ihnen gerne neue Wohnungen. Aber für diese Neuevakuierten stellt man 50 Millionen DM vom Bund zur Verfügung,
für die Altevakuierten jedoch nicht. — Das stimmt! Wenn ich den Haushalt lese, — —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie dem Abgeordneten Dr. Vogel eine Frage?
Bitte schön!
Herr Kollege, ist Ihnen entgangen, daß bereits für das verflossene Haushaltsjahr 1955 allein aus Verteidigungsmitteln 128 Millionen DM bis zum 1. April zur Verfügung gestellt worden sind und daß aus dem neuen Haushalt einige hundert Millionen DM zur Verfügung gestellt werden?
Das ist mir nicht entgangen.
Ich stelle aber fest, daß den aus den Kasernen zu evakuierenden Leuten Neubauwohnungen zur Verfügung gestellt werden, während den in den Zufluchtsorten seit zwölf Jahren auf Zuweisung einer Wohnung wartenden Evakuierten vom Bund nicht die geringsten Mittel zur Verfügung gestellt werden.
— Das ist wahr. Für die Rückführung der Evakuierten von Land zu Land werden Mittel zur Verfügung gestellt. Für die innere Rückführung der Evakuierten, also Rückführung innerhalb der Länder, werden leider keine Mittel zur Verfügung gestellt. Nach der ausdrücklichen Äußerung des Herrn Bundesministers für Vertriebene, den ich als Zeugen anrufe, stehen im Haushalt für diesen Zweck keine Mittel bereit.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß in die Wohnungen, die in den Ländern mit den vom Bund als Lastenausgleich für die Rückführung der Evakuierten zur Verfügung gestellten Mitteln hätten geschaffen werden sollen, leider nur sehr wenige Evakuierte eingewiesen worden sind?
Es ist mir bekannt,
daß leider die Evakuierten anteilmäßig schlechter
abgeschnitten haben als andere Volksschichten.
Deshalb verlangen wir auch in unserem Antrag:
Darüber hinaus sind zur Beschleunigung der Evakuiertenrückführung innerhalb der Länder Vorschriften über die angemessene Berücksichtigung der Evakuierten bei der Zuteilung des neugeschaffenen Wohnraums zu erlassen.
Nach § 9 des Bundesevakuiertengesetzes hat die Bundesregierung die Möglichkeit, diese Vorschriften zu erlassen. Sie hat aber von dieser Möglichkeit bis jetzt keinen Gebrauch gemacht, und dadurch sind die Evakuierten ins Hintertreffen geraten.
— Leider gibt es Mängel in unserem föderativen Staatsaufbau. Man findet immer einen Prügelknaben, wenn man ihn braucht. Die Länder sagen, der Bund müßte vorangehen, weil er die längeren Stiefel anhabe, und der Bund sagt, die Länder müßten vorangehen. Damit ist natürlich den Evakuierten in gar keiner Weise geholfen. Durch diese Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern wird kein einziger Ziegel geschaffen und den Evakuierten nicht die Möglichkeit der Rückführung gegeben.
Ich möchte Sie nicht allzu lange aufhalten.
— Ich weiß, daß Sie das nicht gern hören. Sie mögen es nicht, wenn man Dinge, die wirklich dringlich sind, auch beim Namen nennt. Aber ich sage Ihnen: der Antrag, der von der sozialdemokratischen Fraktion gestellt worden ist, hat seine innere Berechtigung. Es gibt keine andere Möglichkeit, die Evakuierten zurückzuführen, als die Bewilligung von Sondermitteln. Wenn Sie sich nicht zur Annahme des Antrags der SPD-Fraktion durchringen können, dann streichen Sie das Wort „Evakuierte" aus Ihrem Sprachschatz, und setzen Sie dafür „Deportierte" ein. Sie haben dann das Richtige getroffen. — Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
Wird weiter das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung.
Wir stimmen ab über den Antrag auf Umdruck 648 Ziffer 1*). Wer diesem Antrag zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr ab über den Antrag in Umdruck 648 Ziffer 2, der soeben begründet worden ist. Wer dem Antrag zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit. Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über Einzelplan 25 im ganzen ab. Wer dem Einzelplan zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen zahlreiche Enthaltungen angenommen.
Ehe ich Einzelplan 26 aufrufe, möchte ich kurz Mitteilung geben vom Inhalt eines Briefes, den die Fraktion des BHE an den Präsidenten geschickt hat. Die Fraktion entschuldigt sich, daß sie heute nur mit wenigen Mitgliedern vertreten sein kann. Sie hält zur Zeit ihren Parteitag ab. Sie war davon ausgegangen, daß an diesem Nachmittag und morgen keine Plenarsitzung stattfinden werde.
Ich rufe auf:
Einzelplan 26, Geschäftsbereich des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte .
Hier liegt ein Schriftlicher Bericht**) des Abgeordneten Dr. Keller vor. Dr. Keller gehört zu jenen, die nicht hier sein können. Das Haus verzichtet wohl auf Entgegennahme des mündlichen Berichtes durch ein anderes Mitglied des Hauses.
Es liegt eine Reihe von Änderungsanträgen vor. Außerdem wird eine Aussprache zu Tit. 101 — Ministergehalt — gewünscht. Ich werde zunächst die Anträge begründen lassen und dann zu dem Titel das Wort erteilen.
Zunächst Umdruck 654***). Ziffer 1 dieses Umdrucks ist zurückgezogen; es bleibt nur noch die Ziffer 2 zu verhandeln.
Das Wort hat der Abgeordnete Kather.
*) Siehe Anlage 27. **) Siehe Anlage 28. ***) Siehe Anlage 29.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Ziffer 2 unseres Änderungsantrages geht es um die Bundeszuschüsse an Organisationen und Verbände, die der Eingliederung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten dienen. Zunächst bitte um die Nachsicht des Hauses, daß ich als Vorsitzender eines der beteiligten Verbände diesen Antrag begründe. Ich kann mich aber dieser Aufgabe nicht entziehen, da ich als einziges Mitglied meiner Fraktion noch hier bin. Das ist bisher noch nicht vorgekommen und wird hoffentlich auch in Zukunft nicht wieder vorkommen. Ich hoffe aber, daß die Tatsache, daß meine Fraktion heute abwesend ist, weil wir Parteitag haben und uns auf diese Weise 17 Stimmen fehlen, das Haus in seiner Fairneß dahin bringen wird, diese fehlenden Stimmen durch eine Mehrzahl an Stimmen aus anderen Parteien zu ersetzen.
Es handelt sich um folgenden Sachverhalt. In dem Titel war bisher ein Ansatz von rund 300 000 DM vorgesehen. Daraus wurden Zuschüsse an folgende Verbände gegeben: Bund der vertriebenen Deutschen, Verband der Landsmannschaften, Zentralverband der Flieger- und Währungsgeschädigten und Evakuierten, die beiden Sowjetzonenflüchtlingsverbände, Verband der heimatvertriebenen Wirtschaft, Bauernverband der Vertriebenen und einige andere kleinere Organisationen. Der Antrag geht nun dahin, statt 280 000 DM einen Betrag von 350 000 DM einzusetzen, den Ansatz also um 70 000 DM zu erhöhen.
Der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen hat errechnet, daß von kommunistischer Seite im Jahr 135 Millionen DM für die Unterwanderung des politischen Lebens in der Bundesrepublik ausgegeben werden. Wir wissen, daß das kommunistische Gegenüber dieser Organisationen, der Westdeutsche Flüchtlingskongreß, im Jahr über eine Million DM bekommt. Ich bitte zu überlegen, ob es unter diesen Umständen gerechtfertigt ist, den bisherigen Ansatz zu kürzen, statt ihn zu erhöhen. Der Herr Bundesminister für Vertriebene hat, das wissen wir, im Kabinett genau dieselbe Summe beantragt, die wir heute fordern. Er hat sich aber damit im Kabinett, wie so oft, nicht durchsetzen können.
Man hat nicht nur den Betrag nicht erhöht, sondern ihn noch vermindert.
Meine Damen und Herren, in der letzten Vergangenheit war vielfach das Bestreben erkennbar, zu sagen, das Problem der Vertriebenen und Geschädigten sei gelöst. Ich erinnere an unsere große Debatte hier am 9. und 10. Februar. Ich glaube, schon damals ist allen sichtbar geworden, daß das nicht der Fall ist. Inzwischen hat das zuständige Ministerium in einer Denkschrift einwandfrei nachgewiesen, daß die Eingliederung für mehr als die Hälfte aller Betroffenen noch nicht befriedigend vorangetrieben worden ist. Schon das allein zeigt doch, daß man hier keine Herabsetzung vornehmen sollte. Der Bundesminister für Vertriebene hat vor einem Jahr von dieser Stelle aus hervorgehoben, daß durch die Arbeit der beteiligten Organisationen der öffentlichen Hand im Jahr Millionen erspart werden. Es wäre deshalb völlig unangebracht, nun hier noch eine Herabsetzung
vorzunehmen. Ich bitte deshalb, dem von uns gestellten Antrag stattzugeben.
Das Wort zu diesem Antrag hat der Abgeordnete Reitzner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion unterstütze ich den Antrag des GB/BHE, den eben der Kollege Kather vorgetragen hat. Einige Sätze, nicht mehr! Es wird gesagt, daß die Arbeit der Verbände geringer werde, weil die Eingliederung Fortschritte mache. Richtig ist, daß die Eingliederung Fortschritte macht. Wir begrüßen das und wir sollen das Tempo der Eingliederung auch beschleunigen. Aber dadurch wird die Arbeit der Verbände nicht geringer, weil es sich hier nicht allein um die Zahl handelt, sondern um die Tatsache, daß der Rest der noch einzugliedernden Vertriebenen und Flüchtlinge viel schwieriger einzugliedern ist als beispielsweise die ersten 50 % der bereits eingegliederten.
Es handelt sich also der Zahl nach um einen noch beträchtlichen Rückstand, aber auch um Vertriebene und Flüchtlinge, die, weil sie noch nicht eingegliedert sind, wohl zu den sozial Schwächsten gerechnet werden können.
Aus Äußerungen von Landesregierungen und eines prominenten Mitgliedes der Fraktion der CDU/CSU — das ist der Herr Bundesminister für Vertriebene — ist bekannt, daß den meisten Verbänden, denen diese Förderung zukommen soll, eine staatspolitisch positive Aufgabe zugefallen ist. Ich kann mich dieser Auffassung nur anschließen. Da es sich um einen relativ kleinen Betrag handelt — es sind 70 000 DM, das soll aber bei der Begründung nicht ausschlaggebend sein, man soll auch bei der Ausgabe von 1000 DM nach der sachlichen Berechtigung fragen —, möchte ich das Hohe Haus dringend bitten, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort zu diesem Punkt hat der Abgeordnete Baron Manteuffel-Szoege.
Den Begründungen der verehrten Vorredner habe ich nichts hinzuzufügen. Ich möchte nur eins sagen. Wenn hier Menschen, die vom Schicksal ganz besonders getroffen sind, durch Zuwendung von Mitteln die Möglichkeit gegeben wird, aus eigener Kraft das, was sie bisher geschaffen haben, weiter auszubauen, und man sagen kann, daß das gesamte Hohe Haus für diese Dinge Verständnis hat, so haben wir auch ein Scherflein beigetragen, lebendige Kräfte gegen die große Macht aus dem Osten zu entwickeln, und ich glaube, in diesem Zusammenhang wäre es gut, wenn die Anregungen meiner verehrten beiden Vorredner Verwirklichung fänden.
Zu diesem Punkt wird das Wort offenbar nicht mehr gewünscht.
Dann rufe ich auf Umdruck 667*). Soll dieser Antrag besonders begründet werden?
Siehe Anlage 30. Dann eröffne ich die Aussprache und zugleich auch zu Tit. 101. Das Wort hat Frau Abgeordnete Korspeter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Trotz der Zeitnot, in der wir stehen, hält es meine Fraktion im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen, und zwar bei der Beratung des Einzelplans 26, Geschäftsbereich des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, für unerläßlich, auf eine Äußerung des Herrn Ministers Oberländer einzugehen, die er in Berlin zu dem Problem der Haftentschädigung für politische Häftlinge gemacht hat. Diese Äußerung hat er im Februar getan, und wir waren der Meinung, daß bei der zweiten Lesung des Haushaltsplanes, also heute, die beste Gelegenheit sei, eine Aussprache darüber herbeizuführen und eine Auskunft darüber zu erhalten, ob die Auffassungen des Herrn Ministers Oberländer in dieser Frage mit den Richtlinien der Politik übereinstimmen, für die der Bundeskanzler verantwortlich zeichnet.
Ich möchte in der Sache kurz erläutern, daß es sich bei der Haftentschädigung für die politischen Häftlinge, die aus der Sowjetunion und aus den sowjetzonalen Zuchthäusern zu uns gekommen sind, darum handelt, diesen Menschen entweder eine Beihilfe als Ausgleich für die erlittene Haft zu geben — was aber eine Überprüfung ihrer persönlichen und sozialen Verhältnisse voraussetzen würde — oder ihnen einen Rechtsanspruch auf eine Haftentschädigung zu sichern und sie dadurch rechtlich den Heimkehrern aus der Kriegsgefangenschaft gleichzustellen. Es ist bekannt, daß sich meine Fraktion schon von Anfang an für einen Rechtsanspruch auf Haftentschädigung eingesetzt hat und das nach wie vor tut, während die Bundesregierung sich gegen einen solchen Rechtsanspruch ausgesprochen hat und den Weg der Beihilfe, damit also den Weg der Kann-Leistung und des Ermessens, durchgesetzt hat.
Die Begründung nun, die Herr Minister Oberländer in Berlin für die Ablehnung eines mehr als berechtigten Rechtsanspruches auf eine Haftentschädigung für die politischen Häftlinge gegeben hat, steht heute zur Debatte. Er führte aus, daß die Machthaber der Zone durch die Anerkennung eines Rechtsanspruches zu einem Wechselspiel zwischen Massenverhaftungen und Massenentlassungen kommen und damit das soziale, politische und finanzielle Gefüge der Bundesrepublik beeinträchtigen und gefährden könnten.
Ganz abgesehen davon, daß durch einen Rechtsanspruch auf eine Haftentschädigung die Finanzlage der Bundesrepublik in keiner Weise gefährdet würde
— es handelt sich im Höchstfalle um 150 Millionen DM —,
ist es aber geradezu absurd, die politischen Häftlinge als ein Werkzeug der Sowjetregierung zur Gefährdung des sozialen, politischen und finanziellen Gefüges der Bundesrepublik hinzustellen. Außerdem, wenn Herr Oberländer wirklich glaubt oder Anzeichen dafür hat, daß bei einem Rechtsanspruch auf eine Haftentschädigung die Sowjet-
regierung Massenentlassungen durchführen würde, dann, meinen wir, müßte gerade diese Ansicht den Herrn Bundesminister Oberländer dazu führen und müßte für ihn ein Grund mehr sein, sich für einen Rechtsanspruch einzusetzen.
Ich möchte auf die sachliche Frage, Rechtsanspruch ja oder nein, jetzt nicht weiter eingehen. Ich sagte bereits: wir setzen uns nach wie vor für eine Regelung ein, die den Rechtsanspruch sichert, die bei den Menschen in der Zone die Gewißheit von der rechtsstaatlichen Grundlage der Bundesrepublik verstärkt und dadurch ihre Widerstandskraft erhöht. Darüber werden wir aber noch weiter zu reden haben, wenn uns die Bundesregierung das Änderungsgesetz zum Häftlingshilfegesetz vorliegen wird, und dazu möchte ich die Bitte aussprechen: möglichst bald. Wir würden es aber dankbar begrüßen und mit uns sicher die ganze Öffentlichkeit — und das ist der Zweck meiner heutigen Ausführungen —, wenn die Bundesregierung uns sagen würde, wie sie zu diesen Äußerungen des Herrn Ministers Oberländer steht.
Dabei lassen Sie mich gleichzeitig noch unser Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, daß die Bundesregierung nicht sofort nach Bekanntwerden dieser Erklärung des Herrn Ministers Oberländer sehr eindeutig von ihr abgerückt ist, nicht etwa nur, weil diese Argumentation in der Öffentlichkeit erhebliche Unruhe ausgelöst hat, sondern auch um sich von dem Verdacht zu befreien, die uns allen gestellte gesamtdeutsche Aufgabe an finanziellen Opfern scheitern zu lassen.
Das Wort hat der Bundesminister für die Angelegenheiten der Vertriebenen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Äußerungen, auf die Sie anspielen, sind in einer Pressekonferenz im Kreuzfeuer von Frage und Antwort gefallen. Ich weiß nicht, ob ein Protokoll besteht. Ich kann Ihnen daher nicht wörtlich, wohl aber dem Sinne nach wiederholen, welchen Standpunkt ich eingenommen habe. Ich habe mich gegen einen förmlichen Anspruch auf Entschädigung gewandt. Dabei habe ich mich in voller Übereinstimmung befunden mit dem Beschluß des Bundestagsausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen, der wenige Tage vorher gefaßt worden war. Außerdem bin ich durch Kabinettsbeschluß gebunden.
Wenn Sie nun sagen, daß ein Argument unter anderen, das ich verwandt habe, nicht stichhaltig gewesen sei, so darf ich sagen, daß ich mich ja nur über eine Einwirkungsmöglichkeit der anderen Seite geäußert habe, ohne irgendwie etwas dazu zu sagen, daß wir uns danach richten sollen. Außerdem habe ich von der Gefahr von Massenverhaftungen gesprochen.
— Ja, aber aus Sorge vor neuen Gefährdungen! Ich habe übrigens dem Kollegen Wehner zu dieser Frage eine eindeutige Erklärung abgegeben.
Ich möchte aber zur Sache selbst sagen, daß ich mich damals im Ausschuß wie in Berlin — das ist von der Presse weggelassen worden, und das hat meine Äußerungen vollkommen verändert — für eine faktische Gleichstellung eingesetzt habe, wie ich das heute tue. Ohne zu wissen, daß Sie hier sprechen würden, Frau Kollegin, habe ich zehn Minuten vorher auf der Regierungsbank die Kabinettsvorlage meines Hauses unterzeichnet, in der wir uns für die Fassung des Bundesrates zum § 9 a des Häftlingshilfegesetzes, der also die Dinge ausweitet und keine soziale Grenze mehr zuläßt, eingesetzt haben, — ohne zu wissen, daß Sie diese Frage stellen würden.
Ich will also noch einmal betonen: Ich habe mich — immer im Rahmen des Kabinetts, das ist wohl klar — für eine faktische Gleichstellung eingesetzt und werde das auch weiter dauernd tun.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Bei solchem Flehen — wer kann da widerstehen?
