Protokoll:
2069

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 2

  • date_rangeSitzungsnummer: 69

  • date_rangeDatum: 24. Februar 1955

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 15:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:00 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 69. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1955 3511 69. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 1955. Erweiterung der Tagesordnung 3511 D Geschäftliche Mitteilungen 3531 B Beurlaubte Abgeordnete (Anlage 1) . . 3584 A Urlaubsgesuche (Anlage 2) 3584 A Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfrage 148 (Drucksachen 1174, 1220) . 3512 A Einspruch des Abg. Dr. Greve gegen den ihm in der 68. Sitzung erteilten Ordnungsruf (Umdruck 295) . . . 3512 A, 3584 A Zweite Beratung der Gesetzentwürfe betr. Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen 1000, zu 1000), Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 1060), Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag (Drucksache 1061; Umdruck 293), das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar (Drucksache 1062; Umdruck 294); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache 1200) . . . 3512 A, 3584 C, 3585 Zur Geschäftsordnung: Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . 3512 B Kiesinger (CDU/CSU) 3513 B Ablehnung des Antrags auf Absetzung von der Tagesordnung . . . . . . . 3513 D Berichterstattung: Dr. Furler (CDU/CSU): als Generalberichterstatter . . . 3513 D Schriftliche Berichte . . . . 3588, 3624 Brandt (Berlin) (SPD): als Generalberichterstatter . . 3525 A Schriftlicher Bericht 3626 Dr. Pfleiderer (FDP): als Generalberichterstatter . . 3528 D Schriftlicher Bericht 3646 Erler (SPD), Berichterstatter (Schrift- licher Bericht) 3614, 3642 C Dr. Wahl (CDU/CSU), Berichterstatter (Schriftliche Berichte) 3617 B, 3645 A, 3658 A Dr. Arndt (SPD), Berichterstatter (Schriftliche Berichte) . . 3619 B, 3645 C, 3660 A Dr. Jaeger (CDU/CSU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht) 3636B, D, 3643 C Sachgliederung der Beratung: Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 3531 B Wiedervereinigung Deutschlands: Kiesinger (CDU/CSU) . 3531 C Unterbrechung der Sitzung . 3538 A Wehner (SPD) 3538 B Euler (FDP) 3546 D Lemmer (CDU/CSU) . . . 3551 C, 3552 B Könen (Düsseldorf) (SPD) 3552 A, B, 3575 D Seiboth (GB/BHE) 3553 C von Merkatz (DP) 3556 C Sabel (CDU/CSU) . 3560 C, 3562 D, 3582 A Erler (SPD) . . . . 3562 C, 3568 D, 3569 B Brandt (Berlin) (SPD) 3563 B Strauß, Bundesminister für besondere Aufgaben . . . 3568 B, D, 3569 B, 3575 C, D, 3577 C, 3578 A Kahn-Ackermann (SPD) 3575 B Wienand (SPD) 3577 C, 3578 A Hansen (Köln) (SPD) . 3581 B, 3582 A, C, 3583 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . 3583 C Weiterberatung vertagt 3583 D Nächste Sitzung 3583 D Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 3584 A Anlage 2: Urlaubsgesuche . 3584 A Anlage 3: Einspruch des Abg. Dr. Greve gegen den ihm in der 68. Sitzung erteilten Ordnungsruf (Umdruck 295) . . . . 3584 A Anlage 4: Änderungsantrag der Fraktion der SPD zum Gesetzentwurf betr. das Abkommen über das Statut der Saar (Umdruck 294) 3584 C Anlage 5: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über die Gesetzentwürfe betr. Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes, Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik, Beitritt der Bundesrepublik zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag und Abkommen über das Statut an der Saar (Drucksache 1200) . 3585 Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Der Präsident hat Urlaub erteilt für einen Tag den Abgeordneten Demmelmeier Leibfried. Anlage 2 Urlaubsgesuche Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach die Abgeordneten Dr. Hesberg für vier Wochen Dr. Maier (Stuttgart) für zwei Monate. Anlage 3 Umdruck 295 (Vgl. S. 3512 A) Abgeordneter des Deutschen Bundestages Dr. Otto-Heinrich Greve Bonn, den 23. Februar 1955 Bundeshaus An den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages im Hause Sehr geehrter Herr Präsident! Gegen den mir in der 68. Sitzung des Deutschen Bundestages von Herrn Vizepräsidenten Dr. Jaeger erteilten Ordnungsruf lege ich hiermit gemäß § 43 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Einspruch ein. Ich bekenne mich zu dem Zwischenruf: „Der hat es gerade nötig!", den ich gemacht habe, als Herr Vizepräsident Dr. Jaeger Herrn Abgeordneten Walter das Wort erteilte. Ganz abgesehen davon, daß das von Herrn Vizepräsidenten Dr. Jaeger angewandte Verfahren, mir den Ordnungsruf auf meinen Hinweis erst dann zu erteilen, nachdem er zuvor die Äußerung gemacht hat, daß er nicht wisse, wer den Zwischenruf gemacht habe, meines Erachtens nicht ordnungsgemäß ist, bin ich der Auffassung, daß ich durch den von mir gemachten Zwischenruf die Ordnung nicht verletzt habe. Mit meinem Zwischenruf habe ich ausdrücken wollen und auch nur ausgedrückt, daß ich, nach dem, was der Abgeordnete Walter bisher im Deutschen Bundestag in Reden gesagt hat, der Auffassung bin, daß gerade er es nicht nötig hat, zu dem Problem der Aberkennung des Mandates des in den sowjetischen Machtbereich übergegangenen Schmidt-Wittmack zu sprechen. Dadurch konnte die Ordnung des Hauses nicht verletzt werden. Ich bitte den Bundestag zu veranlassen, den mir von Herrn Vizepräsidenten Dr. Jaeger erteilten Ordnungsruf aufzuheben. Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung bin ich Ihr sehr ergebener Greve Anlage 4 Umdruck 294 (Vgl. S. 3512 A) Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar (Drucksachen 1200 Ziffer IV, 1062): Der Bundestag wolle beschließen: 1. Nach Artikel 1 ist der folgende Artikel 1 a einzufügen: Artikel 1 a (1) Das Abkommen berührt weder die staats- und völkerrechtliche Zugehörigkeit des Saargebiets zu Deutschland noch die deutsche Staatsanangehörigkeit der an der Saar ansässigen Personen, die am 9. Mai 1945 die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen oder von solchen Personen abstammen. (2) Artikel VI des Abkommens stellt sicher, daß die politischen Parteien, die Vereine und die Presse keiner Genehmigung unterworfen sein werden und weder vor noch nach der in Artikel I des Abkommens vorgesehenen Volksabstimmung aus politischen Gründen verboten oder in ihrer Tätigkeit beschränkt werden können, soweit sie nicht darauf ausgehen, die politischen Freiheiten zu zerstören oder das Statut durch undemokratische Mittel zu ändern. 2. In Artikel 2 wird dem Satz 1 der folgende Halbsatz angefügt: ; sie treten in Kraft, sobald beiderseits die Ratifikationsurkunden namens der französischen Republik und namens der Bundesrepublik Deutschland hinterlegt sind. 3. Nach Artikel 2 ist der folgende Artikel 2 a einzufügen: Artikel 2 a Vor Hinterlegung der Ratifikationsurkunde ist durch Verhandlungen mit der Regierung der französischen Republik klarzustellen, daß das Abkommen den Artikel 23 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (Bundesgesetzbl. S. 1) nicht berührt und eine an der Saar frei gewählte Volksvertretung befugt bleibt, dieses Grundgesetz durch Beitritt auch für die Saar in Kraft zu setzen. 4. In Artikel 3 wird der bisherige Wortlaut Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft. gestrichen und durch folgende neue Fassung ersetzt. Artikel 3 (1) Bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde ist dieses Gesetz der Regierung der französischen Republik zu notifizieren. (2) Dieses Gesetz tritt am gleichen Tage in Kraft, an dem das Inkrafttreten des Abkommens im Bundesgesetzblatt bekanntgegeben wird. Bonn, den 23. Februar 1955 Ollenhauer und Fraktion Anlage 5 zu Drucksache 1200 (Vgl. S. 3512 A) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (4. Ausschuß) über die Entwürfe eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 1000, zu 1000), eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 1060), eines Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag (Drucksache 1061), eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar (Drucksache 1062) INHALTSVERZEICHNIS Seite Erläuterung zum Aufbau des Gesamtberichts 3587 I. Entwurf eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland — Drucksachen 1000, zu 1000 — a) Generalbericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (4. Ausschuß) Generalberichterstatter: Abgeordneter Dr. Furler . . . 3588 b) Besondere Berichte beteiligter Ausschüsse 1. Besonderer Bericht des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit (6. Ausschuß) Berichterstatter: Abgeordneter Erler 3614 2. Besonderer Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuß) Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wahl (Mehrheitsauffassung) 3617 B Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Arndt (Minderheitsauffassung) 3619 B II. Entwurf eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache 1060 — Generalbericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (4. Ausschuß) Generalberichterstatter: Abgeordneter Dr. Furler 3624 III. Entwurf eines Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag — Drucksache 1061 — a) Generalbericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (4. Ausschuß) Generalberichterstatter: Abgeordneter Brandt (Berlin) . 3626 b) Besondere Berichte beteiligter Ausschüsse 1. Besonderer Bericht des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit (6. Ausschuß) Berichterstatter: Abgeordneter Erler 3642 C Abgeordneter Dr. Jaeger 3636 B, D, 3643 C 2. Besonderer Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuß) Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wahl (Mehrheitsauffassung) 3645 A Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Arndt (Minderheitsauffassung) 3645 C IV. Entwurf eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar — Drucksache 1062 — a) Generalbericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (4. Ausschuß) Generalberichterstatter: Abgeordneter Dr. Pfleiderer . 3646 b) Besonderer Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuß) Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wahl (Mehrheitsauffassung) 3658 A Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Arndt (Minderheitsauffassung) 3660 A Erläuterung zum Aufbau der Berichterstattung Der Deutsche Bundestag überwies durch Beschluß in seiner 62. Sitzung am Donnerstag, dem 16. Dezember 1954, die Entwürfe eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland — Drucksachen 1000, zu 1000 — eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache 1060 — eines Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag — Drucksache 1061 — eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar — Drucksache 1062 — an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten (4. Ausschuß) — federführend — Ausschuß für Wirtschaftspolitik (21. Ausschuß) Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen (19. Ausschuß) Haushaltsausschuß (18. Ausschuß) Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuß) Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen (35. Ausschuß) Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit (6. Ausschuß) Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (8. Ausschuß) In einer gemeinsamen Besprechung kamen die Vorsitzenden und die Berichterstatter des federführenden Ausschusses und der beteiligten Ausschüsse überein, die Generalberichte des Auswärtigen Ausschusses in verschiedenen Fällen durch eine besondere Berichterstattung beteiligter Fachausschüsse zu einzelnen Vertragsteilen oder Fragenkomplexen zu ergänzen. Im Sinne dieses Übereinkommens wurden einzelnen Generalberichten als Anlagen besondere Berichte des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuß) Fragen der europäischen Sicherheit (6. Ausschuß) beigefügt. Insgesamt wurden der Beratung des Vertragswerkes 16 Sitzungen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten 7 Sitzungen des Ausschusses für Wirtschaftspolitik 5 Sitzungen des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen 4 Sitzungen des Haushaltsausschusses 9 Sitzungen des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht 5 Sitzungen des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen 9 Sitzungen des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit und 4 Sitzungen des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung gewidmet. Der Ausschuß für Besatzungsfolgen erstattete dem federführenden Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten auf eine dementsprechende Bitte hin ein Gutachten zu den im Vertragswerk enthaltenen besatzungsrechtlichen Fragen. Diese Stellungnahme wurde durch die Generalberichte des Abgeordneten Dr. Furler zu Drucksache 1000 (Deutschlandvertrag) und Drucksache 1060 (Aufenthaltsvertrag) berücksichtigt. 1. Entwurf eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland - Drucksachen 1000, zu 1000 - a) Generalbericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (4. Ausschuß) Generalberichterstatter : Abgeordneter Dr. Furler A. Vorbemerkungen 1. Die Bundesrepublik erstrebt seit ihrer Entstehung, das auf ihr lastende Besatzungsregime der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland und der Französischen Republik zu beseitigen. Diese Politik führte über das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949 und die New Yorker Deutschlanderklärung der drei Westmächte vom 19. September .1950 zu jenen langwierigen Verhandlungen, deren Ergebnis der am 26. Mai 1952 in Bonn unterzeichnete Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten war, einschließlich der Verträge über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland, des Finanzvertrages, des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen und der zu den Verträgen gehörigen Briefe und Briefwechsel. Dieser Vertragskomplex, zu dem noch das Abkommen vom 26. Mai 1952 über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder und das Protokoll vom 26. Juli 1952 über die Zuständigkeit des Schiedsgerichts kamen, wurde durch die Gesetze vom 28. März 1954 (BGBl. II S. 57 ff. und 332 ff.) in der Bundesrepublik publiziert. Er konnte aber nicht endgültig und für alle Vertragsstaaten verwirklicht werden, weil er nicht allein politisch, sondern auch rechtlich mit dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vom 27. Mai 1952 verbunden war, gegen den sich die französische Nationalversammlung am 30. August 1954 entschied. Im Mittelpunkt der Verhandlungen in den Monaten September und Oktober 1954 stand nicht die Frage der Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik. Die Westmächte wären bereit gewesen, die hier in Betracht kommenden Verträge mit unverändertem materiellen Inhalt in Kraft treten zu lassen. Die Bundesregierung lehnte dies ab, da nach ihrer Auffassung die gewandelte politische Situation und vor allem die für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gefundene Ersatzlösung sich auch auf die Regelung der Fragen auswirken mußte, die mit der Beendigung des Besatzungsregimes zusammenhingen. Die Londoner Schlußakte vom 3. Oktober 1954 und die Pariser Verträge vom 23. Oktober 1954 gestalteten den Deutschlandvertrag und die mit ihm verbundenen Abkommen nicht völlig um, was weder erforderlich noch zeitlich möglich war. Sie brachten lediglich Abänderungen der hier in Betracht kommenden Bonner Verträge, die in dem Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland und in den 5 Listen niedergelegt sind, die mit dem Protokoll verbunden sind. Der Vertragskomplex soll in der so geänderten Fassung gleichzeitig und unabhängig von den Vereinbarungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag in Kraft treten. Die Verträge, die Gegenstand des Gesetzentwurfes in Drucksache 1000 sind, verbinden alte und neue Inhalte und Formulierungen, die aus dem Jahre 1952 stammen, mit solchen, die erst auf der Pariser Konferenz entstanden sind. Nach Auffassung des Auswärtigen Ausschusses muß bei der Auslegung und Wertung der Verträge diese besondere Entstehungsgeschichte berücksichtigt werden. 2. Soweit die Verträge des Jahres 1952 unverändert übernommen wurden, behalten die früheren Texte und die zu ihnen entstandenen gesetzgeberischen Materialien ihre Bedeutung, was im besonderen von dem Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten — Drucksache Nr. 3900 der 1. Wahlperiode des Deutschen Bundestages — gilt. Im Vordergrund der Beratungen des Auswärtigen Ausschusses und der mitberatenden Ausschüsse standen die in Paris durchgeführten Änderungen der Verträge. Der Schwerpunkt dieses Berichts liegt daher auch in der Darstellung und in der Beurteilung dieser umgestalteten Normen. Zum Verständnis darf noch gesagt werden: Der Bericht wiederholt nicht die Ausführungen der Regierungsbegründung zur Drucksache 1000, die neben ihm selbständige Bedeutung behält. Er ist sich auch dessen bewußt, daß Wortlaut und Inhalt der Verträge für den Bundestag nicht abänderbar sind. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Zustimmungsgesetzes stellt vor eine politische Gesamtentscheidung, was den Auswärtigen Ausschuß und die mitberatenden Ausschüsse aber nicht verhindert hat, zu allen wesentlichen Einzelheiten der Verträge wertend Stellung zu nehmen. B. Die Londoner Schlußakte vom 3. Oktober 1954 1. Die Zustimmungsgesetze beziehen sich nur auf die in Paris am 23. Oktober 1954 unterzeichneten Verträge. Sie befassen sich nicht mit der Londoner Schlußakte, die lediglich der Begründung des Gesetzes zu Drucksache 1000 als Anlage A bei- (Dr. Furler) gefügt ist. Die Bundesregierung hält eine Ratifizierung der Londoner Schlußakte nicht für erforderlich. Der Auswärtige Ausschuß schloß sich dieser Auffassung an, die davon ausgeht, daß von allen in London zustande gekommenen Vereinbarungen und Erklärungen nur eine, die aber nicht ratifikationsbedürftig ist, nicht Gegenstand der Pariser Verträge wurde. Es handelt sich um die in Teil I Deutschland enthaltene Grundsatzerklärung der Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten, die lautet: „In der Überzeugung, daß einem großen Land nicht länger die Rechte vorenthalten werden dürfen, die einem freien und demokratischen Volk von Rechts wegen zustehen; und in dem Wunsche, die Bundesrepublik Deutschland als gleichberechtigten Partner mit ihren Bemühungen um Frieden und Sicherheit zu vereinigen; wünschen die Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika, das Besatzungsregime so bald wie möglich zu beenden. Zur Erfüllung dieser Politik bedarf es der Regelung von Einzelfragen, um mit der Vergangenheit abzuschließen und die Zukunft vorzubereiten, und des Abschlusses entsprechender parlamentarischer Verfahren. In der Zwischenzeit weisen die drei Regierungen ihre Hohen Kommissare an, unverzüglich im Geiste dieser Politik zu handeln. Insbesondere werden die Hohen Kommissare keinen Gebrauch von den Befugnissen machen, die aufgegeben werden sollen, es sei denn im Einvernehmen mit der Bundesregierung; dies gilt nicht auf den Gebieten der Abrüstung und Entmilitarisierung und in Fällen, in denen die Bundesregierung aus rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist, die Maßnahmen zu treffen oder die Verpflichtungen zu übernehmen, die in der vereinbarten Abmachung vorgesehen sind." Diese Erklärung beseitigte schon in London in weitem Umfange de facto das Besatzungsregime, eine tatsächliche Entwicklung anerkennend und sie zugleich weiterführend. Mit dem Inkrafttreten des Deutschlandvertrages und seiner Zusatzverträge endet die Bedeutung dieser Erklärung, da alsdann das Besatzungsregime auch rechtlich und endgültig aufgehoben wird. Die Grundsatzerklärung behält aber für die Auslegung der Pariser Verträge ihren Wert, da in ihr die westlichen Mächte aussprechen, die Aufhebung des Besatzungsregimes erfolge, um die Bundesrepublik zu einem gleichberechtigten Partner zu machen, mit dem sich die drei Mächte assoziieren, und um ihr die Rechte nicht länger vorzuenthalten, die einem freien und demokratischen Volke „von Rechts wegen zustehen". Im übrigen ging der Inhalt der Londoner Schlußakte teils wörtlich, teils in eingehender vertraglicher Detaillierung in die Pariser Verträge über. Diese Verträge konsumieren damit die Londoner Schlußakte, deren Gehalt Gegenstand dieser Verträge wurde und mit ihnen ratifiziert wird. 2. Es erscheint notwendig, die in Ziff. 1 des Teiles V der Londoner Schlußakte enthaltene Erklärung der Regierungen der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs schon hier zu besprechen. Diese Erklärung ist zwar nicht in die Vertragsgruppe zu Drucksache 1000, wohl aber in die Entschließung betreffend die Zustimmungserklärung der übrigen Parteien des Nordatlantikvertrages — Drucksache 1061 S. 66 ff. — und in Abs. 4 der Präambel des Protokolls zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt der Bundesrepublik aufgenommen worden. Sie steht aber in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Verträgen zu Drucksache 1000. Sie war sowohl im Auswärtigen Ausschuß wie im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht Gegenstand eingehender Erörterungen und lautet: Die drei Mächte erklären, daß sie die Regierung der Bundesrepublik Deutschland als die einzige deutsche Regierung betrachten, die frei und rechtmäßig gebildet und daher berechtigt ist, für Deutschland als Vertreterin des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten zu sprechen. Dieser Satz findet sich erstmals und wörtlich in der New Yorker Deutschlanderklärung der drei alliierten Westmächte vom September 1950. Wie aus den Darlegungen der deutschen, die Londoner Verhandlungen führenden Delegierten hervorgeht, wurde diese Erklärung deshalb in die Londoner Schlußakte aufgenommen und später in die Pariser Verträge übernommen, weil die neuen Abmachungen die New Yorker Deutschlanderklärung aufheben sollten, wobei jedoch der hier formulierte Gedanke an keiner anderen Stelle der Vertragswerke zum Ausdruck gekommen wäre. Zur Fixierung des sachlichen Gehalts und der Bedeutung dieser Erklärung ist zunächst festzustellen, daß sie sich nicht auf die Beendigung des Besatzungsregimes und diejenigen Fragen bezieht, die mit der Souveränität der Bundesrepublik zusammenhängen, so daß sie für den Art. 1 des Deutschlandvertrages nicht von Bedeutung ist. Die Norm hat eine besondere Legitimation der Regierung der Bundesrepublik zum Gegenstand. Sie befaßt sich nicht mit dem an sich selbstverständlichen und mit der Souveränität unbegrenzten Recht der Bundesregierung, in internationalen Angelegenheiten für die Bundesrepublik zu handeln, sondern mit der Zuständigkeit der Bundesregierung, für das gesamte Deutschland und für das gesamte deutsche Volk aufzutreten. Die Mächte verleihen hier der Bundesregierung keine Legitimation, da ihr diese, wie es auch der Auffassung des Auswärtigen Ausschusses entspricht, schon zusteht. Sie — und durch die Übernahme auch die übrigen Staaten der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft — erkennen aber diese Legitimation im Rahmen ihrer Erklärung an, wobei sie zur Begründung ihrer Haltung auf die Tatsache abheben, daß die Regierung der Bundesrepublik die einzige deutsche Regierung ist, die frei und rechtmäßig gebildet wurde. Über den sachlichen Umfang dieser gesamtdeutschen Legitimation der Bundesregierung konnte im Auswärtigen Ausschuß eine übereinstimmende Meinung nicht erzielt werden. Der These, dieses „sprechen" bedeute die Fähigkeit, Gesamtdeutschland zu berechtigen und zu verpflichten, stand die Auffassung gegenüber, die Erklärung erkenne zum mindesten kein Recht der Bundesrepublik an, für Gesamtdeutschland Verpflichtungen zu übernehmen oder unmittelbare Verfügungen zu treffen. Im Jahre 1950 haben die drei westlichen Mächte zu dieser Legitimationserklärung eine Interpretation zu Protokoll gegeben. Durch Auseinandersetzungen in der französischen Nationalversammlung entstand die Frage, ob dieses Interpretationsprotokoll auch für die in die Londoner Schlußakte (Dr. Furler) und die Pariser Verträge zwar mit gleichem Wortlaut, aber neu aufgenommene Erklärung maßgeblich sei. Der Auswärtige Ausschuß lehnte eine solche Auffassung ab, und zwar aus folgenden Gründen: 1. Die Erklärung wurde in New York von den Regierungen der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs abgegeben und in einem nicht veröffentlichten Protokoll interpretiert. In London erfolgte die Erklärung ohne jede Bezugnahme auf jenes Protokoll. 2. Diese Erklärung wurde in Paris von den übrigen Staaten der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft als sie verpflichtend anerkannt, die das Interpretationsprotokoll nicht übernommen hatten. 3. Die Interpretation des Jahres 1950 ergab sich aus einer politischen Situation, die 1954 überholt war und die auch dem völkerrechtlichen Status der Bundesrepublik nicht entspricht, die nach dem Willen der interpretierenden Mächte gerade durch die Pariser Verträge grundlegend verändert werden soll. Die Erklärung des Teiles V Ziff. 1 der Londoner Schlußakte ist daher ausschließlich aus ihrem Wortlaut und aus ihrem Zusammenhang mit den Vertragswerken von London und Paris zu verstehen. C. Das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland 1. Wie schon dargelegt, wurde der Komplex des Deutschlandvertrages in Paris nicht in vollem Umfang neu formuliert. Man schuf einen Rahmenvertrag, das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes, und verband mit diesem 5 Listen, die diejenigen Bestimmungen enthalten, die in den Verträgen vom 26. Mai 1952 durch Streichung, Umformung oder Ergänzung verändert warden sind. Wie den Bonner Verträgen, so wurden auch dem Protokoll vom 23. Oktober 1954 Briefe und Briefwechsel beigefügt, die die neuen Abmachungen ergänzen und zugleich klarstellen, in welchem Umfange die entsprechenden Urkunden vom 26. Mai 1952 aufrechterhalten bleiben. Art. 1 des Protokolls ist also für die endgültigen Texte der Verträge maßgeblich. 2. Die Einleitungsformel des Protokolls führt die vier vertragschließenden Staaten in der international üblichen Reihenfolge auf. Sie stellt damit die Gleichberechtigung der Vertragschließenden klar. Auch der Deutschlandvertrag, der Truppenvertrag, der Finanzvertrag, der Überleitungsvertrag und das Steuerabkommen weisen diese Formel auf, während früher einleitend überall gesagt worden war, daß die Bundesrepublik Deutschland einerseits und die drei westlichen Mächte andererseits die Verträge schließen. Mit der Gleichberechtigung entfällt auch die blockbildende Gegenüberstellung. 3. Das Protokoll hebt die frühere rechtliche Verbindung, also das Junktim, zwischen dem Komplex des Deutschlandvertrages und demjenigen des deutschen Verteidigungsbeitrages auf. Nach Art. 1 treten die zu Drucksache 1000 gehörigen Verträge zugleich mit dem Protokoll in Kraft. Act. 3 Abs. 2 aber bestimmt, daß das Protokoll und die ergänzenden Dokumente mit der Hinterlegung ,der Ratifikations- oder Genehmigungsurkunden aller Unterzeichnerstaaten in den Archiven der Regierung der Bundesrepublik Deutschland in Kraft treten. Der Auswärtige Ausschuß war sich allerdings darüber einig, daß die Aufhebung des rechtlichen Junktims durch eine tatsächliche und politische Verbindung aller Pariser Verträge an Bedeutung verlieren kann. 4. Art. 2 des Protokolls enthält besondere Vorschriften über die Rechte der drei Westmächte auf den Gebieten der Abrüstung und der Entmilitarisierung. Er behandelt das Schicksal dieser Rechte bis zum Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag, von welchem Zeitpunkt an die bisherigen Rechte erlöschen und durch die besonderen Bestimmungen der Verteidigungsabmachungen ersetzt werden. Bis zum Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag bleiben die hier in Betracht kommenden Rechte der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königsreichs und Frankreichs grundsätzlich bestehen. Die aufrechterhaltenen und durch den hier behandelten Vertragskomplex nicht berührten Rechtsvorschriften sind in einem gleichläutenden Schreiben der drei Hohen Kommissare an den Bundeskanzler vom 23. Oktober 1954 — Drucksache 1000 S. 70/71 — ausgeführt. Von diesem Grundsatz bringt die Ziff. 2 des Art. 2 des Protokolls eine ausdrückliche und vom Auswärtigen Ausschuß für bedeutsam angesehene Ausnahme. Mit dem Inkrafttreten des Protokolls vom 23. Oktober 1954 wird das militärische Sicherheitsamt der westlichen Alliierten in Koblenz aufgelöst. Ein neu zu bildender Gemeinsamer Viermächte-Ausschuß übt alsdann die Kontrolle auf den Gebieten der Abrüstung und Entmilitarisierung ,aus. In diesem Ausschuß ist die Bundesrepublik gleichberechtigt vertreten. Der Ausschuß entscheidet mit Stimmenmehrheit seiner vier Mitglieder. Die Bundesrepublik kann überstimmt werden. Das ibisher bestehende Vetorecht jedes Staates, im besonderen gegen eine Lockerung der Kontrolle, ist aber beseitigt. Aus dem Briefwechsel vom 23. Oktober 1954 betreffend Revision der Abrüstungs- und Entmilitarisierungskontrolle — Drucksache 1000 S. 71/72 — ergibt sich, daß die Vertragschließenden übereingekommen sind, diese Angelegenheit schon gegen Ende des Jahres 1954 nach Maßgabe der dann im Hinblick auf das Inkrafttreten des Protokolls bestehenden Lage zu überprüfen. Diese Überprüfung soll auch unter dem Gesichtspunkt erfolgen, die Bundesrepublik in die Lage zu versetzen, ihren künftigen Verteidigungsbeitrag vorzubereiten. Am 20. Oktober 1954 kamen die Außenminister dahin überein, daß in diesem Zusammenhang auch in der Bundesrepublik bestehende Beschränkungen der zivilen Forschung und der zivilen industriellen Fertigung zum Zwecke einer Erleichterung und Aufhebung zu überprüfen sind. Auf Frage teilte die Regierung mit, die entsprechenden vorbereitenden Besprechungen seien schon aufgenommen. 5. Wenn der Komplex des Deutschlandvertrages und die Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag gleichzeitig in Kraft treten, wird der Viermächte-Ausschuß nicht entstehen. Der Wirtschaftspolitische Ausschuß erwartet gerade deshalb als Ergebnis der soeben erwähnten Besprechungen und Verhandlungen, daß die Genehmigungspflicht und die Kontrollen lockerer als bisher (Dr. Furler) I gehandhabt werden. Insbesondere wird erwartet, daß die zivile Forschung und die zivile industrielle Fertigung auf den von den Gesetzen betroffenen Gebieten keinen Einschränkungen mehr unterliegen. Dies gilt vor allem für die Kapazitäten in der Kugel- und Rollenlagerindustrie, im Schiffbau, in den Industrien für synthetisches Öl und synthetischen Gummi. Gleiches gilt für die Herstellung, Ein- und Ausfuhr von gewissen elektronischen und optischen Geräten und für bestimmte chemische Erzeugnisse. Im übrigen hat der Wirtschaftspolitische Ausschuß zur Vorlage an den Auswärtigen Ausschuß eine Entschließung gefaßt, durch die die Bundesregierung ersucht werden soll, darauf hinzuwirken, daß in Zukunft die zivile industrielle Fertigung und die zivile Forschung auf den von den alliierten Gesetzen betroffenen Gebieten keiner Einschränkung mehr unterliegen und daß die Verhandlungen hierüber unverzüglich aufgenommen werden. Der Auswärtige Ausschuß billigte das Anliegen dieser Vorlage, sah jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen davon ab, dem Deutschen Bundestag Entschließungen zu diesem Vertragswerk vorzuschlagen. D. Der Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten (Deutschlandvertrag). Dieser Vertrag wurde weitgehend und sehr bedeutungsvoll geändert. Die neuen Bestimmungen wirken sich auf verschiedene politische Grundprobleme aus. Sie werden in dem jeweiligen Zusammenhang besonders dargestellt. Von allgemeiner Bedeutung ist zunächst der Wegfall der Präambel, die dem Deutschlandvertrag von I 1952 vorausgeschickt war. Die vier vertragschließenden Staaten beschränken sich nunmehr darauf, zu erklären, mit dem Vertrag die „Grundlagen ihres neuen Verhältnisses" festzulegen. Die frühere Präambel war nach verschiedenen Richtungen durch das Scheitern der EVG und durch die neue Form des deutschen Verteidigungsbeitrages überholt oder gegenstandslos geworden. Gebliebene gemeinsame Ziele der Mächte sind in dem Vertragstext verankert. Einige Erklärungen der Präambel bilden aber auch heute noch selbstverständliche Motive des neuen Vertrages. So die Unvereinbarkeit des Besatzungsregimes mit den europäischen Aufgaben der Bundesrepublik, die Notwendigkeit, die Gleichberechtigung durchzuführen, und das höchste Ziel der Vertragschließenden, die gemeinsame Freiheit vereint zu fördern und zu verteidigen. Der Auswärtige Ausschuß nahm das hier durchgesetzte Bestreben der Bundesrepublik billigend zur Kenntnis, die grundgesetzliche Ordnung ausschließlich in die Verantwortung der Bundesrepublik zu stellen und sie nicht zum Gegenstand internationaler Verpflichtungen zu machen. I. Das Ende des Besatzungsregimes Eine entscheidende Aufgabe des Deutschlandvertrages ist es, die Bundesrepublik von jeder Besatzungshoheit zu befreien. Der Art. 1 der alten und der neuen Fassung hebt daher mit dem Inkrafttreten des Vertrages das Besatzungsstatut auf und verpflichtet die bisherigen Besatzungsmächte, die Alliierte Hohe Kommission sowie die Dienststellen der Landeskommissare aufzulösen. Die neue Formulierung des Art. 1 geht hier nach zwei Richtungen klarstellend über den früheren Text hinaus. Nach Art. 1 Abs. 1 ist auch das Besatzungsregime in der Bundesrepublik zu beenden, womit nach Auffassung des Auswärtigen Ausschusses zum Ausdruck gebracht wird, daß jeder besatzungsmäßige Tatbestand aufhören, die Freiheit der Bundesrepublik von der Besatzungshoheit also eine umfassende sein soll. In diesem Zusammenhang wurde der bisherige Abs. 3 des Art. 1 gestrichen, aus dem man das Weiterbestehen einer gegenüber einer gleichberechtigten Macht nicht mehr zu rechtfertigenden Art von gemeinsamer Kommission der früheren Besatzungsmächte hatte herauslesen wollen. Nach Lage der Dinge werden die Regierungen der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs auch nach Inkrafttreten des Deutschlandvertrages die Vorbehaltsrechte in gegenseitigem Einvernehmen ausüben. Diese Regierungen haben daher am 23. Oktober 1954 in Paris ein Abkommen dahin geschlossen, diese Vorbehaltsrechte durch ihre bei der Bundesrepublik Deutschland beglaubigten Missionschefs ausüben zu lassen, die hierbei gemeinsam tätig werden. Insoweit sich diese Rechte auf Berlin beziehen, werden sie in Berlin nach Maßgabe der bestehenden Verfahren ausgeübt. Um jede Deutung dahin auszuschließen, es handle sich gegenüber der Bundesrepublik hier um eine, wenn auch nur besatzungsrechtsähnliche Erscheinung, erging am 1. Dezember 1954 nachfolgende Note des Geschäftsführenden Hohen Kommissars, Sir Frederik Hoyer Millar an den Bundeskanzler: „Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, ich erhielt Ihr Schreiben vom 16. November 1954 betreffend das Dreimächte-Abkommen vom 23. Oktober 1954 über die Ausübung der Vorbehaltsrechte in Deutschland, in welchem Sie zum Ausdruck brachten, daß Sie besonders daran interessiert wären, zu erfahren, ob die drei Botschafter bei der Ausübung der Vorbehaltsrechte als Rat von Botschaftern handeln und mit einem besonderen Verwaltungsstab arbeiten würden. Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, um jegliches Mißverständnis, das in diesem Zusammenhang bestehen könnte, zu klären. Abgesehen von Absatz 3, der sich mit Berlin befaßt, wo natürlich eine besondere Lage besteht, ist das Dreimächte-Abkommen lediglich dazu bestimmt, verwaltungsmäßig zu regeln, wie die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und Frankreich gegebenenfalls die Vorbehaltsrechte ausüben können, die sich nach dem Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten in erster Linie auf Deutschland in seiner Gesamtheit beziehen, Rechte, die, wie Sie wohl wissen, im beiderseitigen Interesse der Bundesrepublik und des Vereinigten Königreichs sowie im Interesse der beiden anderen Unterzeichnermächte vorbehalten wurden. Ich kann Ihnen versichern, daß es nicht notwendig sein wird und auch in keiner Weise beabsichtigt ist, in Ausübung dieser Vorbehaltsrechte einen Rat von Botschaftern, ein Nachfolgeorgan der Alliierten Hohen Kommission oder irgendein sonstiges ähnliches Gremium mit gemeinsamem Verwaltungs- oder Büropersonal zu schaffen. Das Dreimächte-Abkommen wurde getroffen, um die klare Übereinstimmung der Auffassung der drei Unterzeichner darüber aktenkundig zu machen, daß sie in ihren Beziehungen zur Bundesrepublik lediglich auf ad hoc-Basis über ihre bei der Bundesrepublik akkreditierten Missionschefs, und dann nur unter den in den Pariser (Dr. Furler) Abkommen vorgesehenen besonderen Umständen gemeinsam vorgehen werden." Der Auswärtige Ausschuß hat die mit der Aufhebung des Besatzungsregimes zusammenhängenden Bestimmungen bei ,unterschiedlicher Bewertung ihrer Tragweite übereinstimmend positiv beurteilt. Auswirkungen der Beendigung des Besatzungsregimes ergeben sich auch aus anderen Vorschriften des Vertrages, so vor allem auch aus den Art. 2, 4 und 5. II. Die Souveränität Mit dem Ende des Besatzungsregimes entfällt jede Beschränkung der autonomen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik, und zwar nach innen und nach außen. Damit wird für die Bundesrepublik der völkerrechtliche Status der Souveränität anerkannt. Diese Folgerung wird in dem Vertrage ausdrücklich gezogen. Während der frühere Art. 1 das Wort Souveränität vermied, sagt der jetzige Abs. 2 des Art. 1, „die Bundesrepublik werde die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten" haben. Auf Fragen des Ausschusses teilte die Regierung mit, diese Formulierung sei auf deutsches Verlangen nach Diskussionen in Paris so gewählt worden, um hinsichtlich der Souveränität eine eindeutige Lage zu schaffen und um auszuschließen, daß von einer „als ob"-Souveränität oder von einem ähnlichen Status gesprochen werde. Im Auswärtigen Ausschuß wurde die Frage der Souveränität eingehend und unter den verschiedensten Gesichtspunkten erörtert. Im besonderen bemühten sich die hier zuständigen Berichterstatter, die Abgeordneten Dr. von Merkatz und Dr. Schmid (Frankfurt), den Begriff der Souveränität und die mit Art. 1 Abs. 2 geschaffene innerstaatliche und völkerrechtliche Situation unter historischen, rechtsphilosophischen, staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Gesichtspunkten zu klären. In verschiedenen grundsätzlichen Ausgangspunkten der Betrachtung und in der Bewertung der diesbezüglichen Vertragsbestimmungen konnten volle Übereinstimmungen nicht erzielt werden. Einverständnis bestand aber schließlich darüber, daß der hier gebrauchte Begriff der Souveränität für die Auslegung der Pariser Verträge und als Grundlage für die Weiterentwicklung der Bundesrepublik von großer Bedeutung sei. Dem Inhaber der Souveränität fällt in dubio, also in allen zweifelhaften oder nicht geregelten Fällen, die Zuständigkeit zu eigenständiger Bestimmung der Ziele und Mittel seiner Politik und zu verantwortlichem Handeln zu. Die besondere funktionelle Bedeutung des Souveränitätsbegriffes wurde von allen Mitgliedern des Ausschusses anerkannt. Der Auswärtige Ausschuß war der Meinung, daß die Souveränität der Bundesrepublik eine ursprüngliche und keine verliehene ist, daß sie deutsche Souveränität darstelle, die durch das Besatzungsregime gehemmt, aber nicht beseitigt war und nach Inkrafttreten der Verträge wieder effektiv werde. Der Auswärtige Ausschuß zieht aus dieser Souveränität im Zusammenhang mit den Pariser Verträgen und der völkerrechtlichen Situation vor allem drei Folgerungen, die auch der Auffassung der Bundesregierung entsprechen, wobei allerdings die Minderheit gegenüber der ersten Folgerung Bedenken ausspricht: 1. Die Bundesrepublik ist zuständig und befugt, in allen Fragen eine eigene, selbständige und unabhängige Außenpolitik zu betreiben. Dies gilt im besonderen auch für die deutsche Wiedervereinigung. Wie noch darzulegen sein wird, schließen die Vorbehaltsrechte des Art. 2 eine solche selbständige Politik der Bundesrepublik nicht aus. Ihre grundsätzlich unbeschränkte politische Handlungsfreiheit ist aber durch übernommene völkerrechtliche Verpflichtungen und vertragliche Abmachungen gebunden. So hat die Bundesrepublik die Bindungen des Art. 2 der Satzung der Vereinten Nationen ausdrücklich übernommen und in Art. 3 des Deutschlandvertrages sich verpflichtet, ihre Politik in Einklang mit den Prinzipien der Satzung der Vereinten Nationen und mit den im Statut des Europarates aufgestellten Zielen zu halten. Die Regierung der Bundesrepublik hat darüber hinaus auf der Londoner Konferenz ausdrücklich und feierlich erklärt, die Wiedervereinigung Deutschlands oder die Änderung der gegenwärtigen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland niemals mit gewaltsamen Mitteln herbeizuführen und alle zwischen der Bundesrepublik und anderen Staaten gegebenenfalls bestehenden Streitfragen mit friedlichen Mitteln zu erledigen. In diesen Zusammenhang gehört auch die in Art. '7 des Deutschlandvertrages übernommene Verpflichtung der Bundesrepublik, mit den drei anderen Vertragspartnern hinsichtlich der Wiedervereinigung und der Herbeiführung einer friedensvertraglichen Regelung für ganz Deutschland eine gemeinsame Politik zu treiben. 2. Die Bundesrepublik wird ein gleichberechtigter und notwendiger Vertragspartner bei allen internationalen Vereinbarungen sein, die ihre Rechte oder Interessen berühren. Nach Auffassung des Auswärtigen Ausschusses wird es lediglich von Erwägungen der Zweckmäßigkeit bestimmt sein, ob sich die Bundesrepublik an vorbereitenden Verhandlungen für derartige internationale Regelungen unmittelbar beteiligt. Auch wenn die Bundesrepublik solche Verhandlungen ganz oder teilweise dritten Mächten zu führen überläßt, kann ein Abschluß nur unter Mitwirkung der Bundesrepublik erfolgen. 3. Die Bundesrepublik ist berechtigt, mit allen Staaten diplomatische Beziehungen aufzunehmen und Verhandlungen zu führen. Dies gilt auch für die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Die Abs. 3 und 4 des Art. 3 beeinträchtigen diese Rechte der Bundesrepublik nicht. Sie verpflichten nur die anderen Vertragspartner, auf Wunsch der Bundesrepublik tätig zu werden, wenn diese es nicht vorzieht, selbständig zu handeln, oder die Wahrung ihrer Interessen anderen Staaten überläßt. Entsprechendes gilt für Art. 4 des siebenten Teiles der Überleitungsvertrages. III. Die Vorbehaltsrechte Der Auswärtige Ausschuß billigte einmütig die Politik der Bundesregierung, die Wert darauf legte, den drei westlichen Mächten Rechtspositionen zu erhalten, die hinsichtlich Deutschlands auf den 1945 auch mit Sowjetrußland getroffenen Vereinbarungen beruhen. Eine Gefährdung oder Aufgabe dieser Rechtsstellung läge nicht im deutschen Interesse. In diesem Zusammenhang hatte der frühere Art. 2 den drei Mächten ihre bisher ausgeübten oder innegehabten Rechte in Bezug auf a) die Stationierung von Streitkräften in Deutschland, (Dr. Furler) b) Berlin, c) Deutschland als Ganzes, einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung aufrechterhalten. Im neuen Art. 2 bleiben diese Vorbehalte für Berlin und Deutschland als Ganzes. Wegen der Stationierungsrechte wird auf die Art. 4 und 5 des Vertrages verwiesen. Die Erörterung dieser Frage erfolgt in einem besonderen Abschnitt. Neben der Sonderregelung über die Stationierung von Streitkräften betrachtet der Auswärtige Ausschuß folgende Änderungen des Art. 2 als besonderen Fortschritt. 1. Es wird ausdrücklich darauf abgehoben, daß die drei Mächte nicht nur ihre Rechte, sondern auch ihre Verantwortlichkeiten beibehalten. Diese Verantwortlichkeiten sind besonders für Berlin, aber auch für Gesamtdeutschland bedeutsam. 2. Der bisherige Abs. 2 des Art. 2 hatte die Bundesregierung verpflichtet, jede Maßnahme zu unterlassen, die die vorbehaltenen Rechte beeinträchtigen könnte, und dahin mitzuwirken, den drei Mächten die Ausübung dieser Rechte zu erleichtern. Die Streichung dieser Norm zeigt das Vertrauen, das sich die Bundesrepublik erworben hat. Es ist auch ohne vertragliche Verpflichtung für die Bundesrepublik selbstverständlich, die drei Mächte zu unterstützen und mit ihnen eine auch sonst festgelegte Zusammenarbeit durchzuführen. Im Auswärtigen Ausschuß wurden Bedenken vorgetragen, die mit der Gefahr einer zu starken oder etwa mißbräuchlichen Ausübung des gesamtdeutschen Vorbehalts zusammenhängen. Die Bundesregierung hob hier auf den aufrechterhaltenen Brief der Hohen Kommissare an den Bundeskanzler vom 26. Mai 1952 (BGBl. II S. 244) ab, in dem die drei Regierungen ausdrücklich erklären, das Vorbehaltsrecht in bezug auf Deutschland als Ganzes nicht dahin auszulegen, als erlaube es ihnen, von den gegenüber der Bundesrepublik in den Verträgen übernommenen Verpflichtungen abzuweichen. Diese Erklärungen zwingen im Zusammenhang mit Inhalt und Geist der Verträge zu der Feststellung, daß die Vorbehaltsrechte ausdrücklich auf ihren Sinn und Zweck beschränkt sind, der darin besteht, die Rechtsposition gegenüber Sowjetrußland zu wahren. Die Vorbehalte können und dürfen also gegenüber der Bundesrepublik nicht Befugnisse geben, die der Aufhebung des Besatzungsregimes und der Souveränität widersprechen. Soweit Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder Durchführung des gesamtdeutschen Vorbehalts im Gebiete der Bundesrepublik notwendig werden, können diese nicht einseitig und hoheitsrechtlich durch die drei Mächte durchgeführt werden. Die Bundesrepublik ist aber je nach Sachlage vertraglich verpflichtet, alsdann in eigener Zuständigkeit das Erforderliche zu tun. Im Auswärtigen Ausschuß wurde auch darüber diskutiert, auf welchen internationalen Vereinbarungen die beizubehaltenden Rechte der drei westlichen Mächte beruhen. Eine Einigkeit darüber, ob nur die Deklarationen vom 5. Juni 1945 oder daneben auch das Potsdamer Abkommen oder ob nur dieses Abkommen in Betracht komme, war nicht zu erzielen. Übereinstimmung bestand jedoch darüber, daß alle Berlin und Gesamtdeutschland betreffenden Rechte und Verantwortlichkeiten aufrechterhalten werden sollen, die sich aus irgendwelchen Vereinbarungen zwischen den hier in Betracht kommenden Alliierten des zweiten Weltkrieges ergeben. Der Auswärtige Ausschuß legt Wert darauf festzustellen, daß der Vorbehalt der Rechte und Verantwortlichkeiten keine ausschließliche Zuständigkeit der drei Mächte für die vorbehaltenen Fragen anerkennt oder schafft. Der Vorbehalt besagt lediglich, daß solche Rechte und Verantwortlichkeiten neben den eigenen Zuständigkeiten der Bundesrepublik bestehenbleiben. Die Vorbehaltsrechte schließen daher eine eigene Politik und eine eigene Zuständigkeit der Bundesrepublik weder für Berlin noch für die Wiedervereinigung aus. IV. Die Stationierung ausländischer Truppen 1. Diese schwierige und bedeutsame Materie erfuhr in den neuen Verträgen eine grundlegende Änderung. Die Umgestaltung ist das Ergebnis einmal der Beseitigung des Besatzungsregimes und der anerkannten Souveränität der Bundesrepublik, zum anderen aber auch des Strukturwandels des deutschen Verteidigungsbeitrags. Die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses begrüßt diese Änderung und erblickt in ihr einen wesentlichen Fortschritt. 2. Zum Verständnis der neuen Lage sind drei Dinge vorweg klarzustellen: a) Die Rechtsgrundlage der Streitkräfte, die sich in Berlin befinden, ändert sich durch das Vertragswerk nicht. In Berlin halten sich alliierte Truppen auch in Zukunft ausschließlich auf Grund hoheitlicher Befugnisse auf, die sich aus besatzungsrechtlichen Grundlagen und aus den Viermächte-Vereinbarungen von 1945 ergeben. b) Bis zum Inkrafttreten ides Deutschlandvertrages und seiner Zusatzverträge bleibt der bisherige Rechtszustand unverändert. Die nicht endgültig zustande gekommenen Verträge von 1952 sind hier nicht von Bedeutung. c) Wenn die Gesamtheit der Pariser Verträge nicht gleichzeitig in Kraft tritt, kann sich zwischen dem Wirksamwerden des Deutschlandvertrages und dem Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag, das mit dem rechtskräftigen Beitritt der Bundesrepublik in die NATO eintritt, ein Zwischenzeitraum ergeben. In dieser Zeitspanne befinden sich die ausländischen Truppen im Gebiet der Bundesrepublik nicht mehr auf Grund des Besatzungsstatuts, wohl aber auf Grund hoheitlicher Rechte, die von der Bundesrepublik nicht verliehen sind, sondern den drei westlichen Mächten über die Aufhebung des Besatzungsregimes und das Wiederaufleben der deutschen Souveränität hinaus zustehen. Die hoheitliche Grundlage des Stationierungsrechtes in dieser Übergangszeit erfuhr aber besondere Einschränkungen. a) Die Rechtsstellung der Streitkräfte, also deren Rechte und Pflichten im Rahmen des Gebietes der Bundesrepublik, ergibt sich nicht mehr aus besatzungsrechtlichen Normen. Maßgeblich ist der Truppenvertrag, der nach Art. 8 Abs. 1 Buchstabe b auf der Grundlage der entsprechenden Vereinbarungen der Mächte des Nordatlantikvertrages umgestaltet werden wird. b) Die drei Mächte verpflichten sich, die Bundesregierung in allen die Stationierung der Streitkräfte betreffenden Fragen zu konsultieren. Die Bundesrepublik hingegen übernimmt es, im Rahmen dieses Vertragswerkes und des Grundgesetzes dazu mitzuwirken, den Streitkräften ihre Aufgabe (Dr. Furler) zu erleichtern (Art. 5 Abs. 1 des Deutschlandvertrages). Dabei ist die Aufgabe dieser Streitkräfte dahin umrissen, die freie Welt, zu der idle Bundesrepublik und Berlin gehören, zu verteidigen. c) Die drei Mächte dürfen nur eigene oder Truppenkontingente von solchen Staaten, die bisher schon Streitkräfte in der Bundesrepublik halten, in das Gebiet der Bundesrepublik bringen. Jede Erweiterung dieses Rahmens setzt die vorherige Einwilligung der Bundesrepublik voraus. Ausgenommen ist die vorübergehende Hereinnahme von Truppen im Falle eines unmittelbar drohenden oder tatsächlich erfolgenden Angriffs. 3. Nach Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag wandelt sich die Rechtsgrundlage der Stationierung ausländischer Truppen im Gebiete der Bundesrepublik. Dies ergibt sich aus Art. 4 Abs. 2 des Deutschlandvertrages im Zusammenhang mit den Vorschriften des Aufenthaltsvertrages — Drucksache 1060 —. Die nicht einfachen Formulierungen des neuen Abs. 2 des Art. 4 zeigen, daß die drei Mächte gewillt sind, ihr Stationierungsrecht aus einem hoheitlichen in ein vertragliches umzuwandeln. Dieser Wille wird mit dem neuen Status der Bundesrepublik, demjenigen der Souveränität, und weiterhin damit begründet, daß die drei Mächte die Stationierung von Streitkräften in der Bundesrepublik nur in vollem Einvernehmen mit dieser durchzuführen beabsichtigen. Aus diesem Grunde wird „diese Frage" — also diejenige des Stationierungsrechts — in einem besonderen Vertrag geregelt, dem Aufenthaltsvertrag der Drucksache 1060. Der Wortlaut des Art. 4 deutet darauf hin, daß die Umwandlung des Stationierungsrechtes Gegenstand von Auseinandersetzungen war, bei denen zunächst gewisse Gegensätzlichkeiten hervortraten. Da die Formulierung des Art. 4 Abs. 2 und der ganze Aufenthaltsvertrag aus deutschen und amerikanischen Vorschlägen hervorging, ist für die Auslegung auch die Stellungnahme des Staatssekretärs Dulles gegenüber dem Präsidenten der Vereinigten Staaten besonders bedeutsam, in der zur Frage des Rechtsgrundlage der Stationierung gesagt wird: „Die Bedeutung dieses Vertrages liegt darin, daß die in Deutschland stationierten Streitkräfte dort nicht mehr auf Grund von Vorbehaltsrechten stationiert sein werden, die wir durch das Potsdamer Abkommen und die Kapitulationsbedingungen erhalten hatten, sondern auf Grund eines neuen Vertrages, der von Deutschland freiwillig abgeschlossen worden ist und der von den verantwortlichen parlamentarischen Körperschaften in Deutschland gebilligt werden muß. In dieser Beziehung wird Deutschland also den anderen alliierten Ländern gleichgestellt sein." Der Auswärtige Ausschuß ist mit der Regierung der Auffassung, daß für das Gebiet der Bundesrepublik nach dem Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag nur noch ein vertragliches Stationierungsrecht besteht. Es erscheint dem Ausschuß auch nicht möglich, zwischen dem Recht und seiner Ausübung zu unterscheiden und zu sagen, bei fortbestehendem Hoheitsrecht sei dessen Ausübung gegenüber der Bundesrepublik nicht mehr oder nur noch mit deren Zustimmung zulässig, wie dies in den Ausführungen des Berichtertatters des Auswärtigen Ausschusses in der französischen Nationalversammlung vom 20. Dezember 1954 zum Ausdruck kommt. Diese Trennung widerspräche der Tatsache der Aufhebung des Besatzungsregimes, der ausdrücklichen Begrenzung der alliierten Vorbehalte, der Entstehung der neuen Rechtslage und Existenz und Sinn des besonderen und selbständigen Aufenthaltsvertrages. Sie ist zur Wahrung der Interessen der drei Mächte auch nicht erforderlich, weil die Bundesrepublik die rechtliche und tatsächliche Hoheit über ihr Gebiet hat, den drei Mächten also vertraglich ein Stationierungsrecht einräumen kann, das das frühere, aus der Besatzung hervorgegangene hoheitliche Recht voll zu ersetzen vermag. Zur Aufrechterhaltung der Berliner und der gesamtdeutschen Rechte gegenüber Sowjetrußland ist aber ein hoheitliches Stationierungsrecht in der Bundesrepublik nicht erforderlich. Mit Inkrafttreten des deutschen Verteidigungsbeitrages ist also eine hoheitliche Legitimation für eine Truppenstationierung innerhalb des Bundesgebietes erloschen. Die Rechte der drei Mächte ergeben sich aus der im Deutschlandvertrag und im Aufenthaltsvertrag freiwillig übernommenen Verpflichtung der Bundesrepublik. Einzelheiten werden in dem Bericht zu Drucksache 1060 dargelegt. V. Die Wiedervereinigung 1. Wie im Bundestag, so waren auch im Auswärtigen Ausschuß alle Parteien darüber einig, daß die Wiedervereinigung Deutschlands im Frieden erfolgen und die Freiheit gewährleisten müßte. Daß kriegerische Auseinandersetzungen für die Bundesrepublik ausscheiden, ergeben nicht nur Erwägungen der Vernunft, sondern darüber hinaus die ausdrücklich eingegangenen internationalen Verpflichtungen. Bei der Wiedervereinigung muß die bisherige Freiheit der in der Bundesrepublik lebenden Deutschen erhalten bleiben und diese Freiheit in gleichem Umfange den 1G Millionen Einwohnern der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands gebracht werden. Der Auswärtige Ausschuß stimmte auch darin überein, daß es der Bundesrepublik nicht möglich ist, dieses Ziel aus eigener Kraft zu erreichen, weshalb eine Politik grundsätzlich gebilligt wurde, die dahin geht, Staaten zu verpflichten, für die Freiheit der Bundesrepublik einzutreten und mit ihr zusammen die Wiedervereinigung Deutschlands durch gemeinschaftliche Anstrengungen zu erstreben. 2. In der Erklärung V Ziff. 4 der Londoner Schlußakte bezeichnen die Regierungen der Vereinigten Staaten, ides Vereinigten Königreichs und Frankreichs die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands durch friedliche Mittel als ein grundlegendes Ziel ihrer Politik. Diese Erklärung wurde für alle Staaten der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft durch die Entschließung betreffend die Zustimmungserklärung der übrigen Parteien des Nordatlantikvertrages — Drucksache 1061 S. 66 — verbindlich. In Abs. 2 des Art. 7 des Deutschlandvertrages verpflichten sich die vier Unterzeichnerstaaten zusammenzuwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen, das dahin umschrieben wird: Ein wiedervereinigtes Deutschland, idas eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik, besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist. Diese Formulierung deckt sich mit derjenigen des früheren Art. 7 Abs. 2. 3. Der Auswärtige Ausschuß besprach eingehend die rechtliche und die politische Bedeutung der so- (Dr. Furler) eben dargelegten Vereinbarungen. Die der Opposition angehörenden Mitglieder des Ausschusses blieben dabei, der Bundesregierung vorzuwerfen, die anderen Staaten in der Frage der deutschen Wiedervereinigung nicht konkret genug gebunden zu haben. Über das allgemeine Ziel einer gemeinschaftlichen Außenpolitik hinaus habe man rechtliche Bindungen in Einzelfragen weder verlangt noch erhalten. Die Vertreter der Minderheit gaben zwar zu, daß es nicht möglich gewesen sei, konkrete Spezialverpflichtungen zum Gegenstand des Deutschlandvertrages zu machen. Sie meinten aber, man hätte solche Festlegungen in einem Briefwechsel, in besonderen Erklärungen oder zum mindesten in der Schaffung von Gremien, die sich mit der Vorbereitung und ,der Durchführung der gemeinschaftlichen Wiedervereinigungspolitik zu befassen hätten, zum Ausdruck bringen müssen. Demgegenüber blieb die Mehrheit des Ausschusses dabei, daß die erzielten Vereinbarungen eine ausreichende Bindung der anderen Mächte an die deutschen Interessen schaffe und daß es unmöglich sei, im voraus die Vertragspartner zu ganz bestimmten Schritten zu verpflichten, da diese Schritte von der jeweiligen, nicht voraussehbaren realpolitischen Situation abhängig seien. Die Vertreter der Opposition rügten darüber hinaus — wie bei den Auseinandersetzungen um die entsprechende Bestimmung des Vertrages von 1952 — die Festlegung der Wiedervereinigungspolitik auf ein Deutschland, das in die europäische Gemeinschaft integriert sei. Dies erschwere die Durchführung der gemeinschaftlichen Politik. Der Ausschuß konnte jedoch in seiner Mehrheit diese Bedenken nicht als begründet ansehen, wobei er mit dem Gesamtdeutschen und dem Rechtsausschuß übereinstimmte. Folgende Erwägungen standen dabei im Vordergrund: Mit der Streichung der Präambel zum Deutschlandvertrag entfällt eine Möglichkeit, über deren Abs. 7 denBegriff der Integration in einem bestimmten technischen, supranationalen Sinn zu interpretieren. Der beanstandete Halbsatz des Abs. 2 des Art. 7 besitzt nicht die Bedeutung, die Wiedervereinigungspolitik der Unterzeichnerstaaten auf die Schaffung einer ganz bestimmten europäischen Gemeinschaft mit supranationalen Elementen festzulegen. Das hier formulierte Ziel ist sehr allgemein und umfaßt die verschiedensten, auch losesten Möglichkeiten einer Gemeinschaft der europäischen Staaten. Die Bundesregierung, die schon für den Vertrag von 1952 die Festlegung auf eine Europäische Gemeinschaft im Sinne eines supranationalen Euroaas bestritt, brachte die hier dargelegte Auffassung nachdrücklich zum Ausdruck und betonte, es liege auch nicht eine Festlegung auf das durch die Pariser Verträge zu schaffende System vor. Diese Formel meine eine europäische Gemeinschaft im weiteren, durchaus unbestimmten Sinn. Sie sei „nur als ein Bekenntnis zu dem Ziele zu verstehen, daß sich die Wiedervereinigung Deutschlands in den Gedanken der europäischen Einigung einreihen solle". Sie bedeute also nicht Integration im technischen Sinne in eine der bestehenden europäischen Gemeinschaften — NATO, WEU oder (nach den Verträgen von 1952) EVG —, sondern ein allgemeines Bekenntnis zur europäischen Solidarität. Die Frage, ob etwa ein Land, das nach dem Status ,des Königreichs Schweden lebe, im Sinne dieser Bestimmung als „in eine europäische Gemeinschaft integriert" angesehen werden könne, wurde von Sprechern der Bundesregierung unter Hinweis auf die Mitgliedschaft Schwedens im Europarat bejaht. Die weitere Frage, ob demnach im Rahmen dieser Vertragsbestimmung auch ein Status Deutschlands auf der Grundlage der Bündnisfreiheit möglich sei, wurde dahin beantwortet, daß dieses durch die Formel ides Art. 7 Abs. 2 nicht ausgeschlossen sei; es sei eine weitere Frage, ob ein solcher Status durch andere Vertragsbestimmungen ausgeschlossen sei. 4. Im Zuge der gemeinsamen, auf die Wiedervereinigung Deutschlands gerichteten Bemühung liegt die weitere Verpflichtung der Vertragspartner, als wesentliches Ziel ihrer Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland zu erstreben. Diese Verpflichtung ist in Art. 7 Abs. 1 und in Teil V Ziff. 3 der Londoner Schlußakte niedergelegt und ebenfalls von den übrigen NATO-Staaten übernommen worden. Dabei ist in beiden Normen klargestellt, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zum Friedensvertrag aufgeschoben werden muß. Auf Fragen erklärte die Regierung, der Formulierung für „ganz Deutschland" komme eine besondere Bedeutung nicht zu. Diese Formulierung besage das gleiche wie „Gesamtdeutschland". Es sei weder daran gedacht noch bestehe die Möglichkeit, zu schließen, man habe sich dahin vereinbart oder auch nur vorbehalten, friedensvertragliche Regelungen mit Teilen Deutschlands so zu treffen, daß schließlich der Status von „ganz Deutschland" geregelt sei. In diesem Zusammenhang sei—auch wegen besonderer Fragen in den Ausschußberatungen—bemerkt: die Bundesregierung und die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses meinen, es sei weder notwendig noch zweckmäßig gewesen, eine Klausel dahin aufzunehmen, daß eine friedensvertragliche Regelung auf der Basis des Status quo ausgeschlossen sei. Daß eine derartige Vereinbarung nach dem Deutschlandvertrag nicht erfolgen darf und ihr Anstreben die vertraglichen Verpflichtungen verletzen würde, ergibt sich aus der Bindung auf die gemeinschaftlich zuerstrebende Wiedervereinigung Deutschlands und auf die Festlegung, daß der Friedensvertrag mit Gesamtdeutschland abzuschließen ist. 5. Gegenstand eingehender Beratungen des Auswärtigen Ausschusses, des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht und des GesamtdeutschenAusschusses war die Frage, ob die Pariser Verträge auch nach der Wiederherstellung Gesamtdeutschlands, also für die Regierung des wiedervereinigten Deutschlands, bindend seien. Im Deutschlandvertrag bestand hierüber die Bestimmung des Art. 7 Abs. 3, die gestrichen wurde. Diese Streichung beseitigte zunächst einen Anlaß zu vielfältigen rechtlichen und politischen Auseinandersetzungen, da über Auslegung und Bedeutung dieses Abs. 3 eine einheitliche Meinung nicht erreichbar war. Aus der Streichung folgt aber auch, daß nunmehr eine vertragliche Norm fehlt, die herangezogen werden könnte, um die gestellte Frage zu beantworten. Alle Vertragspartner gingen bei der Streichung des Abs. 3 des Art. 7 davon aus, daß damit auch klargestellt werden sollte, die Wiedervereinigung Deutschlands bilde einen Tatbestand, der die beteiligten Mächte vor eine Situation stelle, die eine er- (Dr. Furler) Beute Entscheidung über die Bindung an die Verträge ermögliche. Die Freiheit der Entschließung als Folge des Wegfalls des Abs. 3 wurde von den Vertragschließenden bei den Verhandlungen zum Ausdruck gebracht. Übereinstimmend haben später sowohl der ,Bundeskanzler als auch Außenminister Eden erklärt, eine Bindung an die Verträge sei nach der Wiedervereinigung nicht mehr gegeben. Geht man an die Beantwortung der Frage unabhängig von den Verhandlungen und nur auf Grund allgemeiner völkerrechtlicher Regeln heran, so führen die hierzu geäußerten verschiedenartigen Auffassungen doch zu einem übereinstimmenden, die Bindung des wiedervereinigten Deutschlands ausschließenden Ergebnis. Wer die Bundesrepublik und das wiedervereinigte Deutschland staatsrechtlich nicht als identisch ansieht, wird eine Bindung nicht annehmen. Aber auch die von Mitgliedern der SPD-Fraktion dargelegte staatsrechtliche Beurteilung ergibt 'die Freiheit des wiedervereinigten Deutschlands. Die Mehrheit ides Ausschusses, die mit der Bundesregierung eine, wenn auch faktisch begrenzte Identität zwischen Bundesrepublik und Gesamtdeutschland annimmt, kommt zu demselben Ergebnis, und zwar über die Erwägung, daß die Einbeziehung der sowjetischen Besatzungszone in den Bereich der Regierung des wiedervereinigten Deutschlands eine so tiefgreifende Änderung der politischen Situation und der Struktur des deutschen Vertragspartners bringe, die jedem Unterzeichnerstaat die Freiheit der Entscheidung darübergebe, ob er zu den Vertragen stehen oder sie als überholt ansehen wolle. Es wird darauf hingewiesen, daß Bedenken, die die Minderheit hier wegen der Verträge über die WEU und NATO hegt, in dem Generalbericht zur Drucksache 1061 dargestellt werden. Das aus rechtlichen Erwägungen gewonnene Ergebnis wird allerdings auch von der Art abhängen, in der die Wiedervereinigung zustandekommt. 6. Der Auswärtige Ausschuß und der Gesamtdeutsche Ausschuß sind in ihrer Mehrheit der Auffassung, daß die Abkommen, die sich um den Deutschlandvertrag gruppieren, die Aussichten für eine in Frieden und Freiheit zustandekommende Wiedervereinigung fördern. In beiden Ausschüssen erkannte die Minderheit gewisse Fortschritte in der Gestaltung der Verträge gegenüber der Formulierung von. 1952 an, und zwar auch hinsichtlich der Wiedervereinigung; sie hielt jedoch die gegenüber den Vorbehaltsrechten und gegenüber Art. 7 Abs. 2 des Deutschlandvertrages geäußerten Bedenken aufrecht. VI. Berlin 1. Berlin steht unter einer Viermächte-Verwaltung. Es ist über die drei Westsektoren aufs engste mit der Bundesrepublik verbunden, aber nicht als Land zu ihr gehörend. Diese internationalrechtliche Lage und die Tatsache, daß die Stadt inmitten der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands liegt, schaffen die besondere Situation Berlins. Die neuen Abmachungen befassen sich an folgenden Stellen mit Berlin. a) Die Vereinigten Staaten von Amerika, das Vereinigte Königreich und Frankreich haben in Teil V Ziff. 5 der Londoner Schlußakte erneut eine umfassende Garantieerklärung für Berlin gegeben. Sie verpflichteten sich, im Gebiete von Berlin Streitkräfte zu unterhalten und brachten zum Ausdruck, jeden Angriff gegen Berlin als einen Angriff auf ihre Streitkräfte und auf sich selbst zu behandeln. Diese Garantieerklärung wurde in die Pariser Vereinbarungen übernommen und mit der vom Nordatlantikrat am 22. Oktober 1954 angenommenen Entschließung auch für die übrigen NATO-Staaten verbindlich. Sie hat ihre besondere Bedeutung auch im Zusammenhang mit den Beistandsverpflichtungen des Art. V des Vertrages über die Westeuropäische Union und des Art. 5 des Nordatlantikvertrages. b) Ergänzend hierzu gaben die drei Mächte zur Frage des Berliner Besatzungsregimes noch folgende Erklärung ab: Was Berlin anlangt, dessen 'Sicherheit Gegenstand der alliierten Garantien innerhalb des Londoner Kommuniqués vom 3. Oktober 1954 ist, haben die Außenminister der Französischen Republik, des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland und der Vereinigten Staaten von Amerika mit tiefer Befriedigung die enge und freundschaftliche Zusammenarbeit zur Kenntnis genommen, die zwischen alliierten und Berliner Behörden geübt wird. Die drei Mächte sind entschlossen sicherzustellen, daß Berlin das höchstmögliche Maß von Selbstregierung erhält, das mit der besonderen Situation Berlins vereinbar ist. Demgemäß haben die drei Regierungen ihre Vertreter in Berlin angewiesen, sich mit den Behörden dieser Stadt zu beraten, um gemeinsam und in weitestmöglichem Maße die oben erwähnten Grundsätze durchzuführen. c) In Art. 2 des Deutschlandvertrages behalten sich die drei Mächte ihre bisher ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin vor, wozu auf den Abschnitt „Vorbehaltsrechte" verwiesen wird. In Art. 6 Abs. 1 des Deutschlandvertrages verpflichten sich die drei Mächte, die Bundesrepublik hinsichtlich der Ausübung ihrer Rechte in bezug auf Berlin zu konsultieren. d) Durch ein Schreiben der Hohen Kommissare vom 26. Mai 1952 (BGBl. II S. 242), dessen Abs. 3 in Paris neu gefaßt wurde, haben die drei Mächte eine besondere Erklärung über die Aufgabe und die Durchführung ihres Vorbehalts in bezug auf Berlin abgegeben. e) Der bisherige Abs. 2 des Art. 6 wurde gestrichen. Er enthielt die Verpflichtung der Bundesrepublik, Berlin politisch, kulturell, wirtschaftlich und finanziell zu helfen und hinsichtlich Berlins mit den drei Mächten zusammenzuwirken. Diese Bestimmung war durch eine besondere, dem Vertrage als Anhang unmittelbar beigefügte Erklärung der Bundesregierung über die Hilfeleistungen für Berlin konkretisiert gewesen. Diese Streichung und die damit zusammenhängende Änderung des Abs. 3 des Briefes der drei Hohen Kommissare vom 26. Mai 1953 / 23. Oktober 1954 erfolgte, weil es für die Bundesrepublik eine selbstverständliche Verpflichtung ist, Berlin zu helfen, eine Verpflichtung, die in eigener Verantwortung und nicht auf Grund einer internationalrechtlichen Bindung erfüllt werden soll. Die Bundesrepublik hat Ziele und Umfang ihrer Hilfsverpflichtungen für Berlin in einer besonderen, vom Deutschlandvertrag unabhängigen Erklärung niedergelegt, die das Datum vom 23. Oktober 1954 trägt und in einer Abschrift dem unter Buch- (Dr. Furler) stabe d erwähnten Brief der Hohen Kommissare beigefügt ist — Drucksache 1000 S. 30/31 —. Diese Erklärung geht sachlich über die frühere Verpflichtung der Bundesrepublik hinaus. Sie ist auch dadurch bemerkenswert, daß sie von Berlin „als der vorgesehenen Hauptstadt eines freien wiedervereinigten Deutschlands" spricht. 2. Über diese Dokumente wurde im Auswärtigen Ausschuß und im Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen eingehend verhandelt. Man war sich darüber einig, daß die besondere internationalrechtliche Situation Berlins die Aufrechterhaltung der Rechte der drei westlichen Mächte gegenüber Sowjetrußland, also den ausgesprochenen Vorbehalt notwendig mache. Übereinstimmend wurde auch die von den drei Mächten abgegebene und von den übrigen NATO-Staaten übernommene Garantieerklärung für Berlin begrüßt. Alle Mitglieder der Ausschüsse hielten es auch für richtig, daß die Bundesrepublik ihr Hilfsversprechen nicht mehr zum Gegenstand einer völkerrechtlichen Verpflichtung gemacht hat. Die beiden Ausschüsse waren der Meinung, daß die für Berlin in den Verträgen und im Zusammenhang mit ihnen abgegebenen Erklärungen einen Fortschritt darstellen und von Berlin aus gesehen als erfreulich zu bezeichnen sind. Die Minderheit hielt jedoch Beanstandungen aufrecht, die im wesentlichen mit den rechtlichen Beziehungen Berlins zur Bundesrepublik zusammenhängen. Die Minderheit ist hier der Auffassung, daß jetzt schon eine Erweiterung der Berliner Selbstverwaltung und eine noch stärkere Verbindung mit der Bundesrepublik hätte erreicht werden müssen, wobei auch die Forderung nach einer unmittelbaren Wahl und dem Stimmrecht der Berliner Abgeordneten im Deutschen Bundestag nachdrücklich erhoben wurde, dies allerdings nur unter Aufrechterhaltung des Viermächte-Status, dessen Beibehaltung auch die Minderheit für notwendig hält und der in der Alliierten Kommandantur verkörpert ist. VII. Die Notrechte 1. Das Notstandsrecht Truppenkontingente der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs bleiben im Gebiet der Bundesrepublik; zunächst noch in Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse, nach Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag im Rahmen des Bündnissystems und auf vertraglicher Grundlage. Die Regierungen der drei Mächte legten 1952 und bei den Verhandlungen über die Pariser Verträge entscheidenden Wert darauf, die Sicherheit dieser Streitkräfte auch bei besonderen Notlagen garantiert zu wissen. Hieraus entstand der Art. 5 des alten Deutschlandvertrages, der die drei Mächte berechtigte, den Notstand zu erklären, wenn die Bundesrepublik und die Europäische Verteidigungsgemeinschaft außerstande waren, einer Lage Herr zu werden, die durch einen Angriff auf die Bundesrepublik oder Berlin, durch eine umstürzlerische oder sonstige Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit oder durch den ernstlich drohenden Eintritt solcher Ereignisse entstanden war. Auf diesem Gebiet bringen die neuen Abmachungen einen grundlegenden Wandel. Der heutige Art. 5 gibt Notstandslagen Regelungen bei, die verschiedenartig sind für die Zeit vor und für diejenige nach Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag. 1. Bis zu diesem Inkrafttreten gelten nicht die Bestimmungen des früheren Art. 5. Die aus der hoheitsrechtlichen Grundlage der Stationierung sich ergebende Rechtslage wird aber hinsichtlich des Notstandsrechtes folgenden Einschränkungen unterworfen: a) Eine Verpflichtung der drei Mächte, die Bundesrepublik zu konsultieren, besteht auch für die Ausübung des Notstandsrechtes. Die militärische Lage in der Notsituation muß allerdings so sein, daß sie noch eine Konsultierung erlaubt. b) Entgegen dem allgemein festgelegten Grundsatz können die drei Mächte im Falle eines erfolgten oder eines unmittelbar drohenden Angriffs auch ohne Einwilligung der Bundesrepublik weitere Truppenkontingente in deren Gebiet verbringen. Diese Kontingente dürfen aber nach Beseitigung der Gefahr nur mit Einwilligung der Bundesregierung im Gebiete der Bundesrepublik verbleiben. 2. Nach Rechtskraft des Beitritts der Bundesrepublik zur NATO bleibt die zu 1 dargestellte Rechtslage zunächst bestehen. Die drei westlichen Mächte behalten ihre bisherigen Rechte in bezug auf den Schutz der Sicherheit ihrer Streitkräfte in der Bundesrepublik „zeitweilig" bei, schränken diese aber nochmals ein. Diese neuen und weiteren Schranken der vorübergehend noch beibehaltenen hoheitlichen Befugnisse sind die folgenden: a) Die drei Mächte werden ihre Rechte nur nach Konsultation der Bundesregierung ausüben. Ausgenommen ist der Sonderfall, daß die militärische Lage eine solche Konsultation ausschließt. b) Die Ausübung von Notstandsrechten setzt weiterhin voraus, daß die Bundesregierung mit den drei Mächten darin übereinstimmt, daß die Umstände die Ausübung derartiger Rechte erfordern. Hierin liegt eine sehr entscheidende Begrenzung. Es zeigt sich die Tendenz, den ganzen Komplex des Notstandsrechtes in den Zuständigkeitsbereich der deutschen Regierung zu verlagern. c) Es wird ausdrücklich ausgesprochen, daß sich „im übrigen", also von den aus der Notlage zwingend sich ergebenden, ganz außergewöhnlichen Maßnahmen abgesehen, der Schutz der Sicherheit der Streitkräfte nach den Vorschriften des Truppenvertrages und nach deutschem Recht bestimmt. 3. Die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und Frankreich legen es durch den Satz 1 ,des neuen Abs. 2 des Art. 5 in die ausschließliche Entscheidungsbefugnis des Gesetzgebers der Bundesrepublik, das ganze Notstandsrecht endgültig und umfassend aufzuheben. Diese alliierten Rechte erlöschen, sobald die zuständige deutsche Behörde durch den Gesetzgeber besondere Vollmachten erhalten hat. Art und Inhalt der hier vorausgesetzten gesetzgeberischen Maßnahmen ergeben sich nicht ausschließlich aus dem Art. 5, sondern auch aus einer besonderen Erklärung, die die drei Mächte der Bundesregierung zur Interpretation dies ersten Satzes des Abs. 2 des Art. 5 schriftlich abgegeben haben. Die Bundesregierung hat den Auswärtigen Ausschuß und den Rechtsausschuß hierüber umfassend unterrichtet. Der Auswärtige Ausschuß ist daher berechtigt, bei seiner Beurteilung der hier in Betracht kommenden Fragen von folgender Lage auszugehen: Die Vollmachten müssen die zu ermächtigende Behörde in den Stand setzen, wirksame Maßnah- (Dr. Furler) men zum Schutz der Sicherheit :der Streitkräfte zu treffen. Dies setzt voraus, daß diese Behörde die Fähigkeit hat, einer ernstlichen Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu begegnen. Es wird aber von den drei Mächten nur verlangt, diese Vollmacht für Fälle zu geben, in denen die öffentliche Ordnung und Sicherheit und damit die Sicherheit der ausländischen Streitkräfte auf Grund eines Angriffs oder einer äußeren Bedrohung der Bundesrepublik gefährdet ist. Besondere Situationen, die ihre Ursache in Vorgängen innerhalb der Bundesrepublik haben, brauchen nicht von der hier gesetzgeberisch zu erteilenden Ermächtigung erfaßt zu sein, so Notlagen, die durch innere Unruhen, Streiks, Wassergefahr, Seuchen etc. entstehen können. Daneben wird gefordert, daß militärische Notwendigkeiten bei der Überwachung des Post- und Fernmeldewesens berücksichtigt werden. Die vier vertragschließenden Staaten sind darüber einig, daß das ,diese Vollmachten schaffende Gesetz keinen bestimmten und konkret festgelegten Inhalt zu haben braucht, um die bisherigen Notstandsrechte der westlichen Mächte zum Erlöschen zu bringen. Es genügt, daß ein Gesetz ergeht, das solche Vollmachten gibt. Sobald dieses Gesetz in Kraftgetreten ist, sind die zeitweilig beibehaltenen Rechte der drei Mächte endgültig erloschen. Der Auswärtige Ausschuß war sich darüber einig, daß der Art. 5 gegenüber der früheren Fassung einen bedeutsamen Fortschritt bringt. Er hat hierbei auch erwogen: 1. Die Notstandsrechte hören mit Inkrafttreten des ,ermächtigenden Gesetzes auf zu existieren. Sie erlöschen, ohne daß die drei Mächte zustimmen oder eine besondere Erklärung 'abgeben müssen. 2. Das Erlöschen tritt ein, ohne daß ein Gesetz vorausgesetzt wird, das einen konkret vorgeschriebenen Inhalt hat. Der Gesetzgeber der Bundesrepublik ist also 'auf bestimmte Ermächtigungsnormen nicht festgelegt. Es wird vor allem nicht eine Regelung im Sinne des Art. 48 der Weimarer Verfassung verlangt. Der Gesetzgeber ist frei, Normen zu entwickeln, wobei allerdings angenommen wird, daß er sich im Rahmen dessen hält, was bei den Mitgliedstaaten der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft üblicherweise Rechtens ist. 3. Nach Erlöschen der Rechte besteht keine Möglichkeit des Rückgriffs auf hoheitliche Befugnisse mehr, auch nicht über den gesamtdeutschen Vorbehalt, wozu auf die dortigen Ausführungen verwiesen wird. 2. Das Notwehrrecht Art. 5 Abs. '7 des alten Deutschlandvertrages erklärte, jeder ,Militärbefehlshaber sei, abgesehen von der Notstandssituation, berechtigt, im Falle einer unmittelbaren Bedrohung seiner Streitkräfte die angemessenen Schutzmaßnahmen (einschließlich des Gebrauchs von Waffengewalt) unmittelbar zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Gefahr zu beseitigen. Diese Bestimmung ist nunmehr gestrichen. In einem Briefe des Bundeskanzlers an die Außenminister der drei Mächte vom 23. Oktober 1954 betreffend das Recht eines Militärbefehlshabers zum Schutze seiner Streitkräfte — Anlage B I zur Regierungsbegründung in Drucksache 1000 — wird unter Bezugnahme auf diesen früheren Abs. 7 des Art. 5 gesagt, die Bundesregierung sei der Ansicht, daß es sich bei dieser Norm um ein nach Völkerrecht und damit auch nach deutschem Recht jedem Militärbefehlshaber zustehendes Recht handle. Der Bundeskanzler stellt daher fest, daß dieses Recht durch die Streichung des Abs. 7 des Art. 5 nicht berührt werde. Es handelt sich hier um das Notwehrrecht, das einem Militärbefehlshaber zusteht, wenn seine Truppen einem gegenwärtigen, unmittelbaren und rechtswidrigen Angriff 'ausgesetzt sind. Diese Lage steht im Gegensatz zum Notstand, der seine Begründung in besonderen Verhältnissen hat, die sich gefährdend auf eine Truppe auswirken, ohne daß diese Gegenstand einer gegen sie gerichteten Aktion ist. Der Brief vom 23. Oktober 1954 schafft dieses Notwehrrecht nicht. Er stellt nur fest, daß dieses Recht nach allgemeinen völkerrechtlichen Normen und auch mach deutschem Recht jedem Militärbefehlshaber zusteht. Er besitzt mithin nur deklaratorische Bedeutung und war veranlaßt, um Mißverständnisse zu beseitigen, die aus der Streichung des früheren Abs. 7 'entstehen könnten. VIII. Das Schiedsgericht Die mit der Errichtung eines Schiedsgerichts zusammenhängende Regelung veränderte sich in folgenden Punkten: 1. Das Schiedsgericht entsteht nicht mehr unmittelbar mit dem Inkrafttreten des Deutschlandvertrages. Dieses Schiedsgericht wird gebildet 'werden — und es besteht eine Pflicht hierzu —, sobald der erste Streitfall dies notwendig macht (Art. 9 Abs. 1 des Deutschlandvertrages und die geänderten Art. 1, 3, 6 und 12 der Satzung des Schiedsgerichts — Anlage B zum Deutschlandvertrag —). 2. Bisher konnte das Schiedsgericht angerufen werden, wenn die Streitigkeit nicht durch Verhandlungen zu bereinigen war. Jetzt ist neben den Schlichtungsverhandaungen auch eine Beilegung der Streitigkeit „auf eine andere, zwischen allen Unterzeichnerstaaten vereinbarte Weise" vorgesehen (Art. 9 ,Abs. 2). 3. Die Abgrenzung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts ist die gleiche geblieben. Dieses Gericht ist ausschließlich und für alle Streitigkeiten zwischen den Vertragschießenden aus den Bestimmungen des Vertrages, der Satzung des Schiedsgerichts oder eines der Zusatzverträge zuständig. Beibehalten ist vor allem die Bestimmung, daß Streitigkeiten, die die Vorbehaltsrechte berühren, nicht in die Zuständigkeit des Schiedsgerichts fallen. Diese Vorbehaltsrechte werden aber nicht allgemein und generell genannt, sondern besonders bezeichnet. Nur was in Abs. 3 des Art. 9 ausdrücklich aufgeführt wird, ist der schiedsgerichtlichen Zuständigkeit entzogen. 4. Von besonderer Bedeutung und nach übereinstimmender Auffassung des Auswärtigen Ausschusses sehr erfreulich ist die Änderung der Art. 11 der Satzung des Schiedsgerichts. In eingehenden Bestimmungen war früher das Schiedsgericht berechrtigt gewesen, zur Durchsetzung seiner Urteile weitgehend in die Zuständigkeiten der Bundesrepublik einzugreifen. Das Schiedsgericht sollte ermächtigt werden, deutsche Verwaltungsmaßnahmen unmittelbar außer Kraft zu setzen, Urteile für nichtig zu erklären und unmittelbar gesetzliche Normen zu erlassen. Diese hier in Betracht kommenden Bestimmungen sind gestrichen. An ihre Stelle trat der neue Abs. 2 des Art. 11, der folgendes vorsieht: wird eine vom Schiedsgericht angeordnete Maßnahme zur Ausführung seiner Entscheidung innerhalb angemessener Frist nicht durchgeführt, so kann der betrof- (Dr. Furler) fene und jeder Unterzeichnerstaat, der an dem Streit beteiligt ist, an das Schiedsgericht mit der Bitte herantreten „um eine weitere Entscheidung bezüglich entsprechender ,anderweitiger Maßnahmen seitens des säumigen Staates". Eine derartige Norm ist innerhalb internationaler schiedsgerichtlicher Verträge üblich. Sie hat keinen Zusammenhang mehr mit den gestrichenen Sondervorschriften. Es ist notwendig darauf hinzuweisen, daß in Art. 10 des Brüsseler Vertrages die obligatorische Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes für alle Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien des Brüsseler Vertrages vereinbart wird. Da die Bundesregierung weder Mitglied der Vereinten Nationen ist noch dem Statut des Internationalen Gerichtshofes angehört, setzt die Erfüllung dieser Verpflichtung die Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung gegenüber dem Internationalen Gerichtshof voraus, deren Inhalt sich nach dem Beschluß des Sicherheitsrates vom 15. Oktober 1946 bestimmt. IX. Die Revisionsklausel Der Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten erblickt auch in der neuen Formulierung der Revisionsklausel (Art. 10) einen Fortschritt gegenüber dem Vertrage von 1952. Beide Fassungen dieses Artikels unterscheiden zwei Überprüfungsmöglichkeiten. Die eine — Buchstabe a — erfolgt auf Ersuchen eines Vertragspartners, die andere — Buchstabe b — setzt einegemeinsame Auffassung aller vier Mächte voraus. Beide Revisionstatbestände wurden erweitert. Zu Buchstabe a: Während früher die Wiedervereinigung Deutschlands und die Bildung einer Europäischen Föderation das Ersuchen auf Überprüfung rechtfertigten, sind dessen Voraussetzungen heute zusätzlich auch dann gegeben, wenn eine internationale Verständigung über Maßnahmen zur Herbeiführung der Wiedervereinigung Deutschlands erzielt ist. Im Auswärtigen Ausschuß entstand keine einheitliche Auffassung über die Abgrenzung dieser zweiten Alternative. Sicherlich stellt die allgemeine Hoffnung oder der Wunsch auf eine Wiedervereinigung noch keinen Überprüfungsgrund dar. Die neue Voraussetzung muß sich zwischen der Wiedervereinigung selbst und einer allgemeinen Chance auf sie erfüllen. Sobald eine internationale Übereinstimmung über Maßnahmen erzielt ist, die der Herbeiführung der Wiedervereinigung Deutschlands dienen, kann die Bundesrepublik die anderen Vertragspartner um eine Überprüfung ersuchen, deren Zweck ist, die Anpassung des Vertrages an die konkret in Aussicht stehende Wiedervereinigung durchzuführen. Voraussetzung der Überprüfung ist allerdings, daß die Vertragspartner selbst — also alle vier Staaten — an dieser internationalen Übereinstimmung beteiligt sind oder ihr wenigstens zustimmen. Diese Notwendigkeit würde sich auch schon ,aus der vertraglich festgelegten gemeinschaftlichen, auf eine Wiedervereinigung Deutschlands gerichteten Politik der vier Staaten ergeben. Auf jeden Fall geht aus dieser Norm der Wille der Vertragschließenden klar hervor, auf idem Weg zur Wiedervereinigung schon frühzeitig alle möglichen Hindernisse zu beseitigen. Zu Buchstabe b: Sobald die bei Inkrafttreten des Vertrages bestehenden Verhältnisse nach Auffassung der Vertragspartner eine Änderung grundlegenden Charakters erfahren haben, ist der Vertrag ebenfalls zu überprüfen. Das Ziel jeder Überprüfung ist, den Vertrag und seine Zusatzverträge in gegenseitigem Einvernehmen so zu gestalten, wie es die grundlegende Änderung der Lage erforderlich oder ratsam macht. Die Streichung des Abs. 3 des Art. 7 und die aus ihr sich ergebende neue Rechtslage steht in keinem unmittelbaren und kausalen Zusammenhang mit der Veränderung der Revisionsklausel. Der Auswärtige Ausschuß ist aber mit der Regierung der Meinung, daß ein innerer Zusammenhang zwischen beiden Komplexen besteht, da es darum geht, die Entschließungsfreiheit der Regierung des wiedervereinigten Deutschlands durch eine Anpassung der Verträge vorzubereiten und zu ermöglichen. Der Auswärtige Ausschuß schloß sich der in den Beratungen zum Ausdruck gekommenen Auffassung an, daß Art. 10 nur eine spezielle Anwendung und detailliertere, konkretere, präzisere Formulierung eines allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatzes ist, der dahin geht, daß eine wesentliche Veränderung der tatsächlichen Gegebenheiten zu einer Überprüfung der getroffenen Vereinbarungen berechtigt. Diese Rechtsauffassung ist für den Vertrag über die Gründung der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft, der auf den 4. April 1959 eine Revision zuläßt, und für den Brüsseler Vertrag, der nach seinem Wortlaut auf 50 Jahre unveränderlich abgeschlossen wurde, von besonderer Bedeutung. E. Vertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland (Truppenvertrag) I. Die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik regeln sich nach dem Inkrafttreten des Protokolls vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes ausschließlich nach dem Truppenvertrag. Dieser Vertrag umgrenzt die Rechtsstellung der ausländischen Truppen. Er befaßt sich nicht mit der rechtlichen Grundlage, die die Anwesenheit dieser ausländischen Truppen im Gebiete der Bundesrepublik rechtfertigt. Diese rechtliche Grundlage ist nach Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag in dem Aufenthaltsvertrag — Drucksache 1060 — normiert. Der Grundsatz, daß sich die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik ausschließlich aus dem Truppenvertrag ergeben, gilt sowohl für die Kontingente der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs als auch für die Streitkräfte, die andere Staaten in der Bundesrepublik unterhalten. Diese durch den Vertrag abschließend umrissene Rechtsstellung ist auch in einer etwaigen Zwischenzeit maßgeblich, die sich ergibt, wenn der Komplex des Deutschlandvertrages vor den Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag in Kraft tritt. Sie gilt auch dann, wenn sich Streitkräfte zu Übungszwecken, auf Grund von Transitrechten oder auf dem Wege nach Berlin in der Bundesrepublik aufhalten. Nach Inkrafttreten des Protokolls vom 23. Oktober 1954 gibt es also für ausländische Truppen in der Bundesrepublik keine Befugnisse, die sich außerhalb des Truppenvertrages ableiten ließen. (Dr. Furler) II. Der 1952 zustande gekommene Truppenvertrag wurde im wesentlichen unverändert in das neue Vertragswerk übernommen. Zu seiner Erläuterung sind daher heute noch die Materialien zum Gesetz vom 28. März 1954 (BGBl. II S. 78 ff.) und im besonderen der Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten — Drucksache Nr. 3900 der 1. Wahlperiode — maßgeblich. Ergänzend wird auf die Darstellung des Besonderen Berichtes des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit Bezug genommen. III. Art. 8 des Deutschlandvertrages bringt für die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder insofern eine bedeutsame Änderung, als der Truppenvertrag nur noch für eine begrenzte Zeit gilt, also — im Gegensatz zu 1952 — eine Übergangsregelung darstellt. Nach Art. 8 Abs. 1 Buchstabe b des Deutschlandvertrages bleibt dieser Truppenvertrag bestehen bis zum Inkrafttreten neuer Vereinbarungen über die Rechte und Pflichten der Streitkräfte der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs und sonstiger Staaten, die Truppen im Gebiete der Bundesrepublik unterhalten. Diese neuen Vereinbarungen — also der neue Truppenvertrag — werden auf der Grundlage des in London am 19. Juni 1951 zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über den Status ihrer Streitkräfte unterzeichneten Abkommens getroffen. Diese Umformung der Rechte und Pflichten der in der Bundesrepublik befindlichen ausländischen Truppen auf der Basis des Rechts der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft erfährt insofern eine Abwandlung, als bei diesem neuen Truppenvertrag die besonderen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, die für die in der Bundesrepublik stationierten Streitkräfte vorliegen. Nach Mitteilungen der Regierung ergibt sich aber aus den hier in London und Paris geführten Besprechungen, daß nach Möglichkeit ein Abkommen zustande kommen soll, das nicht nur für die Bundesrepublik, sondern auch für andere Mitglieder des Nordatlantikvertrages, die sich in einer ähnlichen Situation wie die Bundesrepublik befinden, Geltung haben soll. Im übrigen ist der Auswärtige Ausschuß der Meinung, daß die Vorbehaltsklausel wegen der besonderen Verhältnisse der ausländischen Streitkräfte in der Bundesrepublik nicht dahin zu verstehen ist, daß diese Verhältnisse vermehrte Rechte dieser Truppen bedingen. Der Sinn ist ein objektiver und kann, ja muß nach verschiedenen Richtungen zu einer bevorzugten Behandlung der Bundesrepublik führen, die auf Grund einer Situation, die sie nicht verursacht hat, einer größeren Zahl von ausländischen Streitkräften ein vertragliches Aufenthaltsrecht gewährt, als dies bei anderen NATO-Staaten der Fall ist. IV. Der Ausschuß für Wirtschaftspolitik hat hinsichtlich dieser Verträge den soeben entwickelten Gedanken in einer Erklärung Ausdruck gegeben, die lautet: Der Ausschuß hat hinsichtlich dieser Verträge anerkannt, daß die Vertragspartner sich verpflichtet haben, den Truppenvertrag durch eine dem NATO-Statut angepaßte Regelung abzulösen und dadurch den deutschen wirtschaftlichen Belangen größere Geltung zu verschaffen. 2. Zu den Verhandlungen über einen neuen Truppenvertrag wünschte der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung noch, daß a) bei Art. 19 — Manöver und Übungen — eine günstigere Regelung möglichst sofort herbeigeführt werde und b) bei Art. 20 und 21 — Verteidigungsanlagen — einheitliche Regelungen zum Schutze der Zivilbevölkerung im Sinne der deutschen Vorschriften getroffen werden. 3. Der Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik zu Drucksache 1000 — erstattet durch den Abg. Lange — hebt auf die Bedeutung ab, die der vorgesehene Abschluß eines neuen Truppenvertrages hat. Er weist gleichzeitig auf die sich aus dem Abschnitt II — Versorgung — zwingend ergebenden Vorschriften für die Sicherstellung der Versorgung der Streitkräfte hin. Wenn auch die aus diesen Vorschriften abzuleitenden Leistungsgesetze sich nur auf den Truppenvertrag beziehen, so ist nach der von der Regierung vorgetragenen Auffassung die Formulierung der Gesetze so, daß sie sowohl für die ausländischen Truppen als auch für die deutschen noch aufzustellenden Streitkräfte die Grundlage der Versorgung bilden sollen. In diesem Zusammenhang weist der Bericht auf Bedenken der Minderheit hin, die auf die über die Geltungsdauer dieses Vertrages sich erstreckende Gültigkeit der Leistungsgesetze Bezug haben. Die Minderheit sieht hier die Möglichkeit für eine Veränderung der derzeitigen Wirtschaftsverfassung. Hierbei hat auch die Frage eine Rolle gespielt, ob die in Art. 3 gefundene Formulierung, wonach die Streitkräfte bei der Geltendmachung ihrer Rechte auf die deutschen öffentlichen und privaten Interessen „gebührend Rücksicht nehmen", die Sicherstellung des deutschen zivilen Bedarfs unter allen Umständen gewährleistet. Der Begriff „gebührend Rücksicht nehmen" war im Sinne dieser Frage für die Mehrheit ausreichend, für die Minderheit nicht genügend geklärt. Dazu kommt für die Minderheit, daß die genannte Bestimmung in Verbindung mit der Vorrangklausel des Art. 39 Abs. 5 gesehen werden muß, die den Vorrang des Streitkräftebedarfs eindeutig festlegt. Zur Sicherstellung des vorrangigen Bedarfs sind ein Landbeschaffungsgesetz, ein Bundesleistungsgesetz und ein Sicherstellungsgesetz erforderlich. Von dem Gedanken eines Dienstleistungsgesetzes für die Sicherstellung des sich aus den gesamten Leistungsverpflichtungen ergebenden Arbeitskräftebedarfs ist die Bundesregierung wieder abgegangen; die Arbeitskräfte sollen auf dem normalen Wege der Arbeitsvermittlung ohne Zwang an die Stellen des Bedarfs geleitet wenden. Es ist im Ausschuß zum Ausdruck gebracht worden, daß sich durch die Leistungsgesetze möglicherweise eine Einschränkung der durch das Grundgesetz gewährleisteten Grundrechte anbahnen könne. Bei der Beratung der einzelnen Gesetze im Bundestag sei darauf besonderes Augenmerk zu richten. Abschließend stellt der Bericht fest, daß die Mehrheit des Ausschusses für Wirtschaftspolitik die zu erwartenden Belastungen der Volkswirtschaft für tragbar hält. Dagegen befürchtet die Minderheit im Zusammenhang mit der möglichen Wirkung der Leistungsgesetze, der Art der Beschaffung und den materiellen Belastungen Verzerrun- (Dr. Furler) gen des Wirtschaftsgefüges und die Gefahr der Veränderung der Wirtschaftsverfassung in Richtung auf zentrale Verwaltungswirtschaft. Der Ausschuß teilte in seiner Mehrheit eine derartige Befürchtung nicht, weil das Gesamtvolumen der nach dem Truppenvertrag aufzubringenden Leistungen im Verhältnis zum Sozialprodukt und dessen zu erwartender Steigerung nicht von ausschlaggebender Bedeutung sei. 4. Der Ausschuß für Besatzungsfolgen hat in diesem Zusammenhang den Wunsch geäußert, daß bei den Verhandlungen über einen neuen Truppenvertrag auf jeden Fall eine Schlechterstellung der Bundesrepublik gegenüber dem Status des bisherigen Vertrages vermieden werden muß. Der Auswärtige Ausschuß teilt solche Befürchtungen nicht. Er ist einmütig der Meinung, daß es der Sinn der Schaffung eines neuen Truppenvertrages ist, hier Verbesserungen zu erreichen, die sich aus Inhalt und Geist der NATO-Vereinbarungen ergeben. F. Der Finanzvertrag I. Dieser zwischen den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich, der Französischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland zustande gekommene Vertrag — BGBl. 1954 II S. 135 ff. — erfuhr durch die Pariser Verträge Abänderungen, die in der Liste III des Protokolls vom 23. Oktober 1954 niedergelegt sind—Drucksache 1000 S.15 ff.—. Darüber hinaus aber ist in Art. 8 Abs. 1 Buchstabe c des Deutschlandvertrages ausdrücklich vereinbart, daß der Finanzvertrag nur bis zum Inkrafttreten neuer Vereinbarungen gelte, über die gemäß Art. 4 Abs. 4 des geänderten Finanzvertrages mit denjenigen Mitgliedstaaten der Nordatlantikvertragorganisation verhandelt wird, die Truppen im Bundesgebiet stationiert haben. Der vorliegende Finanzvertrag stellt mithin eine Übergangsregelung dar, wobei die an seine Stelle tretende vertragliche Vereinbarung im Geiste des Art. 3 des Nordatlantikvertrages zu gestalten ist. II. Bei dem Finanzvertrag handelt es sich um eine spezielle Materie, die im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen einer eingehenden Überprüfung unterzogen wurde. Es erscheint daher richtig, hier die Ausführungen des Schriftlichen Berichtes dieses Ausschusses — erstattet durch den Abg. Dr. Gülich — folgen zu lassen. 1. Grundsätze für die finanziellen Leistungen Aus dem Finanzvertrag sind alle diejenigen Bestimmungen herausgenommen, geändert oder angepaßt worden, die auf den 1952 vorgesehenen supranationalen Charakter einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zugeschnitten waren. Die materiellen Änderungen im Finanzvertrag beziehen sich in erster Linie auf die Vorschriften, welche die finanziellen Verpflichtungen der Bundesrepublik regeln. Die beiden wichtigsten Punkte sind: a) Der Bundesrepublik obliegt keine Dauerverpflichtung zur Leistung eines finanziellen Global- Verteidigungsbeitrags mehr (Wegfall des Art. 3 Abs. 1 bis 3 des Bonner Finanzvertrages a. F.). Statt dessen erbringt sie — wie alle anderen NATO-Staaten auch — künftig Realleistungen in Gestalt der Aufstellung und Ausrüstung militärischer Einheiten. Die Ausgaben dafür werden im einzelnen im Bundeshaushalt veranschlagt. NATO veranstaltet Jahreserhebungen über die Verteidigungsanstrengungen der westlichen Staaten, bewertet dabei die Realleistungen der einzelnen Mitgliedstaaten finanziell und spricht als Ergebnis dieses sogenannten NATO-Verfahrens Empfehlungen insbesondere auch zur Höhe des finanziellen Verteidigungsaufwands aus, die sich auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaates und auf einen Vergleich mit den entsprechenden finanziellen Verteidigungsleistungen der anderen Staaten stützen. Die Befolgung dieser finanziellen Empfehlungen wird überprüft (vgl. die Entschließung zur Durchführung von Abschnitt IV der Londoner Schlußakte Ziff. 2). Nach den Erklärungen des Vertreters der Bundesregierung sollen Verhandlungen über den Gesamtverteidigungsaufwand nach dem Inkrafttreten der Verteidigungsverträge stattfinden. b) Der Bundesrepublik obliegt keine Dauerverpflichtung zur Leistung eines Stationierungskostenbeitrags für die im Bundesgebiet stationierten fremden Streitkräfte (Wegfall des Art. 3 Abs. 4 und 5 des Bonner Finanzvertrages a. F.). Statt dessen erklärt sie sieh ,,im Geiste des Art. 3 des Nordatlantikvertrages" bereit, über Fragen des Unterhalts der stationierten Streitkräfte, wie z. B. über die Erbringung von Sach- und Werkleistungen zu verhandeln; dabei ist der Bedarf der eigenen Streitkräfte zu berücksichtigen (Art. 4 Abs. 4). Die finanziellen Übergangsbestimmungen befinden sich jetzt in Art. 4, der seinem ,ganzen Wortlaut nach geändert ist. Es ist von Bedeutung, daß der Finanzvertrag nicht mehr für die Dauer bestimmt ist, sondern lediglich für eine Übergangszeit gelten soll (Art. 8 Abs. 1 des Generalvertrages n. F.). Der Vertrag soll durch ein neues Abkommen auf der Grundlage des Nordatlantikvertrages abgelöst werden. 2. Stationierungskosten vor aktivem deutschen Verteidigungsbeitrag Die Bundesrepublik zahlt vom Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Vertrages bis zum Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag einen monatlichen Durchschnittsbetrag von 600 Mio DM als Mittel für den Unterhalt der Streitkräfte (Art. 4 Abs. 1 Buchstabe a). Während bisher 600 Mio DM als Besatzungskosten monatlich den Besatzungsmächten zur freien Verfügung überlassen sind, ist neu, daß von dem genannten Betrag von 600 Mio DM monatlich ein Teilbetrag von 100 Mio DM für besondere Zwecke bestimmt ist, über die noch keine Abmachungen vorliegen, die aber zwischen den drei Mächten und der Bundesregierung später gemeinsam vereinbart werden sollen. Ausdrücklich wird hervorgehoben, daß Aufwendungen für das NATOInfrastrukturprogramm in diesem Betrag enthalten sind und das Entschädigungszahlungen für Besatzungsschäden in diesen Betrag einbezogen werden können (Art. 4 Abs. 1 Buchstabe b). Sollten die Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag gleichzeitig mit dem Proto- (Dr. Furler) koll über die Beendigung des Besatzungsregimes in Kraft treten, so kommt die soeben geschilderte Regelung überhaupt nicht zur Anwendung, vielmehr gilt dann sofort die Regelung unter Ziff. 4 dieses Berichtes. 3. Vorgesehene Zwischenlösungen Die in den beiden vorhergehenden Absätzen genannten Bestimmungen sollen auf jeden Fall nur bis zum 30. Juni 1955 gelten. Für den Fall, daß die Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag — das sind die Abkommen über den Beitritt der Bundesrepublik zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag — Drucksache 1061 — nach diesem Zeitpunkt in Kraft treten, ist vereinbart, daß Verhandlungen zwischen den vertragschließenden Staaten über den Beitrag der Bundesrepublik zum Unterhalt der Streitkräfte für die Zeit nach dem 30. Juni 1955 und vor dem Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag stattfinden werden (Art. 4 Abs. 1 Buchstabe c). Nach den Erklärungen des Vertreters der Bundesregierung war die Festsetzung des Termins des 30 Juni 1955 ein besonderes Anliegen der Bundesrepublik. 4. Stationierungskosten nach Beginn des aktiven deutschen Verteidigungsbeitrages Die Bundesrepublik verpflichtet sich, während der ersten 12 Monate nach dem Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag einen Gesamtbeitrag von 3200 Mio DM als Mittel für den Unterhalt der Streitkräfte zur Verfügung zu stellen. Diese Mittel sollen nicht in gleichmäßigen Monatsbeträgen überwiesen werden, sondern in folgender — gegenüber dem alten Finanzvertrag verstärkter — Degression: für die ersten beiden Monate je 400 Mio DM mtl. = 800 Mio DM für die folgenden 4 Monate je 300 Mio DM mtl. = 1200 Mio DM für die letzten 6 Monate je 200 Mio DM mtl. = 1200 Mio DM. Die Bundesregierung glaubt, daß in dieser Degression die Tendenz zu auslaufenden Zahlungen in einer Übergangszeit zu erkennen ist. Falls die Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag nach dem 30. Juni 1955 in Kraft treten, werden die vorgenannten Bestimmungen nicht angewendet, sondern es werden vereinbarungsgemäß neue Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und den drei Mächten über den Beitrag der Bundesrepublik zum Unterhalt der Streitkräfte stattfinden, jedoch nur für den Zeitraum von höchstens 12 Monaten nach Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag (Art. 4 Abs. 2). 5. Revisionsklausel zu den Stationierungskosten Die Bundesregierung hat das Recht, eine Oberprüfung der bisher dargelegten finanziellen Abmachungen vorzuschlagen, falls sie der Auffassung ist, daß die durch den Aufbau der deutschen Streitkräfte entstehende finanzielle Belastung „eine solche Überprüfung rechtfertigt". Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich in diesem Fall, alle einschlägigen Fragen zu prüfen und „erforderlichenfalls" übereinzukommen, die Mittel für den Unterhalt der Streitkräfte herabzusetzen (Art. 4 Abs. 3). 6. Regelung nach Ablauf des ersten deutschen Verteidigungsjahres Für die Zeit nach Ablauf des ersten deutschen Verteidigungsjahres ist eine Verpflichtung der Bundesrepublik zur Zahlung der Stationierungskosten weder dem Grunde noch der Höhe nach festgelegt. Die Bundesregierung hat jedoch in Art. 4 Abs. 4 ihre Bereitschaft erklärt, bei Ablauf des ersten Verteidigungsjahres mit den anderen Mitgliedern des Nordatlantikvertrages in Verhandlungen über Fragen bezüglich des Unterhalts dieser Streitkräfte einzutreten (vgl. die grundsätzliche Bemerkung unter Ziff. 1 Buchstabe b dieses Berichtes). Die Bundesregierung glaubt aus dem Klammerhinweis („z. B. Sach- und Werkleistungen") schließen zu können, daß sich diese Regelungen vorwiegend mit der Gewährung von Naturalleistungen an die in der Bundesrepublik stationierten Streitkräfte zu befassen haben. 7. Übertragbarkeit und Verteilung der Mittel Mittel, die vertraglich für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung gestellt werden, können auch in anderen Zeiträumen verwendet werden, und sie können auch „im Benehmen mit der Bundesrepublik" unter den beteiligten Mächten neu verteilt werden (Art. 4 Abs. 5). Hier ist einzuschalten, daß gemäß Schreiben der Außenminister vom 23. Oktober 1954 betr. die Bestätigung der Schreiben des Bundeskanzlers der Brief Nr. 5 — Nr. 3500 der Drucksachen der 1. Wahlperiode Anlage 3 C Nr. 5 a und 5 b S. 10 bis 15 — betr. Art. 4 Abs. 3 und 5 des Finanzvertrages nicht mehr anwendbar ist. 8. Behandlung der Besatzungskostenüberhänge a) Die Mittel, die den Besatzungsmächten als Besatzungskosten- und Auftragsausgaben zur Verfügung zu stellen sind und die von ihnen bis zum Inkrafttreten des Finanzvertrages noch nicht verbraucht worden sind, sollen den drei Mächten auch nach Inkrafttreten des Vertrages noch für eine Übergangszeit zur Verfügung stehen. Diese Mittel dürfen ausschließlich zur Abwicklung von Verbindlichkeiten verwendet werden, die noch vor Inkrafttreten des Finanzvertrages eingegangen worden sind (Art. 4 Abs. 6 Buchstabe a). b) Ein etwaiger Oberhang an Stationierungskosten aus der sog. Interimsperiode (oben Nr. 2) steht den drei Mächten noch 18 Monate nach Ablauf der .Interimsperiode zur Verfügung. Dagegen stehen etwaige Überhänge aus den Stationierungskosten des ersten deutschen Verteidigungsjahres (oben Nr. 4) den drei Mächten nur noch 12 Monate nach Ablauf dieses Zeitraums zur Verfügung (Art. 4 Abs. 6 Buchstabe b). c) Der bisher nicht verausgabte Teil der Besatzungskosten (derzeit rd. 3500 Mio DM) soll „so schnell wie möglich wesentlich vermindert werden". Zu diesem Zwecke verpflichten sich die Behörden der drei Mächte und der Bundesrepublik zusammenzuarbeiten und einander durch Austausch ein- (Dr. Furler) schlägiger Auskünfte und in jeder anderen geeigneten Weise zu unterstützen (Art. 4 Abs. 7). 9. Verwendung, Verausgabung und Verbuchung der Ausgaben Die Art. 5 und 6 sind im wesentlichen unverändert geblieben. Nur die sich auf die EVG beziehenden Sätze sind gestrichen worden, und es wind vereinbart, daß die Bundesregierung alle Maßnahmen zu treffen hat, um Mittel für den Unterhalt der Streitkräfte nach Bedarf zur Verfügung zu stellen (Art. 6 Abs. 1). Der Ausschuß nahm zur Kenntnis, daß von dem Vertreter der Bundesregierung interpretiert wurde, daß die Bestimmung materiell bedeutet, „nach Maßgabe des echten Kassenbedarfs". 10. Schiedsgericht Die Bestimmung über die Zuständigkeit des Schiedsgerichts (Art. 19) ist im wesentlichen bestehen geblieben. In Anpassung an die Streichung des Art. 3 und die Neufassung des Art. 4 des Finanzvertrages ist lediglich die Bestimmung unter Buchstabe a ,geändert worden. Sie besagt, daß Angelegenheiten, die nach den Abs. 1 bis 4 des Finanzvertrages (Stationierungskosten) in künftigen Verhandlungen zu regeln sind, nicht der Schiedsgerichtsbarkeit unterliegen. Im übrigen ist das Schiedsgericht nach der unverändert gebliebenen Bestimmung unter Buchstabe b nicht zuständig zur Entscheidung von gewissen Fragen im Zusammenhang mit Stationierungsschäden (Art. 8) und für Angelegenheiten des Koordinierungsausschusses (Art. 14). 11. Entschädigungs- und Vergütungsfragen Neu hinzugefügt wird dem Finanzvertrag ein neuer Anhang B, der Ausführungsbestimmungen des Art. 8 (Entschädigungs- und Vergütungsfragen) in bezug auf die Streitkräfte der USA enthält und dem der auf Streitkräfte Englands, Belgiens, Dänemarks und Norwegens bezügliche Anhang A im Finanzvertrag alter Fassung entspricht. III. 1. Der Ausschuß für Besatzungsfolgen, der den Finanzvertrag ebenfalls beriet, gab zu Art. 12 dieses Vertrages eine besondere Erklärung ab. In Abs. 3 dieses Art. 12 ist festgelegt, daß die Vergütungen für die Bereitstellung von Liegenschaften, Gütern, Materialien oder sonstigen Leistungen von den zuständigen deutschen Behörden im Benehmen mit den Behörden der beteiligten Macht auf Grund eines zu erlassenden Bundesgesetzes festgelegt werden, und zwar nach Grundsätzen, die im Finanzvertrag (Art. 12 Abs. 3) niedergelegt sind. Bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes bleibt es bei der bisher geltenden Grundlage für die Bemessung dieser Vergütungen. Hierzu erklärt der Ausschuß für Besatzungsfolgen: Der Ausschuß ist der Ansicht, im Hinblick auf Art. 12 Abs. 3 des Finanzvertrages müsse unbedingt dafür gesorgt werden, daß das Bundesleistungsgesetz spätestens zugleich mit dem Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft trete. Sollte das nicht erreicht werden können, I hält der Ausschuß es für erforderlich, daß das Bundesleistungsgesetz dann rückwirkend vom Tage des Inkrafttretens ides Protokolls über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland Anwendung finden müsse. 