Gesamtes Protokol
Ich grüße Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, hierim Plenum, ich grüße die Kolleginnen und Kollegen derBundesregierung, und ich begrüße recht herzlich unsereGäste auf der Tribüne . Die Sitzung ist damit eröffnet .Ich habe vor Eintritt in die Tagesordnung eine amt-liche Mitteilung: Interfraktionell ist vereinbart worden,den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung desVerkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzesauf Drucksache 18/6487 zur Mitberatung an den Haus-haltsausschuss zu überweisen . Ich gehe davon aus, dassSie damit einverstanden sind . – Ich höre und sehe keinenWiderspruch . Dann ist das so beschlossen .Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigenKabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Um-setzung der Richtlinie 2014/26/EU über die kollek-tive Wahrnehmung von Urheber- und verwandtenSchutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietsli-zenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-nutzung im Binnenmarkt sowie zur Änderung desVerfahrens betreffend die Geräte- und Speicherme-dienvergütung. – Das war die Überschrift .Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat der Bundesminister der Justiz und für Verbraucher-schutz, Heiko Maas . – Sie haben das Wort, Herr Minister .Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Vielen Dank . – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Autoren, Künstler,Urheber leben zum einen davon, dass das, was sie schaf-fen, also ihre Werke, verbreitet wird und ein möglichstbreites Publikum findet. Zum anderen leben sie vor al-len Dingen aber auch davon, dass das, was sie schaffen,entsprechend vergütet wird . Dafür brauchen wir Verwer-tungsgesellschaften, und diese sind Gegenstand des Ge-setzentwurfes, den das Kabinett heute beschlossen hat .Diese Verwertungsgesellschaften, die es im Übrigenseit 150 Jahren gibt – da wurden sie in Frankreich er-funden –, ermöglichen den Rechtenutzern den einfachen,gebündelten Zugang zu den Rechten . Sie sorgen so fürdie Verbreitung und die Vermarktung von kreativen Leis-tungen . Sie kassieren die Vergütung für die Nutzung derWerke und verteilen dann diese Einnahmen . Sie sind da-mit in vielen Bereichen der Kulturwirtschaft eine wichti-ge Grundlage für das individuelle Schaffen von Künstle-rinnen und Künstlern .Die EU-Richtlinie, die wir mit dem Gesetzentwurfumsetzen wollen, schafft erstmals die Grundlage da-für, einen unionsweiten Rechtsrahmen für die Tätigkeitvon Verwertungsgesellschaften zu setzen . Wir haben inDeutschland 13 Verwertungsgesellschaften, die von die-sem Gesetz betroffen sind, mit einem Jahresumsatz vonetwa 1 Milliarde Euro . Die größte ist die sicherlich be-kannte GEMA, die allein 850 Millionen Euro erlöst .Mit dem Gesetzentwurf werden die Grundlagen neugeordnet . Dabei haben wir es ermöglicht, dass die be-währten nationalen Mechanismen beibehalten werdenkönnen . Zum Beispiel gibt es auch weiterhin eine Staats-aufsicht über die Verwertungsgesellschaften . Das ist et-was, was in anderen Mitgliedstaaten aufgrund der Richt-linie erst jetzt eingeführt wird . Wir halten auch daranfest, dass Verwertungsgesellschaften in Deutschland einebehördliche Erlaubnis benötigen und dass sie verpflichtetsind, jedermann zu angemessenen Bedingungen eine Li-zenz für Rechte zu geben, die sie wahrnehmen .Meine Damen und Herren, im Detail bedurfte es um-fangreicher Anpassungen, größtenteils aber technischerNatur, zum Beispiel um die umfangreichen Informa-tions- und Transparenzpflichten von Verwertungsgesell-schaften zu definieren. Wegen der Vorgaben in der Richt-linie wird nun vieles, was bisher in den Satzungen dieserGesellschaften festgeschrieben wurde, Gegenstand desGesetzes .Mit dem Gesetz machen wir auch das Verfahren zurAufstellung der Tarife für die Vergütung von Privatko-pien schneller und auch effizienter. Seit Einführung un-seres Urheberrechtsgesetzes vor 50 Jahren haben wir inDeutschland eine sinnvolle Regelung, an der wir festhal-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513170
(C)
(D)
ten wollen, nämlich die erlaubte, fair vergütete Privat-kopie . Verbraucherinnen und Verbraucher sind danachberechtigt, auch ohne Erlaubnis der Rechteinhaber pri-vate Kopien anzufertigen, aus Büchern, von DVDs undvielem anderen . Dafür erhalten die Kreativen einen Aus-gleich, der über die sogenannte Geräte- und Speicher-medienvergütung erhoben wird, also im Preis von PCs,Druckern, USB-Sticks usw . enthalten ist .Damit dieses Geld zeitnah bei den Kreativen an-kommt – das war in der Vergangenheit oftmals pro-blematisch –, brauchen wir ein effizientes und vor allenDingen schnelleres Verfahren, als wir es bisher hatten,insbesondere zur Ermittlung und auch zur Durchsetzungder entsprechenden Tarife . Auch diese Vorschriften sindgeändert worden. Wir finden, das hilft auch der Gerätein-dustrie, die bisher oft über viele Jahre Rückstellungenbilden musste, weil völlig unklar war, wie hoch die Tarifewaren und was dann später bezahlt werden musste .Damit die Kreativen und andere Rechteinhaber auchdann an ihr Geld kommen – das war in der Vergangenheitnicht immer so –, wenn zum Beispiel die Festsetzung derTarife länger dauert, sind künftig Sicherheitsleistungenzur Gewährleistung der urheberrechtlichen Vergütungs-ansprüche möglich . Diese Sicherheitsleistung kann aufAntrag von der Schiedsstelle beim Deutschen Patent-und Markenamt in München angeordnet werden undstellt sicher, dass am Zahltag tatsächlich noch das Geldvorhanden ist, das den Kreativen zusteht . In der Vergan-genheit kam es durchaus vor, dass diejenigen, die zahlenmussten, wirtschaftlich gar nicht mehr existent waren .Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf sieht,wie wir finden, insgesamt eine sinnvolle Modernisierungdes Rechtes vor, die vor allen Dingen allen zugutekommt:der Geräteindustrie, der Kulturwirtschaft, aber auch denLesern, Hörern und Zuschauern kreativer Leistungen .Schönen Dank .
Vielen Dank, Heiko Maas . – Jetzt kommen wir zu den
Fragen zum Themenbereich des Berichts . Da hat sich zu-
erst Dirk Wiese für die SPD gemeldet . Bitte .
Sehr geehrter Herr Minister, vielen Dank für die Aus-
führungen zum Gesetz zur Umsetzung der Verwertungs-
gesellschaften-Richtlinie . Ich hätte zwei Fragen, die da-
rüber hinausgehen, zum weiteren Vorgehen im Bereich
des Urheberrechts:
Erste Frage: Welche weiteren Gesetzentwürfe plant
das BMJV im Bereich des Urheberrechts?
Zweite Frage: Was sind nach Ihrer Kenntnis die Pläne
der EU-Kommission für eine Reform des Urheberrechts?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Die Pläne der Bundesregierung im Bereich des Urhe-
berrechts belaufen sich auf drei Gesetzgebungsvorhaben,
die wir in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen
wollen; zwei davon haben wir auf den Weg gebracht .
Der erste Gesetzentwurf ist derjenige, der jetzt Ge-
genstand der Befragung der Bundesregierung ist, also die
Reform des Rechtes der Verwertungsgesellschaften mit
dem dargestellten Inhalt .
Eine zweite Reform werden wir im Urhebervertrags-
recht vornehmen . Auch dieses Gesetz liegt bereits in
Form eines Referentenentwurfes vor, befindet sich zur-
zeit in der Länder- und Verbändeanhörung . Dort geht es
im Wesentlichen darum, die Rechte von Urhebern bei
der Durchsetzung ihres Anspruchs auf eine angemessene
Vergütung zu verbessern . Es soll eine Verbandsklage zur
Durchsetzung dieser Ansprüche eingeführt werden . Es
sollen auch Rückrufrechte eingeführt werden: Nach fünf
Jahren hat ein Urheber die Möglichkeit, sein Werk mit ei-
nem neuen Verwerter weiter zu verwerten, der bisherige
Vertreter kann diesen Vertrag aber übernehmen .
Das dritte Gesetzgebungsvorhaben betrifft die Bil-
dungs- und Wissenschaftsschranke, die wir neu und
transparenter definieren wollen. Das haben wir für die
erste Hälfte des nächsten Jahres vorgesehen .
Vielen Dank, Herr Maas . – Nächste Fragestellerin ist
Tabea Rößner für Bündnis 90/Die Grünen .
Vielen Dank . – Wir hätten uns natürlich gefreut, wennuns jetzt der Gesetzentwurf vorläge . Weil das nicht derFall ist, können wir uns nur auf den Referentenentwurfbeziehen . Wenn der Gesetzentwurf vorläge, wäre viel-leicht auch die eine oder andere Frage hinfällig .Ich habe eine grundlegende Frage: Welche Regeln gel-ten eigentlich für europäische Verwertungsgesellschaf-ten, die in Deutschland tätig werden? Wie haben sie zumBeispiel die Tarife festzusetzen? Gelten dann die deut-schen Regeln oder die Regeln des Sitzlandes, in dem dieEU-Richtlinie womöglich ganz anders umgesetzt wird?Und wie will die Bundesregierung mit den Wettbewerbs-nachteilen, die daraus womöglich entstehen, umgehen?Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Grundsätzlich gilt für die Verwertungsgesellschaftendas Recht des Landes, in dem sie ihren Sitz haben . Eswird eine Aufsicht über alle europäischen Verwertungs-gesellschaften im jeweiligen Sitzland geschaffen, die da-für sorgen soll, dass das Recht, soweit jetzt harmonisiert,möglichst einheitlich umgesetzt wird . Die Überwachungder ausländischen Verwertungsgesellschaften, die nichtim europäischen Wirtschaftsraum ansässig sind – die gibtes ja auch –, wird vom Deutschen Patent- und Marken-amt vorgenommen werden .Wenn es nach Auffassung der Aufsichtsbehörde Ver-stöße gegen die Richtlinie oder gegen das, was gesetz-lich daraus folgt, gibt, soll das so ablaufen: Die nationaleAufsichtsbehörde informiert die Aufsichtsbehörde desSitzlandes darüber, dass es entsprechende Verstöße ge-Bundesminister Heiko Maas
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13171
(C)
(D)
geben hat, und fordert sie auf, gegen die Verwertungsge-sellschaft vorzugehen .
Vielen Dank . – Nächster Fragesteller: Dr . Fechner für
die SPD .
Herr Minister, ich hätte zwei Fragen zum Thema Pri-
vatkopievergütungen .
Zum einen: Könnten Sie erläutern, welche Neuerun-
gen das Gesetz für die Privatkopievergütungen bringt?
Die zweite Frage: Sie sprachen davon, dass der Ent-
wurf des Gesetzes eine Sicherheitsleistung für Ansprüche
auf Privatkopievergütungen vorsieht . Wie sieht das in der
Praxis aus? Wie wird das in der Praxis funktionieren?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
In der Praxis soll die Sicherheitsleistung, die entrich-
tet werden muss, durch die Schiedsstelle beim Deutschen
Patent- und Markenamt in München angeordnet werden
können, und zwar in einem laufenden Hauptsacheverfah-
ren zwischen den Verwertungsgesellschaften und dem
zahlungspflichtigen Unternehmen der Geräteindustrie.
