Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 44. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Lange , Schriftführer: Es sucht für längere Zeit um Urlaub nach der Abgeordnete Schulze-Pellengahr für vier Wochen wegen Krankheit.
Der Präsident hat Urlaub erteilt fur zwei Tage den Abgeordneten Rademacher, Gleisner, Bauereisen, Frau Pitz, Dr. Hammer, Ohlig, Dr. Horlacher, Bauer , Cillien, Schneider (Bremerhaven), Dr. Maier (Stuttgart), Böhm (Düsseldorf), Peters, Schwarz, Dr. Wellhausen, Hansen (Köln), Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein, Dr. Hoffmann, Dr. Welskop, Wolf (Stuttgart), Neuburger, Voß, Wagner (Ludwigshafen), Dr. Leverkuehn, Priebe, von Hassel, Dr. Mocker.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für einen Tag den Abgeordneten Dr. Pohle , Dr. Leiske, Scheppmann, Jahn (Frankfurt), Dr. Blank (Oberhausen), Orth und Feldmann.
Außerdem sind entschuldigt die deutschen Delegierten beim Europarat, soweit sie an den Sitzungen in Straßburg teilnehmen.
Ich danke vielmals. Meine Damen und Herren, ich darf unterstellen, daß der Bundestag mit der Erteilung des über eine Woche hinausgehenden Urlaubs an den Abgeordneten Schulze-Pellengahr einverstanden ist.
Der Abgeordnete Weyer hat sein Mandat mit Wirkung vom 17. September 1954 wegen seiner Berufung zum Wiederaufbauminister des Landes Nordrhein-Westfalen niedergelegt.
Als sein Nachfolger ist der Abgeordnete Dr. Luchtenberg in den Bundestag eingetreten. Ich heiße ihn herzlich willkommen; er ist uns ja kein Unbekannter.
Ich habe Glückwünsche zu Geburtstagen auszusprechen. Am 19. September hat seinen 60. Geburtstag gefeiert Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen,
den 65. am 21. September Herr Abgeordneter Kortmann.
Am 22. September haben den 61. Geburtstag gefeiert Herr. Abgeordneter Dr. Kather
und den 69. Herr Abgeordneter Walter;
und heute feiern ihren Geburtstag: den 66. Herr Abgeordneter Freidhof
und den 69. Herr Abgeordneter Dr. von Buchka.
Allen diesen Kollegen spreche ich namens des Bundestages herzliche Glückwünsche aus.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Beauftragte des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen hat unter dem 31. August 1954 die Kleine Anfrage 102 der Fraktion der CDU/CSU betreffend Manöver der britischen Besatzungstruppen — Drucksache 775 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 792 vervielfältigt worden.
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat unter dem 26. August 1954 die Kleine Anfrage 101 der Abgeordneten Lermer, Unertl und Genossen betreffend Fahrradbenutzung durch Landbriefträger — Drucksache 739 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 791 vervielfältigt worden.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 17. September 1954 die Kleine Anfrage 60 der Abgeordneten Dr. Bleiß, Mellies, Frau Nadig und Genossen betreffend Bad Oeynhausen — Drucksache 515 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 833 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 20. September 1954 die Kleine Anfrage 94 der Abgeordneten Kramel, Höcherl und Genossen betreffend Regelung der Rechte der kriegsgefangenen Bundesbeamten — Drucksache 686 — beantwortet. Sein Schreiben wir dais Drucksache 765 vervielfältigt.
Zur Tagesordnung wünscht das Wort Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion stellt den Antrag, als Punkt 1 der Tagesordnung der heutigen Sitzung die außenpolitische Debatte anzusetzen. Nach den Entscheidungen, die in Brüssel und in Paris zum Scheitern des Vertrags über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft geführt haben, erscheint es uns unumgänglich, daß sich der Bundestag als die Vertretung unseres Volkes über die außenpolitische Lage ausspricht.
Meine Fraktion hatte die außenpolitische Debatte ursprünglich für diese Woche vorgeschlagen, und zwar bereits zu Beginn der neuen Tagungsperiode des Bundestages nach der Sommerunterbrechung. Aber es war der Herr Bundeskanzler, der von sich aus erklärte, er wünsche am 14. September eine außenpolitische Erklärung abzugeben, über die dann der Bundestag etwa am 16. September debattieren könne. Am Vorabend dieses vom Herrn Bundeskanzler selbst gewünschten Termins für die Abgabe einer Regierungserklärung, die als
Grundlage für die außenpolitische Debatte dienen sollte, sagte der Herr Bundeskanzler allerdings, daß sich infolge der Reise des britischen Außenministers Eden eine kurzfristige Verschiebung der Debatte notwendig mache; man müsse erst das Ende dieser Reise abwarten. Das bedeute, so wurde gesagt, daß man etwa am Ausgang der vergangenen Woche oder am Beginn der Woche, in der wir uns nun befinden, diese Debatte veranstalten könne.
Inzwischen ist uns erklärt worden, daß es wegen der unmittelbar bevorstehenden Londoner Konferenz unmöglich sei, jetzt vor dieser Konferenz hier im Bundestag über die Außenpolitik zu debattieren. Aber bei der von mir eben gekennzeichneten Auswahl eines Termins für eine Erklärung und eine Debatte durch den Herrn Bundeskanzler selbst stand auch eine Londoner Konferenz bevor, und der Herr Bundeskanzler hat damals ausdrücklich und öffentlich erklären lassen, er wünsche gerade wegen dieser Konferenz eine vorherige Erklärung im Bundestag mit der dazugehörigen Debatte.
Wir verstehen, daß es die Bundesregierung nicht wünschen kann, v o r dieser Konferenz über Einzelheiten der Verhandlungen mit anderen Regierungen hier öffentlich zu sprechen. Aber über die Grundlinien, um die diese Verhandlungen geführt werden und geführt werden sollen, muß und kann doch in diesem Hause gesprochen werden,
um so mehr, als die Außenpolitik unserer Bundesrepublik doch ihr besonderes Gewicht dadurch erhält, daß sie der nationalpolitischen und auch europäischen Notwendigkeit der deutschen Wiedervereinigung Rechnung tragen muß.
Dies ist eine Aufgabe, von der wir uns vorstellen, daß sie nur durch eine gemeinsame Anstrengung aller Deutschen erfüllt oder ihrer Verwirklichung nähergeführt werden kann.
In der Beratenden Versammlung des Europarats in Straßburg ist gerade in diesen Tagen eine mehrtägige Debatte über die Fragen der europäischen Politik geführt worden, an der sich auch die deutschen Abgeordneten beteiligt haben. Gestern wurde die Nachricht veröffentlicht, daß die zur Regierungskoalition des Hauses gehörenden Abgeordneten, die als Delegierte in Straßburg an den Beratungen teilnehmen, nunmehr für eine Ausdehnung der dortigen Debatte und sogar für eine Abstimmung über eine Entschließung zu den Fragen der europäischen Politik, die die Bundesrepublik so sehr angehen, gestimmt haben.
Man kann nicht gut das Argument aufrechterhalten, daß der vom deutschen Volk gewählte Bundestag am Beginn eines neuen Abschnitts der Außenpolitik nicht über deren Grundlinien debattieren könne, wenn man in Straßburg in dieser Weise verfährt.
Im übrigen hat der Herr Bundeskanzler selber ankündigen lassen, daß er am 24. September — zwar nicht vor der deutschen Volksvertretung, aber in einer Kundgebung in Offenbach — über
das Thema „Deutschland und Europa" sprechen werde.
Wir nehmen nicht an, daß der Herr Bundeskanzler dort eine rein theoretische Betrachtung verkünden wird.
Es geht wohl auch nicht an, anzunehmen, daß der Herr Bundeskanzler nur dort spricht, wo es sich um eine Kundgebung handelt, bei der es keine Gelegenheit zur Debatte gibt.
Nach Beendigung des Zeitabschnitts, der durch die Auseinandersetzungen über den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und über den Generalvertrag gekennzeichnet war, besteht — hoffentlich müssen wir nicht schon sagen: bestand — die Möglichkeit zu einem neuen Start für die Behandlung der Außenpolitik auch hier in diesem Hause und in unserer Bundesrepublik. Wir halten die Debatte heute auch für notwendig, weil die Frage geklärt werden soll, ob diese Chance zu einem neuen Start genützt oder ob sie verdorben werden soll, indem wieder vollendete Tatsachen geschaffen werden, über die man sich dann hinterher auseinandersetzen muß.
Meine Damen und Herren, geben Sie ein Beispiel dafür, daß auch Sie einen solchen neuen Start wünschen, indem Sie unserem Antrag auf Ansetzung dieser Debatte heute nicht widersprechen und somit die Möglichkeit zu einem solchen neuen Start geben.
Zur Tagesordnung wünscht das Wort Herr Abgeordneter Dr. Krone.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns bereits in dieser Woche im Ältestenrat darüber unterhalten, ob heute hier im Hause eine außenpolitische Debatte stattfinden solle. Ich gebe zu, daß unter den Gründen, die vorgetragen worden sind, sich einige befinden, die durchaus beachtlich sind. Es ist auch uns nicht angenehm, daß nach einer längeren Pause bisher keine außenpolitische Aussprache stattfinden konnte. Neu ist mir an den Gründen des Herrn Kollegen Wehner folgender. Er hat gesagt, es sei von seiner Fraktion beabsichtigt gewesen, die außenpolitische Aussprache erst in dieser Woche zu führen. Ich war bisher der Meinung, daß die Festsetzung eines Termins erst für dies e Woche von der sozialdemokratischen Fraktion in keiner Weise beabsichtigt gewesen ist,
sondern daß auch bei Ihnen der Wunsch bestanden hat, schon in der vorigen Woche eine solche Aussprache zu führen.
— Nein, Herr Kollege! — Diese hat aber nicht stattgefunden, auf Grund von Verhandlungen, die zwischen den Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen und auch zwischen dem Herrn Kollegen Ollenhauer mit dem Herrn Bundeskanzler geführt worden sind.
Diese sehr beachtlichen sachlichen Gründe, die uns damals veranlaßt haben, eine Aussprache nicht
zu führen, scheinen uns gerade auch heute, wo die e Londoner Konferenz unmittelbar vor uns steht, noch fortzubestehen.
Wir haben uns deshalb auch im Ältestenrat dem Vorschlag, heute diese Aussprache zu führen, nicht anschließen können.
Herr Kollege Wehner, die Rede des Herrn Bundeskanzlers, die — ich glaube am 24. September — in Offenbach gehalten werden soll, war bereits Anfang Juni festgesetzt worden,
und zwar nicht nur der Ort, sondern auch das Thema. Glauben Sie nur nicht, daß ,der Herr Bundeskanzler das Rednerpult von Offenbach mit der Tribüne des Bundestages verwechseln wird.
Ihr Wort von einem gemeinsamen großen Anliegen in der Außenpolitik nehmen wir dankbar auf. Wir möchten wünschen, daß eine solche Aussicht guten Grund hat. Der Herr Bundeskanzler hat das Vertrauen der überwiegenden und überwältigenden Mehrheit dieses Hauses für seine Politik, auch für seine Außenpolitik.
Wir haben das Vertrauen, daß er diesem Votum entsprechend auch die Verhandlungen in London führen wird. Wir können uns Ihrem Antrag nicht anschließen.
Herr Abgeordneter Dr. Krone, ich darf Ihr „nicht anschließen" so verstehen, daß das als ein Widerspruch im Sinne des § 26 Abs. 3 der Geschäftsordnung gilt.
— Offenbar. Damit besteht nach der Geschäftsordnung nicht die Möglichkeit, dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zu entsprechen. Ich stelle das fest.
Ich komme zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde .
Meine Damen und Herren, der Bundesminister für Arbeit hat gebeten, die ihn betreffenden Fragen 5, 10, 20, 29 und 33 vorzuziehen, da er um 9 Uhr 30 wegen des Rentenzulagengesetzes im Bundesrat anwesend sein muß. Darf ich unterstellen, daß das Haus damit einverstanden ist, daß wir so verfahren? — Ich höre keinen Widerspruch.
Dann darf ich bitten, daß wir zunächst mit der Frage 5 beginnen. — Frau Abgeordnete Meyer !
Aus welchem Grunde ist die nach § 19 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes zu erlassende Rechtsverordnung bisher noch nicht von dem Herrn Bundesminister für Arbeit verkündet? Wird diese Rechtsverordnung in eindeutiger Weise die Frage der Entschädigung des Aufwandes neben dem Verdienstausfall und den Fahrtkosten und die Frage der Versicherung der Sozialrichter, soweit sie zur Sozialversicherung versicherungspflichtig sind, regeln?
Der Bundesminister für Arbeit zur Beantwortung!
Die nach § 19 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes zu erlassende Verordnung über die Entschädigung der ehrenamtlichen Beisitzer der Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit ist von der Bundesregierung bereits dem Bundesrat zur Beschlußfassung zugeleitet worden. Die Verordnung sieht dieselben Entschädigungen vor, wie sie für die ehrenamtlichen Beisitzer der Gerichte in Arbeitssachen gegeben werden. Die Frage der Versicherung der sozialversicherungspflichtigen Sozialrichter ist in dieser Verordnung nicht geregelt. Diese Frage ist nicht nur bei den ehrenamtlichen Richtern in der Sozialgerichtsbarkeit, sondern in gleicher Weise bei sämtlichen ehrenamtlichen Richtern aller Gerichtszweige gegeben. Deshalb ist eine einheitliche Regelung für den gesamten Personenkreis vorgesehen.
Ist die Frage damit beantwortet? Oder haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Meyer?
Ich habe die Frage, ob in absehbarer Zeit mit dieser Regelung zu rechnen ist.
Das Gesetz ist von der Bundesregierung bereits an den Bundesrat geleitet worden, der erst zustimmen muß. Ich nehme an, daß er seine Entscheidung auf dem schnellsten Wege fällt. Dann steht der Weiterbehandlung der Sache nichts mehr im Wege.
Damit ist die Frage 5 erledigt.
Ich frage die Regierung:
Wann ist nunmehr mit der Vorlage des Entwurfs eines Ladenschlußgesetzes im Bundestag zu rechnen, nachdem der Herr Bundesminister für Arbeit am 23. Januar 1954 auf die Kleine Anfrage der DP erklärt hat, daß der Entwurf „in voraussichtlich zwei Monaten" dem Bundeskabinett zugehen werde?
Bitte, Herr Bundesminister!
Das Bundeskabinett hat die Gesetzesvorlage über den Ladenschluß gestern verabschiedet und wird sie umgehend den gesetzgebenden Körperschaften zuleiten.
Eine Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Walter, bitte!
Darf ich mir die bescheidene Frage erlauben, warum es so lange Zeit benötigte, bis der Entwurf so weit war, daß er nunmehr dem Bundestag zugehen kann. Es wurde uns doch im Januar gesagt, daß es nur zwei Monate dauere.
Dazu kann ich dem Kollegen Walter nur sagen, daß der Gesetzentwurf tatsächlich in dieser Zeit fertiggestellt war. Bei seiner Besprechung haben sich dann aber sowohl bei den Ressorts als auch bei den beteiligten Kreisen so viele Schwierigkeiten ergeben, daß er erst im Juni endgültig dem Kabinett zugeleitet werden konnte.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Walter? — Ist erledigt, danke schön!
Ich frage die Bundesregierung:
Entspricht es den Tatsachen, daß die Bundesregierung bis heute weder den Haushaltsplan der Bundesanstalt für Arbeitslosenversicherung für 1953 noch den für 1954 genehmigt hat?
Wenn diese Genehmigung der beiden Haushaltspläne noch nicht erfolgt sein sollte, dann frage ich, welche Gründe für diese Verzögerung maßgebend gewesen sind.
Bitte schön, Herr Bunminister!
Der Haushaltsplan der Bundesanstalt für das Haushaltsjahr 1953 wurde von der Bundesregierung am 23. Juli 1954 genehmigt. Die Genehmigung wurde der Bundesanstalt mit Erlaß des Bundesarbeitsministeriums vom 24. Juli 1954 mitgeteilt.
Der Haushaltsplan der Bundesanstalt für das Haushaltsjahr 1954 konnte von der Bundesregierung noch nicht genehmigt werden, da er von der Bundesanstalt bisher noch nicht vorgelegt worden ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ritzel!
Darf ich den Herrn Arbeitsminister fragen, was die Regierung zu tun gedenkt, um erstens die Bundesanstalt zu veranlassen, den untergebenen Arbeitsämtern, die bis zum 31. August noch nicht im Besitz der Mitteilung über die Genehmigung des Haushaltsplans 1953 waren, diese Genehmigung endlich mitzuteilen, damit man dort entsprechend den Ansätzen im Etat verfahren kann.
Zweitens frage ich: Bis wann darf damit gerechnet werden, daß die Bundesregierung den Haushaltsplan 1954 verabschiedet?
Bitte, Herr Bundesminister!
Zu der Frage 1 kann ich Ihnen nur sagen: Ich werde dem Herrn Präsidenten der Bundesanstalt gern mitteilen, daß Sie mir heute gesagt haben, daß diese Dinge angeblich noch nicht nach unten durchgegeben worden sind, und ich werde ihn bitten, das nachzuholen. Wir sind ja nicht die Behörde, der die Bundesanstalt unterstellt ist, sondern wir haben nur die Aufsicht.
Zur zweiten Frage ist zu sagen, daß wir ja den Haushaltsplan 1954 erst behandeln können, wenn er uns vorliegt. Er liegt aber noch nicht vor. Welche Schwierigkeiten sich in der Bundesanstalt selbst bei der Erstellung des Haushaltsplans ergeben haben, weiß ich in den Einzelheiten nicht.
Eine Zusatzfrage!
Bitte, Herr Abgeordneter Ritzel!
Wir schreiben jetzt Ende September. Der Haushaltsplan des Bundes ist von diesem Hause längst verabschiedet. Wird die Bundesregierung — diese Zusatzfrage möchte ich mir abschließend gestatten — dafür sorgen, daß der Haushaltsplan der Bundesanstalt nun raschestens vorgelegt wird?
Ich werde Ihrem Wunsche gern nachkommen und mich auch diesbezüglich an die Bundesanstalt wenden und sie bitten, doch den Haushaltsplan 1954 und dann auch anschließend den Haushaltsplan 1955 so frühzeitig einzureichen, daß er möglichst mit Beginn des Geschäftsjahres in Wirksamkeit treten kann.
Ich danke Ihnen.
Die Frage ist erledigt. Zur Frage 29 Herr Abgeordneter Hauffe.
Wann ist damit zu rechnen, daß der Herr Bundesminister für Arbeit Entwürfe zur gesetzlichen Regelung der Ergänzung und Angleichung der Sozialversicherung und der Kriegsopferversorgung an §§ 64, 65 des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 18. September 1953 (BGBl. I Seite 1387) vorlegt?
Bitte, Herr Bundesminister.
Die Absätze 2 der §§ 64 und 65 des Bundesergänzungsgesetzes haben die Ergänzung und Angleichung der die Wiedergutmachung in der Sozialversicherung und der Kriegsopferversorgung regelnden Vorschriften an das Bundesergänzungsgesetz einer besonderen gesetzlichen Regelung vorbehalten. Der Vorbehalt einer besonderen gesetzlichen Regelung ist gemacht worden, um eingehend und sorgfältig prüfen zu können, ob und welche Ergänzungen und Angleichungen erforderlich sind. Die zuständige Abteilung meines Ministeriums verfolgt zu diesem Zwecke, welche Auswirkungen in der Praxis eine Nichtübereinstimmung des Bundesergänzungsgesetzes und der angeführten Wiedergutmachungsgesetze in der Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung haben kann. Bisher haben sich noch keine ausreichenden Unterlagen für eine weitere gesetzliche Regelung ergeben. Aus der Verfolgung der Rechtsprechung und der Sichtung der an mein Ministerium herangetragenen Einzelfälle soll weiteres Material dafür gewonnen werden, welche Ergänzungen und Angleichungen erforderlich werden. Einen Zeitpunkt für die Einbringung eines diesbezüglichen Gesetzes kann ich Ihnen heute nicht nennen.
Herr Abgeordneter Hauffe, eine Zusatzfrage? — Bitte!
Ist der Herr Minister bereit, die Einzelfälle noch einmal eingehend zu überprüfen? Mir sind Fälle bekannt — und ich habe diese hier im Hause schon angesprochen —, wo das Bundesministerium für Arbeit an 74jährige Rentner die
Bitte gerichtet hat, sich von Zeit zu Zeit über den Stand der Gesetzgebung zu erkundigen? Ich glaube, da der größte Teil der Betroffenen bereits in die Altersgruppe der etwa 70jährigen eingerückt ist, ist es höchste Zeit — selbst wenn es sich um einen kleinen Personenkreis handelt und dieser von Jahr zu Jahr kleiner wird —, mit Hilfe von Rechtsverordnungen oder sonstwie mindestens eine vorübergehende Regelung für diese Leute möglich zu machen.
Bitte, Herr Bundesminister!
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir diese Einzelfälle unterbreiten würden. Ich bin gern bereit, hier, soweit es möglich ist, helfend einzugreifen.
Damit ist die Frage erledigt.
Zur Frage 33 Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg!
Wie hoch war das gesamte Vermögen der sozialen Rentenversicherungen Ende 1953 — gegliedert nach Hauptpositionen der Vermögensanlagen und des Barvermögens der einzelnen Versicherungszweige —, und mit welchem Vermögenszuwachs wird etwa für das Jahr 1954 gerechnet?
Bitte, Herr Bundesminister!
Das Gesamtvermögen der gesetzlichen Rentenversicherungsträger belief sich Ende 1953 auf rund 3 Milliarden DM*). Davon entfielen auf die Invalidenversicherung 2577 Millionen DM, auf die Angestelltenversicherung 1260 Millionen DM und auf die knappschaftliche Rentenversicherung 163 Millionen DM. Nach den Hauptpositionen der Vermögensanlagen ergibt sich folgende Gliederung: In der Invalidenversicherung sind an Hypotheken 117 Millionen DM, an Wertpapieren 669 Millionen DM, an Darlehen und Festgeldanlagen 926 Millionen DM, an Grundstücken, baulichen Anlagen und Inventar 180 Millionen DM, an kurzfristig angelegten Mitteln 685 Millionen DM vorhanden; in der Angestelltenversicherung: Hypotheken 69 Millionen, Wertpapiere 410 Millionen, Darlehen und Festgeldanlagen 415 Millionen, Grundstücke, bauliche Anlagen etc. 15 Millionen und kurzfristig angelegte Mittel 351 Millionen DM. In der Knappschaftsversicherung ist das Verhältnis folgendermaßen: 11 Millionen DM Hypotheken, 10 Millionen DM Darlehen und Festgeldanlagen, 15 Millionen DM Grundstücke, bauliche Anlagen etc. und kurzfristig angelegt 127 Millionen DM.
Für das Rechnungsjahr 1954 würde bei Fortbestand des gegenwärtigen Rechts ein Kassenüberschuß von rund 1 620 000 000 DM zu erwarten sein, und zwar auf die einzelnen Versicherungsträger in folgender Größenordnung: 1 Milliarde DM für die Invalidenversicherung, 600 Millionen DM für die Angestelltenversicherung und 20 Millionen DM für die knappschaftliche Rentenversicherung.
*) Vgl. Seite 2062 B.
Herr Abgeordneter Schellenberg, eine Zusatzfrage.
Warum wurden diese Zahlen, die doch für die weitere Gestaltung der Rentenleistungen sehr bedeutungsvoll sind, nicht schon bisher bekanntgegeben?
Über den Kassenbestand unserer Rentenversicherungsträger glaube ich bereits am Anfang dieses Jahres hier an dieser Stelle etwas gesagt zu haben. Wir können natürlich diese endgültigen Zusammenstellungen nur vornehmen, wenn wir die Angaben von allen Versicherungsträgern, die ja sogar in der Aufsicht, soweit die Landesversicherungsanstalten in Frage kommen, nicht uns unterstehen, zusammen haben.
Ich danke Ihnen!
Die Frage ist beantwortet. Damit sind die Fragen an den Herrn Bundesarbeitsminister erledigt.
Ich komme also zur Frage 1. Herr Abgeordneter Ritzel!
Ich frage den Herrn Bundesminister — —
Darf ich einen Augenblick unterbrechen.
Ich werde gerade von einem meiner Mitarbeiter darauf aufmerksam gemacht, daß mir eine falsche Zahl unterlaufen ist. Nicht 3 Milliarden DM Vermögen, sondern 4 Milliarden DM Vermögen sind vorhanden. Wenn Sie die Zahlen, die ich Ihnen dann genannt habe, überprüfen, werden Sie das auch finden.
Ich bin überzeugt, daß jeder Abgeordnete, der es addiert hätte, zu dem gleichen Ergebnis gekommen wäre, Herr Bundesminister!
Herr Abgeordneter Ritzel zur Frage 1.
Ich frage den Herrn Bundesminister des Innern:
Ist der Herr Bundesminister bereit, während der Ausbildungszeit der künftigen Angehörigen des Bundesgrenzschutzes dafür zu sorgen, daß nicht nur alte und neue Soldatenlieder als Marschlieder erlernt werden, sondern daß auch wertvolle Wanderlieder aus dem reichen Schatz deutscher Volkslieder von den Angehörigen des Bundesgrenzschutzes gelernt und gesungen werden?
Meine Damen und Herren, ich habe eigentlich Bedenken gehabt, diese Frage zuzulassen, da sie unmittelbar in den Bereich der Kultur hineingehört, und dafür ist bekanntlich nicht der Bundesminister des Innern zuständig, sondern die Länderminister.
Aber bitte: zur Beantwortung der Bundesminister des Innern!
Ich darf dem Herrn Kollegen folgendes antworten.
Diese Frage ist bereits im Mai hier einmal von Ihnen gestellt worden, Herr Kollege, und da Sie damals nicht anwesend waren, hatte ich Ihnen schriftlich folgendes mitgeteilt:
Die jungen Bundesgrenzschutzbeamten sollen währehd der Ausbildungszeit, aber auch während ihrer späteren Dienstzeit nicht nur Soldatenlieder, sondern auch Wanderlieder lernen und singen. Außer Marsch- und Wanderliedern werden auch sonstige Volkslieder gesungen, natürlich nicht auf dem Marsch, wohl aber in den Unterkünften. Eine zentrale Anordnung, welche Lieder während der Ausbildungszeit zu singen sind, ist nicht beabsichtigt.
Ich bin der Meinung, daß die Lieder, die in einer Einheit gesungen werden, aus dem landsmannschaftlichen Raum heraus ausgewählt werden sollten. Es ist daher veranlaßt worden, daß unsere Grenzschutzeinheiten mit den örtlichen Jugendverbänden Fühlung nehmen, um sich von ihnen gute Lieder für unsere Grenzschutzbeamten nennen zu lassen.
Ich darf hinzufügen, Herr Kollege, daß ich die Absicht habe, an den Herbstübungen des Bundesgrenzschutzes teilzunehmen,
und daß ich mir bei dieser Gelegenheit das Liedgut einmal selbst anhören werde.
Herr Abgeordneter Ritzel hat noch eine Zusatzfrage?
— Ist erledigt.
Womit glaubt der Herr Bundesminister der Finanzen auf dem Gebiete des Steuerrechtes ein Ausnahmerecht vom Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes in Anspruch nehmen und damit die gemeinsame Besteuerung von Ehegatten begründen zu können?
Bitte, Herr Bundesminister der Finanzen.
Der Bundesminister der Finanzen glaubt überhaupt nicht,
ein Ausnahmerecht vom Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes in Anspruch zu nehmen. Die Frage bezieht sich wohl auf die Tatsache, daß ein Finanzgericht, das Finanzgericht München, die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über die gemeinsame Besteuerung von Ehegatten in einem Urteil bezweifelt hat. In der Zwischenzeit sind Urteile anderer Finanzgerichte, z. B. Karlsruhe und Stuttgart, ergangen, die die Stellungnahme des Finanzgerichts München ablehnen und die Verfassungsmäßigkeit bejahen. Es wird in letzter Linie eine oberstgerichtliche Entscheidung abzuwarten sein.
Was die politische Seite der Frage betrifft, so dürfte sie wohl nicht Gegenstand einer Fragestunde
sein, sondern wird zu der Aussprache über die entsprechenden Bestimmungen des Steuergesetzes gehören, die demnächst in diesem Hohen Hause stattfinden soll.
Ist die Frage erledigt?
— Eine Zusatzfrage!
Beabsichtigt der Herr Finanzminister, die von ihm geforderte gemeinsame Besteuerung von zusammenwohnenden Ehegatten auch auf die Einkommensteuer anderer, einen gemeinsamen Haushalt führenden, aber nicht verheirateten Personen auszudehnen, und wie beurteilt der Herr Bundesfinanzminister in diesem Zusammenhang die Wirkung der steuerlichen Bevorzugung solcher Partner gegenüber legitimen Ehepartnern?
Herr Bundesminister der Finanzen!
Über diese Frage wird zur Zeit im Ausschuß für Finanzen und Steuern des Deutschen Bundestages beraten. Ich kann der Entscheidung des Ausschusses nicht vorgreifen.
Frau Abgeordnete Lüders hat noch eine Zusatzfrage.
Glaubt der Herr Bundesfinanzminister, daß die von den Finanzämtern geübte gemeinsame Steuerhaftung gemeinsam veranlagter Ehepartner mit dem Grundgesetz vereinbar ist?
Ich glaube es.
Dann ist auch in dieser Sache unser Glaube nicht derselbe.
Das war keine Frage, sondern eine typische Feststellung!
Meine Damen und Herren, zur Frage 3 Herr Abgeordneter Kortmann.
Ist dem Herrn Bundesminister des Innern bekannt, daß trotz aller Koordinierungsbemühungen der Landesministerien die Regelung der Lage der Sommerferien bisher immer noch unbefriedigend geblieben ist? Ist der Herr Bundesminister bereit, frühzeitig mit den Kultus- bzw. Innenministerien der Länder in Verbindung zu treten, um mit Rücksicht auf die deutschen Seebäder mit ihrer bedauerlich kurzen, meist nur 6 bis 8 Wochen umfassenden Saison eine zweckmäßigere und sinnvollere Verteilung der Sommerferien im Jahre 1955 herbeizuführen?
Der Herr Bundesminister des Innern, bitte.
Ich darf dem verehrten Herrn Kollegen folgendes antworten:
Es ist mir bekannt, daß auf die Entschließung der Ministerpräsidenten der Länder vom 5. und 6. Februar dieses Jahres der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen am 26. Juni dieses Jahres Empfehlungen zur Ferienordnung vorgelegt hat. Mit ihnen hat sich die Kultusministerkonferenz in Feldafing am 30. Juni und 1. Juli dieses Jahres befaßt und ihrerseits Empfehlungen an die Ministerpräsidenten der Länder beschlossen. In diesen Empfehlungen heißt es: Die Sommerferien liegen etwa in der Zeit zwischen dem 25. Juni und dem 15. September. Ich bin davon unterrichtet, daß die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz den Ministerpräsidenten zugeleitet sind. Mir ist allerdings nicht bekannt, welche Entschlüsse die Ministerpräsidenten der Länder in dieser Angelegenheit gefaßt haben. Ich habe keine Möglichkeit, Herr Kollege, mit den Kultus- bzw. Innenministern der Länder in Verbindung zu treten, um auf eine bestimmte Gestaltung der Ferienordnung für das Jahr 1955 Einfluß zu nehmen. Die Ordnung der Ferien fällt ausschließlich in die Zuständigkeit der Regierungen der Länder.
Darf ich eine Zusatzfrage stellen? — Ist es dem Bundesinnenministerium nicht möglich, wenigstens Anregungen zu einer Neuordnung an die Länder zu geben?
Darf ich mit einer Gegenfrage antworten, Herr Kollege. Halten Sie die Empfehlungen, die die Konferenz der Kultusminister gegeben hat, für Ihrem Anliegen entsprechend oder nicht?
— Ich würde dann keine Bedenken tragen, Herr Kollege, diese Anregungen auch von uns aus gegenüber den Ministerpräsidenten zu unterstützen.
Zur Frage 4 Frau Abgeordnete Dr. Lüders.
Hält der Herr Bundesminister der Justiz es verfassungsrechtlich für zulässig, das Recht zum Erlaß von Rechtsverordnungen in Spezialgesetzen an Organe der Selbstverwaltung zu delegieren?
Der Herr Bundesminister der Justiz!
Auf diese Frage möchte ich folgendes erwidern. Nach Art. 80 des Grundgesetzes können nur die Bundesregierung, die Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Nach herrschender Auffassung ist diese Aufzählung des Grundgesetzes erschöpfend. An andere Stellen als die eben erwähnten können daher Rechtsetzungsbefugnisse nicht übertragen werden. Nun nimmt aber die Praxis an, daß im Wege der
Unterermächtigung, der sogenannten Subdelegation, auch weitere Stellen ermächtigt werden können. Oh Organe der Selbstverwaltung jedoch hier für eine Unterermächtigung in Frage kommen, ist sehr zweifelhaft. Letzten Endes könnte darüber nur der Verfassungsgerichtshof verbindlich entscheiden. Bisher ist nun, soweit es dem Bundesjustizministerium bekanntgeworden ist, die Praxis nicht dahin gegangen, daß derartige Unterermächtigungen erteilt werden. Man wird überhaupt, wenn man eine solche Unterermächtigung für zulässig halten sollte, nur dann diese Frage bejahen können, wenn der erstermächtigten Stelle, also der Regierung, die volle Sachweisungsbefugnis gegenüber dem Organ der Selbstverwaltung zusteht. Andernfalls könnte die Regierung auf die Gestaltung der Verordnungen durch das Organ der Selbstverwaltung keinen Einfluß nehmen, und damit wäre auch die politische Verantwortlichkeit ausgeschaltet. Letztlich würden daher Rechtsetzungsbefugnisse auf Stellen übertragen, für die niemand dem Parlament verantwortlich ist. Das würde meines Erachtens gegen den Grundsatz der parlamentarischen Demokratie und gegen den Sinn des Art. 80 des Grundgesetzes verstoßen. Ob man allerdings dann noch von einer echten Selbstverwaltung sprechen kann, wenn einem Minister die unumschränkte Sachweisungsbefugnis zusteht, ist eine andere Frage.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete?
Nein, ich danke bestens; es ist erledigt, Herr Minister.
Ist erledigt. Frage 5 ist bereits erledigt.
Abgeordneter Hilbert zur Frage 6! Hilbert :
Hält die Bundesregierung es für richtig, daß z. B. in der Bahnhofswirtschaft Stühlingen, aber auch in anderen Bahnhofswirtschaften, die zum Teil in die Bahnhöfe selbst eingebaut sind und gleichzeitig als Warteräume dienen, des öfteren Veranstaltungen lokaler Art, vielfach mit Polizeistundenverlängerung, durchgeführt werden, oder ist sie bereit, für Abhilfe zu sorgen?
Der Bundesminister für Verkehr, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für Sonderveranstaltungen in Bahnhofswirtschaften ist jeweils die Zustimmung der zuständigen Eisenbahndienststellen einzuholen. Sie wird grundsätzlich nur dann erteilt, wenn für die Reisenden ein geeigneter Warteraum verbleibt.
Im Bahnhof Stühlingen ist neben der Bahnhofswirtschaft, die einen eigenen Zugang von der Straße her hat, noch ein besonderer Warteraum vorhanden. Der Bahnhof ist kein Übergangsbahnhof. Der Warteraum hat daher nicht die Aufgabe, Übergangsreisenden zu dienen, die länger auf Anschluß warten. Der abendliche Reiseverkehr in Stühfingen ist unbedeutend; nach 20 Uhr fährt nur noch ein Triebwagen um 22 Uhr 25 in Richtung Waldshut.
In den vergangenen zwei Jahren haben durchschnittlich alle zwei Monate Gewerkschaftsveranstaltungen und Versammlungen von Heimatvertriebenen in der Bahnhofswirtschaft, einige Male mit Polizeistundenverlängerung, stattgefunden. Beschwerden aus dem Publikum sind darüber bisher nicht lautgeworden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hilbert?
Nein.
Zur Frage 7 Herr Abgeordneter Hilbert.
Ist die Bundesregierung bereit, mit der Bundesbahn in Verhandlungen einzutreten, um die dem Vernehmen nach beabsichtigte Einstellung des Eisenbahnverkehrs auf der Strecke Oberlauchringen — Immendingen zwischen den Bahnhöfen Weizen und Zollhaus Blumberg abzuwenden, da diese Einstellung eine schwere wirtschaftliche Schädigung der ganzen dortigen Gegend bedeuten würde, weil die beabsichtigte Umstellung des Verkehrs auf die Straße im Winter durch die Schneelage einfach unmöglich gemacht würde?
Der Herr Bundesminister für Verkehr, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesbahn prüft zur Zeit, wie Sie wissen, durch welche Maßnahmen die Wirtschaftlichkeit ihrer Nebenstrecken verbessert werden kann. Auch die Nebenstrecke Oberlauchringen—Immendingen ist in diese Prüfung einbezogen worden. Das Ergebnis der Prüfung liegt aber noch nicht vor. Der Mittelabschnitt dieser Strecke, der auf 22,3 km sechs Tunnel mit insgesamt 4,55 km und drei große Brücken enthält, ist in der Unterhaltung naturgemäß besonders teuer.
Ehe mir ein Antrag auf etwaige Einstellung des Verkehrs vorgelegt wird, hat sich gemäß Bundesbahngesetz der Vorstand der Deutschen Bundesbahn mit der obersten Landesverkehrsbehörde ins Benehmen zu setzen. Dadurch ist gewährleistet, daß die örtlichen Interessen nicht übersehen werden können. Ich habe aber vorsorglich der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn schon jetzt Ihre Bedenken übermittelt.
Eine Zusatzfrage?
Herr Bundesverkehrsminister, ist Ihnen bekannt, daß erst in den letzten Tagen eine Kommission der Bundesbahndirektion Karlsruhe auf den entsprechenden Bahnhöfen vorstellig geworden ist und erklärt hat, daß die Einstellung des Verkehrs zwischen Weizen und Zollhaus Blumberg bereits im Winterfahrplan vorgesehen werden müsse?
Ich glaube nicht, daß diese Erklärung zu Recht abgegeben worden ist; denn der Antrag des Vorstandes bedarf ja vor Inkrafttreten der Behandlung im Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn, und das erfordert eine gewisse Zeit. Außerdem muß er dann noch von mir bestätigt werden.
Allerdings ist bei den Untersuchungen in Erwägung gezogen worden, ob man den nördlichen und den südlichen Teil der Strecke aufrechterhalten
kann und nur die Mittelstrecke, von der ich eben sagte, daß ihre Unterhaltung besonders teuer ist, stillegt, um Kosten zu sparen. Die Untersuchungen darüber sind aber nach Aussage der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn noch nicht abgeschlossen.
Damit ist diese Frage erledigt.
Zur Frage 8 Herr Abgeordneter Hilbert.
Ist die Bundesregierung bereit, die auf deutscher Seite angeordneten zeitlichen Beschränkungen der Grenzübertrittstellen an der deutsch-schweizerischen Grenze aufzuheben, da diese Beschränkungen auf nur wenige Stunden des Tages eine außerordentliche Schädigung des früher regen Grenzverkehrs bedeuten?
Der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Abgeordneter, Sie haben sich meines Wissens bereits selbst davon überzeugen können, daß die Öffnungszeiten dieser Grenzübergänge an der deutschschweizerischen Grenze nicht einseitig von der deutschen Behörde verfügt werden, sondern daß sie im gegenseitigen Benehmen mit den Schweizer Zollbehörden festgesetzt werden. Das geschieht auf Grund des Schlußprotokolls zum Baseler Übereinkommen. Dabei sind die beiderseitigen Verkehrsbedürfnisse in großzügiger Weise berücksichtigt worden. Nach neuesten Feststellungen gehen die derzeitigen Öffnungszeiten zum Teil sogar über das Verkehrsbedürfnis hinaus trotz der für die Verwaltung damit verbundenen Mehrkosten. Ich betone nebenbei, daß der Bundesrechnungshof die unbeschränkt geöffneten Übergänge in früheren Jahren beanstandet hat mit der Begründung, daß der damit verbundene Aufwand an Personal dem Verkehrsbedürfnis nicht entspreche.
Die Anpassung der Öffnungszeiten der Grenzübergangsstellen an das Verkehrsbedürfnis bedeutet keine nennenswerte Einschränkung des Grenzübertritts. Soweit Grenzbewohner im land-und forstwirtschaftlichen Bewirtschaftungsverkehr die Grenze überschreiten müssen, erhalten sie auf Antrag einen Vermerk in der Grenzkarte, der ihnen den Grenzübertritt jederzeit auch an nicht zugelassenen, näher bezeichneten Grenzstellen gestattet. Ferner werden Grenzgängern, die in den benachbarten Grenzzonen in Arbeit stehen, und sonstigen Personen, wie Ärzten, Hebammen usw., die die Grenze außerhalb der Öffnungszeiten überschreiten müssen, auf Antrag vom zuständigen Hauptzollamt Ausweise erteilt, die sie zum jederzeitigen Übertritt berechtigen.
Eine „außerordentliche Schädigung des früher regen Grenzverkehrs" ist nicht eingetreten, vielmehr hat sich der kleine Grenzverkehr an der deutsch-schweizerischen Grenze nach der Statistik der Paßkontrolldirektion Koblenz wie folgt entwickelt: insgesamt in den Monaten Januar bis Juni im Jahre 1953 19 284 000, im Jahre 1954 21 370 000 Grenzüberschreitungen. Es ist also eine Steigerung von 11 0/o eingetreten.
Eine Zusatzfrage!
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hilbert!
Ist dem Herrn Bundesfinanzminister bekannt, daß in der ganzen schweizerischen Presse die Behauptung aufgestellt wird, die Initiative zu Beschränkungen überhaupt sei von deutscher Seite ausgegangen?
Frage 2. Herr Bundesfinanzminister sprach vorhin von Personaleinsparungen durch diese Beschränkung. Ist dem Herrn Bundesfinanzminister bekannt, daß dasselbe Personal, das an den geschlossenen Übergängen kontrolliert, daß niemand herübergeht, genau so auch die Abfertigung der Personen vornehmen könnte?
Es ist mir nicht bekannt, daß in der Schweizer Presse diese Behauptungen aufgestellt worden sind; aber ich habe vorhin festgestellt, daß die erste Anregung von dem deutschen Bundesrechnungshof ausgegangen ist, der die bisherigen Öffnungen als unzweckmäßig und unwirtschaftlich bezeichnet hat. Ich habe vorhin betont, daß die Durchführung in beiderseitigem Einvernehmen erfolgt. Der Personalstand an den einzelnen Grenzübergangsstellen, also auch an der Grenzübergangsstelle Untereggingen — so heißt sie, glaube ich —, ist mir allerdings nicht bekannt.
Ich danke.
Die Frage ist erledigt.
Zur Frage 9 Herr Abgeordneter Dr. Mommer. — Wünscht jemand anders für Herrn Mommer die Frage zu stellen? — Offenbar nicht. Stellen wir sie zum nächstenmal zurück.
Frage 10 ist erledigt.
Zu Frage 11 Herr Abgeordneter Dr. Friedensburg.
Ich frage den Herrn Bundesminister für Verkehr:
Besteht Aussicht, daß nunmehr zwischen Berlin und Bonn durchgehende Schlafwagenverbindung eingerichtet wird, und läßt sich hierfür die früher im Verkehr zwischen Berlin und Ostpreußen übliche Abfertigung geschlossener Wagen zwecks Vermeidung nächtlicher Kontrolle verwirklichen? Was haben die zuständigen Bundesdienststellen getan, um eine solche für Berlin besonders wichtige Regelung herbeizuführen?
Der Herr Bundesminister für Verkehr, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Zeit besteht wenig Aussicht, eine durchgehende Schlafwagenverbindung Berlin-Bonn einzurichten. Schlafwagen verkehren zwischen Berlin und Frankfurt, Berlin und München, Berlin und Stuttgart, ferner zwischen Leipzig und Köln. Die Bemühungen der Deutschen Bundesbahn um Einrichtung einer Schlafwagenverbindung Berlin-Bonn haben bisher bei der Deutschen Reichsbahn in der sowjetisch besetzten Zone keine Gegenliebe gefunden. Trotzdem hat die Deutsche Bundesbahn einen solchen Schlafwagenlauf erneut für den Sommerplan 1955 gefordert, und sie wird sich weiter mit allem Nachdruck darum bemühen. Über die Aussichten dieser Bestrebungen und insbesondere über eine Regelung nach Art des früheren Korridorverkehrs nach Ostpreußen läßt sich heute noch nichts Abschlie-
ßendes sagen; doch ist zu besorgen, daß solche Wünsche noch weniger Aussicht auf Erfolg haben werden als die bisher vorgetragene Forderung nach einem gewöhnlichen Schlafwagenlauf auf dieser Strecke.
Könnte ich die Gründe erfahren, mit denen die Einführung bisher abgelehnt worden ist?
Die Deutsche Reichsbahn in der sowjetischen Besatzungszone gibt im allgemeinen keine Gründe bei der Ablehnung unserer Wünsche bekannt.
Frage 11 ist erledigt. Zur Frage 12 Herr Abgeordneter Dr. Schranz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich frage den Herrn Bundesfinanzminister:
Sind die Behauptungen der in der Zeitschrift „Die Anklage" vom 1. Mai 1954 unter der Überschrift „Scheffelt Schäffer Gold?" an die Bundesregierung gerichteten Anfrage richtig?
Der Herr Bundesminister der Finanzen, bitte!
Die Behauptungen in der Zeitschrift „Die Anklage" sind nicht richtig. Es wird behauptet, die Bundesrepublik zahle an den Staat Israel zwölf Jahre lang je 400 Millionen DM. Jedermann, insbesondere ein Mitglied dieses Hauses, kann sich im Bundeshaushaltsplan Einzelplan 60 Kap. 6004 Tit. 310 davon überzeugen, welche Beträge die Bundesrepublik auf Grund des Abkommens mit dem Staat Israel vom 10. September 1952 zahlt. Das sind für die ersten zwei Jahre je 200 Millionen DM gewesen. Für die folgenden Jahre sind nach dem Vertrag vom 10. September 1952 je 310 Millionen DM bzw. im letzten Jahr 260 Millionen DM zu zahlen. Die Bundesrepublik hat von der vertraglichen Möglichkeit Gebrauch gemacht, die vertragliche Zahlung auf 250 Millionen DM herabzusetzen.
Was den zweiten Teil der Anfrage betrifft — in der Zeitschrift „Die Anklage" war behauptet worden, es liefen Verhandlungen mit Israel, die das Ziel hätten, die Gesamtleistung gemäß dem Abkommen vom 10. September 1952 um weitere 2 Milliarden zu erhöhen —, so muß ich dazu erklären, daß der Bundesregierung von derartigen Verhandlungen nicht das geringste bekannt ist, und sie müßte eigentlich davon wissen.
Die Frage ist erledigt. Zur Frage 13 Herr Abgeordneter Platner. Platner :
Ist dem Herrn Bundesminister für Verkehr die Absicht mehrerer Großstädte bekannt, das Problem der Schaffung der erforderlichen Garagen und Abstellplätze für Kraftwagen unter Bezugnahme auf die Reichsgaragenordnung aus dem Jahre 1939 auf dem Wege einer Ortssatzung in der Weise zu lösen, daß die finanzielle Last allein von den Grundeigentümern getragen werden soll?
Hat der Herr Bundesminister für Verkehr bereits in Erwägung gezogen, durch eine nach Art. 74 Nr. 22 des Grundgesetzes mögliche bundesgesetzliche Regelung die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Mittel für die Errichtung der erforderlichen Garagen und Abstellplätze in den Städten nicht allein von den Grundeigentümern zu tragen sind, sondern zur Beschaffung dieser Mittel alle Beteiligten herangezogen werden?
Offenbar ist der Herr Bundesminister für Wohnungsbau zuständig.
Herr Präsident! Der Herr Bundesverkehrsminister ist wohl für die Autos, aber für die Garagen bin ich zuständig, und deshalb muß ich die Beantwortung auch übernehmen. Ich kann nur sagen: ja, aber Ortssatzungen sind nur zulässig, um die Vorschriften der Reichsgaragenordnung auf bestehende Wohnstätten, Arbeitsstätten und Gebäude anzuwenden, wenn auf den Grundstücken die benötigten Flächen in der geeigneten Lage und Größe vorhanden sind. Durch die Reichsgaragenordnung wird die Verpflichtung der Gemeinden, öffentlichen Parkraum aus Haushaltsmitteln zu schaffen, nicht berührt. Ihre Verpflichtung kann insbesondere nicht auf Grundeigentümer abgewälzt werden, die erst bauen oder ein durch Kriegseinwirkung zerstörtes Gebäude wiederaufbauen, und das war ja doch das entscheidende Anliegen des Teils 1 Ihrer Frage.
Nun zum Teil 2. Soweit in der Reichsgaragenordnung städtebauliche Probleme angesprochen werden, wie die Ausweisung von öffentlichen Frei- und Parkflächen, wird das Bundesbaugesetz, das zur Zeit, nachdem das Gutachten des Bundesverfassungsgerichts Ende Juni ergangen ist, in meinem Hause vorbereitet wird, eine gleichmäßige, gerechte und den Erfordernissen des Verkehrs entsprechende Verteilung der anfallenden Lasten für die Errichtung öffentlicher Frei- und Verkehrsflächen bringen, durch die das Grundeigentum in keiner Weise einseitig belastet werden wird.
Ich danke dem Herrn Minister.
Die Frage ist erledigt.
Zur Frage 14 ebenfalls Herr Abgeordneter Platner.
Ist der Herr Bundesminister für Verkehr bereit, für den weiteren Ausbau von Bundesstraßen in Hessen, insbesondere den Ausbau der außerordentlich stark mit Verkehr belasteten Bundesstraße 27 zwischen Witzenhausen und Fulda, bei der künftigen Aufteilung der Mittel für den Ausbau der Bundesstraßen größere Anteile nach Hessen zu geben?
Der Bundesminister für Verkehr, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten Jahren mußte der Ausbau der Bundesstraßen in Hessen zugunsten des Autobahnbaues zurückstehen, der die Schließung der noch bestehenden Lücke zwischen den Autobahnstrecken Köln—Frankfurt und Kassel—Frankfurt—Mannheim zum Ziele hatte, um die Todesstraße Frankfurt—Wiesbaden zu entlasten.
Das Verkehrsfinanzgesetz soll neue Möglichkeiten für den weiteren Ausbau der Bundesstraßen eröff-
1 nen. Für den Kilometer Bundesstraße in Hessen konnte deshalb im Haushaltsplan 1955 ein um rund 55 % höherer Betrag als 1954 vorgesehen werden.
Was die B 27 betrifft, so wird sie planmäßig weiter ausgebaut. An größeren Maßnahmen, die sich allerdings bis in das Haushaltsjahr 1956 erstrecken werden, sind im laufenden Haushaltsjahr in Arbeit: 1. die Verlegung bei Hoheneiche—Oetmannshausen zur Verbesserung der Linienführung und Beseitigung mehrerer gefahrvoller, schienengleicher Kreuzungen, 2. die Umgehungsstraße Fulda, 3. der Ausbau der Ortsdurchfahrt Bronnzell bei Fulda. Hinzu kommen noch zahlreiche andere Um- und Ausbaumaßnahmen, Verbreiterungen, Kurvenverbesserungen usw. Im Rechnungsjahr 1954 sind für diese Maßnahmen auf der B 27 rund 2 Millionen DM bestimmt. Für 1955 sind neben der Weiterführung der genannten Bauvorhaben als größere Maßnahmen auf der B 27 die Inangriffnahme der Umgebung von Bad Hersfeld und der Ausbau der Ortsdurchfahrt Hünfeld in Aussicht genommen. Im Haushaltsjahr 1955 haben wir für den Ausbau der B 27 2,5 Millionen DM vorgesehen.
Ich danke dem Herrn Minister.
Damit ist die Frage beantwortet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist die Bundesregierung bereit, durch Landhergabe aus dem Grundbesitz der bundeseigenen Reichswerke Salzgitter und mehreren
zur Zeit nicht genützten Bauernhöfen mit Wirtschaftsgebäuden und Stallungen dreißig bis fünfunddreißig Siedlerstellen mit Pachtland für heimatvertriebene Bauernfamilien zu errichten?
Bitte, Herr Bundesminister der Finanzen!
Die Reichswerke haben bereits im Jahre 1952 zwei Güter mit insgesamt 710 Hektar für Siedlungszwecke an das Land Niedersachsen oder die Braunschweigische Siedlungsgesellschaft abgegeben und zwei weitere Güter mit rund 190 Hektar zugunsten verdrängter Bauern aufgesiedelt. Die Frage ist wohl so auszulegen, ob darüber hinaus noch weitere Landabgaben aus dem Grundbesitz der Reichswerke zum Zwecke der Errichtung von Siedlungsstätten für heimatvertriebene Bauern erfolgen könnten. Diese Frage ist von der Interministeriellen Konferenz zur Klärung der Grundbesitzverhältnisse im Salzgittergebiet erneut geprüft und in einer Sondersitzung am 8. September 1954 behandelt worden. Die Kommission ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß die Reichswerke nicht in der Lage seien, im größeren Umfang Grundstücke für die Flüchtlingssiedlung abzugeben, da der Grundbesitz der Reichswerke nicht ausreichen wird, um den Geländebedarf für Industrieflächen, Wohnungsbauten, kommunale Zwecke, Ersatzlandgestellung für frühere Eigentümer und Schadensgebiete für Rauch-, Staub- und Bergschäden zu decken. Von den von den Reichswerken aufgekauften Bauernhöfen wurden 93 Bauernhäuser in Mietwohnungen umgebaut; sie sind mit durchschnittlich 8 bis 10 Mietparteien, überwiegend Flüchtlingen, belegt. Die Stallgebäude und Scheunen wurden zum größten Teil wegen Baufälligkeit abgebrochen. Die Prüfung der Möglichkeiten für eine pachtweise Ansetzung von Flüchtlingen, die auf Weisung der Interministeriellen Kommission in enger Zusammenarbeit mit dem niedersächsischen Landwirtschaftsministerium erfolgt, ist noch nicht abgeschlossen. Es ist jedoch zu erwarten, daß trotz der auch hier sich ergebenden Schwierigkeiten durch Landaustausch und Zukäufe die Errichtung einiger Siedlungsstellen ermöglicht werden wird.
Die Frage ist erledigt. Zur Frage 16 Herr Abgeordneter Leonhard!
Ich frage den Herrn Bundesernährungsminister:
Wann wird der Verbraucher wieder die gesamte Verbrauchsmilch mit vollständigem natürlichem Fettgehalt bekommen?
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, bitte!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Fragen und Klagen bekommt man sehr häufig auch in der Öffentlichkeit zu hören. Der natürliche Fettgehalt der Milch schwankt aber je nach Rasse, Jahreszeit und Gegend z. B. im Norden zwischen 2,8 und 3,4 % und in Süden, bei dem Höhenvieh, vielleicht zwischen 3,2 und 3,7 %. So beträgt der Fettgehalt in der Auftriebszeit, im April und im Mai, im Norden bei den schwarzbunten Rassen etwa 2,8 N.
Deshalb sind — auch aus ärztlicherseits vorgebrachten Gründen — die Länder nach den Möglichkeiten des Milch- ,und Fettgesetzes 1952 dazu übergegangen, den Fettgehalt auf 3 % festzusetzen, ein Verfahren, das sowohl von den Ärzten wie auch von vielen anderen Stellen begrüßt worden ist.
Wenn Sie sich die Verhältnisse außerhalb Deutschlands vor Augen führen, so sehen Sie, daß Frankreich, Belgien und Schweden ebenfalls auf 3 % standardisiert haben, die Niederlande auf 2,5 %, dagegen Dänemark und die USA auf 3,5 %. Sie sehen, daß offenbar auch in anderen Ländern die Vorteile einer solchen Standardisierung die Nachteile überwiegen.
Je mehr sich außerdem die deutsche Qualitätsmilch, genannt Grad-A-Milch, mit einem Fettgehalt von 3,5 % in der Öffentlichkeit durchsetzt, um so mehr werden diese Klagen zum Verstummen kommen.
Ist die Frage beantwortet, Herr Abgeordneter Leonhard?
Eine Zusatzfrage! Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage, bitte!
Ich frage den Herrn Minister: Wie lange wird es nach Ihrer Meinung dauern, bis der deutsche Rinderbestand weitestgehend tbc-frei gemacht wird? Ich bitte aber, mir diese Frage wegen der Schwierigkeit nicht jetzt, sondern schriftlich zu beantworten.
Die Befreiung des
deutschen Rinderbestands von der Tbc ist in sehr gutem Fortschreiten. Wir werden in bestimmten Bezirken vielleicht schon im Jahre 1955/56 die gesamte Trinkmilch für die Schulen und für die Bevölkerung tbc-frei liefern können. Im großen und ganzen werden wir für das gesamte deutsche Bundesgebiet mit einem Zeitraum von etwa 3 bis 5 Jahren rechnen müssen.
Zur Frage 17 Herr Abgeordneter Dr. Friedensburg!
Ich frage den Herrn Bundesminister für Wirtschaft:
Hält die Bundesregierung die Organisationsformen des Kohlenbergbaus und der Eisenindustrie für zweckmäßig, die durch die erzwungene Entflechtung und Neuordnung entstanden sind, und was beabsichtigt sie gegebenenfalls zu tun, um eine bessere und freiere Entwicklung der beteiligten Unternehmen, namentlich im Hinblick auf den Wettbewerb innerhalb der Montanunion zu ermöglichen?
Ich habe hierzu eine schriftliche Antwort rdes Herrn Bundesministers für Wirtschaft erhalten. Da diese Antwort dankenswerterweise sehr ausführlich gehalten ist, erkläre ich mich mit der schriftlichen Form für befriedigt.
Zur Frage 18 Herr Abgeordneter Dr. Friedensburg!
Ich frage den Herrn Bundesminister für Wirtschaft:
Aus welchem Grund ist die Bundesregierung bisher nicht dem Internationalen Zinn-Abkommen beigetreten, und beabsichtigt sie, bei ihrer ablehnenden Haltung zu verbleiben?
Ich vermag noch nicht zu sehen, wer die Frage beantworten will. Es ist eine Frage des Auswärtigen Amts. — Bitte, der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesrepublik verfügt über keine eigene Zinnbergwerksproduktion und ist in ihrer Versorgung ganz auf die Einfuhr von Zinnerzen und Reinzinn angewiesen. Sie muß als reines Verbraucherland auf einen niedrigen Zinnpreis Wert legen und ist an einer Erhöhung dieses Preises, wie sie durch das Internationale Zinnabkommen angestrebt wird, nicht interessiert. Der in dem Abkommen vorgesehene niedrigste Preis liegt bereits über dem Preis, der nach fachkundigem Urteil wohl der statistischen Situation des Metalls entspricht. Im Zinnrat sind die reinen Verbraucherländer in einer ausgesprochenen Minderheit, zumal da das größte Verbraucherland, die Vereinigten Staaten, dem Abkommen nicht beigetreten ist und auch zukünftig nicht beitreten will. Bei dieser Sachlage und da bei Eintreten einer Mangellage die deutsche Zinnversorgung auch bei Beteiligung an dem Abkommen nicht sichergestellt ist, hat die Bundesregierung sich entschlossen, von seiner Unterzeichnung vorerst abzusehen.
Das Abkommen läßt die Möglichkeit eines Beitritts nach der Ratifizierung durch die Unterzeichnerstaaten offen. Bisher hat als einziges Land Kanada ratifiziert. Die Bundesregierung behält die Entwicklung im Auge und bleibt wegen eines etwaigen Beitritts mit den beteiligten Wirtschaftskreisen in ständiger Fühlung.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Friedensburg.
Hält der Herr Staatssekretär es nicht für wirksamer, durch den Beitritt zu dem internationalen Abkommen die von der Bundesregierung dankenswerterweise vertretene Politik des billigen Metalls innerhalb der Organisation zu vertreten, anstatt dieser fernzubleiben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eben das glauben wir nicht, Herr Abgeordneter. Ich habe schon gesagt, daß der Einfluß der Verbraucherländer namentlich wegen des Fernbleibens der Vereinigten Staaten gering ist. Wir glauben nicht, daß sich daran durch den Beitritt der Bundesrepublik etwas ändern würde, weil diese, gemessen an dem gesamten Angebot, nur eine verhältnismäßig niedrige Abnahmequote an Zinn hat.
Die Frage ist erledigt. Zur Frage 19 Herr Abgeordneter Ritzel.
Ich frage den Herrn Bundesminister für Verkehr, aus welchen Gründen deutsche Speisewagen
— soviel ich weiß, mit einer einzigen Ausnahme —
nicht mit deutschen Zügen, die in das Ausland gehen, geführt werden dürfen. Was hat die Bundesregierung getan, um eine Gleichstellung mit ausländischen Speisewagen herbeizuführen, die anscheinend unbeschränkt im Bundesgebiet verkehren können?
Der Herr Bundesminister für Verkehr, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der internationale Schlaf- und Speisewagendienst ist immer im wesentlichen von der im Jahre 1874 gegründeten Internationalen Schlaf- und Speisewagengesellschaft — abgekürzt „Waggons Lits" oder ISG — bestritten worden. Diese Gesellschaft hatte z. B. im Jahre 1930 mit mehr als 50 Eisenbahnverwaltungen in Europa, Asien und Afrika langfristige Verträge, die ihr in der Regel das ausschließliche Betriebsrecht sicherten.