2. Der Haushaltsausschuß stellte über die finanziellen Auswirkungen des Finanzvertrages auf den Bundeshaushalt Erwägungen an. Aus dem Mehrheitsbericht dieses Ausschusses — erstattet durch den Abg. Dr. Vogel — wird hierher das folgende übernommen: Das Bundesfinanzministerium sieht in diesen Vereinbarungen von London und Paris das denkbar Mögliche unter den obwaltenden Umständen. Auf beiden Konferenzen herrschte die Überzeugung, die gesunde Wirtschaftslage der NATO-Staaten dürfe keinesfalls durch militärische Verpflichtungen gestört werden. Es liege in der Hand von Regierung und Parlament, Störungen zu vermeiden. Für das erste Jahr nach dem Inkrafttreten sei die haushaltsmäßige Auswirkung durch die Einsetzung von 9 Milliarden DM — aufgeteilt in 5,8 für die deutsche Seite und rund 3,2 Milliarden DM für die alliierte Seite — geklärt. Bei der Verwendung der 5,8 Milliarden DM müsse noch entschieden werden, was man jetzt kaufen müsse oder was zur Vorbereitung der Eigenproduktion vorzufinanzieren sei. Hinsichtlich der Kasernierung hoffe man mit Neubauten für ein Drittel des erforderlichen Bedarfs auszukommen. Für die Ausrüstung mit schweren und mittelschweren Waffen lägen USA-Zusagen in London in feierlicher Form vor. Es sei angedeutet worden, diese Ausstattung erfolge unentgeltlich in Erwartung auch entsprechender Anstrengungen der Bundesrepublik. Sie dürfe von seiten der USA in der Belieferung gleiche Behandlung wie die anderen NATO-Staaten erwarten. Infolge des noch nicht ausgearbeiteten Programms für die Ausstattung der Verbände und die Eigenproduktion an Gerät kann das Bundesfinanzministerium die volle Höhe der Kosten der Wiederaufrüstung noch nicht beziffern. Gesamtkosten können deshalb nicht genannt werden, weil das Materialprogramm Millionen von Einzelposten umfaßt. Es ist auch noch nicht über die Ausstattung der einzelnen Divisionen entschieden und über die Frage, welches Gerät bei uns produziert oder vom Ausland bezogen wird. Das Programm geht von einer Aufstellung der Streitkräfte in 3 Jahren aus. Es muß zwischen Erstausstattung und laufenden Kosten unterschieden werden. Bei der Erstausstattung werden die USA die Hauptkosten tragen. Man habe sich in London nicht zu festen finanziellen Leistungen verpflichtet. Die andere Seite erwarte von uns aus einem wachsenden deutschen Sozialprodukt entsprechend wachsende Leistungen. Die Bundesrepublik bleibt jedoch Herr 'der Entscheidung, die andere Seite kann uns nichts vorschreiben. Die NATO-Staaten sind berechtigt, alles was an Kosten unter den Begriff „Verteidigung" fällt, in die Bruttoausgaben mit einzubeziehen. Diese Möglichkeiten müssen von uns im Hinblick auf die Kosten für die Berlin-Hilfe, Grenzschutz, außergewöhnliche soziale Leistungen, Aufnahme der Sowjetzonenflüchtlinge, Seßhaftmachung der Heimatvertriebenen bei den kommenden Verhandlungen noch ausge- (Dr. Furler) schöpft wenden. Wer eine überstürzte Aufrüstung will, muß doppelte Kosten riskieren. In London wie in Paris ist dies keineswegs übersehen worden. Die andere Seite vermutet, wir könnten die vorgesehenen 5,8 Milliarden DM gar nicht ausgeben. Die Höhe der eigenen Investitionen hängt auch von der Entscheidung ab, wie und mit welchen Mitteln Beihilfen im Inland bereitgestellt werden und zu welchen Preisen das Ausland liefern kann. Was die laufenden Kosten anbetrifft, ist die Bundesregierung der Überzeugung, sie könnten von einem wachsenden deutschen Sozialprodukt getragen werden. Führt das Dreijahresprogramm zu einer Überforderung unserer finanziellen und wirtschaftlichen Leistungskraft, dann wird man mehr Zeit brauchen. Eine Gesamtkostenziffer kann nicht etwa deswegen nicht genannt werden, weil man einen zu hohen Betrag fürchtet, sondern weil infolge der vorgetragenen Einzelheiten noch keine sichere Kalkulationsbasis vorliegt. Man hat bis jetzt von keiner Seite, auch nicht von seiten der Dienststelle Blank, verbindlich Ziffern wie 60 Milliarden DM in 3 Jahren nennen hören. Für das Haushaltsjahr 1955 hat die Bundesregierung über den Betrag von 9 Milliarden DM hinaus keine neuen Mittel angefordert. Da sie nach ihren Angaben keine bindenden Verpflichtungen für kommende Haushaltsjahre eingegangen ist, die idas Bewilligungsrecht des Parlamentes einschränken würden, liegen Verteidigungsausgaben der folgenden Haushalte im Ermessen des Parlaments. Die Minderheit des Haushaltsausschusses vertrat abweichende Auffassungen, die in ihrem durch den Abg. Ritz e1 erstatteten Minderheitsbericht niedergelegt sind, dessen allgemeine Darlegungen lauten: Nach Auffassung der Minderheit war es die Pflicht ides Haushaltsausschusses, konkrete Feststellungen zu treffen über 1. die unmittelbare Belastung des Haushalts auf Grund der Verträge, 2. die mittelbaren materiellen Auswirkungen der Verträge im Sinne von zusätzlichen Ausgaben des Bundes und durch Einnahmeverminderungen, 3. die haushaltsmäßige Konsequenz der Verträge. Voraussetzung hierfür wäre eine ausreichende pflichtgemäße politische und technische Prüfung der Auswirkungen der Verträge auf den Haushalt gewesen. Diese Prüfung hätte die Tatsache berücksichtigen müssen, daß es sich nicht nur um Auswirkungen für ein Rechnungsjahr, sondern um eine über eine unbekannte Anzahl von Jahren verlaufende Erscheinungsform der Bundesfinanzen handelt. Voraussetzung wäre weiter eine sorgfältige Haushaltsgebarung auf Grund einer exakten Planung und eines umfassenden Charakters der Veranschlagung gewesen. Damit allein hätte eine Vollständigkeit der Haushaltsgebarung erreicht werden können. Sie wurde angesichts der ungenügenden Unterlagen nicht erreicht. Das Haushaltsrecht des Bundestages ist damit nicht gewahrt. Die Minderheit befürchtet, daß das Gleichgewicht des Bundeshaushalts durch von der Bundesregierung nicht genannte tatsächliche Belastungen erschüttert wird. Sie befürchtet weiter, daß diese Belastung auf die Dauer in einem krassen Mißverhältnis zum Nationaleinkommen steht. Die Minderheit schätzt die Kasten für den Aufbau von 12 deutschen Divisionen auf mindestens 60 000 Mio DM, die innerhalb von 3 Jahren ausgegeben werden müßten. Sie glaubt daneben an die Entstehung von Folgekosten in unbekannter Höhe, wobei sie die Ausgabe für den zivilen Luftschutz auf mindestens 12 000 Mio DM schätzt. Der Minderheitsbericht faßt seine abweichende Auffassung dahin zusammen: Unter diesen Umständen sieht sich die Minderheit zu der Feststellung gezwungen, daß in jeder der genannten Beziehungen die haushaltsmäßigen Konsequenzen der Verträge nicht gezogen werden konnten, daß keine Beurteilung über die tatsächlichen materiellen Auswirkungen der Verträge durch zusätzliche Ausgaben und durch Einnahmeminderung möglich war. Daher lehnt die Minderheit die Verträge auch vom Standpunkt einer ordnungsgemäßen Haushaltswirtschaft ab. G. Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen (Überleitungsvertrag) a) Vorbemerkung Die Verträge wollen in den Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und der Bundesrepublik einen Zustand schaffen, der die Zeiten des Krieges und der Besatzung abschließt. Sie haben daher auf vielen Gebieten jetzt schon eine ähnliche Bedeutung, wie sie einem Friedensvertrag zukommen wird. Aus Krieg und Besatzung entstanden sehr viele und schwierige Probleme, deren Bereinigung durch den Überleitungsvertrag erfolgen soll. Die Verhandlungen über dieses weite Gebiet waren in den Jahren 1951/52 die langwierigsten und kompliziertesten gewesen. Die Interessengegensätze standen sich hier in besonderer Stärke gegenüber. Der Überleitungsvertrag versuchte, einen Ausgleich zu schaffen, der naturgemäß für die Bundesrepublik mit besonderen Opfern verbunden war, die wegen des verlorenen Krieges, der jahrelangen Besatzung und der politischen Situation unvermeidlich waren. Wie die Regierung dem Auswärtigen Ausschuß mitteilte, ist von deutscher Seite versucht worden, die Regelungen des Überleitungsvertrages nach verschiedenen Richtungen zu ändern. Dies gelang jedoch nur in einem relativ engen Rahmen. Die drei Mächte bestanden in grundsätzlichen Fragen auf den bisherigen Bestimmungen, so daß große Teile des Überleitungsvertrages unverändert übernommen werden mußten. Die voraussichtlichen finanziellen Belastungen, die sich für den Bundeshaushalt aus dem Inkrafttreten des Überleitungsvertrages ergeben, beziffern sich nach der unmittelbar als Anlage*) beigefügten Übersicht des Bundesministers der Finanzen vom 17. Januar 1955 auf jährliche Ausgaben in Höhe von 182,9 Mio DM und auf einmalige Ausgaben in Höhe von 6 129 Mio DM. Da der Überleitungsvertrag aber Leistungen enthält — so der Dritte Teil (Innere Rückerstattung) und der Vierte Teil (Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung) —, die auch unabhängig von diesen Vereinbarungen gesetzgeberisch hätten festgesetzt werden müssen, sind die hieraus sich ergebenden Belastungen des Bundeshaushalts bei der Gesamtbeurteilung der aus dem Überleitungsvertrag sich sj Anlage A Seite 3612. (Dr. Furler) ergebenden Lasten auszuklammern. Grundsätzliche Veränderungen der finanziellen Lasten haben sich seit dem Vertrag von 1952 nicht ergeben. Der Haushaltsausschuß folgte in seiner Mehrheit den Schätzungen des Bundesfinanzministeriums. Die Minderheit äußerte Bedenken und meinte, die Gefahr sei nicht ausgeräumt, daß noch unbekannte Ansprüche gegen Deutschland auf Grund des Überleitungsvertrages erhoben werden. Nachfolgend werden die durchgeführten Änderungen besprochen werden. Soweit die Normen des Vertrages unverändert blieben, darf auf die hierzu erfolgten Ausführungen im Bericht Drucksache Nr. 3900 der 1. Wahlperiode verwiesen werden. b) Die einzelnen Teile des Überleitungsvertrages I. Allgemeine Bestimmungen Die Art. 1 bis 8 des Ersten Teiles des Überleitungsvertrages sind nicht verändert. Sie regeln das Schicksal der Maßnahmen, die die Besatzungsmächte im Gebiete der Bundesrepublik getroffen haben. Dabei wird von dem Grundsatz ausgegangen, daß die erlassenen Rechtsvorschriften, die für das Besatzungsgebiet abgeschlossenen Verträge, die aus Maßnahmen der Besatzungsbehörden entstandenen Rechte und Verpflichtungen und die ergangenen Urteile bestehen bleiben. Die Organe der Bundesrepublik und der Länder werden aber im Rahmen ihrer allgemeinen Zuständigkeiten für befugt erklärt, die von den Besatzungsbehörden erlassenen Rechtsvorschriften aufzuheben oder zu ändern, sofern nicht in den Verträgen ausdrückliche Ausnahmen normiert sind. Die vom Kontrollrat ausgegangenen Rechtsvorschriften können aus Gründen, die in der allgemeinen politischen Situation liegen, nicht aufgehoben werden. Die Bundesrepublik ist aber befugt, die alliierten Rechtsvorschriften nach Konsultation mit den drei westlichen Mächten innerhalb ihres Gebietes außer Wirksamkeit zu setzen. Wegen des unveränderten Inhalts der Art. 1 bis 8 darf auf die früheren Materialien Bezug genommen werden. Der Auswärtige Ausschuß hat sich hier auf die Besprechung einzelner Sonderfragen beschränkt. 1. Der Ausschuß nahm mit Bedauern zur Kenntnis, daß alle Bemühungen, den Art. 3 zu verändern, ergebnislos geblieben sind. 2. Da die Verträge des Jahres 1952 nicht in Kraft traten, konnte auch der in Art. 6 vorgesehene gemischte Ausschuß nicht gebildet werden, der sich mit den Strafen und dem Strafvollzug von Personen empfehlend befassen sollte, die von den Gerichten einer alliierten Macht wegen Kriegsverbrechens verurteilt wurden und im Gebiete der Bundesrepublik in Haft gehalten werden. Die drei Mächte hatten aber in der Zwischenzeit für ihre Zonen gemischte Ausschüsse gebildet, die diese Verurteilungen überprüften und deren Empfehlungen für die Entschließungen der drei Mächte von maßgebender Bedeutung waren. Daß hier trotz der nicht zustande gekommenen Verträge Fortschritte erzielt wurden, ergeben die nachfolgenden Zahlen über die durchgeführten Entlassungen aus Landsberg, Werl und Wittlich. Es saßen am 1. April 1952 am 1. Januar 1955 in Landsberg 353 93 Häftlinge in Werl 144 33 Häftlinge in Wittlich 152 38 Häftlinge 649 164 Häftlinge. 3. Art. 7 des Überleitungsvertrages befaßt sich' mit Strafurteilen gegen Personen, die sich im Gebiete der Bundesrepublik während der Besatzungszeit gegenüber den Alliierten strafbar gemacht haben. Er regelt auch die Strafvollstreckung innerhalb Deutschlands und das Gnadenrecht. Nach Mitteilungen des Bundesjustizministeriums befinden sich im Augenblick 536 Personen, die im Rahmen des Anwendungsbereichs des Art. 7 verurteilt wurden, in deutschen Haftanstalten. 99 Inhaftierte verbüßen eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Im übrigen beträgt die durchschnittliche Dauer der Freiheitsstrafen drei Jahre und 10 Monate. Die Zahl der Inhaftierten betrug im November 1952 1425 Personen. Es handelt sich hier um Deutsche und um Ausländer, die im Gebiete der Bundesrepublik gegenüber den Besatzungsmächten strafbar wurden. Die Zahl der deutschen Staatsangehörigen und der Volksdeutschen belief sich im November 1952 auf 660 Personen, die Zahl der Ausländer auf 765. Das Bundesjustizministerium nimmt an, daß im Augenblick unter den noch inhaftierten 536 Personen sich nicht mehr als 200 deutsche Staatsangehörige und Volksdeutsche befinden. 4. Die drei westlichen Mächte haben seit 1949 Verträge für das Gebiet der Bundesrepublik nicht mehr abgeschlossen. 1952 waren Listen über die noch in Kraft befindlichen und über die abgelaufenen Verträge der Besatzungsmächte aufgestellt worden. Diese Listen wurden in London und Paris nicht erneuert. Die vier vertragschließenden Staaten waren aber darüber einig, daß abgelaufene Verträge dieser Art auch dann als beendet gelten, wenn sie formell noch in der 1952 aufgestellten Liste der in Kraft befindlichen Verträge stehen. Diese Rechtslage wird auch dadurch bestätigt, daß in der Einleitung zu den Listen des Jahres 1952, die im BGBl. 1954 II S. 254 ff. veröffentlicht bind, steht, die Nennung eines Vertrages in einer der beiden Listen sei „nicht als vollgültiger Beweis seines gegenwärtigen Status aufzufassen". Ein ablaufender Vertrag tritt mithin auch dann außer Kraft, wenn er weiterhin in der Liste der noch bestehenden Verträge aufgeführt ist. 5. Zur Frage der für die deutsche Funkhoheit bestehenden Bindungen gab die Regierung folgende Erklärungen ab: Das Rundfunkabkommen von Kopenhagen aus dem Jahre 1948 ist weder von Deutschland noch von den Besatzungsmächten für Deutschland unterschrieben worden. Die Bundesrepublik ist deshalb an den Wellenplan von Kopenhagen nicht gebunden. Sie ist auf diesem Gebiet aber aus dem Brief des Bundeskanzlers an die drei Hohen Kommissare vom 26. Mai 1952 betr. Funkdienste, der in Kraft bleibt und in BGBl. 1954 II S. 108 veröffentlicht ist, durch den Art. 18 Abs. 5 des Truppenvertrages und durch den internationalen Fernmeldevertrag von Buenos Aires des Jahres 1952 verpflichtet. Im Rahmen dieser Einschränkungen ist die Bundesrepublik bereit, jede Initiative zu ergreifen, die es ermöglicht, die Bedürfnisse des Rundfunks zu befriedigen. Die Regierung wies darauf hin, daß über die hier offenen Fragen gegenwärtig Beratungen gepflogen und Verhandlungen geführt werden. 6. Der Ausschuß für Besatzungsfolgen legt auf die Feststellung Wert, daß die aufrechterhaltenen alliierten Verwaltungsmaßnahmen und Urteile nicht daran hindern, bei Besatzungsschäden eine zusätzliche Zahlung durch den Bund zu leisten. (Dr. Furler) II. Dekartellisierung und Entflechtung 1. Der mit der Dekartellisierung und Entflechtung überschriebene Zweite Teil des Überleitungsvertrages wurde in vollem Umfange gestrichen. Das neue Vertragswerk befaßt sich aber an zwei Stellen mit der hier ursprünglich behandelten Materie. a) In den Ersten Teil des Überleitungsvertrages, also in die Allgemeinen Bestimmungen, wurden die Artikel 9 bis 12 neu eingefügt. Diese Artikel regeln spezielle Fragen, die aus dem Gebiete der Dekartellierung und Entflechtung noch offen waren. b) Ein Schriftwechsel vom 23. Oktober 1954 zwischen dem Bundeskanzler und den drei Hohen Kommissaren — Drucksache 1000, Begründung Anlage B III a und III b S. 64/65 — befaßt sich mit der Kartellpolitik, die die Bundesregierung durchführen will. In einem allgemeinen Zusammenhang hiermit steht der Schriftwechsel vom 23. Oktober 1954 betreffend Gewährleistung der Weiterführung von Gewerben und freien Berufen — Drucksache 1000 Begründung Anlage B IV a und IV b S. 65/66 —. 2. Der Ausschuß für Wirtschaftspolitik hat die mit der Dekartellierung, Entflechtung und Gewerbefreiheit zusammenhängenden Fragen einer eingehenden Prüfung unterzogen und hierüber durch den Abg. Dr. Pohle berichtet. Aus diesem Bericht werden die folgenden Ausführungen hierher übernommen: Dekartellisierung Da Art. 1 des Ersten Teils des Überleitungsvertrages in Kraft geblieben ist, sind die Organe der Bundesregierung, insbesondere also der Deutsche Bundestag, befugt, von den Besatzungsbehörden erlassene Rechtsvorschriften aufzuheben oder zu ändern, sofern die Verträge nichts anderes bestimmen. Eine solche Vertragsbestimmung ist nach dem Wegfall des Art. 1 des früheren Zweiten Teils im neuen Vertragswerk nicht enthalten. Zwar hat sich die Bundesregierung durch den Brief des Bundeskanzlers verpflichtet, sich gegen eine Aufhebung der genannten alliierten Gesetze zu wenden, ohne daß ein Kartellgesetz verabschiedet ist. Doch beziehen sich die von der Bundesregierung als Drucksachen 1000 und 1061 vorgelegten Ratifikationsgesetze nicht auch auf den Brief des Bundeskanzlers. Dieser Brief ist also nicht Gegenstand der Zustimmungsgesetze; das Parlament nimmt durch seine Zustimmung zu den Gesetzen zu diesem Brief keine Stellung. Mithin besteht eine Bindung der gesetzgebenden Körperschaften insoweit nicht mehr. Würde der Bundestag den Versuch unternehmen, die alliierten Bestimmungen ohne gleichzeitige Verabschiedung eines Kartellgesetzes aufzuheben, so ist zwar die Bundesregierung verpflichtet, gegen eine bedingungslose Aufhebung der alliierten Kontrollgesetze Stellung zu nehmen. Nach übereinstimmender Auffassung des Wirtschaftspolitischen Ausschusses ist jedoch die Beschlußfreiheit der gesetzgebenden Körperschaften damit nicht berührt. Im übrigen ist der Brief des Bundeskanzlers weniger starr gefaßt als die frühere Vorschrift des Art. 1, Zweiter Teil des Überleitungsvertrages. Während nach bisherigem Recht ein Bundesgesetz in den „entscheidenden Bestimmungen dem bisher von der Bundesregierung verabschiedeten Gesetzentwurf zu entsprechen" hatte, verpflichtet sich in dem zitierten Brief die Bundesregierung nunmehr nur, dahin zu wirken, daß die Freiheit des Wettbewerbs umfassend und wirksam geschützt wird; das zu erlassende deutsche Gesetz soll nur „allgemeine Bestimmungen gegen Wettbewerbsbeschränkungen enthalten". Entflechtungen a) Ufa-Ufi-Gesetz Der frühere Art. 2 des Zweiten Teils des Überleitungsvertrages ist gleichfalls ersatzlos gestrichen. Nach ihm sollte das Ufa-Gesetz, das bei der Unterzeichnung der Bonner Verträge noch nicht in Kraft war, bestehen bleiben, bis die in diesem Gesetz vorgesehene Überführung des Vermögens in private Hand sowie die Liquidation der Ufa-Film-Gesellschaft durchgeführt waren. Nunmehr kann von den gesetzgebenden Körperschaften jederzeit eine Änderung des Gesetzes beschlossen werden. Die sogenannte Versteinerung des Gesetzes ist gefallen. b) Großbanken Auch der frühere Art. 3 des Zweiten Teils ist durch das neue Vertragswerk gestrichen. Er sah die Verpflichtung vor, das Bundesgesetz über den Niederlassungsbereich von Kreditinstituten vom 29. März 1952 (BGBl. I S. 217) bis zur Übergabe der Aktien der Nachfolgebanken an die Bank deutscher Länder zur Verteilung an die Aktionäre nicht zu ändern. Zwar liegt eine frühere Erklärung der Bundesregierung gegenüber den Alliierten vor, daß sie von sich aus eine Änderung des Großbankengesetzes für die Dauer von drei Jahren nicht vorschlagen wird. Der Lauf dieser Frist sollte beginnen, sobald die Vermögensgegenstände der Großbanken an die Nachfolgebanken übertragen und die Aktien übergeben waren. Da die Aktienübergabe im Jahre 1953 stattgefunden hat, würde die Verpflichtung der Bundesregierung, von sich aus kein Änderungsgesetz einzubringen, im Frühjahr 1956 ablaufen. Die gesetzgebenden Körperschaften sind jedoch hinsichtlich der Großbanken auch bis zu diesem Zeitpunkt von allen Bindungen frei geworden. Der Briefwechsel ist nicht Bestandteil der Zustimmungsgesetze. c) Entflechtung des Kohlenbergbaus und der Stahl- und Eisenindustrie An Stelle der früheren Bestimmungen des Zweiten Teils des Überleitungsvertrages sind die Art. 9, 10 und 12 des Ersten Teils der Liste IV des Protokolls über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland getreten. Damit ist insbesondere der frühere Art. 4 des Zweiten Teils des Überleitungsvertrages weggefallen, wonach die alliierten Bestimmungen insbesondere des alliierten Gesetzes Nr. 27 bis zur Durchführung der Entflechtung in Kraft bleiben sollten. Weggefallen ist namentlich auch die durch jenen Artikel eingeführte neu zu gründende alliierte „Stelle", der gewisse Kontroll-, Genehmigungs-, Befreiungs und Verteilungsrechte zustehen sollten. Die Befugnisse der „Stelle" sollten sich freilich fortschreitend mit der Erfüllung ihrer Aufgaben erübrigen. Inzwischen ist bekanntlich die Entflechtung weit fortgeschritten. Die organisatorischen Maßnahmen sind im wesentlichen beendet, die (Dr. Furler) meisten Unternehmen aus der Kontrolle entlassen. Die früheren Vorschriften des Art. 4 waren also durch die zeitliche Entwicklung überholt. In Art. 9 Abs. 1 ist somit nur noch vorgesehen, daß die alliierten Vorschriften in dem Umfang in Kraft bleiben, in dem sie am Tage des Inkrafttretens der Pariser Verträge gelten, ,soweit und solange vor diesem Zeitpunkt angeordnete Entflechtungsmaßnahmen noch durchzuführen sind oder Berechtigte noch geschützt werden müssen'. Diese Vorschrift bezieht sich in ihrem zweiten Teil auf den Gläubigerschutz, den das alliierte Gesetz Nr. 27 einem Prüfungsausschuß übertrug, welcher die Ansprüche der einzelnen Gläubiger und Berechtigten zu prüfen hat. Der Prüfungsausschuß kann nur innerhalb von sechs Monaten nach den jeweiligen Entflechtungsmaßnahmen angerufen werden. Auf ihn ist auch im Londoner Schuldenabkommen Bezug genommen, nach dessen Art. 33 der Prüfungsausschuß auch die Bestimmungen des Londoner Abkommens anzuwenden hat. Solange die Berechtigten den Ausschuß noch anrufen können, mußte daher die Vorschrift aufrecht erhalten werden. Die Beibehaltung der Rechtsvorschriften des Gesetzes Nr. 27 bezieht sich nicht nur auf den Schutz der Berechtigten, sondern auch auf die bereits „angeordneten Entflechtungsmaßnahmen". Solche Maßnahmen enthalten z. B. einige technische Fragen, wie den Umlauf einiger Interimsscheine, solange die Aktien der Neuunternehmungen noch nicht verteilt worden sind. Im wesentlichen handelt es sich aber dabei um die bestehenden Verkaufsauflagen. Bei der Entflechtung wurden nach den Bestimmungen der Alliierten die neuen Aktien an den Nachfolgegesellschäften nach dem pro-rata-Prinzip auf die Aktionäre der Altgesellschaften verteilt. Es war außerdem vorgesehen, daß sogenannte Hauptgesellschafter, nämlich solche, deren Aktienbesitz 15 v. H. am Nennkapital der alten Gesellschaften überstieg, grundsätzlich nur bei einer Nachfolgegesellschaft in unbeschränktem Umfang beteiligt bleiben durften. Bei den übrigen Nachfolgegesellschaften hatte der Hauptgesellschafter seinen Anteil innerhalb einer Frist von fünf Jahren zu veräußern. Hauptgesellschafter war auch, wer mit mehr als 5 v. H. am Nennkapital einer Altgesellschaft beteiligt war, wenn er infolge der besonderen Umstände auf Grund einer solchen Beteiligung einen beherrschenden Einfluß ausübte. Schon bei den Verhandlungen von 1951 bis 1952 hatte die deutsche Bundesregierung gegen diese Verkaufsauflagen erhebliche Einwände erhoben. Bei den Londoner und Pariser Verhandlungen 1954 wurde, wie die Vertreter der Bundesregierung dem Ausschuß berichteten, erneut versucht, die Verkaufsauflagen zu beseitigen. Der Ausschuß brachte die gleichen Bedenken gegen die Verkaufsauflagen zum Ausdruck. Er pflichtet daher der Bundesregierung in vollem Umfang in ihrem Bemühen bei, die Vertragspartner des Pariser Vertragswerks auf die schwerwiegenden Folgen der Beibehaltung der Verkaufsauflagen hinzuweisen. Nach Mitteilung der Bundesregierung war es in den Verhandlungen nicht möglich, die Verkaufsauflagen zu beseitigen. Zwar ist nach dem Abschluß der Bonner Verträge der Gemeinsame Markt der Montan-Union für Kohle und Stahl errichtet worden. Alle Zusammenschlüsse von Unternehmen auf dem Gebiet von Eisen und Kohle, d. h. auch alle etwaigen Wiederverflechtungen, unterliegen der vorherigen Genehmigung der Hohen Behörde. Durch die Entscheidungen Nr. 24, 25 und 26/54 vom 6. Mai 1954 hat die Hohe Behörde die allgemeinen Vorschriften des Art. 66 inzwischen spezialisiert und das Genehmigungsverfahren im einzelnen geregelt. Im Ausschuß ist daher die Frage aufgeworfen worden, ob nicht auch die endgültige Durchführung angeordneter Entflechtungsmaßnahmen, beispielsweise die Erfüllung der Verkaufsauflagen, auf die Hohe Behörde hätte übergehen sollen. Statt dessen ist in Art. 10 im wesentlichen die frühere Vorschrift des Art. 5 aufrechterhalten, wonach ein sogenannter Gemischter Ausschuß von sieben Sachverständigen gebildet wird, der aus drei Deutschen und drei Alliierten besteht, die sich auf ein siebentes Mitglied zu einigen haben. Sollte dieses Mitglied nicht innerhalb einer 6-Monats-Frist gewählt sein oder die Wahl nicht annehmen, wird der Verwaltungsrat der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich als siebentes Mitglied einen Sachverständigen bestellen, der nicht Angehöriger eines Unterzeichnerstaates ist. Der Gemischte Ausschuß kann von jenen Hauptgesellschaftern, die der Verkaufsauflage unterliegen, angerufen werden. Seine Aufgabe ist es, Anträge auf Fristverlängerung zu prüfen. Er kann eine Verlängerung der Verkaufsfristen jeweils um ein Jahr gewähren, und zwar unbeschränkt oft. Durch Art. 10 Abs. 4 ist festgelegt, daß der Gemischte Ausschuß „die für die Veräußerung festgesetzte Frist verlängert, wenn der Antragsteller dartut, daß die Wertpapiere trotz zumutbarer Bemühungen zu wirtschaftlich tragbaren Bedingungen und auf einer mit den deutschen Allgemeininteressen zu vereinbarenden Grundlage nicht veräußert werden konnten und eine solche Veräußerung auch innerhalb der restlichen Frist nicht möglich ist, ohne daß eine nachhaltige Störung des deutschen Kapitalmarktes verursacht wird". In der Begründung zu Art. 10 heißt es, daß die erste Voraussetzung dem Schutz der Betroffenen dient, während die zweite klarstellt, daß keine Verpflichtung zur Veräußerung ins Ausland besteht. Mit anderen Worten: Der zweite Halbsatz soll die Gefahr der Überfremdung bannen, der erste das Problem der Paketbewertung als solches anerkennen, d. h. einen Verkauf zu unangemessen niedrigen Kursen verhindern. Nach Mitteilung der Bundesregierung wurde bei den Verhandlungen versucht, dem Gemischten Ausschuß die Befugnis zu geben, nach zweimaliger Verlängerung die Verkaufsauflage überhaupt aufzuheben. Mit diesem Wunsch drang die Bundesregierung bei den Verhandlungen nicht durch. Der Bundeskanzler gab jedoch in der Sitzung der vier Außenminister vom 20. Oktober 1954 die Erklärung ab, die in der Begründung der Bundesregierung zum Deutschlandvertrag — Drucksache 1000 S. 42 — wörtlich wiedergegeben ist. Laut Verhandlungsprotokoll nahmen die drei angesprochenen Außenminister diese Erklärung (statement) des Bundeskanzlers ohne Widerspruch zur Kenntnis. Demgemäß wird die Bundesregierung entsprechend dieser Erklärung zu gegebener Zeit erneut mit den drei Mächten in Verbindung treten, wenn trotz der Regelung des Art. 10 Schwierigkeiten bei der weiteren Behandlung der Verkaufsauflagen auftreten sollten. Nach Art. 9 Abs. 2 wird die Bundesregierung (Dr. Furler) dafür sorgen, daß die von den Alliierten angeordneten Verkaufsauflagen vollständig durchgeführt werden. In der Begründung zu dieser Vorschrift heißt es, daß die Bundesregierung zur Erfüllung der von ihr übernommenen Sorgepflicht „im Rahmen der ihr verfassungsrechtlich gegebenen Möglichkeiten" gehalten ist. Die Vertreter der Bundesregierung haben in den Verhandlungen vor dem Ausschuß darauf hingewiesen, daß bei den Vertragsverhandlungen die deutschen Vertreter stets widerspruchslos betont hätten, die Bundesregierung sehe von sich aus keine Möglichkeit, durch Verwaltungsakt oder eine sonstige Maßnahme die Erfüllung der Verkaufsauflagen zu erzwingen, z. B. durch Anweisung an die sogenannten Verfügungstreuhänder (disposition Trustees), die Verkäufe entgegen dem Willen der Eigentümer durchzuführen. Sie sei allenfalls in der Lage, dem Parlament ein Gesetz vorzulegen, das derartige Maßnahmen vorsehe; ob es angenommen werde, stehe allein in der Entscheidung der gesetzgebenden Körperschaften. Im Ausschuß ist hierbei die Frage sorgsam erwogen worden, ob nicht — entgegen dieser Auffassung — auch das deutsche Parlament im Falle der Zustimmungserteilung zum vorliegenden Vertragswerk an diese Verpflichtung gebunden, d. h. nach völkerrechtlichen Grundsätzen verpflichtet sei, einem eine Verkaufsauflage erzwingenden Gesetz zuzustimmen. Die Mehrheit des Ausschusses folgte jedoch insoweit der Rechtsansicht der Bundesregierung, die in Art. 9 Abs. 2 lediglich eine Verpflichtung für sich als Exekutive übernommen hat, nicht dagegen eine korrespondierende Verpflichtung für die übrigen staatstragenden Gewalten. d) IG-Farbenindustrie Die früheren Bestimmungen des alten Vertrages (zu Drucksache 1000 S. 118 ff.) über die Entflechtung und Liquidation der IG-Farbenindustrie waren ebenso aufgezogen wie bei Kohle und Stahl. Nach dem neuen Art. 11 bleiben die von der Alliierten Hohen Kommission erlassenen Rechtsvorschriften über den Abschluß der Entflechtung und Liquidation in dem Umfang in Kraft, in dem sie im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Vertrages gelten, und zwar so lange, bis die Liquidation vollständig durchgeführt ist. Damit gelangt zum Ausdruck, daß anstelle der alliierten Gesetze Nr. 9 und 35 das sogenannte IG-Liquidationsschlußgesetz tritt. Dessen Vorschriften sehen eine beschleunigte Beendigung der Liquidation unter Beachtung des deutschen Liquidationsrechts, eine Befriedigung oder Sicherstellung der Schulden und eine Verteilung des Restvermögens durch die Liquidatoren, die Wiederherstellung der Rechte der Gesellschaftsorgane einschließlich der Hauptversammlung und eine Aufhebung der Kontrollen vor. Bei der Wiederherstellung der Rechte der Gesellschaftsorgane bleiben lediglich die sogenannten Inkompatibilitätsbestimmungen über die Interlocking Directorates insoweit aufrechterhalten, als kein Mitglied des Aufsichtsrates oder Vorstandes der Chemischen Werke Hüls oder einer der vier großen Tochtergesellschaften Mitglied des Aufsichtsrates oder Liquidator der IG-Farbengesellschaft sein darf. Das IG-Liquidationsschlußgesetz wurde im Januar verkündet und trat am 6. Februar 1955 in Kraft. Dieses Gesetz, das die Nr. 84 trägt, setzt die Gesetze Nr. 9 und 35 mit dem Zeitpunkt außer Kraft, in dem die Ernennung oder Bestätigung der Liquidatoren und des Aufsichtsrats im Bundesanzeiger bekanntgemacht wird. Außer dem Schlußgesetz sind vier Durchführungsverordnungen bekanntgemacht, die die Verfügung über das Restvermögen, die Verteilung der Aktien der Nachfolgegesellschaften an die Aktionäre der IG-Farbenindustrie, die Befriedigung der Gläubiger der IG-Farben und eine gewisse Übergangsregelung für sämtliche der Beschlagnahme unterlegenen Vermögensgegenstände betreffen. Gewerbefreiheit Der Art. 10 des gestrichenen Zweiten Teils des Überleitungsvertrages sah den Schutz jener Gewerbetreibenden vor, die auf Grund von Gesetzen und Verordnungen, Direktiven oder sonstigen Erlassen der Besatzungsbehörden unter erleichterten Voraussetzungen für die Übernahme eines Gewerbes oder freien Berufes zugelassen worden waren. Der Artikel schützte diese Gewerbetreibenden in ihrem Besitzstand und ist im neuen Vertragswerk fortgefallen. An seine Stelle tritt der Brief des Bundeskanzlers (Drucksache 1000 S. 65), der nicht vom Zustimmungsgesetz erfaßt wird: „Die Bundesregierung bekennt sich zu dem Grundsatz, daß die Rechtsstellung derjenigen Personen zu schützen ist, die seit dem 8. Mai 1945 unter erleichterten Voraussetzungen, welche durch Gesetze, Verordnungen, Direktiven oder sonstige Erlasse oder Anweisungen der Besatzungsbehörden geschaffen worden sind, ein Gewerbe oder eine freie Berufstätigkeit aufgenommen und bis heute fortgesetzt haben. Die Bundesregierung wird sich gegen alle Bestrebungen wenden, die dahin gehen könnten, die erworbene Rechtsstellung dieser Personen zu beeinträchtigen. Sie ist im übrigen der Auffassung, daß die Ausübung der gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit der genannten Personen schon nach Artikel 2 des Ersten Teils des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen geschützt ist." Die Hohen Kommissare bestätigten dem Bundeskanzler dieses Schreiben am gleichen Tage (23. Oktober 1954). Hiermit hat sich die Bundesregierung verpflichtet, sich gegen alle Bestrebungen zu wenden, die die Rechtsstellung dieser Personen beeinträchtigen könnten. Dies entspricht einer Bestimmung der Handwerksordnung, die die in der amerikanischen Zone erleichtert zugelassenen Personen ausdrücklich schützt. Im Ausschuß wurden gewisse Bedenken erhoben, ob diese Zusage nicht die Aufrechterhaltung von verschiedenem Recht innerhalb der Bundesrepublik bedeute. Es besteht jedoch Klarheit darüber, daß diese Frage nur im Zuge eines allgemeinen innerdeutschen Gesetzgebungswerks geregelt und entschieden werden könne. 3. Der Wirtschaftspolitische Ausschuß hat bei der Beratung der neuen Art. 9 bis 12 des Ersten Teils des Überleitungsvertrages anerkannt, daß hinsichtlich der sich aus den Entflechtungsmaßnahmen ergebenden Verkaufsauflagen die Möglichkeit neuer Verhandlungen vorbehalten worden ist. (Dr. Furler) III. Innere Rückerstattung Das im Dritten Teil des Überleitungsvertrages geregelte Rechtsgebiet der inneren Rückerstattung ist im wesentlichen unverändert geblieben. Eine Anpassung einzelner Bestimmungen an Rechtsvorschriften, die nach der Unterzeichnung des Überleitungsvertrages, also nach dem 25. Mai 1952, im Gebiete der Bundesrepublik in Kraft getreten sind, hat nur formelle Bedeutung. Die einzelnen Veränderungen sind in dem hier in Betracht kommenden Teil der Regierungsbegründung — Drucksache 1000 S. 43/44 — aufgeführt. Entsprechendes gilt für den Anhang zu diesem Dritten Teil des Überleitungsvertrages, der die Satzung des zu errichtenden Obersten Rückerstattungsgerichtes enthält. Eine sachliche Änderung ergibt sich aus der Streichung der Unterabsätze a, b und c des Abs. 5 des Art. 3. Der bisherige Inhalt dieser gestrichenen Vorschriften ist in abgewandelter Form in einen Schriftwechsel vom 23. Oktober 1954 betreffend Auskünfte über innere Rückerstattung — Drucksache 1000 S. 66/67 — aufgenomen worden. Die neuen Vereinbarungen bringen insofern eine Veränderung, als das bisher vorgesehene Zugangsrecht der drei Mächte oder ihrer Bevollmächtigten zu allen in Frage kommenden Verwaltungs- und richterlichen Behörden und Organisationen dahin umgewandelt wurde, daß je ein Beamter der drei Regierungen zum Zwecke der Berichterstattung über den Fortschritt des Rückerstattungsprogramms alle angemessenen Erleichterungen und alle notwendigen Auskünfte erhält. Diese Auskünfte können auch durch die Bundesregierung gegeben werden. Die besondere Verpflichtung zur Aufbewahrung von Gerichtsakten usw. ist beseitigt. Es gelten hier nunmehr ausschließlich die in Betracht kommenden deutschen Vorschriften. IV. Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung Auch auf dem Gebiet der Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung sind die bisherigen Vorschriften unverändert geblieben. Die Verpflichtung zur Auskunft und zur Aufbewahrung von Gerichtsakten usw. ergibt sich nicht mehr aus dem — nunmehr gestrichenen — Abs. 4 des Vierten Teiles des Überleitungsvertrages, sondern aus einem Briefwechsel vom 23. Oktober 1954, der der Begründung zu Drucksache 1000 Anlage B VI S. 67/68, beigefügt ist. V. Äußere Restitutionen Der Fünfte Teil des Überleitungsvertrages, der sich mit Äußeren Restitutionen befaßt, ist nicht verändert. Es mußten nur Fristen angepaßt und jeweils um ein Jahr (vom 8. Mai 1955 und 1956 auf den 8. Mai 1956 und 1957) verlängert werden. VI. Reparationen Die Verhandlungen in London und in Paris ergaben keine Möglichkeit, die Bestimmungen des berleitungsvertrages über die Reparationen zu verändern. Geblieben sind auch die in Art. 4 des Sechsten Teiles enthaltenen Vorschriften über deutsche Auslandswerte. Zu dem Abs. 4 des Art. 4 nahm der Auswärtige Ausschuß davon Kenntnis, daß die Regierungen der drei Mächte sich bereiterklärt haben, unverzüglich die Frage der Handhabung des hier normierten Widerspruchsrechtes zu erörtern. Der Auswärtige Ausschuß erwartet, daß es in diesen Verhandlungen gelingt, die ausschließliche Zuständigkeit der Bundesrepublik zu erreichen. VII. Verschleppte Personen und Flüchtlinge Verschiedene Bestimmungen des Siebenten Teiles des Überleitungsvertrages (Verschleppte Personen und Flüchtlinge) wurden gestrichen, da sie durch die Entwicklung überholt waren. Der Auswärtige Ausschuß befaßte sich auf diesem Gebiet mit folgenden speziellen Fragen: 1. In Art. 1 Buchstabe d verpflichtet sich die Bundesrepublik, die Fortführung der Arbeiten zu gewährleisten, die gegenwärtig vom Internationalen Suchdienst in Arolsen durchgeführt werden. Die Bundesrepublik hat diese Arbeiten des Internationalen Suchdienstes auch bisher unterstützt. Auf Grund von Verhandlungen, die im Herbst 1952 zwischen den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Italien, den Benelux-Staaten und der Bundesrepublik stattgefunden haben, war man übereingekommen, diesen Suchdienst in deutsche Verwaltung übergehen zu lassen, und zwar in der Form einer Bundesanstalt, die unter einer internationalen Kontrolle und nach Richtlinien arbeiten sollte, die von einem internationalen Ausschuß festzulegen waren. Später kamen neue Gedanken auf, die aber zu einem grundsätzlichen Einvernehmen darüber führten, daß in den hier zu schaffenden internationalen Ausschuß die Westeuropäische Union eingeschaltet werde und daß der Leiter der Verwaltung, der einstimmig durch den Ausschuß zu benennen ist, möglichst ein Schweizer oder ein Schwede sein solle. Die Verhandlungen über die Umgestaltung des Suchdienstes sind noch nicht abgeschlossen. 2. Das Problem der Rückführung von Flüchtlingen aus den östlichen Staaten wird von den zuständigen deutschen Stellen ständig bearbeitet. Es bleibt nach Art. 4 dabei, daß die drei Mächte bereit sind, hier nötigenfalls Verhandlungen mit Staaten zu führen, in denen die Bundesrepublik keine diplomatischen Vertretungen unterhält. Art. 4 enthält keine Verpflichtung, sondern nur ein Recht der Bundesregierung, die derartige Verhandlungen auch selbst oder durch dritte Staaten führen kann. VIII. Ansprüche gegen Deutschland Das Abkommen über deutsche Auslandsschulden vom 27. Februar 1953 — BGBl. 1954 II S. 331 — hat die Vorschriften des Achten Teiles (Ansprüche gegen Deutschland) des Überleitungsvertrages und die hierzu gehörige Anlage abgelöst. Der Achte Teil wurde daher in vollem Umfange gestrichen. IX. Gewisse Ansprüche gegen fremde Nationen und Staatsangehörige Von einer formalen Änderung in Art. 3 Abs. 3 abgesehen, ist der Neunte Teil des Überleitungsvertrages (Gewisse Ansprüche gegen fremde Nationen und Staatsangehörige) unverändert geblieben. Es handelt sich hier um eine Materie, deren endgültige Regelung erst in dem Friedensvertrag erfolgen soll. Der Auswärtige Ausschuß und der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen bedauern, daß eine Auflockerung dieser Be- (Dr. Furler) stimmungen zugunsten geschädigter deutscher Eigentümer nicht möglich war. Sie sind der Meinung, daß hier auch nach Inkrafttreten der Pariser Verträge weitere Bemühungen zu entfalten sind. Der Auswärtige Ausschuß hat die mit der Abwicklung der JEIA zusammenhängenden Fragen (Art. 4) einer Beratung unterzogen. Das Problem der Endabwicklung der JEIA bildet den Gegenstand besonderer Regierungsverhandlungen. Es besteht die Absicht, zu diesem Zwecke eine Gesellschaft deutschen Rechts zu gründen, die die noch vorhandenen Bestände der JEIA abzuwickeln hat. In dieser Gesellschaft sollen frühere leitende Angestellte der JEIA tätig sein. Die Frage der Ansprüche solcher in- und ausländischen Gläubiger, die durch die JEIA nicht befriedigt werden, ist noch ungelöst. Es handelt sich hier um ein Objekt von äußerst 150 Millionen DM, wobei zu berücksichtigen ist, daß für die Erledigung der Passiven der JEIA Vermögenswerte in Höhe von rund 300 Millionen DM vorhanden sind, die allerdings nicht sofort flüssig gemacht werden können. X. Ausländische Interessen in Deutschland Auch der Komplex des Art. 10 des Überleitungsvertrages ist im wesentlichen unverändert geblieben. Die ausländischen Interessen in Deutschland bleiben in dem Umfang geschützt, der 1952 vereinbart war. Eine Anpassung an die Bestimmungen des Londoner Schuldenabkommens vom 27. Februar 1953 ist durch den neu formulierten Art. 2 vorgesehen. Die übrigen Veränderungen dieses Teiles ergeben sich daraus, daß inzwischen das Gesetz über den Lastenausgleich vom 14. August 1952 — BGBl. I S. 446 — in Kraft getreten ist und einige andere Bestimmungen des deutschen und des allierten Rechts sich geändert haben. In Art. 12 wurde noch die Zuständigkeit der Schiedskommission erweitert. XI. Erleichterungen für die Botschaften und Konsulate der drei Mächte in der Bundesrepublik Der Elfte Teil des Überleitungsvertrages wurde gestrichen. Die in ihm vorgesehenen Erleichterungen für die Botschaften und Konsulate der drei Mächte in der Bundesrepublik sind aber in ihren wesentlichen Punkten aufrechterhalten worden, und zwar durch a) den neuen Art. 13 des Ersten Teiles des Überleitungsvertrages und b) den Briefwechsel vom 23. Oktober 1954 betreffend Erleichterungen für Botschaften und Konsulate — Drucksache 1000 S. 58/60 —. Die Sonderregelung soll einen reibungslosen Übergang von dem Besatzungsregime zu normalen diplomatischen Beziehungen erleichtern und zu diesem Zwecke die Unterbringung der Botschaften und Konsulate der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs ermöglichen. Gegenüber den Vereinbarungen des früheren Elften Teils des Überleitungsvertrages sind im deutschen Interesse liegende Veränderungen erzielt worden. So darf privates Eigentum nur noch auf die Dauer von 6 Monaten nach Inkrafttreten des Überleitungsvertrages in Anspruch genommen werden. Mietverträge auf freier, vertraglicher Basis sind selbstverständlich möglich. Die Entschädigungspflicht für eine Weiterbenutzung privaten Eigentums ist vorbehalten. XII. Zivile Luftfahrt Die Vorschriften des Zwölften Teiles des Überleitungsvertrages stellen die zivile Lufthoheit der Bundesrepublik her. Die bisher schon vorgesehene Regelung wird im wesentlichen aufrechterhalten. Die volle Verantwortung der Bundesrepublik für den Bereich der zivilen Luftfahrt im Bundesgebiet erfährt durch den Art. 2 vertragliche Einschränkungen, von denen als bedeutsam zu erwähnen sind: 1. Die Bundesrepublik verpflichtet sich, dem Abkommen von Chicago des Jahres 1944 über die internationale Zivilluftfahrt beizutreten. 2. Bis dahin wird die Bundesrepublik sich an die Bestimmungen dieses Abkommens halten und jeden Staat, mit dem sie diplomatische Beziehungen unterhält, auf der Grundlage der Gegenseitigkeit behandeln. In Art. 3 erklärt sich die Bundesrepublik bereit, in ihren zweiseitigen Luftverkehrsabkommen und -vereinbarungen eine liberale Politik ohne Diskriminierungen zu verfolgen. Der Auswärtige Ausschuß hat sich in diesem Bereich noch mit zwei Sonderfragen beschäftigt: 1. Die Grundsatzerklärung der Londoner Schlußakte über die de facto-Souveränität bezieht sich auch auf das Gebiet der zivilen Luftfahrt. Deutsche Fluglinien können daher heute schon errichtet und beflogen werden. Die Frage, ob trotzdem bis zum Inkrafttreten des Überleitungsvertrages formelle Genehmigungen durch die zuständigen Stellen der drei westlichen Mächte zu erteilen sind, ist Gegenstand von Besprechungen. Der deutsche Flugdienst wird aber durch diese Rechtsfrage nicht berührt. 2. Es wurde auf gewisse Benachteiligungen der deutschen Luftverkehrsgesellschaften durch die Bestimmungen des Art. 4 über die Kabotage abgehoben. Die Regierung wies darauf hin, daß die hier gegebenen, allerdings zeitlich begrenzten Vorrechte ausländischer Luftverkehrsgesellschaften in Abs. 2 eingeschränkt sind, da diese Privilegien zurückgezogen werden können, „falls und sobald ein deutsches Luftverkehrsunternehmen eine Linie einrichtet, die das öffentliche Verkehrsbedürfnis auf einer oder mehreren Strecken deckt, die auf Grund gegenwärtiger Kabotageprivilegien einer ausländischen Luftverkehrsgesellschaft bedient werden". H. Satzung der Schiedskommission für Güter, Rechte und Interessen in Deutschland Die Satzung der Schiedskommission für Güter, Rechte und Interessen in Deutschland, die dem Überleitungsvertrag als Anhang beigefügt ist, blieb in vollem Umfang unverändert. J. Das Abkommen über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder (Steuerabkommen) 1. Das Abkommen vom 26. Mai 1952 über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder und das Protokoll vom 26. Juli 1952, durch das die Zuständigkeit der Schiedsgerichte auf Streitigkeiten aus diesem Abkommen erstreckt (Dr. Furler) wird, sind Gegenstand eines besonderen Gesetzes vom 28. März 1954 (BGBl. II S. 333 ff.). Die materiellrechtlichen Grundsätze des Steuerabkommens sind die bisherigen geblieben. Dieses Abkommen erfuhr aber formelle Änderungen, die in der Liste V zum Protokoll vom 23. Oktober 1954 niedergelegt sind. Neben der allgemein durchgeführten Veränderung der Einleitungsformel wurde Art. 5 dem neuen Art. 9 Abs. 2 des Deutschlandvertrages angepaßt, also auch vorgesehen, daß die Anrufung des Schiedsgerichts nicht nur durch Schiedsverhandlungen, sondern auch durch eine Beilegung der Streitigkeit vermieden werden kann, die auf eine andere zwischen allen Unterzeichnerstaaten vereinbarte Weise erfolgt. Die gestrichenen Abs. 1 und 2 des Art. 6 waren durch die Ratifikationsbestimmungen des Art. 3 des Protokolls vom 23. Oktober 1954 überholt. Die Streichung des Abs. 3 des Art. 6 war durch den veränderten Abs. 3 des Art. 1 des Truppenvertrages notwendig geworden. 2. Aus Art. 8 Abs. 1 Buchstabe b des hier geänderten Deutschlandvertrages ergibt sich, daß auch das Steuerabkommen nur noch ein vorläufiges ist. Dieses Steuerabkommen soll in dem gleichen Rahmen und unter denselben Gesichtspunkten neu abgeschlossen werden, die für den Truppenvertrag gelten und dargelegt sind. Das endgültige Steuerabkommen ist also im Geiste der hier vorliegenden Vereinbarungen zwischen den NATO-Staaten unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse der ausländischen Streitkräfte in der Bundesrepublik zu gestalten. 3. Der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen hat es bedauert, daß die Devisen-, Zoll- und steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder noch nicht dem NATO-Verfahren angeglichen worden ist. Der Auswärtige Ausschuß stimmt mit dem Finanzausschuß hier in der Forderung überein, daß dies im Zusammenhang mit dem neu abzuschließenden Steuerabkommen geschehe. Der Finanz- und Steuerausschuß hat weiterhin darauf hingewiesen, daß die Frage nicht ausdrücklich geregelt wurde, ob sich die steuerlichen Bestimmungen des Abkommens auch auf die Gemeindesteuern beziehen, was nach Meinung der Bundesregierung der Fall ist. 4. Im Haushaltsausschuß hat bei der Bewertung dieses Abkommens die Minderheit auf die Gefahr der Einfuhr beträchtlicher unverzollter Werte nach Deutschland (Kaffee, Tabak usw., auch Mineralöle) hingewiesen. Die Mehrheit des Ausschusses hat demgegenüber darauf abgehoben, daß nach den im Rahmen der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft üblichen Abkommen die Bundesrepublik sich in der Sorge über unkontrollierte Einfuhren durch NATO-Streitkräfte in der gleichen Lage befinde wie andere Länder, insbesondere wie Frankreich und Holland. K. Das Zustimmungsgesetz Der Auswärtige Ausschuß beschloß, den Entwurf des Zustimmungsgesetzes in Drucksache 1000 in folgenden Punkten zu ändern: 1. Auf Vorschlag des Bundesrates wurden in den einleitenden Satz die Worte eingefügt: „mit Zustimmung des Bundesrates". Der Auswärtige Ausschuß will damit weder für dieses Gesetz noch grundsätzlich dazu Stellung nehmen, unter welchen Voraussetzungen ein Gesetz der Zustimmung des Bundesrates bedarf. 2. In den Text des Art. 1 wurde aufgenommen: „ . . . . und dem Briefwechsel vom 23. Oktober 1954 betreffend Erleichterungen für Botschaften und Konsulate Dieser Briefwechsel war bisher der Begründung zu Drucksache 1000 als Anlage B II beigefügt gewesen. Der Auswärtige Ausschuß folgt auch hier einer von der Bundesregierung gebilligten Anregung des Bundesrates. Der erwähnte Briefwechsel enthält eine Regelung über die Entschädigung für die Eingriffe in deutsches Eigentum, die im Zusammenhang mit der Benutzung von Gebäuden für Botschaften und Konsulate stehen. Er bringt auch eine Ausgestaltung des Art. 13 des Ersten Teils des Überleitungsvertrages. Die Aufnahme des Briefwechsels in das Zustimmungsgesetz erschien daher erforderlich. Hieraus ergab sich eine formelle Änderung des Art. 2. 3. Aus Art. 2 Abs. 1 des Entwurfs wurden die Worte „mit Gesetzeskraft" gestrichen. Der Ausschuß entschloß sich, in Art. 2 Abs. 1 die Formel „mit Gesetzeskraft" zu streichen. Damit soll keine Änderung in der Rechtswirkung der Zustimmungsgesetze eintreten, sondern lediglich die formelle Praxis der Weimarer Zeit wiederaufgenommen werden. Die Bundesregierung hat erklärt, daß sie diese Praxis auch bei allen künftigen Zustimmungsgesetzen nach Art. 59 Abs 2 GG üben wird. Diese Änderung wurde in allen Zustimmungsgesetzen vorgenommen, die mit den Pariser Verträgen zusammenhängen. Sie gilt also für die Entwürfe in den Drucksachen 1000, 1060, 1061 und 1062. L. Abschluß und Antrag Der Deutschlandvertrag und die Vereinbarungen, die sich um ihn gruppieren, stehen in einem großen Zusammenhang. Sie regeln Probleme, die aus dem Krieg und dem Zusammenbruch hervorgingen. Sie ziehen einen Schlußstrich unter die Vorgänge, die die Jahre der Besetzung für das Gebiet der Bundesrepublik gebracht haben. Zugleich beenden sie auch formell die Zeit, in der die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich der Bundesrepublik als Alliierte gegenüberstanden und als Besatzungsmächte die hoheitlichen Funktionen in unserem Land ausübten. Diese Verträge schließen aber nicht nur einen Zeitraum ab. Sie eröffnen zugleich einen neuen Weg, indem sie die Souveränität der Bundesrepublik anerkennen und ihr Freiheit und Gleichberechtigung gewähren. Sie schaffen damit auch eine Voraussetzung dafür, daß die Deutschen in einem freien und gleichberechtigten Staate vereinigt sein werden. In dieser Überzeugung empfiehlt der Auswärtige Ausschuß dem Hohen Hause, diesen Verträgen die Zustimmung zu geben. Bonn, den 15. Februar 1955 Dr. Furler Generalberichterstatter Anlage A (Vgl. S. 3604 D) Übersicht über die voraussichtliche finanzielle Auswirkung des Überleitungsvertrages Belastungen jährlich einmalig Erster Teil: Allgemeine Bestimmungen 100 000 DM — Zu Art. 6 und 7 Gemischter Ausschuß und Gemischter beratender Gnadenausschuß Deutscher Anteil an den Kosten Zu Art. 7 Abs. 4 Haftkasten 1 000 000 DM — Geschätzte Belastung der Länder . . . . . . . Zu Art. 10 und 12 Gemischter Ausschuß für Umgestaltung der deutschen Kohlen-, Eisen- und Stahlindustrie und Prüfungsausschuß . . . . . . . 100 000 DM — Zu Art. 13 Weiterbenutzungsrecht von diplomatischen Gebäuden für Übergangszeit, wenn überhaupt — 1 000 000 DM Zweiter Teil: Dekartellisierung und Entflechtung Fortgefallen — — Dritter Teil: Innere Rückerstattung 2 200 000 DM — Zu Art. 3 Kosten des Verfahrens Zu Art. 4 Verpflichtung des Bundes begrenzt auf . — 1 500 000 000 DM Zu Art. 5 Steuer- und Abgabefreiheit der Nachfolgeorganisation und Treuhänderkörperschaften, — — gemeinnützig, nicht zu schätzen . . . . . . . . Zu Art. 6 Errichtung des Obersten Rückerstattungsgerichts 500 000 DM 1 500 000 DM Vierter Teil: Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung — 4 200 000 000 DM Die Kosten des Bundesergänzungsgesetzes werden geschätzt auf Es ist eine Novelle in Bearbeitung, deren endgültiges Ergebnis noch nicht geschätzt werden kann. 50 000 000 DM — Verwaltungsaufwand der Länder . . . . . . . Fünfter Teil: Äußere Restitutionen — — Zu Art. 1 Verwaltungsdienststelle Die Verwaltungsdienststelle wird voraussichtlich beim Auswärtigen Amt errichtet. Der Arbeitsanfall wird voraussichtlich gering sein, der Aufwand läßt sich nicht schätzen. . . Zu Art. 4 Abs. 4 Erfüllung von Restitutionsansprüchen, die von den drei Mächten gebilligt worden sind (Jugoslawischer Kupferclaim) . . . . . — 27 000 000 DM Sechster Teil Reparationen In den internen Verhandlungen ist von alliierter Seite mehrfach zum Ausdruck gebracht worden, daß Erleichterungen in der Verhandlungsfreiheit über deutsches Auslandsvermögen bzw. Freigabe Belastungen jährlich einmalig in USA nach einer vorherigen Bereinigung der Vermögensprobleme in Portugal, Spanien und Schweden gewährt werden könnte. Dabei scheint man vorauszusetzen, daß gewisse Opfer aus dem Bundeshaushalt erbracht werden. Der Vollständigkeit halber wird diese Möglichkeit erwähnt. — — Zu Art. 5 100 000 000 DM — Nach Art. 5 wird die Bundesrepublik Vorsorge treffen, daß die früheren Eigentümer, deren Werte auf Grund alliierter Maßnahmen beschlagnahmt worden sind, entschädigt werden. Die Entschädigung ist dem zukünftigen deutschen Gesetzgeber vorbehalten. Im Kriegsfolgenschlußgesetz ist beabsichtigt, vorerst nur in Härtefällen Leistungen zu erbringen und zur Behebung größerer wirtschaftlicher Schäden Kredite zu gewähren. Ansatz Siebenter Teil: Verschleppte Personen und Flüchtlinge 1 500 000 DM -- Zu Art. 1 Finanzierung der Arbeiten des Internationalen Suchdienstes, Instandhaltung von Gräbern ziviler Kriegsopfer, Pilgerfahrten und Instandhaltung von Kriegergräbern . . . . . . . Neunter Teil: Gewisse Ansprüche gegen fremde Nationen und Staaten — 400 000 000 DM Zu Art. 3 Besatzungslasten Gesetzliche Regelung in Vorbereitung Kosten (1955 etwa 150) . . . . . . . . . . . Zu Art. 4 JEJA-Komplex — — Zehnter Teil: Ausländische Interessen in Deutschland 27 000 000 DM — Zu Art. 6 Befreiung von Steuern und Abgaben Ausfall an Vermögensabgabe infolge der Vergünstigungen für die Angehörigen der Vereinten Nationen (AVN) Geschätzter Jahresausfall Zwölfter Teil: Zivile Luftfahrt 500 000 DM — Übernahme der sich aus der Lufthoheit der Bundesrepublik ergebenden Lasten Anhang: Satzung der Schiedskommission für Güterrechte und Interessen in Deutschland Errichtung der Kommission Unkosten Summe: 182 900 000 DM 6 129 500 000 DM b) Besondere Berichte beteiligter Ausschüsse 1. Besonderer Bericht des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit (6. Ausschuß) Berichterstatter: Abgeordneter Erler Der Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit berichtet ausschließlich über die militärischen und Sicherheitsfragen dieses Vertrages. Er weist infolgedessen auf Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Beendigung des Besatzungsregimes hin, wonach die den drei Westmächten zustehenden Befugnisse auf den Gebieten der Abrüstung und der Entmilitarisierung ihnen weiterhin bis zum Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag zustehen. Der Briefwechsel auf S. 70 und 71 der Drucksache 1000 zählt die einzelnen in Frage kommenden Bestimmungen auf. Zu erwähnen sind vor allem das Gesetz Nr. 7 der Alliierten Hohen Kommission über Uniformen und Abzeichen und das Gesetz Nr. 16 über Ausschaltung des Militarismus. In den Briefen des Bundeskanzlers vom 23. Oktober 1954 an die drei Hohen Kommissare wird festgestellt, daß diese Angelegenheit gegen Ende des Jahres 1954 überprüft werden soll. Die vier Regierungen sind übereingekommen, daß die Ausübung der Kontrollen im Hinblick darauf überprüft wird, daß die Bundesrepublik in die Lage versetzt wird, ihren künftigen Verteidigungsbeitrag vorzubereiten. Die Verhandlungen hierüber haben begonnen, sind aber noch nicht abgeschlossen. Im Grundsatz sollen also die Demilitarisierungsbestimmungen der Westmächte in dem Umfange gelockert werden, wie dies zur Vorbereitung des deutschen Verteidigungsbeitrages notwendig ist. Das Militärische Sicherheitsamt in Koblenz wird mit dem Inkrafttreten des Protokolls über die Beendigung des Besatzungsregimes aufgelöst. Die Kontrolle auf den Gebieten der Abrüstung und Entmilitarisierung wird in der Folge durch einen gemeinsamen Viermächteausschuß ausgeübt, der mit Mehrheit entscheidet. Zu Liste I mit den Änderungen zu dem Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten ist an dieser Stelle auf Art. 4 hinzuweisen. Daraus ergibt sich, daß die Aufgabe dieser Streitkräfte die Verteidigung der Bundesrepublik und Berlins ist und ihre Stationierung in der Bundesrepublik künftig auf einer doppelten Rechtsgrundlage beruht. Im Verhältnis zwischen den drei Westmächten und der Bundesrepublik ist als Rechtsgrundlage der neue Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache 1060 — abgeschlossen worden. Im Hinblick auf die Vorbehaltsrechte der drei Mächte in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands steht aber den drei Mächten nach der angeführten Bestimmung des Art. 4 Abs. 2 auch weiterhin ein Stationierungsrecht zu. Dies gilt vor allem für das Verhältnis zwischen den drei Mächten und der Sowjetunion. Der Vertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland, als Truppenvertrag bekannt, ist in der Liste II nicht sehr erheblich geändert worden. I. Gegenstand dieses Berichtsteils ist der Vertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland — zu Drucksache 1000 S. 20 ff. — genannt Truppenvertrag, unter Einbeziehung der durch die Liste II des Protokolls über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland herbeigeführten Änderungen, jedoch mit Ausnahme des Zweiten Teils (Art. 6 bis 16), der Gerichtsbarkeit und Verfahren behandelt, sowie der Art. 32 bis 36 und 17, 18, 37 bis 45, die Finanz- und Wirtschaftsfragen betreffen. Die nachfolgenden Artikel- und Paragraphenangaben beziehen sich, soweit nicht ausdrücklich anders bemerkt, auf den Truppenvertrag. II. Eine politische Wertung des Truppenvertrages hinsichtlich seiner Stellung im gesamten Vertragswerk wurde von anderer Seite vorgenommen. Immerhin darf festgehalten werden, daß er durch die Änderung des Art. 8 des Deutschlandvertrages (Hauptvertrag) — siehe Liste I zum Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland — seine juristische Qualifikation insofern geändert hat, als ihm nunmehr der Charakter einer Übergangsregelung beigelegt ist. Der genannte Art. 8 sagt hierzu ausdrücklich, daß der Truppenvertrag bis zum Inkrafttreten neuer Vereinbarungen über die Rechte und Pflichten der Streitkräfte der drei Mächte und sonstiger Staaten, die Truppen auf dem Gebiet der Bundesrepublik unterhalten, in Kraft bleibt. Er sagt ferner: Die neuen Vereinbarungen werden auf der Grundlage des in London am 19. Juni 1951 zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über den Status ihrer Streitkräfte unterzeichneten Abkommens (NATO-Truppenvertrag) getroffen, ergänzt durch diejenigen Bestimmungen, die im Hinblick auf die besonderen Verhältnisse in bezug auf die in der Bundesrepublik stationierten Streitkräfte erforderlich sind. Leider sind zahlreiche Abweichungen in dem NATO-Truppenvertrag einerseits und dem jetzt nur übergangsweise geltenden Truppenvertrag des Deutschlandvertrages andererseits bestehen geblieben. Der Ausschuß erwartet, daß sie durch die zu treffenden neuen Vereinbarungen mit Rücksicht auf die prinzipiell gleiche Rechtsstellung aller Mitgliedstaaten der NATO beseitigt werden. Die Massierung von Truppen in der Bundesrepublik darf den Aufenthaltsstaat rechtlich nicht schlechter stellen, sondern müßte eher ein Grund sein, ihm besondere Einwirkungsmöglichkeiten zuzugestehen. Der Inhalt des Truppenvertrages kann im allgemeinen zwar nicht als hochpolitisch bezeichnet werden, wird sich aber in der Praxis als besonders bedeutsam erweisen für die Tätigkeit der Verwaltung und der Justiz sowie für das tägliche Leben des Staatsbürgers. Es dürfte deshalb von besonderer Bedeutung sein, daß Streitigkeiten aus dem Truppenvertrag der Schiedsgerichtsbarkeit unterliegen. (Erler) III. Im Ersten Teil des Truppenvertrages wird eine Reihe von Begriffen (diesbezüglich siehe Art. 1) und allgemeinen Bestimmungen festgelegt. Die Bestimmung der gegenseitigen Pflichten und Rechte soll auf den Grundsätzen der Gleichberechtigung der Vertragspartner und der Anerkennung der deutschen Staatshoheit beruhen. So übernehmen die Mitglieder der Streitkräfte, soweit nicht ausdrücklich anderes vereinbart wird, die Pflicht zur Beachtung des deutschen Rechts, ihre Behörden die Pflicht zur Durchsetzung dieses Rechts gegenüber den Mitgliedern der Streitkräfte (Art. 2 Abs. 1). Die letzteren enthalten sich jeder Betätigung, die mit dem Geist des Truppenvertrages unvereinbar ist, insonderheit jeder politischen Betätigung (Art. 2 Abs. 2). Die Streitkräfte nehmen grundsätzlich bei der Geltendmachung ihrer Rechte auf die deutschen Interessen, seien sie öffentlicher oder privater Art, Rücksicht, insonderheit auf die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, sowie den wesentlichen innerdeutschen und Ausfuhrbedarf der Bundesrepublik und Westberlins (Art. 3 Abs. 1). Die deutschen Behörden verpflichten sich, auf dem Gebiet der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung ihre verfassungsmäßigen Befugnisse im Interesse des Schutzes und der Sicherheit der Streitkräfte, ihrer Mitglieder und des Eigentums beider auszuüben und die Befriedigung des Bedarfs der Streitkräfte zu gewährleisten (Art. 3 Abs. 2). Hierbei ist nicht an eine, naturgemäß verfassungswidrige, unterschiedliche Auslegung von Rechtsnormen gedacht, sondern nur an die Ausfüllung des Ermessensspielraums. Jede Diskriminierung der Streitkräfte, ihrer Mitglieder und ihres Eigentums gegenüber den für im Inland ansässige Ausländer üblichen Bestimmungen, dem Völkerrecht und der internationalen Praxis ist ausgeschlossen (Art. 3 Abs. 4). Die Vertragspartner verpflichten sich zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung bei der Förderung und Wahrung der Sicherheit der Bundesrepublik und einer der beteiligten Mächte sowie der im Bundesgebiet stationierten Streitkräfte. Diese Zusammenarbeit erstreckt sich auch auf die Sammlung und den Austausch, sowie auf den Schutz der Sicherheit aller einschlägigen Nachrichten. Eine enge gegenseitige Verbindung zwischen den deutschen Behörden und denen der Streitkräfte ist gewährleistet (Art. 4 und 5). Zugleich mit dem Truppenvertrag treten gemäß Art. 3 Abs. 3 die Vorschriften des Anhangs A zum Vertrag in Kraft. Diese gewährleisten als Strafvorschriften den Schutz der drei Mächte, der Streitkräfte und ihrer Mitglieder durch Bestimmungen über den Verrat militärischer Angelegenheiten, Sabotage, Untergrabung der Dienstbereitschaft und Manneszucht der Streitkräfte, Beschimpfungen der Streitkräfte und entsprechende Anwendung von im einzelnen aufgeführten Vorschriften des deutschen Strafgesetzbuchs zugunsten der Streitkräfte. Die Bundesrepublik verpflichtet sich, den hierdurch gewährleisteten Rechtsschutz nicht zu vermindern. Wegen des Fehlens entsprechender Bestimmungen des deutschen Strafgesetzbuchs haben sich die drei Mächte im Truppenvertrag nicht mit der Anwendung der Bestimmungen des deutschen Strafgesetzbuchs begnügt. Es bleibt bedauerlich, daß sie sich auch nicht mit der Verpflichtung zu einer ergänzenden Gesetzgebung durch die verfassungsmäßigen Organe der Bundesrepublik begnügt haben, sondern auf einer unmittelbar bindenden Festlegung der Strafvorschriften bestehen. Deshalb muß angestrebt werden, die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs so schnell wie möglich insoweit zu ergänzen. Dem sachlichen Inhalt nach dürfte ein wesentlicher Unterschied zwischen dem nach beiden Methoden zu erreichenden Ergebnis nicht bestehen. Allerdings muß auch in diesem Zusammenhang auf die Bedenken hingewiesen werden, die gegen § 2 Abs. 4 des Anhangs A bestehen (Nichtanwendbarkeit des § 100 Abs. 3 des Strafgesetzbuchs auf militärische Geheimnisse). Über diese Frage wird indessen von anderer Seite berichtet. IV. Aus den oben angeführten Grundsätzen werden im Dritten Teil die Konsequenzen für die einzelnen Gebiete der Verwaltung und Versorgung der Truppen zu ziehen versucht. Dabei behandelt der Abschnitt I „Einzelne Verwaltungsgebiete" (Art. 17 bis 36) die hoheitliche, der Abschnitt II „Versorgung" (Art. 37 bis 48) die obligatorische Seite der Rechte und Pflichten der Vertragspartner. Hier interessiert nur ein Teil der dort aufgeführten Bestimmungen. Zur Durchführung von Manövern und sonstigen Übungen haben die deutschen Behörden nach rechtzeitiger vorheriger Verständigung auf Antrag der Streitkräfte die notwendigen Verwaltungsmaßnahmen zu treffen, an deren Durchführung die Streitkräfte mitwirken können. Die deutschen Verwaltungsmaßnahmen sind genügend weit zu halten, um den Streitkräften selbst zu gestatten, die zur Erfüllung des militärischen Zwecks erforderlichen Einzelmaßnahmen zu treffen (Art. 19). Damit ist das besatzungsrechtliche autonome Manöverrecht der Stationierungstruppen beseitigt und der Umfang des künftigen Manöverrechts klargestellt worden. An einer solchen Bestimmung bestand ein besonderes deutsches Interesse. Unmittelbar der Verteidigung dienende Anlalagen und Werke sowie Sicherheitsvorrichtungen errichtet und ändert die Bundesrepublik in dem für die Verteidigung erforderlichen Ausmaß. Nur sofern ein besonderes Geheimhaltungs- oder Sicherheitserfordernis vorliegt, können die Streitkräfte nach vorheriger Konsultation der Bundesregierung derartige Anlagen und Werke selbst errichten und ändern. Diesbezüglich und im Hinblick auf die Rechte der Streitkräfte in bezug auf diese Anlagen sowie die Abgrenzung deutscher und alliierter Rechtsvorschriften sind weitere Vereinbarungen getroffen (Art. 20 und 21). Die Streitkräfte und ihre Mitglieder besitzen besondere Privilegien: Anlagen, Archive, Dokumente und Postsendungen unterliegen mit gewissen Einschränkungen nicht dem Zutritt, der Durchsuchung und Beschlagnahme oder der Zensur durch deutsche Behörden (Art. 22). Bei Ein- und Ausreisen bzw. Aufenthalten in der Bundesrepublik werden Mitglieder der Streitkräfte von einigen allgemein bindenden Bestimmungen freigestellt (Art. 25). Mitglieder der Streitkräfte können nur von der beteiligten Macht aus dem Bundesgebiet entfernt werden (Art. 28 Abs. 1). Ein formales Recht der Bundesbehörden, die Ausweisung eines Mitgliedes der Streitkräfte zu verlangen, besteht also im Gegensatz zu den Rechten (Erler) der Aufenthaltsstaaten nach dem NATO-Abkommen nicht. Ein Bedürfnis hierzu hat auch nicht in dem gleichen Maße bestanden, da dann, wenn die drei Mächte in Deutschland Personen als Mitglied der Streitkräfte führen, die nach den Bestimmungen des Truppenvertrages nicht Mitglieder der Streitkräfte sein dürfen, die Möglichkeit besteht, das Schiedsgericht anzurufen, eine Möglichkeit, die bei NATO nicht besteht. Über ein Ersuchen um Auslieferung von Mitgliedern der Streitkräfte entscheidet die beteiligte Macht, also diejenige Macht, deren Rechte und Verpflichtungen im konkreten Fall betroffen sind. Erhalten die deutschen Behörden ein Auslieferungsersuchen von einer anderen Regierung als einer der drei Mächte, so teilen sie, falls eine solche Auslieferung nach deutschem Recht nicht unzulässig ist, dieses den Behörden der drei Mächte schriftlich mit. Die Behörden der drei Mächte können binnen 21 Tagen bei den deutschen Behörden Einwendungen gegen die Auslieferung erheben. Beabsichtigen die deutschen Behörden dennoch die Auslieferung zu bewilligen, so entscheidet ein Schiedsrichter (Art. 27). Hiernach kann kein deutscher Zivilist ausgeliefert werden. Schwierigkeiten wegen deutscher Staatsangehöriger können sich unter Umständen nur ergeben, wenn ein solcher Mitglied der Streitkräfte einer der drei Mächte ist. Man wird allerdings nicht leugnen können, daß ein solcher deutscher Staatsangehöriger durch die Eingliederung in einen fremden militärischen Verband in gewissem Umfang aus den Bindungen zu seinem Heimatstaat gelöst wird. Praktisch kann es sich hierbei nur um solche Personen handeln, die im Ausland Mitglieder der amerikanischen Streitkräfte geworden sind, also um einige wenige Grenzfälle von Emigranten. Die Polizei der Streitkräfte hat das Recht zum Streifendienst gegenüber den Mitgliedern der Streitkräfte (Art. 23), die durch die zuständige Behörde der beteiligten Mächte mit Personalausweisen zu versehen sind (Art. 24). Für das Verhältnis zwischen der deutschen Polizei und der Militärpolizei gilt der in Art. 4 festgelegte Grundsatz der gegenseitigen Zusammenarbeit und Unterstützung bei der Förderung und Wahrung der Sicherheit der Bundesrepublik und der beteiligten Mächte sowie der Sicherheit der Streitkräfte, ihrer Mitglieder und des Eigentums der Streitkräfte und ihrer Mitglieder. Deutsche und alliierte Sicherheitsinteressen sind demnach bei der Zusammenarbeit von allen Seiten gleichermaßen zu wahren. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die Streitkräfte nur solche Polizeibefugnisse haben, die im Truppenvertrag ausdrücklich umschrieben sind. Die Polizeibefugnisse der Streitkräfte gegenüber Personen, die der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen, bestehen außerhalb von Anlagen nur in Ausnahmefällen nach Art. 7 des Truppenvertrages; entsprechendes gilt für die Befugnisse der deutschen Polizei gegenüber Mitgliedern der Sreitkräfte. Im Rahmen des Grundgesetzes und der internationalen Abmachungen über den Reiseverkehr arbeiten die deutschen Behörden mit denen der drei Mächte zusammen, um die unerwünschte Einreise oder Ausreise von solchen Personen zu verhindern, die seitens einer oder mehrerer der drei Mächte als der Sicherheit der Streitkräfte abträglich erachtet wird (Art. 26). Sind die Behörden der drei Mächte der Auffassung, daß der Aufenthalt einer solchen Person im Bundesgebiet ihre Sicherheit gefährdet, so können sie den deutschen Behörden die nach dem Grundgesetz zulässigen Maßnahmen hinsichtlich des Aufenthalts der betreffenden Personen empfehlen (Art. 28 Abs. 2). Die verfassungsmäßigen Grundrechte bleiben also gewahrt. Die Behörden der Streitkräfte regeln die Voraussetzungen, unter denen bei den Streitkräften beschäftigte Personen Waffen besitzen oder gebrauchen dürfen. Diese bedürften hierzu eines Waffenscheins, der nur für Personen aufgestellt werden darf, gegen die keine begründeten Bedenken bestehen. Die Bestimmungen über den Waffengebrauch werden sich im Rahmen des deutschen Notwehrrechts halten (Art. 29). Die Behörden der Bundesrepublik und der Streitkräfte arbeiten in Fragen des Gesundheitswesens und der sanitären Maßnahmen in vollem Umfange zusammen, insbesondere im Hinblick auf die Kontrolle ansteckender Krankheiten. Auf Antrag der Behörden der Streitkräfte treffen die deutschen Behörden in der Umgebung von Anlagen der Streitkräfte diejenigen gesundheitlichen und sanitären Maßnahmen, die zum Schutze der Gesundheit der Streitkräfte erforderlich sind. In diesen Bestimmungen darf man wohl insbesondere eine Grundlage für Maßnahmen zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten erblicken (Art. 30 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1). Auch innerhalb ihrer Anlagen haben die Streitkräfte die deutschen Vorschriften auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheit zu befolgen, soweit ihre eigenen nicht gleichwertige oder höhere Anforderungen stellen. Unter Umständen können die Streitkräfte ihre eigenen Vorschriften unter der Voraussetzung anwenden, daß sie hierdurch nicht die öffentliche Gesundheit, Sicherheit und Ordnung außerhalb der Anlagen gefährden. Sie teilen dies den deutschen Behörden rechtzeitig mit (Art. 21 Abs. 1). Sind die deutschen Behörden nicht in der Lage, hinsichtlich der Müllabfuhr, der Ungezieferbekämpfung oder der Wasserreinigung in Gebieten außerhalb der Städte angemessene Maßnahmen zur Erfüllung der militärischen Erfordernisse zu treffen, so können die Streitkräfte selbst diese Maßnahmen ergreifen. In Städten dagegen, in denen Streitkräfte stationiert sind, treffen die städtischen Behörden und die Streitkräfte Vereinbarungen über die Normen für die Wasserreinigung (Art. 30 Abs. 2 Satz 2 und 3). Damit sind die Streitkräfte nicht mehr in der Lage, einseitige Bestimmungen über die Chlorung des Trinkwassers zu treffen. Die Streitkräfte sind berechtigt zur Anlegung eigener Friedhöfe sowie zum Erlaß angemessener hygienischer Vorschriften über Bestattung, Exhumierung und Überführung verstorbener Mitglieder der Streitkräfte (Art. -31). Die Regelung des Jagd- und Fischereirechts (Art. 46) sucht den Interessen aller Beteiligten gerecht zu werden. V. Durch die Liste II zum Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland hat der Wortlaut des Truppenvertrages keine wesentlichen Änderungen erfahren. Das erklärt sich aus der in London und Paris angewandten Verhandlungsmethode und der bereits erwähnten Tatsache, daß er ohnehin nur mehr als Übergangsregelung gelten soll. (Erler) Die Bezugnahmen auf die EVG waren zu streichen und die sich aus diesen Streichungen ergebenden redaktionellen Änderungen vorzunehmen. Sie beziehen sich im wesentlichen auf solche Bestimmungen, die gemeinsame Ausschüsse mit Vertretern der EVG und gemeinsame Versorgungsverfahren vorsahen (Versorgungsausschuß, Frequenzausschuß, Durchführung der Liegenschaftsprogramme — Art. 39, Anhang B Abs. 3, Art. 38 — usw.). Außerdem sind dort Änderungen vorgenommen worden, wo in der bisherigen Fassung berücksichtigt war, daß Frankreich bei Wirksamwerden der EVG nicht mehr den Bestimmungen des Truppenvertrages unterliegen würde (Änderung Art. 44 Abs. 10, Streichung des Art. 50 und des Anhangs C). Desgleichen war die Kollisionsnorm des Art. 49 über das Verhältnis zur EVG zu streichen. Der Änderung der juristischen Situation der Bundesrepublik mit Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag wurde durch Änderung der Definition „anderer Entsendestaat" (Art. 1 Abs. 3) Rechnung getragen. Es wurde textlich klargestellt, daß nach Inkrafttreten dieser Abmachungen eine Stationierung von Streitkräften einer Macht, die bis dato keine Truppen in der Bundesrepublik stationiert hat, nur mehr auf Grund einer Vereinbarung mit der Bundesrepublik möglich ist. Schließlich darf auf die Neufassung des Art. 44 Abs. 2 Satz 1 hingewiesen werden. Dieser Satz lautet im ursprünglichen Text: „Deutsche, die im 2. Besonderer Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuß) Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wahl (Mehrheitsauffassung) Wie die Drucksache zu 1000 ausweist, sind große Teile des Deutschlandvertrages und seiner Zusatzverträge unverändert geblieben. Aber inzwischen haben die verfassungsrechtlichen Bedenken, die im Jahre 1952 den Rechtsausschuß beschäftigten, durch die Ergänzung des Grundgesetzes vom 26. März 1954 viel von ihrem Gewicht verloren. In der Tat ist durch die Novelle zum Grundgesetz klargestellt worden, daß der damalige Deutschlandvertrag und seine Zusatzverträge mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Neue verfassungsrechtliche Probleme könnten daher nur dann auftreten, wenn in den Veränderungen, die inzwischen vereinbart worden sind, andere Verstöße gegen das Grundgesetz enthalten wären, als damals erörtert und nunmehr durch die erwähnte Klarstellung gedeckt worden sind. Schon damals hat die Mehrheit des Rechtsausschusses auf dem Standpunkt gestanden, daß sowohl die grundsätzlichen Zweifel an der Vereinbarkeit des Deutschlandvertrages mit dem Grundgesetz wie die zahlreichen Einzelbedenken gegen gewisse Bestimmungen der Berechtigung entbehrten. Es wird insoweit auf die Mehrheitsauffassung verwiesen, die 'der Unterzeichnete schon damals die Ehre hatte, idem Hohen Hause vorzutragen, ohne Dienst der Streitkräfte arbeiten, unterliegen allen Verpflichtungen, die sich aus der Zugehörigkeit der Bundesrepublik zur EVG ergeben". Es ist bedeutsam, daß die Bestimmung nicht, wie andere Bezugnahmen auf die EVG, ersatzlos gestrichen wurde. Vielmehr ist an ihre Stelle folgender Wortlaut getreten: „Deutsche, die im Dienst der Streitkräfte arbeiten, unterliegen allen Verpflichtungen, die sich aus den Abmachungen über einen deutschen Verteidigungsbeitrag ergeben". Damit ist klargestellt, daß ein deutscher Wehrdienst den Dienstleistungen für andere Streitkräfte vorgeht. Die Bestimmung des Art. 51, nach der der Truppenvertrag unbeschadet des Art. 10 des Deutschlandvertrages auf Antrag eines Partners nach zwei Jahren überprüft werden kann, ist aufrechterhalten worden. Das mag wegen des transitorischen Charakters des Truppenvertrages überflüssig erscheinen, gewährt aber der Bundesrepublik eine zusätzliche Sicherung. Die Kumulierung derartiger Sicherungen ist wegen der eingangs erwähnten großen Bedeutung jedes Truppenvertrages für die Praxis des täglichen Lebens zu begrüßen, zumal nicht sicher ist, wie zeitraubend sich die Verhandlungen über die Anpassung an den NATO-Truppenvertrag gestalten. Bonn, den 11. Februar 1955 Erler Berichterstatter daß die ganzen Argumente noch einmal vorgetragen werden sollen. Es genügt der Nachweis, daß die neuen Formulierungen neue verfassungsmäßige Bedenken nicht aufgeworfen haben. Der Rechtsausschuß hat sich mit der Frage beschäftigt, ob man die Änderung des Grundgesetzes in diesem Sinne noch heranziehen könne, obwohl nunmehr die Zustimmung nicht mehr zu den damals gescheiterten Verträgen, sondern zu einem veränderten Vertragstext gefordert wird. Da aber das neue Abkommen expressis verbis die alten Vereinbarungen, die mit ihrem ursprünglichen Datum zitiert werden, in Kraft setzt und rechtstechnisch die Neuerungen in der Weise bewältigt, daß nur eine Liste von Abänderungen beschlossen warden ist, umfaßt die Zustimmung zu den neuen Verträgen auch 'die Zustimmung zu den alten Verträgen, und nachdem der Verfassungsgeber seinen Willen im Wege der authentischen Interpretation dahin bekundet hat, daß die damals vorgeschlagenen Bestimmungen mit dem Grundgesetz vereinbar seien, sind die Änderungen nur dann ein verfassungsrechtliches Problem, wenn sie selbst neue Verstöße gegen idas Grundgesetz enthalten. Das ist aber nicht der Fall, wie sich schon aus der allgemeinen Tendenz der Verträge ergibt, Deutschlands Selbständigkeit rechtlich weiter auszubauen und demgemäß die Eingriffe in das innere Gefüge und die Zuständigkeiten der einzelnen Bundesorgane noch mehr zu beschränken, als in dem Vertrag von 1952 vorgesehen war. (Dr. Wahl) Die Erörterungen entzündeten sich besonders an folgenden Bestimmungen, wobei nicht nur ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz, sondern auch ihre verfassungsrechtliche Bedeutung umstritten war. Daß mit der Neufassung der Einleitung und dem Weglassen der Präambel der Wille zum Ausdruck gekommen ist, die Gleichberechtigung der Bundesrepublik mit den Vertragspartnern zu unterstreichen und ihre Selbständigkeit bei der Gestaltung ihrer politischen Zukunft zum Ausdruck zu bringen, liegt auf der Hand. Wenn die Bundesrepublik als Subjekt und nicht mehr bloß als Objekt der. internationalen Politik erscheint, lag es nahe, die im Abs. 7 der Präambel enthaltene Festlegung, daß die Wiedervereinigung Deutschlands über die europäische Integration führe, nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu streichen. Ob die Bundesrepublik nach dem Inkrafttreten der Verträge wirklich als souveräner Staat bezeichnetwerden kann, ist angesichts der alliierten Vorbehalte auf lebenswichtigen Gebieten angezweifelt worden, aber durch die Bezugnahme auf diesen 'völkerrechtlichen Begriff ist jedenfalls die Vermutung für die alleinige Zuständigkeit der Bundesrepublik in allen nicht vorbehaltenen Materien gesichert. Auch die Regelung des Art. 4 ist zweifellos ein Fortschritt gegenüber der Lösung des Jahres 1952, insofern als der Vorbehalt der Truppenstationierung im Verhältnis zur Bundesrepublik nur auf Grund eines Einvernehmens mit dieser ausgeübt werden soll. Was Art. 5 betrifft, so war auf Grund ides Wortlauts die Hauptsorge des Rechtsausschusses, daß die in dem Vertrag vorgesehene Aufgabe der alliier) ten Notstandsbefugnisse davon abhängig sein könnte, daß die Alliierten die Notstandsbefugnisse, die die deutschen Behörden durch eine Ergänzung des Grundgesetzes erhalten sollen, als ausreichenden Ersatz für ihre Notstandsrechte anerkennen und sich damit zum Richter über die Grundgesetzänderung aufschwingen könnten. Durch einen Briefwechsel zwischen der Bundesregierung und den Alliierten, der im Rechtsausschuß den Mi'tglied'ern zur Kenntnis gebracht wurde, verlor diese Besorgnis sehr an Gewicht. In diesem Briefwechsel ist keine Festlegung der erwarteten deutschen Notstandsbefugnisse im einzelnen erfolgt, sondern nur der Gegenstand bezeichnet, auf den sich die Reform beziehen soll. Zu besonders eingehenden Erörterungen gab Art. 7, insbesondere der Abs. 2, Anlaß, der ein wiedervereinigtes Deutschland, das in die europäische Gemeinschaft integriert ist, als gemeinsames Ziel der Politik der unterzeichneten Staaten, festlegt. Hier wurde der Einwand, der schon im Jahre 1952 gegen diese Vorschrift erhoben wurde, er führe zu einer Festlegung 'der Richtlinien der deutschen Politik, die darauf verzichten müsse, die Wiedervereinigung auch auf anderem Wege zu verwirklichen, mit neuer Schärfe wiederholt. Aber er verliert ja 'dadurch viel von seiner politischen Bedeutung, daß, wie die Erklärung Edens vor dem englischen Unterhaus vom 18. November 1954 zeigt, das wiedervereinigte Deutschland die freie Entscheidung über die Übernahme der Verpflichtungen aus diesem Vertrage haben wird. Die Streichung von Art. 7 Abs. 3 hat diese Freiheit der Entscheidung des wiedervereinigten Deutschland nicht beseitigen wollen, sondern nur die einseitige Bindung der Alliierten ,aufgehoben, dem wiedervereinigten Deutschland die Rechte aus den Verträgen zu gewähren, wenn es sich bereit erklären würde, die daraus entspringenden Verpflichtungen zu übernehmen. Auch ist die Revisionsklausel verbessert, indem die Überprüfung des Vertrages nicht mehr bloß an den Fall der Wiedervereinigung selbst angeknüpft ist, sondern auch an eine sonstige internationale Verständigung über Maßnahmen zur Herbeiführung der Wiedervereinigung Deutschlands, die freilich unter Beteiligung oder mit Zustimmung aller unterzeichneten Staaten zustandegekommen sein muß. Endlich sei auf die wichtige Änderung in den Funktionen des Schiedsgerichts hingewiesen, das heute nicht mehr befugt ist, eine Rechtsvorschrift, von der es annimmt, daß die Bundesrepublik auf Grund der Verträge zu ihrem Erlaß verpflichtet sei, selbst mit bindender Wirkung für die deutschen Bürger und Staatsorgane einzuführen. Daß damit die im Jahre 1952 viel erörterten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer solchen Vereinbarung behoben worden sind, liegt auf der Hand. Die Hauptdiskussion schloß sich aber an die Behandlung der Grenzfrage in idem gesamten neuen Vertragswerk an. Die Frage erhob sich, ob durch den neuen Deutschlandvertrag vor allem im Zusammenhang mit der Verwendung des Ausdrucks souveräner Staat und der Verpflichtung im Nordatlantikvertrag, die deutschen Grenzen nicht mit Gewalt zu verändern, nicht ein deutscher Teilstaat im Geltungsbereich des Grundgesetzes konstituiert werde, der mit den Zielsetzungen des Grundgesetzes unvereinbar wäre. Demgegenüber hat der Rechtsausschuß in großer Einmütigkeit an seiner alten Auffassung festgehalten, daß Deutschland 'durch die Übernahme der Regierungsgewalt seitens der Alliierten im Jahre 1945 nicht untergegangen ist, daß vielmehr das Grundgesetz die Reorganisation dieses Staates überall da gebracht hat, wo die deutschen Staatsorgane tätig werden können, daß also die durch die Nachkriegsereignisse verursachte faktische Unmöglichkeit, das Grundgesetz in allen Gebietsteilen nach den Grenzen von 1937 durchzusetzen, die Grenzen Deutschlands im Staats- und völkerrechtlichen Sinne nicht verändert hat. Das neue Vertragswerk stimmt mit dieser Auffassung voll überein. Nicht nur, weil die Alliierten in 'der Londoner Schlußakte den Grundsatz anerkannt haben, daß in allen deutschen Angelegenheiten die Bundesrepublik als Sprecher für ganz Deutschland bestätigt wird, sondern auch deshalb, weil die Verleihung der vollen Macht eines souveränen Staates an die Bundesrepublik nach unserer Auffassung nichts anderes bedeutet als das Freiwerden :der deutschen Souveränität von besatzungsrechtlichen Schranken, die nun wieder abgebaut werden. Wenn die Frage sich erhob, ob die Verpflichtung des Nordatlantikvertrages, die deutschen Grenzen nicht mit Gewalt zu ändern, mit dieser Staatskonzeption vereinbar sei, weil Irland dem Nordatlantik vertrag nicht beigetreten sei, um nicht durch eine analoge Verpflichtung seine territorialen Ansprüche auf Nordirland zu gefährden, so tritt dem die Mehrheit des Ausschusses mit der Auffassung entgegen, daß der Gewaltverzicht wirklich nicht als Grenzverzicht aufgefaßt werden kann, zumal im Art. 7 des Deutschlandvertrages in Übereinstimmung mit der Londoner Schlußakte die Grenzfrage ausdrücklich dem späteren Friedensvertrag vorbehalten ist. Es ist ein alter Grundsatz des Rechts, daß Verzichte nicht (Dr. Wahl) vermutet werden können, daß also die freiwillige Aufgabe von Rechten eines deutlichen Ausdrucks bedarf, und solange alle Bundesorgane — das Parlament in seinen Entschließungen, ,die Bundesregierung in Regierungserklärungen und den theoretischen Darlegungen ihrer Rechtsberater, das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen — nach den Absichten des Grundgesetzgebers an der Meinung festhalten, daß zwischen der Bundesrepublik und dem Staate Deutschland im Rechtssinne Identität besteht, kann aus den Bestimmungen der neuen Verträge nicht die Anerkennung eines deutschen Teilstaates gefolgert werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung über das Wirtschaftsabkommen mit der Saar den Grundsatz aufgestellt, daß im internationalen Verkehr der ausdrückliche Vorbehalt des eigenen Rechtsanspruchs nicht immer wiederholt zu werden braucht, besonders wenn er dem Verhandlungspartner bekannt ist. Wenn in den Ausschußberatungen von den Regierungsvertretern erklärt worden ist, daß die Aufrüstungsverpflichtung nur für den Geltungsbereich des Grundgesetzes übernommen sei, so mag darin eine stärkere Betonung des Geltungsbereichs des Grundgesetzes, ein Ausbau seiner Funktionen liegen, der nach dem äußeren Eindruck auf den außenstehenden Beobachter die faktischen Unterschiede zwischen den einzelnen Teilen Deutschlands vergrößert und deswegen die gegenwärtige Trennung noch schmerzlicher als bisher empfinden läßt. Aber niemand kann sich den Auftrag des Grundgesetzes, die deutsche Einheit in Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Arndt (Minderheitsauffassung) I. Die Gesetzesvorlagen sind nicht formgerecht. Sie genügen Art. 59 GG nicht. Bei einem sachlich einheitlichen Vertragswerk müssen sämtliche für sein Verständnis, seine Auslegung und Anwendung bedeutsamen Schriftstücke — mögen sie Noten, Briefwechsel, Gedächtnisprotokolle usw. sein — mit Gegenstand der gesetzgeberischen Zustimmung werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die einzelne Erklärung, für sich allein genommen, der Form des Art. 59 Abs. 2 GG nicht bedürfte; gehört sie zu einem Vertrag im Sinne des Art. 59 Abs. 2 GG, so darf sie für das gesetzgeberische Verfahren von ihm nicht losgelöst werden. Die Gesetzesvorlagen der Bundesregierung dagegen teilen vielfach solche Erklärungen nur „zur Kenntnis" mit, ohne sie den gesetzgebenden Körperschaften zur Zustimmung zu unterbreiten. Das genügt nicht. Dies gilt insbesondere für die — nicht einmal im authentischen Wortlaut bekanntgegebene — Londoner Schlußakte — Drucksache 1000 Anlage A —. Einzelne Schriftstücke, so z. B. die Erklärungen zur Notstandsklausel in Art. 5 des Generalvertrages, sind dem Bundestag sogar vorenthalten. Dieses Verfahren verletzt Art. 59 GG und wird die staats- und völkerrechtliche Ungültigkeit der Ratifikation zur Folge haben. Wind in den Gesetzen die Bestimmung gestrichen, daß die Verträge „mit Gesetzeskraft" zu veröffentlichen sind, so werden die Vertragsvorschriften Freiheit zu vollenden, als eine Aufgabe vorstellen, die einfach so gelöst werden kann, daß denjenigen deutschen Gebietsteilen, die von der Geltung des Grundgesetzes bisher ausgeschlossen sind, im Verhandlungswege einfach die Möglichkeit des Beitritts zu dem Grundgesetz eröffnet werden könnte. Eine solche Auffassung der gesamtdeutschen Mission der Bundesrepublik wäre illusionistisch. Wer mit den Realitäten der deutschen Frage vertraut ist, wird der Bundesrepublik, und zwar auch im Sinne der Grundgesetzgeber, einen politischen Spielraum gewähren müssen, und wenn die Bundesrepublik kein anderes Mittel sieht, dem Ziel der deutschen Wiedervereinigung näher zu kommen, als sich dem Westen anzuschließen, so ist sie dazu verpflichtet, dieses Mittel zu ergreifen. Dieser Gedankengang ist schon auf Seite 35 der Drucksache Nr. 3900 der 1. Wahlperiode angeklungen; ich weise ausdrücklich darauf hin. Es mag eine Tragik der deutschen Situation sein, daß wir keinen anderen Weg sehen, der deutschen Wiedervereinigung näher zu kommen, als über die Westintegration, die zunächst nur die Gegensätze zwischen Ost- und Westdeutschland zu vertiefen scheint, aber ein verfassungsrechtliches Problem liegt deswegen nicht vor. Bonn, den 11. Februar 1955 Dr. Wahl Berichterstatter nicht als Recht für jedermann verbindlich. Ein Zustimmungsgesetz nach Art. 59 GG hat eine doppelte Bedeutung: es ermächtigt ,das Staatsoberhaupt zur Ratifikation des völkerrechtlichen Vertrages und formt zugleich die Vertragsabreden, die zu einer solchen Umformung fähig und ihrer bedürftig sind, in innerstaatliches Recht um. Unterbleibt die Bestimmung, daß die Verträge Gesetzeskraft haben sollen, so fehlt diese Umformung. II. Der Name des Protokolls ist falsch und irreführend. Das Protokoll bezieht sich nicht auf die Bundesrepublik Deutschland, sondern lediglich auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes. Die Bezeichnung „Bundesrepublik" wird — teils aus Nachlässigkeit, teils mit Absicht — in zwei verschiedenen Bedeutungen gebraucht. „Bundesrepublik" im Sinne des Bonner Grundgesetzes ist die Bundesrepublik Deutschland als der im Jahre 1867 gegründete und das ganze deutsche Volk in den Grenzen von 1937 umfassende Staat Deutschland, der für nur einen Teil seines Volkes und Gebietes 1949 durch das Grundgesetz reorganisiert wurde. Auf dieses rechtliche Verständnis des Begriffs Bundesrepublik hat der Rechtsausschuß des 1. und des 2. Bundestages stets einhellig Gewicht gelegt. Es liegt zahlreichen Entschließungen des Bundestages, insbesondere zur Saarfrage, zugrunde, auch den Erklärungen der Bundesregierung — z. B. aus Anlaß der sogenannten Souveränitätserklärung der angeblichen „Deutschen Demokratischen Republik" —, daß es nur den einen deutschen Staat gebe. In der Gesetzessprache wird des- (Dr. Arndt) halb richtig der Geltungsbereich des Grundgesetzes vom Bundesgebiet unterschieden, weil Bundesgebiet das Gebiet innerhalb der deutschen Staatsgrenzen von 1937 ist. „Bundesrepublik" im Sinne der Pariser Verträge und des Sprachgebrauchs der Bundesregierung in ihrer amtlichen Begründung und in ihren Erklärungen zu den Vertragsgesetzen ist dagegen etwas anderes, nicht der Staat Deutschland, sondern ein Bruchstück dieses Staates innerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes, der Inbegriff der vom Grundgesetz eingesetzten Verfassungsorgane. Jede Verständigung ist unmöglich, wenn das Wort „Bundesrepublik" nebeneinander in diesen beiden unvereinbaren Bedeutungen gebraucht wird. An Stelle von „Bundesrepublik" im Sinne des Grundgesetzes wird darum hier vom Staat Deutschland, an Stelle von „Bundesrepublik" im Sinne der Vierträge wird hier von Westdeutschland gesprochen werden. Im einzelnen sind folgende Bedenken verfassungsrechtlicher und rechtspolitischer Art besonders hervorzuheben. 1. Der Art. 1 Abs. 2 des Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten (Generalvertrag) in der Neufassung des Pariser Protokolls vom 23. Oktober 1954 ist mit dem Grundgesetz unvereinbar. Durch diese Abrede wird Westdeutschland als ein Staat anerkannt und verselbständigt und somit als ein anderer und neuer Staat aus dem Staate Deutschland herausgelöst. Die Beendigung des Besatzungsregimes in Art. 1 Abs. 1 bezieht sich nicht auf den Staat Deutschland, sondern nur auf Westdeutschland. Vom Staat Deutschland wird in Art. 4 des zugehörigen Überleitungsvertrages als vom „früheren" Deutschen Reich im Sinne eines nicht mehr oder zur Zeit nicht bestehenden Staates gesprochen — zu Drucksache 1000 S. 127 —. In Art. 1 des zugehörigen Truppenvertrages wird Bundesgebiet als Geltungsbereich des Grundgesetzes definiert — zu Drucksache 1000 S. 20 —. Der Art. 1 Abs. 2, worin von Westdeutschland als einem „Staat" die Rede ist, will im Zusammenhang mit der Londoner Schlußakte und dem Nordatlantikvertrag verstanden sein. Der Nordatlantikvertrag setzt als Partner Staaten mit Staatsgebieten voraus, die sich zum Zwecke der kollektiven Selbstverteidigung untereinander durch Art. 4 und Art. 6 die Unversehrtheit dieser Staatsgebiete gewährleisten — Drucksache 1061 S. 38 —. Durch den Beitritt zu diesem Pakt erkennt ein Staat die Unversehrtheit seines Staatsgebietes an, ein Tatbestand, durch den sich Eire gehindert sieht, Mitgliedstaat dieses Paktes zu werden. Um die Unversehrtheit eines Staatsgebietes für Westdeutschland als einen Staat zu konstruieren, hat anläßlich des Beitritts zum Nordatlantikvertrag sich deshalb Westdeutschland — unter Verletzung des Art. 59 Abs. 2 GG — „insbesondere verpflichtet", die Änderung seiner gegenwärtigen Grenzen niemals mit gewaltsamen Mitteln herbeizuführen, wie es unter V. in der Schlußakte der Londoner Neun-MächteKonferenz heißt — Drucksache 1000 Anlage A S. 50 —. Der Verzicht auf angreifende Gewalt ist in Art. 26 Abs. 1 GG schon zwingend ausgesprochen; verfassungswidrig aber ist es, die in West und Ost durch die Demarkationslinien der Besatzungsmächte dem Geltungsbereich des Grundgesetzes gezogenen tatsächlichen Schranken als gegenwärtige Staatsgrenzen anzuerkennen. Der Art. 1 Abs. 2 hat den Sinn, Westdeutschland als Staat mit einem eigenen Staatsvolk und einem eigenen Staatsgebiet natofähig zu gestalten. Die Vertreter der Bundesregierung haben hierzu keine befriedigenden Erklärungen geben können. Der Bundeskanzler und der Bundesminister der Justiz sowie sein Staatssekretär haben dem Ausschuß zu Auskünften nicht zur Verfügung gestanden, der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes nur vereinzelt, kurzfristig und jeweils in Zeitnot. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes hat zwar erklärt, daß insoweit die Londoner Schlußakte von Grenzen nicht im Sinne von Staatsgrenzen spreche; weder aber genügt ohne überzeugende Begründung eine bloße Behauptung, noch steht diese Behauptung im Einklang mit der amtlichen Begründung, worin es heißt (S. 37), Westdeutschland werde „mit der Beendigung des Besatzungsregimes ein souveräner Staat ...". Verfehlt ist die Einwendung, daß Westdeutschland mit idem Staat Deutschland „identisch" sei. Die nach 1945 und vor Erlaß des Bonner Grundgesetzes entwickelte Identitätslehre hat den Sinn, daß der Staat Deutschland durch die militärische Kapitulation nicht unterging, sondern — mit sich gleich — in seinen Grenzen von 1937 fortbesteht. Der Parlamentarische Rat hat zum Ausdruck gebracht, daß sich hieran durch das Grundgesetz nichts ändere; es hat weder einen Staat ,,gegründet", noch haben sich durch das Grundgesetz die Länder der drei westlichen Besatzungszonen „zu einem Bund zusammengeschlossen", sondern das Grundgesetz hat den Staat Deutschland als gegenwärtige Geschichtstatsache vorausgesetzt und ihn für ein Teilstück innerhalb des grundgesetzlichen Geltungsbereichs nur neugeordnet. Der — mit dem Staat Deutschland identische — Bund besteht nicht allein aus den in Art. 23 GG aufgezählten Ländern, sondern nur die Geltung der Verfassungsordnung beschränkt sich „zunächst" auf diesen Staatsteil. Die Behauptung, daß es derzeit „faktisch" zwei deutsche Teilstaaten gebe, ist von den Kommunisten aufgestellt. Gäbe es sie, könnte es sich dabei nur um Nachfolgestaaten handeln, von denen keiner mehr mit dem Staat Deutschland identisch wäre. Denn idas rechtliche Wesen eines Staates ist als eine Gemeinschaft von den bestimmten Menschen, die als idas Staatsvolk sich zusammengeschlossen haben, nicht ablösbar. Solange das deutsche Staatsvolk eine — in seiner vollen Handlungsfähigkeit nur durch die Besatzungsmächte beeinträchtigte — Geschichtstatsache ist, und es ist sie, ist es nicht bloß sinnlos, sondern widersinnig, ein angebliches Gleichsein (Identität) der mehr als 70 Millionen Deutschen — an der Saar, in Westdeutschland, in Berlin, in der sowjetisch besetzten Zone und jenseits der Oder und Neiße — mit den 50 Millionen Deutschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu behaupten. Eine nur einen Teil des deutschen Staatsvolkes umfassende Organisation in Westdeutschland kann unmöglich dasselbe sein wie der das deutsche Staatsvolk als Ganzes umfassende Staat Deutschland. Die vom Grundgesetz eingerichteten Verfassungsorgane üben zwar deutsche Staatsgewalt aus, aber nicht die deutsche Staatsgewalt; die Bundesregierung ist zwar eine deutsche Regierung und die einzige in Deutschland, (Dr. Arndt) die eine demokratische Legitimation besitzt, weil sie im Geltungsbereich des Grundgesetzes aus dort freien Wahlen hervorging, aber die Bundesregierung ist nicht die Regierung des Staates Deutschland. Deutschland als Staat ist auch kein bloßer „Anspruch", der erst durch eine Wiedervereinigung zu verwirklichen wäre. Der Staat Deutschland besteht sowohl rechtlich als auch tatsächlich durch sein Volk gegenwärtig. Deshalb verpflichtet das Grundgesetz, die Einheit dieses gegenwärtigen, das gesamte deutsche Volk ganz umfassenden Staates zu wahren und in Freiheit zu vollenden. In Übereinstimmung mit dem Grundgesetz und in Ausübung der von ihm geordneten Gewalt darf deshalb Westdeutschland niemals zu einem selbständigen Staat mit eigener Souveränität und gegenwärtigen Grenzen gemacht werden. 2. Der Art. 5 Abs. 2 begegnet in seiner Neufassung weniger Bedenken; doch bleibt seine Zulässigkeit verfassungsrechtlich zweifelhaft. Es konnte keine Klarheit darüber gewonnen werden, wer im Streitfall entscheidet, ob die von den Besatzungsmächten in Anspruch genommenen Notstandsbefugnisse erloschen sind. Auswärtigen Staaten darf jedoch nicht ein Recht eingeräumt werden, darüber zu urteilen, ob eine deutsche Verfassungsvorschrift richtig ist und den Vereinbarungen entspricht. Rechtspolitisch geht es nicht an, in so ungewisser Weise eine Verfassungsänderung in Aussicht zu stellen. Die Vertreter der Bundesregierung haben erklärt, daß es hierüber ein Schriftstück gebe, aber das Schriftstück nicht vorgelegt. Warum das Schriftstück geheimzuhalten sei, haben sie nicht dartun können, zumal die geplante Änderung des Grundgesetzes sich doch nicht geheim vollziehen läßt. Für eine gesetzgebende Körperschaft, die der Bundestag sein soll, ist es unzumutbar und unerträglich, daß ihm eine Zustimmung aasgesonnen wird, aber die Regierung, zu deren Kontrolle er berufen ist, ihm die volle Kenntnis des Sachverhalts rechtswidrig verweigert. 3. Gegen Art. 7 Abs. 2 richteten sich seit jeher die entscheidendsten Bedenken verfassungsrechtlicher Art, auch wenn man sie totzuschweigen suchte und so zu tun pflegte, als streite man nur um den 3. Absatz dieses 7. Artikels. In Art. 7 Abs. 2 wird gesagt, daß die Vertragspartner — bis zum Abschluß eines Friedensvertrages — zusammenwirken werden, um ein wiedervereinigtes Deutschland als ihr gemeinsames Ziel friedlich zu verwirklichen, wobei jedoch dieses wiedervereinigte Deutschland in doppelter Hinsicht dadurch gekennzeichnet wird, daß es eine freiheitlich-demokratische Verfassung besitzen und in die europäische Gemeinschaft integriert sein müsse. Es erheben sich daher die Fragen, welchen Gehalt die von den Westmächten übernommene Verpflichtung hat und welche Bedeutung der Abrede zukommt, daß Deutschland in die europäische Gemeinschaft integriert sein soll. Die Ausschuß-Mehrheit vertritt den Standpunkt, daß insoweit verfassungsrechtliche Zweifel unbegründet, jedenfalls aber durch das verfassungsändernde Gesetz behoben seien, das einen Art. 142 a in dais Grundgesetz eingefügt habe. Die Minderheit vermag diese Auffassung sich nicht zu eigen zu machen. Im Grundgesetz gibt es einen Art. 142 a nicht. Der Art. 79 Abs. 1 GG, daß das Grundgesetz nur ausdrücklich durch eine Änderung seines Wortlautes geändert werden könne, ist unabänderlich. Der Versuch, unter Verletzung dieser Vorschrift sowie unter Verstoß gegen die Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 92 und Art. 79 Abs. 3 GG) durch eine „Klarstellung" das Grundgesetz auszulegen, hat nicht einmal den Schein eines Rechts erzeugt. Alle gegen den Bonner und den Pariser Vertrag vom 26./27. Mai 1952 erhobenen Bedenken verfassungsrechtlicher Art bestehen daher unvermindert fort, soweit sie nicht durch eine Änderung der Verträge gegenstandslos wurden. Weilchen Gehalt die Abrede in Art. 7 Abs. 2 rechtlich hat (daß auf ein 'wiedervereinigtes Deutschland als gemeinsames Ziel hinzuwirken sei), ist fragwürdig. Es ist weder erkennbar, daß sich die Vertragspartner über das gegenwärtige Bestehen des Staates Deutschland einig wären, noch ersichtlich, ob sie über Deutschland als Staat gemeinsame Vorstellungen haben. Die Vertreter der Bundesregierung haben eingeräumt, daß Art. 7 Abs. 2 keine Rechtspflicht begründe, die Saar bei Deutschland zu belassen. Es ließ sich keinerlei Klarheit darüber schaffen, ob die Vertragspartner überhaupt Schritte zu unternehmen haben oder wann und wie etwas tatsächlich von ihnen zu tun ist, um die Einheit des Staates Deutschland aufrechtzuerhalten, zu wahren und in Freiheit zu vollenden. Insbesondere blieb ungewiß, ob ein Bemühen um die Einheit eines freien Staates Deutschland auch unabhängig von einer der Freiheit Polens, der Tschechoslowakei und der übrigen Satellitenstaaten durch eine Neuordnung Osteuropas gewidmeten Politik geboten ist oder ob friedliche Versuche, die Freiheit Deutschlands zu verwirklichen, nach dem Ermessen der Vertragspartner bis zur Möglichkeit einer Neuordnung Osteuropas zurückgestellt werden dürfen. Unklar ist auch, warum ein Friedensvertrag nach Art. 7 Abs. 1 mit Deutschland nur „für ganz Deutschland", nicht aber für Deutschland als Ganzes auszuhandeln ist. Ist es so einerseits rechtlich nichtgreifbar, welche Pflichten die Vertragspartner hinsichtlich der Einheit Deutschlands übernehmen, so muß es andererseits verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, daß die Einheit Deutschlands an die Voraussetzung der Integration in die europäische Gemeinschaft geknüpft wird. Als seinerzeit die französische Regierung den insoweit gleichlautenden Bonner Vertrag vom 26. Mai 1952 der französischen Nationalversammlung zur gesetzgeberischen Zustimmung vorlegte, hat sie in der amtlichen Begründung ausgeführt, der Art. 7 Abs. 2 enthalte mit dieser Integrationsklausel eine Bedingung, durch die sich auch der deutsche Vertragspartner verpflichte, keiner anderen Formel der Wiedervereinigung zuzustimmen. Hierzu haben die Regierungsvertreter im Ausschuß geltend gemacht, daß sich der Sinn des Art. 7 Abs. 2 geändert habe, weil der Vorspruch des Vertrages gestrichen wurde und der Vertrag nicht mehr mit der Gründung einer supranationalen organisierten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft gekoppelt sei. Integration sei jedenfalls nunmehr nicht dahin zu verstehen, daß Deutschland sich in eine Gemeinschaft mit supranationaler Struktur eingliedern müsse. Die Regierungsvertreter haben jedoch nach Meinung der Minderheit nicht hinreichend 'erläutern können, warum im Unterschied zur Londoner (Dr. Arndt) Schlußakte die Klausel in Art. 7 Abs. 2 stehen blieb, daß Deutschland in die europäische Gemeinschaft integriert sein müsse. Diese Klausel ist um so weniger verständlich, als sie selbständig neben die — gewiß als Bedingung gemeinte —Klausel tritt, daß der Staat Deutschland eine freiheitlich-demokratische Verfassung haben müsse. Sicherlich braucht Integration nicht supranationale Organisation zu bedeuten. Ein Regierungsvertreter hat den Begriff Integration so erklärt, er heiße: verbinden, zum Bestandteil machen. Die Verträge verwenden den Begriff der Integration mehrfach und bringen dadurch in der Tat zum Ausdruck, daß durch das Bilden einer Gemeinschaft ein gewisser Grad von Unselbständigkeit und Abhängigkeit der zu einer höheren Einheit zusammengefügten Teile erreicht werden soll. So ist in der Entschließung des Nordatlantikrats zur Durchführung von Abschnitt IV der Londoner Schlußakte unter Nr. 8 Buchstabe a von einer Integration der Streitkräfte die Rede — Drucksache 1061 S. 63 —. Die Westeuropäische Union wird von der Bundesregierung als Ansatz der „europäischen Integration" bezeichnet, und zwar, weil z. B. die Befugnisse des Ministerrats „über das sonst für Organe internationaler Organisationen übliche Maß hinausgehen" — Drucksache 1061 S. 46 —. Es ist zu billigen, daß die Einheit des Staates Deutschland nicht anders verwirklicht werden darf als durch eine freiheitlich-demokratische Verfassung. Das entspricht nicht nur der politischen Zielrichtung aller demokratischen Kräfte, deren keine bereit ist, die Freiheit der Einheit zu opfern oder auch nur Einbußen der Freiheit in Westdeutschland durch Zugeständnisse an die Sowjet-Union in Kauf zu nehmen, sondern es ist durch das Grundgesetz auch allen von ihm gebildeten Verfassungsorganen rechtlich verwehrt, die Einheit anders als in Freiheit zu vollenden. Es wäre auch kein Einwand 'dagegen zu erheben, daß als politisches Ziel eine Einigung Europas anzustreben ist und der Staat Deutschland sich politisch zu Europa, beispielsweise durch Zugehörigkeit zum Europarat in Straßburg, zählen will, — steht doch die unlösbare Verbundenheit des deutschen Volkes mit der freien Welt völlig außer Frage. Eine solche Zielsetzung würde ebenfalls nur dem Grundgesetz entsprechen, das neben die verfassungskräftige Rechtspflicht, die Einheit Deutschlands zu wahren, ein politisches Bekenntnis gesetzt hat, daß Deutschland in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen wolle. Ist dagegen Art. 7 Abs. 2 als eine rechtliche Bedingung und Bindung zu verstehen, daß die Einheit Deutschlands, auch wenn sie eine Einheit in Freiheit durch eine freiheitlich-demokratische Verfassung wäre, vertraglich ausgeschlossen werden soll, falls nicht der Staat Deutschland insgesamt durch ein Bündnis seine Wehrkraft und sein Rüstungspotential in die Verteidigungsorganisation des Westens eingliedern würde, so ist ein solcher Rechtsverzicht auf die deutsche Einheit verfassungswidrig. Kein Verfassungsorgan, auch nicht der verfassungsändernde Gesetzgeber, ist nach dem Grundgesetz befugt, der Einheit Deutschlands zu entsagen oder sie von irgendeiner anderen Bedingung als einzig der der Freiheit abhängig zu machen. Ohne die einwandfreie und völkerrechtlich gesicherte Klarstellung, daß Art. 7 Abs. 2 mit diesem zwingenden Verfassungsgebot im Einklang steht, ist der Vertrag unannehmbar. 4. Welche Wirkung es — insbesondere in Verbindung mit Art. 10 — hat, daß Art. 7 Abs. 3 gestrichen wurde, konnte nicht geklärt werden. Auf die Frage, ob bei Vollendung der Wiedervereinigung der Staat Deutschland an diese von Westdeutschland eingegangenen Verträge gebunden bleibe, haben die Regierungsvertreter keine eindeutigen Antworten gegeben. Die Frage, warum in den Verträgen über den Beitritt zur Westeuropäischen Union und zur Nordatlantikvertragorganisation sich keine dem Art. 10 des Generalvertrages entsprechende Klausel finde sowie, ob die Wiedervereinigung zum Ausscheiden aus dem Nordatlantikvertrag berechtige, ist unbeantwortet geblieben. In der französischen Nationalversammlung hat der Abgeordnete Jacques Isorni am 20. Dezember 1954 als Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses die Auffassung vertreten, daß es rechtlich mehrere Möglichkeiten der Wiedervereinigung gebe und das wiedervereinigte Deutschland dann gebunden sein werde, wenn es dadurch entstehe, daß Westdeutschland Ostdeutschland absorbiere. Die Vorstellung, daß der Staat Deutschland gegenwärtig besteht, ist 'dem französischen Denken fremd. Auch das Denken 'der Vertreter der Bundesregierung bei ihren Äußerungen im Ausschuß zeigte sich von der Vorstellung beherrscht, daß der Staat Deutschland, der sog. „gesamtdeutsche Staat", ein vermeintlich erst „künftiger Staat" sei. Halte man es für möglich, haben die Regierungsvertreter ausgeführt, daß der Staat Deutschland die staats- und völkerrechtliche Fortsetzung Westdeutschlands werde, so würden die Verträge den Staat Deutschland binden, allerdings nach der völkerrechtlichen clausula rebus sic stantibus nur insoweit, als die Vertragsgrundlage nicht fortgefallen sei und eine Bindung des Staates Deutschland nach der „Natur" der Verträge und nach dem Willen der Partner nicht ausgeschlossen sein sollte. Es ist unerfindlich, wie diese Auffassung mit Art. 10 vereinbart werden soll. Auch ist eine clausula rebus sic stantibus völkerrechtlich keineswegs anerkannt. Die Minderheit kann daher nur feststellen, daß in diesen Fragen eine 'grenzenlose Verwirrung herrscht und eine rechtliche Beurteilung weder möglich ist noch es erlaubt, eine Verantwortung zu übernehmen. Bot das Bestehen des Art. 7 Abs. 3 schon Grund zu vielfältigen Meinungsverschiedenheiten, so kann seine Streichung noch mehr die Ursache von Streitigkeiten und Konflikten werden. Weil es unklar war, was Art. 7 Abs. 3 bedeuten sollte, hat der Verzicht auf diese Bestimmung die Unklarheit noch vergrößert. Jedenfalls läßt sich die negative Folge des Wegfalls dieser Vorschrift nicht ausschließen, daß die Regierung des Staates Deutschland nicht mehr die begrenzte Entscheidungsfreiheit des früheren Art. 7 Abs. 3 haben wird, sondern daß ohne eine rechtliche Mitsprachebefugnis der Vertragspartner die Regierung des Staates Deutschland nicht gebildet und ihr Status nicht bestimmt werden kann. 5. Verfassungsrechtliche Bedenken, die gegen die Nebenverträge zum Generalvertrag erhoben wurden, sind bestehengeblieben, soweit nicht Änderungen dieser Verträge den Bedenken Rechnung trugen. Diese Bedenken werden als bekannt vorausgesetzt, so daß sich eine Wiederholung erübrigt. Sie sind auch nicht durch einen Art. 142 a im Grundgesetz ausgeräumt, da jene Bestimmung nicht einmal die Vermutung einer Gültigkeit für sich hat. Hervorhebung verdienen jedoch die ver- (Dr. Arndt) fassungsrechtlichen und rechtspolitischen Einwände gegen die Strafvorschriften im Anhang A zum Truppenvertrag. Es ist demütigend, daß keine Streichung des § 2 Abs. 4 erreicht werden konnte, der die Unanwendbarkeit des § 100 Abs. 3 StGB bestimmt und in die Rechtsstellung ,der Mitglieder des Bundestages eingreift. Die Tatbestände sind teilweise, so z. B. bei § 12, so unbestimmt, wie dies nur in totalitären Staaten üblich und mit den Erfordernissen des Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar ist. Um so bedenklicher muß es sein, daß die von ausländischen Mächten zum Schutze ihrer Streitkräfte geforderten und mit 'ihnen völkerrechtlich vereinbarten Strafvorschriften teilweise sogar den Verlust der Mitgliedschaft im Bundestage oder einem Landtage zur Folge haben sollen (§ 9). Werden die Rechtsstellung der Volksvertreter und die Sicherheit ihres Mandats zum Gegenstand des Handelns mit fremden Staaten gemacht, so muß hierin insoweit ein Verlust der Freiheit und der Selbstbestimmung gesehen werden. Bonn, den 11. Februar 1955 Dr. Arndt Berichterstatter II. Entwurf eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache 1060 - Generalbericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (4. Ausschuß) Generalberichterstatter: Abgeordneter Dr. Furler I. Allgemeines Der Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland (Aufenthaltsvertrag) wurde in Ausführung des Artikels 4 Abs. 2 Satz 3 des Deutschlandvertrages geschlossen. Er regelt die Rechtsgrundlage der Stationierung dieser ausländischen Streitkräfte für die Zeit nach Inkrafttreten der Vereinbarungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag. Er handelt nicht von den Rechten und Pflichten, die diese Streitkräfte im Gebiete der Bundesrepublik haben. Diese Rechtsstellung der ausländischen Streitkräfte ist Gegenstand des Vertrages über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland (Truppenvertrag) — BGBl. II S. 78 ff. —, verändert durch Liste II des Protokolls über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Oktober 1954 — Drucksache 1000 S. 12 ff. —. Die Rechtsgrundlage für den Aufenthalt ausländischer Truppen ist nach Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag keine hoheitliche mehr, sondern eine vertragliche. Aus Art. 4 Abs. 2 des Deutschlandvertrages und aus dem Aufenthaltsvertrag ergibt sich der Wille der drei Mächte, ihr Stationierungsrecht aus einem hoheitlichen in ein vertragliches Recht umzuwandeln. Dieser Wille wird mit dem neuen Status der Bundesrepublik, nämlich demjenigen der Souveränität, und weiterhin damit begründet, daß die drei Mächte die Stationierung von Streitkräften in der Bundesrepublik nur in vollem Einvernehmen mit dieser durchzuführen beabsichtigen. Aus diesem Grunde wird „diese Frage" — also diejenige des Stationierungsrechtes — in diesem besonderen Aufenthaltsvertrag geregelt. Der Wortlaut des Art. 4 deutet darauf hin, daß die Umwandlung des Stationierungsrechtes Gegenstand von Auseinandersetzungen war, bei denen zunächst gewisse Gegensätzlichkeiten hervortraten. Wie die Regierung dem Auswärtigen Ausschuß mitteilte, sind die Formulierung des Art. 4 Abs. 2 und der ganze Aufenthaltsvertrag aus deutschen und amerikanischen Vorschlägen hervorgegangen. Deshalb ist für die Auslegung auch die Stellungnahme des Staatssekretärs Dulles gegenüber idem Präsidenten der Vereinigten Staaten (besonders bedeutsam, in der zur Frage der Rechtsgrundlage der Stationierung gesagt wird: „Die Bedeutung dieses Vertrages liegt darin, daß die in Deutschland stationierten Streitkräfte dort nicht mehr auf Grund von Vorbehaltsrechten stationiert sein werden, die wir durch das Potsdamer Abkommen und die Kapitulationsbedingungen erhalten hatten, sondern auf Grund eines neuen Vertrages, der von Deutschland freiwillig abgeschlossen worden ist und der von den verantwortlichen parlamentarischen Körperschaften in Deutschland gebilligt werden muß. In dieser Beziehung wird Deutschland also den anderen alliierten Ländern gleichgestellt sein." Der Auswärtige Ausschuß ist mit der Regierung der Auffassung, daß für das Gebiet der Bundesrepublik nach dem Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag nur noch ein vertragliches Stationierungsrecht besteht. Es erscheint dem Ausschuß auch nicht möglich, zwischen dem Recht und seiner Ausübung zu unterscheiden und zu sagen, bei fortbestehendem Hoheitsrecht sei dessen Ausübung gegenüber der Bundesrepublik nicht mehr oder nur noch mit deren Zustimmung zulässig, wie dies in den Ausführungen des Berichterstatters des Auswärtigen Ausschusses in der französischen Nationalversammlung vom 20. Dezember 1954 zum Ausdruck kommt. Diese Trennung widerspräche der Tatsache der Aufhebung des Besatzungsregimes, der starken Begrenzung der alliierten Vorbehalte, der Entstehung der neuen Rechtslage und Existenz und Sinn des Aufenthaltsvertrages. Sie ist zur Wahrung der Interessen der drei Mächte auch deshalb nicht erforderlich, weil die Bundesrepublik die rechtliche und tatsächliche Hoheit über ihr Gebiet hat, den drei Mächten also vertraglich ein Stationierungsrecht einräumen kann, das das frühere, aus der Besatzung hervorgegangene, hoheitliche Recht voll zu ersetzen vermag. Zur Aufrechterhaltung der Berliner und der gesamtdeutschen Rechte gegenüber Sowjetrußland ist aber ein hoheitliches Stationierungsrecht in der Bundesrepublik nicht erforderlich. Mit Inkrafttreten des deutschen Verteidigungsbeitrages ist also jede hoheitliche Legitimation für eine Truppenstationierung innerhalb des Bundesgebietes erloschen. Die Rechte der drei Mächte ergeben sich aus der im Deutschlandvertrag und dem hier vorliegenden Aufenthaltsvertrag freiwillig übernommenen Verpflichtung der Bundesrepublik. (Dr. Furler) II. Die einzelnen Bestimmungen Artikel 1 1. Art. 1 Abs. 1 gibt den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Vereinigten Königreich und Frankreich und außerdem allen Staaten, die von der Möglichkeit, dem Aufenthaltsvertrag beizutreten, Gebrauch machen, das vertragliche Recht, im Gebiete der Bundesrepublik Streitkräfte der gleichen Nationalität und Effektivstärke, wie zur Zeit des Inkrafttretens der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag, zu stationieren. Damit wird das Einverständnis der Bundesrepublik zu dieser Stationierung — Art. 4 Abs. 2 Satz 2 — in einen vertraglichen Konsens umgewandelt. 