Wir haben uns entschieden, dass eine solche Siche-
rungsleistung auch in Form von Bankbürgschaften er-
bracht werden kann, sodass nicht Geldbeträge hinterlegt
werden müssen . Für die Herstellerindustrie ist das sinn-
voll, weil die Sicherheitsleistung dann nicht aus liquiden
Mitteln heraus zur Verfügung gestellt werden muss . Ich
glaube, damit ist eine angemessene Regelung gefunden
worden . So wird auch verhindert, dass das entsprechen-
de Unternehmen, wenn die Vergütungen fällig werden,
womöglich nicht mehr greifbar ist, zum Beispiel wegen
einer Insolvenz, was in der Vergangenheit zum Teil der
Fall war . In einem solchen Fall wird auf die Sicherheits-
leistung zurückgegriffen .
Das Ganze kann durch das zuständige Oberlandesge-
richt, wenn es von der Schiedsstelle angeordnet worden
ist, für vollziehbar erklärt werden . Somit ist auch eine
Kontrolle durch die staatliche Gerichtsbarkeit gegeben .
Danke, Herr Minister . – Nächster: Harald Petzold für
die Linke .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Minister, meine
zwei Fragen lauten:
Erstens . Warum wird die Erlaubnis zum Geschäfts-
betrieb einer Verwertungsgesellschaft nicht an die Mit-
gliedschaft und die Gewährung allgemeiner und gleicher
Wahlen geknüpft?
Damit im Verbund steht meine zweite Frage: Sie re-
produzieren mit der Regelung, die Sie jetzt vorsehen, die
aus meiner Sicht vordemokratischen Zustände von 1965 .
In dem ursprünglichen Richtlinienentwurf war keine
Zweiklassenmitgliedschaft – einmal stimmberechtigte
Mitglieder und einmal nichtstimmberechtigte Nichtmit-
glieder – vorgesehen, wie das jetzt vorgesehen ist . Wie
hat die Bundesregierung sich im Verlauf der Entstehung
dieser Richtlinie verhalten? Haben Sie möglicherwei-
se sogar dazu beigetragen, dass es dieses Zwei- oder
Dreiklassenwahlrecht à la GEMA oder Verwertungsge-
sellschaft WORT, wie es in Deutschland üblich ist, auch
auf der europäischen Ebene geben kann?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Nein . Vielmehr haben wir in den Verhandlungen, die
es auf der europäischen Ebene dazu gegeben hat, insbe-
sondere darauf hingewirkt, dass die von Ihnen beschrie-
benen Demokratiedefizite, die es hinsichtlich der Mit-
bestimmung innerhalb von Verwertungsgesellschaften
gegeben hat, behoben werden können . Das wird nach
unserer Auffassung mit dem Gesetzentwurf gewährleis-
tet; denn er enthält eine differenzierte und abgestufte
Kompetenzregelung, die dazu führt, dass in Zukunft alle
Berechtigten gehört werden sollen und auch mitbestim-
men können .
Die Verwertungsgesellschaften müssen zum Beispiel
grundsätzlich alle Berechtigten als reguläre Mitglieder
aufnehmen, natürlich nur, soweit sie die weiteren ange-
messenen Mitgliedschaftsbedingungen erfüllen .
Die Verwertungsgesellschaft hat darüber hinaus ange-
messenere und wirksamere Verfahren vorzusehen, durch
die auch Nichtmitglieder an allen Entscheidungen mit-
wirken können .
Und: Werden Ansprüche verschiedener Gruppen von
Berechtigten, also Urheber, ausübende Künstler, Produ-
zenten oder Verleger, innerhalb einer einzigen Verwer-
tungsgesellschaft wahrgenommen – das war nicht nur in
der Vergangenheit der Fall, sondern wird auch in Zukunft
der Fall sein –, so müssen zukünftig alle Gruppen fair
und ausgewogen vertreten sein . Das ist eigentlich eine
Selbstverständlichkeit, aber in der Vergangenheit war das
nicht immer gewährleistet .
Wir haben also entsprechende Vorschriften im Ge-
setzentwurf vorgesehen, die nach unserer Auffassung
ausreichend sein werden, um dafür zu sorgen, dass die
Demokratiedefizite, die es unbestrittenermaßen in der
Vergangenheit gegeben hat, in Zukunft nicht mehr wei-
terbestehen .
Vielen Dank . – Nächster Fragesteller: Dr . Heck für die
CDU/CSU .
Herzlichen Dank . – Ich habe zwei Fragen .Die erste Frage betrifft die Regelungstechnik . Viel-leicht könnten Sie uns kurz darlegen – es handelt sichja um einen Gesetzentwurf zur Umsetzung einer euro-päischen Richtlinie –, in welchem Bereich es möglicher-weise Abweichungen gibt von dem, was die RichtlinieBundesminister Heiko Maas
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513172
(C)
(D)
vorsieht . Geht das nationale Gesetz an einigen Stelleneventuell auch darüber hinaus?Meine zweite Frage: In der beginnenden rechtspoli-tischen Debatte über das Thema ist ja vernehmbar, dasses insbesondere zum Thema Sicherheitsleistung sehr un-terschiedliche Auffassungen gibt und dass diesbezüglichverfassungsrechtliche Zweifel bestehen . Wie bewertenSie diese?Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Zum ersten Teil der Frage: Wir haben uns zunächsteins zu eins an das gehalten, was die Richtlinie uns vor-gegeben hat . Wir haben in den Diskussionen über denRichtlinienentwurf besonderen Wert darauf gelegt, dassdie Tatbestände, die ich eingangs geschildert habe, alsoetwa, dass es eine staatliche Aufsicht gibt – die gab esbei uns schon immer, die gab es in einigen anderen Mit-gliedstaaten bislang nicht –, auf den gesamten Bereichder Europäischen Union ausgeweitet werden . Weiterhinwird es, was die Wahrnehmung und den Abschlusszwangangeht, weiterhin Regelungen geben, wie wir sie auchschon in der Vergangenheit hatten .Was die Sicherheitsleistung und möglicherweise vor-getragene verfassungsrechtliche Bedenken angeht: Wirsind nicht der Auffassung, dass das verfassungsrecht-lich problematisch ist; denn den verfassungsmäßigenRechten der zahlungspflichtigen Unternehmen stehenauf der anderen Seite die genauso verfassungsrechtlichgeschützten Interessen der Urheber und Kreativen ent-gegen, die natürlich ein Recht darauf haben, dass dieWerke, die sie geschaffen haben, angemessen vergütetwerden . Das ist in der Praxis in der Vergangenheit bei derPrivatkopievergütung aufgrund systematischer Defiziteim Verfahren nicht immer möglich gewesen . Deshalbglauben wir, dass die Sicherheitsleistung, die über eineBankbürgschaft abgegeben wird, ein angemessener unddamit auch verfassungsmäßiger Ausgleich ist zwischenden Interessen der Gerätehersteller und der Urheber hin-sichtlich des Rechts auf angemessene Vergütung .
Vielen Dank, Herr Minister . – Nächster Redner:
Dr . Bartke für die SPD .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Minister, ich
habe zwei Fragen zu praktischen Auswirkungen des Ge-
setzentwurfs .
Die erste ist: Was ändert sich für die Verwertungsge-
sellschaften in ihrer alltäglichen Praxis?
Die zweite Frage ist: Was ändert sich für die Kunden
von Verwertungsgesellschaften, also beispielsweise für
Diskotheken, Gaststätten, Hotels, Sendeunternehmen
oder Onlinedienste?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Was sich für die Verwertungsgesellschaften in der
alltäglichen Praxis ändert, ist, wie ich glaube, minimal .
Grundsätzlich würde ich sogar sagen, dass sie ihre Tä-
tigkeit in ähnlicher Form weiterführen können, wie das
bisher der Fall gewesen ist . Verfahrensregelnde Bestim-
mungen standen früher in der Satzung von Verwertungs-
gesellschaften, sie sind jetzt Bestandteil des Gesetzes
geworden . Deshalb glaube ich, dass die deutschen Ver-
wertungsgesellschaften nach Inkrafttreten des Gesetz-
entwurfes und der Anpassungsphase ihre Tätigkeit in
ähnlicher Form fortführen können, ohne dass es zu
grundsätzlichen oder größeren Veränderungen im Ver-
gleich zu früher kommt . Bei Verwertungsgesellschaften
in anderen europäischen Mitgliedstaaten werden die Ver-
änderungen deutlich größer sein .
Zur Frage nach den Kunden von Verwertungsgesell-
schaften, also Hotels, Diskotheken, Sendeunternehmen
oder Onlinedienste: Auch hier wird es, wie ich glaube,
grundsätzlich bei den bewährten Mechanismen bleiben .
Daneben schaffen allerdings die umfänglichen Infor-
mations- und Berichtspflichten, die in diesem Gesetz-
entwurf verankert sind, künftig mehr Transparenz, auch
zugunsten der Nutzer . Wir greifen zudem eine Forderung
aus der Veranstaltungs- und Gastronomiebranche auf;
denn Verwertungsgesellschaften sind hiernach zukünf-
tig verpflichtet, gemeinsam einen Gesamtvertrag abzu-
schließen, wenn eine Nutzung die Rechte von mehr als
einer Verwertungsgesellschaft erfordert . Das ist in der
Vergangenheit ein Problem gewesen und hat teilweise
zu unerfreulichen Entwicklungen geführt . Das wird bei-
spielsweise die Lizenzierung bei der Wiedergabe von
Fernsehprogrammen in Gaststätten deutliche vereinfa-
chen . Auch das ist ein Thema gewesen, das ungelöst im
Raum stand .
Darf ich alle Beteiligten bitte an die Eine-Minute-
Regelung erinnern? – Renate Künast ist die Nächste .
Danke sehr . – Ich will an den Teil Ihrer Antwort ge-rade eben anschließen, Herr Minister, in dem Sie gesagthaben, dass die Verwertungsgesellschaften ihre Arbeiteigentlich grundsätzlich ohne große Veränderungen imVergleich zu früher fortführen können . Wenn das so ist,verstehe ich aber nicht, warum zumindest im Referenten-entwurf – den anderen kennen wir ja nicht; wir befra-gen Sie ja zu etwas, das wir nicht kennen – noch stand,dass den Verwertungsgesellschaften ein einmaliger Um-stellungsaufwand in Höhe von 1,4 Millionen Euro undlaufende Kosten in Höhe von jährlich 183 600 Euro ent-stehen . Das passt meines Erachtens nicht dazu, dass Siesagen: Es gibt im Vergleich zu früher eigentlich keinegroßartige Veränderung . – Das sind ja die Kosten, diedurch Umstellung auf elektronische Kommunikation,aufgrund des Kontrahierungszwangs usw . entstehen unddie meines Erachtens schon ziemlich niedrig angesetztsind .Dr. Stefan Heck
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13173
(C)
(D)
Zweitens eine Frage zum Punkt „alternative Verwer-tungsgesellschaften“ . Es ist ja wie im wirklichen Le-ben: Es gründen sich auch einmal neue . Ich frage Sie:Haben Sie eigentlich an der Stelle zum Beispiel mit der GEMA-Alternative Gespräche geführt? Haben Sie ge-regelt, dass in Zukunft auch Genossenschaften möglichsein können und dass die zum Beispiel auch an empiri-sche Untersuchungen zur Aufstellung von Tarifen heran-kommen?Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Zu Letzterem: Diese Gespräche mit der GEMA oderanderen Verwertungsgesellschaften haben wir in derForm nicht geführt, weil letztlich die Entwicklung undauch das Marktgeschehen zeigen müssen, welche neuenFormen von Verwertungsgesellschaften entstehen .