Demgegenüber arbeitete die frühere MITROPA auf einem in erster Linie innerdeutschen Netz. Die Grenze überschreiten konnte sie nur dorthin, wo die ISG kein Ausschließlichkeitsrecht besaß. Aber auch in diesen Fällen, z. B. in Skandinavien, den Niederlanden, der Schweiz und Österreich, war die Tätigkeit der MITROPA auf bestimmte Zugläufe beschränkt.
Nach 1945 hat die ISG mit zahlreichen europäischen Ländern und auch mit den im Gebiet der Bundesrepublik wirkenden Militärregierungen neue und auch heute noch gültige Abmachungen getroffen, wobei ihr vielfach wieder das ausschließliche Betriebsrecht für den internationalen Dienst zugestanden worden ist. Schon seit 1949 sind die Bundesregierung, die Bundesbahn und seit ihrer Gründung im Jahre 1950 auch die Deutsche Schlaf-
und Speisewagengesellschaft - abgekürzt DSG — bemüht, die Fesseln zu lockern, die der DSG auferlegt sind, und ihr wenigstens in gewissen Richtungen und bis zu bestimmten ausländischen Ausgangs- oder Zielbahnhöfen die Überschreitung der Landesgrenze zu ermöglichen. Die Verhandlungen hierüber sind nach verschiedenen Mißerfolgen gerade während der letzten Monate wieder sehr intensiv geführt worden. Über den Erfolg wird sich wohl erst gegen Ende des Jahres berichten lassen. Jedoch ist zu hoffen, daß es in absehbarer Zeit gelingt, etwa die gleichen Möglichkeiten für deutsche Schlaf- und Speisewagen im grenzüberschreitenden Verkehr zu schaffen, wie diese vor dem Kriege bestanden haben.
Ich danke Ihnen.
Die Frage ist erledigt.
Zur Frage 21 Herr Abgeordneter Schmidt .
Wann rechnet die Bundesregierung mit einer Betriebserlaubnis für die Deutsche Lufthansa, welche nach Auskunft des Herrn Staatssekretärs Dr. Bergemann in der Fragestunde am 28. Mai 1954 kurz bevorstand?
Der Herr Bundesminister für Verkehr, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 28. Mai 1954 hat der Herr Staatssekretär Dr. Bergemann erklärt:
Die Entscheidung der Alliierten Hohen Kommission steht nach unseren Informationen kurz bevor. Wir glauben zu der Annahme berechtigt zu sein, daß diese Entscheidung positiv ausfällt.
Wir konnten uns damals für befugt halten, diese zwar vorsichtige, aber optimistische Antwort zu geben. Sie entsprach durchaus der Ende Mai gegebenen Situation. Daß Sie, Herr Abgeordneter, trotzdem noch heute begründeten Anlaß haben, diese Frage zu wiederholen, bedauert die Bundesregierung ebenso wie sicher auch Sie. Bundesministerium für Verkehr und Auswärtiges Amt sind unablässig bemüht, die schon vor Monaten erbetene Genehmigung der Alliierten Hohen Kommission für den Betrieb der ersten vier Flugzeuge der Lufthansa zu bekommen. Wir hoffen auch weiterhin auf einen baldigen Erfolg, können aber natürlich nicht sagen, wann er eintritt.
Eine Zusatzfrage? — Bitte.
Ich darf für die Zusatzfrage davon ausgehen, Herr Verkehrsminister, daß die Dispositionen der Deutschen Lufthansa mit ihren amerikanischen Lieferfirmen Liefertermine vorgesehen hatten, die eine Betriebsaufnahme bereits zu Beginn des Jahres 1954 ermöglichen sollten, und daß die Dispositionen Ihres Hauses und der Deutschen Lufthansa auf Voraussetzungen oder, sagen wir besser, Erwartungen völker- oder besatzungsrechtlicher Art beruhten, die auf diesen Termin abgestellt waren. Wenn sich also — das ist die Frage - herausgestellt hat, daß man die Entwicklung des Rechtsstatus der Bundesrepublik offensichtlich falsch beurteilt hat, warum hat dann
die Bundesregierung diesen Antrag — offenbar ist es ein Ausnahmeantrag nach den Durchführungsbestimmungen des Gesetzes Nr. 61, nehme ich an — bei der Hohen Kommission erst am 22. Mai dieses Jahres gestellt, nämlich nachdem meine Frage schriftlich vorlag, die ich vorhin zitiert habe? Warum ist der Antrag nicht sehr viel früher gestellt worden?
Es ist eine Fülle von Fragen, Herr Abgeordneter, die Sie gestellt haben. Ich darf dazu folgendes bemerken: Den Antrag haben wir gestellt, nachdem wir seit Anfang dieses Jahres mit der Alliierten Hohen Kommission darüber im Gespräch waren, wie wir nach Lieferung der vier Convairflugzeuge den Betrieb aufnehmen könnten und welche rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen seien. Wir haben allerdings, wie Sie ja wissen, immer darauf gewartet, daß der Teil Zwölf des Überleitungsvertrags, der mit dem Deutschland-Vertrag zusammenhängt, durch Ratifizierung Frankreichs in Kraft gesetzt würde. Deswegen haben wir die entsprechenden Anträge auf Ausnahmegenehmigung erst gestellt, als es nicht mehr wahrscheinlich erschien, daß der Vertrag vor Lieferung der Flugzeuge in Kraft treten würde.
Darf ich eine Zusatzfrage stellen?
Bitte!
Bei wem liegt die Federführung, Herr Bundesverkehrsminister, für die Verhandlungen mit der Alliierten Hohen Kommission?
Jeweils bei demjenigen der Hohen Kommissare, der, was ja abwechselt, — —
Nein, ich meine die Federführung für diese Verhandlungen mit der Alliierten Hohen Kommission auf seiten der Bundesregierung.
Diese Sache ist eine gemeinsame Angelegenheit des Bundesverkehrsministeriums und des Auswärtigen Amts.
Danke.
Zur Frage 22 Herr Abgeordneter Schmidt .
Darf ich fragen:
Welches Ergebnis hatten die Anfang August zwischen der Deutschen Bundesbahn und den Dänischen Staatsbahnen geführten Verhandlungen über die Verwirklichung der sogenannten Vogelflug-Linie Fehmarn—Lolland im Zuge der geplanten europäischen Durchgangsstraße von Süd- bzw. Westeuropa über Hamburg—Kopenhagen weiter nach Skandinavien? Wie ist der Stand der Vorarbeiten auf deutscher Seite?
Bitte, Herr Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deutschen und dänischen Eisenbahnen haben unter
Teilnahme von Beauftragten der schwedischen Eisenbahnverwaltung schon seit längerer Zeit einen Arbeitsausschuß gebildet, um das Projekt der Vogelflug-Linie weiter zu fördern. Er soll die Planungen aufeinander abstimmen und die dabei auftauchenden technischen und finanziellen Probleme beraten. Im Rahmen dieser Arbeit hat 'am 5. und 6. August eine Tagung in Gedser und Kopenhagen stattgefunden. Auf ihr haben die für dieses Problem schwierigsten Fragen der Überquerung des Fehmarn-Sundes und der Lage der Fährhäfen am Fehmarn-Belt im Vordergrund gestanden. Am Fehmarn-Sund sind die Interessen der Seeschifffahrt zu berücksichtigen. Es wird zu entscheiden sein, ob die wirtschaftlichste Lösung durch einen Damm mit Schleusen möglich ist oder ob eine wesentlich teurere Hoch- oder Hubbrücke zu erbauen sein wird. Eine Untertunnelung wird wegen der Kosten und Schwierigkeiten der Bewetterung ebenfalls teurer sein. Mehrere von deutscher Seite aufgestellte Wahllösungen sind besprochen worden. Über die ganze Angelegenheit liegt ein ausgezeichnetes Gutachten der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Kiel vor. Auf 'dänischer Seite des Fehmarn-Belts gilt als Fährhafen Rödby. Am deutschen Ufer würde Puttgarden am günstigsten liegen. Von der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Kiel wird aber diese Stelle durch eine starke Sandtrift als gefährdet angesehen, d. h. es würden hier laufend erhebliche Baggerkosten anfallen. Deshalb wird jetzt zu klären versucht, ob nicht besser ein anderer Platz an der Nordspitze Fehmarns, etwa bei Westermarkelsdorf, in Aussicht genommen werden sollte, wie sich die Betriebskosten, die dann größer sein werden, stellen werden und ob bei einem so fundierten Vergleich Puttgarden oder Westermarkelsdorf den Vorzug verdient.
Auf der erwähnten Tagung ist auch die Schwierigkeit der Finanzierung des , Gesamtprojekts erörtert und die Frage erwogen worden, ob man zunächst nur den Straßenverkehr über Fehmarn führen solle, weil die Zunahme des Verkehrs auf der Trajektverbindung Großenbrode—Gedser so stark ist, daß diese Lösung nicht von der Hand zu weisen ist. Um Unklarheiten zu vermeiden, möchte ich darauf hinweisen, daß dafür der FehmarnSund nach wie vor mittels Fähre überwunden wird, ebenso wie natürlich eine Fährverbindung zwischen Puttgarden oder Westermarkelsdorf und Rödby in Frage kommt. Beschlüsse sind aber noch nicht gefaßt worden. Die Projekte bedürfen nach der technischen und wirtschaftlichen Seite noch ergänzender Untersuchungen. Die technischen Planungen und die Wirtschaftlichkeitsberechnungen sind auf deutscher Seite so weit fortgeschritten, daß ein vorläufiger Überblick über die Möglichkeit und die Kosten der verschiedenen Lösungen gewonnen worden ist. Wir werden durch die diesjährigen Verkehrszählungen noch eine weitere Klärung dieser Fragen zu erwarten haben.
Eine Zusatzfrage? — Bitte!
Stimmt es, Herr Bundesverkehrsminister, daß auf dänischer Seite hinsichtlich der Straßenverbindungen nach dem eben von Ihnen erwähnten Fährhafen Rödby bisher bereits erhebliche Vorarbeiten und Vorleistungen investiert worden sind?
Das kann man in dem Sinne wohl nicht sagen. Das, was
dort bisher investiert worden ist, hätten die Dänen nach meiner Auffassung auch investieren müssen, um diese Insel — Lolland — an das gesamtdänische Straßennetz anzuschließen.
Zur Frage 23 Herr Abgeordneter Schmidt.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die seit drei Jahren andauernde Benutzung des Naturschutzgebietes Lüneburger Heide als Panzerübungsgelände durch Besatzungstruppen in kurzer Zeit zu völliger Zerstörung zumindest der südlichen Hälfte des Naturschutzparkes führen wird? Ist der Bundesregierung bekannt, daß gerade dieses Gebiet als Ausflugsziel und Ferienaufenthalt für diejenigen Teile der Bevölkerung von Hamburg, Bremen und Hannover von besonderer Bedeutung ist, die sich weitere Reisen nicht leisten können?
Warum kann nicht an Stelle des Naturschutzgebietes der ehemalige Truppenübungsplatz Munster-Nord für die Panzerübungsfahrten benutzt werden?
Der Herr Bundesminister der Finanzen, bitte.
Ich beantworte die Anfrage im Einvernehmen mit dem Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen.
Im Zuge der Belegung eines größeren Gebietes im Raume Soltau-Lüneburg mit Manöverrechten wird auch der südliche Teil des Naturschutzgebietes Lüneburger Heide zu Panzerübungen benutzt und stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Bundesregierung hat wiederholt versucht, die Freigabe der Übungsgebiete zu erreichen. Es handelt sich allerdings um eine Frage, die nur im Gesamtzusammenhang gesehen werden kann und bei der die Interessen der Land- und Forstwirtschaft in gleicher Weise zu prüfen sind wie Fragen des Naturschutzes und der Volksgesundheit. Die Bundesregierung steht deshalb in ständiger Fühlungnahme mit der niedersächsischen Landesregierung, um den britischen Streitkräften geeignete Vorschläge über die Entlastung der ständigen Übungsgebiete durch bessere Ausnutzung ehemaligen Wehrmachtgeländes zu machen. Der in diesem Zusammenhang wiederholt vorgebrachte Wunsch, den ehemaligen Versuchsplatz Munster-Nord, der unter der Bezeichnung „Raubkammer" bekannt ist, als Panzerübungsgelände zu benutzen, ist bisher von britischer Seite mit der Begründung abgelehnt worden, daß dieser Platz trotz der fast dreijährigen Entgiftungsarbeiten des niedersächsischen Bombenräumkommandos noch kampfstoffvergiftet sei. Die Dienststelle Blank hat diese Frage mit den Bevollmächtigten und Sachverständigen der britischen Seite und des Landes Niedersachsen eingehend erörtert. Daraufhin wurde eine deutsche Sachverständigenkommission gebildet, um festzustellen, ob und in welchem Umfang der Platz Munster-Nord als frei von Kampfstoffen angesehen oder gegebenenfalls unter welchen Beschränkungen und Auflagen für Truppenübungen benutzt werden kann. Die Sachverständigen werden ihre Gutachten demnächst abgeben.
Eine Zusatzfrage!
Glauben Sie, Herr Minister, daß das Finanzministerium und das Amt Blank alle Möglichkeiten der Bundesregierung ausgeschöpft haben, um die systematische Zerstörung dieses Naturschutzgebietes zu unterbinden?
Ich habe keinen Grund, etwas anderes anzunehmen.
Soll das heißen, daß also damit gerechnet werden muß, daß die Zerstörung des Naturschutzgebietes auch in Zukunft weiter fortgesetzt werden wird?
Die Bundesregierung bemüht sich, das im Benehmen mit der niedersächsischen Landesregierung zu verhindern, deren Unterstützung sie natürlich auch hat.
Darf ich fragen: Ich habe in der Presse gelesen, daß der Verein, der den Naturschutzpark unterhält, bisher Sachschäden in Höhe von — ich weiß nicht genau — 2 1/2 oder 3 Millionen DM festgestellt und diese auch bei der Bundesregierung bzw. dem Amt Blank angemeldet hat, daß bisher aber noch kein Pfennig zur Ausbesserung der dort angerichteten Schäden geflossen sei. Ist Ihnen darüber etwas bekannt?
Von einer solchen Schadensanmeldung und Forderung ist mir nichts bekannt.
Darf ich noch eine weitere Frage stellen. Gibt es sonst irgendwo in der Bundesrepublik die Tatsache oder den Fall, daß außerhalb der offiziellen Truppenübungsplätze geschlossene Landschaften oder gar Naturschutzparks von den alliierten Besatzungstruppen durch solche Panzermanöver zerstört werden?
Das ist mir nicht bekannt. Aber es ist ganz selbstverständlich, daß bewirtschaftetes Gelände, insbesondere Land- und Forstwirtschaftsgelände, als Truppenübungsplatz nicht in Frage kommen soll, solange unbebautes Gelände zur Verfügung steht.
Die Frage ist damit erledigt.
Meine Damen und Herren, die für die Fragestunde vorgesehene Zeit ist abgelaufen. Wie üblich werden die nicht erledigten Fragen schriftlich von der Bundesregierung beantwortet werden. Soweit gewünscht wird, daß die Fragen auf die Tagesordnung der nächsten Fragestunde gesetzt werden, bitte ich, sie erneut einzureichen.
Ich rufe auf den Punkt 2 der Tagesordnung:
a) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung über den Antrag der Fraktion der FDP betr. Ergänzung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (Drucksachen 799, 94);
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Fall John .
Der Antrag unter b der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der
SPD ist zur gleichen Frage, die der unter a aufgeführte Bericht behandelt, gestellt worden. Es ist eine interfraktionelle Vereinbarung darüber zustande gekommen, daß sowohl der Bericht wie der Antrag an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zurückverwiesen werden sollen. Ich darf annehmen, daß das Haus mit dieser Regelung einverstanden ist. — Das ist der Fall.
— Herr Abgeordneter Samwer?
Ich schlage zusätzlich die Überweisung an den Geschäftsordnungsausschuß vor.
Meine Damen und Herren, die interfraktionelle Vereinbarung sieht nur die Überweisung an den Rechtsausschuß vor. Der Geschäftsordnungsausschuß hat sich wiederholt damit befaßt.
Ich komme zur Abstimmung. Wer ist dafür, diesen Antrag und den Bericht an den Rechtsausschuß zurückzuverweisen? -- Diese Zurückverweisung ist erfolgt.
Wer ist weiterhin der Auffassung, daß Antrag und Bericht noch einmal an den Geschäftsordnungsausschuß zurückverwiesen werden müssen? — Wer ist dagegen? — Das zweite ist die Mehrheit; diese Zurückverweisung ist abgelehnt.
Ich komme zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Politik der Bundesregierung in den Angelegenheiten der Vertriebenen, Sowjetzonenflüchtlinge, Kriegssachgeschädigten und Evakuierten .
Zur Begründung der Großen Anfrage Herr Abgeordneter Heide, bitte. Nach einer Vereinbarung im Altestenrat ist eine Begründungszeit von 30 Minuten vorgesehen.
Heide , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Ihnen vorliegenden Großen Anfrage meiner Fraktion — Drucksache 725 — wird die Bundesregierung aufgefordert, allen Ernstes den Vertriebenen, Sowjetzonenflüchtlingen, Kriegssachgeschädigten und Evakuierten zu sagen, wie sie sich die verstärkte Eingliederung dieser Kriegsgeschädigten in nächster Zukunft denkt. Allein bei der Regierungserklärung vom 20. Oktober 1953 kann es in dieser Frage nicht bleiben. Der Herr Bundeskanzler erklärte damals, er werde alles daransetzen, die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge in verstärktem Maße fortzuführen und vorhandene oder sich noch ergebende Unvollkommenheiten möglichst zu beseitigen. Herr Kollege von Brentano als Fraktionsführer der größten Partei dieser Koalitionsregierung fügte in der darauf folgenden Debatte folgende Ausführungen hinzu:
Das Vertrauen dieser Millionen von Menschen verpflichtet uns, sie auch in den nächsten Jahren nicht zu enttäuschen, sondern von uns aus die Initiative zu ergreifen, die wir gar nicht unseren Freunden und Kollegen aus dem Kreis der Heimatvertriebenen überlassen dürfen und wollen, von uns aus diese Initiative zu ergreifen, um diesen Eingliederungsprozeß auf allen Gebieten mit dem größten Nachdruck zu fördern, damit — ich hoffe es —— so sagte er —
nach vier Jahren das Problem der Heimatvertriebenen in der politischen Diskussion keine Rolle mehr spielen wird mit Ausnahme der einen, daß diese Menschen auch nach vier Jahren in der gleichen Weise an ihre Heimat denken werden wie heute.
Man möchte schon sagen: das sind sehr schön klingende Worte. In der Zwischenzeit ist nun allerdings so gut wie ein Jahr vergangen. Die Geschädigten aber warten auf die Erfüllung der gemachten Erklärungen und Versprechungen; sie verlangen handgreifliche und sichtbare Programme und Maßnahmen, die materiell und zeitlich ihre Hoffnungen, die sie auf Grund der erwähnten Regierungserklärung gehegt haben, in nächster Zukunft erfüllen.
Ich möchte ergänzend noch hinzufügen: Meine Fraktion kann in den Verlautbarungen, die der Herr Bundesvertriebenenminister in Kundgebungen, Presseberichten, Interviews und Reden am Rundfunk gegeben hat, seit Beginn seiner Amtstätigkeit — leider, so muß man sagen — nur rein agitatorische Reden sehen, die unseres Erachtens über eine vollkommene Passivität in allen diesen Fragen hinwegtäuschen sollen.
Es kommt darauf an, zu erfahren, wie das Regierungsprogramm aussieht. Wir fordern im Interesse der Kriegsgeschädigten ein Programm und Maßnahmen, die ihre wirtschaftliche Eingliederung und soziale Befriedigung ohne Verzögerung sicherstellen. Besonders liegen uns dabei die Evakuierten am Herzen. Für diese verhältnismäßig kleine Gruppe der Kriegsgeschädigten ist zwar mittlerweile das Bundesevakuiertengesetz erlassen worden, das zunächst ihre Registrierung herbeiführte. Damit ist aber noch keine echte Rückführung in ihre Heimat und die Wiedererlangung verlorener beruflicher Existenz erreicht worden. Wir fragen die Bundesregierung, wann die Praktizierung des Evakuiertengesetzes besonders durch Erstellung von Wohnraum erfolgen wird, weil die Mittelbeschaffung hierfür die erste Voraussetzung für die Rückführung dieser Geschädigten ist.
Die Eingliederung und die soziale Befriedigung der Kriegsgeschädigten kostet natürlich Geld und, wie wir wissen, sogar sehr viel Geld. Die Maßnahmen zur wirtschaftlichen und sozialen Eingliederung können unseres Erachtens auf die Dauer nicht allein vom Lastenausgleichsfonds getragen werden. Für wirksame Hilfe ist das Problem der Vorfinanzierung nach wie vor dringend, und selbst die Koalitionsparteien im 1. Deutschen Bundestag haben durch ihren Antrag Drucksache Nr. 3373 die Dringlichkeit einer Vorfinanzierung anerkannt. Dieser Antrag bewog damals Herrn Abgeordneten Dr. Kather, trotz seiner Bedenken dem Lastenausgleichsgesetz zuzustimmen.
Um diese Vorfinanzierung geht es bei unserer Anfrage; und so fragen wir die Bundesregierung, wann sie von der im Lastenausgleichsgesetz gegebenen Vollmacht zur Vorfinanzierung des Lastenausgleichs im Interesse der Geschädigten Gebrauch machen will.
Sie wissen alle, wie es besonders mit der Eingliederung des vertriebenen Landvolks steht. Die hierüber erstellten und herausgegebenen Statistiken geben unseres Erachtens ein sehr trauriges Bild von den bisher erfolgten Maßnahmen. Der Bundestag und die vertriebenen Ostbauern wollen aber genauestens von der Bundesregierung erfahren, wie viele dieser Geschädigten wieder zur eigenen Scholle gekommen sind. Dabei legen wir besonderen Wert auf die Feststellung, wieviel Vollbauern-, Kleinbauern- und Nebenerwerbsstellen bisher bezogen worden sind. Der Herr Bundesvertriebenenminister sprach in seinem Zweijahresplan von der Ansiedlung von jährlich 20 000 ostdeutschen Bauern. Wir bitten ihn, uns sagen zu wollen, ob dieser Plan zur Durchführung gekommen ist.
Das Bundesvertriebenengesetz gibt immerhin genug Möglichkeiten, die Eingliederung des vertriebenen und geflüchteten Landvolks zu betreiben, und meine Fraktion will mit ihrer Großen Anfrage in Ziffer 4 Abs. C die Möglichkeiten aufzeigen, eine beschleunigte Eingliederung des Landvolks herbeizuführen. Diese Maßnahmen müssen aber konkret dargestellt und intensiver als bisher betrieben werden. Ist die Bundesregierung bereit, die hierfür erforderlichen Gesetzentwürfe dem Bundestag schnellstens vorzulegen?
Für uns alle wird die Sorge um die Eingliederung der Sowjetzonenflüchtlinge von Tag zu Tag größer. Was bisher an Maßnahmen auf diesem Gebiet getroffen worden ist, um diesen unglücklichen Menschen zu helfen, ist nach unserem Dafürhalten mehr als unzureichend. Das Notwendige hierfür einfach auf den Lastenausgleich abzuwälzen, wird doch für die Dauer nicht angehen, und die bereits unhaltbar gewordenen Zustände, die drohen, sich an Umfang noch zu erweitern, zwingen bei diesen Opfern der Nachkriegspolitik zu besonderen, grundlegenden gesetzlichen Maßnahmen.
Dabei verweisen wir ganz besonders auf die Ziffer 6 unserer Großen Anfrage. Die Bundesregierung hat nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes die moralische Verpflichtung, den Vertriebenen ihr Kulturgut zu erhalten. Das liegt nicht nur im Sinne und Interesse der Vertriebenen allein, sondern weit darüber hinaus auch im Interesse des gesamten deutschen Volkes, und wir fordern, daß alles getan wird, was zur Sicherung, Ergänzung und Auswertung besonders der Archive und Bibliotheken erforderlich ist. Auch hierfür halten wir gesetzgeberische Maßnahmen für unbedingt ratsam.
Abschließend möchte ich zur Begründung sagen: Meine Fraktion steht auf dem Standpunkt, daß es höchste Zeit ist, von ,den Erklärungen und Deklamationen für die Kriegsgeschädigten zur praktischen Durchführung überzugehen. Noch ist viel. sehr viel zu tun, um die berchtigten Wünsche und Interessen der Vertriebenen, Sowjetzonenflüchtlinge, Evakuierten und Kriegssachgeschädigten im Wege der Gesetzgebung konkreter festzulegen. Diese Geschädigtengruppen erwarten, daß unsere Große Anfrage der Motor sein wird, Versäumtes nachzuholen, um die Frage der Eingliederung nicht bis auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Die Geschädigten aller Kategorien erwarten von der Bundesregierung nicht nur Reden und Redensarten, sondern Taten.
So bitten wir Sie, Herr Bundesvertriebenenminister, der Sie nach Ihrem Ressort unseres Erachtens als erster zuständig sind, aber auch alle anderen zuständigen Regierungsstellen, unsere Große Anfrage beantworten zu wollen.
Zur Beantwortung der Großen Anfrage der Herr Bundesminister für Vertriebene.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zur Beantwortung der Großen Anfrage übergehe, möchte ich eine grundsätzliche Bemerkung machen. In der Sorge um die Eingliederung, die soziale Gleichberechtigung und die Verwirklichung des Heimatrechtes bestehen zwischen Regierung und Opposition höchstens deklamatorische, niemals aber faktische Unterschiede. Aus dieser Erkenntnis habe ich die Große Anfrage als den Ausdruck des Bestrebens aufgefaßt, Erreichtes zu erfahren, Schwierigkeiten kennenzulernen und sie beseitigen zu helfen. Im übrigen, glaube ich, sind wir darin einig, daß noch viel, sogar sehr viel zu tun übrigbleibt.
Im einzelnen darf ich wie folgt antworten.
In Ziffer 1 wird die Bundesregierung gefragt, wann sie ein umfassendes Programm der wirtschaftlichen Eingliederung und sozialen Befriedung der Geschädigten aufstellen wird und ob sie bereit ist, die Maßnahmen hierfür im Rahmen eines solchen Programms ohne Verzögerung sicherzustellen. Ich darf hierzu zunächst auf den von mir im November 1953 aufgestellten Zweijahresplan hinweisen. Dieser enthielt Vorschläge zur Durchführung und Finanzierung der in den nächsten zwei Jahren zu leistenden Eingliederungsarbeit für Vertriebene und Flüchtlinge. Die Bundesregierung hat diesem Programm im Dezember 1953 zugestimmt. Ich habe mir erlaubt, vor einiger Zeit den Fraktionen des Bundestages diesen Plan zu übermitteln, und ich darf daher seinen Inhalt als bekannt voraussetzen.
In diesem Plan konnten noch nicht die Belange der Kriegssachgeschädigten und Evakuierten behandelt werden, da deren Betreuung erst seit dem 1. April 1954 in die Zuständigkeit meines Ministeriums übergegangen ist. Der Plan ist unterdessen hinsichtlich dieser Geschädigtengruppen ergänzt worden. Es hat sich ferner gezeigt, daß gewisse Abänderungen notwendig sind, die in der inzwischen vollzogenen Entwicklung begründet sind.
Dieser Zweijahresplan wird von mir als ein Teil, allerdings als der wichtigste Teil eines umfassenden Eingliederungsprogramms angesehen. Es ist bekannt, daß schon vor Gründung der Bundesrepublik von den Ländern verschiedene Einzelplanungen zum Vertriebenen- und Flüchtlingsproblem entwickelt worden sind. Diese Vorhaben bildeten nach Gründung der Bundesrepublik die Grundlage für die Maßnahmen der Bundesregierung. Sie wurden erweitert um die Möglichkeiten, die sich erst aus der Gründung der Bundesrepublik ergaben. Unter Ausnutzung der inzwischen gemachten Erfahrungen und den Anregungen von Bundestag und Länderregierungen folgend, entwickelte sich ein Gesamtprogramm der Bundesregierung, das seinen Niederschlag in den einschlägigen dem Bundestag vorgelegten Gesetzentwürfen und in einer Reihe von Verwaltungsmaßnahmen und Verwaltungsanordnungen gefunden hat.
Um ihre Auffassung von den notwendigerweise zu ergreifenden Maßnahmen auch auf internationaler Basis zur Diskussion zu stellen, hat die Bundesregierung im Jahre 1950 auch von den Möglichkeiten der ECA Technical Assistance Gebrauch gemacht und die Hilfe dieser Einrichtung in Anspruch genommen. Das Ergebnis dieser Arbeit ist in dem bekannten Bericht der Sonne-Kommission für Eingliederung der Flüchtlinge in die deutsche Bundesrepublik niedergelegt.
Wohl haben sich im Laufe der Jahre aus jeweils gewonnenen neueren Erkenntnissen die Methoden der Eingliederungspolitik im einzelnen gewandelt. Es kann jedoch gesagt werden, daß das große Ziel der Bundesregierung und aller für das Problem verantwortlichen Menschen und Stellen unverändert geblieben ist. Mit allen Kräften setzt sich die Bundesregierung dafür ein, den Vertriebenen und Flüchtlingen in kürzester Zeit einen Eingliederungsstand zu verschaffen, der es ihnen ermöglicht, vollwertige Mitglieder der deutschen Lebensgemeinschaft und Volkswirtschaft zu sein und sich für den Tag der Rückkehr in die Heimatgebiete lebensfähig zu erhalten.
Über die Tatsache, daß wir die Vertriebenen und Flüchtlinge im Rahmen des Möglichen einzugliedern haben, daß aber diese Eingliederung die Heimat nicht ersetzen kann, herrscht in diesem Hohen Hause Einverständnis. Das Heimatrecht ist ein fundamentales, der Entscheidungsfreiheit des Individuums zustehendes Recht. Es liegt darum nicht in der Vollmacht eines Staates, das Heimatrecht abzusprechen oder auf es zu verzichten. Das Recht ist nicht identisch mit Gewalt. Die Charta der Vertriebenen, die auf Haß, Rache und Gewalt verzichtet hat, ist auch für die Bundesregierung fundamentales Gebot. Es führte zwangsläufig die Vertriebenen zu einem konstruktiven, phrasenlosen Europagedanken.
Das Bundesvertriebenengesetz vom 19. Mai 1953 hat die gesetzlichen Möglichkeiten für eine Reihe von Eingliederungsmaßnahmen geschaffen. Es ist Aufgabe der für die Durchführung dieses Gesetzes zuständigen Länder, die einzelnen Bestimmungen möglichst wirksam zu machen.
Bevor ich nunmehr auf die jeweiligen Abschnitte des Zweijahresplans eingehe, habe ich zu bemerken, daß die Bundesregierung sich nicht nur für die Vertriebenen und Flüchtlinge einsetzt, sondern mit gleichem Schwergewicht für die Belange der Kriegssachgeschädigten und insbesondere der Evakuierten. Die Bundesregierung hat dafür Sorge getragen — und sie wird dies weiter tun —, daß die einzelnen Geschädigtengruppen jeweils gerecht und ihren Bedürfnissen entsprechend bei allen Hilfsmaßnahmen berücksichtigt werden.
In jedem Abschnitt des Zweijahresplans werden zunächst die bisherigen Leistungen, alsdann die Aufgaben in den nächsten zwei Jahren und zum Schluß die Finanzierung behandelt. Der Abschnitt A betrifft die selbständige Erwerbstätigkeit in der gewerblichen Wirtschaft und in freien Berufen. Ende des Jahres 1953 konnten unter den Vertriebenen 59 000 selbständige Handwerker, 44 000 Selbständige in Handel und Verkehr und 2420 Inhaber von Industriebetrieben mit mehr als 10 Beschäftigten gezählt werden. Bei dieser an sich erfreulichen Leistungsziffer darf aber nicht übersehen werden, daß die Vertriebenen erst 5 % aller selbständigen Unternehmer darstellen gegenüber einem Vertriebenenanteil an der Gesamtbevölkerung von 17 N. Außerdem sind in diesen Zahlen sehr viele Klein-und Kleinstbetriebe und auch die vielen Kümmerexistenzen mit enthalten.
Die in den nächsten zwei Jahren vor uns liegenden Aufgaben werden außer mit Landesmitteln vornehmlich mit Mitteln des Lastenausgleichs zu erfüllen sein. Eine Kontingentierung von Lastenausgleichshilfen auf Vertriebene und Kriegssachgeschädigte erfolgt nicht, sondern Entscheidungen über die eingegangenen Anträge werden bekannt-
lieh je nach der Bonität und dem Grad der notwendigen Existenzsicherung getroffen. Bisher entfielen etwa 60 % der genehmigten Anträge für gewerbliche Aufbaudarlehen aus dem Lastenausgleich auf Vertriebene und etwa 40% auf Kriegssachgeschädigte. Die Ermittlung des Finanzbedarfs für die einzelnen Hilfen, also für Aufbaudarlehen für Neugründungen, für Betriebserweiterungen, für Aufstockung bereits gewährter Darlehen und für die Umschuldung von Bankdarlehen ergibt Beträge, die im Jahre 1954 gedeckt sind, während die Finanzierung für 1955 zum Teil noch offen ist. Ebenso dürfte es nicht möglich sein, den ganzen mit etwa 50 Millionen DM bezifferten Jahresbedarf der Sowjetzonenflüchtlinge an Aufbaudarlehen in den nächsten Jahren aus dem Härtefonds des Lastenausgleichs zu entnehmen, da dieser hierfür nicht ausreicht.
Im Abschnitt B sind die Bedürfnisse der ländlichen Siedlung behandelt. Ich spreche hierzu später in Beantwortung der Ziffer 4 der Großen Anfrage.
Zum Abschnitt C, Arbeitnehmer, möchte ich vor allem darauf hinweisen, daß der Grad der Arbeitslosigkeit unter den Vertriebenen seit Jahren im Sinken ist. Im Jahre 1949 waren etwa 38 % aller Arbeitslosen Vertriebene; Ende August 1954 waren es nur noch 25,7 %. Diese an sich erfreuliche Tatsache darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Arbeitslosigkeit bei den Vertriebenen noch überdurchschnittlich hoch ist, denn ihr Bevölkerungsanteil beträgt bekanntlich nur 17,1 %. Insbesondere in den Hauptflüchtlingsländern ist die Arbeitslosigkeit der Vertriebenen stark, und ein großer Teil der im Bundesgebiet vorhandenen teilweise strukturellen Arbeitslosigkeit ist bei den Vertriebenen zu verzeichnen.
Zu der günstigen Entwicklung haben zwei Maßnahmen beigetragen, nämlich einmal das Heranbringen der Menschen an den Arbeitsplatz, also die Umsiedlung, und zum zweiten das Heranbringen der Arbeitsplätze an den Menschen, also die Arbeitsplatzbeschaffung, vornehmlich in den Hauptflüchtlingsländern und im Zonenrandgebiet. Diese Maßnahmen müssen weiter fortgesetzt werden.
Statistische Feststellungen über Zahl und Anteil der unter den übrigen Arbeitslosen befindlichen Kriegssachgeschädigten sind nicht möglich. In den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen dürfte ihr Anteil allerdings beträchtlich sein. Bei den Evakuierten haben wir eine Zählung aus dem Oktober 1952, bei der 20 500 arbeitslose Evakuierte vorhanden waren, von denen allerdings nur 11 800 voll einsatzfähig waren.
Im Abschnitt D sind zunächst Mitteilungen über die wohnraummäßige Unterbringung der Vertriebenen gemacht. Nach den Ergebnissen der Wohnungszählung von 1950 waren damals 68% aller vertriebenen Wohnparteien schlecht untergebracht, d. h. in Notunterkünften, Lagern, als Untermieter oder in überbelegten Wohnungen. Zu Anfang dieses Baujahres wird dieser Prozentsatz auf etwa 54 % gesunken sein. Eine halbe Million Vertriebenen-und Flüchtlingsfamilien dürften bis zum Beginn dieses Baujahres eine Neubauwohnung erhalten haben.
Wegen des hohen Anteils der noch schlecht Untergebrachten werden alle Anstrengungen gemacht werden müssen, um den Anteil der Vertriebenen am sozialen Wohnungsbau möglichst hoch zu halten. Im Jahre 1953 hat er bei 44 % gelegen. An dem frei finanzierten Wohnungsbau sind die Vertriebenen naturgemäß fast gar nicht beteiligt. Ihr Anteil wird von Land zu Land und von Gemeinde zu Gemeinde verschieden hoch sein, zumal wenn man berücksichtigt, daß ein gleichberechtigtes Interesse der Kriegssachgeschädigten vorhanden ist, den gebührenden Anteil am sozialen Wohnungsbau zu erhalten. Diese Verteilung des neuen Wohnraums auf die Geschädigtengruppen ist seit jeher Aufgabe der Länder gewesen. Hierbei ist aber in den Richtlinien für den Einsatz der Lastenausgleichsmittel vorgeschrieben, daß bei der Zuweisung der mit ihrer Hilfe errichteten Wohnungen die jeweiligen Anteile in einem angemessenen Verhältnis zu dem örtlichen Gesamtbedarf der einzelnen Geschädigtengruppen zu halten sind.
Abgesehen von der Sonderfinanzierung des Wohnungsbaus für Umsiedler einschließlich der Evakuierten und für Sowjetzonenflüchtlinge ist die Finanzierung für den gesamten sozialen Wohnungsbau durch die Globalzuteilung von Bundeshaushaltsmitteln und Lastenausgleichsmitteln gesichert.
Im Abschnitt E wird die Umsiedlung behandelt. Bis zum 31. August 1954 sind 679 000 Personen aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern umgesiedelt worden. Die Umsiedler sind in Neubauwohnungen untergebracht und, soweit sie arbeitsfähig sind, bis auf einen Rest von vielleicht 5 % in Arbeit vermittelt worden.
Der Bundestag hatte seinerzeit die Umsiedlungsaktion auf 900 000 Personen festgesetzt. Die Durchführung dieses Gesamtprogramms, das durch Einschluß von Evakuierten und Sowjetzonenflüchtlingen nunmehr auf 915 000 Personen beziffert ist, wird zum Ende des Jahres 1955 verwaltungsmäßig abgeschlossen sein; ein Überhang in das Jahr 1956 ist hierbei nicht vermeidbar. Die Finanzierung für diesen Restabschluß ist nunmehr gesichert. Dem Bundesrat liegt zur Zeit eine Verordnung vor, nach der der nachstellige Finanzbedarf für die restliche Umsiedlung von 165 000 Personen in Höhe von 350 Millionen DM wie folgt gedeckt wird: 75 Millionen DM Wohnraumhilfemittel des Lastenausgleichs aus dem Rechnungsjahr 1954, 25 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt — Rechnungsjahr 1954 —, 50 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt — Rechnungsjahr 1955 — und 200 Millionen DM aus Erlösen der Umsiedlungsanleihe, die in die Bundeshaushalte 1955 und 1956 mit je 100 Millionen DM eingestellt werden. Außerdem sind 60 Millionen DM Aufbaudarlehen des Lastenausgleichs an Stelle des fehlenden Eigenkapitals zur Verfügung gestellt.
Als eine zweite Aufgabe hatte es sich der Zweijahresplan zum Ziele gesetzt, eine Umsiedlung von weiteren 300 000 Personen vorzubereiten. Diese soll nicht nur als Umsiedlung von Land zu Land, sondern zum Teil auch als eine Umsiedlung innerhalb der Länder erfolgen. Der Finanzbedarf für diese weitere Umsiedlung ist mit etwa 675 Millionen DM berechnet. Die Verhandlungen über seine Deckung sind bereits im Gange.
Neu aufgenommen in den Zweijahresplan ist ein Abschnitt über die Evakuiertenrückführung. Die Mitteilungen hierin über die bisherige Leistung, die Aufgabe der nächsten zwei Jahre und die Finanzierung werde ich nachher in meiner Antwort zu Ziffer 2 der Großen Anfrage bringen.
Es war bei Aufstellung des Zweijahresplans im November 1953 besonders schwierig, im Abschnitt F etwas über die Aufgaben hinsichtlich der Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone zu sagen.
Hier ist ein Planung über zwei Jahre unmöglich; denn solange die gesamtdeutsche Frage nicht gelöst ist, werden wir mit Aufgaben und Überraschungen zu rechnen haben. Damals war es zunächst notwendig, Vorkehrungen zur wohnungsmäßigen Unterbringung für die vom 1. Februar 1953 bis zum 31. März 1954 eintreffenden Flüchtlinge zu treffen. Es war veranlaßt worden, daß die Länder je Kopf der von ihnen aufzunehmenden Flüchtlinge einen Betrag von 1500 DM erhalten. 337 538 Notaufgenommene sind in dieser Zeit in die Länder, einschließlich Berlin, eingewiesen worden. Auf Grund neuerer Unterlagen kann man annehmen, daß hiervon für 280 000 Personen ein Wohnraumbedarf zu befriedigen ist; denn bei einem großen Teil der alleinstehenden Jugendlichen und auch zu einem Teil bei den übrigen Personen hat die Erfahrung gelehrt, daß diese ohne eigenen Wohnraumbedarf untergebracht werden können. Hierfür waren zunächst 280 Millionen bereitgestellt, die seitdem durch weitere 70 Millionen DM Bundeshaushaltsmittel aufgestockt wurden. Durch eine großherzige Spende aus FOA-Mitteln wurden 63 Millionen DM für den Flüchtlingswohnungsbau gegeben, die entsprechend dem Willen der Spender mit 20 Millionen DM ein zusätzliches Programm für Berlin darstellen. Den Ländern standen mithin insgesamt 413 Millionen DM für diese Zeit zur Verfügung.
Für die ab 1. April 1954 den Ländern zugewiesenen Sowjetzonenflüchtlinge — wir schätzen für das Rechnungsjahr 1954 etwa 130 000 Aufzunehmende — sollen in den Haushalt 1955 45 Millionen DM eingesetzt werden. Allerdings sollen von diesem Zeitpunkt ab nur für solche Sowjetzonenflüchtlinge zusätzliche Bundesmittel gegeben werden, die nicht auf Grund des Art. 11 Abs. 2 des Grundgesetzes — nach dem die Freizügigkeit nur für bestimmte Fälle eingeschränkt werden darf — oder aus Ermessensgründen Aufnahme finden.
In den Zweijahresplan sind als Abschnitt G die Gebiete an der Zonengrenze und die Notstandsgebiete aufgenommen. Das besondere Interesse meines Ministeriums gilt hier neben der allgemein politischen Bedeutung der Tatsache, daß diese weniger entwickelten und bedrohten Gebiete überdurchschnittlich mit Vertriebenen belegt sind. In Rheinland-Pfalz ist überdies die Rote Zone wegen des dort herrschenden landwirtschaftlichen Notstandes durch Kriegszerstörungen von der Bundesregierung als Notstandsgebiet anerkannt worden. Alle Maßnahmen, die zugunsten der Zonenrand- und der Notstandsgebiete geschehen, wirken sich unmittelbar auf die dort wohnenden Vertriebenen und Kriegsgeschädigten aus.
Der Bundestag hat sich wiederholt mit den hier anstehenden ernsten Fragen beschäftigt, und er wird es morgen wieder tun. Der Beschluß des Bundestags in seiner Sitzung vom 2. Juli 1953 ist Ihnen bekannt. Erfreulicherweise konnten seitdem eine Reihe Förderungsmaßnahmen durchgeführt werden, über die Ihnen seinerzeit der Herr Bundeswirtschaftsminister berichtet hat. Die Richtlinien über die Bevorzugung des Zonenrandgebietes, von Berlin und von Wilhelmshaven bei Erteilung öffentlicher Aufträge sind am 31. März 1954 von der Bundesregierung beschlossen worden. Ich habe mich für diese Maßnahme besonders eingesetzt und dabei in Kauf genommen, daß die gemäß Bundesvertriebenengesetz vorgeschriebene Bevorzugung von Vertriebenen und Flüchtlingen bei der Erteilung öffentlicher Aufträge durch diese Ausweitung der Bevorzugung auf große Gebiete der Bundesrepublik etwas an Gewicht verliert. Wichtiger aber war für die Bundesregierung und für mich die Beachtung der übergeordneten politischen Gesichtspunkte, die eine Förderung des Zonenrandgebiets verlangen.
Es ist Ihnen auch bekannt, daß im Haushalt 1954 120 Millionen DM — minus 4 °/o allgemeine Kürzung — zur Steigerung der Wirtschaftskraft und zur Beseitigung von Wirtschaftsschäden im Zonenrandgebiet und für die Grenzgebiete von Rheinland-Pfalz eingesetzt worden sind. Daneben sind wiederum 48 Millionen DM für die Notstandsgebiete und ferner für Behebung der Kriegs- und Nachkriegsschäden in Kehl und Helgoland gegeben worden.
Die Lage der vertriebenen Jugend, im Abschnitt H behandelt, ist dadurch gekennzeichnet, daß die Zahl der vertriebenen Schüler an höheren Schulen, Mittelschulen und Fachschulen nunmehr derart angewachsen ist, daß sie dem Anteilsatz der Vertriebenenbevölkerung an der Gesamtbevölkerung entspricht. Dies ist ein wirklich sehr erfreulicher Erfolg. Hierzu haben einmal die entbehrungsreichen Anstrengungen der vertriebenen Eltern verholfen, aber auch die von der öffentlichen Hand gegebenen Ausbildungshilfen. Insbesondere sind es der Bundesjugendplan und der Lastenausgleich, die hier segensreich und wirklich in produktivem Einsatz gewirkt haben. Nicht ganz befriedigen kann der Stand bei den vertriebenen Lehrlingen, denn nach den allerdings unvollkommenen Statistiken scheint sich der Anteil der vertriebenen Lehrlinge an der Gesamtzahl der Lehrlinge in den letzten Jahren zu verschlechtern. — Mangels statistischer Unterlagen lassen sich die für die kriegssachgeschädigte und für die evakuierte Jugend aus den einzelnen Finanzquellen gegebenen Hilfen nicht ermitteln.
Im letzten Abschnitt — J — des Zweijahresplans ist die dringende Aufgabe der Lagerräumung behandelt. Heute sind etwa 290 000 Lagerinsassen vorhanden, das sind Vertriebene, frühere Sowjetzonenflüchtlinge, Evakuierte und heimatlose Ausländer. Genauere statistische Unterlagen liegen leider noch immer nicht vor. Wir hoffen, daß wir im Frühjahr 1955 zu genauen Zahlen kommen. — Ferner sind zur Zeit etwa 140 000 Flüchtlinge aus der Sowjetzone zwischenzeitlich in Kasernen, Durchgangslagern der Länder und Lagern der Gemeinden untergebracht.
Es oblag früher in erster Linie den Ländern, durch geeignete Maßnahmen für die Auflösung der Lager zu sorgen, z. B. durch Abzweigung von Wohnungsbaumitteln zum Ersatzwohnungsbau und dergleichen. Im Zusammenhang mit den Maßnahmen aus Anlaß der Verstärkung der alliierten Streitkräfte werden, falls Lager geräumt werden müssen, seit 1950 nicht mehr neue Lager errichtet, sondern vollwertige Wohnungsbauten in arbeitsmarktpolitisch günstigen Standorten für die räumungsbetroffenen Lagerinsassen erstellt.
In diesem Jahre lief inzwischen das erste Räumungsprogramm durch Bereitstellung von bis zu 30 Millionen DM Kriegsfolgenhilfe-Mitteln für die Finanzierung von Wohnungsbauten an. Weitere 20 Millionen DM wurden hierfür durch Aufbaudarlehen aus dem Lastenausgleich gewonnen. Das Ziel ist, bis Ende dieses Rechnungsjahres baulich schlechte Lager mit insgesamt 30 000 Insassen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern aufzulösen. Im nächsten Jahr — 1955 — sollen weitere
schlechte Kriegsfolgenhilfe-Lager im gesamten Bundesgebiet aufgelöst werden, und zwar mit etwa 40 000 Insassen, durch Schaffung von etwa 10 000 Neubauwohnungen. Der Finanzierungsplan dieses Programms für 1955 sieht global zuzuweisende Bundeshaushaltsmittel für den sozialen Wohnungsbau und Lastenausgleichsmittel vor. Die Bundesregierung erwartet, daß hierzu zusätzlich eine Beteiligung aus den Mitteln erreicht wird, die der Bund den Ländern im Rahmen der Kriegsfolgenhilfe nach dem Finanzanpassungsgesetz künftig pauschal für Lagerzwecke zur Verfügung stellen wird.
Im übrigen sind die Räumungsmaßnahmen objektbezogen und umfassen daher auch Evakuierte, soweit solche in den aufzulösenden Kriegsfolgenhilfelagern untergebracht sind. Insgesamt dürften im Bundesgebiet etwa 25 000 Evakuierte in Lagern leben.
Die Bundesregierung sieht die beschleunigte Auflösung der Lager als eine der wichtigsten sozialen Aufgaben an. Denn die Lager bedeuten einen Verschleiß menschlicher Kraft und eine Vergeudung öffentlicher Mittel.
Zu Ziffer 2 der Großen Anfrage:
Zur Durchführung des Bundesevakuiertengesetzes vom 14. 7. 1953 liegt dem Kabinett zur Zeit eine Verordnung vor, nach der das Anmeldeverfahren, d. h. die Abgabe einer Erklärung des Rückkehrwillens gemäß § 2 Abs. 1, innerhalb einer Frist von 3 Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung abgeschlossen wird. Diese Frist wird voraussichtlich nu t dem Ende des Monats Januar 1955 auslaufen.
In der Frage der Bereitstellung von Wohnungsbaumitteln für die Rückführung von Evakuierten muß man drei verschiedene Förderungsmaßnahmen unterscheiden, nämlich 1. die Rückführung der Evakuierten innerhalb der gesetzlichen Umsiedlung aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern,
2. die Rückführung aus den anderen Ländern und
3. die Rückführung innerhalb der einzelnen Länder.
Zu 1: Im Rahmen der bis jetzt gesetzlich angeordneten Umsiedlungsmaßnahmen werden bis Ende 1954 rund 25 000 Evakuierte aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern in ihre Herkunftsländer zurückgeführt sein. Darüber hinaus sieht die derzeit dem Bundesrat vorliegende Verordnung über den zweiten Abschnitt des dritten Umsiedlungsprogramms die Rückführung von abermals mindestens 22 500 Evakuierten aus diesen drei Ländern vor. Mit Hilfe der Umsiedlung werden mithin rund 50 000 Evakuierte zurückgeführt. Hierfür sind 110 Millionen DM Bundeswohnungsbaumittel zur Verfügung gestellt; es werden etwa 14 000 Wohnungen erstellt.
Zu 2: Zur Rückführung von Evakuierten aus den übrigen Ländern sind im April 1954 20 Millionen DM Wohnraumhilfemittel des Lastenausgleichs gegeben worden. Die Bereitstellung weiterer 20 Millionen DM an Bundesmitteln ist in Aussicht genommen. Mit diesen 40 Millionen DM können etwa 20 000 Evakuierte zurückgeführt werden. Sollte sich nach der laufenden Registrierung ein höherer Bedarf in diesen Ländern ergeben, so wäre die Zweckbindung von 20 Millionen DM Bundeswohnungsbaumitteln zu veranlassen. Mit den insgesamt 60 Millionen DM würden rund 30 000 Evakuierte zurückgeführt werden können und etwa 10 000 Wohnungen erstellt werden.
Zu 3: Die Rückführung von Evakuierten innerhalb der einzelnen Länder ist zunächst finanziell dadurch gefördert worden, daß aus dem Lastenausgleich im April 1954 90 Millionen DM Wohnraumhilfemittel den Ländern zugeteilt worden sind, und zwar für Zwecke der Umsiedlung und der Evakuiertenrückführung. Voraussichtlich werden 50 % der mit Hilfe dieser Mittel zu erstellenden Wohnungen Evakuierten zugute kommen; das sind etwa 23 000 Evakuierte mit 7000 Wohnungen. Für den gleichen Zweck ist die Bindung von Bundesmitteln des Rechnungsjahres 1955 in Höhe bis zu 70 Millionen DM in Aussicht genommen, so daß hierdurch die Rückführung von weiteren 18 000 Evakuierten innerhalb der Länder zusätzlich finanziert werden könnte.
Zusammengefaßt ergibt sich folgende Zahlenübersicht:
Bisher bereitgestellte Mittel für die Evakuiertenrückführung:
innerhalb der Umsiedlung aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern 110 000 000 DM
aus den übrigen Ländern 20 000 000 DM
innerhalb der einzelnen Länder 45 000 000 DM
zusammen bisher bereitgestellt 175 000 000 DM.
Zunächst in Aussicht genommene Mittel für die Evakuiertenrückführung:
aus den übrigen Ländern außer-
halb der Umsiedlung 40 000 000 DM
innerhalb der einzelnen Länder 35 000 000 DM
zusammen in Aussicht genommen 75 000 000 DM.
Zusammen sind es 250 000 000 DM, die für die Schaffung von Wohnraum für die Rückführung der Evakuierten bereitgestellt oder in Aussicht genommen sind.
Zu Ziffer 3 der Großen Anfrage. Die Grundlage für die Vorfinanzierung des Lastenausgleichs bildet der Beschluß des Bundestages vom 16. Mai 1952. In Ausführung dieses Beschlusses sind bereits umfangreiche Vorfinanzierungsmaßnahmen getroffen worden, die folgende Erträge erbracht haben: durch vorzeitige Ablösung der drei Lastenausgleichsabgaben gemäß § 199 des Lastenausgleichsgesetzes 180 Millionen DM; auf Grund der Steuervergünstigungen aus § 7 f des Einkommensteuergesetzes 252 Millionen DM; aus der Auflegung einer ersten Tranche der Lastenausgleichs-Bankanleihe 200 Millionen DM; zur Förderung des Wohnungsbaus für Umsiedler 224 Millionen DM, zusammen also 856 Millionen DM.
Es ist damit zu rechnen, daß bis zum 31. Dezember 1954 aus § 7 f, der nach der derzeitigen Rechtslage zu diesem Zeitpunkt auslaufen soll, dem Ausgleichsfonds noch Einnahmen für das Rechnungsjahr 1954 zufließen, die wahrscheinlich weit über die erwartete Summe von 100 Millionen DM hinausgehen werden. Ferner ist die Auflegung einer Umsiedlungsanleihe von 200 Millionen DM vorgesehen.
Die Auflegung einer zweiten und dritten Tranche der Lastenausgleichsbankanleihe in Höhe von zusammen 400 Millionen DM steht noch aus. Diese 400 Millionen DM sind in dem Wirtschafts- und Finanzplan des Ausgleichsfonds für 1954 auf der Einnahmeseite bereits eingesetzt. Die Auflegung wird erfolgen, sobald der Fonds dieser Gelder tatsächlich bedarf.
Über diese genannten bereits erfolgten und für die nächste Zukunft beabsichtigten Vorfinanzierungsmaßnahmen hinaus wird die Bundesregierung anstreben, weitere Vorfinanzierungsmaßnahmen auf einem Wege, der sich zu gegebener Zeit über Haushaltsmittel oder über den Kapitalmarkt bietet, zu treffen. Diese Bereitschaft der Bundesregierung wird nicht dadurch gemindert, daß die gegenwärtigen Kassenbestände und sonstigen flüssigen Mittel des Ausgleichsfonds einen erheblichen Betrag —zur Zeit etwa 500 Millionen DM — erreichen. Das bisher auf gewissen Teilgebieten nicht befriedigende Tempo des Abflusses der dem Ausgleichsfonds zur Verfügung stehenden Mittel liegt in der Begrenztheit der verwaltungsmäßigen Leistungsfähigkeit der Ausgleichsbehörden, also hei den Ländern sowie bei den Stadt- und Landkreisen, begründet. Die Bundesregierung und der Präsident des Bundesausgleichsamtes sind bemüht, die personelle Leistungsfähigkeit der Ausgleichsbehörden laufend zu steigern. Diese Bemühungen finden allerdings ihre Begrenzung darin, daß das Lastenausgleichsgesetz nicht unmittelbar von der Bundesregierung durchgeführt wird, sondern im Wege der Auftragsverwaltung von den Ländern sowie den Stadt- und Landkreisen. Durch Maßnahmen der Länder und der Kreisverwaltungen konnte aber die Leistungsfähigkeit der Ausgleichsbehörden seit dem Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes schon sehr erheblich erhöht werden. Der Bund erleichtort in Durchführung von § 351 des Lastenausgleichsgesetzes diese Maßnahmen, indem er 50 % der entstehenden Kosten übernimmt. Für die Durchführung von § 351 des Lastenausgleichsgesetzes konnte nach Überwindung gewisser technischer Anlaufschwierigkeiten inzwischen eine für die Beteiligten befriedigende Lösung gefunden werden. Durch zu erwartende weitere Steigerungen der Leistungsfähigkeit der Ausgleichsbehörden ist mit einem schnelleren Abfluß der dem Ausgleichsfonds zur Verfügung gestellten Mittel und damit mit einer schnelleren Befriedigung der Anspüche der Lastenausgleichsberechtigten zu rechnen.
Zu Ziffer 4 A der Großen Anfrage. Das am 5. Juni 1953 in Kraft getretene Bundesvertriebenengesetz ist an Stelle des Flüchtlingssiedlungs-Gesetzes vom 10. August 1949 getreten. Da jedes Gesetz eine gewisse Anlaufzeit benötigt, ist davon auszugehen, daß die nach dem Inkrafttreten des Bundesvertriebenengesetzes von den Ländern gemeldeten Eingliederungen noch nach dem Flüchtlingssiedlungsgesetz durchgeführt worden sind.
Seit dem Inkrafttreten des Flüchtlingssiedlungsgesetzes sind insgesamt 52 732 Vertriebene und Flüchtlinge in die Landwirtschaft im Wege der Neusiedlung und durch Übernahme bestehender landwirtschaftlicher Betriebe eingegliedert worden. Davon entfallen auf das zweite Halbjahr 1953 5379 Fälle. Für das erste Halbjahr 1954 ist schätzungsweise mit dem gleichen Ergebnis zu rechnen.
Von den in der Zeit vom 1. Juli 1953 bis 30. Juni 1954 geförderten Flüchtlingssiedlungsstellen sind 60 bis 65 % als Nebenerwerbsstellen oder bäuerliche Aufbaustellen anzusehen. Im Siedlungsprogramm 1954 sind bei den Neusiedlerstellen rund 80 % und bei den Eingliederungsfällen — Kauf und Pacht landwirtschaftlicher Betriebe — rund 52 % Nebenerwerbsstellen bzw. bäuerliche Aufbaustellen vorgesehen.
Zu Ziffer 4 B. Das auf Grund der Angaben der Länder aufgestellte und vom Kabinettsausschuß im Juni 1954 gebilligte Siedlungsprogramm der Bundesregierung sieht vor, daß 6325 Neusiedlerstellen an Vertriebene und Sowjetzonenflüchtlinge vergeben werden und daß 10 056 landwirtschaftliche Betriebe im Wege des Kaufs oder der Pacht von diesem Personenkreise übernommen werden sollen. Insgesamt ist also mit der Ansetzung von 16 381 vertriebenen und geflüchteten Bauernfamilien im Jahre 1954 zu rechnen. Dies ist ein Bestandteil des Gesamtsiedlungsprogramms 1954 mit einem Geldbedarf von etwa 600 Millionen DM und einem Landanfall von zirka 92 000 ha.
Für das Jahr 1955 ist mit einer verstärkten Siedlungstätigkeit der Länder zugunsten der Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlinge zu rechnen, zumal sich dann die erweiterten Finanzierungsmöglichkeiten des Bundesvertriebenengesetzes und des Lastenausgleichsgesetzes auswirken werden. Auf Grund der Erfahrungen, die mit dem vorliegenden Programm für das Jahr 1954 gesammelt werden, wird das Bundesernährungsministerium ein langfristiges Siedlungsprogramm aufstellen.
Zu Ziffer 4 C. Die Frage der Altersversorgung von Eigentümern auslaufender Höfe, die bereit sind, ihre Betriebe an Vertriebene zu veräußern oder zu verpachten, ist im Bundesernährungsministerium zur Zeit Gegenstand eingehender Untersuchungen, die besonders auch mit dem Deutschen Bauernverband und dem Bauernverband der Vertriebenen durchgeführt werden. Von dem Ergebnis dieser Untersuchungen wird es abhängen, ob .die in den §§ 42 und 46 Abs. 6 des Bundesvertriebenengesetzes enthaltenen gesetzlichen Vorschriften, für die Veräußerung oder Verpachtung eines auslaufenden Hofes Beihilfen zu gewähren oder durch Bundesbürgschaften den Altenteilsanspruch zu sichern, ausreichen, um die Altersversorgung der Eigentümer auslaufender Höfe zu regeln, oder ob weitere Gesetze notwendig sein werden.
Der Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Agrarstruktur und zur Sicherung landwirtschaftlicher Betriebe — Grundstücksverkehrsgesetz — ist den Ländern vom Bundesernährungsministerium bereits zur Stellungnahme zugeleitet worden.
Eine bundesgesetzliche, einheitliche Regelung der Entschädigung für das nach den Bodenreformgesetzen der Länder in Anspruch genommene Land ist in Vorbereitung. Grundsätze, die als Grundlage für einen Gesetzentwurf dienen sollen, sind den Ländern vorn Bundesernährungsministerium zur Stellungnahme übermittelt worden.