Ich will nichts weiter erklären, als daß meine Fraktion dem Antrag Umdruck 667*) und dem Antrag Umdruck 654**) Ziffer 2 ohne lange Deklamationen, weil die Zustimmung zu den Anträgen sich für uns von selbst versteht, zustimmen wird.
Wünscht noch jemand das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen zunächst ab über den Antrag Umdruck 654 Ziffer 2. Wer diesem Antrag zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Meine Damen und Herren, ich wiederhole meine Bitte an Sie, abzustimmen. Wer dem Antrag 654 Ziffer 2 zustimmen will, der möge die Hand erheben.
Das Ergebnis ist schwer festzustellen, wenn eine Hand hinauf, dann wieder herunter, dann wieder hinauf geht. Ich glaube, es ist besser, wir stimmen durch Erheben von den Sitzen ab.
— Ich habe gesagt: Umdruck 654 Ziffer 2.
— Nein, ich habe es schon richtig gesagt. Ich bitte sehr um Vergebung, wenn ich darauf beharre, daß ich die richtige Umdrucknummer genannt habe.
Wir wollen durch Erheben von den Sitzen abstimmen. Wer dem Antrag zustimmen will, der möge sich von seinem Sitz erheben. — Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Das Präsidium stellt fest, daß das erste die Mehrheit war. Damit ist der Antrag angenommen.
*) Siehe Anlage 30. **) Siehe Anlage 29.
Wir stimmen nunmehr ab über Umdruck 667*). Wer diesem Antrag zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wir stimmen nunmehr ab über den Einzelplan 26 im ganzen. Wer zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 27, Geschäftsbereich des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen .
Wünscht das Haus, einen mündlichen Bericht zu diesem Einzelplan entgegenzunehmen?
— Das ist nicht der Fall.
Es ist ein Änderungsantrag vorgelegt, den Sie auf Umdruck 664*) finden. Zur Begründung erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Vogel.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich kann mir eine nähere Begründung ersparen, denn ich habe sie bereits beim Haushaltsplan des Bundesministeriums des Innern, Kap. 06, vorgetragen. Sie wissen, worum es dabei geht.
Ich muß nur meinem Antrag — mit Erlaubnis des Präsidenten — einen kleinen Satz hinzufügen: „Die Mittel sind gesperrt". Ich bitte, diesen Zusatz noch auf den Antrag zu setzen.
Sie ergänzen also diesen Antrag durch den Zusatz: „Die Mittel sind gesperrt."
Ich bitte Sie, diesen Antrag, der, wie gesagt, beinhaltet, daß in den nächsten zehn Jahren 300 neue Assistentenstellen und 100 neue Dozentenstellen als Reserve geschaffen werden sollen, zuzustimmen.
Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Liegen zu diesem Antrag 664, soweit er etwas Spezielles verlangt, keine Wortmeldungen vor?
— Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache über den Einzelplan 27. Das Wort hierzu hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Bemerkungen zu zwei Punkten machen, die in diesem Plan in diesem Jahr von besonderem Interesse sind.
Es handelt sich einmal um jenen Titel, in dem in einem gewissen Maße der Notwendigkeit Rechnung getragen worden ist, Mittel für die Erstattung von Rückfahrgeldern an Besucher der Bundesrepublik von jenseits der Zonengrenze zur Verfügung zu stellen. Diese Mittel sind noch immer recht knapp bemessen. Gerade das veranlaßt mich
*) Siehe Anlage 30.
*) Siehe Anlage 31.
— da man zunächst an der Tatsache nichts ändern kann —, bei dieser Gelegenheit dem Herrn Minister ans Herz zu legen, dafür Sorge zu tragen, daß bei der Handhabung der Richtlinien für die Auszahlung dieser Rückfahrgelder nach menschlichem Ermessen, so warmherzig wie möglich verfahren wird. Ich sage das nicht, um etwas zu sagen. Wir haben uns im Ausschuß lange und wiederholt mit diesem schwierigen Kapitel befassen müssen. Ich habe in der letzten Zeit einige nachgeprüfte und leider sehr ernst zu nehmende Hinweise darauf bekommen, wie dort, wo die Richtlinien angewendet werden, den Bitten derer, die das Rückfahrgeld erstattet haben wollen, häufig mit ziemlicher Härte entgegengetreten wird. Wir sind in der Ausübung dieser Macht offenbar mitunter hartherziger als die Behörden auf der anderen Seite, die bei. der Erteilung von Reisegenehmigungen engherzig genug sind. Ich muß es hier anbringen, daß ich es nicht verstehen kann, daß z. B. einem Familienvater, der mit seinen Kindern hier seine Eltern besucht hat, das Rückfahrgeld deswegen verweigert worden ist, weil sein interimistischer Personalausweis, den die Behörden von der anderen Seite ausgestellt hatten, eben abgelaufen war. Auch nachdem nachgewiesen war, daß der Mann mit seinen Kindern tatsächlich zurückgefahren ist, nachdem die Eltern, die selbst nicht in beneidenswerten Verhältnissen leben, das Geld für die Rückfahrt zusammengeliehen hatten, hat sich der dafür verantwortliche Herr im Hause des Gesamtdeutschen Ministeriums nicht dazu bereit finden können, hier einmal Milde walten zu lassen, sondern den Eltern wurde diese Last überlassen, obwohl man eine Bitte vorgetragen hatte. Ich finde, das ist nicht die rechte Art. Hier entzieht man sich einer Verpflichtung.
Ich sage noch einmal, daß ich volles Verständnis dafür habe, daß man nicht mit vollen Händen ausschütten kann. Ich kritisiere auch nicht, daß diesmal noch keineswegs eine so hohe Summe hat herausgeholt werden können, wie sie eigentlich erforderlich wäre. Ich bitte nur unter Hinweis auf solche Fälle um eine faire, um eine warmherzige Handhabung.
Lassen Sie mich noch etwas sagen. Einer dieser Fälle — es sind leider sehr viele, die ich in der letzten Zeit bekommen habe — sieht so aus, daß ein Rentner aus der Zone, um seine Tochter und deren 31/2jähriges Kind zu sehen, eine weite Reise in unseren Teil Deutschlands hat machen müssen und daß ihm die Zahlung des Rückfahrgeldes wenigstens von dem Seehafen bis zur Zonengrenze hart abgeschlagen worden ist mit der Begründung, die Tochter sei nach unseren Gesetzen unterhaltspflichtig. Da handelt es sich um Menschen, die sich seit den Kriegsereignissen nicht mehr haben sehen können. Die Eltern auf der anderen Seite leben von 110 DM Ost. Ich glaube nicht, daß wir hier, wenn wir auch sparen müssen, das Recht haben, in solchen Fällen so zu verfahren.
Ich nehme einen dritten Fall, wo mir Leute — es handelt sich um einige Parallelfälle — ziemlich verzweifelt geschrieben haben, sie befänden sich in peinlicher Lage, weil man ihnen das Rückfahrgeld nicht habe bewilligen können, mit der Begründung, die Gastgeber seien dazu verpflichtet. Nun, ich weiß, wie es in dieser Beziehung aussieht. Aber
man sollte auch die Gastgeber von Besuchern aus dem Gebiet jenseits der Zonengrenze nicht in die peinliche Lage bringen, daß man ihnen sagt, sie seien, weil man ihnen nachrechnen könne, sie verdienten insgesamt 300 DM im Monat — so sahen die bisherigen Richtlinien aus —, nun auch noch verpflichtet, außer der Finanzierung des Besuchs, die sie ja anständigerweise auf sich nehmen — sie tun ja hier schon etwas —, auch noch das Rückfahrgeld zu bezahlen. Seien Sie nicht härter, als es notwendig ist!
Eine zweite Bemerkung betrifft das Kapitel, das auch in diesem Jahr glücklicherweise etwas hat erweitert werden können, nämlich die Mittel für kulturelle Zwecke im Zonenrandgebiet. Ich möchte darum ersuchen, daß sich das Ministerium, soweit seine Befugnisse reichen, dafür einsetzt, daß Mittel, die für diese Zwecke bewilligt werden, tatsächlich dafür verwendet werden. Es kommt vor
— ich habe jetzt einen solchen Fall sozusagen aktenkundig für diesen Zweck bekommen —, daß eine Landesregierung einer Stadt, die infolge der Nähe der Zonengrenze unter ziemlichen Schwierigkeiten zu leiden hat, erklärt hat, die Mittel für kulturelle Zwecke seien in diesem Jahr von Bundes wegen herabgesetzt worden — obwohl sie in Wirklichkeit in diesem Titel erhöht worden sind, was ich begrüße —, und deswegen werde der Stadt
— es ist Lübeck — der bisher zugesagte Zuschuß nicht gewährt werden können, sondern erheblich gekürzt. Ich wollte das anmelden, weil es zu dieser Fürsorge auch gehört, sich darum zu kümmern, daß die dafür bewilligten Mittel an die richtige Stelle kommen.
Weitere Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Dr. Rinke hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wehner, Sie haben vollkommen recht. Derartige Fälle kommen vor und sind auch mir gemeldet worden. Aber ich glaube, man sollte die Dinge nicht verallgemeinern und eine Haupt- und Staatsaktion daraus machen. Im allgemeinen arbeitet das Ministerium, besonders bei der Unterstützung des Interzonenverkehrs, ausgezeichnet. Ich glaube, es wäre zweckmäßiger gewesen, Sie hätten sich direkt an Minister Kaiser gewandt oder diesen Fall dem Ministerium herübergeschickt. Ich bin überzeugt, daß das Ministerium dann sofort unbürokratisch gehandelt hätte.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Meyer.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zwei Sätze nur! Herr Minister, wir, einige Mitglieder der Fraktion der SPD, waren in Berlin und haben Ihre Rede am 17. Juni vor dem Schöneberger Rathaus vor 35 000 oder noch mehr tausend Berlinern gehört. Wir hoffen, daß Sie und Ihr Ministerium recht bald in dem Sinne Ihrer Rede hier in Bonn initiativ werden, worüber wir uns sehr freuen würden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu dem letzteren: Das werde ich gerne tun. Ich habe bereits in der Öffentlichkeit verlautbaren lassen, daß ich in einem ganz bestimmten Falle, an den Sie, Frau Kollegin, gedacht haben, in der nächsten Kabinettssitzung das Wort ergreifen werde.
Im übrigen weiß ich zu würdigen, was den Kollegen Wehner bewegt und was er vorgetragen hat. In der Tat sind bürokratische Fehler vorgekommen, die nicht vorkommen dürfen. Ich werde Einfluß darauf nehmen, daß das unterbleibt. Ich bin von Genugtuung erfüllt, sagen zu können, daß meinem Haushalt für die Zwecke, die Herr Wehner angeführt hat, also für die Förderung des Interzonenverkehrs, insbesondere für die Zurverfügungstellung von Rückfahrkarten an Bedürftige, meinem Haushalt durch die stete Wachheit des Ausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen und durch die Verständigung, die wir mit dem Finanzminister zu erreichen wußten, 10 Millionen DM neu zur Verfügung gestellt worden sind. Über die Richtlinien zur Verwendung dieser Mittel werde ich mich mit dem Bundesminister der Finanzen und dem Bundesminister des Innern verständigen. Ich werde die Gelegenheit wahrnehmen, Kollege Wehner, im Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen unsere Meinungen darüber vorher noch einmal auszutauschen.
Was das Zonenrandgebiet angeht, so ist es auch hier gelungen, 2 Millionen DM mehr zur Verfügung zu haben und unter dem Nachbartitel 301 noch einmal 1 Million DM. Auch da möchte ich die Versicherung geben, daß hier künftig mehr geschieht, als bisher geschehen konnte.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte nur ein Wort zu der Bemerkung des Herrn Kollegen Dr. Rinke sagen. Nicht alles, was hier gesagt wird, muß gemeint sein oder gewertet werden als das, was Sie eine „Staatsaktion" nennen. Ich halte es noch immer damit, bei einer solchen Gelegenheit die Möglichkeit und das Recht des gewählten Volksvertreters auszunutzen, einige sachliche Bemerkungen, deren Berechtigung keiner wird bestreiten wollen oder können, anzubringen. Das ist kein Tadel. Das ist weder eine Staatsaktion noch irgend etwas Besonderes. Ich habe in diesem Falle einiges sagen müssen, weil es auf dem anderen Weg, den Sie, Herr Rinke, mir vorschlagen, leider nicht gelungen ist, die Dinge zu regeln. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Ich bin dem Herrn Minister für seine Erklärungen dankbar.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Damit kommen wir zur Abstimmung. Ich rufe zunächst den Änderungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU, DP, DA auf Umdruck 664*) zur Abstimmung auf.
— „Die Mittel sind gesperrt" soll hier zugefügt werden. Mit diesem Zusatz „Die Mittel sind gesperrt" stelle ich den Änderungsantrag zur Abstimmung. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Dieser Änderungsantrag ist einstimmig angenommen.
Damit kommen wir zur Abstimmung über den ganzen Einzelplan 27, den Geschäftsbereich des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen. Wer diesem Einzelplan mit der soeben angenommenen Änderung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen ohne Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 28, Geschäftsbereich des Bundesministers für Angelegenheiten des Bundesrates .
Berichterstatter ist der Abgeordnete Frühwald. Schriftlicher Bericht**) ist erstattet. Ich nehme an, daß auf mündliche Berichterstattung verzichtet wird.
Ich eröffne die Beratung. Zu dem Einzelplan 28 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 650***) vor. Ich frage, ob zur Begründung das Wort gewünscht wird. — Herr Abgeordneter Herold!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat Ihnen wieder den Antrag vorgelegt, den Einzelplan 28 zu streichen. Ich glaube, es dürfte Sie langsam überzeugt haben, daß dieses Ministerium völlig überflüssig ist.
Wir haben aus den Reden des Herrn Vogel Mut gefaßt! Er hat in den letzten Tagen so sehr gegen die Verhökerung der Steuergelder opponiert. Hier sind wir bei einem Punkt angelangt, wo wir auch wieder von dieser Verhökerung der Steuergelder sprechen können. Wir bitten Sie, meine Damen und Herren, diesem Streichungsantrag zuzustimmen.
Von einem Teil wird wohl immer behauptet, dieses Ministerium sei zur Koordinierung der Länderarbeit oder dazu notwendig, die Rechte der Länder beim Bund zu wahren und die Verbindung herzustellen.
Ich bin der Meinung, daß genügend Stellen vorhanden sind, die das tun können, wo wir es erstens viel einfacher und zweitens viel billiger haben können. Wir sind ganz einfach der Meinung, daß die Steuergelder nicht ausgegeben werden dürfen, damit billige Konferenzredner in der Welt umherziehen und ihre Reden absolvieren können. Wenn wir einen Minister haben, dann wollen wir auch einen ganzen, dann soll er auch eine Aufgabe haben. Das,
*) Siehe Anlage 31. **) Siehe Anlage 32. ***) Siehe Anlage 33. was hier geschieht, ist nicht zu vertreten. Die Existenzberechtigung dieses Ministeriums ist keineswegs vorhanden. Wir wissen ja, es war damals ein Kind dieser merkwürdigen Regierungsbildung von 1953. Es sprechen keinesfalls sachliche Gründe dafür, dieses völlig überflüssige Ministerium weiter zu halten.
Das ist eine Tatsache, und wir bitten Sie, meine Herren, die Sie so die Gralshüter der Bundesfinanzen in den letzten paar Tagen gespielt haben, hier klar zu bekennen, daß Sie wirkliche Hüter der Finanzen sind.
Wird dazu weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Beratung über den ganzen Einzelplan 28. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort wird weiter nicht gewünscht.
Ich komme zur Abstimmung. Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag, den Einzelplan 28 zu streichen, ab.
Wer diesem Änderungsantrag Umdruck 650*) zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit.
Ich komme zur Abstimmung über den Einzelplan 28, der unverändert ist. Wer dem Einzelplan 28 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. -- Gegenprobe! — Das erste ist die Mehrheit; der Einzelplan 28 ist angenommen.
Wir kommen nun zu
Einzelplan 29, Geschäftsbereich des Bundesministers für Familienfragen .
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Gleissner . Ein Schriftlicher Bericht**) liegt vor. Wird auf mündliche Berichterstattung verzichtet? — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gleissner (München).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verzichte auf den mündlichen Bericht, aber eine kurze Bemerkung zum Schriftlichen Bericht: Im vorletzten Absatz vorletzte Zeile hat sich ein sinnentstellender Druckfehler eingeschlichen. Es muß statt „Auswertung" heißen: „Ausweitung". Ich darf dabei auf die erfreuliche Tatsache hinweisen, daß beim Bundesfamilienministerium seit seiner Einrichtung keine Ausweitung stattgefunden hat.
„Ausweitung"! Es braucht also nur das „r" in ein „i" verwandelt zu werden.
Ich eröffne die Beratung über die Änderungsanträge auf den Umdrucken 651***) und 659****), die gleichlautend sind. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Bitte schön, Frau Abgeordnete Schanzenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der SPD be-
*) Siehe Anlage 33.
**) Siehe Anlage 34. ***) Siehe Anlage 35. ****) Siehe Anlage 36.
antragt auf Umdruck 651 die Streichung des Einzelplans 29. In der Erklärung zum Einzelplan wird hervorgehoben, daß die Tätigkeit dieses Ministeriums in einer engen Zusammenarbeit mit den jeweils zuständigen Fachministerien besteht, um den Lebensnotwendigkeiten der Familie in der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes Geltung zu verschaffen. Außerdem soll das Ministerium für Familienfragen bei der Schaffung eines Ehe- und Familienrechtes mitwirken und zur Förderung des Familiengedankens in der Öffentlichkeit beitragen.
Dieses Ministerium war von Anfang an eine überflüssige Einrichtung und ist es bis heute geblieben.
Die Familie wird von jedermann in diesem Hause und von unserem Volk als die wichtigste Einheit in unserem staatlichen Leben angesehen, und alle Politik sollte darauf abgestellt sein, der Familie zu helfen.
Der Kanzler hat seinerzeit den einzelnen Ministerien ein schlechtes Zeugnis ausgestellt, als er einen Familienminister berief, der gewissermaßen als Aufsichtsperson tätig werden sollte, damit in den einzelnen Fachministerien den Lebensnotwendigkeiten der Familie Rechnung getragen wird.
Jede gute Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik muß familienfreundlich sein. Durch die Einsetzung eines Familienministers gibt aber die Regierung ihre Schwäche auf weiten Gebieten der Politik zu.
Wir können nun auf eine fast dreijährige Tätigkeit des Familienministeriums zurückblicken, aber von einer sichtbaren Hilfe für die Familie, für die Mütter und Kinder, die von diesem Ministerium ausgehen sollte, ist leider nichts zu spüren.
Man kann allerdings feststellen, daß durch den Herrn Minister viel Verstimmung in der Öffentlichkeit entstanden ist.