Das ist letztlich nicht unsere Aufgabe . Wir setzen ledig-lich den rechtlichen Rahmen, in dem Verwertungsge-sellschaften gegründet werden können, und wir sind derAuffassung, dass mit dem Rahmen, den wir gesetzt ha-ben, durchaus auch alternative Verwertungsgesellschaf-ten möglich sind . Wir können allerdings nicht noch dieGründung solcher Gesellschaften in irgendeiner Weiseunterstützen . Das muss das Marktgeschehen selber erge-ben .Kosten entstehen natürlich durch mehr Transparenz-und Informationspflichten, die in diesem Gesetzentwurfvorgesehen sind, oder etwa auch dort, wo man neueWege einschlagen will, etwa bei der Onlinelizenzierungvon Musik . Das wird im Übrigen auch zu mehr Wett-bewerb führen . Nach der Richtlinie sollen zum BeispielLizenz- und Verarbeitungszentren entstehen, die die er-forderlichen Urheberrechte für Streamingdienste, alsobeispielsweise für Spotify oder Apple Music, europaweitlizenzieren . Das ist sicherlich neu und wird mehr Auf-wand bedeuten . Das wird auch zu Kosten führen, aber zuvertretbaren, wie wir finden.
Vielen Dank . – Nächster ist Siggi Ehrmann für die
SPD .
Herr Minister, die Verwertungsgesellschaften-Richt-
linie fordert mehr Transparenz . Der Gesetzentwurf geht
darauf ein und sorgt für mehr Transparenz . Das Äquiva-
lent zu der Transparenz in den mitgliedschaftlich organi-
sierten Verwertungsgesellschaften ist die Staatsaufsicht .
Gibt es durch den Gesetzentwurf dort auch ein qualita-
tives Mehr? Denn die Wirksamkeit der Staatsaufsicht,
insbesondere des Deutschen Patent- und Markenamtes,
ist in der Vergangenheit gelegentlich nicht ohne Kritik
geblieben .
Ein zweiter Punkt . Uns ist natürlich wichtig, dass die
Verwertung geistigen Eigentums auch zu entsprechenden
Erträgen führt . Könnten Sie vielleicht noch einmal kurz
zusammenfassen, wo das qualitative Mehr insbesondere
für die Künstlerinnen und Künstler in den unterschiedli-
chen Genres durch den Gesetzentwurf initiiert wird?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Was die Verbesserung der Aufsicht angeht, ist zu
sagen: Wir haben die Staatsaufsicht, die in Deutsch-
land beim Deutschen Patent- und Markenamt liegt, in
den vergangenen Jahren ohnehin schon personell und
organisatorisch deutlich gestärkt . Das wird nach unse-
rer Auffassung Schritt für Schritt dazu führen, dass die
Behörde der Aufsicht und den Aufsichtspflichten sowie
den Verfahren, die es immer wieder geben wird, besser
Rechnung tragen kann . Der Gesetzentwurf passt nun im
Wesentlichen das Recht der Staatsaufsicht über die Ver-
wertungsgesellschaften an die von der Verwertungsge-
sellschaften-Richtlinie vorgesehene unionsweite Zusam-
menarbeit aller europäischen Aufsichtsbehörden in den
Mitgliedstaaten an . Deshalb ist das zwar nicht der letzte
Schritt, um die Aufsicht zu verbessern, aber es wird eine
größere Harmonisierung in Europa erreicht . Und national
haben wir durch personelle und organisatorische Verstär-
kungen beim DPMA in München bereits Vorkehrungen
getroffen, damit wir dem auch gerecht werden können .
Christian Flisek, bitte .
Danke, Frau Präsidentin . – Herr BundesministerMaas, die Verwertungsgesellschaften fördern bislangauch kulturell bedeutsame Leistungen; sie können sichauch sozial engagieren . Zu erwähnen ist zum Beispieldie GEMA-Sozialkasse . Meine erste Frage ist: Wird dasnach der Umsetzung der Richtlinie durch den vorliegen-den Gesetzentwurf auch in Zukunft möglich sein?Dann haben Sie ja bereits den wichtigen Bereich derOnline-Musiklizenzen angesprochen und darauf hinge-wiesen, dass man laut Richtlinie europaweit einen Wett-bewerb zwischen Verwertungsgesellschaften wünscht .Wie ist denn sichergestellt, dass die starken deutschenVerwertungsgesellschaften in diesem Bereich, nament-lich die GEMA, auch auf vergleichbare Wettbewerbsver-hältnisse – Stichwort „level playing field“ – stoßen?Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Die Frage, ob Verwertungsgesellschaften auch künf-tig kulturell bedeutsame Leistungen erbringen können –Sie haben die Sozialkassen angesprochen; es gibt aberauch darüber hinausgehende soziale Zwecke –, ist beider Diskussion über die Verwertungsgesellschaft auf eu-ropäischer Ebene sehr umstritten gewesen, weil man einsolches System in anderen Staaten nicht kennt . Uns istdas allerdings außerordentlich wichtig gewesen . Deshalbist es auch gelungen, diesen Aspekt in der Richtlinie zuRenate Künast
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513174
(C)
(D)
verankern . Wie bisher sollen Verwertungsgesellschaftenalso auch künftig kulturelle und soziale Zwecke verfol-gen können .Bei der Förderung kulturell bedeutender Werke ver-schaffen wir den Verwertungsgesellschaften sogar nochzusätzliche Freiräume . Das heißt, im Ergebnis unter-streicht der Gesetzentwurf damit die besondere Bedeu-tung des Umstands – dies ist uns wirklich außerordent-lich wichtig –, dass die Verwertungsgesellschaften überihren wirtschaftlichen Zweck hinaus auch einen beson-deren kulturellen Auftrag haben .
Vielen Dank . – Petra Pau ist die Nächste .
Danke schön . – Herr Minister, ich möchte noch einmal
an die Frage des Kollegen Ehrmann anschließen; es kann
sein, dass ich einen Teil der Antwort eben überhört habe .
Es geht um den Stellenaufwuchs von voraussichtlich
fünf Mitarbeitern, der in der Abteilung „Staatsaufsicht
über die Verwertungsgesellschaften“ vorgesehen ist . Im
Gesetzentwurf wird ja als Zweck ausgewiesen, dass es
darum geht, die neu hinzukommenden Aufgabengebiete
damit abzudecken . Für mich stellt sich noch die Frage,
welche Maßnahmen – wenn nicht Personal – vorgesehen
sind, um auch die langen Bearbeitungs- und Verfahrens-
zeiten, die ja bekannte Probleme sind, an dieser Stelle zu
beseitigen?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, sind
wir schon der Auffassung, dass es ohne ein Mehr an Per-
sonal nicht gehen wird; das ist im Ergebnis das A und O .
Deshalb sehen wir in dem, was wir dort vorgesehen ha-
ben – ich habe eben darauf hingewiesen –, einen ersten
Schritt, um die Staatsaufsicht zu verbessern und die Er-
füllung der Aufgaben, die es gibt, besser zu ermöglichen .
Aber auch die Aufgaben, die neu dazukommen, wird
man besser erledigen können .
Wir werden das natürlich weiterhin beobachten . Sollte
sich aufgrund der Umsetzung des Gesetzentwurfes oder
der Anwendung des Gesetzes später weiterer personeller
oder auch organisatorischer Anpassungsbedarf ergeben,
haben wir uns vorbehalten, darauf dann erneut zu reagie-
ren . Wir glauben aber, dass wir mit dem, was wir bisher
vorgesehen haben, auch personell, zunächst einmal in
der Lage sind, den abschätzbaren Aufwand und Mehr-
aufwand, der entsteht, zu bewältigen .
Nächste Fragestellerin: Elisabeth Winkelmeier-
Becker für die CDU/CSU .
Sehr geehrter Herr Minister, ich hätte noch eine Fra-
ge zu dem Schiedsverfahren, in dessen Rahmen über die
Gerätevergütung entschieden werden soll . Welche Vo-
raussetzungen werden an das Verfahren angelegt, einer-
seits im Hinblick auf den Ablauf, andererseits in Bezug
auf die Kriterien, nach denen die Schiedsstelle dann ent-
scheiden soll?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
An den Kriterien wird sich wesentlich nicht so viel
verändern . Es wird letztlich um die Frage gehen, dass
auf der Basis empirisch erstellter Gutachten, die man
braucht, um abschätzen zu können, wie sich die wirt-
schaftliche Situation entwickelt, die urheberrechtlichen
Vergütungen festgesetzt werden .
Wichtig für uns ist, dass wir mit der Sicherheitsleis-
tung dafür Sorge getragen haben, dass die Beträge auch
zur Verfügung stehen, wenn die Vergütung ansteht . In der
Vergangenheit sind die Verhandlungen nämlich schon
daran gescheitert, dass Bereitschaft bestand, in ernst-
hafte Verhandlungen zu treten. Häufig haben über viele
Jahre überhaupt keine Verhandlungen stattgefunden . Ich
glaube, das ist jetzt durch den Verzicht auf obligatorische
Verhandlungen besser geregelt . Mit der Sicherheitsleis-
tung in Form einer Bankbürgschaft stehen ergänzend Be-
träge zur Verfügung, die später auch abgerufen werden
können .
An den Kriterien als solchen wird sich im Vergleich
zum Referentenentwurf nicht viel ändern . Das Verfah-
ren wird beschleunigt werden, und mit der Sicherheits-
leistung in Form einer Bankbürgschaft werden die ent-
sprechenden Beträge zur Verfügung stehen, wodurch
verhindert wird, dass durch das Abhandenkommen eines
Geräteherstellers plötzlich kein Schuldner mehr vorhan-
den ist .
Danke, Heiko Maas . – Zu diesem Bericht aus dem Ka-
binett haben sich noch drei Fragestellerinnen und -steller
zu Wort gemeldet . Tabea Rößner fängt an .
Vielen Dank . – Herr Maas, Sie haben eben gesagt,dass der Bundesregierung die Förderung von Kulturbesonders wichtig ist . Deshalb verstehe ich eines nicht:In der EU-Richtlinie steht, dass es eine Abgabe für kul-turelle und soziale Zwecke geben soll . Das ist also eineSollvorschrift . Im Referentenentwurf war dies nur eineKannvorschrift . Das heißt, Sie haben das nicht eins zueins umgesetzt . Meine Frage: Wie ist das jetzt im Gesetz-entwurf geregelt, und warum haben Sie keine Sollvor-schrift daraus gemacht?Zudem fordern die Verwaltungsgesellschaften einenOne-Stop-Shop, weil das hinsichtlich der Lizenzierun-gen einfacher ist . Sie sind dann schneller europaweitmöglich. Auch dies findet sich nicht im Referentenent-wurf . Haben Sie das in den Gesetzentwurf aufgenommenund, wenn nicht, warum nicht?Bundesminister Heiko Maas
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13175
(C)
(D)
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Weil wir bei all den Veränderungen, die wir in Um-setzung der Richtlinie in dem Gesetzentwurf vorgesehenhaben, insbesondere nicht auf das Bekannte, das wir alsbewährt empfinden, verzichten wollen. Das ist, glaubeich, ein wesentlicher Teil des Verfahrens . Es geht darum,wie Verwertungsgesellschaften bei uns arbeiten, welcheRechte sie wahrnehmen müssen und welche Abschlüs-se sie tätigen müssen . Deshalb wollen wir kein komplettneues System schaffen, sondern uns auf der Basis desBisherigen bewegen .Uns war es bei den Verhandlungen in der EU wich-tig, dass die Förderung kulturell bedeutsamer Leistungenweiterhin möglich ist . Bei den Diskussionen, die es aufeuropäischer Ebene darüber gegeben hat, hörte sich dasganz anders an . Deshalb haben wir uns für die Formulie-rung entschieden, die jetzt auch im Gesetzentwurf steht .