Zu Ziffer 5 der Großen Anfrage. Die Bundesregierung ist bereit, entsprechend meinem Zweijahresplan die Bundesumsiedlung fortzusetzen. Durch Bundestagsbeschluß ist die Zahl der aus den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern umzusiedelnden Vertriebenen auf 900 000 Personen festgesetzt worden. Dieses Gesamtprogramm, das durch Einschluß von Evakuierten und Sowjetzonenflüchtlingen nunmehr auf 915 000 beziffert ist, wird am Ende des Jahres 1955 abgeschlossen sein. Die Finanzierung dieses Programms ist gesichert. Darüber hinaus war im Zweijahresplan die Umsiedlung von weiteren 300 000 Personen
vorgesehen, und zwar sowohl von Land zu Land als auch innerhalb der Länder. Ich habe hierüber bereits zu Ziffer 1 der Anfrage berichtet.
Die Umsiedlung der Vertriebenen und Flüchtlinge ist vornehmlich als ein Mittel zur Eingliederung zu betrachten; denn mit Hilfe der Umsiedlung werden die Vertriebenen in die arbeitspotentiellen Gebiete der Bundesrepublik gebracht. Repräsentativstatistiken haben bestätigt, daß die in den Flüchtlingsländern arbeitslos gewesenen Umsiedler kurze Zeit hiernach in ihren neuen Wohnorten in Arbeit gekommen sind. Abgesehen von Fehlplanungen in der ersten Zeit der Umsiedlung haben die Länder die Wohnungen für die Umsiedler an den richtigen Arbeitsorten erbaut. Eine besondere Förderung der Arbeitsplatzbeschaffung für Umsiedler war mithin nicht notwendig.
Der gleiche Grundsatz ist auch für die Eingliederung der Sowjetzonenflüchtlinge maßgebend. Während aber die Masse der Heimatvertriebenen nach Kriegsende in die agrarischen Gebiete geströmt war, in denen die benötigten Arbeitsplätze nicht angeboten werden konnten, und mithin erst eine Umsiedlung stattzufinden hatte, ist die Lage bei den Sowjetzonenflüchtlingen von vornherein eine andere. Vor Inkrafttreten des Notaufnahmegesetzes haben sich die aus der Sowjetzone Zugewanderten bereits in freier Wanderung in die Industriegebiete begeben und haben dort alsbald Arbeit und auch Unterkunft gefunden.
Die Verteilung der aus den Notaufnahmelagern kommenden Flüchtlinge auf die Länder erfolgt nach dem Uelzener Abkommen, das späterhin modifiziert wurde. Diesem Abkommen liegt ein Schlüssel zugrunde, der nach der wirtschaftlichen Tragfähigkeit der einzelnen Länder berechnet war. Von vornherein konnten mithin die Flüchtlinge ohne Zwischenstation in den arbeitspotentiellen Gebieten Aufnahme finden. Allerdings ist es infolge des unvorhergesehenen Menschenzustroms des Jahres 1953 nicht immer möglich gewesen, zu erreichen, daß die zur zwischenzeitlichen Unterbringung bestimmten Landesdurchgangslager unmittelbar neben geeigneten großen Arbeitsorten liegen.. Es mußte auf vorhandene Barackenlager, Kasernen und andere Notunterkünfte zurückgegriffen werden, die zum Teil weit weg von industriellen Standorten lagen. Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg waren sogar gezwungen, sogenannte Gästelager in anderen Ländern zwischenzeitlich in Anspruch zu nehmen. Es hängt von der Forcierung des Wohnungsbaus und der Bereitstellung genügender Mittel hierfür ab, zu welchem Zeitpunkt die Sowjetzonenflüchtlinge nicht nur eine Wohnung, sondern auch einen endgültigen Arbeitsplatz erhalten und damit einen gewissen Stand der Eingliederung erreichen.
Die Fraktion der SPD hat nunmehr gefragt, ob diese Fortsetzung der Bundesumsiedlung und die Eingliederung der Sowjetzonenflüchtlinge unter den höheren Gesichtspunkten einer gesunden Bevölkerungsverteilung innerhalb der Bundesrepublik erfolgen. Damit wird eine sehr gerechtfertigte Befürchtung angeschnitten, nämlich die Frage gestellt, ob eine weitere Bevölkerungsmassierung in den Ballungsgebieten und ein weiterer Abzug aktiver Bevölkerung aus den weniger entwickelten Gebieten mit dem Grundgedanken der Raumordnung vereinbar sind. Wir haben in der Bundesrepublik leider keine Raumordnungsstelle, die dazu berufen wäre, die Konzeption für die deutsche Raumordnung zu schaffen. Wir müssen aber bald
einen Plan haben, aus dem wir ersehen können, 1 welcher räumliche Zustand im Bundesgebiet angestrebt werden soll. Ein solcher Plan müßte die Grundlage für alle raumpolitischen Planungen und Maßnahmen sein, die die Bundesregierung, die Länder, die Kreise und die Gemeinden und darüber hinaus auch alle für die Raumordnung verantwortlichen Dienststellen und Menschen zu treffen haben. Die nach arbeitspolitischen Gesichtspunkten orientierte Umsiedlung von Vertriebenen und regionale Verteilung von Sowjetzonenflüchtlingen müssen daher in den größeren Zusammenhang der gesamten deutschen Raumordnung gestellt werden; sie dürfen nicht als Teilmaßnahmen für sich, losgelöst von den übrigen raumpolitischen Entscheidungen, angesehen werden.
Derzeit ist die Lage so, daß jedes Land und jedes Bundesressort für sich allein versucht, gewisse Gedanken der Raumordnung zu konzipieren und hieraus Folgerungen für seine Einzelmaßnahme zu ziehen. Es liegt auf der Hand, daß hierdurch zahlreiche Gegenläufigkeiten entstehen müssen, die zu finanziell, volkswirtschaftlich und nationalpolitisch nicht tragbaren Verlusten führen. Notwendig bleibt daher eine Gesamtkonzeption, denn ein Raumordnungsplan des Bundes ist nicht etwa eine Addition einzelner voneinander unabhängiger, fachlich und regional verschiedener Einzelpläne, sondern muß durch die Bundesregierung über eine Bundesraumordnungsstelle möglichst bald in gemeinsamer Arbeit mit den Ländern und ihren Landesplanungsstellen erarbeitet werden.
Auch mein Ministerium hat sich bemüht, bei allen Standortfragen der Geschädigten die Grundgedanken der Raumordnung nach Möglichkeit zu beachten und, solange ein gesamter Raumordnungsplan noch nicht vorliegt, selbst für den eigenen Zweck eine einwandfreie Planung zu erstellen. Es ist richtig, daß die Massierung der Menschen und der Arbeitsstellen in den Ballungsgebieten und ihr Abzug aus den ungenügend entwickelten Gebieten und dem Zonenrandgebiet auf weite Sicht gesehen nicht gut sind. Aber die Vertriebenen sind schlechte Planungsobjekte, denn sie können nicht warten, bis durch besondere raumpolitische Maßnahmen das Arbeitsklima in ihren gegenwärtigen Wohngebieten verbessert wird. Sie müssen vielmehr danach trachten, möglichst bald zu einem Arbeitsplatz und damit zur Eingliederung zu kommen. Da diese Arbeitsplätze für Arbeiter, Angestellte und Unternehmer hauptsächlich in den Industriegebieten liegen, war es notwendig, ihnen durch Umsiedlung hierzu zu verhelfen.
Andererseits hat die Bundesregierung von Beginn an, seit 1949, den Standpunkt vertreten, daß nicht nur die Umsiedlung der Menschen an die Arbeitsplätze, sondern auch das Heranbringen der Arbeitsplätze an die Menschen die gleiche Förderung verdient. Die Arbeitsplatzbeschaffung in den Hauptflüchtlingsländern ist daher der Bundesregierung ein stetes dringendes Anliegen gewesen und geblieben. Alle Förderungsmaßnahmen, die zugunsten der Hauptflüchtlingsländer, des Zonenrandgebiets und der Notstandsgebiete geschehen, kommen nicht nur den hier ansässigen Vertriebenen zugute, sondern sie dienen darüber hinaus auch dem großen Ziele, eine gesündere Raumstruktur der Bundesrepublik zu erreichen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das 300-Millionen-DM-Schwerpunktprogramm vom Februar 1950, an die Arbeitsplatzdarlehen des Lastenausgleichs, an die Sanierungsprogramme der Bundes-
regierung, an die Bereitstellung von Mitteln für das Zonenrandgebiet, an die Wirtschaftskredite und Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und andere Maßnahmen, die alle in erster Linie eine strukturelle Verbesserung der weniger entwickelten Gebiete bezwecken sollten und mit Hilfe deren beträchtliche Erfolge erzielt worden sind.
Zu Ziffer 6: Gesetzlich verankerte Leistungen erhalten die im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes anerkannten Sowjetzonenflüchtlinge bereits auf Grund des § 301 des Lastenausgleichsgesetzes. Zur Durchführung dieser Vorschrift hat die Bundesregierung die Rechtsverordnungen vom 24. März und 21. August 1953 — 2. Leistungsdurchführungsverordnung LAG — erlassen. Hiernach erhalten die Sowjetzonenflüchtlinge aus dem Härtefonds des Lastenausgleichs praktisch nach Art und Höhe die gleichen sozialen Leistungen wie die Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten, nämlich Beihilfen zum Lebensunterhalt entsprechend der Unterhaltshilfe nach dem LAG, Beihilfen zur Beschaffung von Hausrat in Höhe der jeweils zur Auszahlung gelangenden Hausratshilfe, Aufbaudarlehen entsprechend § 254 Absätze 1 und 3 LAG — Darlehen zum Existenzaufbau und zum Wohnungsbau — sowie Beihilfen zur Berufsausbildung entsprechend der Ausbildungshilfe des Lastenausgleichsgesetzes. Die Verzögerungen, die sich wegen der technischen Schwierigkeiten der Ausstellung der entsprechenden Ausweise ergeben hatten, sind inzwischen weitgehend überwunden worden. Schwierigkeiten hinsichtlich der Bereitstellung der Mittel für diese Maßnahmen bestehen jedenfalls für das laufende Rechnungsjahr nicht.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung Kriegsfolgenhilfemittel als Fürsorge sowie erhebliche finanzielle Mittel zum Wohnungsbau für Sowjetzonenflüchtlinge gegeben. Wie ich bereits in meiner Antwort zu Ziffer 1 erwähnte, sind den Ländern für die wohnungsmäßige Unterbringung der bis zum 31. März 1954 aufgenommenen Sowjetzonenflüchtlinge aus dem Bundeshaushalt 350 Millionen DM zur Verfügung gestellt worden, zu denen noch 63 Millionen DM FOA-Mittel treten. Auch in diesem Haushaltsjahr werden weitere Mittel bereitgestellt werden. Ferner haben auch die Länder aus eigenen Mitteln die Durchführung dieser Aufgabe erheblich gefördert.
Der Bundestag ist in seinem Beschluß schon davon ausgegangen, daß die Sowjetzonenflüchtlinge im Lastenausgleich nicht berücksichtigt werden konnten und daß die Verweisung der Flüchtlinge auf den Härtefonds nur als Interimslösung gedacht war. Die Bundesregierung prüft zur Zeit noch, inwieweit in Durchführung dieses Beschlusses über die vorgenannten Leistungen hinaus — insbesondere für den Fall, daß die Mittel des Härtefonds nicht ausreichen — noch zusätzlich gesetzgeberische oder sonstige Maßnahmen erforderlich werden, um den bei den Sowjetzonenflüchtlingen auftretenden Notständen abzuhelfen. Bei der Prüfung dieser Frage haben sich jedoch schwerwiegende politische, rechtliche und finanzielle Probleme ergeben. Die Bundesregierung hält es für zweckmäßig, diese Problematik mit den zuständigen Bundestagsausschüssen zu erörtern.
Zu Ziffer 7 der Großen Anfrage: § 96 des Bundesvertriebenengesetzes verpflichtet Bund und Länder, das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewußtsein der Vertriebenen und Flüchtlinge
und des gesamten deutschen Volkes zu erhalten. Gemäß der durch das Grundgesetz gegebenen Zuständigkeit ist dies eine Weisung des Gesetzgebers insbesondere an die zuständigen Länder. Die Bundesregierung hat in einer Reihe von Besprechungen mit den Landesflüchtlingsverwaltungen die zur Durchführung des Gesetzes notwendigen Maßnahmen erörtert. Mit Rücksicht auf die Kulturhoheit der Länder werden keine Durchführungsbestimmungen erlassen, sondern es ist die Form gemeinsam erarbeiteter Richtlinien gewählt worden.
Bund und Länder arbeiten zur Zeit bei einer ganzen Reihe von Maßnahmen zur Erhaltung des Kulturguts der Vertreibungsgebiete zusammen. Es sei erwähnt: die Erstellung von Gesamtkatalogen der Ostliteratur, der in westdeutschen öffentlichen Sammlungen vorhandenen ostdeutschen Kunstwerke und von Quellen über die Vertreibungsgebiete aus westdeutschen Staats- und Privatarchiven. Verschiedene kulturelle Zentralstellen, z. B. die Kommission für Volkskunde der Heimatvertriebenen oder die Abteilung Heimatgedenkstätten beim Germanischen National-Museum in Nürnberg, werden finanziell gefördert. Besonderes Interesse gilt einer angemessenen Berücksichtigung der Vertreibungsgebiete im gesamten Schul- und Hochschulwesen und in der Volksbildung.
Zum Abschluß meiner Antwort habe ich noch etwas Grundsätzliches zu bemerken. Daß sich politische und optische Verantwortung einerseits, reale Zuständigkeit und direkte Einwirkung auf die Exekutive andererseits gerade in meinem Ministerium nicht entsprechen, ist bekannt. Die Möglichkeiten, Zuständigkeit und Weisungsbefugnis zu verstärken, waren im Bund infolge des föderativen Charakters des Grundgesetzes geringer als in den Ländern. Dennoch ist kein Land, welche Partei auch immer die Regierung führend bildete, einen anderen Weg gegangen.
Die Sorge für die Vertriebenen, die Flüchtlinge aus der Sowjetzone, die Kriegssachgeschädigten und die Evakuierten hat in allen, die sich aus innerem Drang oder von Amts wegen mit der Materie zu befassen hatten, immer eine tiefe, im Sachlichen und Menschlichen fundamentierte Verbundenheit erzeugt, die eine parteipolitische Unterscheidung nicht aufkommen ließ. Ich danke in diesem Zusammenhang allen Leitern und Mitarbeitern der Vertriebenen- und Kriegsgeschädigten-Verwaltungen der Länder, der Kreise und der Gemeinden und ebenso allen Mitarbeitern aus den Vertriebenenverbänden; denn wir hätten den heutigen Grad ohne die Selbsthilfe und die Mitarbeit dieser Verbände nicht erreicht.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Beantwortung der Großen Anfrage gehört. Ich frage: wird eine Besprechung der Großen Anfrage gewünscht?
— Sie wird von den Fraktionen gewünscht; es sind also mehr als 50 Abgeordnete.
Ich eröffne die Aussprache über die Große Anfrage. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Dr. Rinke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die einzelnen Punkte der Großen Anfrage der SPD sind vom Herrn Bundesver-
triebenenminister zum größten Teil hinreichend beantwortet worden; aber wir sind doch noch an einigen Punkten interessiert, bei denen eine Klärung notwendig ist.
Da ist zunächst die Frage der Vertriebenenumsiedlung, die auch vom Herrn Minister als eine der wichtigsten, vielleicht die wichtigste Aufgabe der Vertriebenenpolitik hingestellt wurde. Die Umsiedlung ist die Grundlage für eine planmäßige und erfolgreiche Vertriebenenpolitik überhaupt. Ihr Zweck ist es, in sämtlichen Ländern der Bundesrepublik gleiche Verhältnisse zu schaffen, und zwar sowohl hinsichtlich der Zahl der Vertriebenen als auch hinsichtlich der einzelnen Kategorien. Nun klagen leider die Abgabelinder auch heute noch darüber, daß die Aufnahmeländer zwar liebend gern Facharbeiter und andere werktätige Personen, möglichst ohne Familie, aufzunehmen bereit sind, aber leider nicht in dem gleichen Maß daran interessiert sind, auch die sozial Schwachen, die Rentner und die Empfänger der Unterhaltshilfe aufzunehmen. Die Abgabeländer sind natürlich daran interesisert, daß auch diese Kategorien entsprechend verteilt werden; denn sie möchten nicht die Armenhäuser Westdeutschlands werden.
Es wird weiter über vermeidbare Verzögerungen bei der Durchführung der Umsiedlung geklagt. Wir alle wissen, daß es sich hier um ein unendlich schwieriges Problem handelt, weil hiermit Neuland beschritten wird. Wir sind uns darüber klar, daß man hier immer mit Überraschungen rechnen muß, und wir rind uns auch darüber klar, daß Fehler vorkommen; e w ire geradezu merkwürdig, wenn auf diesen schwierigen Gebiet keine Fehler vorkämen.
Das Umsiedlungsprogramm der Bundesregierung sah bekanntlich bisher die Umsiedlung von 900 000 Menschen vor. Ich begrüße es, wenn der Bundesminister heute wiederum unterstrichen hat, daß eine weitere Umsiedlung notwendig ist. Sie ist dringend notwendig, wenn wir wirklich die Grundlage für eine tatkräftige Vertriebenenpolitik legen wollen. Die Umsiedlung der 900 000 sollte nach dem, was offiziell verkündet war, zunächst his Ende 1954 vorgenommen werden. Erst kürzlich erfolgten Hinweise darauf, daß dieser verkündete Endtermin leider nicht eingehalten werden könne, sondern daß der Endtermin der Umsiedlung sich bis Ende 1955 verschieben werde; und soeben hörten wir vorn Herrn Minister, daß wir vielleicht sogar mit dem Jahre 1956 werden rechnen müssen. Das ist also eine Verzögerung um mindestens ein. Jahr.
— Es kommen neue dazu, sehr wohl; aber in den früheren Jahren waren derartig nennenswerte Verzögerungen nicht üblich,
und ich würde schon den Herrn Minister bitten, darüber Aufklärung zu geben, wieso diese anomal große Verzögerung in der Umsiedlung möglich war. Die gesetzliche Regelung über die Umsiedlung von Vertriebenen der zweiten Rate des dritten Umsiedlungsprogramms war doch bereits Ende 1953 abgeschlossen. Allerdings ist die Verordnung hierzu erst im August 1954 im Kabinett verabschiedet worden. Es ist mir bekannt, daß bis zum 1. September 1954 mit der Verabschiedung Zeit war. Aber in anderen Jahren sind die entsprechenden Verordnungen meines Wissens viel früher herausgekommen, damit die Länder auch rechtzeitig planen konnten.
Und noch eine weitere Unstimmigkeit. Am 9. April haben Sie, Herr Bundesminister, im Bundestag erklärt, die Restfinanzierung für die Umsiedlung in Höhe von 200 Millionen DM sei gesichert; die Lander hätten jedoch erkennen lassen, daß sie das Geld seinerzeit gar nicht benötigten. Diese Feststellung ist von den Ländern, z. B. von Baden-Württemberg, als unrichtig zurückgewiesen worden. Die Regierung von Baden-Württemberg erklärte Ende Mai ausdrücklich, daß weder über die Zahl der aufzunehmenden Umsiedler noch über die Finanzierung des Programms Klarheit bestehe und daß daher die Verplanung der Mittel erst im Sommer und Herbst 1954 werde vorgenommen werden können. Vielleicht liegt hier der Hauptgrund für die anomal starke Verzögerung.
Herr Bundesminister, wir haben auch einige Bedenken gegen den derzeitigen, nach unserer Ansicht nicht mehr zeitgemäßen Verteilungsschlüssel bei der Umsiedlung. Ein Beispiel hierfür! Nach der dem Bundesrat zur Zeit vorliegenden Umsiedlungsverordnung verteilt sich das Umsiedlungskontingent auf die Abgabeländer wie folgt: Bayern 42 500 Personen, Niedersachsen 58 000 Personen, Schleswig-Holstein 64 500 Personen. Schleswig-Holstein steht also an der Spitze, obwohl die amtliche Umsiedlungsstatistik des zuständigen Ministeriums in Schleswig-Holstein vom 16. August 1954 folgendes ausweist:
1. Aus dem Umsiedlungsabschnitt 1951/52 hat Schleswig-Holstein noch einen Auswahlrest von( rund 10 000 Personen.
2. Aus dem Umsiedlungsabschnitt 1953 hat Schleswig-Holstein noch einen Auswahlrest von rund 14 000 Personen.
Schleswig-Holstein war also nicht in der Lage, die ihm für die Umsiedlung 1951/52 und 1953 zur Verfügung stehenden Umsiedlungsmöglichkeiten zu erschöpfen.
— Hören Sie mal zu, Herr Dr. Gille! Die Folge davon war, daß in Baden-Württemberg unlängst Wohnungen für mindestens 2000 Umsiedler aus Schleswig-Holstein nicht belegt werden konnten, also leer gestanden hätten, wenn nicht Bayern eingesprungen und die entsprechende Zahl von Umsiedlern im Vorgriff auf die Umsiedlung 1954/55 zur Verfügung gestellt hätte.
Das Ministerium hat aus diesen klaren statistischen Erkenntnissen bis jetzt noch nicht die entsprechenden Folgerungen gezogen. Es hat Schleswig-Holstein wiederum mit der höchsten Umsiedlungsquote bedacht, statt das schleswig-holsteinische Kontingent zugunsten des bayerischen und des niedersächsischen entsprechend zu kürzen. Ich möchte das als Anregung für das neue Umsiedlungsprogramm weitergeben.
Nun noch ein Wort zu den Flüchtlingen aus der sowjetischen Besatzungszone, die uns als Opfer des Kalten Krieges ja besonders nahestehen. Es wird Ihnen bekannt sein, daß der Aufenthalt in den Durchgangslagern im Durchschnitt immer noch weit mehr als ein Jahr, sehr oft aber auch zwei
Jahre und mehr dauert. In dieser Zeit werden die Flüchtlinge größtenteils durch die sogenannte Kriegsfolgenhilfe erhalten, die zu 85 % vom Bund getragen wird. Das sind viele Millionen, die der Bund hier ausgibt. Die Aufnahmegemeinden haben es, vielleicht gerade wegen der Kriegsfolgenhilfe, in der Regel nicht sehr eilig, die ihnen zugeteilten Flüchtlinge rechtzeitig zu übernehmen. Diese stauen sich also in den Massendurchgangslagern der Hauptaufnahmeländer, werden gewöhnlich von einem Lager ins andere geschickt und landen schließlich in den sogenannten Gastlagern, über deren Qualität sehr negativ geurteilt wird. Eine arbeitsmäßige Unterbringung ist dort natürlich nicht möglich. Die Stadt Ulm hat z. B. bei zur Zeit 50 000 Einwohnern rund 10 000 sowjetzonale Flüchtlinge. Da auch die Ausstellung der C-Ausweise, die die Voraussetzung für jede Hilfe sind, außerordentlich langsam vonstatten geht
und die Aufnahmegemeinden trotz aller Sonderbauprogramme und Barmittel gewöhnlich nicht genügend und auch nicht rechtzeitig Wohnraum zur Verfügung stellen, kann man sich ohne sonderliche Mühe ein Bild von der Stimmung unter den sowjetzonalen Flüchtlingen machen.
Kann der Herr Minister darüber Auskunft geben, wie viele sowjetzonale Flüchtlinge in Teil- oder Ganzwohnungen zur Zeit effektiv untergebracht sind, nachdem immer wieder neue Sonderprogramme für sie gestartet wurden? Wir hören und lesen immer, wie viele Flüchtlinge auf Grund der zur Verfügung gestellten Gelder zumutbar hätten untergebracht werden sollen. Wir möchten aber einmal genau wissen, wie viele tatsächlich untergebracht worden sind und ob alle Gemeinden die zur Verfügung gestellten Mittel auch immer zweckentsprechend und rechtzeitig angewandt haben. Ohne Ihrer Klarstellung, Herr Minister, vorzugreifen, glaube ich jetzt schon sagen zu können, daß eine scharfe Kontrolle über die Zweckmäßigkeit der Mittelverwendung notwendig zu sein scheint. Wir kennen ja unsere Pappenheimer.
Wäre nicht auch zu erwägen, die Zuweisung der Kriegsfolgenhilfe an die empfangenden Behörden für jene Familien zu sperren, die innerhalb von 10 bis 12 Monaten nicht aus dem Durchgangslager in die endgültigen Aufnahmekreise gebracht wurden? Eine leichte Pression kann manchmal sehr heilsame Wirkungen haben.
Zusammenfassend darf ich feststellen: Kürzerer Lageraufenthalt und schnelle Ausstellung der C-Ausweise sind die vordringlichsten Aufgaben auf dem Gebiet der Betreuung der Sowjetzonenflüchtlinge. Wenn die Menschen erst im zuständigen Aufnahmekreis sind und in Arbeit kommen, wenn sie dann durch die C-Ausweise die Möglichkeit haben, den zur Zeit nicht voll ausgenutzten Härtefonds in Anspruch zu nehmen, dann können wir uns in aller Ruhe über weitere Maßnahmen unterhalten.
Und nun, Herr Bundesminister, noch ein kurzes Wort zum Ausländerausgleich. Sie haben unsere Kleine Anfrage ausführlich, aber leider Gottes auch sehr pessimistisch beantwortet. Nachdem sich herausgestellt hat, daß — was nicht bestritten werden kann — die bisherige Ländervereinbarung praktisch gescheitert ist, sollte beschleunigt eine verbindliche bundeseinheitliche Regelung in Angriff genommen werden. Es kann weder den mit Ausländern stark belegten Ländern, zu denen z. B. Bayern gehört, noch den Ausländern, die in der Regel ebenfalls Opfer des Kalten Krieges sind, zugemutet werden, auf einen freiwilligen Beschluß der Länder zu warten. Da können sie lange warten! Eine Umsiedlung der Ausländer zu Lasten der Vertriebenenquote, wie Sie, Herr Bundesminister, vorschlagen, ist meines Erachtens den Ländern nicht zuzumuten. In Bayern warten noch 120 000 Vertriebene auf die Umsiedlung, und diese gehen unseres Erachtens vor.
Und noch ein Punkt, der in letzter Zeit eine begreifliche Erregung hervorgerufen hat. Sie haben kürzlich die Zeitschrift „Der Flüchtlingsberater" erworben. Herr Bundesminister, es gibt doch eigentlich genügend ausgezeichnete Vertriebenenzeitschriften, zum Teil sogar halboffiziellen Charakters wie z. B. den „Vertriebenenanzeiger" in München.
Es besteht im Grunde also gar kein Bedürfnis, hier ein neues Organ zu schaffen.
Die Vertriebenenzeitschriften wurden unter schwierigen Verhältnissen geschaffen, das wissen wir alle. Sie befürchten jetzt eine schwere Schädigung, wenn nun ihr eigenes Ministerium, das Vertriebenenministerium, mit ihnen in Konkurrenz tritt.
Der Vertriebenenminister hat mehr Mittel zur Verfügung und kann daher einen derartigen Konkurrenzkampf mit diesen Flüchtlingsbetrieben führen. Wenn es sich noch — und da komme ich auf das, was Sie andeuteten, Herr Gille — um ein Blatt handelte, das ausschließlich offizielle Verlautbarungen bringt, dann könnte man darüber zur Tagesordnung übergehen. Aber nach den eigenen Angaben des Ministeriums handelt es sich um ein Blatt, das auch eine Propagandaaufgabe hat. Ich kenne kein Ministerium, das ein ähnliches Propagandaorgan hätte. Wollen wir denn hier einen Präzedenzfall schaffen?
Außerdem besteht doch in der Bundesrepublik eine unverkennbare Tendenz zur Reprivatisierung. Das Bundesministerium für Vertriebene will ausgerechnet hier den umgekehrten Weg einschlagen. Ich bin nur neugierig, was der Bundesminister Erhard dazu zu sagen hat;
aber das müssen Sie selbst mit ihm auspauken, Herr Dr. Oberländer. Es wäre zweckmäßig, wenn sich dieses Organ des Vertriebenenministeriums — und ich hoffe, daß Sie uns darüber heute noch eine Erklärung geben werden - darauf beschränkte, offizielle Verlautbarungen zu bringen, und jede Propagandaaufgabe beiseite ließe.
Abschließend noch ein Hinweis, an dem wir wohl alle in diesem Hause stärkstens interessiert sein werden. Herr Dr. Lukaschek hat mit Recht immer wieder auf die Notwendigkeit der Internationalisie-
rung des Vertriebenen- und Flüchtlingsproblems hingewiesen.
Denn mit deutschen Mitteln allein ist dieses schwierigste aller Probleme, das wissen wir alle, nicht restlos zu lösen.
Hier werden immer nur behelfsmäßige Lösungen möglich sein. Das Vertriebenenproblem darf jedoch nicht überbrückt, es muß überwunden werden. Seine Überwindung ist aber nur dadurch möglich, daß es endlich auf internationaler Ebene angepackt wird. Dazu genügen nicht einige Spenden, so dankenswert diese Spenden auch sind. Hier muß mehr und umfassender geholfen werden. Schließlich ist dieses Problem aus internationalen Verpflichtungen heraus entstanden und muß daher auch wieder auf internationalem Wege gelöst werden. Wer damals in Jalta und Potsdam A gesagt hat, der muß heute B sagen und darf sich nicht um das herumdrücken, was aus seinen Entschlüssen entstanden ist. Wir haben, Herr Bundesminister, den Eindruck, als ob die Bestrebungen zur Internationalisierung des Vertriebenenproblems in letzter Zeit etwas zum Stillstand gekommen seien. Ich meine, die Tagungen in Rom und Istanbul sind zweifellos sehr nützlich und sehr wertvoll; aber das sind nicht die Kräfte, denen wir das Vertriebenenproblem nahebringen müssen. Es sind ganz andere Kräfte, an die man herantreten mull. Wir möchten daher Ihnen, Herr Minister, dringend nahelegen, die wirklich verantwortlichen Stellen des Auslandes stärker als bisher auf diese zwingende Verpflichtung hinzuweisen und dabei vor allem auf den großen Strom der Sowjetzonenflüchtlinge, der nicht abreißt, aufmerksam zu machen, auf diese unschuldigen Opfer des Kalten Krieges, eines Krieges, der nicht von uns erfunden wurde. Sie werden — davon bin ich felsenfest überzeugt — mit dieser Forderung das ganze Haus hinter sich haben.
Meine Damen und Herren! Bevor ich das Wort weitergebe, darf ich folgende Frage stellen. Mir wird mitgeteilt, daß eine interfraktionelle Vereinbarung zustande gekommen sei, wonach die Punkte 6 a, 6 b und 7 b, also alles, was sich auf die Frage der Kriegsopferversorgung bezieht, heute abgesetzt werden sollen, um mit dem entsprechenden Punkt am 15. Oktober verbunden zu werden. Ist das die gemeinsame Überzeugung des Hauses?
— Das scheint der Fall zu sein. Dann setzen wir also die Punkte 6 a, 6 b und 7 b heute ab. Ich bitte, freundlichst davon Kenntnis zu nehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jaksch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst als ein positives Ergebnis der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion die Tatsache buchen, daß der Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte dem Hohen Hause zum erstenmal den Wortlaut seines Zweijahresplanes unterbreitet hat. Bisher lag über diesem Plan ein gewisses Zwielicht, und als sehr beflissener Leser aller Verlautbarungen des Bundesvertriebenenministeriums muß ich gestehen, daß ich bis heute von diesem Plan nur aus einem Flugblatt der BHEFraktion dieses Hauses Kenntnis hatte — sicherlich eine sehr zuverlässige Quelle -,
welches unter dem Titel verbreitet wurde: „Der Zweij ahresplan, den Bundesvertriebenenminister Professor Dr. Oberländer dem Kabinett vorlegte". Bei diesem Stand des Wissens hat man uns bisher gelassen. Man hat heute wohl mitgeteilt, der Plan sei kürzlich den Fraktionen zugeleitet worden. Aber der Weg zwischen dem Bundesvertriebenenministerium und den einzelnen Fraktionen scheint ziemlich schwierig gewesen zu sein; denn dem Kollegen Reitzner, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Vertriebenenausschusses des Bundestags, wurde am 14. September die Zusendung von 20 Exemplaren versprochen, und sie sind genau heute während der Sitzung eingetroffen,
aber mit der Aufschrift: „Für die Presse". Nun, meine Damen und Herren, ich hoffe, mich keines Geheimnisverrats mehr schuldig zu machen, wenn ich von diesen Unterlagen für die Presse auch in dieser Aussprache Gebrauch mache.
Zar Sache selbst! Weithin im Lande ist der Eindruck verbreitet, daß die innenpolitischen Sorgen und Anliegen der Bevölkerung auf der Bundesebene allzu stark in den Hintergrund gedrängt worden sind. Das gilt insbesondere von den Fragen der Vertriebenenpolitik und von der Behandlung der sozialen Kriegsschäden schlechthin. Vor nicht allzu langer Zeit hat der Vorsitzende der BHEFraktion dieses Hauses, Kollege Haasler, öffentlich darüber Klage geführt, daß die seiner Fraktion bei der Regierungsbildung gegebenen Zusagen zum( großen Teil bisher nicht eingehalten wurden. Er hat dann auf besondere Anliegen seiner Partei verwiesen und wörtlich erklärt — ich darf zitieren, Herr Präsident —.
Meine Damen und Herren, diese schwerwiegende Erklärung des Vorsitzenden der BHE-Fraktion wurde Mitte August abgegeben. Man kann wohl bezweifeln, ob gerade während der Parlamentsferien Wesentliches zur Besserstellung der Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten geschehen konnte. Deshalb steht das negative Zeugnis seiner eigenen Fraktion gegen manches, was der Herr Bundesvertriebenenminister heute in Beantwortung unserer Großen Anfrage ausgeführt hat.
Weitaus schärfere Klage haben wir aus den Reihen der CDU-Fraktion vernommen, besonders aus dem Munde eines abschiednehmenden Mitgliedes dieser Fraktion. Ich möchte aber dem, was Kollege Kather vielleicht heute hier zu wiederholen hat, nicht vorgreifen. Es müßte nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn in der heutigen Aussprache die Wiedergabe kritischer Meinungen nur der Opposition vorbehalten bliebe und wir von den Bänken der Koalitionsparteien nur Stimmen der Selbstzufriedenheit hörten. Auf alle Fälle
liegen hinreichende Gründe dafür vor, die heutigen Ausführungen des Herrn Bundesministers für Vertriebene kritisch zu überprüfen und sie mit der Lage und mit der Stimmung im Lande draußen zu konfrontieren.
Lassen Sie mich zuvor aber einige Worte zu den allgemeinen Voraussetzungen jeder verstärkten und effektiven Hilfeleistung für die großen Geschädigtengruppen der Bundesrepublik sagen. Ich habe den Eindruck — und dieser Eindruck ist heute nicht beseitigt worden —, daß wir uns mitten in einer psychologischen Eingliederungskrise befinden, die noch durch eine Solidaritätskrise innerhalb der Geschädigten selbst verschärft wird.
Die laute Verkündung des deutschen Wirtschaftswunders hat nicht nur im Ausland das Verständnis für die Not der deutschen Vertriebenen gemindert, sie hat auch im Inland vielfach das Bewußtsein von der Labilität unserer Sozialstruktur eingeschläfert, wenn nicht erlöschen lassen.
Ein großer Teil der Öffentlichkeit ist in Gefahr, einer trügerischen Optik zu erliegen, welche nur die Vordergrunderscheinung des sogenannten „Erfolgsflüchtlings" sieht, nicht aber das graue Barackenelend, das noch in hundertfacher Vervielfältigung zwischen Flensburg und Passau existiert und das es unserem sozialen Gewissen nicht gestatten sollte, sich mit dem Opium der Selbstgefälligkeit zu betäuben.
Es kommt sehr viel auf den Geist dieses Hauses an und auf seine Bereitschaft, hinter einer falschen Optik der sozialen Tatsachenwelt wieder den notleidenden und hilfsbedürftigen Menschen zu entdecken. Wenn man die Zahlenkolonnen der diversen Regierungsprogramme vor Augen hat und auch die Zahlenreihen, die uns heute hier vorgetragen wurden, dann müßte man geradezu zu dem trügerischen Schluß kommen, daß in den letzten Jahren ein Millionenregen auf die Heimatvertriebenen und Fliegergeschädigten und neuerdings auch auf die Evakuierten, wie ich zu meiner Überraschung gehört habe, niedergegangen sei.
Dazu möchte ich mir eine Feststellung gestatten, die für die heutige Aussprache vielleicht von fundamentaler Bedeutung ist. Für 75 % aller Geschädigten war bisher die Hausrathilfe die einzige Hilfe, die sie aus dem Lastenausgleich erhalten haben, sie haben als Verheiratete die erste Rate der Hausrathilfe in der durchschnittlichen Höhe von 450 DM bezogen. Die bescheidene Einrichtung einer Kleinwohnung kostet jedoch nach den Berechnungen des „Aufbauwerks für Heimatvertriebene" in Wiesbaden mindestens 2400 DM, nach den Schätzungen eines großen sozialen Bauunternehmens, der GEWOBAG, sogar 3500 DM. In der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle ist also von den Kleinstschäden bisher bestenfalls nur ein Fünftel abgegolten worden, von den Verlusten an Kleidung und Wäsche gar nicht zu reden.
Noch einen Tatbestand lassen Sie mich voranstellen, der den sozialen Hintergrund dieser Debatte beleuchtet. Nach der letzten Berufszählung vom September 1950 waren von den erwerbstätigen Heimatvertriebenen nicht weniger als 73 % Lohnarbeiter, etwas über 14 % Angestellte. Dieses
Verhältnis dürfte sich in der Zwischenzeit nicht wesentlich verändert haben. Rechnet man die Arbeitslosen und die Sozialrentner hinzu, so wird offenbar, daß die Heimatvertriebenen zu 90 v. H. den unteren sozialen Schichten angehören, deren Lohn- und Renteneinkommen jedoch mit der zusätzlichen Bürde eines umfangreichen Nachholbedarfs belastet ist.
Ich will die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses nicht mit einer Analyse der sozialen Schichtung anderer Geschädigtengruppen, etwa der Sowjetzonenflüchtlinge oder der Evakuierten, in Anspruch nehmen. Hier geht es in erster Linie um den Nachweis, daß ein besseres Verständnis der verschiedenen Geschädigtengruppen untereinander notwendig ist, wenn wir zu einer klaren- Sicht über die Aufgaben des Bundesvertriebenenministeriums und der Bundesregierung auf diesen Gebieten kommen wollen. Es war vielleicht eine begrüßenswerte Vereinfachung, daß das Bundesvertriebenenministerium im April dieses Jahres auch die Betreuung der Kriegssachgeschädigten und Evakuierten übernommen hat. Nun wird es aber höchste Zeit, daß die Hilfsmaßnahmen für die einzelnen Geschädigtengruppen in der Sache und auch in der Optik aufeinander abgestimmt werden. Der Herr Bundesvertriebenenminister hat im Rahmen seiner Haushaltsmittel immerhin einen Betrag von 500 000 DM für die Herstellung und Verbreitung von Informationsmaterial zur Verfügung. Davon könnte auch einige nützliche Aufklärung über den Anteil der Kriegssachgeschädigten am Lastenausgleich und an sonstigen Eingliederungsmaßnahmen der Bundesregierung und der Länderregierungen bestritten werden. Soweit mir die Zahlen bekannt sind, könnten sie das Licht der Öffentlichkeit vertragen. Wir kämen damit auch zu einem besseren Verständnis der sozialen Aufgabenstellung in Bund und Ländern.
Aus ähnlichen Erwägungen, wie auch mein Kollege Heide bereits ausführte, hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bei ihrer Großen Anfrage das Problem der Rückführung der Evakuierten in den Vordergrund gestellt. Das Evakuiertenproblem liegt wohl nach der zahlenmäßigen Größenordnung nicht an der Spitze der Geschädigtenprobleme, aber seine soziale und seine moralische Dringlichkeit sind nicht zu bestreiten. Man muß sich vorstellen, wie es auf die rückkehrwilligen Evakuierten wirkt, wenn in ihren Heimatstädten ganze neue Stadtviertel für Umsiedler und Sowjetzonenflüchtlinge entstehen, während sie selber nach 10 Jahren immer noch auf den Tag ihrer Rückkehr warten müssen.
Gerade die Heimatvertriebenen müssen und werden auch sicher für das Heimweh der Evakuierten volles menschliches Verständnis haben.
Was wir heute über die Maßnahmen der Bundesregierung zur Durchführung des Bundesevakuiertengesetzes gehört haben, eilt wohl den Tatsachen weit voraus. Ich habe mich wieder an diese gefährliche Vision von dem Millionenregen erinnert, als wir da eine Aufzählung hörten, aus der hervorging, daß nicht weniger als 250 Millionen DM für die Rückführung der Evakuierten zur Verfügung stehen. Allerdings wurden in diese Aufzählung
auch Beträge einbegriffen, die erst in Aussicht gestellt sind. Hierzu darf ich mir die Bemerkung erlauben, daß uns hier nur die Beträge interessieren, die vorn Herrn Bundesminister der Finanzen bereits freigegeben worden sind
und über die die Länder faktisch verfügen können. Denn über gute Absichten ist schon zuviel geredet worden, wir haben auf diesem Gebiet nichts mehr nachzuholen.
Wie sich das auf dem Boden eines Bundeslandes abspielt, kann ich kurz an dem Beispiel Hessens illustrieren. Aus den 110 Millionen DM, die für die Rückführung der Evakuierten innerhalb der Bundesumsiedlung, also von den Abgabeländern in die Aufnahmeländer, in Aussicht genommen sind, werden wir in Hessen zunächst genau 500 evakuierte Familien aus Bayern zurückführen können. Unser Problem sind aber die 8000 Familien im Raume von Kassel, die nach Kassel zurück wollen. Das ist der Schwerpunkt unseres Evakuiertenproblems! Man könnte heute bei den Wohnungsämtern der ausgebombten Städte ohne viel Umfragen feststellen — das trifft wohl nicht nur für Kassel zu, sondern auch für Köln, Hamburg und Hannover —, nach welchen Dringlichkeitsstufen die Tausende und aber Tausende von Familien zurückzuführen sind, die sich seit Jahren um eine Wohnung in ihrer alten Heimatstadt bewerben.
Auf alle Fälle darf ich hier dem Herrn Bundesvertriebenenminister die Bitte unterbreiten, daß das, was für die Rückführung der Evakuierten bereits getan wurde und was noch hinzugeplant ist, in übersichtlicher und gemeinverständlicher Form veröffentlicht und den Evakuierten zur Verfügung gestellt wird. Das ist für die laufende Anmeldung zur Rückführung von allergrößter Bedeutung, weil es doch für die Evakuierten ein Stück Lebensplanung ist, ob sie in zwei, drei oder fünf Jahren ihre Heimatstadt wiedersehen.
Eine zweite Frage, die ich hier noch anschneiden wollte und in der uns die Ausführungen des Herrn Bundesvertriebenenministers heute nicht ganz befriedigt haben, ist das lange Feilschen um das Tempo und den Umfang des Lagerräumungsprogramms. Diese Frage ist geradezu der Prüfstein für die soziale und menschliche Gesinnung aller Beteiligten.
Ob es nun 185 000 oder 300 000 Menschen sind, die
noch im Jahre 1954 das „deutsche Wirtschaftswunder" durch Barackenfenster bewundern müssen, —
diese Tatsache allein sollte keinen von uns schlafen lassen, der sich wieder normaler Lebensbedingungen erfreut.
Nach einer mir vorliegenden Aufstellung wurden im April dieses Jahres in der Bundesrepublik noch immer 1640 Lager gezählt. In dieser Zahl sind aber nur die sogenannten Kriegsfolgenhilfelager inbegriffen, zu deren Erhaltung der Bund 85 % des Aufwands beisteuert. Das sind aber nicht alle Lager, die wir zu räumen haben! Dazu kommen noch Landeslager, Kreislager und die Notunterkünfte vieler Gemeinden. Darum geht nun der Streit, auf wessen Kosten jene Lager geräumt werden sollen, deren Beseitigung keine Ersparnis an Kriegsfolgelasten für den Bund bedeutet.
Gewiß, ohne den Rechenstift des Herrn Bundesfinanzministers — ich möchte sagen: ohne den scharf gespitzten Rechenstift des Herrn Bundesfinanzministers — sind solche Dinge nicht zu machen. Vom Standpunkt unserer sozialen Verantwortung aus ist es aber nicht entscheidend, wie das Lager heißt, in dem wertvolles Menschengut an Leib und Leben dahinsiecht, sondern von diesem Standpunkt aus müssen diese feinen Unterscheidungen der Lagererhaltung und der Lagerverwaltung einmal zu Fall gebracht werden. Bund, Länder und Gemeinden müssen sich nach unserer Auffassung verabreden und einen gemeinsamen Großangriff gegen die Barackenschande führen. Sie müssen versuchen, mit ihr im Verlaufe einiger Jahre Schluß zu machen.
Wir in Hessen haben dazu einen kleinen Anfang mit dem Programm der „Schandfleckbereinigung" gemacht.
Zur Ermutigung der zuständigen Bundesminister möchte ich sagen, daß dieses hessische Programm der „Schandfleckbereinigung" außerordentlich gut eingeschlagen und auch einen begrüßenswerten Eifer der Selbstverwaltung zur Mitarbeit ausgelöst hat. Als Hauptergebnis dieses Programms möchte ich aber in diesem Zusammenhang buchen, daß man in den Gemeinden draußen Notunterkünfte aller Art wieder als Schandflecke empfindet und gemeinsam mit dem Land um ihre Beseitigung bemüht ist.
Es ist jedoch eines der betrüblichsten Ergebnisse des Fehlens einer umfassenden Sozialplanung in der Bundesrepublik, daß wir Geld für die Errichtung neuer Barackenlager ausgeben, während um die Räumung alter Lager gerungen wird.
Ich will hier nicht den ganzen häßlichen Streit um die Finanzierung des Wohnungsbaus für Sowjetzonenflüchtlinge rekapitulieren, der sich seit Februar 1952 zwischen Bund und Ländern abspielt. Bei jener ersten Beratung im Palais Schaumburg zwischen den Mitgliedern der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten der Länder hatten wohl alle Teilnehmer den Eindruck, daß der Bund 1500 DM an Wohnungsbaumitteln für jeden Flüchtling beisteuert, der dem betreffenden Land aus Notaufnahmelagern zugewiesen wird.
Der Herr Bundesfinanzminister hat sich die Sache später anders überlegt. Aber nicht er allein, sondern die ganze Bundesregierung ist dafür verantwortlich zu machen, daß die Länder in dem Zeitraum vom 1. Februar 1953 bis zum 31. März dieses Jahres für insgesamt 150 000 eingewiesene Zuwanderer aus der Sowjetzone die vom Bund zugesagten Wohnungsbaumittel noch nicht bekommen haben.
Was ist die Folge? Herr Staatssekretär Dr. Nahm hat im Bulletin der Bundesregierung vom 21. August dieses Jahres mitgeteilt, daß von 424 000 Sowjetzonenflüchtlingen, die in den letzten eineinhalb Jahren aufgenommen wurden, nicht weniger als 40 % noch in Baracken leben. Das geht nicht zuletzt auf diese Finanzierungslücke zurück. Das geht auf die Tatsache zurück, daß einer die Last auf den anderen abschieben will. Wo landet dann das Problem? Es landet auf dem Buckel des kleinen Bürgermeisters oder Gemeindeangestellten, bei dem sich der eingewiesene Flüchtling zu melden hat.
Der Bürgermeister oder der kleine Angestellte des Wohnungsamtes können keine großen Betrachtungen darüber anstellen, ob ein A-Flüchtling, ein B-Flüchtling oder ein C-Flüchtling oder das Tausendstel einer Quote vor ihnen steht. Vor ihnen steht der entwurzelte hilfesuchende Mensch, dem sie im Zeichen unserer gesamtdeutschen Verpflichtung zu helfen haben.
Ich kann hier nicht auf das Problem der Begrenzung der Notaufnahme, des Sogs oder der Abwehr näher eingehen. Es wurde schon so oft auf der Verwaltungsebene erörtert und würde auch in diesem Bundestag mehr Aufmerksamkeit verdienen. Diese Erörterungen können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir den Menschen unsere Hilfe nicht versagen dürfen, die das Leben unter der Sowjetdiktatur unerträglich finden.
Die Länderflüchtlingsverwaltungen, die hier in Mitleidenschaft gezogen sind, wissen heute nicht mehr, was sie von den Zusagen der Bundesregierung in diesen Fragen zu halten haben. Es ist sehr an der Zeit, daß bei der nächsten Zusammenkunft im Palais Schaumburg über die Gesamtfinanzierung der Unterbringung der Sowjetzonenflüchtlinge Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern getroffen werden, die dann aber auch von beiden Seiten eingehalten werden müssen. Ich gebe zu -
das ist allgemein bekannt und wird in dieser Debatte sicher noch weiter zur Sprache kommen —, daß einzelne Länder mit dem Wohnungsbau für Sowjetzonenflüchtlinge und Umsiedler in Verzug sind. Es ist wahr: Bund, Länder und Selbstverwaltung sind bei den diversen Bauprogrammen aus dem Gleichschritt gekommen und können die Dinge nicht mehr übersehen. Der Leidtragende dabei ist der Mann, der auf die Unterbringung gewartet hat und seine Wohnung bloß auf dem Papier vorfindet. Dieser Zustand des Auseinanderfallens der Maßnahmen von Bund und Ländern, der Nichtplanung und Nichtkoordinierung sollte in geduldiger Kleinarbeit überwunden werden. Wir hoffen, daß die heutige Debatte dazu beiträgt, daß man die Länderflüchtlingsverwaltungen in Zukunft nicht zum Prügelknaben für ungelöste Probleme macht, für Probleme, die wir auf Bundesebene zu lösen haben, deren Lösung wir nicht an kleine Beamte delegieren können, die sich nicht zu helfen wissen.
Meine Damen und Herren, das sind einige der Gründe dafür, daß sich die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses in ihrer Großen Anfrage die Forderung nach einem Vollzugsprogramm der wirtschaftlichen Eingliederung und der sozialen Befriedung der grollen Geschädigtengruppen der Nachkriegszeit zu eigen gemacht hat. Der Begriff „Vollzugsprogramm" ist übrigens nicht eine Erfindung marxistischer Planungswut, wie vielleicht auf manchen Seiten dieses Hauses angenommen werden könnte. Er taucht in einer Denkschrift der heimatvertriebenen Wirtschaft auf, die nach einem solchen Vollzugsprogramm ruft und dafür sicherlich ihre guten Gründe hat.
Wir können nicht fortfahren, ein ungelöstes Sozialproblem auf das andere zu stülpen, weil wir sonst im öffentlichen Bewußtsein und in der Regierungsarbeit jede Übersicht verlieren. Wir fürchten, daß mit der bisherigen Methode des Nichtplanens die Voraussetzungen für eine zielbewußte Resteingliederung der Heimatvertriebenen unwiederbringlich dahinschwinden, denn die Zeit für jede soziale Hilfeleistung ist durch die Widerstandskraft des Menschen begrenzt.
Die noch immer weit über dem Durchschnitt liegende Zahl von Arbeitslosen unter den Heimatvertriebenen erinnert uns daran, daß es unter diesen 8 Millionen Menschen ein viel formidableres hard-core-Problem gibt, als es seinerzeit bei den heimatlosen Ausländern übriggeblieben ist. An die Lösung dieses Problems des „harten Kerns" der noch nicht Eingegliederten müssen wir uns heranwagen. Es gehören dazu die Arbeitslosen, die am falschen Standort abgeladen wurden und nie mehr aus eigener Kraft den Weg in den Wirtschaftsprozeß finden, weiter die Halbfamilien, die alleinstehenden Frauen, die bisher in kein Umsiedlungsprogramm gepaßt haben, ferner die Kriegerwitwen, die mit ihren Kindern allein stehen. Es gehören auch alle jene dazu, die das Pech hatten, bei der Austreibung schon über 45 Jahre alt zu sein und neu beginnen zu müssen, an denen nach den Begriffen der freien Wirtschaft bei Einstellungen leider kein Bedarf ist.
Meine Damen und Herren, dieses hard-core-Problem der noch nicht eingegliederten Heimatvertriebenen müssen wir anpacken. Man müßte sich dabei auch der angelsächsischen Methode des casework bedienen, der individuellen Behandlung des Einzelfalles, für welche leider unser Verwaltungsapparat sehr wenig geeignet ist.
Man liebt vielmehr die generalisierende Weisung, und man liebt allzusehr den blanken Schreibtisch gegenüber der Mühe, die es manchmal kostet, eine einzige Familie aus einem Bunker herauszuholen.
Neben der Bundesumsiedlung müßte daher auch die Landesumsiedlung in jedem einzelnen Land gefördert werden. Ich plädiere darüber hinaus für die engste Zusammenarbeit zwischen Landesausgleichsämtern, Landesflüchtlingsverwaltungen und Wohlfahrtsverbänden. Wir wären glücklich, wenn diese Zusammenarbeit auch im vollen Maße auf die Selbstverwaltung ausgedehnt werden könnte.
Ich habe seinerzeit bei der Behandlung dieser Dinge auf der hessischen Landesebene die Erfahrung gemacht, daß aus dem guten Willen unserer Menschen ungeheuer viel herauszuholen ist, wenn man ihnen erreichbare Ziele vor Augen stellt und wenn man den Appell des lebendigen Menschen an sie heranführt. Es gilt bei der Behandlung dieser Restprobleme, die auf der Strecke gebliebenen Menschen in den Mittelpunkt unserer Sorge zu stellen, aber nicht nur mit Lippenbekenntnissen, sondern mit der helfenden Tat.
In diesem Zusammenhang hätte ich die Bitte an die Bundesregierung vorzutragen, man möge uns doch hier im Bundestag endlich einmal Bescheid geben, was aus der „Konrad-Adenauer-Stiftung" geworden ist.
Wir lasen seinerzeit eine Mitteilung - ich darf zitieren, Herr Präsident —:
Eine „Konrad-Adenauer--Stiftung" für Flüchtlinge und Vertriebene hat die Verwaltung der
Kreditanstalt für Wiederaufbau mit einer Spende in der Höhe von 100 000 DM ins Leben gerufen. Aus dieser Stiftung sollen in erster Linie Wohnungen und Arbeitsplätze für die Vertriebenen geschaffen werden . . .
Mir kam diese Zielsetzung im Hinblick auf den zur Verfügung stehenden Grundbetrag von Anfang an schon etwas zu hoch gespannt vor. Wir haben aber seither nichts davon erfahren können, ob diese 100 000 DM angewachsen sind oder ob sie sich vermindert haben. Selbst dann, wenn hier propagandafreudige Kreise mit dem Namen des Herrn Bundeskanzlers Mißbrauch getrieben haben sollten, wären wir für eine Aufklärung dankbar, ob die „Konrad-Adenauer-Stiftung" ihre Tätigkeit für die Vertriebenen und Flüchtlinge endlich aufnehmen will oder ob sie ihre bisherige Scheinexistenz einzustellen gedenkt.
All die Aufgaben, die hier zur Debatte stehen, sind nur dann erfolgreich anzupacken, wenn sie unter einer Zielvorstellung stehen, welche die gesamte Bundesregierung verpflichtet. Hier gestatte ich mir, einige Worte zu dem Zweijahresplan des Herrn Bundesvertriebenenministers zu sagen. Wir haben heute gehört, daß die gesamte Bundesregierung zugestimmt habe. Eine offizielle Verlautbarung darüber haben wir bisher nicht empfangen. Vielleicht könnte sie noch nachgetragen werden; denn es läge sogar im Interesse des Herrn Bundesvertriebenenministers selbst, daß auch seine Kollegen in den verschiedenen anderen Ressorts in aller Form auf dieses Programm verpflichtet würden.
Wir haben es jedenfalls in Hessen so gemacht. Den Hessen-Plan zur Eingliederung der Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten hat unser Ministerpräsident Zinn namens der Gesamtregierung im Landtag verkündet — ein in der parlamentarischen Geschichte fast einzig dastehender Vorgang, daß wir nämlich nach den Wahlen mehr versprochen und uns mehr vorgenommen haben als vorher.
Immerhin, bei den Schwierigkeiten, die sich nun
einmal bei der Durchführung eines solchen Planes
ergeben, ist es für den betreffenden Ressortminister sehr von Vorteil, wenn er den Chef der
Regierung zu seinen Gunsten mobilisieren kann.
— Ja, wer hat schon Einfluß auf den Finanzminister, Herr Kollege? Das ist doch wiederum der Regierungschef!
— Immerhin, für die Gesamtmaßnahmen der Bundesregierung ist der Bundeskanzler verantwortlich. Ich höre ja, daß der Herr Bundeskanzler morgen in Offenbach als Wahlredner auftreten wird. Es ist wohl zu befürchten, daß er einen neuen Bannfluch gegen die Ketzerregierung in Wiesbaden schleudern wird, wie er es vor einiger Zeit in Camberg getan hat. Ich möchte mir hier nur die Anregung gestatten — der Herr Bundeskanzler ist leider nicht anwesend —: er soll mit den Pfeilen des Zornes gegen die Regierung Zinn vorsichtig sein!
Diese Pfeile könnten nämlich an dem harten Panzer einer allgemein anerkannten Leistung abprallen und auf ihn zurückkommen.
Zum Thema der Planung gestatte ich mir festzustellen, daß es wünschbar wäre, wenn wir über diesen - erlauben Sie, Herr Bundesvertriebenenminister, ihn so zu charakterisieren — Wunschzettel eines Ressortministers hinauskämen zn. einer verbindlichen Planung der gesamten Bundesregierung.
Es ist notwendig, daß wir gewisse langfristigere Zielsetzungen auf diesem Gebiet im Lande bekanntgeben. Ich will hier auf den ganzen Streit über die Vorfinanzierung des Lastenausgleichs nicht im einzelnen eingehen; aber man darf doch der Sonne-Kommission, die aus einem amerikanischen business-man und anerkannten deutschen Fachleuten bestanden hat, heute nicht nachsagen, daß es Illusionisten oder Dilettanten gewesen seien, die den Sonne-Plan dem Herrn Bundeskanzler in die Hand gedrückt haben. Dieser Sonne-Plan sah ein auf sechs Jahre angelegtes großzügiges Eingliederungsprogramm mit einer tief gestaffelten Gesamtfinanzierung vor. Ich fürchte, meine Damen und Herren, daß die großen Gesichtspunkte des Sonne-Plans inzwischen verlorengegangen sind,
und ich fürchte, daß wir im Begriff sind — zumindest auf den Regierungsbänken —, auch den sozialen Optimismus eines amerikanischen Bankfachmannes zu verlieren, den er uns in der Bundesrepublik gezeigt hat.
Diese Dinge müssen ausgetragen werden, weil wir ja nicht auf die Dauer den Zustand haben können, daß der Bundesfinanzminister, der immerhin seinen Haushalt irgendwie in Ordnung zu bringen hat, und der Bundesvertriebenenminister nicht aufeinander abgestimmt sind. Im Rahmen einer Vorfinanzierung könnte man mit den Ländern über die Bauprogramme der nächsten und übernächsten Jahre reden, und nur dann kann man richtig planen, wenn man auch Zeit genug zur Vorbereitung hat. In dieser Richtung darf ich sagen, daß uns die Ausführungen des Herrn Bundesvertriebenenministers und der ganze Inhalt seines nunmehr offiziell vorgetragenen Zweijahresplans nicht befriedigt haben.
Ein Wort noch zu den Kulturfragen, die in unserer Großen Anfrage unter Bezugnahme auf den § 96 des Bundesvertriebenengesetzes angeschnitten wurden, der da sagt:
Bund und Länder haben entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Zuständigkeit das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewußtsein der Vertriebenen und Flüchtlinge und des gesamten deutschen Volkes zu erhalten sowie Archive und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten.
Hier wird ganz klar dem Bund und den Länderregierungen eine gemeinsame Aufgabe gestellt, die sie nur gemeinsam und nach gründlicher Absprache bewältigen können. Es wäre ja wirklich eine Zeit-und Geldverschwendung, wenn wir in jedem süddeutschen Land ein sudetendeutsches Archiv und ein Archiv für Ungarndeutsche und Rumäniendeutsche schaffen wollten. Darüber ist eine Absprache nötig.
Aber noch mehr: wir müssen uns auch über den zweckmäßigen Einsatz der Mittel verständigen, die für diese Aufgabe vom Bundestag immerhin in großzügiger Weise zur Verfügung gestellt wurden.
Der Herr Bundesvertriebenenminister hat für das laufende Etatsjahr 750 000 DM zur Erhaltung und Auswertung des kulturellen Heimaterbes der Heimatvertriebenen und zur Förderung der kulturellen Bestrebungen der Sowjetzonenflüchtlinge erhalten. Wir sind sehr daran interessiert, über die Gesichtspunkte, unter denen dieser Betrag verwendet wird, vom Herrn Bundesvertriebenenminister eines Tages in diesem Hause eine Mitteilung zu erhalten.
Ich sage das aus einem sachlichen Grunde und nicht etwa aus einer polemischen Absicht. Wir müssen uns nämlich davor hüten, daß mit den Mitteln, die zur Erhaltung des Kulturerbes der Heimatvertriebenen bestimmt sind, Organisationsapparate am Leben erhalten werden,
die ihre Existenzberechtigung nicht anders nachweisen könnten, und wir müssen uns davor hüten, daß einzelnen Organisationen ein Kulturmonopol zugeschanzt wird, das ihnen nicht zusteht.