Meine Kollegin Frau Dr. Hubert hat bei der Beratung des letzten Haushaltsplans ausführlich über das Versagen dieses Ministeriums gesprochen. Alles, was sie damals an Kritik gegen dieses Ministerium und gegen den Herrn Minister vorgebracht hat, trifft auch heute noch vollinhaltlich zu. Ich bin sogar der Meinung, daß die Unfähigkeit, etwas im Sinne der Förderung unserer Familie zu tun, nur noch deutlicher geworden ist.
Dafür möchte ich Ihnen einige Beispiele geben. Der Herr Minister gibt immer wieder an, den kinderreichen Familien zu einer Wohnung zu verhelfen oder mindestens verhelfen zu wollen. Tatsache ist, daß er dem Gesetz zur Ergänzung des Wohnraumbewirtschaftungsgesetzes vom 13. August 1953 zugestimmt und die Änderungsanträge der SPD, die zugunsten der kinderreichen Familien waren, abgelehnt hat. In der Praxis hat sich nun ergeben, daß eine kinderreiche Familie vom Vermieter überhaupt nicht mehr aufgenommen wird. Es bleibt leider den Gemeinden überlassen, dafür zu sorgen, daß die kinderreichen Familien noch eine einigermaßen annehmbare Unterkunft bekommen.
Einmal hat sich im vergangenen Jahr das FamiIienministerium sehr interessant gemacht, nämlich als im November 1955 die Denkschrift zum Familienlastenausgleich erschien, in der die Ausdehnung des Kindergelds auf das zweite Kind gefordert wird. Die Forderung dieser Denkschrift auf Einbeziehung des zweiten Kindes in das Kindergeldgesetz gab der Herr Familienminister seinerzeit einmal an einem Donnerstag auf einer Pressekonferenz bekannt, und wenige Stunden später, nämlich am Freitagvormittag, stellte er im Sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages, in dem seinerzeit das Kindergeldschlußgesetz beraten wurde, als er zur Rede gestellt wurde, fest, daß die Presse ihn wieder einmal falsch verstanden habe. Bei den Abstimmungen über das Kindergeldgesetz hat der Herr Minister gegen den Antrag der SPD gestimmt, das zweite Kind mit in das Kindergeldgesetz einzubeziehen. Er ist also keineswegs bereit, aus den in seiner Denkschrift niedergelegten Erkenntnissen die nötigen Konsequenzen zu ziehen.
Das Ministerium gibt an, in der Wirtschafts- und Sozialpolitik im Interesse der Familie anregend auf die Gesetzgebung zu wirken. Aus meiner Arbeit in den verschiedenen Ausschüssen des Bundestages ist es mir bisher noch nicht aufgefallen, daß das Ministerium fördernd in die Sozialgesetzgebung eingegriffen hat. Denn — um nur einige Beispiele zu nennen — von diesem Ministerium sind Vorstellungen im guten Sinne zur Kriegsopferversogung nicht erfolgt. Noch nicht einmal zum Bundesjugendplan hat das Ministerium in bezug auf die Jugend seine Vorstellungen entwickelt. Es besteht der Eindruck, daß das Familienministerium auf das einzelne Fachministerium überhaupt keinen Einfluß hat. Ich meine, das ist auch ganz gut so. Denn es gibt wohl selten einen Minister, der einen so engen Gesichtskreis in seiner Arbeit hat wie der Herr Familienminister.
In einer Versammlung in Hannover soll Herr Wuermeling den Zeitungsmeldungen nach gesagt haben — ich zitiere —:
Ich bin Westfale und habe eine Elefantenhaut, die in den letzten Jahren nur noch dicker geworden ist.
Damit gibt Herr Wuermeling selbst zu, daß er den neuen Situationen nicht aufgeschlossen genug gegenübersteht.
Ich habe mir die Mühe gemacht, die Presse in bezug auf die Tätigkeit des Herrn Ministers im vergangenen Jahr zu verfolgen. Ich darf sagen, daß ich immer wieder erstaunt bin, mit welch merkwürdigen Vorstellungen er über unsere heutigen Familien redet und ganz besonders über die erwerbstätige Frau.
Sein Familienideal scheint das von 1900 zu sein. Der erwerbstätigen Frau gilt seine ganz besondere Abneigung. Ein verantwortlicher Minister darf nicht an den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen vorbeigehen, um einer Wunschvorstellung nachzujagen. Wie sehr der Herr Minister im Gegensatz steht zu einem ganz großen Teil der Frauen und Müt-
ter in unserer Bundesrepublik, beweist der Briefwechsel zwischen ihm und der Vorsitzenden der Vereinigung der weiblichen Juristen, der Rechtsanwältin Frau Hildegard Gethmann. Dieser in vielen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichte Briefwechsel bestätigt die Meinung der „Deutschen Zeitung und Wirtschaftszeitung" vom 17. März 1953. Ich zitiere den Satz, der da erschienen ist:
Herr Wuermeling hat abermals demonstriert, daß er eine unmögliche Figur ist.
Der Brief vom 1. Juli 1955 an Frau Gethmann behandelt einen völlig ungerechtfertigten Angriff auf die Arbeiterinnen. In einer Fernsehsendung hat Herr Wuermeling behauptet, daß von zehn Ehescheidungen acht auf die Erwerbstätigkeit der Ehefrau zurückzuführen seien. In dem oben angeführten Brief an Frau Gethmann schreibt Herr Wuermeling u. a.:
Es handelt sich in der Hauptsache um Arbeiterehen. Der Gang der Dinge war der, daß der Haushalt vernachlässigt, der Mitverdienst nicht vernünftig angelegt wurde; es kam das Motorrad, der Motorradunfall, die Motorradfreundin, jeden Samstag und Sonntag ein Tanzvergnügen usw.
Sehr verehrter Herr Minister, mir scheint, daß das eine außerordentliche Verkennung der tatsächlichen Situation ist. Warum erzählt der Herr Minister der Öffentlichkeit nicht, daß es viele Tausende von Frauen gibt, die unter äußerster Kraftanstrengung mitarbeiten müssen, damit ihre Kinder einigermaßen ordentlich ernährt werden?
Warum sagt er nicht, daß auch viele Familien mit einem Kind und mit zwei Kindern einen harten wirtschaftlichen Kampf führen müssen? Warum tut er nichts, warum hat er in den drei Jahren nichts getan für unsere Halbfamilien, für die Mütter, die mit ihrer Erziehungsaufgabe allein fertig werden müssen?
Warum, Herr Minister für Familienfragen, haben Sie in der Frage des Ferienaufenthalts für Berliner Kinder im augenblicklichen Stadium nichts getan? Hier wäre eine Aufgabe, bei der Sie wirklich hätten beweisen können, daß Sie für die Kinder und — was ja Ihre Aufgabe sein sollte — für die Familie tatsächlich etwas tun wollen. Aber nichts ist geschehen; mindestens ist mir bisher nichts bekanntgeworden.
Warum schimpft er nur auf die Erwerbsarbeit der Frau, warum schimpft er nur, warum hilft er nicht, Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Arbeitsverhältnisse für ,die erwerbstätige Frau erträglicher werden, als sie in unserer Zeit sind?
Wie konservativ er in seinen Vorstellungen ist, hat er in diesen Tagen gezeigt, als er mit allem Nachdruck Einspruch gegen die Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags für Hausgehilfinnen erhob. Er und die Kräfte, die dieselbe Auffassung vertreten, sind der Meinung, daß der Vertrag die Hausgehilfinnen dazu verleite, jeden Abend auszugehen, weil die Arbeit für die Hausgehilfinnen nach diesem Vertragswerk um — bitte, hören Sie genau zu! — 20 Uhr beendet sein muß und vor 6 Uhr in der Frühe nicht beginnen darf. Da glaubt
der Herr Familienminister, die Hausgehilfinnen hätten zu viel Freizeit und würden wahrscheinlich in irgendeiner Art gefährdet werden, wenn diese doch sehr gering gehaltenen Arbeitsbedingungen in Erfüllung gingen. Der Herr Minister würde es anscheinend am liebsten sehen, wenn wir wieder zu patriarchalischen Verhältnissen zurückkehrten.
Herr Wuermeling reist durch die Lande, um für einen größeren Kinderreichtum zu werben. In manchen Kreisen findet er sicher Widerhall. Ich kann allerdings nicht beurteilen, ob seine Werbung auch schon einen Erfolg gehabt hat. Ein Großteil der Bevölkerung fühlt sich jedoch durch die Werbefeldzüge abgestoßen. Bei dieser Werbung scheint es dem Herrn Minister nicht klar zu sein, daß der Wille zum Kind nicht noch stärker sein kann wegen der Unsicherheit unserer Lebensverhältnisse und der immer noch herrschenden wirtschaftlichen Not. Die Wiederaufrüstung, der der Herr Familienminister zugestimmt hat, wird sicher die Kinderfreudigkeit bei den Männern und Frauen in der Bundesrepublik nicht erhöhen.
Die Tätigkeit des Herrn Ministers und seines Ministeriums geht erheblich an den Bedürfnissen unserer Zeit vorbei, die auf den Schutz der Familie, der Mütter und der Kinder gerichtet sind. Wir sollten ihn deshalb alle miteinander ermutigen, ,daß er seine zweimal geäußerte Absicht, als Minister zurückzutreten, wahrmacht. Da wir als SPD-Fraktion befürchten, daß diese meine Ermutigung nicht helfen wird, wollen wir von uns aus alles tun, um unnötig ausgegebene Steuermittel einer sinnvolleren Verwendung zuzuführen, und stellen deshalb den schon erwähnten Antrag auf Streichung der Mittel dieses Ministeriums.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Familienfragen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte an sich nicht vor, hier heute abend in der Debatte zu sprechen, damit die Zeit der verehrten Kolleginnen und Kollegen nicht allzusehr in den Abend hinein in Anspruch genommen wird. Aber einige Bemerkungen, die soeben gefallen sind, zwingen doch zu einer Antwort.
Ich habe die Absicht, in den nächsten Tagen im Bulletin eine Zusammenfassung der Ergebnisse der bisherigen familienpolitischen Arbeit der Bundesregierung zu veröffentlichen. Da das beabsichtigt ist — nebenbei: der Text steht längst fest; den brauche ich nicht nach dieser Rede zu machen —, möchte ich darauf verzichten, über Ergebnisse und Fortschritte familienpolitischer Art, die wir in diesen 21/2 Jahren erzielt haben, im einzelnen zu berichten. Ich habe nämlich als Familienminister am heutigen Abend den Wunsch, daß die verehrten Kolleginnen und Kollegen so schnell und so bald wie möglich für das Wochenende in ihre Heimat zu ihren Familien zurückkommen.
Deswegen nur zu zwei besonders zum Widerspruch reizenden Bemerkungen zwei Antworten.
Die verehrte Frau Kollegin, die soeben sprach, warf mir Abneigung gegen die erwerbstätige
Frau vor. Meine Damen und Herren, ich muß mir mit aller Entschiedenheit solch unerhörte Unterstellungen verbitten.
Wer für den Schutz der berufstätigen Frau kämpft. Sie oder ich, das wird die Zukunft beweisen.
Worum geht es uns bei der Frage der berufstätigen Frau? Wir wissen, daß es Tausende und Hunderttausende Frauen und Mütter gilbt, die wegen der wirtschaftlichen Not ihrer Familie unter dem Gewissenszwang stehen, gegen ihren Willen Heim und Familie zu verlassen und in fremde Arbeit zu gehen. Zum Schutze dieser Frauen, um sie von diesem Gewissenszwang zu befreien, wollen wir Familienpolitik betreiben und die wirtschaftlichen Grundlagen unserer Familien verbessern.
Machen Sie doch der großen Masse unserer Frauen und Mütter draußen im Lande nicht vor, als wäre es ihre größte Sehnsucht, in die Fabrik oder ins Büro zu gehen. Sie leiden oft unter einem Gewissenszwang, wenn sie sich aus wirtschaftlichen Gründen dazu genötigt sehen.
Ich verwahre mich also nochmals mit aller Entschiedenheit dagegen, daß ausgerechnet der Minister, der draußen im Lande ständig als Schützer unserer Frauen aufsteht und sich vor sie stellt, in dieser Weise angegriffen wird.
Und das andere. Es wurde über meine Stellungnahme zum Tarifvertrag für die Hausgehilfinnen gesprochen, jenem Tarifvertrag, der jetzt nicht für verbindlich erklärt wurde, der abgeschlossen wurde zwischen dem Deutschen Hausfrauenbund und der Gewerkschaft für Nahrung, Genußmittel und Gaststätten. die sich für die Haushaltungen zuständig fühlt. Ich habe die Begründungen. die mir die Vorrednerin soeben in den Mund legte, nie und nirgends gebraucht. Allerdings bin ich der Meinung gewesen, daß eine Verbindlichkeitserklärung dieses Tarifvertrags die Mütter in unseren kinderreichen Familien dazu verurteilen würde, überhaupt nicht mehr zu Hausgehilfinnen zu kommen. Ich meine, die Schutzbedürftigkeit des Berufs der Hausgehilfin, die gewiß im Grunde zu bejahen ist, war niemals so gering wie in der heutigen Zeit, wo jede Hausgehilfin, wenn sie will, jederzeit ihre Stelle wechseln und sich eine neue Arbeitgeberin suchen kann. Wer heute Schutz braucht. das sind unsere Mütter mit mehreren Kindern,
und ich wäre sehr dankbar, wenn der DGB bereit wäre, sich auch dieses Anliegens anzunehmen.
Wenngleich es international schon sieben Familienminister gibt, darunter auch sozialistische,
hat die Opposition immer noch den Wunsch, dieses zum Schutz der Freiheit und Selbstverantwortung unserer Familien, insbesondere zu ihrer wirtschaftlichen Sicherung geschaffene kleine Ministerium zu beseitigen, jenes Familienministerium, das entgegen allen skeptischen Prophezeiungen das
kleinste aller Bundesministerien geblieben ist und, wie ich ausdrücklich feststellen möchte, in jedem Jahr geringere Haushaltsziffern ausweist.
Wenn die Opposition die Beseitigung eines Ministeriums fordert, so ist das ihr gutes Recht. Ich lege aber doch Wert darauf, hier einmal vor der Öffentlichkeit des Bundestages auszusprechen, daß die Aufgabe des Familienministeriums draußen im Lande inzwischen offensichtlich immer stärkere Resonanz hat, daß seine Kundgebungen und Ziele in allen Teilen des Bundesgebietes immer breitere Zustimmung finden, nicht zuletzt auch in ursprünglich ablehnenden Presseorganen.
— Nun ja, die SPD-Zeitungen habe ich noch nie für bekehrungsfähig gehalten; aber ich meine die sogenannte freie Presse,
wo die Dinge sich wesentlich geändert haben. Ich glaube deshalb, daß sich die Opposition mit ihrem Widerstand gegen den Familienminister in Widerspruch zu immer breiter werdenden Wählerkreisen setzt. Wenn Sie glauben, für die Regierung durch eine Rede, wie Sie sie vorhin gehalten haben, für die nächste Wahl Wahlpropaganda machen zu sollen, dann haben wir von uns aus dagegen nichts einzuwenden.
Gestützt auf die wertvolle aktive Mitarbeit unserer Familienverbände draußen im Lande und getragen von den Wünschen und Forderungen der beiden christlichen Konfessionen, setzt sich erfreulicherweise das familienpolitische Denken immer stärker durch. Ich darf wohl für unser Familienministerium mit seinen wenigen Mitarbeitern in Anspruch nehmen, daß wir dazu ein Wesentliches beigetragen haben.
Es war, wie ich an dieser Stelle mehrfach geäußert habe, stets mein Anliegen, bei Erfüllung meiner Aufgaben mit allen Fraktionen dieses Hauses zusammenzuarbeiten, weil ich, meine Damen und Herren von der SPD, mir wirklich nicht recht denken kann, daß das Anliegen, um das es bei der Familienpolitik geht, auch nur von einer Fraktion dieses Hauses im Grunde abgelehnt wird.
Sicher ist es etwas schwierig, wenn der Minister selber zur Frage der Notwendigkeit seines Ministeriums etwas sagen soll. Ich sage auch, es liegt mir eigentlich nicht recht, gewissermaßen selber meine eigene politische Existenzberechtigung zu beweisen. Aber die Frage der Existenz eines Familienministeriums ist letztlich keine Frage der Person. sondern eine Frage der Sache. in die ich vielleicht doch den besten Einblick habe. Deshalb möchte ich rückblickend auf die mehr als zweieinhalb Jahre meiner Mitarbeit im Kabinett hier einmal aussprechen: ein Anwalt der so wichtigen und berechtigten Anliegen unserer Familie im Bundeskabinett ist eine echte politische Notwendigkeit.
Es ist jedem, der Einblick in die Dinge hat, bekannt, daß zahlreiche Fortschritte in bezug auf die familienpolitischen Anliegen in den letzten zwei Jahren nicht gemacht worden wären, wenn nicht im Kabinett ein gleichberechtigt mitberatender und mitbeschließender Familienminister existiert hätte.
Ich bin mit vielen Kennern unserer Situation zu der Überzeugung gekommen, und ich habe draußen unter stürmischer Zustimmung von Hunderten und Tausenden x-mal gesagt, daß wir, wenn wir heute noch kein Familienministerium hätten, morgen ein solches schaffen müßten, damit eine angemessene Wahrung der Belange der Familie in unserer politischen Arbeit gesichert bleibt.
Ich habe im übrigen allen Anlaß, meinen Kabinettskollegen dankbar dafür zu sein,
daß sie meinen Anträgen im Kabinett stets besonderes Verständnis entgegengebracht haben, wenn ich genötigt war, im Sinne unserer familienpolitischen Ziele an das Gesamtkabinett zu appellieren. Die entsprechenden Beschlüsse wären aber nicht gefaßt worden — das hat nichts mit meiner Person zu tun —, wenn niemand dagewesen wäre, der solche Anträge gestellt und diese Funktionen gehabt hätte. Darin liegt keinerlei Kritik an meinen Kabinettskollegen — im Gegenteil! —, sondern nur die Feststellung, daß die Belange unserer Familien eben allzu leicht zu kurz kommen, wenn keine mit entsprechenden Funktionen ausgestattete Stelle da ist, die sich von Amts wegen um diese Dinge kümmert.
Ich möchte schließlich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Familienministerium einmal vor aller Öffentlichkeit ein ehrliches Wort herzlichen Dankes für den persönlichen und letzten Einsatz sagen, mit dem sie gemeinsam mit mir an unserer großen Aufgabe gearbeitet haben. Bei der verschwindend kleinen Zahl meiner Mitarbeiter werden an jeden tagtäglich wirklich höchste Anforderungen gestellt, deren Erfüllung nur bei voller innerer Hingabe möglich ist. Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß wir, unbeirrt durch alle Angriffe, an unserem Ziel: Schutz und wirtschaftliche Sicherung für unsere Familien weiterarbeiten werden.