2. Die Begrenzung des vertraglichen Stationierungsrechtes nach Nationalität und Effektivstärke wird in Abs. 2 des Art. 1 insofern bekräftigt, als hier jede Erhöhung der Effektivstärke der stationierten Streitkräfte an die Zustimmung der Bundesregierung gebunden wird. Damit werden auch die für die Übergangszeit geltenden Vorschriften des Art. 5 Abs. 1 des Deutschlandvertrages abgelöst. Selbst im Falle eines drohenden Angriffs wäre daher die Einwilligung der Bundesrepublik für die Herbeiführung weiterer Streitkräfte erforderlich. Soweit es sich um Streitkräfte der Staaten der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft handelt, sind die besonderen Vorschriften der NATO über Stationierung und Dislozierung von Truppen zu beachten, die ein Einvernehmen mit den beteiligten Staaten voraussetzen. 3. Die Durchführung des vertraglichen Prinzips verpflichtet die Vertragsstaaten, die Zustimmung der Bundesrepublik auch dann einzuholen, wenn zusätzliche Streitkräfte für Übungszwecke bis zur Höchstdauer von jeweils 30 Tagen das Gebiet der Bundesrepublik betreten sollen — Art. 1 Abs. 3 —. 4. Die aus dem Nordatlantikvertrag sich ergebenden Transitrechte werden in Abs. 4 des Art. 1 auf der Basis der völligen Gleichstellung der Bundesrepublik umrissen und hinsichtlich der durch die Besetzung Österreichs gegebenen Situation ausdrücklich geregelt. Für Berlin war die Vereinbarung solcher Transitrechte nicht notwendig, weil hier das besondere Vorbehaltsrecht der drei westlichen Mächte ausreichend ist. Entsprechende Transit- oder Durchmarschrechte außerhalb der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft bestehen nicht. Sollten sich hier aus der militärischen Gesamtsituation besondere Notwendigkeiten ergeben, dann wäre jeweils die ausdrückliche Zustimmung der Bundesregierung einzuholen. Artikel 2 Dem Aufenthaltsvertrag können alle Staaten beitreten, die am 23. Oktober 1954 Streitkräfte im Bundesgebiet stationiert hatten. Damit wird für diese Staaten die Möglichkeit eröffnet, ein vertragliches Stationierungsrecht für Truppen in der Bundesrepublik zu erhalten. Die Grenzen hinsichtlich Nationalität und Effektivstärke und alle Vorschriften des Art. 1 gelten für die beitretenden Staaten entsprechend. Die Möglichkeit des Beitritts besitzen Belgien, Dänemark, Kanada, Luxemburg und die Niederlande. Tritt ein Staat dem Aufenthaltsvertrag nicht bei, dann hat dies die Beendigung der Stationierung seiner Truppen mit Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag zur Folge. Selbstverständlich besteht die Möglichkeit, daß die Bundesrepublik auf Grund besonderer Vereinbarungen auch nachträglich noch vertragliche Stationierungsrechte einräumt, wobei sie auf die soeben genannten Staaten nicht beschränkt ist. Die bisherige Möglichkeit der drei Mächte, fremde Truppen über ihre eigenen Hoheitsrechte in die Bundesrepublik zu bringen, erlischt aber ebenso wie die Übergangsregelung des Art. 5 Abs. 1 Buchstabe b des Deutschlandvertrages. Artikel 3 1. Der Aufenthaltsvertrag tritt mit dem Abschluß einer friedensvertraglichen Regelung mit Deutschland außer Kraft. Die Folge dieses Außerkrafttretens ist nicht, daß die früheren hoheitlichen Stationierungsrechte wieder aufleben. Deren Erlöschen ist ein endgültiges. Der Aufenthaltsvertrag tritt weiterhin dann außer Kraft, wenn die Unterzeichnerstaaten schon vor dem Abschluß eines Friedensvertrages dahin übereinkommen, daß die Entwicklung der internationalen Lage neue Abmachungen rechtfertigt. Es ist also zu einer Änderung unter diesem Gesichtspunkt das Einvernehmen der vier Unterzeichnerstaaten notwendig. Zu ihnen gehören in diesem Zusammenhang nicht die später beitretenden Staaten. 2. Der Aufenthaltsvertrag besitzt in Abs. 2 des Art. 3 daneben eine ausdrückliche Revisionsklausel. Der Inhalt dieser Klausel deckt sich in vollem Umfange mit Art. 10 des Deutschlandvertrages. Es wird auf die Ausführungen zu diesem Art. 10 im Generalbericht zu Drucksache 1000 Bezug genommen. Artikel 4 Der Vertrag ist ratifikationsbedürftig. Die Ratifikation erfolgt durch Hinterlegung der betreffenden Urkunden bei der Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Der Vertrag tritt in Kraft, sobald alle Unterzeichnerstaaten diese Hinterlegung vorgenommen haben und darüber hinaus die Beitrittsurkunde der Bundesrepublik zum Nordatlantikvertrag bei der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika hinterlegt worden ist. III. Der Auswärtige Ausschuß billigte den Aufenthaltsvertrag. Er bittet daher das Hohe Haus, diesem Vertrag die von der Bundesregierung vorgeschlagene Zustimmung zu geben. Bonn, den 15. Februar 1955 Dr. Furler Generalberichterstatter III. Entwurf eines Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag - Drucksache 1061 - a) Generalbericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (4. Ausschuß) Generalberichterstatter: Abgeordneter Brandt (Berlin) A. Einleitung Die Frage der Wiederbewaffnung hat unser Volk wie kaum eine andere seit dem Ende des zweiten Weltkrieges bewegt, und sie bewegt es noch. Die Schwere der vom Bundestag zu treffenden Entscheidung — darauf wurde bereits im Generalbericht zum EVG-Vertrag (Drucksache Nr. 3900 der 1. Wahlperiode) hingewiesen — ergibt sich aus dem Einschnitt, den die Wiederbewaffnung in das Leben des Volkes, in erster Linie seiner jungen Generation bedeutet, aus den Konsequenzen wirtschafts- und finanzpolitischer Art, vor allem aber auch aus der unterschiedlich beurteilten Ausstrahlung auf das gesamtdeutsche Schicksal. Die gemeinsame Diskussionsgrundlage des Strebens nach Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit und nach friedlicher Zusammenarbeit der Völker, die gemeinsam erkannte Bedrohung demokratischer Rechtsstaatlichkeit durch die Kräfte des Totalitarismus und die Gefahr, daß die Spaltung Deutschlands als ein bis auf weiteres nicht zu verändernder Bestandteil der internationalen Beziehungen hingenommen werden könnte, haben nichts daran zu ändern vermocht, daß die unser Volk bewegenden gegensätzlichen Meinungen auch den Ausschußberatungen ihren Stempel aufgedrückt haben. Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten hat sich mit dem hier zu behandelnden Teil des Pariser Vertragswerks in einer Reihe von Sitzungen vorwiegend, aber nicht allein unter politischen Aspekten befaßt. Die militärpolitischen und technischen Fragen sind im einzelnen außerdem im Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit beraten worden; darüber liegt ein besonderer, durch die Abg. Dr. Jaeger und Erler erstatteter Bericht vor. Im Generalbericht wird außerdem auf Berichte des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen, des Ausschusses für Wirtschaftspolitik und des Haushaltsausschusses Bezug genommen. Der federführende Ausschuß empfiehlt aus formalen Gründen — die Begründung ist im Bericht zur Drucksache 1000 gegeben —, aus dem Zustimmungsgesetz Art. 3 die Worte „mit Gesetzeskraft" zu streichen. B. Von der EVG zu den neuen Verträgen Vor knapp zehn Jahren zogen der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes und die bedingungslose Kapitulation eine völlige Entmilitarisierung Deutschlands nach sich. Aber schon wenige Jahre später stand das Thema einer deutschen Wiederbewaffnung auf der Tagesordnung der internationalen Politik. Als Ergebnis des sich verschärfenden Ost-West-Konflikts und nach Ausbruch des Krieges in Korea setzten sich die Westmächte unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika für einen Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik ein. Der Bundeskanzler hatte diese Frage seinerseits in einem Memorandum aufgeworfen, das den Außenministern der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs im August 1950 übermittelt wurde. In der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands war der Aufbau einer „volkspolizeilich" getarnten militärischen Kader-Organisation zu diesem Zeitpunkt bereits weit vorgeschritten. Aus dem Grundsatzbeschluß der Westmächte vom September 1950 über die aktive Einbeziehung der Bundesrepublik in das atlantische Sicherheitssystem erwuchs der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) vom Mai 1952. Die Auseinandersetzungen über dieses Projekt, dem der Deutsche Bundestag seine Zustimmung erteilt hatte, fanden ihr Ende durch die negative Entscheidung der französischen Nationalversammlung vom 30. August 1954. Obgleich der Gedanke einer überstaatlichen Lösung auf französische Initiative zurückging, hatte sich gezeigt — zuletzt auf der Brüsseler Konferenz vom August 1954 —, daß es nicht möglich sein würde, die Zustimmung Frankreichs zum EVG-Vertrag in seiner ursprünglichen Form zu erlangen. Die Bundesregierung hat bei der Begründung zum neuen Vertragswerk darauf hingewiesen, daß durch die Entscheidung der französischen Nationalversammlung eine ernste politische Krise herbeigeführt worden sei. In der schriftlichen Begründung der Bundesregierung, auf die insoweit Bezug genommen werden kann, ist dargelegt worden, wie es auf dem Wege über Initiativen des britischen und des amerikanischen Außenministers zur Londoner Konferenz kam, deren Ergebnisse in der Schlußakte vom 3. Oktober 1954 zusammengefaßt wurden. Vorbereitet durch Verhandlungen von Regierungsvertretern, fand dann die Pariser Außenministerkonferenz statt, die mit der Unterzeichnung des neuen Vertragswerks, darunter der hier zu erörternden Sicherheitsverträge, am 23. Oktober 1954 abgeschlossen wurde. Ergänzend wurde während der Ausschußberatungen klargestellt, auch das Auswärtige Amt habe sich seit dem Frühjahr 1954 (Brandt [Berlin]) mit der Erarbeitung von Ersatzlösungen an Stelle des EVG-Vertrages befaßt. Die Vorstellungen der britischen Regierung über eine Erweiterung und Neufassung des Brüsseler Vertrages sowie über die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO deckten sich weitgehend mit Überlegungen, die auf deutscher Seite angestellt worden waren. Eine dieser Überlegungen war, die neue Lösung müsse möglichst viel jener Sicherheitselemente enthalten, von denen man überzeugt war, daß sie durch die EVG geschaffen worden wären. Die neue Lösung sollte nicht weniger Beistandsverpflichtungen enthalten, als sie die alte Lösung enthalten hatte; sie sollte vor allem die automatische Beistandspflicht der europäischen Vertragspartner einschließlich Großbritanniens retten. Eine andere wichtige Überlegung ging dahin, daß die Entwicklung zur politischen „Integration", zum Zusammenschluß der westeuropäischen Staaten, nicht verbaut werden dürfte. Die EVG hatte ,die Lösung des westdeutschen Verteidigungsbeitrages gleichzeitig mit der politischen Integration des westlichen Europa lösen sollen. Die neuen Verträge gehen einen anderen Weg. Sie sollen jedoch den gleichen Zielen dienen. C. Unveränderte Zielsetzung Die Bundesregierung hat dargelegt, ihre außenpolitischen Aktionen seien an großen und unveränderlichen. Zielen zu messen. Diese Ziele seien durch die Worte Einheit, Freiheit, Sicherheit gekennzeichnet; es gelte, Bundesgenossen für die Verfolgung dieser Ziele zu gewinnen. Insbesondere wurde betont, die Bundesrepublik müsse aus ihrem — rechtlich gesehen noch immer bestehenden — Objektzustand befreit und zu einem Faktor des internationalen Geschehens gemacht werden. Dadurch werde sie auch in der Lage sein, im Ringen um die deutsche Einheit stärkeren Einfluß auszuüben. Ihre Beurteilung der internationalen Situation hat die Bundesregierung so zusammengefaßt, „daß die Bedrohung der Sicherheit der Bundesrepublik und der freien Welt überhaupt nicht geringer geworden ist trotz der Änderung der Taktik, die die sowjetrussische Politik seit dem Tode Stalins eingeschlagen hat." Obwohl nicht mit der akuten Gefahr eines sowjetischen Angriffs gerechnet werde, bedürfe es eines Ausbaues des westlichen Sicherheitssystems. Die Entwicklung der modernen Waffen ändere nichts daran, daß eine Verstärkung der westeuropäischen Verteidigung durch deutsche Streitkräfte dringend geboten sei. Bereits in der Berichterstattung zum EVG-Vertrag war betont worden, die Planungen der NATO gingen von der Voraussetzung aus, daß deutsche Truppen auf die eine oder andere Weise in das westliche Verteidigungssystem eingegliedert würden; vor allem mit Hinblick auf die Landstreitkräfte glaube man, eine effektive Verteidigungsposition im westlichen Europa ohne deutsche Streitkräfte nicht aufbauen zu können. Vor dem Ausschuß wurde mit Nachdruck betont, daß sich nach Meinung der Bundesregierung an diesen Voraussetzungen nichts geändert habe. Die Planung der NATO stehe und falle mit dem deutschen Verteidigungsbeitrag. Darüber hinaus bestehe die ernste Gefahr, daß die amerikanische Politik zum Nachteil Europas verändert werde oder sich gar von Europa abwende, wenn die Verteidigungsverträge und der deutsche Verteidigungsbeitrag nicht verwirklicht würden. Die Bundesregierung hat sich auch davon leiten lassen, daß es gelte, unter veränderten Bedingungen unvermindert für den westeuropäischen Zusammenschluß zu wirken. Sie hofft, daß es mit Hilfe eines solchen Zusammenschlusses und gestützt auf eine stärkere Einheitlichkeit und festere Verteidigung der westlichen Welt möglich wäre, nicht nur die Gefahr einer sowjetischen Aggression abzuwehren, sondern auch einer internationalen Entspannung den Weg zu ebnen und dabei das Problem der Wiedervereinigung Deutschlands seiner Lösung entgegenzuführen. Die Mehrheit des Ausschusses hat sich die Meinung zu eigen gemacht, daß es mit Hilfe der neuen Verträge möglich sein werde, diesen Zielen näherzukommen. Die Einwände der Minderheit haben sich u. a. auf die Frage bezogen, ob nicht das Streben nach internationaler Entspannung durch die militärische Eingliederung der beiden Teile Deutschlands in das jeweilige Pakt-System des Westens und des Ostens wesentlich erschwert würde und ob nicht durch die Eingliederung der Bundesrepublik in die NATO mögliche Chancen für die Wiedervereinigung verlorengehen könnten. Es ist auch bezweifelt worden, daß es zur Erhaltung und Festigung des westlichen Sicherheitssystems eines deutschen Verteidigungsbeitrages in der vorgesehenen Form bedürfe. Der Auswärtige Ausschuß hat — wie zuvor 'der Sicherheitsausschuß — einen Bericht über die strategische Lage, wie sie sachverständige Berater der Bundesregierung sehen, entgegengenommen. Die Voraussetzungen für die Notwendigkeit und die Form eines westdeutschen Verteidigungsbeitrages haben sich demnach nicht wesentlich geändert. Die Minderheit hielt jedoch an ihren Bedenken fest, daß a) die Entwicklung der Atomwaffen die bisherige strategische Planung habe veralten lassen, b) die Erklärungen über die NATO-Strategie nicht die Gewißheit geben, daß das westdeutsche Bundesgebiet wirksam geschützt werde, c) deutsche Streitkräfte gegenüber einem modern gerüsteten Gegner vermutlich ins Hintertreffen geraten würden und d) die erkennbaren Maßnahmen zum Schutze der Zivilbevölkerung für den Fall eines Krieges völlig unbefriedigend seien. Andererseits darf festgehalten werden, daß sich Mehrheit und Minderheit des Ausschusses — unbeschadet ihrer in vielem unterschiedlichen Beurteilung der Verträge und der auswärtigen Politik überhaupt — eine Reihe gemeinsamer Überzeugungen zu eigen machen: Beide Teile bekennen sich, in Übereinstimmung mit den wiederholten Beschlüssen des Bundestages, zur Wiedervereinigung als dem vordringlichen Ziel deutscher Politik. Beide Teile halten daran fest, daß die deutsche Politik von einem besonderen Interesse an der Erhaltung des Friedens geleitet sein muß. Beide Teile bejahen die Gemeinschaft des deutschen Volkes mit den freien Nationen der Welt und das Streben nach Einigung unter den europäischen Völkern. D. Wiederbewaffnung und Wiedervereinigung Durch eine Erklärung des Bundeskanzlers vom 3. Oktober 1954 hat sich die Bundesrepublik verpflichtet, die in Art. 2 der Charta der Vereinten Nationen enthaltenen Verpflichtungen zu übernehmen und insbesondere „die Wiedervereinigung Deutschlands oder die Änderung der gegenwärti- (Brandt [Berlin]) gen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland niemals mit gewaltsamen Mitteln herbeizuführen". Daraufhin haben sämtliche Mitgliedstaaten der NATO ihrerseits erklärt, daß sie — wie es die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Fran-reich zuvor getan hatten — die Bundesregierung als die einzige deutsche Regierung ansehen, die berechtigt ist, als Vertreter des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten zu sprechen, daß ein frei ausgehandelter Friedensvertrag mit Deutschland sowie die Herstellung eines freien und vereinigten Deutschland zu den grundlegenden Zielen ihrer Politik gehört und daß sie die Sicherheit und das Wohl Berlins als wesentliches Element einer freien Welt betrachten. Daraus ist im Verlauf der Ausschußberatungen gefolgert worden, mit Inkrafttreten des Vertragswerks würden alle NATO-Mächte zur Unterstützung der Politik der Wiedervereinigung völkerrechtlich verpflichtet. Dem ist von seiten der Minderheit entgegengehalten worden, die Erklärungen der drei Mächte bzw. der NATO-Staaten seien nicht konkret genug; sie seien nur von der einen Seite abgegebene Grundsatzerklärungen, und die Sonderlage Deutschlands als eines gespaltenen Staates werde durch die Verträge nicht berücksichtigt. Es wurde auch der Befürchtung Ausdruck gegeben, die Bezugnahme auf die „Grenzen der Bundesrepublik Deutschland" in der Erklärung des Bundeskanzlers könne als eine Anerkennung der Demarkationslinien als tatsächlicher Staatsgrenzen aufgefaßt werden. Abg. Dr. Arndt bemerkt im Minderheitsgutachten des Rechtsausschusses, es sei „rechtlich nicht greifbar, welche Pflichten die Vertragspartner hinsichtlich der Einheit Deutschlands übernehmen". Das erwähnte Gutachten hält auch die Frage für unbeantwortet, ob die Bundesrepublik im Falle der B) Wiedervereinigung zum Ausscheiden aus dem Nordatlantikvertrag berechtigt ist. Von Regierungsseite wurde betont, der Tatbestand der Wiedervereinigung würde völkerrechtlich zweifellos eine Überprüfung der Verträge rechtfertigen. Weiter wurde ausgeführt, die Verträge seien der besonderen Situation der Bundesrepublik durchaus angepaßt. Dafür sprächen u. a. das Bekenntnis der NATO-Mächte zur Wiedervereinigung, die Sicherheitsgarantie für Berlin und die Gewaltverzichtserklärung der Bundesrepublik. Das Verhältnis des Vertragswerks, vor allem seines militärischen Teils, zur Frage der deutschen Einheit hat den Ausschuß eingehend beschäftigt. Er hat dazu ein Referat des Abg. Dr. Lenz (Godesberg) und ein Korreferat des Abg. Wehner gehört. Vom Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen ist ihm ein ausführlicher schriftlicher Bericht unterbreitet worden. Es ist jedoch gerade auf diesem Gebiet nicht gelungen, zu einer einheitlichen Beurteilung zu gelangen. Während der Berichterstatter des federführenden Ausschusses zu den Sicherheitsverträgen, Abg. Fürst von Bismarck , sein die Annahme befürwortendes Votum einerseits damit begründete, daß mit dem Inkrafttreten der Pariser Verträge alle NATO-Mächte zur Unterstützung der 'deutschen Wiedervereinigungspolitik verpflichtet würden, andererseits mit dem Eindruck, der dadurch auf die Sowjetunion erzielt würde, führte Abg. Erler als Mitberichterstatter aus, er sehe zwar in den neuen Verträgen manche Fortschritte gegenüber der EVG, komme aber wegen der befürchteten Gefährdung der deutschen Einheit zu einem negativen Gesamtvotum. Im Verlauf dieser Erörterungen wurde auch auf die Erklärung von sowjetischer Seite hingewiesen, daß die Sowjetunion nach der Ratifizierung der Verträge Viermächteverhandlungen über die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands für gegenstandslos halte. Die Minderheit betonte in diesem Zusammenhang, ihrer Meinung nach sei es erforderlich, für Gesamtdeutschland einen militärischen Status anzustreben, der von beiden Seiten — den Westmächten und der Sowjetunion — akzeptiert werden könnte. Ein im Verhältnis zu den gegenwärtigen Militärpakten der westlichen und der , östlichen Seite nicht gebundenes Deutschland könne sehr wohl seinen Platz in einem System kollektiver Sicherheit finden. Es sei nicht zu erwarten, daß die Sowjets einer Wiedervereinigung Deutschlands zustimmen würden, bei der die bisher ihrer Kontrolle unterstehende Zone in die gegnerische Allianz „hineinvotiert" würde. Die vorgetragenen Argumente unterschieden sich nicht wesentlich von denen, die schon bei den Beratungen zum EVG-Vertrag im 1. Bundestag eine Rolle gespielt hatten. Die Bundesregierung und die Mehrheit der Ausschusses wiesen auch diesmal darauf hin, das Anstreben eines Status der Bündnislosigkeit sei ihrer Meinung nach mit der Gefahr verbunden, daß Deutschland die Freundschaft des Westens einbüße und in der weiteren Folge zu einem Opfer sowjetischer Expansion werde. Im übrigen sei keine automatische Verbindlichkeit der Verträge für Gesamtdeutschland vorgesehen. Auch die Sowjetunion werde erkennen müssen, daß die Bundesrepublik durch ihre Eingliederung in die Verträge nicht aggressiv werden könne; sie werde im Gegenteil in ein System der Rüstungsbeschränkung und Rüstungskontrolle einbezogen. Den Sowjets müsse auch ihrerseits daran liegen, den Westmächten gegenüber gewisse vertragliche Rechtstitel in der Deutschlandfrage zu behalten. Unbeschadet ihrer Drohungen würden sie zu Verhandlungen vermutlich dann bereit sein, wenn es ihnen aus eigenen Interessen zweckdienlich erscheine. Der Bundeskanzler erklärte, daß er nach der Ratifizierung der Verträge, ohne Voraussetzungen anderer Art, auf neue Viermächteverhandlungen über die Frage der deutschen Wiedervereinigung hinzuwirken und eine Verständigung über eine der allgemeinen Abrüstung zustrebende Regelung der europäischen Sicherheitsprobleme zu fördern beabsichtige; solche Verhandlungen erforderten allerdings eine sorgfältige diplomatische Vorbereitung. In diesem Zusammenhang wiederholte der Bundeskanzler die früher bekundete Bereitschaft, sich nach Inkrafttreten der Verträge um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion bemühen zu wollen. E. Umfang und Möglichkeiten des Brüsseler Vertrages Der im EVG-Vertrag unternommene Versuch einer einheitlichen Lösung politischer und militärischer Fragen ist gescheitert. Die gleichen Teilnehmerstaaten, einschließlich Großbritanniens, werden nach der neuen Lösung der Westeuropäischen Union (WEU) angehören. Eine wesentliche Aufgabe dürfte zunächst darin zu sehen sein, die Bundesrepublik unter gewissen Bedingungen, auf die vor allem die französische Regierung Wert legte, in den Nordatlantikvertrag (NATO) einzugliedern. Diesem Gesichtspunkt wird vor allem in (Brandt [Berlin]) den gegenüber der EVG zum Teil erheblich abgeschwächten Bestimmungen über die Beschränkung der Truppenstärken und der Rüstung Rechnung getragen. Der Brüsseler Vertrag des Jahres 1948 (Belgien, Frankreich, Großbritannien, Luxemburg, Niederlande) wird also zur Westeuropäischen Union umgestaltet. Die Bundesrepublik und Italien treten dem Vertrag bei, dem seine gegen Deutschland gerichtete Tendenz genommen wird. Hierzu wurde freilich schon 1952 im Zusammenhang mit der EVG seitens der Bundesregierung die Meinung vertreten, daß dieser Vertrag seine Spitze gegen Deutschland verloren habe. Zwischen den neuen sieben Vertragspartnern wird die automatische Beistandspflicht statuiert. Die als streng defensiv deklarierte Zielsetzung der WEU wird über die Verpflichtung zur kollektiven Selbstverteidigung hinaus — durch eine Neufassung der Präambel des Vertrages — dahin bestimmt, daß die Einheit Europas gefördert und seiner fortschreitenden Integrierung Antrieb gegeben werden soll. Nach Meinung der Bundesregierung ist damit im Ansatz eine weitere Entwicklung der europäischen Integration und die, wenn auch langsamere, Herbeiführung einer engeren politischen Einigung ermöglicht. Der aus Ministern der beteiligten Staaten bestehende Rat der WEU soll — anders als der nur konsultative Rat des alten Brüsseler Vertrages — mit echten Entscheidungsbefugnissen ausgestattet werden. Einstimmigkeit bleibt die Regel, aber gewisse Entschließungen des Rates, vor allem in Fragen der Rüstungskontrolle, werden mit Mehrheit gefaßt. Der Ministerrat kann auch — über das vorgesehene Amt für Rüstungskontrolle hinaus — nachgeordnete Stellen schaffen, die gegebenenfalls selbständige Befugnisse auszuüben vermögen. Durch das Saarabkommen entstehen für die WEU zusätzliche Aufgaben. Sie werden im Generalbericht zur Drucksache 1062 behandelt. Ein Ausbau der Organisation der WEU auf Grund der dem Rat übertragenen Organisationsgewalt steht offen. Es wird unterschiedlich beurteilt, wie stark man sich dieser Möglichkeit bedienen soll und ob es wünschenswert ist, daß die WEU ein stärkeres Eigenleben entwickelt. Dies könnte gewiß in Anlehnung an den in der Präambel bekundeten Vorsatz geschehen, die bereits zwischen den Teilnehmerstaaten bestehenden wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bindungen zu stärken. Die Bundesregierung hatte denn auch in ihrer Begründung zum Vertrag von einem „neuen Ausgangspunkt für eine intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit innerhalb des vergrößerten Brüsseler Rahmens" gesprochen. Es herrscht Klarheit darüber, daß die dem ursprünglichen Brüsseler Vertrag zugedachten militärischen Aufgaben rasch auf die NATO übergegangen sind. Mancher der übrigen Aufgaben, die sich die damaligen Partner des Brüsseler Vertrages gestellt hatten, haben sich andere Organisationen — wie der Europäische Wirtschaftsrat (OEEC), die Europäische Zahlungsunion und der Europarat — angenommen. Im Ausschuß ist einerseits die Meinung vertreten worden, man sollte deutscherseits bemüht sein, der WEU eine möglichst starke Ausgangsstellung zu geben; auf diesbezügliche Äußerungen des früheren französischen Ministerpräsidenten Mendès-France wie auch des britischen Außenministers wurde Bezug genommen. Andererseits ist ausgeführt worden, daß es nicht sinnvoll sein würde, die WEU auf solchen Gebieten auszubauen, auf denen umfassendere Organisationen um die Lösung gemeinsamer europäischer Aufgaben bemüht sind. Sonderanstrengungen der sieben Mächte auf nichtmilitärischen Gebieten sollten auf das notwendige Maß beschränkt bleiben, zu keiner „Sonderbündelei" führen und umfassenderen Regelungen nicht im Wege stehen. Vertreter der Bundesregierung pflichteten dieser Meinung bei. Als „eine Art parlamentarischer Körperschaft" ist eine Versammlung der WEU — bei der NATO gibt es ein entsprechendes Gremium nicht — vorgesehen. Sie soll aus den Vertretern der Brüsseler Vertragsmächte bei der Beratenden Versammlung des Europarats bestehen. Der Rat soll ihr jährlich über seine Tätigkeit, in erster Linie über die Rüstungskontrolle, Bericht erstatten. Direkte Entscheidungsbefugnisse sind ihr nach den getroffenen Vereinbarungen zunächst nicht verliehen. Die Bundesregierung berichtete, daß über die Stellung der Versammlung zwischen Regierungsvertretern der sieben Mächte verhandelt werde. Der WEU-Vertrag bestimmt, daß keine der Vertragsparteien in Zukunft ein Bündnis abschließen oder an einer Koalition teilnehmen wird, die sich gegen eine andere Vertragspartei richten könnte, und die Bundesregierung hat in ihrer schriftlichen Begründung darauf hingewiesen, daß diese Feststellung insbesondere auch für das deutsch-französische Verhältnis von Bedeutung sei. Im Ausschuß wurden jene Verträge zur Sprache gebracht, die noch aus der Zeit des zweiten Weltkriegs zwischen Frankreich und der Sowjetunion bzw. zwischen Großbritannien und der Sowjetunion bestehen, und es wurde der Meinung Ausdruck gegeben, daß solche Verträge gegen den Geist des neuen WEU-Vertrages verstoßen könnten. Die Vertreter der Bundesregierung erläuterten hierzu, die betreffenden Partner hätten durch den in Frage stehenden Artikel des Brüsseler Vertrages erklärt, ihre Verträge mit der Sowjetunion seien nicht so zu verstehen, daß sie gegen die WEU verstoßen. Zu einem anderen in der Debatte befindlichen Punkt war bereits in Paris protokollarisch festgehalten worden, die Bezeichnung Westeuropäische Union schließe in der weiteren Entwicklung keineswegs Länder aus, die im geographischen Sinne nicht zum westlichen Europa gehören. Diese Feststellung wurde durch die Bundesregierung unterstrichen. F. Internationaler Gerichtshof — Schiedsgerichtsbarkeit der WEU Im Vertragswerk ist festgelegt, daß sich die WEU zur Schlichtung von Streitigkeiten grundsätzlich der Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs (Haager Gerichtshof) bedient. Der Brüsseler Vertrag sieht jedoch auch die Errichtung eigener schiedsgerichtlicher Instanzen für Fälle vor, die — wie die Bundesregierung in ihrer schriftlichen Begründung ausführte — „ihrer Natur nach nicht geeignet sind, von einem Gerichtshof behandelt zu werden, der lediglich für völkerrechtliche Fälle geschaffen wurde". Die Bundesregierung hatte überdies ein Verfahren für die Regelung solcher Fälle angeregt, deren Behandlung vor dem Haager Gerichtshof schon deshalb unzweckmäßig ist, weil sie nicht völkerrechtlicher, sondern eher verwaltungsrechtlicher oder privatrechtlicher Natur sein (Brandt [Berlin]) werden. Dieser Vorschlag war von den Regierungen der anderen Unterzeichnerstaaten angenommen worden. Für die Bundesrepublik — wie für Italien — ergibt sich jedenfalls die Notwendigkeit, sich der Gerichtsbarkeit der Haager Cour zu unterwerfen; dies ist auch für solche Staaten möglich, die nicht Mitglied der Vereinten Nationen sind. Eine entsprechende Erklärung wird seitens der Bundesregierung abgegeben werden, wenn feststeht, daß der Bundestag das Vertragswerk billigt. Auf Wunsch einiger beteiligter Staaten, insbesondere Großbritanniens, hat die Regierung inoffiziell mitgeteilt, daß die Bundesrepublik bereit sei, sich der Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes zu unterwerfen. Hiervon ist dem Ausschuß Mitteilung gemacht worden. Er hat zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung gewisse Vorbehalte angemeldet hat: Die Bundesrepublik unterwirft sich der genannten Gerichtsbarkeit unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit. Im übrigen hat sich die Bundesregierung hinsichtlich einer besonderen Schiedsgerichtsbarkeit der WEU auf das oben Ausgeführte bezogen. Ein solches Verfahren ist bereits für den Fall vorgesehen, daß die Tätigkeit des Rüstungskontrollamtes Rechte der einzelnen verletzt. Nach Meinung der Bundesregierung wird zu prüfen sein, wieweit man darüber hinaus, etwa noch für die allgemeinen Fragen der Auslegung des Vertrages, ein internes westeuropäisches Verfahren vorsehen kann. G. Beitritt zur NATO 1952 war es nicht möglich gewesen, die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO durchzusetzen. In den damaligen Verträgen war nur eine mittelbare Eingliederung und eine begrenzte Mitwirkung vorgesehen. Durch das neue Vertragswerk wird die Bundesrepublik Vollmitglied der NATO. Der Sicherheitsausschuß weist in Abschnitt D VII seines Besonderen Berichts—über eine allgemeine Analyse des NATO-Beitritts hinaus — auf die Verpflichtungen besonderer Art hin, die sich hieraus für die Bundesrepublik ergeben. In einem besonderen Protokoll zum Pariser Vertragswerk sind die 14 Mitgliedstaaten des Nordatlantikvertrages aus dem Jahre 1949 bzw. 1951 (Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Portugal, USA, Griechenland, Türkei) übereingekommen, die Bundesrepublik zum Beitritt einzuladen. Wirksam wird dieser Beschluß erst, sobald sämtliche Staaten nach parlamentarischer Ratifizierung den USA die entsprechende endgültige Erklärung übergeben haben. Danach wird die Bundesrepublik, wenn sie ihrerseits die Ratifikationsurkunden für die Protokolle zum Brüsseler Vertrag und die Urkunden für das Abkommen über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik hinterlegt hat, eine Einladung der Vereinigten Staaten erhalten und daraufhin die Erklärung über den Beitritt zum Nordatlantikvertrag abgeben können. In den vorliegenden Begründungen wird auf die Feststellung Wert gelegt, daß auch für die NATO der ausschließliche Verteidigungscharakter maßgebend sei; wie die WEU beruft sich die NATO auf die Grundsätze der Vereinten Nationen. Auch der Nordatlantikvertrag sieht die Zusammenarbeit auf nichtmilitärischen Gebieten vor. Sein Schwergewicht liegt jedoch eindeutig auf dem Gebiet der t Bemühungen um die militärische Sicherheit. Durch den Beitritt entsteht für die Bundesrepublik eine — wenn auch nicht automatische — Beistandspflicht im Verhältnis zu den Vertragspartnern; das entspricht dem Atlantik-Protokoll des gescheiterten Vertragswerkes. Dadurch, daß die Besatzungsstreitkräfte in das zu verteidigende Gebiet einbezogen sind, war eine „passive" Beteiligung der Bundesrepublik an der NATO auch bisher schon gegeben. Im Ausschuß wurde festgestellt, daß die früher von den Westmächten ausgesprochene Verpflichtung, einen Angriff auf das westdeutsche Bundesgebiet oder auf Berlin als Angriff auf ihre eigenen Staaten zu werten, mit Inkrafttreten des neuen Vertragswerks nicht erlischt. Es bleibt bei der Bestimmung des Nordatlantikvertrages, daß auch die Streitkräfte Gegenstand der Beistandspflicht sind, auch sofern sie außerhalb des Heimatgebiets — beispielsweise in Berlin — stationiert sind. Die spezielle Garantie, die in dieser Hinsicht 1950 gegeben wurde, ist durch die neuen Verträge konsumiert. Die Erklärungen des Außenministers der Vereinigten Staaten, durch die er im Zusammenhang mit der Londoner Konferenz weiterhin einen angemessenen amerikanischen Beitrag zur Verteidigung Europas zusicherte, wurde nicht von allen Mitgliedern des Ausschusses für befriedigend gehalten. Es wurde jedoch beachtet, daß der Präsident der Vereinigten Staaten nur sich selbst binden kann, nicht seinen Nachfolger. Die Bundesrepublik wird, wenn das Vertragswerk in Kraft tritt, an allen Entscheidungen der Organisation des Nordatlantikvertrages direkt beteiligt sein, insbesondere auch an den Planungen im Rat, in dem sämtliche Vertragspartner vertreten sind. Hiermit entfallen Einwände, die bei der Erörterung des früheren Vertragswerks dagegen erhoben worden waren, daß die Bundesrepublik einer Organisation hätte Truppen zur Verfügung stellen sollen, auf deren Entschlüsse sie nur geringen Einfluß gehabt haben würde. Es ist allerdings darauf hingewiesen worden, daß die gegenwärtig aus den Stabschefs der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs bestehende sogenannte Ständige Gruppe (standing group) des Militärausschusses in Washington den maßgeblichen Einfluß auf die strategischen Entscheidungen ausübe. Im federführenden Ausschuß ist hierzu der gleichen Erwartung Ausdruck gegeben worden, die im Bericht des Sicherheitsausschusses ausgesprochen wird, „daß der Bundesrepublik mit Rücksicht auf die Besonderheit ihrer Aufgaben für die Verteidigung des Westens in Zukunft eine Vertretung in der Ständigen Gruppe eingeräumt wird". H. Die militärische Struktur der neuen Lösung Statt der ursprünglich geplanten europäischen Armee sieht der WEU-Vertrag eine Lösung vor, bei der die militärischen Befugnisse grundsätzlich, soweit nicht Ausnahmen vorgesehen sind, in der nationalen Zuständigkeit verbleiben. Der Sicherheitsausschuß hat im einzelnen dargelegt, welche praktischen Konsequenzen sich daraus ergeben. Die Bundesregierung hatte seinerzeit in ihrer Begründung zum EVG-Vertrag die Meinung vertreten, eine nationale Armee im traditionellen Sinne sei „weder politisch sinnvoll noch psychologisch tragbar"; die Bundesrepublik verfüge außerdem nicht (Brandt [Berlin]) über die wirtschaftliche Kraft, um eine eigene Armee mit ausreichender moderner Bewaffnung aufzustellen. Bei den damaligen Beratungen war darauf hingewiesen worden, daß die im EVG-Vertrag vorgesehene Struktur nicht die einzig mögliche Alternative zu den traditionellen Formen einer Nationalarmee sei; in der NATO sei beispielsweise auf höherer Ebene ein beträchtlicher Grad der „Integrierung" erreicht. Die neue Lösung entspricht dem Typus einer Koalitionsarmee, freilich mit starken Zügen der Integration, und zwar deswegen, weil im westeuropäischen Gebiet durch die NATO eine einheitliche und jedenfalls auf der höheren Ebene verschmolzene Militärorganisation besteht bzw. geschaffen wird. Gegenüber dem ursprünglichen Brüsseler Vertrag, der vor der Gründung der NATO zustande gekommen war, wird die enge Zusammenarbeit mit der NATO unter Vermeidung jeder Doppelarbeit im WEU-Vertrag ausdrücklich festgelegt. Von der Unterstellung unter die NATO sind allerdings solche Streitkräfte ausgenommen, die für die überseeischen Gebiete eines Mitgliedstaates vorgesehen sind, oder die nach Anerkennung durch die NATO unter nationalem Befehl verbleiben. Der Gedanke der Integration auf dem europäischen Festland wird durch den Beschluß des Atlantikrates zur Londoner Schlußakte konkretisiert. Das gilt sowohl in bezug auf die Streitkräfte — wobei die Regelung elastischer ist als im EVGVertrag — wie in bezug auf das Nachschubwesen und die Truppenverteilung im großen. Die Stationierung im einzelnen setzt im Gegensatz zur EVG die Zustimmung der einzelnen Mitgliedstaaten voraus. Das Kriterium der militärischen Schlagkraft soll dafür entscheidend sein, ob schon unterhalb der Armee-Ebene integriert wird. Dem Alliierten Oberbefehlshaber Europa (SACEUR), der erweiterte militärische Befugnisse erhält, werden die deutschen Armeekorps sämtlich unterstellt. Ihm ist auch aufgetragen, dafür zu sorgen, daß sich der deutsche Verteidigungsbeitrag innerhalb der festgesetzten Höchstgrenze hält. Im übrigen setzt die NATO im Rahmen einer Jahreserhebung die von ihr als erwünscht angesehenen Rüstungsstärken fest; diese Festsetzungen sind rechtlich nicht verbindlich, sie sind jedoch Empfehlungen von starkem politischen Gewicht. Für die Brüsseler Vertragsmächte dürfen die vereinbarten Gesamtstärken auch im Verfahren der NATO-Erhebung nur mit einstimmiger Zustimmung erhöht werden; jeder Mitgliedstaat verfügt also über ein Vetorecht. Im französischen Ratifizierungsgesetz ist festgelegt worden, daß die Regierung einer Erhöhung der deutschen Gesamtstärke nicht zustimmen darf, ohne den zuständigen parlamentarischen Ausschuß befragt zu haben. Hinsichtlich des territorialen Umfangs der einzugehenden Verpflichtungen wurde klargestellt: Die automatische Beistandspflicht, wie sie der WEU-Vertrag festlegt, bezieht sich auf den geographischen Begriff Europa. Der Ausschuß nahm zu Protokoll, daß die nordafrikanischen Provinzen Frankreichs, obgleich sie zum Mutterland gehören, nicht hierunter fallen. Die Beistandspflicht des Nordatlantikvertrages erstreckt sich auf a) Europa und Nordamerika, b) die algerischen Departements Frankreichs und die außereuropäische Türkei, c) die den Mitgliedstaaten zugehörigen Inseln im nordatlantischen Gebiet nördlich des Wendekreises des Krebses, d) Streitkräfte, Schiffe und Fahrzeuge der beteiligten Mächte, die sich — wie oben erwähnt — in dem durch den Vertrag gedeckten Gebiet befinden. Die militärische Integration, wie sie durch den NATO-Oberbefehlshaber Europa bewirkt wird, ererstreckt sich jedoch nicht auf Nordafrika und ist durch die Aufteilung in vier regionale Kommandobehörden gekennzeichnet. Wenn es bei der bisherigen Regelung bliebe, würde der größte Teil der Bundesrepublik zum Abschnitt Mitte, ein kleinerer Teil zum Abschnitt Nord gehören. Der Bericht des 6. Ausschusses führt dazu aus: „Da die Teilung eines einheitlichen Gebietes in verschiedene Abschnitte für seine Verteidigung nicht von Vorteil ist, ist es der Wunsch des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, daß die Bundesrepublik nach Beitritt zum Nordatlantikvertrag ihre Bemühungen dahin richtet, das gesamte Bundesgebiet einem einzigen Abschnittskommando zu unterstellen und die Abschnittsgrenzen dementsprechend zu ändern." Während der Ausschußberatungen wurde seitens der Bundesregierung klargestellt, nach den Verträgen bestehe eine Verpflichtung der Bundesrepublik, an der Verteidigung der freien Welt mitzuwirken, nur insoweit, als es sich um Staaten handelt, die durch die gegenseitigen Beistandsabreden gebunden sind. Es bestehe also keine Verpflichtung der Bundesrepublik, sich beispielsweise für die Verteidigung Spaniens oder Jugoslawiens zu engagieren. Das schließe nicht aus, daß man es im Falle eines Angriffs auf ein solches außerhalb der Verträge stehendes Land nach dem allgemeinen völkerrechtlichen Begriff der kollektiven Selbstverteidigung doch im gemeinsamen Interesse für notwendig erachte, für die Verteidigung dieses Landes einzustehen. Jedes Land ist völkerrechtlich berechtigt, ein anderes Land zu verteidigen, das Opfer eines rechtswidrigen Angriffs geworden ist; dieser Grundsatz des allgemeinen Völkerrechts hat in der Charta der Vereinten Nationen noch einmal seinen besonderen Ausdruck gefunden. In diesem Sinne wäre eine Beteiligung der Bundesrepublik an der Verteidigung auch eines außerhalb der Verträge stehenden Landes denkbar; eine Verpflichtung hierzu besteht jedoch nicht. Zu dem Begriff der „freien Welt", der in die übrigen Bündnisbestimmungen eingeordnet ist, war schon bei den Beratungen im Jahre 1952 die Frage aufgeworfen worden, ob es sich um die Freiheit im Sinne einer demokratischen Grundordnung oder nur um Freiheit von sowjetischer Herrschaft handele. Es war der Besorgnis Ausdruck gegeben worden, daß ausschließlich militärpolitische Erwägungen zu bedenklichen politischen Konsequenzen führen und die Bundesrepublik etwa durch eine Mitverantwortung für die Kolonialpolitik anderer Mächte belasten könnten. Andererseits, so wurde damals festgestellt, dürfte der Begriff der freien westlichen Welt nicht so ausgelegt werden, als ob er einen Gegensatz zu den Völkern Asiens enthielte. J. Begrenzung und Kontrolle der Rüstungen Durch die Protokolle Nr. II bis IV zum WEU-Vertrag werden die begrenzenden Elemente des frühe- (Brandt [Berlin]) ren EVG-Vertrages weitgehend wiederaufgenommen. Die der NATO unterstellten Streitkräfte der kontinentaleuropäischen Vertragsstaaten werden auf das für die EVG festgelegte Höchstmaß begrenzt. Darüber hinaus erfolgt eine Begrenzung der Gesamtstärke. Im gleichen Protokoll ist die britische Verpflichtung festgelegt, vier Divisionen und eine taktische Luftflotte auf dem Kontinent zu halten. Wie erwähnt, wird die Überwachung der Einhaltung der Höchstgrenzen der Truppenstärke, soweit die Truppen der NATO unterstellt sind, von dieser und nicht von der WEU durchgeführt. Die Waffenrüstung der Bundesrepublik wird — über die allgemeine Kontrolle hinaus — durch die Verzichterklärung der Bundesregierung begrenzt sein, einmal unabdingbar hinsichtlich der Herstellung atomarischer, biologischer und chemischer Waffen (ABC-Waffen), zum andern hinsichtlich der Herstellung weiterer schwerer Waffen (Großkriegsschiffe, Langstreckenbomber, ferngelenkte Geschosse); im letzteren Fall in gegenüber dem EVGVertrag abgeschwächter Form. Der Begriff der „strategisch gefährdeten Zone" taucht im neuen Vertragswerk nicht mehr auf. Die zivile Forschung und Produktion sollen nicht beeinträchtigt werden. Änderungen und Streichungen in der Liste, die die schweren Waffen enthält, auf deren Herstellung die Bundesrepublik verzichtet, können mit Zweidrittelmehrheit durch den WEU-Rat beschlossen werden. Die Möglichkeit zur Entgegennahme von off-shore-Aufträgen ist gegeben. Nach dem EVG-Vertrag waren Rüstungen verboten, soweit sie nicht ausdrücklich erlaubt waren. Nach dem WEU-Vertrag sind sie grundsätzlich erlaubt, soweit nicht ein ausdrückliches Verbot vorliegt. Die Höhe der Bestände an ABC-Waffen auf dem Kontinent wird durch Mehrheitsbeschluß festgelegt. Das Verzeichnis der der Kontrolle unterliegenden Rüstungstypen ist neu zusammengestellt worden; Änderungen erfordern Einstimmigkeit. Das Rüstungskontrollamt der WEU übt eine Bestands-, nicht eine Herstellungskontrolle aus. Einblick in Herstellungsverfahren braucht ihm nicht gegeben zu werden. Möglichkeiten der Industriespionage sollen ausgeschaltet werden. Das Amt ist auf die Kontrollfunktion beschränkt. Maßnahmen auf Grund des Ergebnisses der Kontrollen kann nur der Rat ergreifen. In diesem Zusammenhang ist darauf hingewiesen worden, daß diese elastische Form der Kontrolle, von der es heißt, sie sei „im Geist einer harmonischen Zusammenarbeit" auszuführen, sicherlich manchen Bedenken Rechnung trägt, die gegen eine straffere Regelung vorgebracht werden können. Es wurde jedoch zu bedenken gegeben, daß das für die WEU vorgesehene Verfahren einem System kollektiver Sicherheit kaum als Modell dienen könne; eine Überwachung der Herstellung von Atomwaffen auf größeren Gebieten als dem der westdeutschen Bundesrepublik werde auf diese Weise nicht möglich sein. Der Berichterstatter verweist im übrigen auf den Besonderen Bericht des Sicherheitsausschusses unter C III und IV. Der Ausschuß für Wirtschaftspolitik hat sich ,gleichfalls mit den Fragen der Rüstungskontrolle befaßt und nach Prüfung der Vertragstexte festgestellt: „a) Der Ausschuß trug trotz der begrüßenswerten Fortschritte gegenüber Art. 107 des EVGVertrages Bedenken dahingehend vor, daß die Einrichtung des Amtes für Rüstungskontrolle geeignet sei, Industriespionage in den Mitgliedländern zu treiben. Diesem Einwand wurde seitens der Regierungsvertreter unter Hinweis auf Art. 10 des Protokolls Nr. IV und die Präambeln zu den Anlagen II und III des Protokolls Nr. III begegnet. Danach darf sich das Amt nur mit dem Ausstoß an Fertigfabrikaten und Bestandteilen der in den Anlagen II, III und IV zu Protokoll Nr. III genannten Gegenstände befassen und nicht mit dem Herstellungsverfahren. Außerdem soll die mengenmäßige Lagerkontrolle bei den Fertigungsbetrieben nicht in deren Fertigungsabteilungen, sondern in ihren Depots und in den militärischen Arsenalen durchgeführt werden (vgl. Protokoll Nr. IV Art. 7 Abs. 2 Buchstabe b). Die an dieser Stelle und in Art. 12 des Protokolls Nr. IV erwähnten Stichproben, Besichtigungen und Inspektionen in den Anlagen (Fertigungsabteilungen) beziehen sich nur auf die Kontrolle der Einhaltung der Herstellungsverzichte, nicht aber auf die mengenmäßigen Lagerkontrollen für die im Protokoll Nr. III Anlage IV aufgeführten Gegenstände. Die Präambeln zu den Anlagen II und III des Protokolls sollen sicherstellen, daß Einrichtungen, Geräte und Substanzen für zivile Zwecke nicht von der Kontrolle des Amtes erfaßt werden. Im übrigen wird es auf die noch zu vereinbarende Geschäftsordnung des Amtes ankommen, inwieweit der Werkspionage vorgebeugt werden kann. Eine private widerrechtliche Ausnutzung der im Dienst erworbenen Kenntnisse der Angestellten des Amtes ist nach der Auffassung der Regierungsvertreter gemäß Art. 6 des Protokolls Nr. IV unterbunden worden. b) Im Anschluß hieran nahm der Ausschuß Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers zu den Pariser Verhandlungen über einen Rüstungspool entgegen. Eine Präjudizierung durch die am 17. Januar 1955 in Paris begonnenen Sachverständigen-Besprechungen ist entgegen der Ansicht einer Minderheit im Ausschuß nicht zu befürchten, da die Bundesregierung dargetan hat, daß die Entschließung über Rüstungsproduktion und -standardisierung der Neunmächte-Konferenz am 21. Oktober 1954 nicht zu den ratifizierungsbedürftigen Anlagen des vorliegenden Gesetzes gehört. (Vgl. Art. 1 des Gesetzes, nach dem nur die am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichneten Protokolle und Anlagen zu ratifizieren sind.)" K. Verpflichtung zu Wiederbewaffnung? Vor dem Ausschuß wurde darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik nach dem EVG-Vertrag nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet war, 12 Divisionen zu stellen. Im WEU-Vertrag ist eine obere Grenze gesetzt, die die Bundesrepublik nicht überschreiten darf. Das sei gewissermaßen der grundsätzliche Rahmen, während das Maß des deutschen Beitrags durch das vorliegende Vertragswerk rechtlich nicht fixiert sei. Daraus ergab sich die Frage, ob für die Bundesrepublik eine Verpflichtung bestehe, die vorgesehenen 12 Divisionen zu stellen. Es wurde darauf hingewiesen, daß der Nordatlantikvertrag die militärische Hilfeleistung im Falle eines Angriffs nur als eine von mehreren Möglichkeiten der Beistandsleistung vorsieht und in das Ermessen des einzelnen Staates stellt. Nach dem Wortlaut des Vertrages sind die Mitglieder — wie es in der Begründung der Bundesregierung (Brandt [Berlin]) heißt — „nicht verpflichtet, mit militärischen Mitteln Beistand zu leisten, vielmehr steht es ihnen frei, ob sie ihre Beistandspflicht mit diesen oder mit sonstigen Mitteln erfüllen wollen". Was der einzelne Vertragspartner des Nordatlantikvertrages zu stellen hat, wird durch die vorerwähnte jährliche Empfehlung des NATO-Rates, der die Mindestleistung bestimmt, festgelegt. Diese Empfehlung setzt Einstimmigkeit voraus, d. h. daß auch im deutschen Fall die Zustimmung der Bundesrepublik erforderlich wäre und zumindest theoretisch die Möglichkeit bestünde, die Verpflichtung der Bundesrepublik auf eine geringere Zahl von Streitkräften zu begrenzen. Da die Bundesregierung dem Bundestag verantwortlich ist und da der Bundestag in der Feststellung des Haushalts die Mittel für eine geringere Zahl von Streitkräften bewilligen kann, sei, so wurde argumentiert, durchaus offen, wie hoch der Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik sein werde. In gleichem Zusammenhang wurde auch erörtert, welche rechtlichen und politischen Folgen eintreten würden, wenn sich die Bundesrepublik entschlösse, keine bewaffneten Streitkräfte aufzustellen oder sie später wieder aufzulösen. Von seiten der Bundesregierung wurde geantwortet: Man müsse davon ausgehen, daß die Beistandspflicht des NATO-Vertrages, vor allem aber des WEU-Vertrages, die Rechtspflicht zur Aufstellung von Streitkräften einschließe. Die Bundesrepublik müsse „nach Treu und Glauben", entsprechend dem Maß ihrer Kräfte, grundsätzlich im gleichen Umfang wie die in vergleichbarer Lage befindlichen anderen Teilnehmerstaaten, zur Hilfeleistung mit militärischen Machtmitteln imstande sein. Rechtlich ergebe sich die Pflicht insbesondere aus der automatischen militärischen Hilfeleistung, wie sie der WEU-Vertrag vorsieht, aber auch die formal einer freien Entscheidung vorbehaltene Hilfeleistung nach dem NATO-Vertrag unterliege einem gewissen Automatismus. Wenn man sich dort mit einer allgemein gehaltenen Zusage der Hilfeleistung begnüge, so sei das im wesentlichen durch das Verfassungsrecht der Vereinigten Staaten bedingt. Die politische und organisatorische Entwicklung lasse ein gemeinsames militärisches Auftreten der NATO-Mächte im Falle eines Angriffs vermuten. Der Sicherheitsausschuß kommt auch zu der Feststellung, daß politisch ein Unterschied zwischen der Wirkung der beiden Verträge im Augenblick kaum bestehen dürfte. Seiner Meinung nach „wäre der Gedanke sinnwidrig, die Bundesrepublik sei bei Ratifizierung des Vertragswerkes im Hinblick auf die vorerwähnte derzeitige formale Lücke im Vertragstext in der Lage, auf die Aufstellung von Streitkräften überhaupt zu verzichten". Nichtsdestoweniger ist vor dem federführenden Ausschuß festgehalten worden, daß der Bundestag in bezug auf die Bestimmung des konkreten Maßes des deutschen Beitrags das letzte und entscheidende Wort habe, und es ist von seiten der Bundesregierung vorausgesetzt worden, daß dabei politische Erwägungen eine Rolle spielen werden. Eine Herabsetzung der deutschen Leistungen, die hinter dem üblicherweise Zumutbaren offensichtlich zurückbleiben würde, könnte freilich auf den Willen der anderen Vertragsstaaten, ihrerseits die Verteidigung Deutschlands wirksam zu übernehmen, beträchtlichen Einfluß haben. L. Weitere verfassungsrechtliche und rechtspolitische Gesichtspunkte Der Berichterstatter verweist auf die durch die Abg. Dr. W a hl und Dr. Arndt erstatteten Gutachten der Mehrheit und der Minderheit des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht. Das Mehrheitsgutachten vertritt die Meinung, Zweifel über die verfassungsmäßige Vereinbarkeit der Zustimmungsgesetze zum vorliegenden Vertragswerk seien durch die Änderung des Grundgesetzes ausgeräumt. Während der Beratungen des federführenden Ausschusses wurde, wie auch von den Berichterstattern des Rechtsausschusses erörtert, die Frage aufgeworfen, wie die Bundesregierung das Recht der Kriegserklärung zu klären gedenke. Vertreter der Regierung legten dar, diese Frage sei dem Staatsrecht vorbehalten, und es werde erwogen, welche Ergänzungen des Grundgesetzes und welche Akte der Gesetzgebung nach der Ratifizierung und nach näherer Prüfung erforderlich seien, um das Vertragswerk durchführen zu können. Es wurde festgestellt, daß ein Junktim zwischen dem Deutschlandvertrag und dem Verteidigungsbeitrag technisch und rechtlich nicht mehr bestehe. Wenn man aber den politischen Gehalt der beiden Vertragskomplexe betrachte, so erkenne man, daß ein politischer, sachlicher und praktischer Zusammenhang zwischen den beiden Komplexen weitgehend aufrechterhalten ist. WEU und NATO sind, wie die Texte ausweisen, auch rechtlich miteinander verzahnt; der Beitritt der Bundesrepublik zur WEU ist erst mit dem Beitritt zur NATO geregelt. Aber auch für den Zusammenhang zwischen den übrigen Verträgen ist durch die Pariser Vereinbarungen ein tatsächliches Junktim hergestellt worden. In der Entschließung des Nordatlantikrates heißt es beispielsweise, der Rat erkenne an, daß alle Vereinbarungen, die sich aus der Londoner Konferenz ergeben, Teile einer allgemeinen Regelung bilden; sie gingen unmittelbar oder mittelbar alle NATO-Mächte an und würden daher dem Rat zur Kenntnisnahme und zur Beschlußfassung vorgelegt. Das Junktim bezieht sich allerdings nicht auf das Abkommen über das Statut der Saar. Die Erkenntnis von der Einheitlichkeit des gesamten Vertragswerks hat bei der Abgabe der Voten im Ausschuß eine Rolle gespielt. Von seiten der Bundesregierung wurde auf Befragen darauf hingewiesen, der Deutschlandvertrag könne an sich auch in Kraft treten, ohne daß gleichzeitig die Abmachungen über den Verteidigungsbeitrag in Kraft gesetzt würden. Die tatsächliche Entwicklung im politischen Raum, wurde hinzugefügt, mache es freilich überaus unwahrscheinlich, daß dieser Fall eintreten könne. Das gilt insbesondere, nachdem die französische Regierung durch ein inneres Junktim gebunden ist, nämlich durch das „Amendement Palewski", das bei der Ratifizierungsdebatte der französischen Nationalversammlung angenommen wurde. In Anknüpfung an Art. 10 des Deutschlandvertrages wurden Betrachtungen wegen einer Revisionsmöglichkeit des WEU- und des NATO-Vertrages angestellt: Der NATO-Vertrag sieht eine Revisionsklausel vor, die nach zehnjähriger Dauer des Vertrages, also vom 4. April 1959 an, wirksam wird, wenn ein Staat einen entsprechenden Antrag stellt; im übrigen gilt der Pakt auf zwanzig Jahre. Der Vertrag über die WEU enthält eine derartige Klausel nicht. Hier ist nur jeder Staat nach Ablauf (Brandt [Berlin]) eines Zeitraums von fünfzig Jahren zum Austritt berechtigt. Über diese Bestimmungen hinaus gelte jedoch, so legten die Vertreter der Regierung dar, bei allen Verträgen der völkerrechtliche Grundsatz, der bei einer wesentlichen Veränderung der tatsächlichen Gegebenheiten zu einer Überprüfung der getroffenen Vereinbarungen berechtigt. Das Minderheitsgutachten des Rechtsausschusses bestreitet diese Rechtsauffassung. Auf die grundsätzliche Frage, ob eine Anwendung der Revisionsklausel des Deutschlandvertrages irgendeine Rückwirkung auf die Rechtskraft der Verträge über die WEU oder die NATO haben würde, wurde seitens der Regierungsvertreter geantwortet: Ohne Kenntnis weiterer Einzelheiten der Lage, die sich im Augenblick einer solchen Revision des Deutschlandvertrages vorfinden würde, lasse sich nicht sagen, ob eine Anpassung oder Abänderung der genannten Verträge dann gefordert werden könne. M. Wirtschaftspolitische Gesichtspunkte Im federführenden Ausschuß wurde u. a. die Frage erörtert, ob die vorgesehenen Methoden der Rüstungskontrolle von einer einseitigen, diskriminierenden Wirkung auf die deutsche Wirtschaft sein könnten. Die Frage wurde verneint. Der Ausschuß nahm außerdem Informationen über die Verhandlungen über eine Rüstungsgemeinschaft und über die dazu von französischer Seite unterbreiteten Vorschläge entgegen. Von seiten der Bundesregierung wurde die Bereitschaft zur Zusammenarbeit auch auf diesem Gebiet betont, jedoch 31 nicht in der Form eines mechanischen Zwangs. Die Regierung ist überzeugt, zu einer Regelung gelangen zu können, die neben den gemeinsamen Interessen der WEU-Staaten auch den berechtigten Interessen der einzelnen Volkswirtschaften Rechnung trägt. Zu den möglichen Auswirkungen der Rüstungskontrolle auf die deutsche Wirtschaft wird auf die unter J dieses Berichts wiedergegebenen Erwägungen des Wirtschaftspolitischen Ausschusses verwiesen, außerdem auf den Besonderen Bericht des Sicherheits-Ausschusses unter D V. Letzterem Bericht sind „Leitsätze" für die Zusammenarbeit zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Verteidigungsressort beigefügt. Der Ausschuß für Wirtschaftspolitik hat dem federführenden Ausschuß einen Beschluß unterbreitet, in dem es heißt, „daß die Durchführung der Verträge ohne eine den sozialen Fortschritt hemmende Belastung des Güter- und Arbeitsmarktes und ohne eine Störung des Wirtschaftsablaufs sichergestellt werden kann". Der Ausschuß habe anerkannt, daß „der Vertrag über den Beitritt der Bundesrepublik zur Westeuropäischen Gemeinschaft und zum Nordatlantikvertrag bei der Aufstellung der deutschen Truppen und deren Ausrüstung die eigene Verantwortlichkeit wahrt und daß der Erlaß der hierzu erforderlichen Gesetze allein in deutscher Zuständigkeit liegt". In einem durch Abg. Dr. Löhr unterbreiteten Bericht des gleichen Ausschusses wird im einzelnen zu Problemen des Beschaffungswesens und der Arbeitsmarktentwicklung Stellung genommen. Zum ersteren wird darauf Bezug genommen, daß das Beschaffungswesen nach den Pariser Verträgen eine nationale Angelegenheit geblieben sei. Der Ausschuß führt im einzelnen aus: a) Dem für die Rüstungszwecke notwendigen Finanzbedarf stellt der Bundeswirtschaftsminister die Entwicklung des Sozialprodukts gegenüber. Er verweist auf das im Jahre 1954 auf 145 Milliarden DM angestiegene deutsche Sozialprodukt, dem im ersten Jahre nach Inkrafttreten der Pariser Verträge ein Rüstungsaufwand von 9 Milliarden DM gegenüberstehe. Die Bundesregierung sei bestrebt, den Rüstungsbedarf mit den Mitteln der sozialen Marktwirtschaft zu decken. Dieses bedeute, daß der rüstungswirtschaftliche Bedarf kein Fremdkörper in der deutschen Volkswirtschaft sein dürfe, so daß durch die Deckung des rüstungswirtschaftlichen Bedarfs der Lebensstandard der Bevölkerung nicht absinken werde. b) Die Vertreter der Opposition vermochten sich diesen Ausführungen nicht anzuschließen. Eine Minderheit des Ausschusses begehrte Näheres über den Finanzbedarf für die Rüstung für die nächsten Jahre zu erfahren. Von Seiten der Bundesregierung wurde diesem Wunsch mit dem Hinweis darauf begegnet, daß sich der finanzielle Aufwand auf Grund von einstimmig zu fassenden NATO-Empfehlungen gestalten würde, die die angestrebte Schlagkraft der Truppe in Verbindung mit ihrer Ausrüstung zum Gegenstand habe. Bei diesen Empfehlungen würde das für jeden Mitgliedstaat „zumutbare Maß" am Sozialprodukt dieses Staates gemessen. Selbst wenn aber diese Empfehlungen über das für einen Mitgliedstaat erträgliche Maß hinausgehen sollten, so wäre dieser nicht verpflichtet, die Mittel in der empfohlenen Höhe bereitzustellen, wenn die gesetzgebenden Körperschaften ihr Einverständnis hierzu nicht gäben. c) Eine Minderheit des Ausschusses trug darüber hinaus Bedenken vor, ob die Deckung des Rüstungsbedarfs unter Anwendung der Regeln des freien Wettbewerbs tatsächlich zufriedenstellend und ohne Schädigung des zivilen und sonstigen Bedarfs erfolgen könne. Demgegenüber wurde von Seiten der Bundesregierung angedeutet, daß in Fortführung der Liberalisierungs- und der Zollpolitik weitere geeignete Maßnahmen getroffen werden könnten. In diesem Zusammenhang stellte der Bundeswirtschaftsminister für die wirkungsvolle Handhabung der Zölle erforderlichenfalls einen besonderen Antrag in Aussicht. d) Für die Errichtung und schlagkräftige Arbeitsweise einer Beschaffungsorganisation wurde von seiten der Bundesregierung auf die Leitsätze vom 2. November 1954 verwiesen, die für die Zusammenarbeit zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Verteidigungsressort — unbeschadet der Zuständigkeit anderer Ressorts — vereinbart wurden. Nach den Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers erheben die Leitsätze keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie bedürfen der Ergänzung insbesondere im Hinblick auf die Erstellung von Verfahrensrichtlinien. Eine eingehende Diskussion der Leitsätze fand nicht statt. Der Ausschuß wird sie in Verbindung mit dem Wirtschaftssicherungsgesetz eingehender beraten. (Brandt [Berlin]) Zur Arbeitsmarktentwicklung heißt es, die Bundesregierung habe auf die Tatsache hingewiesen, daß einer relativ großen Zunahme der Beschäftigtenzahl eine verhältnismäßig geringe Abnahme der Arbeitslosenziffer gegenübersteht, und daß somit der Kreis der Menschen, der zum Arbeitsmarkt drängt, wesentlich größer ist, als das bei der Verringerung der Arbeitslosenziffer sichtbar wird. Für diese Erscheinung sei ursächlich, daß in den letzten Jahren die wesentlich stärkeren Geburtenjahrgänge in das Wirtschaftsleben getreten seien und daß der Kreis der Menschen, die, ohne ihre Arbeitskraft anzubieten, leben, ständig abnehme. Schließlich vergrößere sich laufend der Prozentsatz der arbeitenden Frauen. Die Arbeitslosenziffer betrage zur Zeit im Jahresdurchschnitt 1,2 Mio, worin mindestens eine weitere Reserve von 600 000 arbeitsfähigen Menschen enthalten sei. Der Ausschuß trägt Bedenken dahingehend vor, daß die künftigen Jahrgänge der Schulentlassenen wesentlich schwächer seien als die Jahrgänge in der heutigen Zeit, daß der Andrang weiblicher Arbeitskräfte einmal seine Grenze erreiche und daß schließlich eine auf technischem Gebiet gut ausgerüstete Streitmacht mindestens zu 35 v. H. aus Facharbeitern rekrutiert werden müßte. Erschwerend wirkt sich hierbei aus, daß auch an die zahlreichen Arbeitskräfte, die zur Erhaltung der Schlagkraft der Truppen eingesetzt und daher ebenfalls der Wirtschaft entzogen werden, besondere berufliche Anforderungen zu stellen sind. Demgegenüber weist der Bundesarbeitsminister auf den fortschreitenden Rationalisierungsprozeß in der gesamten Wirtschaft hin, der auch menschliche Arbeitskräfte freimache. Weitere Arbeitskräfte seien aus der werteschaffenden Arbeitslosenfürsorge, deren Zubringerbetrieben, den Dienstgruppen und dem sonstigen Personal der Besatzungsmächte zu aktivieren. Durch eine geschickte Finanzierungspolitik lasse sich auch die Bausaison nicht unbeträchtlich verlängern, so daß auch dem in etwa zu erwartenden Mangel an Baufacharbeitern die größte Wirkung genommen werden kann. Diese Auffassung wird sowohl von den maßgeblichen Vertretern der Bauwirtschaft als auch der Gewerkschaft gestützt. Der Regierungsvertreter widersprach der Befürchtung des Ausschusses, daß der Wohnungsbau oder die Bauvorhaben der öffentlichen Hand von dem Mangel an Bauarbeitern berührt werden. Zur Koordinierung der verschiedenen Bauprogramme sei ein interministerieller Ausschuß vorgesehen, in dem alle auf dem Bausektor als Bedarfsträger auftretenden Ressorts vertreten sein sollen. Dieser Ausschuß hat die Aufgabe, die Bauvorhaben von der Programmseite her abzustimmen. N. Finanzielle und haushaltsmäßige Gesichtspunkte Der Berichterstatter verweist hierbei zunächst auf den Besonderen Bericht des Sicherheitsausschusses unter D V „Versorgung". Darin heißt es, es sei offensichtlich, „daß die Ansätze im Haushalt der Bundesrepublik nicht ausreichen, um den einmaligen Aufwand für die Aufstellung der vorgesehenen deutschen Streitkräfte zu decken". Nicht zuletzt werde es vom Umfang der Außenhilfe abhängen, ob der vorgesehene Zeitplan für die Aufstellung westdeutscher Streitkräfte eingehalten werden kann, wenn eine übermäßige Inanspruchnahme der deutschen Leistungskraft vermieden werden soll. Der Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit gibt in Übereinstimmung mit dem federführenden Ausschuß der Erwartung Ausdruck, „daß die Bundesregierung im Atlantikvertrag keinerlei Empfehlungen über materielle oder finanzielle Leistungen der Bundesrepublik zustimmt, bevor sie die zuständigen Ausschüsse des Bundestages gehört hat". Der Haushaltsausschuß hat durch Abg. Dr. Vogel einen Mehrheitsbericht unterbreiten lassen, in dem die künftigen finanziellen Belastungen durch den Verteidigungsbeitrag erörtert werden: Angesichts der Tatsache, daß das Programm für die Ausstattung der Verbände und die Eigenproduktion an Gerät noch nicht ausgearbeitet sei, könne das Bundesfinanzministerium die volle Höhe der Kosten der Wiederaufrüstung noch nicht beziffern. Gesamtkosten könnten deshalb nicht genannt werden, weil das Materialprogramm Millionen von Einzelposten umfaßt. Es sei auch noch nicht über die Ausstattung der einzelnen Divisionen und über die Frage entschieden, welches Gerät bei uns produziert und welches vom Ausland bezogen wird. Man gehe davon aus, daß die Vereinigten Staaten bei der Erstausstattung die Hauptkosten tragen werden. Zu festen finanziellen Leistungen habe sich die Bundesregierung in London nicht verpflichtet. Die andere Seite erwarte von uns aus einem wachsenden deutschen Sozialprodukt entsprechend wachsende Leistungen. Die Bundesrepublik bleibe jedoch Herr der Entscheidung, die andere Seite könne ihr nichts vorschreiben. In bezug auf die laufenden Kosten sei die Bundesregierung der Überzeugung — heißt es weiter im Bericht des Haushaltsausschusses —, sie könnten von einem wachsenden deutschen Sozialprodukt getragen werden. Führe das vorgesehene Dreijahresprogramm für die Aufstellung der Streitkräfte zu einer Überforderung unserer finanziellen und wirtschaftlichen Leistungskraft, dann werde man mehr Zeit brauchen: „Eine Gesamtkostenziffer kann nicht etwa deswegen nicht genannt werden, weil man einen zu hohen Betrag fürchtet, sondern weil infolge der vorgetragenen Einzelheiten noch keine sichere Kalkulationsbasis vorliegt. Man hat bis jetzt von keiner Seite, auch nicht von seiten der Dienststelle Blank, verbindlich Ziffern wie 60 Milliarden DM in drei Jahren nennen hören. Für das Haushaltsjahr 1955 hat die Bundesregierung über den Betrag von 9 Milliarden DM hinaus keine neuen Mittel angefordert. Da sie nach ihren Angaben keine bindenden Verpflichtungen für kommende Haushaltsjahre eingegangen ist, die das Bewilligungsrecht des Parlamentes einschränken würden, liegen Verteidigungsausgaben der folgenden Haushalte im Ermessen des Parlaments." Die Minderheit des Haushaltsausschusses hat demgegenüber durch Abg. Ritzel ausführen lassen, sie befürchte, daß das Gleichgewicht des Bundeshaushaltes durch von der Bundesregierung nicht genannte tatsächliche Belastungen erschüttert werde. Sie befürchte welter, daß diese Belastung auf die Dauer in einem krassen Mißverhältnis zum Nationaleinkommen stehe. Die Bundesregierung habe über den Aufbau der deutschen Streitkräfte verbindliche Angaben nicht gemacht. Nach Aussagen sachverständiger Militärs und auf Grund ernsthafter Pressemeldungen bestehe für die Minderheit kein Zweifel darüber, daß die Kosten für den Aufbau von 12 deutschen Divisionen in der vorgesehenen Dreijahresperiode mindestens 60 Mil- (Brandt [Berlin]) liarden DM betragen werden. Hinzu kämen die Ausgaben für zivilen Luftschutz, die auf mindestens 12 Milliarden DM geschätzt würden: Eine solche Belastung kann nach Auffassung der Minderheit auch aus einem wachsenden Sozialprodukt nicht aufgebracht werden. Es ist zu befürchten, daß eine zum Teil sogar erkennbar gewollte Einschränkung der deutschen Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt die unabwendbare Folge sein wird. Das innenpolitische Ergebnis sieht die Minderheit in einer Gefährdung der Währung und in einer Bedrohung des Sozialetats. O. Verteidigungsbeitrag und Truppenstationierung Zu der Problematik, die sich aus dem deutschen Beitritt zur WEU und NATO einerseits und der Anwesenheit von Streitkräften der WEU- und NATO-Mächte auf deutschem Boden andererseits ergibt, wird auf den Bericht zum Stationierungsvertrag verwiesen. Als ein Sonderthema wurde während der Ausschußberatungen die Frage aufgeworfen, ob sich aus der Ausrüstung der Stationierungstruppen mit taktischen Atomwaffen zusätzliche Gefahren für die Bundesrepublik ergeben können. In diesem Zusammenhang wurde auch erörtert, was für den Fall einer Auseinandersetzung mit Atomwaffen zum Schutz der Zivilbevölkerung getan werden kann, Der Vertreter der Bundesregierung betonte, daß der Regierung bekannt sei, in welchem Umfang die Truppen der derzeitigen Besatzungsmächte mit atomarischen Waffen ausgerüstet sind; vor der ersten Zuführung solcher Waffen sei die Bundesregierung konsultiert worden. Es wurde weiter festgestellt, daß nach Inkrafttreten der Verträge nicht die Möglichkeit bestehen wird, taktische Atomwaffen oder andere Atomwaffen ohne Einverständnis der Bundesregierung auf dem Gebiet der Bundesrepublik zu stationieren. Die Regierung sei nicht der Meinung, so wurde ausgeführt, daß sich aus der Ausrüstung der bei uns stationierten ausländischen Truppen mit Atomwaffen zusätzliche Gefahren ergeben. Sie sehe hierin vielmehr eine Verstärkung der Abwehrkraft. Was den Schutz der Zivilbevölkerung angehe, so sei die Bundesregierung bereits seit einigen Monaten an den Arbeiten jenes Ausschusses der NATO beteiligt; der mit der Bearbeitung dieses Problems befaßt ist. Im Ausschuß herrschte Einverständnis darüber, daß im Falle eines militärischen Konflikts über den Einsatz atomarischer Waffen nicht allein unter militärischen Gesichtspunkten und durch militärische Befehlsorgane entschieden werden dürfte, sondern daß die Entscheidung bei den verantwortlichen politischen Organen liegen müsse. Hierzu wurde — in Übereinstimmung mit Ausführungen Sir Anthony Edens vor dem britischen Unterhaus — mitgeteilt, im Rahmen der NATO werde die Entscheidung hierüber nicht beim militärischen Oberkommando, sondern beim Rat liegen. P. Votum des Ausschusses Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten ist nach Prüfung dieses Teils des Vertragswerks und auf Grund der in vorliegendem Bericht zusammengefaßten Gesichtspunkte in seiner Mehrheit zu dem Ergebnis gelangt, dem Bundestag die Annahme des Zustimmungsgesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag empfehlen zu sollen. Bonn, den 16. Februar 1955 Brandt (Berlin) Generalberichterstatter b) Besondere Berichte beteiligter Ausschüsse 1. Besonderer Bericht des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit (6. Ausschuß) Berichterstatter: Abgeordneter Erler (für Ziffern C IV und D V) Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jaeger (für den übrigen Teil) Gliederung A. Die militärpolitische Konstruktion des Vertragswerkes B. Gemeinsame Probleme der Westeuropäischen Union und der Nordatlantikvertragorganisation I. Beistandspflicht II. Inkrafttreten III. Vertragsdauer IV. Deutsche Gleichberechtigung C. Die Westeuropäische Union (WEU) I. Aufgaben und Bedeutung des Brüsseler Vertrages II. Organe der WEU III. Begrenzung der Streitkräfte IV. Rüstungskontrollen D. Die Nordatlantikvertragorganisation (NATO) I. Aufgaben II. Politische Organisation III. Militärische Organisation (Kommandobehörden) IV. Eingliederung der nationalen Streitkräfte in die Organisation der NATO V. Versorgung VI. Berichtswesen, Inspektion und Ausbildung VII. Besondere Verpflichtungen (Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jaeger) A. Die militärpolitische Konstruktion des Vertragswerkes Das Vertragswerk, das an die Stelle des alten Deutschlandvertrages und des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft mit ihren Nebenabkommen tritt, bringt gegenüber den im Jahre 1952 vorgesehenen Vereinbarungen wesentliche Modifikationen auf militärpolitischem Ge- (Dr. Jaeger) biet. Sie kommen in der Hauptsache in den im vorliegenden Gesetzentwurf genannten Verträgen zum Ausdruck. Die neuen Verträge dienen u. a. dem Zweck, den gleichen Grad der militärischen Sicherheit zu erreichen, wie er durch die Europäische Verteidigungsgemeinschaft erzielt werden sollte, aber sie verfolgen diesen Zweck auf zum großen Teil völlig anderen Wegen. Im wesentlichen bedeuten die neuen Verträge eine Verlagerung von der supranationalen in die nationale Zuständigkeit. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft war eine zum Teil komplizierte, aber einheitliche Konstruktion. Ihre Elemente sind zum großen Teil heute noch vorhanden, jedoch transformiert in mehrfache, voneinander unterschiedene, wenn auch miteinander verzahnte Konstruktionen. Das Vertragswerk erscheint damit nicht mehr als von einer Stelle beherrscht oder wenigstens dirigiert. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft sollte unmittelbar der Einigung Europas durch die Schaffung einer supranationalen Militärunion dienen. In erster Linie sollte die militärische Integration, die sonst im allgemeinen erst in Kriegszeiten erfolgt, jetzt, da sie als unvermeidbar erkannt wird, bereits im Frieden vorgenommen werden und damit für den Ernstfall die Wirksamkeit des militärischen Schutzes erhöhen. Sodann aber sollte sie durch Überwindung ides nationalstaatlichen Souveränitätsgedankens an seiner entscheidenden Stelle, nämlich auf dem Gebiet der Militärhoheit, und Schaffung supranationaler Entscheidungsinstanzen auf militärischem Gebiet den förderativen Zusammenschluß Europas nicht nur vorbereiten, sondern im kritischen Punkte bereits verwirklichen. Dieses politische Ziel wird durch das neue Vertragswerk nicht erreicht, wenn auch der Weg zu einer politischen Integration im allgemeinen und einer militärpolitischen Integration im besonderen nicht verbaut ist, ja durch einige Ansatzpunkte in Zukunft erleichtert werden kann. Es ist jedoch keine supranationale europäische Militärhoheit geschaffen, sondern es sind durch den Brüsseler Vertrag nur negativ einige Beschränkungen der nationalen Militärhoheit — und zwar für alle beteiligten Nationen — ausgesprochen. Das Ziel einer militärischen Integration wird jedoch auf dem Wege über den Nordatlantikvertrag angestrebt und in anderer Weise erreicht. Während beim alten Vertragswerk trotz mancher verbliebenen nationalen Zuständigkeiten und trotz des Einbaues der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in die Nordatlantikvertragorganisation das Schwergewicht der Kompetenzen bei den Institutionen der Verteidigungsgemeinschaft, also an europäischer supranationaler Stelle lag, verteilen sich nunmehr die Zuständigkeiten auf drei Ebenen, die nationale, die der Westeuropäischen Union (WEU) und die der Nordatlantikvertragorganisation (NATO). Dabei gilt als Grundsatz, daß alle Fragen, für die nicht eine Zuständigkeit der WEU oder der NATO vertraglich begründet wurde, im Bereich der nationalen Kompetenz verbleiben. Rechtlich liegt das Schwergewicht auf der nationalen Ebene. In ihre Zuständigkeit fällt die Mehrzahl der früher geplantenmilitärischen Kompetenzen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Ein großer Teil des Inhalts des Berichts des 50. Bundestagsausschusses zur Mitberatung des EVG-Vertrages und der damit zusammenhängenden Abmachungen (Drucksache Nr. 3900 der 1. Wahlperiode, Bericht der Abg. Strauß, Erler und Dr. Jaeger auf Seiten 98 ff.) ist damit nicht mehr Gegenstand der gegenwärtigen Regelung und des vorliegenden Berichts. Das gilt insbesondere auch für die Fragen der Wehrverfassung, des inneren Gefüges, des Personalwesens, des Haushalts und der mit dem Aufbau der Streitkräfte zusammenhängenden Gerichtsbarkeit. Auf allen diesen Gebieten werden nach Inkrafttreten des Vertragswerkes nationale Regelungen getroffen werden müssen. Am meisten begrenzt sind die Zuständigkeiten auf der zweiten Ebene, der Westeuropäischen Union. Ihre positive Bedeutung liegt in der präzisen Formulierung der Beistandsverpflichtung, im übrigen hat sie einige restriktive Bestandteile der EVG übernommen, nämlich gewisse Rüstungskontrollen. Ansätze zur Integration, etwa durch die Schaffung einer Gemeinsamen Versammlung, sollten nicht übersehen werden, vermögen aber gegenwärtig der Westeuropäischen Union nicht einmal annähernd jene Bedeutung zu geben, die der EVG zugekommen wäre. Stärker ist die dritte Ebene, die der NATO, ausgebaut. Hier erscheinen die erhalten gebliebenen positiven militärischen Regelungen der EVG. Sie finden zwar keine so exakte juristische Ausprägung und schaffen damit keine so strenge politische Bindung wie bei der EVG, aber sie erreichen doch die notwendigen Voraussetzungen der militärischen Organisation für eine gemeinsame Strategie. Man muß zwar den Inhalt des Nordatlantikvertrages wohl noch als internationales und nicht als supranationales Recht ansprechen; aber in dem Maße, in dem der Ausbau der Organisation des Nordatlantikvertrages vervollständigt und der Rahmen der Kompetenzen ihrer Organe ausgefüllt und in Zukunft wohl auch erweitert wird, können sich Behörden und Kompetenzen entwickeln, die sich in ihrer Wirksamkeit supranationalen Regelungen annähern. Vor allem aber wird durch die NATO eine militärische Integration schon jetzt bewirkt. Rechtlich muß man die deutschen Streitkräfte, die auf Grund des neuen Vertragswerkes entstehen sollen, als eine Nationalarmee ansprechen. Die durch WEU und NATO verbundene Streitmacht muß deshalb rechtlich als Koalitionsarmee bezeichnet werden. Faktisch stellt sie jedoch (und zwar nicht auf Grund der Bestimmungen der WEU, sondern auf Grund der Bestimmungen der NATO) mehr als eine Koalitionsarmee dar. Die Integration sowie die gemeinsamen Kommandostellen schaffen militärisch zumindest auf dem Boden des europäischen Kontinents eine einheitliche Organisation. Insoweit bedeuten auch die neuen Verträge für den europäischen Kontinent eine wesentliche Änderung des Begriffs der Nationalarmee. B. Gemeinsame Probleme der Westeuropäischen Union und der Nordatlantikvertragorganisation I. Beistandspflicht Das Kernstück der Verträge über die WEU und die NATO bildet, wie es zum Wesen eines Verteidigungspaktes gehört, die Beistandspflicht zwischen den Vertragspartnern. Sie ist im Rahmen der WEU prägnanter formuliert und damit mit noch stärkeren Verpflichtungen ausgestattet als in der NATO. Nach Art. V des Brüsseler Vertrages werden alle Mitgliedstaaten der vertragschließenden Macht, die Ziel eines bewaffneten Angriffs in Europa (Dr. Jaeger) wird, „alle in ihrer Macht stehende militärische und sonstige Hilfe und Unterstützung leisten". Es handelt sich demnach um eine automatische Beistandspflicht, also die wirksamste Form einer Beistandsverpflichtung, die im Rahmen eines Verteidigungspaktes denkbar ist. Diese Verpflichtung entspricht sachlich völlig dem Art. 2 § 3 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (BGBl. II 1954 S. 343 ff.) und den Art. 1 und 2 des Vertrages zwischen dem Vereinigten Königreich (Großbritannien) und den Mitgliedstaaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (BGBl. II 1954 S. 421 ff.). Die Beistandsverpflichtung des Nordatlantikvertrages ist etwas elastischer gehalten. In Art. 5 dieses Vertrages verpflichtet sich jede Partei dazu, einem angegriffenen Vertragspartner „Beistand zu leisten, indem jede von ihnen unverzüglich für sich im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebietes wiederherzustellen und zu erhalten". Hier wird die militärische Hilfeleistung nur als eine von mehreren Arten des Verwirklichung der Beistandsverpflichtung betrachtet und in das Ermessen des einzelnen Staates gestellt. Diese Form der Beistandsverpflichtung ist wohl aus Rücksicht auf das Verfassungsrecht der Vereinigten Staaten elastischer gehalten als die des früher abgeschlossenen Brüsseler Vertrages. Politisch dürfte im Augenblick ein Unterschied zwischen der Wirkung beider Verträge kaum bestehen. Insbesondere der organisatorische Ausbau der NATO durch Aufstellung von schon im Frieden bestehenden Verteidigungseinrichtungenwürde im Ernstfall praktisch ebenfalls einen automatischen Beistand bewirken. Da Art. 51 der Charta 'der Vereinten Nationen nur eine Anerkennung des naturrechtlich begründeten Rechtes eines Staates, sich gegen einen Angriff sofort zur Wehr zu setzen, enthält, bedeutet die Bezugnahme auf diesen Artikel in der hier behandelten Bestimmung keinerlei Abschwächung. II. Beitritt Die völkerrechtliche Grundlage für den Beitritt der Bundesrepublik zur NATO ist das Protokoll zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 1061 S. 59). Nach Art. 1 und 2 dieses Protokolls wird die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika der Bundesrepublik Deutschland eine Einladung zum Beitritt zum Nordatlantikvertrag übermitteln, wenn alle Mitgliedstaaten des Nordatlantikvertrages dieses Protokoll angenommen haben, die Ratifikation der Protokolle zur Änderung und Ergänzung des Brüsseler Vertrages und des Abkommens über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland durch die beteiligten Staaten erfolgt ist und die erforderlichen Mitteilungen hierüber gemacht sind. Umgekehrt bestimmt Art. 6 des Protokolls zur Änderung und Ergänzung des Brüsseler Vertrages, daß dieses Protokoll nach Ratifizierung durch die sieben beteiligten Regierungen und nach Hinterlegung der deutschen Beitrittsurkunde zum Nordatlantikvertrag in Kraft tritt. Damit wird das Inkrafttreten eines Teils der Bestimmungen von idem Inkrafttreten anderer Teile abhängig gemacht und das diesbezügliche Vertragswerk miteinander verknüpft. Es bildet insoweit rechtlich eine Einheit. III. Vertragsdauer Der Brüsseler Vertrag und der Nordatlantikvertrag sind auf unbestimmte Dauer abgeschlossen. Nach Art. XII des Brüsseler Vertrages besteht erst 50 Jahre nach seinem ursprünglichen Inkrafttreten eine Kündigungsmöglichkeit mit einjähriger Frist für jeden Vertragspartner. Die Vertragsdauer entspricht der Vertragsdauer des Vertrages über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (Art. 128). Nach Art. 13 des Nordatlantikvertrages ist eine Kündigungsmöglichkeit nach zwanzigjähriger Geltungsdauer mit ebenfalls einjähriger Frist gegeben, jedoch kann zusätzlich nach Art. 12 des gleichen Vertrages schon nach zehnjähriger Geltungsdauer auf Antrag einer Partei eine Revision des Vertrages stattfinden. IV. Deutsche Gleichberechtigung Der unmittelbare Beitritt der Bundesrepublik zur NATO, der nach dem EVG-Vertrag noch nicht vorgesehen war, verschafft ihr auch im eigentlichen militärischen Bereich die volle Gleichberechtigung. C. Die Westeuropäische Union (WEU) I. Aufgaben und Bedeutung des Brüsseler Vertrages Der Brüsseler Vertrag wurde am 17. März 1948 zwischen den fünf westeuropäischen Staaten Belgien, Frankreich, Luxemburg, Niederlande und Großbritannien abgeschlossen als ein „Vertrag über Zusammenarbeit in wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Angelegenheiten und zur kollektiven Selbstverteidigung" (Präambel). Die militärischen Absichten des Vertrages sollten im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen erfüllt werden und insbesondere eine Erneuerung einer deutschen Aggressionspolitik verhindern. Inzwischen haben sich die Zielsetzungen des Vertrages weitgehend geändert. Die für die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit gedachten Bestimmungen haben im Laufe der Zeit dadurch an Bedeutung verloren, daß nach Abschluß des Brüsseler Paktes der Europarat in Straßburg und die Organization for European Economic Cooperation (OEEC) in Paris diese Aufgaben in größerem Rahmen übernommen haben. Die vorgesehenen Aufgaben der militärischen Organisation haben sich durch die Gründung der NATO, die eine solche Organisation aufgebaut hat, erledigt. Die militärische Zielsetzung ist, soweit sie sich gegen Deutschland richtete, gegenstandslos geworden. Im Protokoll vom 23. Oktober 1954 wird deshalb die Stelle der Präambel, die sich gegen eine deutsche Aggressionspolitik richtet, gestrichen und durch den neuen Gedanken ersetzt, daß der Vertrag die Einheit Europas fördern und seiner fortschreitenden Integrierung Antrieb geben solle. Die wichtigste Bestimmung ist die schon erwähnte automatische Beistandspflicht der Mitglieder. Eine besonders positive Bedeutung erlangt die WEU gegenüber der EVG dadurch, daß sich im Protokoll Nr. II (Art. 6) Großbritannien erstmals in seiner Geschichte verpflichtet, im Frieden eine bestimmte Streitmacht (vier britische Divisionen und die Zweite Taktische Luftflotte) auf dem Festland an der Seite der Streitkräfte der anderen sechs Partner zu belassen und diese Streitkräfte nicht gegen den Willen der Mehrheit der Vertragspartner zu- (Dr. Jaeger) rückzuziehen, ausgenommen bei Eintritt eines akuten Notstandes in Übensee. Die durch das schon erwähnte Protokoll vom 23. Oktober 1954 erfolgte Revision des Brüsseler Vertrages gibt der Organisation des Vertrages den Namen Westeuropäische Union und stattet sie mit bestimmten Organen aus. Aufgaben dieser Westeuropäischen Union sind jedoch auf militärischem Gebiet lediglich die Festsetzung der Höchststärke der in Friedenszeiten auf dem europäischen Festland unterhaltenen Streitkräfte der Vertragspartner und gewisse Kontrollen über Bestände und Herstellung bestimmter Waffen. Damit steht die WEU zweifellos teilweise in einem inneren Gegensatz zur NATO, da die zuletzt genannten Bestimmungen die Bemühungen der NATO, die Streitkräfte ihrer Mitgliedstaaten möglichst zu stärken, bis zu einem gewissen Grad bremsen. Eine solche Regelung erscheint aus politischen Gründen notwendig. Auf positive militärische Aufgaben für die Organe der WEU wurde bewußt verzichtet, da man eine Parallel-Organisation zu den militärischen NATO-Stäben zwecks Vermeidung von Doppelarbeit unterlassen hat und eigens auf eine Zusammenarbeit mit der NATO hinweist (siehe insbesondere Art. IV des Brüsseler Vertrages). II. Organe der WEU Das bedeutsamste Organ ist der „Rat der Westeuropäischen Union". Er besteht aus Ministern der beteiligten Staaten. Dieser Rat war bisher ein reiner Konsultativrat, also lediglich ein Beratungsgremium; er erhält nunmehr selbständige Entscheidungsbefugnisse. Der Rat beschließt grundsätzlich einstimmig, wendet jedoch auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle auch andere Abstimmungsverfahren (Zweidrittelmehrheit, einfache Mehrheit) an. Diese unterschiedlichen Abstimmungsvorschriften bedeuten einen Unterschied zur bisherigen Praxis des Rates des Brüsseler Vertrages, der keine Abstimmungsregel kannte, also für einen Beschluß der Einstimmigkeit bedurfte. Hier liegt ein Ansatzpunkt für den Übergang von internationaler zu supranationaler Politik. Ein solcher ist auch in der Versammlung enthalten, die jährlich einen Bericht des Rates über seine Tätigkeit, insonderheit auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle, entgegenzunehmen hat (Art. IX des Brüsseler Vertrages). Diese Versammlung, die aus den Vertretern der Brüsseler Vertragsmächte bei der Beratenden Versammlung des Europarates besteht, entbehrt jedoch noch eigener Aufgaben. Es ist vorerst nicht einmal bestimmt, in welcher Weise sie den Rat nach Erstattung des Berichts zur Verantwortung ziehen kann. Dies ist zweifellos ein Rückschritt gegenüber den Vollmachten der Gemeinsamen Versammlung der EVG (Art. 33 'bis 38 des Vertrages über die Gründung der EVG). Der Rat erhält ausdrücklich das Recht, eigene Organe einzurichten, insbesondere ein Amt für Rüstungskontrolle. 'Dieses untersteht der allgemeinen Verwaltungskontrolle des Generalsekretärs (Art. 2 des Protokolls Nr. IV). Auch die Errichtung eigener Gerichte der WEU zur Regelung von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragspartnern und zum Schutz privater Interessen ist in Aussicht genommen. III. Begrenzung der Streitkräfte Das Protokoll Nr. II über die Streitkräfte der Westeuropäischen Union wurde, wie in der Präambel ausdrücklich bemerkt, nach Konsultation des Nordatlantikrates beschlossen. Es wird hier der Versuch des Ausgleichs zwischen der Notwendigkeit, die militärische Schlagkraft zu stärken, und den Wünschen auf Begrenzung der Friedensstärke unternommen. Die Höchstgrenze ist nur allgemein nach Gesamtstärke und Anzahl der Verbände festgelegt (Art. 1 des Protokolls Nr. II). Die Anzahl der Verbände kann nach der gleichen Bestimmung, um den Bedürfnissen von NATO zu entsprechen, auf den neuesten Stand gebracht und angepaßt werden, vorausgesetzt, daß eine gleichwertige Kampfkraft erhalten bleibt und die Gesamtstärken nicht überschritten werden. Die Höchststärken entsprechen für die 'kontinentalen Mitgliedstaaten der WEU der geplanten Stärkeihrer Kontingente im Rahmen der EVG. Während in der EVG, als einer supranationalen Institution, weder Höchst- noch Mindestgrenzen festgelegt wurden, sondern eben das Ausmaß der Truppenstärke geregelt wurde, ist in der WEU nur eine Begrenzung nach oben ausgesprochen. Die Festlegung dieser Höchststärke 'gibt zwar jedem Vertragsteil das Recht, Streitkräfte dieser Stärke aufzustellen oder zu unterhalten, legt ihm aber keineswegs die Pflicht auf, dies zu tun. Über die Mindeststärke sind im Rahmen der WEU keine Regelungen getroffen. Für die Mitgliedstaaten der WEU, außer der Bundesrepublik, ergibt sich die Mindeststärke ihrer Streitkräfte aus der jährlichen NATO-Empfehlung. Die tatsächliche Stärke der Streitkräfte dieser Staaten kann also zwischen dem mit ihrer Zustimmung in der NATO-Empfehlung ausgesprochenen Mindestmaß und der im Protokoll Nr. II festgelegten Höchstgrenze liegen. Da die Bundesrepublik bisher noch nicht an der NATO-Jahreserhebung und der daraus resultierenden NATO-Empfehlung beteiligt war, ist formell vorerst keine Mindeststärke für die Streitkräfte der Bundesrepublik festgelegt. Da es jedoch nach der Präambel des Brüsseler Vertrages das Ziel dieses Vertrages ist, die Sicherheit zu festigen, und der Beitritt der Bundesrepublik diesem Ziele dienen soll, da nach der Entschließung über Rüstungsproduktion und -standardisierung der WEU (Drucksache 1061 S. 26) die Schlagkraft der gemeinsamen Verteidigungsstreitkräfte auf den Höchststand gebracht werden soll, da zudem der Nordatlantikvertrag nach seiner Präambel der gemeinsamen Verteidigung und der Erhaltung des Friedens und der Sicherheit dienen soll, ein Ziel, das durch den Beitritt der Bundesrepublik in stärkerem Maße verwirklicht werden soll, wäre der Gedanke sinnwidrig, die Bundesrepublik sei bei Ratifizierung des Vertragswerkes im Hinblick auf die vorerwähnte derzeitige formale Lücke im Vertragstext in der Lage, auf die Aufstellung von Streitkräften überhaupt zu verzichten. Sollte in Zukunft die NATO in ihrer Jahresempfehlung für einen Mitgliedstaat, der gleichzeitig Mitglied der WEU ist, eine Erhöhung der Gesamtstärke der Streitkräfte über die oben erwähnte Höchstgrenze hinaus festlegen, so darf der betreffende Staat die empfohlene Erhöhung nur annehmen, wenn die Partner des Brüsseler Vertrages ihre Billigung entweder im Rat der WEU oder in der Organisation des Nordatlantikvertrages einstimmig zum Ausdruck bringen (Art. 3 des Protokolls Nr. II). Stärke und Bewaffnung der Polizeikräfte und der Streitkräfte für die bodenständige Verteidigung (Dr. Jaeger) (der Streitkräfte also, die nicht operativ tätig, sondern territorial gebunden sind und der Abwehr feindlicher Luftangriffe, dem Objektschutz und der Verhinderung von Sabotageakten im Gebiet der Mitgliedstaaten dienen) werden durch ein besonderes Abkommen festgelegt, und zwar unter Berücksichtigung der eigentlichen Aufgaben, des Bedarfes und der vorhandenen Stärke dieser Kräfte (Art. 5 des Protokolls Nr. II). Jedoch entfällt mit Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag der in Art. 2 des Protokolls über die Beendigung des Besatzungsregimes aufrechterhaltene Entmilitarisierungs- und Abrüstungsvorbehalt. Von diesem Zeitpunkt an bestehen daher besatzungsrechtliche Beschränkungen hinsichtlich des Aufbaues und der Stärke der Polizeikräfte nicht mehr. (Berichterstatter: Abgeordneter Erler) IV. Rüstungskontrollen Das Protokoll Nr. III enthält die materiellen Bestimmungen über die Rüstungskontrolle. Aus diesem Protokoll und seinen Anlagen ergibt sich, in welchem Umfange bestimmte Länder auf die Herstellung gewisser Waffen verzichtet haben, welche weiteren Waffen allgemein der Kontrolle durch die vorgesehene Organisation unterliegen, und infolgedessen auch, daß andere Waffen und Geräte unter keinerlei Kontrollvorschriften fallen. Das Protokoll Nr. IV enthält die Vorschriften über das Amt für Rüstungskontrolle, also über die Art der Durchführung der Kontrolle. Sagt Protokoll Nr. III, was kontrolliert wird, so sagt Protokoll Nr. IV, wie kontrolliert wird. Schließlich ist auf Art. IV Nr. 4 des Protokolls zur Änderung und Ergänzung des Brüsseler Vertrages hinzuweisen, ) dessen zweiter und dritter Satz das Abstimmungsverfahren im Ministerrat der Westeuropäischen Union in Fragen der Rüstungskontrolle behandelt. Ferner hat der Atlantikrat mit Ziffer 14 der Entschließung zur Durchführung von Abschnitt IV der Schlußakte der Londoner Konferenz (Drucksache 1061 S. 64) die Einsetzung eines Offiziers von hohem Rang der Nordatlantikvertragorganisation veranlaßt, der befugt ist, dem Rat der Westeuropäischen Union über die Streitkräfte der Mitglieder der Westeuropäischen Union auf dem europäischen Festland Informationen zu übermitteln, die sich insbesondere auch auf die Rüstungskontrolle beziehen. Bei der Abfassung der Pariser Verträge ist man von dem ehemaligen Art. 107 des EVG-Vertrages ausgegangen. Der EVG-Vertrag sah eine Genehmigungspflicht für die Produktion, die Ein- und Ausfuhr von Waffen, die Produktionsmittel und die technische Forschung vor. Jetzt ist die Lage so, daß die Bundesrepublik Deutschland auf die Herstellung von Atom-, biologischen und chemischen Waffen, von Großkriegsschiffen, Langstreckenbombern und ferngelenkten Geschossen verzichtet hat. Andere Mitgliedstaaten der Westeuropäischen Union haben derartige Verzichterklärungen bisher nicht abgegeben. Bei der Westeuropäischen Union ist als integrierte Behörde das Rüstungskontrollamt gebildet worden. Es hat die Aufgabe, zu kontrollieren, daß in den Staaten, die Verzichterklärungen abgegeben haben, dieser Verzicht eingehalten wird und daß ferner auf dem europäischen Kontinent in allen Teilnehmerstaaten die Bestände an Waffen der in Anlage IV bezeichneten Art mit den Bedürfnissen übereinstimmen. Für alle dem Nordatlantikvertrag unterstehenden Streitkräfte steht dem Rüstungskontrollamt kein eigenes Inspektionsrecht zu. Es muß sich vielmehr auf die Angaben beschränken, die ihm der von der Atlantikorganisation hierfür bestellte Offizier macht. Das Rüstungskontrollamt führt zwei Arten von Kontrollen durch, eine rechnerische Kontrolle und eine Inspektion. Die Inspektion erstreckt sich nur auf diejenigen Streitkräfte und Einrichtungen, die nicht der Atlantikorganisation unterstehen. Die rechnerische Kontrolle hat zu überprüfen, ob die angegebenen Mengen mit dem tatsächlichen Bedarf übereinstimmen. Zu diesem Zweck hat der Atlantikrat in Ziffer 10 der erwähnten Entschließung zur Durchführung von Abschnitt IV der Schlußakte der Londoner Konferenz bestimmt, daß der Alliierte Oberbefehlshaber in Europa künftig im Benehmen mit den zuständigen nationalen Stellen den Bedarf an logistischen Mitteln festzulegen habe, d. h. also den Bedarf an sämtlichem Gerät einschließlich Waffen, der für die Führung längerer Kampfhandlungen erforderlich ist. Für die bodenständigen Streitkräfte und die Polizei sind innerhalb der Westeuropäischen Union noch besondere Vereinbarungen zu treffen, aus denen sich nicht nur die Stärke dieser Streitkräfte, sondern auch die Art und der Umfang ihrer Bewaffnung zu ergeben hätten. Schwierig ist die Durchführung der Rechnungskontrolle für sonstige nationale Streitkräfte, die nicht der Atlantikorganisation unterstellt sind. Völlig aus der Kontrolle heraus fallen die Streitkräfte mit ihren Waffen, die sich nicht auf dem europäischen Kontinent befinden. Die Inspektion etwa in den Fabriken erfaßt lediglich die Lagerbestände und nicht die Herstellungsverfahren. Diese Form der Kontrolle ist auch gewählt worden für die Überwachung der Einhaltung der Verzichterklärungen auf Herstellung bestimmter Waffen. Nur wenn ein konkreter Anhalt vorliegt, daß ein Verstoß gegen eine solche Erklärung gegeben ist, kann das Rüstungskontrollamt über die bloße Bestandskontrolle hinausgehen. Das Rüstungskontrollamt hat etwa von ihm festgestellte Verstöße dem Rat der Westeuropäischen Union mitzuteilen. Auf die Verteilung der den einzelnen Mitgliedstaaten der Westeuropäischen Union zufließenden Außenhilfe hat das Rüstungskontrollamt keinen Einfluß. Nach Art. 23 des Protokolls Nr. IV übermittelt der Rat der Westeuropäischen Union dem Amt die ihm von der Regierung der Vereinigten Staaten und von der Regierung von Kanada gemachten Angaben über die militärische Hilfe, die den auf dem Festland befindlichen Streitkräften der Mitglieder der Westeuropäischen Union gewährt werden soll. Hier wird deutlich, daß Großbritannien den Kontrollvorschriften überhaupt nur insoweit unterliegt, als es sich um seine auf dem Festland stationierten Streitkräfte handelt. Scharf zu trennen von den Bestimmungen über die Rüstungskontrolle sind die Verhandlungen über eine gemeinsame europäische Rüstungsproduktion. Am 17. Januar 1955 haben hierüber bekanntlich auf Anregung der französischen Regierung Verhandlungen begonnen, die zum Zeitpunkt der Berichterstattung noch nicht abgeschlossen sind. (Dr. Jaeger) D. Die Nordatlantikvertragorganisation (NATO) I. Aufgaben Wie der Brüsseler Vertrag, bekennt sich auch der Nordatlantikvertrag zu den Grundsätzen der Vereinten Nationen und faßt seine Zielsetzung nicht nur militärisch auf. In der Präambel des Vertrages steht das Bekenntnis zu dem gemeinsamen Erbe und der gemeinsamen Zivilisation der Völker des atlantischen Raumes, in seinen Artikeln die Verpflichtung zur friedlichen Regelung jedes Streitfalles, zur Festigung der freien Einrichtungen, zur Förderung des allgemeinen Wohlergehens und zur Beseitigung der Gegensätze in der internationalen Wirtschaftspolitik. Die eigentliche Bedeutung des Nordatlantikvertrages liegt jedoch zweifellos im Bereich der Verteidigung gegen bewaffnete Angriffe. Die Bedeutung der Beistandsverpflichtung wurde bereits an anderer Seite (B I) gewürdigt. Wenn rechtlich auch das Schwergewicht bei den nationalen Vertragspartnern verbleibt und der schon erwähnte Grundsatz gilt, daß nur diejenigen Fragen unter die Zuständigkeit der NATO fallen, die ihr ausdrücklich vertraglich zugewiesen sind, so hat sich doch seit dem Abschluß des Nordatlantikvertrages, militärisch gesehen, das Schwergewicht dadurch immer mehr zur NATO verlagert, daß diese den weitgehaltenen Rahmen ihrer vertraglichen Zuständigkeit in immer größerem Maße durch Vorschriften und organisatorische Maßnahmen ausfüllt. Die Selbständigkeit der Nationalarmeen wird dadurch immer mehr beschränkt, ihre Führung immer stärker verschmolzen. Bahnbrechend auf diesem Wege waren insbesondere der Beschluß des Nordatlantikrates vom 18. September 1950, nach dem die Freiheit Europas so schnell wie möglich durch die Schaffung einer integrierten Streitmacht gesichert werden sollte, und der weitere Beschluß vom 26. September 1950, der ein ins einzelne gehendes Programm für eine straffere Organisation des militärischen Kommandos dieser gemeinsamen Streitmacht aufstellte, sowie die Entschließung des Nordatlantikrates zur Durchführung des Abschnitts IV der Schlußakte der Londoner Konferenz vom 22. Oktober 1954, über die nachfolgend noch gesprochen wird. II. Politische Organisation Die Organisation der NATO hat sich im Laufe der Jahre immer mehr ausgeweitet, spezialisiert und damit kompliziert. An der Spitze ihres institutionellen Systems steht nach Art. 9 des NATO-Vertrages der Rat. Er tagt in doppelter Form, periodisch als Rat der Minister und ständig als Rat ihrer bevollmächtigten Vertreter. Während bei den Ministertagungen der Vorsitz turnusmäßig wechselt, liegt er bei den Sitzungen des ständigen Rates der Vertreter in den Händen des Generalsekretärs. Abstimmungsregeln sind im Vertrag nicht vorgesehen. Demgemäß werden im Rat formelle Abstimmungen vermieden. Beschlüsse können nach den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts nur einstimmig gefaßt werden. Der Generalsekretär und sein international zusammengesetzter Stab leiten den zivilen Teil der Organisation, insonderheit die Abteilungen für politische Angelegenheiten, Produktion und Logistik sowie Wirtschaft und Finanzen. Die oberste Instanz des militärischen Zweiges ist der Militärausschuß (Military Committee). Er ist in Verteidigungsfragen das oberste beratende Organ des Rates und gibt den nachgeordneten militärischen Instanzen Richtlinien und Weisungen. Er besteht aus Vertretern aller Mitgliedstaaten, und zwar aus jeweils einem ihrer Stabschefs. Die Tagungen sind periodisch. Ständig tagt hingegen der Ausschuß der militärischen Vertreter (Military Representatives Committee). Er besteht aus den Vertretern der Stabschefs aller Mitgliedstaaten und ist für diejenigen militärischen Angelegenheiten zuständig, die nicht bis zur nächsten Sitzung des Militärausschusses zurückgestellt werden können. Der praktisch wohl bedeutsamste Teil des Ausschusses der militärischen Vertreter ist die dreiköpfige Ständige Gruppe (Standing Group) in Washington. Sie besteht aus den Vertretern der Stabschefs der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Sie ist das eigentliche Exekutivorgan militärischer Art und hat u. a. die besondere Aufgabe, den gemeinsamen Verteidigungsplan für den gesamten Bereich der NATO aufzustellen. Ihr sind die Oberbefehlshaber der NATO-Oberkommandos unterstellt. Sie bedient sich zur Durchführung ihrer Arbeit militärischer Fachausschüsse. Der Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit gibt der Hoffnung Ausdruck, daß der Bundesrepublik mit Rücksicht auf die Besonderheit ihrer Aufgaben für die Verteidigung des Westens in Zukunft eine Vertretung in der Ständigen Gruppe eingeräumt wird. III. Militärische Organisation (Kommandobehörden) Unterhalb der Ständigen Gruppe und dieser unterstellt beginnen die Kommandobehörden, die nicht nach dem Prinzip der Einstimmigkeit beschließen, sondern nach dem militärischen Grundsatz der Kommandogewalt befehlen. An ihrer Spitze stehen Befehlshaber, die jeweils durch Beschluß des Rates auf Vorschlag des Militärausschusses ernannt werden. Die Führungsspitze der NATO-Streitkräfte gliedert sich in die Oberkommandos Europa, Atlantik und Kanal, neben denen noch die Regionale Planungsgruppe USA — Kanada besteht. Dem Oberbefehlshaber Europa — Supreme Allied Commander Europe (SACEUR) — und seinem Hauptquartier — Supreme Headquartes Allied Powers Europe (SHAPE) — unterstehen die vier Kommandobehörden Nord, Mitte, Süd und Mittelmeer. Nach der bisherigen Regelung gehört der größte Teil der Bundesrepublik zum Abschnitt Mitte, ein kleinerer Teil zum Abschnitt Nord. Da die Teilung eines einheitlichen Gebietes in verschiedene Abschnitte für seine Verteidigung nicht von Vorteil ist, ist es der Wunsch des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, daß die Bundesrepublik nach Beitritt zum Nordatlantikpakt ihre Bemühungen dahin richtet, das gesamte Bundesgebiet einem einzigen Abschnittskommando zu unterstellen und die Abschnittsgrenzen dementsprechend zu ändern. IV. Eingliederung der nationalen Streitkräfte in die Organisation der NATO Nach Ziffer 4 der Entschließung des Nordatlantikrates zur Durchführung von Abschnitt IV der Schlußakte der Londoner Konferenz vom 22. Oktober 1954 (Drucksache 1061 S. 61 ff.) werden alle auf dem europäischen Kontinent befindlichen (Dr. Jaeger) Streitkräfte der NATO unterstellt; ausgenommen hiervon sind Streitkräfte, die für die Verteidigung überseeischer Gebiete bestimmt sind oder nach Anerkennung der NATO unter nationalem Befehl verbleiben können. Nach Ziffer 5 der gleichen Entschließung sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, dem NATO-Rat zwecks Prüfung und Anerkennung einen ersten Bericht über diejenigen Streitkräfte zu erstatten, die sie im Bereich SACEUR für die gemeinsame Verteidigung beizubehalten, nicht aber der NATO-Organisation zu unterstellen beabsichtigen. In diesem Bericht ist zu begründen, warum die genannten Streitkräfte NATO nicht unterstellt werden. Der NATO-Rat entscheidet über diese Berichte. Für spätere Änderungsvorschläge gelten die im Rahmen der laufenden NATO-Erhebungen gefaßten Beschlüsse des NATO-Rates. Um den Umfang der Streitkräfte festzulegen, nimmt die NATO alljährlich eine Prüfung über die Leistungskraft und die tatsächlichen Beiträge der Mitgliedstaaten zur Verteidigung des nordatlantischen Gebietes vor. Auf Grund diesbezüglicher Fragebogen verabschiedet der NATO-Rat Empfehlungen, deren Befolgung anläßlich der Jahreserhebung ebenfalls überprüft wird (Ziffer 2 der oben erwähnten Entschließung). Die Bedeutung dieser Empfehlung in ihrem Verhältnis zu den in der WEU festgesetzten Höchstgrenzen der Streitkräfte wurde unter C III bereits behandelt (siehe auch Ziffer 3 der genannten Entschließung). Ebenso erhält der Nordatlantikrat Informationen über die im Rahmen der Westeuropäischen Union getroffenen Vereinbarungen über die Polizeikräfte und die Streitkräfte für die bodenständige Verteidigung der Mitgliedstaaten (Ziffer 6 der genannten Entschließung). Die operativen Planungen der NATO sind ebenso von der Beurteilung des möglichen Gegners wie von der Schlagkraft der eigenen Streitkräfte abhängig und damit Änderungen unterworfen. Die Planungen werden sich demgemäß auch mit der fortschreitenden Aufstellung deutscher Streitkräfte ändern. Da die Bundesrepublik im NATO-Rat und im Militärausschuß vertreten ist, hat sie die Möglichkeit, an der entscheidenden Stelle die deutschen Interessen strategischer Art zu wahren. Die Verteilung der Truppen auf die Großräume (Dislozierung) sowie die Festlegung der Standorte (Stationierung) erfolgt in Übereinstimmung mit den operativen Plänen von NATO in Vereinbarung zwischen SACEUR und den beteiligten nationalen Stellen. Eine selbständige Änderung in der Dislozierung sowie ein operativer Einsatz bedürfen der Zustimmung von SACEUR (Ziffer 7 der genannten Entschließung). Truppenbewegungen zu Manöverzwecken und Einsatz bei inneren Unruhen werden hiervon nicht berührt. Im Rahmen der EVG war die Divison als höchste nationale Einheit vorgesehen, die Verschmelzung der nationalen Streitkräfte (Integration) sollte auf der Ebene des Korps erfolgen. Im Rahmen der NATO gilt in der Regel das Korps als die höchste nationale militärische Einheit. Die Integration soll im allgemeinen erst auf der Ebene der Armee vorgenommen werden. Eine Integration auf unteren Ebenen bleibt jedoch möglich; die Integration auf der Ebene der Heeresgruppe bleibt unter allen Umständen aufrechterhalten. Für die Einheiten der Luftwaffe gilt Entsprechendes (Ziffer 8 der genannten Entschließung). Diese Regelung darf als Fortschritt im Hinblick auf die Erhöhung der Schlagkraft der Verteidigung angesprochen werden. (Berichterstatter: Abgeordneter Erler) V. Versorgung Mit Versorgung ist hier nicht die Versorgung von Soldaten nach ihrem Ausscheiden aus den Streitkräften gemeint, sondern die Versorgung der Streitkräfte mit Waffen, Gerät und sonstigem Bedarf (Logistik). Da auch bei der neuen Organisation Streitkräfte verschiedener Nationalitäten gemischt werden, muß von einer gewissen Ebene an die Versorgung der Streitkräfte von den atlantischen Stäben aus koordiniert und sogar zentralisiert werden. Dabei ist aber ausdrücklich erklärt worden, daß die Verantwortung der nationalen Regierungen für die Bereitstellung und Zuführung der Versorgung ihrer Streitkräfte davon nicht berührt wird. Es soll nur im Einvernehmen mit den nationalen Regierungen im großen Rahmen die sogenannte logistische Unterstützung der Streitkräfte gesichert werden. Mit dieser Einschränkung ist also die Versorgung der Truppe im Frieden eine nationale Aufgabe. Lediglich gewisse Aufwendungen der Nordatlantikvertragorganisation für die gemeinsame Infrastruktur werden aus einem gemeinsamen Haushalt bezahlt, zu dem auch die Bundesrepublik ihren Beitrag zu leisten hätte. Die Höhe der bisherigen gemeinsamen, nicht unmittelbar in den nationalen Haushalten, sondern nur global darin als Beitrag an die Atlantikorganisation geleisteten Beträge konnte bisher noch nicht festgestellt werden. Ober die volkswirtschaftliche Größenordnung, die Auswirkung auf das Preisgefüge, auf die Wirtschaftspolitik und etwaige Engpässe äußert sich nicht der Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit. Das ist Aufgabe des Ausschusses für Wirtschaftspolitik. Das Beschaffungswesen soll in der Bundesrepublik Deutschland so organisiert werden, daß eine enge Verbindung zwischen den Dienststellen des Verteidigungsressorts und dem Bundeswirtschaftsministerium gesichert ist. Die Rüstungswirtschaft darf kein Fremdkörper werden. Es sind bereits Leitsätze (siehe Anlage B*) für die Zusammenarbeit zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Verteidigungsressort ausgearbeitet worden, die allerdings noch der Billigung durch das Bundeskabinett bedürfen. Für die Bauprogramme ist selbstverständlich ein Einvernehmen mit dem Wohnungsbauministerium erforderlich. Dem Verteidigungsressort würde die Ausarbeitung der taktisch-technischen Anforderungen obliegen. Dabei sind der neueste Stand der technischen Entwicklung, der Zeitplan der Aufstellung der Streitkräfte und natürlich auch die mögliche Organisation und Ausrüstung des Gegners zu beachten. Dann hat das Bundeswirtschaftsministerium zu prüfen, ob die Produktion der geforderten Waffen und Geräte in der Bundesrepublik nach diesen taktisch-technischen Forderungen überhaupt möglich ist. Es ist nicht an die Errichtung eines besonderen Waffenamtes für diesen Zweck gedacht. Die Beschaffung in den mit dem Bundeswirtschaftsministerium abgesprochenen volkswirtschaftlich vertretbaren Grenzen ist natürlich Sache des Bedarfsträgers, d. h. Sache des Verteidigungsressorts. In den nächsten Jahren werden schwere Waffen, also Artillerie, Flugzeuge und Panzer, in der Bundesrepublik nicht hergestellt werden können. Sie *) Siehe Anlage B Seite 3644B. (Erler) können also in dieser Zeit nur durch Kauf oder durch Schenkung auf dem Wege der Außenhilfe beschafft werden. Um zu prüfen, ob die Streitkräfte materiell gesehen ein wirklich schlagkräftiges Instrument werden können, müssen die voraussichtlich entstehenden Gesamtkosten und die Möglichkeit ihrer Aufbringung nach Zeit und Höhe erörtert werden. Der Bericht des 1. Deutschen Bundestages zum EVGVertrag (Drucksache Nr. 3900 der 1. Wahlperiode) wies auf S. 109 darauf hin, daß die damals vorgesehenen Rüstungsvorhaben 39 Milliarden DM — ohne den jährlichen Unterhaltsaufwand von 7000 bis 9000 DM je Kopf — gekostet hätten. Die Ausschußberatungen jetzt haben ergeben, daß die Veränderung in der Bewaffnung und Ausstattung der Streitkräfte und die Veränderungen im Preisgefüge, soweit sie bisher eingetreten sind oder auch für die nächsten Jahre sich nicht genau voraussehen lassen, eine so genaue Obersicht im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gestatten. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, den Verteidigungsansatz für das Haushaltsjahr 1955 von 9 Milliarden DM zu erhöhen. Sollte das gesamte Sozialprodukt in der Bundesrepublik in den nächsten Jahren weiterhin steigen, so müßte allerdings nach den Grundsätzen der NATO mit Zustimmung der Bundesregierung und des Bundestages auch ein höherer Verteidigungsbeitrag als 9 Milliarden DM in Ansatz gebracht werden. Es ist aber offensichtlich, daß die Ansätze im Haushalt der Bundesrepublik nicht ausreichen, um den einmaligen Aufwand für die Aufstellung der vorgesehenen deutschen Streitkräfte zu decken. Die Lücke muß durch die Außenhilfe geschlossen werden. Allerdings ist zu beachten, daß die Außenhilfe nicht nur in Form von Schenkungen, sondern auch in Form von zinslosen oder verzinslichen Darlehen gegeben werden kann. Die Vereinigten Staaten haben bisher noch kein Verteidigungshilfeabkommen mit der Bundesrepublik getroffen, so daß die Art der Hilfeleistungen und die Bedingungen, unter denen sie gewährt werden, noch näherer Vereinbarung bedürfen. Die sich auf die schweren Waffen und einen Teil des leichteren Materials beziehenden Zusagen der verantwortlichen amerikanischen Staatsmänner sind nicht schriftlich, sondern in den Verhandlungen mündlich abgegeben worden. Danach soll, wie früher schon erklärt wurde, die Bundesrepublik den übrigen NATO-Partnern gleichgestellt werden. Der zahlenmäßige Wert dieser Zusagen ist unter diesen Umständen nicht genau zu bestimmen. Nicht zuletzt wird es vom Umfang der Außenhilfe abhängen, ob der vorgesehene Zeitplan für die Aufstellung westdeutscher Streitkräfte eingehalten werden kann, wenn eine übermäßige Inanspruchnahme der deutschen Leistungskraft vermieden werden soll. Die vom Atlantikrat gegebenen Empfehlungen über die von den einzelnen Mitgliedstaaten aufzubringenden personellen und materiellen Verteidigungsanstrengungen werden nur einstimmig gegeben. Infolgedessen kann eine die Bundesrepublik Deutschland betreffende Empfehlung nicht ohne oder gegen die deutsche Stimme zustande kommen. Der Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit erwartet, daß die Bundesregierung im Atlantikrat keinerlei Empfehlungen über materielle oder finanzielle Leistungen der Bundesrepublik zustimmt, bevor sie die zuständigen Ausschüsse des Bundestages gehört hat. Die Bereitstellung von Material für ausgebildete Reservisten zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt ist bisher noch nicht in Aussicht genommen. (Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jaeger) VI. Berichtswesen, Inspektion und Ausbildung Nach Ziffern 11 und 12 der schon früher erwähnten Entschließung zur Durchführung von Abschnitt IV der Schlußakte der Londoner Konferenz vom 22. Oktober 1954 erhält SACEUR die erweiterte Befugnis, Berichte über Umfang und Schlagkraft, Bewaffnung, Ausrüstung und Verbrauchsgüter sowie über Organisation und Stationierung der logistischen Einrichtungen der ihm unterstellten Streitkräfte anzufordern. Er kann in diesem Bereich auch die erforderlichen Inspektionen an Ort und Stelle durchführen. Die Mitgliedstaaten haben ihm die entsprechenden Berichte vorzulegen und die Inspektion zu unterstützen. Die Befugnisse von SACEUR erstrecken sich nicht nur auf die Zusammenfassung der ihm unterstellten Streitkräfte zu einer schlagkräftigen, integrierten Streitmacht, sondern auch auf deren Ausbildung. Er ist befugt, die höhere Ausbildung aller ihm in Friedenszeiten zur Verfügung gestellten Streitkräfte unmittelbar zu leiten und zu überwachen. Er ist bei der Inspektion der Ausbildung der Streitkräfte von den Mitgliedstaaten zu unterstützen (Ziffer 13 der genannten Entschließung). In den Rahmen der Zuständigkeiten von NATO auf dem Gebiet der Ausbildung gehört die Verteidigungsakademie der NATO in Paris, in der in halbjährigen Kursen Offiziere im Range eines Generals oder Obersten zusammen mit Beamten des diplomatischen Dienstes und der höheren Verwaltungslaufbahn sich dem Studium der Verteidigungsprobleme des NATO-Bereiches widmen. VII. Besondere Verpflichtungen Durch den Beitritt zum Nordatlantikvertrag übernimmt die Bundesrepublik naturgemäß auch die Verpflichtungen, die sich aus den seit dem Inkrafttreten des Nordatlantikvertrages in seinem Rahmen zustande gekommenen Abkommen und Beschlüssen sowie aus der inzwischen entwickelten Organisationsform der NATO ergeben. Im einzelnen ergeben sich hieraus folgende Verpflichtungen: Die Bundesrepublik muß 1. der zivilen und militärischen Struktur der NATO und der von dieser geleisteten Arbeit zustimmen, 2. einen Ständigen Vertreter und eine entsprechende Delegation ernennen, 3. bereit sein, dem Generalsekretär der NATO sowie SACEUR geeignete Persönlichkeiten namhaft zu machen, welche die für einen neuen Mitgliedstaat vorgesehenen Stellen besetzen können, 4. sich an der Finanzierung der Organisation und des Infrastrukturprogramms (Militärbauprogramme jeder Art) unter Beachtung des bereits gültigen Verfahrens beteiligen, wobei über die jährlichen deutschen Beiträge noch verhandelt werden muß, 5. bestimmten Abkommen beitreten. Es handelt sich hierbei um folgende Abkommen: a) Abkommen über die Rechtsstellung der Organisation des Nordatlantikvertrages, der Nationalen Vertreter und des Internationalen Stabes, unterzeichnet am 20. September 1951 in Ottawa. (Dr. Jaeger) Das Abkommen regelt die Rechte, Privilegien und Pflichten der Nationalen Vertreter und des Internationalen Stabes sowie die Rechtsstellung der NATO. b) Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Streitkräfte, unterzeichnet am 19. Juni 1951 in London (sog. NATO-Truppenvertrag). Das Abkommen regelt die Rechtsstellung der NATO-Streitkräfte, die einen anderen NATO-Mitgliedstaat durchqueren oder dort stationiert sind, und setzt einen Schadensschlüssel für durch NATO-Streitkräfte hervorgerufene Schäden fest (Art. VIII). Der Beitritt eines neuen Mitgliedstaates unterliegt der Billigung seitens des Nordatlantikrates, der gegebenenfalls weitere Bedingungen hierfür festlegen kann (Art. XVIII). Für die Bundesrepublik wird dieses Abkommen gemäß Art. VIII Abs. 1 Buchstabe (b) des Deutschlandvertrages als Grundlage für die Vereinbarungen dienen, die den bisherigen Truppenvertrag ersetzen sollen. c) Protokoll über die Rechtsstellung der gemäß dem Nordatlantikvertrag gebildeten internationalen Militärischen Hauptquartiere, unterzeichnet am 28. August 1952 in Paris. Das Protokoll regelt die Privilegien der Militärischen Hauptquartiere in bezug auf die Befreiung von Steuern und Zöllen, es setzt gewisse Vorrechte fest und definiert die Rechtsstellung der Hauptquartiere. Auch der Beitritt zu diesem Abkommen unterliegt der Billigung seitens der Nordatlantikrates. Bonn, den 11. Februar 1955 Erler Dr. Jaeger Berichterstatter Anlage B (zu D V) Bonn, den 2. November 1954 Leitsätze für die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium für Wirtschaft und dem Verteidigungsressort — unbeschadet der Zuständigkeiten anderer Ressorts — Die Verantwortung für die gesamte Wirtschaftspolitik trägt das Bundesministerium für Wirtschaft. Um die Deckung des Verteidigungsbedarfs entsprechend den wirtschaftspolitischen Grundsätzen des Bundesministeriums für Wirtschaft zu sichern, wird für die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium für Wirtschaft und dem Verteidigungsressort folgendes festgelegt: 1. Das Bundesministerium für Wirtschaft prüft die wirtschaftliche Durchführbarkeit der vom Verteidigungsressort nach Art, Menge und Zeit aufgestellten Bedarfsprogramme unter Wahrung der allgemeinen wirtschaftspolitischen Gesichtspunkte und der Grundsätze des Wettbewerbs. Die Beschaffungsprogramme werden von dem Verteidigungsressort im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft aufgestellt. Das gleiche gilt auch für die Bauprogramme. Wird keine Einigung erzielt, entscheidet der Kabinettsausschuß. 2. Das Bundesministerium für Wirtschaft trifft im Zusammenhang mit den jeweiligen Beschaffungsprogrammen die von ihm für erforderlich gehaltenen, im Rahmen seiner allgemeinen Zuständigkeit liegenden Maßnahmen, namentlich auf den Gebieten der Investitionen, der Außenwirtschaft, der Bevorratung, der Kapazitäten, der Anwendung des Sicherstellungsgesetzes, des Energienotgesetzes usw. Maßnahmen auf den Gebieten der Preisbildung und Preisüberwachung obliegen im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen dem Bundesministerium für Wirtschaft. 3. Die Typenauswahl und die Bereitstellung der technischen Unterlagen sind Aufgaben des Verteidigungsressorts. In Angelegenheiten mit erheblichen Auswirkungen auf die Produktion, z. B. bei Forschungsvorhaben, Entwicklungsaufträgen und der Festlegung eines Prototyps sowie der Geheimhaltung und Auswertung von Erfindungen ist das Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft herbeizuführen. Die Bildung von Sachverständigengremien für Fragen des Verteidigungsbedarfs erfolgt unter beiderseitiger Beteiligung. 4. Die in Ausführung der Programme (Ziff. 1) vorzunehmende Beschaffung, die Auftragsvergebung, die Vereinbarung der Preise, die Abnahme, die Bezahlung und der Verkauf von Material obliegen einem dem Verteidigungsressort nachgeordneten Beschaffungsamt. Das Beschaffungsamt befaßt sich nicht mit Aufgaben der in Ziff. 3 genannten Art; diese Aufgaben obliegen einem dem Verteidigungsressort nachgeordneten Technischen Amt. Unbeschadet der den für die Preisbildung und Preisüberwachung zuständigen Behörden nach den Vorschriften der Verordnungen PR 30/53 und PR 32/53 obliegenden Prüfungen wird das Verteidigungsressort etwa erforderliche vertragliche Preisprüfungsrechte nur im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft vereinbaren und ausüben. Der Bundesminister für Wirtschaft wird bei seinen Prüfungen Sachverständige des Verteidigungsressorts hinzuziehen. Eine enge Zusammenarbeit wird sichergestellt. 5. Um die notwendige ständige Zusammenarbeit beider Häuser sicherzustellen, wird ein Arbeitsausschuß gebildet. Dem Arbeitsausschuß gehören an: je ein hauptverantwortlicher Vertreter beider Ministerien und je zwei fachliche Berater als ständige Mitglieder. Die Entscheidungen des Arbeitsausschusses, die mit den Stimmen der beiden hauptverantwortlichen Vertreter zustande kommen, sind für beide Häuser und deren nachgeordnete Dienststellen verbindlich. Sie können nur von beiden Häusern einvernehmlich geändert oder aufgehoben werden. Kommt eine Einigung beider Häuser nicht zustande, so entscheidet der Kabinettsausschuß. Dem Arbeitsausschuß sind zur Entscheidung vorzulegen: a) Alle Fragen, in denen das Einvernehmen beider Häuser in den Ziff. 1 bis 4 vorgesehen ist. b) Grundsatzfragen der Beschaffung und des Beschaffungsverfahrens einschließlich Lieferungs- und Zahlungsbedingungen sowie Streuung der Aufträge, Berücksichtigung mittelständischer Betriebe und der Notstandsgebiete. c) Grundsätze der Abnahme. d) Allgemeine Fragen der Bevorratung und des Verkaufs von überschüssigem Material. c) Aufträge von besonderer wirtschaftlicher, wirtschaftspolitischer oder handelspolitischer Bedeutung (die Bestimmung wird nach einer Erfahrungszeit von 6 Monaten näher präzisiert). f) Zusammenarbeit mit den Wirtschaftsverwaltungen der Länder und den Organisationen der gewerblichen Wirtschaft. Der Ausschuß kann Ausnahmen von den von ihm festgelegten Grundsätzen im Einzelfall oder allgemein bewilligen. Jedes Haus kann jederzeit Zweifels- und Streitfragen an den Arbeitsausschuß herantragen. 2. Besonderer Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuß) Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wahl (Mehrheitsauffassung) Wenn man in verfassungsrechtlicher Hinsicht das Vertragswerk von 1952, insbesondere, soweit es auf die Schaffung ,der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft abzielte, mit den militärischen Verträgen vergleicht, die in den Drucksachen 1060 und 1061 dem Bundestag zur Zustimmung vorgelegt sind, so hat die Änderung des Grundgesetzes von 1954 die Zweifel über die Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Ratifikationsgesetze mit dem Grundgesetz ausgeräumt: In der Tat ist nun klargestellt, daß der Bund auf dem Gebiet der Landesverteidigung Gesetze erlassen kann, und da die Verträge I einstweilen nur die Verpflichtung begründen, eine nationale Armee aufzustellen bzw. die Ermächtigung zur Aufstellung von Truppen erteilen, brauchen die in der Grundgesetzänderung noch nicht behandelten Fragen, die sich auf die Organisation der Armee beziehen, erst dann gelöst zu werden, wenn der Gesetzgeber darangeht, durch den Erlaß eines Wehrgesetzes die übernommenen Verpflichtungen zu erfüllen bzw. von den erteilten Ermächtigungen Gebrauch zu machen. Im übrigen wird auf die früheren Darlegungen verwiesen, insbesondere auch darüber, daß eine Kriegserklärung schon heute entsprechend unserer Verfassungstradition nur durch Gesetz erfolgen kann, was man aus der Analogie zu Art. 59 ableiten könnte. Bonn, den 11. Februar 1955 Dr. Wahl Berichterstatter Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Arndt (Minderheitsauffassung) Die amtliche Begründung kennzeichnet als Ziel dieser Verträge zutreffend die kollektive Selbstverteidigung — Drucksache 1061 S. 46, 47 und 54 — und stellt richtig fest, daß der Nordatlantikvertrag sich auf Art. 51 der UN-Satzung stützt. Beide Verträge sind also keine Systeme der kollektiven Sicherheit, sondern Militär-Allianzen (Bündnisse). Sie können nicht nach Art. 24 GG, sondern müssen unter den Voraussetzungen und in den Formen des Art. 59 GG abgeschlossen werden. Die Verpflichtung zur Kriegserklärung kann verfassungsrechtlich nicht übernommen werden, weil das Grundgesetz keine Vorschriften über eine Kriegserklärung enthält und sie somit nicht zuläßt. Während die amtliche Begründung zum Nordatlantikvertrage ausführt — Drucksache 1061 Art. 5 S. 55 —, die Mitglieder seien nicht verpflichtet, mit militärischen Mitteln Beistand zu leisten, vielmehr steht es ihnen frei, ob sie ihre Beistandspflicht mit diesen oder mit sonstigen Mitteln erfüllen wollen, hat der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes — im Widerspruch hierzu — auf Befragen erklärt, daß „nach Treu und Glauben" die Gesamtheit des Vertragswerkes Westdeutschland zur Aufstellung bewaffneter Streitkräfte verpflichte. Rechtlich konnte eine Klarheit in dieser Frage nicht gewonnen werden. Bonn, den 11. Februar 1955 Dr. Arndt Berichterstatter IV. Entwurf eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar - Drucksache 1062 - a) Generalbericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (4. Ausschuß) Generalberichterstatter: Abgeordneter Dr. Pfleiderer Inhaltsverzeichnis KAPITEL I Allgemeine Bemerkungen Politische Vorbemerkung Das Junktim Die Legitimation der vertragschließenden Teile Die Rechtsnatur des Abkommens Das Verhältnis des Statuts zu Art. 23 Satz 2 GG „Mit Gesetzeskraft" Die Zugehörigkeit des Saargebiets zu Deutschland Die Grenzen des Saargebiets Die Saar — kein Staat KAPITEL II Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln des Abkommens KAPITEL III Der Antrag KAPITEL I Politische Vorbemerkung Die französische Saarpolitik ist seit Kriegsende von dem Bestreben .ausgegangen, das Saargebiet politisch von Deutschland abzutrennen und seine Wirtschaft mit derjenigen Frankreichs zu verbinden. Die Gründe für diese Politik scheinen ebensosehr politischer wie wirtschaftlicher Art gewesen zu sein. Unter anderem hat auf französischer Seite der Wunsch eine Rolle gespielt, ein Gleichgewicht zwischen der deutschen und der französischen Schwerindustrie herzustellen und zu diesem Zweck die Wirtschaftskraft des Saargebiets derjenigen Frankreichs hinzuzufügen. Außerdem sind von französischer Seite Reparationsgesichtspunkte vorgebracht worden, die eine französische Sonderstellung im Saargebiet und einen Eingriff in die Privatrechte daselbst rechtfertigen sollen. Der deutsch-französische Saarstreit ist 1945 in einer ganz anderen Lage entstanden, als sie jetzt durch die Notwendigkeit und Möglichkeit der deutsch-französischen Zusammenarbeit gegeben ist. Die unter damaligen Verhältnissen angestrebte Veränderung des deutschen Gebietsstandes erweist sich heute als unvereinbar mit den Grundsätzen der Westeuropäischen Union, in der Deutschland und Frankreich gemeinsam Gebiet und Freiheit verteidigen sollen. Was die Reparationen anbelangt, so glaubt der Auswärtige Ausschuß, daß solche weder von Gebietsteilen noch von Privatpersonen, sondern nur von Staaten im ganzen 'geschuldet werden. Der Auswärtige Ausschuß ist hinsichtlich des Saargebiets zu der Überzeugung gelangt, daß es wirtschaftlich in lebenswichtiger Weise sowohl mit Deutschland als auch mit Frankreich verbunden ist. Deshalb billigt er das Bestreben der deutschen Außenpolitik, den Lebensinteressen der deutschen Bevölkerung im Saargebiet, dem deutschen Rechtsanspruch in bezug auf das Saargebiet und den berechtigten Interessen, die Frankreich im Saargebiet besitzt, Rechnung zu tragen. Der Auswärtige Ausschuß .ist einhellig der Ansicht, daß die deutsch-französischen Beziehungen für die deutsche Außenpolitik, wie sie auch geführt werden möge, von grundlegender Bedeutung seien; der Ausschuß ist ferner der Ansicht, daß befriedigende und nutzbringende deutsch-französische Beziehungen nicht geschaffen werden könnten ohne eine Regelung der Saarfrage. Der im Saargebiet bis heute bestehende Schwebezustand ist auf die Dauer unerträglich, und die von Frankreich unter Besatzungsrecht geschaffenen Verhältnisse können nicht fortbestehen, ohne die Beziehungen zu Deutschland zu vergiften und die Befriedung Europas zu beeinträchtigen. Es erscheint dem Ausschuß daher unerläßlich, daß die Saarfrage geregelt werde, und zwar durch ein Abkommen zwischen den beteiligten Hauptmächten, der Bundesrepublik Deutschland und der französischen Republik. Wenn nun auch die beiden Staaten im letzten Ziel ihrer Saarpolitik noch keine Übereinstimmung erzielt haben, so sollen und wollen sie doch den fortdauernden Streit um der notwendigen Verständigung willen ausschalten. Dies bedeutet, daß eine vorläufige Lösung gefunden werden muß; es bedeutet ferner, daß diese Lösung von den im Saargebiet geschaffenen Tatsachen auszugehen hat, die insofern aber von deutscher Seite nicht als rechtmäßig anerkannt, sondern nur hingenommen werden; es bedeutet schließlich, daß .diese vorläufige Lösung alles vermeiden muß, was die Endlösung vorwegnehmen oder beeinträchtigen könnte. Es entspricht der Lage, die Vorläufigkeit der Lösung, wie es in dem Abkommen über das Statut (Dr. Pfleiderer) der Saar jetzt auch geschehen ist, bis zum Friedensschluß zu begrenzen. Sollte jedoch ein Friedensschluß in angemessener Zeit nicht zustande kommen, besonders etwa deshalb nicht, weil sich die ehemals kriegführenden Staaten in West und Ost nicht einigen können, dann würde dies nach Auffassung des Ausschusses dazu führen müssen, daß die Regeln des allgemeinen Völkerrechts zur Geltung kämen. Der Vertagung der endgültigen Lösung der Saarfrage bis zum Friedensvertrage hat der Ausschuß in der Hoffnung zugestimmt, daß diese endgültige Lösung bis dahin in einer für beide Teile befriedigenden Weise gefunden werden kann. Auf der Moskauer Konferenz von 1947 begründete Frankreich seine Ansprüche mit dem Wunsch, Deutschland eines Teils seines Kriegspotentials zu berauben, und forderte wörtlich: „Die Saar wird der Zuständigkeit des interalliierten Kontrollrats in Berlin entzogen. Sie hört auf, einen Teil des deutschen Staatsgebiets zu bilden." Dieser französischen Forderung auf Ausgliederung des Saargebiets aus der Zuständigkeit des Kontrollrats und aus dem deutschen Staatsgebiet haben die anderen Mächte allerdings nicht zugestimmt. Die zwischen 1947 und 1950 von den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich gegebenen Zusagen, die französischen Ansprüche auf der Friedenskonferenz zu unterstützen, hält der Ausschuß deshalb für überholt. Der Ausschuß war ferner der Ansicht, daß die schwierigen Bedingungen, unter denen eine vorläufige Lösung heute notwendigerweise steht, auf allen Seiten Verständnis für die Gegenseite und für die Besonderheit der Lage verlangen und daß guter Wille und Mäßigung bei Durchführung der vorläufigen Lösung unumgänglich seien. Keine Seite darf ihren Organen erlauben, die schwache Grundlage an Vertrauen zu zerstören, auf der das Abkommen ruht. Die Befriedung des Erdteils hängt weithin von der Lösung der Saarfrage ab. Wenn in diesem Bericht zu dem Saarstatut vom 23. Oktober 1954 Stellung zu nehmen ist, dann wird dies dadurch erheblich erschwert, daß das Statut für sich allein nicht ausreicht, um die Verhältnisse zu beurteilen, die nach seinem Inkrafttreten im Saargebiet herrschen werden. Der Ausschuß begrüßt die deutsch-französischen Abmachungen über die Überwachung der Volksabstimmung und die Stellung des Kommissars, die am 14. Januar in Baden-Baden getroffen wurden. Der Wert des Statuts wird grundlegend von den in Art. XII vorgesehenen französisch-saarländischen und deutsch-französisch-saarländischen Wirtschaftsabmachungen beeinflußt werden, die aber erst nach der Ratifikation des Statuts abgeschlossen werden können. Darüber hinaus fehlen bis zur Stunde eine Reihe saarländischer Gesetze, die zur Durchführung des Abkommens erlassen werden müssen, so das Gesetz zur Änderung der saarländischen Verfassung gemäß Art. VII und die Gesetze, durch die Art. VI verwirklicht werden soll. Der Ausschuß möchte nicht versäumen, im vollenBewußtsein seiner Verantwortung und mit all dem Ernst, den die Sache erfordert, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß jeder Versuch, den versöhnlichen Geist, in dem das Abkommen abgeschlossen worden ist, durch unbefriedigende Durchführungsabkommen oder -gesetze zu beeinträchtigen, auf deutscher Seite die tiefste Enttäuschung und den nachdrücklichsten Widerstand hervorrufen wird. Das Junktim Als die Verträge, die als Vorläufer der am 23. Oktober 1954 in Paris geschlossenen zu gelten haben, nämlich der Generalvertrag vom 26. Mai 1952 und der EVG-Vertrag vom 27. Mai 1952, unterzeichnet wurden, war nicht davon die Rede, daß die Regelung der Saarfrage eine Vorbedingung der Unterzeichnung oder der Ratifizierung bilde. Erst seit Januar 1953 kommt in den Investiturreden der französischen Ministerpräsidenten und in zahlreichen anderen außenpolitischen Verlautbarungen wechselnder französischer Regierungen die Absicht zum Ausdruck, die Ratifikation der europäischen Verträge von der vorherigen Regelung der Saarfrage abhängig zu machen. Als jedoch die beiden genannten Verträge am 30. August 1954 gescheitert waren und die Bundesregierung und die Regierungen der westlichen Welt ihre neue Politik in der Zeit vom 28. September bis zum 3. Oktober 1954 in London festlegten, war von einem Junktim mit der Saarfrage nicht wieder die Rede. In der Londoner Schlußakte vom 3. Oktober 1954 ist die Saarfrage nicht erwähnt. Erst am 7. Oktober gab der französische Ministerpräsident Mendès-France vor der französischen Nationalversammlung wieder die Versicherung ab, daß die Saarfrage zur gleichen Zeit geregelt werden müsse wie die anderen schwebenden europäischen Probleme. Kurz vor der Unterzeichnung der anderen Verträge, die heute dem Bundestag vorliegen, wurde dann von französischer Seite auf Grund eines Kabinettsbeschlusses vom 22. Oktober 1954 das Junktim mit der Saarfrage auch dem deutschen Bundeskanzler gegenüber in aller Form wiederhergestellt. Obwohl rechtliche und sachliche Gründe für ein solches Junktim nicht bestehen, wurde es in den Pariser Verhandlungen doch als politisch unumgänglich hingenommen. Die Mehrheit des Ausschusses ist mit der Bundesregierung der Ansicht, daß der Nachteil, den ein Scheitern der Verträge für die internationale Stellung der Bundesrepublik, für ihre Sicherheit und für die Wiederherstellung der inneren Freiheit sowie für die Lage im Saargebiet selbst mit sich gebracht hätte, größer gewesen wäre als die Unterzeichnung eines Abkommens, auch wenn es die deutschen Wünsche nicht ganz erfüllte. Von der Minderheit des Ausschusses wurde in Abwägung des Für und Wider darauf hingewiesen, daß es aber doch von Bedeutung sei, daß die französische Nationalversammlung idem Saarstatut mit großer Mehrheit zugestimmt habe, daß die Vorteile auf französischer Seite also offenbar größer seien als auf deutscher Seite. Hierfür spreche auch das hartnäckige französische Festhalten am Junktim. Der Ausschuß hat des längeren darüber beraten, was für eine Lage geschaffen würde, wenn die französischen gesetzgebenden Körperschaften nur den Saarvertrag und nicht auch die anderen Verträge ratifizierten, wenn daher für die Bundesrepublik, wenn sie alle Verträge ratifiziere, nur der Saarvertrag Geltung erlange. Der Ausschuß war einhellig der Ansicht, daß der Saarvertrag, der ja die Westeuropäische Union voraussetzt, fur sich allein nicht in Kraft treten könne, sondern daß beim Scheitern der anderen Verträge ein neues Saarabkommen geschlossen werden müßte. Die Legitimation der vertragschließenden Teile Im Hinblick auf die politische Aufgabe, eine vorläufige vertragliche Lösung 'der Saarfrage zu fin- (Dr. Pfleiderer) den, hatte der Ausschuß die völkerrechtliche Legitimation der beiden vertragschließenden Teile zu prüfen. Hierfür standen ihm zwei Gutachten des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, nämlich ein Mehrheits- und ein Minderheits-Gutachten zur Verfügung. Fest steht, daß die Legitimation der Bundesrepublik bzw. der Bundesregierung weder im Inland noch im Ausland einheitlich beurteilt wird. Die Bundesrepublik selbst betrachtet sich als identisch mit dem Deutschen Reich und hält sich für ermächtigt, als Sachwalterin gesamtdeutscher Interessen einen vorläufigen Modus vivendi zu schaffen. Der Ausschuß ist dieser Schlußfolgerung beigetreten. Auch ist durch die Erklärung der New Yorker Außenministerkonferenz vom September 1950, die in die Londoner Schlußakte vom 3. Oktober 1954 übernommen worden ist und der in Paris am 23. Oktober 1954 auch die NATO-Mächte beigetreten sind, nicht nur das politische Interesse der Bundesregierung an Gesamtdeutschland, sondern auch eine Art Treuhänderschaft oder Sachwalterschaft der Bundesregierung für Gesamtdeutschland anerkannt worden. Damit wäre eine Legitimation zum Abschluß eines Abkommens über einen vorläufigen Status gegeben. Inhaltlich muß jedoch die Legitimation der Bundesrepublik in doppelter Weise eingeschränkt werden. Einmal kann sie, da die Bevölkerung in den Gebietsteilen außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes an der Willensbildung der Bundesrepublik nicht mitwirken kann, auf deutsches Staatsgebiet und deutsche Staatsangehörige nicht verzichten. Zum anderen ist die Souveränität der Bundesrepublik durch !die in Art. 2 des Deutschlandvertrages den Alliierten in bezug auf Deutschland als Ganzes vorbehaltenen Rechte beschränkt. Da aber in dem Abkommen weder auf deutsches Gebiet noch auf deutsche Staatsangehörige verzichtet wird, kann die Legitimation der Bundesrepublik zum Abschluß eines vorläufigen Modus vivendi nicht bezweifelt werden. Eine besatzungsrechtliche Legitimation ad hoc ist nach Ansicht des Ausschusses ausgeschlossen. Was nun die Legitimation der französischen Regierung zum Abschluß des Abkommens anbelangt, so ist sie vom Ausschuß nicht bezweifelt warden, wobei es dahingestellt bleiben konnte, inwieweit diese Legitimation aus der Stellung der französischen Republik als Besatzungsmacht in Deutschland oder aus ihrer über das Besatzungsrecht hinausgehenden tatsächlichen Machtstellung im Saargebiet herzuleiten sei. Auch Frankreich ist auf Grund des Art. 2 und des Art. 7 Abs. 2 des Deutschlandvertrages vor einem Friedensvertrag nur berechtigt, bei einer vorläufigen Regelung der Saarfrage mitzuwirken. Wegen der Einzelheiten darf auf die in der Anlage beigefügten Auffassungen der Mehrheit und der Minderheit im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht Bezug genommen werden. Die Rechtsnatur des Abkommens An weiteren Rechtsfragen war vorab zu prüfen, ob das Abkommen über das Statut der Saar, das in der Form eines Regierungsabkommens abgeschlossen worden ist, im Hinblick auf Art. 59 GG nicht wesentliche Formmängel aufweise, ob es der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften und der Ratifizierung bedürfe oder überhaupt nicht ratifizierbar sei. Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten schloß sich der in dem Mehrheitsbericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht niedergelegten Auffassung an und glaubte, hinsichtlich der Form des Abkommens, hinsichtlich des Erfordernisses der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften und der Ratifikationsbedürftigkeit keine Einwendungen erheben zu müssen. Die Minderheit des Auswärtigen Ausschusses teilt die im Minderheitsgutachten des Rechtsausschusses niedergelegte abweichende Auffassung. Das Verhältnis des Statuts zu Art. 23 Satz 2 GG In Würdigung der in der Minderheitsauffassung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht dargelegten Gesichtspunkte hat sich der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten auch mit der möglichen Rückwirkung des Statuts auf die Rechte nach Art. 23 Satz 2 GG befaßt. Die Minderheit war der Auffassung, daß diese Bestimmung des Grundgesetzes zusammen mit seiner Präambel eine „Offenhaltungspflicht" der Bundesrepublik festsetze, d. h. eine Rechtspflicht, jedem anderen Teil Deutschlands jederzeit den Beitritt zu ermöglichen; diese Rechtspflicht werde verletzt, wenn, wie es durch das Statut geschehe, dem Saargebiet der Beitritt auch nur zeitweise unmöglich gemacht werde. Die Mehrheit hat sich dem nicht angeschlossen; sie war vielmehr der Auffassung, daß in Art. 23 Satz 2 GG nur zum Ausdruck gebracht sei, daß in anderen Teilen Deutschlands das Grundgesetz in Kraft gesetzt werden müsse, nachdem ein Beitritt erfolgt sei; es sei aber offengelassen, in welcher Form ein solcher Beitritt erfolgen müsse. Abgesehen davon werde aber die erwähnte „Offenhaltungspflicht" zur Zeit hinsichtlich des Saargebiets gar nicht verletzt, da ein Beitritt des Gebiets zur Bundesrepublik vor einer friedensvertraglichen Regelung nicht im Bereich des Möglichen liege. „Mit Gesetzeskraft" Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht hat dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten empfohlen, in Art. 2 des Entwurfs des Ratifikationsgesetzes die Formulierung „mit Gesetzeskraft" zu streichen. Auch in den Beratungen des Auswärtigen Ausschusses schienen gerade bei dem Abkommen über das Statut der Saar Gründe für die Streichung zu sprechen, weil hier kein in innerdeutsches Staatsrecht umzuwandelnder Vertragsinhalt vorliege. Der Auswärtige Ausschuß entschloß sich aus diesen Gründen, in Art. 2 des Gesetzentwurfs die Formel „mit Gesetzeskraft" zu streichen. Auf die Begründung im Generalbericht zu Drucksache 1000 wird verwiesen (siehe S. 24). Die Zugehörigkeit des Saargebiets zu Deutschland Die Bundesrepublik kann zum Abschluß des Abkommens, wie oben ausgeführt, nur unter der Voraussetzung und unter der Einschränkung als legitimiert betrachtet werden, daß sie möglichen Verfügungen des künftigen Gesamtdeutschlands über deutsches Staatsgebiet nicht vorgreift. Dieser Standpunkt ist auch von den Westmächten anerkannt. Nichts von dem, was das Abkommen festsetzt, kann also als Veränderung der deutschfranzösischen Grenzen von 1937 angesehen werden. Somit bleibt das Saargebiet auch nach Abschluß des Abkommens, was es vorher stets gewesen war: ein Teil Deutschlands in den Grenzen von 1937. (Dr. Pfleiderer) Es besteht auch kein Zweifel daran, daß das Saargebiet zu Deutschland in den Grenzen von 1937 gehört, das am 5. Juni 1945 in vier Besatzungszonen aufgeteilt wurde. Das Bestreben der französischen Regierung, das Saargebiet aus ihrer eigenen Besatzungszone herauszulösen und einem Sonderregime zu unterstellen, hat an dieser Zugehörigkeit zu Deutschland in den Grenzen von 1937 nichts geändert. Die vier Mächte haben in ihrer Gesamtheit der Herauslösung des Saargebiets aus der zu ihrem Bereich gehörigen französischen Besatzungszone nie zugestimmt, noch gar eine Veränderung der deutschen Grenzen von 1937 vorgenommen. Nun haben die Bundesrepublik und die französische Republik einen Vertrag geschlossen, um einen Teil der französischen Besatzungszone einem europäischen Kommissar zu unterstellen, der seinerseits der Westeuropäischen Union untersteht, also einer Staatengemeinschaft, die von derjenigen der vier Besatzungsmächte wesentlich verschieden ist. Dies ist juristisch eine höchst bemerkenswerte, aus der politischen Lage zu erklärende Maßnahme, die aber niemals dahin ausgelegt werden kann, als seien die Grenzen Deutschlands endgültig verändert worden und als sei das Saargebiet seiner Zugehörigkeit zu Deutschland beraubt. In den Beratungen des Ausschusses ist darauf hingewiesen worden, daß sich der gesamtdeutsche Vorbehalt nach wie vor, auch nach Unterstellung des Saargebietes unter die treuhänderische Kontrolle der Westeuropäischen Union, auf das Saargebiet erstrecke. Nach Art. 1 des van-der-Goes-van-NatersPlanes sollte das Saargebiet mit der Bildung der Europäischen Gemeinschaft, jedoch unter Vorbehalt des Friedensvertrages, „europäisches Territorium" werden. Wenn nun schon zweifelhaft war, ob diese Bestimmung rechtswirksam werden konnte, so kann auf Grund des vorliegenden Abkommens, in dem eine ähnliche Bestimmung gar nicht mehr enthalten ist, erst recht nicht mehr von einer Abtrennung die Rede sein. Das neue Saarstatut spricht nirgends von einem „europäischen Territorium". Der Ausschuß war deshalb einmütig der Ansicht, daß das Saargebiet auch nach Inkrafttreten des Abkommens Bestandteil Deutschlands in den Grenzen von 1937 bleibe. Der Ausschuß für innere Verwaltung hat darüber hinaus mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß eine besondere Staatsangehörigkeit für die Bewohner des Saargebietes nicht anerkannt werden könne. In den Beratungen des Auswärtigen Ausschusses ist von der Minderheit die Ansicht vertreten worden, die Bundesregierung habe als Sachwalterin gesamtdeutscher Interessen nicht nur den Gebietsstand zu wahren, sondern auch alles zu unterlassen, was es der künftigen gesamtdeutschen Regierung erschweren könne, das Staatsgebiet unversehrt zu erhalten. Mit dem Zugeständnis eines vorläufigen, von dem Vertragspartner als Europäisierung bezeichneten Sonderstatus sei aber bereits der Tatbestand der Erschwerung gegeben. Die Mehrheit hat sich dieser Auffassung nicht angeschlossen, sie hält die Sorgen. der Minderheit nicht für begründet. Im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht ist angeregt worden, die deutsche Auffassung über das Staatsgebiet und die Staatsangehörigen an der Saar in dem Zustimmungsgesetz selbst zu verankern und die Zustimmung von der bei der Ratifizierung der französischen Regierung zu notifizierenden Auffassung abhängig zu machen, daß das Statut keine Ausgliederung von Land und Leuten aus dem deutschen Staatsverband mit sich bringe. Die Mehrheit des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht lehnte diese Anregung jedoch ab, um die Ratifikation nicht zu erschweren, war doch auch in der französischen Nationalversammlung die Zustimmung nicht an die Annahme französischer Auslegungen durch die Bundesrepublik geknüpft worden. Die Mehrheit des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten hat sich dieser Auffassung angeschlossen. Die Grenzen des Saargebiets Im Zusammenhang mit den Grenzen stehen auch die von französischer Seite vorgenommenen einseitigen Veränderungen des Saargebiets. Bei der Herauslösung des Saargebiets aus der französischen Besatzungszone verliefen die Grenzen des Saargebiets gleichlaufend mit denen, die im Vertrag von Versailles festgesetzt worden waren. Am 1. August 1946 bezogen die französischen Behörden die Kreise Saarburg, Wadern und einige Gemeinden des Kreises Birkenfeld in das Saargebiet ein. Dadurch wurde ein breiter, aus saarländischem Gebiet gebildeter Korridor zwischen dem ursprünglichen Saarbecken und Luxemburg geschaffen. Im Jahre 1947 veranlaßten britische und amerikanische Schritte die französischen Behörden, den größten Teil dieses neuen Gebiets wieder zurückzugliedern, doch nahmen die Franzosen dafür in den Kreisen Birkenfeld und Kusel wieder andere Gemeinden in Anspruch. Die letzte Grenzänderung fand im März 1949 statt, als die Gemeinde Kirberg in das Saargebiet einbezogen wurde. Das Saargebiet von April 1949 war somit durch die Eingliederung von 103 Gemeinden um ein Drittel größer geworden, als dasjenige des Versailler Vertrages gewesen war. Die Grenzen des Saargebiets, wie sie seit 1949 bestehen, werden durch das vorliegende Statut nicht geändert. Die Saar — kein Staat Der Ausschuß hat unter Verwertung der Stellungnahme des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen auch geprüft, ob das Saargebiet durch das Statut Staatscharakter erhalte. Diese Frage ist unabhängig von der Frage der Zugehörigkeit des Saargebietes zu Deutschland. Wo Bestrebungen im Gange seien, das Saargebiet nach und nach in die Stellung eines zweiten Luxemburg zu bringen, hätten diese schon in den vergangenen Jahren auf der internationalen Ebene keine Unterstützung gefunden. Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten verband dann in folgender Weise seine eigene Stellungnahme mit derjenigen des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen: Dem Saargebiet fehlen die wesentlichen Merkmale eines selbständigen Staatswesens. Wir haben es beim Saargebiet vielmehr mit einer teilweise autonomen Gebietseinheit eigener Art zu tun, nämlich einer Gebietseinheit mit eingeschränkter innerer Autonomie, die nach außen hin nicht als handlungsfähiges Rechtssubjekt in Erscheinung treten kann. Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten hob in seinen Beratungen dann noch besonders (Dr. Pfleiderer) hervor, daß nichts stärker die Staatlichkeit des Saargebiets verneine als sein nach dem Statut vorläufiger Charakter. Man könne nicht von einem Staatswesen sprechen, wenn sein Dasein nicht nur politisch, sondern auch juristisch unter einer auflösenden Bedingung stehe. KAPITEL II Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln des Abkommens Artikel I Art. I wirft vor allem drei Fragen auf: a) Er kündigt die Absicht an, dem Saargebiet im Rahmen der Westeuropäischen Union ein europäisches Statut zu geben. Die Bedeutung dieses Ausdruckes ist viel erörtert worden, um so mehr, als das Wort „europäisch" heute unbestimmter ist als je. Das Statut verdient das Beiwort „europäisch" nur insofern, als es in den Rahmen der Westeuropäischen Union gestellt ist und der Rat dieser Union einen Kommissar bestellt, der ihm verantwortlich ist. Das Statut ist jedoch nicht in dem Sinne europäisch, daß, wie nach dem van-der-Goes-van-Naters-Plan, ein „europäisches Territorium" geschaffen würde. b) Art. I enthält auch die sehr wesentliche Bestimmung, daß das Statut einer Volksabstimmung unterliegt. Der Ausschuß war einhellig der Ansicht, daß es an sich unerwünscht sei, einem Teil des Staatsvolkes das Recht zu geben, über eine Frage abzustimmen, die in gleicher Weise das Volk im ganzen angehe. Noch unerwünschter wäre es aber gewesen, wenn eine Volksabstimmung nur über das vorläufige Statut, nicht aber über die endgültige Lösung vereinbart worden wäre, weil dann die Volksabstimmung über das vorläufige Statut die Endlösung möglicherweise präjudiziert hätte. Da aber eine Volksabstimmung auch über die im Friedensvertrag zu treffende Endlösung vereinbart worden ist, wogen die Bedenken gegen die erste Volksabstimmung nicht mehr so schwer. Für die Bewertung der ersten Volksabstimmung, die das vorläufige Statut billigen oder verwerfen soll, ist es außerdem bedeutsam, daß sie sich nicht auf ein Begehren des Saargebiets, sondern auf ein Abkommen bezieht, das von der Bundesrepublik geschlossen worden ist. Die Volksabstimmung stellt somit nur eine qualifizierte Form der innerstaatlichen Zustimmung zu einem völkerrechtlichen Akt dar, die sonst den gesetzgebenden Körperschaften obliegt und die freilich besser einem von der Saarbevölkerung frei gewählten Landtag überlassen worden wäre. c) Was nun die Auslegung des in Art. I eingeführten Begriffs „in Frage stellen" anbelangt, so hat sie der Ausschuß mit besonderer Sorgfalt geprüft. Er hat dabei die Worte der Präambel: „in dem Bestreben, jeden Anlaß zu Streitigkeiten in den gegenseitigen Beziehungen zu beseitigen", herangezogen. Aus diesen Stellen geht die Absicht der beiden vertragschließenden Teile hervor, durch das Statut jeden Anlaß zu Streitigkeiten aus der Welt zu schaffen, und zwar für eine gewisse Dauer, bis eine Endlösung möglich ist. Die Entscheidung über die Zukunft des Saargebiets soll bis zum Friedensvertrag vertagt werden. Die mit der Annahme des Statuts getroffene Entscheidung soll während seiner Laufzeit nicht mehr „in Frage gestellt" werden können. Wenn heute das Saarabkommen abgeschlossen wird, so soll verhindert werden, daß die vertragschließenden Teile morgen den Kampf um seine Beseitigung beginnen. Hierzu sagt der dem Auswärtigen Ausschuß erstattete Bericht des Ausschusses für innere Verwaltung, die Formulierung „nicht mehr in Frage stellen" bedeute, daß die Gültigkeit des Statuts nicht bezweifelt und daß keine einseitige Abänderung vorgenommen oder gefordert werden dürfe. Dagegen könne im Falle der Nichtbewährung des Statuts von den beteiligten Parteien dessen Verbesserung angestrebt werden. Artikel II Art. II enthält allgemeine Bestimmungen über die Stellung und die Aufgaben des zukünftigen Europäischen Kommissars. a) Der Kommissar nimmt die Vertretung der Interessen des Saargebiets auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten und der Verteidigung wahr. Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten sieht in seiner Mehrheit in der Übertragung dieser bisher von der französischen Regierung wahrgenommenen Aufgaben auf einen Kommissar, an dessen Ernennung die Bundesregierung ebenso beteiligt ist wie die französische Regierung und der dem Rat der Westeuropäischen Union verantwortlich ist, einen grundlegenden Wandel im Saargebiet und in diesem Wandel einen der wesentlichen Gründe für seine Zustimmung zum Statut. b) Die Aufgaben des Kommissars sind von zweierlei Art: Einerseits nimmt der Kommissar die Saarinteressen auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten und der Verteidigung wahr, andererseits überwacht er die Beachtung des Statuts. Der Ausschuß hält es für notwendig, daß der Europäische Kommissar zur Erfüllung seiner Aufgabe, die Durchführung des Statuts zu überwachen, Ersuchen an die Saarregierung richten kann, denen diese entsprechen muß. Im Bedarfsfalle muß es dem Kommissar auch möglich sein, sich mit einem Ersuchen unmittelbar an untere Behörden zu wenden. Bei der Überwachung des Statuts muß der Kommissar nach Ansicht des Ausschusses seine Hauptaufmerksamkeit auf zwei Gebiete richten: 1. auf die Bestimmungen über die Menschenrechte und Grundfreiheiten und 2. auf die Wirtschaftsbeziehungen des Saargebiets zu anderen Gebieten. Von der Handhabung dieser beiden Teile des Statuts wird es wesentlich abhängen, ob der erhoffte Erfolg — die Befriedung innerhalb des Saargebiets — eintritt. Die Ermächtigung des Kommissars, die Durchführung der Art. XI und XII zu überwachen, erwächst nach Ansicht des Ausschusses nicht nur aus der allgemeinen Überwachungsaufgabe nach Art. II, sondern stärker noch aus der Pflicht zur „Vertretung der Saarinteressen in auswärtigen Angelegenheiten", deren wesentlicher Teil für die Saar gerade auf wirtschaftlichem Gebiet liegt. Die Ermächtigung des Kommissars erstreckt sich demnach auf die Beziehungen zwischen dem Saargebiet, der Bundesrepublik, Frankreich und dritten Ländern. (Dr. Pfleiderer) d) Der Europäische Kommissar wird von dem Rat der Westeuropäischen Union mit einer Mehrheit ernannt, bei der sich die Stimmen sowohl der Bundesrepublik als auch Frankreichs befinden müssen. Die Zustimmung der Saarregierung ist ebenfalls erforderlich. Angesichts der Natur des Amtes und seiner Aufgaben mißt der Ausschuß der Wahl einer geeigneten, unabhängigen Persönlichkeit für diesen Posten die größte Bedeutung bei. Der Kommissar ist dem Rat der Westeuropäischen Union verantwortlich. Dadurch, daß seine Berichte an 'die Versammlung der Westeuropäischen Union weitergeleitet werden, ist auch eine Art parlamentarische Kontrolle gesichert. Der Kommissar legt dem Rat nicht nur einen jährlichen Rechenschaftsbericht vor, sondern hat dem Rat auf Ersuchen über besondere Fragen Bericht zu erstatten. Der Rat führt die Entscheidungen, zu deren Ausführung der Kommissar auf Grund seiner Unterstellung verpflichtet ist, durch Mehrheitsbeschluß herbei. Die Einführung von Mehrheitsbeschlüssen ist in diesem Zusammenhang begrüßenswert. Jede andere Regelung wäre geeignet gewesen, die Kontrollfunktion des Rates lahmzulegen. e) In Art. X des geänderten Brüsseler Vertrages ist vorgesehen, daß alle rechtlichen Streitfälle zwischen den Unterzeichnermächten durch internationale Gerichtsbarkeit entschieden werden sollen, welche vom Internationalen Gerichtshof im Haag oder einem besonderen, neu zu schaffenden Gericht innerhalb der Westeuropäischen Union ausgeübt wird. Artikel III In Art. III einigen sich die Bundesrepublik Deutschland und die französische Republik über gemeinsame Vorschläge, die sie machen werden, um die Wahrnehmung der Interessen des Saargebietes in den Ministerräten und parlamentarischen Versammlungen der europäischen Zusammenschlüsse zu regeln. Art. III lehnt sich an die Bestimmungen der Ziff. 7 des van-der-Goes-vanNaters-Planes an. Ausgangspunkt ist der Grundsatz, daß das Saargebiet als Nicht-Staat nicht unmittelbar in Ministerräten vertreten sein könne, die nur Vollmitgliedern offenstehen. Wohl aber könnten Abgeordnete aus dem Saargebiet Sitz und Stimme in Versammlungen haben, die entweder keine oder nur begrenzte Vollmachten besitzen. Der Europäische Kommissar vertritt deshalb im Ministerausschuß des Europarats und im Rat der Westeuropäischen Union die Interessen des Saargebiets mit beratender Stimme. Für den Besonderen Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ist eine Ausnahme vorgesehen insofern, als bei Tagungen von Fachministern nicht, wie bei Tagungen von Außenministern, der Europäische Kommissar das Saargebiet vertritt, sondern der zuständige Fachminister, und zwar mit vollem Stimmrecht. Diese Bestimmung, die über Ziff. 7 des van-der-Goes-van-NatersPlanes hinausgeht, wurde offensichtlich getroffen, um der lebenswichtigen Bedeutung der Kohle- und Stahlwirtschaft für das Saargebiet gerecht zu werden. In der Beratenden Versammlung des Europarats tritt für die Abgeordneten des Saargebiets keine Änderung ein, während in der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vorgesehen ist, nunmehr drei Abgeordnete aus dem Saargebiet zuzulassen. Die Versammlung der Westeuropäischen Union soll die saarländischen Abgeordneten der Beratenden Versammlung mitumfassen. Unter politischen Gesichtspunkten bringt die Regelung für die Gemeinsame Versammlung der Montangemeinschaft insofern eine Neuerung mit sich, als die saarländischen Vertreter, die bisher in der Zahl der französischen Vertreter enthalten waren, nunmehr für sich selbst gerechnet werden. Die französische Vertretung wird trotz des Ausscheidens der drei Stimmen der Abgeordneten aus dem Saargebiet mit ihren 18 Stimmen den Vertretungen der Bundesrepublik und Italien gleich bleiben. Es ergibt sich freilich die Notwendigkeit, sowohl den Vertrag über die Gründung der Montangemeinschaft als auch den Brüsseler Vertrag zu ändern, um einem nicht als Mitgliedstaat anzusprechenden Gebiet die Entsendung von Vertretern zu gestatten. Artikel IV Aus Art. IV ergibt sich, daß die Teilnahme des Saargebiets an der europäischen Verteidigung erst später, und zwar durch einen im Rahmen der Westeuropäischen Union zu schließenden Vertrag, festgelegt wird. Am Zustandekommen dieses Vertrags wird die Bundesrepublik beteiligt sein. Alle damit zusammenhängenden Fragen stehen somit noch offen, insbesondere auch die Frage, in welcher Form das Saargebiet seinen Wehrbeitrag leisten soll. Den Ausschuß interessierte die Frage, ob Frankreich weiterhin die Verteidigung des Saargebiets wahrnehmen wird, wie dies in Art. 9 des allgemeinen Vertrags zwischen Frankreich und dem Saarland vom 20. Mai 1953 vorgesehen ist. Diese Frage ist zu verneinen. Art. II des Statuts bestimmt, daß der Europäische Kommissar die Interessen des Saargebiets auf dem Gebiet der Verteidigung wahrnimmt, und Art. V sieht eine enge Zusammenarbeit zwischen ihm und SACEUR vor. Aus diesen Bestimmungen folgt, daß Frankreich keine Sonderstellung in bezug auf die Verteidigung des Saargebiets einnehmen soll. Der Ausschuß hat auch geprüft, ob bis zum Inkrafttreten des nach Art. IV im Rahmen der Westeuropäischen Union abzuschließenden Vertrags weiterhin französische Truppen im Saargebiet stationiert bleiben können. Da es gemäß Art. V des Statuts neben den Zuständigkeiten des Europäischen Kommissars nur Zuständigkeiten der Saarorganegibt, hat der Ausschuß dies einhellig verneint. Artikel V Die Formulierung des Art. V gleicht der von Ziff. 11 des van-der-Goes-van-Naters-Planes. Der Artikel spricht eine Kompetenzvermutung zugunsten der Regierung und der Behörden des Saargebiets aus. Was die Zuständigkeit des Kommissars auf wirtschaftlichem Gebiet anbelangt, wird auf die Ausführungen dieses Berichts zu Art. II verwiesen. Artikel VI a) Art. VI Abs. 1 geht von dem Grundsatz aus, daß die politischen Freiheiten an der Saar wiederhergestellt werden. Die Formulierung: „Die politischen Parteien, die Vereine, die Zeitungen und die (Dr. Pfleiderer) öffentlichen Versammlungen werden einer Genehmigung nicht unterworfen" entspricht dem Art. 16 des van-der-Goes-van-Naters-Plans. Die im Frühjahr 1954 in London und Paris im Rahmen des Allgemeinen Ausschusses des Europarates über diese Bestimmung geführten Erörterungen spitzten sich auf die Frage zu, ab trotzdem Parteien noch aus politischen Gründen verboten werden könnten. Die Erörterungen führten zur Annahme einer Bestimmung, die den Art. 16 ides van-der-Goes-vanNaters-Plans näher erläutert. Sie lautet: „Der Art. 16 soll so angewendet werden, daß sichergestellt wird, daß die politischen Parteien einer Genehmigung nicht unterworfen werden und daß sie aus politischen Gründen weder verboten noch suspendiert werden dürfen, es sei denn, daß sie danach trachten, die politischen Freiheiten zu zerstören oder das Statut durch undemokratische Mittel zu ändern." Der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung hat in seiner dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten vorgelegten ersten Entschließung diese vom Allgemeinen Ausschuß des Europarates beschlossene Auslegung des Art. 16 des Naters-Plans herangezogen und folgende Entschließung beantragt: „Der Deutsche Bundestag betrachtet jede Anwendung und Auslegung des Art. VI des Statuts, die nicht sicherstellt, daß die politischen Parteien, die Vereine und die Presse keiner Genehmigung mehr unterworfen sein werden und weder vor noch nach dem in Art. I vorgesehenen Referendum aus politischen Gründen verboten oder suspendiert werden können, es sei denn, daß sie darauf ausgehen, die politischen Freiheiten zu zerstören oder das Statut durch undemokratische Mittel zu ändern, als unvereinbar mit dem provisorischen Charakter dieses Statuts, dem Statut des Europarats und der Konvention des Europarats zur Wahrung der Menschenrechte." Dem Auswärtigen Ausschuß scheint es selbstverständlich, daß die Freiheit der Parteien, die durch die Aufhebung des Genehmigungszwangs wiederhergestellt wird, nicht erneut beeinträchtigt werden darf. b) Der Ausschuß hat sich eingehend mit der Frage befaßt, wie die Bestimmungen des Art. VI Abs. 2 auszulegen seien. Soll es Einzelpersonen und Parteien im Saargebiet verboten sein, sich schon während der Laufzeit Ides Statuts für eine 'bestimmte endgültige Regelung der Saarfrage im Friedensvertrag einzusetzen? Die Begründung der Bundesregierung verneint diese Frage. Tatsächlich wäre es mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar, wenn man eine entscheidende Frage wie die, welches das endgültige Schicksal des Saargebiets sein soll, aus der öffentlichen Erörterung im Saargebiet verbannen wollte. Legt man die Bestimmung anders aus, so würde das politische Leben an der Saar erneut in eine unerträgliche Zwangsjacke gepreßt, was nur zu weiterer Beunruhigung Anlaß geben könnte. Daß die Bevölkerung des Saargebiets ein Recht darauf hat, zu dieser Frage Stellung zu nehmen, ergibt sich auch schon aus der Tatsache, daß gemäß Art. IX Bestimmungen des Friedensvertrags, die die Saar betreffen, der Billigung der Saarbevölkerung in freier Volksabstimmung unterliegen. In diesem Zusammenhang begrüßt es der Ausschuß, daß mittlerweile zwischen der deutschen und der französischen Regierung vereinbart worden ist, daß sich der europäische Kommissar bei Erfüllung seiner Aufgaben von der Konvention zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten leiten lassen wird. Hierbei wird der Kommissar zu beachten haben, daß es zu den Grundfreiheiten der Saarbevölkerung gehört, während der Dauer des Statuts frei und ungehindert die ihr im Friedensvertrag erwünschte Lösung zu erörtern, dies um so mehr, als das Statut vorläufig ist und die im Friedensvertrag zu treffende Lösung von ihrem Willen abhängt. c) Der Ausschuß begrüßt es ferner als eine zusätzliche Sicherung, daß mittlerweile zwischen der Bundesrepublik und Frankreich abgesprochen worden ist, daß Einzelpersonen, Gruppen und Organisationen im Saargebiet, die sich durch eine Entscheidung des Kommissars 'in ihren Grundrechten und demokratischen Freiheiten verletzt fühlen, gegen diese Entscheidung eine unabhängige gerichtliche Instanz anrufen können. Das im Abs. 3 des Art. VI ausgesprochene Verbot der Einmischung gilt selbstverständlich gleichermaßen für Frankreich wie für die Bundesrepublik. Die Lage zwischen den beiden Nachbarn des Saargebiets ist allerdings insofern verschieden, als auf Grund der engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Frankreich und dem Saargebiet die Möglichkeiten einer unkontrollierbaren französischen Beeinflussung sehr viel größer sind. Artikel VII Der Artikel setzt die Verpflichtung fest, die die Annahme des Statuts durch Volksabstimmung für die Saarregierung nach sich zieht: a) Die Saarregierung muß die Bestimmungen des Statuts innehalten. b) Sie muß dafür sorgen, daß die durch die Annahme des Statuts notwendig gewordenen Änderungen an der Saarverfassung vorgenommen werden. Nach der einmütigen Auffassung des Ausschusses, die vom Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen geteilt wird, zielt diese Bestimmung in erster Linie auf die Präambel der Saarverfassung*), die der durch das Statut geschaffenen neuen Lage nicht entspricht. Insbesondere darf in der Saarverfassung eine Formulierung des Inhalts, daß das Saargebiet politisch vom Deutschen Reich unabhängig . sei, nicht mehr erscheinen. Des weiteren müßten nach Ansicht des beteiligten Ausschusses auch die dem Statut widersprechenden Bestimmungen des 1. Abschnitts des II. Hauptteils der Saarverfassung*) geändert werden. Es ist von besonderer Bedeutung, daß es dem Kommissar obliegen würde, die Durchführung dieser Änderungen zu überwachen. Der Ausschuß hat es bedauert, daß die Frist zwischen Volksabstimmung und Landtagswahlen nur ungenau bestimmt worden ist. Die loyale Durchführung des Abkommens erfordert, den bisher nicht zugelassenen Parteien an der Saar die ohnehin kurze Zeitspanne von drei Monaten voll zu gewähren, damit sie sich auf die Wahlen vorbereiten können. Artikel VIII Die Garantie des Statuts, die die Bundesrepublik und Frankreich nach Art. VIII geben sollen, er- *) siehe S. 3653 B. (Dr. Pfleiderer) gibt sich aus dem Sinn des Abkommens, an die Stelle des offenen Saarstreits eine bis zum Abschluß eines Friedensvertrages befristete vorläufige Lösung treten zu lassen. Aus dem Wortlaut ergibt sich allerdings auch die juristisch seltsame Lage, daß die Unterzeichner des Abkommens gleichzeitig „in eigener Sache" als Garantiemächte auftreten. Zur Bekräftigung sollen die Vereinigten Staaten und Großbritannien ebenfalls die Einhaltung des Statuts bis zu einem Friedensvertrag gewährleisten. Artikel IX Über die Bedeutung und die Tragweite des Art. IX haben im Ausschuß eingehende Erörterungen stattgefunden. Die hier vorgesehene zweite Volksabstimmung sichert, daß der die Verhältnisse des Saargebiets betreffende Teil der Friedensregelung in keinem Falle gegen den Willen der Saarbevölkerung verwirklicht werden kann. Artikel X a) Wer ist befugt, den Beginn der dreimonatigen Frist festzulegen, während derer die erste Volksabstimmung vorbereitet wird? Diese Frage hat den Ausschuß lange beschäftigt. Zu diesem Zeitpunkt müssen die in Art. VI Abs. 1 genannten Freiheiten hergestellt sein. Der Ausschuß ist der Auffassung, daß das Vorliegen dieser Bedingungen verbindlich nur von der neutralen Kommission festgestellt werden kann, die nach der Übereinkunft der beiden Regierungen die Volksabstimmung zu überwachen hat. Dieser Kommission wird es obliegen, festzustellen, ob die in Art. VI Abs. 1 geforderte Befreiung der Parteien und Vereine, der Presse und Versammlungen vom Zulassungszwang verwirklicht ist. Zu diesem Zwecke ist — wie der Auswärtige Ausschuß nach dementsprechender Unterrichtung durch die Bundesregierung mit Befriedigung feststellt — mit der französischen Regierung abgesprochen warden, daß es der neutralen Kommission obliegt, den Zeitpunkt zubestimmen, an dem nach den Bestimmungen des Art. X die dreimonatige Frist zu laufen beginnt. Die Kommission muß ferner die Einhaltung der Regeln überwachen, die bei international vereinbarten Volksabstimmungen gebräuchlich sind. Um ihre Aufgaben durchführen zu können, ist sie befugt, Ersuchen an die Saarregierung zu richten, denen diese zu entsprechen hat. Auch dies ist mit der französischen Regierung abgesprochen worden. b) Der Ausschuß stellte fest, daß die Zeitspanne von drei Monaten zur Vorbereitung der Volksabstimmung sehr kurz bemessen ist. In der Aussprache wurde daran erinnert, daß es im Allgemeinen Ausschuß des Europarats im Frühjahr 1953 lebhaft bezweifelt worden sei, ob eine Vorbereitungszeit von sechs Monaten nicht unzumutbar sei und ob nicht statt dessen eine solche von einem Jahr gewährt werden müsse. Der Ausschuß mißt deshalb bei der Kürze der nun festgelegten Zeit dem Grundsatz gerechter „Startbedingungen" für alle Parteien aus demokratischen Gründen erhöhte Bedeutung bei. Wie der Ausschuß mit Befriedigung feststellte, soil die Kommission — wie gleichfalls mit der französischen Regierung abgesprochen werden ist — darüber wachen, daß alle Parteien gleiche Rechte und Einwirkungsmöglichkeiten, insbesondere auf dem Gebiet des Presse-, Rundfunk-, Fernseh- und Versammlungswesens,erhalten. c) In der Frage der Abstimmungsberechtigung lag dem Ausschuß eine Stellungnahme des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen vor, in der eine Zulassung der sog. „Graukärtler", Auszug aus der Verfassung des Saarlandes vom 15. Dezember 1947 Präambel Das Volk an der Saar, berufen, nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches sein Gemeinschaftsleben kulturell, politisch, wirtschaftlich und sozial neu zu gestalten, durchdrungen von der Erkenntnis, daß sein Bestand und seine Entwicklung durch die organische Einordnung des Saarlandes in den Wirtschaftsbereich der französischen Republik gesichert werden können, vertrauend auf ein internationales Statut, das die Grundlage für sein Eigenleben und seinen Wiederaufstieg festlegen wird, gründet seine Zukunft auf den wirtschaftlichen Anschluß des Saarlandes an die französische Republik und die Währungs- und Zolleinheit mit ihr, die einschließen: die politische Unabhängigkeit des Saarlandes vom Deutschen Reich, die Landesverteidigung und die Vertretung der saarländischen Interessen im Ausland durch die französische Republik, die Anwendung der französischen Zoll- und Währungsgesetze im Saarland, die Bestellung eines Vertreters der Regierung der französischen Republik mit Verordnungsrecht zur Sicherstellung der Zoll- und Währungseinheit und einer Aufsichtsbefugnis, um die Beobachtung des Statuts zu garantieren, eine Organisation des Justizwesens, die die Einheitlichkeit der Rechtsprechung im Rahmen des Statuts gewährleistet. Der Landtag des Saarlandes, vom Volke frei gewählt, hat daher, um diesem Willen verpflichtenden Ausdruck zu verleihen und — nach Überwindung eines Systems, das die menschliche Persönlichkeit entwürdigte und versklavte — Freiheit, Menschlichkeit, Recht und Moral als Grundlage des neuen Staates zu verankern, dessen Sendung es sei, Brücke zur Verständigung der Völker zu bilden und in Ehrfurcht vor Gott dem Frieden der Welt zu dienen, die folgende Verfassung beschlossen: II. Hauptteil Ordnung und Aufgaben der öffentlichen Gewalt 1. Abschnitt. Allgemeine Bestimmungen Artikel 60. Das Saarland ist ein autonom, demokratisch und sozial geordnetes Land und wirtschaftlich an Frankreich angeschlossen. Artikel 61. Die Fahne des Landes besteht aus einem weißen Kreuz auf blaurotem Grund. Das Nähere darüber, sowie über das Landeswappen, bestimmt ein Gesetz. Artikel 62. Die oberste Gewalt geht vom Saarvolk aus. Das Volk übt sie durch die von ihm gewählten Vertreter und gemäß Artikel 101 durch Volksentscheid aus. Artikel 63. Die aus dem Einbau der Saar in den französischen Wirtschaftsbereich und in das französische Zoll- und Währungssystem sich ergebenden Bindungen, gegenwärtige und zukünftige Abmachungen und die Regeln des Völkerrechts sind Bestandteile des Landesrechts und genießen den Vorrang vor innerstaatlichem Recht. Artikel 64. Die verfassungsmäßige Trennung der gesetzgebenden, rechtsprechenden und vollziehenden Gewalt ist unantastbar. (Dr. Pfleiderer) d. h. derjenigen Bewohner des Saargebiets, die nicht den Saarpaß erhalten haben, der Ausgewiesenen und der an der Heimkehr Verhinderten gefordert wird. In ähnlichem Sinne äußerte sich der Ausschuß für innere Verwaltung in seiner zweiten Entschließung. Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten hält diese Forderung für berechtigt, und zwar nicht nur für die Volksabstimmung, sondern ebensosehr für die nachfolgenden Landtagswahlen. d) Der Ausschuß für innere Verwaltung hat in seiner zweiten Entschließung ferner eine Reihe von Bedingungen aufgestellt, die erfüllt sein müßten, ehe die in Art. X genannte Vorbereitungsfrist für die Volksabstimmung zu laufen beginnen könne. Die Frist, so heißt es in der Entschließung, könne nicht beginnen, solange 1. im französischen Staatshaushalt für politische Zwecke im Saargebiet vorgesehene Mittel weiter verwendet werden könnten, 2. der Vertreter Frankreichs und die ihm nachgeordneten politischen Beamten im Saargebiet, die französische Polizei und die französischen Truppen das Gebiet nicht verlassen und französische Bürger im Staatsdienst ihr Amt nicht niedergelegt hätten, 3. nicht allen im Saargebiet vertretenen politischen Parteien und Gruppen Rundfunk- und Fernsehsender gleichmäßig zur Verfügung gestellt würden, 4. nicht unter „von außen kommende Einmischung" auch die Unterstützung von Parteien, Vereinen und Verlagen durch nichtsaarländische Unternehmen im Saargebiet verstanden werde, 5. nicht sichergestellt sei, daß weder vor noch nach dem in Art. I vorgesehenen Referendum Mittel der öffentlichen Haushalte des Saargebietes für Propagandazwecke verwandt würden, 6. nicht alle Ausweisungen aus politischen Gründen aufgehoben worden seien, 7. nicht die Tätigkeit der politischen Polizei der jetzigen Saarregierung eingestellt worden sei. Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten ist zu der Schlußfolgerung gelangt, daß es Aufgabe der vorgesehenen neutralen Kommission und später des Kommissars sei, dafür zu sorgen, daß unzulässige Einflußmöglichkeiten ausgeschlossen würden. Artikel XI und XII Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten hat bei der Erörterung der wirtschaftlichen Bestimmungen des Saarstatuts dem nachstehend in seinen wesentlichen Teilen wiedergegebenen Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik — erstattet von Abg. Dr. Hellwig — besondere Beachtung geschenkt: „1. Wie das ganze Vertragswerk sind auch die die wirtschaftlichen Beziehungen regelnden Bestimmungen sehr kurz und elastisch gefaßt. Von den übrigen Bestimmungen unterscheiden sich die wirtschaftlichen aber insofern, als sie von vornherein als Rahmenbestimmungen gedacht sind, die ihre Konkretisierung noch durch besondere Abmachungen erhalten sollen (Art. XII A und D). Ein Urteil über die bisher vorliegenden Rahmenbestimmungen kann daher nur allgemeiner Natur sein, solange nicht das Ergebnis weiterer Abmachungen vorliegt. 2. Es war von Anfang an eine grundsätzliche deutsche Forderung, daß für die Bundesrepublik im Saargebiet zumindest die gleichen Rechte auf wirtschaftlichem Gebiet eingeräumt werden müßten, wie sie für Frankreich bestehen. Nur unter der Voraussetzung der Entwicklung eines gemeinsamen Marktes zwischen dem Saargebiet und der Bundesrepublik glaubte man deutscherseits die vertragliche Bestätigung der Bestimmungen einer französisch-saarländischen Konvention über einen gemeinsamen Markt zwischen Frankreich und dem Saargebiet vertreten und damit die bisherige ablehnende Haltung gegenüber den einseitigen Bindungen und Privilegien in den französisch-saarländischen Konventionen aufgeben zu können. 3. Eine weitere deutsche Forderung betraf die Aufhebung der diskriminierenden Behandlung, der deutsches Vermögen im Saargebiet seit 1945/46 unterliegt. 4. Es war nicht zuletzt auch ein Ziel der deutschen Politik, die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Saargebiets und der Saarbevölkerung zu erreichen, ein Ziel, das durchaus nicht mit den beiden vorgenannten in Widerspruch steht. An Hand des vorliegenden Abkommenstextes und des dazugehörenden Briefwechsels hatte der Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu prüfen, ob und inwieweit in der angedeuteten Richtung den deutschen Forderungen und Zielen Rechnung getragen wurde. 5. In dem Art. XI bringen die Bundesregierung und die französische Regierung ihren Willen zum Ausdruck, „gemeinsam alle Anstrengungen zu machen, die notwendig sind, um der saarländischen Wirtschaft Entwicklungsmöglichkeiten im weitesten Umfange zu geben". Dieser Artikel kann nur verstanden werden, wenn geprüft wird, welche Umstände bisher für die weitere Entwicklung der saarländischen Wirtschaft nachteilig waren. Sämtliche über die saarländische Wirtschaftslage zur Verfügung stehenden Unterlagen lassen erkennen, daß folgende Umstände als besonders nachteilig empfunden werden: a) Mangel an Investitionskapital und daher Rückstand in der Investitionstätigkeit und Wettbewerbsfähigkeit; b) einseitige Bindung hinsichtlich der Güterversorgung an die französische Einfuhrpolitik, mangelnde Bewegungsmöglichkeit für die Befriedigung des Importbedarfs der Saarwirtschaft, besonders von der Bundesrepublik her; c) Ausschaltung bestimmter auf den Export nach den benachbarten Absatzgebieten in der Bundesrepublik eingerichteter Wirtschaftszweige von einem erleichterten Zugang zu diesen Absatzgebieten. Für Kohle, Eisen und Stahl ist dieses Problem des unbehinderten Absatzes in die Bundesrepublik durch die Herstellung des Gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl im wesentlichen gelöst worden mit dem bemerkenswerten Ergebnis, daß von der saarländischen Kohlen-, Eisen- und Stahlproduktion in der letzten Zeit nahezu rund ein Drittel bereits in die Bundesrepublik geht. Art. XI des Saarabkommens kann im Hinblick auf diese Lage der Saarwirtschaft nur so interpretiert werden, wie es auch die Bundesregierung getan hat: nämlich in dem Sinne, daß auf der Grundlage der deutsch- (Dr. Pfleiderer) französischen Zusammenarbeit zur inneren Festigung der Saarwirtschaft durch Investitionen, Verbesserung der Außenhandelslage, besonders im Verkehr mit der Bundesrepublik, und ähnliche Maßnahmen beigetragen werden solle. Dieser Artikel bildet eine Norm für die Durchführung der wirtschaftlichen Bestimmungen des Abkommens. 6. Nach dem Vertragstext Art. XII A sollen die Grundsätze, auf denen die französischsaarländische Wirtschaftsunion gegenwärtig beruht, in ein zwischen Frankreich und der Saar abzuschließendes Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit aufgenommen werden. Die Durchführung der Bestimmungen des Art. XI und des Art. XII B bedeutet jedoch eine Änderung des bestehenden Zustandes. 7. Die Frage der Regelung der künftigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Saargebiet ist weiterhin wesentlicher Gegenstand des Art. XII, wobei „das Ziel" erreicht werden soll, „gleichartige Beziehungen zu schaffen, wie sie zwischen Frankreich und dem Saargebiet bestehen". Dabei handelt es sich bei dem angestrebten Ziel nicht um eine restlose Gleichstellung, denn im Text heißt es, man wolle „gleichartige Beziehungen" („relations semblables") schaffen. Das Ziel ist etappenweise zu erreichen, und zwar in „Blickrichtung" auf die ständige Ausweitung „der deutsch-französischen" und „europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit". „Die fortschreitende Erweiterung" der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Saargebiet darf weder die französisch-saarländische Währungsunion noch die Durchführung der französisch-saarländischen Konventionen in „Gefahr bringen" ; besonders darf auch die Errichtung einer Zollgrenze zwischen Frankreich und dem Saargebiet nicht notwendig werden. Es ist allerdings durchaus möglich, daß die Einfuhr von Waren aus dem Bundesgebiet nach dem Saargebiet entsprechend dem Bedarf des Saargebiets kontingentsmäßig festgelegt wird, eine Technik, die bei dem deutsch-französischen Saar-Zollabkommen der Jahre 1926 bis 1935 angewandt wurde. Schließlich darf gemäß Art. XII D durch die neu abzuschließenden Abkommen über die Erweiterung des Wirtschaftsverkehrs zwischen der Bundesrepublik und dem Saargebiet (Verhandlungspartner sind Frankreich, die Bundesrepublik und das Saargebiet) auch nicht die Zahlungsbilanz zwischen dem Frankengebiet und der Bundesrepublik „schwer beeinträchtigt" werden. 8. In der weiten Auslegungsfähigkeit liegt eine nicht zu verkennende Gefahr dieser Schutzklauseln des Vertrages. Wann sind die Währungsunion oder die Konventionen als gefährdet zu betrachten? Wann ist die Zahlungsbilanz „schwer beeinträchtigt", und wer befindet darüber? Auf diese Fragen gibt der Vertragstext keine eindeutige Antwort. 9. Zu der Herstellung „gleichartiger Beziehungen" zur Bundesrepublik gehört auch die Zulassung von Banken und Versicherungen. Dieses Problem ist nicht ausdrücklich im Vertrag selbst geregelt, sondern in dem Briefwechsel zwischen dem deutschen Bundeskanzler und dem französischen Ministerpräsidenten aufgegriffen. Es gehört in der Tat zu dem Komplex, der unter den Begriff „gleichartige Beziehungen" fällt, so daß man sich insofern auch auf den Vertrag stützen kann. In dem Briefwechsel wurde von französischer Seite in Aussicht gestellt: 1. „Daß die für die Zulassung von Banken zuständigen französischen Behörden die Anweisung erhalten werden, etwaige Anträge der deutschen Banken in einem Geiste der Zusammenarbeit zu prüfen". 2. Die französische Regierung werde sich mit der saarländischen Regierung mit dem Ziele ins Benehmen setzen, „daß diese etwaige Anträge deutscher Versicherungsgesellschaften ebenfalls in einem Geiste der Zusammenarbeit prüft". Man wird deutscherseits unter den „gleichartigen Beziehungen", wie sie gegenüber der Bundesrepublik hergestellt werden sollen, auch die grundsätzliche Aufhebung aller diskriminierenden Bestimmungen gegenüber dem Niederlassungs- und Betätigungsrecht deutscher Unternehmungen im Saargebiet zu verstehen haben. Jede Abweichung von den für französische Unternehmungen bestehenden Freiheiten würde als Diskriminierung und im Widerspruch zu dem Ziel der ,,gleichartigen Beziehungen" zur Bundesrepublik aufgefaßt werden müssen. 10. Über das deutsche Wirtschaftsvermögen im Saargebiet wird im Vertrag außer über die Verwaltung der Saargruben nichts gesagt. In dem dem Abkommen beigefügten Briefwechsel ist dieses Problem aufgeworfen worden. In diesem Briefwechsel wurde in Aussicht gestellt: 1. Die Sequesterverwaltungen im Saargebiet sollen „vor der Volksabstimmung über das europäische Statut der Saar aufgehoben werden". 2. Was die Saarbergwerke betrifft, so wird die Saarregierung gemeinsam mit den Vertretern der französischen Regierung folgende Maßnahmen treffen: a) „Die Personalangelegenheiten und sozialen Fragen werden stets einer dem Vorstand der Saarbergwerke angehörenden saarländischen Persönlichkeit anvertraut werden." b) „Es werden alle in Betracht kommenden Maßnahmen getroffen werden, um den Anteil der Saarländer an dem mit Verwaltungs- und technischen Aufgaben befaßten Personenkreis auf allen Stufen der organisatorischen Gliederung der Saarbergwerke zu steigern. Diese Maßnahmen werden im Rahmen der von der französischen Regierung verfolgten Politik getroffen, dem Saargebiet fortschreitend die volle Verantwortung für die Gruben auf allen Gebieten zu überlassen." Mit der Aufhebung der Sequesterverwaltungen allein wird der vielgestaltige Bereich von Zwangsmaßnahmen gegenüber dem deutschen Vermögen im Saargebiet noch nicht geregelt. Der Ausschuß vertritt in Übereinstimmung mit der Bundesregierung die Meinung, daß die Aufhebung der diskriminierenden Eingriffe in das deutsche Vermögen im Saargebiet im Zuge der Herstellung „gleichartiger Beziehungen" nach Art. XII B erfolgen muß und in den vorgesehenen Verhandlungen angestrebt werden sollte. 11. Das Saarabkommen sieht einen Zusatzvertrag zwischen den beteiligten Regierungen über die Regelung der Vertretung des Saargebiets im (Dr. Pfleiderer) Ministerrat (Art. III b 1) und in der Gemeinsamen Versammlung (Art. III b 2) der Montan-Gemeinschaft vor. Nicht erwähnt ist im Saarabkommen eine etwaige Beteiligung des Saargebiets in der Hohen Behörde, im Beratenden Ausschuß und im Hohen Gerichtshof. Hier interessiert naturgemäß die Frage der Gewichtsverteilung innerhalb der Montangemeinschaft. Die Zuerkennung von je 18 Sitzen an die Bundesrepublik und Frankreich wurde im Montanvertrag Art. 21 damit begründet, daß die Vertreter der Saarbevölkerung in der Zahl der Frankreich zugewiesenen Abgeordneten eingerechnet sind. Frankreich hat sich stets auf den Standpunkt gestellt, daß ein Gleichgewicht zwischen der Bundesrepublik und Frankreich gesichert werden müsse. Durch die Realisierung des Art. III B, der die Erhöhung der von Frankreich entsandten Abgeordneten auf 18 sowie 3 gesondert entsandte saarländische Abgeordnete für die Gemeinsame Versammlung vorsieht, kann dieses Gleichgewicht zugunsten Frankreichs in Frage gestellt werden." Soweit der Bericht ides Ausschusses für Wirtschaftspolitik. Der Auswärtige Ausschuß hat sich ferner die Auffassung des Wirtschaftspolitischen Ausschusses zu eigen gemacht, die folgendermaßen lautet: „Der in den Art. XI und XII ides Saarstatuts niedergelegte Anspruch gibt die Möglichkeit, zwischen der Bundesrepublik und dem Saargebiet gleichartige Beziehungen zu erreichen, wie sie auf Grund des französisch-saarländischen Abkommens über wirtschaftliche Zusammenarbeit eintreten werden. Es besteht auch eine deutsche Verpflichtung gegenüber der Saarbevölkerung, sie in der Rückgewinnung ihrer wirtschaftlichen Freiheit zu unterstützen." Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten hat es besonders begrüßt, daß die wirtschaftlichen Bestimmungen des Saarstatuts trotz ihrer Mängel und Lücken zwei zeitgemäßen Grundgedanken zu dienen versuchen: 1. der deutsch-französischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit und 2. dem wirtschaftlichen Wohlergehen des Saargebietes selbst. Die mit der Saarfrage gestellten wirtschaftlichen Aufgaben könnten in der Tat nicht gelöst werden, wenn jeder der beiden Vertragspartner, die Bundesrepublik Deutschland und die französische Republik, nur seine eigenen Interessen im Auge hätte. Diese sollten daher auch in den kommenden Verhandlungen dem Gedanken der deutschfranzösischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit untergeordnet werden. Gelingt es, auf diesem Gebiete eine Verständigung zu erreichen, so ist damit ein wichtiger Beitrag zur deutsch-französischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit im ganzen geleistet. Art. XII hat recht, wenn er fordert, daß in dieser Blickrichtung die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Saargebiet ausgestaltet werden sollen. Wichtig ist ferner, daß die wirtschaftlichen Bestimmungen des Saarstatuts nach Art. XI in erster Linie die wirtschaftliche Entwicklung des Saargebiets selbst fördern sollen. Für das Saargebiet handelt es sich bei der Festlegung seines künftigen wirtschaftlichen Status und seiner Verknüpfung mit der deutschen und der französischen Wirtschaft um eine Lebensfrage, d. h. um sehr viel mehr, als es sich bei den Beziehungen zum Saargebiet für Frankreich und die Bundesrepublik handelt. Der Auswärtige Ausschuß legt Wert auf die Feststellung, daß für die Bundesrepublik in allen wirtschaftlichen Fragen das Interesse des Saargebiets in erster Linie maßgebend war. Der Auswärtige Ausschuß glaubt, ebenso wie es der Ausschuß für Wirtschaftspolitik in seiner Stellungnahme zum Ausdruck gebracht hat, daß die Art. XI und XII des Saarstatuts die Möglichkeit eröffnen, zwischen der Bundesrepublik und dem Saargebiet gleichartige wirtschaftliche Beziehungen herzustellen, wie sie zwischen Frankreich und dem Saargebiet bestehen und wie sie bereits im van-der-Goes-van-Naters-Plan ausdrücklich vorgesehen waren. Der Ausschuß erwartet von den kommenden Verhandlungen, daß diese gleichartigen Beziehungen auch tatsächlich auf allen Gebieten — mit der alleinigen Ausnahme des in Art. XII ausdrücklich erwähnten Währungsgebiets — hergestellt werden. Der Auswärtige Ausschuß ist ferner der Ansicht, daß es im Sinne der wirtschaftlichen Bestimmungen des Saarstatutus, insbesondere des Art. XI liegt, die gleichartigen Beziehungen zwar schrittweise, aber doch so schnell wie möglich herzustellen. Das nach Art. XII D abzuschließende dreiseitige Abkommen zwischen der Bundesrepublik, Frankreich und dem Saargebiet sollte hierüber Klarheit schaffen. Der Ausschuß verkennt nicht die Gefahren, die einige in Art. XII enthaltene Vorbehalte in sich bergen, wenn sie nicht im Geiste der Zusammenarbeit und nach dem wirtschaftlichen Interesse des Saargebiets gehandhabt werden. Der Ausschuß hält es daher für wichtig, daß die Vorbehalte in dem dreiseitigen Abkommen so gefaßt werden, daß sie den oben erwähnten beiden Grundgedanken entsprechen, denen die wirtschaftlichen Bestimmungen des Statuts zu dienen versuchen. Mit der Durchführung der Art. XI und XII wird im Verhältnis der Bundesrepublik zum Saargebiet eine Wirtschaftsbeziehung eigener Art entstehen, die möglicherweise eine besondere Entschließung des GATT und des Europäischen Wirtschaftsrats erforderlich machen wird. Zur Neuregelung des Verhältnisses der Bundesrepublik zum Saargebiet gehört ferner die Beendigung der Sequestermaßnahmen, die noch vor dem Volksentscheid erfolgen soll. Mit der im Briefwechsel zum Saarabkommen vereinbarten Aufhebung der Sequesterverwaltungen allein wird freilich der vielgestaltige Bereich von Zwangsmaßnahmen gegenüber dem deutschen Vermögen im Saargebiet noch nicht geregelt. Offen bleiben insbesondere folgende wichtige Punkte: 1. Die nach deutscher Auffassung unrechtmäßigen Reparationsmaßnahmen des französischen Staates gegen saarländische Industrieunternehmen. 2. Die französischen Beteiligungen an Wirtschaftsunternehmungen, die durch politischen, wirtschaftlichen oder finanziellen Druck oder auf Grund der Reparationsforderungen geschaffen worden sind. 3. Die Enteignung der Geschäftsorganisation der deutschen Banken im Saargebiet durch diskriminierende Behandlung bei der Währungsumstellung: Reichsmark — Saarmark — Franken. (Dr. Pfleiderer) 4. Die Enteignung der deutschen Versicherungsunternehmungen im Saargebiet durch Zwangsübertragung ihres Geschäftsbestandes und Vermögens im Saargebiet auf französische Gesellschaften. 5. Die Regelung des ehemaligen Reichsvermögens, insbesondere des Eigentums des Reichs an den Saargruben. Der Ausschuß für Wirtschaftspolitik hat im zweiten Teil seiner Stellungnahme auf die deutsche Verpflichtung gegenüber der Saarbevölkerung, sie bei der Rückgewinnung ihrer wirtschaftlichen Freiheit zu unterstützen, hingewiesen. Das französischsaarländische Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit, mit dem gemäß Art. XII A des Statuts ,die bisherigen Konventionen über eine französisch-saarländische Wirtschaftsunion abgelöst werden, wird jedoch den Art. V, XI, XII B und E Rechnung tragen müssen. Insbesondere müßten nach Art. V auch die Zoll- und Devisenbehörden saarländische Behörden sein. Das neue französischsaarländische Verhältnis wird sich also von dem bisherigen in wesentlichen Punkten unterscheiden müssen. Hierbei kommt es vor allem darauf an, daß dem Saargebiet ein Höchstmaß an Selbstverwaltung einschließlich der entsprechenden gesetzgeberischen Maßnahmen eingeräumt wird; daß die bisherigen Elemente der wirtschaftspolitischen Unterordnung und Bevormundung durch eine saarländische Mitwirkung an den gemeinsam im Verhältnis Frankreich-Saargebiet zu regelnden Angelegenheiten ersetzt werden; und daß die französisch-saarländischen Vereinbarungen — mit Ausnahme der Währungsfrage — nichts enthalten, was mit dem Grundsatz der Herstellung gleichartiger Beziehung zwischen dem Saargebiet und der Bundesrepublik im Widerspruch stehen würde. Demnach muß bei dem neuen französisch-saarländischen Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit hinsichtlich der Grubenfrage darauf geachtet werden, daß nach Art. XII E das :Saargebiet „für die Verwaltung sämtlicher Kohlenvorkommen der Saar einschließlich des Warndt sowie der von den Saarbergwerken verwalteten Grubenanlagen" Sorge trägt. Besondere Bedeutung mißt der Ausschuß der Bestimmung bei, die klarstellt, daß auch die Verwaltung der umstrittenen Kohlevorkommen im Warndt Sache des Saargebiets ist, handelt es sich hierbei doch um eine Frage, die für die wirtschaftliche Zukunft des 'Saargebiets von entscheidender Bedeutung ist. Alle das Verhältnis Frankreich—Saargebiet betreffenden Fragen werden zwar nach Art. XII A zwischen dem Saargebiet und Frankreich verhandelt. Hierzu ist jedoch ein Doppeltes zu sagen: 1. Zu auswärtigen Verhandlungen, die auf Grund des Statuts geführt werden müssen, ist nach Art. II Abs. 1 Satz 1 des Statuts nur der Kommissar zuständig. Verträge, die durch andere Organe abgeschlossen werden, können keine Gültigkeit erlangen und keine Rechtskraft gegen Dritte erzeugen. Gerade die auswärtigen Wirtschaftsbeziehungen des Saargebiets werden einen wesentlichen, wenn nicht gar den wichtigsten Teil der Saarinteressen auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten bilden, die der Kommissar wahrzunehmen hat. 2. Die Bundesrepublik hat als Partner des Saarstatuts einen eigenen Anspruch darauf, daß das Ergebnis dieser Verhandlungen den einschlägigen Bestimmungen des Saarstatuts entspricht. Der Ausschuß ist der Auffassung, daß das Verhältnis Frankreich-Saargebiet und das Verhältnis Bundesrepublik-Saargebiet nur in gleichzeitigen Verhandlungen befriedigend geregelt werden kann. Soll doch nach dem Wortlaut des Art. XII A des Statuts das französisch-saarländische Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit den Bestimmungen des Art. XII B, die sich mit den deutschsaarländischen Beziehungen befassen, Rechnung tragen. Der Ausschuß sieht nicht, wie in einem französischsaarländischen Abkommen dem Grundsatz der Herstellung gleichartiger Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Saargebiet Rechnung getragen werden kann, wenn über diese Beziehungen nicht durch gleichzeitige Verhandlungen Klarheit geschaffen wird. Auch die Bestimmung des Art. XII, daß die deutsch-saarländischen wirtschaftlichen Beziehungen die Durchführung des Abkommens über die französischsaarländische Zusammenarbeit nicht in Gefahr bringen sollen, spricht dafür, diese beiden Verhältnisse von vornherein aufeinander abzustimmen. Artikel XIII Der Ausschuß hat sich zu dieser Frage nicht geäußert, da über sie noch Verhandlungen zwischen den sechs in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zusammengeschlossenen Regierungen stattfinden müßten. Artikel XIV Die Bestimmungen des Art. XIV ziehen die Schlußfolgerung aus der Tatsache, daß das Statut in den Rahmen der Westeuropäischen Union gestellt ist und ohne deren Bestehen nicht verwirklicht werden kann. KAPITEL III Der Antrag Das Abkommen über das Statut der Saar ist nicht vollkommen. Die Mehrheit des Ausschusses war jedoch trotz großer Bedenken der Ansicht, daß dieses Abkommen für die deutsch-französischen Beziehungen und für die Deutschen im Saargebiet angesichts der bestehenden allgemeinen politischen Situation besser sei als kein Abkommen. Der Wert des Abkommens wird aber letztlich von der Art und Weise seiner Durchführung bestimmt werden. Insofern ist die Zustimmung zu dem Abkommen ein Wagnis. Die Mehrheit des Ausschusses war der Ansicht, daß man, um ,aus der Sackgasse der Saarfrage herauszukommen, dieses Wagnis auf sich nehmen müsse im Vertrauen auf die fortschreitende deutsch-französische und europäische Zusammenarbeit. Die Lücken und Mängel des Abkommens haben den anderen beteiligten Ausschüssen und auch zahlreichen Mitgliedern des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten den Wunsch nahegelegt, ihre Auffassungen, sei es in Ergänzungen zum Ratifikationsgesetz, sei es in Entschließungen niederzulegen und diese dem Hohen Hause zur Annahme zu empfehlen. Die Tatsache jedoch, daß das Abkommen über das Statut der Saar in der Bundesrepublik und in Frankreich nur mühsam den Weg in die völkerrechtliche und politische Wirklichkeit findet, hat die (Dr. Pfleiderer) Mehrheit des Ausschusses veranlaßt, grundsätzlich alle Änderungs- und Entschließungsanträge abzulehnen, wie berechtigt diese im Einzelfall auch gewesen wären. Das betrifft auch zwei Anträge*), die die Minderheit des Ausschusses auf Ergänzung des Ratifikationsgesetzes gestellt hat. Im Gegensatz zu den anderen Verträgen, die bereits eine dauernde Wirklichkeit schaffen, ist das Statut der Saar vorläufig. In der Hoffnung, daß dieses vorläufige Statut den Deutschen im Saargebiet den Weg zu einem dauernden Frieden bereiten möge, empfiehlt der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten dem Hohen Hause, dem Gesetz betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar zuzustimmen. Bonn, den 17. Februar 1955 Dr. Pfleiderer Generalberichterstatter b) Besonderer Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Ausschuß) Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wahl (Mehrheitsauffassung) A. 1. Das Saarabkommen führte im Rechtsausschuß zunächst wiegen seiner äußeren Aufmachung als Regierungsabkommen zu lebhaften Auseinandersetzungen. In seiner Mehrheit stellte sich der Rechtsausschuß jedoch auf den Standpunkt, daß im modernen internationalen Verkehr die äußeren Formen des Staatsvertrages weder für eine Verpflichtung der beteiligten Staaten wesentlich sind, noch die Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Ratifikation durch den Gesetzgeber, noch für die Transformation seines Inhalts in innerstaatliches Recht BI bilden. Die allgemeine Zeitströmung führt von dem Formalismus weg, auch im internationalen Verkehr gibt es Staatsverträge, die z. B. nur in einem Briefwechsel niedergelegt sind. Nachdem der Regierungsvertreter erklärt hat, die Ratifikationsurkunde solle auch für das Saarabkommen hinterlegt werden, bleibt zudem hier dem Herrn Bundespräsidenten der entscheidende Akt zur völkerrechtlichen Verpflichtung der Bundesrepublik vorbehalten. Das Zustimmungserfordernis hängt also allein von dem Inhalt der Vereinbarung ab. Deswegen wurde von der Mehrheit die gesetzliche Zustimmung zum Saarabkommen für erforderlich gehalten, da dieses Abkommen die außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik betrifft. Ferner war die Mehrheit der Ansicht, daß es auch auf die Worte „mit Gesetzeskraft" in Art. 2 des Zustimmungsgesetzes nicht ankommt, und hat deshalb ihre Streichung vorgeschlagen. Dabei wurde aber durch Erklärungen zur Abstimmung klargestellt, daß die Gründe, aus denen die Worte „mit Gesetzeskraft" gestrichen wurden, bei den einzelnen Mitgliedern des Rechtsausschusses verschieden waren. Ein Teil hielt gerade beim Saarvertrag die Worte „mit Gesetzeskraft" für entbehrlich, weil hier kein trans- *) 1. Nach Artikel I wird der folgende neue Artikel I a eingefügt: „Artikel I a Das Abkommen ändert nichts daran, daß die Deutschen an der Saar ein Teil des deutschen Staatsvolkes sind und daß der Geltungsbereich des durch das Abkommen errichteten Statuts ein Teil des deutschen Staatsgebietes ist." formierbarer Vertragsinhalt vorliege, andere glaubten, dieser Zusatz sei überhaupt überflüssig, zumal er in der Weimarer Zeit in allen Zustimmungsgesetzen zu internationalen Abmachungen gefehlt habe. 2. Bezüglich der Ratifizierbarkeit des Saarabkommens wurde weiter der Einwand erhoben, es liege in Wahrheit gar keine Einigung der Regierungschefs über die Saar vor, da die französische und ideutsche Auffassung, wie die amtlichen Dokumente in Bonn und Paris auswiesen, von so verschiedenen Auffassungen über den Sinn des Vereinbarten ausgingen, daß die für jeden Vertrag notwendige Willensübereinstimmung nicht festgestellt werden könne: vielmehr liege ein dissensus vor. Diese Auffassung teilt die Mehrheit des Rechtsausschusses nicht. Die nachstehend erwähnte Äußerung von Mendès-France in der französischen Kammer zeigt, daß der französische Ministerpräsident völlig mit der deutschen Auffassung darin übereinstimmt, daß erst der Friedensvertrag und die damit verbundene Volksabstimmung über das endgültige Schicksal der Saar entscheiden kann. Deswegen ist die Regelung des Saarabkommens provisorisch und deswegen ist, da dem Friedensvertrag die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands vorbehalten ist, auch ein endgültiger Verzicht auf die deutschen Grenzen nicht erklärt. 3. Die gleichen Gesichtspunkte wurden noch einmal unter der Fragestellung erörtert, ob die Bundesregierung zum Abschluß des Saarabkommens nach dem Grundgesetz überhaupt legitimiert sei. Man war sich darüber einig, daß in der Tat, trotz der Identität der Bundesrepublik mit dem alten Deutschen Reich ihre Kompetenzen in gesamtdeutschen Fragen beschränkt sind, weil in den faktisch abgetrennten Gebietsteilen die deutsche Bevölkerung an der demokratischen Willensbildung innerhalb der Bundesrepublik nicht mitwirken kann. Deswegen kann die Bundesrepublik auf .deutsches Staatsgebiet nicht verzichten. Daß dies in dem Ver- 2. Nach Artikel I a wird der folgende neue Artikel I b eingefügt: „Artikel I b Artikel VI Abs. 2 Ides Abkommens bedeutet, daß nach Billigung des Statuts die Konvention über die Grundfreiheiten und Menschenrechte an der Saar durchzuführen ist, insbesondere also die Saarbevölkerung das Recht hat, sich frei über den Zeitpunkt und den Inhalt des Friedensvertrages auszusprechen." (Dr. Wahl) tragswerk ausdrücklich anerkannt ist, hat der Rechtsausschuß mit Befriedigung zur Kenntnis genommen. Ebensowenig ist ihr aber auch ein Verzicht auf deutsche Staatsangehörige möglich. Um ihre gesamtdeutsche Mission zu erfüllen, kann sie aber provisorische Maßnahmen ergreifen, besonders dann, wenn damit eine Verbesserung der als rechtswidrig bekämpften faktischen Zustände erreicht wird. Damit mündet aber auch diese Erwägung in die nunmehr zu treffende Feststellung ein, daß eine Besserung der deutschen Situation an der Saar durch das Abkommen erreicht wird. B. Was nun den Inhalt des Saarabkommens angeht, so stellt es hinreichend klar, daß das Statut provisorischen Charakter hat, keinen Verzicht auf die deutschen Grenzen umschließt (vergleiche oben), aber auch keinen Verzicht auf die deutschen Staatsangehörigen des Saargebiets enthält und im übrigen nur auf die faktische Hinnahme des Saarregimes ohne seine rechtliche Anerkennung hinausläuft. Um diesen Begriff gingen schon im Jahre 1952 die Erörterungen, und ich schrieb 'damals, was noch heute gilt: „Es ist zuzugeben, daß für den mit dem völkerrechtlichen Denken nicht Vertrauten eine Unterscheidung zwischen tatsächlicher Hinnahme und rechtlicher Anerkennung nicht leicht zu vollziehen ist. Aber es handelt sich hier um eine für das Verständnis der Verträge grundlegende Figur. Die Aufgabe der Bundesregierung war es, das Besatzungsstatut abzulösen. In vielen Fällen konnte dies nur in der Weise geschehen, daß die Alliierten an den durch ihre Politik in den letzten Jahren geschaffenen Tatbeständen festhielten und die Bundesregierung auf die Aufgabe beschränkt war, wenigstens eine Milderung ihres bisherigen Standpunktes zu vereinbaren. Daß damit die hingenommenen Tatbestände nicht als rechtmäßig im vollen Sinne anerkannt werden, liegt auf der Hand. Es mußte aber die Spannung zwischen Recht únd Wirklichkeit wenigstens abgeschwächt werden. Im internationalen Recht ist das Rechtsschutzsystem nicht voll ausgebaut. Völkerrechtswidrigkeiten werden deshalb häufig als Fakten hingenommen, weil es an der Instanz fehlt, die das verbotene Faktum annullieren könnte. Dies ist der Kern der De-facto-Doktrin, die sich auch hier auswirkt." Das bei dem Deutschlandvertrag erörterte Argument, es entstehe im Geltungsbereich des Grundgesetzes ein neuer Teilstaat, kehrte bei der Erörterung des Saarstatuts in der Weise wieder, daß man eine Ausgliederung des Saargebiets aus Deutschland befürchtet. Was oben für die Wiedervereinigungsfrage dargelegt wurde, gilt hier entsprechend. Man kann nicht uno actu das, was seit 1945 im Saargebiet geschehen ist, wegwischen, sondern man muß, genau wie es für die Bundesrepublik im Geltungsbereich des Grundgesetzes selbst geschehen ist, die deutsche Position schrittweise zu verbessern suchen. Zu dieser Politik gibt das Grundgesetz die rechtliche Möglichkeit, da nicht anzunehmen ist, daß seine Verfasser bei der Aufstellung des gesamtdeutschen Programms die Bundesregierung so beschränken wollten, daß sie nur den endgültigen Vollzug der gesamtdeutschen Mission der Bundesrepublik vornehmen dürfte. Damit erledigt sich auch der Einwand, daß das Saarstatut gegen das aus Art. 23 GG wohl zu folgernde Recht des Saargebiets, dem Grundgesetz beizutreten, verstoße. In der Tat ist vorläufig dies Recht nicht durchgesetzt. Aber nur dieser Umweg über das Saarstatut hat zum ersten Mal den Weg dazu eröffnet. Wenn Mendès-France auf die Frage des französischen Abgeordneten Liautey erklärte, daß, wenn die Saarbevölkerung bei der im Art. 7 vorgesehenen Volksabstimmung sich einfach für die Rückkehr der Saar zu Deutschland ausspreche, dann die Volksabstimmung sich gegenüber dem Friedensvertrag durchsetze, so ist damit seit 1945 zum ersten Mal eine vertragliche Grundlage für eine deutsche Politik an der Saar geschaffen. Mit der Grenzfrage hängt aufs engste die der Staatsangehörigkeit der Saarbevölkerung zusammen. Da auf die Grenzen nicht verzichtet ist, behalten die deutschen Bewohner der Saar die deutsche Staatsangehörigkeit, und zwar nicht nur die, die sie im Jahre 1945 schon besaßen, sondern auch diejenigen, die sie durch die Geburt von deutschen Eltern nach dem ius sanguinis, das schon immer das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht beherrschte, erworben haben. Das entspricht der bisherigen deutschen Staatspraxis, und es ist nicht einzusehen, wieso ihr durch das Saarabkommen die Grundlage entzogen sein sollte. Den Rechtsausschuß beschäftigte auch die Frage, ob die zuzulassenden Parteien an der Saar zwischen Inkrafttreten des Saarstatuts und dem Friedensvertrag schon die im Friedensvertrag zu findende Lösung des Saarproblems erörtern könnten. Dies wurde bejaht und als allein dem Vertragsinhalt entsprechend angesehen. Die wirtschaftlichen Lösungen haben den Rechtsausschuß am wenigsten befriedigt. Die Bundesregierung hat vor den versammelten Ausschüssen des Bundestages, die die Verträge zu prüfen haben, über die Verhandlungen in Baden-Baden berichtet, die auf den Ausbau eines Rechtsschutzes für die in dem Saarabkommen gewährten Freiheitsrechte gerichtet waren. Liegt auch zur Zeit. noch kein Zusatztext zu dem Saarabkommen vor, so hat doch der Rechtsausschuß von dem Verhandlungsergebnis mit Befriedigung Kenntnis genommen. C. Es war angeregt worden, die dargelegten wichtigen Auslegungsergebnisse über Staatsgebiet und Staatsangehörige an der Saar in dem Zustimmungsgesetz selbst zu verankern, indem die Zustimmung davon abhängig gemacht werden sollte, daß das Saarstatut wirklich keine Ausgliederung von Land und Leuten der Saar aus dem deutschen Staatsverband darstelle. Die Mehrheit widersetzte sich diesem Verlangen, weil die französische Nationalversammlung ihrerseits den entsprechenden Vorschlag des französischen Auswärtigen Ausschusses, die Zustimmung an den Vorbehalt der französischen Interpretation des Abkommens zu knüpfen, fallen ließ. Der französische Ministerpräsident Mendès-France hatte alle Zusatzanträge durch die Androhung der Demission (Vertrauensfrage) verhindert. Nur das Amendement Palewski, das praktisch ein Junktim des Saarabkommens mit den übrigen Verträgen herstellte, wurde aufrechterhalten, und zu allen Verträgen in der Nationalversammlung gemeinsam die Zustimmung erteilt. Gerade diese Tatsache macht nach der Mehrheitsauffassung einen entsprechenden Vorbehalt überflüssig, weil in dem Deutschlandvertrag, der auch die französische Unterschrift trägt, die Grenzregelung (Dr. Wahl) dem Friedensvertrag vorbehalten ist. Daß der Deutschlandvertrag keine rechtliche Anerkennung des Saarregimes enthält, ergibt sich aus dem im BGBl. 1954 II S. 307 veröffentlichten Briefwechsel, in dem der Bundeskanzler klarstellt, daß die Einbeziehung gewisser sich auf die Saar beziehender Verträge und Abkommen in die Liste der aufrechterhaltenen Verträge „in keiner Weise eine Anerkennung des gegenwärtigen Status an der Saar durch die Bundesrepublik darstellt", ein Stand- Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Arndt (Minderheitsauffassung) 1. Das Abkommen ist nicht ratifizierbar. Es herrschte Einigkeit darüber, daß es im Sinne des Art. 59 Abs. 2 GG die politischen Beziehungen des Bundes regelt. Eine solche Regelung kann, um wirksam zu sein, ausschließlich durch einen Vertrag geschehen, bei dem die förmliche und sachliche Zuständigkeit zur völkerrechtlichen Vertretung des Bundes allein beim Bundespräsidenten liegt. Die Vereinbarungen sind jedoch kein Vertrag zwischen den beiden Staaten — Frankreich und Deutschland —, sondern nur zwischen ihren Regierungen. Ein Regierungsabkommen ist nur zulässig und dann auch ratifizierbar, wenn die Regierung im Bereich ihrer ausschließlichen Zuständigkeit handelt und deshalb befugt ist, die Regierung als solche, mithin auch jede künftige Regierung und auf diese Weise mittelbar den Staat zu binden. Die Regelung der politischen Beziehungen des Bundes gehört nicht zur Zuständigkeit der Regierung, sondern nach der zwingenden Vorschrift des Art. 59 GG zur Zuständigkeit des Bundespräsidenten mit Ermächtigung der gesetzgebenden Körperschaften. Die Bundesregierung hat als ein absolut unzuständiges Organ gehandelt. Dieser Fehler kann auch durch eine Ratifikation nicht geheilt werden, soll das Abkommen doch gerade nicht als Staatsvertrag, sondern als Regierungsabkommen ratifiziert werden. Eine solche Ratifikation würde bedeuten, daß Bundespräsident und Bundestag die von der Bundesregierung (durch den von ihr im eigenen Namen vorgenommenen Abschluß des Abkommens) ausgeübte Kompetenz als ordnungsgemäß im Rahmen der Regierungszuständigkeit bestätigen. Eine solche Bestätigung ist ihnen durch Art. 59 GG verwehrt. Es mag sein, daß in Einzelfällen ohne Bedeutung der Unterschied zwischen Staatsverträgen und Regierungsabkommen vernachlässigt wurde. Überzeugende und gewichtige Beispiele hat die Bundesregierung nicht beibringen können. Jedenfalls könnte durch Unachtsamkeiten in der Staatspraxis der Art. 59 GG nicht aufgehoben werden. Der Rapallo-Vertrag ist unter besondersartigen Verhältnissen und zur Zeit einer noch unklaren Staatspraxis geschlossen worden, als die Weimarer Reichsverfassung keine insoweit dem Art. 4 59 GG voll entsprechende Vorschrift enthielt. Deutscherseits ist die Form des Regierungsabkommens gewählt, weil man das Erfordernis einer Zustimmung der Volksvertretung durch Gesetz vermeiden wollte. Französischerseits ist die Form des Regierungsabkommens gewählt, weil man das punkt, der in den Antwortbriefen der Verhandlungspartner „angenommen" worden ist. Andererseits glaubte der Rechtsausschuß dem Auswärtigen Ausschuß empfehlen zu sollen, in einer von den Zustimmungsgesetzen gesonderten Entschließung dem Bundestag die Klarstellung der deutschen Rechtsauffassung vorzuschlagen. Bonn, den 11. Februar 1955 Dr. Wahl Berichterstatter Saarstatut als eine res inter alienos facta behandeln will. Entsprechend ihrem 1950 notifizierten Standpunkt und der authentischen Interpretation der Formel über den rechtlichen Status Westdeutschlands und der Bundesregierung, an welcher Interpretation der französische Ministerpräsident am 12. Oktober 1954 vor der Nationalversammlung festgehalten hat (Journal Officiel S. 4667), will Frankreich keine „Jurisdiktion" Westdeutschlands an der Saar anerkennen. Deshalb sieht man die Bundesregierung und nur sie als kraft besatzungsrechtlicher Ermächtigung zu einem solchen Abkommen in fremder Sache bevollmächtigt an. Daß man die Ratifikation fordert, hat den Sinn, daß sich auch Westdeutschland an diesen Akt der Bundesregierung für gebunden halten, Westdeutschland also ein Einwand aus der Unzuständigkeit seiner Regierung verwehrt werden soll. Ein solches Abkommen ist nicht ratifizierbar. Im übrigen würde auch eine Ratifikation an seiner Nichtigkeit nichts ändern. 2. Das Abkommen ist mit Art. 23 GG unvereinbar. Das Grundgesetz geht verfassungskräftig vom Fortbestand des deutschen Volkes als einheitlichen Staatsvolks aus. Es kennt kein „Volk der Bundesrepublik", von dem in der Vorlage die Rede ist, die das State Department am 12. November 1954 für den amerikanischen Senat ausgefertigt hat. Es kennt kein „Bundesvolk", auch keinen Unterschied zwischen dem deutschen Volk und einer „Saarbevölkerung". Soweit der Parlamentarische Rat durch das Grundgesetz „für die Bundesrepublik Deutschland" als den Staat Deutschland „auch für jene Deutschen gehandelt" hat, „denen mitzuwirken versagt war", hat er als ihr Treuhänder jenen Deutschen Rechte eingeräumt, insbesondere die Grundrechte und das Recht aus Art. 23 GG. In allen Teilen des das ganze deutsche Volk als Staatsvolk umfassenden Staates Deutschland in seinen Grenzen von 1937 haben die Deutschen im Sinne des Art. 116 GG, zu denen auch die Deutschen an der Saar gehören, das verfassungskräftige Recht, in ihrem Gebiet idas Grundgesetz durch Beitritt in Kraft zu setzen. Dieses Recht wird den Deutschen an der Saar, in der sowjetisch besetzten Zone und in den polnisch verwalteten Gebieten östlich der Oder und Neiße zwar tatsächlich durch Besatzungszwang auszuüben verwehrt, steht ihnen jedoch nach deutschem Staatsrecht zu und kann ohne vorausgegangene Änderung des Grundgesetzes durch einen freiwillig geschlossenen Vertrag nicht abgedungen werden. Es bedarf keiner weiteren Begründung, daß dies durch d'as Abkommen für die Dauer des Statuts geschehen soll. (Dr. Arndt) 3. Das Abkommen ist mit Art. 25 GG unvereinbar. Die Konvention zum Schutze der Grundfreiheiten und Bürgerrechte ist ratifiziert und als allgemeine Regel des Völkerrechts anzusehen. Daher kann für keinen Teil des deutschen Staatsgebietes eine vertragliche Regelung getroffen werden, die dieser Konvention nicht vollauf entspricht. 4. Eine Zustimmung zu diesem Abkommen ist in der Sache nicht möglich und nicht statthaft, weil die Beteiligten zwar einen Text verabredeten, aber sich über seinen Sinn, seine Bedeutung und seine Folgen nicht einigten. Es liegt vielmehr ein offener Dissens vor, ein „désaccord", wie der Abgeordnete Paul Reynaud als Vorsitzender des Finanzausschusses am 22. Dezember 1954 vor der Nationalversammlung erklärte (Journal Officiel S. 6760). In der 61. Sitzung des Bundestages am 15. Dezember 1954 (Stenographischer Bericht S. 3129) hat der Bundeskanzler ebenfalls „offensichtliche Meinungsverschiedenheiten" festgestellt und ihre rechtzeitige Bereinigung versprochen. Das ist nicht geschehen. Nach der amtlichen Begründung der Bundesregierung soll durch das Abkommen „völlig klargestellt" sein, daß die Saar weiter zu Deutschland in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 gehöre. Nach französischer Auslegung wird die Saar durch das Abkommen zwar kein Staat, aber ein Subjekt des Völkerrechts mit eigenen Rechten und Pflichten und — wenn auch bis zum Friedensvertrag provisorischen — Gebietsgrenzen. In allen wichtigen Fragen schließen sich so die Auslegungen, die einerseits die Bundesregierung, andererseits die französische Regierung dem Abkommen zuteil werden lassen, gegenseitig aus. Unter diesen außerordentlichen Umständen kann es nicht die Aufgabe des Bundestages oder seiner einzelnen Mitglieder sein, eine eigene Meinung darüber zu entwickeln, wie das Abkommen zu verstehen ist. Denn nicht der Bundestag hat hierüber das letzte Wort zu sprechen, sondern im Streitfalle ein internationales Gericht. Die entscheidende Frage lautet daher, ob die Mitglieder des Bundestages es vor ihrem Gewissen, vor dem deutschen Volke und vor der deutschen Geschichte ihrer Überzeugung nach verantworten und gewährleisten können, daß im Streitfalle ein internationales Gericht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Auslegung der Bundesregierung als richtig und gerechtfertigt anerkennen wird. Um eine derartige Erwartung zu sichern, hat die Minderheit beantragt, dem Zustimmungsgesetz zwei Artikel einzufügen. Darin sollte als Grundlage der Zustimmung festgestellt werden, daß dieses Abkommen nichts daran ändere, daß die Deutschen an der Saar Teil des deutschen Staatsvolkes sind und ihr Gebiet Teil dies deutschen Staatsgebietes ist, ferner, daß die Artikel VI und IX des Abkommens die Grundfreiheiten und Bürgerrechte im vollen Sinne der auch an der Saar gültigen Konvention uneingeschränkt einräumen. Diese gesetzlichen Feststellungen sollten bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde der Republik Frankreich notifiziert werden. Die der Fraktion der CDU/CSU angehörenden Ausschußmitglieder haben mit ihrer Mehrheit diese Anträge, die der Auslegung der Bundesregierung entsprechen, abgelehnt und den Beschluß herbeigeführt, daß der Bundestag inhaltsgleiche Entschließungen fassen solle. Unter diesen Umständen kann es nicht verantwortet werden, dem Abkommen zuzustimmen und dadurch die Gewähr zu übernehmen, daß es rechtlich so zu verstehen ist, wie die Bundesregierung es erläutert. Bonn, den 11. Februar 1955 Dr. Arndt Berichterstatter
Gesamtes Protokol
Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206900000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, die Tagesordnung ist erweitert um den mit Schreiben vom 23. Februar erhobenen Einspruch des Abgeordneten Dr. Greve gegen den ihm gestern in der 68. Sitzung erteilten Ordnungsruf. Das Schreiben ist als Umdruck 295 vervielfältigt und liegt dem Hause vor. Nach § 43 der Geschäftsordnung ist die heutige Tagesordnung um diesen Punkt zu erweitern.
Ich darf, ehe wir zur Abstimmung über diesen Einspruch kommen, noch darauf hinweisen, daß der unter Punkt 2 angezeigte Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu Drucksache 979 zwischenzeit-