Wenn wir wollen, daß das schlesische Lied nicht ausstirbt, wenn wir wollen, daß die Kunde von Ostpreußen und Pommern und dem Sudetenland einer kommenden Generation vererbt wird, dann müssen wir in dieser Arbeit die größtmögliche Breitenwirkung anstreben. Dann müssen diese Mittel auch den kleinen Leuten unten zugute kommen, die mit ihren letzten Spargroschen bemüht sind, irgendeine Gesangsgruppe oder eine Trachtengruppe oder eine Musikkapelle zusammenzuhalten.
Zum Abschluß noch ein paar Worte zu brennenden Tagesproblemen, die in der heutigen Aussprache unmöglich übergangen werden können, weil sie im Lande draußen in jeder Versammlung, die wir abhalten, und auch in unserer Korrespondenz, die wir pflichtgemäß zu erledigen haben, auftauchen. Ich glaube, dem Herrn Bundesminister für Vertriebene und den Koalitionsparteien insgesamt dürfte nicht verborgen geblieben sein, welch große Unruhe in den Kreisen der Vertriebenen und der Geschädigten der drohende Wegfall der Freibeträge nach § 33 a des Einkommensteuergesetzes ausgelöst hat.
Das ist eine Angelegenheit von großer Breitenwirkung, und wir müssen uns auch noch mit ihr befassen; denn dieses falsche Bild einer bereits abgeschlossenen Eingliederung führt zu Rückschlüssen, welche die faktische Eingliederung, oder sagen wir bloß: Rehabilitierung der in. Betracht kommenden Familien erschweren. Ohne hier ins Detail zu gehen, möchte ich sagen: Mir liegt da eine sehr gut ausgearbeitete Denkschrift vor, die Herr Kollege Leukert vom Hauptausschuß der Vertriebenen und Flüchtlinge in Bayern mit unterzeichnet hat. Sie plädiert dafür, daß der § 33 a noch für einen weiteren Zeitraum als Härteausgleich in Funktion bleiben soll. Vielleicht nimmt Kollege Leukert bei dieser oder anderer Gelegenheit einmal die Möglichkeit wahr, hier im Bundestag die ausgezeichneten Argumente dieser Denkschrift zu vertreten.
Es wäre auch Sache des Bundesvertriebenenministeriums, eine Dokumentation herauszubringen, in der der Sachverhalt des Standes der Eingliederung und der sozialen Lage der Vertriebenen klargelegt wird. Ich bitte darum, diese Erwägung in Betracht zu ziehen.
Ein weiteres Anliegen ist die Verlängerung der Fahrpreisermäßigungen für Vertriebene, die mit Ende 1953 abgelaufen sind. In der Öffentlichkeit kursieren ganz groteske Vorstellungen, was für Vergünstigungen einer einzelnen Bevölkerungsgruppe da gewährt worden seien. Was war es denn schon? Auf Grund einer Bedürftigkeitsprüfung konnten Kriegerwitwen, Rentenempfänger, Angehörige großer Familien zweimal im Jahr mit 50 % Fahrpreisermäßigung irgendeinen Verwandtenbesuch machen.
Die Fraktion des BHE hat in dieser Angelegenheit einen entsprechenden Antrag vorgelegt, und ich möchte um das Wohlwollen des gesamten Hauses für diesen Antrag bitten. Wir brauchen ja hier nicht mit Konkurrenzanträgen die Zeit zu vergeuden. Hier geht es wirklich um kleine Leute. Mir hat unlängst eine Aussiger Kriegerwitwe im hessischen Ried gesagt: „Diese zwei Fahrten, die ich im Jahre zu meinen Eltern und Verwandten gemacht habe, waren die Lichtpunkte in dem Leben, das ich hier führe." Man sollte dieses Problem auch im Lichte der tragischen Familienzerreißung sehen, die leider hei den Heimatvertriebenen so weit verbreitet ist.
Eine letzte Bemerkung zu diesen aktuellen Dingen. Ich gestatte mir, noch ein Wort über die Dringlichkeit der Erhöhung der Kriegsschadenrenten zu sagen. Diese so wohlbegründete Maßnahme wurde bereits im Februar dieses Jahres angekündigt, wenn ich nicht irre, vom Herrn Bundesvertriebenenminister persönlich, und wir haben hier übereinstimmende Anträge von drei Parteien des Hauses vor uns liegen.
— Das wird sicher eine sehr angenehme Mitteilung für die Betroffenen und für die Interessierten sein. Es wäre einfach nicht zu verantworten, wenn wir auch in die Weihnachtsferien gingen, ohne diese äußerst dringend notwendige Maßnahme im Parlament verabschiedet zu haben. Wir wollen nicht den Eindruck im Lande sich verstärken lassen, daß der Bundestag nur dazu dasei, große Redeschlachten auszufechten; wir wollen vielmehr den kleinen Leuten draußen das Gefühl geben, daß von dieser Tribüne aus ihre Sorgen und Nöte ein warmherziges Verständnis und einen praktischen Widerhall finden.
Damit, meine Damen und Herren, bin ich am Schluß dessen angelangt, was vom Standpunkt unserer Fraktion aus noch zu der Großen Anfrage zu sagen war. Ich möchte auf die Verhandlungen Bezug nehmen, die jetzt in der Welt draußen geführt werden und mit denen ein Stück Entscheidung über das kommende deutsche Schicksal verbunden sein wird. Über die anzustrebenden Lösungen mögen hier zwischen Koalition und Opposition die Meinungen auseinandergehen. In einem Punkte sollte aber Übereinstimmung herrschen: in der Erkenntnis nämlich, daß wir in jeder Situation um so besser abschneiden werden, je mehr es uns gelingt, den Magnetismus einer gerechten Sozialordnung für die Einheit und Freiheit des deutschen
Volkes streiten zu lassen. Vergessen wir daher nicht über dem Problem der militärischen Integration die Aufgabe der sozialen Integration im eigenen Lande!
Das Wort hat der Abgeordnete Seiboth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den ausführlichen Darlegungen besonders meines Vorredners, des Herrn Kollegen Jaksch von der sozialdemokratischen Fraktion, denen in weitesten Teilen auch unsere Fraktion voll zustimmen kann, kann ich mich, weil nach der Behandlung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD noch die Anfrage hinsichtlich der Schärfenfeststellung zur Aussprache steht, auf einige wesentliche Punkte beschränken. Gestatten Sie aber, daß ich vorher einleitend noch etwas sage.
Wir haben es dankbar begrüßt, daß vor dem Bundestag endlich wieder einmal in breitem Rahmen die Fragen behandelt werden können, die draußen die Heimatvertriebenen und die anderen Geschädgiten interessieren und auch drücken. Leider ist seit der Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes vor etwa zwei Jahren in der Öffentlichkeit anscheinend der Eindruck entstanden, daß allein mit der Verabschiedung und Ingangsetzung des Lastenausgleichsgesetzes das gesamte Problem der Vertriebenen und Geschädigten, soweit es die Eingliederung in das soziale und wirtschaftliche Gefüge Westdeutschlands betrifft, eigentlich erledigt sei. Leider aber ist das nun nicht richtig. Wir sollten nicht übersehen - ich kenne das ja aus den Erfahrungen, die ich bei meiner Tätigkeit gerade in den Vertriebenenverbänden und unter den Vertriebenen gesammelt habe —, daß die Unzufriedenheit mit den bisher gefundenen Lösungen bei den Vertriebenen jetzt größer wird. Sie haben nämlich gehofft, daß sich mit dem Inkrafttreten des Lastenausgleichs ihre Lage bedeutend bessern würde. Gewiß, es sind sehr viele übertriebene Hoffnungen dagewesen. Aber nun läuft dieser Lastenausgleich zwei Jahre, und, wie hier schon erwähnt worden ist, die Vertriebenen und die anderen Geschädigten müssen sehen, daß die Leistungen aus dem Lastenausgleich für sie sehr gering sind. Meine Damen und Herren, ich meine, wir haben alle Veranlassung, draußen in unserem ganzen Volk die wahre Lage darzutun, wie sie nach wie vor besteht und wie sie in dem seinerzeitigen Bericht des früheren Bundesvertriebenenministers Lukaschek vor etwas über einem Jahr durch die Feststellung gekennzeichnet wurde, daß erst ein Drittel der Vertriebenen echt eingegliedert ist. Wir haben allen Grund, diese Situation der einheimischen Bevölkerung immer wieder darzutun, weil es letzten Endes aus politischen, aber auch aus wirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Gründen im Interesse der einheimischen Bevölkerung liegt, daß dieses Problem endlich schnell und sinnvoll gelöst wird.
Ich bedauere deshalb, daß hier trotz der Sachlichkeit, mit der die Debatte begann, von dem Kollegen Heide erklärt wurde, die Reden, die der Bundesvertriebenenminister Oberländer draußen in der Öffentlichkeit hält, hätten mehr oder weniger nur agitatorischen Charakter. Ich möchte das schon deshalb zurückweisen, damit die Sachlichkeit, mit der die Debatte sonst geführt wurde, auch beibehalten wird. Wir meinen dazu: Es liegt letzten Endes auch an diesem Hause und auch auf seiten der Opposition, für die der Herr Kollege Heide sprach, dem Bundesvertriebenenminister die Möglichkeiten zur Realisierung der Pläne zu geben, von denen der Kollege Reitzner anläßlich der Haushaltsdebatte erklärt hat, daß auch er sie unterschreiben würde. Zum anderen ist es auch ein Verdienst, daß ein Bundesminister allwöchentlich vor der breiten Öffentlichkeit unseres Volkes die Situation eben so darstellt, wie sie tatsächlich ist.
Wir sollten den Vertriebenenminister deshalb nicht kritisieren, ich meine eher, wir sollten ihm dafür dankbar sein.
Ich möchte daran noch einen Wunsch knüpfen. Wir könnten dankbar sein, wenn diese Fragen außer vom Herrn Bundesvertriebenenminister auch in den Versammlungen der politischen Parteien ihre genügende Würdigung fänden und wenn sich hier und da bei passenden Anlässen auch andere Bundesminister — uns wäre es am liebsten, öfter mal der Herr Bundesfinanzminister — zu diesen Fragen im Sinne des Bundesvertriebenenministers aussprächen.
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Jaksch hat zu Beginn seiner Rede gesagt — das wird gerade in diesen Tagen in Betrachtung der außenpolitischen Situation in der Presse und in der Öffentlichkeit immer wieder und nicht zu Unrecht behauptet —, daß infolge der übermäßigen Beanspruchung des Herrn Bundeskanzlers mit außenpolitischen Fragen die Innenpolitik bisher wohl etwas zu kurz gekommen ist. Ich möchte dem hinzufügen: Wir haben den Eindruck, daß sie besonders auf dem sehr weiten, aber nicht immer zum besten bestellten Felde der Sozialpolitik zu kurz gekommen ist. Darüber hinaus erweckt es sogar manchmal den Eindruck, daß es für dieses Feld geradezu einen eigenen, einen zweiten Bundeskanzler innerhalb des Kabinetts gibt, der auf diesem Gebiet die Richtlinien der Politik allein nach fiskalischen Gesichtspunkten bestimmt. Wir sollten gerade in dieser Debatte nicht den Fehler begehen, an vielen wahren Ursachen vorbeizureden. Ich meine, wir sollten eindeutig sagen, daß zu all den Fragen, die hier aufgeworfen wurden und deren Beantwortung wir vom Herrn Bundesvertriebenenminister in seinem Schlußwort wünschen, auch der Bundesfinanzminister Stellung nehmen sollte.
Ich möchte vor allem auf eines hinweisen: Der Herr Bundesvertriebenenminister Oberländer hat in seinem Bericht erwähnt, daß von den Heimatvertriebenen — ich glaube aber, es sind da die Sowjetzonenflüchtlinge mit inbegriffen gewesen — bisher nur 5 % wieder selbständige Existenzen erringen konnten, obwohl doch der Anteil der Heimatvertriebenen 17 % der Gesamtbevölkerung ausmacht; zählen wir die Zonenflüchtlinge dazu, dann sind es sogar 20 %. Wir können also sagen, daß nur ein Viertel derer, die früher einmal eine selbständige Existenz hatten, heute wieder zu einer solchen Existenz gekommen sind.
Aber auch das ist noch ein falsches Bild; wie alle die Zahlen, die uns hier vorgetragen werden, vor der Öffentlichkeit ein falsches Bild geben. Wir dürfen nicht nur die einzelnen Fälle, die einzelnen Existenzen zählen, sondern wir müssen sehen, was für Umsatzzahlen und Bilanzziffern hinter diesen Existenzen stehen. Dann würden wir zu noch viel
schlechteren Ergebnissen der bisherigen Eingliederungsbemühungen kommen. Es ist übrigens auf dem Sektor der Arbeitnehmer ähnlich; darauf hat Herr Kollege Jaksch schon hingewiesen. Wir haben zwar zur Zeit einen geringeren Anteil von Vertriebenen und Geschädigten an der Arbeitslosigkeit als noch vor zwei Jahren. Aber auf der anderen Seite sind die Vertriebenen und Geschädigten zumeist in den niedrigsten Lohnstufen beschäftigt. Also der Anteil an der Arbeitslosigkeit bzw. an der Beschäftigung allein sagt auch noch nichts aus.
In diesem Zusammenhang wurde im Bericht des Herrn Bundesvertriebenenministers gesagt, die Finanzierung seines Zweijahresplans, in dem vor allem die Förderung der Heimatvertriebenen- und Geschädigten-Wirtschaft vorgesehen sei, solle in Zukunft außer mit Landesmitteln hauptsächlich mit Mitteln aus dem Lastenausgleich erfolgen. Ich möchte hier doch eines betonen: Der Lastenausgleich wird heute als das Allheilmittel angesehen, obgleich er doch in erster Linie eine Entschädigungsmaßnahme sein soll. Wir vermissen beispielsweise die Realisierung der Möglichkeiten nach § 72 des Bundesvertriebenengesetzes. Dort heißt es in Ziffer 1, daß zur Festigung oder Begründung selbständiger Erwerbstätigkeit der Vertriebenen und der Sowjetzonenflüchtlinge Kredite aus öffentlichen Mitteln zu günstigen Zins-, Tilgungs- und Sicherungsbedingungen eingesetzt werden sollen. In diesem § 72 des Bundesvertriebenengesetzes heißt es weiter, daß ebenfalls aus öffentlichen Mitteln Gelder zur Umwandlung kurzfristiger und hochverzinslicher Darlehen in langfristige, zu günstigen Zins- und Tilgungsbedingungen herangezogen werden müssen. Wenn man diese Dinge — das ist ja eine der wichtigsten Fragen für unsere Heimatvertriebenen-Wirtschaft — wiederum außer mit Landesmitteln vornehmlich mit Lastenausgleichsmitteln angehen will, kommen nach unserer Meinung andere, wichtige Leistungen für die Eingliederung, für die Neugründung von Existenzen oder auch Leistungen auf dem sozialen Sektor zu kurz. Wir sind also der Meinung, daß besonders für diese Umschuldung in der Heimatvertriebenen-Wirtschaft und in der Wirtschaft der anderen Geschädigten künftig auch aus dem Bundeshaushalt entsprechende Mittel eingesetzt werden müssen.
Es muß die Frage gestellt werden: Welches Risiko geht denn bei einer solchen Handhabung des Gesetzes der Staat ein? Er geht kein Risiko ein. Wenn ich die Zahlen, die der Herr Bundesvertriebenenminister hier vorgetragen hat, einem Beispiel zugrunde lege, dann ergibt sich folgendes. Es sind über 100 000 selbständige Existenzen allein in der gewerblichen Wirtschaft, wahrscheinlich vom Tage der Währungsreform bis heute, geschaffen worden. Zu diesen selbständigen Existenzen sind jene 400 000 bis 450 000 Arbeitsplätze hinzuzurechnen, die infolge der Gründung dieser Existenzen entstanden sind. Das heißt, im Laufe von sechs Jahren sind etwa 500 000 bis 600 000 Menschen durch die Vertriebenen-Wirtschaft neue Existenzen oder Arbeitsplätze gegeben worden bei einem Aufwand von nicht ganz einer Milliarde, die dieser Wirtschaft zur Gründung dieser Existenzen in Form von Krediten zur Verfügung stand. Hier ist also mit durchschnittlich 2000 DM pro Arbeitsplatz eine Leistung vollbracht worden, die sich für den Staat folgendermaßen darstellt: Hingegeben wurde eine Milliarde in Form von Krediten. Sie fließt zurück; die Verluste dabei liegen bekanntlich unter der 2-Prozent-Grenze. Mit dieser einen Milliarde sind allein durch Investitionen Werte im Betrage von 2 Milliarden DM geschaffen worden, die unser Volksvermögen bereichern, und wir haben im Laufe von sechs Jahren zumindest 3 Milliarden DM erspart, die wir sonst diesen Menschen, wenn sie nicht in Arbeit und Brot gekommen wären, durch die öffentliche Hand in Form von Unterstützungen hätten zahlen müssen. Es ergibt sich hier ein Plus von rund 5 Milliarden DM, erreicht durch die rechtzeitige Bereitstellung von einer Milliarde an Krediten. Ich möchte mit diesem Beispiel dafür plädieren, daß künftig insbesondere der Heimatvertriebenen-Wirtschaft für die Umschuldung sowie zum Ausgleich für die Unterfinanzierung, die überall festzustellen ist, auch aus Haushaltsmitteln vom Staat her Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch etwas anderes sagen. Von den Herren Vorrednern ist hier die Frage der Sowjetzonenflüchtlinge angesprochen worden. Wir finden die Regelung, nach der die Sowjetzonenflüchtlinge heute bei dem Bestreben, eine Existenz, ein Unterkommen zu finden, nur auf den Härtefonds des Lastenausgleichs angewiesen sind, ungenügend. Seinerzeit ist im ersten Deutschen Bundestag auch gesagt worden, das solle nur eine Übergangslösung sein, bis man eines Tages eine gesetzliche Entschädigungsregelung für die Sowjetzonenflüchtlinge außerhalb des Lastenausgleichs finden könne. Uns ist bekannt, daß bei den Sowjetzonenflüchtlingen hier und da sogar Bedenken bestehen, ob man sie sozusagen aus dieser Regelung beim Lastenausgleich entlassen sollte, weil sic meinen, es könnte ihnen sonst bei mangelnder Bereitwilligkeit der Bevölkerung zu neuen Opfern vielleicht nicht einmal mehr das zur Verfügung stehen, was ihnen heute aus dem Härtefonds im Rahmen dieser 50 Millionen zur Verfügung steht. Wir glauben aber, daß es ein dringendes Anliegen aller Fraktionen dieses Hauses ist — es ist ja in verschiedenen Gremien auch immer wieder besprochen worden —, daß diese Frage bald einer endgültigen Regelung zugeführt wird. Wir halten es für unvertretbar, daß angesichts der seit der Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes ungeheuer angewachsenen Zahl der Sowjetzonenflüchtlinge diese nach wie vor auf den genannten, im Rahmen des Gesamtlastenausgleichs verhältnismäßig geringen Betrag ohne Rechtsanspruch angewiesen sein sollen.
Ich möchte im Zusammenhang mit der Frage der Sowjetzonenflüchtlinge noch ein Anliegen, das unsere Partei bzw. unsere Fraktion in nächster Zeit in den entsprechenden Gremien vorbringen wird, ankündigen. Wir bekommen immer wieder von Heimatvertriebenen, die jetzt aus der Sowjetzone zu uns geflüchtet sind, Zuschriften, in denen sie ihrer Verwunderung und ihrem Mißmut darüber Ausdruck geben, daß sie, deren Urstatus dem der Heimatvertriebenen in Westdeutschland doch gleich ist, im Lastenausgleich diesen Heimatvertriebenen nicht gleichgestellt sind. Unter Berücksichtigung dieses Urstatus und weil der Heimatvertriebene aus Schlesien, Pommern oder dem Sudetenland es sich schließlich nicht aussuchen konnte, wohin er von Tschechen oder Polen ausgewiesen wurde, sind wir der Auffassung, daß er, wenn er heute erst zu uns in die Westzone herüberkommt, beim Lastenausgleich jenen Heimatvertriebenen gleichgestellt werden muß, die jetzt erst aus der Tschechoslowakei, aus Polen oder son-
stigen Vertreibungsgebieten nach Westdeutschland kommen.
Ich darf noch ein Letztes erwähnen: die Frage der gesunden Bevölkerungsverteilung im Rahmen der weiteren Umsiedlungsmaßnahmen. Es ist hier von Herrn Kollegen Jaksch der Hessenplan erwähnt worden, den ich sehr genau kenne und den wir, soweit wir Vertriebene aus Hessen sind, von Anbeginn an bejaht haben. Aber in dem Hessenplan zeigt sich eine Gefahr. Sie kann heute wohl noch in gewissem Umfang abgewendet werden. Doch wir sollten sie aufzeigen, besonders im Hinblick darauf, daß, wenn ich richtig verstanden habe, sowohl vom Herrn Bundesvertriebenenminister wie von seiten der Opposition gefordert wurde, auch der inneren Umsiedlung in den Ländern künftig mehr Beachtung zu schenken. Die Gefahr wird deutlich, daß man bei all den Umsiedlungsmaßnahmen oder Planungsmaßnahmen im Rahmen der Länder den Weg des geringsten Widerstandes geht. Der Weg des geringsten Widerstandes ist nun, um in dieser Formel zu bleiben der, daß man die Menschen an vorhandene Arbeitsplätze heranbringt bzw. Menschen aus industrie- und gewerbearmen Gegenden in die Gebiete mit Wirtschaftsballung umsiedelt. Dies führt aber dazu, daß zum Schluß in den sozial schwachen Gebieten fern von Industrie und Gewerbe, ein soziales Gepäck zurückbleibt, mit dem sich weder die Gemeinden noch die Kreise zu helfen wissen. Es sinkt dort die Kaufkraft ab, die Steuer sowieso, und dadurch werden die Bedingungen für eine künftige Industrieansetzung oder die Gründung von gewerblichen Existenzen erschwert. Wir haben gerade im Rahmen des Zonengrenzlandproblems mit diesen Fragen zu tun. Ein jeder Plan zur Umsiedlung innerhalb der Länder muß deshalb darauf Bedacht nehmen, daß in dem gleichen Umfang, wie Menschen aus industrie- und gewerbearmen Gegenden an Arbeitsplätze herangeführt werden, auch Arbeitsplätze in den industrie- und gewerbearmen Gegenden bei den Menschen mit vorhandenen Wohnstätten geschaffen werden. Wenn das nicht im gleichen oder etwa gleichen Umfang geschieht, dann wird aus einem anfänglichen Segen zum Schluß unter Umständen ein Unglück, nicht nur für die zurückbleibenden Vertriebenen, Geschädigten usw., sondern für die Allgemeinheit überhaupt; wir haben dann eine ungesunde Bevölkerungsverteilung mit all ihren sozialen und unter Umständen auch politischen Folgen vor uns.
Meine Damen und Herren, ich bin am Schluß. Eine Bemerkung darf ich vielleicht noch hinzufügen. Diese Debatte ist sicherlich dann fruchtbar, wenn wir sie mit der ehrlichen Absicht schließen, das, was hier von Opposition wie Koalition vorgetragen wurde, in ernsten Beratungen schon in allerkürzester Zeit zu verarbeiten. Wenn es bei einem Problem einen Zeitdruck gibt, dann ist es die Vertriebenen- und Geschädigtenfrage. Ich sehe aus der Zustimmung von beiden Seiten dieses Hauses, daß Sie mit mir darin einig sind, schon in allernächster Zeit alle Gedanken, Fragen und Probleme, die hier aufgetaucht sind, zusammen durcharbeiten zu wollen, letzten Endes nicht nur im Interesse der Gruppen, um die es hier geht, sondern im Interesse der inneren Gesundung unseres gemeinsamen Vaterlandes.
Das Wort hat der Abgeordnete Leukert.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Anläßlich der Großen Anfrage der SPD zur Vertriebenenpolitik der Bundesregierung gestatte ich mir, einige Bemerkungen zu machen. Zunächst möchte ich feststellen, daß für eine vernünftig und organisch durchzuführende Vertriebenenpolitik und auch für die Eingliederung der Evakuierten und Kriegssachgeschädigten nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die Landesregierungen zuständig sind. Insoweit begrüße ich die Ausführungen meines Kollegen Jaksch, der die Notwendigkeit unterstrich, einen gewissen Gleichklang zwischen Bundesregierung und Landesregierungen zu erreichen, urn die so schwerwiegenden sozialen und wirtschaftlichen Fragen der Eingliederung der Vertriebenen, der Sowjetzonenflüchtlinge und der Evakuierten baldigst zu lösen. Auch ich glaube, daß das möglich ist. Ich nehme nicht an, daß die Verhandlungen der letzten Jahre im Palais Schaumburg zwischen der Bundesregierung und Vertretern der Länder nur mit kleinen Beamten geführt worden sind. Man muß annehmen, daß immerhin auch die Landesminister und die verantwortlichen Leiter der Landesflüchtlingsverwaltungen zugegen waren, um diesen Gleichklang bzw. eine Abstimmung soweit wie möglich herbeizuführen.
Ich appelliere damit einmal bewußt auch an die Verantwortung der Landesregierungen, denn die Durchführung dieser Maßnahmen obliegt den Landesregierungen. Die Aufgabe der Bundesregierung ist es, verantwortlich zu planen, Maßnahmen zu ergreifen und Mittel herbeizuschaffen, damit die Durchführung dieser Hilfsmaßnahmen in den Ländern ermöglicht wird. Das wollte ich vorausschicken.
Zum Zweijahresplan, der uns nun von der Bundesregierung vorgelegt wurde, muß ich sagen, daß ich den Plan auch erst vor wenigen Stunden in die Hand bekommen habe; aber ich darf wohl vorausschicken, daß uns die Zahlen der Eingliederung ja nicht erst seit gestern, sondern — vor allem denjenigen von uns, die mitten in dieser Arbeit stehen — seit längerer Zeit im wesentlichen bekannt sind. Sie stellen ein Faktum dar, das als Erfolg der Bundespolitik angesehen werden muß. Ich will auch nicht über die Frage diskutieren, ob die Vorlage eines Zweijahrespla.ns notwendig ist oder nicht. Meine politischen Freunde und ich begrüßen jede Anstrengung der Bundesregierung, die eine Ordnung für eine schnelle Eingliederung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigten herbeiführt. Wir wünschen nur, daß dabei geprüft wird, ob die Voraussetzungen für einen Plan auch gegeben sind. Wir dürfen das hier mit gutem Grunde annehmen. Auch die Diskussion darüber, ob wir in Zukunft eine Bundesstelle ähnlich der früheren Reichsstelle für Raumordnung haben müssen, lasse ich außerhalb meiner Betrachtungen. Es müßte auch heute möglich sein, eine Koordinierung der sozialen und wirtschaftspolitischen Maßnahmen bei der Eingliederung dieser Geschädigtengruppen mit den vorhandenen Möglichkeiten und Organisationen der ministeriellen Verwaltung herbeizuführen.
Zu dem Plan selber darf ich sagen, daß die eine oder andere Frage wohl angesprochen wurde, mir
aber doch nicht so befriedigend gelöst scheint, daß es nicht notwendig wäre, das eine oder andere ergänzend zu sagen. Ich will dabei den Komplex der heimatvertriebenen gewerblichen Wirtschaft aus der heutigen Diskussion heraushalten, weil meine Fraktion gestern beschlossen hat, die Fragen der Förderung der heimatvertriebenen gewerblichen Wirtschaft dem Hohen Hause in einem besonderen Antrag vorzulegen. Dann werden wir ja Gelegenheit haben, diese Fragen noch besonders zu erörtern.
Zur Frage der Vorfinanzierung des Lastenausgleichs! Der Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte hat sehr richtig die Zahlen der Vorfinanzierungsmittel bekanntgegeben. Er nannte die Summe von 856 Millionen DM. Darin ist ein Betrag von 224 Millionen DM enthalten, die heute schon zur Förderung des Wohnungsbaues für die Umsiedler und Sowjetzonenflüchtlinge verwandt werden und eine Schuld gegenüber dem Bundesfinanzminister darstellen.
Die Frage der Liquidität und die Frage der Vorfinanzierung der Lastenausgleichsleistungen sind aber für jeden Kenner des Lastenausgleichsgesetzes untrennbar miteinander verbunden.
Wir haben heute, d. h. nach dem Stand vom 17. September 1954, bei der Bank deutscher Länder ein Guthaben von 179,5 Millionen DM. Wir haben ferner ein noch nicht abgerufenes Guthaben bei den Ländern in Höhe von 284 Millionen DM.
— Ich komme gleich darauf zu sprechen, Herr Kollege Gille. — Nun ist die Schwierigkeit, die Liquidität des Fonds mit den — natürlich begründeten — Forderungen der Geschädigten nach einem schnelleren Abfluß der Mittel oder, wenn Sie wollen, nach einer Erweiterung der Vorfinanzierung in Einklang zu bringen Man kann natürlich schwerlich verlangen, jetzt schon die im Wirtschafts- und Finanzplan des Bundesausgleichsamts vorgesehene zweite und dritte Lastenausgleichsbankanleihe in Höhe von je 200 Millionen DM, insgesamt also 400 Millionen DM aufzulegen. Denn auf der anderen Seite haben wir den Kassenbestand bei der Bank deutscher Länder und darüber hinaus das Guthaben bei den Ländern in Höhe von 284 Millionen DM. Wir haben drittens noch die im Lastenausgleichsgesetz vorgesehene Möglichkeit des Kreditplafonds in Höhe von 200 Millionen DM.
Bei der Gelegenheit möchte ich wieder die Frage des Zusammenarbeitens zwischen Bundesregierung und Landesregierungen demonstrieren. Zur Durchführung des Lastenausgleichs — Sie werden das bei der Schadensfeststellung wahrscheinlich ebenso bestätigen müssen, denn die Durchführung der Schadensfeststellung obliegt ja den Ländern — müßten wir doch einmal an alle verantwortlichen Länderregierungen den Appell richten, im Interesse unserer Lastenausgleichsempfänger dafür zu sorgen, daß die Technik und die Organisation des Ablaufs der Lastenausgleichsmittel verbessert werden.
— Es tut mir leid, Kollege Reitzner; es ist dann
ein Appell an alle unsere gemeinsamen Freunde
in allen neun Ländern der Bundesrepublik Deutsch-
land. — Ich glaube sagen zu können, daß der trotz der vorhandenen Liquidität bisher stockende Ablauf der Mittel für die Leistungen, vor allen Dingen für die Aufbaudarlehen, für den Wohnungsbau, die Wohnraumhilfe usw. jetzt rascher vor sich gehen wird, weil nun die Anforderungen anfallen, und daß wir in etwa zwei Monaten zur Auflage einer neuen Lastenausgleichsbankanleihe kommen werden. Wenn nun irgendwo der Gedanke auftauchen sollte, daß man die Technik und Organisation nicht verbessern könnte, so stehe ich auf dem Standpunkt: dann soll man heute etwas mehr Mittel für Personalverstärkungen zur Verfügung stellen,
damit ein rascher Ablauf der Lastenausgleichsleistungen herbeigeführt wird.
Ich glaube, daß man mit einer weiteren Auflage der Lastenausgleichsbankanleihe in Höhe von 200 Millionen DM, wie sie der Herr Minister erwähnt hat, zu gegebener Zeit die notwendige Aufstockung der Aufbaudarlehen für den Wohnungsbau vornehmen könnte. Zweitens könnte man dadurch sehr konkret der Eigentumsbildung der gewerblichen und freien Berufe entgegenkommen. Drittens sollte man neben der in dem Antrag Kuntscher, der im Lastenausgleichsausschuß behandelt und von allen Fraktionen angenommen worden ist, geforderten Vorziehung der Erhöhung der Unterhaltshilfe, der Kinder- und Waisengelder auch daran denken, die zweite Rate der Hausratshilfe, zumindest für die über 65 Jahre alten Personen und die erste Rate etwa bis zu 40 Punkten auszuzahlen. Mit den technischen und organisatorischen Schwierigkeiten kämen wir meines Erachtens wahrscheinlich sehr bald zu Rande.
Hinsichtlich der landwirtschaftlichen Siedlung muß man wohl folgendes feststellen. Daß heute mit Hilfe des Bundesvertriebenengesetzes die Eingliederung der heimatvertriebenen Landwirte und der Sowjetzonenflüchtlinge in die Landwirtschaft in verstärkter Form möglich ist, ist wohl ein gemeinsames Verdienst dieses Hauses, und zwar aller beteiligten Parlamentarier. Ich erinnere daran, daß die Kolleginnen und Kollegen, die damals im Unterausschuß für die Fragen der heimatvertriebenen Landwirte des Bundesvertriebenenausschusses und des Landwirtschaftsausschusses tätig waren, wesentlich mit die Grundlage für die Eingliederung gelegt haben. Ich darf aber auch daran erinnern, daß der erste Minister für Fragen der Vertriebenen und Flüchtlinge, Herr Minister Lukaschek, vor eineinhalb Jahren das erste Mal die 500 Millionen DM angekündigt hat, die eine beschleunigte Eingliederung der heimatvertriebenen Landwirte ermöglichen sollten. Heute müssen diese wertvollen Maßnahmen weitergeführt werden, und zwar, wie wir alle wünschen, in verstärktem Maße.
Zur Frage der Bereitstellung des Landes möchte ich folgendes sagen. Die Bemühungen, die die Bundesregierung jetzt unternimmt oder zum Teil schon unternommen hat, um eine gerechte Entschädigung der Landabgabepflichtigen im Bundesgebiet herbeizuführen, wird wohl zu einer Steigerung der Landabgabe führen. Damit dürften endlich einmal die Verwaltungsverfahren und auch die gerichtlichen Schritte der Landabgabepflichtigen eingestellt werden, und damit dürfte zugleich mehr Land für die Vertriebenen anfallen.
Aber auch die Frage der Altersversorgung der
Abgeber, die besonders bei den Pachtbetrieben eine wesentliche Rolle spielt, oder die Frage der Ordnung des Grundstücksmarktes im Interesse einer Verhinderung der Zertrümmerung lebensfähiger landwirtschaftlicher Betriebe müssen hier angeschnitten werden. Das sind nicht nur Forderungen, die die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge aufgestellt und vertreten haben, sondern das sind ebenso Forderungen sämtlicher Bauernverbände wie auch des Deutschen Bauernverbandes.
Ich richte ferner die dringende Bitte an die zuständigen Minister, endlich einmal eine Klarheit in der Frage der Abgabe der Wehrmachtländereien zu erreichen, damit man die Siedler, die heute auf diesen Ländereien tätig sind — soweit man hier überhaupt von geordneten Siedlungen sprechen kann —, aus diesen unmöglichen Zuständen befreit. Hier ist eine Entscheidung des Bundesfinanzministeriums, der Dienststelle Blank und des Bundeslandwirtschaftsministeriums notwendig. Es muß weiter an die Landesregierungen der Appell gerichtet werden, die noch möglichen Quellen für die Landgewinnung, etwa Moor- und Ödland, Hecken-und Rodungsland zur Verfügung zu stellen. Das gleiche gilt auch für Betriebe der Länder und — das will ich mal aussprechen — auch für Betriebe des Bundes, soweit — ich habe im Augenblick nicht den Überblick — solche vorhanden sind.
Die Fragen der Sowjetzonenflüchtlinge, der Hilfen, der Erweiterung der Möglichkeit nach § 301 des Lastenausgleichsgesetzes sind in etwa besprochen worden. Ich möchte daran erinnern, daß die gesetzlichen Leistungen nach § 301 der Höhe nach beschränkt sind. Deshalb steht heute die Frage an, wie weitere Hilfen, also solche neben dem Lastenausgleich, zur Förderung der Eingliederung unserer Sowjetzonenflüchtlinge gegeben werden können. Ich glaube, da müssen wir die Bestrebungen unterstützen, die uns heute der Herr Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte vorgetragen hat.
Die Kollegen Heide und Jaksch haben auch einige Fragen angeschnitten. Der erste sagte, man könne die soziale Verpflichtung der Bundesregierung zur Eingliederung der Vertriebenen nicht dahin verstehen, daß die Maßnahmen bis auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. Jeder, der objektive, sachlich gerechte Kritik übt, muß mindestens zugestehen, daß im Rahmen des Möglichen immerhin manches Wertvolle für die Eingliederung sowie an sozialen Maßnahmen zugunsten der Flüchtlinge, Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten geschehen ist. Ich verüble es meinem Freunde Jaksch nicht, wenn er die Frage hinzufügte: Was ist aber mit den Vergünstigungen aus dem Einkommensteuergesetz, die jetzt in Gefahr sind und am 31. Dezember 1954 wegfallen sollen? Ich bin ihm auch gar nicht böse darüber, daß er sehr nette Formulierungen gefunden und eine gute Rede, auch mit für den hessischen Wahlkampf, gehalten hat.
— Ich darf aber daran erinnern, daß nicht ich oder einer meiner Freunde, sondern der hessische Finanzminister Troeger im Bundesrat zur Frage des Wegfalls der Begünstigung nach § 33 a des Einkommensteuergesetzes Stellung genommen hat. Er hat in der Sitzung des Bundesratsausschusses — ich darf es vorlesen, Herr Präsident — folgendes erklärt: Zu dem Antrag zu § 33 a — Flüchtlingsbeitrag — möchte ich bitten, den Grundsatz aufrechtzuerhalten, daß wir die Steuersenkung, die wir im Jahre 1953 begonnen haben, nur in der Erkenntnis durchführen konnten, daß alle Steuervergünstigungen um des Prinzips der Gerechtigkeit und um des Prinzips der Vereinfachung der Verwaltung willen wegfallen müssen.
Ich darf annehmen, daß der Kollege Jaksch immerhin Kenntnis von der Stellungnahme des Herrn Ministers Troeger gehabt hat.
— Was Schäffer gesagt hat, ist dem Finanz- und Steuerausschuß wohl bekannt, und zwar allen Mitgliedern, die dort tätig sind.
— Ich darf Ihnen dazu sagen, Herr Kollege Kather: ich weiß nicht, inwieweit Sie sich schon um die Frage der Freigrenze für Vertriebene und Kriegssachgeschädigte bemüht haben.
— Vielleicht im 1. Deutschen Bundestag. Ich darf sagen, daß sich im 2. Deutschen Bundestag meine Freunde aus der Fraktion sehr eifrig darum bemühen. Wir werden ja noch Gelegenheit haben, an dieser Stelle über die Frage zu sprechen.
— Und abzustimmen, selbstverständlich!
Dem Kollegen Jaksch darf ich aber auch das Zweite sagen. Wir begrüßen alle Maßnahmen der inneren Umsiedlung, und diese sind ja nicht nur im Lande Hessen getroffen worden. Vielmehr gibt es auch in Bayern das Problem der innerbayerischen Umsiedlung, und da haben sich wohl alle redlich dafür eingesetzt. Auch der Hessen-Plan und vorher der Schlüchtern-Plan wären aber kaum zum Tragen gekommen, wenn nicht die Mittel, die die Bundesregierung für diese soziale und wirtschaftliche Eingliederung zur Verfügung gestellt hat, etwa zu 85 % an die Länder gegeben worden wären. Daß man dann in den Ländern nach organischen, systematischen Lösungen sucht — wie etwa mit dem Hessen-Plan —, das ist das gute Recht der Länder.
Bitte denken Sie dabei an die Mittel aus dem Bundeshaushalt für den Wohnungsbau, denken Sie an die immerhin beachtlichen Summen, die aus dem Lastenausgleich fließen; denken Sie auch daran, daß es immerhin beachtliche Tranchen an ERP- und ECA-Mitteln igegeben hat. Wenn man alle öffentlichen Mittel, die der Bund als Bundesmittel zur Verfügung gestellt hat, berücksichtigt, dann muß man bei aller Kritik doch wohl sagen, daß immerhin manches geschehen ist.
Wenn der Kollege Seiboth, so wie man es draußen sagt, erklärt, die Leistungen aus dem Lastenausgleichsgesetz seien zu gering, dann müssen wir doch einmal eines in aller Öffentlichkeit aussprechen — die Ziffern sind ja in der Zeitschrift „Der Flüchtlingsberater", herausgegeben vom Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, veröffentlicht —, daß mehr als
13 Milliarden DM verplant und im wesentlichen auch als Leistungen nach dem Lastenausgleich an Geschädigte für die verschiedensten Maßnahmen gegeben worden sind. Lastenausgleich plus dem Vorläufer Soforthilfe und hinzu die Umstellungsgrundschulden, die ja in diesen Ziffern enthalten sind, stellen doch eine beachtenswerte Leistung dar. Daneben darf man, wie ich vorhin bereits sagte, selbstverständlich die Frage nicht außer acht lassen, daß auch weiterhin die Möglichkeit der Vorfinanzierung für den Lastenausgleich besteht. Es muß jede Gelegenheit genutzt werden, die Leistungen noch zu verstärken. In diesem Bemühen sollten wir uns doch wohl alle gegenseitig unterstützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Strosche.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte es eingangs vor allem begrüßen, daß die verehrten Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion in ihrer Anfrage unter Punkt 7 auch das, ich möchte fast sagen: übliche „Stiefkind" bei der Betrachtung dieser Fragen nicht vergessen haben, nämlich die kulturellen und kulturpolitischen Fragen, und dies, obwohl ihnen klar war, daß die Struktur unseres Bundesstaates gerade in dieser Beziehung nur geringe Möglichkeiten der Beeinflussung und der Einwirkung von Bonn aus gewährt. Darum mußte ja auch die Antwort des Herrn Bundesvertriebenenministers in dieser Hinsicht zwangsläufig kurz sein; es mußte eben die Tatsache der Kulturhoheit der Länder berücksichtigt werden! Gerade auf dem Gebiete der kulturellen Aufgaben, der kulturellen Förderung und Betreuung der Heimatvertriebenen wird sichtbar, daß es auch Grenzen unseres Föderalismus gibt, die wir auch irgendwie anders setzen sollten. Denn hier wie nirgends wird es wohl offenbar, daß es sich da um ein Anliegen handelt, das über die Ländergrenzen hinausreicht und das schon darum nicht zentralistisch, sondern sagen wir unitaristisch gesteuert und gelenkt werden müßte, weil es auch auf dem kulturellen Gebiete einen Gesamt-Kriegsschaden gibt.
Gewiß ist es in den Augen der breiten Öffentlichkeit immer vordringlich, sich um die sozialen, die existenziellen und finanziellen Seiten all unserer heutigen Fragen zu bekümmern. Voraussetzung für eine kulturschöpferische und kulturempfangende Tätigkeit des einzelnen oder der Gemeinschaft sowie ganzer Volksgruppen ist natürlich, daß gewisse existenzielle Grundlagen da sind, daß der Mensch halbwegs anständig lebt, anständig wohnt und ein lebens- und liebenswertes Leben hat. Aber ganz abgesehen davon, daß es eine alte und eigentümliche, fast gesetzmäßige Erfahrung ist, daß oft das Gegenteil eintritt, daß nämlich in Not und Bedrängnis und in Armut schöpferische Kräfte eher wach werden und gedeihen als unter guten finanziellen Umständen, darf man bei der Betrachtung dieser Frage nicht vergessen, daß den heimatvertriebenen Volksgruppen ein geschlossener Siedlungsboden verlorengegangen ist, dessen Geschlossenheit irgendwie notwendig ist, um kulturelle Kräfte freiwerden zu lassen.
Wir sollten zweitens dabei nicht vergessen, daß es gewisser Kulturgüter bzw. kultureller Einrichtungen bedarf, um kulturell sowohl weiter schöpferisch wie auch empfangend tätig zu sein: Bibliotheken, Theater, Volksbildungsvereine, Orchester und so fort, kurz, es muß eine gewordene, d. h. geschichtlich gewachsene Kulturstruktur tatsächlich vorhanden sein.
Das dritte,. das gerade im Vordergrund all der Fragen steht, die wir hier vordringlich behandeln, ist wohl die Tatsache, daß eben kulturelles Leben, die Erhaltung und Mehrung kultureller Kräfte nicht möglich ist, wenn nicht eine soziale Ordnung da ist, die gewissen Mindestforderungen entspricht.
Ich glaube — und meine politischen Freunde mit mir —, daß neben diesen Fragen finanzieller, existenzieller Art die geistig-seelischen und damit kulturellen und kulturpolitischen Fragen ebenso bedeutsam sind und daß wir sie ruhig heute bei der Behandlung der anstehenden Fragen einmal unter die Lupe nehmen sollten. Unser Schicksal als Vertriebene hat uns nicht nur existenziell und finanziell getroffen, sondern auch schwerste kulturelle, geistig-seelische Schäden zugefügt. Es ist ganz gut, daß auch einmal in den Augen der Öffentlichkeit der Eindruck Platz greift, daß es sich bei den von diesem Schicksal Betroffenen nicht nur um Menschen handelt, die dauernd fragen: was es gibt, was man im Sinne eines Ausgleichs der Lasten bekommt, sondern daß es sich hier auch um Menschen handelt, die sich trotz dieser kulturellen, geistigseelischen Schäden den Willen bewahrt haben, ihre alte kulturelle Höhe und Kulturstruktur allen Umständen, allen Widrigkeiten zum Trotz, in dieser Zeit zu bewahren.
Dies haben übrigens die Heimatvertriebenen, bis ins kleinste hinein, durch ihren landsmannschaftlichen Zusammenschluß und die Aufnahme der damit verbundenen kulturpolitischen Aufgaben bewiesen, vor allem aber durch den Willen zu einer anständigen Erziehung ihrer Kinder, einer Erziehung und Schulung, die sie sich geradezu vom Munde absparen und unter den schwierigsten Umständen Wirklichkeit werden lassen.
Im Bayerischen Landtag, dem anzugehören ich die Ehre hatte und noch habe, sind gerade diese kulturpolitischen Fragen sehr oft angeschnitten worden, ich möchte sagen - lassen Sie mich das hier auf der Bonner Ebene sagen —, nicht zuungunsten auch der Behandlung der übrigen rein finanziellen und existenziellen Fragen. Wir haben uns dort — alle heimatvertriebenen Abgeordneten sämtlicher Parteien, aber auch viele der Heimatverbliebenen-Politiker — gerade mit diesen Fragen besonders beschäftigt. Mag sein, daß dem so war, da das Land Bayern, historisch gesehen, eine gewisse kulturelle Aufgabe hatte und noch hat, mit Ausstrahlungen nach dem Osten, nach dem Südosten, insbesondere nach dem böhmisch-mährischen Raum, sei es, daß man sich in Bayern langsam dessen bewußt wird, ein neues Grenzland im alten Sinn zu werden — übrigens eine Aufgabe, die zum Teil erst durch Heimatvertriebene den anderen klar vor Augen geführt wurde —; aber ich habe gerade bei der Besprechung dieser Fragen einmal das Wort geprägt, daß es neben dem sozialpolitischen Lastenausgleich auch einen kulturellen und kulturpolitischen Lastenausgleich geben muß. Erschrecken Sie bitte nicht über dieses Wort „Lastenausgleich" und glauben Sie bitte nicht, daß es sich hier etwa um eine ungerechtfertigte Forderung handelt, die der sinnvollen Eingliederung der Heimatvertriebenen auch im kulturellen Sektor widerstritte. Ich glaube, daß die Erhaltung der ehemaligen kulturellen Sub-
stanz und Struktur keine Eigenbrötelei ist, sondern daß sie geschichtlich begründet ist, daß sie aber vor allem heute notwendig ist und daß sie, in die Zukunft gesehen, noch besonders notwendig sein wird.
Gestatten Sie, daß ich bei dieser Gelegenheit einen ganz kurzen historischen Rückblick gerade auf die kulturpolitische Aufgabe der Heimatvertriebenen in der alten Heimat werfe, und zwar seit der hochmittelalterlichen Kolonisation, dieser größten Friedenstat des deutschen Volkes, und seit der neuzeitlichen kulturellen Ausstrahlung nach dem Osten und Südosten. Es ist doch klar, daß die Erhaltung der deutschen Schule und die Pflege der deutschen Sprache, der Kunst und Wissenschaft im deutschen Osten und Südosten, in jenem Raum, der uns genommen wurde, nicht nur die Aufgabe eines Schutz- und Schirmwalles, auch in kultureller Richtung und im Sinne abendländisch-christlicher Kultur war, sondern daß vor allem die kulturelle Welt des deutschen Ostens und Südostens der jetzt Heimatvertriebenen eine Brücke und eine Klammer ganz Europas dargestellt hat — eine Brücke und Klammer von Mitteleuropa nach Ostmitteleuropa, aus der germanischen Welt hinüber zur slawischen Welt! — und daß ohne diese Brücke und Klammer eben Europa nicht mehr Europa ist. Die Deutsche Universität in Prag — ein Musterbeispiel! — war solch eine echte Klammer und Brücke in Reich und Europa. Dort drüben sind in Schulwesen, Volksbildung, Kunst und Wissenschaft gerade diese Klammer- und Brückenaufgaben jahrhundertelang erfüllt worden.
Der Plan des Kremls ist es gewesen, diese Volksgruppen nicht nur rein sozial und menschlich aus diesem Raum herauszuheben, sie zu verstreuen und dadurch unwirksam werden zu lassen, sondern vor allem auch kulturell, geistig und seelisch zu entwurzeln. Man hat gewußt, daß die jetzt heimatvertriebenen Millionen Menschen in ihrer Heimat eine gesamteuropäische, christlich-abendländische Aufgabe erfüllt haben, und aus dieser wollte man sie herausreißen. Dabei muß man genau die Sondergesetzlichkeiten dieses ost-mitteleuropäischen Raumes kennen: dieses Spannungsfelds zwischen Ost und West ohne Schwerpunkt. Es ist dies eine Schwerpunktlosigkeit, die Eiserne Vorhänge schafft, die in der Schwankung zwischen Ost und West besondere Ballungen erlaubt und die damit den Machthabern von Moskau die Möglichkeit gab, dieses kulturelle und politische Spannungs- und Ballungszentrum an sich zu reißen, weit hinausgehend über die alten Siedlungsgebiete der Heimatvertriebenen!
Sehen Sie sich heute die Schulprogramme und die Unterrichtsgestaltung an, wie sie leider Gottes in der sowjetisch-besetzten Zone betrieben werden, und blicken Sie hinüber in die Satellitenstaaten mit der Vorherrschaft des Russischen, der russischen Kultur usw., dann sehen Sie, wohin man hier auch kulturpolitisch gegangen ist.
Die kulturelle Potenz und der Kulturwille der Heimatvertriebenen sind im übrigen vielleicht das einzige, was unangetastet über die Grenze gerettet werden konnte und was tatsächlich vorhanden ist. Daraus ergibt sich immer wieder die Frage, die wir auch auf der Landtagsebene oft gestellt haben: Warum bedient man sich dieser Kräfte eigentlich so wenig? Warum, vor allem, werden diese Kräfte nicht mehr gefördert, nicht mehr unterstützt, obwohl man doch sieht, wie stark der geistige Hunger
etwa der Heimatvertriebenen ist, die auf das flache Land zerstreut sind und aus ihrer ehemaligen kulturellen Umgebung wie Struktur herausgerissen sind? Obwohl man doch sieht, daß die Heimatvertriebenen ich denke an die „Bamberger Symphoniker" etwa! — bereit sind, aus kleinsten Anfängen heraus mitzugestalten, mitzuschaffen, in den Kulturfragen, im Volksbildungswesen, bei der Kindererziehung und -ausbildung, bei der Volkstumspflege mitzuwirken?
Ich glaube, daß wir einer sinnvollen Förderung dieser kulturellen Substanz, dieser Mächte und Kräfte das Wort reden sollten — auch heute, auch hier! Dabei müßte eine gewisse Planung in Übereinstimmung zwischen Bund und Ländern geschaffen werden; eine gewisse Lenkung, nicht zentralistische Steuerung, aber eine gewisse zentrale Lenkung wäre notwendig!
Diese Pflege und dieser Einsatz liegen nicht nur im selbstverständlichen Eigeninteresse der Volksgruppen; sie liegen nicht nur darin begründet, daß wir heimatvertriebenen Volksgruppen des deutschen Ostens und Südostens uns gegenseitig auch näher kennenlernen wollen. Wir glauben vielmehr, daß es eine Bereicherung unserer ganzen Gemeinschaft ist, wenn wir diese Kulturkräfte pflegen und wenn wir diese Dinge auch von Bonn aus materiell und finanziell irgendwie stärker mitsteuern wollten.
Sie wissen, daß die heimatvertriebenen Lehrer sehr oft in einem schulischen Notstand eingesprungen sind, wie etwa die heimatvertriebenen Bauern als landwirtschaftliche Arbeiter eingesprungen sind. Damit ist es aber noch nicht getan. Natürlich drängt sich hier, wie ich einleitend bemerkte, die Frage auf, inwieweit der kulturelle Föderalismus gehen soll. Wir Heimatvertriebenen sind die letzten, die sich gegen eine kulturelle Gliederung unseres Gesamtvolkes wehren. Aber wir sind der Meinung, daß es Grenzen des Kulturföderalismus gibt, nämlich dort, wo das Gesamtinteresse und das gesamtschöpferische und -kulturelle Interesse bedroht wird. Wenn Sie sich die Vielfalt unserer Schulorganisationsgesetze, Schulsysteme, des Schuljahrbeginns usw. ansehen, werden Sie feststellen, daß hier gewisse Grenzen gezogen werden sollten.
Vordringlich haben wir hier und heute Heimatvertriebenen-Sozialpolitik behandelt. Es hat sich erfreulicherweise gezeigt, daß wir alle der Auffassung sind, daß wir die Heimatvertriebenen-Sozialpolitik aus einer bloßen karitativen Hilfs- und Unterstützungspolitik herausführen müßten, und zwar in eine neuformende, neuordnende Sozialpolitik. Ich möchte bitten, dabei nicht zu vergessen, daß man ebenso die Kulturpolitik, die kulturpolitischen Fragen der Heimatvertriebenen und Kriegsgeschädigten überhaupt aus der bloßen Unterstützungs- und Hilfspolitik zu einer neuformenden und neugestaltenden Kulturpolitik herausheben sollte, und dies ganz im Sinne auch der Ausführungen des Herrn Kollegen Jaksch — auch bis in die Einzelfragen hinein stimme ich mit ihm überein! — etwa über die Gestaltung des Einsatzes der Mittel, die wirkliche Lenkung der immerhin vorhandenen finanziellen Mittel an die wichtigsten Brennpunkte. Ich glaube, daß hier eine Möglichkeit wäre, stärker als bisher zu wirken, und wir bitten den Herrn Bundesvertriebenenminister, innerhalb der Bundesregierung alle Anstrengungen zu machen, damit endlich auf Grund einer Übereinstimmung zwischen Bund und Ländern eine gewisse
Steuerung und sinnvolle Gestaltung gerade der Unterstützung und Hilfe für die kulturpolitischen Belange beginnt.
Sie werden vielleicht sagen: „Hier scheint sich ein kleiner kultureller Bereich innerhalb der Gesamtheit herauskristallisieren und absondern zu wollen". Sie könnten vielleicht doch den Vorwurf machen, daß es sich hier um eine Art Eigenbrötelei handle, oder - auch das wollen wir offen aussprechen! — vielleicht Gefahren vermuten, daß hier der Geist des Nationalismus der Vergangenheit wieder lebendig werden könnte. Ich glaube, wir Heimatvertriebene sind uns alle einig, daß wir als Opfer des Nationalismus vor allem auch Überwinder dieses Nationalismus und somit beste Europäer sein wollen. Wir meinen zusätzlich noch, daß wir für ein künftiges Europa etwas mitbringen, was nicht unbedeutsam ist, nämlich einen Blick auch nach dem Osten und Südosten. So wichtig auch das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland für die Gestaltung eines künftigen Europas sein mag, für Europa entscheidend wird unseres Erachtens das Verhältnis zwischen deutschem Volk und tschechischem Volk, deutschem Volk und polnischem Volk, der deutschen Jugend und der Jugend der ost-und ostmitteleuropäischen slawischen Völker sein, die wir zu Europa zählen und mit denen wir gemeinsam eine neue europäische Gemeinschaft freier Volkstümer bauen wollen. Dazu aber — und nun befinde ich mich wieder auf dem eigentlichen Boden des heutigen Themas — bedarf es einer vorbereitenden Arbeit gerade im Hinblick auf Schule, Bildung und Erziehung. Wir müssen unsere gesamte Lehrerschaft und unsere gesamte Jugend in dieser Richtung schulen, erziehen und bilden können. Es ist nicht damit getan, daß wir von Ostkunde sprechen. Dann sagen einem die Lehrer draußen im Lande mit Recht: Wir selbst haben ja keine Möglichkeiten, in dieser Richtung unterrichtet zu werden. Ich weiß wohl, daß das Ländersache ist; aber diese Dinge müssen im Zusammenspiel von Bund und Ländern auch vom Bund her in Angriff genommen werden, damit sie abgestellt und neugeordnet werden. Man darf das nicht einfach der Selbsthilfe der Heimatvertriebenen, ihren Landsmannschaften, ihren Jugendbünden oder ihren Arbeitsgemeinschaften überlassen. Man soll nicht nur bei Gedenktagen, bei „Tagen der Heimat" und bei festlichen Ehrungen — Adalbert Stifters und Joseph von Eichendorffs z. B. —, so sehr wir sie begrüßen, auf diese Dinge hinweisen, sondern tatsächlich Bedingungen schaffen, unter denen diese Dinge gepflegt und weiter gestaltet werden: Pflege der Hochschultradition der ehemaligen ostdeutschen Hochschulen — eine Frage der wirklichen Wirksammachung der schöpferischen und wissenschaftlichen Kräfte der heimatvertriebenen Hochschullehrer —, Pflege des Brauchtums und — man sieht auf der Tribune immer viel Jugend; darum kann und soll die Frage angesprochen werden — eine notwendige Inangriffnahme der fachlich-sachlichen Ausrüstung gerade dieser Jugend im Hinblick auf den slawischen Osten. Eine Frage, die sich immer wieder aufdrängt: Wer kann heute noch eine slawische Sprache? Wer ist bewandert in der Wesensart, dem Schrifttum, der Kunst der slawischen Völker? Ist hier nicht unser Blick zu sehr nach dem Westen gewandt? Wie kann eine neue europäische Ordnung gebaut werden, wenn hier nicht gewisses Rüstzeug, gewisse Voraussetzungen auch unserer Jugend gegeben sind? Sehen Sie doch hinüber in die sowjetisch besetzte Zone! Da wird die Jugend gerade im Hinblick auf die Oder-Neiße-Linie und auf diese Fragen „geschult". Wie könnte unsere Jugend an dem beißersehnten Tag X als Diskussions-und Gesprächspartner dieser so geschulten Jugend entgegentreten, wenn ihr die primitivsten Kenntnisse in all diesen Fragen fehlen?
Auch auf diese Fragen könnte und sollte man meines Erachtens einmal hinweisen — wenn e auch bei manchen vielleicht ein Kopfschütteln hervorruft —, damit nicht der Eindruck entsteht, daß wir hier nur um Geld und Hab und- Gut und um materielle Dinge besorgt sind, sondern damit man sieht, daß wir auch diese Dinge im Sinne einer neuen europäischen Ordnung im Auge behalten. Dazu ist es notwendig, daß auch auf dem Sektor der Kulturpolitik die Heimatvertriebenen in ihrer Wesensart mit all ihren Schätzen erhalten, bewahrt und gefördert werden — und dies zum Wohle des gesamten Deutschlands und einer neuen gesamteuropäischen Ordnung, auf die wir alle hoffen.
Das Wort hat der Abgeordnete Miller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich als Sowjetzonenflüchtling zu der Anfrage auch noch etwas sagen. Ich will die Dinge möglichst abkürzen und Ihre Zeit nicht mehr als notwendig in Anspruch nehmen.
Eines ist mir aufgefallen. Der Herr Bundesvertriebenenminister hat zum Ausdruck gebracht, daß man mit 130 000 Zuweisungen an die Länder in diesem Jahre rechnet, dagegen für die Wohnraumbeschaffung 45 Millionen DM zur Verfügung stellen will. Wenn man diese 45 Millionen DM umrechnet auf die 1500 DM pro Kopf wie im vergangenen Jahr, kommt man auf eine Zahl von 30 000. Das heißt, es werden vom Bund für 30 000 Menschen Wohnungen mit erstellt; aber 130 000 Menschen werden den Ländern zugewiesen. Hier scheint mir eine Lücke zu sein, und ich hätte gern vom Herrn Bundesvertriebenenminister gehört, mit welchen anderen Mitteln diese Lücke geschlossen werden soll, damit nicht die Mißstimmung in den Ländern noch größer wird, als sie aus der Vergangenheit schon ist. Herr Kollege Jak sch sagte es schon: Aus der Zeit vom 1. Februar 1953 bis zum 31. März 1954 konnten den Ländern für 150 000 Zugewiesene die Mittel zum Erstellen von Wohnungen noch nicht gegeben werden. Daher die Mißstimmung bei den Ländern, die mit Recht sagen: Wir sollen aufnehmen, haben aber nicht die Mittel dazu! Auch hier bitte ich um Aufklärung.
Ich weiß allerdings, woran es liegt. Es liegt daran, daß man seinerzeit mit zirka 200 000 Flüchtlingen aus der Sowjetzone rechnete. Dann kamen aber 315 000. Nun liegt es bekanntlich nicht in der Hand der Bundesregierung, zu sagen: Soviel dürfen kommen!, sondern es ist allein die „Technik" der Sowjetzonenregierung und der Russen, jeweils durch ihre Angst auslösenden Maßnahmen oder durch Enteignungsmaßnahmen so viel Menschen zu uns herüberzujagen, wie es in ihrem Belieben steht. Das ist ja das Drama, in dem die Bundesregierung und wir alle bekanntlich stehen.