President D. Dr. Gerstenmaier: Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan 29 liegen nicht vor. Damit schließe ich die Beratung über diesen Einzelplan.
Meine Damen und Herren, die besorgten Blicke auf die Uhr veranlassen im allgemeinen nicht die Redner, die hier in ihre Sachen vertieft sind, auf ihre Uhr zu achten, wohl aber den Präsidenten, Ihnen einiges zur Vereinfachung vorzuschlagen. Ich schlage Ihnen vor, über die Änderungsanträge, die auf Streichung eines ganzen Einzelplans gehen, so abzustimmen, daß wir nicht viermal fragen, sondern zweimal, also erstens fragen: wer ist für die Streichung?, zweitens: wer ist für die Annahme des Einzelplans? — und es damit genug sein lassen. Ich mache darauf aufmerksam, daß das nicht ganz den Vorschriften der Geschäftsordnung entspricht, aber das Haus kann so beschließen. Einverstanden?
Ich komme also zur Abstimmung über die Umdrucke 651 *) und 659 **), die beide gleichlautend auf Streichung des Einzelplans 29 gehen. Wer diesen Anträgen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. —
Mitte: Zehn Seiten sind doch vorgelesen
worden, ein ganzer deutscher Aufsatz!)
— Die sind doch begründet.
— Herr Kollege Ritzel, Frau Abgeordnete Schanzenbach hat doch diese Anträge begründet.
Also nun lassen Sie uns abstimmen. Wer für die Annahme der Änderungsanträge 651 und 659 ist, d. h. für Streichung von Einzelplan 29, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer dafür ist, daß Einzelplan 29 angenommen wird, den bitte ich um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit. Einzelplan 29 ist angenommen.
Jetzt kommt
Einzelplan 30, Bundesminister für besondere Aufgaben,
.
Schriftlicher Bericht *) ist erstattet. Wird auf mündlichen Bericht verzichtet? — Auf mündlichen Bericht ist verzichtet. Ich eröffne die Beratung. Hier liegen wiederum zwei gleichlautende Änderungsanträge vor, Umdrucke 652 **) und 660 ***). Wird dazu das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich habe nicht die Absicht, Sie so lange in Anspruch zu nehmen und um Ihre Aufmerksamkeit zu bitten, wie es gedauert hat, bis die Auskunft der Bundesregierung zu dem Auto des Herrn Bundesminister Kraft eingegangen ist.
— Krank!
Ursprünglich waren es einmal vier Minister für besondere Aufgaben. Ursprünglich hat einmal der Herr Bundeskanzler erklärt, diese vier Minister sollten das politische Element im Kabinett stärker zur Geltung bringen. Nun, lang, lang ist's her. In der Zwischenzeit hat sich einiges ereignet. Es sind bloß noch zwei. Vielleicht geht's da wie mit den kleinen Negerlein; ich weiß es nicht, aber ich hoffe es. Wenn Sie unserem Antrag zustimmen, könnte das sehr rasch so gehen. Nun, die beiden Herren
— wobei ich bescheinige, daß wir für Herrn Bundesminister Schäfer bei der Erfüllung seiner Aufgabe durchaus jene Achtung empfinden, die er verdient — besondere Aufgaben erhalten. Der Herr Bundesminister Schäfer hat die Lage der geistig schaffenden Berufe und des gesamten unselbständigen Mittelstandes zu prüfen, um dem Kabinett geeignete Maßnahmen vorzuschlagen. Schön und gut, wir sind der Auffassung, das sind nützliche Angelegenheiten, aber man kann sie billiger haben. Das Leben ist schön, aber teuer. Man kann es auch billiger haben, dann ist es vielleicht für die Beteiligten nicht so schön. Das gilt in weit vermehrtem Maße noch für den verehrten, durch Krankheit heute verhinderten Herrn Bundesminister als Vorsitzenden des interministeriellen Ausschusses Wasserkraft, den Herrn Wasserminister,
*) Siehe Anlage 37. **) Siehe Anlage 38. ***) Siehe Anlage 39.
der in dieser Eigenschaft mit der Koordinierung der Fragen des Wasserrechts und des Wasserhaushalts beauftragt ist. Meine Damen und Herren, die beiden Herren Minister haben ein Büro, und dieses Büro hat nach dem Organisations- und Stellenplan 23 Beamte. Wenn man dieses Büro in bestehende Ministerien einbaute, könnte man zwei Minister sparen und noch eine ganze Menge Beamte und Angestellte. Aus diesem Grund schlage ich Ihnen vor, unserem Antrag auf Streichung des ganzen Einzelplanes 30 beizutreten.
An sich sind solche Ministerien eigentlich nichts weiter als ein Blinddarm am Körper des Kabinetts,
und solche Blinddärme sollte man, ehe sie eitern, wegoperieren. Ein Prozeß einer Eiterung liegt hier vor in der Drucksache 951 des Haushaltsausschusses vom 19. Juni 1956, heute um die Mittagszeit den Mitgliedern des Haushaltsausschusses zugestellt. Da haben einmal in einer Sitzung des Haushaltsausschusses die Sozialdemokraten nach dem Wohlergehen des Autos des Herrn Wasserkraftministers Kraft gefragt. Und siehe da, es ergab sich, daß der Herr Minister in dem kleinen Examen, das der Ausschuß mit ihm veranstaltete, zu meinem eigenen Leidwesen nicht in der Lage war, jene elementaren Kenntnisse nachzuweisen, die ein Minister auch in bezug auf das Haushaltsrecht immerhin haben sollte.
— Ja, der Referent war nicht da, Herr Kollege Wehner, und dann hat sich das ereignet, was eigentlich in einem Ausschuß, in einem Parlament und bei einem Minister nicht möglich sein sollte. Dieser Herr Minister hat auf die Frage, wie das Ist des Haushaltsplans des abgelaufenen Rechnungsjahres ist, nicht antworten können. Ich möchte dem Herrn Bundesfinanzminister bzw. seinem Vertreter vorschlagen, für solche Fälle einen Sonderunterricht in Haushaltsrecht für nicht orientierte Bundesminister einzurichten.
Diese Autogeschichte ist eine nicht gerade sehr gute Sache, aber das Haus muß darum wissen. Da hat also der Herr Bundesminister Kraft einen schönen Wagen gehabt, und der Wagen funktionierte plötzlich nicht. Aber schon bevor er nicht funktionierte, war seine Ersetzung beantragt worden. Es sind merkwürdige Termine, die dabei eine Rolle gespielt haben, und merkwürdige Tatsachen, eine Tatsache beispielsweise, die zu der Frage im Haushaltsausschuß geführt hat, ob der Herr Bundesminister Kraft mit einem soeben neu gekauften und, wie ich feststellen muß, bis zu dieser Stunde von der Bundesregierung noch nicht bezahlten Wagen, einem BMW für 16 800,— DM mit Rollverdeck, eine Spanienreise gemacht habe, wenn ja, warum, aus welchem Grunde oder Anlaß, auf wessen Kosten? Meine Damen und Herren, die Spanienreise hat der Herr Minister — in der Zwischenzeit durch die Bundesregierung erklärt — gemacht, und zwar als eine private Fahrt. Nun, der Bund zahlt's! Und der Wagen war aus dem Grunde offensichtlich auch notwendig, der „alte" Mercedes 220 genügte dafür nicht mehr. Ich fuhr einstmals leidenschaftlich gern BMW. Nun, das Leben ist schön, aber teuer, und wenn man Minister ist, kann
man BMW fahren. Der Herr Minister hat den Geschmack gehabt, im Haushaltsausschuß — das Protokoll weist es heute noch nach — seine Kollegen sogar zu verpetzen, indem er sagte, die führen noch viel teurere Wagen als er. Er fuhr einen Wagen Marke Mercedes 220 — ich habe alle Kennzeichen da —, Laufzeit ca. 115 000 km, und dieser Wagen sollte abgeschafft werden. Nun gibt es zum Glück eine Stelle beim Bundesfinanzministerium, die das zu prüfen hat. Als der Herr Bundesminister Kraft erklärte, daß er den Wagen ersetzt haben wolle, wurde der Wagen geprüft. Der Herr Minister erklärte daraufhin, bei der Bitte um Beschaffung eines neuen Dienstkraftwagens zu bleiben; er wolle von der allgemein üblichen, in der privaten Wirtschaft selbstverständlichen Gewohnheit nicht abweichen, daß „Dienstfahrzeuge" — nun hören Sie gut zu, ich zitiere wörtlich — „leitender Persönlichkeiten bei einer Fahrleistung von etwa 100 000 km als Chefdienstfahrzeuge ausgewechselt und entweder verkauft oder anderweitig verwandt werden müssen".
Das hat nun den Herrn Bundesfinanzminister, der mit seiner Abteilung wirklich auf dem Damm war, veranlaßt, eine technische Prüfung dieses Fahrzeuges durch echte Sachverständige vornehmen zu lassen. Das Ergebnis lautet — ich darf zitieren —:
Der Allgemeinzustand des Fahrzeuges ist bei der Fahrleistung von rund 115 000 km als sehr gut zu bezeichnen. Die Maschine bedarf einer Generalüberholung. Das Fahrzeug ist verkehrssicher.
Am 8. März — merken Sie sich bitte das Datum — erteilte das Bundesfinanzministerium der Finanzen, Referat II a 4, den Zwischenbescheid:
Der Frage der außerplanmäßigen Bereitstellung von Mitteln für Ersatzbeschaffung eines Dienstkraftwagens vermag ich erst nach Vorlage des Gutachtens meines maschinentechnischen Beamten näherzutreten, falls darin bestätigt wird, daß das bisherige Fahrzeug aussonderungsreif und nicht mehr bis zur Verabschiedung des Haushalts 1956 verwendbar ist. Nach Eingang dieses Gutachtens werde ich zu Ihrem Antrag Stellung nehmen.
Was heißt das? Der Herr Bundesminister Kraft bekam die Antwort, daß zunächst das Finanzministerium noch einmal genau prüfen und ein weiteres Gutachten einholen wolle. Dieser Brief datiert vom 8. März. Er ging am 10. März bei dem Herrn Bundesminister Kraft ein. Am 10. März hat der Herr Bundesminister Kraft ohne Wissen, ohne Willen des Herrn Bundesministers der Finanzen, ohne Mittelbewilligung auf eigene Kappe hin den Betrag von 16 800 DM — nein, nicht verausgabt, sondern veranlagt und sich einen Wagen gekauft, eine schöne Marke „BMW", und hat damit unserem verehrten Herrn Bundeskanzler sehr große Sorge bereitet, wie ich zu wissen glaube.
— Oh, Sie müssen nicht abwinken. Die Koalitionssorgen sind auf diesem Wege um eine Kleinigkeit bekräftigt worden, und Sie haben ja doch den sehr ernsthaften Versuch gemacht, Herr Bundeskanzler, dafür zu sorgen, daß die sachlichen Feststellungen des Herrn Bundesfinanzministers, die hier vorliegen — wie hieß doch das schöne Wort? — „abgestimmt" werden mit dem Herrn Bundesminister für Wasserkraft, dem Herrn Kraft. Diese Abstim-
mang scheint offensichtlich bis zur Stunde noch nicht zustande gekommen zu sein; denn aus dem Brief des Herrn Bundesfinanzministers ist zu ersehen, daß er allein von dem Herrn Bundesminister der Finanzen ausgeht, und, wie es heißt, befindet sich der Herr Bundesminister Kraft krankheitshalber außerhalb Bonns. Ich will nicht sagen, daß wir ihn herbeirufen sollen, ich bin dafür, daß er seine Ruhe behält. Aber nun will ich Ihnen noch einen Prüfungsbericht zitieren, der für die Urteilsbildung des Hauses entscheidend ist — ich bin gleich fertig —:
Der Gesamtzustand ides Fahrzeuges ist noch so gut, daß die Instandsetzung des Fahrzeuges wirtschaftlich vertretbar erscheint. Das Fahrzeug ist zweckmäßigerweise mit einem Tauschmotor instand zu setzen: 1375 DM ... Gesamtinstandsetzungskosten: 1500-1600 DM.
Meine Damen und Herren! In Abwandlung eines bekannten alten Satzes kann man hier in bezug auf die Anschaffung eines neuen Wagens nur sagen: „Kraft durch Freude am Auto". Eine Kenntnis des Etatrechts und einen Respekt vor dem Etatrecht hat der Herr Bundesminister Kraft nicht bewiesen, — ein Grund mehr, dem Antrag zuzustimmen, seinen ganzen Etat zu streichen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schneider .
Meine Damen und Herren, haben Sie keine Angst, ich werde keine Rede vorlesen. Ich möchte mich nur ganz kurz zu den beiden Anträgen äußern, die hier von der SPD und wohl auch vom BITE eingebracht worden sind, zu den Anträgen Umdruck 652 und Umdruck 660.
Ich habe mich gefreut, daß der Abgeordnete Ritzel, soweit ich ihn verstanden habe, nicht an sich gegen die Aufgabenstellung des Ministeriums des Herrn Bundesministers Dr. Schäfer gesprochen hat. sondern daß er nur erklärt hat, das könnte ebenso gut von einem anderen Ministerium gemacht werden. Er will also wohl nur die Ministerstelle selbst einsparen. Nun, meine Damen und Herren, an diesem Ministerium haben die Angestellten und die geistig freischaffenden Berufe ein ganz besonderes Interesse. Sie sind der Meinung. daß die Aufgabenstellung viel gewichtiger und viel besser von einem besonderen Ministerium bewältigt werden kann. Es leuchtet ein, daß die Feststellungen und auch Maßnahmen mit einer ganz anderen Autorität getroffen werden können, wenn es ein besonderes Ministerium ist. Wenn Sie für die vier Millionen Angestellten und für die Hunderttausende von freischaffenden Künstlern und sonstigen Angehörigen freier Berufe etwas tun wollen, dann bitte ich Sie dringend, wie im vergangenen Jahre, so auch in diesem Jahre dem Einzelplan 27 zuzustimmen, so daß Herr Dr. Schäfer im Rahmen des Kabinetts seine Aufgabe erfüllen kann.
Der Herr Bundesminister für besondere Aufgaben, Herr Dr. Schäfer hat das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Aufgabe, die Notwendigkeit meines Amtes hier darzulegen. Das Amt ist entstanden aus legitimen Akten der Regierungsbildung und hat die Zustimmung der an dieser Regierung Beteiligten gefunden.
Ich habe nicht die Aufgabe, die sachliche Rechtfertigung im einzelnen auszusprechen.
Ich möchte aber etwas zu den Angriffen sagen, die hier gegen den Herrn Bundesminister Kraft gerichtet worden sind. Meine Damen und Herren, Herr Kraft ist erkrankt, unterliegt einer Krankenhausbehandlung und ist nun nicht in der Lage, sich hier zu verteidigen und seine Gründe geltend zu machen. Ich möchte nur feststellen, daß der Bericht über den Kraftwagen nicht die Zustimmung des Herrn Kraft hat und infolgedessen nicht seiner Auffassung entspricht und nicht die Argumente enthält, die von Herrn Kraft geltend zu machen sind.
— Ja, meine Damen und Herren, wenn Sie mit törichten Bemerkungen eine rein sachliche Feststellung glauben widerlegen zu können, dann, bitte, überlasse ich Ihnen das. Ich jedenfalls fühle mich verpflichtet, für einen abwesenden Kollegen, der sich nicht zur Wehr setzen kann, mindestens das geltend zu machen, was geltend gemacht werden muß.
Ich sehe das Wesen der parlamentarischen Auseinandersetzung nicht darin, sich wechselseitig zu bösen Menschen zu erklären, sondern darin, sachliche Klarheit zu schaffen über Dinge, die geschehen sind, und nach objektiven Maßstäben zu versuchen, Recht und Unrecht zu unterscheiden.
Aber das ist schon eine Sache, die hier nicht weiter auszuspinnen ist, und ich will Ihre Zeit damit nicht in Anspruch nehmen.
Ich möchte jedenfalls feststellen, daß die gegen Herrn Kraft erhobenen Vorwürfe in keiner Weise erwiesen sind, sondern daß es, ehe man mit diesem Bericht operiert und ihn noch dazu einseitig deutet, zunächst einmal notwendig ist, Herrn Kraft zu der Sache zu hören.
— Nein, er kann nicht hier sein, weil er krank ist.
Sie können doch schließlich nicht einen todkranken Menschen aus dem Krankenhaus herholen.
— Ich habe festgestellt, daß dieser Bericht eine einseitige Darstellung ist, die nicht die Zustimmung des Betroffenen hat. Das berechtigt doch wohl zu der Feststellung, daß man hier nicht Urteile in Abwesenheit eines erkrankten Menschen fällen darf.
Ich bin natürlich auch nicht in der Lage — da ich mit dieser Angelegenheit nicht befaßt bin —, hier auf Einzelheiten einzugehen und in eine Einzelerörterung einzutreten. Mir liegt nur daran, mich gegen die Methode zu wenden, die hier gegenüber einem abwesenden Minister angewendet wird, obwohl keinerlei Gründe dazu vorhanden sind und durchaus Zeit ist, sich rechtzeitig und im einzelnen die nötigen Unterrichtungen zuteil werden zu lassen. Ich stelle fest: hier wird geurteilt, ohne ,den Betroffenen zu hören.
Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Bundesministers für besondere Angelegenheiten Dr. Schäfer zwingen mich zu einer Feststellung und zu einer Frage. Die Feststellung lautet: Die Informationen, die ich hier wiedergegeben habe — zitiert habe, Herr Minister! —, stammen von dem Herrn Bundesminister der Finanzen — „Bonn, den 19. Juni" — und tragen die Unterschrift des Herrn Finanzministers Schäffer. Wollen Sie behaupten, Herr Bundesminister Dr. Schäfer, daß das Unwahrheiten seien? Wollen Sie bestreiten, daß Bekundungen, die die Unterschrift des verantwortlichen Finanzministers tragen, daß diese Bekundungen seiner Beamten auf Unwahrheit beruhen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
ich habe Sie geschont, aber jetzt darf ich Sie fragen: Sind Sie in Kenntnis der Tatsache, daß Ihnen hier an Hand dieses Aktenstücks eine genau gleiche profunde Unkenntnis des Haushaltsrechts nachgewiesen wird? Legen Sie Wert darauf? Dann würde ich das, was hier über Ihren „Sachverstand" steht, ebenfalls bekanntgeben. Ich verzichte in Ihrem Interesse darauf.
Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan 30? — Abgeordneter Samwer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie von links haben ganz recht, wenn Sie zitieren, daß „die Treue kein leerer Wahn ist", und da Herr Minister Kraft heute leider nicht hier sein kann — er hat es selbst tief bedauert —, weil er wirklich erkrankt ist und einer Operation entgegensieht, fühle ich mich verpflichtet, einiges klarzustellen.