(Präsident D. Dr. Gerstenmaier)

lieh als Drucksache 1201 vorliegt. Es ist im Altestenrat vereinbart worden, heute nur Punkt 1 der Tagesordnung aufzurufen.
Die übrigen amtlichen Miteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat unter dem 16. Februar 1955 die Kleine Anfrage 148 der Abgeordneten Ruhnke, Schwann, Dr. Bartram, Geiger (München), Elsner, Dr. Elbrächter und Genossen betreffend Beteiligung der Bundesrepublik an dem Technischen Hilfsprogramm der UNO – Drucksache 1174 – beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1220 vervielfältigt.
Meine Damen und Herren, ich komme zunächst zur Abstimmung über den
Einspruch des Abgeordneten Dr. Greve gegen den ihm in der 68. Sitzung erteilten Ordnungsruf (Umdruck 295*)).
Wer dafür ist, daß diesem Einspruch stattgegeben wird, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —

(Lachen und Zurufe bei der SPD.)

Das zweite war die Mehrheit; dem Einspruch ist nicht stattgegeben.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung: Zweite Beratung des
Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen 1000, zu 1000);
Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 1060);
Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag (Drucksache 1061, Umdruck 293);
Entwurfs eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar (Drucksache 1062, Umdruck 294**));
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (4. Ausschuß) (Drucksache 1200).

(Erste Beratung: 61. und 62. Sitzung.)

Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Professor Dr. Schmid.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0206900100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle namens der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei den Antrag, Punkt 1 der Tagesordnung abzusetzen.
Seitdem der Bundestag mit den Verträgen befaßt ist, durch die die Bundesrepublik — das eine Mal so, das andere Mal anders — in ein militärisches Vertragssystem integriert werden soll, hat meine Fraktion dieses Haus immer wieder gebeten, die Beratung der ihm vorgelegten Zustimmungsgesetze auszusetzen, bis die politische Lage genügend geklärt sei. Der Umstand, daß Sie bisher jeweils diesen Antrag abgelehnt haben, vermag uns nicht zu entmutigen, ihn heute zu wiederholen. Wir sind entschlossen, uns an jedem Meilenstein einer Poli-
*) Siehe Anlage 3.
**) Siehe Anlage 4.
tik in den Weg zu stellen, von der wir fürchten, daß sie das deutsche Volk eine Straße führt, die nicht auf die Wiedervereinigung hinführen kann, sondern von ihr wegführen muß.

(Zustimmung bei der SPD.)

Jene, die meinen, unsere Befürchtungen seien unbegründet, sollen sich nicht bei der von ihnen ein für allemal getroffenen Entscheidung beruhigen dürfen, dieser Weg müsse so schnell als möglich zurückgelegt werden. Sie werden sich in jeder Phase des Prozesses neu entscheiden müssen, ob sie diesen Weg weitergehen wollen und ob sie ihn in dem Zeitmaß weitergehen wollen, das sie sich vorgenommen haben.
Vielleicht werden manche bestreiten, daß dieser Prozeß in eine neue Phase getreten sei. Nicht bestritten werden können jedoch folgende Tatsachen, die für die Bestimmung des Zeitpunktes dieser Beratungen von entscheidender Bedeutung sind.
Das Problem der Wiedervereinigung wird auch außerhalb Deutschlands nun immer mehr als ein Problem erkannt, das das Interesse der ganzen Welt betrifft. Immer zahlreicher werden die Stimmen, die sagen, daß eine rechte Ordnung der Welt nicht möglich sei, daß der kalte Weltkrieg nicht beendet werden könne, wenn dieses Problem nicht bald gelöst werde. Diese Erkenntnisse haben sich aber noch nicht überall zu konkreten politischen Entscheidungen verdichtet. Vorurteile und eingefahrene Geleise politischer Konzepte stehen dem noch entgegen. Sicher ist aber, daß sie, einmal reif geworden, zu politischen Entscheidungen führen könnten, die sich von den bisherigen Vorstellungen entfernen. Man sollte dieser begrüßenswerten Entwicklung die Zeit lassen, die sie braucht. Die Zustimmung des Bundestags zu den Gesetzen, die vorgelegt sind, müßte diese Entwicklung stören.
Ein Zweites. Das wechselseitige Verhältnis von Wiederbewaffnung und Wiedervereinigung wird so gut wie überall in der Welt heute anders gesehen als am Beginn der Politik, die zu diesen Verträgen geführt hat. Dieser Wandel der Vorstellungen hat verschiedene Stufen durchlaufen. Zunächst galten die Verträge als ein Ding an sich. Ihr Zweck sollte ausschließlich die Stärkung der Verteidigungskraft des Westens und damit Deutschlands sein. Dann sollten sie dem Westen erlauben, gegenüber der Sowjetunion eine Politik der Stärke zu führen. Später sollten sie die Chance, mit der Sowjetunion in nützliche Verhandlungen zu kommen, bessern. Wenn man von den Russen Konzessionen haben wolle, sagte man, müsse man ihnen etwas anzubieten haben. Und schließlich ist man heute schon so weit, Ratifikation und Anwendung der Verträge zu unterscheiden, mit der Folge, daß jetzt schon gewisse Regierungen mit der Sowjetunion zwar nach der Ratifikation der Verträge, aber vor ihrer Anwendung verhandeln wollen.
Nun scheint sich darüber hinaus in einigen Ländern die öffentliche Meinung weiterzuentwickeln, nämlich in der Richtung, daß man, um die Wiedervereinigung zu fördern, mit der Sowjetunion verhandeln müsse, ehe durch die Ratifikation der Verträge vollendete Tatsachen geschaffen seien, die die Verhandlungen erschwerten. Die letzte Zeit hat eine Reihe sowjetischer Verlautbarungen gebracht. Man hat viel über ihre Bedeutung und Tragweite spekuliert. Uns scheint es müßig zu sein, erraten zu wollen, was die Sowjets wohl gemeint haben könnten. Wir glauben, daß man ausschließlich am


(Dr. Schmid [Frankfurt])

Verhandlungstisch feststellen kann, was sie wirklich wollen und wozu sie bereit sind.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Es gilt, die Sowjetunion beim Wort zu nehmen. Ist einmal ratifiziert, so wird eine Einigung der Mächte nur möglich sein, wenn entweder die Sowjetunion vor den politischen Absichten des Westens kapituliert — und das ist wenig wahrscheinlich — oder wenn der Westen bereit ist, das Gebäude, auf dessen Errichtung er so viel Mühe verwendet hat, abzutragen; das ist auch wenig wahrscheinlich. Darum glauben wir, daß mit der Fortsetzung der Beratung der Zustimmungsgesetze gewartet werden sollte, bis durch Viermächteverhandlungen die Lage —jenseits der bloßen Vordergründe — klarer geworden ist als heute. Nur dann werden wir von genügend sicheren Grundlagen aus entscheiden können.
Wir stehen heute auch in dieser Tagesordnungsfrage vor einer echten politischen Entscheidung und nicht in einem Spiegelgefecht. Wir werden unserer Aufgabe nur dann voll gerecht geworden sein, wenn wir alles getan haben, um uns die sichersten Grundlagen für unser Urteil zu verschaffen, so daß wir gelassenen Mutes der Gewißheit ins Auge schauen können, daß wir, wenn künftige Geschlechter von uns Rechenschaft verlangen werden, dabei so an unsere Nächsten — und das sind die Menschen drüben — gedacht haben, daß wir bestehen können, wenn uns einmal die Frage in den Ohren tönen sollte: Du hast gehandelt, du bist in Sicherheit — aber wo ist dein Bruder?

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206900200
Meine Damen und Herren, ich erteile das Wort zur Geschäftsordnung dem Herrn Abgeordneten Kiesinger. Ich schließe dann die Debatte zur Geschäftsordnung.

Dr. Kurt Georg Kiesinger (CDU):
Rede ID: ID0206900300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner politischen Freunde beantrage ich, den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion abzulehnen. Wir kennen die Gegensätze unserer Auffassungen. Wir werden Laufe der kommenden Debatte im einzelnen dartun, warum wir uns dazu entschließen, unseren Weg weiterzugehen. Auch wir sind von tiefster Verantwortung erfüllt gegenüber dem Schicksal unseres ganzen deutschen Volkes, gegenüber dem Schicksal unserer Kinder und Enkel und jener 18 Millionen drüben, um die wir so viel reden.

(Zuruf von der SPD: Reden! — Weitere Zurufe von der SPD.)

Wir wissen, daß diese 18 Millionen sehr viel besser unseren Standpunkt verstehen als jenen, der ihnen Hoffnungen erweckt, die in der Art, wie sie vorgesetzt werden, nicht erfüllt werden können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Kollege Professor Schmid hat in seiner Begründung davon gesprochen, daß man sich in Ruhe Zeit lassen solle, um eine Entwicklung abzuwarten, von der er sich glaubte versprechen zu dürfen, daß sich allmählich in der Welt ein Meinungswandel anbahne. Meine Damen und Herren von der Opposition, wir sind im Gegenteil der Meinung, daß, wenn wir uns nicht Zeit gelassen hätten, wenn die Verträge in den letzten Jahren nicht immer wieder verzögert und aufgeschoben worden wären, es heute um die Sicherheit und die Freiheit Europas und auch um die Sache der Wiedervereinigung besser bestellt wäre.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich will nichts von dem vorwegnehmen, was wir einander nachher sagen müssen. Aber das eine ist gewiß: daß dieser Zustand, in dem sich unser Kontinent, aber auch unser verwirrtes und verstörtes Volk befinden, es einfach nicht mehr länger erträgt, in der Schwebe des Hangen und Bangens gelassen zu werden, die nur Unheil schaffen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und beim GB/ BHE. — Zuruf von der SPD: Neue Gespenster! — Weitere Zurufe von der SPD.)

Endlich sind die Verträge dahin gelangt, wo über sie entschieden wird: hier und nirgendwo anders, vor allen Dingen nicht auf der Straße!

(Beifall bei der CDU/CSU und beim GB/ BHE. — Abg. Wehner: Auf der Straße?)

Es geht sowohl um die europäische wie um die gesamtdeutsche Sicherheit, Herr Kollege Professor Schmid; es ist nicht so, daß wir in der Bundesrepublik die kleine Schlauheit begingen, nur an unsere eigene Sicherheit zu denken.

(Zurufe von der SPD.)

Wir wissen ganz genau, daß die Sicherheit der Bundesrepublik die einzige Chance für die 18 Millionen im Osten ist, jemals wieder die Freiheit zu sehen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und weil es so ist, gehen wir unseren Weg weiter.

(Erneuter lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206900400
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD, den Punkt 1 der Tagesordnung abzusetzen. Wer für den Antrag auf Absetzung des Punktes 1 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir treten daher in die Beratung des Punktes 1 der Tagesordnung ein.
Der Schriftliche Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten liegt Ihnen vor*). Meine Damen und Herren, ich frage, welcher der Herren Berichterstatter zunächst das Wort zu nehmen wünscht? — Das Wort hat als Berichterstatter der Herr Abgeordnete Professor Dr. Furler.
Dr. Furler (CDU/CSU), Generalberichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses darf ich zunächst auf den gedruckten Bericht*) verweisen, der dem Hohen Hause vorliegt. Dies gilt vor allem für Einzelheiten mehr spezieller und technischer Art, die ich naturgemäß hier nicht in extenso vortragen kann. Ich will mich bei meiner mündlichen Berichterstattung auf die Grundprobleme beschränken, sie aber doch etwas eingehender 'darstellen, die Grundprobleme, die Gegenstand der Beratungen des Auswärtigen Ausschusses waren.
Die Bundesrepublik erstrebt seit ihrer Entstehung, das auf ihr lastende Besatzungsregime zu beseitigen. Diese Politik führte über das Peters-
s) Siehe Anlage 5.


(Dr. Furler)

berg-Abkommen zur New Yorker Deutschland-Erklärung der drei Westmächte vom September 1950 und zu jenen langwierigen Verhandlungen, deren Ergebnis der am 26. Mai 1952 in Bonn unterzeichnete Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Drei Mächten sowie die damit zusammenhängenden Abkommen waren.
Dieser Vertragskomplex wurde durch die Gesetze vom 28. März 1954 in der Bundesrepublik publiziert. Er konnte aber nicht endgültig und nicht für alle Vertragsstaaten verwirklicht werden, weil er nicht allein politisch, sondern auch rechtlich mit dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft verbunden war, gegen den sich die französische Nationalversammlung am 30. August 1954 entschied.
Im Mittelpunkt der dann folgenden Verhandlungen stand nun nicht die Frage der Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik. Die Westmächte wären bereit gewesen, die hier in Betracht kommenden Verträge mit unverändertem materiellen Inhalt in Kraft treten zu lassen. Die Bundesregierung lehnte dies aber ab, da nach ihrer Auffassung die gewandelte politische Situation und vor allem die für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gefundene Ersatzlösung sich auch auf die Regelung der Fragen auswirken mußte, die mit der Beendigung des Besatzungsregimes zusammenhingen.
Die Londoner Schlußakte und die Pariser Verträge gestalteten nun den Deutschlandvertrag um, allerdings nicht in vollem Umfang, sondern nur in Teilstücken. Sie brachten Abänderungen, die in einem Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland und in fünf damit verbundenen Listen niedergelegt sind. Der Vertragskomplex soll in der so abgeänderten Fassung und unabhängig von den Vereinbarungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag in Kraft treten.
Die Verträge, die Gegenstand der Drucksachen 1000 und 1060 sind, verbinden also alte und neue Inhalte und Formulierungen, die aus dem Jahre 1952 stammen, mit solchen, die erst in Paris gefunden wurden. Soweit die Verträge unverändert übernommen worden sind, behalten selbstverständlich die früheren Texte und die zu ihnen entstandenen gesetzgeberischen Materialien ihre Gültigkeit. Im Vordergrund der Beratungen des Auswärtigen Ausschusses und der sieben mitberatenden Ausschüsse standen daher die in Paris durchgeführten Veränderungen der Verträge, und der Schwerpunkt des Berichts liegt daher auch in der Darstellung und in der Beurteilung dieser abgewandelten Normen.
Die Zustimmungsgesetze beziehen sich nur auf die in Paris zustande gekommenen Verträge. Sie erfassen nicht die Londoner Schlußakte, deren Ratifizierung die Bundesregierung nicht für erforderlich hält. Der Auswärtige Ausschuß schloß sich dieser Auffassung an, die davon ausgeht, daß von allen in London zustande gekommenen Vereinbarungen und Erklärungen nur eine, die aber nicht ratifikationsbedürftig ist, nicht Gegenstand der Pariser Verträge wurde. Es handelt sich um die Grundsatzerklärung der Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten, die schon in London in weitem Umfang de facto das Besatzungsregime beseitigte, eine tatsächliche Entwicklung anerkennend und sie zugleich weiterführend.
Mit dem Inkrafttreten des Deutschlandvertrags und seiner Zusatzverträge verliert diese Erklärung ihre Bedeutung, da alsdann das Besatzungsregime ja auch rechtlich und endgültig aufgehoben wird. Die Grundsatzerklärung behält aber für die Auslegung der Pariser Verträge ihren Wert, da in ihr die westlichen Mächte aussprechen, die Aufhebung des Besatzungsregimes erfolge, um die Bundesrepublik zu einem gleichberechtigten Partner zu machen, mit dem sie sich assoziieren, und um ihr die Rechte nicht länger vorzuenthalten, die einem freien und demokratischen Volke von Rechts wegen zustehen.
Es erscheint nun notwendig, sofort hier und in diesem Zusammenhang auf die Ziffer 1 des Teils V der Londoner Schlußakte und auf die Erklärung einzugehen, die dort die Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs abgegeben haben. Diese Erklärung ist zwar nicht Gegenstand der Verträge zu Drucksache 1000, steht aber mit ihnen in einem unmittelbaren Zusammenhang und war Gegenstand eingehender Beratungen sowohl im Auswärtigen Ausschuß wie im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht. Sie lautet: „Die Drei Mächte erklären, daß sie die Regierung der Bundesrepublik Deutschland als die einzige deutsche Regierung betrachten, die frei und rechtmäßig gebildet und daher berechtigt ist, für Deutschland als Vertreterin des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten zu sprechen." Dieser Satz findet sich erstmals wörtlich in der New Yorker Deutschlanderklärung der drei alliierten Westmächte vom September 1950. Er wurde deshalb in die Londoner Schlußakte und später in die Pariser Verträge übernommen, weil die neuen Abmachungen die New Yorker Deutschlanderklärung aufheben sollten, wobei jedoch der hier formulierte Gedanke an keiner anderen Stelle der Vertragstexte zum Ausdruck gekommen wäre.
Zur Fixierung des sachlichen Gehalts und der Bedeutung dieser Erklärung ist zunächst festzustellen, daß sie sich nicht auf die Beendigung des Besatzungsregimes und nicht auf die Fragen der Souveränität bezieht. Die Norm hat eine besondere Legitimation der Regierung der Bundesrepublik zum Gegenstand, nicht diejenige, daß die Regierung der Bundesrepublik befugt ist, für die Bundesrepublik zu handeln und aufzutreten, nein, die Legitimation der Bundesregierung, für das gesamte Deutschland und für das gesamte deutsche Volk aufzutreten. Die Mächte verleihen hier der Bundesregierung keine Legitimation, da ihr diese schon zusteht. Sie — und durch die Übernahme auch die übrigen Staaten der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft — erkennen aber diese Legitimation im Rahmen ihrer Erklärung an, wobei sie zur Begründung dieser Haltung auf die Tatsache abheben, daß die Regierung der Bundesrepublik die einzige deutsche Regierung ist, die frei und rechtmäßig gebildet wurde.
Über den sachlichen Umfang dieser gesamtdeutschen Legitimation konnte im Ausschuß eine übereinstimmende Meinung nicht erzielt werden. Die These, dieses „sprechen" bedeute die Fähigkeit, Gesamtdeutschland zu berechtigen und zu verpflichten, stand der Auffassung gegenüber, die Erklärung erkenne zum mindesten kein Recht der Bundesrepublik an, für Gesamtdeutschland Verpflichtungen zu übernehmen oder unmittelbare Verfügungen zu treffen.


(Dr. Furler)

Im Jahre 1950 haben die drei westlichen Mächte zu dieser Erklärung eine Interpretation zu Protokoll gegeben. Durch Auseinandersetzungen in der französischen Nationalversammlung entstand die Frage, ob dieses Interpretationsprotokoll auch für die in die Londoner Schlußakte und in die Pariser Verträge neu übernommene Erklärung maßgeblich sei. Der Auswärtige Ausschuß lehnte eine solche Auffassung ab, und zwar aus folgenden Gründen.
Zunächst einmal wurde die Erklärung in New York von den Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs abgegeben und in dem nicht veröffentlichten Protokoll sofort interpretiert. In London erfolgte die Erklärung ohne jede Bezugnahme auf jenes Protokoll. Sodann wurde in Paris diese Erklärung von den übrigen Staaten der Atlantischen Verteidigungsgemeinschaft als sie verpflichtend anerkannt, Staaten, die das Interpretationsprotokoll nicht übernommen hatten. Schließlich ergab sich die Interpretation des Jahres 1950 aus einer politischen Situation, die 1954 überholt war und die auch dem völkerrechtlichen Status der Bundesrepublik nicht entspricht, der nach dem Willen der interpretierenden Mächte gerade durch die Pariser Verträge grundlegend verändert werden soll.
Ich komme nun zu dem Komplex des Protokolls über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik. Wie schon dargelegt, wurde der Deutschlandvertrag nicht in vollem Umfange neu formuliert. Man hat nur ein Protokoll geschaffen, in dessen Anlagen die getroffenen Änderungen klargestellt worden sind. Die Einleitungsformel des Protokolls führt die vier vertragschließenden Staaten in der international üblichen Reihenfolge auf. Sie stellt damit die Gleichberechtigung der Vertragschließenden ausdrücklich klar. Auch der Deutschlandvertrag, der Truppenvertrag, der Finanzvertrag, der Überleitungsvertrag und das Steuerabkommen weisen die gleiche Formel auf, während früher übereinstimmend immer gesagt wurde, daß die Bundesrepublik Deutschland einerseits und die drei westlichen Mächte andererseits die Verträge schließen. Mit der Gleichberechtigung entfällt auch die blockbildende Gegenüberstellung.
Das Protokoll hebt weiterhin — und das erscheint wesentlich — die frühere rechtliche Verbindung, also das Junktim zwischen dem Komplex des Deutschlandvertrages und demjenigen des deutschen Verteidigungsbeitrages auf. Der Auswärtige Ausschuß war sich allerdings darüber im klaren, daß die Aufhebung des rechtlichen Junktims durch eine tatsächliche und politische Verbindung aller Pariser Verträge an Bedeutung verlieren kann.
Nun enthält das Protokoll noch Bestimmungen über die Rechte der drei Westmächte auf den Gebieten der Abrüstung und der Entmilitarisierung. Diese Rechte erlöschen mit dem Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag. Bis dahin aber bleiben sie grundsätzlich in Kraft. Für die Übergangszeit hat man aber Abänderungen vorgesehen, die der Auswärtige Ausschuß für sehr bedeutsam hielt. Es ist so, daß mit dem Inkrafttreten des Komplexes des Deutschlandvertrages die Alliierten das Militärische Sicherheitsamt in Koblenz auflösen. An seine Stelle tritt ein neugebildeter Viermächteausschuß, der alsdann die Kontrolle auf den Gebieten der Abrüstung und Entmilitarisierung ausübt. In diesem Ausschuß ist die Bundesrepublik gleichberechtigt vertreten. Der Ausschuß entscheidet mit Stimmenmehrheit. Die Bundesrepublik kann natürlich überstimmt werden. Aber das bisher bestehende Vetorecht jedes Staates, insbesondere das Vetorecht gegen die Lockerung der Kontrolle, ist beseitigt. Die Vertragschließenden sind übereingekommen, diese Angelegenheit schon Ende 1954 zu überprüfen, also vor Inkrafttreten der Verträge. Diese Überprüfung sol] auch unter dem Gesichtspunkt erfolgen, die Bundesrepublik in die Lage zu versetzen, ihren künftigen Verteidigungsbeitrag vorzubereiten. Am 20. Oktober 1954 einigten sich die Außenminister dahin, in diesem Zusammenhang auch die bei uns noch bestehende Beschränkung der zivilen Forschung und der zivilen industriellen Fertigung zum Zwecke einer Erleichterung und Aufhebung zu überprüfen.
Da nun nicht sicher ist, wie das Inkrafttreten der Verträge erfolgt, ob also überhaupt dieser Zwischenzeitraum entsteht, hat der Wirtschaftspolitische Ausschuß besonderen Wert darauf gelegt, daß als Ergebnis dieser Besprechungen jetzt schon die Genehmigungspflicht und die Kontrolle lockerer als bisher gehandhabt werden. Insbesondere wird erwartet, daß die zivile Forschung und die zivile industrielle Fertigung auf den von den Gesetzen betroffenen Gebieten alsbald keinen Einschränkungen mehr unterliegen.
Im Mittelpunkt des gesamten Vertragswerkes, das ich hier als Berichterstatter zu behandeln habe, steht nun der Deutschlandvertrag. Dieser Vertrag ist in wesentlichen Punkten umgestaltet worden. Zunächst erscheint hier wichtig, daß die frühere, sehr umfangreiche Präambel gestrichen wurde. Die vertragschließenden Staaten beschränken sich nunmehr darauf, zu erklären, daß sie die Grundlagen ihres neuen Verhältnisses in diesen Abmachungen festlegen. Die frühere Präambel war durch den Wegfall der EVG und die neue Form des deutschen Verteidigungsbeitrags nach verschiedenen Richtungen überholt und gegenstandslos gewesen. Gebliebene gemeinsamen Ziele der Mächte sind in den Vertragstext unmittelbar übernommen worden. Einige Erklärungen der Präambel bilden aber heute noch selbstverständliche Motive des ganzen Vertragswerkes, so die Unvereinbarkeit des Besatzungsregimes mit den europäischen Aufgaben der Bundesrepublik, die Notwendigkeit, die Gleichberechtigung durchzuführen, und dann das höchste Ziel der Vertragschließenden, die gemeinsame Freiheit vereint zu fördern und zu verteidigen. Der Auswärtige Ausschuß nahm auch das hier durchgesetzte Bestreben der Bundesregierung billigend zur Kenntnis, die grundgesetzliche Ordnung ausschließlich in die Verantwortung der Bundesrepublik selbst zu stellen und sie nicht zum Gegenstand internationaler Verpflichtungen zu machen.
Eine entscheidende Aufgabe des Deutschlandvertrages ist es, die Bundesrepublik von jeder Besatzungshoheit zu befreien. Der Art. 1 des alten und des neuen Vertrages hebt daher mit dem Inkrafttreten des Vertrages das Besatzungsstatut auf und verpflichtet die bisherigen Besatzungsmächte, die Alliierte Hohe Kommission sowie die Dienststellen der Landeskommissare aufzulösen. Der neue Vertrag geht hier aber klarstellend nach zwei Richtungen weiter. Einmal sagt er ausdrücklich, daß nicht nur das Besatzungsstatut, sondern auch das Besatzungsregime sein Ende finde, womit nach Auffassung des Auswärtigen Ausschusses zum


(Dr. Furler)

Ausdruck gebracht wird, daß jeder besatzungsmäßige Tatbestand aufhören, die Freiheit . der Bundesrepublik von der Besatzungshoheit also eine ganz umfassende sein solle. In diesem Zusammenhang wurde auch der bisherige Abs. 3 des Art. 1 gestrichen, aus dem man auch das Weiterbestehen einer gegenüber einer gleichberechtigten Macht nicht mehr zu rechtfertigenden Art von einer gemeinsamen Kommission der früheren Besatzungsmächte hatte herauslesen wollen.
Nach Lage der Dinge werden die Regierungen der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs auch nach Inkrafttreten des Deutschlandvertrags die Vorbehaltsrechte, von denen ich noch sprechen werde, im gegenseitigen Einvernehmen ausüben. Diese Regierungen haben daher am 23. Oktober 1954 in Paris ein Abkommen dahin geschlossen, diese Vorbehaltsrechte durch ihre bei der Bundesrepublik beglaubigten Missionschefs ausüben zu lassen, die hierbei gemeinsam tätig werden. Insoweit sich diese Rechte auf Berlin beziehen, werden sie in Berlin nach Maßgabe der bestehenden Vorschriften ausgeübt. Um jede Deutung aber dahin auszuschließen, es handele sich ' gegenüber der Bundesrepublik hier um eine wenn auch nur besatzungsrechtsähnliche Erscheinung, erging am 1. Dezember 1954 eine Note des geschäftsführenden Hohen Kommissars an den Bundeskanzler, aus der ich nur wenige Sätze zitieren darf, weil sie diese Situation meiner Meinung nach zu unseren Gunsten klarstellt. Der Hohe Kommissar schreibt:
Ich kann Ihnen versichern, daß es nicht notwendig sein wird und auch in keiner Weise beabsichtigt ist, in Ausübung dieser Vorbehaltsrechte einen Rat von Botschaftern, ein Nachfolgeorgan der Alliierten Hohen Kommission oder irgendein ähnliches Gremium mit gemeinsamem Verwaltungs- coder Büropersonal zu schaffen.
Das Dreimächteabkommen wurde getroffen, um die klare Übereinstimmung der Auffassung der drei 'Unterzeichner darüber aktenkundig zu machen, daß sie in ihren Beziehungen zur Bundesrepublik lediglich auf ad-hoc-Basis über ihre bei der Bundesrepublik akkreditierten Missionschefs und dann nur unter den in den Pariser Abkommen vorgesehenen besonderen Umständen gemeinsam vorgehen werden.
Der Auswärtige Ausschuß hat die mit der Aufhebung • des Besatzungsregimes zusammenhängenden Bestimmungen bei unterschiedlicher Bewertung ihrer Tragweite übereinstimmend positiv beurteilt.
Mit dem Ende des Besatzungsregimes entfällt jede Beschränkung der autonomen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik, und zwar nach außen und nach innen. Damit wird für die Bundesrepublik der völkerrechtliche Status der Souveränität anerkannt. Diese Folgerung wird in dem Vertrag ausdrücklich gezogen. Während man früher das Wort „Souveränität" vermied, sagt die jetzige Bestimmung klar, die Bundesrepublik werde „die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten" haben. Auf Fragen des Ausschusses teilte die Regierung mit, diese Formulierung sei auf deutsches Verlangen nach Diskussionen so gewählt worden, um hinsichtlich der Souveränität eine eindeutige Lage zu schaffen und um auszuschließen, daß von einer Als-ob-Souveränität oder einem ähnlichen Status gesprochen werde.
Im Auswärtigen Ausschuß wurde nun die Frage der Souveränität eingehend erörtert. Man bemühte sich unter den verschiedensten Gesichtspunkten, die Bedeutung dieser Bestimmungen klarzustellen. In mehreren grundsätzlichen Ausgangspunkten der Betrachtung und der Bewertung konnte volle Übereinstimmung nicht erzielt werden. Einverständnis bestand aber darüber, daß der hier gebrauchte Begriff der Souveränität für die Auslegung der Pariser Verträge und als Grundlage für die Weiterentwicklung der Bundesrepublik von großer Bedeutung sei. Dem Inhaber der Souveränität fällt in dubio, also in allen zweifelhaften und nicht geregelten Fällen, die Zuständigkeit zu eigenständiger Bestimmung der Ziele und Mittel seiner Politik und zu verantwortlichem Handeln zu. Die besondere funktionelle Bedeutung des Souveränitätsbegriffs wurde von allen Mitgliedern des Ausschusses anerkannt. Der Auswärtige Ausschuß war der Meinung, daß diese Souveränität der Bundesrepublik eine ursprüngliche und keine verliehene ist, daß sie deutsche Souveränität darstellt, die durch das Besatzungsregime gehemmt, aber nicht beseitigt war und nach dem Inkrafttreten der Verträge wieder effektiv wird. Der Auswärtige Ausschuß zieht aus dieser Souveränität im Zusammenhang mit den Pariser Verträgen und der völkerrechtlichen Situation vor allem drei Folgerungen, die auch der Auffassung der Bundesregierung entsprechen, wobei allerdings die Minderheit gegenüber dem ersten Punkt Bedenken aussprach.
1. Die Bundesrepublik ist zuständig und befugt, in allen Fragen eine eigene, selbständige und unabhängige Außenpolitik zu betreiben. Dies gilt im besonderen auch für die deutsche Wiedervereinigung. Diese grundsätzliche unbeschränkte politische Handlungsfreiheit ist aber durch übernommene völkerrechtliche Verpflichtungen und vertragliche Abmachungen gebunden. So hat die Bundesrepublik die Bindung des Art. 2 der Satzung der Vereinten Nationen ausdrücklich übernommen. Sie hat sich auch in Art. 3 des Deutschlandvertrages verpflichtet, ihre Politik in Einklang mit den Prinzipien der Satzung der Vereinten Nationen und mit den im Statut der Europarates aufgestellten Zielen zu halten. Die Regierung der Bundesrepublik hat darüber hinaus auf der Londoner Konferenz ausdrücklich und feierlich erklärt, die Wiedervereinigung Deutschlands oder die Änderung der gegenwärtigen Grenzen der Bundesrepublik niemals mit gewaltsamen Mitteln herbeizuführen und alle zwischen der Bundesrepublik und anderen Staaten bestehenden Streitfragen mit friedlichen Mitteln zu erledigen. In diesen Zusammenhang gehört auch die in Art. 7 des Deutschlandvertrages übernommene Verpflichtung der Bundesrepublik, mit den drei anderen Vertragspartnern hinsichtlich der Wiedervereinigung und der Herbeiführung einer friedensvertraglichen Regelung für ganz Deutschland eine gemeinsame Politik zu betreiben.
2. Die Bundesrepublik wird ein gleichberechtigter und notwendiger Vertragspartner bei allen internationalen Vereinbarungen sein, die ihre Rechte oder Interessen berühren. Nach Auffassung des Auswärtigen Ausschusses wird es lediglich von Erwägungen der Zweckmäßigkeit bestimmt sein, ob sich die Bundesrepublik an vorbereitenden Verhandlungen für derartige internationale Regelungen unmittelbar beteiligt. Auch dann, wenn die


(Dr. Furler)

Bundesrepublik solche Verhandlungen ganz oder teilweise dritten Mächten zu führen überläßt, kann ein Abschluß nur unter Mitwirkung der Bundesrepublik erfolgen.
3. Die Bundesrepublik ist berechtigt, mit allen Staaten diplomatische Beziehungen aufzunehmen und Verhandlungen zu führen. Dies gilt auch für die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Die Absätze 3 und 4 des Art. 3 beeinträchtigen diese Rechte der Bundesrepublik nicht. Sie verpflichten nur die anderen Vertragspartner, auf Wunsch ,der Bundesrepublik tätig zu werden, wenn diese es nicht vorzieht, selbständig zu handeln oder die Wahrung ihrer Interessen anderen Staaten zu überlassen.
Nun komme ich zu den Vorbehaltsrechten, die immer auch im Mittelpunkt der Diskussionen standen. Der Auswärtige Ausschuß billigte einmütig die Politik der Bundesregierung, die Wert darauf legte, den drei westlichen Mächten Rechtspositionen zu erhalten, die hinsichtlich Deutschlands auf den 1945 auch mit Sowjetrußland getroffenen Vereinbarungen beruhen. Eine Gefährdung oder Aufgabe dieser Rechtsstellung läge nicht im deutschen Interesse. In diesem Zusammenhang hatte man früher drei Vorbehaltsrechte normiert, den Vorbehalt betreffend die Stationierung der Streitkräfte in Deutschland, den Vorbehalt hinsichtlich Berlins und schließlich den gesamtdeutschen Vorbehalt einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung. Im neuen Vertrag bleiben nur die beiden Vorbehalte hinsichtlich Berlins und Gesamtdeutschlands; wegen des Stationierungsrechts wird auf andere Bestimmungen verwiesen. Ich komme hierauf zurück im Zusammenhang mit der Behandlung des Aufenthaltsvertrages, der ja Gegenstand einer besonderen Gesetzesvorlage ist.
Neben der Sonderregelung über die Stationierung von Streitkräften betrachtet der Auswärtige Ausschuß folgende Änderungen des neuen Vertrages als besonderen Fortschritt. Es wird nunmehr ausdrücklich darauf abgehoben, daß die drei Mächte nicht nur ihre Rechte, sondern auch ihre Verantwortlichkeiten beibehalten. Diese Verantwortlichkeiten sind besonders für Berlin, aber auch für Gesamtdeutschland bedeutsam. Sodann: 1952 sollte die Bundesrepublik verpflichtet werden, jede Maßnahme zu unterlassen, die die vorbehaltenen Rechte beeinträchtigen könnte, und dahin mitzuwirken, den Drei Mächten die Ausübung dieser Rechte zu erleichtern. Die Streichung dieser Bestimmung zeigt das Vertrauen, das sich die Bundesrepublik erworben hat. Es ist auch ohne vertragliche Verpflichtung für die Bundesrepublik selbstverständlich, die Drei Mächte zu unterstützen und mit ihnen eine auch sonst festgelegte Zusammenarbeit durchzuführen.
Im Auswärtigen Ausschuß wurden Bedenken vorgetragen, die mit der Gefahr einer zu starken oder etwa mißbräuchlichen Ausübung des gesamtdeutschen Vorbehalts zusammenhängen. Die Bundesregierung hob hier auf den aufrechterhaltenen Brief der Hohen Kommissare an den Bundeskanzler vom 26. Mai 1952 ab, in dem die drei Regierungen ausdrücklich sagen, das Vorbehaltsrecht in bezug auf Deutschland als Ganzes nicht dahin auszulegen, als erlaube es ihnen, von den gegenüber der Bundesrepublik in den Verträgen übernommenen Verpflichtungen abzuweichen. Diese Erklärungen zwingen im Zusammenhang mit Inhalt und
Geist der Verträge zu der Feststellung, daß die Vorbehaltsrechte ausdrücklich auf ihren Sinn und Zweck beschränkt sind, der darin besteht, die Rechtsposition gegenüber Sowjetrußland zu wahren. Die Vorbehalte können und dürfen also gegenüber der Bundesrepublik nicht Befugnisse geben, die der Aufhebung des Besatzungsregimes und der Souveränität widersprechen. Soweit Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder Durchführung des gesamtdeutschen Vorbehalts im Gebiet der Bundesrepublik notwendig werden, können diese nicht einseitig und hoheitsrechtlich durch die Drei Mächte durchgeführt werden. Die Bundesrepublik ist aber verpflichtet, je nach Sachlage alsdann in eigener Zuständigkeit das Erforderliche zu veranlassen.
Der Auswärtige Ausschuß legt Wert darauf festzustellen, daß der Vorbehalt der Rechte und Verantwortlichkeiten keine ausschließliche Zuständigkeit der Drei Mächte für die vorbehaltenen Fragen anerkennt oder schafft. Der Vorbehalt besagt lediglich, daß solche Rechte und Verantwortlichkeiten neben den eigenen Zuständigkeiten der Bundesrepublik bestehenbleiben. Die Vorbehaltsrechte schließen daher eine eigene Politik und eine eigene Zuständigkeit der Bundesrepublik weder für Berlin noch für die Wiedervereinigung aus.
Nun zu den rechtlichen Vorschriften, die sich mit der Wiedervereinigung befassen. Wie im Bundestag so waren auch im Auswärtigen Ausschuß alle Parteien darüber einig, daß die Wiedervereinigung Deutschlands im Frieden zu erfolgen und die Freiheit zu gewährleisten habe. Bei der Wiedervereinigung muß die bisherige Freiheit der in der Bundesrepublik lebenden Deutschen erhalten bleiben und diese Freiheit in gleichem Umfange den 18 Millionen Einwohnern der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands gebracht werden. Der Auswärtige Ausschuß stimmte auch darin überein, daß es der Bundesrepublik nicht möglich ist, dieses Ziel aus eigener Kraft zu erreichen, weshalb eine Politik grundsätzlich gebilligt wurde, die dahin geht, Staaten zu verpflichten, für die Freiheit der Bundesrepublik einzutreten und mit ihr zusammen die Wiedervereinigung Deutschlands durch gemeinschaftliche Anstrengungen zu erstreben.
In der Erklärung V Ziffer 4 der Londoner Schlußakte bezeichnen die Regierungen der westlichen Mächte die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschland durch friedliche Mittel als ein grundlegendes Ziel ihrer Politik. Diese Erklärung wurde auch von den übrigen Staaten der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft als für sie verbindlich übernommen.
In Abs. 2 des Art. 7 des Deutschlandvertrages verpflichten sich die vier Unterzeichnerstaaten weiterhin, zusammenzuwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen, das dahin umschrieben wird:
Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik, besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist.
Der Auswärtige Ausschuß besprach eingehend die rechtliche und politische Bedeutung der soeben dargelegten Vereinbarungen. Die der Opposition angehörenden Mitglieder des Ausschusses blieben dabei, der Bundesregierung vorzuwerfen, die anderen Staaten in der Frage der deutschen Wiedervereinigung nicht konkret genug gebunden zu


(Dr. Furler)

haben. Über das allgemeine Ziel einer gemeinschaftlichen Außenpolitik hinaus habe man rechtliche Bindungen in Einzelfragen nicht erhalten. Die Vertreter der Minderheit gaben zwar zu, daß es nicht möglich gewesen sei, konkrete Spezialverpflichtungen zum Gegenstand des Deutschlandvertrages zu machen. Sie meinten aber, man hätte solche Festlegungen in einem Briefwechsel, in besonderen Erklärungen oder zum mindesten in der Schaffung von Gremien, die sich mit der Vorbereitung und der Durchführung der gemeinschaftlichen Wiedervereinigungspolitik befassen, zum Ausdruck bringen müssen. Demgegenüber blieb die Mehrheit des Ausschusses dabei, daß die erzielten Vereinbarungen eine ausreichende Bindung der anderen Mächte an die deutschen Interessen schafften und daß es unmöglich sei, im voraus die Vertragspartner zu ganz bestimmten Schritten zu verpflichten, da diese Schritte von der jeweiligen, nicht voraussehbaren realpolitischen Situation abhängig seien.
Die Vertreter der Opposition rügten darüber hinaus — wie schon bei den Auseinandersetzungen des Jahres 1952 — die Festlegung der Wiedervereinigungspolitik auf ein Deutschland, das in die europäische Gemeinschaft integriert ist. Dies erschwere die Durchführung der gemeinschaftlichen Politik. Der Ausschuß konnte jedoch in seiner Mehrheit diese Bedenken nicht als begründet ansehen, wobei er mit der Mehrheit des Gesamtdeutschen Ausschusses und des Rechtsausschusses übereinstimmte. Folgende Erwägungen standen dabei im Vordergrund — ich muß mich hier kurz fassen und konzentrieren —:
Mit der Streichung der Präambel entfällt die Möglichkeit, diese Bestimmung in einem ganz konkreten, supranationalen Sinn auszulegen. Der beanstandete Halbsatz hat nicht die Bedeutung, daß die Schaffung einer ganz bestimmten europäischen Gemeinschaft vorausgesetzt werde. Das hier formulierte Ziel ist sehr allgemein und umfaßt die verschiedensten, auch losesten Möglichkeiten einer Gemeinschaft der europäischen Staaten. Die Bundesregierung, die schon für den Vertrag von 1952 die Festlegung auf eine Europäische Gemeinschaft im Sinne eines supranationalen Europas bestritt, brachte die hier dargelegte Auffassung nachdrücklich zum Ausdruck und betonte, es liege auch nicht eine Festlegung auf das durch die Pariser Verträge zu schaffende System vor. Diese Formel meine eine europäische Gemeinschaft im weiteren, durchaus unbestimmten Sinne. Sie sei als ein Bekenntnis zu dem Ziele zu verstehen, daß sich die Wiedervereinigung Deutschlands in den Gedanken der europäischen Einigung einreihen solle. Sie bedeute also nicht Integration im technischen Sinne in eine der bestehenden europäischen Gemeinschaften.
Im Zuge der gemeinsamen, auf die Wiedervereinigung Deutschlands gerichteten Bemühungen liegt die weitere Verpflichtung der Vertragspartner, als ein wesentliches Ziel ihrer Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland zu erstreben. Diese Verpflichtung gilt nicht nur für die drei westlichen Mächte, sondern für alle Staaten, die der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft angehören. Dabei ist allerdings klargestellt, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zum Friedensvertrag aufgeschoben werden muß.
Auf Fragen erklärte die Regierung, der Formulierung: eine vertragliche Regelung für „ganz Deutschland" komme eine besondere Bedeutung nicht zu. Sie besage das gleiche wie der Ausdruck „Gesamtdeutschland". Es sei weder daran gedacht, noch habe man sich dahin vereinbart oder vorbehalten, friedensvertragliche Regelungen mit allen Teilen Deutschlands so zu treffen, daß schließlich der Status von ganz Deutschland geregelt sei.
Gegenstand eingehender Beratung des Auswärtigen Ausschusses, des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht und des Gesamtdeutschen Ausschusses war schließlich die Frage, ob die Pariser Verträge auch nach der Wiederherstellung Gesamtdeutschlands, also für die Regierung des wiedervereinigten Deutschlands, bindend seien. Im Deutschlandvertrag bestand hierüber früher die Bestimmung des Art. 7 Abs. 3, die gestrichen wurde. Diese Streichung beseitigte zunächst einen Anlaß zu vielfältigen rechtlichen und politischen Auseinandersetzungen, da über die Auslegung und Bedeutung dieses Abs. 3 eine einheitliche Meinung nicht erreichbar war. Aus der Streichung folgt aber auch, daß nunmehr eine vertragliche Norm fehlt, die herangezogen werden könnte, um die gestellte Frage zu beantworten.
Alle Vertragspartner gingen bei der Streichung dieser Vorschrift davon aus, daß damit auch klargestellt werden sollte, die Wiedervereinigung Deutschlands bilde einen Tatbestand, der die beteiligten Mächte vor eine Situation stelle, die eine erneute Entscheidung über die Bindung an die Verträge ermögliche. Die Freiheit der Entschließung als Folge des Wegfalls dieser Bestimmung wurde von den Vertragschließenden bei den Verhandlungen zum Ausdruck gebracht. Übereinstimmend haben später sowohl der Bundeskanzler als Außenminister Eden erklärt, eine Bindung an die Verträge sei nach der Wiedervereinigung nicht mehr gegeben. Geht man an die Beantwortung dieser Frage unabhängig von diesen Verhandlungen und nur auf Grund allgemeiner völkerrechtlicher Regeln heran, so führen die hierzu geäußerten verschiedenartigen Auffassungen doch zu einem übereinstimmenden, die Bindung des wiedervereinigten Deutschlands ausschließenden Ergebnis. Wer die Bundesrepublik und das wiedervereinigte Deutschland staatsrechtlich nicht als identisch ansieht, wird eine Bindung ohne weiteres nicht annehmen. Aber auch die von den Mitgliedern der SPD-Fraktion dargelegte staatsrechtliche Beurteilung ergibt die Freiheit des wiedervereinigten Deutschlands. Die Mehrheit des Ausschusses, die mit der Bundesregierung eine, wenn auch faktisch begrenzte Identität zwischen Bundesrepublik und Gesamtdeutschland annimmt, kommt zu demselben Ergebnis, und zwar mit der Erwägung, daß die Einbeziehung der sowjetischen Besatzungszone in den Bereich der Regierung des wiedervereinigten Deutschlands eine sehr tiefgreifende Änderung der politischen Situation und der Struktur des deutschen Vertragspartners bringe, die jedem Unterzeichnerstaat ,die Freiheit der Entscheidung darüber gebe, ob er zu den Verträgen stehen oder sie als überholt ansehen wolle. Dies aus rechtlichen Erwägungen gewonnene Ergebnis wird allerdings auch von der Art abhängen, in der die Wiedervereinigung zustande kommt.
Der Auswärtige Ausschuß und der Gesamtdeutsche Ausschuß sind in ihrer Mehrheit der Auffassung, daß die Abkommen, die sich um den Deutsch-


(Dr. Furler)

landvertrag gruppieren, die Aussichten für eine Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit fördern. In beiden Ausschüssen erkannte die Minderheit Fortschritte in der Gestaltung der Verträge gegenüber der Formulierung von 1952 an, und zwar auch hinsichtlich der Wiedervereinigung; sie hielt jedoch die gegenüber den Vorbehaltsrechten und gegenüber dem Art. 7 des Deutschlandvertrages geäußerten Bedenken aufrecht.
Nun zu Berlin. Berlin steht unter einer Viermächteverwaltung. Es ist über die drei Westsektoren aufs engste mit der Bundesrepublik verbunden, aber nicht als Land zu ihr gehörend. Diese international-rechtliche Lage und die Tatsache, daß die Stadt inmitten der sowjetischen Besatzungszone liegt, schaffen die besondere Situation Berlins. Die neuen Abmachungen befassen sich an verschiedenen Stellen mit Berlin.
Die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und Frankreich haben erneut eine umfassende Garantieerklärung abgegeben. Sie verpflichteten sich, im Gebiete Berlins Streitkräfte zu unterhalten, und erklärten, jeden Angriff gegen Berlin als einen Angriff auf ihre Streitkräfte und auf sich selbst zu behandeln. Diese Garantieerklärung wurde von den anderen Staaten der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft übernommen. Sie hat ihre besondere Bedeutung auch im Zusammenhang mit den Beistandsverpflichtungen des Vertrages über die Westeuropäische Union und des Nordatlantikvertrages. Ergänzend zu dieser Garantieerklärung gaben die Drei Mächte zur Frage des Berliner Besatzungsregimes noch eine spezielle Erklärung ab, in der sie versprechen, sicherzustellen, daß Berlin das höchstmögliche Maß von Selbstregierung erhält, das mit seiner besonderen Situation vereinbar ist.
Schließlich behalten sich die Mächte, wie ich Ihnen schon sagte, ihre Rechte in bezug auf Berlin vor. Sie verpflichten sich aber ausdrücklich, die Bundesrepublik in allen Fragen, die Berlin betreffen, zu konsultieren. Durch ein besonderes Schreiben der Hohen Kommissare vom Jahre 1952, jetzt in etwas geänderter Fassung aufrechterhalten, wurde eine Erklärung über die Aufgaben und die Durchführung dieses Vorbehalts der Drei Mächte abgegeben. Allerdings wurde der bisherige Abs. 2 des Art. 6 gestrichen, der die Verpflichtung der Bundesrepublik enthielt, Berlin politisch, kulturell, wirtschaftlich und finanziell zu helfen und hierbei mit den Drei Mächten zusammenzuwirken. Diese Streichung erfolgte aber, weil es für die Bundesrepublik eine selbstverständliche Verpflichtung ist, Berlin zu helfen, eine Verpflichtung, die in eigener Verantwortung und nicht auf Grund einer international-rechtlichen Bindung erfüllt werden soll.
Die Bundesrepublik hat nunmehr ihre Hilfsverpflichtung für Berlin in einer vom Deutschlandvertrag unabhängigen Erklärung niedergelegt, die sachlich über die frühere Verpflichtung hinausgeht und die auch deshalb 'bemerkenswert ist, weil sie von Berlin „als der vorgesehenen Hauptstadt eines freien wiedervereinigten Deutschlands" spricht.
Über diese Dokumente wurde im Auswärtigen Ausschuß und im Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen eingehend verhandelt. Man war sich darüber einig, daß die international-rechtliche Situation Berlins die Aufrechterhaltung der Rechte der Drei Mächte gegenüber Sowjetrußland, also den Vorbehalt notwendig mache. Übereinstimmend wurde auch die von den Drei Mächten abgegebene Garantieerklärung begrüßt. Alle Ausschußmitglieder hielten es auch für richtig, daß die Bundesrepublik ihr Hilfsversprechen nicht mehr zum Gegenstand einer völkerrechtlichen Verpflichtung gemacht hat. Die beiden Ausschüsse waren der Meinung, daß die für Berlin in den Verträgen und im Zusammenhang mit ihnen abgegebenen Erklärungen einen Fortschritt enthalten und von Berlin aus gesehen als erfreulich zu bezeichnen sind. Die Minderheit hielt gewisse Beanstandungen aufrecht, die sich jedoch im wesentlichen mit den rechtlichen Beziehungen Berlins zur Bundesrepublik befassen.
Nun ein sehr wichtiges Problem, das auch eine grundlegende Neuregelung im Deutschlandvertrag erfahren hat: die Frage der Notrechte, zunächst des Notstandsrechts. Nach den Abmachungen werden Truppenkontingente ausländischer Staaten im Gebiet der Bundesrepublik bleiben; zunächst noch in Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse, nach Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag im Rahmen eines Bündnisses auf vertraglicher Grundlage. Die Regierungen der Drei Mächte legten daher 1952 und bei den Verhandlungen in Paris entscheidenden Wert darauf, die Sicherheit dieser Streitkräfte auch bei besonderen Notlagen garantiert zu wissen. Hieraus entstand der Art. 5 des alten Deutschlandvertrages, der die Drei Mächte berechtigte, den Notstand zu erklären, wenn die Bundesrepublik und die EVG außerstande wären, einer Lage Herr zu werden, die durch einen Angriff, durch eine Bedrohung, durch eine umstürzlerische oder anderweitige Störung der Ordnung und Sicherheit oder durch den ernstlich drohenden Eintritt solcher Ereignisse entstanden wäre.
Auf diesem Gebiet bringen die neuen Abmachungen einen grundlegenden Wandel. Der heutige Art. 5 gibt Regelungen bei Notstandslagen, die verschieden sind für die Zeit bis zum Inkrafttreten des deutschen Verteidigungsbeitrages und danach. Bis zu diesem Inkrafttreten bleibt es naturgemäß bei der bisherigen hoheitsrechtlichen Situation, wobei allerdings die Mächte ihre Befugnisse auch in Notstandslagen erneut einschränken. So erkennen sie die Konsultierungsverpflichtung an. Entgegen dem allgemein festgelegten Grundsatz können die Drei Mächte im Falle eines erfolgten oder drohenden Angriffs ohne Einwilligung .der Bundesrepublik weitere Truppenkontingente in deren Gebiet verbringen. Diese Kontingente dürfen aber nach Beseitigung der Gefahr nur mit Einwilligung der Bundesregierung im Gebiet der Bundesrepublik verbleiben. Nach Inkrafttreten des Beitritts der Bundesrepublik zur NATO bleibt die dargestellte Rechtslage zunächst aufrechterhalten. Die drei westlichen Mächte behalten ihre bisherigen Rechte zeitweilig bei, schränken diese aber alsdann nochmals ein. Ganz abgesehen von der Konsultierung ist folgendes vereinbart:
Die Ausübung von Notstandsrechten setzt weiterhin voraus, daß die Bundesregierung mit den Drei Mächten darin übereinstimmt, daß die Umstände die Ausübung eines derartigen Notstandsrechts erfordern. Hierin liegt eine sehr entscheidende Begrenzung. Es zeigt sich die Tendenz, den ganzen Komplex des Notstandsrechtes in den Zuständigkeitsbereich der deutschen Regierung zu verlagern.
Nun kommt das Entscheidende. Die drei anderen Vertragschließenden haben in Abs. 2 des Art. 5 die Frage des Notstandsrechts in die ausschließliche Entscheidungsbefugnis des Gesetzgebers der


(Dr. Furler)

Bundesrepublik gelegt. Der Gesetzgeber der Bundesrepublik hat es also in ,der Hand, endgültig und umfassend das gesamte alliierte Notstandsrecht zum Erlöschen zu bringen. Diese alliierten Rechte erlöschen nämlich, sobald die zuständige deutsche Behörde durch den Gesetzgeber besondere Vollmachten erhalten hat. Art und Inhalt der hier vorausgesetzten gesetzgeberischen Maßnahmen ergeben sich nicht nur aus Art. 5, sondern auch aus einer besonderen Erklärung, ,die die Drei Mächte der Bundesrepublik zur Interpretation des Art. 5 schriftlich abgegeben haben. Die Bundesregierung hat den Auswärtigen Ausschuß und den Rechtsausschuß umfassend unterrichtet, so daß von folgender Rechtslage ausgegangen werden kann:
Die Vollmachten müssen die zu ermächtigende Behörde in den Stand setzen, wirksame Maßnahmen zum Schutze der Sicherheit der Streitkräfte zu treffen. Dies setzt voraus, daß diese Behörde überhaupt die Fähigkeit hat, einer ernstlichen Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu begegnen. Es wird aber von den Drei Mächten nur verlangt, diese Vollmacht für Fälle zu geben, in denen die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch einen Angriff oder eine äußere Bedrohung der Bundesrepublik gefährdet ist. Besondere Situationen, die ihre Ursache in Vorgängen innerhalb der Bundesrepublik haben, brauchen nicht von der hier gesetzgeberisch zu erteilenden Ermächtigung erfaßt zu sein, so Notlagen, die durch innere Unruhen, Streiks, Wassergefahr, Seuchen usw. entstehen können. Daneben wird gefordert, daß milltärische Notwendigkeiten bei der Überwachung des Post- und Fernmeldewesens berücksichtigt werden.
Die vier vertragschließenden Mächte sind darüber einig, daß das diese Vollmachten schaffende Gesetz keinen bestimmten und konkret festgelegten Inhalt zu haben braucht, um die bisherigen Notstandsrechte der westlichen Mächte zum Erlöschen zu bringen. Es genügt, daß ein Gesetz ergeht, das solche Vollmachten gibt. Sobald dieses Gesetz in Kraft getreten ist, sind die zeitweilig beibehaltenen Rechte der Drei Mächte endgültig erloschen.
Der Auswärtige Ausschuß war darüber einig, daß diese neue Regelung gegenüber den früheren Abmachungen einen bedeutsamen Fortschritt bringt. Er hat hierbei noch einige Gesichtspunkte erwogen. Zunächst: die Notstandsrechte hören mit Inkrafttreten des Ermächtigungsgesetzes auf zu existieren. Sie erlöschen, ohne daß die Drei Mächte zustimmen oder eine besondere Erklärung abgeben müssen. Das Erlöschen tritt ein, ohne daß ein Gesetz vorausgesetzt wird, das einen konkret vorgeschriebenen Inhalt hat. Der Gesetzgeber der Bundesrepublik ist also auf bestimmte Ermächtigungsnormen nicht festgelegt. Er wird vor allem nicht eine Regelung im Sinne des Art. 48 der Weimarer Verfassung treffen müssen. Der Gesetzgeber ist frei, Normen zu entwickeln, wobei allerdings angenommen wird, daß er sich im Rahmen dessen hält, was in den Mitgliedstaaten der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft hier üblicherweise rechtens ist. Sodann — und das ist wichtig —: nach Erlöschen der Rechte besteht keine Möglichkeit des Rückgriffs auf hoheitliche Befugnisse mehr, auch nicht über den gesamtdeutschen Vorbehalt, wozu auf die dortigen Ausführungen verwiesen wird.
Es ist nun ergänzend noch klargestellt, daß die Truppenbefehlshaber das sogenannte Notwehrrecht beibehalten. Es handelt sich hier um das Recht, das ein Militärbefehlshaber hat, wenn seine Truppen einem gegenwärtigen, unmittelbaren und 1 rechtswidrigen Angriff ausgesetzt sind. Diese Lage steht im Gegensatz zum Notstand, der seine Begründung in besonderen Verhältnissen hat, die sich gefährdend auf eine Truppe auswirken, ohne daß diese Gegenstand einer gegen sie gerichteten Aktion ist. In einem Briefe des Bundeskanzlers vom 23. Oktober 1954 wird erklärt, daß dieses Notwehrrecht nach dem Völkerrecht und nach deutschem Recht eine Selbstverständlichkeit ist, also nicht mehr wie früher ausdrücklich formuliert zu werden braucht. Dieser Brief hat also nur deklaratorische Bedeutung. Er wurde geschrieben, um gewisse Mißverständnisse auszuschließen, die entstehen konnten, nachdem das früher ausdrücklich formulierte Notwehrrecht des Deutschlandvertrags gestrichen worden war.
Bei den früheren Debatten hatte die Regelung, die das Schiedsgericht im Deutschlandvertrag erfahren hatte, besonders starken Unwillen erregt und heftige Angriffe hervorgerufen. Ich kann mich mit den Einzelfragen hier nicht befassen. Ich will nur darauf abheben, daß der Auswärtige Ausschuß der Meinung war, daß es sehr zu begrüßen ist, daß der Art. 11 der Satzung dieses Schiedsgerichts grundlegend geändert wurde. Früher war es nämlich so, daß dieses Schiedsgericht ermächtigt werden sollte, deutsche Verwaltungsmaßnahmen unmittelbar außer Kraft zu setzen, Urteile für nichtig zu erklären, ja unmittelbar gesetzliche Normen zu erlassen. Die in Betracht kommenden Bestimmungen sind gestrichen. Es ist jetzt lediglich die allgemeine Bestimmung enthalten, die in solchen Verträgen üblich ist, wonach, wenn dem Urteil des Schiedsgerichts nicht entsprochen wird, der beteiligte oder jeder betroffene Staat um eine weitere Entscheidung bezüglich entsprechender anderweitiger Maßnahmen seitens des säumigen Staates ersuchen kann, — also eine durchaus als normal zu bezeichnende Regelung.
Eine Weiterentwicklung fand auch auf dem Gebiete der Revisionsklausel statt. Sie wissen, daß der Deutschlandvertrag in Art. 10 eine ausdrückliche Norm enthält, auf Grund deren in gewissen Situationen eine Revision des Vertrages verlangt werden kann. Während früher die Revision nur gefordert werden konnte, wenn die Wiedervereinigung oder die Bildung einer europäischen Föderation stattgefunden hatte, sind die Voraussetzungen heute erweitert worden und schon dann gegeben, wenn eine internationale Verständigung über Maßnahmen zur Herbeiführung der Wiedervereinigung Deutschlands erzielt ist. Sicherlich stellt die allgemeine Hoffnung oder der Wunsch auf eine Wiedervereinigung noch keinen Überprüfungsgrund dar. Die neue Voraussetzung muß sich zwischen der Wiedervereinigung selbst und einer allgemeinen Chance erfüllen. Sobald eine internationale Übereinstimmung über die Wiedervereinigung herbeigeführt ist, kann die Bundesrepublik die Vertragspartner um eine Überprüfung mit dem Zweck ersuchen, die Anpassung des Vertrags an die konkret in Aussicht stehende Wiedervereinigung durchzuführen. Voraussetzung ist, daß alle Vertragspartner übereinstimmen, was sich selbstverständlich schon aus der Verpflichtung zu einer gemeinsamen Politik auf die Wiedervereinigung hin ergab. Auf jeden Fall geht aus dieser Norm der Wille der Vertragschließenden klar hervor, auf dem Wege zur Wiedervereinigung schon frühzeitig alle möglichen Hindernisse zu beseitigen.


(Dr. Furler)

Nun komme ich zu einigen mit dem Deutschlandvertrag zusammenhängenden Vertragskomplexen,
zunächst zu dem Vertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland, dem sogenannten Truppenvertrag. Die Rechte und Pflichten dieser ausländischen Streitkräfte regeln sich nach dem Inkrafttreten des Deutschlandvertrags ausschließlich nach diesem Truppenvertrag. Dieser Vertrag umgrenzt die Rechtsstellung der ausländischen Truppen. Er befaßt sich nicht mit der rechtlichen Grundlage, die die Anwesenheit dieser ausländischen Truppen im Gebiet der Bundesrepublik rechtfertigt. Diese rechtliche Grundlage ist nach Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag der Aufenthaltsvertrag, über den ich nachher noch sprechen werde.
Der Grundsatz, daß sich die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik ausschließlich aus dem Truppenvertrag ergeben, gilt sowohl für die Kontingente der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs als auch für alle Streitkräfte, die andere Staaten in der Bundesrepublik unterhalten. Diese durch den Vertrag abschließend umrissene Rechtsstellung ist auch in einer etwaigen Zwischenzeit maßgeblich, die sich ergibt, wenn der Komplex des Deutschlandvertrags getrennt von demjenigen des deutschen Verteidigungsbeitrags in Kraft tritt. Sie gilt auch dann, wenn sich Streitkräfte z. B. zu Übungszwecken, auf Grund von Transitrechten oder auf dem Wege nach Berlin in die Bundesrepublik aufhalten. Nach Inkrafttreten des Protokolls gibt es also für die ausländischen Truppen in Deutschland keine Befugnisse, die sich außerhalb des Truppenvertrags ableiten ließen.
Der 1952 zustande gekommene Truppenvertrag wurde im wesentlichen unverändert in das Vertragswerk übernommen. Der dem Hohen Hause vorliegende gedruckte Bericht gibt eine eingehende Würdigung der Einzelheiten, auf die ich hier verweisen kann. Ich will nur betonen, daß im Deutschlandvertrag insofern eine bedeutsame Veränderung vereinbart wurde, als dieser Truppenvertrag nur noch für eine begrenzte Zeit gilt, also im Gegensatz zu 1952 eine Übergangsregelung darstellt. Dieser Truppenvertrag bleibt nur bestehen bis zum Inkrafttreten neuer Vereinbarungen über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte. Diese Vereinbarungen, also der neue Truppenvertrag, werden auf Grundlage der zwischen den Staaten der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft getroffenen Vereinbarungen neu formuliert.
Diese Umformung der Rechte und Pflichten der in der Bundesrepublik befindlichen ausländischen Truppen auf der Basis des Rechts der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft erfährt aber insofern eine Abwandlung, als bei dem Truppenvertrag die besonderen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, die für die in der Bundesrepublik stationierten Streitkräfte vorliegen. Nach Mitteilung der Regierung ergibt sich aber aus den hier in London und Paris geführten Besprechungen, daß nach Möglichkeit ein Abkommen zustande kommen soll, das nicht nur für die Bundesrepublik, sondern auch für andere Mitglieder der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, gilt. Im übrigen ist der Auswärtige Ausschuß der Meinung, daß die Vorbehaltsklausel betreffend die besonderen Verhältnisse in der Bundesrepublik nicht dahin zu verstehen ist, daß diese Verhältnisse vermehrte Rechte dieser Truppen bedingen. Der Sinn ist ein objektiver und kann, j a muß nach verschiedenen Richtungen zu einer bevorzugten Behandlung der Bundesrepublik führen, die auf Grund einer Situation, die sie nicht verursacht hat, einer größeren Zahl von ausländischen Streitkräften ein vertragliches Aufenthaltsrecht gewährt, als dies bei anderen NATO-Staaten der Fall ist.
Ein zweiter wichtiger Vertragskomplex, der Finanzvertrag, stellt ebenfalls eine spezielle Materie dar, die im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen einer eingehenden Prüfung unterzogen wurde. Ich darf auch hier auf den gedruckten Bericht verweisen und mich auf einige wesentliche Einzelheiten beschränken.
Aus dem früheren Finanzvertrag sind selbstverständlich zunächst alle Bestimmungen herausgestrichen worden, die mit der EVG zusammenhingen. Im übrigen aber sind zwei sehr wichtige Änderungen durchgeführt worden. Der Bundesrepublik obliegt keine Dauerverpflichtung zur Leistung eines finanziellen Globalverteidigungsbeitrags mehr. Statt dessen erbringt sie, wie alle NATO-Staaten, künftig Realleistungen in Gestalt der Aufstellung und Ausrüstung militärischer Einheiten. Die Ausgaben dafür werden im einzelnen im Bundeshaushalt veranschlagt. Die Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft veranstaltet nun Jahreserhebungen über die Verteidigungsanstrengungen der westlichen Staaten, bewertet dabei die Realleistungen der einzelnen Mitgliedstaaten finanziell und spricht als Endergebnis dieses sogenannten NATO-Verfahrens Empfehlungen auch hinsichtlich der Höhe des finanziellen Verteidigungsaufwands aus. Diese Empfehlungen nehmen auch Bezug auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der betreffenden Mitgliedstaaten und stellen das Ergebnis eines Vergleichs mit den entsprechenden finanziellen Verteidigungsleistungen der anderen Staaten dar. Der Vergleich der finanziellen Verteidigungslasten erfolgt und wird abgestimmt in besonderen Verhandlungen, die für uns nach Inkrafttreten des deutschen Verteidigungsbeitrages stattfinden.
Schließlich und zweitens wurde folgendes klargestellt: daß der Bundesrepublik keine Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Stationierungskosten für die Truppen mehr obliegt, die sich auf vertraglicher Basis in unserem Land befinden. Statt dessen erklärt sich die Bundesrepublik bereit, im Geiste des Art. 3 des Nordatlantikvertrages über Fragen des Unterhalts der stationierten Kräfte, über die Erbringung von Sach- und Werkleistungen zu verhandeln. Dabei ist der Bedarf der eigenen Streitkräfte der Bundesrepublik natürlich zu berücksichtigen.
Aber auch bei diesem Finanzvertrag handelt es sich nur noch um eine Übergangsregelung. Es werden neue Vereinbarungen getroffen werden, und über diese neuen Vereinbarungen wird mit denjenigen Mitgliedstaaten der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft verhandelt, die Truppen im Bundesgebiet stationiert haben. Mithin gilt der Finanzvertrag nicht mehr für die Dauer. Er wird im Geiste der allgemeinen Vorschriften der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft abgewandelt und neu geschlossen.
Nun hat der Haushaltsausschuß sich sehr eingehend mit den finanziellen Auswirkungen des Verteidigungsbeitrages, des Finanzvertrages, auf


(Dr. Furler)

den Haushalt befaßt. Ich muß mich auch hier auf einige kurze Bemerkungen beschränken. Zunächst ist es nach den Darlegungen des Haushaltsausschusses so, daß auf den Konferenzen von London und Paris Übereinstimmung darüber herrschte, daß die gesunde Wirtschaftslage der NATO-Staaten keinesfalls durch militärische Verpflichtungen gestört werden dürfe. Es liegt in der Hand der Regierungen und der Parlamente, Störungen zu vermeiden.
Für das erste Jahr nach Inkrafttreten des deutschen Verteidigungsbeitrages ist nach Auflassung des Bundesfinanzministeriums die haushaltsmabige Auswirkung durch die Einsetzung der 9 Milliarden DM-5,8 fur die deutsche Seite, 3,2 für die alliierte Seite — geklärt. Bei der Verwendung dieser 5,8 Milliarden DM müsse noch entschieden werden, was man zukaufen müsse und welche Dinge in eigener Produktion hergestellt, also vorfinanziert werden müßten. Hinsichtlich der Bauten glaubt man mit einem Drittel des erforderlichen Bedarfs auszukommen. Für die Ausrüstung mit schweren und mittelschweren Waffen lägen USA-Zusagen vor. Es sei angedeutet worden, daß diese Ausstattung unentgeltlich in Erwartung entsprechender Anstrengungen der Bundesrepublik gegeben werde. Die Bundesrepublik dürfe eine gleiche Behandlung wie die übrigen NATO-Staaten erwarten.
Die Frage der Gesamtkosten wurde eingehend erörtert. Hier konnte Einigkeit im Gesamtausschuß nicht erzielt werden. Eine endgültige Klärung der Gesamtkosten ist deshalb noch nicht möglich, weil ja die ganzen militärischen Programme noch nicht festliegen. Grundlegend ist davon auszugehen, daß man annimmt, daß das Programm in drei Jahren verwirklicht wird. Bei dieser Verwirklichung muß zwischen Kosten der Erstausstattung und lautenden Kosten unterschieden werden. Die NATO-Staaten erwarten, daß auch wir, wenn unser Sozialprodukt sich erhöht, unseren Verteidigungsaufwand entsprechend gestalten. Die Bundesrepublik bleibt jedoch Herr der Entscheidung. Es ist besonders wichtig — und darauf muß ich abheben —, daß die NATO-Staaten berechtigt sind, alles, was an Kosten unter den Begriff der „Verteidigung" im weitesten Sinne fällt, anzurechnen. Hier gibt es für die Bundesrepublik Möglichkeiten, z. B. im Hinblick auf unsere außergewöhnlichen Aufwendungen für die Berlin-Hilfe, den Grenzschutz, außergewöhnliche soziale Leistungen, Aufnahme der Sowjetzonenflüchtlinge, Seßhaftmachung der Heimatvertriebenen usw. Die Bundesrepublik hat also die Möglichkeit, Dinge hineinzunehmen, die zweifellos mit dem Begriff der Verteidigung Deutschlands und der westlichen Welt zusammenhängen.
Was die laufenden Kosten anbetrifft, so ist die Bundesregierung der Überzeugung, sie könnten von einem wachsenden deutschen Sozialprodukt getragen werden. Führt das Dreijahresprogramm hier zu einer Anspannung, so ist eine Verlängerung möglich. Für das Haushaltsjahr 1955 hat die Bundesregierung über den Betrag von 9 Milliarden hinaus Mittel nicht angefordert. Da sie nach ihren Angaben keine bindenden Verpflichtungen für kommende Haushaltsjahre eingegangen ist, die das Bewilligungsrecht des Parlaments einschränken, liegen die Verteidigungsausgaben der folgenden Haushalte im Ermessen des Parlaments.
Die Minderheit des Haushaltsausschusses vertrat hier abweichende Auffassungen. Sie schätzt die Kosten des Aufbaus der 12 deutschen Divisionen
auf mindestens 60 Milliarden, die innerhalb von drei Jahren ausgegeben werden müßten. Sie glaubt daneben an die Entstehung von Folgekosten und nimmt sogar an, daß die Ausgaben für den zivilen Luftschutz allein auf mindestens 12 Milliarden zu schätzen seien. Die Minderheit hat unter diesen Umständen erklärt, zu der Feststellung gezwungen zu sein, daß die haushaltsmäßigen Konsequenzen der Verträge nicht gezogen werden konnten und daß keine Beurteilung der tatsächlichen materiellen Auswirkungen der Verträge durch zusätzliche Ausgaben und Einnahmenminderung möglich war.
Nun zu einem weiteren und letzten Komplex, dem Komplex des Überleitungsvertrags, des Vertrags, in dem die aus Krieg und Besatzung entstandenen Fragen erledigt werden sollen. Hier kommt der vertraglichen Vereinbarung vielfach eine Bedeutung ähnlich einer friedensvertraglichen Regelung zu. Aus Krieg und Besatzung entstandene schwierige Probleme sollen durch diesen Überleitungsvertrag bereinigt werden. Die Verhandlungen über dieses weite Gebiet waren in den Jahren 1951 und 1952 die langwierigsten und die kompliziertesten gewesen. Die Interessengegensätze standen sich hier in besonderer Stärke gegenüber. Der Überleitungsvertrag versuchte einen Ausgleich zu schaffen, der naturgemäß für die Bundesrepublik mit Opfern verbunden war, die wegen des verlorenen Krieges, der jahrelangen Besatzung und der politischen Situation unvermeidlich waren. Wie die Regierung dem Auswärtigen Ausschuß mitteilte, war von deutscher Seite versucht worden, die Regelungen des Überleitungsvertrages nach verschiedenen Richtungen hin zu ändern. Dies gelang jedoch nur in relativ engem Rahmen. Die Drei Mächte bestanden in grundsätzlichen Fragen auf den bisherigen Normen, so daß große Teile des Überleitungsvertrags unverändert übernommen werden mußten. Dies gilt vor allem für die Allgemeinen Bestimmungen dieses Vertrags, die das Schicksal der Maßnahmen regeln, die die Besatzungsmächte im Gebiet der Bundesrepublik während der Jahre der Besatzung getroffen haben.
Dabei wird von dem Grundsatz ausgegangen, daß die erlassenen Rechtsvorschriften, die abgeschlossenen Verträge, die Maßnahmen, die Rechte und Pflichten, die entstanden sind, und die ergangenen Urteile bestehenbleiben. Die Organe der Bundesrepublik und die Länder sind aber befugt, im Rahmen ihrer allgemeinen Zuständigkeiten die von den Besatzungsbehörden erlassenen Rechtsvorschriften in Zukunft aufzuheben und abzuändern, soweit nicht ausdrückliche vertragliche Vorbehalte vorliegen.
Die vom Kontrollrat ausgegangenen Gesetze können aus Gründen, die in der allgemeinen politischen Situation liegen, von der Bundesrepublik nicht aufgehoben werden. Die Bundesrepublik ist aber ermächtigt, im Einvernehmen mit den westlichen Alliierten solche Vorschriften für ihr Gebiet außer Kraft treten zu lassen.
Der Auswärtige Ausschuß hat sich bei der Besprechung dieser Fragen auf verschiedene Einzelpunkte beschränkt, von denen ich einige wenigstens erwähnen muß.
Zunächst: Da die Verträge des Jahres 1952 nicht in Kraft traten, konnte auch der Gemischte Ausschuß nicht gebildet werden, der die Kriegsverbrecherprozesse überprüfen sollte. Die Drei Mächte hatten aber in der Zwischenzeit für ihre Zonen


(Dr. Furler)

besondere gemischte Ausschüsse gebildet, die diese Verurteilungen überprüft haben und deren Empfehlungen für die Entschließungen der Drei Mächte von maßgebender Bedeutung waren. Daß hier trotz der nicht zustande gekommenen Verträge Fortschritte erzielt wurden, ergeben die Zahlen über die durchgeführten Entlassungen in Landsberg, Werl und Wittlich. So waren am 1. April 1952 in den drei Strafanstalten noch 649 verurteilte Häftlinge. Am 1. Januar 1955 waren es nur noch 164 Verurteilte. Die überwiegende Zahl war also inzwischen auf Grund der Empfehlungen dieser Sonderausschüsse entlassen worden.
Schließlich enthält der Überleitungsvertrag Bestimmungen über das Gnadenrecht, den Strafvollzug und über die Behandlung von verurteilten Personen, die sich während der Besatzungszeit im Gebiete der Bundesrepublik gegen die alliierten Gesetze vergangen haben. Nach Mitteilung des Bundesjustizministeriums sind im Augenblick noch 536 Personen, die auf Grund solcher Straftaten verurteilt sind, im Gebiet der Bundesrepublik inhaftiert. Hiervon sind 99 zu lebenslänglichen Strafen verurteilt. Der Strafdurchschnitt der übrigen beträgt drei Jahre und zehn Monate. Auch hier ist ein starker Rückgang eingetreten. Im Jahre 1952 waren es 1503 Verurteilte, jetzt sind es noch 536. Da es sich um Deutsche, Volksdeutsche und um Ausländer handelt — auch Ausländer vergingen sich gegen die Besatzungsvorschriften —, nimmt man an, daß sich heute nur noch etwa 200 deutsche Staatsangehörige und Volksdeutsche auf Grund solcher Urteile in deutschen Strafanstalten befinden.

(Abg. Samwer: Leider immer noch zu viel!)

— Ja, darüber wird noch gesprochen werden. Man tut alles; aber das sind Dinge, die durch Maßnahmen entstanden sind, die innerhalb der Besatzungszeit liegen, so daß die Verurteilten nicht als Kriegsverbrecher in Betracht kommen.
Zur Frage 'der deutschen Funkhoheit hat die Bundesregierung folgende Erklärung abgegeben:
Das Rundfunkabkommen von Kopenhagen aus dem Jahre 1948 ist weder von Deutschland noch von den Besatzungsmächten für Deutschland unterschrieben worden. Die Bundesrepublik ist daher an den Wellenplan von Kopenhagen nicht gebunden. Sie ist auf diesem Gebiet durch einen besonderen Brief vom 26. Mai 1952 betreffend Funkdienste, auf Grund einer Bestimmung des Truppenvertrages und schließlich durch den internationalen Fernmeldevertrag von Buenos Aires des Jahres 1952 verpflichtet. Im Rahmen dieser Einschränkungen ist 'die Bundesregierung bereit, jede Initiative zu ergreifen, die es ermöglicht, die Bedürfnisse des Rundfunks zu befriedigen.
Die Regierung wies darauf hin, daß über die hier offenen Fragen gegenwärtig Beratungen gepflogen und Verhandlungen geführt werden.
In diesem Zusammenhang legt der Ausschuß für Besatzungsfolgen besonders Wert auf die Feststellung, daß die aufrechterhaltenen alliierten Verwaltungsmaßnahmen und Urteile nicht daran hindern, bei Besatzungsschäden eine zusätzliche Zahlung durch den Bund zu leisten.
Ein großer Teil des Überleitungsvertrages war früher ausgefüllt durch die Vorschriften über die Dekartellierung und Entflechtung. Der ganze Abschnitt ist gestrichen. Man hat hier weitgehende
Auflockerungen geschaffen, hat jedoch einzelne neue Spezialbestimmungen für erforderlich gehalten. Ich muß zu dieser Materie auf den gedruckten Bericht verweisen. Der Ausschuß für Wirtschaftspolitik hat sich im besonderen mit diesen Dingen befaßt; seine Erklärungen sind in dem gedruckten Bericht enhalten.
Es gibt auch Gebiete, die in dem Vertrag nahezu völlig unverändert geblieben sind, so die Bestimmungen über die innere Rückerstattung, über die Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und über äußere Restitutionen. Auch das Kapitel der Reparationen konnte in den Verhandlungen von London und Paris nicht neu aufgerollt werden. Es ergab sich hierzu keine Möglichkeit. Auch da ist im Grundsatz die Regelung des Jahres 1952 verblieben. Auch für die verschleppten Personen und Flüchtlinge ist es im Prinzip bei dem bisherigen verblieben, soweit nicht durch die inzwischen eingetretenen tatsächlichen Vorgänge gewisse Überholungen eingetreten sind. Vor allem das Problem der Rückführung von Flüchtlingen aus den östlichen Staaten wird, wie die Regierung versichert, von den zuständigen deutschen Stellen ständig bearbeitet. Es bleibt hier bei der Bestimmung, daß 'die drei westlichen Mächte bereit sind, nötigenfalls. Verhandlungen mit Staaten zu führen, in denen die Bundesrepublik keine diplomatischen Vertretungen unterhält.
Das große Kapitel der Ansprüche gegen Deutschland ist durch das Londoner Schuldenabkommen erledigt, also bereinigt.
Ein weiteres Kapitel, das gewisse Ansprüche gegen fremde Nationen und Staatsangehörige behandelt, konnte ebenfalls wegen der Kürze der Zeit und der Schwierigkeit der Probleme nicht zum Gegenstand erneuter Verhandlungen gemacht werden. Der Auswärtige Ausschuß und der Ausschuß für Wirtschaftspolitik erwarten, daß hier auch nach dem Zustandekommen der Verträge Verhandlungen geführt werden, um zu einer Auflockerung zu gelangen.
Zum Abschluß will ich aus diesem Überleitungsvertrag noch erwähnen, daß im Teil 12 die Bundesrepublik die Hoheit über die zivile Luftfahrt zurückerhält. Die volle Verantwortung der Bundesrepublik für den Bereich der zivilen Luftfahrt erfährt einige Einschränkungen internationaler Art, die für alle Staaten der westlichen Welt selbstverständlich sind. Der Auswärtige Ausschuß hat sich speziell mit der Frage der sofortigen Effektuierung und Durchführung befaßt. Er ist der Meinung — und das ist auch die Auffassung der Regierung —, daß die Grundsatzerklärung der Londoner Schlußakte über die De-facto-Souveränität sich auch auf das Gebiet der zivilen Luftfahrt bezieht. Deutsche Fluglinien können auch heute schon errichtet und beflogen werden, unabhängig davon, ob es formal noch notwendig ist, hier bis zum Inkrafttreten der Verträge besondere Erlaubnisse zu bekommen. Der deutsche Flugdienst wird durch diese Rechtsfrage nicht berührt.
Ein weiteres Abkommen, das ich nur, ich möchte sagen, dem Namen nach erwähnen möchte, ist dasjenige über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte. Auch hier ist es grundsätzlich beim alten geblieben. Aber auch hier wie beim Finanz- und Truppenvertrag liegt nur eine Übergangsregelung vor bis zur Aushandlung von Vorschriften, die allgemein im Rahmen der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft gelten.


(Dr. Furler)

Ich muß zum Schluß noch einige Worte zu dem weiteren Zustimmungsgesetz, zu Drucksache 1060 sagen, das sich mit der Stationierung ausländischer Truppen in Deutschland befaßt und das natürlich in seiner rechtlichen Durchführung und in seiner praktischen Auswirkung für uns von ganz besonderer Bedeutung ist. Die schwierige Materie der Stationierung ausländischer Truppen in der Bundesrepublik hat durch die neuen Verträge und auch infolge des Wegfalls der EVG eine grundlegende Änderung erfahren. Diese Umgestaltung ist das Ergebnis der Beendigung des Besatzungsregimes, der Anerkennung der Souveränität und endlich auch der Form des deutschen Verteidigungsbeitrages.
Zum Verständnis muß ich hier einige Dinge im voraus erklären. Zunächst ist es klar, daß die Verträge die Rechtsgrundlage der Streitkräfte der Alliierten, die sich in Berlin befinden, nicht ändern. In Berlin halten sich die alliierten Truppen auch in Zukunft ausschließlich auf Grund hoheitlicher Befugnisse auf. Sodann: der bisherige Rechtszustand bleibt selbstverständlich bis zum Inkrafttreten des Deutschlandvertrages bestehen. Ergibt sich zwischen dem Inkrafttreten des Deutschlandvertrages und dem Inktrafttreten der Bestimmungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag ein Zwischenzeitraum, so bestehen auch hier noch hoheitliche Befugnisse weiter. Das heißt, die alliierten Truppen befinden sich alsdann bei uns nicht mehr auf Grund des Besatzungsstatuts, wohl aber auf Grund von hoheitlichen Rechten, die bis zum Beitritt der Bundesrepublik zur NATO, also bis zum Inkrafttreten des deutschen Verteidigungsbeitrags aufrechterhalten bleiben. Aber nach Inkrafttreten des deutschen Verteidigungsbeitrages wandelt sich die Rechtsgrundlage der Stationierung dieser ausländischen Truppen im Gebiete der Bundesrepublik. Dies ergibt sich aus dem Art. 4 des Deutschlandvertrages im Zusammenhang mit den Vorschriften dieses besonderen Aufenthaltsvertrages, Drucksache 1060. Die nicht einfachen Formulierungen des Art. 4 zeigen, daß die drei westlichen Mächte gewillt sind, ihr Stationierungsrecht aus einem hoheitlichen in ein vertragliches umzuwandeln. Dieser Wille wird mit dem neuen Status der Bundesrepublik, dem der Souveränität, und weiterhin damit begründet, daß die Drei Mächte ihre Stationierung in der Bundesrepublik nur im vollen Einvernehmen mit dieser durchzuführen beabsichtigen.
Aus diesem Grunde wurde die Frage des Stationierungsrechtes in einem besonderen Vertrag, dem Aufenthaltsvertrag, geregelt. Der Wortlaut des Art. 4 des Deutschlandvertrages deutet darauf hin, daß die Umwandlung des Stationierungsrechts Gegenstand von Auseinandersetzungen war, bei denen zunächst gewisse Gegensätzlichkeiten hervortraten. Da die Formulierung dieses Art. 4 und überhaupt der ganze Aufenthaltsvertrag aus deutschen und amerikanischen Vorschlägen hervorgegangen sind, ist für die Auslegung auch die Stellungnahme des Staatssekretärs Dulles gegenüber dem Präsidenten der Vereinigten Staaten bedeutsam, aus der ich wenige Sätze zitieren darf. Dulles schreibt hier:
Die Bedeutung dieses Vertrages
— also des Aufenthaltsvertrages —
liegt darin, daß die in Deutschland stationierten Streitkräfte dort nicht mehr auf Grund von Vorbehaltsrechten stationiert sein werden, die wir durch das Potsdamer Abkommen und
die Kapitulationsbedingungen erhalten hatten, sondern auf Grund eines neuen Vertrages, der von Deutschland freiwillig geschlossen worden ist und der von den verantwortlichen parlamentarischen Körperschaften in Deutschland gebilligt werden muß. In dieser Beziehung wird Deutschland also den alliierten Ländern gleichgestellt sein.
Der Auswärtige Ausschuß ist mit der Regierung der Auffassung, daß für das Gebiet der Bundesrepublik nach Inkrafttreten der Abkommen über den deutschen Verteidigungsbeitrag nur noch ein vertragliches Stationierungsrecht besteht. Es erscheint dem Ausschuß auch nicht möglich, zwischen dem Recht und seiner Ausübung zu unterscheiden und zu sagen, bei fortbestehendem Hoheitsrecht sei dessen Ausübung gegenüber der Bundesrepublik nur mit deren Zustimmung noch möglich, wie es der Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses der französischen Nationalversammlung zum Ausdruck brachte. Diese Trennung widerspräche der Tatsache der Aufhebung des Besatzungsregimes, der ausdrücklichen Begrenzung der alliierten Vorbehalte, der Entstehung der neuen Rechtslage und der Existenz und dem Sinn des besonderen, selbständigen Aufenthaltsvertrages. Sie ist auch zur Wahrung der Interessen der Drei Mächte nicht erforderlich, weil die Bundesrepublik die rechtliche und tatsächliche Hoheit über ihr Gebiet hat und den Drei Mächten daher vertraglich ein Stationierungsrecht einräumen kann, das frühere, aus der Besatzung hervorgegangene Hoheitsrechte voll zu ersetzen vermag. Mit Inkrafttreten des Verteidigungsbeitrages ist also eine hoheitliche Legitimation für eine Truppenstationierung innerhalb der Bundesrepublik erloschen. Die Rechte der Drei Mächte ergeben sich ausschließlich aus der im Deutschlandvertrag und im Aufenthaltsvertrag freiwillig übernommenen Verpflichtung der Bundesrepublik.
Ich habe nur noch drei kurze, mehr formelle Änderungen zu erwähnen, die an den Zustimmungsgesetzen durch den Auswärtigen Ausschuß vorgenommen wurden. Der Ausschuß hat hineingesetzt: „mit Zustimmung des Bundesrates". Er will damit weder für dieses Gesetz noch grundsätzlich eine Stellungnahme dazu abgeben, wann solche Zustimmungsgesetze der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Die zweite Änderung betrifft einen Briefwechsel, der noch aufgenommen wurde. Die dritte ist insofern schon von größerer Bedeutung, als in allen Zustimmungsgesetzen, die hier vorliegen, die Worte „mit Gesetzeskraft" gestrichen worden sind. Damit soll keine Änderung in der Rechtswirkung der Zustimmungsgesetze eintreten, sondern es soll lediglich auf die formelle Praxis der Weimarer Zeit zurückgegangen werden. Die Bundesregierung hat erklärt, daß sie diese Praxis auch bei allen zukünftigen Zustimmungsgesetzen nach Art. 59 des Grundgesetzes üben wird.
Der Deutschlandvertrag und die Vereinbarungen, die sich um ihn gruppieren und zu denen auch der Aufenthaltsvertrag gehört, stehen in einem großen Zusammenhang. Sie regeln Probleme, die aus dem Krieg und Zusammenbruch hervorgegangen sind. Sie ziehen einen Schlußstrich unter Vorgänge, die die Jahre der Besetzung für das Gebiet der Bundesrepublik gebracht haben. Zugleich beenden sie auch formell die Zeit, in der die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich der Bundesrepublik als Alliierte gegenüberstanden und als Besatzungsmächte hoheitliche Funktionen in unserem


(Dr. Furler)

Lande ausübten. Diese Verträge schließen aber nicht nur einen Zeitraum ab. Sie eröffnen zugleich einen neuen Weg, indem sie die Souveränität der Bundesrepublik anerkennen und ihr Freiheit und Gleichberechtigung gewähren. Sie schaffen damit auch eine Voraussetzung dafür, daß die Deutschen in einem freien und gleichberechtigten Staate vereinigt sein werden. In dieser Überzeugung empfiehlt der Auswärtige Ausschuß dem Hohen Hause, diesen Verträgen seine Zustimmung zu geben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206900500
Als weiterer Berichterstatter hat das Wort der Herr Abgeordnete Brandt (Berlin).
Brandt (Berlin) (SPD), Generalberichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf auf den Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht*) verweisen. Ich darf mich auch auf die Diskussionen beziehen, die 1952 und später um den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft geführt worden sind. Die Frage der Wiederbewaffnung, die Frage des Verteidigungsbeitrages ist heute nicht weniger umstritten als damals. Die Argumente haben sich nicht entscheidend gewandelt und nicht wesentlich vermehrt. Sie dürfen als weitgehend bekannt vorausgesetzt werden. Für den Berichterstatter kann es sich eigentlich nur noch darum handeln, bekannte Argumente zu ordnen und gewisse Besonderheiten des jetzigen Vertragswerks im Vergleich zum früheren zu registrieren.
Angesichts der ernsten Meinungsverschiedenheiten, die sich gerade in dieser Frage in unserem Volk und hier im Hause geltend machen, konnte es dem Auswärtigen Ausschuß verständlicherweise nicht gelingen, zu einer einmütigen Empfehlung zu gelangen. Die Einschätzung der Lage und der Erfordernisse der deutschen Politik weicht im ganzen und vor allem auch im einzelnen stark voneinander ab. Dabei darf festgehalten werden, daß die erklärten Zielsetzungen der Mehrheit und der Minderheit des Auswärtigen Ausschusses und die Motivierung der von ihnen empfohlenen Politik in mehrfacher Hinsicht Berührungspunkte aufweisen. Beide Teile lassen sich, wie bei der Beratung des vorigen Vertragswerkes, von einem besonderen Interesse der deutschen Politik an der Aufrechterhaltung des Friedens leiten. Beide Teile bekennen sich gleichermaßen zu den Idealen der Freiheit und zur Gemeinschaft unseres Volkes mit den sich demokratisch regierenden Nationen der Welt. Beide Teile bejahen über den permanenten deutsch-französischen Ausgleich hinaus ein enges Zusammenwirken der europäischen Völker. Beide Teile bezeichnen insbesondere die deutsche Wiedervereinigung — und das sollte niemand überhören, der sich nicht einer ernsten und unter Umständen folgenschweren Fehleinschätzung schuldig machen will — als das vordringliche Anliegen unserer Politik; aus nationalen Gründen, aber auch im Interesse der Befriedung Europas.
Was nun die von den Alliierten zunächst nicht vorgesehene, j a ausdrücklich verbotene, von der überwiegenden Mehrheit der Deutschen selbst nicht gewünschte, von den Vätern des Grundgesetzes ausgeklammerte Wiederbewaffnung angeht, so hat sich die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses auf den Standpunkt gestellt, die Notwen-
*) Siehe Anlage 5.
digkeit einer solchen Wiederbewaffnung auf dem Hintergrund der internationalen Entwicklung sei zwingend, heute nicht weniger zwingend als bei den Beratungen vor zwei oder den beginnenden Erörterungen vor vier Jahren. Eine akute Kriegsgefahr sei nicht zu befürchten, aber es sei auch nicht gerechtfertigt, mit einer Minderung der Bedrohung zu rechnen, die vom sowjetischen Herrschaftssystem und -bereich ausgehe. Dieser Bedrohung suche, so wurde argumentiert, das atlantische Verteidigungssystem Einhalt zu gebieten. Dieses Verteidigungssystem müsse ausgebaut, verstärkt werden. Dazu bedürfe es westdeutscher Streitkräfte. Mit den geplanten Streitkräften der Bundesrepublik stehe und falle die Verteidigungsplanung für das westliche Europa. Wenn auch dieses Vertragswerk scheitere und wenn es auch diesmal zu einem Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik nicht komme — so haben insbesondere die Vertreter der Bundesregierung während der Ausschußberatungen argumentiert —, drohe ein Umschwung der amerikanischen Politik gegenüber Europa, möglicherweise bis zur Aufgabe amerikanischer Verteidigungspositionen in Europa.
Die Mehrheit hat auch auf zwei weitere Gesichtspunkte Wert gelegt, einmal darauf, daß sich durch die deutsche Mitwirkung auf dem Gebiet der westlichen Verteidigung eine stärkere westeuropäische Zusammenarbeit und Gemeinschaft erzielen lasse, und zum anderen darauf, daß eine Verstärkung des westlichen Sicherheitssystems einen günstigen Ausgangspunkt für Verhandlungen zwischen den beiden Machtblöcken bieten könnte, um so zu Vereinbarungen über die Abrüstung, zu einer Minderung der internationalen Spannungen und zu einem besseren Klima für Verhandlungen über die Lösung der deutschen Frage zu gelangen.
Die Minderheit des Auswärtigen Ausschusses macht demgegenüber geltend, die internationalen politischen Verhältnisse hätten sich gegenüber der ursprünglichen Erörterung über einen Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik nicht unwesentlich geändert. Es müsse geprüft werden, ob die seinerzeit zur Verhinderung eines vielleicht drohenden sowjetischen Angriffs geplanten Maßnahmen heute noch mit dem Streben nach internationaler Entspannung vereinbar seien. Angesichts der Entwicklung der modernen Zerstörungsmittel sei außerdem zu fragen, ob die strategische Planung, die künftige westdeutsche Divisionen in Rechnung gestellt habe, den neuen Gegebenheiten noch gerecht werde. Darüber hinaus werde bezweifelt, ob die erstrebte Sicherheit mit Hilfe des vorgesehenen Beitrags zu erreichen sei.
Was die Struktur des Verteidigungsbeitrags und die Art der einzugehenden politischen und militärischen Verpflichtungen angeht, so werden den Mitgliedern des Hauses, die die vorliegenden Texte und schriftlichen Berichte vermutlich sorgfältig studiert haben, die Veränderungen geläufig sein, die sich gegenüber dem 1952 unterbreiteten Vertragswerk ergeben haben. Ich kann mich daher mit wenigen Feststellungen begnügen.
Aus bekannten Gründen, die vor allem in der Entscheidung der französischen Nationalversammlung vom August vergangenen Jahres zu suchen sind, ist der Plan einer überstaatlichen westeuropäischen Verteidigungsorganisation, der zugleich politische Aufgaben zugedacht waren, fallengelassen worden. Statt dessen ist die Doppelmitgliedschaft der Bundesrepublik im erweiterten Brüsse-


(Brandt [Berlin])

ler Pakt und in der Nordatlantikpakt-Organisation vorgesehen. Der 1948 zwischen Großbritannien, Frankreich und den Benelux-Staaten geschlossene Brüsseler Pakt verliert seine gegen eine etwaige und damals befürchtete deutsche Aggression gerichtete Zielsetzung. Die Bundesrepublik und Italien treten ihm bei. Andere Verträge sollen ihm nicht entgegenstehen, also auch nicht solche Verträge, die gegen Ende des zweiten Weltkrieges mit der Sowjetunion eingegangen wurden. Die Westeuropäische Union — wie der erweiterte Brüsseler Pakt genannt wird — verpflichtet die Vertragspartner zu automatischer gegenseitiger Hilfeleistung für den Fall des Angriffs auf dem europäischen Kontinent.
Die Lösung der eigentlichen militärischen Aufgaben überläßt die Westeuropäische Union den Organen des Nordatlantikpaktes, der NATO. Eine Doppelarbeit wird ausdrücklich abgelehnt. Lediglich in bezug auf die Begrenzung der Streitkräfte und die Kontrolle der Rüstungen werden der Westeuropäischen Union bestimmte Aufgaben zugewiesen, die nach dem alten Vertragswerk der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zufallen sollten. Hierfür ist ein bestimmter Apparat, so das Amt für Rüstungskontrolle, vorgesehen. Dieser Apparat gibt den Rahmen ab, innerhalb dessen sich der Beitritt der Bundesrepublik zum Atlantikpakt vollziehen soll.
Die Tatsache, daß auf dem Gebiet der Kontrollen für die Bundesrepublik eine beträchtliche Auflokkerung gegenüber dem EVG-Vertrag eintreten würde, ist während der Beratungen nicht unbeachtet geblieben. Der Ausschuß sieht in der vorgesehenen Regelung keine Diskriminierung der Bundesrepublik.
Der Westeuropäischen Union sind jedoch auch Aufgaben auf anderen Gebieten als dem der gemeinsamen Sicherheit zugedacht. Sie soll die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Staaten fördern. Die Bundesregierung hat in ihrer Begründung und in anderen Stellungnahmen unterstrichen, die Entwicklung zur europäischen Integration könne von diesem Ansatzpunkt her neuen Antrieb erfahren.
In diesem Zusammenhang ist darauf hingewiesen worden, der Rat der Westeuropäischen Union werde anders als beim ursprünglichen Brüsseler Pakt nicht nur konsultative Aufgaben haben, er werde unter bestimmten Voraussetzungen Mehrheitsbeschlüsse fassen können. Jährlich einmal wird dieser Rat einer Versammlung zu berichten haben, die aus den Mitgliedern der Vertragspartner in der Beratenden Versammlung des Europarates bestehen soll und über deren Befugnisse und Arbeitsweise im einzelnen noch verhandelt wird.
Daß sich die Bundesrepublik in Verbindung mit ihrem Beitritt zur Westeuropäischen Union der Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs im Haag unterwerfen würde, was uns auch ohne Zugehörigkeit zur Organisation der Vereinten Nationen offensteht, dürfte zu den am wenigsten problematischen Teilen des Vertragswerkes gehören.
Es ist jedoch die Frage aufgetaucht, ob es einem besonderen deutschen Interesse entsprechen würde, die angedeutete Möglichkeit einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit im Rahmen der Westeuropäischen Union mit besonderem Nachdruck wahrzunehmen. Im Auswärtigen Ausschuß ging die
Meinung überwiegend dahin, und auch der Regierungsvertreter pflichtete dieser Meinung bei, daß so viel Aufgaben wie möglich in dem jeweils größten Kreis beteiligter europäischer Staaten gelöst werden sollten. Mit anderen Worten, die Arbeit solcher Organe wie des Europäischen Wirtschaftsrates in Paris oder des Europarates in Straßburg sollte nicht durch eine Absonderung der sieben Partner der Westeuropäischen Union beeinträchtigt werden, was nicht ausschließe, daß sich diese Partner zur Lösung weiterreichender, sie im besonderen berührender Fragen zusammenfänden.
Der Auswärtige Ausschuß hat, was nun die eigentlich militärische Seite des Vertragswerks angeht, von dem Bestreben der Regierung Kenntnis genommen und es durch seine Mehrheitsentscheidung gebilligt, das neue Vertragswerk mit möglichst vielen Elementen der Sicherheit, die im alten Vertragswerk enthalten waren, auszustatten. Auf die rein defensive Aufgabenstellung sowohl der Westeuropäischen Union wie der Nordatlantikpakt-Organisation wird Bezug genommen. Im übrigen ist erstens, wie schon erwähnt, die automatische Beistandspflicht im westeuropäischen Bereich aufrechterhalten worden. Zweitens ist Großbritannien an diesem System gegenseitiger Hilfeleistung beteiligt und verpflichtet sich, seine Rheinarmee und die dazugehörige taktische Luftflotte auf dem Kontinent zu belassen. Drittens wird die Bundesrepublik anders als nach dem EVG-Vertrag gleichberechtigtes Mitglied der NATO, und viertens ist mit dem Vertragswerk eine allerdings nicht vertraglich fixierte Zusicherung der gegenwärtigen Regierung der Vereinigten Staaten verbunden, sich weiterhin maßgeblich an der Verteidigung Westeuropas zu beteiligen.
Wenn wir von den Vereinbarungen und Befugnissen der Westeuropäischen Union in bezug auf die Höchstgrenzen der Streitkräfte sowie in bezug auf die Begrenzung und die Kontrolle der Rüstungen absehen, so ergibt sich für die Bundesrepublik beim etwaigen Aufbau der Streitkräfte eine Teilung zwischen ausgedehnten nationalen Befugnissen einerseits und einer starken Verflechtung oder, wenn Sie so wollen, Integration der Koalitionsarmee, über die die NATO in Europa verfügt. Die Stellung des NATO-Befehlshabers Europa, dem die deutschen Feldverbände in ihrer Gesamtheit unterstehen würden, ist wesentlich verstärkt worden. Er soll die ihm unterstellten Streitkräfte in ihrer Gesamtheit zu einer schlagkräftigen integrierten Streitmacht entwickeln. Dabei soll die führungsmäßige Integration unterhalb der Armee-Ebene ihre Grenze dort finden, wo die militärische Wirksamkeit beeinträchtigt werden könnte. Dem deutschen Anspruch auf Gleichberechtigung, einem Anspruch, der sich aus der Mitwirkung an den Anstrengungen zu gemeinsamer Verteidigung logisch ergeben würde, sollte Rechnung getragen werden einmal durch die Vertretung im Rat der Nordatlantikpakt-Organisation, zum anderen durch die Beteiligung an den Organen der militärischen Führung, zum dritten durch das Mitspracherecht, wenn es etwa um die Standorte der Truppen geht.
Der Auswärtige Ausschuß hat sich die Erwägung des Sicherheitsausschusses zu eigen gemacht, daß es nicht zweckmäßig sein würde, die Streitkräfte der Bundesrepublik verschiedenen regionalen Kommandobehörden des Oberbefehlshabers Europa zu unterstellen. Die beiden Ausschüsse haben außerdem der Erwartung Ausdruck gegeben, daß


(Brandt [Berlin])

die Bundesrepublik in Zukunft an der sogenannten Standing Group beteiligt wird, d. h. an dem für die strategische Planung besonders wichtigen Kern des Militärausschuses in Washington.
Mit Zustimmung ist davon Kenntnis genommen worden — wenn ich auch das noch registrieren darf —, daß über den etwaigen Einsatz von Atomwaffen nicht auf militärtechnischer Ebene, sondern auf der Ebene des Rats als der verantwortlichen politischen Körperschaft entschieden werden dürfte.
Wir würden also nach Annahme und Inkrafttreten dieses Vertragswerks zweierlei Beistandspflichten übernehmen und umgekehrt in zweierlei Hinsicht Beistandsverpflichtungen anderer zu unseren Gunsten erlangen: einmal die automatische Beistandspflicht der Brüsseler Paktmächte auf dem europäischen Kontinent, zum andern die Beistandspflicht im Verhältnis zu und von den Mächten des Nordatlantikpaktes innerhalb des Gebietes, das durch diesen Vertrag gedeckt wird, wobei bekanntlich ein Angriff auf Truppen etwa in Berlin einem Angriff auf das Gebiet des betreffenden NATO-Partners gleichgesetzt wird. Verpflichtungen gegenüber weiteren Staaten ergeben sich, so wurde im Ausschuß festgestellt, auch dann nicht, wenn solche Staaten zum Begriff der freien Welt gezählt oder als durch ihn mit erfaßt betrachtet werden. Das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung würde dadurch freilich nicht in Frage gestellt.
Dem Ausschuß — jedenfalls einer beträchtlichen Zahl seiner Mitglieder — hat daran gelegen festzustellen, daß er den Begriff der westlichen Verteidigung nicht eng begrenzt ausgelegt wissen, daß er darin keinen Gegensatz zu den Völkern Asiens und dem Wunsch nach Zusammenarbeit und Verständigung mit ihnen erblicken möchte. Ihm liegt daran, die deutsche Politik auch in Zukunft nicht durch eine Mitverantwortung für Vorgänge und Vorhaben belastet zu sehen, die mit den vom Europarat entwickelten Grundsätzen und auch mit der Charta der Vereinten Nationen nicht in Einklang stehen.
Als weitere Frage ergab sich nun, ob durch das Vertragswerk überhaupt eine Verpflichtung der Bundesrepublik zur Aufstellung von Streitkräften und zur Stellung eines bestimmten Ausmaßes von Streitkräften geschaffen wird. Es wurde darauf hingewiesen, daß im Unterschied zum EVG-Vertrag nicht bestimmt werde, wieviel Truppen die Bundesrepublik zu stellen habe, sondern nur, daß sie die damals vorgesehene Gesamtziffer nicht überschreiten dürfe. Die Festsetzung im einzelnen erfolge im Rahmen der NATO, und zwar durch einmütige Festlegung. Die NATO als solche setze nach ihrem Vertrag nicht notwendigerweise die militärische Form der Hilfeleistung voraus, jedenfalls nicht eine automatische Hilfeleistung. Die Bundesregierung und die Mehrheit des Ausschusses haben sich auf den Standpunkt gestellt, daß es sich hierbei um mehr theoretische Erwägungen handle. Aus der tatsächlichen organisatorischen Entwicklung der NATO ergebe sich mit großer Wahrscheinlichkeit ein Automatismus, auf den im Vertrag nur mit Rücksicht auf das Verfassungsrecht der Vereinigten Staaten habe verzichtet werden müssen. Die Beistandspflicht vor allem aber der Westeuropäischen Union setze geradezu das Vorhandensein militärischer Streitkräfte voraus. So richtig es sei, so argumentierte die Mehrheit, daß
über den Umfang des deutschen Beitrags nur mit I deutscher Zustimmung entschieden werden könne, so unbestreitbar sei es andererseits, daß die Haltung der anderen Partner zur Bundesrepublik davon abhängig sei, ob die Bundesrepublik in angemessener, zumutbarer Weise ihren Verpflichtungen nachkomme.
Hauptgegenstand der politischen Erörterungen gerade auch zu diesem Teil des Vertragswerks war jedoch — und hier kann ich einfach an das anknüpfen, was Herr Kollege Furler ausgeführt hat —, wie die etwaige Wiederbewaffnung der Bundesrepublik auf das Ringen um die Wiedervereinigung einwirken würde und ob die Wiederbewaffnung mit einer erfolgversprechenden Politik der Wiedervereinigung Deutschlands zu vereinbaren sei. Die Mehrheit des Ausschusses hat es als einen großen Vorteil und Fortschritt bezeichnet — Herr Kollege Furler hat darauf schon hingewiesen —, daß sich alle 14 NATO-Mächte für die Wiedervereinigung Deutschlands ausgesprochen und zur Mitwirkung an ihrer Erreichung verpflichtet haben, daß sie die Bundesregierung als Sprecher des deutschen Volkes anerkennen — wie die drei Westmächte es zuvor schon getan haben —, während andererseits die Bundesregierung bekundet hat, daß sie zur Erreichung dieses Ziels der Wiedervereinigung, worüber im Ausschuß keine Meinungsverschiedenheiten herrschten, keine Gewalt anwenden wolle.
Die Mehrheit argumentierte weiter, die Bundesrepublik müsse aus dem Objektzustand herauskommen, in dem sie sich völkerrechtlich noch immer befinde. Die westliche Seite in der weltpolitischen Auseinandersetzung müsse — wie ich es auch einleitend schon erwähnte — durch deutsche Mitwirkung stärker werden, um zu Verhandlungen mit der sowjetischen Großmacht unter annehmbaren Bedingungen gelangen zu können. Der Bundeskanzler hat sich für solche Verhandlungen nach der Ratifizierung und nach sorgfältiger diplomatischer Vorbereitung ausgesprochen. Er hat sich auch für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Regierung der Sowjetunion ausgesprochen. Im übrigen meint die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses, eine unzumutbare Beeinträchtigung der deutschen Bewegungsfreiheit im Hinblick auf die Wiedervereinigung werde durch die Verträge nicht eintreten. Über andere Erwägungen hinaus gelte der völkerrechtliche Grundsatz, daß eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse, wie etwa im Falle der Wiedervereinigung, zu einer Revision von Verträgen dieser Art, von Verträgen überhaupt, berechtige.
Die Minderheit hat andererseits bekanntlich die Forderung vertreten, daß noch vor der Ratifizierung dieses Vertragswerks und gerade seines militärischen Teils auf der Ebene der vier Mächte, die 1945 gemeinsam über Deutschland die Kontrolle übernommen haben, verhandelt werden müßte, daß jedenfalls ernsthaft sondiert werden sollte, ob sich gegenüber früher günstigere Bedingungen für die Verwirklichung einer Politik mit Sicht auf die deutsche Einheit entwickelt haben sollten. Die Minderheit hat der Befürchtung Ausdruck gegeben, daß solche Verhandlungen sonst unmöglich gemacht oder an die Voraussetzung einer Aufrechterhaltung des Status quo gebunden werden könnten. Es bestehe, so argumentierte die Minderheit, die doppelte Gefahr, die Bundes-


(Brandt [Berlin])

republik werde durch die Verträge so stark gebunden, so sehr in das atlantische System eingeschmolzen, daß sie den Anschluß an eine realistische Wiedervereinigungspolitik vielleicht kaum noch finden könne und daß solche Kräfte außerhalb unserer Grenzen Auftrieb erhalten könnten, die bereit wären, sich mit der Sowjetunion auf der Basis der Aufrechterhaltung der Spaltung Deutschlands zu arrangieren.
Die Minderheit gab schließlich der Meinung Ausdruck, daß die Frage des militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschlands noch nicht Gegenstand ernster Verhandlungen der beteiligten Mächte gewesen sei. Es sei nicht anzunehmen, daß Deutschland wiedervereinigt werden könne, wenn die eine oder die andere Seite in der weltpolitischen Auseinandersetzung es fest in ihr militärisches Sicherheitssystem einzugliedern verlange. Daher müsse ein Status angestrebt werden, der das wiedervereinigte Deutschland einem System kollektiver Sicherheit einordne.
Die Mehrheit hat wie bei den Beratungen vor zwei Jahren auf die Gefährdung der deutschen Position hingewiesen, die ihrer Meinung nach dann eintreten würde, wenn Deutschland die Freundschaft der Westmächte und die feste Anlehnung an sie einbüßte. Beide Teile stimmten darin überein, daß die Stellung eines wiedervereinigten Deutschlands in der Welt sowohl für die vier Mächte, die 1945 die Kontrolle über Deutschland übernommen haben, als auch für ein gesamtdeutsches Parlament und eine gesamtdeutsche Regierung annehmbar sein müßte.
Die Frage, welche Schritte zwischen einer etwaigen Ratifizierung und der erst gewisse Zeit danach möglichen Verwirklichung des militärischen Teils der Verträge in Richtung auf eine Politik der Wiedervereinigung erfolgen könnten und sollten, ist nicht näher erörtert worden und lag vielleicht auch außerhalb der Aufgaben, die dem Ausschuß gestellt waren.
Wie aus den schriftlichen Berichten zu ersehen ist, sind auch diesmal Rechtsfragen verschiedener Art aufgeworfen worden, so auch die noch zu regelnde Frage des Rechts der Kriegserklärung. Von einer Minderheit im Rechts- und Verfassungsausschuß wird weiterhin die Vereinbarkeit auch der neuen Verträge mit dem Grundgesetz bestritten.
Die Probleme, die sich aus dem Zusammenhang zwischen Wiederbewaffnung und dem inneren Bestand der Demokratie ergeben, haben während der jetzigen Beratungen nur am Rande eine Rolle gespielt.
Dementgegen ist — auch darauf hat Herr Kollege Furler schon hingewiesen — über die mutmaßlichen wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen eingehender gesprochen worden. Im Wirtschaftspolitischen Ausschuß, der dem Auswärtigen Ausschuß dazu Bericht erstattet hat, sind manche Besorgnisse zum Ausdruck gekommen. Die Bundesregierung und die Mehrheit meinen jedoch, daß die Wirtschaftskraft der Bundesrepublik ausreiche, um den vorgesehenen Verteidigungsbeitrag zu tragen, um übergebührliche Verzerrungen unseres Wirtschaftsgefüges zu vermeiden und auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt meistern zu können. Es ist der Erwartung Ausdruck gegeben worden, daß es, was die Rüstungswirtschaft angeht, möglich sein werde, den gemeinsamen europäischen Belangen ohne einseitige Belastung dieser oder jener Volkswirtschaft gerecht zu werden.
Auch im Haushaltsausschuß hat die Mehrheit gemeint, daß die finanziellen Verpflichtungen des Verteidigungsbeitrages — über die bekannten Verpflichtungen des ersten Jahres hinaus — das zu verantwortende Maß nicht überschreiten würden; außerdem behalte der Bundestag durch die Feststellung des Bundeshaushalts das letzte Wort. Die Minderheit hat beanstandet, daß die Bundesregierung nicht über die Kosten vor allem der Erstausstattung erschöpfend Auskunft gegeben habe. Es sei zu befürchten, daß die Ausgaben weit über den bisher genannten Ansätzen liegen würden und daß sich hieraus eine schwere Belastung in wirtschaftlicher, währungspolitischer und sozialer Hinsicht ergeben könne.
Der Sicherheitsausschuß hat in seinem Bericht darauf hingewiesen, das noch nicht bekannte Ausmaß der Auslandshilfe werde darüber entscheiden, um wieviel die bisher veranschlagten Haushaltsmittel für die Aufstellung von Streitkräften der Bundesrepublik erhöht werden müßten. Im übriden wird erwartet, daß die Regierung im Rahmen der NATO keine Verpflichtungen in dieser Hinsicht eingehen wird, ohne die zuständigen Ausschüsse des Bundestages gehört zu haben.
Meine Damen und Herren, der Ernst der gerade über den sicherheitsmäßigen Teil des Vertragwerks zu fällenden Entscheidung wird von niemandem, wie er auch im einzelnen die aufgeworfenen Fragen beurteilen mag, geleugnet werden können. Mir bleibt am Schluß dieser recht summarischen Übersicht als Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses nur die Pflicht, Ihnen unabhängig von der Auffassung der politischen Gemeinschaft, zu der ich gehöre, unabhängig auch von persönlichen Erwägungen, zu denen der Gegenstand herausfordern möchte, im Namen der Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses die Annahme des Zustimmungsgesetzes zum Vertrag über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Westeuropäischen Union und zur Nordatlantikpakt-Organisation zu empfehlen.