Es ist auch nicht meine Aufgabe, in diesem Rahmen nun alle die Dinge aufzuzählen, die diesen Strom von Flüchtlingen verursacht haben. Ich darf
aber im Namen vieler Sowjetzonenflüchtlinge der eingesessenen Bevölkerung auch einmal unseren Dank für die Aufnahme und für die Eingliederung aussprechen. Man sagt manchmal, besonders von seiten der Altheimatvertriebenen, wenn ich sie so nennen darf: Warum werden die Sowjetzonenflüchtlinge in der Wohnungsbeschaffung usw. bevorzugt? Meine Damen und Herren, ich glaube, der Herr Bundesvertriebenenminister wird es mir bestätigen können: das war ein einfaches Rechenexempel. Die Menschen mußten irgendwo untergebracht werden, und man stand vor der Wahl: Barackenbau, also Lagervergrößerung, oder gleich richtige Wohnungen bauen, damit das Lagerleben, das auch zu einer Lagerpsychose und zu ganz unerfreulichen Folgen führt — worüber ich Unterlagen vor mir liegen habe —, möglichst eingeschränkt wird. Ich bitte auch die Altheimatvertriebenen, im Hinblick auf das, was ich ausgeführt habe, für die Maßnahmen der Bundesregierung in der Wohnungsbeschaffung Verständnis zu haben.
Aber dem Dank, den wir der Bevölkerung zum Ausdruck bringen, darf ich auch ruhig einmal entgegenstellen, daß die Sowjetzonenflüchtlinge für die einheimische Bevölkerung und die Bundesrepublik insgesamt keine Belastung bedeuteten, sondern sogar ein volkswirtschaftlicher Gewinn waren und sind, soweit sie arbeitsfähig sind. Ich darf auf folgende Zahlen hinweisen: Laut den Statistiken, die vom Bundesvertriebenenministerium herausgegeben werden, sind heute in die Bundesrepublik aus dem sowjetzonalen Raum zirka 2,2 Millionen Menschen eingeschleust worden oder gekommen. Von diesen befinden sich nach den Angaben, die der Herr Bundesvertriebenenminister heute gemacht hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, noch zirka 140 000 in Lagern, also etwas mehr als 6 %. Schon daraus mögen Sie ersehen, daß sich eine Eingliederung in weitem Ausmaß vollzogen hat. Von diesen Menschen, die da eingegliedert wurden, sind aber — und das bitte ich besonders die einheimischen Abgeordneten einmal zur Kenntnis zu nehmen — 74,8 % im arbeitsfähigen Alter von 14 bis 65 Jahren. 22,7 % sind im Alter von 1 bis 14 Jahren, also Kinder, die aber zur Arbeitsfähigkeit heranwachsen, die wir als Nachwuchs brauchen. Wir haben doch heute schon die Sorgen, woher in einigen Jahren der Nachwuchs, woher die Lehrlinge usw. kommen werden. Nur 2,5 % der Flüchtlinge sind älter als 65 Jahre, also auf die Dauer im allgemeinen unterstützungsbedürftig. Diesen günstigen Prozentsatz konnten weder die Einheimischen aufweisen, weil die Gliederung eine ganz andere ist, noch viel weniger die Heimatvertriebenen. Das ist verständlich; denn bei den Heimatvertriebenen mußte alt und jung gehen, während bei den Sowjetzonenflüchtlingen die Alten meist zurückbleiben und nur die flüchten, die sich noch zutrauen, eine neue Existenz schaffen zu können.
Meine Damen und Herren! Wenn Sie sich diese Zahlen vor Augen führen, werden Sie sehen, daß die 2,2 Millionen aus dem sowjetzonalen Raum eine wertvolle Arbeitskräfteergänzung und Arbeitsbeschaffungsergänzung geworden sind. Wir haben heute nach den Ausweisen des Bundesarbeitsministeriums bekanntlich nicht mehr ganz 800 000 Arbeitslose, von denen die Hälfte nicht mehr arbeitseinsatzfähig ist. Praktisch wäre also heute schon Arbeitermangel in großem Ausmaß vorhanden, wenn nicht der dauernde Nachstrom aus der Zone käme. Wir wissen, daß nicht lauter
Engel kommen. Da möchte ich einmal die Frage stellen, ob man nicht den Menschen aus dem sowjetzonalen Raum denselben Prozentsatz nicht Arbeitswilliger wie der gesamten Bevölkerung zugestehen sollte.
Hier darf ich noch etwas anfügen. Unter den Menschen, die aus der Sowjetzone oder aus Ost-Berlin gekommen sind, sind auch solche, die wirklich etwas an Wissen, an Erfahrung, an weltweiten Beziehungen mitgebracht haben. Ich darf bloß darauf hinweisen, daß von den Industriebetrieben mit über 10 Beschäftigten, die wir in der Bundesrepublik haben, allein 2088 Betriebe mit insgesamt 187 176 Beschäftigten aus der Sowjetzone stammen. Mit diesen Menschen ist also auch etwas aufgebaut worden. Natürlich brauchen die Menschen dazu Hilfe, nämlich Anfangskapital. So wie jede Firma, die gegründet wird, mit irgendeinem Anfangskapital arbeiten muß, erwarten auch wir diese Hilfe, damit wir produktiv arbeiten können. Allerdings sind wir, worauf meine Vorredner schon hingewiesen haben, hier insofern benachteiligt, als wir im Gegensatz zu den Heimatvertriebenen leider keinen Rechtsanspruch auf Hauptentschädigung haben, sondern nur Aufbaudarlehen bekommen können. Dabei hängt es von Ermessensentscheidungen einer bürokratischen Maschinerie ab, ob ein Darlehn gegeben wird oder nicht, Dinge, die manchmal den Aufbauwillen direkt lähmen. Ich glaube also, daß wir hier im Hinblick auf den volkswirtschaftlichen Gewinn für die Bundesrepublik etwas großzügiger sein und diesen Menschen mehr helfen sollten.
Weiter ist die Frage der Fahrpreisermäßigungen angeschnitten worden. Auch ich habe seinerzeit einen Antrag auf Fahrpreisermäßigung für Sowjetzonenflüchtlinge eingebracht, weil ich auf dem Standpunkt stehe: was den Heimatvertriebenen recht ist, muß den Sowjetzonenflüchtlingen billig sein. Bei der katastrophalen finanziellen Lage der Bundesbahn sind wir in dieser Hinsicht leider noch nicht weitergekommen. Wir dürfen bloß hoffen, daß sich nach Verabschiedung der Verkehrsgesetze ein Weg findet, auch dies ins richtige Gleis zu bringen.
Einer meiner Vorredner hat gemeint, man sollte eigentlich den Sowjetzonenflüchtlingen ein eigenes Recht, eigene gesetzliche Ansprüche aus neuen Mitteln geben. Ich habe erst kürzlich in einem Ausschuß dieses Hauses dazu folgende Formulierung gebraucht: Der Spatz in der Hand ist mir lieber als die Taube auf dem Dach, d. h. solange dieses Gesetz nicht besteht und diese neuen Mittel nicht gefunden werden, müssen wir, ob wir wollen oder nicht, darauf bestehen, daß wir unsere Aufbauhilfen, Berufsausbildungsbeihilfen, Hausrathilfen, Existenzaufbaudarlehen usw. aus dem Härtefonds erhalten.
Hier taucht noch ein anderes Problem auf; auch das möchte ich an dieser Stelle einmal zum Ausdruck bringen. Im Gegensatz zu den Heimatvertriebenen haben wir, wie ich vorhin ausgeführt habe, keinen Hauptentschädigungsanspruch, den wir als Sicherheit hingeben können. Ich könnte mir denken, daß, solange dieser gesetzliche Anspruch nicht besteht, eine Treuhandgesellschaft gebildet wird, die mit staatlicher Bürgschaft diese Sicherheiten geben kann, die nun einmal für Aufbaudarlehen seitens der Länder usw. verlangt werden.
Hier wäre noch eine weitere ganz interessante Frage aufzuwerfen, wenn auch zur Zeit vielleicht
nur theoretisch. Glaubt man an die Wiedervereinigung, dann kann man das zurückgelassene Vermögen der Sowjetzonenflüchtlinge als Sicherheit heranziehen. Glaubt man nicht mehr daran, dann muß man sowieso zu dem gleichen Ergebnis kommen wie bei den Heimatvertriebenen, also zur gleichen Entschädigung. Aber wir alle glauben daran, und daher könnte man meiner Ansicht nach die in der Sowjetzone zurückgelassenen Werte ohne weiteres als Sicherheit bei der Treuhandgesellschaft heranziehen.
Im übrigen wissen wir und sind ehrlich genug, zuzugeben, daß nicht jder, der von drüben kommt, ohne weiteres Flüchtling ist. Darum erhalten j a die unter besonderer Zwangslage Geflüchteten den Ausweis C und die anderen eben nicht. Ich darf das an einem kleinen Beispiel ausführen. In der Stadt in Bayern, in der ich nach meiner Flucht meinen neuen Wohnsitz genommen habe, ist von der Zone her eine große Autoindustrie entstanden. Wenn nun die Facharbeiter nachgezogen worden sind, dann sind das unseres Erachtens keine echten Flüchtlinge, sondern das sind eben Menschen, die ihren Wohnsitz verlagert haben, weil sich ihr Werk verlagert hat. Man kann ihnen also nicht ohne weiteres den gleichen Anspruch zugestehen, den die Menschen haben, die aus tatsächlicher Bedrohung heraus bzw. aus Gefahr für Leib und Leben oder einer besonderen Zwangslage gehen mußten.
Diese Dinge, die ich nur einmal angeschnitten habe, zeigen, welche Sorgen uns bewegen. Wir wünschen, daß zumindest die Menschen, die den Ausweis C besitzen, nicht mehr allein von Ermessensentscheidungen bzw. der Anerkennung einer besonderen Notlage bzw. zuerst von der Auswertung der Verwandtenhilfe abhängen, daß sie einmal einen bestimmten Rechtsanspruch auf Leistungen aus dem Härtefonds erhalten, und zwar besonders auf Hausrathilfe, Berufsausbildungsbeihilfe, Wohnungsbaudarlehen und andere Dinge, die uns täglich bedrängen:
— Wenn Sie dieser Meinung sind, darf ich auf Punkt 6 der heutigen Großen Anfrage der SPD zurückkommen. Die SPD fragt dort, warum der Beschluß vom 16. Mai 1952 noch nicht realisiert, d. h. seitens der Bundesregierung keine gesetzliche Regelung getroffen wurde. Hier möchte ich die Gegenfrage stellen: wenn schon vor 28 Monaten der Beschluß gefaßt wurde, warum hat nicht die SPD inzwischen selber ein Initiativgesetz eingebracht? Die Schwierigkeiten sind eben auch dort erkannt worden: daß wir hier nicht nur lauter politische Flüchtlinge haben oder Flüchtlinge aus besonderer Zwangslage, sondern daß wir mit einem großen Kreis von Menschen zu rechnen haben, die nicht von dem Gesetz erfaßt werden können, aber doch irgendwie untergebracht werden müssen. Daher glaube ich, daß wir mit den bisherigen Regelungen so lange noch hinkommen müssen, bis sich die Dinge klarer abzeichnen. Dann wird man an diese Probleme ernsthaft herangehen müssen.
Herr Jaksch hatte die Freundlichkeit, auf Hessen als Vorbild hinzuweisen. Ich muß schon sagen, ausgerechnet wir Sowjetzonenflüchtlinge können dem gar nicht beistimmen, wir sind von Hessen vielmehr etwas enttäuscht. Wenn ich mir z. B. die Zahlen — die auch vom Bundesvertriebenenministerium kommen — ansehe hinsichtlich der Ausstellung der Ausweise C, die ja bekanntlich erst den
Anspruch auf Hilfe geben, muß ich feststellen, daß Hessen darin am weitesten zurück ist. Ich darf jedenfalls mein jetziges Heimatland Bayern als bestes hervorheben. Dort sind nämlich nur 14,9 % der Anträge auf Ausstellung eines Ausweises C im Rückstand, während in Hessen am 30. Juni immerhin noch 81,9 % Rückstände vorhanden waren. Gerade wir Sowjetzonenflüchtlinge haben die besondere Bitte an Hessen, in dieser Beziehung mit den anderen Ländern endlich gleichzuziehen, damit auch unsere Sowjetzonenflüchtlinge in Hessen die Ansprüche aus dem Ausweis C, auf Steuervergünstigungen und auf die anderen Möglichkeiten des Härtefonds endlich ausschöpfen können. Daß wir selbstverständlich — und hier spreche ich eine große Bitte aus — besonderen Wert darauf legen müssen, daß die Steuerermäßigungen gemäß § 33 a und andere Ermäßigungen weiterlaufen, ergibt sich aus der Tatsache unserer Flucht, d. h. wir sind nicht nur schon 1945 und 1946 gekommen, sondern dieser Strom kommt seit Jahren immer weiter. Es wäre meines Erachtens die größte Ungerechtigkeit, wenn diese Vergünstigungen abgeschafft würden, ohne daß uns ein Äquivalent geboten wird, weil die Menschen, die jetzt kommen und den Ausweis C erhalten, dann wohl einen Ausweis, aber keine Vergünstigungen mehr hätten, während die anderen, die früher gekommen sind, die Möglichkeit hatten, die Vergünstigungen auszunützen.
— Das ist eine andere Frage.
Wenn jemand im Lager saß, konnte er sie nicht ausnützen. Da haben Sie vollkommen recht, das weiß ich, Herr Kollege. Oder wenn er arbeitslos war, konnte er sie auch nicht ausnützen. Dem verschließen wir uns auch gar nicht.
— Sie sehen ja, ich bin ohne weiteres bereit, darauf einzugehen, wenn Sie mich daran erinnern. Sie werden andererseits verstehen, daß wir den größten Wert darauf legen müssen, daß wir die steuerlichen Vergünstigungen, die die einheimische Bevölkerung in den Jahren 1948/1951 in Anspruch nehmen konnte, wenigstens auch noch einige Jahre, wenn wir kommen, in Anspruch nehmen können, bis wir uns einigermaßen eingegliedert haben. Das sind Fragen, die ich in diesem Zusammenhang einmal anschneiden wollte, um Ihnen zu zeigen, daß wir Sowjetzonenflüchtlinge in der großen Mehrzahl Menschen sind, die gewöhnt sind zu arbeiten, die alle danach streben, sich einzugliedern, und daß wir damit nicht nur vielen Menschen die Lagerpsychose nehmen, sondern unserer Bundesrepublik auch einen volkswirtschaftlichen Dienst erweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rehs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich nur zum Wort gemeldet, weil der Herr Kollege R i n k e im Zusammenhang mit der Umsiedlung Ausführungen über Schleswig-Holstein gemacht hat, die nicht unwidersprochen bleiben können. Diese Ausführungen sind in ihrer Abruptheit derart grob willkürlich und in ihren
Schlußfolgerungen angesichts der wirklichen Tatsachen derart absurd,
daß man sich fragt, was mit diesem Angriff beabsichtigt ist und wer damit getroffen werden sollte: der Parteifreund von Minister Oberländer, der Herr Landesminister Asbach, oder der Parteifreund von Herrn Rinke, der bisherige CDU-Regierungschef in Schleswig-Holstein, Lübke.
Ich versage es mir, auf diese böswilligen Ausführungen im einzelnen einzugehen. Ich empfehle Herrn Rinke, einen Blick in die Propagandaschrift zu tun, die unter der Verantwortung und dem Geleitwort seines CDU-Parteifreundes Lübke für den abgelaufenen Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein hergestellt und verbreitet worden ist. Ich bin auf das äußerste befremdet, daß die Parteifreunde des Herrn Rinke aus Schleswig-Holstein, die in diesem Hause sitzen, zu diesen Ausführungen geschwiegen haben. Die Bevölkerung von Schleswig-Holstein wird hiervon mit Interesse Kenntnis nehmen. Im übrigen empfehle ich Herrn Kollegen Rinke, bei seinen Kollegen in der Koalition und in der Bundesregierung lieber dafür zu sorgen, daß die Bundesregierung endlich ihre Schuldigkeit gegenüber dem Land Schleswig-Holstein tut, daß sie endlich die finanziellen Maßnahmen beschließt, die Schleswig-Holstein braucht, um nicht länger Stiefkind des Bundes zu sein, anstatt solche undurchdachten, ungeordneten und unernsthaften Ausführungen hier im Hause zu machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Merten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte mich ursprünglich nicht zum Wort gemeldet, weil ich annahm, daß sich der Herr Kollege Leukert mit der Eingliederung der Vertriebenen in die Landwirtschaft befassen würde. Aber Herr Kollege Leukert hat nur einige Sätze dazu gesagt, weil ihm seine ganze Zeit dadurch verlorenging, daß er sich mit der Auswirkung der hier gehaltenen Reden auf den hessischen Wahlkampf auseinandersetzen mußte. Ich darf deshalb einige Dinge nachtragen, die er hat sagen wollen und im Drange der Ereignisse nicht hat sagen können.
Herr Minister Oberländer hat vorhin am Schluß seiner Ausführungen mit Recht und wohl auch mit einer bestimmten Absicht gesagt, man müsse unterscheiden zwischen der formellen Verantwortung, die er als Minister trage, und der Zuständigkeit anderer Ressortminister für gewisse Dinge, die da zu geschehen hätten. Ich glaube, gerade in bezug auf die Eingliederung der Vertriebenen in die Landwirtschaft hat er da ein sehr wahres Wort ausgesprochen. Dann was in Wirklichkeit geschieht und was draußen in Form von Richtlinien und Verordnungen ankommt, ist grundverschieden von dem, was Herr Minister Oberländer gewollt und sich in seinen Plänen vorgenommen hat. Die Zahlen, die er uns genannt hat, sind selbstverständlich richtig; aber wie nehmen sich diese Siedlungszahlen aus gegenüber einer Landflucht von jährlich 300 000 Menschen, von denen genau 85 % Heimatvertriebene sind! Das steht doch überhaupt
in gar keinem Verhältnis zueinander! Wir haben in der Zeit von 1945 bis 1953 durchschnittlich ganze 780 ha im Jahr durch Neusiedlung auf Od-, Moor-und Rodungsflächen erhalten und haben weit mehr als das Zehnfache dieser Fläche durch Baugelände, Straßen, Truppenübungsplätze und ähnliches für die landwirtschaftliche Nutzung verloren. Wir sind also keineswegs durch die Bestimmungen des Bundesvertriebenengesetzes und des alten Flüchtlingssiedlungsgesetzes vorwärtsgekommen, sondern wir sind von Jahr zu Jahr ganz gewaltig zurückgeschlagen worden.
Es ist auch eigenartig, daß beispielsweise die Preise für Moor- und Ödland sowie für Rodungsflächen nach dem Erlaß des Bundesvertriebenengesetzes von durchschnittlich 50 DM pro Hektar auf jetzt 1000 bis 1200 DM pro Hektar gestiegen sind.
Es wäre vielleicht ganz interessant, zu untersuchen, auf welchen Zusammenhängen diese eigenartigen Preissteigerungen beruhen.
Noch eine andere Frage muß in diesem Zusammenhang angesprochen werden. Der Herr Minister hat uns die Zahl von 16 381 Eingliederungsfällen für das Jahr 1954 genannt. Eine wunderbare Zahl, aber es stört doch etwas, daß 63 % davon nur auf Nebenerwerbsstellen angesiedelt werden sollen. Diese Frage der Nebenerwerbsstellen macht uns allerhand Kummer. Herr Minister, Sie wissen wie wir, daß die Statistik die Stellen erst von 2 ha an zählt. Was unter 2 ha liegt, ist die große Gruppe der Nebenerwerbs- oder Aufbaustellen. Doch diese Statistik verschleiert vieles. Das soll ja auch bei anderen Gelegenheiten vorkommen; aber gerade hier ist eine ganz besondere Verschleierung im Gange. 2 ha sind in einigen Gegenden Deutschlands und bei einer besonderen Art der Bewirtschaftung eine Vollerwerbsstelle, während sie in anderen Gegenden eine Angelegenheit sind, über die man gar nicht groß zu sprechen braucht. Im letzten Falle wird es niemals möglich sein, hier einen großen landwirtschaftlichen Nutzen herauszubringen. Wir wissen jedoch aus der Erfahrung, daß viele Tausende von heimatvertriebenen Landwirten Stellen bekommen haben, die 1/8 ha groß sind. Das ist dann ein Haus mit einem Garten, hat aber mit Eingliederung in die Landwirtschaft nicht das geringste zu tun. Das ist eine Kleinsiedlung am Arbeitsplatz oder am Standort der Fabrik. Dagegen hat natürlich kein Mensch etwas.
Wenn ich heute zu einem heimatvertriebenen Bauern in der Rhön oder auf dem Vogelsberg gehe und sage: „Wenn du willst, kannst du sofort in Rüsselsheim bei den Opelwerken anfangen, und du bekommst auch sofort eine Wohnung; wenn du aber Bauer werden willst, dann muß ich dir leider sagen, daß das noch fünf oder zehn Jahre dauern kann", dann möchte ich einmal denjenigen sehen, der nicht sofort ja sagt und in die Fabrik geht, damit er erst einmal ein Dach über den Kopf und etwas Geld in die Kasse bekommt. Aber diese Dinge haben nichts mit der Eingliederung in die Landwirtschaft zu tun. Viele Nebenerwerbsstellen haben keinerlei Aussicht, jemals als Grundlage für einen Vollerwerb in der Landwirtschaft dienen zu können, ja viele Nebenerwerbsstellen haben überhaupt gar nichts mit der Landwirtschaft zu tun. Noch nicht einmal die Kartoffeln und die Futtermittel für den eigenen Betrieb können auf einer solchen Stelle gewonnen werden.
Wir hätten also den Wunsch und die Bitte, Herr Minister, daß das in Zukunft in der Statistik etwas genauer aufgegliedert wird, damit wir endlich einmal davon herunterkommen, die Bildung dieser Zwergbetriebe als Eingliederung in die Landwirtschaft zu bezeichnen. Ich bin der Auffassung, daß auch Sie selbst nicht die Absicht haben, das zu tun.
Wie die Kulturämter verfahren, ist an einem krassen Beispiel klargelegt worden, das auch Ihnen, Herr Minister, bekannt ist. Als ein Bauer eine Nebenerwerbsstelle einrichten wollte, die noch nicht 2 ha groß war, hat ihm das Kulturamt — es ist das Kulturamt in Unna gewesen — die Auflage gemacht, von dieser geringen Fläche noch Land an zwei andere Vertriebene abzugeben; andernfalls, so wurde gesagt, könnte man ihm nicht die ganze Stelle geben. Ich stelle fest, daß das Verhalten eines Kulturamtes in dieser Frage in striktem Widerspruch zu dem Willen des Gesetzgebers steht, den dieser bei der Verabschiedung des Bundesvertriebenengesetzes hatte.
Dazu kommt noch etwas anderes. Ein Bauer, der ein Aufbaudarlehn für eine Wohnung erhält, behält seine Kriegsschadenrente. Ein Bauer, der ein Aufbaudarlehn zur Errichtung einer landwirtschaftlichen Nebenerwerbsstelle erhält, die vielleicht genau so aussieht, verliert seine Kriegsschadenrente in aller Regel. Das kann man nicht gerade als Anreiz zur Eingliederung in die Landwirtschaft bezeichnen.
Ich frage mich und frage Sie, Herr Minister: Wieviel von diesen 63 % der im laufenden Jahr errichteten Neben rwerbsstellen mögen für die Angesiedelten eine echte Eingliederung in die Landwirtschaft sein, und wieviel davon mögen nichts anderes sein als eine Unterbringung von Vertriebenen in Arbeit und Wohnung, die man aber nicht unter dieser Rubrik aufzählen dürfte?
Herr Minister, Sie haben auch die Fragen, die sich mit den drei Gesetzentwürfen befassen, die wir verlangt haben, mit einigen Sätzen erledigt. Es ist Ihnen ja auch nichts anderes übriggeblieben. Diese Gesetzentwürfe liegen eben weder dem Kabinett vor, noch besteht Aussicht, daß wir sie im Bundestag in absehbarer Zeit zu sehen bekommen. Diese Gesetzentwürfe sind zwar da, sie sind auch zu sehen, und viele haben sie auch. Aber es ist eine ein bißchen merkwürdige Methode, glaube ich, daß man derartige Gesetzentwürfe wochen- und monatelang mit allen möglichen Leuten berät und nur derjenige, der diese Gesetzentwürfe nachher zu beschließen hat, sie zu allerletzt zu sehen bekommt. Diese ganzen zeitraubenden Vorberatungen sind vollkommen überflüssig. Hier ist der Bundestag, der die Gesetze zu beschließen hat. Hier und nicht irgendwo anders müssen sie beraten werden. Da draußen sind die Zehntausende von Menschen, die nicht mehr viel Zeit haben, auf die Verabschiedung der Gesetze zu warten. Auch an die muß man endlich einmal denken, wenn man eine derartige Frage bearbeitet.
Die Altersversorgung der Eigentümer auslaufender Höfe ist eine entscheidende Frage für die Eingliederung der Heimatvertriebenen. Wenn man die auslaufenden Höfe zur Verfügung hätte, gäbe es morgen keine vertriebenen Bauern ohne Hof mehr, nicht einen einzigen.
— Die Zahlen sind ja bekannt, Herr Kollege Kunze.
— Ich werde Ihnen gleich die Zahlen nennen. Sie werden sehen, daß da noch die Hälfte übrigbleibt. Es werden in Deutschland allein 221 800 Höfe von Frauen bewirtschaftet, von denen 51 500 über 65 Jahre alt sind; das sind 23,2 %. Ich sage: Hut ab vor den Frauen, die sich diese Arbeit machen, Hut ab vor den Frauen, die noch diese außerordentlich schwierige Arbeit leisten! Aber glauben Sie nicht, daß nun hier etwas geschehen müßte, und zwar auch im Interesse der Steigerung der Produktion, nicht nur der Eingliederung der Vertriebenen? Müßte da nicht eine Möglichkeit gefunden werden, daß junge und leistungsfähige Menschen diese Betriebe übernehmen? Wir können nicht warten, bis die Gesetze über die allgemeine Altersversorgung der landwirtschaftlichen Bevölkerung oder der Handwerker verabschiedet sind. Hier dreht es sich um den ganz speziellen Fall, daß der Inhaber eines auslaufenden Hofes bereit ist, ihn einem vertriebenen oder einheimischen Bauern zu geben.
Was kann man tun, um für das Alter des Betreffenden zu sorgen, wenn die Pacht oder der Kaufpreis nicht ausreichen, eine Rente sicherzustellen? Der Herr Bundesminister hat zu dieser Frage erklärt, daß es noch keine irgendwie geartete gesetzliche Regelung gebe, daß man aber versuchen wolle, mit Beihilfen und Bürgschaften einen Mittelweg zu finden. Ja, die Erhöhung der Beihilfen ist notwendig. Der Anteil der Beihilfen bei der landwirtschaftlichen Siedlung ist von 40 % auf 15 % gefallen. Es ist also genau das Gegenteil von dem eingetreten, was man tun müßte, um hier vorwärtszukommen. Ich habe mir sagen lassen, es stünden schon seit längerer Zeit 100 000 DM aus ERP-Mitteln bereit, um damit einmal eine Probe der Altersversorgung für die Besitzer auslaufender Höfe zu machen, sie könne jedoch nicht stattfinden, weil man für das Geld noch keinen Träger gefunden habe. Ich glaube, daß diese Formalitäten nicht die entscheidende Rolle spielen sollten, wenn es sich um das Schicksal einer großen Gruppe von Menschen handelt. Die Altersversorgungsfrage, Herr Minister, sollte viel energischer angepackt werden. Der Weg, über Beihilfen und Bürgschaften weiterzukommen, wie Sie vorgeschlagen haben, ist durchaus gangbar; aber die Sache muß nun einmal aus dem Stadium der theoretischen Diskussion heraus, und es muß etwas geschehen.
Die allgemeine Eingliederung der Vertriebenen in die Landwirtschaft hat sich ja verzögert. Wir wissen, daß das verschiedene Gründe hat. Meines Erachtens zieht aber der Grund nicht, daß die Länder nicht tüchtig genug wären. Die Länder haben nichts machen können, weil die Finanzierungsrichtlinien, die nach dem Bundesvertriebenengesetz vorgesehen sind, nicht herausgekommen sind. Das Gesetz trägt das Datum des 19. Mai 1953. Die in § 46 vorgesehenen Finanzierungsrichtlinien sind glücklich am 31. März 1954, also zehn Monate später, herausgekommen. Erst damit wußten die Länder im allgemeinen, mit welchen Mitteln sie rechnen und wie sie sie verteilen konnten. Diese Verzögerung ist unverantwortlich. Die Berichte aus den Ländern besagen, daß gerade wegen dieser Verzögerung die Zahl der Eingliederungsfälle im vergangenen Jahr wesentlich niedriger war als in allen vorhergehenden Jahren. Dazu kommt, daß die Siedlungsmittel im Bundeshaushalt um 55 % hin-
ter dem Betrag zurückbleiben, der im Gesetz vorgesehen ist. Daraus folgt alles andere und wird klar, daß es nicht möglich ist, die Zahlen zu erreichen, die sich der Herr Minister vorgenommen hat.
Wir fragen auch: Wo bleibt der Vierjahresplan, den das Gesetz zwingend vorschreibt? Die sozialdemokratische Fraktion hat sich bereits im Januar dieses Jahres danach erkundigt und von dem Herrn Landwirtschaftsminister die äußerst merkwürdige Antwort bekommen, das Gesetz sehe einen derartigen Plan gar nicht vor, sondern es genüge vollkommen, wenn von Jahr zu Jahr ein Siedlungsplan vorgelegt werde. Alle, die bei der Beratung des Vertriebenengesetzes dabei waren, wissen, daß von den Sachverständigen festgestellt worden ist, daß man auf dem Gebiete der Siedlung nicht kurzfristig, sondern nur langfristig planen könne, und daß aus diesem Grunde in das Gesetz ausdrücklich hineingeschrieben worden ist, die Bundesregierung möge einen Plan für vier Jahre vorlegen. Es ist nicht genügend, wenn von Jahr zu Jahr von der Hand in den Mund gelebt wird. Wenn irgendwelche Juristen glauben, eine Auslegung finden zu sollen, die dem Willen des Gesetzgebers hundertprozentig entgegengesetzt ist, dann können wir uns damit nicht zufrieden geben. Wir müssen verlangen, daß dieser im Gesetz zwingend vorgeschriebene Vierjahresplan für die Siedlung vorgelegt wird, weil es nur so möglich wird, in dieser Frage auch zu einer vernünftigen Regelung und zu einem vernünftigen Programm zu kommen. Es ist auch vollkommen unklar, warum das Gesetz in diesem Punkt falsch verstanden wird. Aus den monatelangen Verhandlungen geht hervor, daß der Wille des Gesetzgebers ganz eindeutig gewesen ist. Hier hat zwar auch der Bundesvertriebenenminister die Verantwortung, aber der Fehler ist in einem ganz anderen Ressort, nämlich im Landwirtschaftsministerium, gemacht worden.
Das Grundstücksverkehrsgesetz, Herr Minister, kenne ich und kennt, glaube ich, ein großer Teil der daran interessierten Personen. Es ist aber bis jetzt weder vom Kabinett verabschiedet noch dem Bundesrat noch dem Bundestag zugegangen. Ich glaube auch, daß es in der vorliegenden Form nicht das erfüllt, was es erfüllen soll, daß nämlich bestehende Höfe nicht mehr zerschlagen werden dürfen. Wir hoffen, daß dieses Gesetz trotz des zeitraubenden Weges, den man sich gesucht hat, um es verabschieden zu können, in absehbarer Zeit auf der Tagesordnung dieses Hauses steht. Es wird dann wahrscheinlich gelingen, die Zerschlagung vieler Betriebe zu verhindern und dadurch wieder die Möglichkeit zu schaffen, einige Vertriebene einzugliedern.
Zusammenfassend möchte ich noch das eine sagen. Herr Minister, was wir nicht wollen, sind Ressortstreitigkeiten. Wir wissen, daß Ressortstreitigkeiten viele Bestimmungen des Bundesvertriebenengesetzes sabotiert und ihre Ausführung entweder ganz verzögert oder auf die lange Bank geschoben haben.
Ich erinnere Sie nur daran, daß beispielsweise die Finanzi erungsrichtlinien, die zehn Monate brauchten, bis sie geboren wurden, daran hängengeblieben sind, daß man sich nicht einigen konnte, wer die Mittel, die der Bund zur Verfügung stellt, verwalten soll, die Siedlungsbank oder die Landesrentenbank oder wer immer. Ich sage Ihnen: es interessiert die vertriebenen Bauern nicht einen Pfifferling, wer diese Mittel verwaltet, sondern sie sind lediglich daran interessiert, daß diese Mittel schnell fließen und daß sie nicht in einem komplizierten, sondern in einem einfachen Verwaltungsverfahren zu ihren Höfen kommen. Daß die Kulturämter alle Rekorde in der Langsamkeit schlagen, mit der man eine Sache verwaltungsmäßig durchführen kann, ist ja schon seit langem bekannt. Es gibt Verfahren, die Jahrzehnte alt sind, auch auf anderem Gebiet. Aber bei den Vertriebenen erleben wir es immer wieder, daß durchschnittlich ein zweijähriger Kampf mit der Bürokratie notwendig ist, um zum Ziel zu kommen. Auch hier wäre es an der Zeit — und das ist nicht die Sache des Gesetzgebers, sondern die der Verwaltung —, zu einer Vereinfachung zu kommen. Denn diese Vereinfachung wird dann immer auch eine Beschleunigung bedeuten. Was wir wollen, ist eine schnelle Eingliederung. Wir wollen sie deswegen schnell, weil nach den Berechnungen, die heute vorliegen, der letzte vertriebene Bauer ungefähr 50 Jahre warten müßte, bis auch er an die Reihe käme. Wir haben vorhin gesagt, 5 % der Selbständigen in der Bundesrepublik seien Vertriebene. Bei den Bauern sind es etwa 0,5 %, also ein Prozentsatz, der wesentlich darunter liegt. Es ist sehr schwer, die bäuerliche Bevölkerung dann, wenn sie aus Not in andere Berufe abgewandert ist, wieder zum alten Bauernberuf zurückzubringen. Deswegen geht es uns um schnelle Erledigung dieser Frage, weil es hier zugleich um die Erhaltung unersetzlicher Kräfte unseres Volkstums und unseres Bauerntums geht.
Das Wort hat der Abgeordnete Elsner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Merten hat in überzeugender Weise die zentralen Probleme der Eingliederung des heimatvertriebenen Bauerntums angesprochen. Ich kann mich deshalb kurz fassen und darf vielleicht mit wenigen Sätzen das noch ergänzen, was vorgetragen worden ist.
Die Situation beim heimatvertriebenen Bauerntum liegt doch so, daß 450 000 Bauernfamilien in die Bundesrepublik gekommen sind. Davon ist die Hälfte berufsfremd geworden, 52 000 sind eingegliedert, und etwa 160 000 Bauernfamilien sind noch eingliederungswillig. Wenn also diese Eingliederung in demselben Tempo weiter verläuft, muß damit gerechnet werden, daß ein erheblicher Teil weiterhin berufsfremd wird und der Landwirtschaft verlorengeht. Das Problem der bäuerlichen Eingliederung steht deshalb unter Zeitdruck, und es gilt, energisch zu handeln und die Eingliederung mit aller Energie vorwärtszutreiben.
Vorhin wurde darauf hingewiesen, daß ein Drittel der Familien auf Vollerwerbsstellen und zwei Drittel auf Nebenerwerbsstellen entfallen. Gerade beim Problem der Nebenerwerbsstellen ist ja. eindeutig aufgezeigt worden, wieviel Mängel vorliegen. Ich darf aber mit Befriedigung feststellen, daß sich das Ministerium und das Kabinett darüber im klaren sind, daß dieses ungünstige Verhältnis — ein Drittel zu zwei Drittel — ins Gegenteil verkehrt werden muß, um zu einem wirklich echten Erfolg zu kommen und die bäuerliche Substanz zu erhalten.
Gewiß ist die Nebenerwerbssiedlung eine Notlösung; aber sie ist immerhin besser als gar keine. Sie verbindet wenigstens das heimatvertriebene Bauerntum mit dem Boden und läßt es nicht ganz berufsfremd werden. Sie führt auch die Jugend an die bäuerlichen Existenz- und Berufsgrundlagen heran. Das ist meines Erachtens ein außerordentlich wichtiger Gesichtspunkt. Wenn es uns gelingt, die Zahl der Vollerwerbsstellen in dem notwendigen Umfang zu erhöhen und die angelegten Nebenerwerbsstellen vielleicht in einem gewissen Umfang aufzustocken, dann dürften auch hier die aufgezeigten Mängel eine gewisse Korrektur erfahren. Ich erinnere nur an Niedersachsen, wo immerhin die Anlage von Nebenerwerbsstellen so vorgenommen wurde, daß eine Aufstockung möglich ist.
Entscheidend für diese Entwicklung war die Tatsache, daß nicht genügend Höfe und auch nicht genügend Land auf dem freien Markt anfielen. Das hat nicht zuletzt auch seine Ursache eben in der mangelnden Altersversorgung, die auch weiterhin dazu führt, daß gerade die kleinbäuerlichen Betriebe weiter aufgesplittert und devastiert werden. Es ist ja auch so, daß der Besitzer, der sein Altenteil nicht gesichert sieht, bis in ein Alter hinein wirtschaftet, in dem er der Aufgabe nicht mehr gewachsen ist. Daß darunter der Betrieb leiden muß und vernachlässigt wird, ist klar. Hier liegt also eine nationale agrarpolitische Aufgabe, diesen Zustand zu meistern. Wenn ich noch darauf hinweise, daß rund 1 Million Betriebe unter 20 Morgen, also 5 ha, liegen, die davon betroffen werden, dann wird Ihnen das volle Ausmaß dieser Aufgabe deutlich.
Der Erfüllung dieser Aufgabe soll ja nicht zuletzt auch das neue Grundstücksverkehrsgesetz dienen. Hierdurch soll eine Verbesserung der Agrarstruktur erreicht werden. Ich habe in Erfahrung bringen können, daß erhebliche Kräfte am Werk sind, in diesem Grundstücksverkehrsgesetz das Vorkaufsrecht der Siedlungsträger auszuschalten. Wenn das Platz greifen sollte, sehe ich darin eine ernste Gefahr für die Landbeschaffung zur Eingliederung der Vertriebenen. Es würde interessieren, Herr Minister, ob diese Bestrebungen zutreffen.
Wir haben mit Befriedigung feststellen können, daß das Altersversorgungsgesetz für Bauern in Vorbereitung ist. Aber ehe dieses Gesetz wirklich zum Tragen kommt, vergeht viel kostbare Zeit, was im Hinblick auf den Zeitdruck der Eingliederung nicht vertretbar ist. Deshalb bitte ich zu erwägen, Herr Minister, ob man nicht mindestens den § 46 Abs. 6 und auch den § 42 des Bundesvertriebenengesetzes dahin ergänzt, möglicherweise auf dem Wege einer Rechtsverordnung, um a tempo die Mittel bereitzustellen, die die Altersversorgung sicherstellen für den Fall, daß ein Heimatvertriebener einen solchen Betrieb auf dem Kauf- oder Pachtwege übernimmt.
Das gleiche gilt für das Entschädigungsgesetz für Bodenreformland. Wir müssen damit rechnen, daß es wiederum seine Zeit in Anspruch nehmen wird, ehe dieses Gesetz wirksam wird. Uns kommt es doch schließlich darauf an, daß möglichst rasch das notwendige Land angeboten wird. Vielleicht könnte man die gleiche Vergünstigung, wie sie im Lastenausgleichsgesetz § 199 verankert ist, für eine freiwillige Bereitstellung von Bodenreformland zur Anwendung kommen lassen.
Wir sehen also, daß gerade in der bäuerlichen Eingliederung noch Erhebliches nachzuholen ist. Ich darf noch auf eine besonders nachteilige Entwicklung hinweisen. Im Flüchtlingssiedlungsgesetz wurden bei Einheiratung erhebliche Vergünstigungen auf steuer- und abgaberechtlichem Gebiet gewährt. Diese sind im Bundesvertriebenengesetz weggefallen. Ich muß feststellen, daß sich der Wegfall dieser Vergünstigungen für die Eingliederung gerade nach dieser Richtung sehr ungünstig ausgewirkt hat. Auch hier müßten neue Erwägungen Platz greifen, ob man nicht eine Änderung vornehmen sollte.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vorliegenden Grundtatsachen sind in ihren Ergebnissen, abgesehen von den Feststellungen des Herrn Kollegen Dr. Oberländer, kaum erwähnt worden. Wenn man aber festhält, daß von rund 70 000 neuen Stellen, die durch Siedlung oder durch Übernahme von bestehenden Höfen geschaffen worden sind, 76 % an Vertriebene und Flüchtlinge gekommen sind und 24 % an die Einheimischen und daß dafür 677 Millionen DM und 292 000 ha zur Verfügung gestellt worden sind, dann ist das eine ungeheure Leistung.
Ich stehe in dieser Arbeit seit 1947, und alle, die mich in der Arbeit im Lande Nordrhein-Westfalen haben beobachten können, werden mir wohl zubilligen, daß ich mich in dieser Hinsicht einigermaßen angestrengt habe.
Aber ich darf sagen, daß trotz meiner Bemühungen von diesem Landanfall von 292 000 ha auf unser Land knapp 10 % entfallen sind.
Wenn Sie nun die Zahl von 292 000 ha — das ist nämlich nur das Land, das an Vertriebene gefallen ist — durch die Zahl von 45 000 dividieren, dann kommen Sie auf eine durchschnittliche Größe von 6,5 ha. Es kann also auch nicht so sein, daß alles nur Nebenerwerbsstellen gewesen sind. Diese Nebenerwerbsstellen zu schaffen, war eine sehr schwierige Angelegenheit; denn die Nebenerwerbsstellen mit viel Land sind, wenn der betreffende Erwerber in einer schweren gewerblichen oder sonstigen Arbeit steht, in ihrer Bestellung gefährdet, wenn nicht Frauen und Kinder oder alte Leute da sind, die etwas davon verstehen und die diese Arbeit auch tun wollen. Ich habe deshalb damals in einer Besprechung, die ich in Hamm mit allen Stellen der Verwaltung, mit den Vertriebenen usw. hatte, mich auf den Standpunkt gestellt, man sollte diese Nebenerwerbsstellen sehr vorsichtig und zurückhaltend anlegen. Aber gerade die Vertreter der Vertriebenen waren der Meinung, sie in stärkstem Umfange zu schaffen, weil man ja gar nicht erwarten könne, daß die Hunderttausende von vertriebenen Bauern alle in Vollbauernstellen unterzubringen seien. Bei der dichten landwirtschaftlichen Besiedlung Deutschlands mit einer durchschnittlichen Betriebsgröße von 7 ha ist ja
überhaupt nicht zu erwarten, daß die Eingliederung in vollem Umfange glückt, und alle Reden, die darüber hier gehalten werden, können daran gar nichts ändern.
Es wird, selbst wenn kein einziges größeres Gut mehr übrigbleibt, auch nicht im entferntesten möglich sein, die Vertriebenen auf bäuerlichen Stellen unterzubringen. Das sehen die Vertriebenen, die sich mit diesen Dingen befaßt haben, auch ein, und deswegen ist ja der Ausweg der Nebenerwerbssiedlung vorgeschlagen worden.
Nun gehen aber bei den vorhandenen kleinen Stellen gerade diese Besitzgrößen von etwa 2 ha zurück, weil das zu viel Land ist, als daß es neben einer gewerblichen Betätigung noch ordnungsmäßig bestellt werden könnte. In den letzten zwanzig Jahren, also ohne jede Beeinflussung von außen, sind in Baden-Württemberg die Stellen zwischen 2 und 5 ha um 30 000 ha zurückgegangen, und die Stellen, die über 10 ha groß sind, haben 70 000 ha gewonnen. Das ist also die normale Entwicklung. Wir möchten ja nicht Flüchtlings- und Vertriebenenstellen schaffen, die dann in den Trend kommen, sich wieder zu entvölkern. Das wäre doch sinnlos.
Infolgedessen kann man nur folgenden Weg wählen: die Stellen so klein zu machen, daß der Betreffende noch das Gefühl hat, sich landwirtschaftlicher Arbeit hingeben zu können; und das war etwa mit 2/3 bis 1 Morgen möglich. Vielfach sind die Stellen auch 2 Morgen groß gemacht worden. Mit Einverständnis der Vertriebenen sind allerdings auch Stellen von einem halben Morgen, also 1250 qm, geschaffen worden. Es sind zwischen dem Lastenausgleichsamt, dem Vertriebenenministerium und dem Landwirtschaftsministerium Verabredungen zustande gekommen, den Begriff der Nebenerwerbsstelle nicht genau nach der Größe abzugrenzen, sondern nach der Einrichtung der Stelle, danach, ob der Betreffende, der mit seiner Familie auf der Stelle sitzt, noch landwirtschaftlich und gärtnerisch arbeiten kann und mindestens seinen Eigenbedarf zu wesentlichen Teilen aus dieser Siedlerstelle zu decken vermag. Das ist bei all den Stellen möglich, die geschaffen wurden. Wir haben nämlich die Halbmorgenstellen im wesentlichen auf guten Böden, wo man also auch eine entsprechende Bodenleistung erwarten kann; sonst sollen die Stellen möglichst mindestens 2/3 bis
1 Morgen groß sein. Ich würde aber nicht Wert legen auf größere Stellen, nicht weil sie den Vertriebenen nicht zu gönnen wären, sondern weil ihre Bewirtschaftung neben einer vollen Beschäftigung in der Regel zu schwierig ist, besonders dann, wenn die älter werdenden Kinder darangehen zu heiraten und von den Frauen diese schwere Arbeit auf dem Acker, im Garten und im Stall verlangen. Dann werden sie vielfach auf die Tatsache stoßen, daß Frauen, die dazu bereit sind, kaum mehr zu finden sind.
Wenn die Schaffung der kleinen Stellen, die ja allgemein — auch in Vertriebenenkreisen — bekannt ist, in der Statistik nicht genügend deutlich zum Ausdruck gebracht ist, weil alle Stellen unter
2 ha in eine Kategorie hineingesteckt worden sind, kann man in Zukunft dafür sorgen, daß die Statistik auf das genaueste aufgegliedert wird; dagegen bestehen ja gar keine Bedenken.
Dann zur Regelung der Altersversorgung. Meine Damen und Herren, diese Altersversorgung ist von mir mit vorgeschlagen worden. Abgabewillige kleine Besitzer erhalten von den Übernehmern, also von den Vertriebenen, nicht genügend Pacht, um davon leben zu können. Hier muß der Weg gegangen werden, die Kosten, die der Unterhalt der Vertriebenenfamilie im Lager verursachen würde, zu einem bestimmten Prozentsatz, vielleicht zu 75 %, als Abfindung an die abgebende Familie zu zahlen, damit sie ihre Alterssicherung hat. Gleichzeitig kann wiederum eine bäuerliche Familie das Lager verlassen. Es ist aber kein Zweifel, daß für diese Zwecke Gelder nach den gesetzlichen Bestimmungen noch nicht zur Verfügung stehen und daß sich, wie auch Herr Kollege Oberländer meint, eine Gesetzesänderung, also eine Novelle, nicht umgehen lassen wird. Außerdem war im laufenden Jahr keine Möglichkeit, diese Dinge im Etat entsprechend zu berücksichtigen. Ich persönlich hoffe, daß wir diese Dinge zusammen mit dem Bundestag in Ordnung bringen und durch Übernahme von Betrieben, die heute noch von abgabewilligen Besitzern bewirtschaftet werden, durchaus guten Erfolg haben werden.
Allerdings täuscht die Zahl von 221 000 Betrieben, die von Frauen bewirtschaftet werden. Da sind ja die Kinder auf der Stelle, da wird doch die Frau, die heranwachsende Söhne oder Töchter hat, in keinem Falle bereit sein, die Stelle außerhalb der Familie abzugeben, wenn nicht ein Notstand besteht. Diese Stellen kann man also auch nicht im entferntesten ansprechen. Wohl aber werden alte Leute, die keine Nachkommen haben, bereit sein, ihre Stellen in die Hände von Vertriebenen zu geben, die bereit sind, die Stellen zu bewirtschaften und einen angemessenen Kauf- oder Pachtpreis zu zahlen.
Die berühmten Finanzierungsrichtlinien. Es war ein sehr schwieriges Werk. Ich fand die Dinge ja Ende des vorigen Jahres bei mir vor. Herr Kollege Oberländer und ich haben dann in verhältnismäßig kurzer Zeit, in wenigen Sitzungen, die streitigen Punkte beseitigen können. Es ist uns dann auch gelungen, nachfolgend die Bedenken, die im Finanzministerium noch bestanden, zu beseitigen.
Die Gesetze zur Verbesserung der Agrarstruktur, insbesondere das Verbot der Hofteilung unterhalb einer bestimmten Grenze, sind so weit in Vorbereitung, daß sie in der nächsten Zeit dem Hause zugeleitet werden, desgleichen auch alle die Bestimmungen, die der Aufstockung von Betrieben dienen, die zu klein sind, um eine Familie zu ernähren.
Zur Frage des Vorkaufsrechts, die hier angeschnitten worden ist, darf ich sagen: Die Ausschaltung des Vorkaufsrechts ist vollkommen unmöglich; wenn man das Vorkaufsrecht der Siedlungsgesellschaften beseitigte, bestände die Wahrscheinlichkeit, daß das verkaufte Land nicht denjenigen zukäme, die die Aufstockung nötig haben. Das wird aber nicht geschehen.
Auch das Gesetz über die Verbesserung der Entschädigung für die landabgebenden Besitzer ist in der Vorbereitung. Ich hoffe, daß eine größere Bereitschaft zur Landabgabe die Folge sein wird. Es wäre aber auch noch zu erwägen, ob man diese verbesserte Entschädigung nicht mit einer Prämie für den Lastenausgleich verbinden kann. Das ist schon früher einmal bei der Prüfung der Bestim-
mungen über den Lastenausgleich erörtert, dann aber wieder fallengelassen worden.
Ich darf zum Schluß noch einmal darauf hinweisen: 70 000 Stellen, von denen 76 % mit 292 000 ha an Vertriebene gegeben worden sind, haben einen ungeheuren Kraft- und Verwaltungsaufwand erfordert. Wer praktisch in der Arbeit steht, kann das beurteilen. Ich brauche wohl nicht zu versichern, daß diese Arbeit nicht mit Selbstzufriedenheit und „blanken Schreibtischen" geleistet werden kann.
Das Wort hat der Herr Bundeswohnungsbauminister Dr. Preusker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte sind verschiedentlich konkrete Zahlenangaben gewünscht worden über das, was auf dem Gebiet der Eingliederung der Heimatvertriebenen, der Flüchtlinge und der Evakuierten tatsächlich geleistet worden ist. Ich darf Ihnen für das Gebiet, das ich unmittelbar übersehen kann, diese Zahlen einmal kurz vor Augen führen.
Im Rahmen der bisherigen laufenden Umsiedlungsprogramme waren am 31. Juli dieses Jahres fertiggestellt 93 456 Wohnungen, d. h. Wohnungen für 375 000 der von diesen Programmen erfaßten 615 000 Umsiedler. Zu diesem Termin sind weiter im Bau gewesen 16 446 Wohnungen für weitere 66 000 Umsiedler. Von diesen Wohnungen ist gerade in den beiden letzten Monaten mit Sicherheit ein erheblicher Teil auch bezugsfertig geworden, so daß für etwa 440 000 dieser 615 000 Umsiedler die Wohnungen inzwischen fertiggeworden oder fast fertiggestellt worden sind. Dazu sind noch rund 1800 Wohnungen, die in der Vorkriegszeit entstanden sind, Umsiedlern zur Verfügung gestellt worden, d. h. weiteren rund 7200 Menschen. Das sind also insgesamt etwa 450 000 Umsiedler.
Ich darf auch eine Bemerkung richtigstellen, die in der Diskussion fiel. Es war davon gesprochen worden, daß die Gesetze und Verordnungen doch sehr spät gekommen seien, erst im Juli und im September 1953. Dessen ungeachtet hatte die Bundesregierung aber längst vorher gehandelt. Denn die Mittel für die Umsiedlung sind bereits zur Verfügung gestellt worden in Höhe von 200 Millionen DM im Juni 1952 und in Höhe von 100 Millionen DM im Februar 1953. Die Programme der Umsiedlung, also soweit es sich um die Unterbringung oder die Vorbereitung der Unterbringung der Umsiedler handelt, waren somit bei Erlaß der Gesetze und Verordnungen längst in vollem Umfang im Laufen.
Lassen Sie mich nun etwas zu dem besonders schwierigen Problem der Unterbringung der Sowjetzonenflüchtlinge sagen. Ich will dabei im Augenblick gar nichts zu dem Streit ausführen, der zwischen den Ländern und dem Bund darüber entstanden ist, in welcher Höhe der eine oder der andere hierbei noch etwas Zusätzliches tun sollte. Aber erinnern Sie sich doch einmal daran, daß im vergangenen Jahr insgesamt weit über 300 000 Flüchtlinge zu uns herüberströmten; ein Problem von einer Größenordnung, das weit über die Kraft dieses mit seinem Schicksal ringenden Deutschland hinauszugehen schien. Trotzdem sind bis Ende Juli 1954 aus den Mitteln, die hier zur Verfügung gestellt wurden, bereits 26 417 Wohnungen für rund 110 000 Menschen fertiggestellt worden. Darüber hinaus sind rund 55 000 Menschen untergebracht worden im Vorgriff auf die weiterlaufenden Sonderprogramme für Sowjetzonenflüchtlinge, und zwar in anderweitige, neu errichtete Wohnungen oder zu einem geringeren Teil auch in alte Wohnungen. Im Bau befanden sich an demselben 31. Juli noch 18 488 Wohnungen für weitere 73 900 Menschen. Insgesamt also waren am 31. Juli, d. h. bereits innerhalb eines Jahres, nachdem die Flüchtlingskatastrophe in beschleunigtem Tempo über uns hereingebrochen war, Wohnungen für rund 200 000 Menschen bezugsfertig oder annähernd bezugsfertig geworden. Ich glaube, angesichts dieser Leistungen, die vom Bund und von den Ländern innerhalb einer so kurzen Zeit vollbracht worden sind, kann man wohl nicht sagen, wie es der Herr Kollege Jaksch getan hat, es müsse der Eindruck entstehen, daß die innerpolitischen Fragen etwas in den Hintergrund getreten seien. Ich glaube, unser deutsches Volk sieht sehr deutlich, daß das mindestens auf dem Gebiet des Wohnungsbaues nicht der Fall ist.
Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung machen, zu der Sie, Herr Kollege Jaksch, mich leider, fast möchte ich sagen: herausgefordert haben, indem Sie immer wieder auf die besonderen Anstrengungen Hessens hingewiesen haben. Der Kollege Leukert war es, glaube ich, der darauf hingewiesen hat, daß der weitaus überwiegende Teil der Mittel für das, was überhaupt für die Eingliederung der Flüchtlinge, für die Unterbringung der Sowjetzonenflüchtlinge geschehen ist, vom Bund gegeben worden ist.
Der Bundestag hatte einen Beschluß gefaßt, nach dem für die Verteilung der Wohnungsbaumittel für das kommende Jahr geprüft werden sollte, welche eigenen Leistungen die Länder selbst auf allen Gebieten der allgemeinen und besonderen Programme für den Wohnungsbau beigesteuert haben. Das hatte der Bundestag in einer einstimmig angenommenen Entschließung gewünscht. Die Länder haben ihre Angaben gemacht. Wir haben die Zusammenstellung jetzt bei den Schlüsselverhandlungen mit den Ländern vorgelegt. Daraus ergibt sich leider, daß, gemessen an der Steuerkraft dieses Landes, das Land Hessen pro Kopf der Bevölkerung die geringsten eigenen Aufwendungen für den Wohnungsbau gemacht hat.
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Oberländer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In kurzer Beantwortung der gestellten Fragen darf ich zunächst folgendes sagen. Es ist klar, daß die Umsiedlung fortgeführt wird, daß aber die Zeiten, in denen nur die Facharbeiter geholt und die anderen dagelassen wurden, lange vorbei sind. Wir haben doch heute mit den anderen Ländern darüber verhandelt, daß letzten Endes auch verschiedene andere soziale Gruppen zu berücksichtigen sind. Daß Verzögerungen stattgefunden haben, ist richtig, aber doch nicht durch die Planung. Man darf doch auch nicht vergessen, daß der Zustrom der Sowjetzonenflüchtlinge uns die Dinge außerordentlich erschwert hat. Man stelle sich einmal vor, die ganze Umsiedlung
wäre ohne den weiteren Zustrom der Sowjetzonenflüchtlinge durchgeführt worden. Dann wären die Dinge wahrscheinlich sehr viel schneller und so pünktlich durchgeführt worden, wie der Bundestag es damals beschlossen hat. Hinzu kommt eine Menge anderer Schwierigkeiten, nämlich die durch den Wettbewerb der Sowjetzonenflüchtlinge gegebene Erschwerung der Finanzierung des Wohnungsbaues und auch die Erschwerung bei der Landbeschaffung. Also ich glaube, daß man die Frage, wie es kommt, daß der Termin nicht eingehalten worden ist, heute sehr eindeutig beantworten kann.
Dazu, daß falsch verteilt worden sei, muß ich allerdings genau so, wie bereits vorhin aus Kiel geantwortet wurde, eines sagen. Wir haben mit den drei Abgabeländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern die Dinge abgesprochen und haben auch nachher noch eine Korrektur vorgenommen. Man kann also heute nicht einfach erklären: Hier habt ihr einen Fehler gemacht. Soweit mir bekannt — ich bin vor kurzem in Kiel gewesen —, hält auch heute die Regierung von Schleswig-Holstein absolut an dem Soll fest und wünscht auch weiterhin eine Umsiedlung, glaubt also, noch genug Kräfte zu haben, die in Schleswig-Holstein nicht unterzubringen sind.
Ich möchte nur sagen, daß wir in diesem Punkt nicht leichtfertig, sondern in Absprache mit den Ländern gehandelt haben.
Wenn man nun sagt, daß Ulm 10 000 Sowjetzonenflüchtlinge hat, so bitte ich doch zu bedenken, daß Ulm 11 Kasernen hat und daß wir einfach gezwungen waren — die Regierung von Baden-Württemberg, nicht wir —, dorthin zuzuweisen. Also das ist eine Länderangelegenheit, wie auch die Prüfung, ob das Geld von den Gemeinden richtig verbraucht wird, eine Länderangelegenheit ist. Ich kann hier gar nicht in die Obrigkeit der Länder eingreifen, sondern das müssen die Länder von sich aus tun.
Was die Verteilung der Ausländer anlangt, so habe ich schon zu der Zeit, als ich Staatssekretär in Bayern war, alles versucht, die anderen Länder zu bewegen, uns den Überhang von Ausländern, den Bayern hat, abzunehmen. Sehen Sie, hier ergibt sich die Frage, die bei allen Fragen der Verteilung immer wieder anklingt, ob der Föderalismus nicht manchmal etwas zu gruppenegoistisch ist
und ob dieser Gruppenegoismus nicht eine große Gefahr für den Föderalismus ist; denn mit dem, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Rinke, haben Sie nicht die Bundesregierung belastet, sondern die Länder, die sich weigern, aufzunehmen. Ich kann hier keine Schuld der Bundesregierung feststellen. Wenn wir — auch die Länder — nicht gemeinsam zu Opfern bereit sind, dann ist es eben schwer, eine so große soziale Frage zu lösen, wie sie im Augenblick vor uns steht.
— Ja, auf Bundesebene! Aber das Grundgesetz gibt uns nicht die Weisungsbefugnis, den Ländern zu sagen: ihr habt aufzunehmen, sondern nach dem Grundgesetz bin ich eigentlich dazu da, Minister oder Ministerpräsidenten zu überreden und zu überzeugen, aber nicht dazu, ihnen Weisungen zu
geben, jedenfalls nicht in der Frage der Verteilung der Ausländer auf die Länder; das kann ich leider gar nicht. Es wäre vielleicht gut, wenn ich es könnte; dann wäre auch die Verteilung der Sowjetzonenflüchtlinge leichter durchzuführen.
Nun zum „Flüchtlingsberater". Wir haben ihn nie erworben, und wir haben überhaupt keinen Pfennig weder in den Erwerb noch in den Betrieb noch in den Vertrieb hineinsteckt. Wir haben in bezug auf den „Flüchtlingsberater" überhaupt keine finanziellen Verpflichtungen übernommen. Ich wäre dankbar für einen Nachweis, wo das geschehen sein soll. Wir haben auch nie damit Propaganda gemacht.
Und nun zur Frage der Internationalisierung. Wenn in Rom und in Istanbul Erfahrungen über die Eingliederung von Vertriebenen in den verschiedenen Ländern ausgetauscht worden sind, so war es notwendig, daß auch Deutschland vertreten war. Die Rechtsfragen, nämlich das unabdingbare Recht auf Heimat und damit auch auf Selbstbestimmung, eines der Grundrechte der Demokratie, können meines Erachtens vielleicht nicht immer und heute nicht unbedingt öffentlich so vertreten werden, wie wir es wollen. Ich vertrete sie heute dem Ausland gegenüber überall, wo ich kann. Aber vielleicht gibt es hier Dinge, die nicht unbedingt und überall mit der Offenheit vertreten werden können, wie Sie das wollen. Im übrigen habe ich alle diese Dinge so offen wie nur möglich im Rahmen der außenpolitischen Möglichkeiten vertreten, die wir ja wohl alle anerkennen.