Es ist in der Tat üblich, daß Kraftwagen der Minister, die rund 100 000 km und mehr gefahren sind, ausgewechselt werden. Sie sind dann natürlich noch durchaus verwendbar, aber sie werden für die größeren Reisen, die eben von den Chefs gemacht werden, aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht mehr eingesetzt.
— Ja, Herr Wehner, Sie können darüber reden, was Sie wollen! Das ist nun mal so. Vielleicht haben Sie da Minderwertigkeitskomplexe; die kann ich Ihnen nicht abgewöhnen.
— Ja, Sie reden immer vom „Generaldirektor" und so. Das ist ganz unpassend. Ich hin hier als Abgeordneter und Kollege und habe das Recht, genauso meine Meinung zu sagen, wie Sie die Ihre.
Meine Damen und Herren, diese Auskunft, die ich Ihnen eben über den Brauch innerhalb der Regierung gegeben habe, ist von dem Ministerialrat des Bundesfinanzministeriums dem Ministerium Kraft gegenüber bestätigt worden, so daß sowohl der Minister wie die Bearbeiter dort besten Glaubens waren. Nun wurde von dem technischen Gutachter des Finanzministeriums ein Gutachten erstattet, und da wurde in der Tat bestätigt, daß der Wagen, glaube ich, 115 000 km gefahren sei und im übrigen bald eine wesentliche Reparatur durchmachen müsse; es sollte der Motor, das Aggregat oder so ausgewechselt werden.
Danach bestand bei Herrn Minister Kraft und seinen Bearbeitern die Überzeugung, daß nun die Neubeschaffung eines Wagens an sich nur noch eine rein formale Angelegenheit sei. Nun unterschätze ich gar nicht den Begriff des rein Formalen, und ich habe auch die Meinung, daß das rein Formale hier zu kurz gekommen ist. Schuld daran war aber, daß der Gutachter erwartet hatte, der Wagen werde noch 10- bis 20 000 km in der jetzigen Form laufen, während er in Wirklichkeit schon nach 240 km zusammengebrochen war. Da hat — leider — der Dezernent in dem Glauben, daß es sich um eine rein formale Angelegenheit handele, den Ersatzwagen bestellt. Er hätte das meiner Ansicht nach seinem Minister vortragen und diesen veranlassen müssen, sich mit dem Bundesfinanzminister zu verständigen. Das wäre der richtige Weg gewesen. Da liegt ein formaler Fehler vor; das ist zweifellos richtig. Aber daraus dieses Theater zu machen, meine Damen und Herren,
was heute hier aufgezogen worden ist, das finde ich außerordentlich bedauerlich.
— Ja, das nenne ich Theater, was Sie hier aufgeführt haben, ganz recht.
Meine Damen und Herren! Ich bedaure sehr, daß Herr Kollege Ritzel, den ich sonst außerordentlich hoch schätze, diese Sache mit den Daten vom 8. März und 10. März gebracht und noch ausdrücklich gesagt hat: Achten Sie bitte auf die Daten! Das muß doch für jeden, der zu denken versteht, heißen: hier ist mit den Daten irgend etwas nicht in Ordnung. Ich stelle fest, daß Herr Minister Kraft am 10. März, also als dieser Brief eintraf, sich bereits auf der Dienstreise befand, die am 10. März begonnen hatte, so daß er erst Kenntnis von diesen Briefen, sowohl von dem Brief vom 8. März wie von dem vom 12. März, bekommen hat, als er später zurückkam.
Also, meine Damen und Herren, wenn Sie die Dinge rein formal sehen, dann haben Sie das Recht, zu sagen, es ist ein Fehler passiert. Mein Gott, wem ist noch nicht ein Fehler passiert! Deshalb braucht man dem Referenten doch nicht gleich an den Kragen. Aber, meine Damen und Herren, Sie wollen ja mit dieser Sache nur Ihrem Propagandabedürfnis dienen,
und das finde ich in dieser Angelegenheit nicht fair.
Herr Abgeordneter Dr. Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß Herr Kraft krank ist, findet unser aller Mitgefühl. Aber trotzdem muß die Haushaltsberatung zu Einzelplan 30 durchgeführt werden. Es ist unverständlich, daß Herr Bundesminister Schäfer sich hier in einem solchen Ton geäußert hat.
— Ich habe nur gesagt: in einem solchen Ton. Ich
hätte j a auch ein anderes Wort verwenden können.
Hier hat keinerlei Sensationsbedürfnis vorgelegen.
— Entschuldigen Sie einmal. Wie können Sie denn das sagen? Sie schon gar nicht, Herr Niederalt, denn Sie sind ja im Haushaltsausschuß dabeigewesen.
— Wenn Sie das Wort „kabarettistisch" auf die Rede des Kollegen Ritzel anwenden wollen, muß ich Ihnen sagen, daß das Wort sehr viel mehr für andere Darbietungen, die wir heute in diesem Hause von anderer Seite gehört haben, Geltung haben würde.
Ich will eine kurze sachliche Bemerkung machen.
Ich will Ihnen sagen, daß bei der Beratung dieses Haushaltsplans eben bei dem Titel „Ersatzbeschaffungen für Kraftfahrzeuge" diese Dinge zur Sprache kamen. Ich habe das Protokoll des Haushaltsausschusses vor mir. Der Haushaltsausschuß, der am 12. April darüber verhandelt hat, hat in voller Einmütigkeit und auf Antrag verschiedener Kollegen aus verschiedenen Fraktionen den Bundesminister der Finanzen beauftragt, eine Darstellung über den Sachverhalt zu geben. Wie ungewöhnlich dieser Sachverhalt ist, wollen Sie bitte daraus entnehmen, daß der Haushaltsausschuß am Schluß der Haushaltsberatungen einstimmig in das Haushaltsgesetz einen neuen § 9 a eingefügt hat. Dieser Paragraph heißt:
Ersatzbeschaffungen von Kraftfahrzeugen dürfen nur vorgenommen werden, wenn ihre Notwendigkeit durch das Gutachten eines kraftfahrtechnischen Sachverständigen des Bundesministeriums der Finanzen, in den Bereichen des Bundesministers des Innern, des Bundesministers für Verteidiung und des Bundesministers für Verkehr durch das Gutachten des jeweils für den Bereich des betreffenden Ministers zuständigen kraftfahrtechnischen Sachverständigen festgestellt ist. Der Bundesminister der Finanzen kann in besonderen Fällen Ausnahmen hiervon zulassen.
Der Einfügung dieses Paragraphen in das Haushaltsgesetz lag kein parteipolitisches Bedürfnis, kein Propagandabedürfnis und kein Sensationsbedürfnis zugrunde.
Der Haushaltsausschuß hat sich einmütig genötigt gesehen, eine solche Sicherung im Haushaltsgesetz einzufügen, und das sollten Sie respektieren.
Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan 30 liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen nach dem gleichen Modus ab: Wer für den Änderungsantrag Umdruck 652 *), gleichlautend mit Umdruck 660 **), ist, wer also für die Streichung des Einzelplans 30 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer für die Annahme des unveränderten Einzelplans 30 ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Der Einzelplan ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 31 , Geschäftsbereich des Bundesministers für Atomfragen (Drucksache 2473).
Wird das Wort zur mündlichen Berichterstattung gewünscht? — Auf das Wort zur mündlichen Berichterstattung wird verzichtet.
Ich eröffne die Beratung. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wird zum Einzelplan 31 das Wort gewünscht? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl der Herr Bundesminister für Atomfragen bereits im Oktober vergangenen Jahres ernannt worden ist, ist uns — das kann man ihm vielleicht nicht übelnehmen — noch kein detaillierter Planansatz vorgelegt worden. Wir können deshalb zu diesem Globalansatz keine Stellung nehmen.
Aber wir glauben, daß es erforderlich ist, einige allgemeine Bemerkungen zu der Arbeit des Ministeriums zu machen. Das Arbeitstempo des Atomministeriums war bereits in der 141. Sitzung des Hauses Gegenstand der Kritik. Diese Kritik gilt auch heute noch. Am 25. Oktober des vergangenen Jahres erklärte der Herr Bundesminister für Atomfragen, daß im Dezember 1955 ein Kernenergiegesetz das Bundeskabinett passieren werde. Das ist heute, sechs Monate später, noch nicht geschehen. Ein solches Gesetz ist aber im Interesse unserer Bevölkerung dringend erforderlich. Wir können jetzt schon mit Bestimmtheit sagen, daß ein solches Gesetz vor dem Herbst dieses Jahres nicht zur Beratung kommen wird, obwohl bereits im vergangenen Herbst sieben oder acht Referentenentwürfe beim Wirtschaftsministerium vorlagen. Wir müssen also feststellen, daß die Tätigkeit des Ministeriums für Atomfragen dazu geführt hat, die Vorlage des Kernenergiegesetzes um ein Jahr zu verzögern. Die zunehmende Geschäftigkeit gewisser Kreise auf dem Gebiet der Kernenergie verstärkt in uns den Wunsch nach der
*) Siehe Anlage 38. **) Siehe Anlage 39.
baldigen Verabschiedung eines solchen Gesetzes. Wir können uns des leisen Verdachts nicht erwehren, daß mit der Verzögerung dieses Gesetzes eine gewisse Taktik verbunden ist, nämlich die Taktik, vollendete Tatsachen zu schaffen.
Meine Damen und Herren, ich möchte auch noch auf eine Äußerung des Herrn Ministers im Haushaltsausschuß hinweisen. Er hat erklärt, daß die Gefahren auf dem Gebiet der Atomforschung viel leichter zu erkennen seien als die Gefahren auf anderen Gebieten, z. B. der Lebensmittelfärbung. Ich kann diesen Standpunkt des Herrn Ministers nicht teilen. Ich halte ihn im Interesse der Bevölkerung für gefährlich. Viele namhafte Wissenschaftler, die man in Genf z. B. nicht zu Wort kommen ließ, nehmen einen gegenteiligen Standpunkt ein. Deshalb, meinen wir, ist ein solches Kernenergiegesetz dringend erforderlich. Die Gefährlichkeit der Kernbrennstoffe erfordert unbedingt eine öffentliche Kontrolle. Wir halten es für falsch, daß diese öffentliche Kontrolle damit beginnt, daß man die Äußerungen namhafter Atomforscher in Deutschland unter Kontrolle stellt und sie gewisse Dinge nicht ausführen läßt.
Der Ansatz von knapp 45 Millionen DM erscheint uns im Hinblick auf die Aufgaben des Ministeriums mehr als bescheiden. Wir meinen, daß das, was der Herr Professor Hahn sagen wollte und, wie das „Hamburger Echo" berichtet hat, nicht durfte, nämlich daß man einige hundert Millionen benötige, wahr ist. Wenn wir bedenken, daß wir bei gleichen Aufwendungen je Kopf der Bevölkerung im Verhältnis zu England 800 Millionen DM ausgeben müßten, ist der Haushaltsansatz von 45 Millionen DM sehr gering, zumal wir noch 10 oder 15 Jahre nachzuholen haben.
Wir wollen hoffen, daß der Herr Minister die notwendige Initiative ergreift und uns durch die Schaffung eines Gesetzentwurfs für die Kernenergie in die Lage versetzt, ein solches Gesetz zu verabschieden, damit wir endlich einmal dazu kommen, den Abstand aufzuholen, der uns von den anderen Nationen trennt.
Das Wort hat der Bundesminister für Atomfragen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 31 des Bundesministers für Atomfragen wird in Form eines Nachtragshaushalts mit den einzelnen Ansätzen den Weg der normalen Gesetzgebung gehen und der parlamentarischen Kritik unterzogen werden. Ich darf deshalb auf eine Begründung zu meinem seit Wochen gedruckt vorliegenden Haushaltsplan verzichten und nur auf einzelne Gedanken meines Herrn Vorredners eingehen.
Der Bundesminister für Atomfragen ist am 6. Oktober 1955 durch Kabinettsbeschluß in dieses Amt berufen worden. Durch den Widerstand einer damaligen Koalitions- und nunmehrigen Oppositionspartei hat sich die Arbeitsaufnahme um einige Wochen verzögert, was Ihnen wohl bekannt sein dürfte. Er hat im Januar dieses Jahres seine Arbeit beginnen können, als ihm die nötigen Amtsräume zugewiesen wurden und er die Mitarbeiter aus der Bundes- und Landesverwaltung für seine Tätigkeit gewinnen konnte.
Der Einzelplan 31 ist von mir, ich glaube, vor etwa vier oder fünf Wochen, dem Bundesfinanzministerium eingereicht worden, aber, da die Drucklegung in Berlin beinahe drei Wochen erforderte, nicht mehr den normalen Weg der Beratung gegangen — wie ich annehme, in Übereinstimmung mit dem Haushaltsausschuß —, sondern nur mit einer Pauschalsumme in diesen Haushaltsplan aufgenommen worden. Ich habe diese Behandlung eigens gewünscht, um jeden einzelnen Ansatz dieses Haushaltsplans im Parlament und im Parlamentsausschuß für Fragen der Atomenergie persönlich rechtfertigen zu können; denn mir erscheint diese Materie bedeutsam genug, um sie nicht nur in der Atomkommission, sondern auch in den Gremien des Parlaments behandeln zu lassen. Ich bin bei aller Eigenwilligkeit der letzte, der sich hier nicht eine Korrektur dieser Ansätze — hoffentlich nach oben hin — gefallen lassen würde.
Ich habe hier nicht das Recht, über mein Arbeitstempo ein Urteil abzugeben, wozu Sie immer das Recht haben, ich darf nur darauf hinweisen, daß ich erst im Januar den Mitarbeiter gewinnen konnte, der die Arbeit am Kernenergiegesetz aufgenommen hat. Ich darf mit Dank die Vorarbeiten zitieren, die das Wirtschaftsministerium und die die Interparlamentarische Gesellschaft für naturgemäße Wirtschaft geleistet haben. Ich darf aber mit tiefem Ernst darauf hinweisen, daß zum Beispiel in den Vereinigten Staaten von Amerika jahrelang Atomforschung und Atomentwicklung bis zur Konstruktion und Verwendung einer Atombombe getrieben worden sind, bevor man dort in der Lage war, ein Gesetz zu verabschieden. Ähnliche Verhältnisse gelten für Frankreich und für Großbritannien.
Wir haben die vorliegenden Entwürfe übernommen. Sie haben nach den in raschem Entwicklungstempo befindlichen Arbeiten des Auslands nicht die Grundlage geboten, um auf ihnen allein aufbauen zu können. Wir haben am 26. Januar der deutschen Atomkommission die Grundgedanken eines deutchen Atomenergiegesetzes vorgelegt. Wir haben im Februar und März dieses Gesetz in der Fachkommission mit Unterkommissionen bearbeitet. Wir haben im April dieses Gesetz in der Atomkommission verabschiedet, Herr Kollege. Wir haben den Monat Mai — auch in meiner Abwesenheit; ich war in den USA — dazu benutzt, um im interministeriellen Ausschuß die zahlreichen schwierigen Einzelfragen zu behandeln. Der Gesetzentwurf liegt seit etwa 14 Tagen fertig vor. Meine Herren arbeiten zur Zeit an der Begründung, damit er in der nächsten Woche dem Bundeskabinett zugeleitet werden kann. Der Gesetzentwurf selbst ist fertig.
Ich darf aber sagen, daß die von ,der Opposition und die von den der Opposition nahestehenden Wissenschaftlern geäußerten Bedenken dazu beigetragen haben, noch einmal den Schutz der Bevölkerung vom technischen und vom haftungsrechtlichen Standpunkt aus und von den im Ausland gewonnenen Erfahrungen aus aufs genaueste zu überprüfen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, wären die ersten und mit Recht die ersten, die mir Vorwürfe machen würden, wenn wir Entwürfe sozusagen aus der Tasche heraus dem Parlament übergäben. Die Fragen des Bevölkerungsschutzes, die Ungewißheit der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet veranlassen uns zu einer besonderen Gründlichkeit. Ich glaube, das ist ein ernstes Anliegen des deut-
sehen Volkes; es hat ein Recht darauf, von seiner Regierung ein begründetes Gesetz zu erhalten, dessen Schöpfer nicht vom Ehrgeiz getrieben sind, Initiatoren eines Gesetzes auf diesem Gebiet zu sein.
Sie sagten, daß ein Gesetz im Interesse der Bevölkerung dringend erforderlich sei. Ich teile Ihren Standpunkt. Ich habe das letzte Mal gesagt: Ein richtiges Gesetz, im richtigen Zeitpunkt vorgelegt, ist besser als ein Gesetz, um jeden Preis vorzeitig vorgelegt. Das Gesetz ist fertig. Bis jetzt gibt es in der Bundesrepublik keinen einzigen Atomreaktor. Bis der erste Atomreaktor in Deutschland in Betrieb gesetzt sein wird, wird das Gesetz mit der Hilfe des Parlaments längst das Licht der Welt erblickt haben. Dann, glaube ich, werden gerade die im Bundestagsausschuß für Fragen der Atomenergie mit dieser Frage befaßten Parlamentarier, genauso wie es mir ergangen ist, gemerkt haben, welche Fülle von schwierigen Problemen, die man auf den ersten Blick nicht erkennt, mit der Verabschiedung eines Atomenergiegesetzes zusammenhängen. Ich persönlich bin der Meinung, es ist keine Angelegenheit der Regierung oder ihrer Parteien, es ist eine Angelegenheit des 'deutschen Volkes und der politischen Kräfte, erstens die Entwicklung zu fördern und zweitens die Gefahren aus dieser Entwicklung zu bannen.
Ich glaube nicht — das ist natürlich subjektiv, Herr Kollege —, daß das Gesetz durch mein Ministerium ein Jahr verzögert worden ist. Ich könnte den Beweis dafür im einzelnen erbringen; Sie werden es mir nicht glauben. Ich bleibe davon überzeugt. Ich unterlasse deshalb die Beweisführung.
Ich bitte Sie, mit Vorsicht in die ideologischen Kämpfe einzutreten mit der Bemerkung „Geschäftigkeit gewisser Kreise auf dem Gebiet der Kernenergie." Solange die Bundesregierung keine Lizenz erteilt, kann niemand in Deutschland, weder die Wissenschaftler der privaten noch die der öffentlichen Hand, auf diesem Gebiet irgend etwas außer Forschungsarbeiten unternehmen. Bei Forschungsarbeiten sind wir angesichts des von Ihnen erwähnten 10- bis 15jährigen Rückstands dankbar dafür, wenn sich die öffentliche Hand — Bund, Länder —, die Industrie in Deutschland und die Wirtschaft, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zur Aufholung des Rückstands gemeinsam bemühen. Der Steuerzahler allein kann es nicht machen.