(Allgemeiner Beifall.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206900600
Als weiterer Berichterstatter hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Pfleiderer.
Dr. Pfleiderer (FDP), Generalberichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrag des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten habe ich heute die Ehre, dem Hohen Hause den Schriftlichen Bericht über den Entwurf eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar vorzulegen und damit einige mündliche Erläuterungen zu verbinden.
Von den völkerrechtlichen Vereinbarungen, die heute in zweiter Lesung erörtert werden, ist das Abkommen über das Statut der Saar vielleicht das umstrittenste. Die Beratungen des Ausschusses haben gezeigt, daß das Abkommen umstritten ist zwischen den Fraktionen, zum Teil auch innerhalb der Fraktionen, ja daß manche Abgeordnete in sich selbst Mühe haben, zu einer sie befriedigenden Entscheidung zu gelangen. Das Abkommen ist auch, wenn man die Parlamentsberichte vergleicht, umstritten zwischen den gesetzgebenden Körperschaften der beiden Länder, umstritten auch


(Dr. Pfleiderer)

in manchen Punkten zwischen den beiden Ländern und dem Saargebiet selbst. Die Aufgabe des Berichterstatters ist daher besonders schwierig, und ich darf den Schriftlichen Bericht und die mündlichen Erläuterungen der Nachsicht des Hohen Hauses empfehlen.
Über die Beratungen im Ausschuß sei zunächst so viel mitgeteilt, daß sie von allen Beteiligten in dem Bewußtsein geführt wurden, daß es sich um die ernsteste Angelegenheit handle, die Gegenstand von Verträgen sein kann, nämlich um deutsches Land und seine Bewohner. Im Ausschuß — und auch bei denen seiner Mitglieder, die das vorliegende Abkommen ablehnen werden — war doch der Wunsch allgemein, den Saarstreit aus den internationalen Erörterungen ausgeschaltet zu sehen. Der Ausschuß möchte annehmen, daß dies auch auf französischer Seite der Fall ist. In den Beratungen des Ausschusses ist auch immer wieder zum Ausdruck gekommen, daß gute deutsch-französische Beziehungen für beide Länder und für Europa unerläßlich seien und daß auch aus diesem Grunde alles getan werden müsse, um den Saarstreit durch ein Abkommen zu bereinigen.
Wenn man die heutigen Verhältnisse und die des Jahres 1945 vergleicht, so kann man französisch von einem renversement des alliances, von einer Umkehr der Bündnisse sprechen. Damit hängt es auch zusammen, daß die Verträge im allgemeinen und besonders das Saarabkommen einen, wenn man so sagen darf, Januskopf tragen. Das eine Gesicht blickt noch auf den Krieg zurück, das andere Gesicht blickt in die Zukunft, auf den Frieden und das Bündnis mit den ehemaligen Gegnern. Fast möchte man sagen, mancher von uns habe auch noch einen dritten Blick geworfen, und zwar zurück nach der Zeit vor 1939, nach der verlorenen Stellung vor dem zweiten Weltkrieg, und messe die heutige Lösung an den Verhältnissen von einst.
Welcher Blick ist nun stärker? An welchem Punkt hört die Erledigung des Krieges auf und wo beginnt die Verträglichkeit, das Gemeinsame und das Bündnis? Daß sich die Bundesrepublik und Frankreich über diesen Punkt noch nicht voll einigen konnten, daß es hierüber verschiedene Auffassungen gibt, macht eben die Schwierigkeit aus. Auf der anderen Seite sind sich die vertragschließenden Teile doch in dem Bestreben einig, einen Modus vivendi zu finden, eine vorläufige Regelung oder, wenn man so sagen darf, einen Frieden bis zum Friedensschluß. Wenn die Minderheit des Ausschusses gefürchtet hat, daß dieser Zustand auf Grund des Abkommens doch noch reich an Streitstoff sein werde, so hat die Mehrheit gehofft, daß diese Zeit trotz allem eine heilende und beruhigende Kraft haben werde, die auch der Endregelung günstig wäre. Heute nämlich wird schon festgestellt — um nur eines zu nennen —, daß der Wille der Saarbevölkerung für die Endregelung von Bedeutung sein wird. Auch das Strittige, das den Modus vivendi belasten wird, kann sich nicht mehr ungehindert auswirken. Es sind im Rahmen der Westeuropäischen Union Instanzen geschaffen, um Streit, wo er entstehen sollte, politisch wie rechtlich abzuleiten und in einem geregelten Verfahren zu schlichten und zu entscheiden.
In dem Abkommen über das Statut der Saar ist, so nimmt die Mehrheit des Ausschusses an, der Saarstreit vorläufig gelöst. Diese Lösung hätte sicher nicht gefunden werden können, wenn es den Unterhändlern nicht möglich gewesen wäre, auf eine Vorarbeit zurückzugreifen: auf die große Vorarbeit, die im Rahmen der Beratenden Versammlung des Europarats geleistet worden ist und die unter dem Namen van-der-Goes-vanNaters-Plan in die Geschichte eingehen wird. Ich glaube, diese Arbeit hat sich gelohnt, und wir haben Grund, denen dankbar zu sein, die dabei mitgewirkt haben.
Als ersten Punkt darf ich nun den folgenden hervorheben. Nach der Auffassung des Ausschusses wird das Saargebiet durch das Abkommen eine nichtsouveräne Gebietseinheit eigener Art mit einer begrenzten Autonomie. Es wird eine Gebietseinheit, die in eine bestimmte Beziehung zur Westeuropäischen Union gebracht wird. Der Ausschuß war der Ansicht, daß das Statut eine Loslösung des Saargebiets aus dem deutschen Staatsverband, wie er in den Grenzen von 1937 bestanden hat, nicht ausspreche. Weder die Bundesrepublik noch Frankreich wären ermächtigt gewesen, eine Änderung der deutschen Grenzen vorzunehmen. Die Artikel 2 und 7 des Deutschlandvertrags, den wir heute hier mit beraten, hätten dem widersprochen. Die Grenzen Deutschlands sind 'unveränderlich bis zum Friedensvertrag; nur eine gesamtdeutsche Regierung könnte sie ändern. Auf Grund der Erklärungen, die die Außenminister der westlichen Mächte im September 1950 in New York abgaben, die in der Londoner Schlußakte vom 3. Oktober wiederkehrten und denen die NATO-Mächte am 23. Oktober letzten Jahres beitraten, ist die Bundesrepublik ermächtigt, als Sachwalterin der gesamtdeutschen Interessen bereits heute einen Modus vivendi über deutsches Gebiet zu treffen, das nicht zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gehört. Man wird aber nicht nur sagen können, daß die Bundesrepublik dazu ermächtigt sei, sondern man wird auch sagen müssen, daß sie die Pflicht habe, alles zu tun, um die Lage der Deutschen an der Saar zu verbessern, d. h. unsere Landsleute in 'den Genuß der politischen Freiheit zu bringen und sie wirtschaftlich aus der Unterordnung unter fremde Interessen zu lösen.
Das Saargebiet erhält — und dies ist der zweite Punkt — im Rahmen der Westeuropäischen Union ein, wie es in Art. I des Abkommens heißt, europäisches Statut. Es wird ein Kommissar eingesetzt, der für die Fragen der auswärtigen Beziehungen und der Verteidigung zuständig ist und gleichzeitig die Durchführung des Abkommens überwacht. Er ist der saarländischen Regierung übergeordnet und hat ihr gegenüber Weisungsbefugnis. Der Ausschuß ist einhellig der Ansicht gewesen, daß zu den auswärtigen Beziehungen auch die wirtschaftlichen Beziehungen zu den benachbarten Gebieten, zur Bundesrepublik und zu Frankreich, gehören.
Der große Wandel, der im Saargebiet nach Inkrafttreten des Abkommens eintreten wird, kommt, so nahm der Ausschuß an, durch nichts besser zum Ausdruck als dadurch, daß der Europäische Kommissar an die Stelle des bisherigen französischen Botschafters im Saargebiet tritt, daß die Ausschließlichkeit Frankreichs durch die Union von sieben Staaten abgelöst wird, zu denen auch die Bundesrepublik gehört. Wir können verstehen, daß es für die französische Politik ein schwerer Entschluß war, dieser Änderung zuzustimmen, und wir würdigen diesen Entschluß. Es wird auch gewiß noch einige Zeit dauern, bis sich die neue Lage zu voller Zufriedenheit eingespielt hat.


(Dr. Pfleiderer)

Das dritte Kennzeichen der neuen Saarlösung besteht darin, daß die Saarbevölkerung berufen ist, an der Gestaltung ihres Schicksals in zwei Volksabstimmungen mitzuwirken, einmal in einer Abstimmung über das jetzige Statut, sodann in einer Abstimmung über die Endregelung, die im Friedensvertrag zu treffen sein wird.
Die erste Volksabstimmung ist in Art. I, die zweite in Art. IX des Statuts behandelt. Bezüglich der ersten Volksabstimmung darf ich hier kurz wiederholen, was in dem Bericht auf Seite 63 ausgeführt ist:
Der Ausschuß war einhellig der Ansicht, daß es ... unerwünscht sei, einem Teil des Staatsvolkes das Recht zu geben, über eine Frage abzustimmen, die in gleicher Weise das Volk im ganzen angehe.
Die Mehrheit des Ausschusses war jedoch der Ansicht, daß es sich hier nicht um ein Begehren der Bevölkerung im Saargebiet oder um ein Allein-Selbstbestimmungsrecht oder gar um ein Abtrennungsrecht handle, sondern um eine besondere Art der Zustimmung zu einem von der Bundesrepublik abgeschlossenen völkerrechtlichen Vertrag.
Anders verhält es sich bei der Volksabstimmung nach Art. IX. Auch hier ist die Bevölkerung aufgerufen, zu einer vertraglichen Regelung Stellung zu nehmen, nur liegt die materielle Regelung, zu der die Bevölkerung Stellung nehmen soll, nämlich die Friedensregelung, heute noch nicht vor. Wir möchten glauben, daß die Bevölkerung an der Saar in der nächsten Zeit schon beginnen wird, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Endregelung aussehen soll. Wir möchten auch glauben, daß diese Gedanken eines Tages für die Friedenskonferenz von Bedeutung sein werden. Aber die Entscheidung darüber, welche Art Regelung der Bevölkerung letzten Endes zur Abstimmung vorgelegt werden wird, ist Sache der Mächte, die an der Friedenskonferenz teilnehmen werden. Eine dieser Mächte wird Gesamtdeutschland sein. Die Saargrenzen können also nur dann festgelegt werden, wenn im Friedensvertrag sowohl Gesamtdeutschland zustimmt als auch die Saarbevölkerung in dieser zweiten Volksabstimmung ja sagt. Die Abmachungen des Friedensvertrages können — und darin wären die Mächte frei — mehrere Möglichkeiten zur Auswahl stellen. Insofern könnte auf der Friedenskonferenz auch eine Übereinstimmung mit der Regelung des Vertrags von Versailles hergestellt werden, die ja im Jahre 1919 die drei verschiedenen Möglichkeiten festgesetzt hat, über die dann im Jahre 1935 abgestimmt werden sollte und auch wirklich abgestimmt wurde. Sollte es der Friedenskonferenz nicht gelingen, eine allseits gebilligte Lösung für die Saarfrage zu finden, die von der Saarbevölkerung gebilligt oder mißbilligt wird, dann dürfte in der Stellung verschiedener Fragen, zwischen denen sich die Bevölkerung entscheiden muß, ein letzter Ausweg liegen. Die Mehrheit des Ausschusses hat es jedenfalls als einen besonderen Gewinn des Statuts betrachtet, daß die Friedensregelung in keinem Falle gegen den Willen der Saarbevölkerung verwirklicht werden kann.
Besonders eingehend hat den Ausschuß die Frage der Freiheitsrechte im Saargebiet beschäftigt. Die Herstellung der Freiheitsrechte ist in Abhängigkeit von der Festlegung des politischen Status des Saargebiets gebracht. Die Bevölkerung des Saargebiets wird erst frei, wenn das Abkommen von den beiden vertragschließenden Teilen ratifiziert ist.
Sehen wir nun auf der einen Seite den großen Gewinn, der in der Rückkehr zur Freiheit liegt, so bedauern wir auf der anderen Seite, daß die Freiheit nicht um ihrer selbst willen zurückgegeben worden ist, und wir beklagen, daß es die Freiheit auf unserem Erdteil, auch in Deutschland, so schrecklich schwer hat. Dies macht uns auch vorsichtig und mißtrauisch im Hinblick auf die Zukunft. Sicher soll das Statut nach Art. VI Abs. 2 bis zum Friedensvertrag nicht in Frage gestellt werden. Es wird aber großer Weisheit und Mäßigung bedürfen, daß diese Bestimmung nicht dazu mißbraucht wird, neue Vorwände zu linden, urn die Freiheitsrechte im Saargebiet zu beeinträchtigen.
Keinen Zweifel hat der Ausschuß daran gelassen, daß es der Bevölkerung des Saargebiets erlaubt sein müsse, schon während der Laufzeit des Statuts mit demokratischen Mitteln für eine bestimmte endgültige Regelung im Friedensvertrag einzutreten. Dies ergebe sich aus der Vorläufigkeit des Statuts und aus dem Recht der Bevölkerung, bei der Endregelung in freier Volksabstimmung mitzuwirken, von selbst. -Der Ausschuß hat es lebhaft begrüßt, daß der Europäische Kommissar nach den in Baden-Baden getroffenen Absprachen an die Konvention zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten gebunden sein wird und daß im Rahmen dieser Konvention und der Westeuropäischen Union zuverlässige Sicherungen im Wege der Gerichtsbarkeit zur Verfügung stehen werden.
Es war die gemeinsame Ansicht der Ausschußmitglieder, daß neben der Wiederherstellung der demokratischen Freiheitsrechte der Bevölkerung eine angemessene Ordnung der wirtschaftlichen Beziehungen des Saargebiets zur Bundesrepublik und zu Frankreich von der größten Bedeutung sei. Diese Beziehungen sind für das Saargebiet schlechthin lebenswichtig. Die erste Frage lautet daher: Wie sollen die wirtschaftlichen Beziehungen des Saargebiets zu den beiden Nachbargebieten geordnet werden, und wie sollen sich die Beziehungen zu diesen Gebieten untereinander verhalten? Sollen sie gleich oder ungleich sein? Nun, die Lebenswichtigkeit der Beziehungen für das Saargebiet, der Gedanke der Gleichberechtigung zwischen der Bundesrepublik und Frankreich und auch das Vorbild der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl würden an sich verlangt haben, daß die Beziehungen des Saargebiets zur Bundesrepublik und zu Frankreich gleichgestaltet würden. So hatte es auch der van-der-Goes-van-Naters-Plan nach den Brüsseler Ausschußberatungen vom Dezember 1953 vorgesehen. Im vorliegenden Statut der Saar ist dieser Grundsatz aber nur eingeschränkt zur Geltung gelangt. Das Statut geht von der Aufrechterhaltung gewisser französisch-saarländischer Bindungen und der Währungsunion aus. Es bestimmt jedoch, daß zwischen der Bundesrepublik und dem Saargebiet gleichartige Beziehungen wie die zwischen Frankreich und dem Saargebiet hergestellt werden sollen. Wenngleich dies erst allmählich geschehen kann, so muß die Verwirklichung dieses Grundsatzes doch von Anfang an erstrebt werden. Der Ausschuß war der Ansicht, daß dieses Ziel am besten im Rahmen einer immer enger werdenden deutschfranzösischen Zusammenarbeit verwirklicht werden könne. An seiner Verfolgung durch alle Partner dürften aber Abreden zwischen Frankreich und dem Saar-


(Dr. Pfleiderer)

gebiet, die vor der Ratifikation des Statuts getroffen würden, nichts ändern.
Mit diesem Hinweis ist bereits die Problematik aufgezeigt, die in dem Verhältnis der zweiseitigen französischsaarländischen Verhandlungen nach Art. XII A zu den dreiseitigen deutsch-französischsaarländischen Verhandlungen nach Art. XII B, C und D enthalten ist. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben sowie aus rein sachlichen Erwägungen ergibt sich nach Auffassung des Ausschusses folgendes: Wenn nach Art. XII B zwischen der Bundesrepublik und dem Saargebiet gleichartige Beziehungen hergestellt werden sollen wie zwischen Frankreich und dem Saargebiet, so muß in den französisch-saarländischen Verhandlungen dieser Verpflichtung bereits Rechnung getragen werden. Die beiden Arten der Verhandlungen bedingen und beeinflussen sich gegenseitig. Es wird deshalb unumgänglich sein, sie gleichzeitig zu führen. Überdies ist nicht zu bezweifeln, daß nur der Kommissar zu auswärtigen Verhandlungen und Vertragsabschlüssen ermächtigt ist, und dazu gehören auch solche auf dem Gebiete der auswärtigen Wirtschaftsbeziehungen. Auch ist erst der nach der Volksabstimmung zu wählende neue Saarlandtag zur Ratifizierung dieser Verträge berufen.
Meine Damen und Herren, die Beratungen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten waren sehr nüchtern und kritisch. So war auch das Gesamturteil über das Abkommen über das Statut der Saar dem angepaßt. Der Ausschuß war der Ansicht, daß das Abkommen so, wie es ist, unvollkommen sei und Lücken aufweise. Sein Wert oder Unwert wird in der Tat erst deutlich, wenn die noch fehlenden Ergänzungen vorliegen, besonders auf wirtschaftlichem Gebiet, und wenn die Ausführungsbestimmungen der Saarregierung erlassen sind, vor allem zur Wiederherstellung der Freiheitsrechte. Wert oder Unwert wird letzten Endes aber davon abhängen, in welchem Geiste das Abkommen ausgeführt werden wird. Insofern ist die Zustimmung zu dem Abkommen, wie auch in dem Antrag des schriftlichen Berichts hervorgehoben, ein Wagnis. Die Mitglieder des Ausschusses, die dem Abkommen zustimmen, nehmen das Wagnis auf sich in der Überzeugung, das Vertrauen, das sie schenken, erwidert zu finden.
Im Namen des Ausschusses bitte ich das Hohe Haus, dem Gesetz seine Zustimmung zu geben.

(Beifall.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206900700
Meine Damen und Herren! Ich danke den Herren Berichterstattern für ihre Berichte.
Ich setze das Einvernehmen des Hauses darüber voraus, daß wir um 13 Uhr die allgemeine Aussprache unterbrechen, daß von 13 bis 15 Uhr Mittagspause ist und daß um .15 Uhr pünktlich die Debatte weitergeführt wird.
Der Ältestenrat hat Ihnen für die Debatte des Tagesordnungspunktes, Nr. 1 den Vorschlag gemacht, der Ihnen inzwischen auch schriftlich vorgelegt worden ist, daß die zweite Beratung sich nach Möglichkeit in folgende fünf Kapitel gliedern soll und in dieser Gliederung durchgeführt werden möge:
1. Wiedervereinigung,
2. Saar,
3. Sicherheit und Verteidigung,
4. Finanz und Wirtschaft,
5. Souveränität und Rechtsfragen.
Meine Damen und Herren, wir sind uns darüber einig, daß eine strenge Begrenzung auf diese Fachgebiete wahrscheinlich nicht in allen Fällen möglich ist. Ich wäre aber dankbar, wenn in der Debatte auf diese Vorschläge des Ältestenrats Rücksicht genommen würde und die Debatte im großen und ganzen in dieser Gliederung durchgeführt werden könnte.
Ich eröffne hiermit die Beratung. Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.

Dr. Kurt Georg Kiesinger (CDU):
Rede ID: ID0206900800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich gern an die Abmachungen im Ältestenrat halten. Sie werden aber verstehen, daß es nicht möglich ist, über das Problem der deutschen Wiedervereinigung zu sprechen, ohne es im Zusammenhang mit der allgemeinen Lage, insbesondere dem Ost-West-Verhältnis, mit dem Problem der Sicherheit und einer Entspannung und dem Problem des Friedens zu betrachten.
Wir sind uns alle einig in diesem Hause, daß die deutsche Wiedervereinigung nur unter drei Voraussetzungen zu erreichen ist. Erstens bedarf sie der Zustimmung des Westens. Zweitens bedarf sie der Zustimmung des Ostens. Und drittens sind wir uns auch wohl alle darüber einig, daß diese beiden Zustimmungen nur in der Atmosphäre einer allgemeinen Entspannung erreicht werden können.
Wenn man das Problem der Wiedervereinigung in diesem Zusammenhang betrachtet, ist es nach meiner Meinung außerordentlich wichtig, zuvor die Wirklichkeit des Ost-West-Verhältnisses richtig zu beurteilen. Wer dieses Verhältnis falsch beurteilt, muß auch falsche politische Konsequenzen ziehen. Deswegen sei es mir gestattet, einige Gedanken dazu zu sagen.
Ich habe in der letzten Zeit oft mit Bedenken gelesen, daß bei Diskussionen über dieses Problem in Deutschland davon geredet wird, nun j a, seit dem zweiten Weltkrieg gebe es auf dieser Welt eben zwei Machtblöcke, die bestimmte Interessengegensätze hätten, und man täte gut daran, sich von diesen Machtblöcken getrennt zu halten und irgendeine Art von Eigenexistenz zu führen. Man gibt dafür allerlei Rezepte. Gestern las ich noch das Rezept Titos, der sich zwar von Moskau gelöst und dem Westen genähert habe, aber ohne sich ihm zu verschreiben. Nun, das sind sehr billige und zu gleicher Zeit außerordentlich gefährliche Vergleiche, weil ja die Voraussetzungen völlig anderer Art sind. Man vergißt bei dieser Betrachtung der Dinge, daß die beiden Machtblöcke doch recht ungleichartig sind. Das ist nicht mehr der Machtgegensatz, wie wir ihn aus den letzten Jahrhunderten im Kampf der Nationalstaaten oder der nationalstaatlichen Kombinationen gewöhnt sind. Auf der einen Seite steht ein Machtblock mit einer ganz bestimmten aggressiven politischen Ideologie, der trotz allem — ich werde darauf zu sprechen kommen —, was er über Koexistenz sagt, entschlossen ist, dieser seiner Ideologie und damit auch seinem politischen Herrschaftssystem in der Welt zum Siege zu verhelfen.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Auf der anderen Seite steht die freie Welt, jedenfalls für uns Europäer der Schutzverband der Völker, die sich in der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft zusammengeschlossen haben. Es genüge, daß ich einmal nur von dieser Mächtegruppe spreche.


(Kiesinger)

Es gibt auf der Welt keine Engel, und es gibt auf der Welt keine Macht, die von sich behaupten könnte, daß ihre Politik kein Vorwurf treffen könne. Aber es bedeutet doch die geradezu ungeheuerlichste Verdrehung und Verfälschung der geschichtlichen Wahrheit, wenn Herr Grotewohl in seiner Rede, die er jetzt versandt hat, sagt:
Die Geschichte lehrt: Die Sowjetunion war niemals der Aggressor! Welche Fährte von Blut und Tränen dagegen zieht Amerika hinter sich in der Welt her!
Man muß solche Sätze an den Pranger stellen, um immer wieder daran zu erinnern, daß es ein System gibt, das vor keiner noch so plumpen und widerlichen Lüge zurückschreckt, wenn es seine eigenen Zwecke verbergen will.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es ist ein Zitat des Herrn Grotewohl. Ich schäme mich, daß ein Mann, der einen deutschen Namen trägt, dieses Zitat gebraucht hat. Nicht einmal ein Vertreter Moskaus ist jemals, soviel ich sehen konnte, in einer Äußerung so weit gegangen.
Nun, meine Damen und Herren, neuerdings ist von der Koexistenz die Rede, von dieser „friedlichen Koexistenz", und der russische Außenminister, dessen Ausführungen von Ministerpräsident Bulganin ausdrücklich in einem Interview als richtig und richtungweisend bestätigt worden sind, hat sie neuerdings bekräftigt.
Der russische Außenminister hat im Jahre 1941 in einer Schrift: „Totale Kriegswirtschaft und Rote Armee" folgendes ausgeführt:
Ein paralleles Nebeneinanderexistieren unseres Sowjetstaates mit der übrigen Welt ist auf die Dauer unmöglich.
„Auf die Dauer unmöglich"!
Dieser Gegensatz kann nur durch Waffengewalt in blutigem Ringen eine Lösung finden. Eine andere Lösung gibt es nicht und kann es nicht geben. Nur der wird gewinnen, der in sich die Entschlußkraft zum Angriff verspürt.
Hat sich nun die sowjetrussische Auffassung gewandelt? Ist die neuerdings verkündete Politik einer „friedlichen Koexistenz" etwas Grundverschiedenes von dem, was hier Molotow geäußert hat und was viele, viele andere Sowjetpolitiker immer wieder gesagt haben? Lassen Sie mich dazu ein weniges bemerken. Herr Molotow hat sich in seiner letzten, so aufschlußreichen Rede darauf berufen, daß sich die Sowjetunion zur Koexistenz „im Sinne Lenins" bekenne. Er hat das mehrfach getan. Nun weiß jeder, der die Schriften und die Reden, die politischen Auffassungen Lenins kennt, daß er die Koexistenz im Grunde nie anders verstanden hat, als es dieses Zitat Herrn Molotows sagt. Krieg oder Frieden — ich habe es in diesem Hause schon einmal ausgeführt — ist nach Lenin nur ein taktisches Mittel, das man im Kampf um das Endziel der kommunistischen Weltrevolution abwechselnd einsetzen kann.

(Abg. Stücklen: Sehr wahr!)

Die Koexistenz — Herr Molotow hat sich immer bemüht, ausdrücklich die Worte „im Sinne Lenins" hinzuzusetzen, um es deutlich zu machen, was er meint — ist also im Grunde genommen nur die gegenwärtige Anwendung des taktischen Mittels Nicht-Krieg.
Ich habe bereits erwähnt, daß bei dem Besuch der britischen Parlamentarier im vergangenen Jahr in Moskau ihnen auf ihre Frage erklärt worden ist: „Die friedliche Koexistenz bedeutet natürlich nur den Verzicht auf kriegerische Einmischung; im übrigen benützen wir jedes politische und propagandistische Mittel, um den Sieg der Weltrevolution, von dem wir überzeugt sind, zu fördern." Lenin hat einmal das Bild vom Wellental und vom Wellenberg in der Abwechslung der beiden taktischen Mittel Krieg und Nicht-Krieg gebraucht. Aber auch aus der letzten Molotow-Rede selbst wird ganz deutlich, was gemeint ist. Herr Molotow hat an einer Stelle dieser Rede gesagt:
All das bedeutet, daß das Neue im erbitterten Kampf mit dem Alten zur Welt kommt, daß der Sozialismus in den verschiedenen Ländern nicht anders siegen kann als durch Zurückschlagung und Überwindung des Imperialismus.
Und er schloß seine Rede mit dem Satz:
Wir stehen zu den Leninschen Prinzipien der
Koexistenz, weil wir der Kräfte des Sozialismus und dessen gewiß sind, daß wir auf dem
richtigen Wege zum Kommunismus sind.
Meine Damen und Herren! In diesem Hochgefühl des Siegers hielt Herr Molotow in seiner Rede eine stolze Heerschau ab über das Lager, das seit dem zweiten Weltkrieg vom Bolschewismus erobert worden ist.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Von den 600 Millionen Europas, sagte er, sind heute schon etwa 300 Millionen in das Lager „des Sozialismus und der Demokratie" eingetreten. Von den 1,4 Milliarden Asiens, sagt er, leben etwas weniger als die Hälfte „in Ländern der Volksdemokratien, die das kapitalistische Lager verlassen haben". Aber sein Blick bleibt nicht an diesen weiten, bereits vom Bolschewismus eroberten Gebieten haften. Er blickt hinüber auf Gebiete, wo er die Saat des Kommunismus schon grünen sieht. Nach Indien schaut er, in den weiten Raum der asiatischen Welt, in den Raum der alten kolonialen Gebiete, nach Arabien, und er gibt der Hoffnung und der Erwartung Ausdruck, daß sich auch jene Länder auf dem Wege ins Lager „des Sozialismus und der Demokratie" befänden. Aber auch da hört er noch nicht auf. Nun fällt sein Blick auf das dritte Lager, auf das Lager der angeblich so bösen, aggressiven kapitalistischen Mächte, und er sagt wörtlich:
Die sowjetrussische Außenpolitik kann nicht umhin, dem Vorhandensein beträchtlicher Gegensätze sowohl zwischen einzelnen kapitalistischen Ländern als auch innerhalb dieser Länder und sogar innerhalb einzelner Parteien ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Unsere Aufgabe ist es, diese Gegensätze im Interesse
— so drückt er sich aus —
der Erhaltung und Festigung des Friedens und zur Schwächung der aggressiven antidemokratischen Kräfte auszunutzen.
Damit, meine Damen und Herren, ist deutlich genug gemacht, was wir unter friedlicher Koexistenz zu verstehen haben. Gewiß, bei dem furchtbaren Ernst der Situation gebe ich zu, daß, wenn man es schon mit einer Macht wie Sowjetrußland zu tun hat, die Welt froh sein muß, wenn diese Macht es aus taktischen Gründen für richtig be-


(Kiesinger)

findet, nun einmal statt des Mittels Krieg das Mittel nichtkriegerischen Kampfes anzuwenden. Ich will das nicht unterschätzen. Aber dann darf ich doch auf zwei Dinge aufmerksam machen. Erstens: Warum hat sich Sowjetrußland dazu entschlossen, auf das taktische Mittel des Krieges in dieser geschichtlichen Stunde zu verzichten? Etwa weil sich die westliche Welt als fügsam erwiesen hat? — Gewiß nicht! Sowjetrußland hat deswegen auf das taktische Mittel „Krieg" verzichtet, weil es weiß, daß sich unter den gegebenen Umständen — und vor allen Dingen, seitdem die Vereinigten Staaten von Amerika sich vom Falle Griechenland an entschlossen haben, einer weiteren Expansion des Bolschewismus Widerstand zu leisten — ein Krieg für die Sowjetunion nicht lohnt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Infolgedessen können wir, wenn wir Sowjetrußland bei dieser Politik der Ko-Existenz festhalten wollen, gar nichts anderes wünschen, als daß sich die freie Welt in der Verteidigung ihrer eigenen Freiheit und Sicherheit immer fester zusammenschließt.
Und zweitens: Wenn wir wissen, daß sich Krieg oder Frieden, Wellenberg und Wellental, in der Strategie der Sowjetunion abwechseln, daß immer dann der Krieg das richtige Mittel sein kann, wenn er sich als das beste erweist, um das Ziel der Weltrevolution zu fördern, dann heißt das doch für die freie Welt: äußerste Wachsamkeit!

(Sehr gut! in der Mitte.)

Und das kann nur bedeuten: nicht nachlassen in dem Bemühen, die eigene Sicherheit zu stärken.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Die Sowjetunion verfolgt im Rahmen dieser friedlichen Ko-Existenz unerbittlich drei Ziele. Erstens: Sie trachtet, den Prozeß — wie man es dort nennt — der „Selbstzersetzung der kapitalistischen Welt", wo überall er sich zeigt, in Europa oder etwa draußen in den alten Kolonialgebieten, mit allen Mitteln — unter Ausschluß des Krieges — zu fördern. Zweitens: Da, wo sich Gesundungsprozesse anbahnen, wie etwa der Prozeß der westeuropäischen Integration, versucht die Sowjetunion, diese Gesundungsprozesse zu verhindern; denn sie würden ja die „Selbstzersetzung der kapitalistischen Welt" mindestens auf lange Zeit hintanhalten. Drittens: es ist klar, daß die Sowjetunion die Spaltung der atlantischen Gemeinschaft betreibt — Herr Molotow hat es ja mit deutlichen Worten gesagt; ich hätte noch mehr dazu aus seiner Rede zitieren können —, und das bedeutet insbesondere ,die Verdrängung der Vereinigten Staaten von Nordamerika als einer Macht, die mehr als jede andere auf dieser Welt Sicherheit, Freiheit und Frieden Europas verbürgen kann.
Wir dürfen also das Problem der Sicherheit nicht leichtfertig in den Hintergrund drängen, wenn wir über das uns so schmerzlich berührende Problem der deutschen Wiedervereinigung sprechen. Für die Bundesrepublik hat das Problem der Sicherheit drei Aspekte. Erstens: Wir sorgen für unsere deutsche Sicherheit. Meine Damen und Herren, in allem Ernst: Man sollte wirklich einmal aufhören, uns den Vorwurf zu machen, wir hätten die Sicherheit einer spießbürgerlichen Bundesrepublik im Auge. Ich habe Ihnen heute früh schon gesagt, und Tausende und Tausende von Zuschriften und Zurufen
aus dem Osten bestätigen es uns Tag für Tag aufs neue, daß es das Sicherheitsproblem für ganz Deutschland ist, das uns beschäftigt,

(lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien)

und daß die Sicherheit der Bundesrepublik

(Zuruf von der SPD)

die einzige Chance für die 18 Millionen Deutschen ist, jemals ihre Freiheit wiederzuerlangen.

(Zuruf von der SPD.)

— Ich würde das, verehrter Herr Kollege und Zurufer, nicht leichtfertig behaupten, denn es handelt sich ja um eine sehr ernste Sache. Aber ich sage Ihnen, daß wir wirklich Tausende und aber Tausende derartiger Zurufe und Zuschriften aus dem Osten bekommen. Ich weise Sie darauf hin, daß man geradezu geographisch feststellen kann, daß, je weiter man nach Osten kommt — selbst Ihre sozialdemokratischen Vertreter in Berlin gehören dazu —, desto stärker das Bewußtsein dafür wird, daß es gilt, diese Bundesrepublik zu sichern, damit sie die Hoffnung für die 18 Millionen drüben bleibe.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU, dem GB/BHE und rechts.)

In diesem Sinne war ja auch — ich wiederhole es, denn man muß es tun — das Wort des Berliner Bürgermeisters, Ihres Parteifreundes Reuter, gemeint, wenn er sagte: Macht mir die Bundesrepublik stark!

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

— Nun, Sie wollen dieses Wort Ihres bedeutenden Parteifreundes heute offenbar nicht mehr wahrhaben.

(Abg. Meitmann: Sie sollten aber ein anderes Wort nicht vergessen! — Abg. Wehner: „Mindestens soviel für die Wiedervereinigung wie für die Integration", denken Sie auch mal daran! Zwei Worte Ernst Reuters! — Weiterer Zuruf von der SPD: Demagogie!)

— Wenn Sie das „Demagogie" nennen, Sie armseliger Zwischenrufer aus dem Hintergrund,

(lebhafter Beifall in der Mitte)

dann weiß ich wirklich nicht — ich wollte über dieses Thema nicht sprechen —, was von Ihrer Seite an Demagogie in den letzten Wochen in das deutsche Volk hineingetragen worden ist.

(Erneuter lebhafter Beifall in der Mitte und rechts. — Zurufe von der SPD. — Unruhe.)

— Ich könnte Ihnen Äußerungen aus Ihrem eigenen Lager vorweisen!

(Zuruf von der SPD: Das haben Sie nötig, das zu sagen!)

Da unten habe ich eine Äußerung eines sozialistischen Jugendverbandes liegen! Diese Äußerungen zeigen, wieweit in Ihrem eigenen Lager die Verwirrung schon gegangen ist.

(Abg. Ollenhauer: Schaffen Sie Ordnung in Ihrem eigenen Lager! — Anhaltende Unruhe.)



(Kiesinger)

— Jawohl! Aber, Herr Ollenhauer, ich mußte das
sagen wegen jenes Zurufes aus dem Hintergrund.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206900900
Herr Abgeordneter Kiesinger, der Ausdruck „armselig" ist nicht parlamentarisch und keine richtige Bezeichnung für ein Mitglied dieses Hauses. Ich rüge diesen Ausdruck und rufe Sie deshalb zur Ordnung.

(Abg. Mellies: Sie haben viel gelernt von Ihrem Chef, Herr Kiesinger!)


Dr. Kurt Georg Kiesinger (CDU):
Rede ID: ID0206901000
Ich bedaure lebhaft meine Damen und Herren, wenn ich mich zu einem unparlamentarischen Ausdruck habe verleiten lassen. Es fällt aber nicht immer leicht angesichts dieser Zwischenrufe aus dem Hintergrund,

(Abg. Schoettle: Für Sie ist das Mikrophon und das Fernsehen schädlich!)

seine Ruhe zu bewahren.
Nun, meine Damen und Herren, wenn also, wie ich sagte, die Sicherheit der Bundesrepublik die Bürgschaft für die künftige Freiheit unserer Menschen im Osten ist, dann dürfen wir das Problem der Wiedervereinigung nicht so sehen, wie unsere Opposition es tut, d. h. wir dürfen nicht den Rat Professor Carlo Schmids befolgen, den er heute morgen ausgesprochen hat: Warten in Ruhe, bis sich ein Wandel der Anschauungen anbahnt. Wir haben bereits zu lange gewartet!

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der DP.)

Nun der Vertrag! Der Deutschlandvertrag nimmt zur Frage der deutschen Wiedervereinigung Stellung. Die Berichte haben die Arbeiten der Ausschüsse hierüber aufgezeigt. Von der sozialdemokratischen Seite wird Kritik an dem Vertrage geübt, und zwar im Zusammenhang mit dem Art. 7 Abs. 2. Der Art. 7 Abs. 2 des Deutschlandvertrages lautet:
Bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung werden die Unterzeichnerstaaten zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik, besitzt, und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist.
Das Wort „europäische Gemeinschaft" ist klein geschrieben.

(Zuruf von der SPD: Da liegt der Hund begraben!)

Wir haben den Vorwurf der Opposition ernsthaft zu würdigen, daß bei dieser Festlegung der Verpflichtungen unserer Partner nur eine allgemeine Deklamation oder Proklamation in den Vertrag aufgenommen worden sei. Man habe aber nicht konkret genug diese Verpflichtungen im Vertrag selbst geregelt, und deswegen behalte die Regelung ihren deklamatorischen Charakter.
Ein weiterer Vorwurf der Opposition ist der, daß durch die eingefügte Bedingung, das wiedervereinigte Deutschland solle in die europäische Gemeinschaft integriert werden, eine so enge Lösung ins Auge gefaßt sei, daß man nicht annehmen könne, Sowjetrußland könne sich etwa jemals mit ihr befreunden.
Nun, wir haben in den Beratungen der vergangenen Wochen wohl auch darüber einige Klarheit
schaffen können. Mindestens haben wir unseren Standpunkt klar herausgestellt. Was den letzten Vorwurf betrifft, so ist zu sagen, daß nach unserer Auffassung das wiedervereinigte Deutschland in seinen Entscheidungen frei sein wird, daß das dem Inhalt des Vertrags zu entnehmen ist. Diese Auffassung und Forderung haben wir erneut in die gemeinsame Resolution aufgenommen, die der Auswärtige Ausschuß einstimmig beschlossen hat, dem Hohen Hause zur Annahme zu empfehlen.
Was aber die Frage anlangt, daß die Verpflichtung zur Wiedervereinigung nicht konkret genug ausgestaltet worden sei, so muß dazu einiges gesagt werden. Es wird von der Opposition in diesem Zusammenhang mit vollem Recht auf eine andere Gefahr hingewiesen, auf die nämlich, daß sich in der letzten Zeit bedenkliche Tendenzen gezeigt hätten, daß man sich in der westlichen Welt allmählich auf den Status quo einzurichten beginne und daß man — so ergeben eine ganze Reihe publizistischer Äußerungen — die Spaltung Deutschlands hinnehmen werde. Das sind selbstverständlich alles sehr ernst zu nehmende Argumente. Es gibt zweifellos in der freien Welt Hemmungen gegenüber der deutschen Wiedervereinignug. Das darf und kann niemanden wundernehmen. Wir vergessen vielleicht zu rasch, daß es in den verschiedenen Ländern auf recht verschiedene Weise immer noch ernste Sorgen gegenüber einem so starken — bevölkerungsmäßig und wirtschaftlich so starken — wiedervereinigten Deutschland gibt, zumal wenn man sich vorstellt, daß dieses wiedervereinigte Deutschland über eine starke nationale Armee verfügt, eine Armee, die so stark wäre, wie sie etwa bei einer der letzten Debatten unser Kollege Professor Dr. Carlo Schmid gezeichnet hat.
Es ist ohne jeden Zweifel die Aufgabe der deutschen Politik, hier Impulse zu geben. Niemand wird es einem deutschen Politiker verargen können, wenn er in der Frage der deutschen Wiedervereinigung drängt. Ja, ich würde sogar sagen, unsere Politik würde an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn wir das nicht täten. Es gibt kein Volk, das in einer so wichtigen Frage nicht diesem Problem eine Bedeutung ersten Ranges zumessen würde.
Wie können wir die Schwierigkeit überwinden? Nun, meine Damen und Herren, ganz gewiß nicht dadurch, daß wir das Problem der deutschen Wiedervereinigung in unseren Manifestationen nach draußen emotionalisieren. Der Löwe, der einmal aufbrüllen werde, wie es einer unserer Kollegen gesagt hat, ist kein günstiges Bild, um draußen in der westlichen Welt Sympathie und guten Willen für die deutsche Wiedervereinigung zu schaffen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Je stärker wir dieses Problem in unserer Darstellung nach draußen ins Gemüthafte rücken, desto verdächtiger wirken wir. Es ist ja paradox, wenn man etwa daran denkt, daß der Bundeskanzler, dem so viele seiner Gegner vorwerfen, daß er das Problem der deutschen Wiedervereinigung nicht ernst genug nehme, daß gerade er, als er ein einziges Mal in einer sprachlichen Formulierung Anlaß für Kritik nach draußen zu geben schien, als er das von ihm — wir wissen es alle — vollkommen harmlos und im Sinne einer friedlichen Lösung gemeinte Wort von der „Befreiung" gebrauchte, einen Sturm der Entrüstung und der Sorge und des Schreckens entfesselte. Wir, die wir damals im Europarat waren, haben es ja alle ge-


(Kiesinger)

meinsam erlebt. Deswegen muß die Methode so sein, daß wir zusammen mit dem Westen unter Annäherung unserer gegenseitigen Bedürfnisse und Standpunkte, unserer Interessen, das Problem vorwärtsschieben.
Aber ich glaube, Herr Kollege Ollenhauer, es liegt auch durchaus im wohlverstandenen Eigeninteresse der westlichen Welt, daß sie sich um dieses Problem kümmert, daß sie es ernst nimmt. Ich stimme Ihren Worten, die Sie in diesem Saale einmal gesagt haben — ich glaube, es war hier —, durchaus zu. Sie sagten damals:
Der Versuch, das normale Nebeneinanderleben von Völkern verschiedener Systeme und Ordnungen zu ermöglichen mit der offenen Wunde der Spaltung eines großen Volkes im Herzen Europas, kann nur mit einem Mißerfolg enden.
Aber eben weil dies so ist, weil ja auch die übrige Welt einsehen muß, daß es keine Lösung, keine Entspannung, keinen dauernden Frieden gibt, ohne daß dieses deutsche Problem gelöst ist, daß dies schwerste Rückwirkungen auch für die eigene Situation haben müßte, sehen wir in dieser Tatsache eine Bürgschaft dafür, daß nicht die paar Publizisten, die sich gelegentlich zu dem Problem äußern, die Politik des Westens zur Frage der deutschen Wiedervereinigung in Zukunft bestimmen werden, sondern jene verantwortungsbewußten Politiker, die die feierlichen Versicherungen der ganzen atlantischen Gemeinschaft erwirkt haben, uns in der Frage der friedlichen deutschen Wiedervereinigung zu unterstützen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich darf vielleicht noch einen anderen kleinen Gedanken hinzufügen. Ich glaube, daß es auch das wohlverstandene Eigeninteresse der westlichen Welt verbietet, viele Jahre lang zuzusehen, daß sich jenseits der Elbe in den alten preußischen Stammlanden, wenn die dortige junge Generation völlig im Geiste des Bolschewismus erzogen wäre, eine Art von Synthese zwischen preußischer Substanz und bolschewistischer Ideologie vollzöge. Ich glaube nicht, daß das eine behagliche Vorstellung für irgend jemand auf der Welt wäre. Infolgedessen glaube ich, daß, wenn der Westen und wir unsere Interessen zusammenwerfen, wenn wir uns wieder annähern, wenn wir im Zusammenleben mit dem Westen sein Vertrauen weiter stärken, daß dann auch eine Lösungsmöglichkeit für das Problem der Wiedervereinigung gefunden wird, zunächst insoweit, als die Geneigtheit, der Wille des Westens, das Problem, wenn es sich überhaupt lösen läßt, mit uns zusammen zu lösen, ständig verstärkt wird.
Nun die Haltung der Sowjetunion in diesem Zusammenhang. Wir können, wenn die Sowjetunion mit irgendeiner Verlautbarung mit Zielrichtung auf das Problem der deutschen Wiedervereinigung hervortritt, gar nicht anders als uns fragen: Was hat die Sowjetunion damit vor? Herr Kollege Schmid hat heute früh gesagt, man könne nicht raten, man müsse sich mit ihr an einen Tisch setzen. Ich versuchte darzutun, daß man sich jetzt nicht mit ihr an einen Tisch setzen kann, weil das bedeuten würde, daß man ihr den Willen tut, das sich bildende und schließende System der westlichen Sicherheit aufzuschieben, ja vielleicht aufzugeben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir raten nicht, aber — wir haben ja viele Äußerungen der Sowjetunion — wir analysieren. Das ist die Aufgabe der Politik immer gewesen

(Zuruf von der SPD)

— natürlich, es ist immer ein Versuch, von uns allen —, und diese Analyse muß von zwei Thesen ausgehen. Die eine These kann lauten: Die Sowjetunion ist unter keinen Umständen bereit, sich von ihrer strategischen Position an der Elbe zurückzuziehen. Sie kann es auch nicht wagen, diese Position aufzugeben und den ersten Satellitenstaat in die Freiheit zu entlassen, weil dies eine Kettenreaktion in den Raum der Satelliten hinein zur Folge hätte, die sie nicht wagen kann.
Daß diese These leider Gottes sehr viel für sich hat, wird niemand bestreiten. Wenn sie richtig ist, dann kann an der Richtigkeit unserer Politik, die den möglichst raschen und vollkommenen Zusammenschluß der westlichen Welt zur Verteidigung der Freiheit und die Sicherheit fordert, kein Zweifel sein.
Aber man kann seine Politik nicht auf einer These nur — und zwar einer so gefährlichen, einer so tragischen These — aufbauen. Es mag sein, daß die Sowjetunion unter gewissen Umständen bereit ist, für einen gewissen Preis die von ihr besetzte Zone aufzugeben. Ist nun jetzt ein Zustand erreicht, bei dem wir annehmen dürften, daß es der Sowjetunion damit wirklich Ernst ist, den Osten in die Freiheit zu entlassen, ein freies Gesamtdeutschland zu garantieren und nicht ein solches, von dem sie glaubt, daß sie es auf ähnliche Weise, wie es etwa mit der Tschechoslowakei geschehen ist, in ihren Machtbereich eingliedern könnte? Wir wollen das Schicksal der Herren Benesch und Masaryk nicht erleiden!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Abgesehen davon, daß es eigentümlich ist — es bedürfte einmal einer wissenschaftlichen Arbeit darüber —, daß Äußerungen der Sowjetunion wie überhaupt aller totalitärer Staaten von einer seltsamen Offenheit, ja, manchmal von einer brutalen Offenheit sind, die vergeblich die wirklichen Ziele und Zwecke zu verdecken suchen, wenn der Versuch überhaupt erst gemacht wird, heißt es in den letzten Äußerungen immer wieder etwa, es gelte „die Vereinigung Westdeutschlands mit der friedliebenden Deutschen Demokratischen Republik" herbeizuführen. — Das besagt etwas. Es heißt, das Ziel sei, ganz Deutschland zu einem „friedliebenden demokratischen Staat" zu machen.
Wenn Sie die Terminologie der Sowjetunion kennen — und wir kennen sie ja —, dann wissen Sie auch, daß die Sowjetunion als „friedliebende demokratische Staaten" jedenfalls nicht die Staaten der freien westlichen Welt gelten läßt.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Ein anderes wichtiges Argument aus der Rede des Herrn Molotow! In jener großen Heerschau sprach er von zwölf Staaten, die bereits in das „sozialistische und demokratische Lager" eingezogen seien, und er zählte darunter ausdrücklich die Deutsche Demokratische Republik mit auf.

(Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.) Und dann fügte er hinzu:

Ist es denen, die unvoreingenommen denken
können, nicht etwa klar, ,daß kein einziges


(Kiesinger)

dies er Länder wieder in das System des Kapitalismus wird zurückkehren können?

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Meine Damen und Herren, wir können über solche Formulierungen nicht einfach mit dem Argument hinweggehen, das sei für den Hausgebrauch geschehen. Ich finde, man sollte sie schon ernster nehmen, besonders wenn dann hinzugefügt wird, der Westen wolle sich halt mit diesen „vollendeten Tatsachen" nicht abfinden.
Frankreich und Deutschland sind im Verlauf der Angebote der Sowjetunion in den letzten Monaten immer auf verschiedene Weise angesprochen worden. Hat man Frankreich angesprochen, weil dort gerade die Situation geeignet war, so hieß es: Schreck des deutschen Militarismus, der deutschen Wiederaufrüstung; man könne versuchen, allenfalls deutsche Polizeikräfte zuzulassen und diese zu beschränken. Spricht man Deutschland an, so appelliert man an das deutsche Nationalgefühl, verspricht dem vereinigten Deutschland die Stellung einer Großmacht und eine starke nationale Armee. Meine Damen und Herren, ist das glaubwürdig? Nun gut, sagen Sie uns, der Zweifel mag berechtigt sein; dann ist es eben zu erproben. Wenn wir es nicht erprobten, gingen wir ein zu großes Risiko ein: das Risiko, das darin liege, daß die Sowjetunion — nach ihren eigenen Erklärungen — nach der Ratifizierung der Verträge nicht mehr verhandeln werde. Auch das ist ein Argument, das man ernsthaft prüfen muß.
Ich darf zunächst darauf hinweisen — und ich muß es tun —, daß Herr Molotow in seiner letzten Rede an verschiedenen Stellen — ich habe mindestens drei gefunden — sehr sorgfältig zwischen zwei Tatbeständen unterscheidet: zwischen der Ratifizierung der Verträge und ihrer Verwirklichung. Er unterscheidet sogar in den Folgen, indem er einmal sagt, die Ratifizierung der Verträge werde ein Haupthindernis für die deutsche Wiedervereinigung sein, aber die Umbildung Westdeutschlands zu einem militaristischen Staat werde die Wiedervereinigung unmöglich machen. Das heißt schlicht festgestellt, daß jedenfalls der verantwortliche Leiter der sowjetrussischen Außenpolitik die Spanne zwischen Ratifizierung der Verträge und Verwirklichung der Verträge als einen sehr interessanten Zeitabschnitt auch für Verhandlungen ansieht.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Dies vorausgeschickt, möchte ich sagen: Wir haben genug Äußerungen von sowjetrussischer Seite gehört, und da wir über ihre Strategie und Taktik Bescheid wissen, sollten wir auch diese Äußerungen richtig interpretieren. Nach unserer Auffassung wird Sowjetrußland verhandeln, wenn sein Interesse ihm dies gebietet,

(Sehr richtig! in der Mitte)

wann immer dieser Zeitpunkt eintritt, und das heißt: wenn Lösungsmöglichkeiten auftauchen, die für Sowjetrußland vorteilhafter erscheinen als der Besitz der von ihm besetzten Zone.
Nun, meine Damen und Herren, ist wirklich mit Händen zu greifen, daß es nicht nur die Alternative gibt, die vor allen Dingen die Sozialdemokratische Partei, besonders in den letzten Wochen und Monaten, immer wieder verkündet hat, die Alternative nämlich: entweder deutscher Verteidigungsbeitrag
oder Wiedervereinigung. Die Möglichkeiten, die sich anbahnen können, liegen nicht in unserer Hand. Es ist vor allen Dingen die westliche Welt, die sich mit Sowjetrußland auseinandersetzen muß. Wir können nur unseren bescheidenen Beitrag dazu leisten. Sie liegen in einer Linie, die über eine allgemeine Entspannung geht, eine Entspannung allerdings, wie wir sie verstehen. Auch hier ist sehr charakteristisch

(Zuruf des Abg. Wehner)

— jawohl, ich sage es Ihnen, Herr Wehner — eine Äußerung Herrn Molotows in seiner jüngsten Rede; Sie haben sie wohl auch gelesen. Als er über die Genfer Konferenz sprach, sagte er, die Genfer Konferenz habe zu einer Stärkung dessen geführt, was er das Friedenslager nennt, also der Länder des „sozialistischen und demokratischen" Bereiches. Deswegen, weil die Genfer Konferenz zu einer Stärkung dieses Friedenslagers geführt habe, habe sie zu einer Entspannung beigetragen. Meine Damen und Herren, eine Entspannung, die so gesehen wird, daß eine Kräfteverschiebung vom Westen nach dem Osten stattfindet, ist keine echte internationale Entspannung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich darf auf einen gewiß unverdächtigen Zeugen hinweisen. Herr Rauschning hat in seinem Schriftchen, das er über das Problem der deutschen Wiedervereinigung geschrieben hat, darauf hingewiesen, daß eine Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands in einem bündnislosen Status, also unter Heraushaltung Gesamtdeutschlands aus einer westlichen oder östlichen Militärkombination, eine außerordentlich starke Kräfteverschiebung vom Westen nach dem Osten bedeuten würde und daß, um eine wirkliche Entspannung herbeizuführen, der bündnislose Raum nicht nur über die Oder-Neiße-Grenze hinaus ausgedehnt werden müsse, sondern sogar bis jenseits der Weichsel. Das zeigt, daß das Problem der Entspannung eben mit verschiedenen Augen betrachtet werden kann.
Aber nun gut: im Falle einer wirklichen Entspannung, der Herstellung eines Gleichgewichts, einer Bereinigung der wichtigsten globalen Streitfragen im Wege der unbedingt anzustrebenden Abrüstung — ich wiederhole es — und der Ausarbeitung eines allgemeinen, auch die Sowjetunion umfassenden kollektiven Sicherheitssystems bieten sich andere Lösungsmöglichkeiten an als die, die Sie in Ihrer vereinfachenden und daher falschen Alternative, meine Damen und Herren von der Opposition, immer wieder verkünden. Und das, Herr Erler, war auch der Grund, weswegen ich Ihnen damals geantwortet habe: Die Antwort auf Ihre Frage gebe ich der konkreten geschichtlichen Situation! Wir sollten die Geschichte nicht in einer abstrakten Weise antizipieren wollen, die der geschichtlichen Wirklichkeit, die uns ja immer wieder überrascht, nie gerecht werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Mellies: Das müssen ausgerechnet Sie sagen!)

Es wird also verhandelt werden, meine Damen und Herren, und ich freue mich, in diesem Punkt einmal Herrn Molotow zustimmen zu können. Er sagte in seiner letzten Rede:
Dieses Problem
— das Problem der deutschen Wiedervereinigung nämlich —


(Kiesinger)

wird so lange auf der Tagesordnung bleiben, bis es entsprechend den Interessen des Friedens in Europa und zugleich unter gebührender Berücksichtigung der Interessen der nationalen Wiedergeburt des einigen, demokratischen Deutschland gelöst wird.

(Abg. Dr. von Brentano: Bravo!)

Wenn wir uns, meine Damen und Herren, doch hier einmal mit dem Osten terminologisch verständigen könnten, es könnte nichts Schöneres geben, als in diesem Punkte miteinander einig zu sein.

(Abg. Mellies: Sie sagen immer: Wie ich es auffasse!)

— Nun, natürlich, was soll ich denn sagen, verehrter Herr Mellies? Es ist doch nun einmal so, daß die Sowjets jedes Wort, das sie in den Mund nehmen, anders gebrauchen als wir normalen Sterblichen.

(Abg. Mellies: Aber denken Sie mal daran, wie verhängnisvoll das schon einmal für einen deutschen Politiker geworden ist!)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich verweise noch einmal auf die große Heerschau des siegesstolzen Vertreters der sowjetrussischen Außenpolitik, die er in seiner letzten Rede gehalten hat. Aber ich kann nicht umhin, auch in diesem Zusammenhang noch einmal auf einen weiteren und beängstigenden Zustand hinzuweisen. Diese vielen Hunderte von Millionen Menschen, die er erwähnt hat, werden sich in wenigen Jahrzehnten verdoppelt haben. Ich habe schon einmal darauf hingewiesen, daß die Bevölkerungszunahme der Welt 1 % jährlich ist, daß das also eine Verdoppelung in etwa 70 Jahren bedeutet. Ich muß aber darauf hinweisen, daß diese Zunahme der Bevölkerung leider in Westeuropa nicht mit dem Zuwachs im Bereich jenes Raumes, den der Bolschewismus erobert hat, Schritt hält. Ich will gewiß nicht in Überlegungen einer Bevölkerungsstrategie zurückfallen, die wir in bitterer Erinnerung haben. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, auch Sie können sich dem Ernst dieser Situation sicher nicht entziehen, und — ich weiß nicht — ich habe, wenn ich das sehe und wenn ich dazu bedenke, daß in jenen Räumen neben der gewaltigen Bevölkerungsbewegung die moderne Technik eine in rasendem Tempo sich entwickelnde Industrialisierung schaffen wird, daß das Kräftepotential der Welt sich immer stärker und stärker so entwickeln wird, daß jene Räume für uns, insbesondere in Westeuropa, lebensbedrohlich werden können —

(Abg. Blachstein: Geopolitik!)

— ja natürlich, verehrter Herr, Geopolitik wird überall getrieben, sogar in Sowjetrußland —, wenn das alles so ist, wenn wir an diesen Tatsachen nicht vorbeigehen können, wollen Sie dann in den Tag hineinleben, wollen Sie solche Blicke in die nächsten Jahrzehnte hinein nicht tun? Wir würden ja eine selbstmörderische Politik betreiben, wenn wir so handelten!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Unter dem Eindruck dieser beängstigenden Tatsachen will es mir immer so scheinen, meine Damen und Herren, als würden unsere ganzen innerdeutschen und europäischen Streitigkeiten und Bedenklichkeiten und Zerwürfnisse fast ins Bedeutungslose zusammenschrumpfen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Ich will aber nicht schließen, ohne ein ganz aufrichtiges Wort des Friedens zu sagen. Wir sind in einer schwachen Position, und es könnte vielleicht arrogant erscheinen, wenn wir so reden. Aber wir müssen es ja tun, weil uns immer wieder der Vorwurf gemacht wird, wir gesellten uns zu einem Kriegslager, ja, wir drängten uns dazu, der Vortrupp eines Kriegslagers zu werden. Nichts, aber auch gar nichts berechtigt zu dieser Annahme. Wir, und zwar der große Teil dieses Volkes, haben nach der zweiten Katastrophe entschlossen einer Politik der nationalstaatlichen Anarchie adieu gesagt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir waren bereit, mit unseren freien Nachbarn zusammen ein Europa zu bauen, in dem alles Unselige einer nationalstaatlichen Vergangenheit ausgetilgt wäre, ein Europa, das auch unseren Nachbarn die Sorge vor einer Wiedererstarkung gewisser Tratitionen beschwichtigte. Wir werden gut daran tun, den Gedanken an dieses europäische Werk trotz aller Wechselfälle der Geschichte der letzten Jahre nicht aufzugeben, sondern in jedem Rückschlag um so energischer und um so zäher darauf zu beharren.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Lösung liegt gewiß nicht bei einer deutschen Wiederbewaffnung oder einer nationalen deutschen Armee. Wir haben es anders gewollt. Wenn uns die Entwicklung dazu zwang, einer abweichenden oder — wir hoffen es — vorläufig abweichenden Entwicklung zuzustimmen, dann nur deswegen, weil wir sahen, daß die Lösung des Problems der europäischen Sicherheit keinen Aufschub erleiden konnte.
Aber dieses Europa, meine Damen und Herren, wird ein Friedensfaktor nicht nur unter den europäischen Völkern sein. Wer wagte, folgender Behauptung zu widersprechen? Europa — Großbritannien, Frankreich und die übrigen europäischen Länder — kann als Ziel wirklich nur den Frieden im Auge haben. Den westeuropäischen Politiker möchte ich sehen, der auch nur im letzten Schlupfwinkel seines Gehirns mit dem Gedanken eines möglichen Krieges spielte, zu dem man seine Hand reichen könnte. Dieses Europa würde, wenn es zu einem Kriege käme, mit Sicherheit ein Kriegsschauplatz werden, der greulicher verheert würde als jedes Gebiet bisher in irgendeinem Krieg. Deswegen kann Europa — das weiß man auch in Moskau ganz genau — nur eine Politik des Friedens nach allen Seiten hin vertreten.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Wir sagen das auch in dieser Stunde Rußland gegenüber. Wir sagen Rußland sogar, daß die Friedensgarantie, die in der Existenz eines vereinigten Europa liegt, doch sehr viel größer ist, als wenn in Europa ein machtpolitisches Vakuum, getrennt in ohnmächtige kleine Staaten, bleibt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Denn wie anders wirkt das Gewicht eines vereinigten Europa, das, wenn wirklich in der Stunde der
Krise die Waage zwischen Krieg und Frieden


(Kiesinger)

schwanken sollte, sein ganzes, sein volles Gewicht in die Waagschale des Friedens werfen kann! Diese Einheit, diesen Frieden suchen wir. Sowjetrußland muß nur eines wissen: Wir suchen diesen Frieden, von ihm hängt unser und unser Kinder Existenz ab. Aber wir werden nie und nimmer auf ein anderes hohes Gut verzichten: das ist unsere Freiheit!

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn es im Laufe der Entwicklung der nächsten Jahre gelingen sollte, jene wirkliche Entspannung der Weltlage herbeizuführen, die die Abrüstung ermöglicht, welche wir alle erhoffen und erstreben müssen, damit nicht noch einmal das Unheil eines großen Krieges über die Menschheit kommt, dann, meine Damen und Herren, werden wir die ersten sein, die mit Freude darauf verzichten werden, daß junge deutsche Menschen in Waffen stehen. Jawohl: wenn die Zeit käme, da wir diese Menschen wieder in die friedliche Produktion zurückrufen könnten,

(Unruhe bei der SPD — Zuruf von der SPD: Der Appetit kommt beim Essen!)

dann, meine Damen und Herren, würden Sie uns als die ersten finden, die dazu bereit sind.

(Anhaltender, lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206901100
Meine Damen und Herren, ich bin gebeten worden, die Mittagspause etwas früher eintreten zu lassen. Ich folge dem Wunsch und unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung: 12 Uhr 36 Minuten.)

Die Sitzung wird um 15 Uhr durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid wieder eröffnet.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0206901200
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0206901300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den Auseinandersetzungen um diese Verträge geht es, jedenfalls soweit es die Sozialdemokratie betrifft, nicht um die Frage, ob wir zur Verteidigung unseres Volkes und Landes bereit sind oder nicht, sondern es geht um die Frage, ob der militärischen Blockbildung die Existenzfrage unseres Volkes, nämlich seine Wiedervereinigung, untergeordnet werden soll.
Was die Verteidigung des Volkes und Landes betrifft, so hat die Sozialdemokratie über Verteidigung, Schutz und Sicherheit sehr verpflichtende Auffassungen; und gerade diese sind es, die uns bewegen — und viele mit uns —, wenn wir uns in den Verträgen der Tatsache gegenübersehen, daß die Lösung, die uns mit diesen Verträgen vorgelegt wird, nämlich die Einbeziehung des militärischen Beitrags der Bundesrepublik in die nordatlantische Militärallianz, zur Folge haben würde, daß der sowjetisch besetzte Teil unseres Vaterlandes unwiderruflich in einen sowjetischen Militärblock eingeschmolzen würde. Wir wären eine Nation, aber geteilt und zugehörig den zwei einander gegenüberstehenden Blöcken. Wir Deutschen würden damit der seltsamsten und wahrscheinlich auch verhängnisvollsten Form einer Neutralisierung Deutschlands gegenüberstehen, die in der Verschmelzung der Teile in die Blöcke und in einer eigentümlichen Art von Balance bestehen würde.
Unsere Frage, die uns bei der Beratung dieser Verträge nicht losläßt, ist: Dürfen wir diesen Akt mit seinen automatischen Folgewirkungen auf der andern Seite unseres Landes vollziehen, ohne vorher alle Möglichkeiten einer Viermächteregelung zur friedlichen Wiedervereinigung unseres Landes angestrengt und versucht zu haben? Darum geht es uns.
Es scheint uns, daß es unangebracht wäre, hier Bekenntnisse abzulegen, wie sehr man den Sowjets mißtraut oder vertraut. Man sollte sich — ich sage das insbesondere auf den einleitenden Teil der Ausführungen meines verehrten Herrn Vorredners — den Blick für die nationalpolitischen Notwendigkeiten, die ja in unserem Falle auch Notwendigkeiten zur Sicherung und Erhaltung des europäischen Lebens sind, nicht dadurch trüben lassen, daß man sich in fortgesetzten Wiederholungen bolschewistischer Zitate mit kleinen Retuschen gefällt.

(Beifall bei der SPD.)

Ich bin mit Ihnen einverstanden, Herr Kollege Kiesinger, daß es auf eine sehr sorgfältige Analyse dessen ankommt, was uns gegenübersteht. Aber Analyse ist nicht einfach Textauslegung plus Geopolitik, sondern dazu gehört noch etwas mehr: das sicher sehr mühselige - wegen des Schleiers über den Ereignissen drüben — Untersuchen und Verfolgen der tatsächlichen Ereignisse, etwas, wozu sehr viele und am besten wohl auch gemeinsame Anstrengungen notwendig wären.
Und übrigens — auch das muß ich noch zu einer Bemerkung meines Herrn Vorredners sagen — sollte man auch nicht in dieser Debatte sozusagen zu dem Kunstgriff Zuflucht nehmen, den Worten, die in diesem Hause, in dieser Debatte gesprochen werden, durch eine ganz kleine Knetung einen etwas anderen Sinn zu geben. Ich meine das, was Sie mit Ausführungen meines Freundes Professor Schmid hier getan haben. Ich will mich gewiß nicht als Schulmeister aufspielen; aber da wir noch am Beginn dieser Debatte stehen, glaube ich, es ist angebracht, auch das einmal zu sagen.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Meine Damen und Herren! Es gehört zu den Pflichten der Opposition, auch die Kehrseite der von der Regierung für gut befundenen Verträge zu prüfen und zu beleuchten. Das ist nicht immer nur eine angenehme oder, wie manche annehmen, leichte Aufgabe. Aber wir wären eine schlechte Opposition, wenn wir diese unsere Pflicht versäumen würden.

(Beifall bei der SPD.)

Und sehen Sie, wir finden das, was wir bei gewissenhafter Prüfung der Texte festgestellt haben, so besorgniserregend, daß wir uns verpflichtet fühlen, es jedem Deutschen vor Augen zu führen — es ist ja wiederum jedem Deutschen anheimgegeben, zu prüfen, ob wir recht sehen oder wo wir irren —, vor Augen zu führen nämlich, welche Folgen diese Verträge für die Existenz und für die Zukunft unseres Volkes haben müßten, wenn wir nicht nachdrücklich versuchten, zur rechten Zeit das Recht unseres Volkes auf Wiedervereinigung geltend zu machen und Möglichkeiten dafür, soweit das in unseren Kräften steht, ausfindig zu machen beziehungsweise zu fördern.
Man hat es uns verübelt, daß wir mit unseren Sorgen und Mahnungen nicht im stillen Kämmerlein geblieben sind.

(Abg. Kiesinger: Nein!)



(Wehner)

Auch heute ist hier das Wort von der „Straße" gefallen. Sehen Sie, was Sie mit diesem Begriff von der „Straße" meinen — ich will mich darauf gar nicht einlassen —, das wollen Sie sehr gern haben, wenn es um die Ausführung dessen geht, was Sie beschließen;

(lebhafte Zustimmung bei der SPD)

aber Sie möchten nicht, daß sie mitreden darf.
Aber selbst wenn wir in dieser Beziehung sehr verschiedene Meinungen über Demokratie haben sollten — ich habe eben in der Pause einen Brief eines Wählers Ihrer Partei gelesen, der einem Ihrer Kollegen in diesem Hause geschrieben hat, welche Besorgnisse er hinsichtlich dieser Ihrer Auslegungen von der Demokratie hat; ich will es Ihnen ersparen, Sie werden ja diesen Brief vielleicht sehen —, sollte dann nicht wenigstens — das möchte ich zu bedenken geben — gesehen werden, daß wir mit dem, was wir ehrlich versucht haben, auch erreicht haben, daß ein Mißverständnis in der Welt um uns herum erschüttert worden ist,

(Sehr gut! und Beifall bei der SPD)

nämlich das Mißverständnis, als könnten und würden sich die Deutschen in der Bundesrepublik mit der Spaltung Deutschlands abfinden?

(Beifall bei der SPD.)

Selbst wenn Ihnen, meine Damen und Herren, nur ein Bruchteil der Veröffentlichungen bekanntgeworden sein sollte, in denen uns Deutschen in diesen letzten Wochen und Monaten die angebliche Unvermeidlichkeit einer längeren Fortdauer der Spaltung unseres Landes beizubringen versucht wird, selbst dann müßten Sie doch von der Ernsthaftigkeit unserer Befürchtungen Kenntnis nehmen und sie vielleicht sogar respektieren. Es sollte sogar, abgesehen von allen sehr scharfen und keineswegs zu verwischenden Meinungsverschiedenheiten, möglich sein, zuzugeben, daß die Opposition entscheidend dazu beigetragen hat, ein wesentliches Anliegen nationalpolitischer Art, das zugleich, wie ich vorhin schon sagte, ein Anliegen des europäischen Friedens ist, in breitester Öffentlichkeit des In- und Auslandes durchzusetzen. Erlauben Sie mir zu sagen, daß wir uns dazu auch durch die uns immer noch erschütternde Mahnung der Menschen des 17. Juni 1953 in der sowjetisch besetzten Zone verpflichtet fühlen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Es wurde heute morgen davon gesprochen, daß, je weiter östlich die Menschen in unserem Lande lebten, sie um so mehr Verständnis für die Politik der Bundesregierung und diese Verträge hätten. Da ist übrigens, um das ganz sachlich zu sagen, ein interessanter Prozeß des Umdenkens im Gange, der Ihnen wahrscheinlich auch nicht ganz entgehen wird, wenn Sie nicht nur die Hymnen lesen. So schreibt eine Frau, von der wir wissen und auch ich persönlich weiß, wie sehr sie der Politik des Bundeskanzlers zu folgen versucht hat, am Tage, an dem sie gehört hat, was von der Paulskirche aus vernehmbar war:
Wir haben immer noch vier Besatzungsmächte. Wir sind samt und sonders, ob West oder Ost, in Mitleidenschaft gezogen. Dürfen wir zehn Jahre nach Beendigung des Krieges dulden, daß unser primitivstes Recht, das Recht auf Wiedervereinigung, von Prestigekämpfen abhängig gemacht wird?

(Sehr gut! bei der SPD.) Es dünkte uns heute nachmittag wie Sonnenaufgang nach langer Finsternis, als sieben deutsche Männer verschiedener Berufe und Überzeugungen in der Paulskirche endlich auszusprechen wagten, was uns hier auf unserem fast verlorenen Posten als reale Politik anmutet.

Man möge in Bonn zur Kenntnis nehmen, was wir bekräftigend wiederholen möchten: Sollte die Wiederaufrüstung Ereignis werden, so ist die endgültige Teilung unseres Vaterlandes in zwei Hälften unausbleiblich, und mehr noch: die ostzonale Jugend wird mit härteren Methoden in die Kasernen getrieben werden. Unsere Jugend, falls sie sich sträubt, wird unter Umständen jenseits des Ural schießen, marschieren, Drill erleiden müssen. Und gesetzt den Fall, es käme zu keinem Gespräch mit der Sowjetunion, hat man sich wohl schon einmal die Konsequenzen überlegt? Bei uns spricht man ganz offen von Massenevakuierungen der Städte und Dörfer entlang der Zonengrenze. Dem westdeutschen Bürger täte das nicht weh; er genießt ja das Glück, auf der anderen Seite zu leben.
Auf solche Weise würde es dann zu einer „friedlichen Koexistenz" kommen, haargenau so lange, wie es dem Ostblock gefällt, und der europäische Bürger, der die Wiederaufrüstung Westdeutschlands bejaht, um den Krieg zu bannen, um seine Existenz, sein bißchen Wohlstand zu sichern, arbeitet im Grunde für den Bolschewismus.
So kann man es, wenn man unter den Verhältnissen dort lebt, auch sehen, und wir sollten an solchen Auffassungen nicht leicht vorbeigehen. Die brennende Frage, ob durch diese Verträge die Entwicklung zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands gefördert oder ernstlich gehemmt und erschwert wird, läßt uns jedenfalls nicht zur Ruhe kommen.
Wir haben seinerzeit bei den Auseinandersetzungen um die Verträge von Bonn und Paris, als es um die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ging, unsere Sorgen dargelegt. Die Regierung hat in ihren Begründungen zu den neuen Verträgen an mehreren Stellen betont, daß in jener Auseinandersetzung erhobene kritische Einwendungen nunmehr in dem Text berücksichtigt worden seien, daß ihnen Rechnung getragen worden sei. Manche Bestimmungen der alten Verträge, die die Regierung früher eifrig verteidigte und für deren Verteidigung sie harte Worte gegen uns fand, sind jetzt nachträglich für so mangelhaft erklärt worden, daß man leichten Herzens auf sie verzichtet hat und daß man das begrüßt. Ich will nicht daran mäkeln, aber das ist ein Grund mehr für uns, weiter zu drängen,

(Sehr gut! bei der SPD)

weiter dafür Sorge zu tragen, daß es zur Überwindung auch solcher Stellen und Bestandteile der Verträge kommt, die uns in unseren Existenzfragen solche Sorgen machen.
Ich komme zu den Berichten, die heute hier vorgetragen worden sind. Ich möchte die Gelegenheit benutzen, den Herren Berichterstattern aufrichtig dafür zu danken, daß sie in den Schriftlichen Berichten — das gilt auch für die mitberichtenden Ausschüsse — den Versuch gemacht haben, die in i den Beratungen in Erscheinung getretenen Mei-


(Wehner)

nungsverschiedenheiten und gegensätzlichen Ansichten zu vermerken. Nun möchte ich mich den Meinungsverschiedenheiten, die in diesen Berichten zum Ausdruck kommen, zuwenden.
Ich finde, daß es während dieser Beratungen und auch beim Abschluß dieses Kapitels zwischen einem Teil und einem anderen Teil des Hauses in den Ausschüssen ei en wesentlichen Unterschied in der Art, das Problem zu untersuchen, gegeben hat. Die Mehrheit ist doch in der Regel davon ausgegangen, daß es darauf ankomme, sozusagen Artikel für Artikel und Paragraph für Paragraph in Vergleich zu den Verträgen von 1952 zu stellen und zu prüfen, welche Vorzüge jetzige Lösungen und Fassungen gegenüber früheren haben; abgesehen von dem Schmerz, den ein kleiner Teil beim Registrieren des Verlustes früherer Vorstellungen über eine europäische Integration, wenn auch auf sehr begrenztem Raum, nach supranationalem Modell nicht hat verwinden können. Von der Mehrheit ist dabei herausgestellt worden, daß in den Vorbehaltsrechten, die die Besatzungsmächte, auch wenn sie dann rechtlich nicht mehr so genannt werden, behalten, jetzt ihre Verantwortlichkeit und nicht nur ihr Recht hervorgehoben wird. Weiter ist betont worden, daß es in bezug auf den Vertrag, der unter dem Titel „Vertrag über die Beziehungen der Bundesrepublik zu den Drei Mächten" läuft, jetzt gewisse leichtere, breitere Möglichkeiten zur Anmeldung einer Revision gibt. Es ist sogar der Vorzug des Wegfalls jenes bei den alten Verträgen so heftig umstritten gewesenen Art. 7 Abs. 3 entdeckt worden. Schließlich hat man auch gefunden, daß eine elastische oder weiche Auslegung des Art. 7 Abs. 2, in dem es heißt, daß es ein gemeinsames Ziel der Unterzeichner dieses Vertrages sei, ein wiedervereinigtes Deutschland zu erstreben, das eine Verfassung ähnlich der der Bundesrepublik habe und in die europäische Gemeinschaft integriert sei, als ein Vorzug zu verstehen ist.
Wenn es — das möchte ich offen sagen — nur um diesen Vertrag ginge, dann wären die Gegensätze keineswegs so scharf, wie sie werden mußten, weil es sich um eine Gesamtheit von Verträgen handelt; denn — und hier komme ich zu unserer Seite — die Opposition sieht den Schwerpunkt des Vertragswerks als eines Ganzen in der Eingliederung des militärischen Beitrags der Bundesrepublik in die Nordatlantikpakt-Organisation und in die Westeuropäische Union mit ihren automatischen Bündnisverpflichtungen.
Die Bestimmungen des Nordatlantikpakts, denen wir uns mit dem Akt der Zustimmung zu diesen Verträgen unterordnen, sind, das hebe ich zu Beginn hervor, ohne Rücksicht auf unsere Sonderlage als eines gespaltenen Landes gefaßt; denn keine von den anderen Mächten, die in der Organisation des Nordatlantikpakts vereinigt sind, ist in einer so unglücklichen, schwierigen und komplizierten Lage wie wir. Dazu kommt, daß die Beistandspflicht der Nordatlantikpakt-Organisation mit ihrer Verschärfung durch die automatische Beistandspflicht der Westeuropäischen Union die Gefahr der Einbeziehung der Bundesrepublik oder der von ihr zu stellenden Streitkräfte in Konflikte an anderen Stellen mit sich bringt und dadurch unsere durch die Spaltung bedingte komplizierte Lage noch verschlimmert.
Ich möchte auch nicht verfehlen, auf das Eigengewicht und die Eigengesetzlichkeit der technischen und militärischen Integrationsbestimmungen im
Nordatlantikpakt hinzuweisen. Sie sind im Zusammenhang mit der Unterzeichnung dieser Verträge noch intensiver gestaltet worden, wie jeder, der an den Beratungen teilgenommen hat, aus jener umfangreichen Resolution, die noch an anderer Stelle unserer Beratung Gegenstand der Diskussion sein wird, hat feststellen können. Auch diese Momente müssen wir wieder im Zusamenhang mit dem Anliegen der Verwirklichung der Wiedervereinigung, das ja ein gemeinsames Anliegen ist, sehen und prüfen und wägen. Es ist richtig, daß die Mitgliedstaaten des Nordatlantikpakts jenen Satz aus der Londoner Erklärung übernommen haben, daß die Verwirklichung eines völlig freien und geeinten Deutschlands durch friedliche Mittel ein grundlegendes Ziel ihrer Politik bleiben wird. Das ist zweifellos zu begrüßen, denn je mehr Völker und Staaten sich auch für dieses unser Anliegen erwärmen, um so besser für dieses Anliegen! Aber — wir können an diesem Aber nicht vorbei — in den Verträgen selbst, für die 'diese Mitgliedstaaten des Nordatlantikpakts verantwortlich sind, in deren Reihen wir mit dieser Ratifikation eintreten sollen, findet dieses Streben nach der Verwirklichung eines völlig freien und geeinten Deutschlands als grundlegendes Ziel auch ihrer Politik nach unserer Ansicht keinen Niederschlag. Denn es gibt keinen Punkt, von dem man sagen könnte: hier ist dieser Gespaltenheit Deutschlands Rechnung getragen worden, und hier ist ein Ansatzpunkt zu einer Brücke, über die man gehen könnte, wenn es einmal, falls es heute noch nicht möglich ist, zu Verständigungen zwischen West und Ost kommen sollte. In dieser Beziehung schweigen die Verträge und finden wir leider auch keine Verpflichtung, die dem Bekenntnis entspräche.
Leider ist das auch nicht hinsichtlich des Art. 7 Abs. 2, den ich vorhin in anderem Zusammenhang zitierte und in dem etwas über die gemeinsame Politik in der Richtung „Wiedervereinigung" und „Integration in die europäische Gemeinschaft" gesagt wird, der Fall, soweit es die drei Mitunterzeichner dieser Verträge betrifft, die ja dazu noch im Besitze ganz gewichtiger Vorbehaltsrechte sind und bleiben. Von den Vorbehaltsrechten ist hier mit Recht gesagt worden, daß sie eine notwendige und positiv zu wertende Seite haben, nämlich die, daß, solange das möglich und denkbar ist, die Möglichkeiten, die sich aus den Viermächteabmachungen des Jahres 1945 ergeben, genutzt werden sollen. Sie dürfen nicht aufs Spiel gesetzt werden. Aber diese Vorbehaltsrechte haben wie die meisten Dinge auch ihre Kehrseite, nämlich die, daß die drei — und es sind in diesem Fall immer drei — in allen Phasen im Spiel bleiben werden und bleiben müssen und daß es sicher — da gibt es jetzt Gründe zu manchen Befürchtungen — nicht einfach ist, sie von der Dringlichkeit unseres Anliegens des Eingehens auf vielleicht von der anderen Seite sich ergebende Vorschläge zu überzeugen, wenn sie andere sehr 'gewichtige Gründe dagegen ins Feld führen möchten. Schon jetzt ist es doch so, daß uns die Vorbehaltsrechte, auch wenn sie noch nicht in dieser vertraglichen Form wirksam sind, zu schaffen machen. Denn wir sind doch offensichtlich jetzt sogar gebunden, von uns aus—soweit es die Regierung betrifft — zu sagen, es sei jetzt nicht möglich, Viermächteverhandlungen einzuleiten oder durchzuführen, wenn man nicht annehmen soll, das entspräche und entspränge dem freien Entschluß unserer Bundesregierung oder des Herrn


(Wehner)

Bundeskanzlers, daß sie es auch von sich aus so sagen.
Wir haben zudem keine Gewißheit, daß jener Art. 7 Abs. 2 in der Praxis so elastisch und so weich angewandt werden und gemeint sein wird, wie es angeführt warden ist. Wir haben vielmehr die Besorgnis, daß man sich entsprechend den Erfahrungen, die man 1953/54 in der letzten Phase der Vorbereitungen der vorjährigen Viermächte-Außenministerkonferenz hat machen müssen, sehr eng gezeigt und verhalten hat hinsichtlich des Verhandlungsrahmens, hinsichtlich der für möglich gehaltenen Bewegungen. Der Rahmen war so eng, daß man ,damals nicht einmal Raum ließ und Raum für möglich hielt für eine Wiedervereinigung, bei der notwendigerweise ein Zwischenstadium zwischen Wiedervereinigung und Friedensvertrag in Kauf genommen werden muß, in dem alle vier und wir als fünfte im Spiele wären. Selbst das war damals nicht möglich, sondern man wollte eine Lösung des sofortigen Wiedervereinigens und Eingliederns in die damalige Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Die Revisionsbestimmungen im Vertrag über die Beziehungen der Bundesrepublik zu den Drei Mächten, die zweifellos ein wenig gelockert und erweitert warden sind, sind ja hinsichtlich dessen, was durch sie ausgelöst werden kann, keineswegs zwingend. Denn sie verpflichten nur zur Überprüfung der gegenwärtigen Verträge, und, was schlimmer ist, wir halten sie nach wie vor — denn wir haben keine anderen uns überzeugenden Auskünfte bekommen können — für wirkungslos hinsichtlich unserer Zugehörigkeit zum Nordatlantikpakt und zur Westeuropäischen Union, für die es etwas Entsprechendes nicht gibt.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen machen zu den Versicherungen, mit denen geltend gemacht wird, daß eine gesamtdeutsche Regierung, also die Regierung eines wiedervereinigten Deutschlands nicht an diese Verträge gebunden sein würde. Nun, solche Versicherungen — darüber müßten wir doch wohl einig sein — wiederholen in Wirklichkeit nichts anderes als eine sozusagen völkerrechtliche Selbstverständlichkeit. Denn man kann eine Regierung, die noch gar nicht da ist, nicht durch Verträge im vorhinein binden. Andererseits ist wieder unsere Sorge, daß die Bindungen der Bundesrepublik so stark sind, daß sie nicht Raum lassen werden für eine initiativreiche Wiedervereinigungspolitik, für eine Politik also, die zur Wiedervereinigung führt, es sei denn zu einer bloß vorgestellten, wie wir meinen, einer unwirklichen Vorstellung entspringenden Auffassung von der Wiedervereinigung, durch die das ganze Deutschland in eine Allianz der einen Seite einbezogen würde.
Das sind eine Reihe schwerwiegender Fragen, die auch in diesem Stadium der Beratung der Verträge bleiben.
Ich möchte gerade, anknüpfend an das, was ich eben über den problematischen Wert der Versicherungen über die Nichtbindung einer gesamtdeutschen Regierung durch die jetzigen Verträge gesagt habe, erinnern an eine offenbar von der Regierung für sehr wesentlich gehaltene Äußerung des Herrn Bundeskanzlers — sie scheint so wesentlich, daß sie im August vorigen Jahres noch einmal in einem Artikel des presse- und informationsamtlichen Bulletins wiederholt wurde —, eine Äußerung, in der der Bundeskanzlers die
Frage, ob denn die Regierung eines wiedervereinigten Deutschlands gebunden wäre oder nicht, als eine, wie er meinte, akademische Frage bezeichnete. Er sagte:
Die außenpolitische Handlungsfreiheit eines gesamtdeutschen Staates ist staatsrechtlich und völkerrechtlich unbestreitbar. Sie ist aber eine weitgehend akademische Frage. In der praktischen Politik ist die Kraft der Tatsachen entscheidend. Steht die Europa-Armee erst einmal, so wird kein Staat mehr aus ihr austreten, auch kein gesamtdeutscher Staat.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Das ist ja gerade der Sinn der Integration, daß sie Getrenntes fest und praktisch unauflöslich zusammenfügt.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ich sehe aber auch keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß ein gesamtdeutscher Staat jemals den Wunsch haben könnte, von einem theoretischen Recht des Rücktritts Gebrauch zu machen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

So hat er ja in einer Regierungserklärung — und das wurde im Zusammenhang damit noch einmal zur Unterstreichung angeführt — vor einem Jahr, am 25. Februar 1954, ausgeführt:
Man. sollte ... über den akademischen Fragen die Realitäten nicht vergessen. ... Ich glaube, ich kann ... schon jetzt ... sagen: Nicht nur wird jede Regierung der Bundesrepublik Deutschland alles tun, um ganz Deutschland in der im Bonner und Pariser Vertrag gegebenen Form in die Gemeinschaft der freien Völker zu führen, sondern wenn die Stunde der Wiedervereinigung gekommen ist, wird das ganze deutsche Volk diese Entscheidung zu der seinigen machen.
Nun, verehrte Damen und Herren, es geht ja hier bei diesen Auseinandersetzungen um den Ansatz oder, wenn Sie wollen, um die Ansätze zu der Verwirklichung der Einheit Deutschlands. Es mag mehr oder weniger angenehm sein, über Ausblicke zu streiten. Aber das, was mit dieser Unterscheidung zwischen akademischem bzw. theoretischem Recht und der Kraft der Tatsachen hier in den Worten des Herrn Bundeskanzlers gesagt oder gemeint worden ist, ist jedenfalls Grund genug für uns, uns eben in erster Linie mit diesen Tatsachen zu befassen

(Sehr richtig! bei der SPD)

und nicht damit zufrieden zu sein, welche vielleicht extensiven und elastischen Auslegungen den einzelnen Paragraphen durch Sprecher der Regierung oder durch ihre Sachverständigen in der Enge und in der Schärfe der Ausschußberatungen gegeben worden sind.
Wir haben als sozialdemokratische Fraktion in der Zeit seit dem 30. August vergangenen Jahres, in der um diese neuen Verträge, die einen Ersatz für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft bieten sollten, gerungen worden ist, immer wieder versucht, wenigstens die Gleichzeitigkeit oder, wenn Sie so wollen — ein Wort, das in Frankreich eine gewisse Zeit eine Rolle gespielt hat —, die Parallelität der Anstrengungen um die Wieder-


(Wehner)

vereinigungslösung mit den Bemühungen um eine europäische Zusammenarbeit, wie sie sonst gedacht ist, zu erreichen. Wir sind dabei, soweit es darum ging, Ihre Zustimmung dazu zu erlangen, nicht zum Ziel gekommen.
Ich darf Sie daran erinnern, daß wir im Zusammenhang mit der Londoner Schlußakte hier versucht haben, zur rechten Zeit — zur rechten Zeit noch für die Ausarbeitung der Texte auf der damals schon terminlich festgelegten Pariser Konferenz — einige Voraussetzungen für diese Gleichzeitigkeit, für diese Parallelität der Bemühungen um die Wiedervereinigung und das übrige zu schaffen. Wir sind damals abgewiesen worden. Man hat gesagt, das sei erst möglich, wenn die Expertenberatungen abgeschlossen seien; und dann hatten wir es eben mit den Texten, die aus den Expertenberatungen hervorgegangen sind, zu tun. Das waren dann die Pariser Verträge, die unterschrieben wurden.
Damals hat man uns versprochen, man werde die von uns angeregte Kommission aus Personen, die von der Bundesrepublik zu benennen wären, und solchen, die von den westlichen Besatzungsmächten zu stellen wären — eine Kommission, die die Aufgabe haben müßte, alle sich bietenden Gelegenheiten für Wiedervereinigungspolitik aufzuspüren, ihnen nachzugehen und sie so weit wie möglich zu realisieren —, gleich nach Paris bilden. Jetzt haben wir gestern gehört, daß nach einer Auffassung des amerikanischen Hohen Kommissars sie, die uns jetzt so in letzter Minute vor diesen Vertragsberatungen noch einmal als Trost vorgehalten worden waren, auch jetzt noch nicht zustande kommen wird; denn erst müsse ratifiziert sein.
Und so war es, als wir uns dann diesen Pariser Texten und den damit parallel laufenden sowjetischen Erklärungen und Noten gegenüber befanden. Wir haben damals, am 18. November, den ernsthaften Versuch gemacht — noch rechtzeitig, bevor jene unglückliche Note der Westmächte vom 29. November abgeschickt war, in der es abgelehnt wurde, das, was die Sowjets in ihrer Note vom 23. Oktober zugestanden hatten, zu verwirklichen, nämlich einen Zusammentritt zu Viermächteberatungen, um dort über die seinerzeit in Berlin nicht beratenen und nicht akzeptierten Probleme der Wiedervereinigung zu sprechen —, vor einer solchen schlechten und schlimmen Antwort zu warnen und einen besseren Weg zu zeigen. Wir sind auch in diesem Fall abgewiesen worden.
Immer neue aufschiebende Bedingungen werden genannt, so daß man auf unserer Seite jedenfalls den Eindruck haben muß, daß alles andere vor dieser unserer brennendsten Sorge Vorrang hat; ehe es zu spät sein könnte, auszuloten, ob und welche Möglichkeiten zu einer friedlichen Viermächteverständigung in den beiderseitigen Erklärungen, Zugeständnissen und Forderungen drin sind.

(Beifall bei der SPD.)

Man weiß doch, daß eine der vier Besatzungsmächte — die sowjetische — erklärt hat, daß sie nach der Ratifikation Viermächteverhandlungen über die Wiedervereinigung als gegenstandslos ansehe. Nun, wir haben es auch heute wieder gehört, die Sowjets seien Realisten, sie würden sich mit Tatsachen sozusagen abfinden. Warum verläßt man sich so sehr darauf, daß angesichts solcher Tatsachen ausgerechnet die Sowjets Realisten in
unserem Sinn sein würden und sollten? Warum versuchen w i r nicht — wenigstens solange wir noch dabei sein können —, Realisten zu sein

(Beifall bei der SPD)

und uns um unser eigenstes Anliegen zu kümmern? Man sollte es doch nicht für unmöglich halten, daß diesem Anliegen der großen Mehrheit aller Teile des deutschen Volkes mindestens so viel Beachtung geschenkt wird, wie man jetzt Mühe aufwendet — anerkennenswerte Mühe —, um im Fernen Osten die dortigen Konflikte zu schlichten,

(erneuter Beifall bei der SPD)

friedlich beizulegen, zu lokalisieren, zu verhüten, daß es dort zu einem um sich fressenden Brand kommt. Aber wenn wir nicht drängen, wer sollte eigentlich an unserer Stelle, stellvertretend für uns drängen?

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Es wäre nach unserer Ansicht in zweifacher Hinsicht notwendig gewesen, die sowjetischen Erklärungen der letzten Wochen und Monate zu prüfen, sie nicht nur, Herr Kollege Kiesinger, ihren Worten nach zu untersuchen — das ist sicher nicht unwichtig —, sondern ihrem Sachgehalt nach, ihrem Wirklichkeitswert nach, den Möglichkeiten nach zu prüfen, die darin für die Anknüpfung von Verhandlungen liegen könnten. Ich sagte: in zweifacher Hinsicht; einmal, weil wir es mit einer Erklärung zu tun haben, die zwar die Erklärung — wenn Sie so wollen — nur der einen Besatzungsmacht und nicht der drei anderen ist. Aber hier herrscht nicht das Verhältnis von Mehrheit und Minderheit. Man kann diese eine nicht überstimmen; das liegt nun in der Art dieser Besatzungsverhältnisse in unserem gespaltenen Staat. Aber diese Erklärung, daß nach der Ratifikation Viermächteverhandlungen über die Wiedervereinigung für jene Macht gegenstandslos sein würden, liegt uns vor. Wir dürften sie nicht einfach in den Wind schlagen.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Im übrigen, wenn nichts anderes uns zu denken und uns Anlaß geben müßte, wenigstens historisch gesehen, einige Minuten zu verweilen, um uns zu besinnen, dann müßte es der Gedanke daran sein, daß wir es, wenn für die vierte Besatzungsmacht, die sowjetische, die Frage der Herstellung der Einheit Deutschlands in Viermächteverhandlungen auf der Basis, die 1945 in den Abmachungen gegeben war, gegenstandslos wäre, nach ihrem Sprachgebrauch fortgesetzt mit der Sowjetzonenrepublik zu tun haben würden. Dann würde es noch viel schwerer sein als jetzt, zur Wiedervereinigung zu kommen, als eben zu der Zeit, in der es wenigstens theoretisch noch die Viermächtegrundlage gibt. Denn zwischen der Bundesrepublik und Sowjetzonenrepublik wird es und würde es viel größere Schwierigkeiten geben, wenn aus der Zonengrenze eine Staatsgrenze geworden sein wird, was ja auch eine der Folgen dieser Verträge ist. So sehr wir uns mit Recht dagegen wehren, daß jemand behaupten kann, das sei eine Staatsgrenze, faktisch würde sie es sein mit all ihren Schwierigkeiten und Gefahren. Das können Sie nicht wegreden; hier spricht, Herr Gille, die Macht der Tatsachen, um mit dem Herrn Bundeskanzler zu reden, ihre unerbittliche Sprache.

(Beifall bei der SPD.)



(Wehner)

Wenn jemand — und deswegen meinte ich, es sei schon wert, etwas dabei zu verweilen — wirklich entschieden für die Beibehaltung der Spaltung ist, dann sind es doch die Leute an der Spitze der sogenannten SED in Pankow,

(Sehr richtig! bei der SPD)

die, wenn es nach ihnen ginge, es unter keinen Umständen zu einer Wiedervereinigung bringen möchten.

(Abg. Euler: Doch, auf ihre Weise!)

— Soviel Angst, Herr Euler, braucht man nicht mehr zu haben; denn es ist in die Erkenntnis der sowjetischen Politik eingegangen, daß es die SED nicht schafft, nicht nur nicht geschafft hat, sondern nicht schaffen kann, das ganze Deutschland über den Schnabel zu nehmen. Übrigens: dafür sorgte nicht zuletzt die Tatsache, daß eben die breitesten Schichten unserer Bevölkerung, und dazu gehört die Arbeiterbewegung als Kern, weder volksdemokratisch noch sowjetisch sein und regiert sein wollen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Das ist etwas, woran auch die sowjetische Politik nicht vorbei kann und nicht vorbeigeht.
Der zweite Gesichtspunkt, dessentwegen es so wesentlich gewesen wäre und heute noch wäre, diese sowjetischen Erklärungen ihrem Sachgehalt nach und ihren Entwicklungsmöglichkeiten gemäß zu prüfen, ist der, daß es da einige Zugeständnisse gibt, deren Wert unbedingt festgestellt werden muß. Ich habe den Einwand gehört — er wurde uns in den Ausschußauseinandersetzungen gemacht —, vielleicht und wahrscheinlich sei alles das, was uns jetzt an Zugeständnissen in nicht ganz verbindlicher Form dargeboten würde, nichts anderes als der Versuch der sowjetischen Seite, sich ein Alibi zu verschaffen. Und ich muß hier sagen: wenn das so wäre, dann wäre das ein Grund mehr, ein zwingender Grund mehr, ihnen dieses Alibi nicht zu gönnen, nicht zu schenken, nicht zu geben,

(Beifall bei der SPD)

denn dann müßte erst recht alles Denkbare getan werden, damit sie es nicht bekommen und damit klar ist, woran es liegt, wenn wir unter diesen bedauerlichen Umständen noch weiterleben müssen.

(Abg. Kiesinger: Wenn es nur um die Beseitigung des Alibi ginge, Herr Kollege!)

— Es dreht sich nicht nur um die Beseitigung — Sie sind ja nicht im Besitze der Geheimwissenschaft, ob es denen nur auf das Alibi ankommt —, es gibt da noch manche andere Dinge, die dabei zu bedenken sind. Aber feststellen, worum es wirklich geht, kann man eben nur durch das Prüfen, durch das wahrscheinlich sehr mühselige Prüfen: Was ist denn der Preis, was sind denn die Bedingungen, und wie wäre es möglich? Und dann können wir reden, ob es tragbar wäre oder nicht tragbar wäre.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn es tatsächlich so sein sollte, daß es dort nur um den Versuch ginge, sich ein Alibi zu verschaffen? Nun, ganz ausgeschlossen wäre auch das nicht. Denn, meine Damen und Herren, die Sowjetunion kann ja wohl mit der Tatsache eines gespaltenen Deutschland auch leben und muß von sich aus und um der Sache selbst willen nicht besondere Anstrengungen machen, um sie zu überwinden. Das ist schon vor allem unsere schwere Aufgabe.
Man hat gesagt, man soll das alles, was da jetzt zugestanden und geboten wird, nicht tragisch nehmen. Ich war froh, daß auch über den Kreis meiner engeren politischen Freunde hinaus und derer, die sich in der Paulskirche versammelt haben, mancher auch aus Ihren Reihen seinen Sorgen Ausdruck zu geben versucht hat. Einer unserer Kollegen aus der freien demokratischen Fraktion hat dem Herrn Bundeskanzler aus der großen Sorge heraus geschrieben, daß seine Äußerung, die jüngsten Moskauer Noten seien nicht tragisch zu nehmen, zu einer Entwicklung führen könnte, die dann wirklich tragisch wäre.

(Beifall bei der SPD.)

Ich finde, es ist nicht unwichtig, wenn dieser Kollege schrieb. Auch bei größter, von mir geteilter Skepsis bleibt die Verpflichtung vor unserem Volk und vor der Geschichte, diesmal alle Verhandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Er ergänzte das mit dem Satz: Sonst fordern wir vergeblich die Wehrbereitschaft der deutschen Jugend, ohne die eine Wiederbewaffnung undenkbar ist.

(Zustimmung bei der SPD.)

Und ich fand diese Erwägung von ihm bemerkenswert, kein Politiker werde doch überdies behaupten können, daß eine drei- bis sechsmonatige Verschiebung des Beginns der westdeutschen Aufrüstung beim gegenwärtigen Stand der Dinge entscheidend sei.
Ja, es geht darum, diese Erklärungen der vierten Besatzungsmacht, der sowjetischen Regierung, die die schwierigste unter allen vier ist, sorgfältig zu prüfen, aus den zwei Erwägungen heraus, die ich nannte.
Einmal ist im Lichte der Erklärung vom 15. Januar dieses Jahres nun der sowjetische Standpunkt so dargelegt, daß die Wiedervereinigung Deutschlands, beginnend mit freien Wahlen nach einem Wahlgesetz aus Entwürfen beider Seiten und unter internationaler Kontrolle, stattfinden soll. Also müßte man schlußfolgern und prüfen und bindend feststellen lassen: nicht mehr unter der Bedingung einer sogenannten provisorischen gesamtdeutschen Regierung, die, wie in all den Jahren gefordert, vorgeschaltet werden sollte, mit Befugnissen vor der Wahl, die eine Wahl möglicherweise und sehr wahrscheinlicherweise hätten zur Farce, zur volksdemokratischen Farce werden lassen. Das ist ein sehr gewichtiger Punkt. Das ist vielleicht ein bedeutsamer Positionswechsel, den die sowjetische Seite aus Gründen, die wir hier nicht näher zu beleuchten brauchen oder beleuchten können, vollzogen hat oder für richtig hält. Sie hat ja Ähnliches auch bei anderen Gelegenheiten vollzogen.
Zweiter Punkt. Man kann, wenn man die früheren sowjetischen Noten und Verlautbarungen im Lichte dieser Erklärung vom 15. Januar prüft, schlußfolgern und muß sehen, ob sich verbindlich feststellen läßt, daß es eine Nationalversammlung und die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung als nächste Stufe geben soll und daß drittens der Abschluß eines Friedensvertrags mit dieser gesamtdeutschen Regierung folgen müßte. Dafür übrigens, daß ein solcher Friedensvertrag mit einer gesamtdeutschen Regierung verhandelt und von einem gesamtdeutschen Parlament ratifiziert werden müßte, hat sich der sowjetische Außenminister schon in Berlin erklärt.


(Wehner)

Nun werden Einwände gemacht, Einwände von Regierungsseite und Einwände der westlichen Besatzungsmächte, daß z. B. Wahlgesetze und internationale Kontrolle, wie die sowjetische Seite sie jetzt zuzugestehen scheine, nicht ausreichend seien. Aber auf das, was da zum Teil an Übersetzungs
und Wortauslegekünsten praktiziert worden ist, möchte ich hier nicht eingehen. Ich möchte nur sagen: im Dezember 1953 und im Januar 1954 war es doch einmal ausgemachte Sache, daß alles das, was den sozusagen technischen Teil der Vorbereitungen zur damaligen Viermächtekonferenz betrifft, nämlich Verhandlungen über Wahlen, über die Art ihrer Durchführung, über ihre Kontrolle, von der westlichen Seite so geschmeidig wie möglich gefaßt und vertreten werden sollte. Denn man war — ich finde, mit Recht — der Meinung, daß, falls es zu einem Beschluß über die Wiedervereinigung kommt, diese mehr oder weniger technische Seite, so bedeutsam sie bleibt, jedenfalls das andere nicht wieder rückgängig machen und neue Verhandlungsschwierigkeiten auftürmen sollte. Es wäre heute beinahe pikant, genau zu zitieren, wie man damals unter Berufung auf den 17. Juni einerseits und den 6. September andererseits von der Vermeidbarkeit einer sehr präzisen und sehr engmaschigen Kontrolle solcher Wahlen geschrieben und gesprochen hat.
Es sei — der Meinung war man damals — nicht zweckmäßig, ein vollständiges und ausführliches System von Garantien vorzusehen, dessen Ausarbeitung auf einer Viermächtekonferenz nutzloserweise zu beträchtlichen Schwierigkeiten führen würde. Zu weit gespannte Forderungen der westlichen Vertreter auf diesem Gebiet würden im übrigen in der öffentlichen Meinung die Tragweite einer sowjetischen Ablehnung des Verlangens nach freien Wahlen abschwächen. Insbesondere erscheine es nicht wesentlich — so war damals mit Recht die Meinung —, darauf zu bestehen, daß die demokratischen Freiheiten während eines langen Zeitraumes vor dem Wahltag garantiert würden. Die Kontrolle müsse durch Beobachterkommissionen ausgeübt werden, die sich auf das gesamte deutsche Gebiet verteilten und von einem Zentralorgan aus regional und örtlich gestaffelt seien. Die Zusammensetzung, die Zuständigkeiten oder die Befugnisse dieser Organe seien weniger wichtig als ihre bloße Anwesenheit, die der Sowjetzonenbevölkerung den Eindruck eines endgültigen Wechsels der politischen Lage vermitteln werde. Das waren damals die Grundsätze, von denen aus dieser technische Teil betrachtet wurde. Die Aufgabe einer Kontrollorganisation sei die Überwachung, die Feststellung und Berichterstattung, nicht aber ein unmittelbares Eingreifen in die örtliche Verwaltung. Auch das wurde damals für richtig und notwendig gehalten. Die beste Lösung — so meinte man damals — sei, eine Kommission aus Neutralen zu bilden. Aber .man hatte auch drei andere Möglichkeiten, sie nämlich aus Mitgliedern der Vereinten Nationen oder, wenn es nicht anders ging, aus den Vier Mächten selbst oder, was noch denkbar wäre, aus den Vier Mächten und Neutralen, die mitwirken könnten, zu bilden. Das war damals die Meinung.
Zweitens. Man entgegnet heute diesen sowjetischen Zugeständnissen, daß es insgeheim die Absicht der Sowjetregierung sei, wenn sie jetzt auch freie Wahlen zugestehe und sie durchführen lassen wolle, es gar nicht zum Zusammentritt eines gesamtdeutschen Parlaments kommen zu lassen, sondern beide Regierungen weiterbestehen zu lassen Als ich solche Einwände bei diesen Beratunger hörte und auch las, da dachte ich, wie scharfsinnig es doch wohl sei, daß nunmehr auch die sowjetische Seite den damals als sogenannten Kaufmann-Plar auch öffentlich erörterten Plan oder jene Lösungsmöglichkeit, die das Weiterbestehen der Bonnei Bundesregierung unter allen Umständen und entsprechend auch das Weiterbestehen einer Sowjetzonenregierung vorsah, als Grundlage der Verhandlungen ansah. Das Auswärtige Amt war ja wohl damals der Meinung, daß es unmöglich sei, eine gesamtdeutsche Regierung bereits vor der Verkündung der Verfassung mit den außerordentlichen Befugnissen auszustatten, die der Bundestag einmal in einem Gesetz für diesen Fall beschlossen oder niedergelegt hat. Vor allem, so meinte man damals, könne sich das Auswärtige Amt der Auffassung nicht anschließen, daß mit der Schaffung einer solchen wenig fundierten gesamtdeutschen Regierung auch die Bundesregierung in Wegfall kommen solle. Denn nach Ansicht des Auswärtigen Amts ist es von grundlegender Bedeutung, daß die Bundesregierung mit ihrem amtlichen Apparat, ihren internationalen Verpflichtungen und ihrer Autorität ungeschmälert erhalten bleibt, bis eine in ihrer Existenz gesicherte gesamtdeutsche Regierung auf Grund einer neuen Verfassung gebildet ist.

(Abg. Dr. Arndt: Hört! Hört!)

Ich habe damals schon gedacht: Das ist seltsam, in Einheitsverhandlungen sozusagen auf Widerruf hineinzugehen. Aber jetzt wird es noch seltsamer, wenn man meint, in den sowjetischen Zugeständnissen stecke sozusagen das Spiegelbild dieses damals als Kaufmann-Plan in die Welt gelangten Planes von einem Prozeß der Wiedervereinigung.
Und drittens: Ich sagte schon, daß der sowjetische Außenminister sich bereits in Berlin die Stellungnahme des britischen Außenministers auf der Londoner Konferenz zu eigen gemacht hatte, daß die Bemühungen um das Zustandebringen eines Friedensvertrages mit der Regierung eines wiedervereinigten Deutschlands, sobald es ginge, in Angriff genommen werden sollten und auch die Bemühungen um freie Wahlen zur Nationalversammlung und zur Bildung einer solchen gesamtdeutschen Regierung und daß — so hatte er damals zugegeben — das eine nicht auf Kosten des andern vernachlässigt werden dürfe. Dann kam sein Zusatz: Auch er sei der Meinung, daß natürlich ein Friedensvertrag mit einer gesamtdeutschen Regierung auszuhandeln und von einem gesamtdeutschen Parlament zu ratifizieren wäre.
Sehen Sie, meine Schlußfolgerung aus diesen Bemerkungen ist: Dies müßte geprüft werden. Dies müßte man, soweit das geht, verbindlich festzustellen versuchen, d. h. es müßte herausbekommen werden, was nun im Lichte der Erklärungen vom 15. Januar, die die Sowjetregierung gegeben hat, ihr Bild, ihre Vorstellung von der Reihenfolge der Durchführung der Wiedervereinigung ist. Wenn wir das sehen werden, dann haben wir die Gelegenheit, uns dazu zu äußern, so oder so. Wir dürfen dann aber nicht nach der Praxis verfahren, daß wir die eigenen Forderungen des Westens, für die er sich jahrelang eingesetzt hat, die er zum Teil mit minutiöser Präzision ausgearbeitet hat, dann nicht mehr interessant finden, wenn die


(Wehner)

sowjetische Seite sie unter anderen Umständen plötzlich auch interessant findet

(Sehr richtig! bei der SPD)

und anzunehmen geneigt oder bereit zu sein scheint.
Nun lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch zu einem anderen Ereignis etwas sagen. Ich meine den Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 25. Januar, der ja inzwischen von der Tagung des Obersten Sowjets der Sowjetunion bestätigt worden ist, dessen Punkte 1 und 2 den Kriegszustand als beendet bezeichnet, friedliche Beziehungen herzustellen für notwendig befunden und zum Ausdruck gebracht haben, daß alle juridischen Beschränkungen, die sich aus dem Kriegszustand gegenüber deutschen Bürgern ergeben haben, außer Kraft treten. Finden Sie nicht, daß es normal gewesen wäre und heute noch normal sein würde, wenn unsere Regierung darum ersucht hätte und ersuchen würde, in einer Fühlungnahme und in Verhandlungen über diesen Erlaß, der uns ja unter Umständen manches bedeuten kann, die praktischen Konsequenzen aus diesem Erlaß festzustellen? Was wäre denn dabei zu verlieren gewesen, aber was hätte unter Umständen dabei positiv festgestellt werden können?
Und zum dritten Punkt jenes Erlasses, in dem es heißt, daß diese Verkündung der Aufhebung des Kriegszustandes nicht die Rechte und Verpflichtungen der Sowjetunion aus den geltenden internationalen Viermächteabkommen berühre, die Deutschland als Ganzes betreffen: Hätten wir nicht versuchen müssen und müßten wir nicht heute noch versuchen, an Hand dieser Erklärung endlich die sowjetische Definition der sogenannten Vorbehaltsrechte kennenzulernen und genau vor Augen zu bekommen? Denn soweit es sich um die Vorbehaltsrechte entsprechender Art der westlichen Seite handelt, begrüßen wir sie, soweit sie dieses Viermächteverhältnis aufrechterhalten und nicht aufs Spiel setzen wollen. Vielleicht würde bei einer solchen Feststellung der Begriffsbestimmung manches Interessante herauskommen, zumindest auch für unser unmittelbares Bedürfnis der Verbesserung und der Erleichterung des Verkehrs über die Zonengrenze, die ja in Gefahr steht, eine wenn auch Pseudo-, aber in den faktischen Auswirkungen harte Staatsgrenze zu werden. Denn diese Vorbehaltsrechte, die sich auf Abmachungen von 1945 stützen, betreffen ja voll und ganz die Zonengrenze. Hier hätten wir sogar eine Möglichkeit zur Initiative für die Normalisierung der Beziehungen auf soviel wie möglich Sach- und Tätigkeitsgebieten, weil wir ja wollen, daß aus der Zonengrenze nicht eine Staatsgrenze wird. Diese Befürchtung ist ja nicht nur unsere, es ist auch die unserer Mitmenschen und Mitbürger auf der andern Seite der Zonengrenze.
Einige Belegschaften großer Betriebe, die am 17. Juni ihren Mann gestanden haben, haben uns anläßlich dieser Beratungen einiges über ihre Befürchtungen und Ansichten gesagt und geschrieben. In einem großen Stahlwerk hat man die Befürchtung ausgedrückt, daß der Abschluß der Pariser Verträge zur Verschärfung, zumindest aber zu einer völligen Isolierung der Zone führen würde. Es bestehe eine allgemeine Furcht vor dem Kriege und davor, durch diese Isolierung vollkommen den sowjetischen Machthabern ausgeliefert zu sein. In einem anderen Betrieb wurde gesagt:
Die Moskauer Erklärungen vom 15. Januar über die Möglichkeit freier Wahlen unter internationaler Kontrolle haben unter der Belegschaft wie eine Sensation gewirkt. Die Arbeiter vertreten den Standpunkt, daß der Westen jetzt die Sowjetregierung nach dieser Erklärung in Viermächteverhandlungen beim Wort nehmen müsse.
Und, was vielleicht für manche Kollegen und Kolleginnen der Mehrheit interessant ist:
Selbst die Anhänger der Politik Dr. Adenauers stehen heute auf dem Standpunkt, daß die Politik der Pariser Verträge jetzt in der sowjetischen Erklärung zu einem Teilerfolg geführt habe, der aber sofort durch Verhandlungen ausgenützt werden müsse.
Da haben Sie eine ganz interessante Variation in den Ansichten.
Es kommt ja auf diesen Kernpunkt an; darauf, daß wir selbst erklären müssen und daß wir denen, die über die Wiedervereinigung mit und entscheidend und ausschlaggebend zu beschließen haben, als unseren Standpunkt klarmachen müssen: Wir wollen Viermächteverhandlungen haben über freie Wahlen und über den Status des wiedervereinigten Deutschland, wie es die westlichen Besatzungsmächte in einer positiven Note im September 1953 einmal zugestanden und leider später nicht aufrechterhalten haben. Es ginge dabei um eine Regelung, die weder West noch Ost als eine Bedrohung oder Erhöhung der Bedrohung, die sie gegenwärtig empfinden, ansehen müßten und würden. Es ginge dabei um die Einbeziehung eines solchen wiedervereinigten Deutschlands in ein Sicherheitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen, also nicht um die sogenannte Ausklammerung Deutschlands, nicht um seine Isolierung oder um ein Vakuum, sondern um seine Einbeziehung, um die Ordnung der Beziehungen der Verpflichtungen und umgekehrt der Gegenverpflichtungen.
Der Herr Bundeskanzler hat sich in den letzten Tagen öffentlich zu Fragen solcher Sicherheitsabkommen geäußert, und ich habe mit einer gewissen Befriedigung gesehen, daß er jedenfalls es sich selbst nicht zum Vorwurf machte, ein Sicherheitssystem unter Einbeziehung der Sowjetunion für möglich zu halten. Uns wurde dieser Vorwurf einmal gemacht. Aber es wäre gut, wenn wir hier eine Entwicklung zu Vorstellungen hätten, die tatsächlich, wenn sie nicht nur für den Tag gedacht sind, nicht nur aus — ich will das nicht herabsetzend meinen — taktischen Erwägungen, sozusagen als ein Zug gedacht sind, der im Moment gemacht werden müßte, sondern als ein Ausdruck wirklicher konsequenter Bemühungen, — nun, dann wäre das ja gut.
Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung zur ersten Lesung dieser Verträge gesagt, es sei „für den Westen nicht zumutbar, daß ein Sicherheitssystem auf der Grundlage des Status quo zustande kommt und dabei der gegenwärtige völlig untragbare Zustand der Teilung Deutschlands sanktioniert wird. In Anbetracht unserer besonderen Verantwortung und Verpflichtung, die Teilung Deutschlands zu überwinden, habe ich unsere Auffassung über den Zusammenhang zwischen der Sicherheitsfrage und der Wiedervereinigung den Alliierten frühzeitig mitgeteilt." Es ist vielleicht nicht unbescheiden, bei solcher Gelegenheit zu sagen: hier wäre wohl mindestens Anlaß, daß wir


(Wehner)

uns im Parlament in den zuständigen Ausschüssen über die Grundgedanken solcher Vorschläge und Auffassungen unterhielten, unsere Meinungen austauschten und uns auseinandersetzten.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Herr Kiesinger hat heute hier gesagt, jetzt könnte man nicht auf Verhandlungen mit der vierten Besatzungsmacht eingehen, weil dann und dadurch — ich zitiere ohne das Stenogramm, aber ich glaube, es ist sinngemäß so richtig — das Sicherheitssystem des Westens aufgelöst würde. Das ist sicher ein Gesichtspunkt. Nur: Glauben Sie nicht, daß ein wesentlicher Gesichtspunkt, den Sie auch nicht einfach in den Wind schlagen können und dürfen, der ist, ,daß es ja eigentlich nicht darum geht, etwas aufzulösen, sondern darum, wenn es geht, bei solchen Verhandlungen etwas miteinander in Einklang zu bringen, vielleicht sogar miteinander zu verzahnen?

(Beifall bei der SPD.)

Das ist ja keine sehr originelle Idee von mir. In einer Form, in der ich leider manches sehr Anfechtbare fand, hat sie der vorige französische Ministerpräsident mit sozusagen öffentlicher Zustimmung und mit Beifall unseres Herrn Bundeskanzlers einmal zum Ausdruck gebracht, da allerdings mit der Schlagseite: Erst der eine Block, dann der andere Block. Ja; aber wenn die Tendenz zur Entspannung, wie ich an den Bemühungen um eine friedliche Regelung in den fernöstlichen Konflikten glaube feststellen zu dürfen, noch nicht ausgestorben ist, sondern in den Regierungen der großen Länder immer wieder Antrieb ist — wofür auch trotz mancher Wetterumschläge der letzten Zeit noch vieles spricht —, ,dann müssen wir doch mit unserem deutschen Anliegen der Einbeziehung Deutschlands in eine solche europäische Sicherheitsregelung im Rahmen der Vereinten Nationen ankommen. Und nur wir können es. Für die anderen ist es nicht unbequem, eine geraume Zeit Block neben Block zu haben und auf eine spätere Vereinbarung zu vertrauen, mit uns als einziger Nation, ,die den schrecklichen Vorzug hätte, gleichzeitig, wenn auch geteilt, beiden Blöcken angehören zu müssen.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Unsere Frage ist immer wieder: Warum nicht sogleich auf diplomatischem Wege Viermächteverhandlungen einleiten? Das ist schwierig genug, kompliziert genug und bedarf seiner Zeit. Und man muß dabei von vornherein wissen, ob man das, was mit den Pariser Verträgen und besonders mit den militärischen Folgerungen für die Bundesrepublik ins Werk gesetzt werden soll, bei solchen Verhandlungen als Selbstzweck und als unaushandelbar und unabdingbar betrachten wird, von dem man nicht abgeht, oder ob man bereit sein könnte, es zugunsten einer Regelung aufzugeben, der alle vier und auch wir als fünfte zustimmen könnten, sowohl im Hinblick auf die damit gewonnene Einheit unseres Staates als auch im Hinblick auf die damit gewonnene Sicherheit. Beides gehört zweifellos und untrennbar zusammen. Man kann nicht das eine ohne das andere oder das eine gegen das andere. Sicher würde an die Stelle der in den Verträgen vorgesehenen Regelung — der westdeutschen Aufrüstung und der damit verbundenen automatischen, unwiderruflichen Eingliederung des anderen Teils unseres Vaterlandes in den anderen Block — eine von den vier und von uns annehmbare Regelung treten müssen. Ich glaube, daß das etwas ist, was versucht werden muß, dessen Möglichkeiten aufindig gemacht und geprüft werden müssen im Lichte der Erklärungen, die man nicht lediglich als propagandistische Erklärungen abtun und von denen man sich so nicht abwenden sollte.
Meine Damen und Herren, ich habe zum Schluß den Antrag Umdruck 293 meiner Fraktion kurz zu begründen, der vorschlägt:
Der Bundestag wolle beschließen:
In Art. 4
— des Ratifikationsgesetzes, Drucksache 1061 —
wird der bisherige Wortlaut
Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.
gestrichen und ersetzt durch folgende neue Fassung:
Artikel 4
Dieses Gesetz tritt in Kraft eine Woche nach einem Beschluß des Bundestages, durch den der Bundestag feststellt, daß erneute Verhandlungen zwischen den Besatzungsmächten mit dem Ziel der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit ergebnislos geblieben sind. Ein solcher Beschluß und der Tag des Inkrafttretens sind im Bundesgesetzblatt bekanntzumachen.
Wir wollen mit diesem Änderungsantrag zu dem einschlägigen Ratifikationsgesetz Ihnen Gelegenheit geben, den Erwägungen, die wir in diesem Zusammenhang vorzutragen und Ihnen verständlich zu machen versucht haben, Raum zu geben: erst Verhandlungen und dann, wenn es unumgänglich wäre, das andere; aber erst verhandeln und ernsthaft prüfen und nicht glauben, man könnte sich davon selbst lossprechen!