Zur Frage der C-Ausweise möchte ich Ihnen die Statistik mitteilen. Im ganzen sind 328 600 Anträge gestellt worden. Erledigt sind davon 57 %, und zwar 186 700, davon 134 400, also 41 %, durch Ausstellung der Ausweise und 52 300 oder 16 % durch Ablehnung.
Nun zu den Fragen des Herrn Kollegen Jaksch. Ich glaube, wir sind uns alle einig, daß mit dem Exportwunder nicht alles erklärt ist und daß wir auch durch das Exportwunder im Ausland oft, gerade wenn es um die Unterstützung in der Vertriebenenfrage geht, manche Schwierigkeiten bekommen.
Wenn Sie sagen, nur 75 % aller Vertriebenen hätten Hausratshilfe erhalten, so bitte ich auch die Unterhaltshilfe nicht zu vergessen. Nur der Ergänzung wegen, glaube ich, muß man auch das dazu sagen. Es ist richtig, daß heute etwa 90 % unselbständig sind. Es ist auch richtig, daß es gut wäre, die Leistungen für die Evakuierten und für die Kriegssachgeschädigten stärker herauszustellen. Sie sind durch die monatlichen und vierteljährlichen Veröffentlichungen des Bundesausgleichsamtes zu erfahren. Sie haben recht: hier wäre eine Möglichkeit — und ich nehme diese Anregung gern auf —, das alles stärker herauszubringen, damit auch einmal das Gerede aufhört: Die Vertriebenen bekommen alles, die Sachgeschädigten nichts. Dieser Aufforderung will ich sehr gern nachkommen. Im übrigen habe ich klar gesagt: 175 Millionen sind bereits für die Evakuiertenumsiedlung ausgegeben, und die übrigen 75 Millionen sind geplant. Wir können also 175 Millionen als absolut fest annehmen. Ich werde alles tun, um auch den Rest zu realisieren.
Sie fragen nach dem Zweijahresplan. Hier scheint ein Versehen vorzuliegen. Ich bedaure das sehr; denn nach den Mitteilungen meines Hauses sind diese Exemplare am 14. September an die Fraktionen versandt worden. Wie es passiert ist,
daß Sie sie nicht bekommen haben, werde ich sofort prüfen. Ich will zu Ihrer Frage insgesamt nur sagen: Der Zweijahresplan ist im Dezember vergangenen Jahres von der Regierung als Grundlage angenommen worden. Im Kabinettsausschuß ist jetzt eine besondere Gruppe mitten in der Arbeit, die gerade auch die finanzielle Koordinierung versucht; denn damit haben Sie vollkommen recht: ich bin ja vielleicht mehr als viele andere Kollegen auf die Mitarbeit der anderen angewiesen, und es nützen alle Programme nichts, wenn nicht auch der Finanzminister zu wesentlichen Dingen seinen Segen gibt.
Daran ist gar kein Zweifel, und damit hängen gewisse Dinge zusammen, die ich propagieren mußte, weil ich wie Sie immer für den Sonne-Plan war. Wir haben zusammen im Bundesrat und im Bundesratsausschuß gesessen, wo wir immer den Wunsch gehabt haben, daß der Sonne-Plan zugrunde gelegt wird; denn ohne eine Gesamtplanung, eine Rahmenplanung in diesem Sinne, war die Sache nicht zu machen. Ich habe den Zweijahresplan nur gewählt, um zu sagen, daß gewisse Dinge erreicht werden müssen; und hinter dem stehe ich. Daß ich große Schwierigkeiten habe und daß es finanziell oft nicht reicht, ist eine Tatsache, die nicht zu bestreiten ist.
Unter dieses Thema fällt auch die Lagerräumung, ob Sie jetzt staatliche oder nicht staatliche Lager nehmen. Wir haben in Bayern damals auch zunächst die staatlichen aufgelöst. Sie haben völlig recht, wenn Sie sagen: Der Mensch muß im Mittelpunkt stehen, und es ist im Grunde genommen gleichgültig, ob er in einem staatlichen oder in einem nicht staatlichen Lager ist. Wir bauen ja auch keine neuen Baracken, das haben wir abgelehnt. Wir hoffen auch nicht gezwungen zu werden, selbst im Falle der Kasernenräumung, neue Barakken bauen zu müssen. Aber ich bin mir klar, daß die Finanzierung Schwierigkeiten macht, weil sie aus Kriegsfolgenhilfe-Mittel kommt und weil diese Mittel vom Finanzministerium bewilligt werden müssen und vom Innenministerium bewirtschaftet werden. Ich tue alles, um die mir zugesagten 30 Millionen schnellstens an die Länder zu bringen, damit überhaupt noch in diesem Rechnungsjahr entsprechend gebaut werden kann.
— Das ist den Ländern bereits mitgeteilt!
— Ja, für die Barackenräumung! Das haben die Regierungen, auch die Regierung in Kiel, vorliegen. Die haben ja auch ihre Vorschläge, welche Lager aufzulösen sind, bereits eingereicht. Diese Vorschläge werden eben hier bearbeitet, um dieses Problem schnell zu lösen.
— Mit dem Bundesfinanzminister habe ich selbst diese Frage der 30 Millionen DM beraten und daraufhin die Länder aufgefordert. Sonst hätte ich diese Aufforderung j a nicht herausgehen lassen können.
Nun die Frage der Finanzierung des Wohnungsbaues für Sowjetzonenflüchtlinge! Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß hier im ganzen die Länder einen Anspruch auf etwa 420 Millionen DM,
genau 420 772 000 DM, hatten. Gezahlt worden sind vom Bundesfinanzministerium 398 Millionen DM. Es blieb also bis zum 31. März ein Rest von 22 Millionen. Auf Grund dieser Tatsache haben die Länder zunächst keine Schwierigkeiten gemacht. Die neue Regelung ab 31. März ist Ihnen bekannt. Dabei sind wir — darauf komme ich bei der Beantwortung der Fragen des Kollegen Miller noch zurück — von gewissen Vorausberechnungen ausgegangen, die sich meines Erachtens als richtig erweisen werden. Aber es kann natürlich auch anders ausfallen; niemand weiß genau, wie groß die Zahl der anfallenden Flüchtlinge sein wird.
Die vorgeschlagene Zusammenarbeit von Landesausgleichs-, -flüchtlings- und -wohnungsamt muß natürlich auf Länderebene durchgeführt werden. Ich darf aber vorweg sagen, daß die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesvertriebenenministerium und den Länderflüchtlingsverwaltungen nach wie vor bestens ist und daß gerade wieder in diesen Tagen, nämlich morgen, in Berlin beide gemeinsam auch wegen der Frage der Finanzierung des Wohnungsbaues für Sowjetzonenflüchtlinge zusammensitzen. Ich glaube also, daß hier keine Schwierigkeiten auftreten. Daß wir dem Kern unter allen Umständen zu Leibe gehen müssen, darin sind wir einig; denn täten wir das nicht, dann könnte die soziale Wirkung eines Tages so sein, als wenn wir überhaupt nicht eingegliedert hätten. Dieser Kern darf unter keinen Umständen unterschätzt werden.
Sie haben nach der Verteilung der kulturellen Mittel gefragt. Ich darf Ihnen ganz roh — ich habe sie nicht auf 100 Mark ausgerechnet — die Zahlen mitteilen, wobei zu sagen ist, daß Verbände keine Mittel bekommen. Denn wenn Sie heute den Verbänden für Tagungen usw. Mittel geben, dann ist diese halbe Million weg, ohne daß ein Effekt da ist. Vielmehr sind verteilt für das Institut für empirische Soziologie 30 000 DM, für die Kommission für Volkskunde 40 000 DM, für die Künstlergilde der Vertriebenen 40 000 DM, für das Nordostdeutsche Kulturwerk 60 000 DM, für das Kulturwerk Schlesien 40 000 DM, für den AdalbertStifter-Verein 40 000 DM, für das Südostdeutsche Kulturwerk 40 000 DM, für den Otsdeutschen Kulturrat 40 000 DM, für die Erfurter Akademie — das ist das Kulturwerk der Sowjetzonenflüchtlinge, also der mitteldeutschen Landsmannschaften —40 000 DM und für kirchliche Kulturzwecke, 50 zu 50 auf beide Konfessionen aufgeteilt, 140 000 DM, also je 70 000 DM. Diese Aufzählung wird Ihnen ungefähr einen Überblick geben. Im übrigen stehe ich Ihnen jederzeit für Einzelauskünfte darüber, wofür wir diese Mittel einsetzen, gern zur Verfügung.
Was den § 33 a des Einkommensteuergesetzes anlangt, dessen Frist am 31. Dezember dieses Jahres abläuft, so ist von meinem Hause nichts unversucht gelassen worden, eine Verlängerung zu erreichen, weil auch wir der Auffassung sind, daß das, was so gut begonnen worden ist, in einzelnen Teilen wieder gefährdet werden kann. Es ist uns nicht gelungen.
Die Frage der Dokumentation der Eingliederung steht zur Debatte. Wir haben bereits eine vorbereitende Sitzung gehabt. Auch diese ist eine Finanzierungsfrage. Das wird etwa eine Viertelmillion kosten, und dieser Betrag ist aus der Summe von
einer halben Million nicht einfach herauszuschneiden. Was hierzu der Haushaltsausschuß des Bundestages sagen wird, möchte ich abwarten. Der Antrag ist jedenfalls bereits in dieser Richtung von mir gestellt worden.
Zu den übrigen Fragen möchte ich zunächst sagen, daß ich in allen Reden, die ich zur Vertriebenenfrage gehalten habe, mit allem Ernst auf die Lage hingewiesen habe, wie sie ist. Ich glaube nicht leichtfertig über diese Dinge gesprochen zu haben. Ich habe auch die Vorfinanzierung des Lastenausgleichs, die Notwendigkeit, die Dinge in den nächsten 6, , 10 oder 25 Jahren zu sösen, usw. in jeder Rede, ob sie politisch war oder nicht, vertreten. Ich glaube das sagen zu müssen, weil man immer überlegen muß, ob man Propaganda für Dinge macht, die undurchführbar sind, oder ob man auf den Ernst der Lage hinweist, um einen gewissen Rückhalt zu bekommen.
Zur Frage der landwirtschaftlichen Siedlung ist geantwortet worden.
Die Frage der Wehrmachtländereien ist allerdings sehr bedenklich. Es ist sicher, daß bei allen Neusiedlungen, vor allen Dingen den Industriesiedlungen, die Frage, wem der Boden gehört und wann er endlich verkauft wird, für alle Kreditangelegenheiten so grundlegend ist, daß sie gar nicht schnell genug gelöst werden kann.
Dem Abgeordneten Miller möchte ich antworten: es ist richtig, daß von uns 132 000 Sowjetzonenflüchtlinge gerechnet werden. Aber die Zahl derer, die einen Anspruch auf eine Wohnung haben, beträgt doch höchstens 20 bis 25 %. Das wären etwa 30 000, mal 15 000 gibt 45 Millionen DM, wie sie im Haushalt stehen. Es ist also richtig, wenn der Bundesfinanzminister hier eine geringere Summe eingesetzt hat, weil wir zunächst damit rechnen, mit diesen 45 Millionen DM auszukommen.
Ich muß allerdings eines hierzu sagen. Es erscheint mir falsch, im Bundestag überhaupt nur die Frage zu stellen, ob wir mit der Wiedervereinigung rechnen oder nicht, ob sie kommt oder nicht, ob wir daran glauben oder nicht. Ich glaube, daß es im Bundestag keinen geben kann, der an dieser Frage zweifelt. Ich muß mit aller Offenheit aussprechen, daß diese Frage hier nicht einmal gestellt werden dürfte.
— Das überlasse ich Ihnen. Der Zusammenhang ist völlig eindeutig, glaube ich.
— Das habe ich anders verstanden.
— Ich möchte jedenfalls klar sagen: schon die Fragestellung erscheint mir falsch.
Herr Kollege Lübke ist auf die Schwierigkeiten der Bauernsiedlung eingegangen. Es ist richtig, daß sie nicht in meinem Hause ressortiert, daß ich hier nur bedingte Kompetenzen habe und eigentlich nur mitwirken kann. Aber sicher ist eines: es ließe sich auf dem Gebiete Entscheidendes tun, wenn weniger zerschlagen würde und man stattdessen die Einheiten ganz übergeben könnte. Es ist völlig unbegreiflich, daß, wie man heute im Zeitalter der Flurbereinigung sehen muß, Zehntausende auslaufender Höfe zerschlagen werden. Es ist eine Angelegenheit der Agrargesetzgebung, hier einzugreifen. Es ist auch richtig, daß es schwer ist, die Agrarstruktur zu verbessern und gleichzeitig die Heimatvertriebenen einzugliedern. Aber beide Dinge müssen nebeneinander gemacht werden. Diese verschärften Schwierigkeiten verlangen allerdings auch in diesem Punkte einen erhöhten Einsatz. Vielleicht kann man gewisse Paragraphen des Vertriebenengesetzes in dieser Richtung ändern.
Ich darf ganz kurz zusammenfassen. Ich glaube, es besteht Klarheit darüber, daß etwas Außerordentliches erreicht worden ist, daß aber, auch wenn wir heute darüber erfreut sind, noch wesentlich mehr erreicht werden muß. Leider besteht über das, was vor uns liegt, nicht immer eine entsprechende Klarheit, abgesehen davon, daß der Wettbewerb der Sowjetzonenflüchtlinge uns die Dinge außerordentlich erschwert. Ich glaube, daß man doch die erleichternden Faktoren, die uns das bisher Erreichte ermöglicht haben, nicht zu sehr vergessen sollte. Es war natürlich leicht, zunächst einmal den Ersatz der Kriegsverluste vorzunehmen oder bei 20 % mehr Bevölkerung auch die Produktion in der Industrie usw. auszudehnen und den Aktivsten zuerst eine Möglichkeit zu geben. Das spricht in keiner Weise gegen die, die heute noch . nicht eingegliedert worden sind.
Nun ist doch sicher, daß die Schwierigkeiten wachsen, je später das geschieht. Ich möchte sagen: je später die Eingliederung, um so größer die Opfer, die dazu nötig sind. Wir sind in einem Wettlauf mit der Zeit. Ich möchte hier das Gesetz aufstellen, daß, wenn die staatlichen Maßnahmen nicht schneller wirken als die Abnahme des menschlichen Willens zur Selbsthilfe, wir diesen Wettlauf mit der Zeit verlieren. Das ist die Grundfrage, und das ist das gleiche, was hier angeklungen ist, indem gesagt wurde, daß die Dinge etwas schneller gehen müssen, daß wir nicht mehr sehr lange warten können und daß die These, daß sich alles von selbst löst, eben nicht richtig ist. Es darf kein Rest bleiben und es muß uns gelingen, diesen menschlichen Flugsand heute einzugliedern. Die Grundfrage ist, ob diese große Zwischenschicht, die heute da ist, aufgespalten wird, ob wir sie aufgliedern oder ob sie asozial werden soll. Von den 300 000 in den Lagern bringen wir jährlich 30 000 heraus. Wenn das Tempo so weitergeht, würde die ganze Sache zehn Jahre dauern. Es ist genau das gleiche wie bei der Bauernfrage. Es hat heute keiner das Recht, zuzusehen, wie 300 000 Menschen in Lagern oder wie 300 000 Evakuierte, die nicht nach Hause können, menschlich zerbrechen. Genau so ist es bei den 162 000 Bauern, die — zusammen mit ihren Angehörigen bilden sie eine Zahl von 3/4 Millionen — nicht mehr berufseigen eingesetzt werden können und die sich nach 10- oder 15jährigem Warten in irgendeiner Form anders gruppieren müssen. Unter diesem menschlichen Gesichtspunkt kann dafür heute kein Mensch die Verantwortung übernehmen. Es handelt sich hier um Menschen, denen wir zu helfen verpflichtet sind.
Jetzt möchte ich aber auch die fiskalische Seite betrachten. Zwei bis drei Millionen Asoziale mehr bei der Überalterung unseres Volkes sind in fünf oder zehn Jahren überhaupt nicht mehr zu tragen. Gezahlt werden muß sowieso. Wenn rechtzeitig gezahlt wird, dann ist das das Billigste. Wird aber
zu spät gezahlt, dann ist die Belastung überhaupt nicht mehr zu tragen.
Es ist heute bei der Menge der Aufgaben, die hier angesprochen worden sind, und bei dem Finanzmangel, der vorhanden ist, sicher nicht leicht, eine entsprechende Dringlichkeitsskala einzuführen und zu sagen: Das muß zuerst kommen, nachher kommt das andere! Mit dem Zweijahresplan wollte ich aber erreichen, daß diese Dringlichkeitsskala durchgeführt wird.
Genau so ist es mit der Frage der Jugendlichen, wo unendlich viel mehr geschehen müßte, als im Augenblick geschieht. Wir müssen bedenken, daß 50 % der Sowjetzonenflüchtlinge Jugendliche sind, denen unter allen Umständen geholfen werden muß.
Ich glaube also sagen zu dürfen, es besteht kein Zweifel, daß wir uns bemüht haben, diese Probleme zu lösen, obwohl sie uns laufend durch die Sowjetzonenflüchtlinge erschwert werden.
Ich werde alles versuchen, um das durchzusetzen, was in der Regierungserklärung gesagt ist. Letzten Endes bin ich auf meinem Gebiet dafür verantwortlich, daß das, was in der Regierungserklärung steht, nicht nur dort steht, sondern auch durchgeführt wird. Ich bin auch überzeugt, daß die übrigen Kollegen mir dabei behilflich sind. Der Finanzmangel ist uns natürlich dabei heute sehr hinderlich. Ich bedauere, daß der Herr Finanzminister zu diesem Thema nicht selbst Stellung genommen hat. Ich darf immerhin sagen, es wäre heute alles unendlich leichter, wenn man mit den doppelten Summen rechnen könnte, als sie zur Zeit da sind. Sicher ist eines: daß mit dem, was da ist, von mir das Äußerste getan werden wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Jaksch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeswohnungsbauminister Dr. Preusker hat in seinen Ausführungen das Land Hessen ganz besonders mit der Feststellung erwähnt, daß es, was die eigenen Leistungen im sozialen Wohnungsbau anlange, geradezu an letzter Stelle der deutschen Länder stehe. Es überrascht mich nicht, daß er im Rahmen dieser Debatte dieses Land besonders angesprochen hat, weil ja in der Bonner Perspektive die Leistungen eines noch nicht gleichgeschalteten Landes
nicht so populär zu sein scheinen wie die anderer Länder.
Die hessische Landesregierung hat immerhin sehr wenig Spielraum für solche „Enthüllungen" gelassen, weil sie in dem soeben erschienenen Hessenplanbericht ganz genaue Zahlen über die Landesmittel veröffentlicht hat, die dem sozialen Wohnungsbau zugeflossen sind. Es sind in den letzten vier Jahren insgesamt 122 Millionen DM gewesen, davon 39 Millionen DM allein in diesem Jahr. Diese Zahl ist aber durch das zuletzt verkündete Schwerpunktprogramm bereits überholt. Wir können also sagen, daß die hessische Regierung in diesem Jahr aus Landesmitteln mehr zum sozialen Wohnungsbau beigesteuert hat, als sie an Bundesmitteln empfangen hat.
Es ist aber auch in Betracht zu ziehen — und darauf dürfte vielleicht die Bemerkung des Herrn Bundeswohnungsbauministers beruhen —, daß Landesfinanzminister Dr. Troeger bei seinem Amtsantritt ein Kassendefizit von 300 Millionen DM vorgefunden hat, darunter etwa 70 Millionen DM an Wohnungsbaumitteln, welche die vorangegangene Regierung Stock-Hilpert zwar bewilligt, dann aber der nachfolgenden Regierung als Überhang zur Bezahlung überlassen hat. Wir haben das in Hessen niemals kritisiert, weil wir froh gewesen sind, daß unter Stock-Hilpert ebenso gebaut wurde, wie es unter Zinn geschieht. Man soll uns heute jedoch nicht einen Vorwurf daraus machen, daß der sozialdemokratische Finanzminister Troeger die Rechnungen für den Vorgänger, der der CDU angehört hat, bezahlt hat.
Noch ein Wort zu den Ausführungen des Kollegen Miller, der sich als Sowjetzonenflüchtling beschwerdeführend über die Ausstellung der C-Ausweise in Hessen geäußert hat. Die von ihm angeführten Zahlen über die Ausstellung der C-Ausweise sind längst überholt. Wenn aber schon der Herr Kollege Miller diese eine Sache angeschnitten hat, so sollte er doch objektiv genug sein, zu sagen, daß das Land Hessen, was das Tempo des Wohnungsbaus für Sowjetzonenflüchtlinge und die Ausarbeitung von Sonderprogrammen für diesen Personenkreis anlangt, sich neben anderen deutschen Ländern durchaus sehen lassen kann. Hessen hat auch den Anfang damit gemacht, den eingewiesenen Opfern des 17. Juni eine Sonderhilfe aus Landesmitteln zu gewähren.
In einem Punkt will ich, von den Ausführungen des Herrn Wohnungsbauministers Dr. Preusker angeregt, meine Kritik vom Vormittag hinsichtlich der Vernachlässigung der Innenpolitik etwas abschwächen. Ich will ihm ausdrücklich bescheinigen, daß sich meine Kritik nicht auf das Tempo der Vorbereitung der Mietreform bezogen hat.
Ich will ihm bescheinigen, daß er mit Fleiß und Zähigkeit an der Durchsetzung der Kostenmiete arbeitet, obwohl ihm bekannt sein dürfte, daß sie in ihrer Auswirkung ein umgekehrter Lastenausgleich zwischen Heimatvertriebenen und Altbürgern sein wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist Punkt 3 der heutigen Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 4 auf:
Große Anfrage der Fraktion des GB/BHE und Genossen betreffend Durchführung des Feststellungsgesetzes .
Ich erteile das Wort zur Begründung dem Abgeordneten Dr. Kather.
Dr. Kather , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß die soeben beendete und auch die kommende Diskussion in Abwesenheit des Bundesfinanzministers stattfinden, das möchte ich nicht gerade als einen Schönheitsfehler, aber doch als einen sehr unglücklichen Tatbestand feststellen.
Meine Damen und Herren, worum geht es denn letzten Endes bei allen diesen Fragen?
— Ich weiß, daß der Herr Bundesfinanzminister in einer Sitzung ist, in der er wirklich unabkömmlich ist.
— Verzeihung, das hätte ich auch so gesagt. Aber wenn das der Fall ist, dann hätte man die heutige Debatte verschieben sollen. Es ist nicht so sehr sinnvoll, daß wir hier diese Diskussion führen, ohne daß der Mann, auf den es eigentlich ankommt und an dessen Widerstand, wie wir nun heute sogar von der Regierungsbank aus gehört haben, die Dinge vielfach gescheitert sind, den unmittelbaren Eindruck von der Debatte bekommt.
Ich möchte Ihnen, wenn ich jetzt die Große Anfrage des Gesamtdeutschen Blocks und einiger Mitglieder der FDP über das Feststellungsverfahren begründe, folgende Tatsachen ins Gedächtnis zurückrufen. Das Feststellungsgesetz ist als Initiativgesetzentwurf im Juli 1950 hier im Hause eingebracht worden. Es ist im April 1952 verkündet worden. Seine Verabschiedung hat also fast zwei Jahre in Anspruch genommen. Das war natürlich nur möglich, weil erhebliche Widerstände dagegen wirksam waren. Ich will darauf nicht weiter eingehen, aber eines glaube ich doch hervorheben zu müssen: daß unter den Gegnern eines besonderen Feststellungsgesetzes und einer Vorziehung des Feststellungsgesetzes auch der Herr Bundesminister der Finanzen mit seinem ganzen Hause war. Das ist für die Beurteilung der späteren Entwicklung 1 wohl nicht ohne Bedeutung.
Mehr als zwei Jahre sind also seit der Verabschiedung des Gesetzes ins Land gegangen. Heute liegen insgesamt 7 300 000 Anträge vor, davon 3 200 000 Anträge über Vermögensschäden. Davon sind beschieden bis zum 1. April — für die spätere Zeit liegen mir die Zahlen nicht vor — 19 000, also 0,6 %, wenn man nur die 3,2 Millionen zugrunde legt. In dieser Zahl von 19 000 sind auch die Teilbescheide mit enthalten. Ich glaube, es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, daß das nach so langer Zeit ein katastrophales Ergebnis ist.
Ich erinnere daran, daß wir Vertriebenen-Abgeordneten der Koalition, als wir seinerzeit das Ja zum Lastenausgleichsgesetz sagten, ausdrücklich die schnelle Durchführung des Lastenausgleichs als eine Voraussetzung für unser Ja herausgestellt haben. Es wird von uns nicht verkannt, daß es sich um eine sehr schwierige und auch zeitraubende Materie handelt. Es wird ebensowenig verkannt, daß es auch an anderen Stellen Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten gegeben hat, insbesondere bei den Ausgleichsämtern. Es ist heute schon gesagt worden, daß dafür zum Teil die Länder und Gemeinden verantwortlich sind. In der Tat ist bei den Ausgleichsämtern vielfach eine qualitative und quantit ative Unterbesetzung festzustellen. Die Hauptursachen für den unerträglich langsamen Ablauf des Feststellungsverfahrens sind aber durch das Verschulden des Bundesfinanzministeriums und auch des Bundesausgleichsamts gesetzt worden.
Ich will diese Behauptung im einzelnen begründen. Zunächst will ich darauf hinweisen, daß die Heimatauskunftstellen zu spät errichtet worden sind.
Nach dem Durchgang des Feststellungsgesetzes 1 durch den Bundesrat stand bereits im Januar 1952 fest, daß die Heimatauskunftstellen auf der Regierungsbezirksbasis errichtet werden würden. Erst im Herbst 1952 hat die Bundesregierung die Rechtsverordnung über die Errichtung der Heimatauskunftstellen beschlossen. Beim Bundesrat lag dann der Regierungsentwurf weitere zwei Monate, so daß die Rechtsverordnung erst am 22. Dezember 1952 verkündet wurde. Sie hätte mindestens ein halbes Jahr früher erlassen werden können.
Es bedarf keines besonderen Nachweises, daß die Tätigkeit der Heimatauskunftstellen Voraussetzung für das Ingangkommen des Feststellungsverfahrens, Voraussetzung auch für die Ausarbeitung der Bewertungsvorschriften ist. Diese Rechtsverordnungen sind bis heute, nach mehr als zwei Jahren, nicht erlassen worden, auch nicht eine einzige!
Über die Grundsätze der Bewertung der Vertreibungsschäden bestand seit Herbst 1951 im Lastenausgleichsausschuß des Bundestages Übereinstimmung. Auch von den Bundesratsvertretern war nie etwas dagegen eingewendet worden, daß die Bewertung der Vertreibungsschäden durch eine Rechtsverordnung geregelt wird. Das Bundesfinanzministerium hat bis zum Frühsommer 1953 die Arbeiten an den Bewertungsverordnungen nachhaltig überhaupt nicht aufgenommen. Seit diesem Zeitpunkt ist eine beim Bundesausgleichsamt gebildete Sachverständigenkommission damit betraut, die Bewertungsvorschriften zu erarbeiten. Die Arbeiten sind also um etwa anderthalb Jahre zu spät aufgenommen worden.
Aus das Bundesausgleichsamt ist in dieser Frage nicht ohne Schuld. Wenn auch die endgültige Regelung der Bewertung durch § 43 des Feststellungsgesetzes einer Rechtsverordnung vorbehalten war, so hätte doch, wie es seit dem 22. Dezember 1953 auch geschehen ist, der Präsident des Bundesausgleichsamtes sofort darangehen müssen, vorläufige Bewertungsrichtlinien zu erlassen, als sich zeigte, daß das Bundesfinanzministerium die Erstellung der Bewertungsverordnungen nicht mit genügender Beschleunigung in Angriff nahm. Wie gesagt, es wird nicht bestritten, daß die Materie schwierig und zeitraubend ist; aber um so eher hätte man rechtzeitig an die Arbeit herangehen müssen. Ich glaube nicht, daß es für die Tatsache, daß nach mehr als 2 Jahren noch nicht eine einzige Rechtsverordnung über die Bewertungsvorschriften erlassen ist, irgendeine ausreichende Entschuldigung geben kann.
Auch bei der Herausgabe des Antragsformblattes ist unzweckmäßig verfahren worden. Man kann doch ein solches Formblatt erst herausgeben, wenn man weiß, welche Fragen notwendig sind. In diesem Fall ist das Formblatt ohne die vorher notwendige Feststellung solcher Fragen herausgegeben worden. Dann mußten wieder Berichtigungen stattfinden. Es hat sich auch herausgestellt — insbesondere bei der Landwirtschaft —, daß Duplikate unbedingt notwendig sind, und sie sind heute nicht vorhanden. Alle diese Dinge wirken natürlich verzögernd.
Es war eine weitere Voraussetzung für unser Ja zum Lastenausgleichsgesetz — und damit sollte auch die schnelle und unbürokratische Durchführung sichergestellt werden —, daß die Geschädigten und ihre Verbände weitgehend in die Mit-
verantwortung, in die Mitarbeit und in die Durchführung eingeschaltet würden. Das ist nicht oder jedenfalls in nur unzureichendem Maße geschehen. Auch das hat sich natürlich wiederum ausgewirkt. Die Anträge sind zum Teil zu spät gekommen. Die Aktion hat länger gedauert, als es nötig war. Vor allem hat sich herausgestellt, daß die Ausfüllung vielfach unsachgemäß und unrichtig war. All das hat einen unnötigen Aufwand an Kosten und Zeit erfordert.
Ich darf überhaupt sagen — und das gilt nicht nur für das Bundesfinanzministerium —, daß die Erfahrungen immer wieder zeigen, wie ablehnend insbesondere die Ministerialbürokratie allen Selbsthilfebestrebungen der Geschädigten und einer Mitarbeit ihrer Verbände gegenübersteht.
Das wird auf die Dauer zu unerträglichen Folgerungen führen.
Die personelle Besetzung des Bundesfinanzministeriums war insoweit nicht ausreichend. Gerade wenn man die Schwierigkeiten richtig einschätzte, hätte man auch für die nötige personelle Besetzung sorgen müssen. Bis zum Frühsommer 1954 besaß das Ministerium keinen Sachbearbeiter, seit diesem Zeitpunkt ein en Sachbearbeiter. Ein Planstellenmangel kann als Grund nicht angeführt werden; denn das Hohe Haus hier oder der Haushaltsausschuß hätten sich ja gegenüber einer Anforderung keinesfalls ablehnend verhalten.
Der gleiche Vorwurf trifft das Bundesausgleichsamt. Beim Bundesausgleichsamt bearbeitet die Fragen der Schadensfeststellung ein Referent mit zwei Sachbearbeitern, der außerdem noch das Sachgebiet Hauptentschädigung mit erledigt. Bis vor kurzem gab es bei diesem Referat sogar nur einen Sachbearbeiter. Das Bundesausgleichsamt hat vier Abteilungsleiter und zwanzig Referenten. Genau die Hälfte der Abteilungsleiter und Referenten beschäftigt sich überhaupt nicht mit den Leistungen des Lastenausgleichs, sondern mit allgemeinen Verwaltungsaufgaben. Wenn man sich diesen Stellenplan einmal ansieht, dann muß man zu dem Ergebnis kommen, daß man sich dort nicht Rechenschaft darüber abgelegt hat, welches eigentlich die Hauptaufgabe des Bundesausgleichsamts ist, nämlich die produktive Eingliederung der Geschädigten voranzutreiben.
Auch die personelle Besetzung der Heimatauskunftstellen ist nicht zureichend. Ich habe das schon für die Ausgleichsämter angeführt. Ich muß ès für die Heimatauskunftstellen noch ganz besonders betonen. Im Verhältnis zu den Aufgaben, die bei den Heimatauskunftstellen zu bearbeiten sind, sind sie viel zu schwach besetzt. Auch die qualitative Ausstattung der Personalplanstellen der Heimatauskunftstellen ist mangelhaft. Ohne eine wesentliche Vermehrung des Personalstandes und der Mittel für ehrenamtliche Mitarbeiter können die Heimatauskunftstellen ihrer Aufgabe nicht gerecht werden.
Meine Damen und Herren! Diese Ausführungen haben wohl gezeigt, daß die Arbeiten an der Schadensfeststellung vom Herrn Bundesminister der Finanzen, aber auch vom Herrn Präsidenten des Bundesausgleichsamts nicht mit der genügenden Intensität betrieben worden sind. Der Auftrag, den der Gesetzgeber in § 246 des Lastenausgleichsgesetzes erteilte, daß bis zum 31. März 1957 das Hauptentschädigungsschlußgesetz erlassen werden muß, ist in seiner fristgerechten Ausführung mehr als in Frage gestellt. Zudem hat man infolge der Saumseligkeit die Geschädigten mehr als nötig auf die Leistungen aus dem Gesetz warten lassen.
Besonders betroffen sind alle die, die auf die Entschädigungsrente warten. Der gegenwärtige Zustand ist so, daß sie bei Glaubhaftmachung eine Zusatzzahlung von 20 DM im Monat bis zum Höchstbetrag bekommen können. Aber die weitere Voraussetzung ist auch noch, daß sie Unterhaltshilfeempfänger sein müssen. Wenn sie das nicht sind, bekommen sie diesen Betrag nicht. Es geht hier also gerade um die Alten und Erwerbsunfähigen, die noch die letzten Jahre vor sich haben und die doch wohl auf Grund ihrer Lebensarbeit einen Anspruch haben, daß ihnen der Lebensabend auch einigermaßen erträglich gestaltet wird. Heute wurde schon einmal das Wort vom Wettlauf gebraucht; hier handelt es sich praktisch um einen Wettlauf mit der Zeit und mit dem Tode. Anders kann man das nicht nennen.
Weiter sind alle diejenigen geschädigt, die Aufbaudarlehen in Anspruch genommen haben oder nehmen wollen. Soweit sie die Aufbaudarlehen bekommen haben, kommen sie durch die verzögerte Feststellung um die Möglichkeit der Saldierung. Obwohl sie einen begründeten Anspruch haben, müssen sie Zinsen und auch Tilgung zahlen, wenn sie nicht eine besondere Notlage nachweisen können. Bei denen, die sich noch um einen Kredit bewerben, fehlt es an der Sicherheit; denn ein Anspruch wird ja als Sicherheit nicht entgegengenommen, solange keine Feststellung erfolgt ist. Wir klagen und haben ja auch heute geklagt über den großen Mangel an Eigenkapital, unter dem die gewerbliche Wirtschaft leidet und der sie in Krisenzeiten ganz besonders in Gefahr bringt. Hier könnte geholfen werden; aber es hapert an der Durchführung.
Es ist heute schon mehrfach auf den hohen Kassenbestand hingewiesen worden, den das Bundesausgleichsamt hat. Vor wenigen Tagen erst
— es kann vielleicht eine Woche oder 10 Tage her sein — hörte ich im Rundfunk, daß man von fast einer Milliarde Kassenbestand sprach. Heute sind geringere Zahlen genannt worden; aber sie waren auch noch sehr beträchtlich. Eine der Hauptursachen dieses unerwünscht hohen Kassenbestandes ist das nicht klappende Feststellungsverfahren. Und das wird dann dazu benutzt, meine Damen und Herren, eine Wechselbeziehung zwischen Vorfinanzierung und Kassenbestand herzustellen und uns zu sagen: „Wir können doch nicht die Vorfinanzierung in Gang bringen, wenn auf der anderen Seite ein so großer Kassenbestand da ist!"
Das gibt mir Veranlassung, ein Wort zur Vorfinanzierung zu sagen. Ich wollte mich vorhin da nicht besonders zum Wort melden.
— Ja, ich bin auch jetzt noch dafür, und ich freue mich, daß Sie jetzt auch dafür sind, wie Ihre Große Anfrage zeigt.
- Wir haben damals das feierliche Versprechen
bekommen: 150 Millionen DM über 7 f und 200 Millionen DM über Anleihen; das sind 350 Millio-
nen DM im Jahr. Ich lasse einmal die Vorfinanzierung des Wohnungsbaus beiseite. Das wären für die drei Jahre 1952, 1953 und 1954 1 Milliarde und 50 Millionen. Und davon fehlen, um zwei Beträge zu nennen, die beiden Anleihen — das sind schon 400 Millionen DM —, und es fehlen noch erhebliche Beträge aus 7 f. Es handelt sich also um einen Mindererlös, so will ich einmal sagen, von mindestens 500 Millionen DM. Meine Damen und Herren, wir haben diese Vorfinanzierung hier am 16. Mai nicht etwa für die ersten drei Jahre beschlossen; ich habe besonders darauf geachtet, daß es „1952/53/54" hieß; und damit läuft diese Maßnahme in diesem Jahr ab.
Die heutige Debatte gibt mir auch Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß diese Vorfinanzierung zweckgebunden ist. Sie ist zweckgebunden für die produktive Eingliederung.
Meine Damen und Herren, ich sehe — das Jahr 1954 nähert sich seinem Ende —, daß man uns etwa die Hälfte des Betrages schuldig geblieben ist und wahrscheinlich auch schuldig bleiben wird. Hier ist auch wieder, wie ich schon sagte, die Wechselbeziehung zwischen dem Versagen beim Feststellungsverfahren, dem großen Kassenbestand und damit auch der mangelnden Vorfinanzierung festzustellen.
Zusammenfassend ist also zu sagen, daß hier auf wichtigstem Gebiet ein sehr schweres Versagen festzustellen ist. Es geht um Millionen Menschen, und es handelt sich bei den Betroffenen um eine echte Notlage ungewöhnlichen Ausmaßes. Daher ist die Forderung berechtigt, daß hier einmal grundsätzlich und grundlegend Wandel geschaffen wird. Ich kann nur das wiederholen, was ich schon bei anderen Gelegenheiten, zuletzt am 29. Oktober 1953 bei der Debatte über die Regierungserklärung, von dieser Stelle aus gesagt habe. Die Verteilerseite des Lastenausgleichs gehört nicht in das Steuerministerium.
Sie ist entscheidend für die produktive Eingliederung der Geschädigten, und es handelt sich hier um eine dem Finanzministerium völlig wesensfremde Aufgabe.
Meine Damen und Herren, es ist völlig sinnwidrig, dem einen Minister die Betreuung der Vertriebenen, der Flüchtlinge und der Kriegssachgeschädigten anzuvertrauen und ihm gleichzeitig die Möglichkeiten vorzuenthalten, seinen Einfluß auch auf die Stelle auszuüben, von der die Mittel verteilt werden, die da sind, um dieser Not zu steuern.
Diesen sachlichen Gründen können stichhaltige Argumente eigentlich überhaupt nicht entgegengesetzt werden. Diese Gründe werden in starkem Maße durch die Fehlleistungen, die zu unserer Großen Anfrage geführt haben und die ich Ihnen soeben dargestellt habe, unterstrichen. Es hat sich also schon die Richtigkeit dessen erwiesen, was wir früher gesagt haben: daß das Finanzministerium mit dieser ihm wesensfremden Aufgabe, die zudem nicht auf eine entsprechende innere Einstellung gestoßen ist, völlig überfordert ist. Wir verlangen deshalb, daß die Konsequenzen aus diesen sachlichen Gründen, die ich angeführt habe, und aus dem Versagen, das festzustellen ist, gezogen werden.
Es handelt sich hier nicht um parteipolitische Forderungen. Ich habe sie schon erhoben, als ich noch nicht der Partei angehörte, der der Bundesvertriebenenminister angehört, und ich kann sagen, daß diese Forderung nicht nur vom Gesamtdeutschen Block erhoben wird, sondern daß auch die überwiegende Mehrheit der Geschädigten und ihrer Verbände hinter dieser Forderung steht.
Möge die heutige Debatte dazu beitragen, daß dem Betreuer der Not auch die Mittel zur Behebung der Not in die Hand gegeben werden!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Staatssekretär Hartmann vom Bundesfinanzministerium.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der erste Teil der Großen Anfrage bezieht sich auf die Verordnungen über die Berechnung der Vertreibungsschäden. Das Bundesfinanzministerium hat mit den Vorarbeiten für die Verordnungen unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Feststellungsgesetzes begonnen. Es ist dann ein Sachverständigenausschuß gebildet worden, dem außer dem Bundesfinanzministerium auch das Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte, das Bundesausgleichsamt, Beamte der Landesausgleichsämter, Sachverständige der Heimatauskunftsstellen und der Geschädigtenverbände angehören. Die Arbeiten haben sich sehr schwierig und umfangreich gestaltet, weil das Material für die gesamten Vertreibungsgebiete gemeindeweise gesammelt und ausgewertet werden mußte. Die Arbeiten konnten nur abschnittweise vorangetrieben werden, da unter den Sachverständigen nur ein beschränkter Kreis hierfür zur Verfügung steht und die einzelnen Probleme alle innerlich zusammenhängen. Die beiden ersten der vorgesehenen Rechtsverordnungen sind im Entwurf fertiggestellt. Über die erste wird die Bundesregierung in den nächsten Wochen Beschluß fassen. Die weiteren Verordnungen werden in kurzen Zeitabständen folgen. Ich darf vielleicht als Beispiel für die Schwierigkeit hier anführen, daß das vorläufige Verzeichnis der durchschnittlichen Gemeindehektarsätze nahezu 15 000 Positionen enthält, die sämtlich einzeln ermittelt werden mußten.
Es ist also eine im einzelnen sehr umfangreiche, sehr schwierige und sehr verantwortungsvolle Arbeit, die hier geleistet werden mußte.
Der Herr Abgeordnete Dr. Kather hat die personelle Besetzung im Bundesfinanzministerium, im Bundesausgleichsamt, beanstandet. Ich glaube nicht, daß man für ein einzelnes Gesetz einen neuen Referenten einberufen kann, der dann nachher wieder überflüssig wird.
Das Hohe Haus ist aber, glaube ich, aus der Zusammenarbeit mit dem Bundesfinanzministerium in den langen Jahren der Vorbereitung des Lastenausgleichsgesetzes und später überzeugt, daß das Bundesfinanzministerium — dasselbe gilt für das Lastenausgleichsamt — im wesentlichen in seiner Gesamtheit immer ausreichend besetzt gewesen ist
und daß wir die Arbeiten — darauf darf ich gleich noch zurückkommen — nach dem Maßstabe der Dringlichkeit vorwärtsgetrieben haben.
Wir bedauern, daß die Arbeit an der Schadensfeststellung verhältnismäßig langsam vorangegangen ist.
Das liegt aber daran, daß die Ausgleichsämter immer noch außerordentlich stark — und das ist der Kernpunkt dessen, was ich sagen möchte, Herr Dr. Kather — durch die Bearbeitung der Anträge auf die Ausgleichsleistungen beansprucht werden.
Für die Feststellung der Kriegssachschäden, für die eine Rechtsverordnung nicht vorgeschrieben ist, sind die Arbeiten im Durchschnitt auch nicht weiter vorgeschritten als für die Feststellung der Vertreibungsschäden. Daraus ergibt sich also, daß es nicht an dem Fehlen der Rechtsverordnungen gelegen hat, wenn die Arbeiten insgesamt nicht ein schnelleres Tempo angenommen haben. Die Ausgleichsämter können einfach die zahlreichen dringlichen Aufgaben, die sich in diesem Zusammenhang ergeben, nicht alle gleichzeitig lösen. Sie waren durch die Bearbeitung von Millionen von Anträgen auf Unterhaltshilfe und Hausratshilfe auf das äußerste beansprucht. Wir sind mit Ihnen der Ansicht, Herr Dr. Kather, daß die Schadensfeststellung sich nicht aus personellen Gründen verzögern darf.
Wir prüfen laufend, wie eine sinnvolle Beschleunigung der Arbeiten durch Personalverstärkung erreicht werden kann. Es wird bei der Beratung des Bundeshaushalts für 1955 sowohl im Haushaltsausschuß als auch im Plenum des Hohen Hauses Gelegenheit sein, diese Frage noch im einzelnen zu erörtern.
Sie stellt sich ebenso für die Heimatauskunftsstellen, deren Aufgabengebiet erst allmählich durch Richtlinien umrissen, deren Arbeitsanfall und Arbeitsweise erst beobachtet werden mußten. Von meinem Hause sind im Benehmen mit dem Bundesausgleichsamt bei sämtlichen Heimatauskunftsstellen Geschäftsprüfungen vorgenommen worden. Auf Grund der Ergebnisse dieser Prüfungen, die jetzt abgeschlossen sind, können die Heimatauskunftsstellen den Stellenplan, den das Hohe Haus im Haushalt 1954 bewilligt hat, voll ausschöpfen. Bei Übertragung neuer, im Gesetz begründeter Aufgaben werden die Heimatauskunftsstellen entsprechend dem Arbeitsanfall verstärkt werden.
Im Schlußabsatz Ihrer Großen Anfrage wird die Befürchtung ausgesprochen, daß die im Lastenausgleichsgesetz vorgesehene Frist vom 31. März 1957 für die Verabschiedung des Lastenausgleichsschlußgesetzes nicht eingehalten werden könne. Demgegenüber darf ich darauf hinweisen, daß für den Erlaß dieses Gesetzes eine genaue Kenntnis der Schäden nicht erforderlich ist. Es genügt, wenn die ungefähre Höhe der zu berücksichtigenden Gesamtschäden einigermaßen zuverlässig geschätzt werden kann. Jedenfalls wird die Bundesregierung alle Kraft daran setzen, ihrerseits die Voraussetzungen für eine fristgerechte Verabschiedung eines Lastenausgleichsschlußgesetzes zu schaffen.
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß die Gewährung tatsächlicher Leistungen an die Geschädigten von der Schadensfeststellung zunächst weitgehend unabhängig ist. Das Hohe Haus hat ja wegen der Schwierigkeiten der Feststellung das Lastenausgleichsgesetz so gestaltet, daß alle in den ersten Jahren in Frage kommenden Ausgleichsleistungen zunächst gewährt werden können, ohne daß auf die endgültige Schadensfeststellung gewartet werden muß.
Es besteht doch in allen Fällen schon die Möglichkeit, durch Teilfeststellungen zu helfen. Diese Möglichkeiten sind durch vier Richtlinien des Präsidenten des Bundesausgleichsamts geschaffen, deren erste vom 22. Dezember 1953 datiert, die zweite von demselben Tage, die dritte vom 13. März 1954 und die vierte vom 4. Mai 1954, zwecks Vorbereitung der Rechtsverordnungen. Dadurch ist die Situation so erleichtert worden, daß heute die Ausgleichsleistungen schon in Annäherung an die endgültigen Beträge festgesetzt werden können.
Ich darf dann noch mit einem Wort auf Ihre Schlußausführungen eingehen und einen Überblick über die Gesamtleistungen des Ausgleichsfonds geben. In den zwei abgelaufenen Lastenausgleichsjahren, die ja vom 1. September an laufen, sind Leistungen in einer Höhe gegeben worden, wie sie bei der Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes gar nicht erwartet worden sind.
Es sind ausgezahlt worden für Hausratshilfen 1 510 000 000 DM und für Eingliederungsdarlehen 1 012 000 000 DM. Für den Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener waren nach dem Gesetz jährlich nur 50 Millionen DM, also in zwei Jahren 100 Millionen DM bereitzustellen. Die Flüssigkeit des Lastenausgleichsfonds hat es ermöglicht, den gesamten Währungsausgleich einschließlich des Altsparerzuschlags zur Auszahlung freizugeben. Dafür sind bis zum 31. August 1954 662 Millionen DM verausgabt worden. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß in diese Jahre noch die Anlaufzeit des Lastenausgleichsgesetzes gefallen ist.
Ich darf also zusammenfassend sagen, daß die Arbeiten nach der Reihenfolge der Dringlichkeit erledigt worden sind. Ich glaube, niemand würde es gebilligt haben, wenn wir uns zunächst mit den Rechtsverordnungen über die Feststellung befaßt und darüber die Auszahlung dieser Milliardenleistungen zurückgestellt hätten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, Sie haben die Antwort der Regierung gehört. Wird eine Beratung der Großen Anfrage gewünscht?
— Dann treten wir in die Beratung ein. ich erteile das Wort dem Abgeordneten Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Wir haben die Große Anfrage des BHE unterstützt, weil auch wir der Meinung sind, daß in der Durchführung des Feststellungsgesetzes unerträgliche Verzögerungen entstanden sind. Als das Feststellungsgesetz hier beschlossen wurde, waren die Meinungen geteilt. Auch meine Fraktion war durchaus
nicht einhellig für ein solches Feststellungsgesetz. Aber nachdem es in Kraft getreten war, war es Pflicht der Regierung, es nun auch mit Intensität durchzuführen.
— Ich sage ja: trotzdem war meine Fraktion nicht geschlossen dafür; aber wir haben das Gesetz beschlossen, infolgedessen muß es auch von der Bundesregierung durchgeführt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir mußten erst alles tun, um die sozialen Leistungen in Gang zu bringen. Sicherlich war das die erste Pflicht; aber daneben war es durchaus möglich, auch bei der jetzigen personellen Besetzung sowohl im Finanzministerium als auch im Bundesausgleichsamt, die wichtigsten Verordnungen zu erlassen, die notwendig sind, um das Feststellungsgesetz überhaupt zum Anlaufen zu bringen. Nach der Mitteilung des Landesausgleichsamtes in meinem Heimatland ist man dort sehr stolz darauf, daß man 2,5 % der Anträge schon hat erledigen können. Wie mir angegeben wird, befindet man sich damit weit über dem Bundesdurchschnitt. Das ist 2 1/2 Jahre nach Verkündung des Gesetzes doch unerträglich!
Mir sind eine Reihe von Rechtsverordnungen genannt worden, die fehlen und ohne die die Landesausgleichsämter nicht weiterarbeiten können. Sie betreffen nicht nur die Heimatvertriebenen; sie betreffen auch die Feststellung der Kriegssachschäden in starkem Maße. Um das Haus nicht mit diesen Einzelheiten zu belasten, werde ich mir erlauben, Ihnen, Herr Staatssekretär, etwa acht dieser Punkte schriftlich mitzuteilen, in denen die Landesausgleichsämter wegen des Fehlens von Rechtsverordnungen nicht weiterarbeiten können. In dem Augenblick, in dem wirklich Arbeit geleistet werden kann, besteht dort Personalmangel; aber im Moment hätte eine personelle Verstärkung der Landesausgleichsämter gar keinen Zweck, weil die gesetzgeberischen Unterlagen — nämlich der Teil, den die Bundesregierung dem Gesetz hinzuzufügen hat — fehlen. Deshalb bin ich der Meinung, daß diese Große Anfrage die Bundesregierung, insbesondere das Bundesfinanzministerium veranlassen sollte, nun mit aller Dringlichkeit diese fehlenden Unterlagen zu beschaffen. Ich kann nicht mit Ihrer Ansicht übereinstimmen, Herr Staatssekretär, daß wir für das Gesetz, welches wir im Jahre 1957 verabschieden sollen — das endgültige Lastenausgleichsschlußgesetz, wie Sie es heute bezeichnen —, keine genaue Feststellung brauchen. Ich behaupte: bis dahin müssen wir eine sehr genaue Feststellung haben. Wenn eine genaue Feststellung nach Ihrer Meinung in fünf Jahren, von 1952 bis 1957, nicht möglich sein wird, dann müssen Sie auch vor dem Hohen Haus erklären: Das Feststellungsgesetz ist nicht durchführbar. Ich nehme an, daß Sie das nicht wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Kuntscher
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anfrage auf Drucksache 734
des Blocks der Heimatvertriebenen rührt tatsächlich an eine sehr wunde Stelle in der Durchführung des Lastenausgleichsgesetzes. Ich anerkenne die ungeheuer großen Schwierigkeiten, die sich der Durchführung der Schadensfeststellung entgegenstellen. Wer seit Jahren in der Materie arbeitet und sich wirklich für alles, was dieses Lastenausgleichsgesetz — ein Gesetz, mit dem wir Neuland beschritten haben — beinhaltet, interessiert, würdigt diese Schwierigkeiten. Andererseits befinden wir uns gegenwärtig bei der Abwicklung des Lastenausgleichs in einem Stadium, wo es eben ohne Schadensfeststellung nicht mehr richtig weitergehen kann.
Zweieinhalb Jahre sind es her, seit das Schadensfeststellungsgesetz verkündet wurde. Ich bin auch mit den Freunden aus meiner Fraktion, die um diese Materie echt besorgt sind, der Auffassung, daß wir in diesen zweieinhalb Jahren mit der Durchführung doch ein Stückchen hätten weiter sein müssen. Wir vermissen eine ganze Reihe von Durchführungs- bzw. Rechtsverordnungen, die den weiteren Ablauf gewährleisten, da sie die Bewertungsrichtlinien festlegen sollen. Ich beziehe mich auf den § 43 des Feststellungsgesetzes. Dort sind noch zirka zu zwölf Titeln Rechtsverordnungen fällig. Der § 44, der von den Sondervorschriften für Berlin spricht, verlangt gleichfalls sechs oder sieben Rechtsverordnungen. Das Fehlen dieser Rechtsverordnungen hat natürlich Folgen gehabt. Wenn wir uns die Größenordnung dessen, was uns heute an Schadensansprüchen im Lastenausgleich bekannt ist, vor Augen führen, so wissen wir, daß zirka 7,3 Millionen Schadensanträge gestellt worden sind. Von diesen 7,3 Millionen Schadensanmeldungen betreffen 4,1 Millionen den reinen Hausratsschaden. Bei diesen reinen Hausratsschäden ist die Feststellung nicht allzu schwierig, aber es verbleiben immerhin 3,2 Millionen Schadensfälle, die Hausrats-und andere Schäden oder nur andere Schäden beinhalten, und damit kommen wir zu den Schwierigkeiten, die heute von beachtlicher Auswirkung für die einzelnen Geschädigten sind.
Nun zur Frage der Entschädigungsrenten. Die Aufstockung auf die Unterhaltshilfe ist ohne Schadensfeststellung nicht möglich. §§ 279, 280 und 281 des LAG beweisen es. Zu der Frage, welche zahlenmäßigen Auswirkungen für die Geschädigten dabei festzustellen sind, will ich Ihnen gleichfalls einige Größenordnungen nennen. Wir hatten zum 30. Juni dieses Jahres 882 000 Unterhaltshilfeempfänger. 25 600 von diesen Unterhaltshilfeempfängern hatten nur Anspruch auf die Aufstockung, also die Entschädigungsrente. Von diesen 25 600 Beziehern von Entschädigungsrente — das ist 1/3 % der Gesamtzahl der Unterhaltshilfeempfänger — waren wiederum 2/3 Bezieher des Pauschalsatzes der Aufstockung von 20 DM monatlich, und nur das letzte Drittel bezieht auf Grund einer Schadensfeststellung die volle Entschädigungsrente.
Die Sorge wird aber noch vergrößert, wenn man daran denkt, daß wir gegenwärtig im Lastenausgleichsausschuß eine Novelle beraten, mit der wir auf Grund der gesammelten Erfahrungen und der vorliegenden Anträge eine ganze Reihe Verbesserungen durchführen und den sogenannten Sperrbetrag herabsetzen wollen, wodurch ein noch größerer Kreis von Entschädigungsberechtigten in den Genuß der Entschädigungsrente kommen wird.
Weiter wollen wir durch eine Änderung bzw. eine Ergänzung des § 252 des Lastenausgleichsgesetzes den Alten und Kranken vorzeitig eine teilweise Realisierung ihrer Grundentschädigung zukommen lassen. Wie aber können wir das, wenn wir mit der Schadensfeststellung nicht weiterkommen? Es muß auch noch vermerkt werden, was die Schadensfeststellung für jene Antragsteller, die um Existenzaufbaukredite nachsuchen, bedeutet: eine Schadensfeststellung bedeutet die Sicherstellung, weil anderweitig keine Bürgschaften vorhanden sind oder angeboten werden können.
Ich möchte noch ganz kurz darauf verweisen, daß wir 1957 das Lastenausgleichsschlußgesetz zu machen haben. Ich bin nicht ganz der Meinung des Herrn Staatssekretär, der sagte, wir könnten ein Lastenausgleichsschlußgesetz machen, wenn wir nur eine beiläufige Feststellung des Gesamtschadens hätten. Besonders die alten Menschen warten doch mit Sehnsucht auf das Lastenausgleichsschlußgesetz. Sie wollen endlich wissen, was sie an Grundentschädigung zu Recht haben; sie wollen sich doch mit dieser bescheidenen Entschädigung auch ihren Lebensabend etwas verbessern können.
Das Finanzministerium wäre nicht schlecht beraten — und wir kämen mit der Schadensfeststellung ein Stück weiter —, wenn es dem Aufbau und dem Ausbau der Heimatauskunftstellen ein größeres Augenmerk schenkte. Die Heimatauskunftstellen sind heute noch in der Lage, auf Fachleute aus den Heimatgebieten zurückzugreifen, seien dies ehemalige Bürgermeister, seien es Männer und Frauen, die damals in der Wirtschaft standen, seien es solche, die bei den Geldinstituten tätig waren und die auf Grund ihrer früheren Stellung geeignet sind, Angaben zu machen und bei den Heimatauskunftstellen mitzuhelfen, daß die gemachten Schadensansprüche geprüft und die Richtigkeit der erhobenen Ansprüche festgestellt werden können.
Die Fragen, die Kollege Kather abweichend von dem Inhalt der Großen Anfrage — Vorfinanzierung und dergleichen — angeschnitten hat, sind in der vorhergehenden Debatte eingehend besprochen worden. Das dringende Ersuchen möchte ich auch im Namen meiner Freunde aussprechen: daß die fehlenden Rechtsverordnungen sobald wie möglich erlassen werden. Wir hoffen auch, daß die heutige Aussprache dazu beigetragen hat, uns in der Bearbeitung und in der Fortführung des Lastenausgleichs voranzubringen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zu den Ausführungen von Herrn Abgeordneten Kuntscher nichts zu sagen, weil sie im wesentlichen in der Auffassung mit meinen Ausführungen übereinstimmen. Ich beabsichtige auch nicht, mit Herrn Staatssekretär Hartmann zu diskutieren, ebensowenig wie er sich wirklich sachlich mit der Begründung auseinandergesetzt hat.
Ich habe Ihnen, Herr Staatssekretär Hartmann, sehr im einzelnen auseinandergesetzt, wie die Situation derer z. B. ist, die auf die Entschädigungsrente warten. Es ist nämlich ein gewaltiger Unterschied, ob ich unter gewissen Voraussetzungen und nach vielen Anstrengungen bis zum Höchstbetrage von
20 DM monatlich etwas bekomme oder ob ich meine volle Entschädigungsrente erhalte. Ich möchte es als nicht im Rahmen einer sachlichen Erwiderung liegend ansehen, wenn mir einfach gesagt wird: nun, durch diese vier Verordnungen ist sichergestellt, daß die Leistungen aus dem Lastenausgleich in allen Fällen so oder ähnlich, wie das Gesetz sie endgültig vorschreibt, jetzt schon den Betroffenen zugute kommen.
Herr Staatssekretär, Sie haben hier von der Schwierigkeit der Materie gesprochen, auf die auch ich schon hingewiesen hatte. Ob es nun notwendig ist, um diese Bewertungsrichtlinien zu erlassen, die letzte Gemeinde auszukehren und 15 000 Anträge zu untersuchen, wage ich zu bezweifeln.
Ich weise es auch zurück, daß man uns einfach mit dem Hinweis abspeist: „Wir haben die Dinge nach der Maßgabe der Dringlichkeit bearbeitet".
Daß hier eine Dringlichkeit allergrößten Ausmaßes vorliegt, haben wir wohl alle übereinstimmend gefühlt.
Das Tollste aber ist, daß man uns gesagt hat: „Wir können doch nicht einen Referenten für ein einzelnes Gesetz anstellen, um ihn dann, wenn das Gesetz verabschiedet ist, wieder zu entlassen."
Ich weiß nicht, wie man von der Bundesregierung dem Hohen Hause etwas Derartiges überhaupt anbieten kann.
Ich habe einer Schrift über eine Untersuchung, die im Auftrage der Bundesregierung angestellt worden ist, entnommen, daß das Bundesfinanzministerium zu den Beratungen des Lastenausgleichsgesetzes mit bis zu 13 Referenten zum Teil hoher Dienstgrade erschienen ist, während dieselbe Schrift feststellt, daß das Bundesvertriebenenministerium damals mit einem Sachbearbeiter vertreten war. Wenn eine so große Zahl von wichtigsten Mitarbeitern durch die Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes frei geworden ist, dann soll man mir doch nicht sagen, daß jetzt nicht irgendein Mann oder ein paar Leute abgestellt werden können, die sich nun dieser vordringlichen Aufgabe widmen.
Es ändert an dieser Beurteilung gar nichts, wenn hier auf die großen Leistungen aus dem Aufkommen hingewiesen wird. Ja, durch das erhöhte Aufkommen ist evident geworden, daß Sie uns damals Angaben gemacht haben und daß wir von Vorstellungen ausgegangen sind, die nicht richtig waren, daß also die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in Wirklichkeit größer war.