Ich darf hier den Kollegen Ritzel zitieren, der im Haushaltsausschuß bei der Behandlung dieses Haushaltsplans erwähnt hat, der Bund möge bemüht sein, daß die Gelder, die er in die Forschung der Kernspaltung hineingibt, auch wieder aus der Kernspaltung herauskommen. Ich danke für diesen ökonomischen Rat, den der Kollege Ritzel gegeben hat. Aber lassen Sie mich eins sagen: Gelder für die Forschung werden sich nie in unmittelbaren Profiten auswirken; Forschungsgelder werden sich immer so auswirken, daß die Volkswirtschaft des gesamten Landes gegenüber den Wirtschaften der ausländischen Staaten konkurrenzfähig bleibt. Das gilt für die USA, das gilt für die Sowjetunion, das gilt für Großbritannien, das gilt für Frankreich und für andere Länder. Wir werden Hunderte von Millionen für Forschung ausgeben müssen, ohne daß sich eine unmittelbare Rendite — es ist ja beinahe ein kapitalistisches Denken, dessen Anwendung Kollege Ritzel hier empfohlen hat — aus den vom Staate aufgewendeten Forschungsmitteln ergeben wird.
Sie sprachen, Herr Kollege, von der Taktik, vollendete Tatsachen zu schaffen. Ich glaube, wenn Sie sich näher mit diesen Fragen befassen, werden Sie feststellen, daß es vollendete Tatsachen nicht gibt, es sei denn der Ausbau der physikalischen und chemischen Institute unserer Universitäten und Technischen Hochschulen, und diese vollendeten Tatsachen werden Sie genauso wie ich dankbaren Herzens begrüßen.
Sie haben mit Recht auf die Gefahren hingewiesen, die die Wissenschaftler erwähnen. Sie haben eins nicht gesagt: Wo ist einem deutschen Wissenschaftler durch die Bundesregierung untersagt worden, sich über die Gefahren zu äußern? Mir ist kein Fall bekannt. Ich kenne den Fall des amerikanischen Professors Muller. Aber glauben Sie, daß ein amerikanischer Staatsbürger, öffentlicher ordentlicher Professor einer amerikanischen Universität, von der Bundesregierung ein Redeverbot in Genf erhalten hat, in Genf, wo wir nur durch Beobachter vertreten waren? Das glauben Sie doch selber nicht, Herr Kollege. Es gibt keinen einzigen Fall, daß ein deutscher Wissenschaftler, sei es direkt oder indirekt, aufgefordert worden ist, über die drohenden Gefahren der radioaktiven Verseuchung der Atmosphäre, des Wassers einen Vortrag n i c h t zu halten. Was die amerikanische Atomenergiekommission tut, habe doch ich nicht in diesem Hause oder bei diesem Haushaltsplan zu vertreten.
— Ich lese nicht alle Meldungen des „Hamburger Echo". Ich weiß nur, daß die Bundesregierung in profunder Überzeugung und in echtem Respekt vor der Freiheit der wissenschaftlichen Forschung und Lehre niemals einem 'deutschen Forscher einen Maulkorb umhängen wird. Dazu stehe ich, dazu bekenne ich mich, und dabei wird es auch bleiben, solange die politischen Verhältnisse so sind wie zur Zeit.
Wir hören nicht gern, 'daß manche Wissenschaftler, echte und vermeintliche Wissenschaftler, immer dann ihre Warnungsrufe ausstoßen, wenn die Amerikaner Atombombenversuche machen, aber schweigen, wenn die Sowjetrussen genau dasselbe tun.
Für diese Verschiedenheit der Maßstäbe haben wir kein Verständnis. Ohne Zweifel sind alle diese Experimente irgendwie ein Risiko. Es gehört aber bei manchen Leuten allmählich zum guten Ton, sozusagen zur intellektuellen Gesellschaftsfähigkeit, daß man vor der amerikanischen Atombombenexperimentaltätigkeit warnt und bei der der Russen in ehrfürchtiges Schweigen versinkt.
Es gibt in Bayern eine Atomkommission. Wir haben in Bayern einen von mir selber hockgeschätzten Ministerpräsidenten der SPD, der eine Atomkommission eingerichtet hat.
— Herr Kollege, Sie werden es kaum glauben, aber es ist so! Jedes Land braucht ja seine Atomkommission. Ich habe auch vor dieser Atomkommission jüngst gesprochen; ihr Geschäftsführer ist der Festtagsredner der SPD auf ihrer Atomkonferenz in Kempten beim letzten Parteitag, der Privat-
dozent D r. Kranz. Ich weiß nicht, ob er Mitglied bei Ihnen ist; es ist auch völlig gleichgültig.
Er hat jüngst die für mich .als Bundesaufsichtsbehörde sensationelle Äußerung getan, Atombombenversuche der Großmächte seien völlig überflüssig, seien geradezu sinnlos, weil sich Atombomben ja auch in Laboratorien herstellen ließen und der Laboratoriumstest jedes Experiment in der Öffentlichkeit überflüssig mache. Daraufhin bin ich beinahe in Versuchung gekommen, zu fragen, ob in München in der Amalienstraße in der Universität durch Herrn Dr. Kranz Atombomben im Keller hergestellt werden. Was sind doch Amerikaner und Russen für Stümper, daß sie 2 Millionen qm Gelände absperren müssen, um Atombomben zu versuchen, wenn das in München der Geschäftsführer der bayerischen Atomkommission und SPD-Festtagsredner im Keller machen kann!
— Das sind Tatsachen. Ich bin im Ausland auf Grund der Äußerungen, die in der Presse gestanden haben, gefragt worden, ob es möglich sei, ohne offiziell bekanntwerdende Experimente Atombomben im Keller herzustellen.
— Ich bin wirklich danach gefragt worden, verehrter Herr Kollege Wehner, Sie werden es kaum glauben. Bei Ihren Reisen werden Sie nach anderen Dingen gefragt, ich eben nach diesen; das ist der Unterschied.
Wenn Sie, Herr Kollege, erwähnen, daß Kernbrennstoffe der offiziellen Kontrolle unterliegen müssen, so gebe ich Ihnen darin hundertprozentig recht. Es gibt keinen Staat auf der Welt, gleichgültig, welchen politischen Systems, der darauf verzichten kann, über Einfuhr, Produktion und Verwendung von Kernbrennstoffen eine lückenlose Kontrolle auszuüben. Dazu hat der Staat nicht nur ein Recht, sondern es ist seine Pflicht.
— Wenn über meinen Haushaltsplan gesprochen wird, habe ich das Recht zu antworten, das ist parlamentarische Freiheit. Ich bin auch Parlamentarier.
Ich darf Ihnen hiermit offiziell erklären, daß es bis jetzt in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht ein Gramm Kernbrennstoff gibt und daß das Atomenergiegesetz, dessen Existenz Sie vermissen, in Kraft getreten sein wird, bevor das erste Gramm Kernbrennstoff auf deutschem Boden erzeugt oder in das Gebiet der Bundesrepublik eingeführt sein wird.
Zum Schluß haben Sie gesagt, 44 Millionen seien zu wenig. Ich bin von der schüchternen Hoffnung gequält, daß Sie wenigstens die 44 Millionen bewilligen werden, damit ein Teil Ihrer Vorstellungen verwirklicht werden kann, und daß damit in Zukunft auch die Hunderte von Millionen, von denen Sie gesprochen haben, Wirklichkeit werden können. Glauben Sie mir aber eines: Die 44 Millionen sind auch von dem von Ihnen, Herr Kollege, erwähnten Präsidenten und Professor Otto Hahn erstens mitbesprochen und zweitens mitgebilligt worden. So leid es mir tut, das sagen zu müssen: es ist für dieses Haushaltsjahr das Maximum dessen, was unter dem Gesetz der Sparsamkeit, der Verpflichtung zur rationellen Verwendung und zur großzügigen Bedienung und Behandlung der Wissenschaft im Gebiet der Bundesrepublik ausgegeben werden kann. Wenn Sie jetzt die 44 Millionen genehmigen, dann bitte ich Sie, das nicht als Hindernis dafür zu betrachten, im nächsten Haushaltsplan an die 100 Millionen bewilligen zu können.
Weitere Wortmeldungen zu Einzelplan 31 liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 31 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen ist der Einzelplan 31 angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 32, Bundesschuld .
Berichterstatter ist der Abgeordnete Wacker . Es liegt ein Schriftlicher Bericht *) vor.
Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich eröffne die Beratung. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung über Einzelplan 31.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Einzelplan 32 ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 33, Versorgung
Ein Schriftlicher Bericht **) liegt vor. Auf mündliche Berichterstattung wird verzichtet.
Ich eröffne die Beratung. Hier liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 655 ***) vor. Wird zu diesem Änderungsantrag das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Umdruck 655. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Änderungsantrag auf Umdruck 655 ist abgelehnt.
Wird weiter das Wort zu diesem Einzelplan gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 33 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Einzelplan 33 ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 35, Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt nichtdeutseher Streitkräfte .
*) Siehe Anlage 40. **) Siehe Anlage 41. ***) Siehe Anlage 42.
Der Abgeordnete Friese hat einen Schriftlichen Bericht ) vorgelegt.
Es liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 656 **) vor. Ich frage, ob dieser Änderungsantrag begründet wird. Herr Abgeordneter Dr. Arndt hat das Wort zur Begründung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion wird den Einzelplan 35 ablehnen; aber hilfsweise stellt sie diesen Änderungsantrag, und zwar aus folgenden Gründen:
Nach dem Truppenvertrag Art. 11 Abs. 5 sind die Behörden der Streitkräfte verpflichtet, Zustellungen an die Mitglieder der Streitkräfte entweder zuzulassen oder sie durchzuführen. Dabei handelt es sich im wesentlichen um Unterhaltsklagen.
Zu dieser Frage hat der Herr Bundesminister der Justiz in der 147. Sitzung des Bundestages am 6. Juni dieses Jahres in der Fragestunde erklärt, es lasse sich zwar nicht die Feststellung treffen, daß das amerikanische Hauptquartier in keinem Falle die Zustellung einer erforderlich gewordenen Unterhaltsklage an einen amerikanischen Soldaten weitergeleitet habe. In „einigen" Fällen seien Zustellungen in Unterhaltssachen erfolgt. In einer „geringen Zahl" von Verfahren sei auch ein Unterhaltsurteil gegen amerikanische Soldaten ergangen. In der weitaus größten Zahl dagegen, sagte der Bundesminister der Justiz, habe das amerikanische Hauptquartier die Zustellung von Klagen nicht durchgeführt. Dann hat der Herr Minister der Justiz hinzugefügt, es sei ihm in diesem Monat von der amerikanischen Botschaft mitgeteilt worden, daß die Militärbehörden zwar die Zustellung von Unterhaltsklagen bewirken würden, daß sie aber nicht bereit seien, bei der Vollstreckung von Urteilen in Unterhaltssachen Hilfe zu leisten. Die amerikanische Botschaft habe dabei auf Art. 10 Abs. 1 des Truppenvertrages hingewiesen, der eine Vollstreckungshilfe vorsehe, soweit es die dienstlichen Vorschriften zuließen. Als dienstliche Vorschrift wird von der amerikanischen Seite eine Dienstvorschrift der Armee aus dem Jahre 1939 genannt, die eine Hilfe bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen nur auf Grund eines amerikanischen Gerichtsurteils oder dann gestattet, wenn der Soldat die Vaterschaft anerkannt hat.
Das heißt auf deutsch, daß ungeachtet der Bestimmungen des Truppenvertrages, der offensichtlich recht mangelhaft abgefaßt ist, die gesamten Unterhaltsklagen nicht durchgeführt werden können, jedenfalls es nicht möglich ist für die deutschen Mütter dieser Kinder, deren Erzeuger zu den hier stationierten Truppen gehören, Unterhaltsleistungen für die Kinder zu bekommen. Meine Fraktion ist überzeugt, daß das ein für das ganze Volk nicht würdiger Zustand ist. Wir sind darüber hinaus überzeugt, daß wir mindestens eine moralische Verpflichtung haben, hier den Unterhaltsberechtigten und namentlich auch den Kindern, die wirklich nicht daran schuld sind, auf welche Weise sie geboren wurden, dazu zu verhelfen, daß ihnen eine Unterhaltsleistung gewährt wird.
— Sehr richtig! Ich danke Ihnen, Frau Kollegin Weber.
*) Siehe Anlage 43. **) Siehe Anlage 44.
Wenn wir aber nun, falls Sie das beschließen, enorme Beträge an Stationierungskosten zahlen müssen, wird es sich als eine Notwendigkeit herausstellen, von diesen Stationierungskosten einen Betrag abzuzweigen, der sicherstellt, daß diese Unterhaltsleistungen, zumal die der Kinder, erfüllt werden.
Wird dazu weiter das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung.
— Ich wollte zunächst über den Änderungsantrag abstimmen lassen.
Wenn zu diesem Änderungsantrag weiter nicht das Wort gewünscht wird, wollen wir darüber zunächst abstimmen, also über Umdruck 656 *), den soeben begründeten Änderungsantrag der SPD. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Nun kommen wir zu der allgemeinen Aussprache über diesen Einzelplan 35. Wird dazu das Wort gewünscht? — Herr Professor Dr. Gülich!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir verfügen hier, zumeist ohne Berichterstattung, häufig ohne Aussprache, ohne beschlußfähig zu sein, über Milliarden.
Wir werden uns dafür zu verantworten haben. Wir reiten die parlamentarische Demokratie durch solches Verhalten zu Tode. Wir werden uns auch dafür verantworten müssen.
Wir haben alle paar Wochen den Verlust eines geschätzten Kollegen, der zu früh von uns geht, zu beklagen. Der Herr Präsident dieses Hauses hat beim Heimgang unseres Kollegen Naegel neulich an uns alle eine Mahnung gerichtet. Diese Mahnung wird nicht beachtet. Es geschieht nichts. Wir ruinieren uns.
Ich möchte, da ich keine Kritik an dem Herrn Präsidenten übe, weil sein Amt zu hoch steht, einen Notruf an ihn richten: er möge die Autorität, die ihm sein Amt gegeben hat, dazu benutzen, um solchem Mißbrauch der parlamentarischen Arbeit zu steuern.
Ich habe im Namen meiner Fraktion die Aufgabe, zu dem Einzelplan 35 zu sprechen. Ich komme dieser Verpflichtung auch zu dieser Stunde nach, weil ich mich ihr nicht entziehen kann. Der Einzelplan 35 steht mit 3 133,8 Millionen zu Buch. Es handelt sich um Besatzungskosten und Auftrags-
*) Siehe Anlage 44.
ausgaben in Berlin in Höhe von 194,2 Millionen, um Stationierungskosten, d. h. um den auf 1956 entfallenden Anteil vom 1. 4. bis 5. 5. in Höhe von 35,2 Millionen.
Von einer titelmäßigen Aufgliederung
— sagt der Plan —
mußte abgesehen werden, da entsprechende Unterlagen der Behörden der Streitkräfte nicht vorliegen.
Es handelt sich weiter um einen Besatzungskostenüberhang von 1380 Millionen, die jetzt auf einem Sonderkonto bei der Bank deutscher Länder angelegt sind, einen Stationierungskostenüberhang von 902 Millionen und um „Verteidigungsaufwand", der im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Aufenthalt nichtdeutscher Streitkräfte in der Bundesrepublik und in Berlin entsteht — außer Stationierungskosten —, in der Bundesrepublik 390,8 Millionen und in Berlin 34,6 Millionen, zusammen über 3 100 000 000 DM.
Die beiden Posten Besatzungskostenüberhang und Stationierungskostenüberhang mußten ebenfalls als Globalbeträge veranschlagt werden, weil die titelmäßige Aufgliederung mangels entsprechender Unterlagen der Behörden der Streitkräfte nicht möglich ist.
Soviel über das, was im Einzelplan 35 steht.
Interessanter ist das, was nicht drinsteht, was aber durch einen Nachtrag in den Einzelplan 35 eingefügt werden wird. In Art. 4 Abs. 4 des Finanzvertrages, den Sie im Februar 1955 beschlossen haben — er war schon einmal, im Dezember 1952, in teilweise anderer Form beschlossen worden —, verpflichtet sich die Bundesregierung, daß sie „im Geiste des Art. 3 des Nordatlantikpakts" ihre Bereitschaft erklärt, nach Ablauf der Frist — der 5. Mai 1956 ist es geworden — mit anderen Mitgliedsregierungen der Nordatlantikpakt-Organisation, die Streitkräfte im Bundesgebiet stationiert haben, in Verhandlungen über Fragen bezüglich des Unterhalts dieser Streitkräfte einzutreten, wobei der Bedarf der Streitkräfte der Bundesrepublik zu berücksichtigen ist. Im Jargon der Ministerialbürokratie spricht man von diesem Artikel als dem „HeiligenGeist-Artikel". Das ist kein gutes Wort. Es ist richtig, daß wir durch diesen Artikel zur Zahlung nicht verpflichtet werden, sondern zur Verhandlung. Es ist richtig, daß, wer verhandeln kann, auch nein sagen kann. Aber das hat doch nur eine formale Bedeutung. Der Bundesfinanzminister hat sich gesträubt und ist sofort mit seinem Sträuben, weitere Stationierungskosten zu zahlen, in die Öffentlichkeit gegangen. Die Alliierten haben vor einigen Monaten Noten geschickt. Diese Noten wurden nicht publiziert, sie sind auch den Ausschüssen des Parlaments nicht zugestellt worden. Das Parlament weiß also nicht genau, was darin gefordert wurde.
Während der Bundesfinanzminister nun mit den Alliierten um die Auslegung des Finanzvertrages kämpfte, geschah das Unerwartete: der Herr Bundeskanzler traf plötzlich eine Entscheidung. Wenn ich recht sehe, hat der Herr Bundeskanzler dem Bundesfinanzminister die Verhandlungen mit den Alliierten aus der Hand genommen. Soviel ich weiß, werden sie jetzt von Herrn Staatssekretär Hallstein geführt. Nun geschah also das Merkwürdige, daß der Kanzler vor seiner Amerikareise, ohne mit den anderen Alliierten ein Abkommen zu treffen, den Amerikanern — wie die Neue Züricher Zeitung am 16. Juni schrieb — ein Good-will-Geschenk machte. Er nahm also gewissermaßen die Morgengabe aus dem Tempel — oder dem Juliusturm — und brachte sie als Gastgeschenk in die Vereinigten Staaten. Wir wissen ja, wie erfolgreich er zurückgekehrt ist: gleich mit zwei neuen Doktorhüten und einem prächtigen Indianerkopfschmuck;
ich möchte ihn gern mal darin sehen.
— Herr Kollege Kunze!
— Das ist eine Geschmacklosigkeit?
— Glauben Sie denn, daß ich es nicht ernst nehme?