Vielen Dank, Heiko Maas . – Harald Petzold .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Minister, wenn
ich es richtig verstanden habe, bleibt bei Ihnen die Staats-
aufsicht auf das Patent- und Markenamt beschränkt, das
hier eine passive Rolle spielen soll . Warum folgen Sie
in Ihrem Entwurf nicht den Empfehlungen der Enque-
te-Kommissionen „Kultur in Deutschland“ und „Inter-
net und digitale Gesellschaft“, die ja etwas ganz anderes
empfohlen haben, nämlich, die Kontrolltätigkeit nicht
auf eine passive Evidenzkontrolle zu beschränken?
Zum Zweiten würde ich von Ihnen gerne wissen, wa-
rum Sie davon ausgehen, dass es aufgrund der Neurege-
lung der Geräte- und Speichermedienvergütung zu einem
Rückgang der Anzahl der Streitverfahren kommen wird .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Wir haben uns dafür entschieden, die Aufsicht so zu
belassen, wie sie ist, weil wir der Auffassung sind, dass
sie funktioniert .
Eine komplette Umstellung auf andere Aufsichtsmecha-
nismen ist nach unserer Auffassung weder geboten noch
notwendig . Die Probleme, die es in der Vergangenheit
gegeben hat, hatten in erster Linie damit zu tun, dass man
an der aufsichtführenden Stelle, beim Deutschen Patent-
und Markenamt in München, mit dem Personal und der
Organisation, die dafür zur Verfügung standen, nur sehr
bedingt in der Lage gewesen ist, die Verfahren, die es
dort gibt, zu bearbeiten und zu entscheiden .
Wir wollten das System allerdings nicht grundsätzlich
umstellen, weil wir der Auffassung sind, dass die vorhan-
denen Mechanismen – wie die Verwertungsgesellschaf-
ten arbeiten, was sie tun müssen, was sie wahrnehmen,
was sie abschließen müssen – durchaus geeignet sind,
auch für die Zukunft, wenn es darum geht, die Vergütung
für Werke an die Urheber auszuzahlen . Deshalb haben
wir uns bei der Form der Aufsicht, die Sie als passive
Aufsicht bezeichnen, dafür entschieden, dies grundsätz-
lich beizubehalten .
Ob und in welcher Form es weniger Verfahren gibt,
wird sich sicherlich noch zeigen . Uns ist wichtig gewe-
sen, die Verfahren überhaupt einmal zu vereinfachen, zu
verkürzen, effizienter zu gestalten und mit der Sicher-
heitsleistung eine im wahrsten Sinne des Wortes vorhan-
dene Sicherung belastbar zu schaffen .
Danke, Heiko Maas . – Letzte Fragestellerin zum Be-
richt ist Renate Künast .
Danke, Frau Präsidentin . – Ich bin, ehrlich gesagt,
ziemlich verwirrt über die Art und Weise dieser Regie-
rungsbefragung und über die Antworten . Ehrlich gesagt,
verstehe ich kein Wort, Herr Minister . Sie haben gesagt,
die Kultur sei Ihnen außerordentlich wichtig . Auf die
Frage von Frau Rößner sagten Sie jedoch, dass dort ein
„Kann“ steht . Entschuldigen Sie, wenn es Ihnen doch au-
ßerordentlich wichtig ist, dann frage ich Sie, warum aus
einem „Soll“ ein „Kann“ wird
und das zu einem Fördertatbestand für ausländische Ver-
wertungsgesellschaften wird, die das vielleicht nicht ma-
chen, weil sie kein Interesse an Kulturförderung haben .
Auf meine Frage, ob Genossenschaften weiterhin zu-
lässig seien, haben Sie gesagt, Sie wollten kein Förder-
programm für Genossenschaften machen . Danach hatte
ich nicht gefragt .
Ich habe gefragt, ob die Genossenschaften, die in Grün-
dung sind, danach zulässig sind .
Vielleicht versuchen wir es mit einer neuen Frage . Be-
züglich § 19 des Gesetzentwurfs – Durchführung der Mit-
gliederhauptversammlung; Vertretung – sagen Sie, dieser
müsste am Ende so geregelt sein, dass man ohne Anwe-
senheit der Mitglieder vor Ort eine Mitgliederhauptver-
sammlung durchführen kann . Ich möchte wissen, ob die-
se Regeln genau den Regeln im Aktienrecht entsprechen,
ob Sie Risiken des Missbrauchs und Ähnliches gesehen
haben und wie Sie die ausgeschlossen haben .
Herr Minister, bitte .Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Ob diese Regeln exakt denen im Aktienrecht entspre-chen, kann ich Ihnen jetzt nicht abschließend sagen . Ichbin gerne bereit, die Antwort nachzuliefern .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513176
(C)
(D)
Ich frage Sie, ob es Fragen zu anderen Themen der
heutigen Kabinettssitzung gibt . – Ich höre, dass sich Herr
Beck zur dritten Fragerunde, nämlich zu Fragen von
sonstigem Interesse an die Bundesregierung, zu Wort ge-
meldet hat . – Volker Beck, bitte .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Ich möchte eine
Frage stellen – vielleicht war es auch Gegenstand der
Kabinettssitzung; ich weiß es nicht – zum Tohuwabohu
in der Flüchtlingspolitik in der letzten Woche, wo der
Troublemaker de Maizière nach der Einigung der Par-
teivorsitzenden für einige Unruhe gesorgt hat . Wir ha-
ben dies auch im Innenausschuss gerade kurz erörtert .
Der zuständige Staatssekretär, Herr Schröder, sagte uns,
dass in der 43 . Kalenderwoche, also zwischen 19 . Ok-
tober und 25 . Oktober, ein Gespräch des zuständigen
Abteilungsleiters des Bundesinnenministeriums mit dem
Vizepräsidenten des BAMF – das ja keinen Präsidenten
mehr hat – stattgefunden hat mit der Zielrichtung, Asyl-
verfahren von syrischen Flüchtlingen in Zukunft anders
zu behandeln als bisher . Nun möchte ich wissen: Wann
wurden welche Stellen in der Bundesregierung über die
Tatsache dieses Gesprächs und das Ziel dieses Gesprächs
informiert, namentlich Stellen im Bundesjustizministeri-
um und Stellen im Bundeskanzleramt?
Vielen Dank, Herr Beck . – Herr Maas, bitte .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Diese Frage kann ich nur bedingt beantworten, weil
ich nicht für alle Ministerien sprechen kann . Ich kann le-
diglich darauf hinweisen, dass wir zusammen mit dem
Bundesinnenministerium sehr früh der Auffassung gewe-
sen sind, dass die Aussetzung von rechtlichen Grundla-
gen auf europäischer Ebene stückweise wieder zurück-
geführt werden muss, das heißt, dass europäisches Recht
wieder angewandt werden muss . Das gilt auch für die
Dublin-III-Verordnung . Insofern sind wir immer gleicher
Auffassung gewesen, dass der Zeitpunkt kommen wird,
zu dem die Verfahren anders behandelt werden müssen .
Sie sprechen die Anwendung von Dublin III für die syri-
schen Flüchtlinge an .
– Das kann ich nicht beurteilen, weil ich weder in der
Sitzung des Innenausschusses gewesen bin noch diese
Gespräche geführt habe .
Jetzt hat Volker Beck eine Nachfrage .
Es ging ja darum, dass der Bundesinnenminister er-
klärt hat, er strebe an, dass für syrische Flüchtlinge in Zu-
kunft nur noch subsidiärer Schutz mit den Folgen beim
Familiennachzug, die in dem Papier der Parteivorsitzen-
den beschrieben sind, erteilt wird und damit die schrift-
lichen Verfahren für die Zukunft entfallen . Der Bundes-
kanzleramtschef hat gegenüber der Presse erklärt, ihm
sei dieser Vorstoß nicht bekannt .
Deshalb frage ich Sie noch einmal: Wann wurde wel-
che Stelle im Bundeskanzleramt von diesem beabsich-
tigten Vorstoß des Bundesinnenministers in Form des
Gespräches zwischen Abteilungsleiter und Vizepräsident
des BAMF unterrichtet? Da das letzte Woche öffentlich
umfangreich erörtert wurde, erwarte ich, dass ein Mit-
glied der Bundesregierung, vielleicht auch jemand vom
Kanzleramt, sagen kann, wann das Kanzleramt damit be-
fasst war .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Dann würde ich Herrn Braun bitten, die Frage zu be-
antworten .
Herr Braun, vielleicht können Sie die Frage beantwor-
ten .
D
Lieber Herr Kollege Beck, wie Sie wissen, sind die
Gespräche zwischen den drei Parteivorsitzenden, mit
der Bundeskanzlerin und auch mit dem Chef des Bun-
deskanzleramts, am Donnerstag in dem Geiste geführt
worden, dass sehr wohl über die Frage diskutiert wurde,
wie man zukünftig verfährt – ganz in dem Sinne, wie es
der Justizminister eben gesagt hat –, dass aber natürlich
Grundlage dieser Vereinbarung war, dass sich zunächst
nichts ändert . Deshalb war es wichtig, dass der Bundes-
innenminister am Freitag nach den Irritationen deutlich
gemacht hat, dass sich an der Verfahrensweise im Au-
genblick noch nichts ändert, sondern dass jetzt in einer
Diskussion der Innenminister untereinander geklärt wird,
wann und in welchem Umfang anders verfahren wird als
bisher .
Danke schön . – Nächste Fragestellerin: Katja Keul .
Vielen Dank . – Ich habe eine Frage zu einem anderenBereich . Ich möchte gerne wissen, wie die Bundesre-gierung damit umzugehen gedenkt, dass nach neuestenErkenntnissen der Bundesnachrichtendienst deutscheStaatsbürger, namentlich auch deutsche Diplomaten, jen-seits dessen, was das Kontrollgremium erlaubt, abgehört
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13177
(C)
(D)
hat . Vor allen Dingen auch an Sie als Justizminister: Waswird es für rechtliche oder strafrechtliche Konsequenzengeben? Selbst wenn diese Praxis inzwischen eingestelltsein sollte, bleibt immer noch die Frage: Soll das konse-quenzlos bleiben, oder wie ist das einzuordnen?
Herr Maas, bitte .
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Das kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht sa-
gen, weil auch ich davon in der Form erst heute Morgen
aus der Presse erfahren habe . Es ist auch nicht meine
Aufgabe, zu klären, inwieweit das strafrechtlich verfolgt
wird . Das werden die zuständigen Behörden zu klären
haben .