Daß man nun dieses Geld wenigstens einigermaßen an den Mann gebracht hat, ist, glaube ich, eine Selbstverständlichkeit, die in keiner Weise dieses offenkundige und auch von Herrn Kuntscher zugegebene Versagen im Feststellungsverfahren entschuldigen kann.
Ich muß abschließend sagen, daß ich in einer solchen Antwort — ich will auf weitere Dinge nicht eingehen — eine Brüskierung aller Geschädigten sehe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zu diesem Punkt der Tagesordnung liegen nicht vor. Ich schließe daher die Beratung. Damit ist Punkt 4 der heutigen Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Kinderbeihilfen und des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Kindergeld und die Errichtung von Familienausgleichskassen (Drucksachen 318, 319);
Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Drucksachen 708, zu 708, Anträge Umdrucke 147, 148, 155, 156, 157, 158, 159, 162, 163).
Ich erteile das Wort dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Dr. Jentzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schriftliche Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik ist Ihnen vorgelegt worden*). Ich beziehe mich insoweit auf diesen Bericht.
Ich habe ergänzend dem Hohen Hause von folgendem Kenntnis zu geben. Der Herr Präsident des Bundestages hat am 3. September dieses Jahres den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu einer Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf Drucksache 708 aufgefordert. Der Rechtsausschuß hat in einer Sitzung dazu Stellung genommen, ohne sich jedoch mit der sachlich-fachlichen Materie zu befassen, soweit das nicht zur Beurteilung der zur Beratung anstehenden Rechtsfragen erforderlich war. Infolgedessen gab der Rechtsausschuß keine Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf als solchem ab, sondern er nahm lediglich eine Überprüfung hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit mit den Bestimmungen des Grundgesetzes vor. Hier kam der Ausschuß zu folgenden Ergebnissen, die ich mit Zustimmung des Herrn Präsidenten verlesen möchte:
1. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ergibt sich nach der Überzeugung der Mehrheit des Ausschusses aus Art. 74 Ziff. 7 in Verbindung mit den Ziffern 11 und 12 des Grundgesetzes. Diese Überzeugung der Mehrheit wird noch durch den Hinweis auf Art. 6 des Grundgesetzes unterstützt.
2. Demgegenüber war eine Mehrheit im Ausschuß jedoch der Auffassung, daß der Gesetzentwurf den Gleichheitsgrundsatz dadurch verletze, daß er nur diejenigen Personen einbeziehe, die bei einer Berufsgenossenschaft versichert sind oder sich versichern können, und diejenigen ausschließe, die unter die Unfallversicherung fallen, ohne bei öffentlichen Dienststellen beschäftigt zu sein.
3. Der Rechtsausschuß ist mehrheitlich ferner der Auffassung, daß die im Gesetzentwurf vorgesehene Organisationsform mit den im Grundgesetz niedergelegten Vorschriften über die Ausführung der Bundesgesetze nicht in
*) Siehe Anlage 6
allen Punkten vereinbar ist. Er hält die Bildung des Gesamtverbandes nur in der Form für zulässig, daß zwischen diesem und seinen Mitgliedern, den Familienausgleichskassen, kein Über- und Unterordnungsverhältnis besteht. Die Voraussetzungen, unter denen sich der Ausgleich zu vollziehen hat, müßten also im Gesetz selbst derart festgelegt sein, daß der Ausgleich ohne unzulässige verwaltungsmäßige Eingriffe gehandhabt werden kann. Die Tätigkeit des Gesamtverbandes müßte sich auf eine Verrechnung beschränken. Hinzu kommt, daß die nach § 14 Abs. 4 vorgesehenen Regelungen ihrer Natur nach Rechtsverordnungen sind, die nur von den in Art. 80 Abs. 1 GG genannten Stellen erlassen werden können. Außerdem dürfte das Ausmaß der gewährten Ermächtigung nicht genug umgrenzt sein. Diese Bedenken erstrecken sich insbesondere auf die Ausgestaltung der §§ 14, 17 bis 19, 23 Abs. 3, 25 Abs. 2 Satz 2 und 26 Abs. 1 Satz 3.
4. Zu der in § 26 Abs. 3 vorgesehenen Regelung war der Rechtsausschuß mit Mehrheit der Auffassung, daß der Unternehmer, wenn er den Antrag ganz oder teilweise für begründet hält — das ist der gegenteilige des in § 26 Abs. 3 geregelten Falles, der sich aber im Wege des Gegenschlusses aus dieser Vorschrift ergibt —, rechtlich einen Verwaltungsakt vornimmt, zu dem er nicht als Privatperson ermächtigt werden kann. Zulässig dagegen erschiene es, wenn der Unternehmer die Zahlung vorschußweise gewähren und die Entscheidung der Familienausgleichskasse vorbehalten würde.
5. Die in § 30 vorgesehene Regelung wäre im Interesse einer einheitlich gesetzlichen Regelung dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 25. 3. 1952 anzupassen und vorzusehen, daß Verwaltungsbehörde im Sinne des § 73 dieses Gesetzes die Aufsichtsbehörde ist.
6. Die in § 34 Abs. 3 vorgesehene Ermächtigungsvorschrift bedarf nach der einmütigen Auffassung des Rechtsausschusses der Konkretisierung durch Angabe des Zweckes .
7. Zu § 37 Abs. 1 war der Ausschuß einmütig der Auffassung, daß nach Art. 84 Abs. 2 GG Verwaltungsvorschriften nur mit Zustimmung, des Bundesrates erlassen werden können. Es wäre zweckmäßig, dieses zur Klarstellung ausdrücklich hervorzuheben.
8. Schließlich war der Ausschuß einmütig der Auffassung, daß je nach der Ausgestaltung der Behördenorganisationen im Gesetz das Gesetz der Zustimmung des Bundesrates bedarf bzw. nicht bedarf.
Entsprechend § 74 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages wird diese Stellungnahme des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht hiermit dem Hohen Hause wiedergegeben.
Der Sozialpolitische Ausschuß hatte in seiner letzten Sitzung kurz vor Beginn der Parlamentsferien die Beratungen zu den Drucksachen 318 und 319, die ihm am 1. April vom Plenum übertragen worden waren, abgeschlossen und das Ergebnis seiner Arbeiten in der Drucksache 708 niedergelegt. Am 10. September ist ihm die Stellungnahme des Rechtsausschusses übermittelt
worden. Er hat davon in seiner ersten Sitzung nach den Parlamentsferien Kenntnis genommen. Eine Berücksichtigung oder Stellungnahme hat nicht mehr erfolgen können, da, wie bereits gesagt, die Ausschußberatungen vor den Parlamentsferien beendet worden waren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe zur Einzelberatung § 1 des Gesetzes auf. Dazu liegen Änderungsanträge vor, und zwar auf Umdruck 157 *) der Änderungsantrag der Fraktionen der FDP und DP und auf Umdruck 147 **) der Änderungsantrag der Fraktion der SPD. Ich frage: Soll begründet werden? Abgeordneter Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Der Antrag, der Ihnen auf Umdruck 157 vorgelegt worden ist und der zehn Punkte umfaßt, enthält kurz gesagt die Forderung, die Selbständigen von diesem Gesetz auszunehmen. Der Antrag mußte sich auf verschiedene Paragraphen erstrecken; das ergab sich aus dem Aufbau des Gesetzes. Wenn wir diesen Antrag stellen, so haben wir dabei nicht die Absicht, bei der Gewährung von Kindergeld oder ähnlichem einen Unterschied zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen zu machen, sondern uns bewegen in erster Linie Gründe der praktischen Durchführbarkeit. Aus meinen Ausführungen wird aber auch unsere Stellungnahme zu dem gesamten Problem hervorgehen, das hier angeschnitten wird.
Als man zum erstenmal auf den Gedanken kam, die Berufsgenossenschaften in die Auszahlung von Kindergeld einzuschalten, versprach man sich davon eine billige und einfache Verwaltung. Man dachte dabei aber nur an die Auszahlung an Arbeitnehmer. Derjenige, der etwas von der Organisation und dem Arbeiten der Berufsgenossenschaften versteht, wird dieser Erwartung mit einer gewissen Skepsis entgegentreten. Ich bezweifle, daß es zu einer billigen Verwaltung kommen wird. Immerhin, beschränkt auf die Arbeitnehmer wäre eine solche Organisation von Familienausgleichskassen, angegliedert an Berufsgenossenschaften, technisch, zwar mit Schwierigkeiten, sogar mit großen Schwierigkeiten, durchführbar. Die Sache wird aber eine andere, wenn man die Selbständigen mit hineinnimmt. Dann kommt man in eine Lage, die dem eigentlichen System der Berufsgenossenschaften, dem System, auf dem diese Körperschaften des öffentlichen Rechts aufgebaut sind, absolut widerspricht. Die Karteien und Unterlagen sind dafür nicht geeignet; denn sie haben eine ganz andere Grundlage. Das zeigt sich auch darin, daß man in diesem Gesetzentwurf für die Arbeitnehmer und die Selbständigen verschiedene Wege des Aufkommens der Mittel vorgesehen hat. Während man sich die Aufbringung für die Arbeitnehmer so denkt, daß die Betriebe gewisse Zahlungen leisten, die Kosten innerhalb der Betriebe darstellen und von dem allgemeinen Betriebsfonds getragen werden, sollen die Selbständigen die für Leistungen an sie bestimmten Mittel selbst aufbringen, und zwar auf dem Wege der Umlage. Der Gesetzentwurf schreibt nicht vor, wie die Umlage errechnet werden soll. Wenn man den einfachsten Weg wählte, nämlich
*) Anlage 2. **1 Anlage 1,
den eines Kopfbeitrages, könnte man noch an eine technische Durchführbarkeit glauben. Aber die Verfasser dieses Entwurfs denken ja wohl daran, daß die Umlage nach dem Einkommen errechnet werden soll. Sonst hätte der § 11 keine Bedeutung. Nach dem Wortlaut des Gesetzes wird zwar der Satzung das Recht gegeben, festzustellen, nach welchem Schlüssel umgelegt werden soll.
Aber wenn man in § 11 überhaupt von Einkommensgrenzen spricht, so meint man doch anscheinend eine Berechnung nach dem Einkommen.
— Nein, Herr Richter, ich habe von vornherein schon um Verzeihung gebeten, weil unser Antrag eine Einheit darstellt. Ich will auch bei den späteren Paragraphen keine Begründung mehr bringen. Die Herausnahme der Selbständigen ist ein geschlossenes Problem.
— Ja, ich begründe meinen Antrag.
Wenn man dazu käme, die Berechnung der Umlage nach dem Einkommen vorzunehmen, müßte man logischerweise bei den Familienausgleichskassen ein kleines Finanzamt errichten. Denn wie sollen solche Kassen, die weitab von ihren Mitgliedern sitzen, aus eigener Kenntnis Feststellungen über die Höhe des Einkommens treffen?
Es ist eine Einkommensgrenze von 3600 DM vorgesehen. Berufsgenossen, deren Einkommen unter dieser Grenze liegt, sollen von der Beitragspflicht befreit werden. Es müssen Feststellungen getroffen werden, was Einkommen ist. Ist das Einkommen aus dem Vorjahr zugrunde zu legen oder das des laufenden Jahres? Welche Schwierigkeiten sich dabei ergeben, kann sich jeder ausmalen, der sich in der Steuergesetzgebung betätigt hat.
Hinzu kommt, daß auf diese Weise ganz verschiedene Verhältnisse für die einzelnen Berufsgenossenschaften entstehen. Es gibt Berufsgenossenschaften, in denen die Zahl der Selbständigen sehr klein ist, in denen also diese Frage keine sehr große Rolle spielt. Demgegenüber stehen Berufsgenossenschaften wie die des Einzelhandels, bei denen die Zahl der Mitglieder außerordentlich groß ist und bei denen die Schwierigkeiten noch dadurch verstärkt werden, daß nur ein Teil dieser großen Zahl von selbständigen Mitgliedern zum Beitragsaufkommen herangezogen wird. Je höher man die Zahl der Nichtzahlungspflichtigen bemißt - und der spätere Antrag der CDU/CSU will ja sogar den Satz von 3600 DM auf 4800 DM erhöhen —, desto mehr muß natürlich auf die Verbleibenden, die zahlungspflichtig sind, umgelegt werden. Wir werden dabei zu Zahlen kommen, die einfach nicht vertretbar sind. Nach den Bestimmungen dieses Gesetzes soll die Landwirtschaft noch von diesem System ausgenommen werden. Aber für einzelne andere Berufsgenossenschaften wird sich die Tatsache ergeben, daß Pflichtige mit einem Einkommen von vielleicht 5000 DM, also ein wenig über . der von Ihnen festgelegten Grenze, Zahlungen leisten müssen, die das Mehrfache dessen darstellen, was sie für sich selbst in der Berufsgenossenschaft zur Unfallversicherung zu zahlen haben.
Überdies ist das Wort „Selbständige" hier gar nicht anwendbar. Warum soll z. B. im gleichen Berufszweig der Geschäftsführer einer Ein-MannGmbH. die Berechtigung haben, Nutznießer dieses Gesetzes zu sein, aber nicht die Verpflichtung, irgendwelche Zahlungen zu leisten, während in dem Nachbarbetrieb, der unter persönlicher Leitung oder als Offene Handelsgesellschaft betrieben wird. die Zahlungspflicht besteht? Diese Ungerechtigkeit ist nicht zu vertreten. Warum soll der Direktor einer Aktiengesellschaft mit einem sehr hohen Gehalt Nutznießer und zum Empfang der Beihilfen berechtigt sein, ohne daß er irgendeine Leistung zu erbringen hat, während der kleine Handwerker seinen Beitrag aufbringen muß? Er bekommt die gleiche Leistung und ist aufbringungspflichtig, der Arbeitnehmer mit dem hohen Gehalt dagegen nicht. Das sind Dinge, die einfach nicht vertreten werden können.
Besonders schwierig sind die Verhältnisse in der Landwirtschaft, wo ja die Maßstäbe des Einkommens andere sind als bei den veranlagungspflichtigen Einkommensbeziehern. Wenn die Grenze von 3600 DM bei der Landwirtschaft aufrechterhalten bliebe, würde es dazu kommen, daß Landwirte, die nicht von der Beitragspflicht befreit werden, Beiträge leisten müssen, die etwa das Fünffache dessen ausmachen, was sie als Berufsgenossenschaftsbeiträge zu zahlen haben. Sie wissen alle, wie sich die Landwirtschaft gerade gegen die letzten Erhöhungen der Berufsgenossenschaftsbeiträge gewehrt hat und erklärt hat, daß sie untragbar seien. Hier würden Lasten hinzukommen, die einfach nicht aufzubringen sind.
Auch die Frage eines variablen Einkommens wird nicht genügend berücksichtigt. In dem einen Jahr wird vielleicht die Grenze, die festgesetzt wird, erreicht und überschritten, im nächsten Jahr sinkt das Einkommen wieder, und die Notlage in dem Betrieb wird besonders groß. Dann muß aber der Beitrag nach dem früheren Einkommen gezahlt werden und ist nun besonders schwierig aufzubringen. Er kann ja erst herabgesetzt werden, wenn eine Veranlagung vorliegt.
Sie sehen daraus, daß die Einbeziehung der Selbständigen in dieses Gesetz völlig unlogisch ist. Wenn man für die Selbständigen eine Kinderbeihilfe organisieren will, muß man andere Wege gehen als hier in dem Fall, der auf die Arbeitnehmer abgestellt worden ist.
Die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, aber auch andere, z. B. die Berufsgenossenschaft der freien Berufe, haben eindeutig erklärt, daß das Gesetz in dieser Form für sie nicht durchführbar ist. Das ist den Mitgliedern des Ausschusses bekanntgegeben worden. Jeder, der sich über diese Warnung hinwegsetzt, übernimmt die Verantwortung, wenn das Gesetz nicht durchgeführt werden kann — darüber muß sich jeder von uns klarwerden —, oder er muß die Argumente zu widerlegen wissen, die von diesen Fachleuten in den Berufsgenossenschaften vorgebracht worden sind. Deswegen haben wir den Antrag gestellt, aus diesem Gesetz die Selbständigen herauszunehmen und das Gesetz dadurch wieder praktikabel zu machen.
Ich möchte noch besonders bemerken, daß wir mit unserem Antrag auch die Unterstützung der gewerblichen Berufsgenossenschaften für die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften mit zwei Dritteln der notwendigen Beträge herausnehmen. Die Landwirtschaft hat nämlich erklärt, daß sie
die Lasten selber tragen könne, wenn sich diese auf die Arbeitnehmer beschränkten. Wie Sie aus dem Schriftlichen Bericht des Kollegen Jentzsch ersehen können, betragen die Lasten für die Landwirtschaft mit Einschluß der Selbständigen rund 130 Millionen DM, aber nur 27 Millionen DM, wenn man sie auf die Arbeitnehmer beschränkt. Diese 27 Millionen DM jährlich kann die Landwirtschaft tragen; sie sind ja weniger als das Drittel, das sie im anderen Fall tragen müßte. Deswegen haben wir für diesen Fall — nur für den Fall, daß die Selbständigen herausgenommen werden — von der Erstattung zu zwei Dritteln durch die gewerblichen Berufsgenossenschaften Abstand genommen. Ich betone: nur für diesen Fall, weil bei flüchtigem Durchlesen unseres Antrags Mißverständnisse aufkommen könnten.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, Ihnen nachgewiesen zu haben, daß das Gesetz mit Einschluß der Selbständigen so viel Mängel und so viel Schwierigkeiten bringt, daß die praktische Durchführbarkeit nicht gegeben ist. Deswegen bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort zur Begründung des Antrags der SPD auf Umdruck 147 zu § 1 des Gesetzes hat der Abgeordnete Professor Schellenberg.
Meine Damen und Herren! Nach § 1, der im Ausschuß von der Mehrheit gegen die Stimmen meiner Fraktion angenommen worden ist, soll die Gewährung von Kindergeld auf Personen beschränkt bleiben, die bei einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, und zwar bei den Berufsgenossenschaften, aus Anlaß einer Arbeitstätigkeit versichert sind oder sich dort freiwillig versichern können. Eine solche Regelung soll nach dem Beschluß der Mehrheit des Ausschusses aus organisatorischen Gründen erfolgen, weil nach dieser Auffassung die Gewährung von Kindergeld an die Familienausgleichskassen der Berufsgenossenschaften gebunden werden soll. Wir stehen also der erstaunlichen Tatsache gegenüber, daß die Gewährung von Kindergeld nicht nach sozialpolitischen Notwendigkeiten, sondern nach verwaltungstechnischen, organisatorischen Gesichtspunkten geregelt werden soll.
Die Regelung des § 1 hat, wie der Herr Berichterstatter vorgetragen hat, einen Unterausschuß des Bundesrates und den Bundestagsausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht beschäftigt. Beide Gremien sind überwiegend der Ansicht, daß der Gesetzentwurf in § 1 den Gleichheitsgrundsatz verletzt, weil nur diejenigen Personen einbezogen werden, die bei einer Berufsgenossenschaft unfallversichert sind. Die sozialdemokratische Fraktion hat schon seit jeher die Rechtsauffassung, die jetzt die beiden Ausschüsse geäußert haben, vertreten und ist darüber hinaus der Auffassung, daß es aus sozialen und politischen Gründen unvertretbar ist, Kindergeld, wie das in § 1 vorgesehen ist, von dem Tatbestand einer Versicherung gegen Arbeitsunfall abhängig zu machen.
Es muß scharfen Widerspruch finden, daß eine soziale Leistung, die Gewährung von Kindergeld, nach unfallversicherungstechnischen Überlegungen bestimmt wird.
Die Unfallversicherung hat die Aufgabe der Verhütung und Entschädigung von Arbeitsunfällen, und das hat nicht das geringste mit der Gewährung von Kindergeld zu tun.
Im übrigen stößt die Durchführung bei den Beruf sgenossenschaften — Herr Kollege Atzenroth hat einen diesbezüglichen Antrag der FDP-Fraktion begründet — auf sehr lebhafte Kritik bei einem Teil der Berufsgenossenschaften. Ich habe vor mir eine Eingabe des Bundesverbandes der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften liegen.
— Ja, ich möchte es den Damen und Herren und der Presse und damit der Öffentlichkeit zur Kenntnis bringen. Da heißt es:
— Fürchten Sie dieses Argument?
— Dann wollen wir darüber diskutieren, und ich darf es zur Begründung meiner Auffassung vortragen:
Bei Würdigung all dieser Verhältnisse muß der in der Ausschußvorlage enthaltene Entwurf als praktisch undurchführbar bezeichnet werden.
Und es heißt weiter:
Die Bedenken sind so schwer, daß die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften jede Verantwortung für die Durchführung des Entwurfs ablehnen.
Der Zentralverband des deutschen Handwerks hat unter anderen Gesichtspunkten ebenfalls eine scharfe Kritik gegen die Durchführung im Rahmen der Berufsgenossenschaften geäußert.
Ungeachtet dieser Einwendungen, die dem Ausschuß bekannt waren, hat dessen Mehrheit an der „klassischen Konzeption", wie Herr Kollege Winkelheide bei der ersten Lesung hier darlegte, an der „klassischen Konzeption" der Koppelung des Familienausgleichs mit einér unfallversicherungspflichtigen Tätigkeit festgehalten, und merkwürdigerweise hat der Herr Minister für Familienfragen den Versuch unternommen, die Verbindung von Kindergeldzahlung mit einer unfallversicherungspflichtigen Tätigkeit der Eltern gewissermaßen zu einem sozial-ethischen Prinzip zu erheben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Kindergeld soll bei uns nicht als Staatsalmosen aus Steuermitteln, sondern als Rechtsanspruch aus Arbeitsleistung gewährt werden.
Das ist eine erstaunliche Argumentation; denn niemand in Deutschland hat irgendwann die Auffassung vertreten, daß Kindergeld als Almosen oder als Leistung der Armenpflege oder der sozialen Fürsorge gewährt werden solle. Das stand niemals zur Erörterung.
— Ich bitte, nachher zu begründen, wer eine solche Auffassung vertritt. Nach Ansicht der SPD, die — ich glaube mich nicht zu täuschen — auch von Damen und Herren selbst der CDU geteilt wird, wenn das auch nicht vor dem Plenum ausgesprochen wird, hat die Gewährung von Kindergeld nichts mit der Arbeitsleistung des Ernährers und seinem Versicherungsverhältnis zu tun.
Die Gewährung von Kindergeld muß vielmehr Ausdruck des eigenen Lebensrechtes des Kindes und der Familie sein.
Das vom Herrn Familienminister vertretene Prinzip, nach dem Kindergeld als Anspruch aus Arbeitsleistung zu gewähren ist, führt unter dem Gesichtspunkt der Familie zu bedenklichen Auswirkungen.
Ich darf das an einem Beispiel erläutern. Eine Witwe mit drei oder mehr Kindern lebt heute von der Kriegshinterbliebenenrente oder von einer Rente der Sozialversicherung und widmet sich trotz ihrer spärlichen Rente ausschließlich der Erziehung ihrer drei oder mehr Kinder. Nach § 1 des Gesetzentwurfes wird diese Witwe, da sie nicht in einem unfallversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis steht, kein Kindergeld erhalten. Sobald aber dieselbe Witwe eine Erwerbstätigkeit aufnimmt, steht ihr zusätzlich ein steuerfreies Kindergeld von 25 DM oder 50 DM, je nach der Zahl ihrer Kinder, zu. Das begründet die Gefahr, daß sich diese Witwe mit drei oder mehr Kindern künftig nicht mehr ausschließlich der Erziehung ihrer Kinder widmet, sondern bestrebt ist, irgendeine Beschäftigung, wenn auch vielleicht nur formell, aufzunehmen, um in der gleichen Weise wie andere Erwerbstätige zusätzlich in den Genuß von Kindergeld auf Grund versicherungspflichtiger Tätigkeit zu kommen. Die Regelung des § 1, die Gewährung von Kindergeld an die Arbeitsleistung zu binden, wofür sich der Herr Bundesminister für Familienfragen einsetzt, führt also zu Auswirkungen, die familienfeindlich sein können.
Im übrigen stimmt selbst die Behauptung des Herrn Ministers für Familienfragen, daß nach dem Gesetzentwurf Kindergeld als Anspruch aus Arbeitsleistung gewährt wird, nicht ganz. Sie ist nämlich nur dann richtig, wenn diese Arbeitsleistung mit einer Pflichtversicherung oder freiwilligen Versicherung bei einer Berufsgenossenschaft verbunden ist.
Wer eine Tätigkeit ausübt, für die er bei keiner Berufsgenossenschaft versichert ist, hat keinen Anspruch auf Kindergeld, auch wenn er drei oder mehr Kinder hat.
- Das werde ich Ihnen darlegen.
§ 1 führt zu dem grotesken Zustand, daß zwar die Bezieher hoher und höchster Einkommen, die drei oder mehr Kinder haben, einen Rechtsanspruch auf Kindergeld erhalten, daß aber Hausschneiderinnen oder Zimmervermieterinnen, die sich und ihre Kinder mit der Rente mühsam durchs Leben schlagen, keinen Anspruch auf Kindergeld haben; denn sie sind nicht bei einer Berufsgenossenschaft, sondern bei einem Gemeindeunfallversicherungs-
verband versichert, wenn sie überhaupt versichert sind.
Ich bitte, das genau nachzuprüfen. Diese Dinge wurden auch von uns im Ausschuß vorgetragen, haben aber die Mehrheit nicht überzeugen können. Wir stehen also auf dem Standpunkt, daß § 1 in der gegenwärtigen Fassung mit der Zielsetzung eines sozial gerechten Ausgleichs für die besondere Belastung der Familien mit Kindern unvereinbar ist.
Die Grundlagen der vom Ausschuß beschlossenen Fassung des § 1 sind auch von der Presse lebhaft kritisiert worden. So schreibt heute die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", die wahrlich nicht in dem Verdacht steht, mit der Sozialdemokratie zu sympathisieren, — —
— Ja, Sie vielleicht, aber ich weiß nicht, ob alle Damen und Herren diesen Aufsatz gelesen haben. Diese Zeitung vertritt die Auffassung, daß der vorliegende Gesetzentwurf als ein Meisterstück gesetzgeberischer Unfähigkeit zu bezeichnen ist.
Obwohl ich — das werden mir die Damen und Herren der CDU bestätigen — an dem Gesetzentwurf lebhaft mitgearbeitet habe, kann ich der Auffassung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" nicht widersprechen.
— Wir werden unsere Auffassung im Laufe der eingehenden Beratungen darlegen, Herr Kollege Atzenroth. Wir lassen uns — um Ihnen das gleich zu sagen — nicht von organisatorischen, sondern von sozialpolitischen Gesichtspunkten leiten, und wir werden das im einzelnen noch darlegen.
Die SPD beantragt deshalb in § 1 lit. a ihres Entwurfs, das Kindergeld ohne Rücksicht auf den Beruf der Eltern oder der Mutter zu gewähren. Eine Annahme dieses Antrags beseitigt auch die Bedenken, die der Rechtsausschuß wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zum Ausdruck gebracht hat.
Der Sozialpolitische Ausschuß hat ferner gegen die Stimmen der Sozialdemokraten beschlossen, Kindergeld erst vom dritten Kind an zu gewähren. Eine solche Regelung ist sozialpolitisch höchst unbefriedigend. Denn dann werden von den 13 Millionen Kindern unter 18 Jahren bzw. 24 Jahren nur 1,2 Millionen Kinder, d. h. rund 9% aller Kinder, Kindergeld erhalten,
während 91% aller Kinder ohne Kindergeld bleiben.
In diesem Zusammenhang muß ich darauf hinweisen, daß der Herr Bundesfinanzminister am 29. April vor der Presse über die Zahl der Kinder, die durch § 1 des CDU-Gesetzentwurfs erfaßt werden, Angaben gemacht hat, die einer Nachprüfung nicht standhalten. Der Herr Bundesfinanzminister
hat vor der Presse Berechnungen bekanntgegeben, wonach bei der in § 1 vorgesehenen Regelung für 2 027 000 Kinder Kindergeld zu zahlen ist. Die tatsächliche Zahl der Kinder, die von § 1 erfaßt werden, beträgt aber nach den Angaben des Bundesarbeitsministeriums und des Statistischen Bundesamtes nur 1 200 000 Kinder. Der Herr Bundesfinanzminister hat also der Öffentlichkeit Zahlen unterbreitet, die um etwa 60 % überhöht sind.
Im Wege der Steuerermäßigung wird, worauf meine Fraktion bereits bei der ersten Lesung hingewiesen hat, nur ein unzureichender und ungerechter Ausgleich der Belastungen erreicht, die sich für Familien mit Kindern ergeben. Deshalb muß nach Auffassung meiner Fraktion danach gestrebt werden, Kindergeld für alle Kinder, d. h. vom ersten Kind an zu gewähren, wie dies für Kinder von Angehörigen des öffentlichen Dienstes der Fall ist. Das sozialpolitische Ziel, Kinderbeihilfen vom ersten Kind an zu gewähren, kann aber nur im Zusammenhang mit einer großen Steuerreform, die diesen Namen verdient, durchgeführt werden. Hiermit ist in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Deshalb ist die sozialdemokratische Fraktion der Ansicht, daß als erster Schritt zur Gewährung eines allgemeinen Kindergeldes dieses wenigstens vom zweiten Kind an gewährt werden sollte. Damit wäre erreicht, daß wenigstens für etwa 5 Millionen der rund 13 Millionen Kinder Kindergeld gezahlt wird. Wir beantragen deshalb, in § 1 unter b) festzulegen, daß Kindergeld bereits vom zweiten Kind an zu gewähren ist. Nur durch eine solche Regelung wird verhindert, daß 91 % aller Kinder auch weiterhin ohne Kinderbeihilfen bleiben, was zu einer schweren Enttäuschung für viele Familien führen müßte.
Unser Antrag zu § 1, Kindergeld nach dem Gleichheitsgrundsatz unabhängig von der Berufstätigkeit der Eltern und auch bereits vom zweiten Kind an zu zahlen, ist von grundlegender sozialpolitischer Bedeutung. Deshalb beantrage ich namens meiner Fraktion namentliche Abstimmung hierüber.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Bundesminister für Familienfragen, Herr Minister Wuermeling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem Herr Kollege Schellenberg sich soeben mit Ausführungen befaßt hat, die ich zu diesem Thema gemacht habe, darf ich in wenigen Sätzen einige grundsätzliche Erläuterungen geben. Ich glaube wirklich, daß es sehr nützlich ist, wenn wir uns — wenn auch nur kurz — hier einmal in aller Sachlichkeit über das Grundsätzliche aussprechen; denn ich habe das Gefühl, daß die Gegensätzlichkeiten über das System, das hier eingeführt werden soll, tatsächlich auf sehr verschiedenen grundsätzlichen Auffassungen beruhen.
Ich möchte sagen, daß ich nach den Ausführungen, die ich in der Öffentlichkeit gemacht habe, davon ausgehe, daß die Familien mit Kindern, die dieses Kindergeld erhalten, nicht Rentenempfänger des Kollektivs sein sollen, sondern daß sie Familienzulagen zum Arbeitseinkommen, zum Lohn und zum Gehalt, bekommen sollen, das sie durch eigene Arbeit verdienen.
Diese Kinderzulagen sind keine Fürsorgeleistungen des Staates — jetzt nicht im engeren Sinne des Fürsorgebegriffs —, sondern sollen ein Teil des Arbeitsentgelts sein, den sich die Schaffenden verdienen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir verstehen uns ganz klar, wenn ich folgendes sage. Wir holen mit diesem Gesetz im Sektor des Arbeitseinkommens etwas nach, was beim Sozialeinkommen, bei allen Arten von Renteneinkommen bereits seit langem eine Selbstverständlichkeit ist, nämlich die Berücksichtigung des Familienstandes, die bekanntlich beim Arbeitseinkommen bisher nur im öffentlichen Dienst und nur in wenigen Fällen in der Wirtschaft üblich war.
Herr Kollege Schellenberg, die Anlehnung der Familienausgleichskassen an die Berufsgenossenschaften hat doch wahrlich nicht den Sinn, daß wir etwa nur die Unfallversicherungspflichtigen und -berechtigten als solche erfassen wollen, sondern hat ausschließlich den technischen Grund, daß die Berufsgenossenschaften die besten und umfassendsten Arbeitsgrundlagen für die Berechnung und Erfassung der Umlagen besitzen,
so daß wir hier keinen neuen Verwaltungsapparat unter erheblichem Kostenaufwand zu schaffen brauchen.
Ich habe eine Frage an den Herrn Minister. Herr Minister, Sie haben die Auffassung vertreten, daß die Beruf sgenossenschaften die besten Arbeitsunterlagen zur Durchführung der Auszahlung von Kindergeld hätten. Ich habe die Frage: Ist nach Ihrer Kenntnis der Dinge irgendeine Berufsgenossenschaft im Besitz der Unterlagen erstens über die Versicherten und zweitens über die Kinder, um die es in diesem Gesetz geht?
Herr Kollege Schellenberg, über eines werden wir uns doch einig sein. Für den Bereich der Arbeitnehmer in den Betrieben ist ohne jeden Zweifel die technische Anlehnung an die Berufsgenossenschaften das einfachste System, weil die Betriebe ihre Beiträge an die Berufsgenossenschaften bezahlen und praktisch nur ein Zuschlag dazu erhoben zu werden braucht.
Die Auszahlung der Kindergelder durch die Betriebs ist doch wohl das Billigste und Einfachste, was man überhaupt machen kann. Jedenfalls für den Sektor der Arbeitnehmer ergibt sich eindeutig, daß hier der beste Weg gegeben ist. Daß die Dinge bei den freien Berufen etwas schwieriger sind, verkennt niemand; aber wenn wir für ungefähr die Hälfte der Empfänger ein gutes, billiges System haben, dann ist es doch gewiß richtig, von diesem System auszugehen und darauf aufzubauen.
Im übrigen muß ich noch folgendes hinzufügen:
Wenn wir für den Bereich der Schaffenden in diesem Gesetzentwurf dieses Kindergeld vorsehen, dann hat nie ein Zweifel darüber bestanden, daß für den Bereich der Nichtschaffenden, nämlich der Rentenempfänger, entsprechende Konsequenzen gezogen werden müssen. Nur gehören diese Vorschriften nicht in ein Gesetz hinein, daß sich ausgesprochen mit dem Bereich der Schaffenden befaßt und dort etwas nachholen will, was grundsätzlich im Bereich der Rentenempfänger schon längst Praxis ist.
Ich fasse zusammen: Nach meinem Empfinden handelt es sich bei diesem Gesetz nicht um ein sozialpolitisches Fürsorgegesetz für hilfsbedürftige Familien, sondern um eine staatspolitische Maßnahme der sozialen Gerechtigkeit für alle größeren Familien. Auch dieser Teil der Familienpolitik ist also nicht Sozialpolitik im engeren Sinne, sondern Staatspolitik. Darum haben wir uns auch für die Bezeichnung „Kindergeld" und nicht — so etwa im sozialpolitischen Sinne — „Kinderbeihilfen" entschieden.
Noch ein Letztes, und das ist mir ein besonderes Herzensanliegen in meiner Eigenschaft als Minister für Familienfragen: Wir haben über dieses Gesetz und über das System der Regelung schon Jahre verhandelt. Unsere Menschen draußen im Lande und unsere Familien erwarten vom Bundestag, daß nun endlich ein Gesetz zustande kommt. Um dieses Wollen — unser Wollen und das Wollen, das von draußen an uns herankommt — zu verwirklichen, geht meine Bitte an alle Mitglieder des Hohen Hauses dahin, doch nun den Streit um das System zurückzustellen und alles zu tun, damit endlich die Tat gesetzt wird, auf die man draußen schon so lange wartet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte, daß ich die bereits lebhaft gewordene Debatte für ein paar Minuten mit einer Erklärung unterbreche. Eine Anzahl von Fraktionskollegen und vor allem meine Freunde, die sich beruflich zum Mittelstand zählen, haben mich beauftragt, hier diese Erklärung zur Frage der Einbeziehung er Selbständigen in den Familienausgleich abzugeben.
Wir sind der Auffassung, daß ein auf die Arbeitnehmer beschränkter Familienausgleich, gleichgültig aus welchen Motiven er vorgenommen wird, niemals ohne Auswirkungen auf die Selbständigen bleiben kann.
Er würde eine weitere sozialpolitische Überrundung gerade unserer kleinen landwirtschaftlichen, handwerklichen und gewerblichen Existenzen bringen, die im Interesse nicht nur dieses kleinen Mittelstandes, sondern jeder selbständigen Tätigkeit überhaupt unbedingt vermieden werden muß.
Wir sind daher grundsätzlich für die Einbeziehung der Selbständigen in den Familienausgleich.
Zur Sozialpolitik gehört aber nicht nur die meist bequemere Verteilung der Mittel, sondern ihr erster Auftrag ist die Aufbringung der Gelder. Diese Aufbringung hat ebenfalls soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Das hier zur zweiten Lesung an-
stehende Gesetz gestattet aber noch keinen klaren Überblick über die zu erwartende Belastung der Selbständigen für ihren Anteil. Aus diesem Grunde hatten meine Freunde und ich die Absicht, einen Antrag auf einstweilige Herausnahme der Selbständigen zu stellen und in einer Entschließung die Regierung aufzufordern, einen Gesetzesvorschlag bezüglich der von diesem Gesetz dann nicht Betroffenen — ich wiederhole den Satz: der von diesem Gesetz dann nicht Betroffenen; wir denken dabei nicht nur an die selbständigen Mittelständler — innerhalb eines halben Jahres und dazu die Berechnung der voraussichtlichen Belastungen vorzulegen. Wir haben uns aber in unserer Fraktion dann dahingehend verständigt, zwischen der zweiten und der dritten Lesung die Frage der Einbeziehung der Selbständigen noch einmal durchzuprüfen. Wir haben uns damit einverstanden erklärt, unsere Anträge bis dahin zurückzustellen. Daß deshalb, dieser Vereinbarung entsprechend, auch ähnlich lautende Anträge, die von anderer Seite zur zweiten Lesung gestellt werden, von uns abgelehnt werden müssen, ergibt sich von selber. Ich persönlich habe die Hoffnung, daß es gelingt, in einer erneuten Beratung auf Grund der Beschlüsse der zweiten Lesung zu einer befriedigenden Regelung für die Selbständigen zu kommen. Jedoch, wie gesagt, diese Entscheidung behalten wir uns bis zur dritten Lesung vor.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Winkelheide.
Meine Damen und Herren, ichdarf noch einmal darauf aufmerksam machen: ich habe aufgerufen zur Einzelberatung des § 1, nicht etwa zu einer allgemeinen Aussprache über das Gesetz als Ganzes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte nur zu § 1 sprechen, aber da muß man einige Dinge am Rande streifen, die in den Fragenkreis hineinspielen. Ich darf dem Herrn Kollegen Dr. Atzenroth und auch dem Kollegen Professor Schellenberg sagen, daß wir den Wunsch nicht erfüllen können und daß wir auch — gemäß der Erklärung des Kollegen Schmücker — beide Änderungsanträge zu § 1 ablehnen.
Da bei der Begründung der beiden Anträge seitens der FDP und seitens der SPD einige Unklarheiten hineingebracht worden sind, möchte ich diese klarstellen. Wir müssen uns über den Ausgangspunkt klarwerden. Der Ausgangspunkt ist und muß bleiben die Familie, und zwar die Mehrkinderfamilie.
Dieser Ausgangspunkt darf nicht sein der berühmte Generaldirektor auf der einen Seite und die Kriegerwitwe auf der andern Seite. Wenn man davon ausgeht, daß man der Mehrkinderfamilie helfen will, darf man keinen Unterschied zwischen Selbständigen und Unselbständigen machen, sondern -
damit unterstreiche ist das, was bereits gesagt worden ist — dann soll man allen Mehrkinderfamilien das Kindergeld geben.
— Herr Professor Schellenberg, Sie haben vorhin gegen besseres Wissen — —
— Herr Professor Schellenberg und Herr Kollege Richter, wir haben sowohl im Ausschuß als auch damals bei der Einbringung immer wieder gesagt, das vorliegende Gesetz umfaßt den Erwerbsraum. Die Arbeitslosen, die Kriegerwitwen und alle anderen sozialen Kreise werden später durch die entsprechenden Gesetze erfaßt. Diese Gesetze werden Ihnen noch vorgelegt.
Wir beschränken uns also auf diesen Kreis des Erwerbsraumes; darauf ist die Konzeption des § 1 aufgebaut.
Nun zum Änderungsantrag der FDP! Wenn wir die Selbständigen herausnähmen, würden wir nur die Hälfte der Kinder erfassen. Das wäre schlecht für die Mehrkinderfamilien. Ich muß hier einmal ganz allgemein sagen, daß zwischen den Auffassungen der Organisationen, Berufsgenossenschaften und Selbstverwaltungsorgane — wir haben Berge von Briefen bekommen — und den Auffassungen der Selbständigenfamilien ein ganz großer Unterschied besteht.
Wenn Sie die Mehrkinderfamilien draußen fragen, diese Zwölf- und Dreizehnkinderfamilien im Münsterland z. B., die möchten lieber heute als morgen die Kinderzulage haben. Nun müssen Sie sich über folgendes klarwerden.
— Das ist nicht wahr, Herr Mellies! — Sie müssen folgendes zugrunde legen. Zwischen der Eigenverantwortung und der Leistungskraft der Familie und der Aufgabe des Staates liegt auch noch ein Verantwortungsbereich, das ist die Gemeinschaft des Berufsstandes. Diese findet nun einmal sinnvollen Ausdruck in der Organisationsform der Berufsgenossenschaften.
Ich möchte hier das Wort „Berufsgenossenschaft" besonders betonen und nicht die Unfallversicherung. Es ist dem Gesetzgeber doch freigestellt, der Berufsgenossenschaft als Einrichtung Aufgaben zu überweisen. Warum nicht? Da steht ein Verwaltungsapparat! Das möchten wir erreichen.
Herr Professor Schellenberg, Sie haben auf den Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen" verwiesen. Das ist eine kleine Panne, und eine sonst sehr geschätzte Zeitung
sollte zu einer solch wichtigen Frage einen Fach-und Sachkenner bieten.
Denn diese Dame, Fräulein Hedi Neumeister, ist keine Sachkennerin dieses Problems.
— Nun, ich habe nichts gegen die Pressefreiheit gesagt, nur gegen die Sachunkenntnis. Ich will zwei Punkte herausgreifen. Sie macht den Vorschlag, den kinderreichen Familien mit Naturalleistungen zu helfen.
Du lieber Gott im Himmel, wollen wir dann der Familie einen Armenschein in die Hand drücken und die kinderreiche Mutter den Armenschein vorzeigen lassen? Das ist eine Degradierung der Mehrkinderfamilien, und dagegen wehren wir uns.
Sie macht weiter den Vorschlag, der Mehrkinderfamilie durch Steuervergünstigungen zu helfen. Es wird sich nachher bei der Steuerdebatte herausstellen, wie viele kinderreiche Familien überhaupt keine Steuern mehr zahlen; und wenn einer keine Steuern zahlt, kann man auch nichts nachlassen. Also von Sachunkenntnis strotzt dieser Artikel.
Der § 1 der Ausschußvorlage umfaßt Arbeitnehmer, Selbständige und mithelfende Familienangehörige. Wenn Sie, Herr Professor Schellenberg, immer auf das Soziale abzielen und den Generaldirektor oder den reichen Mann neben die Kriegerwitwe stellen und wenn Sie davon sprechen, daß der eine keine Leistungen entrichtet, so stimmt das ja gar nicht. Ich könnte den Katalog der Gegenüberstellungen sehr erweitern. Denn im öffentlichen Dienst erhält auch der Staatssekretär das Kindergeld, sogar vom ersten Kind an. Da macht man die Gegenüberstellung nicht. Ich könnte im privatwirtschaftlichen Bereich den Arbeitsdirektor neben die Kriegerwitwe stellen. Das alles muß man aussprechen. Das sind verkehrte optische Gegenüberstellungen; dagegen wehren wir uns. Kindergeld erhält nach unserem Gesetzentwurf nur derjenige, der einen Antrag stellt. Wenn der Generaldirektor oder der reiche Mann einen Antrag stellt, dann hat er einen Rechtsanspruch auf das Kindergeld. Wenn er ihn nicht stellt, handelt er sozial.
Die Leistungen sind in der Lohnsumme einbegriffen, die gezahlt wird. Man muß doch sehen, daß die Beiträge nach der Höhe der Einkommen berechnet sind.
Ich darf wiederholen, was ich eingangs schon sagte, daß die Gruppen, die durch den § 1 nicht erfaßt werden — gleich wird der Herr Kollege Horn dazu sprechen —, in den betreffenden Gesetzen nachgezogen werden.
Zu dem Antrag der SPD, nach dem auch das zweite Kind einbezogen werden soll, möchte ich sagen, daß dadurch eine Mehrbelastung von 1 1/4 Milliarden DM entstehen würde. Wir sollten uns — das habe ich schon bei der Einbringung des Gesetzentwurfs und auch im Ausschuß gesagt -
bescheiden und mit dem dritten Kind beginnen.
— Ja, da ist nichts zu lachen. Da ist wirklich nichts zu lachen, wenn man die Aufgabe ernst nimmt. Wir sollten heute ernsthaft damit beginnen, damit wir dieses Gesetz vom Tisch bekommen und damit die kinderreichen Familien das Geld erhalten. Über das zweite Kind kann man später immer noch reden.
Darum lehnen wir den Änderungsantrag der FDP und den Änderungsantrag der SPD ab und bitten um Annahme der Ausschußvorlage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Regling.
Meine Damen und Herren! Der Umdruck 157*), der uns erst heute morgen vorgelegt wurde, wird, glaube ich, in der Öffentlichkeit einiges Aufsehen erregen. Nur um Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, soll eine große Gruppe von deutschen Staatsbürgern von einer Regelung ausgeschlossen werden, auf die die deutsche Bevölkerung seit vier Jahren wartet. Ich weiß nicht, wie die Antragsteller diese Forderung draußen verantworten wollen.
Es ist klar, daß die Berufsgenossenschaften für die Aufgaben, die ihnen übertragen werden sollen, ungeeignet sind. Aber es hat auch andere Vorschläge gegeben. Es gibt auch heute noch Möglichkeiten, auf diese einzugehen und eine andere Regelung zu finden. Aber nur deshalb, weil hier Schwierigkeiten auftauchen, eine große Gruppe auszuschließen, dafür habe ich — entschuldigen Sie — kein Verständnis.
Dazu kommt, daß die Berufsgenossenschaften zum Teil selbst — wir haben das schon gehört, ich möchte die Gründe nicht noch einmal wiederholen — die Schwierigkeiten sehen und davor warnen, ihnen diese Aufgabe zu übertragen. Aber wegen technischer Schwierigkeiten kann man doch die Belange der Selbständigen nicht einfach übergehen. Übersehen Sie doch nicht, daß nach einer Statistik, die zwar schon eineinhalb Jahre zurückliegt, etwa 70 % der selbständig Schaffenden nur über ein Einkommen von monatlich etwa 400 DM verfügen. Diese Gruppe ist doch mindestens ebenso bedürftig und hat ein Recht, die Kinderbeihilfe genau so zu bekommen wie die gut verdienenden Arbeiter.
Wir haben auch hier Wege gezeigt, um die notwendigen Mittel aufzubringen. Sie sind sogar in dem Antrag des Ausschusses enthalten. Dazu ist ja schon ausgiebig gesprochen worden. Daß dann das Aufkommen größer sein muß, ist selbstverständlich.
Weiter wehren Sie sich insbesondere immer dagegen, daß das Finanzamt als Verwaltungsapparat eingesetzt wird. Das sollen Ihrer Meinung nach die Berufsgenossenschaften machen. Die Begründung, die Sie dafür geben, ist, man kann sagen, geradezu lächerlich. Da hört man immer wieder zur Begründung: Um diese Angelegenheit nicht auch wieder zu verstaatlichen, will man die Berufsgenossenschaften unter Betonung der Selbstverwaltung einschalten. Bitte, fragen Sie mal einen Handwerksmeister draußen; von hundert werden Ihnen mindestens fünfundneunzig begegnen, die nicht den Unterschied zwischen Berufsgenossenschaften und Finanzamt kennen. Man weiß da nicht, wo die Behörde aufhört oder anfängt.
— Bitte, machen Sie selber den Versuch. Sie werden draußen erfahren, daß die Berufsgenossenschaften die Außenstände oft noch rigoroser eintreiben als die Finanzämter. Die Handwerksmeister und überhaupt jeder selbständig Tätige wissen ein Lied davon zu singen. Sie kennen den Unterschied nicht; man muß sie erst aufklären, und sagt man ihnen dann: Das ist ja eigentlich deine Berufsgenossenschaft, wo du über deine Vertreter mit zu bestimmen hast!; — dann machen die Leute die Augen weit auf!
Zum andern ist es so, daß der Selbständige viel unmittelbarer als der Großbetrieb an der Aufbringung der Mittel beteiligt ist; aber er selbst soll ausgeschlossen werden. Ich will nicht im einzelnen auf § 27 eingehen. Er beinhaltet, daß auch der kleine Handwerksmeister, der drei oder vier Leute be-
*) Anlage 2.
schäftigt, Woche für Woche dieses Kindergeld sogar vorstrecken soll. Das ist eine zusätzliche Belastung. Er selber hat vielleicht in seiner Familie mehr Kinder als seine Arbeitnehmer, darf aber für sich selbst das Kindergeld nicht auszahlen. Wir wissen doch, wie schwer es jedem Selbständigen im Kleinbetrieb fällt, den Lohn zum Zahltag zusammenzukratzen. Nun wollen sie ihn noch mit dieser weiteren Zahlung belasten und von dem eigenen Genuß dieser Leistungen ausschließen.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur soviel sagen: Wenn Sie Verständnis und Zustimmung für dieses Gesetz bei den Selbständigen draußen finden wollen, dann lehnen Sie den Änderungsantrag auf Umdruck 157 ab.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Elbrächter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch meine Fraktion ist der Auffassung, daß dieses Gesetz nicht durchführbar ist. Der Herr Kollege Atzenroth hat bereits den gemeinsamen Antrag der FDP und DP begründet. Er hat sich im wesentlichen auf die organisatorischen Schwierigkeiten berufen. Diesen Argumenten möchte ich einige hinzufügen.
Bislang ist die verfassungsrechtliche Stellungnahme des Rechtsausschusses des Bundesrats hier nicht bekanntgeworden. Ich muß pflichtgemäß daran erinnern, daß wir nicht so einfach daran vorbeigehen können. Der Rechtsausschuß des Bundesrats vertritt die Auffassung — ich weiß nicht, ob sie zutrifft; ich bin kein Jurist, aber es muß doch erörtert werden —, daß die Hereinnahme der Selbständigen in das Gesetz gegen Verfassungsrecht verstößt und gar keine Zuständigkeit des Bundestags gegeben ist. Das mögen die Verfassungsrechtler unter sich auspauken. Wir sollten unter keinen Umständen ein Gesetz beschließen, das Anlaß zur Klage beim Verfassungsgericht gibt. Mir scheint auch dieser Gesichtspunkt dagegen zu sprechen, die Selbständigen in die Konstruktion einzubeziehen, die ursprünglich ausschließlich auf Arbeitnehmer zugeschnitten war, wie der Herr Minister Wuermeling doch wohl überzeugend dargelegt hat.
Meine Fraktion hat von jeher — darüber sind wir uns, glaube ich, in diesem Hause auf allen Bänken einig — die Meinung vertreten, daß selbstverständlich kinderreiche Familien in irgendeiner Form unterstützt werden sollen. Der Weg, der mit diesem Gesetz für Arbeitnehmer beschritten wird, ist durchaus richtig. Ich bin mit Herrn Minister Wuermeling ebenfalls durchaus der Meinung, daß das Leistungslohnsystem, dem wir aus guten Gründen folgen müssen, in der betrieblichen Praxis eine Ergänzung nach sozialen, familienrechtlichen Gesichtspunkten haben muß. Daher hat sich doch in der Praxis — und das sollten wir nicht außer acht lassen — bei vielen Betrieben bereits der Brauch entwickelt, daß Kindergeld nicht erst vom dritten Kinde ab, sondern manchmal sogar vom ersten Kinde ab gezahlt wird. Das wäre natürlich ein Idealzustand. Der Grund, warum wir uns überhaupt gesetzgeberisch hiermit befassen müssen, ist doch der, daß eine rein betriebliche Regelung zu unangenehmen Folgen für kinderreiche Arbeitnehmer führen kann. Selbstverständlich gibt es unsoziale Arbeitgeber, wie es erfreulicherweise auch recht viele soziale Arbeitgeber gibt. Diese unsozialen Arbeitgeber werden sich sagen: Ich stelle keine kinderreichen Arbeitnehmer mehr ein; die kosten mich mehr Geld. Es braucht noch nicht einmal immer eine unsoziale Haltung zu sein. Es ist ganz selbstverständlich, daß ein Betriebsinhaber, wenn er in Schwierigkeiten gerät — und das kann dem besten Arbeitgeber passieren —, in die Versuchung kommt, den Arbeitnehmer mit vielen Kindern zuerst zu entlassen, weil das die finanziell wirksamste Erleichterung ist.
Um allen diesen Schwierigkeiten betrieblicher Art aus dem Wege zu gehen, lag der Gedanke nahe, überbetriebliche Regelungen einzuführen. Auch da liegen doch schon gute Erfahrungen vor. Diese überbetrieblichen Ausgleichskassen können mit einem Minimum an Aufwand geführt werden. Deswegen wendet sich meine Fraktion nicht gegen diese Konstruktion als solche, solange sie auf Arbeitnehmer beschränkt ist.
Nun kann aber nicht geleugnet werden, daß eine Beschränkung auf Arbeitnehmer unerwünscht ist. Ich folge hier den Ausführungen des Kollegen Schmücker durchaus. Das führt selbstverständlich zu Spannungen. Wir haben sehr viele Mittelständler, die in der Kaufkraft noch nicht einmal das Einkommen des guten Arbeiters, des Facharbeiters erreichen. Wir wünschen daher, daß der Mittelstand und andere Gruppen von Selbständigen ebenso wie die in diesem Gesetz nicht berücksichtigten Arbeitslosen, Rentner, Kriegerwitwen usw. berücksichtigt werden.
Die Konsequenz daraus ist nach meiner Auffassung und der Auffassung meiner politischen Freunde, daß wir für diesen begrenzten Sektor der Arbeitnehmer dieses Gesetz annehmen sollten, daß wir aber — notwendigerweise — nach Möglichkeit für die Selbständigen einen Weg über das Finanzamt suchen sollten
— ja, warten Sie ab! —, und zwar in der Form, wie sie sich uns jetzt gerade in diesen Wochen darbietet. Wir beraten doch die Steuerreform, und da könnten wir sehr wohl durch Heraufsetzung der Freibeträge für Ehefrau, Kinder usw. nach progressiven Gesichtspunkten und ebenso durch eine entsprechende Anpassung des Einkommensteuertarifs eine angemessene Regelung treffen, damit nicht die Absurdität auftritt, daß der Generaldirektor mit hohem Einkommen unter Umständen unnötig begünstigt wird. Das läßt sich alles erreichen. Wir müßten also dort den Familienstand berücksichtigen.
Nun kommt sofort der Einwand, daß selbstverständlich Tausende und aber Tausende von kleinen Handwerkern, Kleinbauern usw. gar nicht über das Finanzamt berücksichtigt werden können. Nun, dann sollten wir den Mut haben, zu bewirken, daß das Finanzamt auch einmal negative Steuern zahlt und daß dann eben die betreffende Familie, die auf diesem Wege nicht berücksichtigt werden kann, vom Finanzamt eine entsprechende Beihilfe bekommt.
Ich glaube, es ist das Vernünftigste, wenn wir diesen Weg versuchen. Es bereitet auch absolut keine gesetzgeberischen oder organisatorischen Schwierigkeiten, die Kinderbeihilfe für Arbeitslose, Kriegerwitwen, Rentner usw. ebenfalls zu berück-
sichtigen. Das ist eine Angelegenheit, die bei
gutem Willen sehr schnell vollzogen werden kann.
Ich meine also — ich will die Debatte nicht zu lange ausdehnen; ich darf Ihnen hier das Ergebnis unserer Überlegungen darstellen —: wir sollten nicht einfach versuchen, ein solches Problem eingleisig zu lösen. In der Politik ist es nie gut, auf einer Meinung zu beharren, auf die man sich festgerannt hat, sondern wir sollten da beweglich bleiben. Für den Sektor der Arbeitnehmer glauben wir dieser Regelung zustimmen zu können. Wir hätten dann die Möglichkeit, wenigstens für diese Gruppe sehr schnell zum Ziel zu kommen. Für die Selbständigen könnten wir dann bei der Steuerreform über das Finanzamt und, wenn wir den Mut haben, Herrn Schäffer weich zu machen, durch eine Ergänzung ebenfalls sehr schnell eine Regelung finden. Noch schneller könnten wir die Regelung nach meiner Auffassung für die Gruppe der Arbeitslosen, der berufslosen Selbständigen usw. finden, die hier nicht berücksichtigt ist. Es ist auch noch gar nicht davon gesprochen worden, daß wir alle diese Gruppen hier berücksichtigen müßten. Seien wir also nicht zu einseitig! Beharren wir nicht zu sehr — ich richte meinen Appell besonders an die Freunde von der CDU — auf einer einmal vorgefaßten Meinung! Wir sollten doch nicht an den Warnungen der Berufsgenossenschaften, so unterschiedlich ihre Auffassung auch ist, vorübergehen. Wir sollten uns auch nicht anmaßen, über die wohlberechtigten Gründe der Verbände des Mittelstandes, der Handwerker, und wie sie alle heißen, hinwegzugehen. Schließlich haben wir als Gesetzgeber doch die Aufgabe, ein Gesetz zu schaffen, das von der Öffentlichkeit akzeptiert und verstanden wird.
Wir tun der Sache, uns allen selber, unserem Staat, der Demokratie den denkbar schlechtesten Dienst, wenn wir ein Gesetz verabschieden, von dem wir alle, die wir hier sitzen, doch überzeugt sind, daß es noch nicht vollkommen ist. Eine Flut von Änderungsanträgen — 46 habe ich gezählt — beweist doch, daß dieses Gesetz nicht reif ist.
Wenn wir uns also entschließen, die Selbständigen herauszunehmen, dann sehe ich weder in der praktischen Durchführung noch in rechtlicher Beziehung Schwierigkeiten. Aber haben wir den Mut, das so zu machen! Nehmen Sie unseren Änderungsantrag an, dann kommen wir sehr schnell zu dem Erfolg, den Sie von der CDU ja auch wollen. Wir werden dann in gemeinsamer Beratung das tun, was wir auch im Ausschuß versprochen haben: möglichst gleichzeitig für die Gruppen, die nicht berücksichtigt werden konnten, eine neue Regelung zu erarbeiten. Ich glaube, das Problem ist weiß Gott nicht so schwierig, als daß es bei gutem Willen nicht gelöst werden könnte.
Wir müssen nur den Mut haben, beweglich zu sein!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jentzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen meines Kollegen Elbrächter ist es an und für sich
schwer, noch etwas Ergänzendes dazu zu sagen. Ich stimme mit ihm in jeder Beziehung vollauf überein. Das ist auch die Auffassung meiner politischen Freunde zu dem Problem, das uns hier bewegt. Wir unterscheiden uns alle miteinander, wie wir hier im Hause sind, in keiner Form in der Zielsetzung, und es ist unser gemeinsames Bestreben, eine Notlage zu mildern. Aber wir kommen an der Tatsache der gemeinsam zu tragenden Verantwortung nicht vorbei, daß wir als Gesetzgeber in Ausübung des vornehmsten Rechtes, das ein Volk kennt, auch ein solches Gesetz vorlegen müssen, das tatsächlich durchführbar ist. Wir können dieses Gesetz nicht in der Form hinausgehen lassen, wie es sich heute darbietet nach den sehr intensiven gemeinsamen Bemühungen von uns allen in der Ausschußarbeit, wo unsere Auffassungen wirklich sehr gegeneinander abgewogen worden und auch häufig sehr hart aufeinandergeprallt sind. Wir können uns nicht den Vorwurf machen, wir wären etwa leichtfertig gewesen. Wir sind aber leichtfertig, wenn wir das Gesetz in dieser Form hinausgehen lassen und die Warnung gerade derjenigen Instanzen, die in erster Linie mit der Durchführung dieser Aufgaben betraut sind, in den Wind schlagen. Ich glaube nicht, daß das verantwortet werden kann. Wie ein Bumerang werden die Dinge wieder von draußen auf uns zurückkommen, wenn sich herausstellt, wie schwerfällig, ja wie praktisch undurchführbar diese Maßnahmen sind. Wie groß wird dann die Enttäuschung derjenigen sein, die mit großer Spannung auf dieses Gesetzeswerk warten.
Aus diesen Gründen empfehle ich Ihnen auch noch einmal namens meiner Freunde die Annahme unseres Antrags, die Selbständigen aus dem Kreis der durch das Gesetz Erfaßten herauszulassen, damit wir wenigstens auf einem Sektor, nämlich mit dem Rumpf dieses Gesetzeswerks, zum Zuge kommen und in einer wesentlich einfacheren, wenn auch noch nicht ohne Schwierigkeiten zu bewerkstelligenden Form einen Anfang setzen können, damit endlich einmal hier etwas vorgewiesen werden kann.