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0206901400
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Euler (FDP) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wehner hat eingangs seiner Ausführungen dargelegt, erst durch die Verträge werde Deutschland in zwei Blöcke aufgeteilt, die DDR würde auf Grund der Westverträge endgültig in den Ostblock eingefügt, und es würde dann aus der Zonengrenze eine Staatsgrenze. Die Weltfremdheit dieser Darlegungen ist wirklich staunenerregend; denn die DDR ist in den Ostblock eingefügt, seitdem bedauerlicherweise die Sowjetunion als Besatzungsmacht ihren Fuß nach Mitteldeutschland setzen konnte. Sie hat seit der Zeit systematisch und unaufhörlich die Sowjetisierung betrieben; sie hat die gesamten Lebensverhältnisse, die gesamten Wirtschafts- und Sozialverhältnisse auf den Kopf gestellt. Sie hat eine staatliche Existenz mit Hilfe von politisch abhängigen Subjekten — „Politikern" kann man da nicht sagen — ins Leben gerufen. Diese DDR wird in den Ostblock eingefügt werden, wenn nicht vom Westen aus Tatsachen geschaffen werden, die die Sowjetunion nötigen, bestimmte Spekulationen aufzugeben, die sie jetzt wie all die Jahre hindurch mit dieser „Deutschen Demokratischen Republik" in ihrem Besatzungsbereich verbindet. Wenn es so wäre, daß die Verträge erst eine Situation schüfen, in der über die deutsche Einheit nicht erfolgreich verhandelt werden könnte, dann ist ja die Frage


(Euler)

unbeantwortbar, was wohl die Sowjetunion gehindert haben mag, unseren Deutschen in Mitteldeutschland die Lebensverhältnisse und die Verhältnisse politischer Selbstbestimmung zu geben, die ihnen gebührten. Die Sowjetunion war nicht daran gehindert, in Mitteldeutschland Verhältnisse und bezüglich der staatlichen Entwicklung ganz Deutschlands Zuständen Raum zu schaffen, die für uns die Erwägung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft oder einer Westeuropa-Union und den Beitritt der Bundesrepublik zur NATO überhaupt entbehrlich gemacht hätten. Alles, was von hier aus geschehen ist, ja, eigentlich nicht geschehen, sondern im Bereich der westlichen Welt aus dem Stadium der Diskussion bisher noch nicht herausgekommen ist, ist nur schmerzhaft im Zustande der Notwehr entwickelt worden, die uns durch das, was in der sowjetischen Welt vorging, auferlegt wurde. Das, was uns durch diese Verhältnisse auferlegt wurde, fühlen wir als eine sehr tragische, schwere Belastung nicht nur für unser ganzes Volk, sondern für alle europäischen Völker.
Wenn man die Entwicklung der letzten beiden Jahre ins Auge faßt — einer Verspätung der Verträge, die dadurch entstanden ist, daß die EVG in Frankreich erst verzögert und dann durch die Entscheidung der französischen Kammer zu Fall gebracht wurde —, wenn man diese zwei Jahre ständiger Verzögerungen betrachtet, dann muß man doch sagen, daß überhaupt erst mit den Westverträgen die Position für aussichtsreiche Verhandlungen über die Wiederherstellung der deutschen Einheit geschaffen wird. Wir alle haben doch die Verspätung zu bedauern, die durch die Entwicklung in Frankreich eingetreten ist. Wäre diese Verzögerung nicht eingetreten, wäre die EVG seit zwei Jahren wirksam, wären inzwischen deutsche Divisionen entstanden, dann, glaube ich, wären wir heute bereits in einem anderen Stadium der Wiedervereinigung als dem, das wir im Augenblick vor uns haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Eine Einsicht ist doch schlechterdings unabweisbar, wenn man nicht gegenüber der Wirklichkeit bewußt die Augen verschließen will: Solange die Verträge nicht perfekt sind, hat die Sowjetunion allen Anlaß, sich auf eine Politik der Verhinderung der Verträge zu beschränken. Sie kann sich während dieser Zeit auf eine rein negative Zwecksetzung einstellen. Diese rein negative Verhinderungspolitik hat von ihrem machtpolitischen Standpunkt aus einen guten Sinn. Sie wird den Sowjets von ihrer Spekulation auf eine deutsche Einheit nach östlicher Art eingegeben. Wir haben doch heute ein Ringen um zwei Formen der deutschen Einheit: entweder ein Deutschland, das in seiner Totalität frei ist, oder aber ein Deutschland, das in seiner Totalität auch hier im Westen so unfrei ist, wie es heute nur in Mitteldeutschland der Fall ist.
Ganz Deutschland — das ist die sowjetische Vorstellung — ein Deutschland nach der Art der sogenannten friedlichen demokratischen DDR! Daß dies die sowjetische Konzeption ist, hat sich doch auf der Berliner Konferenz klipp und klar ergeben. Dort hat die Sowjetunion ein Konzept der Neutralisierung Deutschlands entwickelt, das nur darauf angelegt ist, ganz Deutschland in einen machtfreien, ständig dem sowjetischen Zugriff ausgesetzten Raum zu verwandeln. Neutralisierung durch Neutralitätsgarantien, einen Grenzschutz, der in Wahrheit gar nicht als den Verteidigungsaufgaben gewachsene Truppe bezeichnet werden kann, dazu eine Kontrolle durch die Garantiemächte unter ständiger Teilnahme der Sowjetunion als ausübender Kontrollmacht, das wäre nichts anderes als ein Deutschland, das, nachdem die Besatzungstruppen abgezogen sind, in seiner Gänze jeder sowjetischen Einmischung ständig offenläge.
Haben die Sowjets diese ihre Konzeption von damals fallengelassen? Es spricht nicht das mindeste dafür. Aus dem Notenwechsel, der nach der Berliner Konferenz das ganze Jahr 1954 hindurch angedauert hat, ergibt sich nicht der mindeste Anhaltspunkt dafür, daß die Sowjets bisher gesonnen wären, von ihrem Konzept der Neutralisierung Deutschlands auch nur im mindesten abzuweichen. Sie haben inzwischen den Gedanken des kollektiven Sicherheitssystems in den Vordergrund gestellt, aber sie wollen dieses kollektive Sicherheitssystem so ausgestaltet sehen, daß gerade die Sicherheit der Bedrohten gegen den einen, durch den die Sicherheit bedroht ist, absolut nicht gewährleistet ist.
Wenn ein vernünftiges Wort dazu gesagt worden ist, dann ist es die Erklärung, die in der letzten Note der Westmächte vom 30. November 1954 enthalten ist: Die Sicherheit aller würde nach dieser sowjetischen Vorstellung nicht im geringsten gesteigert werden, wenn man die Westverträge durch eine neue Organisation ersetzt, die die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten bestehen ließe und lediglich zur Errichtung einer irreführenden Fassade führt. Darin haben die Sowjets allerdings eine sehr entwickelte Fähigkeit, überall um die Errichtung täuschender Fassaden bemüht zu sein. So errichten sie die Fassaden demokratischer Staaten, die totalitäre Staaten sind; so errichten sie die Fassaden von Systemen kollektiver Sicherheit, — wehe dem, der darauf hereinfällt, wehe dem, der die Tücken dieser Einrichtungen, die ihnen von vornherein nach dem, was ihre Urheber beabsichtigen, gewiß sein sollen, nicht sieht.
Gibt nun die Moskauer Erklärung vom 15. Januar, mit der sich Herr Wehner hier sehr ausführlich beschäftigt hat, irgendeinen Anhaltspunkt dafür, daß die Sowjets einem neuen internationalen Status Deutschlands zuzustimmen bereit wären, daß sie in irgendeiner Hinsicht bereit wären, abzuweichen von dem Konzept der Neutralisierung Deutschlands, das sie auf der Berliner Konferenz entwickelt haben? Auch das ist nicht im mindesten zu sagen. Ich bedaure außerordentlich, daß durch den Auslegungsstreit über die Moskauer Erklärung die Aufmerksamkeit hinsichtlich des Inhalts dieser Erklärung in eine ganz falsche Richtung gelenkt worden ist. Man hat nämlich die Andeutung, die in dieser Erklärung über freie Wahlen unter internationaler Kontrolle enthalten ist, in 'den Vordergrund gestellt. Das ist aber gar nicht das Wesentliche, wenn man die Erklärung unter dem Gesichtspunkt liest, ob denn durch diese Erklärung eine Chance für erfolgreiche Verhandlungen gegeben wurde. Zu dem Hauptproblem haben sich die Sowjets überhaupt ausgeschwiegen, nämlich zu dem internationalen Status, den nach ihrer Meinung das neue Gesamtdeutschland haben soll. Es heißt zu diesem wichtigsten Punkt in der Moskauer Erklärung vom 15. Januar: „Der Friedensvertrag würde einem einheitlichen Deutschland auch das Recht geben, über eigene nationale Streitkräfte zu verfügen, die für die Gewährleistung der Sicherheit Deutschlands und seiner Grenzen notwendig sind." Dieser Wortlaut macht geradezu die Erklärung


(Euler)

zwingend, daß die Sowjets hinsichtlich des internationalen Status Deutschlands noch am 15. Januar dieses Jahres an den Vorstellungen festhielten, die sie im Januar des letzten Jahres auf der Berliner Konferenz ausführlich entwickelt haben. Das ist der Zustand der absolut wehrlosen Neutralisierung, das ist der Zustand der Angewiesenheit Deutschlands auf eine kleine Schutztruppe, die kaum anders als „Grenzschutz" bezeichnet werden kann; das ist letzten Endes der Zustand des völligen Ausgeliefertseins gegenüber den von Osten drohenden Gefahren.
Kein Wort also des Nachgeben in dem entscheidenden Punkt, aus dem geschlossen werden könnte, daß die Sowjets nun bereit wären, einem Gesamtdeutschland einen anderen Status zu geben, als er auf der Berliner Konferenz von ihnen entwickelt worden ist. Und das ist für uns das Entscheidende, nicht aber Wortklaubereien und Silbenstechereien über Programme, die mit ein paar undeutlichen Andeutungen in dieser Erklärung ausgesprochen sein sollen.

(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

Das eine müssen wir uns doch gegenüber den Sowjets immer wieder vorhalten: daß Worte in öffentlichen Erklärungen und in Noten zumindest ebensosehr der Verhüllung wie der Offenbarung ihrer Absichten dienen, wenn nicht Worte bei ihnen überhaupt den Zweck haben, den Sinn dessen, was sie verfolgen, völlig zu verhüllen.
Die sowjetische Spekulation bei dem Kampf gegen die Verträge ist letzten Endes darauf gerichtet, Westeuropa infolge der früher oder später — wie sie meinen — eintretenden amerikanischen Enttäuschung über die Entwicklung in Europa völlig hilflos zu machen. Sie wollen darüber hinaus den Schrebergartenzustand, den Zustand nationalstaatlicher Absperrung aufrechterhalten. Sie wollen den Zustand Europas aufrechterhalten, aus dem jederzeit neue Schwierigkeiten besonderer Art hervorgehen können, die dann zur Folge hätten, daß ganz Westeuropa einschließlich des westlichen Deutschland früher oder später dem Machtbereich der Sowjets anheimfallen könnte. Und wenn es ihnen gelänge, Westeuropa in diesen Zustand der Entblößtheit vom amerikanischen Schutz hineinzubringen — durch eine gerade aus Enttäuschung von der öffentlichen Meinung der Vereinigten Staaten erzwungene Umorientierung der bisherigen Außenpolitik —, dann dürfen wir überzeugt sein, daß ein neuer „Test Berlin" oder ein neuer „Test Korea" innerhalb des deutschen Bereichs nicht lange auf sich warten lassen würde. Starlinger schreibt in seinem Buch „Grenzen der Sowjetmacht" auf Seite 112:
Als „Testobjekte" wurden allgemein einerseits die Situation um Berlin, anderseits der Koreanische Krieg angesehen. In beiden Fällen handelte es sich um eine höchst bewußte Provokation der Entschluß- wie Handlungsfähigkeit der beiden großen angelsächsischen Mächte. Hätte Amerika vor allem im Falle Korea nur etwas gezaudert, wäre England nicht mitgegangen, so hätte man nicht nur Korea in wenigen Wochen überrollt . .., sondern wahrscheinlich unter gleichen Voraussetzungen wenige Zeit später den „Test Berlin" wiederholt und im gelungenen Falle bald darauf dasselbe am Kieler Kanal und vielleicht sogar an den Dardanellen versucht. Auf den allgemeinen Krieg hätte man es im Falle eines unerwartet starken Widerstandes ja nicht ankommen lassen müssen, denn das damalige Manövriervermögen des Stalinschen Apparates war groß genug, um augenblicklich vor der Drohung zur allgemeinen Kriegsausweitung zurückweichen zu können
Daß USA blitzschnell handelte und England mitriß, hat damals das Abendland vor unabsehbaren Folgen, vielleicht sogar die „Freie Welt" überhaupt gerettet, in Rußland aber tiefsten Eindruck erzielt.
Mit einem solchen neuen „Test Korea" oder „Berlin" hätten wir zu rechnen von der Stunde an, wo Europa der Schutzlosigkeit preisgegeben wäre, wenn nicht inzwischen vor Abzug der amerikanischen und auch englischen Truppen ein hinreichend starkes Verteidigungsinstrument aus europäischer Kraft geschaffen wäre.
Nun, das Ausschlaggebende scheint uns zu sein, daß man für die Bemühungen zur Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit überhaupt keine Plattform hat, wenn nicht zuvor die Sicherheit der Bundesrepublik gewährleistet ist und gewährleistet bleibt,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

und dies auf eine Weise, daß die Sowjets in Zukunft unter keinen Umständen mit dem Erfolg irgendwelcher aggressiver Aktionen in Europa rechnen können. Das ist die Voraussetzung für eine Politik der Selbstbeschränkung, die sie im Augenblick jedenfalls noch nicht haben einschlagen wollen.
Wenn man sich bewußt ist, wie sehr die sowjetische Staatsführung alle wesentlichen Situationen taktisch sieht, ohne sich dabei von den großen Zielen der sowjetischen Politik ablenken zu lassen, dann kann man ein neues interessantes Zeugnis hierfür in dem Interview finden, das Chruschtschow dem amerikanischen Verleger Randolph Hearst gegeben hat. Dort hat nämlich Chruschtschow recht zynisch gesagt:
Fragt man, wie lange die Koexistenz dauern kann, so muß man sagen, daß dies von den historischen Bedingungen, von der historischen Entwicklung abhängt.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Wer das nicht als Warnung versteht, dem ist nicht zu helfen;

(Sehr richtig! in der Mitte)

der muß anscheinend erst das Übelste erleiden, ehe er hinsichtlich der sowjetischen Wirklichkeit die Nachdenklichkeit erwirbt, die wir dem deutschen Volk erhalten wollen, ehe es ein Unglück gibt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir finden es sehr wenig tröstlich, Risiken einzugehen, die nur dazu führen könnten, daß die 50 Millionen Deutsche hier ihre Freiheit verlieren, statt daß sie die 20 Millionen Deutsche in Mitteldeutschland gewinnen. Und niemand weiß das besser als die Menschen in Mitteldeutschland. Jetzt bei dem Zusammentreffen so vieler Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone während der Grünen Woche in Berlin hat man feststellen können, in welcher ganz außerordentlichen Einmütigkeit die ganz überwältigende Masse der mitteldeutschen Bevölkerung, soweit sie nicht in einer kleinen Minderheit zu den Trägern des SED-Regimes gehört, davon überzeugt ist, daß nur eine solche realistische Politik eine


(Euler).

deutsche Einheit erreicht, die wirklich eine Einheit in Freiheit sein wird.

(Sehr wahr! rechts.)

Gerade die Erinnerung an den 17. Juni und die Entwicklung, die in Mitteldeutschland seit der Zeit eingetreten ist, zeigt uns, wie sehr man auf der Hut zu sein hat gegenüber romantischen Vorstellungen, die die Verwirklichung der deutschen Einheit auf eine so leichte Weise zu erreichen suchen, daß man wirklich von Realitätswidrigkeit sprechen muß. Wir wünschten, die Verwirklichung der deutschen Einheit wäre leichter, als sie in der Tat mit Rücksicht auf die Tatsache ist, daß nun einmal die Sowjets mit ihrer militärischen Macht das politische System des Kommunismus in der sowjetischen Zone gegen den Unmut der Bevölkerung abschirmen und so lange abschirmen werden, als wir hier nicht die Mittel finden, um auf die sowjetische Politik einen heilsamen Einfluß auszuüben, d. h. den Einfluß in Richtung auf eine Selbstbeschränkung unter Abstandnahme von überspitzten Zielen, die die Sowjetunion einstweilen noch anstrebt.
Wenn im Augenblick noch von einem mangelnden Entgegenkommen der Sowjetunion gesprochen werden muß, dann hat das gewiß nicht nur außenpolitische Gründe. Das hat nicht nur Gründe, die im Charakter der sowjetischen Machthaber und des sowjetischen Machtsystems liegen; es hat nicht nur Gründe, die mit der besonderen Sturheit des leninistischen Marxismus und des aus ihm entwickelten Machtsystems zusammenhängen. Es kommt noch eine ganz bestimmte innerrussische Situation hinzu, und diese innerrussische Situation ist die der fortdauernden Diadochenkämpfe in der Nachfolge Stalins. Es wurde hier bereits weithin unterschätzt, wie sehr tatsächlich diese Auseinandersetzung noch im Gange ist. Viele glaubten bereits nach dem Falle Berijas, nun seien die Auseinandersetzungen abgeschlossen. Der Fall Malenkows hat gezeigt, daß das Gerede von dem „Führerkollektiv" nichts anderes ist als eine Fassade, hinter der sich ein nach wie vor äußerst brutaler Machtkampf der leitenden Cliquen verbirgt. Das ist nun einmal eine totalitäre Wirklichkeit, über die man sich doch keinerlei Selbsttäuschungen hingeben kann. Keine der konkurrierenden Machtgruppen kann es sich während der Dauer dieses Machtkampfes leisten, durch entscheidende Zugeständnisse, die auf die Preisgabe wichtiger sowjetischer Positionen hinauslaufen, das eigene Ansehen im Machtapparat zu schwächen.
Es kommt ein weiterer Grund hinzu, eine Überlegung, die ebenfalls Starlinger mit großer Über zeugungskraft einführt, daß nämlich, solange die verschiedenen Machtgruppen um die Macht ringen, jede zwar Friedensbringer sein will, aber die Mittel, mit denen der Friede gebracht wird, nicht vorzeitig verausgaben will, sondern erst dann, wenn inzwischen der Machtkampf entschieden ist, d. h. wenn die Mittel des Nachgebens, durch die der Frieden gebracht wird, nicht mehr allen Machtgruppen zugute kommen können, sondern der einen, die damit, daß sie den Frieden bringt, ihre Legitimität begründen will. Starlinger schreibt auf Seite 97/98 seines Buches über die Grenzen der sowjetischen Macht:
Das ganze russische Volk — wie jedes Volk —
will wirklich den Frieden, es ersehnt ihn aus
dem ganzen Herzen und wird bereitwillig dem
als kommendem Sieger folgen, der ihm den wirklichen Frieden mit Ruhe, Sicherheit und wachsender Freiheit bringt. Hier begegnen sich der heiße Wunsch der Massen und der kalt rechnende Wille rivalisierender Machtgruppen. Denn auch diese, sowohl innerhalb der Partei wie innerhalb der Armee, wünschen einen garantierten Frieden, weil sie ihn auf die Dauer brauchen. Andererseits will jede dieser Machtgruppen selbst der Friedensbringer gegenüber den Massen sein, und zwar der alleinige, ohne diesen großen Anspruch und seine hilfreiche Nutzung mit jemand anderem zu teilen.
Um diesen kommenden Frieden in einem neuen Konzert der großen Mächte zu erlangen, d. h. mit einem hierzu bereiten Amerika und von diesem geführten Europa einmal zu akkordieren, muß man Pfänder geben. Das weiß jeder denkende Russe, das weiß um so mehr die Partei und nicht weniger die Armee, und alle sind hierzu willens, wenn sie auch heute noch so streng und hart das Gegenteil beteuern. Sie müssen dieses tun, weil keine Machtgruppe heute Pfänder abgeben will, deren Abgabe ihr nicht allein zugute kommt, die sie selbst und allein morgen zu nutzen hofft, um über den von ihr manipulierten Ausgleich den eigenen Führungsanspruch in den eigenen Massen legitim zu verankern. Auch dieses war ein Grund, warum Berlin
— die Berliner Konferenz —
scheitern mußte, bevor es noch begonnen hatte, und ist ein Grund für den Westen, mit allen Annäherungsversuchen zu warten, bis die Zeit reif geworden ist, weil Moskau hierfür erst reif werden wird.
Diese Ausführungen wurden von dem Verfasser geschrieben, ehe durch die Abhalfterung Malenkows ein neues Stadium in der innerrussischen Machtauseinandersetzung zwischen den Diadochen erreicht wurde, und gerade die letzten Vorgänge um Malenkow unterstreichen nur um so mehr die Beachtlichkeit der Gedanken, die er in diesem Zusammenhang entwickelt hat.
Nun erregt es hier mit Recht ernste Bedenken, daß die Sowjets ihre Ankündigung ausgesprochen haben, nicht mehr zu verhandeln, wenn die Westverträge ratifiziert worden seien. Wir verlassen uns durchaus nicht darauf, daß die Sowjets in diesem Punkte Realisten sind, wie Herr Kollege Wehner geäußert hat. Aber es handelt sich doch um ganz einfache, leicht nachprüfbare Erwägungen, die jedem kritischen Bedenken stichhalten, und aus ihnen heraus muß man zu ganz bestimmten Schlußfolgerungen kommen. Die Sowjets wissen, daß die Durchführung der Verträge, wenn sie erst einmal durch Ratifikation wirksam geworden sind, mindestens zwei bis drei Jahre dauert. Während dieser zwei bis drei Jahre ist ihr Interesse an der Nichtdurchführung der Verträge mindestens ebenso stark, wie es jetzt an der Nichtratifikation, an dem Nichtzustandekommen der Verträge ist. Sie wissen außerdem, daß nach diesen Verträgen Gesamtdeutschland in seinen außenpolitischen Entschlüssen mit allen seinen Organen frei ist, wenn durch ihre, die sowjetische Mitwirkung ein befriedigender neuer Status für das gesamte Deutschland, für den neuen einheitlichen gesamtdeutschen Staat geschaffen wird. Sie wissen, die Verträge binden die zu-


(Euler)

künftigen gesamtdeutschen Institutionen nicht. Es liegt also nur bei ihnen, beizeiten einen befriedigenden Status zuzuerkennen, durch den die Möglichkeit einer Einigung über ein Gesamtdeutschland eingeleitet wird, das dann von den Sowjets ebensowenig belastend empfunden würde wie von der westlichen Welt wie schließlich vom deutschen Volke selbst. Aus diesen Gründen muß man sagen, daß es sich bei dieser Ankündigung der Sowjets, nach Zustandekommen der Verträge gebe es keine Verhandlungsmöglichkeit mehr, um nichts anderes handelt als um eine leere Drohung, eines der vielen Mittel, das die Sowjets schon angewandt haben und weiterhin anwenden werden, um das Zustandekommen der ihnen unliebsamen Verträge zu verhindern.
Ferner kann man doch nicht bestreiten, daß die Sowjetunion den Defensivcharakter des Westunionvertrages und der NATO in keiner Weise verkennen kann. Insbesondere was den Westunionvertrag anlangt, so enthält er eine nicht übersehbare Rüstungsbeschränkung auf der Grundlage von Divisionen der verschiedenen beteiligten Länder, die nach ihm im Gegensatz zum NATO-Vertrag Maximalbegrenzungen darstellen. Die Sowjets wissen außerdem, wie sehr diese in den Verträgen liegenden Rüstungsbeschränkungen effektiv gemacht werden durch die tatsächlich zwischen den europäischen Völkern im Zustand der Freiheit bestehende Eifersucht. Zum letzten wissen sie, daß in den Demokratien die öffentliche Meinung eine ganz andere Macht ist, als das in einem totalitären Staat der Fall ist, und daß es sich heute keine demokratische Regierung leisten kann, aus einem defensiven Vertragsinstrument einen Vertrag mit offensiver Wirkung zu machen. All das können die Sowjets in keiner Weise verkennen.
So ist auch das eine zu sagen — und das wissen die Sowjets ebenfalls —, daß in ihrem Machtbereich allerdings ein Defensivinstrument wie die Westeuropa-Union mit zuverlässigen Rüstungsbeschränkungen leider überhaupt nicht möglich ist, und das sollte ein weiterer Anlaß unserer Sorge sein. Wir wissen doch, wie es im sowjetischen Machtbereich Europas ist. Da legt die sowjetische Zentrale im Kreml einfach allen Satellitenstaaten ihr Soll auf, und alle diese Satellitenstaaten mit ihrem überspannten Rüstungssoll stehen unter dem Kommando sowjetischer Marschälle, sowjetischer Generäle, und die führenden Politiker wie die Parteiapparate sind nichts anderes als Marionetten in der Hand Moskaus. Dort gibt es überhaupt keine Verträge, die der freien Welt die Gewähr der Rüstungsbeschränkung und die Gewähr einer Beschränkung auf Verteidigungszweck geben. Und demgemäß ist ja auch die entscheidende Tatsache in Europa, daß, während hier noch über deutsche Divisionen diskutiert wird, jetzt seit fünf Jahren in Mitteldeutschland 150 000 Mann gut ausgerüsteter Truppen stehen und daß im sowjetischen Machtbereich Europas insgesamt an die 70 Satellitendivisionen stehen; das alles im Zeichen einer Politik, die nur um „Frieden" bemüht ist, aber dann jedesmal Krieg und Imperialismus ruft, wenn die durch diese Politik Bedrohten auch nur daran denken, ein äußerstes Mindestmaß von Selbstschutz zu verwirklichen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU/CSU.)

Und wenn das auch noch von einer demokratischen
Opposition in einem demokratischen Land verkannt
wird, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann man nur mit Bedauern feststellen, daß der Wille zum Selbstbetrug ganz außerordentlich weit gediehen ist,

(Beifall rechts und in der Mitte)

in einem Maße gediehen ist, daß man sagen muß, die Lebensinstinkte und die Selbstschutzinstinkte scheinen da bereits ernsthaften Schaden gelitten zu haben.

(Beifall rechts und in der Mitte. — Abg. Mellies: Anscheinend ist der Selbstbetrug in Ihrer Partei schon ziemlich weit gediehen, Herr Euler!)

— Meine Partei ist völlig eindeutig in der Beurteilung dieser Momente, und Sie werden sich an Hand der Abstimmungsliste überzeugen können, Herr Kollege Mellies, in wie starkem Maße diese Beurteilung bei uns zu Hause ist. Jedenfalls betrachten wir es als eine unserer Haupaufgaben, alles daranzusetzen, daß das deutsche Volk nicht den von Ihnen in die Welt gesetzten Selbsttäuschungen erliegt.

(Beifall rechts und in der Mitte.)

Darin sehen wir eine wirkliche, nicht nur nationale, sondern europäische Aufgabe, wenn es darum geht, zu verhindern, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß Sie hier eines Tages in die Gefahr kommen, dieselbe Inkonsequenz der Haltung zu entwickeln, die die 30 ehemaligen sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten entwickelt haben, die dann in den Jahren nach 1945 die SED mit gegründet haben und heute Reden halten wie Herr Grotewohl.

(Beifall rechts und in der Mitte. — Abg. Mellies: Sie sollten sich einmal überlegen, wie Sie sich bis zum 30. August vorigen Jahres geirrt haben!)

Nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Koexistenz auf dem Boden der Teilung kann von uns überhaupt nur mit Hilfe der westlichen Welt verhindert werden. Würden wir den Verteidigungsbemühungen der westlichen Welt nicht unsere Unterstützung geben, würden wir uns nicht in sie einspannen, dann wäre die Gefahr allerdings sehr groß, daß die westliche Welt früher oder später Koexistenzgedanken gerade auf der Grundlage der Aufrechterhaltung der deutschen Teilung verfallen würde. Wir haben heute, Gott sei Dank, einen Zustand, der uns mit Genugtuung erkennen läßt, daß in der gesamten westlichen Welt, vor allen Dingen bei den führenden demokratischen Völkern Europas, doch das Bewußtsein lebendig ist, wie sehr die bestehende deutsche Spaltung ein Moment der Gefährdung Europas bedeutet. Nur aus diesem Bewußtsein ist die Resolution hervorgegangen, die der Europarat am 10. Dezember 1954 gefaßt hat und der außer zwei einzelnen Abgeordneten nur noch die deutschen Sozialdemokraten widersprachen. In dieser Resolution des Europarates wird gesagt, daß erst die Pariser Verträge den westlichen Mächten den erforderlichen Zusammenhalt geben, um in den Beziehungen mit der Sowjetunion eine friedliche Lösung für die Probleme der europäischen Sicherheit, in erster Linie der deutschen Wiedervereinigung und eines Staatsvertrages mit Österreich zu suchen. Das heißt, es ist hier der richtige Gedanke ausgesprochen, daß das Problem der deutschen Wiedervereinigung das erstrangige Problem der europäischen Sicherheit ist und daß gerade um der europäischen


(Euler)

Sicherheit willen im Zeichen der Verträge alles getan werden muß, um die deutsche Einheit zu verwirklichen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich glaube, wir können uns über diesen Stand der Erkenntnis deutscher Verhältnisse und Zustände in Europa nur freuen, und wir können den Stand dieser Erkenntnis nur weiter fördern, wenn wir auf der Grundlage der Verträge als Gleichberechtigte in dieser Gemeinschaft mitwirken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es liegt weiter ganz im Sinne der politischen Absichten der freien Demokraten, daß der Europarat in derselben Entschließung dann seiner Hoffnung Ausdruck gegeben hat, daß die Fühlungnahme auf diplomatischem Wege schnell eingeleitet werden sollte, damit diese Beziehungen möglichst schnell nach der Ratifikation zustande kommen, ohne daß die Ausführung der Verträge deshalb verzögert wird. Das ist der richtige Parallelismus. Er sieht wesentlich anders aus als der Parallelismus des Herrn Wehner. Der Parallelismus des Herrn Wehner soll nämlich darauf hinauslaufen,

(Abg. Wehner: Daß man wiedervereinigt und nicht rüstet!)

daß man am Ende weiterhin auf Jahre hinaus das tut, worüber wir schon Jahre versäumt haben, daß man nämlich immer wieder wartet, ob noch eine Konferenzmöglichkeit gegenüber dem Osten besteht, und dann,

(erneuter Zuruf des Abg. Wehner)

sobald eine Konferenz gescheitert ist, erneut erklärt: Jetzt müssen wir auf die nächste Konferenz warten.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Schießen Sie doch!)

Das Ergebnis ist: Der Westen verliert immer mehr Chancen in der Gestaltung der europäischen Wirklichkeit gegenüber dem Osten; denn der wartet ja inzwischen nicht mit seinen Rüstungsbemühungen, der holt ja inzwischen schon die jungen Deutschen in Mitteldeutschland in die Uniformen, die sowjetische Uniformen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir möchten uns wünschen, daß ,die Regierung alle Aktivität entwickelt, um im besten Einvernehmen mit dem Westen — denn wir wollen uns gegenüber dem Westen nicht in den Eindruck, in die Mißdeutung einer Schaukelpolitik bringen — alle Chancen wahrzunehmen, daß die deutsche Einheit verwirklicht wird, daß letzten Endes gerade der Westen auch dann den Segen von einer deutschen Einheit hat, wenn diese Einheit dazu führt, daß Deutschland dem westlichen Machtsystem nicht so straff eingegliedert ist wie andere Staaten. Nur durch die Verbindung der Ratifikation der Verträge und ihrer beginnenden Ausführung mit den Bemühungen, alle Verhandlungsmöglichkeiten gegenüber dem Osten auszuschöpfen, können wir über die Garantie zunächst einmal unserer Sicherheit hier in der Bundesrepublik zu dem Ziele kommen, ,die Hoffnung, die für die 20 Millionen Menschen in Mitteldeutschland die Bundesrepublik schon heute ist, in die Gewißheit zu verwandeln, daß auch für sie der Tag der Freiheit wiederkommt. In dem Sinne sage ich in schärfster Antithese zu dem, was die Sozialdemokraten behaupten: durch diese Verträge wird 'die Plattform für
eine. erfolgreiche Bemühung um die deutsche Einheit erst geschaffen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0206901500
Das Wort hat der Abgeordnete Lemmer.
Lemmer (CDU/CSU) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird nicht einfach sein, bis zum Sonnabend die Zuhörer in diesem Raum bei gespannter Aufmerksamkeit zu halten und die Hörer an den Rundfunkapparaten zu fesseln, einmal, weil schon ein Teil der Energie in Versammlungen und Kundgebungen der vorigen Woche verspeist worden ist, und dann auch deshalb, weil wir ja schließlich über dieses Thema seit dem Jahre 1951 im Deutschen Bundestag diskutieren.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Es ist eine Leidensgeschichte dieser Verträge und ihrer Ziele, die hinter uns liegt, und wir sind nicht einmal ganz sicher, ob der Deutsche Bundestag nicht unter Umständen über dieses zweite Mal hinaus noch ein drittes Mal in Anspruch genommen werden könnte.

(Abg. Kiesinger: Hoffentlich nicht!)

Wir wissen das in dieser Stunde noch nicht genau. Der Herr Bundeskanzler hat in der zweiten Lesung bis jetzt nicht das Wort ergriffen, weil er wahrscheinlich mein Empfinden teilt, daß man im Grunde schon alles gesagt hat, was in der Auseinandersetzung zwischen der Opposition und den Regierungsparteien gesagt werden mußte. Um nicht leichtfertig allzuviel Wiederholungen auszusprechen — die Gefahr ist ja groß —, möchte ich einmal versuchen, den Kern der Differenz zwischen der Opposition und uns darzustellen und zu fragen, ob er so tief sitzt, daß wir darüber nicht hinwegkommen können.
Unter dem Eindruck der Ausführungen meines Kollegen Wehner hatte ich das Empfinden, es geht im Grunde doch nur noch um eine Frage, um die Frage, ob die Anbahnung von Viermächteverhandlungen vor oder nach der Ratifizierung im Deutschen Bundestag vor sich gehen sollte.

(Zuruf von der SPD: Es geht um mehr!)

Die eine Seite ist besorgt, ,daß bei einer vorherigen Ratifizierung diplomatische Möglichkeiten zur Lösung der deutschen Frage verbaut werden könnten. Meine Damen und Herren, wollen wir uns nicht überschätzen! Die Durchführung von Viermächteverhandlungen hängt auch von uns ab, aber nicht von uns allein.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Ich habe weiterhin den Eindruck, daß die beteiligten Mächte, wenn wir von der Moskauer Propaganda absehen, sich längst darüber im klaren sind — auch die Abstimmung im Deutschen Bundestag enthält keine spannungsvollen Reize mehr für sie —, daß die Anbahnung von Viermächteverhandlungen heranreifen soll und auch heranreifen muß, weil ohne die Lösung der deutschen Frage — das wissen wir auf allen Bänken dieses Hauses — weder unser Volk zur Ruhe kommen kann noch die Welt zum Frieden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ohne die deutsche Wiedervereinigung bleibt ein Kernproblem der internationalen Nachkriegsentwicklung zweifellos ungelöst.


(Lemmer)

Nun will die Sozialdemokratie vor dieser Ratifizierung erst noch prüfen; sie will lotsen. Schöner Ausdruck: etwas zu lotsen! Aber lotsen kann man nur dann, wenn man auch auf Grund stößt.

(Zurufe: Loten! — Zuruf von der SPD: Physik schwach!)

Auch ich bin ja damit einverstanden; ich halte es für notwendig, daß geprüft werden muß. Aber, meine Damen und Herren, wir können doch nicht auf die Dauer das Gesetz unseres Handelns davon bestimmen lassen, daß wir warten, bis überall gelotst worden ist.

(Erneute Zurufe: Gelotet! — Heiterkeit.)

Wir können dieses auch nach der Ratifizierung fortsetzen, und es werden sich hoffentlich sehr echte Möglichkeiten dazu geben. Ich bin aber nicht der Ansicht, daß diese Versuche, die im Grunde doch nicht neu sind und die doch seit Jahren auf der Tagesordnung der Politik der großen Mächte stehen, erst zu Ende geführt werden müßten, um dann die Frage der Ratifizierung der Verträge in diesem Hause zu 'aktualisieren.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0206901600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?

Ernst Lemmer (CDU):
Rede ID: ID0206901700
Bitte.

Willy Könen (SPD):
Rede ID: ID0206901800
Herr Abgeordneter, darf ich Ihnen folgende Frage stellen: Verwechseln Sie „lotsen" und „loten" aus Versehen oder mit Absicht? Bei uns im Rheinland hat das Wort „lotsen" noch nebenbei einen besonderen Begriff. Mit Rücksicht auf die vielen Rundfunkhörer darf ich vielleicht darum bitten, daß Sie bei dieser Betrachtung der Dinge das Wort „loten" benutzen.

Ernst Lemmer (CDU):
Rede ID: ID0206901900
Nein, ich meine gerade „lotsen".

(Große Heiterkeit in der Mitte und rechts.)

Ich denke gerade an die politischen Irrfahrten, die auf stürmischer See unterbleiben sollten, und das verstehe ich darunter.

(Erneute Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0206902000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Frage?

Ernst Lemmer (CDU):
Rede ID: ID0206902100
Bitte.

Willy Könen (SPD):
Rede ID: ID0206902200
Herr Kollege Lemmer, ich habe eine Zusatzfrage. Sie meinen also mit diesem „lotsen" tatsächlich den Versuch, ein gefährdetes Schiff durch die Stürme zu bringen? Dann bin ich mit Ihnen einverstanden.

Ernst Lemmer (CDU):
Rede ID: ID0206902300
Ich will Ihnen gar nicht widersprechen, weil es so ein schönes Bild ist. Ich habe es mir allerdings anders vorgestellt.

(Heiterkeit in der Mitte und rechts.)

Weil es hier doch um die eigentliche Auseinandersetzung in diesem Hause geht, darf ich noch einmal darauf hinweisen: Nicht nur von der Opposition wird es befürchtet, Moskau selbst möchte uns aus einer Reihe von Gründen ebenfalls davon überzeugen, daß mit der Ratifizierung der Verträge das Interesse der Sowjetunion an der Wiedervereinigung der Deutschen für absehbare Zeit erledigt
sei. Ich will das nicht mit einer Handbewegung abtun. Dafür steht — das wissen wir — zuviel, nämlich das Schicksal von 18 bis 20 Millionen Deutschen auf dem Spiel, von Deutschen, die keinen sehnlicheren Wunsch haben, als sich mit uns in Freiheit und im Stil unser es politischen Lebens so bald wie möglich zu vereinen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Niemand wird aber beweisen können, daß diese sowjetischen Beschwörungen nicht nur taktisch gemeint sind. Es ist doch schwer vorstellbar, daß die Realisten im Kreml im Ernst daran glauben sollten, in der Entwicklung der Völker gebe es einen Stillstand. Vielmehr habe ich den Eindruck, daß sich gerade die Sowjetregierung am wenigsten über die absolute Fragwürdigkeit eines Status quo täuscht, der die Teilung Deutschlands aufrechterhielte.

(Sehr richtig! rechts.)

Darum meine ich auch, daß die sowjetische Diplomatie beweglich genug sein wird, um auch nach der Ratifizierung der Verträge die Lösung der zentraleuropäischen Probleme nicht aus dem Auge zu verlieren.

(Abg. Kunze [Bethel] : Sehr richtig!)

Doch will ich einmal den Einwänden der Opposition in diesem Zusammenhang folgen und annehmen, daß für Moskau die Bewertung seines vermeintlichen oder tatsächlichen Sicherheitskomplexes ausschlaggebend ist. Mir scheint aber, daß Westeuropa aus seiner eigenen Konsolidierung heraus eher in der Lage sein wird, die erforderlichen Zugeständnisse zu machen, als jetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zu konkreten Gesprächen dürfte es daher nach der Ratifizierung keineswegs zu spät sein. In der letzten 'sowjetoffiziösen Verlautbarung ist meines Erachtens nicht ohne Grund zum erstenmal dialektisch nebeneinandergesetzt worden die Ratifizierung und die Verwirklichung der Verträge.
Das Anliegen, um das es dabei geht, ist für uns Deutsche und insbesondere für unsere Mitbürger im sowjetischen Bereich allerdings dringlich, und wir müssen hoffen, daß sich die Welt nicht darüber täuscht, daß über die Ratifizierung der Verträge hinaus die deutsche Politik keine Ruhe geben kann, bis dieses Anliegen eines Volkes, wieder in Freiheit und nach eigenem Willen zusammenleben zu können, erfüllt ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Fraktion vertraut darauf, daß es auch das höchste Ziel der Politik der Bundesregierung ist und bleibt und daß sie sich redlich für das Zustandekommen einer Viererkonferenz einsetzen wird, wenn durch unsere Handlung erst die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Die friedliche Wiedervereinigung unseres Landes kann, das wissen wir, nur mit Zustimmung der östlichen Macht erreicht werden. In der Würdigung dieser Realität deutscher Außenpolitik besteht wohl zwischen uns und der Opposition keine Meinungsverschiedenheit.
Verwirrung hat die Formel von einem bündnisfreien Deutschland ausgelöst. Was das eigentlich heißen soll, ist auch in dieser Debatte bisher nicht klargeworden. Auch die Opposition wird gewiß nicht die Verflechtung unseres Landes in der westlichen Tradition, im westlichen Kulturkreis ignorieren wollen. Die Frage darf aber mit dem Hinweis


(Lemmer)

auf die großen Veränderungen im weltpolitischen Gefüge durch den zweiten Weltkrieg gestellt werden, wie etwa ein bündnisfreies, also isoliertes, am Rande eines zerrissenen alten Kontinents stehendes Deutschland davor bewahrt werden soll, in den Sog des gewaltigen Ostens zu geraten, wenn der Westen uns oder wir dem Westen den Rücken gekehrt hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es gibt also nicht nur ein westliches oder ein östliches, es gibt auch ein deutsches Sicherheitsproblem. Kommt es auf einer Viererkonferenz zu seiner Erörterung, werden unsere Unterhändler in Zukunft dann selber und direkt mitzureden haben. Damit wäre wohl die Gefahr gebannt, daß eine west-östliche Entspannung, und wäre es auch zunächst nicht mehr als ein Stillhalteabkommen, auf dem Rücken unseres Landes, auf der Basis der Macht- und Menschenverteilung nach dem Potsdamer Abkommen erfolgen könnte.
Ich fasse unsere Auffassung also dahingehend zusammen, daß die große Frage der deutschen Wiedervereinigung, die wir nach Lage der Dinge nur über eine Viermächteverständigung erreichen können, durch den Ratifikationsakt in diesem Hause nicht erledigt sein wird, sondern daß mit unserer Entscheidung eine neue Politik um die Wiedervereinigung Deutschlands erst beginnen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Verantwortung, die auf uns liegt, meine Damen und Herren, läßt sich nicht auf ein Schwarz-Weiß-Klischee reduzieren, das den einen zum amerikanischen, den anderen zum kommunistischen Helfershelfer stempeln möchte. Schließlich handelt es sich für uns alle nicht um eine Entscheidung nach den Wünschen dieses oder jenes Weltlagers, sondern um eine Entscheidung für Deutschland. Sie ist voller Problematik; das wissen wir. Sie enthält überdies Imponderabilien, die einen mathematisch schlüssigen Beweis unmöglich machen, ob der Ja- oder der Neinsager recht hat. Darauf beruht es, daß wir unseren Entschluß auch nach unserem Gewissen zu treffen haben, und es liegt auf der Hand, daß ich als einer der Vertreter Berlins in diesem Hause mit besonderer Gewissenhaftigkeit in der persönlichen Kenntnis der Lage in der Sowjetzone und der Lage insbesondere auch Berlins meine Entscheidung getroffen habe.
Was hier über die Spaltung unseres Landes von Herrn Kollegen Wehner gesagt worden ist, das klang so, als ob die Schuld dafür bei uns läge. Lassen Sie mich doch einmal feststellen, daß die Teilung Deutschlands nicht die Folge der Politik der Bundesregierung ist, sondern daß die Politik der Bundesregierung die Folge der bereits in Jalta beschlossenen Teilung Deutschlands ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir haben allen Grund, die geschichtlichen Verantwortlichkeiten für diese Ursächlichkeit nicht etwa zu verschieben, sondern sie mit aller Sorgfalt und mit aller Deutlichkeit zu registrieren. Die Bundesrepublik ist ein deutscher Teilstaat. Sie ist nicht Deutschland, aber sie vertritt Deutschland als einziger freier Staat unseres Volkes,

(erneuter Beifall bei den Regierungsparteien)

und in der großen politischen Linie zeichnet sich
doch nur ab, daß dieser deutsche Teilstaat nunmehr in Kürze in voller Gleichberechtigung nach zehn Jahren deutschen Vakuums aus der Rolle des Objekts wieder in die des Subjekts in der internationalen Politik eintreten kann.

(Sehr richtig! rechts.)

Indem wir dies erreichen: ein deutsches Mitspracherecht auf der Grundlage der Gleichberechtigung, geben wir unseren Brüdern und Schwestern, die heute in Thüringen und Sachsen sicherlich mit manchen Zweifeln und mancher Sorge unserer Debatte folgen, den Trost, daß wir mit dem Wissen um ihr Schicksal den Weg politisch kontinuierlicher Entwicklung für die einzige Möglichkeit ansehen, unserem Volk seine staatliche Einheit zurückzugewinnen.

(Langanhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0206902400
Das Wort hat der Abgeordnete Seiboth.

Frank Seiboth (GB/BHE):
Rede ID: ID0206902500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kiesinger hat heute vormittag gesagt, wir müßten bestrebt sein, zu verhindern, daß die Bundesrepublik und auch ein künftiges Gesamtdeutschland jenes Schicksal erleiden, das der Tschechoslowakei und den Herren Benesch und Masaryk beschieden war. Darin stimmen wir mit Ihnen voll überein, Herr Kollege Kiesinger. Wir hoffen allerdings, Sie sind mit uns der Meinung, daß an dem Schicksal, das die Tschechoslowakei erlitt, gerade Herr Benesch wesentliche Schuld trägt. Herr Benesch ist es gewesen, der während des zweiten Weltkriegs für die Wiedererrichtung seines Staates unter den freien Völkern im Westen warb und, noch während ihm dort Gastfreundschaft und mehr zugestanden wurde, zugleich auch mit Moskau paktierte. Herr Benesch ist es gewesen, der sehr bald nach seiner Rückkehr nach Kaschau und Prag in Verfolg dieser mit Moskau begonnenen Politik die Weichen, möchte ich sagen, selbst so gestellt hat, daß es im Frühjahr 1948 zur restlosen Bolschewisierung der Tschechoslowakei kommen mußte.

(Abg. Kiesinger: So habe ich's auch gemeint!)

Meine Damen und Herren, gerade wir, die wir die Verhältnisse in diesem Raume sehr wohl kennen und auch die Entwicklung bis 1948 und länger, weil viele von uns, ich selbst auch, bis zu jenem Zeitpunkt in diesem Raum zurückgehalten wurden, legen Wert darauf, gegenüber den freien Völkern des Westens nicht in den Verdacht zu kommen, mit unserer Politik eine ähnliche Rolle spielen zu wollen, wie sie Herr Benesch gespielt hat.

(Zustimmung beim GB/BHE.)

Das ist ein Grund dafür, warum meine politischen Freunde vom Gesamtdeutschen Block/BHE den Pariser Verträgen, mit Ausnahme des Saarstatuts allerdings, zustimmen werden. Wir tun das aus ehrlicher Überzeugung, wenn auch ohne Begeisterung. Die Zustimmung zu jenen Gesetzen, die vor einem Jahr die EVG sollten Wirklichkeit werden lassen, war für uns leichter als das Ja dieses Mal, weil darin, wenn auch nicht vollendet echter europäischer Geist, so doch mehr europäischen Geistes war als in den nunmehr vorliegenden Verträgen.
Wir geben zu, daß die nunmehr vorliegenden Verträge gegenüber früher manche Verbesserungen enthalten, besonders im Deutschlandvertrag in den


(Seiboth)

Artikeln 7 und 10 im Hinblick auf unser Generalanliegen: die deutsche Wiedervereinigung. Aber die Gesamtkonzeption, die aus diesen neuen Verträgen sichtbar wird, ist doch sehr weit von dem entfernt, was wir einst mit dem Begriff „westeuropäische Integration" bezeichneten. Das ist nicht unsere Schuld. Wir waren und sind noch der Auffassung, daß ein allmählich sichtbar werdender echter europäischer Zusammenschluß auch der deutschen Wiedervereinigung förderlich sein würde, einmal weil diese neue politische Ordnung auf unsere Brüder und Schwestern hinter dem Eisernen Vorhang eine gewisse Anziehungskraft ausüben würde und sie gegen die geistig-politischen Unterjochungsversuche ihrer Machthaber weiter immunisieren könnte, zum anderen weil dadurch unser nationales Anliegen auf Wiedervereinigung zu einer zweifelsohne echten europäischen Angelegenheit aufrücken würde. Wahrscheinlich hätten bei einer solchen Sachlage, wenn Westeuropa die Wiedervereinigung als seine Sache vertreten hätte, Verhandlungen mit den Sowjets von vornherein mehr Aussicht auf Erfolg gehabt als Verhandlungen der ehemaligen Siegermächte unter sich, wenn sie über die Erfüllung eines nationalen Anliegens des Besiegten zu Rate sitzen. Je mehr Europa, desto besser für uns und unsere Politik der Wiedervereinigung; je weniger Europa, desto eifriger muß nach neuen Wegen sowohl zur Wiedervereinigung als auch zur europäischen Einigung — trotz aller Rückschläge — gesucht werden.

(Beifall beim GB/BHE und bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, wir sagen ja zu diesen Pariser Verträgen, weil wir in ihnen, wenn auch nicht den idealen, so doch wenigstens einen bescheidenen Anfang sehen, auf dem wir aufbauen und von dem aus wir weiterbauen wollen. Zugleich mit der Bejahung der Pariser Verträge hat unsere Partei und unsere Bundestagsfraktion ihr Verlangen bekanntgegeben, sofort nach Verabschiedung und Ratifikation der Verträge das Zustandekommen einer neuen Viermächtekonferenz anzustreben, damit wiederum der Versuch unternommen wird, die Wiedervereinigung Deutschlands durch Viermächtevereinbarungen zu verwirklichen. Ich möchte betonen, daß es uns mit diesem Verlangen sehr ernst ist und daß wir auch den Zeitpunkt mit Bedacht vorgeschlagen haben. Wir sind der Meinung, beim Scheitern der Berliner Konferenz im vorigen Jahr hat auch der Umstand eine Rolle gespielt, daß von sowjetischer Seite an eine Einigung mit den drei Westmächten in der Deutschlandfrage nicht ernstlich herangegangen wurde, weil trotz jahrelanger Bemühungen um das Zustandekommen der EVG durchaus nicht feststand, ob die Verteidigungsfront des Westens unter Einbeziehung der Bundesrepublik zustande kommen würde oder nicht. Aus dieser labilen Situation des Westens haben die Sowjets sicherlich den Schluß gezogen, daß sie weiterhin ihr Pfand, die besetzte Zone, behalten können und noch nicht als Preis für irgendeine Regelung auf der Basis beiderseitigen Entgegenkommens herausgeben müssen. Die sowjetisch besetzte Zone ist weiterhin ein in das östliche System durchaus integrierter Bestandteil Deutschlands geblieben, während jener Teil Gesamtdeutschlands, der als einziger den Anspruch erheben kann, sein innerstaatliches Leben nach den Prinzipien der Freiheit, Menschenwürde und Demokratie geordnet zu haben, nach wie vor ohne offizielle Bindung an eine Gemeinschaft der freien
Völker blieb. Die gesteigerte Propaganda von kommunistischer Seite in Westdeutschland, die immer stärker werdenden Infiltrierungsversuche durch alle möglichen Tarnorganisationen beweisen, daß auf Grund dieser Situation der Osten noch immer vermeint, das nicht gebundene Westdeutschland mit diesen Mitteln des Kalten Krieges für sich gewinnen zu können.
Wir halten es deshalb für richtig, daß noch vor der Aufnahme neuer Verhandlungen um die Wiedervereinigung Deutschlands auch in bezug auf die Bundesrepublik klare Verhältnisse geschaffen werden. So bedauerlich auch gerade von uns die Tatsache empfunden wird, daß dann die eine Hälfte Gesamtdeutschlands einem östlichen und die andere Hälfte unseres Vaterlandes einem westlichen Machtblock angehört, so sicher ist doch andererseits, daß Verhandlungen bei Freiheit aller Teile Gesamtdeutschlands von irgendwelchen Bindungen nicht möglich sind, weil die Zone, sicherlich ganz gegen den Willen ihrer Bevölkerung, doch längst Bestandteil des östlichen Machtblocks geworden ist.
Mit der Verabschiedung der Pariser Verträge und ihrer Ratifikation erreichen wir, daß auch die übrigen Unterzeichnerstaaten des Westens die Wiedervereinigung Deutschlands zu einem grundlegenden Ziel ihrer Politik erklären. Nun, es mag Skeptiker geben, die in diesem Versprechen der westlichen Unterzeichnerstaaten weder etwas Neuartiges noch etwas Besonderes sehen, vor allem dann, wenn sie die bisherigen Versuche des Westens, die Frage der deutschen Wiedervereinigung voranzutreiben, kritisch beleuchten und dabei zu dem Schluß kommen, daß von einem besonderen Ideenreichtum in dieser für uns so wichtigen Frage bislang nur wenig zu bemerken war. Es soll durchaus offen ausgesprochen werden, daß uns die Bemühungen des Westens in dieser Hinsicht bisher nicht befriedigt haben. Wir meinen deshalb an die Bundesregierung den dringenden Appell richten zu müssen, sich in der kommenden Gemeinschaft der Westeuropäischen Union als, wenn ich das so ausdrücken darf, „gesamtdeutscher Hecht im europäischen Karpfenteich" zu betätigen.
Es darf nicht der Anschein erweckt werden, als ob — dem oberflächlichen Betrachter mag das in den letzten Monaten oft so vorgekommen sein — die Initiative in der Frage der deutschen Wiedervereinigung allein den sowjetischen oder den Pankower Machthabern überlassen wäre. Wir verkennen durchaus nicht, wenn wir so etwas sagen, daß die einander folgenden sogenannten Angebote von östlicher Seite zur deutschen Wiedervereinigung lange Zeit von Mal zu Mal schlechter und uridiskutabler wurden. Aber es kann andererseits nicht als aktive Wiedervereinigungspolitik des Westens bezeichnet werden, wenn man sich damit begnügt, auf solche sogenannte Angebote immer nur „nein" zu sagen. Wenn nicht auch von westlicher Seite Angebote und Pläne ausgearbeitet werden, in denen immer wieder offen vor aller Welt unsere begründeten Forderungen ihren Niederschlag finden, dann können wir selber bei unserer deutschen Bevölkerung sehr leicht in den Verdacht geraten, das politische Hauptanliegen Deutschlands nur lendenlahm zu vertreten.
Wir halten es deshalb für erforderlich, daß bald nach der Ratifizierung der Verträge ein eigenes Gremium von maßgeblichen Politikern der Bundesrepublik und der anderen Unterzeichnerstaaten gebildet wird, das sich ausschließlich mit der Frage


(Seiboth)

befaßt, auf welche Weise die deutsche Wiedervereinigung vorangetrieben und verwirklicht werden kann.
Die neuen Viererverhandlungen, die wir verlangen, müssen zu einem Zeitpunkt stattfinden, zu dem es noch möglich ist, den Vorurteilen der Sowjets entgegenzutreten, wonach ein künftiges Gesamtdeutschland hinsichtlich seiner außenpolitischen und damit auch seiner militärpolitischen Orientierung echte Entscheidungsfreiheit nicht haben werde. Auch wir haben es vor einem Jahr als nicht sehr glücklich empfunden, daß sofort nach der von den Außenministern der Westmächte auf der Berliner Konferenz abgegebenen Erklärung, Gesamtdeutschland würde hinsichtlich der von der Bundesrepublik und der sogenannten DDR geschlossenen Verträge nicht gebunden sein, von westdeutscher Seite in einem Atemzug erklärt wurde, es bestünde aber kein Zweifel daran, daß sich Gesamtdeutschland für den Westen entscheiden wird. Diese Meinung mag hinsichtlich einer ideologischen Entscheidung unseres ganzen, wiedervereinigten Volkes richtig sein. Aber wir sollten uns doch hüten, sie so auszusprechen, daß der Osten nach seinen Auslegungskünsten daraus abzulesen vermag, diese Meinung gelte auch für die künftige Orientierung zu einem bestimmten Militärblock hin. Ganz abgesehen davon, daß mit einer solchen Erklärung die Zustimmung der Westmächte zur Bindungsfreiheit Gesamtdeutschlands in den Augen der Sowjets entwertet wird, scheint es uns durchaus nicht von vornherein festzustehen, ob im Falle der Wiedervereinigung und nach Abschluß eines Friedensvertrages mit einer aus freien Wahlen hervorgegangenen gesamtdeutschen Regierung in der Welt nicht eine solche Entspannung eintreten oder sich zumindest ,abzeichnen würde, daß allmählich wieder an eine andere Politik als die einander gegenüberstehender Macht- und Militärblöcke gedacht werden könnte.
Bei einem Friedensvertrag für Deutschland, für den die unabdingbare Voraussetzung die Wiedervereinigung über wirklich freie Wahlen und die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung nach demokratischen Prinzipien ist, handelt es sich nach unseren Vorstellungen nicht etwa um einen Friedensschluß, wie wir ihn in Korea und Indochina erlebten. In Korea und in Indochina wurde mit den sogenannten Friedensschlüssen erst eine Lage ähnlich der deutschen geschaffen, d. h. es wurden Linien gezogen, Völker getrennt, eiserne Vorhänge heruntergelassen. Bei einem Friedensschluß mit Gesamtdeutschland aber würde es sich doch darum handeln müssen, erstmalig eine Trennungslinie zum Verschwinden zu bringen, den Eisernen Vorhang hochgehen zu lassen. Wir messen deshalb den Verhandlungen über den Friedensvertrag mit Deutschland eine ganz andere Bedeutung bei als jenen sogenannten Friedensschlüssen, die nach 1945 in der Welt zustande kamen. Wenn man auch nicht erwarten kann, daß die Friedensverhandlungen über Deutschland eine Art zweiter Wiener Kongreß sein würden, so kann doch wohl angenommen werden, daß ein solcher Friedensschluß durchaus geeignet sein könnte, die im Kalten Krieg erhärteten Frontlinien zwischen den beiden Machtblöcken auch außerhalb des deutschen Bereichs allmählich aufzutauen.
Während der Berliner Konferenz wurde uns deutlich, daß die Sowjets die Reihenfolge der Maßnahmen für die Wiedervereinigung, wie sie im Deutschen Bundestag verkündet worden war und im sogenannten Eden-Plan ihren Niederschlag fand, umkehren wollten. Die Sowjets wollten an den Beginn der Wiedervereinigungsmaßnahmen nicht freie gesamtdeutsche Wahlen stellen, sondern ein sogenanntes gesamtdeutsches Gremium, paritätisch zusammengesetzt aus Vertretern Bonns und Pankows, mit dem über den Abschluß eines Friedensvertrages verhandelt werden sollte. Das hätte bedeutet, daß Deutschland ein Diktatfriede auferlegt worden wäre, während es der Wille der Westmächte war und ist, mit einer aus gesamtdeutschen Wahlen hervorgegangenen freien deutschen Regierung einen Frieden unter gleichberechtigten Partnern auszuhandeln. Nur auf diese Weise und nach einer solchen Methode kann aller Welt sichtbar werden, nach welchen inneren Gesetzen das deutsche Volk seinen zukünftigen gesamtdeutschen Staat zu ordnen gedenkt.
Ich glaube, wir sollten es deshalb nicht übersehen, daß in letzter Zeit von sowjetischer Seite in dieser eminent wichtigen Frage das Zugeständnis angekündigt — allerdings eben nur angekündigt — worden ist, die Entwicklung zur Wiedervereinigung Deutschlands mit freien gesamtdeutschen Wahlen unter internationaler Kontrolle zu beginnen. Dies sollte immerhin schon Anlaß genug sein, sofort nach Ratifikation der Verträge Verhandlungen der Bundesrepublik, der Westmächte mit den Sowjets aufzunehmen, um zu klären, wieweit dieses Zugeständnis ehrlich gemeint ist und wie der Osten über die weitere Prozedur bis zum Zustandekommen eines Friedensvertrages und auch über den Status Gesamtdeutschlands denkt.
Auch uns ist klar, daß wir bei unserem Streben nach Wiedervereinigung und nach dem Abschluß eines Friedensvertrages die sowohl vom Osten als auch vereinzelt im Westen aufgeworfene Frage der Koexistenz der beiden Systeme in der Welt nicht übersehen dürfen. Wir sind allerdings der festen Überzeugung, daß das, was man sich gemeinhin unter Koexistenz vorstellt, niemals ein erstrebenswerter Endzustand sein kann. Es könnte sich nur um eine Zeitspanne handeln, um einen Waffenstillstand im Kalten Krieg, während dessen der echte Friede und die künftige friedliche Zusammenarbeit der Völker vorbereitet werden. Die Koexistenz kann von uns also ernsthaft überhaupt nur erwogen werden, wenn sie der Entspannung dienen soll. Würden aber während der Zeit der Koexistenz die derzeitigen Krisenherde und Spannungsmomente bestehenbleiben, so würden wir den gegenwärtigen Zustand nur unter einer neuen Bezeichnung, eben der der Koexistenz, weiterführen.
Wenn der Osten an dieser Koexistenz wirklich ernsthaft interessiert ist, dann muß er auch begreifen und zugeben, daß sie nicht auf Grund des Status quo verwirklicht werden kann. Man mag geteilter Meinung darüber sein, ob Völker, die einstmals zum westlichen Bereich gehörten und heute als Ganzes unter einem bolschewistischen System leben, vor Einleitung einer solchen Koexistenz wiederum der westlichen freien Welt zurückgegeben werden müssen. Von solchen Erwägungen sollte sich unser Volk in seiner derzeitigen Situation möglichst fernhalten, um nicht in den Verdacht zu geraten, auch seinerseits Kreuzzugstheorien zu huldigen.
Unbestreitbar aber ist doch — besonders auch nach den Grundsätzen der Vereinten Nationen —, daß jedes Volk ein Recht auf seinen ungeteilten nationalen Staat haben muß. Deshalb muß die deutsche Frage für sich und gesondert von den Pro-


(Seiboth)

blemen der Satellitenstaaten im mittel- und ostmitteleuropäischen Raum gesehen werden, weil vor der Entscheidung darüber, zu welchem politischen System sich unser Volk in seinem einheitlichen Staat entschließt, dieser eine deutsche Staat erst verwirklicht werden muß. Aus diesem Grunde muß mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden, daß der Gedanke einer Koexistenz bei uns und von uns erst dann diskutiert werden kann, wenn die deutsche Wiedervereinigung vollzogen und der gesamtdeutsche Staat geschaffen ist.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Zur Koexistenz gehört — auch nach Auffassung des Ostens —, daß sich ein Staat um die inneren Verhältnisse des anderen nicht kümmert, sondern sie als gegeben zur Kenntnis nimmt. Wenn der Osten wünscht, daß wir diese Auffassung akzeptieren, d. h. uns damit abfinden, es den einzelnen Völkern zu überlassen, unter welches System sie sich in ihrem Staat stellen oder beugen, dann müssen wir aber verlangen, daß der Osten nicht Menschen unter sein System zwingt, die Angehörige unseres Volkes oder Staates sind und deshalb bei uns und unter unseren Gesetzen zu leben ein Recht haben. Wir müssen fordern, daß er nicht weiter auf der Unterwerfung von 18 Millionen deutschen Menschen unter das uns fremde System von Pankow besteht und daß er alle jene Deutschen, die seit 10 und mehr Jahren als Kriegsgefangene oder wegen Nichtigkeiten Verurteilte in der Sowjetunion und in den Satellitenstaaten zurückgehalten werden, endlich zu uns entläßt. Ohne die Entlassung der deutschen Kriegsgefangenen und Verurteilten aus der Sowjetunion und den Satellitenstaaten kann nicht jenes Mindestmaß an Vertrauen entstehen, das zur Führung von Verhandlungen notwendig ist. Wenn es den Sowjets mit Verhandlungen so ernst ist, wie sie vorgeben, dann müssen sie auch ihrerseits dazu beitragen, daß eine soweit wie möglich günstige Verhandlungsatmosphäre geschaffen wird.
Zu dieser für Verhandlungen notwendigen und wenigstens einigermaßen vertrauensvollen Atmosphäre gehört aber auch, daß uns die Sowjets Beweise dafür geben, daß ihr Streben nach deutscher Einheit wirklich ernst gemeint ist. Wenn man einerseits die Berechtigung eines Volkes auf seinen eigenen Staat anerkennt, dann darf man nicht andererseits während der Periode der von dem betroffenen Volk nicht selbst verschuldeten Trennung die Grundlagen für einen künftigen einheitlichen Staat zerstören. Das geschieht aber in der Zone täglich durch die derzeitigen Machthaber. Vielleicht wird man sich mit ihnen nicht darüber einigen können, wie man sich politisch zu verhalten hat, um die Grundlagen des künftigen gemeinsamen deutschen Staates nicht zu zerstören oder zu gefährden. Aber es gibt genug andere Gebiete, auf denen die Notwendigkeiten für eine Wiedervereinigung beachtet werden könnten. Die Angebote von östlicher Seite zur Verwirklichung der deutschen Einheit sind unglaubwürdig, solange beispielsweise die Bevölkerung der Zone immer stärkeren Drangsalierungen hinsichtlich ihrer Teilnahme am kirchlichen Leben ausgesetzt ist, solange ein freier Reiseverkehr gehemmt bleibt, der innerdeutsche Warenaustausch gedrosselt wird und auch in Wissenschaft und Technik statt des Miteinander immer mehr das Gegeneinander gefördert wird. Es ist guter Wille auf beiden Seiten, auf allen Seiten erforderlich, wenn die Einheit ganz Deutschlands in Freiheit, Frieden und Sicherheit erreicht werden soll. Es ist
aber außerdem auf allen Seiten die Erkenntnis notwendig, daß in dem furchtbaren Zeitalter der Atombombe und der Wasserstoffbombe die Politik sich allmählich wieder dem Ziele zuwenden muß, Konfliktsherde für alle Beteiligten zufriedenstellend auszuräumen und ein Zeitalter vorzubereiten, in dem nicht mehr Militärblöcke einander gegenüberstehen, sondern die Völker zu einer friedvollen und fruchtbaren Zusammenarbeit gelangen. Die deutsche Wiedervereinigung dient diesem Ziel. Die Bundesrepublik will und muß Friedenspolitk betreiben. Folglich muß sie die Wiedervereinigung zu ihrem politischen Thema Nr. 1 erklären.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0206902600
Das Wort hat der Abgeordnete von Merkatz.

Dr. Hans-Joachim von Merkatz (CDU):
Rede ID: ID0206902700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion habe ich in der zweiten Lesung zu dem zentralen Problem der Wiedervereinigung Stellung zu nehmen. In den Worten meines Vorredners ist zum Ausdruck gekommen, zum Teil bestehe das Gefühl, es sei nicht die richtige innere Anteilnahme an der Herstellung dieser Einheit unseres Vaterlandes gegeben.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Wir wünschen, daß diese Anteilnahme gegeben ist, und sie ist gegeben. Es gehört zu den monotonen Diffamierungen in unserem Staate, daß der rechte Glaube an dieses Ziel nicht vorhanden sei. Damit schwächen wir unsere Position. Wir warnen aber auch mit allem Nachdruck vor einer Behandlung des Problems der Wiederherstellung der Einheit unseres Landes mit illusionären Methoden.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

In diesem Zeitpunkt Illusionen zu haben, ist nicht nur eine Schwächung unserer Position, sondern bedeutet, den echten, realen Willen weiter erlahmen zu lassen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich habe namens meiner Fraktion eines ganz deutlich zu sagen, um diesem ganzen Mißbrauch, der mit der Propagierung dieser Idee oft getrieben wird, entgegenzutreten. Wir sind nicht bereit, für die Wiedervereinigung den Preis der Freiheit zu zahlen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das muß einmal deutlich ausgesprochen werden. Denn dieser Preis würde nicht nur für die Bevölkerung hier gezahlt werden, er würde auch zu Lasten der 18 Millionen gezahlt werden, deren menschliches Schicksal drüben in der Unfreiheit eine schwere Tragödie ist, eine menschliche Tragödie, deren Härte und Tiefe von uns Tag für Tag mitempfunden werden muß. Das ist die größte Last, die wir in dieser Zeit zu tragen haben. Wir würden bei der Preisgabe der Freiheit alle Grundlagen, jede Hoffnung, jede Aussicht auf die Wiederherstellung der Freiheit in unserem ganzen Vaterlande verspielen. Abgesehen davon möchte ich eines auch einmal ganz deutlich sagen: man darf die Dinge nicht nur auf Grund der östlichen Wünsche und mit östlichen Augen betrachten, als ob die psychologische Kriegführung drüben schon bei uns nennenswerte Wirkungen gezeigt hätte. Glaubt denn wirklich jemand, der die Dinge real betrachtet, daß der Westen, der schließlich hier


(Dr. von Merkatz)

auch etwas mitzureden hat, zulassen würde, daß wir Dummheiten machen und unsere Freiheit wegwerfen?

(Fortgesetzte Zurufe von der SPD.)

Er würde uns die Handlungsfähigkeit wieder nehmen, und dann wären wir da, von wo wir vor
zehn Jahren einmal mühevoll ausgegangen sind.

(Zurufe von der SPD.)

Nein, meine Damen und Herren von der Opposition, so einfach ist der Weg zurück zur deutschen Einheit nicht.

(Zurufe von der SPD. — Abg. Dr. Arndt: Reden Sie doch nicht so einen Quatsch!)

— Ob Sie das Quatsch nennen oder nicht, das berührt mich wenig. Ich habe hier meine Meinung zu sagen. Sie haben Ihre Meinung weitgehend zum Ausdruck gebracht, und trotz dieses Ausdruckgebens Ihrer Meinung ist irgendeine Klarheit in diesem Lande noch nicht erreicht worden.

(Beifall rechts und in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

Es wird davon geredet, daß die Wiederherstellung der Einheit unseres Landes das oberste Ziel deutscher Politik sei.

(Abg. Wehner: Das dringendste!)

Auch hier habe ich einige Kritik an den Begriffen zu üben. Es ist das selbstverständliche Ziel eines Volkes und einer Nation, die Einheit seines Staates zurückzugewinnen; sonst ist dieses Volk überhaupt nicht da. Ohne die Herstellung der Einheit Deutschlands ist Deutschland eben noch nicht wieder im geschichtlichen Raum. Wir haben, wenn wir diesen Weg gehen, Aufgaben zu erfüllen. Aber was heißt das Wort: oberstes Ziel? Es ist das selbstverständliche Ziel. Wenn in diesem Wort „oberstes Ziel" drinstecken sollte, daß damit eine Preisgabe des Bündnisses mit dem Westen verbunden sei, dann lehnen wir diese Begriffsbildung ab; denn es gibt viele einzelne Ziele der deutschen Politik, um das Grundziel, nämlich die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Sicherheit und Freiheit zu erreichen. Auch das sind Verdrehungen, die klargestellt werden müssen.

(Beifall rechts und in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

Ich sehe mich genötigt, gegen einige Behauptungen des Herrn Kollegen Wehner Widerspruch zu erheben. Er hat gesagt, daß die Eingliederung in einen Militärpakt mit automatischen Bündnisverpflichtungen ohne Rücksicht auf die Sonderlage Deutschlands, wenn ich ihn richtig verstanden habe, in seinem gespaltenen Zustand vereinbart worden sei. Ich verstehe diese Bemerkung nicht. Meiner Ansicht nach ist dieses ganze Vertragswerk, diese ganze Bündnispolitik ja erst dadurch hervorgerufen worden, daß dieses Land gespalten ist und daß eine der Besatzungsmächte ihren Einflußbereich bis tief in die Mitte Europas vorgetragen hat. Dieses ganze Vertragswerk wäre ja gar nicht zustande gekommen, gar nicht nötig geworden, wenn dieser Tatbestand nicht zu unseren Lasten in Europa geschaffen worden wäre.

(Zustimmung rechts und in der Mitte. — Zurufe links.)

Zweitens hat Herr Kollege Wehner gesagt, in keinem Punkt dieses Vertragswerks sei der Gespaltenheit Deutschlands Rechnung getragen worden. Das ist einfach falsch. In fünf Punkten wird
der Gespaltenheit Deutschlands Rechnung getragen.
Punkt 1 ist eine Streichung, indem nämlich der Passus, der einen bestimmten Weg der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands vorsah, in der Präambel zu dem sogenannten Deutschlandvertrag fortgefallen ist, um damit zu verdeutlichen, daß das Grundziel der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf jedem Weg und mit jeder gangbaren Methode erreicht werden soll. Das ist Punkt eins, in dem in sehr weitgehendem Maße bei dem Pariser Vertrag auf die Spaltung Deutschlands Rücksicht genommen worden ist.
Punkt 2: Man hat zu demselben Zweck den Art. 7 Abs. 3 gestrichen, hat also die sogenannte Bindungsklausel weggelassen, um völlig freie Hand zu geben, daß sich ein Staatensystem in der Mitte Europas durch Verständigung zwischen Ost und West herausbildet, das dann die Möglichkeit der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands gibt.
Punkt 3: Die Revisionsklausel — Art. 10 des abgeänderten Deutschlandvertrages — ist auch wesentlich elastischer gestaltet worden, um jedenfalls alle Möglichkeiten offenzuhalten, die der Wiederherstellung Deutschlands in der Mitte Europas Raum geben, weil man erkannt hat — das ist in den letzten Jahren immer deutlicher geworden —, daß die Frage der Wiederherstellung Deutschlands und der Abschluß des österreichischen Staatsvertrages Schlüsselfragen für den Frieden in Europa und damit für den Frieden in der Welt sind.
Punkt 4: Die Londoner Erklärung vom 3. Oktober 1954 wird immer ein wenig en bagatelle behandelt. Sie ist das wichtigste politische Kernstück der Verträge überhaupt. Dort ist ausdrücklich als Bündnisgrundlage zum Ausdruck gebracht, daß die Schaffung eines völlig freien — völlig freien! — und vereinigten Deutschlands durch friedliche Mittel ein grundlegendes Ziel der Politik unserer Bündnispartner ist.
Schließlich Punkt 5: die Erklärung der Bundesregierung, die Übernahme der Verpflichtung, daß sie die Wiedervereinigung Deutschlands oder die Änderung der gegenwärtigen Grenzen Deutschlands niemals — ich unterstreiche: niemals — mit gewaltsamen Mitteln herbeizuführen versuchen wird.
Herr Kollege Wehner hat ferner vorgebracht, daß Revisionsmöglichkeiten mit Rücksicht darauf, daß der Deutschlandvertrag ja mit dem Atlantikpaktvertrag verzahnt sei, tatsächlich kaum gegeben seien. Auch diese Ansicht ist nicht richtig. Alle strategischen Maßnahmen, die die NATO plant, müssen einstimmig beschlossen werden. Sobald die Bundesrepublik Mitglied des Atlantikrates ist, kann sie ihre Forderung maßgeblich zur Geltung bringen. Die vertragliche Verpflichtung zur Beistandsleistung ist im Rahmen des Atlantikpaktes keine automatische. Lediglich in der Westeuropäischen Union handelt es sich um automatische Beistandspflichten für den Fall eines bewaffneten Angriffs. Hier wird doch Deutschland nicht etwa in fremde Konflikte hereingezogen, sondern diese Bestimmung dient im Gegenteil unserem Schutz. Wenn man die Dinge anders darstellen will, versieht man sich doch vollkommen in der realen Lage Deutschlands.
Es ist auch nicht richtig, daß diese Verträge nicht genügend Raum für eine aktive Politik der


(Dr. von Merkatz)

Wiedervereinigung lassen. Meine Damen und Herren — ich muß die Opposition anreden —, damit stellen Sie die Dinge doch auf den Kopf. Ohne daß Deutschland die Souveränität der Handlung zurückerhält, ohne daß wir mit am Tisch sitzen, um für unser nationales Ziel, nämlich die Herstellung der Einheit Deutschlands herbeizuführen, handeln zu können, sind wir noch viel weniger in der Lage, eine wirklich aktive Politik der Wiedervereinigung zu führen. Ich bin allerdings der Auffassung, eine aktive Politik zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands ist nicht eine Politik lediglich der Deklamationen und der Propaganda, sondern eine Politik zäher, geduldiger, kluger und zweckmäßiger diplomatischer Verhandlungen,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

in denen wir als Staat mitzusprechen haben.
Lassen Sie mich noch ein Wort sagen, das vielleicht etwas Mißverständnis hervorrufen kann. Herr Kollege Wehner hat gesagt, wir müßten alles vermeiden, was die Grenze des Eisernen Vorhangs zu einer Staatsgrenze werden lasse, und es sei hier etwas von der faktischen Macht der Tatsachen, die die Dinge zu unseren Ungunsten vorwärtstreiben könnten. Ich glaube, daß die Tatsache des Eisernen Vorhangs, jener Abschnürung unserer Brüder und Schwestern drüben von uns, vom freien Teil Deutschlands, dem Gewicht nach, der Wirklichkeit nach eine viel schlimmere Tatsache ist, als es etwa eine Staatsgrenze sein könnte. Eine Staatsgrenze ist leicht zu überwinden, aber eine Grenze zwischen zwei Welten ist es nicht. Das ist doch das Schicksal, das wir tragen müssen.

(Beifall rechts. — Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Wo leben Sie denn? — Weitere lebhafte Zwischenrufe von der SPD.)

— Ich lebe hier in der Bundesrepublik und sehe unsere Aufgabe darin, die Freiheit dieses Landes mit den uns gegebenen Mitteln zu verteidigen und uns nicht auf die Versuchungen der psychologischen Kriegführung von der anderen Seite einzulassen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

Lassen Sie mich noch etwas sagen. Es ist mir reichlich viel von dem Wegfall der Bindungsklausel und von der Freiheit einer künftigen gesamtdeutschen Regierung gesprochen worden. Ja gewiß, wir wollen ein souveränes Deutschland, das sich frei entscheiden kann; sonst wäre es nicht souverän. Aber wenn sich hinter dieser Polemik die Auffassung verbergen sollte, ,daß es auch einen Weg außerhalb des Bündnisses mit den Westmächten gibt, die uns bisher geholfen haben, dann werden wir uns gegen diese Auslegung wenden. Das ist auch einer der Punkte, bei dem man langsam das. Gefühl bekommt, daß etwas anderes damit gewollt sein könnte, nämlich ein neutralistisches, ein neutralisiertes oder auf andere Weise isoliertes Deutschland. Dieses isolierte Deutschland wird es nicht geben, niemals.

(Hu-Rufe von der SPD. — Zuruf von der SPD: Das nehmen Ihnen auch Ihre Freunde nicht mit Beifall ab!)

— Meine Damen und Herren, die Fragen sind zu ernst, als daß ich hier spreche, um von irgendeiner Seite her Beifall zu bekommen oder nicht zu bekommen.

(Zuruf von der SPD: Aber die Lautstärke!)

— Die Lautstärke zwingen Sie mir ab, indem Sie dauernd dazwischenreden;

(Sehr gut! rechts und in der Mitte)

sonst könnte ich die Dinge auch sehr viel leiser sagen. Wir sind hier nicht angetreten, um einen Zirkus der Rhetorik herbeizuführen.

(Zuruf von der SPD: Sie machen einen Zirkus, und einen ausgesprochenen!)

Was liegt denn vor? In welcher tragischen Situation müssen wir uns bewegen? Wir haben tatsächlich durch zwei verlorene Weltkriege, durch Fehler, für die auch wir mit zu haften haben, die Einheit des Reiches verloren und wir haben die Aufgabe, diese Einheit wiederaufzubauen. Deutschlands Einheit ist nicht allein eine Frage des inneren Wollens und des inneren Vorgangs, sondern — das hat die Geschichte nun seit über hundert Jahren bewiesen — sie ist auch ein Vorgang, der abhängig ist von äußeren Bedingungen. Hier gilt es — das ist unsere Aufgabe —, diese äußeren Bedingungen richtig zu nutzen und uns den Realitäten der Welt so anzupassen, daß so bald wie möglich das nationale Ziel, die Wiederherstellung unserer Einheit, erreicht werden kann. Leider haben wir das, was unsere Großväter und unsere Urgroßväter geschaffen haben, aufs Spiel gesetzt. Wir haben es verloren. Wir müssen das zurückgewinnen, was ein Bismarck, was andere geschaffen haben: die Einheit unseres Landes. Auch ein Bismarck hat diese Einheit des Landes nicht in der Paulskirche hergestellt, sondern er hat sie hergestellt im diplomatischen Ringen mit den Großmächten und in richtiger Abschätzung der außenpolitischen Lage.

(Lebhafte Zurufe von der SPD: Mit Blut und Eisen! — Weitere Zurufe van der SPD. — Unruhe.)

Er hat diese Einheit des Landes hergestellt durch eine sehr kluge, zielstrebige Politik.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Anhaltende Zurufe von der SPD: Mit Blut und Eisen! — Weiterer Zuruf von der SPD: Sie haben sich verständlich gemacht! — Abg. Hansen [Köln] : Sie haben die Katze aus dem Sack gelassen!)

— Meine Damen und Herren, Sie wollen uns doch nicht hier das dumme Schlagwort vom Kanzler von Blut und Eisen vorhalten! Es hat selten einen deutschen Staatsmann gegeben, der eine so vorsichtige, so kluge, so weitsichtige Politik getrieben hat wie dieser Mann, der der Welt, der Europa fünfzig Jahre des Friedens gegeben hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Mit welchem Ergebnis? — Abg. Dr. Menzel: Drei Kriege hat er geführt!)

Meine Damen und Herren, es wird hier von Alternativen gesprochen. Es gibt nicht die Alternative: Aufrüstung oder Wiedervereinigung; so steht die Frage nicht. Ich sehe nur eine einzige Alternative. Verhandlungen zwischen Ost und West werden kommen, so oder so.

(Abg. Meitmann: „So oder so"?)

Die deutsche Alternative ist die, ob wir mit dabei sind, ob wir mitbestimmen können oder ob wir nicht mit dabei sind, ob wir reines Objekt bleiben. Das ist die echte Alternative, die ich sehe.


(Dr. von Merkatz)

Natürlich, es geht um eine Verständigung zwischen Ost und West. Es geht um eine Koexistenz, um dieses Wort zu gebrauchen. Herr Kollege Kiesinger hat es heute morgen gut und klar ausgelegt; ich brauche nicht vieles hinzuzufügen. Koexistenz ist an sich ein östlicher Begriff. Er ist eben nicht dasselbe wie ein normales völkerrechtliches Verhältnis des Friedens, in dem man miteinander Handel treibt, sich besucht und Informationen austauscht. Solange ein Eiserner Vorhang einen Teil dieser Welt, der östlichen Welt, abschließt, gibt es eben leider kein — wir bedauern das zutiefst — normales Verhältnis zwischen den Völkern. Koexistenz heißt dann eben nichts anderes als die Hinnahme dieser Tatsache und ein Vermeiden jeder kriegerischen Reibung und jeder Spannung.
Wer allerdings im Westen unter Aufnahme dieses Wortes aus dem Wortschatz des Bolschewismus die Aufrechterhaltung des Status quo ablesen will, der stößt auf unsere Ablehnung. Heute hat fast jeder Redner diesen deutschen Grundgedanken zum Ausdruck gebracht. Aber irgendwie müssen auch wir zu dem Wollen der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands uns ein Bild machen, müssen wir eine Aussicht und einen konkreten Weg aufzeigen. Das ist in der heutigen Lage, da sich die Dinge so verkrampft haben, außerordentlich schwierig. Immerhin wäre es schon ein sehr großer Fortschritt, wenn in der ganzen Welt, bei uns und vor allen Dingen auch in der Sowjetunion der absolute Friedenswille, den Weg des Ausgleichs und der Verständigung unter Verzicht auf jede Anwendung von Gewalt zu suchen, als Grundprinzip befolgt würde. Das wäre überhaupt der Ausgangspunkt, der Frage näherzutreten. Dabei ist die deutsche Wiedervereinigung abhängig von dem Status und von der Stellung, die man einem Gesamtdeutschland in Europa und in der Welt geben will. Der innere Vorgang der Wiederherstellung der Einheit, nämlich die freien Wahlen, ist dann eine Frage, die sich nach der Bestimmung eines Status in der Freiheit relativ leicht wird lösen lassen. Meine Freunde sind dann, wenn dieser Status erst einmal bestimmt ist, für jede kühne Politik, auch für ein Risiko bereit, um im Wege der freien Wahlen die innere Einheit unseres Landes herzustellen.
Worum geht es? Die Sowjetunion sagt, sie wolle die Sicherheit ihrer Westgrenze. Wir antworten: Wir wollen die Sicherheit vor ihr. Bisher hat die Sowjetunion für den äußeren Status Deutschlands noch keinen anderen Vorschlag gemacht als das, was in der Note vom 10. März 1952 steht. Sie will dort Deutschland — so stellt sie sich den Friedensschluß vor — in eine Satellitenstellung bringen. Das deckt sich mit allen Erklärungen, die von sowjetischen Führern gegeben worden sind. Sicherheit im Sinne der Sowjetunion heißt ein Sicherheitsgürtel an ihrer Westgrenze, den sie beherrscht, und, um ihn beherrschen zu können, die Herstellung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Tatbestände dort, die mit dem System in ihrem eigenen Lande übereinstimmen. Das ist der Weg, der nicht gegangen werden kann, der unmöglich ist.
Es kommt darauf an — gewiß —, in Europa ein Sicherheitssystem zu schaffen und es in die Verhältnisse der Welt einzubetten, ein Sicherheitssystem, das uns die Freiheit und die Sicherheit auch nach Osten gibt und das zugleich das sicherlich vorhandene Bedürfnis der Sowjetunion befriedigt, daß ihre Westgrenzen in Ruhe und Frieden gesichert sind.
Die diplomatische Aufgabe ist, soweit ich sehe, auf welche Weise der Ausgleich zwischen Ost und West geschaffen werden kann. Es kommt der Tag, da diese Verständigung gefunden wird. Aber diese Verständigung im Sinne eines auch in innerer Freiheit lebenden Sicherheitsgürtels an der Westgrenze der Sowjetunion, diese echte Verwirklichung einer Entspannungspolitik ist nicht mit einem isolierten Deutschland möglich, auch nicht mit einem sogenannten militärbündnisfreien Deutschland, wenn ich den Begriff der Opposition richtig verstehe, sondern sie ist nur möglich,

(Abg. Meitmann: Mit der Panzerfaust!)

wenn dieses Deutschland in eine europäische Gemeinschaft eingebaut ist und diese europäische Gemeinschaft die Funktion des Sicherheitsgürtels und der Entspannung zwischen Ost und West übernimmt.
Diese Gedanken sind auch bei anderen Rednern angeklungen, insbesondere auch bei dem Redner des BHE, und ich freue mich, daß wir uns hier in den Grundauffassungen, wie sie die Beschlüsse des Direktoriums meiner Partei und unsere Grundsatzerklärung zum Ausdruck gebracht haben, in Übereinstimmung befinden. Gewiß, das ist ein fernes Ziel; aber ich halte es nicht für ein utopisches Ziel. Es muß eben, und wenn es noch so schwierig ist und noch so lange dauert, um dieses Ziel einer echten Entspannung zwischen West und Ost in Zusammenarbeit mit der westlichen Welt gerungen werden.
Lassen Sie mich hier ein Wort, damit ich nicht mißverstanden werde, ganz deutlich sagen: bisher verdanken wir unsere Freiheit den Vereinigten Staaten von Amerika, und es wäre nicht nur undankbar, sondern geradezu töricht, wenn wir jetzt nicht sehen wollten, daß die durch den zweiten Weltkrieg tief geschwächten europäischen Nationen augenblicklich nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft für ihre Sicherheit einzustehen. Wir haben dieses Stück freien Lebens in einem Restteil Deutschlands erhalten bekommen durch den Schutz, den uns diese Macht gegeben hat. Wir sollten jetzt nicht unter der Einwirkung der sowjetischen Propaganda an dieser Grundlage unserer freiheitlichen Existenz rütteln und glauben, wir könnten nun aufs Eis tanzen gehen und irgendwelche Dinge machen, die nicht mit der gesamten Weltlage übereinstimmen. Wir sind nicht — auch das ist hier zum Ausdruck gekommen — ein so entscheidender Faktor. Wir müssen uns schon den Gegebenheiten der Welt fügen. Aber wir können glücklich sein, daß wir etwas in die Hand bekommen, daß wir bei den übermächtigen Gegebenheiten in der Welt nicht zum reinen Objekt gemacht werden.
Verhandlungen — ich finde die Frage, ob vor, während oder nach der Ratifizierung verhandelt werden soll, gar nicht richtig gestellt — wird es zwischen Ost und West sofort geben, wenn diese Verhandlungen einen Sinn haben und ein befriedigendes Ergebnis erwarten lassen. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, dann werden sie geführt. Diesen Zeitpunkt können leider nicht wir bestimmen. Ich weiß, was für eine Tragik damit verbunden ist. Jeder Monat, der verfließt, in dem diese Frage nicht angefaßt werden kann, bedeutet eine gesteigerte menschliche Tragödie drüben. Die Zeit arbeitet nicht für uns, sie arbeitet da drüben klar


(Dr. von Merkatz)

gegen uns. Aber wir dürfen trotzdem nicht das Grundziel verlieren, daß keine Verhandlung geführt werden kann auf der Grundlage des Sicherheits- und des Freiheitsverzichtes. Das sind wir auch den Menschen drüben schuldig.
Solange ein sowjetisches Nein und besonders ein sowjetisches Nein nach der Ratifikation dieser Verträge stehen würde, wäre ein Aufrechterhalten dieses Neins nichts anderes als der Beweis aggressiver Absichten. Denn wenn man sich verständigen will, ist jederzeit und auf jeder Grundlage, die die Sicherheit beider Teile begünstigt, eine Verhandlung und eine Verständigung notwendig und möglich.
Es ist heute so oft das Wort von der Viererkonferenz gefallen. Ich sage dagegen: Fünferkonferenz! Denn wir haben dabeizusein.

(Abg. Meitmann: „Wir haben"!)

Wir haben uns dann auch nicht durch irgendwelche Bedenken abhalten zu lassen. Es kommt auf unsere Verantwortung, auf unser Mitspracherecht an. Diese Fünferkonferenz, an der wir teilnehmen werden, sobald wir die Souveränität des Handelns zurückgewonnen haben, bedarf allerdings einer sorgfältigen Vorbereitung. Es ist die Forderung des Direktoriums meiner Partei, daß eine internationale Kommission gebildet wird, ,die sich mit den Grundlagen einer europäischen Sicherheit und der damit zusammenhängenden Fragen der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands und des Abschlusses des österreichischen Staatsvertrages — die beiden Dinge hängen zusammen — zu befassen haben wird. Das wird sehr viele sorgfältige Arbeit erfordern. Aber wir dürfen hoffen, daß es bald zu einer wirklichen Inangriffnahme dieser Fragen zwischen Ost und West kommt.
Ich bin mir bewußt, daß die Verträge natürlich nicht ein „Sesam öffne dich!" für die Wiederherstellung der deutschen Einheit sein können — das wäre illusionär gesehen —; aber sie sind ein Ausgangspunkt dafür, daß Deutschland und die Drei Mächte mit der vierten Macht, die Gewalt über uns hat, mit dem Ziel der Verständigung und der Herstellung des Friedens verhandeln können. Ich bin ferner der Auffassung — und darf diese Forderung meiner Partei betonen —, daß für die Fragen der inneren Politik der Wiederherstellung der Einheit, also die Fragen, wie ein Wahlgesetz auszusehen hat und welche Methoden bei dem inneren Vorgang der Wiederherstellung der Einheit zu befolgen sind, ein Ausschuß der Regierung unter Beteiligung aller Parteien gebildet werden sollte. So viel für heute zu dieser ja wohl entscheidendsten Frage. Wir sind also der Auffassung, daß sowohl die Seite der äußeren Politik als auch die Seite der inneren Politik aktiv in Angriff genommen werden muß, um die Wiederherstellung der Einheit unseres Staates, ohne die es keinen Frieden und ohne 'die es keine Beruhigung in der Mitte Europas geben kann, zu erreichen. Allerdings sehen wir mit wachsender Sorge, daß in einem geradezu leichtsinnigen Nihilismus an den erreichten Grundlagen unserer Freiheit und unserer wirtschaftlichen Existenz in diesem Staate gerüttelt wird, in einer Art von Masochismus, möchte ich beinahe sagen, in einem Trieb, das, was man aufgebaut hat, mit kindischer Hand wieder zu zerstören. Wir werden uns gegen diese Auswirkungen der psychologischen Kriegführung wenden.
Nun noch ein Wort zum Schluß. Heute ist wieder das Wort „Preußentum" gefallen und eine Verbindung zu der bolschewistischen Ideologie hergestellt worden. Ich möchte hier einmal darauf hinweisen, daß solche Diffamierungen und Verbindungen, wie sie auch von der Propaganda der Sowjets versucht werden, unterlassen werden sollten. Bedenken Sie: dieses untergegangene Preußen ist unsere Heimat, und wer etwas von der Geschichte dieses Landes weiß, wer weiß, was preußischer Geist ist, der wird es ablehnen, daß diese Staatsidee, die im kategorischen Imperativ eines Kant in Königsberg ihren Ausdruck gefunden hat, mit einer inneren oder äußeren Dressur eines kollektivistischen Wesens in Verbindung gebracht wird.

(Sehr richtig! beim GB/BHE.)

Wir möchten endgültig das geachtet wissen, was unser persönliches Gut und ein Gut ganz Deutschlands war, nämlich unsere preußische Heimat, unsere östliche Heimat, die in uns fortlebt und eines Tages als eine Heimat der Deutschen wiederaufgerichtet werden wird.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0206902800
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.

Anton Sabel (CDU):
Rede ID: ID0206902900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der erste Teil dieser Vertragsdebatte beschäftigt sich mit dem Problem der Wiedervereinigung Deutschlands. Lassen Sie mich dazu einige Bemerkungen vom Blickpunkt der deutschen Arbeitnehmerschaft machen. Die Wiedervereinigung ist unser aller Anliegen. Sie ist auch ein Anliegen der deutschen Arbeiterschaft, und ich glaube, wir alle würden diese Wiedervereinigung als die Krönung unserer gemeinsamen Arbeit am Wiederaufbau eines gesunden demokratischen Staates betrachten. Ich werde im Laufe meiner Ausführungen einige kritische Bemerkungen über verschiedene Vorgänge der letzten Zeit machen müssen. Aber das veranlaßt mich gerade, eingangs wieder einmal auf die hervorragenden Leistungen auch der deutschen Arbeitnehmerschaft beim Wiederaufbau unseres Vaterlandes hinzuweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU und beim GB/BHE.) Ich möchte sagen: beim Wiederaufbau nicht allein im wirtschaftlichen Bereich, sondern darüber hinaus bei der Stabilisierung eines demokratischen Gemeinwesens.


(Zuruf von der SPD.)

— Ja, ich sage dazu noch einiges. Ich möchte auch bei dieser Gelegenheit die positive Arbeit der Organisationen der Arbeitnehmer nicht vergessen. Ich weiß darum, daß viele verantwortungsbewußte Gewerkschaftler, auch Funktionäre der Gewerkschaften, einen maßgeblichen Anteil an der gesunden Entwicklung der Bundesrepublik haben.

(Zuruf von der SPD: Sagen Sie das Herrn Reusch!)

Nun hat in der letzten Zeit der Deutsche Gewerkschaftsbund bei verschiedenen Anlässen zu den Problemen Stellung genommen, die wir heute diskutieren. Ich sage in aller Offenheit, wir haben gegen diese Stellungnahmen zum Teil starke Bedenken anzumelden,

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

weil diese Stellungnahmen im Ergebnis falsch sind und weil sie nicht die Meinung der deutschen Arbeiterschaft insgesamt wiedergeben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)



(Sabel)

Ich weiß, daß wir unterscheiden müssen zwischen den Stellungnahmen des Deutschen Gewerkschaftsbundes, ich meine von dessen Spitze, und den Stellungnahmen einzelner Landesbezirke bzw. einiger Industriegewerkschaften. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat beim vorjährigen Gewerkschaftskongreß in Frankfurt und auf seiner Vorstands-
und Ausschußsitzung am 17. Februar 1955 in Düsseldorf zu den Verträgen Stellung genommen. Dabei — ich muß leider diese Feststellung treffen — hat er sich im Endergebnis der Meinung der SPD angeschlossen.

(Zuruf von der SPD: Das ist schlimm!)

— Ja, das ist bedauerlich.

(Zuruf von der SPD: Der darf keine Meinung haben?!)

— Ich werde Ihnen auch sagen, warum ich es nicht für gut halte. Man wird sich einmal die Frage vorlegen müssen, warum es überhaupt zu solchen einheitlichen Beschlüssen oder Beschlüssen gegen wenige Stimmen kommen konnte. Wenn man, diese Frage überprüft, dann kommt man eben zu dem Ergebnis, daß die Zusammensetzung des Gewerkschaftskongresses und der Spitzenorgane leider sehr einseitig ist.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. Meitmann: Was wollen Sie damit sagen?)

— Ich will damit sagen, bei der Zusammensetzung handelt es sich nicht um ein echtes Spiegelbild der Mitgliedschaft,

(erneute Zustimmung bei der CDU/CSU) sondern hier ist nur eine Seite zum Zuge gekommen.


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Minderheitsgruppen werden weithin bei der Beschickung dieser Kongresse und auch bei der Besetzung der Organe leider ignoriert.

(Abg. Meitmann: Dann sind Sie eben eine Minderheit! Der Gewerkschaftskongreß ist doch frei gewählt!)

— Herr Kollege, ich glaube, man kann mit Ihnen diese Frage nicht diskutieren; Sie wollen sie anscheinend nicht verstehen.

(Abg. Meitmann: Was wollen Sie denn damit betonen?)

— Ich möchte, daß diese Kongresse und auch die Organe des Gewerkschaftsbundes ein echtes Spiegelbild der Gesamtmitgliedschaft darstellen.

(Zurufe und Unruhe bei der SPD.)

Ich möchte vermeiden, daß weite Teile ausgeschaltet werden, wie es leider heute der Fall ist.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Meitmann: Wie wollen Sie das anders herstellen als durch freie Wahlen?)

Wenn der DGB Wert darauf legt, daß seine Meinungsäußerungen zukünftig größeres Gewicht erhalten, wird er sich meines Erachtens darum bemühen müssen, die Situation zu ändern.

(Zurufe von der SPD: Und ja zu Ihrer Politik zu sagen! — Dann hat er Gewicht!)

Grundsätzlich möchte ich zu den Beschlüssen bemerken, daß sich der DGB mit Problemen beschäftigt hat, für die wir ihn nicht als zuständig betrachten können.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Aber die Mitglieder!)

Sicher ist es nicht leicht, hier nun die saubere Scheidung zu treffen.

(Zuruf von der SPD: Aha!)

Wir wissen, daß manches Sozialpolitische und Wirtschaftspolitische in engstem Kontakt mit dem Allgemeinpolitischen steht. Aber eine Zuständigkeit einer Interessenorganisation — nicht nur des DGB, auch anderer — in außenpolitischen Angelegenheiten können wir keinesfalls anerkennen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

Auch die in den Satzungen des DGB verankerte politische Neutralität hätte ihn veranlassen müssen, zurückhaltender zu sein. Ich möchte einmal ernsthaft sagen: Ich habe den Eindruck, daß einige Persönlichkeiten, die besser Politiker geworden wären als Gewerkschaftsfunktionäre,

(Sehr gut! in der Mitte)

nun einen bedenklichen Kurs steuern und daß andere, besonnenere Leute sich nicht dagegen wehren, weil sie Angst haben, daß ihnen bei nächster Gelegenheit der Stuhl vor die Türe gesetzt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Meitmann: Koalitionspolitik!)

Mit Entschiedenheit muß dagegen Verwahrung eingelegt werden, daß die Beschlüsse der DGB-Organe die Meinung der gesamten Mitgliedschaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes wiedergeben.

(Sehr richtig! rechts.)

Tatsächlich billigt ein großer Teil, wenn nicht sogar der größte Teil der deutschen Arbeiterschaft die Politik der Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lebhafter Widerspruch und Lachen bei der SPD. — Zuruf links: Das ist ein Witz!)

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund — meine Herren, hören Sie gut zu! — sollte sich einmal Gedanken darüber machen, daß bei der Wahl zum Bundestag im September 1953, wo es ganz einwandfrei auch um eine Entscheidung über die Außenpolitik der Regierung ging, in ausgesprochenen Großstädten und Industriebezirken nicht die Kandidaten der SPD, sondern die Kandidaten der CDU gewählt wurden.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Albers: Trotz der Propaganda!)

Darf ich Sie erinnern an die Wahlergebnisse in Städten wie München, Augsburg, Stuttgart, Frankfurt, Köln, Düsseldorf, Mülheim, Duisburg, Gladbeck, Herne, Hagen, Bochum und so viele!

(Zurufe von der SPD.)

Dort, in diesen ausgesprochenen Industrieorten, hat man CDU-Kandidaten gewählt. Damit ist doch wohl deutlich, daß ein erheblicher Teil der deutschen Arbeiterschaft nicht Ihrer Politik, sondern unserer Politik die Zustimmung gibt.

(Beifall in der Mitte.)

Die Maßnahmen mancher Landesverbände des DGB sind noch stärker kritikbedürftig, so die Propaganda des DGB in Bayern und in Hessen für eine Volksbefragung und die Durchführung von gewissen Kundgebungen. Wir alle kennen noch unseren Kollegen Wönner, der auch dem 1. Deutschen Bundestag angehört hat und der in Bayern sich nun in dieser Frage, sagen wir ruhig,


(Sabel)

1 mit einer besonderen Radikalität eingeschaltet hat. Den Kollegen Wönner, der sich ja für die Volksbefragung ausgesprochen und sie forciert hat, möchte ich doch einmal auf eine Stellungnahme der Metallarbeiterzeitung hinweisen.

(Zuruf von der SPD: Sie sind im falschen Saal!)

Die Metallarbeiterzeitung ist die Zeitung der Industriegewerkschaft Metall, etwa 1,6 Millionen Auflage. Sie ist kein CDU-Organ, sie steht keinesfalls in Verdacht, eines zu sein. Dafür sorgt schon der Kollege Brandel, der die Redaktion hat; Sie kennen ihn ja. Diese Metallarbeiterzeitung schrieb — ich möchte mit Genehmigung des Herrn Präsidenten diese paar Zeilen vorlesen — am 7. Juli des vergangenen Jahres unter der Überschrift „Volksbefragungsrummel":
Volksbefragungen sind die fürchterlichen Zerrbilder freier Wahlen.

(Hört! Hört! in der Mitte)

Schlimmer noch: sie sind von jeher ein brutales Mittel aller Diktaturen zur Knebelung der öffentlichen Meinung.

(Beifall und Hört! Hört! in der Mitte und rechts. — Zurufe von der SPD.) Mit ihrer Hilfe

— hören Sie sich diesen Satz noch gut an! — wird nicht Meinung ermittelt, sondern „Meinung" „demonstriert".

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Ich sagte schon, die Metallarbeiterzeitung ist kein CDU-Organ. Ich hätte gewünscht, daß sich der Kollege Wönner gerade diese Stellungnahme der Metallarbeiterzeitung etwas näher angesehen hätte.

(Zuruf von der SPD: In Schulfragen sind Volksbefragungen also gerechtfertigt? — Weitere Zurufe.)

— Wir haben ja heute keine Schuldebatte! (Heiterkeit in der Mitte.)

Bei der Diskussion des Problems in der Vorstandssitzung und Ausschußsitzung am 17. Februar in Düsseldorf wurde den Teilnehmern dieser Sitzung auch eine Stellungnahme des Exekutivausschusses der größten amerikanischen Gewerkschaft AFL vorgelegt.

(Zurufe von der SPD: Aha! Die darf!)

Sie wissen ja, daß diese Gewerkschaft eine ganz andere Stellung einnimmt als der DGB.

(Abg. Wehner: Entdeckung Amerikas durch Sabel!)

— Es ist gut, daß ich Gelegenheit habe, Ihnen einiges von dieser Stellungnahme vorzutragen. Ich kann mir vorstellen, daß es Ihnen unbequem ist.

(Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Die Regierung läßt es sich gern gefallen! Es steht schon im Bulletin!)

— Ich freue mich darüber, daß inzwischen auch das Bulletin etwas zur Verbreitung dieser Meinung beigetragen hat.
Lassen Sie mich einiges aus dieser Stellungnahme sagen. Da werden zunächst in der Einleitung die freien Gewerkschaften Europas einschließlich Westdeutschlands gebeten, alles zu tun, um zu einer schnellen Annahme der Verträge von
London und Paris beizutragen. Es ist dann in dieser Erklärung gesagt worden, daß die Verträge lediglich der Verteidigung von Frieden und Freiheit dienen. Zur Frage der zukünftigen Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands ist in dieser Erklärung gesagt worden, die Ratifizierung der Verträge von London und Paris würde zukünftige Verhandlungen zwischen den demokratischen Staaten und der Sowjetunion nicht unmöglich machen, sondern tatsächlich dazu dienen, Voraussetzungen zu schaffen, die viel geeigneter sind, eine Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit herbeizuführen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206903000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?

Anton Sabel (CDU):
Rede ID: ID0206903100
Bitte, Herr Präsident!

Fritz Erler (SPD):
Rede ID: ID0206903200
Empfindet der Herr Abgeordnete nicht einen kleinen Widerspruch darin, daß er den d e u t s c h en Gewerkschaften das Recht bestreitet, zu Fragen der deutschen Politik Stellung zu nehmen, aber den amerikanischen Gewerkschaften dieses selbe Recht zubilligt?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)


Anton Sabel (CDU):
Rede ID: ID0206903300
Nein, Herr Kollege Erler. Zweifellos hat diese Frage eine gewisse Berechtigung.

(Lachen und Zurufe von der SPD.)

— Kollege Erler, ich habe hier nicht über die Frage der Berechtigung der amerikanischen Gewerkschaften zur Stellungnahme gesprochen. Ich habe aber aus der Stellungnahme zitiert, und ich will Ihnen auch einmal sagen, warum ich das getan habe. Als diese Stellungnahme dem Deutschen Gewerkschaftsbund zugeleitet wurde, hat man alles getan, um diese Stellungnahme nicht in die Öffentlichkeit gelangen zu lassen.

(Lebhafte Zurufe: Hört! Hört! von der Mitte und rechts. — Widerspruch bei der SPD. — Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Das hat schon in der Presse gestanden!)

Deswegen halte ich es für gut, diese Auffassung hier einmal vorzutragen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206903400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Frage?

Anton Sabel (CDU):
Rede ID: ID0206903500
Nein!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206903600
Ich bedaure!

(Lebhafte Zurufe von der SPD. — Beifall bei der CDU/CSU.)


Anton Sabel (CDU):
Rede ID: ID0206903700
In dieser Erklärung

(anhaltende Zurufe von der SPD)

— ich habe Zeit — heißt es weiterhin, und ich glaube, das sollten wir uns doch einmal merken, Schwäche ermutige und Stärke entmutige Expansionsgelüste. Weiterhin wird darauf hingewiesen, daß der soziale Fortschritt wichtig für die Erhaltung des Friedens sei, daß er aber allein keine Garantie gegen militärische Aggression sei. Und es heißt wiederum, die Bereitschaft und Fähigkeit zur Verteidigung des eigenen Landes und zur Zusammenarbeit mit anderen Völkern zur Erhaltung von Frieden und Freiheit dürfe niemals mit aggressivem Militarismus verwechselt werden.


(Sabel)

Es könnte jetzt aus dieser Erklärung noch manches hier vorgetragen werden. Ich will es bei den wenigen Kostproben bewenden lassen. Es stehen noch sehr, sehr gute Sachen darin. Aber ich glaube, man sollte auch heute bei dieser Gelegenheit einmal darauf hinweisen, daß auch andere Leute, die weltanschaulich zu Ihnen zählen, daß maßgebliche Sozialisten in europäischen Ländern, daß auch die freien Gewerkschaftler in den übrigen europäischen Ländern die Frage doch wesentlich anders beurteilen, als sie von Ihnen hier beurteilt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Ich will in diesem Zusammenhang nicht über die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme reden. Darüber einiges zu sagen, wird morgen Gelegenheit sein.
Ich möchte zu einigen Schlußbemerkungen kommen. Wir halten die Verträge für ein geeignetes Mittel, nein, ich möchte noch deutlicher werden, für das zur Zeit einzig brauchbare Mittel, die von uns allen ersehnte Wiedervereinigung Deutschlands zu erwirken in einer guten Zusammenarbeit mit dem freien Westen, und wir sind der Meinung, daß die Verträge auch dazu dienen, den Frieden zu sichern. Wir sehen in der Stärke und Einigkeit des Westens die beste Friedenssicherung, und wir glauben, um unseren Menschen in der Bundesrepublik die Freiheit zu erhalten und den Menschen im übrigen Deutschland, im nicht freien Deutschland, diese Freiheit zu bringen, müssen wir diese Verträge verabschieden. Wir sehen in den Verträgen die Garantie dafür, daß die wirtschaftliche und die soziale Entwicklung weiter fortschreiten wird.
Ich sage in aller Deutlichkeit: Wir sind sicher, daß gerade die deutsche Arbeitnehmerschaft nüchtern und realistisch genug ist,

(Zuruf von der SPD: Jawohl!)

die Dinge recht zu werten, und daß sie das Verständnis für den einzigen zur Zeit gangbaren Weg hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Deshalb hat sie ihn abgelehnt!)

— Die deutsche Arbeitnehmerschaft hat diese Verträge nicht abgelehnt, Herr Zwischenrufer. Ich bin überzeugt, daß sie um ihre Verantwortung für die gesamte Nation weiß.
Ich möchte schließen mit einem Wort eines Arbeiterdichters, der im ersten Weltkrieg gefallen ist, keines Nationalisten, eines Mannes von der Linken. Ich glaube, dieses Wort galt für die vergangenen Jahre und gilt für die Gegenwart. Ich möchte Ihnen dieses Wort zurufen:
Herrlich zeigt sich in deiner größten Gefahr, daß dein ärmster Sohn auch dein getreuester war.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Vergessen Sie das nicht, Herr Kollege! Denken Sie immer daran!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206903800
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt (Berlin).

Willy Brandt (SPD):
Rede ID: ID0206903900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich die Absicht, im Rahmen dieses Teils der Debatte nur einige Ausführungen über die Stellung Berlins im
Vertragswerk zu machen und bei dieser Gelegenheit einige Wünsche vorzubringen, einige Anregungen zu geben, von denen meine Freunde und ich glauben, daß sie schon hätten Berücksichtigung finden sollen und womöglich noch Berücksichtigung finden müßten.
Der Gang der Debatte legt es nahe, zu einigen der inzwischen gemachten Ausführungen Stellung zu nehmen. Dabei sind es insbesondere zwei Argumente des Kollegen Lemmer, mit denen ich mich etwas befassen möchte. Aber vielleicht gestatten Sie auch, daß ich da noch eine Einfügung mache. Ich möchte noch ein paar Worte zu dem sagen, was der Kollege Sabel eben vorgetragen hat.
Ich bin in keiner Weise befugt, für den Deutschen Gewerkschaftsbund zu sprechen. Ich nehme an, daß Kollegen, die in seinen Reihen maßgebliche Vertrauensfunktionen innehaben, sich dazu selbst äußern werden. Aber, Herr Kollege Sabel, über eines sind wir uns doch hoffentlich im klaren: wir sind hier nicht auf einem Bundeskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes,

(Zurufe von der Mitte)

sondern im Deutschen Bundestag. Und, Herr Kollege Sabel, wenn Sie vom „Kollegen" Wönner sprachen, — Kollege im Bundestag ist Herr Wönner seit Abschluß der Legislaturperiode des 1. Bundestages nicht mehr, so daß die Auseinandersetzung mit dem Gewerkschaftskollegen Herrn Wönner zweckmäßigerweise vor einem anderen Forum als dem des Deutschen Bundestages zu führen wäre.
Aber lassen wir das einmal beiseite, Herr Kollege Sabel. Sie haben der Meinung Ausdruck gegeben, daß diese große gewerkschaftliche Organisation mit dem, was ihre gewählten Körperschaften zum Ausdruck brächten, nicht die wirkliche Meinung der Arbeitnehmerschaft wiedergebe.

(Abg. Sabel: Ja!)

Das unterliegt natürlich einer sehr individuellen Beurteilung, und wir könnten hier stundenlang in Bundestagsdebatten darüber reden, ob die Stellungnahmen anderer großer beruflicher, konfessioneller oder sonstiger Organisationen nun jeweils das ausdrücken, was die durch sie vertretenen Teile des Volkes meinen mögen. Häufig wird bei solchen Fragen die politische Beurteilung nicht ganz genau mit der Zugehörigkeit zu dieser oder jener nichtpolitischen Organisation übereinstimmen. Herr Kollege Sabel, wenn Sie meinen, Sie könnten die Dinge einfach damit beiseite schieben, daß Sie sagen: Wir haben doch die Wahlergebnisse vom Herbst 1953, an die wir uns halten sollten. Gewiß, die sind ein schwerwiegendes Argument. Aber nicht weniger schwer wiegen die Wahlen des Jahres 1954, Herr Kollege Sabel,

(lebhafter Beifall bei der SPD)

und eine gewisse politische Entwicklung in unserem Volk kann, wenn man die Dinge schon von dieser Seite her sehen will, nicht übergangen werden.
Ich möchte Ihre geschätzte Aufmerksamkeit einmal auf folgenden Tatbestand lenken, in dem doch ein Stück der Tragik unserer bundesrepublikanischen Situation und der Tragik der Entscheidung, vor der wir stehen, steckt. Man mag über Meinungsbefragungen — ich spreche jetzt nicht von Volksbefragungen — denken, was man will. Es hat sich in der Welt die Auffassung durchgesetzt, daß sie mit den bekannten Abstrichen nach oben und unten gewisse Entwicklungen aufzuzeigen


(Brandt [Berlin])

durchaus in der Lage sind. Und was haben wir jetzt in den letzten paar Monaten erlebt? Bei zwei Befragungen eines der größten Institute haben wir sowohl zum Problem der Wiederbewaffnung wie zum Problem, ob erst verhandelt werden soll oder ob erst die Verträge abgeschlossen werden sollen, gesehen, daß der Trennungsstrich bei der erwachsenen Bevölkerung — und zwar nicht einfach übereinstimmend mit den Parteilinien, weder bei Ihnen noch bei uns — faktisch mitten durch das Volk hindurchgeht. Da steckt doch ein ganz ernstes Problem, und das können Sie nicht mit dem Hinweis darauf abtun, daß die Opposition hier mit einem Drittel vertreten ist. Das ist die faktische Lage im Volk.
Herr Kollege Sabel — jetzt komme ich zur Arbeitnehmerschaft —, die beiden Befragungen dieses großen und sonst von auch von Ihnen anerkannten Persönlichkeiten benutzten Meinungsforschungsinstitutes zeigen zweierlei: Während zur Frage der Wiederbewaffnung einerseits, zur Frage der Verhandlungen andererseits der Schnitt quer durchgeht, zeigt sich, daß bei den jungen Männern

(Zuruf von der Mitte: Aha!)

und daß bei den Arbeitern in beiden Fragen eine ganz deutliche Mehrheit eine solche Beantwortung der Fragen vertritt, wie sie von dieser (zur SPD) Seite des Hauses hier vertreten wird. Ich sage das jetzt gar nicht polemisch; ich sage es einfach, um darzutun, daß man die Größenordnungen sehen muß und daß man auch sehen muß, daß, wenn wir die Bevölkerung als Ganzes nehmen, die wichtigen Gruppen unserer jungen Menschen — vorhin hat einer „Aha" oder so etwas dazwischengerufen; als ob es etwas für die Jugend Herabsetzendes wäre, o wenn sie sich mit besonderer Besorgnis mit diesem Problem auseinandersetzt —, aber auch der Arbeiterschaft diesen Dingen aus sehr naheliegenden Gründen mit besonderer Sorge gegenüberstehen.
Nun noch ein letztes Wort zu den Bemerkungen, die Herr Kollege Sabel hier vorgetragen hat. Es hat schon Stellungnahmen der American Federation of Labor zu Fragen der westlichen und der deutschen Außenpolitik und des Ringens um die deutsche Einheit und einer ganzen Reihe anderer wichtiger Fragen gegeben, die man mit mindestens ebensoviel Recht hier hätte zur Kenntnis bringen können. Wenn man aber die jetzigen Stellungnahmen zur Kenntnis bringt — ich denke, dazu wird in einem anderen Teil unserer etwas aufgegliederten Debatte noch Gelegenheit sein, und ich möchte mich an die Aufgliederung halten —, dann sollte man dem Hause und der Öffentlichkeit auch nicht verschweigen, Herr Kollege Sabel, daß diese große amerikanische Gewerkschaftsorganisation das Saarabkommen als ein Teil des uns vorliegenden Vertragswerks für verwerflich hält

(Hört! Hört! bei der SPD)

und an die amerikanische Regierung den eindringlichen Appell richtet, sich nicht damit abzufinden, daß ein solches Abkommen zustande kommt.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn schon, dann muß man den einen Inhalt und den anderen sehen.
Aber nun zu den beiden Argumenten, die Herr Kollege — ich darf sagen, vor allen Dingen, wenn ich von unserer Berliner Zusammenkunft ausgehe: Koalitionsfreund — Lemmer

(Heiterkeit)

zu den Dingen der deutschen Wiedervereinigung hier vorgetragen hat. Da sind es zwei Dinge. Zunächst einmal das Argument, wir sollten, gerade wenn es sich um das Ringen um die deutsche Wiedervereinigung handelt, unseren Einfluß in der Welt nicht überschätzen. Herr Kollege von Merkatz hat dem hinzugefügt, wir seien leider - und ich wage dem nicht zu widersprechen — gegenüber den wirklich großen Faktoren, den ganz wenigen großen Faktoren der Weltpolitik heute kein ausschlaggebender Faktor. Aber sowenig wir unseren Einfluß in der Welt überschätzen dürfen, sowenig dürfen wir — und darin sollten wir dann wohl hoffentlich auch einer Meinung sein — unterschätzen, daß es beim Ringen um die Wiedervereinigung Deutschlands letzten Endes auf dieses Volk selbst ankommt. Auf wen sonst sollte es ankommen?