Sie wissen, dass es innerhalb der Bundesregierung
und innerhalb der Regierungsfraktionen seit längerem
eine Diskussion darüber gibt, die rechtlichen Grundlagen
für die Arbeit des BND zu reformieren . Ich gehe davon
aus, dass dabei auch solche Vorfälle eine nicht unerhebli-
che Rolle spielen werden .
Nächste Fragestellerin: Frau Haßelmann, bitte .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Ich möchte noch
einmal zum Fragekomplex „Schutzstatus für syrische
Flüchtlinge“ zurückkommen . Mir ist egal, ob Herr Maas
oder das Kanzleramt antwortet; aber da sich meine Frage
an das Kanzleramt richtet, wahrscheinlich am besten das
Kanzleramt .
Ich möchte Bezug auf die Frage von Herrn Beck neh-
men . Ich frage Sie, Herr Braun: Wann hat das Kanzler-
amt von der vorhin genannten Regelung, die in dem Ge-
spräch zwischen Vertretern des Innenministeriums und
des BAMF getroffen wurde, erfahren? Diese Frage ist
ganz einfach und überschaubar . Ich will nur das Datum
wissen .
D
Das Ergebnis unserer Gespräche am Freitag war, dass
es zum jetzigen Zeitpunkt keine Veränderung der Rege-
lung gibt, sondern dass wir den bisherigen Verfahrenssta-
tus beibehalten
und über mögliche zukünftige tatsächliche Änderungen
im Kreise der Innenminister gesprochen wird .
Die Kollegin, wenn ich das erwähnen darf, hat aber
nach einem Datum gefragt, Herr Braun .
Können Sie das mitteilen?
D
Ich habe ja gerade deutlich gemacht, dass sozusagen
die Grundlage für das Datum nicht gegeben ist, weil wir
zum jetzigen Zeitpunkt keine Veränderung des Verfah-
rens haben .
Dann hat Herr Beck noch eine Frage .
Geschätzter Herr Kollege Braun, ein Mitglied der
Bundesregierung, das auch Mitglied des Hohen Hauses
ist, sagt dann die Unwahrheit . Das Innenministerium hat
gerade im Innenausschuss erklärt, das Bundeskanzleramt
sei über das Gespräch in der 43 . Kalenderwoche zwischen
dem Abteilungsleiter des Innenministeriums und dem Vi-
zepräsidenten des BAMF informiert gewesen, in dem das
Ziel verfolgt wurde, die Regeln für syrische Flüchtlinge
wieder auf den Status quo ante und zusätzlich die ent-
sprechenden Beschränkungen beim Familiennachzug zu-
rückzuführen . Dieses Gespräch ging dem 4 . November
und der Einigung der drei Parteivorsitzenden voraus . Das
Innenministerium behauptet, in verschiedenen Gremien-
sitzungen sei das Bundeskanzleramt über das Gespräch
und das Gesprächsziel informiert gewesen . Jetzt sagen
Sie mir: Waren Sie als Bundeskanzleramt über das Ge-
spräch und das Gesprächsziel informiert? Dann sagen Sie
bitte, wann . Oder sagen Sie, das Innenministerium lügt?
Herr Braun .
D
Lieber Herr Beck, ich will es noch einmal sehr deut-
lich machen: Wir haben am Donnerstag die Gespräche
der Parteivorsitzenden auf der klaren Grundlage geführt,
dass sich am derzeitigen Verfahren nichts ändert, und am
Freitag ist genau das mit dem Innenministerium klarge-
stellt worden .
Waren Sie über dieses Gespräch, das ja eine Realitätist, informiert oder nicht? Unabhängig davon, was Siespäter vereinbart haben: Waren Sie als Bundeskanzler-Katja Keul
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513178
(C)
(D)
amt über das Gespräch in der 43 . Kalenderwoche mitdiesem Gesprächsziel informiert?
D
Wir haben hier auch gerade, im Kontext der Bundesre-
gierung jedenfalls, festgestellt, dass die Darstellung, die
Sie hier wie auch im nichtöffentlichen Ausschuss liefern,
dass möglicherweise die Bundesregierung sich eingelas-
sen hätte, nicht zutreffend ist .
Seien Sie sich sicher: Ich kenne die Regeln der Regie-
rungsbefragung . Das ist kein Verhör, sondern eine Regie-
rungsbefragung, und Herr Beck hatte das Wort .
– Sie müssen mich nicht dazu auffordern, dass ich in die
Geschäftsordnung hineinschaue, Herr Grund . Sie ist mir
bekannt .
Ich erteile das Wort, und Herr Beck hatte das Wort, sehr
verehrter, liebenswerter Herr Grund . – Und jetzt hat Frau
Haßelmann das Wort .
Wir können gerne noch einmal über die Abläufe der
Regierungsbefragung reden . Für mich zeigt das nur, dass
bei der Union die Nerven blank liegen . Denn es ist doch
vollkommen klar, Herr Geschäftsführer: Wenn wir Kritik
am Präsidium haben, dann äußern wir das im Ältestenrat .
Wenn Sie irgendetwas zu beanstanden haben, dann mel-
den Sie sich im Ältestenrat .
Aber es ist nicht Aufgabe des Parlamentes, Belehrungen
an das Präsidium zu richten . Darüber besteht großes Ein-
vernehmen, egal wer präsidiert . – Punkt eins .
Punkt zwei . Meine Frage richtet sich wiederum an
Herrn Braun, weil die Frage bisher nicht beantwortet ist .
Deshalb geht es hier nicht um ein Verhör, sondern um
das Recht von Parlamentarierinnen und Parlamentariern,
Fragen zu stellen . Das müssen Sie schon aushalten kön-
nen .
Die Frage war ganz präzise; es wurde nicht nach der
Innenministerkonferenz und auch nicht nach dem Koa-
litionsgipfel gefragt . Das interessiert weder Herrn Beck
noch mich . Uns interessiert vielmehr, wann die Verab-
redungen, die zwischen Innenministerium und BAMF
getroffen wurden und im Innenausschuss dargestellt
wurden, dem Bundeskanzleramt mitgeteilt worden sind .
Ob Sie in diese Gespräche einbezogen waren, wäre noch
eine Ergänzungsfrage .
Herr Braun, bitte .
D
Ich will noch einmal deutlich machen, dass wir als
Bundeskanzleramt natürlich zu jedem Zeitpunkt im en-
gen Austausch mit dem Bundesinnenministerium ge-
standen haben, dass wir in all unseren Gesprächen auch
immer darüber gesprochen haben, ob mögliche Verände-
rungen beim Vorgehen im BAMF sinnvoll sind, dass ich
Ihnen aber nichts, auch kein Datum, zu der Frage einer
konkret stattgefundenen Veränderung nennen kann, weil
der Bundesinnenminister am Freitag auch klargestellt
hat, dass sich am Status nichts verändert hat .
Vielen Dank . – Dann beenden wir an dieser Stelle die
Regierungsbefragung . Vielen Dank, Herr Minister Maas
und auch Herr Braun .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/6602
Die Fragestunde soll bis spätestens 15 Uhr dauern, weil
die Fraktionen vereinbart haben, dass wir um 15 .05 Uhr
mit dem nächsten Tagesordnungspunkt beginnen .
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur .
Herr Barthle ist als Vertreter des Ministeriums anwesend .
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Stephan Kühn
auf:
Welche Mängel sieht die Bundesregierung bei den bishe-
rigen behördlichen Kontrollmechanismen zur Einhaltung der
Schadstoffgrenzwerte für Pkw?
Herr Barthle, bitte .
N
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Lieber Herr KollegeKühn, ich möchte Ihre Fragen 1 und 2 wegen ihres Sach-zusammenhangs gemeinsam beantworten .Volker Beck
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13179
(C)
(D)
Dann rufe ich auch die Frage 2 des Abgeordneten
Stephan Kühn auf:
Wie will die Bundesregierung als Konsequenz aus dem
VW-Skandal die behördlichen Kontrollen der Einhaltung von
Schadstoffgrenzwerten verbessern?
N
Nach Abschluss der Sachverhaltsaufklärung im VW-
Fall und nach Vorliegen aller Erkenntnisse wird entschie-
den, ob und welcher Handlungsbedarf bei der Anpassung
der internationalen, der europäischen und der nationalen
Vorschriften besteht .
Herr Kühn, bitte .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Das ist interessant, was Sie da sagen, Herr Staatsse-
kretär . Die EU-Kommission scheint hier weiter zu sein;
denn sie hat festgestellt, dass das bisherige Kontroll- und
Prüfregime offensichtlich mangelhaft war, und will des-
halb die nationalen Behörden kontrollieren bzw . über-
prüfen . Ist das nicht Anlass für die Bundesregierung, nun
entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen? Es ist doch
für die Frage, ob die Prüfungen wirksam oder unwirksam
sind, nicht mehr erheblich, ob weitere Manipulationen an
den Abgas- bzw . CO2-Werten festgestellt werden . Das
Problem besteht doch darin, dass das bisherige Prüfsys-
tem, also die Arbeit des Kraftfahrt-Bundesamtes, nicht
dazu geführt hat, dass diese Manipulationen bekannt
wurden . Also waren die bisherigen Überprüfungen und
das bestehende Genehmigungsverfahren offensichtlich
nicht wirksam . Wie viele manipulierte Fahrzeuge soll es
denn noch geben, bevor Sie endlich anfangen, zu hin-
terfragen, ob das bisherige System auch in Zukunft so
bleiben kann?
Herr Barthle, bitte .
N
Herr Kollege Kühn, die Europäische Kommission
hat bereits 2011, also weit vor dem VW-Skandal, eine
Arbeitsgruppe eingerichtet, in der ein zusätzliches Mess-
verfahren mit portabler Messtechnik entwickelt wird,
das zukünftig im Rahmen der Typengenehmigung die
Wirksamkeit von Euro 6 im Realbetrieb kontrollieren
und sicherstellen soll . Mit den zukünftigen RDE-An-
forderungen wird zudem eine Verwendung unzulässiger
Abschalteinrichtungen deutlich erschwert werden . Die
Einführung wirksamer Prüfverfahren zur Kontrolle der
Realemissionen von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen,
also RDE, wird seitens der Bundesregierung mit Nach-
druck unterstützt . Wir tun alles, um das RDE-Verfahren
weltweit einzuführen und so eine wirksamere Kontrolle
der Realemissionen zu bewirken .
Herr Kühn .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Frau Präsidentin, ich gehe davon aus, dass ich insge-
samt vier Nachfragen habe, weil es ja zwei Fragen waren .
Das ist jetzt Ihre zweite Nachfrage .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Genau . – Herr Barthle, ich möchte nachfragen . Bisher
hatte das Kraftfahrt-Bundesamt noch nicht einmal die
technischen Voraussetzungen – es gab keinen Rollen-
prüfstand –, um zu überprüfen, ob das, was im Rahmen
der Typengenehmigung zugelassen wurde, der Realität
entspricht . Die Nachprüfung seitens des KBA beruhte
bislang auf Vollständigkeit und Plausibilität der Herstel-
lerangaben; das KBA hat diesen vertraut . Dieses System
hat offensichtlich nicht funktioniert . Soll das so bleiben,
oder wollen Sie das ändern?