Im übrigen darf ich Ihnen, meine Damen und Herren, sagen, daß ein Vorgehen in dieser Form auch nicht neu ist; denn Österreich und die Niederlande sind die beiden Staaten, die auch zunächst den Weg beschritten haben, für die Arbeitnehmer den Modellfall zu bilden, an den sich dann auf Grund der gesammelten Erfahrungen erst die übrige Regelung anschließt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Frau Abgeordnete Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE hat von Anbeginn der Debatte über dieses Gesetz, das heute hier beraten werden soll, immer wieder das Bedauern darüber ausgesprochen, daß dieses Gesetz in seinem ersten Anliegen sich nicht an die Kreise wendet, die in erster Linie soziale Maßnahmen notwendig hätten. Wir bedauern, daß man nicht daran gedacht hat und daß es sich nicht hat durchsetzen lassen, in den Personenkreis dieses Gesetzes gemäß § 1 jene Personengruppen einzubeziehen, die sich heute sehr viel schlechter stehen als diejenigen, die in den Kreis der Arbeitnehmer hineingehören. Wir meinen, auch die Arbeitnehmer haben durchaus Ver-
ständnis dafür, wenn wir nach wie vor dafür eintreten, daß auch die Gruppen der Arbeitslosen und der Alfu-Empfänger sowie sonstige Fürsorgeunterstützungsempfänger unter allen Umständen in § 1 mit erfaßt werden. Wenn Sie davon sprechen, daß dieses Gesetz in erster Linie die Arbeitnehmerkreise erfassen solle, dann möchte ich darauf hinweisen, daß das in dem vorliegenden Gesetzentwurf noch nicht einmal der Fall ist, weil diejenigen, die an eine Unfallversicherung gebunden sind, davon ja nicht erfaßt werden.
Ich habe von Herrn Familienminister Wuermeling mit einigem Erstaunen zur Kenntnis genommen, daß er heute ganz offen ausgesprochen hat, dieses Kindergeld sei gewissermaßen im Charakter einem Lohnfaktor gleichgestellt bzw. es solle überhaupt den Charakter eines Lohnfaktors haben. Ich frage Sie, Herr Familienminister: Glauben Sie, daß derjenige rechtens ausgeschlossen werden kann, der arbeitswillig und arbeitsfreudig ist, der aber vom Staat seinen Arbeitsplatz nicht hat erhalten können und der nun ohne Kindergeld oder mit einem Kinderzuschlag von höchstens 13 DM nach Hause geht, während andere, die eine Existenz und eine wirtschaftliche Sicherung haben, 25 DM Kinderbeihilfe erhalten?
Nun sagen Sie, Herr Familienminister, das werde noch kommen. Wir wissen, daß dieses Gesetz Jahre in Anspruch genommen hat, und ich weiß, daß mir Herr Kollege Horn im Sozialpolitischen Ausschuß auf meinen wiederholten Hinweis bezüglich dieses Anliegens ein paarmal gesagt hat, die Novelle zum AVAVG werde kommen und dann werde das gleiche auch für diese Kreise ausgezahlt.
Über das AVAVG hinaus gibt es aber noch sehr viele andere Kreise.
— Die Novelle zum AVAVG ist etwas anderes; aber hier geht es um einen Grundsatz. Wir wollen hier ein Novum schaffen; wir wollen alle Kinder erfassen, und es ist nach einem sozial gerechten Standpunkt nicht einzusehen, daß man unter Kindern Unterschiede macht, daß das Kind des Arbeitslosen anders behandelt wird als das Kind des Selbständigen.
Von einem fortschrittlichen sozialpolitischen Geist erfüllt wäre das Gesetz dann und es hätte dann einen echten, positiven volkstümlichen Charakter und Inhalt, wenn alle Kinder von ihm erfaßt würden. Das möchte ich im Namen meiner politischen Freunde hier aussprechen.
Herr Familienminister, ich hätte es sehr gern gewünscht und gesehen, daß Sie ein einziges Mal an der Beratung des Sozialpolitischen Ausschusses teilgenommen hätten.
Denn dann, Herr Familienminister, hätten Sie vielleicht doch einmal aus einer engeren Sicht heraus festgestellt, welche Schwierigkeiten sich auftürmen.
Ich möchte auch meinen Kollegen und Kolleginnen von der CDU sagen, die sich sicherlich ebenso ehrlich bemüht haben: ich habe durchaus menschliches Verständnis dafür, daß es sehr schwer ist, wenn man sich in eine bestimmte Konzeption hineingedacht hat, sich daraus wieder herauszubewegen. Ich habe keinesfalls — das wird auch niemand in diesem Hause von mir annehmen — ein Gefühl der Schadenfreude angesichts der Tatsache, daß ich mich von Anfang an niemals, weder im Auftrage meiner Fraktion noch nach meiner persönlichen Auffassung, zu der Konzeption dieses Gesetzentwurfs habe bekennen können und das auch heute nicht tun kann. Aber ich möchte doch zu bedenken geben — es ist darauf sehr plastisch ganz besonders von Herrn Dr. Jentzsch hingewiesen worden —: Wir können es nicht verantworten, ein Gesetz hier nur auf Grund einer zahlenmäßigen Mehrheit und nicht auf Grund durchschlagender Argumente für die Richtigkeit seiner Konzeption anzunehmen, um nachher Ungerechtigkeiten, Schwierigkeiten, Unmut und Verärgerung bei seiner Durchführung auf uns zu nehmen.
Meine Fraktion kann die Verantwortung für dieses Gesetz nicht mittragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Familienminister hat sich über unseren Antrag zu § 1 ausgelassen. Was wollen wir eigentlich mit diesem Antrag? Wir wollen haben, daß an Stelle der Fassung, wonach diejenigen Kinderbeihilfe erhalten können, die „nach der Reichsversicherungsordnung bei einer Berufsgenossenschaft versichert sind", die Fassung tritt, daß Kindergeld erhält, „wer im Inland seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat". Wir wollen damit einfach die Differenzen beseitigen, die bis jetzt zu den erregten Auseinandersetzungen geführt haben.
Es ist doch eine feststehende und unbestrittene Tatsache, daß, wenn die Formulierungen, die Sie, meine Damen und Herren, beantragt haben und die gegen unsere Stimmen im Sozialpolitischen Ausschuß angenommen wurden, in das Gesetz im § 1 hineinkommen, eine Gruppe von Arbeitnehmern oder arbeitnehmerähnlichen Personen, die zum mindesten aus sozialen Gründen die Kinderbeihilfe vom dritten Kind an dringend notwendig haben, leer ausgehen.
Das hat doch nichts mit dem „Nachziehen" zu tun, Herr Kollege Winkelheide. Ich spreche ja gar nicht über die Arbeitslosen, ich spreche nicht von den Kranken oder von den Rentnern usw. Das steht auf einem anderen Blatt, das kommt ja erst in § 2, und Sie sollten doch eigentlich inzwischen festgestellt haben, daß die SPD zu § 2 die diesbezüglichen Anträge gestellt hat. Sie können sich darauf verlassen: wir werden Ihnen die Dinge so unterbreiten, daß Sie mit gutem Gewissen auch heute schon zustimmen können, daß nichts nachgezogen zu werden braucht.
Und ich glaube, Herr Bundesarbeitsminister, verehrter Herr Kollege Storch, daß ich nicht zu viel sage. Ich habe vor Monaten mit Ihnen darüber diskutiert, ob nicht jetzt schon in dieses Gesetz ein
Abschnitt II eingebaut werden könnte, in dem bestimmt würde, daß auch die Arbeitslosen, die Kranken, die Rentenempfänger, die nach dem Lastenausgleichsgesetz zu Betreuenden usw. eine Kinderbeihilfe erhalten können. Ich habe noch in Erinnerung, daß Sie das grundsätzlich nicht verneint haben. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich Sie weiter gefragt, ob Sie in Ihrem Ministerium noch keine Vorbereitungen für diese wichtige sozialpolitische Aufgabe — die nach den Ausführungen des Kollegen Winkelheide nachgezogen werden soll — getroffen hätten. Diese Frage haben Sie, glaube ich, bejaht. Ich wundere mich — ich wundere mich wirklich! —, meine Damen und Herren von der CDU, daß Sie nicht diese Arbeit des Bundesarbeitsministeriums, so wie Sie alle anderen doch für sich in Anspruch genommen haben, sich zu eigen gemacht und als Ihren Initiativgesetzentwurf uns unterbreitet haben. Dann wär dieser Streit über diese Frage, der draußen so viel Staub aufwirbelt, aus der Welt geschafft. Weil Sie es nicht getan haben, obwohl Ihnen der Apparat des Bundesarbeitsministers und des Familienministers zur Verfügung steht, mußten wir es halt machen. Wir werden Sie heute in dieser Frage bedienen.
Warum wollen Sie dem nicht zustimmen, daß der Personenkreis, der im Inland seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, an die Stelle des Personenkreises gesetzt wird, der nur auf Grund der Reichsversicherungsordnung bei einer Berufsgenossenschaft versichert ist? Sie sind ja gar nicht dagegen, zumindest waren Sie früher nicht dagegen, meine Damen und Herren von der CDU. Hier ist die Drucksache Nr. 2427 der ersten Legislaturperiode vom 4. Juli 1951, ein CDU-Antrag, unterschrieben von den Herren Winkelheide, Even usw. Da heißt es unter der Überschrift „Kreis der Empfänger von Kinderzulagen" — also der Personenkreis, genau wie jetzt in § 1 — in § 8 Abs. 2:
Die Kinderzulage wird für jedes dritte und folgende Kind gewährt, für welches dem Mitglied der Familienausgleichskasse eine Kinderermäßigung nach § 32 Absatz 4 des Einkommensteuergesetzes zusteht.
Damals haben Sie auch die Reichsversicherungsordnung nicht gebraucht, die Bestimmungen über die Berufsgenossenschaften zur Abgrenzung des Personenkreises nicht für notwendig gehalten. Sie haben praktisch dasselbe genommen, was wir in unserem § i zum Ausdruck gebracht haben. Ich meine wirklich, meine Damen und Herren, über diese Fragen des Personenkreises müßte doch eine Verständigung möglich sein und würde ein Streit, der berechtigt ist, aus der Welt geschaffen sein.
Was die Frage der Selbständigen anlangt, so geben Sie sich keiner Täuschung hin! Die SPD-Fraktion hat 1950 einen InitiativGesetzentwurf über die Gewährung von Kinderbeihilfen eingebracht. Dabei war es eine ihrer vornehmsten Aufgaben, festzulegen, daß nicht nur die Arbeitnehmer, sondern alle Handwerker, alle Landwirte, alle Gewerbetreibenden, alle freien Berufe zu dem Personenkreis zu zählen sind, die Anspruch auf Kindergeld erhalten. Das ist für uns unabdingbar. Dem Antrag der FDP und DP werden wir nicht zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ganz natürlich, daß bei der Beratung des § 1 eines Gesetzes, mit dem sozialpolitisch Neuland betreten wird, auch die Konstruktion dieses Gesetzes eingehend behandelt wird. Nun haben alle Redner sowohl von der Opposition als auch von der rechten Seite dieses Hauses über die Undurchführbarkeit dieser Konstruktion gesprochen. Demgegenüber möchte ich darauf verweisen, daß wir mit denjenigen Gremien und Organen, die dieses Gesetz durchzuführen haben, eingehende Besprechungen gepflogen haben,
auch mit den Leitern der landwirtschaftlichen Beruf sgenossenschaf ten.
— Herr Dr. Atzenroth, nicht im vorigen Jahr, sondern vor einigen Tagen noch haben wir mit den Leitern der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften zusammengesessen.
— Das haben wir schwarz auf weiß. Sie können die Herren ja fragen, die bei uns gewesen sind. Es war nicht einer, es waren — wenn ich nicht irre — sechs Herren.
Dabei sind auch diese Briefe besprochen worden. Sie sind in einer ganzen Reihe von Punkten auf Grund von irrtümlichen Auslegungen der gesetzlichen Bestimmungen abgefaßt worden.
— Die Vertreter der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften haben einige Bestimmungen des Gesetzes irrtümlich ausgelegt.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, glauben Sie nicht, daß, wenn wir ein Gesetz über Kinderbeihilfen geschaffen hätten oder schaffen würden und hierfür eine eigene Einrichtung einsetzten, sich dann die gleichen Schwierigkeiten ergeben würden?
Es ist von diesen Schwierigkeiten gesprochen worden. Aber auch die Leiter der Berufsgenossenschaften haben diese Schwierigkeiten nicht als unüberwindlich angesehen. Sie haben gesagt: Wenn das Gesetz wird, werden wir dasselbe durchführen!
— Mit den Selbständigen! Einige Berufsgenossenschaften haben sogar schon Vorentwürfe für die Satzungen gemacht, die dieses Gesetz vorschreibt. Daher möchte ich das Wort des Herrn Dr. Elbrächter aufgreifen: gehen wir mit gutem Willen und gehen wir mit Mut an diese Dinge heran, dann werden wir es auch schaffen!
Nun zu den Ausführungen der Frau Finselberger und auch zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Richter. Was will dieses Gesetz letzten Endes? Es will eine Lücke schließen, die sich noch im sozialpolitischen Bereich befindet. Sehen wir uns einmal die sonstigen sozialen Gesetze mit Leistungen an! Ob wir das Kriegsopferversorgungsgesetz, ob wir uns das Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ansehen, ob wir uns die Unterhaltshilfe aus dem Lastenausgleich ansehen, ob wir uns das Fürsorgerecht ansehen: überall sind die Leistungen gestaffelt nach dem Familienstand.
Es kann daher gar nicht davon die Rede sein, nachzuziehen, sondern nur davon, die Kinderbeihilfen in diesen von mir genannten Gesetzen an den Stand dieses Gesetzes anzupassen.
Das geht aber nicht in diesem Gesetz, sondern es ist notwendig, die Gesetze, die ich genannt habe, die für die anderen Notgruppen erlassen wurden, an dieses Gesetz anzupassen. Der Kollege Horn wird auf die Frage des Nachziehens noch eingehen, wenn wir auf § 2 zu sprechen kommen. Die Vorlagen sind fertig, die wir dem Bundestag vorlegen werden, um auch die Lücken, von denen Sie gesprochen haben, auszufüllen.
Daher, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich die dringende Bitte an Sie richten, den § 1 in der vom Ausschuß beschlossenen Form anzunehmen, damit das Gesetz recht bald unseren kinderreichen Familien zugute kommen kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Siemer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige Vorredner haben festgestellt, es sei fast unmöglich, die selbständigen Berufe, insbesondere die der Landwirtschaft, in dieses Gesetz hineinzunehmen. Sicherlich ist die Frage, ob es zweckmäßig ist, die Selbständigen im Sinne der Berufsgenossenschaftsordnung in dieses Gesetz hineinzunehmen, nicht so leicht zu beurteilen. Aus den Entgegnungen, die uns von den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften zugeschickt worden sind, geht aber klar hervor, daß die meisten dieser Zuschriften mehr oder weniger von falchen Voraussetzungen ausgehen.
Zunächst einmal ist es nicht so, daß wir in der Landwirtschaft den Glauben aufbringen, daß, wenn man dieses Gesetz nur für die Unselbständigen machte, wir auf die Dauer in irgendeiner Weise mitberücksichtigt würden.
Wir gehen von der Selbstverwaltung aus und versuchen an Hand dieses Gesetzes die Probleme ohne direkten staatlichen Hilfseinsatz zu lösen. Können Sie sich vorstellen, daß wir zur jetzigen Zeit, in der wir mit der großen Steuerreform beschäftigt sind, in der wir die Steuern senken wollen, gleichzeitig mit neuen Steuern durch ein neues Gesetz herauskommen können?
Ich persönlich bezweifle das.
— Selbstverständlich, Herr Atzenroth, machen wir das. Die Frage ist nur, ob Sie einen solchen Vorschlag durchbekommen. Solange wir also als Selbständige nicht die Sicherheit haben, mit in das Gesetz hineingenommen zu werden, solange nicht bessere Vorschläge da sind, bin ich nicht der Auffassung, daß wir auf den Anspruch, als Selbständige in dem Gesetz berücksichtigt zu werden, verzichten können.
Praktisch ist die Frage der Hereinnahme der Selbständigen viel wichtiger als die der Hereinnahme der Unselbständigen; denn es wird von niemandem bestritten, daß gerade bei den 550 000 Kindern — das sind die dritten und weiteren Kinder — der selbständigen Berufe oft eine viel größere Bedürftigkeit vorliegt als in den gut bezahlten Arbeitnehmergruppen.
Nachdem in den Verhandlungen zum Ausdruck gekommen ist, daß bei der gewerblichen Wirtschaft die Bereitschaft besteht, die unterschiedlichen Einkommensverhältnisse zwischen gewerblicher Wirtschaft und Landwirtschaft dadurch zu berücksichtigen, daß sie zwei Drittel der Zahlungen, die für die Landwirtschaft in Betracht kommen, übernimmt, sollten wir doch alles daransetzen, um diesem Gesetz in jeder Weise unsere Förderung zu verleihen.
— Gerade für die selbständigen Landwirte! Denn das Gesetz, so wie es von uns vorgelegt worden ist und wie es jetzt vorliegt, besagt ja, daß ein Drittel der aufzubringenden Summe für die dritten und weiteren Kinder von der Landwirtschaft und zwei Drittel von der gewerblichen Wirtschaft aufgebracht werden.
Die Frage ist natürlich, ob eine bessere Regelung kommen kann. Ich möchte insbesondere dem Kollegen Atzenroth entgegenhalten, daß, wenn die Unselbständigen hereingenommen werden, der Teil der Landwirtschaft, der Löhne zahlt, d. h. Arbeitnehmer beschäftigt, dann wesentlich höher als nach der jetzigen Regelung belastet wird.
Das möchte ich speziell Herrn Atzenroth sagen, der offensichtlich die Rechnung noch nicht durchgesehen und noch nicht festgestellt hat, daß diese Regelung heute viel günstiger ist, als wenn die Landwirtschaft wie die gewerbliche Wirtschaft veranlagt wird.
Kurz und gut, ich kann mir nicht vorstellen, wie man, wenn man nicht einen konkreten Vorschlag macht, dann die Frage lösen und nach Verabschiedung eines Gesetzes, das nur die Unselbständigen beinhaltet, später zum Zuge kommen will. Ob die Mittel dann bereitgestellt werden können, ist die Frage, die ich an die Kollegen von der DP und der FDP stelle und die diese entscheiden müssen, wenn sie der Auffassung sind, daß sie dem Gesetz so nicht zustimmen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Einzelberatung zu § 1 und komme zur Abstimmung.
— Bitte, das Wort zur Abstimmung.
Ich beantrage namens meiner Fraktion auch zu dem Antrag der FDP namentliche Abstimmung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist die Frage, wie wir abstimmen. Ich bin da in einer nicht ganz beneidenswerten Lage; denn der Antrag der FDP und DP auf Umdruck 157 will das Gesetz in § 1 nicht ganz verändern. Er will nur zwei Elemente, nämlich die Selbständigen und die mithelfenden Familienangehörigen, streichen, während der Antrag der SPD auf Umdruck 147 in § 1 ein ganz anderes Prinzip verankern will. Deshalb möchte ich der Meinung sein: der Antrag auf Umdruck 147 ist der weitergehende.
Ich komme daher zuerst zur Abstimmung über den Antrag der SPD, Umdruck 147. Da die SPD selbst namentliche Abstimmung beantragt hat, was genügend unterstützt ist, bitte ich die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
Damit es keine Irrtümer gibt und hinterher nicht wieder Irrtumsanfechtungen kommen: Es wird jetzt namentlich abgestimmt über den Antrag der SPD Umdruck 147 Ziffer 1:
§ 1 erhält folgende Fassung: Kindergeld nach
diesem Gesetz erhält auf Antrag, wer
a) im Inland seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt und
b) zwei oder mehr beihilfefähige Kinder hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird mir eben gesagt, es könnte noch ein Zweifel darüber bestehen, ob wir jetzt über den ganzen Antrag Umdruck 147 abstimmen oder nur über Ziffer 1 dieses Antrags. Ich glaube, ich habe mich so deutlich ausgedrückt. Wir haben ja bisher auch nur zu § 1 gesprochen. Es wird selbstverständlich nur über Ziffer 1 abgestimmt.
Meine Damen und Herren, ich frage: sind noch Abgeordnete vorhanden, die ihre Stimme zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 147 Ziffer 1 abzugeben wünschen? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der namentlichen Abstimmung bekannt. Es haben sich beteiligt 379 stimmberechtigte Abgeordnete und 17 Berliner Abgeordnete;
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 2156,
mit Ja haben gestimmt 142 stimmberechtigte und 9 Berliner Abgeordnete, mit Nein 229 stimmberechtigte und 8 Berliner Abgeordnete, Enthaltungen 2. Der Antrag der SPD Umdruck 147 Ziffer 1 ist damit abgelehnt.
Es ist ein Eventualantrag der Fraktion der SPD gestellt worden, in § 1 die Worte „bei einer Berufsgenossenschaft" zu ersetzen durch die Worte „bei einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung". — Bitte schön, zur Begründung Herr Abgeordneter Frehsee!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Sie soeben den Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei in Umdruck 147 auf Neufassung des § 1 und Einbeziehung aller Kinder in das Kindergeldgesetz abgelehnt haben, habe ich Ihnen namens meiner politischen Freunde den soeben vom Herrn Präsidenten vorgelesenen Eventualantrag zu begründen, wonach in § 1 die Worte „bei einer Berufsgenossenschaft" ersetzt werden sollen durch die Worte „bei einem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung".
Wir wollen mit diesem Änderungsantrag bewirken, daß wenigstens alle Arbeitnehmer von diesem Gesetz erfaßt werden, was nach der Ausschußvorlage, wie bereits die Kollegin Frau Finselberger und mein Kollege Richter festgestellt haben, nicht der Fall ist. Wenn der § 1 in der Fassung der Ausschußvorlage bestehenbleibt, wird eine zahlenmäßig bedeutende Arbeitnehmergruppe kein Kindergeld erhalten.
Ich kann mir nicht denken, daß das Hohe Haus das
für tragbar hält. Wenn schon die Arbeitnehmer für
ihre Kinder nur vom dritten Kind ab ein Kindergeld von 25 DM monatlich erhalten sollen, müssen
es mindestens alle Arbeitnehmer sein; dann sollte
nicht unterschiedliches Recht geschaffen werden, und dann sollte es keine unterschiedliche Behandlung verschiedener Arbeitnehmergruppen geben. Wenn nur die Kinder derjenigen Arbeitnehmergruppen berücksichtigt werden, die bei den
Berufsgenossenschaften gegen Unfall versichert
sind — und das ist nach dem Ausschußbeschluß zu
§ 1 der Fall —, erhalten, wie schon erwähnt worden ist, rund 35 000 Waldarbeiter in den Ländern
Bayern und Baden-Württemberg kein Kindergeld,
bekommen mehrere hunderttausend Angehörige der Deutschen Dienstorganisation und sonstige Besatzungsbedienstete gleichfalls kein Kindergeld,
und dann sind schließlich auch die Hausgehilfinnen von dieser Regelung ausgenommen. Sie werden mir vielleicht gleich entgegenhalten, daß Hausgehilfinnen im allgemeinen nicht mehr als zwei Kinder haben.
Es gibt jedoch eine Reihe von Aufwartefrauen, z. B. Kriegerwitwen mit drei Kindern, die unter die Sparte der häuslichen Dienste fallen und kein Kindergeld erhalten, wenn Sie die Regelung in § 1 bestehen lassen, wonach nur die bei den Berufsgenossenschaften Versicherten in den Geltungsbereich dieses Gesetzes fallen sollen. Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Gruppen, die gleichfalls von diesem Gesetz ausgenommen wären, wenn es bei der Fassung bliebe, die in der Ausschußvorlage enthalten ist.
Wenn Sie dem jetzt hier vorgelegten Eventualantrag zustimmen, haben Sie erreicht, daß wenigstens alle Arbeitnehmergruppen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes fallen, und Sie haben dann wenigstens für die Arbeitnehmer das Kindergeld eingeführt. Wenn Sie diesem Eventualantrag zustimmen, brauchen Sie, meine Damen und Herren von der CDU, nicht einmal zu befürchten, daß die Konzeption, die Sie diesem Gesetzeswerk zugrunde gelegt haben, verletzt wird. Für die bei den gemeindlichen Unfallversicherungen und bei den staatlichen Ausführungsbehörden für Unfallversicherung versicherten Arbeitnehmergruppen, z. B. die häuslichen Dienste, die jetzt nicht unter das Gesetz fallen, könnte ja auch eine Familienausgleichskasse errichtet werden. Für ihre Organisation, für die Verwaltung und für die Geschäftsführung könnten durchaus die gleichen Bestimmungen gelten, wie sie für die bei den gewerblichen und landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften zu errichtenden Familienausgleichskassen vorgesehen sind.
Es würde auch keine allzu großen, mindestens keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereiten, diese Familienausgleichskassen — wenn man das will — aus dem in § 14 des Gesetzentwurfs vorgesehenen Ausgleich zwischen den Familienausgleichskassen, die bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften gebildet werden, einerseits und denen, die bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften gebildet werden, andererseits herauszunehmen. Es wäre auch durchaus möglich, auf Errichtung besonderer Familienausgleichskassen für die vorhin genannten Gruppen ganz zu verzichten und die betreffenden Arbeitnehmer nach § 10 des Gesetzentwurfs einer anderen Familienausgleichskasse zuzuweisen. Es gibt jedenfalls auch für diese Arbeitnehmergruppen eine Fülle von Möglichkeiten, sie in die Kinderregelung einzubeziehen, ohne die Konzeption dieses Gesetzes zu verletzen, wenn Sie das als das Entscheidende ansehen.
Bei den Waldarbeitern, von denen ich gesprochen habe, handelt es sich um Arbeiter der staatlichen Forstbetriebe in Bayern und Baden-Württemberg. Das sind also Angehörige des öffentlichen Dienstes, der insgesamt auch aus diesem Gesetz herausgenommen ist, weil ja der öffentliche Dienst im allgemeinen Kinderzuschläge zahlt. Sie werden vielleicht fragen, warum für sie, wenn es sich doch um Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes handelt, nicht auch die sonst im öffentlichen Dienst üblichen Kinderzuschläge gezahlt werden. Früher ist das der Fall gewesen. Erst nach 1948 haben die Tarifvertragsparteien, als sie neue Manteltarifverträge abgeschlossen haben, die Kinderzuschläge abgeschafft. Dabei haben sie sich von dem Gedanken leiten lassen, den vorhin der Herr Kollege Dr. Elbrächter vertreten hat, als er von dem Leistungslohn und der Notwendigkeit sprach, die Löhne nach dem Leistungsprinzip zu gestalten. Sie haben sich also von einem Gedanken leiten lassen, den besonders die rechte Seite dieses Hauses bejahen müßte, daß nämlich die staatlichen Forstbetriebe nicht so sehr Verwaltungen, sondern Erwerbsbetriebe darstellen und ihre Löhne eben mehr nach den Prinzipien regeln sollten, die in der freien Wirtschaft, d. h. im Erwerbsleben gültig sind, als nach denen in der Verwaltung. Die Tarifvertragsparteien sind damals aus freiem Ermessen und guter Überzeugung zu diesen Entschlüssen gekommen. Wenn nun aber die Forstarbeiter in ainem Augenblick ohne Kindergeld bleiben sollen, in dem es für alle übrigen Arbeitnehmergruppen mit Ausnahme derer, die ich aufgeführt habe, eingeführt wird, wird sich natürlich ihre gewerkschaftliche Vertretung um die Wiederherstellung des früheren Zustandes bemühen müssen. Der dort fortschrittlicherweise eingeführte Leistungslohn wird dann wieder auf die im öffentlichen Dienst übliche Entlohnungsform zurückgeführt werden müssen. Ich kann mir nicht denken, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, daß das Ihre Absicht ist. Ich bitte Sie, einer auf dem Leistungsprinzip basierenden fortschrittlichen Umgestaltung in einem Teil der öffentlichen Betriebe, in den Erwerbsbetrieben der öffentlichen Hand, nicht in den Rücken zu fallen und daher dem Eventualantrag der Fraktion der SPD zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, verletzen Sie nicht den im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz, indem Sie innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer beträchtliche Teile von der hier geplanten Kindergeldregelung ausnehmen!
Meine Damen und Herren, ich hatte angenommen, daß es über diesen Eventualantrag keine Aussprache mehr geben würde, sonst hätte ich Ihnen vorgeschlagen, zunächst die beantragte namentliche Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der FDP und DP auf Umdruck 157 *) vorzunehmen. Ich schlage Ihnen vor, das jetzt zu tun, und bitte, diese namentliche Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 157 Ziffer 1 durchzuführen und nach der Einsammlung der Stimmzettel die Debatte über den Eventualantrag fortzusetzen. Ich bitte die Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln.
Meine Damen und Herren, die Einsammlung der Stimmzettel ist im wesentlichen beendet. Ich schließe die Abstimmung nachher kurz vor Beendigung der Auszählung.
Ich darf vorschlagen, daß wir in der Debatte über den Eventualantrag fortfahren. Das Wort hat der Abgeordnete Winkelheide.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Eventualantrag der SPD auch abzulehnen. Wir haben uns im Ausschuß eingehend mit dieser Frage beschäftigt und alle Möglichkeiten erwogen. Wir haben darauf hingewiesen — es sind Erklärungen abgegeben worden —, daß der Bereich der bei der Besatzungsmacht Bediensteten durch Abkommen geregelt wird, daß diese Bediensteten ebenfalls in den Genuß des Kindergeldes kommen sollen. Ebenso sollen Verhandlungen mit dem Ziel geführt werden, daß auch der kleine Kreis der zum öffentlichen Dienst Gehörigen in den Genuß des Kindergeldes kommt. Wir meinen, daß damit den Bedenken Rechnung getragen ist. Ich bitte, diesen Antrag abzulehnen.
Herr Abgeordneter Schellenberg, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was Herr Kollege Winkelheide vorgetragen hat, vermag meine Fraktion nicht zu überzeugen. Hier soll ein Gesetz ge-
*) Anlage 2.
schaffen werden; dabei sollte der Gesetzgeber eine Regelung treffen, nach der alle Arbeitnehmer — über die Selbständigen haben wir bereits abgestimmt — einbezogen werden, und zwar durch Gesetz. Ankündigungen genügen hierfür nicht. Das ist das erste.
Zweitens, Herr Kollege Winkelheide, haben Sie sich nicht zu der Frage geäußert, die mein Kollege Frehsee angeschnitten hat, nämlich daß diejenigen, die bei den sogenannten Gemeinde-Unfallversicherungsverbänden als im Haushalt tätige Personen, Reinmachefrauen usw. versichert sind, nach Ihrer Fassung bezüglich der Berufsgenossenschaften außerhalb einer Regelung für Kindergeld bleiben. Weshalb? Nicht aus sozialen Gründen, sondern nur aus organisatorisch-technischen Gründen, weil Sie bei Ihrer Konzeption von den Berufsgenossenschaften nicht abgehen können oder wollen. Deshalb sollen sogar andere Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, die Gemeinde-Unfallversicherungsverbände, ausgeschlossen werden.
Im übrigen ist zu sagen, daß auch eine Beteiligung der Gemeinde-Unfallversicherungsverbände durchaus eine Regelung im Sinne Ihrer eigenen Konzeption ermöglichen würde. Denn es könnte auch bei den Gemeinde-Unfallversicherungsverbänden eine Familienausgleichskasse gebildet werden, die in der gleichen Weise wie andere Familienausgleichskassen Beiträge aufzubringen hätte. Damit wäre eine Lösung geschaffen, die auch den Versicherten der Gemeinde-Unfallversicherungsverbände, d. h. allen Arbeitnehmern, Kindergeld gewährleisten würde.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung zu diesem Antrag. Wir können über ihn abstimmen, da er unabhängig davon ist, ob der FDP-Antrag oder der Ausschuß-Antrag angenommen wird.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag, dem Eventualantrag der SPD — ich brauche ihn nicht noch einmal zu verlesen —, zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Jetzt müssen wir allerdings doch wieder einen Augenblick auf das Ergebnis der Abstimmung warten. Sind noch Abgeordnete vorhanden, die in der namentlichen Abstimmung zum Antrag auf Umdruck 157 ihre Stimme abzugeben wünschen? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, sind die Abgeordneten, die die Anträge zu § 2 gestellt haben, bereit, diese Anträge bereits zu begründen?
Zunächst der Antrag der Fraktion der CDU/CSU
unter Ziffer 1 des Umdrucks 155. — Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU schlägt Ihnen die Streichung folgender Worte des § 2 Abs. 2 vor:
und zwar auch während der Zeiten der Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses infolge Streiks oder Aussperrung.
Sie beantragt dafür, in § 4 einen Abs. 6 einzufügen, wonach Arbeitnehmer, die nach einer Unterbrechung ihres Beschäftigungsverhältnisses von weniger als drei Monaten ihre Tätigkeit wieder aufnehmen, Kindergeld für die Dauer der Unterbrechung erhalten, soweit sie nicht während dieser Zeit Leistungen für Kinder auf Grund anderer gesetzlicher Regelungen erhalten haben.
Meine Damen und Herren, in unserer Fraktion haben sich bei der Vorlage der Ausschußfassung doch Bedenken dagegen erhoben, die Fassung des Ausschusses anzunehmen. Es muß dabei vorausgeschickt werden, daß diese Einfügung in § 2 „auch während der Zeiten der Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses bei Streik oder Aussperrung" dann praktisch ohne Bedeutung ist, wenn ein Streik oder eine Aussperrung ohne Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor sich geht. Das heißt also, im Falle eines Streiks oder einer Aussperrung, wo eben nicht gekündigt wird, wird ja auch das Arbeitsverhältnis nicht beendet, und Voraussetzung für die Gewährung des Kindergelds ist das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, so daß auch in der Zeit eines Streiks, der ohne Kündigung verläuft — ich sage es noch einmal —, das Kindergeld weiter zu gewähren ist.
Nun aber erhebt sich die Frage, wie es sich verhält, wenn bei einem Arbeitskampf eine Kündigung ausgesprochen wird. Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses hat zur Folge, daß es zu Ende ist, ohne Rücksicht darauf, ob man absehen kann, daß nach dem Streik eine Wiedereinstellung erfolgt oder nicht. Das würde also bedeuten, daß mit der Kündigung der Anspruch auf Kindergeld im auf die Kündigung folgenden Monat erlischt; denn es ist ja im allgemeinen eine fristlose Kündigung. Das hat aber zur Folge, daß auch bei Arbeitskämpfen, die normal vor sich gehen, unter Umständen unberechtigte Härten entstehen. Fügen wir aber die in der Ausschußfassung vorgesehene Formulierung ein, dann bedeutet das, daß auch jemand, der sich während des Streiks Ausschreitungen zuschulden kommen ließ, unter Umständen in den Genuß des Kindergelds kommt, obwohl sein Arbeitsverhältnis nicht fortgesetzt wird. Daher sieht die Formulierung, die wir vorschlagen, vor, daß nach Beendigung eines Streiks oder einer Aussperrung oder nach einer anderen Art — und dies ist weiterhin ein Vorteil unseres Vorschlags — der Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses das Kindergeld den Arbeitnehmern, die an dem Arbeitskampf beteiligt oder durch eine andere Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses betroffen sind, weitergewährt wird.
Ich schlage Ihnen deshalb vor, dem Antrag der CDU/CSU zuzustimmen, in § 2 die genannten Worte zu streichen und in § 4 einen neuen Absatz nach dem Wortlaut des Ihnen vorliegenden Umdrucks einzufügen.
Meine Damen und Herren, ich darf nun noch einmal zu § 1 zurückkehren. Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung über Ziffer 1 des Umdrucks 157 — Antrag der Fraktionen der FDP und DP — bekannt. An der Abstimmung haben sich 383 stimmberechtigte Abgeordnete und 17 Berliner beteiligt. Mit Ja haben 39 stimmberechtigte Abgeordnete und 4 Berliner gestimmt, mit Nein 333 stimmberechtigte und 13 Berliner. 11 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Damit ist dieser Antrag abgelehnt worden. Die Änderungsanträge zu § 1 sind damit erledigt.
Wir können zur Abstimmung über den § 1 kommen. — Das Wort hat der Abgeordnete Atzenroth.
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 2156.
Ich beantrage namens der Fraktionen der FDP und DP namentliche Abstimmung über § 1 in der Ausschußfassung.
Meine Damen und Herren, wir haben die Übung gehabt, daß, wenn die Anträge auf namentliche Abstimmung namens der Fraktionen gestellt werden, die nach der Geschäftsordnung erforderlichen Zahlen als beigebracht angesehen werden. Oder wünschen Sie, daß die Zahl der tatsächlich Anwesenden festgestellt wird?
— Meine Damen und Herren, ich glaube, wir erleichtern uns das Geschäft, wenn wir diese Feststellung nicht treffen, sondern die Zahlen der Fraktionen unterstellen, wie wir das auch sonst getan haben. Also wird namentliche Abstimmung stattzufinden haben. Ich bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln. —
Meine Damen und Herren, die Einsammlung der Stimmkarten ist im wesentlichen beendet. Ich darf vorschlagen, daß wir zunächst in der Begründung der Anträge zu § 2 fortfahren. Wünscht die Fraktion der FDP den übereinstimmenden Antrag auf Umdruck 156 Ziffer 1 zu begründen? — Offenbar nicht — oder doch? - Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Parallelantrag der Fraktion der CDU/CSU habe ich namens meiner politischen Freunde noch auf folgendes aufmerksam zu machen. Wir haben den gleichen Antrag gestellt, die Worte „infolge Streiks oder Aussperrung " aus dem Entwurf zu streichen. Bestimmend für diese Maßnahme, die j a durch den neuen Antrag der CDU/ CSU dahingehend abgemildert werden soll, daß nach einer Wiederaufnahme der Arbeit innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten das Kindergeld dennoch gewährt wird, war für uns die Tatsache, daß, wenn diese Streikbestimmung im Gesetz bliebe, ein Bruch mit den bisherigen grundsätzlichen Auffassungen, die wir im deutschen Arbeitsrecht als herrschende Lehre anerkennen, vollzogen würde.
Der Gesetzgeber hat bei Arbeitskämpfen bislang eine neutrale Haltung eingenommen, und nach der einhelligen arbeitsrechtlichen Auffassung muß diese Neutralität gewahrt bleiben, damit nicht Beeinflussungen vorgenommen werden, die für die eine oder für die andere Seite ein Übergewicht schaffen, das im Sinne der Koalitionsfreiheit unangebracht und ungerechtfertigt wäre. Würde der Gesetzgeber diese Bestimmung hinsichtlich des Streikes aufrechterhalten, so müßten daraus grundlegende Konsequenzen gezogen werden.
Das war die Begründung, die ich namens meiner politischen Freunde zu unserem Antrag, diese Bestimmungen aus dem § 2 Abs. 2 herauszunehmen, vorzutragen hatte.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir erst alle Anträge zu § 2 begründen lassen und dann in die Aussprache eintreten.
Wer wünscht, den Antrag Umdruck 147 Nr. 2 *) der Fraktion der SPD zu begründen? - Bitte schön, Frau Abgeordnete!
**) Anlage 1.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zu unserem großen Bedauern hat die Mehrheit dieses Hauses unsere Anträge zu § 1 abgelehnt, nach denen den Kindern ohne Rücksicht auf die Erwerbstätigkeit der Eltern Kindergeld gewährt werden sollte. Sie hat auch den zweiten Antrag, den Eventualantrag, abgelehnt, nach dem wenigstens alle Arbeitnehmergruppen in dieses Gesetz einbezogen worden wären. Nach der vorliegenden Konzeption in der Ausschußfassung sollen also nur die dritten und weiteren Kinder von unfallpflichtversicherten Personen Kindergeld erhalten. Das bedeutet, daß bestimmte Personengruppen ganz willkürlich und ohne jede Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Situation entweder in das Gesetz einbezogen oder aus ihm ausgeschlossen werden sollen. Insbesondere geht es aber hierbei darum, daß weite Bevölkerungskreise, für die die Gewährung von Kindergeld von sehr großer wirtschaftlicher und sozialer Bedeutung wäre, nach dem vorliegenden Gesetzentwurf ausgeschlossen sind. Der Herr Familienminister hat heute sehr schöne Worte gebraucht, aber nur, soweit ich ihn wenigstens verstanden habe, für die Mehrkinderfamilien derjenigen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, aber nicht für jene, die zu den bedürftigsten Bevölkerungskreisen gehören. Ich dachte, meine Herren und Damen, daß der Herr Familienminister gerade für diese Bevölkerungskreise hätte eintreten müssen.
Von den Ausgeschlossenen sind insbesondere die Kinder von Soforthilfe- und Fürsorgeunterstützungsempfängern, vor allem aber die Kinder der Arbeitslosen und langfristig Kranken betroffen, außerdem die Kinder der Sozialversicherungsrentner und der Kriegsbeschädigten, soweit diese nicht in Arbeit stehen. Dabei sind besonders auch viele Schwerbeschädigte betroffen. Nach dem Material, das uns vom zuständigen Ministerium vorgelegt wurde, würden allein bei den Gruppen der Sozialversicherungsrentner und Kriegsbeschädigten sowie bei den Unterstützungsempfängern einschließlich der Soforthilfeempfänger rund 221 000 dritte und weitere Kinder unberücksichtigt bleiben.
Die Gesamtzahl der dritten und weiteren Kinder bis zu 25 Jahren der sogenannten selbständigen Berufslosen, die heute im Zusammenhang mit § 1 im einzelnen angesprochen wurden, beträgt, wie aus dem amtlichen Material hervorgeht, insgesamt 286 800 Kinder. Hierzu würden, worauf ich noch einmal besonders hinweisen muß, einige Hunderttausend Kinder von Arbeitslosen und ausgesteuerten Kranken kommen. Unter denen, die nach diesem Gesetz nichts bekommen, werden auch jene Witwen sein, die für eine größere Zahl Kinder zu sorgen haben und eben wegen dieser Verpflichtungen nicht erwerbstätig sein können.
Alle diese Gruppen unberücksichtigt zu lassen, käme einer Diskriminierung der sozial besonders schwachen Schichten in unserem Volke gleich. Das kann und darf aber nicht der Wille des Gesetzgebers sein, zumal auch der Herr Bundeskanzler am 20. Oktober vorigen Jahres versprochen hat, gerade den sozial schwächsten Schichten in unserem Volke zu helfen.
Die sozialdemokratische Fraktion hat Ihnen deshalb unter Ziffer 2 auf Umdruck 147 einen Änderungsantrag vorgelegt, wonach in das Kindergeldgesetz u. a. vor allem die langfristig Kranken, d. h.
die Bezieher von Krankenpflegegeld nach § 182 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung einzubeziehen sind. Hierbei handelt es sich — um es einmal deutlich zu machen — um die Ausgesteuerten. Niemand wird bezweifeln, daß gerade dort, wo der Ernährer längere Zeit krank ist, die Not doch dann am größten ist, wenn er mit dem Krankengeld ausgesteuert wird. Da kann man doch nicht, wie es nach Ihrem Gesetzentwurf, meine Herren und Damen von der CDU-Fraktion, vorgesehen ist, auch noch das Kindergeld für die Ausgesteuerten wegfallen lassen!
Wir beantragen deshalb, diese einengende Bestimmung in § 2 Abs. 2 letzter Satz zu streichen, und bitten, unserem weitergehenden Antrag zuzustimmen, wonach kranken Familienernährern auch über die Aussteuerung hinaus das Kindergeld weiter gewährt werden soll.
Nun zu der anderen großen Personengruppe, zu den Arbeitslosen, von denen heute auch schon gesprochen wurde. Nach Auffassung meiner Fraktion ist es schon aus rein menschlichen Gründen nicht zu ertragen, daß die Kinder der Arbeitslosen in diesem Gesetz ausgeschlossen sein sollen. Bei den Ausschußberatungen wurde uns zwar entgegengehalten, daß für die Arbeitslosen eine besondere Regelung kommen solle, und zwar gleichzeitig mit diesem Gesetz. Nun, meine verehrten Damen und Herren von den Regierungsparteien, das ist auch schon wieder einige Monate her, und bis heute ist uns eine solche Regelung nicht vorgelegt worden. Ohnedies sind meine Parteifreunde und ich der Auffassung, daß die Kinder der Arbeitslosen in das Kindergeldgesetz, das wir heute beraten, mit einbezogen werden sollten
und nicht auf einen späteren Termin vertröstet werden können.
Wenn z. B. ein Familienvater mit fünf Kindern nach diesem Kindergeldgesetz für sein drittes, viertes und fünftes Kind die Beihilfen bekommt, aber eines Tages arbeitslos wird, dann würde er neben dem sehr erheblichen Absinken seines Lohnes oder seines Gehaltes auf die Arbeitslosenunterstützung nun obendrein noch 75 DM Kinderbeihilfen einbüßen. Eine solch beträchtliche und plötzliche Verminderung des Einkommens ist im Hinblick auf den inzwischen mit den Beträgen des Kindergeldes geschaffenen Lebensstandard der Familie einfach nicht zu verantworten, weder vom rein menschlichen und sozialen Standpunkt aus, noch aus volkswirtschaftlichen Erwägungen. Wir sollten alle sehr ernsthaft überlegen, daß es eine schwere soziale Ungerechtigkeit wäre, wenn die hier von mir angesprochenen Bevölkerungskreise von diesem Gesetz ausgeschlossen blieben. Eine solche Schuld sollte der Bundestag wirklich nicht auf sich nehmen.
Namens meiner Fraktion bitte ich deshalb das Hohe Haus, dem von der sozialdemokratischen Fraktion auf Umdruck 147 Ziffer 2 gestellten Änderungantrag Ihre Zustimmung zu geben, wonach den Arbeitnehmern gleichgestellt werden die Bezieher von 1. Krankenpflege, 2. Arbeitslosenunterstützung oder Arbeitslosenfürsorgeunterstützung, 3. Renten nach der Reichsversicherungsordnung, dem Angestelltenversicherungsgesetz, dem Knappschaftsversicherungsgesetz und dem Bundesversorgungsgesetz, 4. Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz, 5. Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz und 6. Fürsorgeunterstützung nach der Verordnung über die Fürsorgepflicht.
Meine Herren und Damen, nachdem Sie die Änderungsanträge der sozialdemokratischen Fraktion zu § 1 abgelehnt haben, wäre es das Mindeste, daß Sie diesem Antrag zustimmen, um draußen in der Offentlichkeit von diesen Kreisen einigermaßen verstanden zu werden, von jenen Menschen, die nun seit Jahren auf die so dringend nötige Kinderbeihilfe warten.
Meine Damen und Herren, ich kehre noch einmal zu § 1 zurück und frage: Sind noch Abgeordnete vorhanden, die in der namentlichen Abstimmung zu § 1 ihre Stimme abzugeben wünschen? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung bekannt. Es haben sich beteiligt 382 stimmberechtigte Abgeordnete und 16 Berliner. Mit Ja haben gestimmt 189 Stimmberechtigte und 4 Berliner, mit Nein 49 stimmberechtigte Abgeordnete und 10 Berliner; Enthaltungen 144 und 2 Berliner. Damit ist § 1 angenommen.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir weiterhin noch die Begründung der noch nicht begründeten Anträge zu § 2 hören, zunächst die Begründung des Änderungsantrags der FDP und der DP, Umdruck 157 Ziffer 2. — Offenbar wünscht man nicht, ihn zu begründen.
Ich komme zu dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 148 Ziffer 1 zu § 2 Abs. 4. Wer wünscht, ihn zu begründen? — Herr Abegordneter Siemer, bitte!
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Entwurf steht unter § 2 Abs. 4:
Als mithelfende Familienangehörige im Sinne dieses Gesetzes gelten, wenn sie in den Haushalt von Selbständigen oder Heimarbeitern aufgenommen worden sind und ständig, ähnlich wie Arbeitnehmer, mitarbeiten, . . .
Wir haben uns erlaubt, zu diesem Passus einen Änderungsantrag mit folgendem Text einzubringen:
Als mithelfende Familienangehörige im Sinne dieses Gesetzes gelten, wenn sie im Unternehmen des Selbständigen oder Heimarbeiters ständig, ähnlich wie Arbeitnehmer, mitarbeiten, . . .
Der Sinn unseres Antrags ist folgender. Nach der Fassung des Entwurfs hätten wir diejenigen Selbständigen bzw. Mitarbeiter nicht erfaßt, die in bäuerlichen Betrieben als Familienangehörige tätig sind. Wir haben eine ganze Reihe von Mitarbeitern und Familienangehörigen, die in einer eigenen Wohnung auf dem Hof leben und nicht zu der Haushaltsgemeinschaft des Unternehmers bzw. des Bauern gehören. Aus diesem Grunde sahen wir uns veranlaßt, eine Änderung dieses Passus einzubringen.
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 2156.
Meine Damen und Herren, damit sind die Änderungsanträge zu § 2 begründet.
Darf ich Ihnen den Vorschlag machen — da ich unterstelle, daß darüber noch eine ausführlichere Aussprache stattfinden wird, und wir uns dahin verständigt hatten, die Sitzung um 19 Uhr abzubrechen —, daß wir die Aussprache über die Änderungsanträge und die Abstimmungen über diese Anträge sowie über § 2 morgen vornehmen, daß wir also morgen in der Tagesordnung fortfahren, soweit sie heute nicht erledigt ist, und dann versuchen, hoffentlich mit der für morgen vorgesehenen Tagesordnung zu beginnen.
Es wird das Wort zur morgigen Tagesordnung gewünscht. Herr Abgeordneter Wehner, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß Ihre Geduld noch einmal in Anspruch nehmen, um Ihre Aufmerksamkeit dafür zu erbitten, daß die sozialdemokratische Fraktion den Antrag stellt, auf die Tagesordnung der für morgen anberaumten Sitzung als Punkt 1 die außenpolitische Debatte zu setzen. Ich habe Ihnen die Auffassung der sozialdemokratischen Fraktion über die Notwendigkeit, über die Dringlichkeit dieser Debatte und über die Unerläßlichkeit einer Aussprache der deutschen Volksvertretung über die Grundlinien der Außenpolitik in einem Moment, in dem entscheidende neue Verhandlungen beginnen, darzulegen versucht. Ich weiß, daß mit dem geschäftsordnungsmäßigen Mittel des Einspruchs unser Antrag heute morgen zu Fall gebracht worden ist. Ich hoffe, daß dieser Appell zu später Stunde und nach einem arbeitsreichen Tag doch noch die Aufmerksamkeit findet, die wir wünschen; denn Sie können ja durch ihre Abstimmung den Beweis erbringen, daß Sie dafür sind, daß in einem solchen entscheidenden Abschnitt wie diesem durch eine außenpolitische Debatte über die Grundlinien dieser Politik, um die es geht, ein neuer Start außenpolitischen Wirkens in unserer Bundesrepublik gemacht wird. Ich bitte Sie also um die Zustimmung zu dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, als Tagesordnungspunkt Nr. 1 für morgen die außenpolitische Debatte anzusetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Antrag, den Herr Kollege Wehner gestellt hat, möchte ich nur auf das verweisen, was mein Kollege Krone heute morgen gesagt hat. Die Auffassung hat sich nicht geändert.
Ich bitte aber, morgen einen anderen Antrag auf die Tagesordnung zu setzen, den ich mir zu verlesen erlaube:
Der Präsident des Bundestags wird ermächtigt und gebeten, der Einberufung des Auswärtigen Ausschusses für Montag, den 27. September, die Zustimmung zu erteilen.
Der Herr Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Herr Kollege Gerstenmaier, hatte, wie ich weiß, im Einvernehmen mit seinem Vertreter, Herrn Kollegen Schmid, den Auswärtigen Ausschuß für Montag früh einberufen, damit der Ausschuß unmittelbar vor der Abreise des Bundeskanzlers noch einen Bericht über die bis dahin bestehende Lage entgegennimmt. Wir haben diesen Schritt begrüßt und halten ihn für notwendig, weil wir glauben, daß der Auswärtige Ausschuß gerade jetzt das gegebene Organ ist, um eine solche Diskussion zu führen. Obwohl die sozialdemokratische Fraktion hier heute morgen und heute abend eine außenpolitische Debatte verlangt, hat sie, wie ich erfahren habe, der Einberufung des Auswärtigen Ausschusses für Montag widersprochen
mit der Begründung, daß nächste Woche sitzungsfrei sei und eine Vereinbarung im Ältestenrat es dem Präsidenten verbiete, ohne Zustimmung des Plenums eine solche Sitzung einzuberufen.
Ich habe kein rechtes Verständnis dafür, daß man heute morgen und heute abend eine Plenarsitzung mit außenpolitischer Debatte verlangt und gleichzeitig dem Präsidenten den Wunsch unterbreitet, von einer solchen Vereinbarung Gebrauch zu machen und die Einberufung einer Sitzung des zuständigen Auswärtigen Ausschusses zu verhindern.
Weil ich der Meinung bin, daß die Sitzung des Auswärtigen Ausschusses in Anwesenheit des Bundeskanzlers und vor seiner Abreise stattfinden muß, bitte ich, diesen Antrag, den ich mir zu überreichen erlaube, auf die morgige Tagesordnung zu setzen.
Meine Damen und Herren! Ich möchte zur Klärung des Vorgangs, den Herr Abgeordneter Dr. von Brentano erwähnt hat, auf folgendes hinweisen. Es ist in der letzten Sitzung des 'Ältestenrats eine bereits vorher getroffene Vereinbarung wiederholt worden, die von allen Fraktionen gebilligt worden ist und die besagt, daß Sitzungen von Ausschüssen in sitzungsfreien Wochen nur dann stattfinden sollen, wenn erstens die Ausschußmitglieder zustimmen und wenn zweitens die Fraktionen zustimmen, weil der Ältestenrat der Auffassung war, daß ein gemeinsames Interesse des ganzen Hauses daran besteht, daß nicht durch zusätzliche Sitzungen von Ausschüssen in sitzungsfreien Wochen der Sinn der sitzungsfreien Wochen ins Gegenteil verkehrt wird.
Ich hätte dem Wunsch des Herrn Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses nur entsprechen können, wenn nicht nur die Zustimmung der Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses, sondern auch die Zustimmung aller Fraktionen vorgelegen hätte. Die sozialdemokratische Fraktion hat sich aus Gründen, deren Beurteilung mir entzogen ist, nicht imstande gesehen, diese Zustimmung zu erteilen.
Ich muß sagen, daß ich gewisse Zweifel habe.
— Dann stelle ich fest, daß offenbar nicht einmal
die vollständige Zustimmung der Mitglieder des
Auswärtigen Ausschusses vorliegt, was für mich — —
— Meine Damen und Herren, die Debatte mit mir zu führen, ist, glaube ich, unzweckmäßig, denn ich habe mich ja, wie die Herren zugeben werden, in jeder Weise korrekt und entsprechend der Vereinbarung des Ältestenrates verhalten.
Ich habe nur den Zweifel — und ich bitte, das freundlichst bis morgen zu überlegen —, ob ein durch Vereinbarung des Hauses einer Fraktion gegebenes Recht durch eine Plenarabstimmung eingeschränkt werden kann. Ich bitte freundlichst, das zu überlegen. Der Gegenstand kann ja auf die Tagesordnung gesetzt werden; aber diese Überlegung, ob es nicht ein nicht zu beschränkendes Recht einer Fraktion in ihrer Stellungnahme hinsichtlich der sitzungsfreien Wochen ist, bitte ich bis morgen anzustellen.
— Herr Abgeordneter Euler hat das Wort zur Tagesordnung!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten hatte schon in der letzten Woche nach ausführlicher Beratung ihrer Meinung Ausdruck gegeben, daß es in jeder Weise gut und zweckdienlich sei, einer außenpolitischen Debatte im Plenum eine sorgfältige Erörterung in dem dafür vorgesehenen Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten vorangehen zu lassen und diese Debatte im Ausschuß entsprechend vorzubereiten. Der Vertreter unserer Fraktion im Ältestenrat hat diesen Wunsch unserer Fraktion bereits vorgetragen. Wir halten mit Rücksicht auf die gesamte gegenwärtige internationale Situation eine ausführliche Erörterung der Lage im Außenpolitischen Ausschuß für das geeignete Mittel. Sie ist jedenfalls besser geeignet, als vor der Londoner Konferenz eine solche Debatte im Plenum abzuhalten. Wir glauben, daß das den Interessen unseres Volkes wesentlich besser entspricht, als eine nicht vorbereitete Plenardebatte ohne vorhergehende Erörterung im Außenpolitischen Ausschuß stattfinden zu lassen.
Deswegen unterstützen wir den hier von dem Kollegen von Brentano vorgetragenen Wunsch. Wir würden uns damit einverstanden erklären, daß ungeachtet der prinzipiellen, mit Recht erneut bestätigten Vereinbarung im Ältestenrat am Montag
— mit Rücksicht auf die besondere Dringlichkeit der Situation — die Aussprache im Außenpolitischen Ausschuß stattfindet. Wir werden dann eine wesentliche Unterrichtung bekommen und werden andererseits in der Lage sein, wohlerwogene Gedanken dem Herrn Bundeskanzler auf die Reise nach London mitzugeben.
Zur Tagesordnung noch einmal Herr Abgeordneter Wehner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der von Herrn Dr. von Brentano gegebenen Darstellung und zu dem Antrag, den die Fraktion der Christlich-Demokratischen Union eingebracht hat, muß ich einige Bemerkungen machen. Zunächst: die Mitglieder des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten sind nicht einmal gefragt worden!
Es ist ihnen lediglich heute abend mitgeteilt worden, daß der Herr Gerstenmaier von Straßburg aus eine solche Sitzung anberaumt habe. Sie sehen, Herr von Brentano, daß nicht alles, was Sie hier für gegeben hielten, mit den Tatsachen übereinstimmt, und ich wollte Sie über einige dieser Tatsachen aufklären.
Darüber hinaus möchte ich sagen, daß der parlamentarische Sekretär der sozialdemokratischen Fraktion dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses mitgeteilt hat, es sei ja durchaus möglich, eine solche Sitzung des Auswärtigen Ausschusses zum Freitag oder zum Samstag einzuberufen.
Wir haben darauf keinerlei Antwort bekommen.
Sie können also, Herr von Brentano, wenn Sie der Meinung sein sollten, die Sie hier zum Ausdruck gebracht haben, daß die Sozialdemokraten zwar heute vormittag und heute abend eine Plenardebatte, aber keine Ausschußsitzung beantragt hätten, zur Kenntnis nehmen, daß die Sozialdemokraten bereit waren, bereit sind und bereit bleiben, morgen und übermorgen eine solche Sitzung zu veranstalten.
Nachdem der Herr Kollege Euler die Auffassung zum Ausdruck gebracht hat, eine solche Debatte, wie wir sie hier gefordert haben, bedürfe einer sorgfältigen Vorbereitung im Auswärtigen Ausschuß, möchte ich Ihnen noch folgendes sagen. Nach dem, was wir in der vergangenen Woche hier über die Ausschüsse, die unter der Vertraulichkeit tagen, und über die Möglichkeit, darüber etwas im Plenum zu sagen, gehört haben, kann ich leider wenig dazu sagen. Ich muß allerdings eine Bernerkung machen: eine solche Sitzung, die für Montag etwa zwei Stunden vor der Abreise des Herrn Bundeskanzlers anberaumt ist, kann doch wohl, Herr Euler, nicht als eine sorgfältige Vorbereitung des Parlaments
und eine Ausstattung des Herrn Bundeskanzlers mit den Ansichten auch nur der Mitglieder des Parlaments, die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses sind, bezeichnet werden. Das also zu dieser Feststellung.
Zum Schluß möchte ich noch sagen, es sollte eigentlich — wenn man nicht demonstrieren will, daß sich an gewissen Methoden nichts ändern soll — nicht angängig sein, eine solche Gegenüberstellung: die Sozialdemokraten fordern zwar eine Plenardebatte, aber sie wollen nicht in den Ausschuß, hier auszusprechen. Das möchte ich Ihnen in aller Deutlichkeit zu dieser Stunde gesagt haben.
Herr Abgeordneter Euler!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, woher der Herr Kollege Wehner das Wissen hat, daß die Sitzung zwei Stunden vor der Abreise des Kanzlers stattfinden soll. Davon kann gar keine Rede sein.
— Ich weiß aber, daß der Herr Bundeskanzler bis zum Nachmittag zur Verfügung steht, so daß wir zumindest den ganzen Vormittag unter Einschluß der Mittagszeit Gelegenheit hätten, die Aussprache zu führen.
Meine Damen und Herren, jetzt scheinen mir aber keine weiteren Wortmeldungen zur Tagesordnung mehr vorzuliegen.
Es liegt erstens der Antrag der Sozialdemokratischen Partei vor, auf die Tagesordnung der morgigen Sitzung als Punkt 1 eine außenpolitische Debatte zu setzen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Es liegt weiter vor der Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. von Brentano, den Antrag:
Der Präsident des Bundestages wird ermächtigt und gebeten, der Einberufung des Auswärtigen Ausschusses für Montag, den 27. September, die Zustimmung zu erteilen,
auf die morgige Tagesordnung zu setzen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag, diesen Punkt auf die morgige Tagesordnung zu setzen, ihre Zustimmung zu geben wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist angenommen. Dieser Punkt steht auf der Tagesordnung. Die weitere Debatte wird dann morgen stattzufinden haben. Wir werden den Punkt zu einem geeigneten Zeitpunkt in die Tagesordnung einfügen.
Damit sind wir am Ende der heutigen Beratungen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, den 24. September 1954, 9 Uhr, und schließe die heutige 44. Sitzung.