— Dann sagen Sie mir doch einmal, mit welchem Erfolg er aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt ist! Dann sagen Sie doch einmal, ob Sie es wirklich billigen, daß er mit den Vereinigten Staaten allein ein Abkommen getroffen und den Herrn Bundesfinanzminister hier in seinen Verhandlungen allein gelassen hat!
Darum handelt es sich doch! Es handelt sich doch nicht darum, daß ich das nicht ernst nähme!
— Verehrte Frau Kollegin Weber! Vielleicht hätte ich den Kopfschmuck weglassen können und vielleicht hätte ich ihn auch weggelassen, ich weiß es nicht. Ich habe ja kein vorbereitetes Manuskript, nur ein paar Zettel mit Notizen und Zahlen. Wenn ich nicht genötigt wäre, zur späten Nachtstunde zu sprechen, dann hätte ich es vielleicht weggelassen
— vielleicht nicht, ich weiß es nicht. So schrecklich geschmacklos, Herr Kollege Kunze, ist es ja nun nicht. Ich bemühe mich immer, die Grenzen des guten Geschmacks nicht zu übertreten und niemanden zu verletzen. Ich werde darüber schlafen.
Wenn man nun die 650 Millionen, die der Herr Bundeskanzler als „Good-will-Geschenk" — wenn ich den Ausdruck der „Neuen Zürcher Zeitung" gebrauchen darf — den USA präsentierte, zugrunde legt, dann ergibt es umgerechnet auf die anderen Besatzungsmächte 1450 Millionen, außerdem eine runde Milliarde in geldwerten Leistungen und 100 Millionen für Belegungsschäden und das Schlußfreimachungsprogramm, so daß wir dann in diesem Haushaltsjahr im Einzelplan 35 zu einer Summe von über 5600 Millionen, also 5 Milliarden und 600 Millionen kommen werden. Ich hätte am liebsten gesagt: „die Situation ist da"; aber dann würde ich wahrscheinlich wieder der Geschmacklosigkeit bezichtigt.
Und nun muß ich auf folgendes hinweisen, was das Parlament und was das deutsche Volk angeht: auf das, was sich denn eigentlich hier abspielt. Glauben Sie mir doch, daß Unstimmigkeiten in der Regierung, wie sie jetzt so häufig zutage treten, uns nicht erfreuen. Es ist ja auch unsere Regierung, und wir möchten doch gern, daß wir dieser Regierung auch mit allem Respekt gegenüberstehen könnten. Was sich aber hier alles ereignet,
— wir haben ja soeben wieder ein Beispiel durch das Auftreten des Herrn Bundesministers Schäfer erlebt, der eine solche unqualifizierte Kritik an einem Bericht des Herrn Bundesfinanzministers übte! Das muß doch im Parlament gesagt werden können. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb gestern in einer Glosse, indem sie den alten David Hansemann zitierte: „In Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf." Nun ja, das tut sie, und deshalb müssen wir uns schon in den Geldsachen genau äußern.
Was sich da abgespielt hat, ist ein Verfahren, welches nicht befriedigt. Es ist wirklich kein guter Stil. Sie wissen, was ich meine: den Briefwechsel zwischen dem Herrn Bundesfinanzminister und dem geschätzten Kollegen Dr. Vogel. Wenn dieser Brief vertraulich war, dann sollte er auch vertraulich behandelt werden, dann kann man ein solches vertrauliches Schreiben nicht in vervielfältigter Form an mindestens 30 Personen versenden. Wenn aber sachliche Information notwendig war, dann mußte diese sachliche Information an alle Parlamentsmitglieder, zum mindesten aber an alle Mitglieder des Haushaltsausschusses gegeben werden. Darin, daß Sie, wie es in dem Schreiben ausdrücklich heißt, nur an die ordentlichen und stellvertretenden Mitglieder der Koalitionsparteien im Haushaltsausschuß gegeben worden ist, muß man doch eine Mißachtung der Opposition und eine Verkennung der Rolle der Opposition sehen.
Nun geschieht das ganz Unerhörte und Unmögliche: Vorgestern bezichtigt ein Sprecher der Regierung in einer offiziellen Pressekonferenz den Bundesfinanzminister der Unwahrheit, er stellt ihn geradezu als Lügner hin. Meine Damen und Herren, das ist ein ungutes Verfahren, und der Herr Bundesfinanzminister hat gestern hier erklärt, daß er subjektiv und daß er auch objektiv im Recht sei.
— Bitte, Frau Kollegin Weber?
— Haben Sie es noch nicht begriffen? Dann will ich es Ihnen gern noch einmal sagen. Ich habe erstens darüber gesprochen, was in dem Einzelplan 35 drinsteht, nämlich über 3,1 Milliarden. Ich habe zweitens gesagt: Ich will jetzt darlegen, was im Augenblick noch nicht darinsteht, was aber in Kürze hineinkommt. Der Herr Bundeskanzler hat ja bereits 650 Millionen DM an neuen Stationierungskosten den Amerikanern zugesagt. Unvermeidlicherweise kommen die anderen Alliierten dazu, ich nannte Ihnen insgesamt die Summe von etwa 1450 Millionen an neuen Stationierungskosten in bar. Diese Summe muß ja noch nachträglich in diesen Einzelplan 35 eingesetzt werden, dazu die rund 1000 Millionen DM in geldwerten Leistungen und 100 Millionen für Belegungsschäden. Das habe ich Ihnen dargelegt. Und da das auf uns zukommt
— nur jetzt formal noch nicht darinsteht —, haben wir bei dieser Haushaltsberatung die Verpflichtung, darüber zu sprechen; denn wir, das Parlament, werden es ja im Nachtragshaushalt bewilligen müssen.
— Ich bin auch überzeugt davon — das ganze ist ja weniger eine Frage der Überzeugung als eine Frage der Prüfung der Dokumente —, daß der Herr Bundesfinanzminister in dieser Sache recht hat. — Ich weiß gar nicht, ist eigentlich der Herr Bundesfinanzminister hier?
— Hier kommt es auf den Minister an.
Ich sehe auch den Verteidigungsminister nicht. Wenn das Plenum schon mit der Haushaltsberatung in einer Nachtsitzung bemüht wird und es um beinahe 6 Milliarden in diesem Einzelplan geht, dann sollten die Herren da sein. Ich beantrage namens meiner Fraktion die Herbeiholung dieser beiden Minister.
— Der Herr Staatssekretär, den ich persönlich hochschätze, genügt für diese politische Frage nicht; der Herr Minister hat anwesend zu sein.
Der Herr Minister sollte diese Stellungnahme der Opposition anhören, und man muß ihm ja auch Gelegenheit geben, etwas dazu zu sagen.
Herr Minister Schäffer ist ja auch heute wieder vom Regierungschef brüskiert worden, ohne übrigens diesmal Rücktrittsabsichten geäußert zu haben.
Aber im „Simplizissimus" dieser Woche steht der schöne Satz: „Ein Bundesminister tritt vielleicht einmal daneben, aber niemals zurück."
Es ist doch traurig, wenn man sieht, wie es in diesem Bundeskabinett zugeht, wieviel verschiedenartige Meinungen und in welcher Form diese Meinungsverschiedenheiten öffentlich ausgetragen werden. Das kann doch auch Ihre Zustimmung nicht finden.
Die Situation
— gewiß, die Situation ist da. Aber ich muß doch jetzt kurz dazu sprechen, was von uns gefordert wird und was der Herr Bundesfinanzminister getan hat. Er hat den Brief des Herrn Dr. Vogel, der nach vier wichtigen Punkten fragt, beantwortet. Diese Punkte müssen doch dem Parlament bekannt werden, wenn sie es noch nicht sind.
— Sie stehen in allen Zeitungen. Aber was in allen Zeitungen steht, ist ja deshalb noch nicht parlamentsbekannt.
Es ist jedenfalls sehr interessant, daß der Brief des Herrn Ministers Schäffer sich sehr klar darüber äußert, daß die Frage, ob weiter Stationierungskosten verlangt werden oder es sich um eine voraussichtlich einmalige Leistung handelt, dahin zu beantworten ist, daß auch für spätere Haushaltsjahre mit ähnlichen Zahlungen gerechnet werden muß. Der Brief ist ja im einzelnen sehr präzis. Da ich vermute, daß er alsbald doch im vollen Wortlaut bekannt wird, empfehle ich das Studium allen Mitgliedern des Hauses.
Ich möchte Ihnen nur ausdrücklich sagen: ich habe diesen Brief von keinem der Empfänger bekommen; ich habe ihn selbstverständlich von keiner amtlichen Stelle bekommen. Er wehte mir sozusagen auf den Tisch. Es handelt sich hier ja auch ganz offensichtlich um Fragen, mit denen sich das ganze Parlament befassen muß.
Was waren denn nun eigentlich die tieferen Ursachen dieser ganzen Spannungen? Die tieferen Ursachen liegen darin, daß der Bundesfinanzminister nicht jetzt versagt hat, sondern früher!
Er hat versagt bereits im Jahre 1952, und er hat erneut versagt im Jahre 1955, und hierüber, meine Damen und Herren, muß leider etwas gesagt werden. Ich sage das ja nicht, um zu erklären: Ich habe recht behalten. Ich gebe Ihnen die Versicherung: es wäre mir lieber, wenn ich nicht recht behalten hätte. 1952 haben Regierung und Parlament versagt. Sie haben die Warnungen, die wir auf Grund sorgfältiger Studien der Verträge in den Ausschüssen und hier ausgesprochen haben, einfach in den Wind geschlagen. Sie haben Illusionen gehegt und sind dem Bundeskanzler blindlings gefolgt.
Aber - und das interessiert hier - der Bundesfinanzminister trägt die Verantwortung dafür voll mit. In der 71. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages vom 26. Februar 1955 habe ich ausgeführt, daß auch der, der der Politik des Herrn Bundeskanzlers zustimmen möchte,. zutiefst erschrocken sein müsse über die Form, in der die Verträge dargeboten würden. Ich habe gesagt:
Es ist erstaunlich, daß ein Finanzminister, der auf Sorgfalt und Genauigkeit achten soll, seinem Kanzler nicht widerrät, so unklar abgefaßte Verträge zu unterschreiben. Es ist erstaunlich, daß Männer der gelehrten Welt, die doch einen Namen zu verlieren haben, dem Herrn Bundeskanzler nicht abraten, Verträgen in solcher Form zuzustimmen.
Das geht auf den verehrten Herrn Kollegen Hallstein.
Ich habe mich dann ja, wie Sie nachlesen können, sehr eingehend zur Sache geäußert.
Was den Finanzminister betrifft, will ich Ihnen noch ein paar Worte meiner damaligen Rede zitieren:
Schäffer sagte sogar wörtlich: „Wir haben in diesen Verträgen auch nach der Seite der Kostenerstattung und der Höhe der Leistungen unser deutsches Schicksal doch selbst in der Hand". Und der Vorsitzende der größten Fraktion dieses Hauses, Herr von Brentano, rief dazu: „Sehr gut!"
Meine Damen und Herren, es bedeutet eine Irreführung . , um so mehr, als Kollege Schäffer gestern sagte, wir werden unser Schicksal rein parlamentarisch durch den Deutschen Bundestag in voller Höhe der Wahrung seines Budgetrechtes bestimmen können.
Das hat der Herr Bundesfinanzminister gesagt, obgleich er nach den Verträgen wissen mußte, daß er diese Zusage nicht einhalten könnte.
Was haben wir denn nun eigentlich in der Hand? Meine Damen und Herren, Sie wenden im Laufe der Zeit noch genötigt werden, das Studium der Verträge, zu dem Sie sich 1952 und 1955 nicht bereit finden konnten, nachzuholen.
— Ich komme sehr schnell zum Schluß. Aber ich kann es Ihnen leider nicht ersparen, hier dem Herrn Bundesfinanzminister und dem Herrn Bundeskanzler einiges zu sagen. Es sind Dinge von solchem Interesse, daß Sie ruhig zuhören könnten!
Wehner: Das kann man nicht erwarten! - Unruhe.)
Es ist sehr schwer für mich, Herr Präsident, mich verständlich zu machen. Ich würde es doch für richtig halten, daß nur die Damen und Herren, die interessiert sind, zuzuhören, hierblieben und daß die anderen vielleicht schon ihre heimatlichen Penaten aufsuchten.
Meine Damen und Herren! Ich greife aus „dem Schicksal, das wir selbst in der Hand haben", und aus der ganzen Situation in bezug auf die Besatzungsmächte ein kleines Beispiel heraus.
In der 242. Sitzung des 1. Deutschen Bundestages am 5. Dezember 1952 habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß das Statistische Bundesamt — ich habe Aktenzeichen und alles angegeben eine Güterstatistik der Besatzungskosten herausgebe, die damals nur an vom Bundesfinanzminister namentlich bezeichnete Empfänger abgegeben werden durfte, weil geheimbleiben sollte, welchen Luxus und welche Unmöglichkeiten diese Statistik offenbarte. Diese Statistik ist im Herbst 1953 eingestellt worden. Auf meine kürzliche Anfrage beim Präsidium des Statistischen Bundesamtes, ob diese Statistik jetzt erhältlich sei, bekam ich die- Mitteilung, daß die Güterstatistik, die ursprünglich in erster Linie zum Nachweis sachlich unberechtigter Beschaffungen der Besatzungsmächte diente, nur für den Dienstgebrauch erstellt worden -sei und daß die Notwendigkeit einer vertraulichen 'Behandlung des vorhandenen Materials nach der Einstellung der Statistik nicht weggefallen sei.
Sie sehen also, daß selbst heute ein Statistiker, ein wissenschaftliches Institut, ein Politiker, die sich mit dieser Frage beschäftigen möchten, nicht in der Lage sind, eine Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes, die amtlich hergestellt und amtlich gedruckt worden ist, die nur zurückgehalten wird, einzusehen. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, in einem Rechtsstaat, in dem die Statistik eine der wesentlichsten Erkenntnisgrundlagen aller bevölkerungsmäßigen, gesellschaftlichen und ökonomischen Vorgänge ist, in einem solchen modernen Rechtsstaat wird eine vom obersten Statistischen Bundesamt bearbeitete Sta-
tistik geheim gehalten! Wenn das kein Symptom für die Lage ist, in der wir uns befinden, dann kann ich Ihnen nicht helfen.
Ich habe mich damals, das will ich jetzt auch noch sagen, im Namen meiner Fraktion so eingehend mit der Analyse des Finanzvertrages, der finanziellen Bestimmungen des EVG-Vertrages und später der Pariser Verträge befaßt, daß ich glaube sagen zu können, auf diesem Gebiet wirklich nicht mir einen Überblick, sondern detaillierte Kenntnis zu haben. Ich habe in meinen damaligen Schriftlichen Berichten, die ich für den Finanz- und Steuerausschuß notabene nicht als Minderheitenberichterstatter, sondern als Berichterstatter für den Ausschuß abgegeben sabe, diese Dinge durchleuchtet. Allein im Finanzvertrag waren 24 wichtige Probleme, die nicht ausgehandelt waren, wo dastand, daß sie späterer Regelung bedürften. Stellen Sie sich so etwas bei einem Finanzvertrag vor — wo es sich um Zahlungen, Lieferungen, Leistungen, Haftungen handelt —, daß keine konkreten Zahlen genannt werden und das alles später ausgehandelt werden soil!
In der Situation, keine klaren Abmachungen zu haben, stehen' wir auch bei dem Art. 4 Abs. 4 des Finanzvertrages in der abgewandelten Form der Pariser Verträge, der nicht nur zum Gegenstand von Kontroversen zwischen den alliierten Mächten und der Bundesrepublik geworden ist, sondern auch ich habe darauf aufmerksam gemacht — zu heftigen und wirklich nicht erfreulichen Kontroversen innerhalb der Bundesregierung geführt hat.
Meine Damen und Hierren, da ist doch der Wurm drin!
Ich will Ihnen jetzt — ich halte Sie gar nicht mehr lange auf - —
- Ja, meine Damen und Herren, wenn Sie das nicht hören wollen, — — Sie haben es auch vor drei Jahren und vor vier Jahren nicht gerne hören wollen, aber Sie werden sich später damit beschäftigen!
- Herr Kollege, der törichte Ausdruck „Schulmeister" trifft weiß Gott nicht auf mich zu.
— Nun gut, dann bezeichnen Sie mich als Schulmeister, und da Sie nun hier auf den Bänken sitzen, gestatten Sie mir, daß ich einige Belehrungen ausspreche. Diejenigen, die das Wort „Schulmeister" gerufen haben, können nämlich einige Belehrungen durchaus vertragen;
denn sie haben gezeigt, daß sie nichts darüber wissen. Ich habe ernsthafte Dinge darüber gesagt. Also bitte, hören Sie mir zu oder gehen Sie hinaus!
Ich habe am 26. Februar 1955 von dieser Stelle aus gesagt - ich zitiere —:
Was wir also späterhin an Stationierungskosten
zu zahlen haben, steht noch offen ... Der Vertragstext läßt darauf schließen, daß die Alliierten auch später Stationierungskosten verlangen, im günstigsten Falle nur Sach- und Werkleistungen, die sich im Bundeshaushalt natürlich auch in Zahlen ausdrücken.
Nun hoffe ich, Sie noch kurz zu eiheitern. In der 242. Sitzung des 1. Deutschen Bundestages vom 5. Dezember 1952 hat Herr Bausch mir einen Zwischenruf gemacht: „Sie" — gemeint sind die Alliierten — „haben doch ihre gesamten Stationierungskosten selbst zu bezahlen!" Er hat dann diesen Zuruf wiederholt, und darauf habe ich geantwortet: „Entschuldigen Sie einmal, sie bezahlen es eben nicht selbst, jedenfalls bisher noch nicht." — Auf diese meine Erwiderung rief Dr. Gerstenmaier: „Bisher! Deshalb wollen wir ja die Sache machen!" Und Abg. Dr. Wuermeling fügte heu: „Das ist ja geradezu lächerlich! Bisher!" Dann kam noch einmal Herr Bausch mit dem Satz: „Wenn Sie die Politik machen würden, würden wir das weiter bezahlen müssen: Wenn wir die Politik machen, hört das auf."
Hierauf hebe ich erwidert: „Herr Wuermeling, das ist nicht lächerlich", und erhielt darauf den Zuruf von Herrn Dr. Wuermeling: „Das ist sehr lächerlich! Die Verträge sollen doch den Zustand ändern!" Und Herr Dr. Gerstenmaier fügte hinzu: „Gerade die Änderung des Zustands!"
Nun frage ich Sie, meine Damen und Herren, wie denn die Verträge den Zustand geändert haben, und ich frage Sie, was denn der Brief des Herrn Bundesfinanzministers an den Herrn Kollegen Dr. Vogel für eine Bewandtnis hat, der klar und deutlich schreibt, sie werden auch in Zukunft noch wollen. Wenn wir nicht viel wissen - man braucht kein Prophet zu sein —: Sie werden wollen!