N
Wir sind auch auf europäischer Ebene bemüht, ein
wirksameres Nachprüfverfahren zu installieren . Wir
haben hier ein anderes Verfahren als in den Vereinigten
Staaten . Das Verfahren in Europa sieht so aus, dass zu-
nächst einmal die Typengenehmigungsvorschriften ein-
gehalten werden müssen . Diese werden dann in Form von
Nachprüfungen nochmals überprüft . Es gab schon bisher
Nachprüfungen, die die Konformität der Produkte bzw .
der Fahrzeuge, die vom Band kommen, zum Gegenstand
hatten . Es gibt ein zweites Nachprüfverfahren betreffend
die Konformität der Fahrzeuge, die bereits beim Kunden
sind . Wir haben ein Interesse daran, dass das, was bis-
her in nur vier Mitgliedsländern stattfindet, nämlich die
sogenannten Feldüberwachungen – Deutschland gehört
dazu –, in das regelgerechte Typgenehmigungsverfahren
überführt wird . Aber das Ganze muss auf europäischer
Ebene geregelt werden; denn Typgenehmigungsverfah-
ren sind europaweit gültig . Jeder Hersteller kann sich
selbst aussuchen, wo er seine Fahrzeuge genehmigen
lässt .
Herr Kühn .Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Nun haben Sie deutlich gemacht, dass die Herstellereuropaweit zulassen können und es einen Wettbewerbunter den technischen Dienstleistern gibt, wer die Zulas-sung übernimmt . Sehen Sie nicht, dass es da einen Inter-essenkonflikt bei den technischen Dienstleistern gibt? Ei-nerseits werden sie vom KBA mit der Typgenehmigungbeauftragt, andererseits werden sie von den Herstellernbezahlt, wenn es um die Zulassung im Rahmen des euro-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513180
(C)
(D)
päischen Wettbewerbs geht, den Sie zutreffend geschil-dert haben .Müsste man nicht genauer nachfragen angesichts derTatsache, dass VW selber eingestanden hat, bei circa800 000 Fahrzeugen die CO2-Werte manipuliert zu ha-ben, wobei aber vorher diese Manipulationen bei demtechnischen Dienstleister – in dem Fall war das derTÜV – überhaupt nicht aufgefallen sind? Wie kann dassein? Wollen Sie etwas unternehmen, damit dieser wirt-schaftliche Interessenkonflikt, der offenkundig ist, künf-tig ausgeschlossen ist?
Herr Barthle .
N
Zunächst zu der Zahl, die Sie genannt haben, Kollege
Kühn: Nach unserer aktuellen Information von VW han-
delt es sich nicht mehr um 800 000 Fahrzeuge, sondern
es handelt sich um 662 000 Fahrzeuge des Konzerns in
Europa, davon knapp 189 000 Fahrzeuge in Deutschland,
die von diesen CO2-Manipulationen betroffen sind .
Zu den Interessenkonflikten: Die Typenzulassung ist,
wie gesagt, europäisch geregelt . Es gibt einen europäi-
schen Markt . Das Kraftfahrt-Bundesamt bedient sich
der dafür bestehenden unabhängigen Einrichtungen . Ei-
nen Interessenkonflikt kann ich da nicht erkennen. Auch
die Automobilkonzerne sind weltweit oder europaweit
aufgestellt . Deshalb ist es nachvollziehbar, dass die Ty-
penzulassung eines Konzerns nicht nur in Deutschland
stattfinden kann, sondern in ganz Europa. Deshalb ist
es schwierig, da einen Interessenkonflikt zwischen dem
KBA, das unabhängig agiert, und irgendwelchen Auto-
mobilkonzernen herzustellen .
Herr Kühn, Sie haben jetzt die vierte Nachfrage .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Herr Barthle, es ist doch schon auffällig, wenn die
Institutionen, die prüfen sollen, die Manipulationen sel-
ber nicht feststellen, obwohl sie angeblich unabhängig
sind und intensiv geprüft haben, sondern am Ende der
VW-Konzern die konkreten Zahlen der Manipulationen
feststellt .
Mich würde in der Konsequenz Folgendes interessie-
ren: Das Kraftfahrt-Bundesamt – das hat uns der Präsi-
dent in der Anhörung gesagt – hat derzeit gar nicht das
Mandat für Feldüberwachungen . Sie haben RDE ange-
sprochen . Welche Rolle sollen welche Behörden künftig
im Kontrollregime spielen? Wer ist künftig für die Fel-
düberwachungen zuständig? Bleibt das bei der Bundes-
anstalt für Straßenwesen? Und wer macht künftig das
RDE-Verfahren, wenn es denn jetzt zügig eingeführt
wird?
N
Die Feldbeobachtungen, die bei uns durchgeführt
wurden, wurden unter Federführung des KBA in Zu-
sammenarbeit mit dem Umweltbundesamt durchgeführt .
Ausgeführt wurden sie von der BASt, Bundesanstalt für
Straßenwesen . Das war bisher ein Verfahren, das ganz
gut funktioniert hat. Aber es gibt kein verpflichtendes
Felduntersuchungsverfahren . Das ist das, was wir auf
europäischer Ebene erreichen wollen . Deshalb erfüllt
bisher das Kraftfahrt-Bundesamt alle Auflagen, alle Fak-
toren und alle Notwendigkeiten, die für Typgenehmigun-
gen erforderlich sind .
Wenn Sie nun wiederholt vortragen, dass die Mani-
pulationen nicht bemerkt worden sind, dann wiederhole
ich: Wenn es dem VW-Konzern im Rahmen der Typge-
nehmigungsverfahren und der dabei anstehenden Prüfun-
gen gelungen ist, Manipulationen zu verbergen, dann ist
es kein Wunder, wenn diese Manipulationen auch bei den
Nachprüfungen nicht entdeckt werden .
Der nächste Fragesteller: Herr Gastel, bitte .
Frau Präsidentin, vielen Dank . – Herr Staatssekretär,
besonders verwundert war ich über Ihren ersten Versuch,
eine Antwort zu geben, als Sie nämlich auf die Frage von
Kollege Kühn gesagt haben, es werde noch entschieden,
ob und, wenn ja, welcher Handlungsbedarf überhaupt be-
stehe . Vor allem dieses „ob“ irritiert mich doch gewaltig .
Irritiert es Sie nicht, dass ausgerechnet der ADAC
sehr klare Konsequenzen aus dem Abgasskandal ziehen
möchte und auch konkret formuliert, welche Konsequen-
zen gezogen werden sollen? Er sagt: strenge Grenzwerte,
strenge Kontrollen, auf der Straße müsse geprüft werden,
niedriger Korrekturfaktor . Der ADAC macht das natür-
lich nicht selbstlos, sondern er macht es aus der Angst
heraus, dass dann, wenn Sie nicht handeln, Fahrverbote
in den Städten drohen, in denen die Grenzwerte seit lan-
ger Zeit deutlich und gesundheitsgefährdend überschrit-
ten werden . Sehen Sie nicht ebenfalls wie der ADAC die
Gefahr, dass Fahrverbote kommen werden, wenn Sie mit
dem Handeln zu lange warten?
Herr Barthle .
N
Herr Kollege Gastel, ich kommentiere nicht die Dinge,die der ADAC betreibt . Ich spreche für die Bundesregie-rung . Die Bundesregierung muss, bevor sie Entscheidun-gen trifft, ob und, wenn ja, welche rechtlichen Maßnah-men notwendig sind, zunächst einmal den Sachverhaltaufgeklärt haben . Wir sind immer noch inmitten derSachverhaltsaufklärung . Wir haben noch keine abschlie-ßenden Erkenntnisse, wie viele Fahrzeuge betroffen sind,welche betroffen sind, wie groß die Abweichungen sindetc . pp . Man braucht genaues Faktenwissen, Datenwis-Stephan Kühn
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13181
(C)
(D)
sen, valide, verwertbare Erkenntnisse, um dann sagenzu können, welche Handlungen daraus erfolgen könnenoder müssen .
Oliver Krischer .
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Staatsse-
kretär, ich habe in der vergangenen Woche mit Mitglie-
dern des Wirtschaftsausschusses an einem Gespräch mit
der EU-Industriekommissarin teilgenommen . Die Indus-
triekommissarin hat dort formuliert – ich gebe das mit
meinen Worten wieder; es hat aber so ähnlich in der Pres-
se gestanden –, dass offensichtlich die nationalen Prüfbe-
hörden, insbesondere die in Deutschland, versagt hätten,
sonst hätte dieser VW-Skandal nicht entstehen können .
Bei ihren Ausführungen ging es nicht um das Testverfah-
ren, sondern um die Art und Weise, um die Intensität, wie
die Behörden kontrollieren .
Wenn ich Ihre Äußerungen richtig verstehe, gibt es
überhaupt kein Problem, sondern es geht nur um die
Frage, dass man irgendwann einmal das RDE einführt .
Sie haben es lange Zeit ausgebremst . 2017 wird es ein-
geführt .
Meine Frage an Sie: Ist das, was die Industriekom-
missarin gesagt hat, was sie auch der Presse gesagt hat,
falsch? Weisen Sie es zurück, weil Ihrer Meinung nach in
Deutschland bisher alles super funktioniert hat?
N
Herr Kollege Krischer, es ist unbestritten, dass die be-
stehenden Verfahren zur Überprüfung bei der Typenzu-
lassung Lücken aufweisen .
Anderenfalls wäre es nicht möglich gewesen, dass dieser
Betrug über Jahre hinweg bei verschiedenen Modellen
unentdeckt bleibt . Insofern ist es sicherlich richtig, dass
wir überprüfen müssen, an welchen Stellen Korrekturen
notwendig sind . Das können wir aber erst dann, wenn wir
genau wissen, wie was wo manipuliert und wie wo was
verdeckt wurde . Erst dann kann man genau sagen, welche
Schlüsse daraus zu ziehen sind . Pauschal irgendwelche
Dinge zu beschließen, ohne die Fakten genau zu kennen,
würde sich sicherlich als sträflich falsch erweisen. Des-
halb ist es gut und richtig, zunächst genau zu erheben,
worum es überhaupt geht . Wir haben den Eindruck, dass
auch der betroffene VW-Konzern selbst noch gar nicht
in der Lage ist, dies genau zu sagen . Die Kommissarin
hat VW um einen Bericht gebeten und dafür eine Frist
gesetzt; das entnehme ich zumindest der Presse . Wir sind
sehr gespannt, ob der VW-Konzern in der Lage sein wird,
diese Frist einzuhalten .
Danke, Herr Barthle . – Da wir zwei Fragen aufgerufen
haben, darf Oliver Krischer seine zweite Frage stellen .
Danke, Frau Präsidentin . – Ich habe noch eine weitere
Frage an Sie, Herr Barthle . In der Anhörung des Verkehr-
sausschusses hat der Präsident des KBA ausgeführt, dass
das KBA diese Manipulationen niemals hätte entdecken
können . Ich bin froh, dass Sie selber eingestehen – ich
höre das jetzt nach sieben Wochen zum ersten Mal –,
dass es hier offensichtlich Defizite gibt.
Teilen Sie die Einschätzung des Präsidenten des KBA,
dass die Manipulationen von VW im Rahmen der Ver-
fahren, wie sie in Deutschland gelaufen sind, nie hätten
entdeckt werden können? Was müssen wir Ihrer Ein-
schätzung nach beispielsweise von der US-Umweltbe-
hörde EPA lernen, die bisher als Einzige Manipulationen
nachgewiesen hat?