(Beifall bei der SPD.)

Es macht sich doch — das zeigt sich jetzt bei der Beurteilung des Vertragswerks oder jedenfalls von Teilen des Vertragswerks draußen — bei unseren Nachbarn vielfach ein schreckliches Mißverständnis geltend, das Mißverständnis, unser Unglück könne anderen zum Vorteil gereichen,

(Sehr gut! bei der SPD)

das Mißverständnis, alles würde in Europa und der Welt gut werden, wenn wir nur aufhören wollten — wie man es insbesondere auch an die Adresse des Herrn Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen gesagt hat — zu schreien, oder das tragische Mißverständnis, es liege im Interesse der westlichen Politik, lieber das halbe Deutschland ganz, als das ganze Deutschland halb zu haben. Diese Mißverständnisse müssen - und da ist unserer Meinung nach auf dem Wege des Verhandelns um diese Verträge schon sehr viel versäumt worden — nachdrücklich korrigiert werden. Es muß ein Zustand erreicht werden, bei dem, von unserem eigenen Volk einmal abgesehen, draußen in der Welt niemand darüber im Zweifel sein darf, daß sich dieses Volk niemals mit der willkürlichen und widernatürlichen Spaltung abfinden wird.
Herr Kollege von Merkatz, Sie haben Bismarck zitiert, und ich beabsichtige gar nicht, darauf mit vereinfachten, vielleicht, wie es aus der Zuspitzung früherer Zeiten verständlich sein mochte, überspitzten Gesichtspunkten zu antworten. Ich folge Ihnen sogar bis zu einem gewissen Grade, wenn Sie an die Bismarcksche Politik in der Zeit nach 1871 denken. Aber, Herr Kollege von Merkatz, worin drückte sich diese Politik aus? In dem Satz an die Adresse der Maßlosen: Wir sind saturiert. Und, Herr Kollege von Merkatz, wir sind nicht saturiert; wir können es nicht sein, wir sind dieses halbe Deutschland. Wir können uns eben nicht wie Bismarck im Verhältnis zur nicht zustande gekommenen großdeutschen Lösung gegenüber dem anderen Teil dieses Volkes in der sowjetischen Besatzungszone verhalten.

(Beifall bei der SPD.)

Wir müssen die Satten und die Müden und die Trägen in unserem Volk aufrütteln und uns immer wieder die Frage stellen, ob die deutsche Politik wirklich das getan hat, was in ihrer Macht stand, um die Kräfte unseres Volkes auf diesen entscheidenden Punkt zu konzentrieren und einen unbändigen Willen aus diesem Volk heraus zu entwickeln.


(Brandt [Berlin])

Ich darf hier einen Mann zitieren, der einen
Namen in Deutschland und in der Welt hat und
der zu diesen Problemen gesagt hat — ich zitiere
mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —: Jahrelang hat die Außenpolitik Deutschlands sich in einer angeblichen Realpolitik auf die Aufgabe konzentriert, Papierpläne für kommende Divisionen auszuarbeiten. Die eigentliche politische Arbeit . . . ist immer wieder bei allem Lippendienst in der Sache zweitrangig behandelt worden.
Es heißt dann weiter:
Es zeugt von einer vollständigen Verkennung der Realitäten des deutschen Lebens und der geistigen Struktur unseres Volkes, wenn man das Schreckgespenst eines wehrlosen Deutschlands an die Wand malt, d. h. eines Deutschlands ohne Armee und ohne ein Bündnis mit den doch sicherlich gegen den Kommunismus noch weniger immunen Nachbarländern, das eine leichte Beute der Sowjets werden könnte. Diese Chance haben die Sowjets mit ihren Methoden der Herrschaft endgültig verpaßt. Wir haben Zutrauen zu uns selbst, wir haben Zutrauen zu unserer geistigen und moralischen Stärke und wir sind überzeugt, daß die Behauptung Berlins, die Ereignisse des 17. Juni und all die Dinge, die wir noch erleben werden, eine größere Garantie für die innere Gesundheit und für die politische und moralische Stärke Deutschlands sind als nur Divisionen. Wir sind keine Pazifisten. Wir verstehen die Realitäten der weltpolitischen Lage durchaus. Aber wir glauben, daß der deutsche Beitrag zur Verteidigung der freien Welt und zur Befeiung der uns zunächst genommenen Gebiete in diesem Augenblick zunächst in etwas anderem bestehen muß. Was wir unter diesem anderen verstehen, haben die Ereignisse dieses Jahres auch den Ungläubigen plastisch vor Augen geführt.
Ich habe diese Sätze vorgetragen, weil sie von dem Mann stammen, der vorhin in einem gewissen Gegensatz zu den Auffassungen der Sozialdemokratischen Partei hier zitiert worden ist. Ich habe Ernst Reuter aus der letzten politischen Rede am Sonntag vor den Septemberwahlen des Jahres 1953 zitiert. Niemand ist es verwehrt, in der politischen Auseinandersetzung auch die besonderen Betonungen, die bestimmte Persönlichkeiten in diesem und jenem Lager auf das eine und das andere politische Element legen, zur Kenntnis zu nehmen, sich damit auseinanderzusetzen. Aber es geht nicht an, daß man verstorbene politische Menschen in einem einseitig parteipolitischen Sinne ausnutzt, ohne ihnen der Sache nach wirklich gerecht zu werden.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Bei dieser Rede Ernst Reuters zu diesem Problem - ich zitiere nach dem Novemberheft 1953 der Zeitschrift „Der Monat" — handelt es sich um so etwas wie das Stück eines politischen Testaments, dem man sich auch in der parteipolitischen Auseinandersetzung mit einer gewissen Ehrfurcht nähern muß, auch wenn man die Meinung nicht teilt. Reuter sagt in derselben Rede, zunächst an die Adresse der Sowjets: Wir werden niemals auf eure Bedingungen eingehen. Wir werden niemals auf etwas anderes eingehen, als daß unsere 18 Millionen frei werden. Aber dann fährt er fort:
Der Westen wird auf der anderen Seite, wenn
er wirklich die Wiedervereinigung Deutschlands will, nicht darauf bestehen können, daß 1 Deutschland vor dieser Wiedervereinigung ein Teil des westlichen Bündnissystems wird.

(Abg. Dr. Arndt: Hört! Hört!)

Die künftige Stellung Deutschlands in der Welt kann endgültig nur geregelt werden durch eine Vereinbarung einer aus freien Wahlen hervorgegangenen Regierung für ganz Deutschland und der Vier Mächte.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Wenn man diesen Gedanken fortführen wollte, zu dem ich durch den Hinweis des Kollegen Kiesinger heute vormittag angeregt wurde, dann müßte man davon reden, wie gerade dieser Mann, der in so schweren Jahren das Wort Berlins geführt hat, sich doch letzten Endes auch verzehrt hat, weil es nicht in ausreichendem Maße gelang, die deutsche Politik auf diesen entscheidenden Punkt des Ringens um die Wiedervereinigung zu konzentrieren und Verständnis dafür zu wecken, daß vielleicht Divisionen notwendig sein mögen, wenn es nicht anders geht, daß aber jedenfalls die Freisetzung von 18 Millionen unserer Menschen auch für die Sicherheit der westlichen Welt mehr bedeuten würde als 12 westdeutsche Divisionen.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)

Ein zweites Argument. Herr Kollege Lemmer hat gemeint, im Grunde reduziere sich die Auseinandersetzung zum Thema des Verhandelns um die Wiedervereinigung — und darin drücke sich eine gewisse Annäherung von Standpunkten in der Sache aus — heute weitgehend auf die Frage, ob vor oder nach der Ratifizierung der Verträge verhandelt werden solle. Darin mag, wie man ja auch aus der Berichterstattung ersehen konnte, einiges Richtige stecken. Aber ich glaube, es wird der uns beschäftigenden Problematik und dem, was zwischen den beiden Seiten des Hauses diskutiert wird, nicht ganz gerecht. Ich will gar nicht bestreiten, daß, wie es auch ein Antrag meiner Fraktion zum Ausdruck bringt, in einer Periode zwischen einer formalen Annahme der Verträge und ihrer etwaigen Verwirklichung unter Umständen noch außerordentlich wichtige Chancen wahrgenommen werden könnten. Ich stehe auch, glaube ich, mit allen meinen politischen Freunden auf dem Standpunkt, daß es über das ernste Warnen vor sich auftürmenden Gefahren hinaus natürlich nirgends einen Schlußpunkt in unserem Bemühen um das Verhandeln über unser Lebensproblem geben kann.
Aber diese Fragestellung „vor oder nach der Ratifizierung" wird dem, was die Opposition vorzubringen hat, insofern nicht gerecht, als wir fragen: Selbst wenn die Mehrheit und die Bundesregierung aus Gründen, die sie für durchschlagend, für überzeugend halten, der Meinung sind, es muß jetzt ratifiziert werden, welchen vernünftigen Sinn gibt es selbst von diesem Ausgangspunkt Ihrer eigenen Politik aus, daß nicht auf dem Wege dahin alles getan wird, um zu sondieren, um zu erforschen, um festzustellen — mit den uns zur Verfügung stehenden, gewiß unzulänglichen Mitteln — im Osten und anderswo

(Zuruf von der Mitte: Wie denn?)

— ich werde gleich ein Beispiel nennen; ich bitte, eine halbe Minute zu warten —, ob sich nicht doch
— vielleicht ist es nicht so, dann um so schlimmer


(Brandt [Berlin])

für uns alle — gewisse Bedingungen für das Ringen um die deutsche Einheit verändert und für uns verbessert haben könnten?
Es wurde dazwischengerufen: Wie denn? Sehr verehrter Herr Zwischenrufer, ich hoffe, wenn ich den Fall etwas umschreibe, daß ich nicht gegen die Vertraulichkeit der Beratungen des Auswärtigen Ausschusses verstoße.

(Zuruf von der Mitte: Das hoffe ich auch!)

Ich darf also folgendes sagen. Als vor einiger Zeit ein sehr umstrittener früherer hoher Offizier der Wehrmacht aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft heimkehrte und beim Grenzübertritt gewisse Aussagen machte über das,' was ihm ein sowjetischer, mit Gefangenenfragen befaßter Offizier gesagt hatte, da tat die Bundesregierung das, was in dieser Sache das — ich glaube, nach unser aller Überzeugung — einzig Richtige war: Sie griff diese Mitteilung eines sehr zweifelhaften Mannes in einer sehr zweifelhaft übermittelten Form auf, um die Westmächte auf dem Weg über die Hohe Kommission zu bitten, an Ort und Stelle feststellen zu lassen, was es damit auf sich hat, ob wir erwarten können, daß unsere Gefangenen zurückkommen, wann wir damit rechnen können. Da meinen wir, Herr Zwischenrufer: es hat in dieser Zwischenzeit einige Aussagen und Dokumente von vielleicht weitreichenderer Bedeutung gegeben, wonach wir ein entsprechendes Verfahren auf dieser und anderer Ebene für dringend geboten gehalten hätten. Vor allem aber geht es — weit über die Frage „vor oder nach der Ratifizierung?" hinaus — doch darum, worüber verhandelt werden soll.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Ob vor oder nach, das Worüber ist doch die entscheidende Frage.
Wenn man das anerkennt, dann muß man in die Problematik einsteigen, die einerseits durch die unabdingbare Forderung nach freien Wahlen gegeben ist. Niemand von uns — wir brauchen das nicht polemisch zu verwenden, Herr Kollege von Merkatz — will die Einheit um den Preis der Freiheit. Aber die Problematik ergibt sich aus diesem Anspruch, gekoppelt mit der Notwendigkeit, einen Status für dieses Deutschland zu finden, mit dem wir selber zufrieden sein können, wenn wir vielleicht auch nicht über ihn begeistert sein werden, mit dem aber außer uns noch die Vier Mächte zufrieden sein müssen, ohne deren Zustimmung wir zu einem solchen wiedervereinigten Deutschland leider nicht kommen können.
Hier ist das Wort von der Bündnisfreiheit gefallen und ausgelegt worden.

(Abg. Dr. Tillmanns: Bündnislosigkeit!)

Herr Kollege Lemmer sagte: Also isoliert! — Die Sozialdemokratische Partei hat sich niemals für eine Bündnislosigkeit im Sinne des Sich-Isolierens ausgesprochen

(Bravo!und Aha!-Rufe in der Mitte und rechts — Abg. Arndgen: Bündnislosigkeit!)

— ich bitte, mir einen Augenblick Gehör zu schenken —, sondern sie hat einfach die Tatsache festgestellt, die uns gefallen mag oder nicht, die sich aber nun einmal aus den Verhältnissen in der Welt ergibt, daß es äußerst unwahrscheinlich ist, man könnte dieses Deutschland wieder zusammenfügen und es in seiner Gesamtheit entweder dem militärischen Ostblock oder dem militärischen Westblock einverleiben.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Die Sozialdemokratische Partei und Fraktion hat also gesagt, daß gegenüber diesen beiden heute faktisch bestehenden konkreten militärischen Blocksystemen keine solche Eingliederung möglich sein kann, wenn man die Wiedervereinigung anstrebt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was wollen Sie denn jetzt?)

Die Unterstellung einer Politik des Den-RückenKehrens, einer Politik der Isolierung, von der hier gesprochen worden ist, übersieht die Tatsache, daß gerade diejenigen, die aus der Sorge um die Wiedervereinigung die eben aufgezeigte Problematik immer wieder zur Debatte stellen, die Zugehörigkeit unseres Volkes zum Kreis der westlichen Kultur und zur Gemeinschaft der sich demokratisch regierenden Nationen für über jede Diskussion erhaben halten. Es handelt sich einfach um die Frage, wie die sicherheitsmäßige Stellung — nicht die politische, nicht die geistige, nicht die kulturelle, nicht eine einseitige, etwa nach östlicher Seite einseitige Festlegung ökonomischer Art, sondern wie die sicherheitsmäßige Stellung dieses Deutschlands nicht in der Luft hängend, sondern eingeordnet in ein kollektives Sicherheitssystem geregelt werden könnte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Welches?)

— Meine Damen und Herren, keiner hat das fertige Rezept

(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

in Händen und kann es in Händen haben, weil es
nur das Ergebnis von Verhandlungen sein könnte.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Wir müssen aber mit unseren alliierten Freunden reden und sie überzeugen, daß die Deutschen keine opportunistische Schaukelpolitik — denn das befürchtet man doch draußen — betreiben würden. Wir können — bei aller Anerkennung der Verdienste der Vereinigten Staaten, von denen hier die Rede war — nicht einfach die Rezepte aller unserer Freunde in der westlichen Welt übernehmen. Wir müssen das Mißtrauen uns gegenüber ausräumen; aber wir müssen andererseits unseren Freunden draußen sagen, welches Mißtrauen in großen Teilen unseres Volkes gegenüber ihrer unklaren Haltung in der Frage der Wiedervereinigung besteht, und sie davon überzeugen, daß es nicht um unserer schönen Augen willen, sondern weil es gilt, der Unruhe in Europa vorzubeugen und zu verhindern, daß die Karte der Wiedervereinigung in die falschen Hände gelangt, notwendig ist, dieses Problem nicht irgendwann, sondern rasch anzupacken. Denn wenn die deutsche Wiedervereinigung nicht in dieser Generation gelöst wird, dann besteht die Gefahr, daß sie entweder überhaupt nicht mehr gelöst wird oder daß sie dann von einem ganz anderen Ausgangspunkt mit dem Ausspielen sehr gefährlicher östlicher Karten und einem Zusammenspiel sehr gefährlicher Kräfte in Angriff genommen werden könnte.
Und nun, meine Damen und Herren, darf ich einige Bemerkungen weniger polemischer Art zu dem Berlin-Komplex machen und sagen: Es hat wenig Sinn, darüber zu spekulieren, ob Berlin im Zusammenhang mit dem Vertragswerk neuen Schwierigkeiten ausgesetzt sein wird. Das weiß niemand. Wir wissen nur, daß es eine Rechtsgrundlage für neue Schikanen nicht geben wird, und wir wissen, daß die Berliner sich nicht beirren lassen,


(Brandt [BerLin])

sondern ihrer Arbeit nachgehen und sich ihrer besonderen Aufgabe in Deutschland bewußt bleiben werden. Aber ich möchte sagen: Sosehr wir gewisse Berlin betreffende Bestandteile des Vertragswerks auch unsererseits — ich sage das auch gerade als Berliner Abgeordneter — begrüßen, sosehr erscheint uns auf einem bestimmten Gebiet eine Korrektur erforderlich.
Es ist gut, daß die Garantie für Berlin erneuert und erweitert worden ist. Es ist gut, daß die Alliierten ihre Bereitschaft erklären, die Selbstverwaltung soweit wie möglich zum Zuge kommen zu lassen und auf dem Boden gegenseitigen Vertrauens zu gestalten. Es ist gut, daß die Bereitschaft der Bundesregierung zur Hilfe für Berlin jetzt den Charakter der Freiwilligkeit und der Selbstverständlichkeit erhält und daß die Hilfeleistungserklärung der Bundesregierung sachlich, inhaltlich erweitert worden ist. Manchem von uns will es allerdings nicht recht einleuchten, warum in Abweichung von den Vorschlägen des Berliner Senats nicht einfach von der „deutschen Hauptstadt", sondern von der „vorgesehenen deutschen Hauptstadt" die Rede ist. Ich finde, wenn wir uns aus guten Gründen und mit vollem Recht auf den Standpunkt stellen, Deutschland lebe völkerrechtlich innerhalb der Grenzen von 1937 weiter, dann muß das beinhalten, daß die Hauptstadt Deutschlands Berlin heißt, es sei denn, die frei gewählte Nationalversammlung beschlösse anders.
Für bedauerlich halte ich, daß einem einhelligen Wunsch der Berliner, vorgetragen durch den vorigen Senat, dem die Sozialdemokraten bekanntlich nicht angehörten, nicht Rechnung getragen worden ist. Dieser Wunsch Berlins ging davon aus, daß in dieser Hilfeleistungserklärung und damit bei dieser Neuregelung unserer Beziehung zu den Westmächten auf die fortschreitende Eingliederung in den Bund Bezug genommen werden möge. Statt dessen ist das alliierte Schreiben vom Mai 1952 in London einfach bestätigt worden. Berlin ist dabei leider nicht konsultiert worden. Das war nicht gut; denn wir können heute weniger denn je darauf verzichten, daß Berlin so eng wie möglich nicht nur tatsächlich, sondern auch darüber hinaus mit dem Bund verflochten wird. Darum müssen wir bestrebt sein, die alliierten Vorbehalte in dieser Hinsicht aufzulockern. Es wäre nicht gut, wenn es allein bei der Feststellung bliebe, die wir heute morgen im Bericht des Herrn Kollegen Furler gehört haben und gegen die sich, von dieser Seite her gesehen, gewiß nichts einwenden läßt, daß Berlin international-rechtlich nicht zum Bund gehöre. Dem muß doch zumindest nebengeordnet, für mich jedenfalls übergeordnet werden, daß Berlin nach deutschem Recht zum Bund gehört und Land des Bundes ist.

(Allgemeiner Beifall.)

So steht es im Grundgesetz, und ich freue mich, daß wir dieser Auffassung auch jetzt gemeinsam zustimmen. So entspricht es also dem Willen unserer Volksvertretung hier und in Berlin. Aus deutscher Sicht gehört Berlin auch de jure zum Bund; faktisch kommt diese Zugehörigkeit wegen übergeordneter alliierter Vorbehalte noch nicht voll zum Tragen.
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Wir in Berlin anerkennen alle die besonderen Rechte und Pflichten der Westmächte in Berlin. Wir wollen ihnen die Ausübung dieser Rechte und Pflichten nicht erschweren; denn sie üben sie ja nicht zu ihrem eigenen Vergnügen aus. Wir anerkennen,
was die alliierte Seite angeht, bis auf weiteres durchaus eine Sonderlage, einen besonderen Status der Alliierten. Wir anerkennen, daß die Westmächte in Berlin durch ihre Kommandantur Träger der obersten Gewalt bleiben, daß sie auch Kontrollinstanz bei der Übernahme von Bundesrecht sind und bleiben. Ich wiederhole: Wir wollen die Stellung der Alliierten nicht erschweren und ihre Lage nicht komplizieren. Wir wollen auch die Aufgaben, die dem Bund in Berlin obliegen, nicht erschweren, sondern erleichtern. Aber ich bestreite nachdrücklich, daß der Status der Alliierten in Mitleidenschaft gezogen würde, wenn die Mitgliedsrechte Berlins im Bund verstärkt würden.

(Abg. Kiesinger: Sehr gut!)

Wir sollten das eine vom anderen trennen und uns
nicht zum Gefangenen von Überlegungen machen,
die in früheren Vorbehalten zum Ausdruck kamen.
Berlin ist völkerrechtlich und im Bereich des innerdeutschen Rechts sowie finanziell und wirtschaftlich ein Teil des demokratisch regierten Deutschland. Daraus gilt es aber nun einige weitere Folgerungen zu ziehen. Die gegenwärtige Übernahme der Bundesgesetze auf dem Wege der Mantelgesetzgebung ist schwerfällig; sie muß erleichtert und vereinfacht werden können. Das Stimmrecht der Berliner im Bundestag und im Bundesrat muß zumindest erweitert werden können.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Die Berliner müssen in die Lage versetzt werden, ihre Abgeordneten durch direkte Wahl zu ermitteln. Es ist auf die Dauer — die Dinge ziehen sich doch jetzt schon jahrelang hin — auch aus Gründen des demokratischen Prinzips und der parlamentarischen Verantwortlichkeit nicht möglich, es beim jetzigen Zustand starr zu belassen. Vor allem gilt es aber auch in praktischer Hinsicht, vielfache Möglichkeiten einer Weiterentwicklung des Verhältnisses zwischen Bund und Berlin zu ergreifen.

(Abg. Kiesinger: Sehr richtig!)

Durch solche Regelungen im Bereich deutscher Zuständigkeiten wird der alliierte Sonderstatus, werden die Rechte und Pflichten der Alliierten in keiner Weise berührt. Die Eingliederung so, wie wir sie uns denken, kann und soll im Rahmen der anerkannten alliierten Verantwortlichkeiten geschehen. Die Bundesregierung hätte ihre Aufgabe darin sehen sollen und sollte sie darin sehen, den Alliierten diesen Unterschied klarzumachen, statt selbst dem Irrtum eines Durcheinanderbringen verschiedener Probleme auf der deutschen und auf der alliierten Ebene zu unterliegen. Wir sollten uns alle miteinander daran erinnern, daß wir 1952, trotz im übrigen unterschiedlicher Beurteilung der Verträge, in diesem Fall der Meinung waren: hier war die Berliner Frage unzulänglich angepackt. Wir sollten es uns heute nicht so billig machen zu erklären, es sei alles in bester Ordnung. Wir müssen uns, unbeschadet der Dinge, die wir nicht wissen, die kommen können, um eine positive Weiterentwicklung bemühen, ohne damit eine Komplizierung im alliierten Bereich zu verbinden.
Worum geht es letzten Endes? Es geht darum, daß sich der Abstand zwischen dem Bund und Berlin nicht ohne Not vergrößert, sondern daß er womöglich noch verkleinert wird.

(Zuruf rechts: Sehr richtig!)



(Brandt [Berlin])

Es geht darum, daß am Berliner Beispiel noch einmal bewiesen wird — unabhängig von den sonstigen Meinungsverschiedenheiten in der Frage der Wiedervereinigungspolitik —, wie wir zum ganzen Deutschland stehen, mit Berlin als einem Schritt, einer Etappe, einem Problem, mit dem sich der Bund täglich auseinanderzusetzen hat. Vieles ist auf diesem Wege geschehen, aber leider ist vieles auch zögernd, unzulänglich geschehen, und manches ist unterlassen worden. Aber es geht hier — ich darf das nun doch mit einer gewissen Spitze sagen; das dürfen Sie bei der Erörterung dieses Teils einem Mitglied der Opposition nicht verargen — um ein ernstes Mißverständnis im Ausland. Vor mir habe ich den Brief eines Ausländers, eines guten Freundes der deutschen und der Berliner Sache. Dieser Amerikaner schreibt an jemand, der in einer großen Zeitung behauptet hatte, daß es im deutschen Volk keine Zufriedenheit geben werde, solange das Volk wisse, daß 18 Millionen seiner Brüder in Unfreiheit leben:
Kann man wirklich sagen, daß „es im deutschen Volke keine Zufriedenheit geben wird, solange es weiß, daß 18 Millionen seiner Mitbürger in Unfreiheit leben"? Der Beweis dafür wären, glaube ich, nicht so sehr die Worte, die in Bundestagsausschüssen oder in offiziellen Kreisen in London, Paris oder Washington gesprochen werden, als vielmehr Taten gegenüber der früheren Hauptstadt einer geeinten Nation.
Ich muß in diesem Zusammenhang daran denken,
— so sagt dieser Ausländer —
was Richard Crossmann mir erzählte, als er vor vielen Jahren aus Israel zurückkehrte: An dem Tage, da Jerusalem geteilt wurde, begann die Regierung mit allen zur Verfügung stehenden Lastwagen ihr Mobiliar von Tel Aviv in den westlichen Sektor Jerusalems zu bringen. . . . Enthält dies nicht eine Lehre?
— So fragt dieser Ausländer. Und ich frage, ob nicht im Verhältnis Bund-Berlin noch viel zu tun bleibt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten in der Mitte und rechts.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206904000
Das Wort hat der Bundesminister für besondere Aufgaben Strauß.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206904100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Lemmer hatte in seinen Ausführungen ohne Zweifel recht, wenn er meinte, daß wesentliche Argumente für oder gegen die Pariser Verträge während der parlamentarischen Debatte nicht mehr neu angeführt werden könnten.

(Abg. Wehner: Sie haben wir gar nicht gehört in den Ausschüssen, Herr Strauß!)

— Ich komme gleich darauf; Herr Kollege Wehner, Sie kommen heute noch auf Ihre Rechnung!

(Heiterkeit in der Mitte. — Lachen und Zurufe von der SPD.)

Ich glaube, daß alle Vertreter der Regierungsparteien mit mir in einer Ansicht übereinstimmen, nämlich in der Ansicht, daß eine Auseinandersetzung über die Pariser Verträge in dem Geiste und mit den Argumenten, wie sie der Kollege Brandt hier durchgeführt hat, bei weitem diese inneren
Spannungen vermieden und bei weitem auch eine Atmosphäre der Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition erleichtert hätte.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der DP. — Zurufe von der SPD.)

(Abg. Schoettle: Wenden Sie sich an Ihren
Chef, Herr Strauß!)
— Ja, Chefs gibt es vielleicht in Ihrer Partei, Herr Kollege Schoettle; mein Chef ist mein Gewissen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und rechts. — Unruhe und Zurufe bei der SPD.)

Im übrigen, im Vertrauen gesagt, Herr Kollege Schoettle, noch ist die CSU eine eigene Partei und hat einen anderen Chef!

(Beifall bei der CSU. — Lachen bei der SPD. — Zuruf links: Das glauben Sie selbst nicht!)

Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß wir über das heutige Thema mit dem Chef unserer Schwesterpartei restlos einig sind.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Also doch „Chef"!)

Vielleicht könnten wir uns die Sprechweise des Kollegen Lemmer und des Kollegen Brandt, sagen wir einmal, als die polaren Anfänge für die Basis einer Zusammenarbeit vorstellen. Darüber ließe sich auf beiden Seiten reden.

(Zurufe von der SPD. — Unruhe.)

Lassen Sie mich aber noch auf etwas anderes hinweisen, was die holde Eintracht leider etwas stören muß, denn Sie haben in der Öffentlichkeit, in der Unterstützung der Aktion der Frankfurter Paulskirche, in der Durchführung der Testaktionen in Dortmund, Aschaffenburg und Hof, in der Durchführung dieser wahllosen Volksbefragung — Pseudo-Volksbefragungen! — leider im Ton und in den Argumenten sich ganz anders verhalten, als es hier im Parlament Gott sei Dank heute der Fall gewesen ist.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Erler tritt an ein Saalmikrophon.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206904200
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206904300
Bitte sehr!

Fritz Erler (SPD):
Rede ID: ID0206904400
Betrifft die Kritik, die der Herr Abgeordnete und Bundesminister Strauß eben an gewissen Äußerungen und Vorgängen der letzten Wochen geübt hat, auch die Äußerungen des Herrn Bundesministers Dr. Erhard gegenüber dem Führer der Opposition und gegenüber einigen Besuchern seiner eigenen Versammlungen?

(Zuruf von der SPD: Und dem Bundestag!)

Ist dem Herrn Bundesminister bekannt, daß dort Ausrücke wie z. B. „Idiot" und „verlogen" gefallen sind?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206904500
Ich darf darauf, Herr Kollege Erler, folgendes erwidern. Wenn ich nicht falsch unterrichtet bin, wird der Kollege, Abgeordnete und Minister Dr. Erhard morgen selbst zum Wort kommen. Darum fragen Sie ihn vielleicht morgen am besten selber erst!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Billiger geht es nicht!)



(Bundesminister Strauß)

A) Zum zweiten, Herr Kollege Erler, haben mir die letzten Wochen leider die Überzeugung beigebracht daß so, wie man in den Wald hineinruft, es wieder heraushallt.

(Zustimmung in der Mitte. — Zuruf von der SPD: Siehe Bundeskanzler!)

Ich möchte aber in diesem Zusammenhang gerade der Opposition — —

(Abg. Baur [Augsburg] : Sie sind doch sonst auch nicht gerade zimperlich!)

— Ja, Kollege Baur, Ihnen gegenüber mit Glacéhandschuhen wäre doch gewiß die falsche Methode

(Heiterkeit.)

Da würden Sie sich ja glatt beleidigt oder unterbewertet fühlen.
Ich wollte hier aber, meine sehr verehrten Damen und Herren — insbesondere der Opposition —, darauf hinweisen, daß wir die Pflicht haben, mit denselben Argumenten, wenn auch nicht in derselben Lautstärke und derselben Tonart, aber mit denselben Argumenten, mit denselben klaren Zuspitzungen, mit denselben gefährlichen Alternativen, wie sie von Ihnen in der Öffentlichkeit gebraucht worden sind, hier abzurechnen. Wir müssen die Möglichkeit haben, hier darüber zu sprechen, damit nicht das Volk zu der Überzeugung kommt, daß im Parlament und in der Öffentlichkeit zwei völlig verschiedene Tonlagen und zwei völlig verschiedene Systeme der Beweisführungen angewandt werden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der DP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206904600
Herr Bundesminister — —

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206904700
Wir würden auf diese Auseinandersetzung gern verzichten, wenn wir die Gewähr hätten,

(Zuruf von der SPD: Ihr kriegt doch Gewehre!)

daß wir in Zukunft dem Parlamente die Prärogative der Auseinandersetzung, der Argumente zubilligen und nicht der Straße.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der DP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206904800
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206904900
Ja.

Fritz Erler (SPD):
Rede ID: ID0206905000
Darf ich, Herr Minister, Ihre Erwartung, daß dieselben Argumente, die draußen in den Versammlungen fallen, nun auch hier im Parlament in aller Öffentlichkeit ausdiskutiert werden sollen

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch keine Frage!)

— doch, es ist eine Frage, meine Herren —, als eine Ankündigung dahin auffassen, daß auch der Herr Bundeskanzler uns hier mit denselben Argumenten beehren wird, die er auch draußen in den Versammlungen zu verwenden pflegt?

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206905100
In der zweiten Lesung der Pariser Verträge hat der Herr Bundeskanzler bisher meines Wissens noch nicht das Wort ergriffen. Wenn ich mich an die erste
Lesung und an frühere Lesungen bei anderen Gelegenheiten erinnere, dürfte er Ihnen in seiner Argumentation hier nichts erspart haben, was er auch draußen gesagt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD: Na, na! — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : So viele Ordnungsrufe gäbe es gar nicht!)

— Sie können doch von mir nicht verlangen, daß ich für den Herrn Bundeskanzler verbindliche Erklärungen abgebe. Dazu ist er selbst genug imstande.
Wir stehen in einer für die Zukunft unseres Volkes und aller freien Völker der Welt bedeutungsvollen, vielleicht der bedeutungsvollsten außenpolitischen Debatte unseres Parlaments seit seinem Bestehen überhaupt. Wir haben einen konkreten Anlaß dazu, weil wir in diesen Tagen über Annahme oder Ablehnung der Pariser Verträge entscheiden müssen.

(Zuruf von der SPD: Wieso „müssen"?) — Weil wir entscheiden müssen.


(Zuruf von der SPD: „Wollen"!)

Gerade über diese Entscheidung ist soviel Unruhe in der deutschen Öffentlichkeit entstanden oder, richtiger gesagt, großenteils künstlich erzeugt worden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Für uns muß jede außenpolitische Entscheidung nach zwei großen Gesichtspunkten beurteilt werden: 1. Nützt diese Entscheidung der Wiedervereinigung unseres Volkes in Frieden und Freiheit? 2. Ist diese Entscheidung ein Beitrag zum Zusammenschluß Europas und zur Sicherheit der freien Völker der Welt? Diese beiden Gesichtspunkte und damit komme ich auf Ihr erstes Argument zu sprechen, das Sie gemeiniglich anzuwenden pflegen —, diese beiden Gesichtspunkte: Wiedervereinigung unseres Volkes, Zusammenschluß Europas und Sicherheit der freien Völker der Welt, stellen keinen Gegensatz dar; sie sind untrennbar miteinander verbunden. Die Freiheit unseres Volkes ist keine Frage für sich allein.

(Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Ein freilich logischer Gegensatz, aber beides schließt sich praktisch aus!)

Jeder Beitrag, den wir für die Freiheit aller Völker leisten, ist gleichzeitig ein Beitrag für die Freiheit unseres Volkes.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Der Kampf für die Freiheit unseres Volkes steht in einem unauflöslichem Zusammenhang mit dem Ringen um die Freiheit aller Völker. Wir müssen uns deshalb der Tatsache bewußt sein, daß die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands nicht für sich allein gesehen und wahrscheinlich auch nicht für sich allein gelöst werden kann. Für uns ist diese Frage das große politische Anliegen unseres Volkes. Für die anderen Völker in Ost und West ist diese Frage ein Problem unter mehreren, wenn auch ein wesentliches. Wir müssen uns also vor dem Fehlschluß hüten, daß die anderen die deutschen politischen Wünsche und Notwendigkeiten ohne weiteres in den Mittelpunkt ihrer politischen Denk- und Handlungsweise stellen. Wir sollten zu der Einsicht kommen, daß unsere Fähigkeit, Entscheidungen zu unseren Gunsten herbeizuführen, um so größer wird, je stärker der


(Bundesminister Strauß)

politische Faktor Deutschland, vertreten durch die
Bundesrepublik Deutschland, in Erscheinung tritt

(Beifall bei den Regierungsparteien)

und je mehr sein wachsendes Gewicht in die Waagschale der politischen Entscheidungen geworfen werden kann. Es geht für uns auch heute noch darum, aus einem Objekt der Politik der anderen gleichberechtigter Partner und Kontrahent zu werden.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Das ist nach unserer Auffassung die einzige Politik der Tatsachen — von der wir heute so oft gesprochen haben —, die überhaupt im Bereich des Möglichen für uns liegt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Gerade aus diesem Grunde, Herr Kollege Ollenhauer, sollten wir uns darüber im klaren sein, daß trotz der unvermeidbaren politischen Gegensätze es für die Zukunft unseres in einem außenpolitischen Notstand befindlichen Volkes schlechthin lebenswichtig ist, eine echte Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition zu erreichen,

(Zurufe von der SPD)

d. h. über Ziel u n d Weg sich einig zu werden. Leider sind wir heute von diesem Zustand noch weit entfernt. Ich halte nicht viel von der These, die die Opposition zur Selbstrechtfertigung gelegentlich vertritt, daß die Erfolgschancen für die Bundesregierung bei ihren Verhandlungen mit den Westmächten oder eines Tages mit der Sowjetunion um so größer seien, je stärker der Druck ist — vom Verfassungsstreit bis zur Volksbefragung —, der von der Opposition auf sie ausgeübt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Auf jeden Fall ist hier die optimale Grenze längst und bei weitem überschritten worden.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Kurswert der deutschen Politik wird bei Freund und Feind nicht nach der Lautstärke und nicht nach der Schärfe der Opposition — —

(Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Warum schreien Sie denn so laut?)

— Schreie ich so laut? Ja, Herr Kollege Schmid, Ihr Beispiel ist für mich immer ein Vorbild!

(Heiterkeit und Beifall in der Mitte. — Abg. Schoettle: Bei Ihnen hat man manchmal den Eindruck, Sie seien auf der Wiesn und nicht im Bundestag!)

— Manchmal würden Ihre Redner besser dort auftreten als in ernsten Versammlungen!

(Abg. Schoettle: Wem sagen Sie das?)

— Ich glaube, Herr Kollege Schoettle, ich habe bis heute noch keinen Ausdruck gebraucht, der Ihren Zwischenruf rechtfertigt: „Das gehört auf die Wiesn!" Sie könnten einiges zum politischen Stil auch hier beitragen.

(Beifall in der Mitte.)

Ich könnte Ihnen sonst noch einiges dazu für Ihr Stammbuch sagen. Ich will es nicht tun.

(Abg. Schoettle: Mir?)

— Ja, Ihnen auch!

(Abg. Schoettle: Da haben Sie ein gutes Beispiel geliefert in Ihren vergangenen Reden hier! Wollen wir abwarten, wie Sie sich verhalten!)

- Ja, ich unterwerfe mich natürlich Ihrer Zensur und bin froh darüber, von Ihnen eine gute Note zu kriegen.
Der Kurswert der deutschen Politik wird — darf ich wiederholen — bei Freund und Feind nicht nach Lautstärke und Schärfe der Opposition, auch nicht nach dem moralpolitischen Gehalt ihrer jeweiligen Argumente bemessen, sondern ausschließlich nach der Nüchternheit, Zuverlässigkeit, Entschlossenheit und Stabilität der Politik der Bundesregierung und des Bundestages. An diesem Maßstab gemessen sind die kombinierten Aktionen der SPD, des DGB und anderer Kreise

(Zuruf von der SPD: Lauter!)

gegen die Außenpolitik der Bundesregierung und gegen die Legitimation des Parlaments als schlechter Dienst am deutschen Volk zu bezeichnen.

(Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Das Mindeste, was wir uns gegenseitig zubilligen sollten, wenn nicht der Weg für die Feinde der Demokratie bereitet werden soll, ist die Ehrlichkeit unseres Willens und die Lauterkeit unserer Absichten! Gegenseitig zubilligen!

(Abg. Pelster: Sehr gut!)

In diesem Zusammenhang darf ich auf die vergiftenden Behauptungen zu sprechen kommen, die von den Spitzen der Opposition in vorsichtiger Form, von ihren Propagandisten im Land in derber Form erhoben wird, daß es die Bundesregierung mit der Wiedervereinigung überhaupt nicht ernst oder nicht ernst genug meine. — Die Wiedervereinigung ist weder eine politische Erfindung der SPD noch hat sie ein Monopol auf diesem Gebiet oder kann eine Patentlösung dafür aufweisen.

(Sehr wahr! in der Mitte.)

Mit dem häufigen Gebrauch des Wortes „Wiedervereinigung" ist nicht viel mehr erreicht als ein ständiges Memento. Einen realen Schritt vorwärts zu diesem Ziele tut nur derjenige, der dem politisch handlungsfähigen Teil des deutschen Volkes wieder politischen Einfluß und politisches Gewicht verschafft.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Bundesregierung ist im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Zuständigkeit für die 50 Millionen Deutscher in der Bundesrepublik und in West-Berlin unmittelbar verantwortlich. Sie ist treuhänderisch verantwortlich für Gesamtdeutschland und bekennt sich zu dieser Verantwortung.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Solange die Opposition nicht die Vorwürfe dieser Art einstellt, wie ich sie vorhin geschildert habe, muß bei uns immer wieder das fatale Gefühl entstehen, daß unser gemeinsames nationales Ziel der Wiedervereinigung in zweckfremder und zweckschädlicher Weise auch zum Kampf gegen die Bundesregierung mißbraucht und damit die Außenpolitik zu einer Funktion innenpolitischer Wünsche degradiert wird.

(Beifall in der Mitte.)

Wenn wir uns heute fragen, warum der Unterschied, ja, der Gegensatz zwischen Regierung und Opposition — trotz eines hoffentlich gemeinsamen Zieles — in der Frage des Weges, wie dieses Ziel erreicht werden soll, so ungeheuer groß ist, dann


(Bundesminister Strauß)

gibt es darauf nur eine ganz klare Antwort: Wir unterscheiden uns wesentlich in der Beurteilung der wirklichen Ziele der sowjetischen Politik.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Wir können uns dabei mit gutem Gewissen darauf berufen, daß Dr. Kurt Schumacher zu seinen Lebzeiten dieselbe realistische Beurteilung der sowjetischen Politik sich zu eigen gemacht und in der Öffentlichkeit vertreten hat wie wir, wenn wir auch im Wege nicht mit ihm einig gewesen sind.

(Abg. Kiesinger: Das stimmt!)

In diesem Monat sind es 10 Jahre gewesen, daß die Konferenz von Jalta durchgeführt wurde. Auf dieser Konferenz ist die Saat ausgestreut worden, deren Ernte soviel Unruhe und Angst über die Welt gebracht hat. Auf ihr sind die politischen Minen gelegt worden, um deren Entschärfung sich heute die westlichen Großmächte bemühen. Ich brauche die bekannten Ereignisse und Ergebnisse dieser Konferenz nicht aufzuzählen. Es genügt die Frage, warum die Westmächte damals den Sowjets die Möglichkeit gegeben haben, ihre Macht in Ost und West bedeutend zu erweitern, ihre Grenzen bis Hof, Helmstedt und Lübeck vorzuschieben, eine Fülle von Konfliktsmöglichkeiten in Ostasien hervorzurufen und die Welt in ständiger Sorge um die Frage „Krieg oder Frieden" zu erhalten. Es war die tragische Verkennung der sowjetischen Mentalität

(Sehr wahr! in der Mitte)

und die tragische Selbsttäuschung über die sowjetischen Kriegsziele, die sich von ihren heutigen Friedenszielen praktisch nicht unterscheiden.

(Beifall in der Mitte und rechts.)

Während Präsident Roosevelt bereits vom Schatten des Todes umwittert sich als den Vater des ewigen Weltfriedens in die Geschichte eingehen sah und von der großen Weltfriedensorganisation der Vereinten Nationen, seiner Schöpfung, träumte,

(Zurufe von der SPD: Wo steht das? — Das ist ja ein Dichter!)

rechnete Stalin mit ganz anderen Maßstäben. Für ihn waren nicht die Satzungen der UNO interessant, die er damals noch gar nicht gelesen hatte, sondern der praktische Machtzuwachs für die Sowjetunion. — Ich habe den lächerlichen Zwischenruf gehört. Mir ist das Anliegen nicht so lächerlich, daß ich solche Zwischenrufe machen würde..

(Zuruf von der SPD: Ausrufungszeichen!)

Denn bei dem Thema, bei dem wir jetzt sind, wird für uns eines Tages die Frage über Leben und Tod entschieden.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

Roosevelt glaubte, durch die Erfüllung der sowjetischen Forderungen die sowjetische Politik befriedigen und die bolschewistische Staatsform allmählich in eine demokratische Entwicklung überführen zu können. In Wirklichkeit sind die sowjetischen Ziele zu allen Zeiten dieselben geblieben; nur die Methoden, mit denen sie verfolgt wurden, haben gewechselt.

(Zuruf von der SPD: Das haben wir heute schon dreimal gehört!)

— Ja, gerade weil Sie es nicht glauben wollen,
müssen wir es noch öfter sagen, und wir werden
es noch öfter sagen. Es geht auch darum, daß die deutsche Öffentlichkeit über den tragischen Scheideweg, an dem wir stehen, aufgeklärt wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD: Die Straße!)

Es spricht auch nicht das geringste Anzeichen dafür, daß es nach Stalins Tod anders geworden ist. Wenn die sowjetische Politik ein wechselndes Gesicht zeigte, so beschränkte sich das bisher ausschließlich auf die Methoden. Der Wechsel der Methoden bei gleichbleibendem Ziel entspricht dem System des dialektischen Materialismus. Es ist müßig, heute zu fragen, ob die ablehnende Haltung des Westens gegenüber den jüngsten sowjetischen Angeboten zum Sturz Malenkows beigetragen hat; denn der sogenannte New Look oder neue Kurs der Sowjets hatte nichts mit einer Änderung ihrer politischen Ziele, sondern nur mit einem Wandel ihrer politischen Taktik etwas zu tun. Malenkow wurde nicht gestürzt, weil er in seinem Bemühen um die Koexistenz keinen Erfolg hatte. Er wurde, wenn überhaupt durch westliche Einwirkung, vielleicht deshalb gestürzt, weil die freien Völker auf die veränderte Taktik nicht hereingefallen sind. Ob man deshalb wieder zum alten Kurs glaubte zurückkehren zu müssen? Immerhin hat Malenkow es verstanden, die Spaltung Koreas aufrechtzuerhalten, die Teilung Indochinas herbeizuführen und damit einen wesentlichen Machtzuwachs des sowjetischen Blocks zu erreichen. Warum ausgerechnet er von einigen Illusionisten als möglicher Freund der deutschen Einheit hingestellt wurde, bleibt das unerfindliche Geheimnis von Zeitgenossen, die politische Realitäten mit ihrem persönlichen Wunschhoroskop verwechseln.

(Zuruf von der SPD: Meinen Sie Dr. Dehler?!)

Im Zusammenhang damit kann sich Malenkow sogar darauf berufen, daß während seiner Amtszeit die EVG gescheitert ist und die konkrete Aussicht bestand, die Einigung des Westens und die Wiederbewaffnung Deutschlands überhaupt zu verhindern.

(Abg. Mellies: Die EVG war doch Ihr Wunschtraum!)

— Natürlich, ich bedaure sehr, daß sie nicht zustande gekommen ist; ich habe mich nicht so gefreut wie Sie, als sie scheiterte.
Wir müssen uns darüber im klaren sein, das Ziel der sowjetischen Politik — auch wenn Sie darüber lachen mögen; eines Tages wird Ihnen das Lachen vergehen — ist und bleibt die Weltrevolution.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

Die nächste Etappe auf diesem Wege sollte nicht die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit oder Frieden sein, sondern die Bolschewisierung Gesamtdeutschlands, die praktisch der Herrschaft über Europa gleichkäme.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Da man aber das letzte Risiko, um dieses Ziel zu erreichen, nämlich einen Waffengang mit den Vereinigten Staaten von Amerika weder auf sich nehmen kann noch will, haben die Sowjets die trügerische Fata Morgana der handgreiflich nahen Wiedervereinigung heraufbeschworen und als Preis dafür den Verzicht auf die europäische Einigung und die Preisgabe des Sicherheitssystems der freien Völker mit Einschluß der Bundesrepublik Deutschland gefordert, um auf diesem Wege den


(Bundesminister Strauß)

Abzug der Amerikaner aus Europa zu erreichen. Genau an diesem Tage, am Tage des Abzugs würde die Politik der Koexistenz aufhören und an ihrer Stelle die Politik der bedingungslosen Unterwerfung treten, für Deutschland die Wiedervereinigung in Form der Gesamtbolschewisierung.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

Man braucht nur die Presse der letzten Wochen aufmerksam zu lesen, um festzustellen, wieweit die Sozialdemokratische Partei und maßgebende Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes auf dem Wege der Selbsttäuschung bereits vorangegangen sind.

(Sehr wahr! in der Mitte.)

Es ist z. B. die ständige These des Herrn Viktor Agartz und seines theoretisch weniger begabten bayerischen Lautsprechers Max Wönner

(Beifall bei den Regierungsparteien — Zuruf von der SPD: Noch lauter als Sie? — Weitere Zurufe links)

— o ja, Sie kennen den ehemaligen Kollegen doch besser —,

(Abg. Wehner: Deswegen sind Sie ihm so bös?)

des ehemaligen Bundestagsabgeordneten der SPD, der, meine Herren — und da will ich Sie fragen, ob Sie seine Meinung teilen --, in seiner Rede im bayerischen Rundfunk — Politik aus erster Hand natürlich in diesem Fall! — am 26. Januar wortwörtlich erklärt hat, es sei eine durch nichts zu beweisende Unterstellung, daß die westliche Welt mit einem russischen Angriff rechnen müßte, wenn sie nicht abwehrbereit wäre. So lesen Sie wortwörtlich. Teilen Sie diese Meinung, meine Herren von der Opposition?

(Zuruf von der SPD: Das hat der Bundeskanzler auch gesagt! — Weitere Zurufe links.)

— Dann haben Sie aber in dem Augenblick den Bundeskanzler sicher falsch verstanden.
Diese Behauptung, von der Mehrheit des deutschen Volkes übernommen, daß der westlichen Welt ohne Abwehrbereitschaft keine Gefahr drohe, würde den Anfang des deutschen Selbstmords und würde den Verzicht auf jene Wiedervereinigung in Freiheit und Frieden bedeuten.

(Sehr wahr! bei den Regierungsparteien.) Erinnert man sich denn in diesen Kreisen nicht mehr, warum es überhaupt zur Wiederaufrüstung der westlichen Völker gekommen ist? Wenn ich heute auf diesen Punkt eingehe, dann nicht zuletzt auch deshalb, weil der ehemalige Kollege Wönner heute mit Helene Wessel — nicht Helene Weber, Helene Wessel — und einigen anderen auf dem Königsplatz — jetzt heißt er wieder so — in München in einer öffentlichen Kundgebung zu der Frage der Ratifizierung der Pariser Verträge gesprochen hat.


(Zuruf von der SPD: Darf er das nicht? — Weitere Zurufe links. — Abg. Wehner: Wie unverschämt, in Ihrem Bayern!)

— Ach, wissens, der Unterschied ist der: von Bayern gehen die meisten politischen Dummheiten aus — —

(Heiterkeit und Beifall.)

— Na lassens!

(Anhaltende Heiterkeit.)

— Ja, meine Damen und Herren, es war kein Lapsus linguae. Ich wiederhole es —

(anhaltende Heiterkeit und Zurufe)

es war kein Lapsus linguae —: von Bayern gehen die meisten politischen Dummheiten aus; wenn aber wir in Bayern sie längst abgelegt haben, dann werden sie anderswo erst als der Weisheit letzter Schluß übernommen.

(Schallende Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Dann kommen sie nach Bonn! — Zurufe der Abg. Ollenhauer und Mellies.)

— Ja, das ändert sich auch wieder, Herr Kollege Mellies; aber darüber reden wir hier net so laut!
Ich habe die Frage gestellt: Erinnert man sich denn nicht mehr, warum es überhaupt zur Wiederaufrüstung der freien Völker gekommen ist? Erinnert man sich nicht, daß USA und Großbritannien bis zum Zustand der völligen militärischen Ohnmacht abgerüstet hatten, als mit dem Donnerschlag von Korea der Vorhang von den wahren Absichten der Sowjets weggezogen wurde?

(Sehr richtig! in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

Erinnert man sich nicht mehr, daß damals, zwei Jahre, nachdem sich das Schicksal der Tschechoslowakei vollzogen hatte, Regierung und Opposition gemeinsam eine amerikanische Sicherheitsgarantie für Deutschland verlangt haben? Ist man sich heute nicht mehr darüber im klaren, daß Gesamtdeutschland heute bereits hinter dem Eisernen Vorhang läge, wenn die Westmächte damals nicht erklärt hätten: Bis hierher und nicht weiter!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die These der Herren Agartz und Wönner — Sie dürfen mir nicht böse sein, wenn ich Ihnen Ihre Parteifreunde öfter serviere, auch wenn Sie hier nicht sitzen, — —

(Abg. Dr. Mommer: Wenn Sie jemanden hier angriffen, der könnte sich verteidigen! — Weitere Zurufe von der SPD.)

— Ach, Sie haben sich bisher noch gar nicht getroffen gefühlt, Herr Dr. Mommer? Sie haben ein sanftes Gewissen und ein gutes Ruhekissen. Ich möchte wissen, wann Sie „herein" sagen, wenn es klopft.

(Heiterkeit. — Zuruf von der SPD: Jetzt werden Sie volkstümlich! — Abg. Mellies: „Politik aus erster Hand"! — Weitere Zurufe von der SPD.)

— Keine Sorge, Kollege Mellies! — Die These der Herren Agartz und Wönner, konsequent fortgesetzt, würde bedeuten, daß die Amerikaner auch ruhig abziehen könnten. Bei der von der SPD und vom DGB politisch notariell bestätigten Friedensliebe der Sowjets würde uns dann gar nichts passieren. Im Gegenteil, die Lage wäre dann so entspannt, daß das wahre Glück der europäischen Völker dann beginnen könnte. Wir könnten uns dann allerdings bald von der Demokratie zur Volksdemokratie entwickeln und könnten, unbelästigt von den bösen Amerikanern, mit Litauen, Lettland, Estland, Polen, der Tschechoslowakei, Rumänien, Ungarn, Bulgarien und Albanien volksdemokratische Vereinigung feiern. In diesem Falle — lassen


(Bundesminister Strauß)

Sie mich's humoristisch sagen; anders klingt's zu hart — —

(Heiterkeit. — Zurufe von der SPD: Es ist doch kein Fasching!)

— Wenn Sie Fasching sagen, dann kann ich vielleicht den Wechsel Ihrer Sprache zwischen der Öffentlichkeit und hier dem gestrigen Ereignis, dem Aschermittwoch, zugute halten. Dann wäre ja keine Gefahr mehr in der Zukunft.

(Zuruf von der SPD: Sie haben sich noch nicht ausgeschlafen!)

— So schaue ich nicht aus.

(Zurufe von der SPD: Doch, so schauen Sie aus! — Viel schlimmer!)

In diesem Falle könnten Herr Agartz und Herr Wönner, da wir ihnen eine rechtzeitige Umstellung nicht zutrauen wollen, ihre lückenhaften praktischen Kenntnisse über das sowjetische System in Sibirien erheblich aufbessern.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Mellies: Das haben Sie bei der EVG schon einmal ähnlich gesagt! — Zuruf des Abg. Wehner. — Weitere Zurufe von der SPD.)

— Aber Kollege Wehner, da sollten doch gerade Sie nicht protestieren.
Ich möchte hier endlich auch einmal vor der geradezu ungeheuerlichen Verkehrung der gegebenen Tatsachen ins Gegenteil warnen. Die Sowjets haben nach dem Kriege verhindert, daß der Menschheit ein echter Friede ohne Furcht und Angst auf der Welt gegeben worden ist. Jahrelang hing ihr drohender Schatten wie ein unmittelbares Schicksal über Westeuropa. Über hundert Millionen Europäer sind vor unseren Augen versklavt worden, darunter 18 Millionen Deutsche. Kaum war Korea zu Ende, wurde das indochinesische Feuer zu einem Großbrand. Kaum ist der Krieg in Indochina unter schmerzlichen Opfern für die freien Völker beigelegt, da beginnen die Kanonen in der Straße von Formosa zu donnern. Das hindert aber manche Zeitgenossen nicht daran, zu glauben, daß die Sowjets den Frieden wollen. Mit dieser Betonung der sowjetischen Friedensliebe pflegt häufig Hand in Hand die Unterstellung zu gehen, daß die eigentlichen Störenfriede auf der Welt die USA seien. Was die kommunistische Propaganda offen sagt, wird mehr oder weniger offen und versteckt auch von anderen wiederholt. Man mag über die Amerikaner denken, was man will. Aber sie haben in Korea den Ausbruch eines großen Krieges verhindert, sie haben in Indochina auf ein Eingreifen verzichtet, und sie haben im Kampf um Formosa eine Mäßigung gezeigt, die wieder einmal den Weltfrieden gerettet hat.

(Beifall in der Mitte und rechts.)

Kein Volk sollte sich über die sowjetische Gefahr klarer sein als das deutsche Volk. Wir in der Bundesrepublik sollten die Dinge mit derselben Klarheit sehen, wie es die heute so oft zitierten und leider manchmal sehr strapazierten Arbeiter des 17. Juni getan haben. Jedermann weiß, daß es uns mit der Friedensliebe ernst ist. Jedermann weiß aber auch, daß die letzte Chance, unsere Freiheit zu erhalten und die Freiheit für Gesamtdeutschland zu erwerben, darauf beruht, die Hilfe der Westmächte zu gewinnen und ihre politische Kraft für dieses Ziel zu sichern. Die Freiheit erkämpft man nicht durch Kompromisse, die Freiheit erkämpft man durch Illusionslosigkeit, Entschlossenheit und Zuverlässigkeit. Wir brauchen die Hilfe des Westens. Hilfe von Starken erhält nur, wer selbst bereit ist, zur gemeinsamen Stärke seinen kleinen Beitrag hinzuzufügen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir sprechen von Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit. Wir sollten davon eine lebendige und klare Vorstellung haben, statt diese Worte zu einer stereotypen Formel erstarren zu lassen, die man manchmal nur um des Alibis willen regelmäßig in den Mund nimmt. Wiedervereinigung in Frieden heißt, daß der Krieg als Mittel der Politik, d. h. als gewaltsamer Weg zur Wiedervereinigung nach unseren Absichten ausgeschlossen ist und bleiben muß.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Gründe dafür brauche ich nicht anzuführen, darüber sind wir uns wohl zwischen Regierung und Opposition einig. Das bedeutet, daß die Wiedervereinigung zielbewußt und planmäßig auf dem Wege politischer Verhandlungen mit der Sowjetunion betrieben werden muß.
Wiedervereinigung in Freiheit heißt, daß freie Wahlen die erste und unverzichtbare Voraussetzung dafür darstellen. Unter freien Wahlen verstehen wir genau das, was der Sprachgebrauch und die politische Praxis seit Jahrhunderten aus diesem Begriff gemacht haben.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Ich hoffe, wir sind uns einig darüber, daß es für uns nicht möglich ist, unfreie Wahlen in Kauf zu nehmen. Wiedervereinigung in Freiheit heißt aber auch, daß die nationale Freiheit eines wiedervereinigten Deutschlands und die persönliche Freiheit seiner Bürger gesichert werden und gesichert bleiben müssen, nicht durch leere Versprechungen, sondern durch konkrete politische und militärische Konstruktionen.
Die große Schwierigkeit und zugleich die große Versuchung liegen darin, daß der Begriff „Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit" in den letzten Tagen auch im sowjetzonalen Sprachgebrauch üblich geworden ist, so z. B. in der Erklärung des kommunistischen Friedensrates der Sowjetzone. Wo liegt der Unterschied? Es gehört zur Dämonologie unserer Zeit, daß die gleichen — —

(Zurufe von der SPD: Oh! Oh!)

— Wenn Ihnen das Fremdwort zu schwierig ist, kann ich es wiederholen.

(Heiterkeit. — Zurufe von der SPD.)

— Ein schönes Wort!

(Zuruf von der SPD: Sprachschöpfer!)

Es gehört zur Dä-mo-no-lo-gie unserer Zeit, daß die gleichen Worte und Begriffe gebraucht, aber je nach geistigem Notenschlüssel ganz verschiedene Dinge darunter verstanden werden. Eine große Gefahr liegt für uns darin, daß wir mit unseren westlich-abendländischen Vorstellungen — — Wenn Sie mich ansehen, Herr Kollege Schmid: Sie sind für mich geradezu eine Repräsentation dieser westlich-abendländischen Kulturvorstellungen.

(Große Heiterkeit. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Ich dachte nur darüber nach, Herr Minister, wie Sie das mit der Dämonologie gemeint haben könnten. Am Inn gehn noch die Perchten um!)



(Bundesminister Strauß)

— Wenn ich mit Ihren Fähigkeiten ausgerüstet wäre, hätte ich es sogar lateinisch gesagt.

(Heiterkeit.)

Es besteht die Gefahr, daß wir mit unseren westlich-abendländischen Vorstellungen an den sowjetischen Sprachgebrauch herangehen und deshalb zu völlig falschen Schlüssen kommen. Wenn die Sowjets von Frieden reden, dann meinen sie damit nicht das Bekenntnis zum Frieden als einem moralischen Gut, damit meinen sie das Bekenntnis zu ihrer Friedenszweckpolitik. Ihr liegt ohne Zweifel die Vorstellung zugrunde von einer pax sowjetica, einer pax sowjetica, die über den Grabmälern der Freiheit der europäischen Nationen und ihrer Bürger errichtet werden soll.

(Sehr richtig! in der Mitte. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt)

sarmatica!)
— Ja, pax sowjetica, nicht britannica!

(Abg. Dr. Schmid [Frankfurt) : „Pax sarmatica" würde ich lateinisch sagen!)

— Jetzt heißt es nicht „pax sarmatica", sondern „pax sowjetica". Das versteht man viel besser als ,.pax sarmatica": es haben nicht alle Ihre historische Bildung, Herr Kollege Schmid.

(Abg. Dr. Schmid [Frankfurt) : Das ist kein

Küchenlatein!)
Der Weg zu diesem Frieden. zu der pax sowjetica, ist die Einschläferung der Wachsamkeit der freien Völker und die Verewigung der europäischen Uneinigkeit. Den Sowiets geht es nicht darum, die Aufstellung von zwölf deutschen Divisionen zu verhindern. Es geht ihnen darum, die europäische Einigung zu zerschlagen und ein kollektives Sicherheitssystem der freien Völker der Welt zu verhindern.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

,.Friedliebend" sind nach sowjetischem Sprachgebrauch nur Völker und Menschen. die sich ihrer Zweckfriedenspropaganda angeschlossen haben oder ihr angeschlossen worden sind. Darum sind „friedliebend" die Sowjetunion, Sowjetpolen, Sowjetrumänien, Sowjetbulgarien, Sowjetalbanien, Rotchina, Nordkorea und Nordvietnam. Diese Staaten sind .auch allein ..demokratisch" nach sowjetischem Sprachgebrauch,

(Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Sie vergessen wieder einmal die Tschechoslowakei!) während die übrigen Völker „kapitalistisch", ..f aschistisch" und „kriegshetzerisch" sind, insbesondere die großen Demokratien des Westens. Der Friede ist nach sowjetischer Auffassung genau so wenig ein Ideal, wie der Krieg ein Übel ist. Beide sind Mittel zum Zweck, d. h. zur Erweiterung der sowie-tischen Macht durch Unterwerfung der freien Völker. Die Versklavung der Völker aber heißt nach sowietischem Zungenschlag ,.Befreiung". ..Freiheit" bedeutet im sowietischen Sprachgebrauch nicht Unabhängigkeit der Nationen und die Freiheit der Person: ..Freiheit" heißt Anwendung des angeblichen Volkswillens zur Unterdrückung und Entwürdigung der Person und zur Ausbeutung des Menschen als eines staatlichen Produktionsmittels.

Wir sollten deshalb unser Ziel „Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit" in Theorie und Praxis frei von Verschwommenheiten und Mißdeutungen halten, schon zu dem Zweck, daß wir nicht mit eigenen Waffen geschlagen werden.
Wir sollten auch offene Ohren haben, wenn Herr Molotow von freien Wahlen spricht. Nach seiner Vorstellung sind die freiesten Wahlen der Welt die Oktoberwahlen in der Sowjetzone für die Volkskammer gewesen. Wir sollten auch richtig zwischen den Zeilen lesen, wenn es in der sowjetischen Erklärung vom 15. Januar heißt, daß Deutschland nach der Wiedervereinigung auf den Weg zu einer friedliebenden und demokratischen Politik gebracht werden muß. Darunter ist nichts anderes zu verstehen als eine sowjetische Kontrolle über ganz Deutschland mit dem Ziel, die Volksrepublik Deutschland möglichst bald zu einem Mitglied des sowjetischen „Friedenslagers" zu machen. Damit sind wir aber von der Wiedervereinigung in Freiheit und Frieden — nach unserer Vorstellung — zur Bolschewisierung Gesamtdeutschlands gekommen.
Wenn die Frage gestellt wird: wer soll mit wem verhandeln — da ist es schade, daß Herr Ollenhauer nicht da ist, das ginge jetzt unmittelbar an seine Adresse; aber Herr Mellies, Sie sind ein prächtiger Stellvertreter! —,

(Heiterkeit)

dann gibt es keinen Zweifel darüber, daß die Westmächte mit der Sowjetunion verhandeln sollen. Darüber bestand zwischen uns und der Opposition bisher hoffentlich keine Verschiedenheit der Auffassung. Die Frage der Erweiterung einer Viererzu einer Fünferkonferenz bleibt einem anderen Zeitpunkt vorbehalten.

(Abg. Wehner: Da waren Sie nicht da, als Ihr Kollege von der Koalition eine Fünferkonferenz proklamiert hat!)

— Oh, ich weiß, Herr von Merkatz hat darüber gesprochen. Ich weiß Bescheid. Ich bin ja kein Sprachrohr, Herr Wehner. Ich sage das, was ich denke.

(Zurufe von der SPD. — Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Sprechen Sie nun für die Regierung oder bloß für sich?)

— Ich kann, um Ihren Zwischenruf zu beantworten, deshalb gern für die Regierung sprechen, weil meine Auffassung sich von der der Regierung bezüglich dieses Themas in keiner Weise unterscheidet. Darum brauche ich mich weder vergewaltigen zu lassen noch fremde Weisungen auszuführen. Ich sage genau das, was ich mir denke, und bin im Gegensatz zu manchen Ihrer Freunde immer in der glücklichen Lage, daß die offizielle Meinung sich mit der meinen deckt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Unsere Wege trennen sich erst bei der Frage, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Umständen verhandelt werden soll. Die Opposition sagt: Vor der Ratifizierung der Pariser Verträge! Wir sagen: Nach Ratifizierung der Pariser Verträge!
Ich möchte hier einmal ganz deutlich auf die Unrichtigkeit der immer wieder aufgestellten Behauptung hinweisen, daß die Bundesregierung keine Verhandlungen wünsche, während die SPD durch ihre Verhandlungsvorschläge sozusagen einen Garanten für Einheit, Freiheit und Frieden darstelle. Denn das ist eines der wesentlichsten Argumente gewesen, die draußen im Kampf um die Volksbefragung von Ihnen gebraucht worden sind.

(Abg. Dr. Menzel: Das ist aber primitiv! — Gegenruf des Abg. Stücklen. Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Herr Minister, es ist wohl Ihre besondere Aufgabe, zu vereinfachen!)



(Bundesminister Strauß)

— Nein, meine besondere Aufgabe ist es, Ihre primitiven Vereinfachungen draußen hier einmal dem Parlament zu erzählen und zu kritisieren.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der DP. — Zurufe von der SPD.)

In der nach unten entsprechend vergröberten Form wird — ja, Herr Kollege Mellies, was ich jetzt sage, ist nicht zum Lachen, weil wir das draußen in Aschaffenburg, in Hof, in Kassel und in Göttingen zur Genüge erlebt haben —, in der nach unten durch ihre Funktionäre entsprechend vergröberten Form wird der Bundesregierung und den Regierungsparteien Kriegspolitik vorgeworfen, während behauptet wird, daß die SPD die klassische Friedenspartei sei.

(Zuruf von der Mitte: So ist es!)

Was die Spitze der offenen Opposition nicht zu sagen wagt, sagen an ihrer Stelle gewisse mit dem gleichen Parteibuch ausgerüstete Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften. Herr Wönner sagte: — —

(Abg. Meitmann: Einsperren!)

— Ja, in welchen Vorstellungen leben Sie denn, Kollege Schmid?

(Abg. Meitmann: Zuchthaus!)

— Hoffentlich war das nicht Ihre Praxis, als Sie noch stellvertretender Staatspräsident waren!

(Heiterkeit.)

Herr Wönner sagte in seiner Rundfunkrede vom 26. Januar 1955 im Zusammenhang mit den Bundestagswahlen von 1953 — und was ich hier sage, ist nicht zum Lachen, meine Damen und Herren — wortwörtlich: „Wäre die Parole im Raum gestanden: ,Wer Adenauer wählt, wählt den Krieg!, wäre das Ergebnis ein anderes gewesen."

(Lebhafte Pfui-Rufe von den Regierungsparteien.)

Was würden Sie uns entgegenhalten — „Vergiftung des Klimas", „Politisches Klima und seine Entgiftung", Herr Kollege Arndt, Ihr Spezialthema vom 17. September letzten Jahres, Sie wissen es ja noch —, was würden Sie uns entgegenhalten, wenn wir sagen würden: „Wer Ollenhauer wählt, wählt die Unterwerfung unter Moskau!"

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Das haben Sie ja gesagt! — Weitere stürmische Zurufe von der SPD. — Anhaltende Unruhe. — Glocke des Präsidenten. — Zurufe von der SPD: Wahllügen! — Das hat Ihr Kanzler gesagt!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206905200
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206905300
Bitte sehr!

Georg Kahn-Ackermann (SPD):
Rede ID: ID0206905400
Herr Bundesminister, erinnern Sie sich an ein Plakat, das Ihre Partei im letzten Wahlkampf gebraucht hat, worauf stand: „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau!"?

(Abg. Stücklen: Jawohl!)

In Anbetracht dieser Tatsache sollten Sie sich diese Äußerungen besser überlegen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206905500
Ich habe hier davon gesprochen, daß der Erste Vorsitzende des Landesbezirks Bayern des Deutschen Gewerkschaftsbundes in seiner letzten Rundfunkrede „Politik aus erster Hand" die Geschmacklosigkeit besessen hat, im Zusammenhang mit der Volksbefragung die Alternative aufzustellen: „Wer Adenauer wählt, wählt den Krieg", im Zusammenhang mit dem 6. September 1953,

(Zuruf von der SPD: Er ist auf Ihr Niveau gegangen!)

und ich habe nichts anderes getan — ich verurteile diese Äußerung —, als Ihnen entgegenzuhalten, wie sehr Sie mit Recht empört wären, wenn wir eine ähnliche primitive Formulierung von uns aus als unsere Überzeugung sagen würden.

(Beifall in der Mitte und rechts. — Zuruf von der SPD: Er hat es doch gemacht!)

— Sie können sich ja dazu äußern. (Zuruf des Abg. Mellies.)

— Sie können sich ja dazu äußern — wir erwarten das sogar —, ob Sie sich mit diesem verleumderischen Vorwurf identisch erklären. Ich erkläre - -

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206905600
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?

(Anhaltende Zurufe von der SPD.)

— Einen Augenblick Ruhe, meine Herren, sonst kommen wir nicht weiter mit dem Mikrophon. — Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206905700
Bitte, Herr Präsident!

Willy Könen (SPD):
Rede ID: ID0206905800
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß auf den Plakaten, die zu Kundgebungen in dieser Angelegenheit angeschlagen wurden, Klebestreifen aufgeklebt wurden — wahrscheinlich nicht im Auftrage der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion! — „Von Moskau bezahlt!"?

(Abg. Mellies: Das war ja auch im Wahlkampf! — Zuruf rechts: Was interessiert uns das!?)


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206905900
Auf welchen Plakaten, weiß ich nicht. Ich bin gern bereit, mich darüber zu unterhalten. Aber hier handelt es sich darum, daß ein maßgebender Sozialdemokrat und Spitzenfunktionär des Deutschen Gewerkschaftsbundes mit Ihrem Parteibuch am Bayerischen Rundfunk — und Sie sind sehr empfindlich, wenn man Ihnen mal eine Parallele dazu bringt — die Alternative gebracht hat: „Wer Adenauer wählt, wählt den Krieg!".

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206906000
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zusatzfrage?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206906100
Ich muß jetzt fortfahren. — Ob Sie sich mit diesem Vorwurf identisch erklären, dazu können Sie sich ja äußern. Ich habe von mir aus ausdrücklich gesagt, daß wir mit einem solchen Vorwurf: Wer Ollenhauer wählt, wählt Unterwerfung unter Moskau, nichts zu tun haben wollen.

(Zurufe von der SPD.)



(Bundesminister Strauß)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Forderung der Opposition geht dahin, die vier Besatzungsmächte sollen sich unverzüglich vor Ratifizierung der Pariser Verträge in einer Viererkonferenz über die Frage der deutschen Wiedervereinigung einigen. Gut, einverstanden, soweit es die Konferenzpartner betrifft; nicht einverstanden, soweit es den Termin betrifft.
Aber Sie haben ja hier auch etwas von Plakaten gesagt. Jetzt frage ich Sie etwas anderes. Lautet nicht eine weitere These von Ihnen, daß man dem ehrlichen Willen der Westmächte, die Wiedervereinigung Deutschlands herbeizuführen, nicht trauen dürfe? Lautet nicht Ihre These so?

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Dann darf ich Ihnen einmal Ihre offizielle Flugschrift, die Sie für die Testaktion in Hof verwendet
haben, hier vor Augen halten. Es heißt hier — ich
kann's Ihnen ja zur Einsicht geben, wenn Sie's
wünschen -:
Dichtung:
Adenauer sagt: Die Verträge verpflichten die Westalliierten zur aktiven Wiedervereinigungspolitik.
Wahrheit:
„De Nieuwe Rotterdamsche Courant" vom 12. Januar 1954: Die öffentliche Meinung im Westen fühlt sich mit einem gespaltenen Deutschland viel sicherer als mit einem wiedervereinigten Deutschland. Wenn es nach Deutschlands westeuropäischen Verbündeten ginge, würden diese gern mit der Sowjetunion auf der Grundlage des Status quo, der Teilung Deutschlands sich einigen.
Diesen Ausspruch des „Nieuwe Rotterdamsche I Courant" haben Sie in Ihrem offiziellen Flugblatt als Wahrheit bezeichnet.

(Pfui-Rufe bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

— Als Dichtung und Wahrheit! Ich kann ja nicht mehr tun, als das verlesen!

(Erneute Zurufe von der SPD.)

— Warum scheuen Sie sich denn hier, das zu hören, was Sie bei Zehntausenden in Hof verbreitet haben?

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Menzel: Das Zitat ist doch richtig!)

— Es handelt sich nicht um das Zitat.

(Abg. Dr. Arndt: Wir scheuen uns gar nicht!) Sie haben behauptet: Dichtung ist das, was Adenauer sagt; Wahrheit ist das, was die holländische Zeitung sagt. Das ist Ihre Behauptung.


(Abg. Meitmann: Das sind doch die Zeitungen der Regierungen, mit denen Sie die Verträge gemacht haben, Herr Strauß! Mehr ist doch nicht festgestellt!)

— Ich glaube, daß Ihre gegenwärtige Pressekenntnis etwas lückenhaft ist, Herr Kollege, wenn Sie den „Nieuwe Rotterdamsche Courant" für eine Regierungszeitung halten oder Ihre Flugschrift für eine Veröffentlichung des Bundespresseamtes erklären wollen.

(Heiterkeit und Beifall in der Mitte und rechts.)

Ja, schauen Sie, Sie haben hier weiterhin erklärt: Verhandeln ja, aber nicht wieder so wie in Berlin! Einverstanden, was die Sowjets betrifft. Unsere
Frage aber: Trauen Sie dem guten Willen der Westmächte oder nicht? Denn so, wie Sie es hier vor der Öffentlichkeit, vor Ihrer testierten Wählerschaft erklärt haben, müßte man ja unterstellen, daß Sie die Verhandlungsführung der Westmächte in Berlin kritisieren. So ist es aufgefaßt worden.

(Abg. Dr. Arndt: Ja, tun wir auch! — Weiterer Zuruf von der SPD: Kritisieren wir auch!)

— Sehen Sie, Herr Kollege, darauf habe ich gewartet!

(Große Heiterkeit in der Mitte und rechts.) Darum haben Sie in der Bundestagssitzung vom 25. Februar 1954 den Westmächten und ihren Außenministern einstimmig den Dank des Bundestages dafür ausgedrückt, daß sie sich mit größter Entschiedenheit für die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit eingesetzt haben!


(Große Heiterkeit und lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn Sie den Westmächten nicht trauen, warum verlangen Sie unter den gegenwärtigen Umständen, d. h. bevor die Bundesrepublik Deutschland souverän ist und als gleichberechtigter Partner gehört werden muß, daß die vier Besatzungsmächte sich zusammensetzen und über die Wiedervereinigung Deutschlands verhandeln? Wenn Sie aber dem guten Willen der Westmächte trauen, warum wird dann zur Irreführung der Öffentlichkeit und zur Herbeiführung eines Testwahlergebnisses ein solches Flugblatt verbreitet?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Denn der Inhalt Ihres Flugblattes läuft doch darauf hinaus, daß wir unmittelbar, notfalls auch gegen die Westmächte, mit den Sowjets verhandeln sollen, um zur deutschen Wiedervereinigung zu gelangen

(Zuruf von der SPD: Das war wieder ein Kurzschluß!)

— wahrscheinlich bei Ihnen! —, ganz gleich, ob Sie dem guten Willen der Westmächte trauen oder nicht. Wir trauen ihnen wahrscheinlich mehr als Ihnen, — ich meine, als Sie es tun; ich bitte, das zu entschuldigen.

(Zuruf von der SPD: Das war eine typische Fehlleistung bei Ihnen!)

— Bei soviel Fehlleistungen nach Ihrer Bilanz kommt's bei mir auf eine auch nicht mehr an.

(Zuruf von der SPD: Jetzt sind Sie wieder auf der Wies'n, Herr Strauß!)

— Wenn Ihre Parteifreunde das Publikum dafür abgeben, kann ich leider nicht anders reden.

(Zurufe von der SPD: Sie reden hier als Minister! — Das Niveau ist gesunken!)

— Das Niveau ist gesunken; das habe ich mir in den letzten vier Wochen auch gedacht.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ganz gleich, ob Sie dem guten Willen der Westmächte trauen oder nicht, müssen Sie doch zugeben, daß wir die größeren Realisten sind — das Wort „Realist" ist heute ja auch gefallen —, wenn wir in den Pariser Verträgen die feierliche Verpflichtung der Westmächte erhalten, die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und Frieden als ein Ziel ihrer Politik zu betreiben.


(Bundesminister Strauß)

Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Antwort auf den letzten Brief des Herrn Ollenhauer mit Recht geschrieben, daß es nicht genügt, sich mit der Sowjetunion zu einigen; man brauche auch die Zustimmung der Westmächte, um zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen. Das würde doch genau der sozialdemokratischen Forderung entsprechen, daß sich die vier Besatzungsmächte über die Wiedervereinigung Deutschlands einig werden sollen. Herr Ollenhauer hat aber, aus der Paulskirchen-Atmosphäre kommend, laut „Main-Echo" — ich stelle Ihnen auch das zur Verfügung
— in seiner Aschaffenburger Rede erklärt, dieser Satz in dem Antwortbrief Adenauers veranlasse ihn — vor über 1000 Zuhörern — zu folgender Feststellung: Die deutsche Außenpolitik sei schließlich nicht nur eine Außendienststelle der Amerikaner.

(Hört! Hört! in der Mitte und rechts. — Zurufe von der SPD.)

— Bis jetzt ist kein Dementi erschienen, und das ist schon vier Wochen her.

(Abg. Wienand: Sie soll es auch nicht sein!)

— Was Sie da ganz links drüben jetzt gesagt haben, bringt mich wie in einer Metamorphose zurück in den ersten Bundestag, wo aus der gleichen Ecke ähnliche Zwischenrufe gekommen sind.

(Beifall von der CDU/CSU. — Pfui-Rufe von der SPD.)

— Ja, aus der Ecke!

(Unruhe bei der SPD. — Glocke des Präsidenten.)

Wenn Sie sagen — —

(Anhaltende Unruhe und Pfui-Rufe von der SPD. — Glocke des Präsidenten.)

Wenn Sie sagen, meine Damen und Herren, — —

(Erneute große Unruhe bei der SPD. — Zurufe von der SPD: Pfui Teufel, Herr Strauß!)

— Lassen Sie mich doch reden!

(Abg. Dr. Menzel [sich zum Redner begebend] : Sie haben sich zu entschuldigen, Herr Strauß, aber sofort! Sie haben sich sofort zu entschuldigen, Herr Strauß! Sie wissen, was das bedeutet! — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206906200
Herr Kollege Menzel, begeben Sie sich bitte auf Ihren Platz.

(Einzelne Abgeordnete von der SPD begeben sich zum Saalausgang.)

— Meine Damen und Herren, begeben Sie sich auf Ihre Plätze.

(Oho!-Rufe von der SPD.) Herr Bundesminister, einen Augenblick!


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206906300
Ich werde eine genaue Darstellung geben.

(Anhaltende Unruhe.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206906400
Meine Damen und Herren, jetzt spreche ich! Es ist unmöglich, den Zwischenfall zu klären, wenn nicht Ruhe eintritt. Ich habe den Zuruf nicht gehört. Darf ich bitten, daß er wiederholt wird.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206906500
Als ich die Worte gebrauchte, daß wir uns dagegen wehren, Außenstelle der amerikanischen Politik zu sein, habe ich von drüben den Zwischenruf gehört: „Sind Sie ja auch!"

(Lebhafter Widerspruch bei der SPD.)

— Wenn der Zwischenruf nicht gefallen ist, dann ist meine Antwort gegenstandslos.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206906600
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung?
— Herr Abgeordneter Wienand, Sie haben das Wort.

Karl Wienand (SPD):
Rede ID: ID0206906700
Ich habe den Zwischenruf gemacht. Ich habe gesagt: „Sie soll es ja auch nicht sein!" Hören Sie aber nächstens gut zu, Herr Minister!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206906800
Meine Damen und Herren, der Schriftführer zu meiner Linken bestätigt, daß der Zwischenruf in dieser Form gefallen ist. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206906900
Ich unterstelle Ihnen, Herr Kollege, daß Sie den Zwischenruf so gemacht haben, wie Sie jetzt sagten. Ich bitte aber auch um das Zugeständnis, daß ich das verstanden habe, was mich zu dieser Reaktion veranlaßt hat.

(Zurufe von der SPD: Sie haben eine Unverschämtheit darauf erwidert; das müssen Sie zugeben, Herr Strauß!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206907000
Herr Bundesminister, fahren Sie fort!

(Anhaltende Zurufe von der SPD. — Zurufe: Entschuldigen Sie sich! Sie haben uns als Kommunisten bezeichnet! — Große Unruhe.)


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206907100
Ich darf ja dann nur das — —

(Abg. Meitmann: Das entspricht Ihren Plakaten draußen! — Weitere lebhafte Zurufe von der SPD. — Abgeordnete der SPD verlassen den Saal. — Abg. Wienand tritt an ein Saalmikrophon.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206907200
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?

(Abg. Dr. Lütkens: Entschuldigen Sie sich vor dem Hause! — Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Menzel.)


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206907300
Ich habe doch erklärt: wenn dieser Zwischenruf nicht so gefallen ist, wie ich ihn verstanden habe, ist meine Bemerkung gegenstandslos und wird zurückgenommen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

(Anhaltende große Unruhe. — Zuruf von der SPD: Das ist keine Entschuldigung! — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206907400
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage?

(Abg. Dr. Lütkens: Wir verlangen eine Entschuldigung vor dem Haus!)



(Bundesminister Strauß)

— Meine Damen und Herren, es ist doch vollkommen unmöglich, so weiterzukommen! — Sie haben das Wort!

(Zuruf von der SPD: Das ist Volksverhetzung!)


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206907500
Oho, auf dem Gebiet haben wir einiges erlebt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206907600
Einen Augenblick, Herr Bundesminister, eine Zwischenfrage!

Karl Wienand (SPD):
Rede ID: ID0206907700
Herr Minister, Sie haben zur Kenntnis genommen, welchen Zwischenruf ich Ihnen gegenüber gemacht habe. Betrachten Sie jetzt das, was Sie gesagt haben, als eine Entschuldigung für den Vorwurf, daß Sie mich mit den Kommunisten gleichgestellt haben?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206907800
Ich habe Sie, Herr Kollege, persönlich gar nicht gesehen. Ich habe verstanden: „Sind Sie j a auch!" und habe daraufhin gesagt: „Solche Zwischenrufe habe ich .früher auch aus der Ecke gehört!" Und nachdem Sie mir erklärt haben — und ich unterstelle die Wahrheit Ihrer Worte —, daß Sie diesen Zwischenruf nicht so, sondern anders gemacht haben, ist meine Reaktion gegenstandslos; ich nehme meine Worte dann in vollem Umfang zurück.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206907900
Meine Damen und Herren, damit ist die Sache geklärt. — Ich bitte den Herrn Bundesminister, fortzufahren.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0206908000
Ich darf auf das Thema zurückkommen. Ich freue mich, daß der Kollege Ollenhauer zurück ist. Ich habe vorhin davon gesprochen, daß Sie laut „Main-Echo" in Ihrer Aschaffenburger Rede erklärt haben, die deutsche Außenpolitik sei schließlich nicht nur eine Außendienststelle der Amerikaner, niemand könne die Bundesregierung daran hindern, selber Verhandlungen mit Rußland aufzunehmen, auch wenn es die drei Westmächte nicht wollten. So lautete Ihre Erklärung, wie sie im „Main-Echo" erschienen ist und wie Sie sie vor über 1000 Menschen in Aschaffenburg gesprochen haben sollen.
Daß in dieser Erklärung das unterstellt ist, wogegen der Zwischenrufer mit Recht sich wehrt, daß es ihm unterstellt wird, werden Sie doch nicht bestreiten, wenn Sie sagen, Adenauer sei doch schließlich nicht eine Außendienststelle der Amerikaner. Daß dieses Wort wesentlich zur Vergiftung der Atmosphäre bei uns beigetragen hat, dürfte kein Zweifel sein.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich gebe Ihnen damit ja, Herr Kollege Ollenhauer, die Möglichkeit, auf diesen Punkt, wenn Sie, wie wir annehmen, zur dritten Lesung der Verträge hier sprechen, einzugehen und eine genau so klare Erklärung abzugeben, wie ich es eben hier getan habe. Dann sind wir in beiden Fällen wieder quitt.

(Abg. Ollenhauer: Darauf können Sie sich verlassen!)

Mit Ihrer Vorstellung, meine Damen und Herren von der SPD, daß vier Besatzungsmächte über die Zusammenlegung ihrer vier Besatzungszonen verhandeln sollen, kommen wir doch leider zu der
Ausgangslage der Konferenz von Potsdam zurück. Herr Molotow hat sich in seiner letzten Rede auf die Rechte und Verpflichtungen der Sowjetunion aus den Abkommen von Jalta und Potsdam berufen. Sie müssen uns doch zugestehen, daß dank den Pariser Verträgen wir die Garantie haben, daß kein Weg mehr zu Jalta und Potsdam jemals zurückführen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir wehren uns gegen die Automatenpolitik, die die falsche Vorstellung hervorruft, daß man nur in einen Automaten mit der Überschrift „Viererkonferenz" eine Münze einzuwerfen, einen Knopf zu ziehen brauche, um als fertiges Ergebnis die deutsche Wiedervereinigung präsentiert zu erhalten. Es gibt keine Patentlösung für die deutsche Wiedervereinigung. Es gibt eine Patentlösung für die Bolschewisierung Gesamtdeutschlands: das wäre der Alleingang der Bundesrepublik ohne die Unterstützung der Westmächte an den Konferenztisch mit der Sowjetunion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der DP.)

Die Ablehnung der Pariser Verträge rückt jedenfalls die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit in den Bereich der politischen Unmöglichkeit. Damit ist nicht gesagt, daß die Annahme der Pariser Verträge uns in einer genau festzulegenden Zeit die Wiedervereinigung schenkt. Aber die Annahme der Pariser Verträge bringt die solidarische Verpflichtung der Westmächte, die deutsche Wiedervereinigung zu unterstützen. Sie bringt die Souveränität der Bundesrepublik, und sie bringt die Ausgangsgrundlage für eine Konferenz mit der Sowjetunion, bei der der Westen weder gespalten noch seine Völker mehr gegeneinander ausgespielt werden können noch die Bundesrepublik Deutschland als Objekt fremder Politik mißbraucht werden kann.
Gegen unsere Forderung: Zuerst ratifizieren, dann verhandeln! bringen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, als hauptsächlichen Vorwand die Behauptung, daß die Sowjetunion nach der Ratifizierung nicht mehr bereit sei, sich überhaupt auf Verhandlungen einzulassen. Ohne Zweifel gibt es eine Reihe von Erklärungen der sowjetischen und der sowjetzonalen Machthaber, daß die Ratifizierung der Pariser Verträge, auch die bedingte Ratifizierung der Pariser Verträge die Wiedervereinigung Deutschlands außerordentlich erschweren und Verhandlungen darüber auf unabsehbare Zeit unmöglich machen würde. Wir meinen aber, daß Sie nicht an die absolute Stichhaltigkeit solcher sowjetischer Erklärungen etwa im Sinne biblischer Wahrheiten glauben sollten. Wenn Sie dieselbe Glaubensfähigkeit auch gegenüber allen Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers aufbringen würden, wären wir sehr zufrieden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Was verleitet Sie, meine Damen und Herren von der SPD, diese sowjetischen Behauptungen für bare Münze zu nehmen? Die Sowjets haben schon viel erklärt, was sie später nicht gehalten haben. Natürlich haben die Sowjets und ihre deutschen Gerichtsvollzieher in der Sowjetzone ein lebenswichtiges Interesse daran, das Zustandekommen der Pariser Verträge zu verhindern, sicherlich nicht deshalb, weil sie einen Angriff der deutschen Militaristen mit amerikanischer Hilfe befürchten, sondern deshalb, weil das Zustandekommen der Pari-


(Bundesminister Strauß)

ser Verträge einen schweren Rückschlag der Sowjetpolitik und eine echte Niederlage im Kalten Krieg bedeuten würde.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sicher auch deshalb, weil die politische Gewichtsverschiebung durch die Pariser Verträge zugunsten des Westens den Sowjets bei einer künftigen Viererkonferenz nicht mehr dasselbe frevelhafte Katz- und Maus-Spiel der ewigen Ausflüchte und Vorwände ermöglicht, wie wir es bei der Berliner Konferenz erlebt haben.
Darum sollten Sie sich nicht die Behauptung zu eigen machen, daß die Sowjets nach der Ratifizierung auf keinen Fall mehr verhandeln werden. Sie glauben offensichtlich, daß seit der Berliner Konferenz die Haltung der Sowjets sich geändert habe. Sie verlangen deshalb vor der Ratifizierung der Pariser Verträge wieder eine Viererkonferenz. Ursprünglich haben Sie doch gesagt: wir wollen eine Viererkonferenz herbeiführen, um den Sowjets die Möglichkeit zu geben, ihren guten Willen zu beweisen, und um sie beim Wort zu nehmen. Die Berliner Konferenz hat Ihre Erwartungen und unsere gemeinsamen Hoffnungen nicht erfüllt. Nun wollen Sie die Pariser Verträge aufschieben, lieber wahrscheinlich scheitern lassen und nochmals eine Viererkonferenz auf die Versprechungen der Sowjets hin herbeiführen. Sie haben dabei, Herr Kollege Ollenhauer, bis jetzt jede klare Festlegung vermieden, was Sie eigentlich nach dem eventuellen Scheitern einer neuen Viererkonferenz vorhaben. Wollen Sie dann die Pariser Verträge ratifizieren, oder haben Sie die Absicht, dann eine neue Viererkonferenz zu verlangen?

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Sie haben bisher darüber — ich meine nicht Sie persönlich, sondern Ihre maßgebenden Herren — widerspruchsvolle Erklärungen abgegeben.
Wir sind der Meinung, daß die Sowjets dann verhandeln werden, wenn es ihnen zweckmäßig oder politisch notwendig erscheint. Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß die Sowjets niemals ernsthaft über die deutsche Wiedervereinigung verhandelt hätten oder verhandeln würden, solange sie damit rechnen können, den Westen mit diplomatischen Mitteln aufzuspalten und Deutschland zwischen Ost und West zu isolieren.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Wir befinden uns mit unserem Glauben, daß die Sowjets auch nach Ratifizierung der Pariser Verträge noch zu Gesprächen bereit sind, in der guten Gesellschaft Ihres Regierenden Bürgermeisters von Berlin, der in seiner Erklärung behauptet und in seinem Dementi nicht zurückgenommen hat, daß die Sowjets immer wieder zu Gesprächen bereit seien, weil sie ihre Politik stets neuen politischen Gegebenheiten anpassen würden. Warum sagen denn die Sowjets, daß sie nach der Ratifizierung nicht mehr verhandeln wollen? Wenn es ihnen um die Sicherheit geht, dann liegt zwischen Ratifizierung und Vollendung des deutschen Militärbeitrages genügend Zeit für eine Viererkonferenz wie für ein kollektives Sicherheitssystem, zu dem die Pariser Verträge übrigens bereits die ersten Ansätze bieten. Dann können die Sowjets zeigen, worum es ihnen wirklich geht, ob der Preis, den sie für die deutsche Wiedervereinigung verlangen, in echten Sicherheitsgarantien besteht, oder ob sie
als Preis dafür den Verzicht auf die Freiheit Gesamtdeutschlands verlangen. Im ersten Fall können wir uns einig werden, im zweiten Fall werden wir uns nie einig werden.
Eigentlich müßten Sie auch, meine Damen und Herren, merken, daß das Stichwort „Wiedervereinigung" von den Sowjets im Laufe der letzten Wochen in erster Linie als Köder für uns verwendet worden ist, um die Pariser Verträge zu Fall zu bringen. Gegenüber anderen Völkern wird ein anderer Köder gebraucht. Radio Moskau hat am 31. Januar erklärt, Frankreich laufe bei Ratifizierung der Pariser Verträge Gefahr, seiner besten Alliierten, der Sowjets, verlustig zu gehen und isoliert seinem urewigen Feind, dem deutschen Militarismus, gegenüberzustehen. Frankreich wird gewarnt, sich auf England zu verlassen. Aus Radio Ost-Berlin ergibt sich, daß die Parlamentarier von Belgien, Holland und Luxemburg gewarnt worden sind, die Pariser Verträge zu ratifizieren. Sie sollten den 10. Mai 1940 nicht vergessen. Schließlich hat die Kommunistische Partei in Italien eine Groß aktion gegen die Ratifizierung der Pariser Abkommen eingeleitet. Tausende von Gruppen sind auf die Straßen geschickt worden, Zehntausende von Plakaten mit Schreckbildern deutscher Soldaten angeklebt worden. So ist die Sowjetunion im einzelnen um das Wohlergehen ihrer zukünftigen Opfer besorgt. Den Deutschen, Holländern, Belgiern, Luxemburgern, Franzosen, Italienern wird wechselweise das versprochen, was sie hören sollen, oder wechselweise damit gedroht, was sie abschrekken soll, eine Ratifizierung vorzunehmen. Tragisch ist nur, daß wir in Deutschland uns nicht zwischen Regierung und Opposition darüber im klaren sind, daß die Erklärungen der Sowjets in der letzten Zeit keinen anderen Zweck hatten, als uns an der Ratifizierung der Pariser Verträge zu hindern, und auf keinen Fall ein echtes Angebot auf Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit dargestellt haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn Sie vorhin, sagen wir, über die Deutlichkeit meiner Sprache empört waren und ich Ihnen vorher erklärt habe, daß wir einmal die Argumente — es gäbe noch mehr; ich habe mich jetzt auf diese zu beschränken —, die Sie draußen bringen, auch hier einmal unter den Scheinwerfer nehmen wollen, und wenn Sie selber vom guten Klima zwischen Regierung und Opposition sprechen, — dann lesen Sie einmal Ihre Parteizeitung, die der Herr Arno B ehr i s c h herausgibt oder schriftstellerisch betreut — nicht gerade goethisch, aber immerhin schriftstellerisch —,

(Heiterkeit in der Mitte)

Ihr Organ, die „Fränkische Volkszeitung", wo Bundesminister Kraft und ich als „schäbige Gesellschaft" bezeichnet worden sind.

(Hört! Hört! in der Mitte.)

Dort heißt es:
Bei der SED heißt der Generalsekretär Ulbricht, bei der CDU/CSU hieß er Strauß, bis der Strauß einen Vogel bekam und sich in den Kopf setzte, Kriegsminister bei Adenauer zu werden.
Wenn der SPD-Abgeordnete Arno Behrisch behauptet, Kraft und ich müßten ja die Politik des Bundeskanzlers vertreten, weil wir dafür bezahlt würden,

(lebhafte Pfui-Rufe in der Mitte)



(Bundesminister Strauß)

und ähnliches, — es hat keinen Sinn, im einzelnen darüber zu reden. Wir wollen nur von Ihnen haben, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie im Kampf gegen uns draußen vor der Öffentlichkeit denselben Stil und dieselben Argumente anwenden, wie Sie sie hier anwenden.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Wäre das der Fall, wäre zumindest eine Sprachregelung zwischen uns leichter, vielleicht sogar eine Zusammenarbeit.

(Zuruf von der SPD: Aber nicht mit Ihnen!)

Gefährliche Instinkte und hemmungslose Leidenschaften sind in den letzten Wochen geweckt worden.

(Abg. Jacobi: Ist Ihnen völlig unbekannt!)

Um so mehr haben wir im Deutschen Bundestag Grund, unser verfassungsmäßiges Recht, die außenpolitischen Entscheidungen zu treffen, für uns in Anspruch zu nehmen und gegen alle außenstehenden Gruppen zu verteidigen,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

nicht nur gegen die Feinde der Demokratie, auch gegen scheinbar parteipolitisch neutrale Organisationen, die die Millionenbeiträge ihrer Mitglieder und den Mammutapparat ihrer Organisation dazu benutzen, um das Recht der politischen Willensbildung den Parteien und das Recht der politischen Entscheidung dem Parlament wegzunehmen oder wesentlich zu beschränken.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir wissen, worum es in dieser Stunde geht. Wir sind uns mit der Opposition einig über das Ziel: die Wiedervereinigung. Wir sind uns mit ihr einig in der Erkenntnis, daß darüber Verhandlungen mit der Sowjetunion geführt werden müssen. Wir unterscheiden uns aber dadurch, daß wir erstens das Sicherheitsbündnis mit den Westmächten und die Souveränität der Bundesrepublik v o r diesen Verhandlungen durchsetzen wollen,

(Zuruf von der SPD)

zweitens, daß wir die Neutralisierung eines wiedervereinigten Deutschlands als Übergangszustand zur Bolschewisierung ablehnen müssen. Wir wollen und wünschen, meine Damen und Herren von der SPD, daß in Ihren Reihen der Geist derer, die für die Freiheit ihr Leben geopfert haben, auch heute wirksamer wäre, als es in diesem Kampf zum Ausdruck kommt.

(Zurufe von der SPD.)

Hat nicht Ihr im Zusammenhang mit dem 20. Juli ermordeter Julius Leber erklärt: Wer für die Freiheit kämpft, kann nicht an morgen denken? Genau vor derselben Problematik — Freiheit vor dem Totalitarismus, Freiheit und Würde der Person —, genau in derselben Auseinandersetzung stehen wir heute.

(Erneute Zurufe von der SPD.)

Nur haben wir heute noch das Recht, uns entscheiden zu können. Damals war es zu spät.
Wir halten auch, meine Damen und Herren, die Bundesrepublik für einen echten Staat, mit der Konsequenz, daß seine Organe die legitimen Vollmachten und seine Bürger ordentliche Pflichten haben. Man kann nicht etwa den Kampf gegen
diese Regierung noch mit einem nationalen Mäntelchen umgeben!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Für uns ist die Bundesrepublik so lange ein Definitivum, bis ihre Politik neue Tatsachen geschaffen hat, die sie — rückwirkend gesehen — zum Provisorium gemacht haben.
Wir wissen, daß vom deutschen Beitrag für die Erhaltung oder Vernichtung der abendländischen Kulturwerte unendlich viel abhängt. Wir sind uns unserer Verantwortung für ganz Deutschland bewußt, und wir sprechen in dieser Stunde auch zu unseren deutschen Brüdern und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhangs, Vertrauen zu unserer Politik zu haben.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn Herr Ollenhauer erklärt hat, daß die Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs mit heißem Herzen ein Gelingen seiner Politik wünschen, — ich glaube, Herr Ollenhauer, daß Sie hier — gelinde gesagt — einer falschen Berichterstattung zum Opfer gefallen sind.

(Abg. Mellies: Oder Sie!)

Die Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs, die mit uns noch in den gleichen Normen denken — und das ist die überwiegende Mehrheit —, wünschen, daß wir, die gegenwärtig Verantwortlichen der Bundesrepublik, mit unserer Politik zum Ziele kommen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Mögen alle Teufel der Verwirrung losgelassen sein, die Bundesrepublik Deutschland wird ihren I Weg der europäischen Einigung, der Verteidigung der freien Völker und der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und Frieden fortsetzen. Sie wird gemeinsam mit West-Berlin als Vorposten der Freiheit, als Leuchtturm ihrer Hoffnung ihre Politik Schulter an Schulter mit den großen Mächten der Welt so lange fortsetzen, bis die rettende Stunde für alle versklavten Deutschen geschlagen hat.
Die Sowjets sollen wissen, daß keine Lockung und keine Drohung, weder Friedensschalmeien noch Kriegstrompeten uns irre oder weich machen werden und daß die Bundesrepublik für sie keine Durchgangsstation zur Eroberung Europas sein wird.

(Zurufe von der SPD.)

Die Sowjets wissen, daß ihnen von uns keine Gefahr irgendwelcher Art jemals droht. Wenn es ihnen um den Frieden geht, sind wir auf Gegenseitigkeit zu allen Garantien bereit. Die Sowjets sollen aber auch wissen, daß noch größer als unsere aus dem Gewissen kommende Friedensliebe unsere Entschlossenheit ist, unsere Freiheit zu erhalten und notfalls zu verteidigen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Sowjets sollen sich damit abfinden, daß die europäische Einigung an der Bundesrepublik Deutschland nicht zum Scheitern gebracht werden kann. Sie sollen wissen, daß Europa immer im Lager des Friedens stehen wird, daß Europa im Falle der Bedrohung aber immer auf der Seite der Freiheit stehen wird. Wir sagen ja zu den Pariser Verträgen, weil sie das Risiko für den Angreifer


(Bundesminister Strauß)

erhöhen, weil sie gleichzeitig die Ansätze für eine allgemeine Abrüstungspolitik enthalten. Wir sagen ja zu den Pariser Verträgen, weil sie uns als notwendiges Übergangsstadium zu einem europäischen Staatenbund und — so bald wie möglich — einem europäischen Bundesstaat erscheinen. Wir sagen ja zu den Pariser Verträgen, weil wir wissen, daß ihr Scheitern jubelndes Triumphgeschrei der kommunistischen Machthaber, tiefe Niedergeschlagenheit bei den versklavten Deutschen und Ratlosigkeit unter den freien Völkern hervorrufen würde.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Wir wissen uns in dieser Stunde auch einig mit den guten Geistern unserer Vergangenheit. Hat die deutsche Politik in tragischer Verblendung und vor dem zweiten Weltkrieg in bewußter Absicht vieles zur Zerstörung Europas beigetragen, sind wir von der unerschütterlichen Absicht erfüllt, durch unser Ja zu diesen Verträgen der Freiheit Europas, der Einheit unseres Volkes und dem Frieden der Welt einen echten Dienst zu erweisen.

(Abg. Mellies: Wissen Sie, wer immer den Geist der Geschichte beschworen hat? Daran sollten Sie in diesem Hause einmal denken!)

— Dafür gäbe es gefährliche Parallelen auch für Sie, Herr Kollege Mellies! — Bringen wir uns nicht durch Abwarten und irreale Bedingungen um den ganzen moralischen Effekt unserer Politik,

(Sehr gut! in der Mitte)

die von der Kapitulation bis heute, von der tiefsten Erniedrigung und Hoffnungslosigkeit wieder bis an die Grenze der Souveränität und der eigenen Handlungsfähigkeit geführt hat.

(Zuruf von der SPD: An die Gewehre!)

Seien wir uns klar darüber, daß unser Ja zur Freiheit, unser Ja zur gemeinsamen Sicherheit, unser Ja zur europäischen Einigkeit der Tätigkeit zugehört, zugerechnet werden muß,
die zwar Sandkorn nur um Sandkorn reicht, doch von der großen Schuld der Zeiten Minuten, Tage, Jahre streicht.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: An die Gewehre!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206908100
Das Wort hat der Abgeordnete Hansen.

Werner Hansen (SPD):
Rede ID: ID0206908200
Meine Damen und Herren! Nach diesem Beitrag eines Bundesministers zu unserer politischen Debatte fällt es mir sehr schwer, jetzt den Versuch zu unternehmen,

(Zurufe von der Mitte)

die Diskussion wieder auf ein politisches Niveau
zu führen, wie es im Bundestag herrschen sollte.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Haben Sie keine Sorge, ich werde nicht zu diesen Ausführungen sprechen.

(Erneute Zurufe von der Mitte.)

Ich überlasse sie dem Kommentar der Hörer, die diese Rede heute mit anhören mußten.

(Abg. Huth: Das müssen gerade Sie vom DGB sagen!)

Ich glaube, daß ihr Urteil klarer ist, als offenbar hier in diesem Hause es in diesen Beifallsäußerungen zum Ausdruck gekommen ist.

(Zustimmung bei der SPD. — Abg. Huth: Überlassen Sie das ruhig der Öffentlichkeit!)

Meine Damen und Herren, verstehen Sie denn — und da spreche ich jetzt vor allen Dingen auch meinen Kollegen Sabel an — vielleicht nach diesen Ausführungen, daß in der deutschen Arbeitnehmerschaft eine so tiefe Unruhe vorhanden ist über die Dinge, die auf sie zukommen,

(Sehr gut! bei der SPD)

wenn es bereits jetzt, ohne daß wir eine deutsche Wehrmacht haben, möglich ist, eine solche Denunzierung der deutschen Arbeitnehmerschaft und der deutschen Sozialdemokratie hier durch einen Bundesminister vorzunehmen mit dem ausdrücklichen Bemerken, daß es sich um eine offizielle Erklärung der Bundesregierung handelt?
Aber ich will zu den Ausführungen meines Kollegen Sabel Stellung nehmen. Ich habe bereits bedauert, daß er diese Note in die Diskussion gebracht hat.
Herr Abgeordneter Sabel hat vor allen Dingen zu dem Aufruf, zu der Entschließung Stellung genommen, die der Bundesvorstand und Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 16. und 17. Februar erarbeitet und veröffentlicht haben. Darf ich nur einige Sätze aus dieser Entschließung zitieren, damit Sie die Sorge des Deutschen Gewerkschaftsbundes überhaupt hören und begreifen; sie sind nämlich vom Herrn Abgeordneten Sabel nicht dargestellt worden. Es heißt in dieser Erklärung:
Bundesvorstand und Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes erwarten von der Bundesregierung und vom Bundestag, daß eindeutig und klar gesagt wird, welche finanziellen Lasten die Aufstellung deutscher Streitkräfte mit allen dazu gehörenden Einrichtungen beansprucht und wer diese Lasten tragen soll.

(Abg. Sabel: Dazu kommen wir ja morgen, Herr Kollege Hansen!)

In dieser Entschließung wird also eine Sorge zum Ausdruck gebracht, die auch die Sorge des Deutschen Bundestages sein sollte.

(Beifall bei der SPD.)

Und in dieser Entschließung heißt es weiter — eine
andere Sorge, die vom Deutschen Gewerkschaftsbund zum Ausdruck gebracht wird —: Bundesvorstand und Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes sind in ernster Sorge, daß durch die Annahme der Pariser Verträge die Wiedervereinigung erschwert und hinausgezögert wird. Aus dieser Besorgnis heraus erwarten sie, daß die Verabschiedung der Pariser Verträge so lange ausgesetzt wird, bis in neuen Viermächtebesprechungen geklärt ist, unter welchen Bedingungen die Wiedervereinigung Deutschlands möglich ist.


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206908300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?

Werner Hansen (SPD):
Rede ID: ID0206908400
Bitte schön.

Anton Sabel (CDU):
Rede ID: ID0206908500
Herr Kollege Hansen, ich darf darauf hinweisen, daß die Frage, die Sie angesprochen haben, von mir deshalb nicht behandelt wurde,

(Zurufe von der SPD: Aha! — Weitere Zurufe links)

weil wir heute nur zur Wiedervereinigung sprechen. Vielleicht befinden Sie sich doch im Irrtum. Wir werden über diese Dinge morgen reden. Sie haben das wahrscheinlich übersehen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206908600
Meine Damen und Herren, wir sind großzügig in der Handhabung der Zwischenfragen über die Mikrophone; aber das ist eine reine Feststellung. Ich bin dankbar, wenn das nächstemal gefragt wird.

Werner Hansen (SPD):
Rede ID: ID0206908700
Der Herr Präsident hat darauf hingewiesen, daß es sich nicht um eine Frage handelt. Selbstverständlich, Herr Abgeordneter Sabel, ist mir bekannt, was heute und morgen besprochen wird; aber es wäre besser gewesen, Herr Abgeordneter Sabel, wenn Sie das in der Aussprache in Ihrer Diskussionsrede beachtet hätten; dann wäre es nicht nötig gewesen, darauf einzugehen.

(Beifall bei der SPD.)

Auch hier ist also eine Sorge nicht nur des Deutschen Gewerkschaftsbundes, sondern auch großer Teile der deutschen Arbeitnehmerschaft zum Ausdruck gebracht worden. Und, Herr Abgeordneter Sabel, darf ich Sie darauf hinweisen, daß diese Entschließung mit den Stimmen Ihrer Kollegen im Bundesvorstand und Bundesausschuß gefaßt worden ist,

(Sehr richtig! bei der SPD)

die der früheren christlichen Gewerkschaftsbewegung, ja, die der CDU angehören; ich glaube, das ist wichtig, daß Sie das zur Kenntnis nehmen.
Darf ich Sie weiter darauf hinweisen, Herr Abgeordneter Sabel, daß ich es für zweckmäßiger gehalten hätte, wenn die Ausführungen, die Sie heute hier gemacht haben, nicht hier, sondern z. B. durch Ihre Kollegen gemacht worden wären, die auf dem Frankfurter Kongreß vertreten gewesen sind und ihre Meinung offen und frei hätten vertreten können.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Sabel: Die sind ja nicht da gewesen!)

— Herr Abgeordneter Sabel, es waren eine ganze Reihe von christlichen Kollegen auf dem Frankfurter Gewerkschaftskongreß.

(Abg. Sabel: Ist ja nicht wahr!)

— Herr Abgeordneter Sabel, wenn Sie sagen, das ist nicht wahr, dann sagen Sie das offenbar wider besseres Wissen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206908800
Herr Abgeordneter, ich glaube nicht, daß Sie unterstellen wollen, daß der Herr Kollege Sabel bewußt eine Unwahrheit gesagt hat, und ich hoffe, daß auch der Herr Kollege Sabel es nicht so verstanden hat. Ich wäre aber dankbar, wenn die Aussprache etwas ruhiger fortgeführt werden könnte.
Fahren Sie fort.

Werner Hansen (SPD):
Rede ID: ID0206908900
Es tut mir leid. Es wäre besser gewesen, Herr Kollege Sabel hätte nicht die Bemerkung gemacht, es sei nicht wahr, was ich gesagt habe. Das war vorher, und darauf habe ich ;geantwortet. Er hat mir nämlich vorher etwas unterstellt, was besser unterblieben wäre.
Nicht nur dort auf dem Frankfurter Kongreß, sondern auch an allen anderen möglichen Stellen hätten und hatten Ihre Kollegen die Möglichkeit, zu diesen Problemen Stellung zu nehmen. Diese Dinge sind im Deutschen Gewerkschaftsbund offen diskutiert worden. Jetzt wird gesagt, der DGB habe im Namen der gesamten Arbeitnehmerschaft gesprochen. Meine Damen und Herren, so weit hat sich der DGB niemals verstiegen und wird er sich auch niemals versteigen, weil er weiß, daß es auch andere Meinungen in der deutschen Arbeitnehmerschaft gibt, als sie vom DGB zum Ausdruck kommen. Das ist vom DGB auch ausdrücklich gesagt worden.

(Abg. Dr. von Brentano: Erst in einer Richtigstellung! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

Vor allen Dingen sollten Herr Sabel und andere folgendes zur Kenntnis nehmen. Eine demokratische Organisation wie der DGB hat nicht nur seiner Satzung, sondern seiner Aufgabe nach das Recht, in großen Lebensfragen, die die Interessen der Arbeitnehmerschaft berühren, auch seine Meinung zum Ausdruck zu bringen.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Herr Kollege Sabel, ich bedauere außerordentlich, daß Sie Ihre Meinung über die notwendige parteipolitische Unabhängigkeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes nicht zum Ausdruck gebracht haben, als der Deutsche Gewerkschaftsbund z. B. zum Schumanplan sein Ja gesagt hat.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Damals ist ihm nicht vorgeworfen worden, er habe seine parteipolitische Neutralität verletzt.

(Beifall bei der SPD.)

Im Gegenteil, da ist ihm wegen seiner staatsmännischen Weisheit von den gleichen Kreisen auf die Schulter geklopft worden, die ihm heute vorwerfen, er durchbreche bei der Beschäftigung mit solchen Fragen seine parteipolitische Neutralität.

(Abg. Kunze [Bethel] : Das war damals keine Parteipolitik, Herr Kollege!)

Auch in der Zeit, da Christian Fette noch Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes war
und ein Hans vom Hoff die Leitung der Abteilung
Wirtschaft hatte und beide sich positiv zum Wehrbeitrag aussprachen, habe ich keinen Herrn Sabel
und keinen anderen aus den gleichen Kreisen gehört, der damals gesagt hätte, der damalige Vorsitzende des DGB habe mit seiner Stellungnahme
zum Wehrbeitrag die parteipolitische Neutralität
des Deutschen Gewerkschaftsbundes durchbrochen.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, darf ich Sie noch auf etwas hinweisen. Die Damen und Herren des 1. Bundestages werden sich noch daran erinnern können, daß der Herr Bundeskanzler selber damals ein Telegramm des damaligen Vorsitzenden Hans Böckler mit einer Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Petersbergabkommen hier vorgelesen hat. Damals hat der Deutsche Gewerkschaftsbund dieses Abkommen begrüßt,

(Abg. Stücklen: Demontage war das!)



(Hansen [Köln])

im Gegensatz zur Stellungnahme zur Opposition.
Damals hat ,der Herr Bundeskanzler diese Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes mit
großer Freude begrüßt und niemand hat davon gesprochen, daß Hans Böckler mit dieser Stellungnahme die parteipolitische Unabhängigkeit des
Deutschen Gewerkschaftsbundes durchbrochen habe.

(Abg. Wehner: Das gehört zur „Dämonologie" !)

Meine Damen und Herren, man sollte zur Kenntnis nehmen, daß eine solche Organisation wie der Deutsche Gewerkschaftsbund sich seine unabhängige Meinung immer behalten muß und daß man von ihm nicht nur das Jasagen erwarten kann, sondern daß von einer unabhängigen Organisation wie dem Deutschen Gewerkschaftsbund auch ein Nein entgegengenommen werden muß mit der gleichen Ruhe, wie das Ja entgegengenommen wird.

(Beifall bei der SPD.)

Nun, meine Damen und Herren, hat Herr Sabel außerdem darauf hingewiesen, daß im Deutschen Gewerkschaftsbund leider nicht genügend Kollegen der früheren christlichen Richtung in führenden Funktionen seien.

(Abg. Richter: Sind alle Beamte!)

Meine Damen und Herren, ich wundere mich, daß dieser Vorwurf gerade aus dem Munde des Herrn Sabel kommt.

(Abg. Richter: Sehr gut!)

Herr Kollege Richter ist ja hier im Saal. Der könnte mehr darüber sagen, wie damals versucht worden ist, die christlichen Kollegen geradezu mit der Laterne zu suchen und sie zu veranlassen, im Deutschen Gewerkschaftsbund Funktionen zu übernehmen.

(Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Samwer: DGB-Kongreß! Wir sind hier im Bundestag!)

Ich kann hier auch an eine Bundesausschußsitzung erinnern, an der noch der alte August Schmidt teilgenommen hat, der ja gerade in Ihren Kreisen sicher einen sehr guten Namen hat.

(Abg. Samwer: Zur Sache!)

Da kamen die gleichen Klagen, und da sagte der alte August Schmidt den Kollegen, die diese Klagen führten: Warum seid ihr denn damals nicht zu uns gekommen, als wir euch mit der Laterne gesucht haben?! Damals waren es allerdings schwierige Wiederaufbaujahre, und die Übernahme der Funktion eines Gewerkschaftlers war keine leichte Aufgabe.

(Zuruf des Abg. Dr. Dresbach. — Abg. Schneider [Bremerhaven] meldet sich zu einer Frage.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206909000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?

Werner Hansen (SPD):
Rede ID: ID0206909100
Bitte, Herr Präsident!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206909200
Bitte, Herr Abgeordneter!

Herbert Schneider (CDU):
Rede ID: ID0206909300
Herr Kollege, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß wir uns hier in der außenpolitischen Debatte nicht mit Führungsfragen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu befassen haben?

(Lebhafter Widerspruch bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206909400
Fahren Sie fort, Herr Abgeordneter!

Werner Hansen (SPD):
Rede ID: ID0206909500
Herr Abgeordneter, ich kann verstehen, daß Ihnen diese Antwort unangenehm ist. Aber darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Herr Sabel doch den Anlaß zu dieser Debatte gegeben hat und daß ich ihm nur eine Antwort darauf gebe!

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, wir würden es also auch im Deutschen Gewerkschaftsbund begrüßen, wenn Herr Sabel und andere Leute aus seiner Richtung sich dazu entschließen würden, Hand in Hand mit den anderen Funktionären dort zu arbeiten, und wir würden sie begrüßen bei dieser Arbeit.

(Abg. Stingl: Solange sie mit euch tanzen! Dann werden sie rausgeschmissen! — Abg. Dr. Dresbach: Wir sind doch hier in keinem Ständeparlament! — Abg. Sabel: Da müssen Sie erst Angebote machen!)

Meine Damen und Herren, ich will mit folgendem schließen. Sie werden zur Kenntnis zu nehmen haben, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund auch in Zukunft eine unabhängige Meinung zum Ausdruck bringen wird.

(Beifall bei der SPD.)

Sie werden zur Kenntnis zu nehmen haben, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund in allen Fragen, die lebenswichtige Interessen der Arbeitnehmerschaft berühren, diese Meinung zum Ausdruck bringen wird.

(Erneuter Beifall bei der SPD. — Abg. Lücke: Wir sind hier im Bundestag!)

Und, meine Damen und Herren, Sie werden zur Kenntnis zu nehmen haben, daß die deutsche Arbeitnehmerschaft die Einheit des Deutschen Gewerkschaftsbundes bis zum letzten verteidigen wird.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0206909600
Meine Damen und Herren, die Tagesordnung ist nicht erschöpft. Ich breche aber die Debatte vereinbarungsgemäß um 21 Uhr ab.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Freitag, den 25. Februar, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.