Ich habe am 5. Dezember 1952 gesagt:
Wenn aber allein in den Finanzproblemen zwei Dutzend offener Fragen sind, so zeigt das, daß in dein Finanzvertrag die in den Finanzen nun einmal notwendige Konkretisierung nicht erfolgt ist.
Und ein hoher Regierungsbeamter schrieb im „Bulletin" vom 29. August 1952:
Erst aus den Ergebnissen wird sich auf die Methode der Festsetzung des deutschen Beitrages schließen lassen.
Wer über eine solche Geschichte nicht lacht, der hat keinen Humor, oder er versteht halt von der Sache nichts.
Das ist also die Lage gewesen: daß Sie bereits damals, im Jahr 1952, jede Warnung - nicht nur Warnung, jedes Bemühen, Klarheit in die Sache zu kriegen — manchmal wütend bekämpft haben, daß Sie unsere Bemühungen in den Ausschußsitzungen, Klarheit zu bekommen, hinweggefegt haben. Meine Damen und Herren, ich habe keine Propaganda damit gemacht, alber ich bin tieftraurig über das, was sich da ereignet hat. Sie haben ebenso gedankenlos abgestimmt, wie Sie gestern und heute über eine ganze Reihe von Anträgen abgestimmt haben. Ich habe damals - gestatten Sie, daß ich das sage — wörtlich erklärt - Sie können alles nachlesen —:
Das Signum dieser Verträge ist der Zwang
zur Revision. Der Zwang zur Revision, der
Zwang zu neuen Verhandlungen ist ein essen-
tielles Vertragselement, nicht ein akzidentelles, wie in anderen Verträgen, und das, scheint mir, ist ein Novum.
Ich habe damals geschlossen:
Auch wer die außenpolitische Konzeption des
Kanzlers bejaht — ich kann sie nicht bejahen
muß vor den Finanzproblemen, die drohend auf uns zukommen, in Schreck erstarren. Die Verträge gewähren uns nur ganz un-konkrete Rechte und ganz vage Aussichten, sie legen uns untragbare und sehr konkrete Verpflichtungen auf.
Daran gilt es zu erinnern. Ich erinnere Sie nicht deshalb daran, um Ihnen zu sagen, ich hätte recht gehabt, sondern ich erinnere Sie deshalb daran, damit wir uns jetzt gemeinsam bemühen, bei der Ordnung der künftigen finanziellen Beziehungen eine größere-Sorgfalt walten zu lassen.
Diese Adresse, dieses mahnende Wort richte ich im Namen meiner Fraktion an den Herrn Bundeskanzler, an den Herrn Bundesfinanzminister in erster Linie, an ,die Bundesregierung und an Sie alle, meine Damen und Herren. Wir müssen uns darüber klar sein — die zurückliegenden Jahre haben es bewiesen —, daß man bei internationalen Verträgen, wenn man keinerlei konkrete Rechte bekommt, aber Tausende von konkreten Verpflichtungen, nicht einfach sagen kann: Das wird alles schon gut werden. Ich erinnere Sie daran, daß der Herr Bundeskanzler bei der zweiten Beratung im Dezember 1952 den Bundestag beschwor, wir sollten nur auf den Geist, auf das Ganze sehen. Darauf habe ich Max Warburg zitiert und geantwortet: „Gott ist in den Details", und hinzugefügt: „Auch der Teufel ist in den Details, und die Teufeleien dieses Vertragswerks lassen sich nicht verbergen." Das habe ich damals gesagt. Die Teufeleien sind inzwischen voll in Erscheinung getreten. Ich rufe dazu auf, daß wir in Zukunft bei finanziellen Verpflichtungen eine größere Sorgfalt an den Tag legen, und das gilt auch für die Beratung des Bundeshaushalts.
Meine Damen und Herren, es ist die Herbeirufung der Bundesminister für Finanzen und Verteidigung beantragt. Ich sehe, daß der Herr Bundesminister für Verteidigung inzwischen hier ist. Bevor wir über den Antrag, den Bundesfinanzminister herbeizurufen, abstimmen, gebe ich nach § 47 dem Herrn Staatssekretär der Finanzen das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Antrag des Herrn Abgeordneten Professor Gülich darf ich mitteilen, daß Herr Minister Schäffer sich auf dem Wege zu einer wichtigen politischen Tagung in Bayreuth befindet und daher heute abend hier nicht anwesend sein kann.
Ich darf hinzufügen, daß er zu dem Gegenstand des vertraulichen politischen Briefes an den Herrn Abgeordneten Dr. Vogel gestern im Plenum eine Äußerung gemacht hat. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er dieser Äußerung irgend etwas hinzuzufügen hätte. Ich darf auch wohl davon ausgehen, daß bei der dritten Lesung über diese wichtigen
politischen Fragen eine ausführliche Debatte stattfinden wird.
Schließlich möchte ich bemerken, daß die Verhandlungen mit den alliierten Mächten über die Stationierungskosten durch das Auswärtige Amt geführt worden sind.
Herr Abgeordneter Dr. Gülich, bleiben Sie bei Ihrem Antrag auf Herbeirufung des Bundesfinanzministers?
— Sie lassen den Antrag fallen?
— Ich bedanke mich. Der Antrag ist zurückgezogen. Weitere Wortmeldungen zu dem Einzelplan 35? — Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 35 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Einzelplan 35 ist angenommen.
Ich rufe auf den Einzelplan 40
Einzelplan 40, Soziale Kriegsfolgeleistungen
.
Hier hat mir der Herr Berichterstatter, der Abgeordnete Gengler, eine Ergänzung *) seines schriftlich vorliegenden Berichtes **) vorgelegt. Er hat sich freundlicherweise bereit erklärt, auf den mündlichen Vortrag dieser Ergänzung zu verzichten. Ich gebe diesen Bericht zu Protokoll er wird den übrigen Berichten hinzugefügt.
Damit eröffne ich die Beratung des Einzelplans 40, Soziale Kriegsfolgeleistungen. Hier ist ein Änderungsantrag des Abgeordneten Bazille, Umdruck 683. Ich frage Herrn Abgeordneten Bazille, ob er diesen Änderungsantrag begründen will. — Bitte sehr, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß ich noch zu dieser vorgeschrittenen Stunde zur Begründung dieses Änderungsantrags das Wort nehmen muß. Allein die Kompliziertheit der darin angesprochenen Materie macht diese Begründung unerläßlich.
Im Haushaltsjahr 1954 hat das Hohe Haus für das Sportsanatorium in Isny, das unter der Verwaltung eines Vereins der Schwerbeschädigten steht, den Betrag von rund 400 000 Mark zum Bau eines Bäderhauses bewilligt. Dieses Bäderhaus ist in der Zwischenzeit fertiggestellt worden. Der Verein unterhält in Isny ein Sportsanatorium, das über 50 Betten verfügt. Bei der geringen Zahl von 50 Betten ist die Inbetriebnahme eines Bäderhauses mit einem Hallenschwimmbad wirtschaftlich nicht möglich.
Vor nahezu einem Jahr ist nun ein Streit zwischen dem Bundesministerium der Finanzen auf der einen Seite und dem Land Baden-Württemberg auf der andern Seite entstanden, ob nach dem Vierten Überleitungsgesetz die Kosten für die Fertigstellung dieses Sanatoriums vom Bund oder von den Ländern getragen werden müssen. Eine Eini-
*) Siehe Anlage 46. **) Siehe Anlage 45.
gung ist nicht zu erzielen gewesen. Dieser Zustand dauert an. Das bedeutet, daß Bädereinrichtungen im Werte von 400 000 Mark, die das Hohe Haus für die Heilfürsorge der Kriegsbeschädigten bestimmt hat, nicht in Betrieb genommen werden können und daß jährlich mehr als 20 000 DM benötigt werden, allein um dieses Objekt vor dem Verfall zu schützen, ohne daß es betriebsfähig ist. Es gibt keine Instanz, die darüber entscheidet, wie das Vierte Überleitungsgesetz auszulegen ist.
Um diesen unerträglichen Zustand zu beenden, daß ein für die Kriegsopferfürsorge bestimmtes Objekt nicht seiner Bestimmung zugeführt werden kann, habe ich diesen Antrag gestellt. Ich bitte das Haus, ihm stattzugeben, damit der Beschluß des Bundestages, den Kriegsopfern in Isny eine moderne Bäderanlage zu schaffen, verwirklicht werden kann.
Wird dazu weiter das Wort gewünscht? — Der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß Sie doch dringend bitten, diesen überraschend eingebrachten Antrag abzulehnen. Das Sporthaus in Isny liegt in den Händen eines Privatvereins. Für die Herstellunng der dortigen bereits vorhandenen Baulichkeiten hat der Bund nicht weniger als 621 000 Mark zur Verfügung gestellt, wozu noch einmal 35 000 Mark kommen, die für Einrichtungen ausgegeben worden sind.
Der Bundestag hat in der letzten Novelle zum Kriegsopferversorgungsgesetz bewiesen, daß er dem Versehrtensport sein besonderes Wohlwollen angedeihen läßt. Er hat für den Versehrtensport den Betrag von 130 000 Mark in dem Gesetz untergebracht. Ich bin der persönlichen Überzeugung, daß man dem Sportheim Isny am besten dient, wenn die Verhältnisse noch einmal sehr genau an Ort und Stelle überprüft werden. Es ist nicht so, daß das Schwimmbad usw. gebaut worden ist, weil man von vornherein sagte, daß ein dritter Trakt angebaut werden würde. Damals hat man gesagt, daß das Schwimmbad für die Durchführung der Kuren der Menschen, die in diesem Heim untergebracht sind, notwendig sei. Jetzt ist das Bad gebaut, und nun muß man noch einmal einen Bau für 40 Betten danebenstellen, um die Einrichtung rentabel zu gestalten.
Ich bin der Meinung, wenn das Hohe Haus selber einmal durch den Kriegsopferausschuß in Verbindung mit dem zuständigen Ministerium die Dinge an Ort und Stelle überprüfen sollte, dann könnte man, wenn man zu der Überzeugung kommt, daß die Einrichtung gut geleitet und in Ordnung ist, dieses Anliegen zum Inhalt eines besonderen Antrages machen, und dann müßte das Notwendige beschlossen werden. Ich glaube auch, daß man ohne eine Überprüfung der Besitzverhältnisse nicht auskommen wird. Wenn der Bundestag derartige Gelder zur Verfügung stellt, dann muß auch die Gewißheit gegeben sein, daß sich die finanzierte Einrichtung zum Nutzen und Vorteil der Kriegsbeschädigten auswirkt.
Herr Abgeordneter Bazille!
Wenn der Herr Bundesminister für Arbeit glaubt, ich würde dem Hause einen Antrag vorlegen, bei dem die Voraussetzung der Prüfung nicht erfüllt ist, darf ich hierzu kurz folgendes berichten. Über den Verein wacht ein Kuratorium, in dem die öffentliche Hand durch das Bundesministerium für Arbeit und das Ministerium für Arbeit des Landes Baden-Württemberg vertreten ist. Ich selber gehöre in meiner Eigenschaft als Vorsitzender dieses Vereins dem Kuratorium an.
— Jawohl. Dieses Kuratorium hat in einer gemeinsamen Sitzung mit einem Vertreter des Bundesministeriums der Finanzen und einem Herrn des Bundesrechnungshofs die Frage geprüft und ist einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, daß der Betrag von 400 000 DM zur Schaffung neuer Betten notwendig ist, um die Wirtschaftlichkeit des Hauses herzustellen und die Voraussetzungen für die Inbetriebnahme der vom Bundestag beschlossenen Bäderabteilung zu schaffen.
Ich bin aber bereit, die Anregung des Bundesarbeitsministers auf eine nochmalige Prüfung insoweit aufzugreifen, und bitte darum, daß der beantragte Betrag gesperrt wird und daß die Freigabe dieses Ansatzes erst dann erfolgt, wenn die vom Herrn Bundesminister für Arbeit erwähnte Prüfung durch den Kriegsopferausschuß dieses Hauses stattgefunden hat.
Also der Änderungsantrag wird erweitert: Die Mittel bleiben gesperrt. Wer diesem so ergänzten Änderungsantrag Umdruck 683*) zuzustimmen wünscht, den bitte ich, um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Wird weiter das Wort zu dem Einzelplan 40 gewünscht? — Herr Abgeordneter Bazille!
Meine Damen und Herren! Es war interfraktionell vereinbart, daß zur Frage der Kapitalabfindungen der Kriegsbeschädigten seitens des Herrn Bundesministers der Finanzen eine Erklärung abgegeben wird. Auf der Grundlage dieser Vereinbarung hat meine Fraktion davon Abstand genommen, in dieser Sache einen eigenen Initiativantrag einzubringen. Ich stelle deshalb an den Herrn Staatssekretär Hartmann die Frage, ob er beabsichtigt, diese Erklärung abzugeben.
Beabsichtigen Sie, die Erklärung in der zweiten oder in der dritten Lesung abzugeben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann bestätigen, daß der Bundesminister der Finanzen bereit ist, aus dem Verstärkungstitel nötigenfalls Mittel zur Verfügung zu stellen.
Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan 40 liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Wer dem Einzelplan 40 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Einzelplan 40 ist angenommen.
Ich rufe auf
Einzelplan 50, Angelegenheiten des Europarats und verwandte Gebiete .
*) Siehe Anlage 47.
Auf mündliche Berichterstattung wird verzichtet. Ich eröffne die Beratung. Änderungsanträge liegen nicht vor. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung.
Wer dem Einzelplan 50 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist ein Einzelplan, der einstimmig angenommen ist.
Wir kommen zu
Einzelplan 60, Allgemeine Finanzverwaltung .
Ein Nachtrag zu Drucksache 2479 liegt Ihnen vor.
Auf mündliche Berichterstattung wird verzichtet; es liegt ein Schriftlicher Bericht*) vor.
— Zur Berichterstattung?
Ich eröffne die Beratung. Das Wort hat der Herr Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die in der zweiten Beratung in den einzelnen Haushaltsplänen vorgenommenen Änderungen haben eine Mehrausgabe in Höhe von 51 490 000 DM ergeben. Es muß deshalb bei Kap. 60 02 Tit. 699 die Ziffer geändert werden von minus 638 398 600 in minus 689 888 600 DM.
Ich eröffne die Aussprache zu Einzelplan 60.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gülich.
Ich will die kürzeste Rede des heutigen Tages halten, indem ich sage, daß ich nicht rede. Aber warum ich nicht rede, muß ich kurz begründen.
Über den Einzelplan 60 müßte natürlich viel gesagt werden; er enthält ja die Einnahmetitel. Bei der Behandlung des Einzelplans 60 müßte zur Steuerpolitik des Herrn Bundesfinanzministers etwas gesagt werden.
Das ist aber heute abend nicht mehr zumutbar, weder für Sie noch für mich. Ich kündige aber an, daß das in der nächsten Woche geschieht.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Schoettle, Dr. Vogel, der noch nicht verteilt ist. Ich hoffe, ich brauche ihn nicht noch einmal zu verlesen.
Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Änderungsantrag der Abgeordneten Schoettle, Dr. Vogel, der einstweilen noch keine Nummer hat, ist einstimmig angenommen.
Nun kommen wir zur Abstimmung über den so geänderten Einzelplan. Wer dem so geänderten
*) Siehe Anlage 48.
Einzelplan zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Einzelplan ist angenommen.
Damit sind wir mit den Einzelplänen fertig. Ich rufe auf:
Haushaltsgesetz .
Wird das Wort zur mündlichen Berichterstattung gewünscht? — Herr Abgeordneter Schoettle!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, über meinen Schriftlichen Bericht*) hinaus sehr viel zu sagen. Ich möchte Sie nur auf zwei Dinge aufmerksam machen, damit diese nicht einfach unter den Tisch fallen.
Der Haushaltsausschuß hat im Gegensatz zur Regierungsvorlage über das Haushaltsgesetz wieder die Bestimmung aufgenommen, die man im vergangenen Jahr als lex Brese bezeichnet hat. Darauf weise ich hin.
Außerdem hat der Haushaltsausschuß, wie Herr Ritzel heute schon bei anderer Gelegenheit mitgeteilt hat, eine Bestimmung über die Ersatzbeschaffung von Dienstkraftfahrzeugen neu in das Haushaltsgesetz eingefügt, eine Bestimmung, die durch Vorgänge ausgelöst worden ist, über die wir heute abend des längeren geredet haben.
Das wollte ich Ihnen sagen, damit Sie wissen, worüber Sie abstimmen.
Ich bedanke mich bei dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Beratung der zweiten Lesung. Ich rufe zunächst die Paragraphen auf, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. Das sind die §§ 1,— 2,— 3,— 4,-5 und 6.
Herr Präsident, darf ich noch eine Bemerkung machen, damit auch das korrekt geht. Ich mache darauf aufmerksam, daß die Zahlen, die in meinem Schriftlichen Bericht enthalten sind, selbstverständlich noch nicht das Ergebnis der Beratung der zweiten Lesung darstellen. Diese Zahlen müssen noch korrigiert werden. Ich bitte um die Ermächtigung des Hauses dafür.
Ja, natürlich! Das ist selbstverständlich. Ich danke dem Herrn Berichterstatter, daß er darauf aufmerksam gemacht hat.
Ich rufe also nochmals auf die §§ 1, — 2, — 3, — 4, — 5 — und 6. — Wer den aufgerufenen Paragraphen zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Die aufgerufenen §§ 1 bis 6 sind angenommen.
Nun rufe ich die gleichlautenden Änderungsanträge zu §6 a auf den Umdrucken 684**) und 687***) auf. Wird auf Begründung verzichtet? — Auf Begründung wird verzichtet. Wird das Wort zu den Änderungsanträgen gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
*) Siehe Anlage 49. **) Siehe Anlage 50. ***) Siehe Anlage 51.
Ich komme zur Abstimmung über die gleichlautenden Änderungsanträge. Wer den Änderungsanträgen auf den Umdrucken 684 und 687 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Jetzt wird es aber schwierig. Wir wiederholen die Abstimmung. Wer den gleichlautenden Änderungsanträgen auf den Umdrucken 684 und 687 zustimmen will, die besagen, daß § 6 a gestrichen werden soll, den bitte ich, sich von seinem Sitz zu erheben. - Gegenprobe! - Die Änderungsanträge sind abgelehnt.
Ich rufe den § 6 a auf. Wer dem § 6 a in der Fassung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - § 6 a ist angenommen.
Ich rufe auf die §§ 7,- 8,- 9,- 9a,- 9b-
10,- 11,- 12,- 13,- 14,- 15,- 16,- 17 - und 18, - die Einleitung und die Überschrift. Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Anzahl von Enthaltungen ist das Haushaltsgesetz in der zweiten Lesung angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein für Dienstag, den 26. Juni, 15 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.