N
Herr Kollege Krischer, da täuschen Sie sich . Es ist
nicht so, dass die EPA diese Manipulationen entdeckt
hat, sondern die EPA hat Abweichungen von bestimmten
Werten entdeckt . Erst dann hat VW selbst eingestanden,
worauf dies zurückzuführen ist . Also nicht die EPA hat
die Manipulationssoftware entdeckt, sondern VW hat es
selbst offengelegt .
Das amerikanische Nachprüfungsverfahren funktio-
niert anders . In Amerika müssen die Fahrzeughersteller
selbst zertifizieren und diese Zertifizierung dokumentie-
ren . Das wird dann nachgeprüft .
Wir haben ein Typengenehmigungsverfahren, bei dem
sofort geprüft wird, und erst dann finden irgendwann
stichprobenartige Nachprüfungen statt . Bei uns wird also
zuerst geprüft und dann zugelassen, und zwar nicht von
den Herstellern selbst, sondern von unabhängigen Ein-
richtungen wie dem Kraftfahrt-Bundesamt .
Deshalb nochmals: Auch in Amerika sind die Mängel
nicht von der EPA entdeckt worden, sondern sie sind von
VW selbst offengelegt worden . Insofern müsste sich die
Kritik, die Sie äußern, nicht nur auf europäische oder gar
deutsche Einrichtungen ausdehnen, sondern eben auch
auf die EPA .
– Bitte?
Danke, Herr Staatssekretär . – Bärbel Höhn hat das
Wort zu einer Nachfrage .
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, dieser gan-ze Skandal sei von VW selbst in den USA offengelegtworden – so habe ich Sie jetzt verstanden –; VW in denUSA habe der EPA gesagt: Da sind Abweichungen, undParl. Staatssekretär Norbert Barthle
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513182
(C)
(D)
wir legen diesen Skandal offen . – Alles, was wir wissen,entspricht dieser Tatsache nicht . Vielmehr hat VW in denUSA erst auf diverse Nachfragen und als es nicht mehranders ging – VW hatte immer wieder versucht, das Gan-ze zu verschleiern –, diesen Betrug zugegeben . KönnenSie das bestätigen, ja oder nein?N
Genauso habe ich es gerade eben dargestellt, Frau
Kollegin .
Frau Kollegin, Sie haben doch gerade meine Aussagen
bestätigt . Sie haben mir bestätigt, dass auf intensive
Nachfrage der amerikanischen Behörde EPA VW diese
Verstöße zugegeben hat . Nichts anderes habe ich behaup-
tet .
Gut . – Frau Höhn, zweite Nachfrage .
Die EPA hat ja deshalb recherchiert, weil ihr zugetra-
gen worden ist, dass bei den Werten Realität und Theo-
rie auseinanderliegen . Nun wissen aber Sie und wir und
alle in Deutschland, dass zum Beispiel theoretischer und
tatsächlicher CO2-Ausstoß der Autos in Deutschland so-
wie der Kraftstoffverbrauch immer weiter auseinander-
gehen . Die Differenz zwischen Theorie und Praxis, was
den Kraftstoffverbrauch angeht, liegt mittlerweile bei
40 Prozent; 2001 waren es nur 8 Prozent . Diese Werte
sind seit langem bekannt . Warum haben nicht genau wie
in den USA hier die entsprechenden Behörden auf dieses
immer größere Auseinanderklaffen reagiert und selber
nachgeprüft?
Bitte, Herr Barthle .
N
Frau Kollegin Höhn, Sie betreiben dasselbe Spiel, das
die Grünen-Bundestagsfraktion betreibt, indem verschie-
dene Dinge miteinander vermengt werden, die man von-
einander trennen muss .
Dass die Verbrauchsangaben der Fahrzeughersteller
mit denen im realen Betrieb nur wenig übereinstimmen,
das wissen alle schon lange . Aber das hat damit zu tun,
dass die Verbrauchsangaben der Hersteller in Laboren
ermittelt werden, die mit legalen Möglichkeiten so aus-
gestattet sind, dass relativ niedrige Verbrauchswerte ent-
stehen .
Dass im realen Betrieb weitere Verbrauchserzeuger
hinzukommen, die in der Laborsituation nicht berück-
sichtigt werden, das wissen auch wir . Ich denke zum Bei-
spiel an Klimaanlagen und sonstige elektrische Einrich-
tungen am Auto, also an alles Mögliche, was unabhängig
vom Fahrbetrieb ist .
Deshalb sind wir dabei, auf europäischer Ebene Ver-
fahren voranzubringen, die eine realitätsnähere Ver-
brauchsangabepraxis ermöglichen und bei der man ge-
sondert ausweisen kann, wie sich der Verbrauch darstellt,
wenn man zum Beispiel zusätzlich eine Klimaanlage oder
Ähnliches betreibt . Das alles gibt es bisher noch nicht .
Wir sind auf europäischer Ebene diejenigen, die Druck
machen, damit dies möglichst schnell vorankommt .
Das aber nun mit den NOX-Werten, um die es in Ame-
rika zunächst einmal ging, in Verbindung zu bringen, das
ist nicht richtig, Frau Kollegin Höhn . Das muss ich mit
aller Deutlichkeit so sagen; denn um einen solchen Zu-
sammenhang ging es zunächst einmal bei den betroffe-
nen Dieselmotoren von VW . Doch das war etwas ganz
anderes .
Herr Kollege Meiwald .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Kollege
Barthle, obwohl Sie gerade gesagt haben, es gehe nur um
die NOX-Werte in Amerika, habe ich eine Nachfrage .
N
„Es ging“, habe ich gesagt .
In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage auf
Drucksache 18/6398 haben Sie uns mitgeteilt, dass in
Deutschland mindestens 382 213 Menschen von erhöh-
ten Stickoxidbelastungen in unseren Städten betroffen
sind . Wir wissen gleichzeitig, dass Stickoxidüberhö-
hungen deutlich gesundheitsgefährdend sind . Insofern
stellt sich jetzt – so wie Sie es darstellen – die Frage,
wen die Staatsanwaltschaft wegen Körperverletzung an-
klagen könnte, wer verantwortlich ist . Das KBA, weil
es einen gefährlichen Typ zugelassen hat? Oder ist der
VW-Konzern verantwortlich? Also, die Frage ist ja: Wer
kann denn jetzt für diese Körperverletzung, die nicht nur
fahrlässig begangen wurde, zur Verantwortung gezogen
werden?
Herr Barthle, bitte .
N
Herr Kollege, damit müssen Sie das Bundesumwelt-ministerium oder das Bundesministerium der Justiz undBärbel Höhn
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13183
(C)
(D)
für Verbraucherschutz konfrontieren . Wir sehen uns danicht als zuständige Einrichtung .
Dann hat das Wort der Kollege Gastel .
Können wir etwas Neues und Konkretes von Ihnen er-
fahren, Herr Staatssekretär?
N
Habe ich doch schon .
Wenn Sie gefragt werden, wie denn die Bundesre-
gierung diese Vorgänge um die Manipulationen aufklä-
ren möchte, dann verweisen Sie immer wieder auf eine
Kommission, die vom BMVI eingerichtet worden ist .
Jetzt verraten Sie uns doch bitte einmal, wie sich diese
Kommission zusammensetzt, welchen Auftrag und wel-
che Kompetenzen sie hat und wie oft sie bisher schon
getagt hat .
Herr Barthle .
N
Diese Kommission wurde sofort nach Bekanntwerden
des Skandals von Bundesminister Alexander Dobrindt
eingesetzt . Sie wird von Staatssekretär Odenwald gelei-
tet . Die Kommission besteht aus Experten des Bundes-
verkehrsministeriums und des Kraftfahrt-Bundesamts
sowie aus Wissenschaftlern, die über entsprechende Ex-
pertise verfügen. Sie tagt sehr häufig. Wenn ich es rich-
tig weiß, hat sie diese Woche auch schon wieder getagt .
Oder sie tagt noch . Diese Kommission steht in engem
Kontakt auch mit VW, um die Vorgänge aufzuklären und
den Aufklärungsprozess zu begleiten .
Sie haben jetzt keine Frage mehr, Herr Gastel . Sie ha-
ben Ihre zwei Fragen gestellt . – Jetzt ist Frau Kollegin
Paus an der Reihe .
Herr Staatssekretär, ich möchte an die Frage von
Frau Höhn anknüpfen . Sie hatten ja bestätigt, dass VW
auf intensives Nachfragen und Insistieren der EPA den
Missbrauch in den USA zugegeben hat . Können Sie mir
auch bestätigen, dass Ausgangspunkt für die intensiven
Nachfragen der EPA überhaupt die Differenz zwischen
den Testwerten auf der einen Seite und den Realwerten
bzw . den auf der Straße gemessenen Werten auf der an-
deren Seite war? Und war genau das, was Frau Höhn
angesprochen hat, dass nämlich die Differenz zwischen
diesen Werten drastisch – auf inzwischen 40 Prozent –
gestiegen ist, der Grund, dann vertieft in die Untersu-
chung einzusteigen? Und können Sie begründen, warum
das in Deutschland nicht auch ein Grund für das Kraft-
fahrt-Bundesamt hätte sein können und müssen, genauer
zu untersuchen und eigene Untersuchungen anzustellen?
Herr Kollege Barthle .
N
Frau Kollegin Paus, ich habe schon mehrmals auf ähn-
liche Fragen geantwortet . Sinngemäß wiederhole ich es
noch einmal . Die genauen Prüfverfahren der amerikani-
schen Behörde kommentiere ich jetzt nicht . Bei uns war
es so, dass stichprobenartige Nachmessungen immer un-
ter denselben Bedingungen wie die Typengenehmigungs-
verfahren stattgefunden haben . Und das waren genau die
Bedingungen, unter denen dieser Abschaltmechanismus
funktioniert hat . Dass in Amerika andere Verfahren der
Typzulassung benutzt werden, habe ich eben auch schon
erläutert . Durch die intensiven Nachprüfungen, die in
Amerika Bestandteil der Typengenehmigungen sind,
wurden offensichtlich große Differenzen festgestellt, die
dann einer Erklärung bedurften . Damit hängt das zusam-
men . So ist unser Kenntnisstand . Daraufhin wurde dieser
Skandal offengelegt . Er entwickelte sich entsprechend
und wurde eingestanden .
Vielen Dank, Herr Kollege Barthle .
Dann kommen wir jetzt – das knüpft ein wenig an das
an, was schon angesprochen worden ist – zur Frage 3 der
Kollegin Dr . Verlinden:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem
Bekanntwerden falscher Energieverbrauchsangaben beim Ver-
kauf von Neuwagen, und mit welchen Maßnahmen will die
Bundesregierung die notwendige Energieeinsparung im Ver-
Herr Barthle, bitte .
N
Frau Präsidentin, ich würde dann gern auch gleich die
Frage 4 beantworten; denn beides steht in einem Sachzu-
sammenhang .
Dann rufe ich auch die Frage 4 der KolleginDr . Verlinden auf:Mit welchen konkreten Maßnahmen wird die Bundesre-gierung dafür sorgen, dass Verbraucherinnen und Verbraucherbeim Autokauf künftig verlässliche Angaben über den Treib-Parl. Staatssekretär Norbert Barthle
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513184
(C)
(D)
stoffverbrauch des jeweiligen Fahrzeugs und damit auch überden tatsächlichen CO2-Ausstoß erhalten?Herr Barthle, bitte .N
Frau Kollegin Verlinden, gesetzliche Grundlage für
die Verbrauchskennzeichnung beim Verkauf von Neu-
wagen ist die Pkw-Energieverbrauchskennzeichnungs-
verordnung, Pkw-EnVKV, die Angaben zum Kraftstoff-
verbrauch, zu CO2-Emissionen und zum Stromverbrauch
macht . Die Informationen entstammen der Dokumen-
tation zur Typgenehmigung der Fahrzeuge . Staatliche
Reaktionen auf festgestellte Verstöße gegen die Typge-
nehmigungsvorschriften ergeben sich aus der EG-Fahr-
zeuggenehmigungsverordnung, EG-FGV .
Des Weiteren wird auf die Antwort der Bundesregie-
rung zu den Fragen 19 und 23 der Kleinen Anfrage in
Drucksache 18/5656 verwiesen .
Die Zielerreichung im Hinblick auf die Energiewen-
deziele wird durch den Monitoring-Prozess „Energie der
Zukunft“ überprüft . In dem Monitoring-Bericht werden
auch die wesentlichen Maßnahmen aufgeführt, die zu ei-
ner Reduzierung des Energieverbrauchs im Verkehr füh-
ren sollen, um das Einsparziel zu erreichen .
Frau Verlinden .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Barthle, Ihre
Antwort finde ich jetzt nicht sehr zufriedenstellend, zu-
mal die Fragen 3 und 4 wirklich in ganz unterschiedliche
Richtungen gehen . Aber gut, ich habe ja vier Fragen, um
das zu klären .
Ist Ihnen bewusst, dass Sie sich von Ihrem Ziel, näm-
lich bis zum Jahr 2020 im Verkehrssektor 10 Prozent
Energie einzusparen, gerade komplett entfernen, weil
der Energieverbrauch im Verkehrsbereich zunimmt? Das
heißt, die Entwicklung läuft Ihrem eigenen Ziel diame-
tral entgegen, vielleicht auch mit verursacht durch die
falschen Angaben und durch die falschen Messergebnis-
se . Es wird ja mehr verbraucht als ursprünglich gedacht .
Vielleicht können Sie schon ein bisschen darüber er-
zählen, was in dem Monitoring-Bericht stehen wird, den
Sie in der nächsten Woche im Kabinett verabschieden
werden, was Sie jetzt konkret an Maßnahmen ergreifen
wollen, um Ihr Ziel, nämlich 10 Prozent Energieeinspa-
rung im Verkehrssektor, doch noch zu erreichen .
Norbert Barthle, bitte .
N
Danke . – Frau Kollegin, zu dem Monitoring-Bericht
kann ich im Voraus nichts sagen . Ich will zunächst ein-
mal feststellen, dass die Situation, wie Sie sie beschrei-
ben, nicht ganz mit der Realität übereinstimmt . Wenn wir
uns die Situation bei den Stickoxiden angucken – -
Moment! Jetzt hat der Herr Staatssekretär das Wort .
Sie haben die Möglichkeit, noch dreimal nachzufragen .
Er beantwortet, wie er will .
N
Es geht um die Energieverbrauchswerte unserer Fahr-
zeuge . Sie werden mir sicherlich darin zustimmen, dass
die Energieverbrauchswerte unserer Fahrzeuge konti-
nuierlich zurückgegangen sind . Die Autoindustrie hat
über die vergangenen Jahre hinweg erreicht, dass die
Verbrauchswerte deutlich niedriger wurden . Damit hängt
auch zusammen, dass der Ausstoß von Schadstoffen
deutlich zurückging, obwohl die Anzahl der Fahrzeuge
sich erheblich erhöht hat . Wir hatten 1990 noch etwa
35 Millionen Fahrzeuge in Deutschland . Wir haben heute
über 51 Millionen Fahrzeuge . Trotz dieser höheren An-
zahl von Fahrzeugen ist die Schadstoffemission deutlich
zurückgegangen .
Frau Verlinden .
Das finde ich jetzt wirklich ein starkes Stück. Sie sa-
gen uns: „Die Energieverbrauchswerte gehen seit Jahren
zurück“, und meinen damit das, was die Verbraucher, die
Kunden im Autohaus an Informationen bekommen, das,
was auf den Plaketten steht . Wir wissen aber seit mehre-
ren Tagen, seit der Debatte in den letzten Wochen, dass
das nicht stimmt .
Insofern verstehe ich überhaupt nicht, wieso Sie sagen:
Wieso? Es ist doch alles super . Der Energieverbrauch
geht zurück . – Das Gegenteil ist der Fall . Die Verbrau-
cher werden hier veralbert, und Sie sagen noch: Es ist
doch alles in Ordnung . – Das müssen Sie mir wirklich
erklären .
Sie sagen, dass der Energieverbrauch pro Fahrzeug
kontinuierlich zurückgeht . Ich habe gerade gesagt, dass
das de facto nicht stimmt, wenn die Verbrauchsangaben
nicht korrekt sind . Angesichts dessen erklären Sie mir
doch bitte zusätzlich, was das für Ihr eigenes Ziel be-
deutet . Sie wollen im Verkehrssektor absolut – nicht pro
Pkw – 10 Prozent Energie einsparen . Das ist Ihr Ziel . Wie
wollen Sie das erreichen?
Herr Barthle .Vizepräsidentin Claudia Roth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13185
(C)
(D)
N
Frau Kollegin, mit einem Bündel von Maßnahmen,
indem wir es schaffen, die Dekarbonisierung des Auto-
verkehrs sukzessive weiter voranzutreiben, indem wir
alternative Antriebstechniken voranbringen . Das reicht
vom Einsatz von Gas oder Biogas über die Elektrifizie-
rung des Verkehrs bis dahin, dass wir versuchen, den An-
teil an Dieselfahrzeugen auf dem Markt noch weiter zu
erhöhen, weil Diesel verbrauchsgünstiger ist, usw . usf .
Es sind also eine Vielzahl von Maßnahmen, die be-
gleitet werden von den Anstrengungen der Automobil-
industrie, der es gelungen ist, die gesetzten Grenzwerte
für ihren Flottenverbrauch einzuhalten, also deutlich ab-
zusenken, was die Verbrauchswerte und die Schadstoff-
emissionswerte anbelangt . Das alles zusammen – da sind
wir zuversichtlich – wird dazu beitragen, dass wir dieses
Einsparziel erreichen können .
Der Verkehr hat einen Anteil am Energieverbrauch
von etwa 20 Prozent . Wir sehen erhebliche Einsparpoten-
ziale im Verkehrsbereich, die es ermöglichen, die Ener-
gieeinsparziele, die sich die Bundesregierung gesetzt hat,
auch erreichen zu können . Aber dazu gehört, wie gesagt,
ein ganzes Bündel an Maßnahmen, das wir mit unserer
nationalen Strategie auf den Weg gebracht haben .
Frau Verlinden .
Instrumentenmix, also dass man verschiedene Maß-
nahmen plant, ist ja immer super . Es ist auch unbestritten,
dass wir darüber seit Jahren diskutieren, auch als Grüne .
Ich verstehe aber nicht, wieso Sie sich hierhinstellen und
sagen: Wir haben ein breites Bündel beschlossen . Wir
machen doch ganz viel . – Die Zahlen und harten Fakten
beweisen nämlich das Gegenteil . Ihre Maßnahmen schei-
nen also nicht zu wirken . Dann müsste man sich doch
einmal im Kabinett oder im Ministerium hinsetzen und
sagen: Okay, wir sind nicht auf dem richtigen Pfad . Der
Trend geht in die falsche Richtung . Die Maßnahmen, die
Instrumente, die wir auf den Weg gebracht haben, schei-
nen nicht auszureichen und nicht zu funktionieren . Wir
müssen umsteuern . – Da sehe ich bei Ihnen überhaupt
nichts, was Sie uns als Antwort auf die Frage, wie Sie Ihr
eigenes Ziel bis 2020 doch noch erreichen wollen, anbie-
ten können . Es sind schließlich nur noch fünf Jahre . Inso-
fern müssen Sie da jetzt einmal in die Puschen kommen .
Herr Barthle, in die Puschen kommen .
N
Wir haben bisher bewiesen, dass wir auf einem guten
Weg sind .
Wir haben die Einsparziele schon gut zur Hälfte erreicht .
– Das ist so . Das können Sie anders sehen, aber es ist so .
Wir werden die gesteckten Ziele mit den weiteren noch
anstehenden Maßnahmen auch erreichen .
Wenn Sie andere Zahlen haben, können Sie mir diese
gern zur Verfügung stellen, und dann werden wir sehen,
welche Zahlen stimmen . – Danke .
Vielen Dank, Herr Staatssekretär . – Frau Verlinden,
jetzt kommt aber die letzte Frage, weil in der vorherigen
Frage zwei zusammengefasst waren . – Bitte schön .
Herr Barthle, es ist sehr überraschend, dass Sie eben
auf den Monitoring-Bericht der Bundesregierung hinge-
wiesen haben, in dem Sie Maßnahmen nennen und die
Ziele evaluieren . Sie sagen uns, Sie sind auf dem richti-
gen Weg . Ich vermute, Sie haben den Monitoring-Bericht
aus dem Jahr 2014 nicht gelesen . Dieser liegt mir hier
gerade vor . Im Monitoring-Bericht von 2014 steht wort-
wörtlich, dass Sie beim Endenergieverbrauch im Bereich
Verkehr im Vergleich zu 2005 bisher 1 Prozent mehr
Energie verbraucht haben und nicht weniger . Das heißt,
Sie sind nicht auf dem richtigen Weg . Sie sind nicht auf
dem Weg in Richtung Energieverbrauchssenkung, wie
Sie das gerade behauptet haben . Sie sind weit entfernt
von Ihrem Ziel, 10 Prozent einzusparen . Im Gegenteil:
Der Verbrauch hat sich seit 2005 noch erhöht . Insofern
finde ich es sehr interessant, was Sie hier formulieren.
Welche Zahlen Sie verwenden, weiß ich nicht, aber Sie
selbst haben gesagt, dass das Nachweisdokument der
Monitoring-Bericht der Bundesregierung zur Energie-
wende ist, und genau den haben Sie gerade falsch zitiert .
Herr Barthle, bitte .
N
Ich bitte Sie, Frau Kollegin Verlinden, einfach den
nächsten Monitoring-Bericht abzuwarten .
Was die Erreichung der Ziele anbelangt, sprechen wir
uns dann 2020 wieder .
Vielen Dank, Herr Barthle . – Dann hatte sich der Kol-lege Kühn gemeldet .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513186
(C)
(D)
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Ist es die richtigeStrategie, in Sachen Klimaschutz immer weiter zu war-ten? Was ich aber eigentlich fragen wollte: Herr Barthle,Sie haben angesprochen, dass der Verbrauch bei denFahrzeugen kontinuierlich zurückgeht . Bevor es dieCO2-Grenzwerte gab, betrug die jährliche Reduktion1 Prozent, und seitdem es die CO2-Grenzwerte für Pkwgibt, waren es 4 Prozent . Nun müssen wir aber leiderfeststellen, dass diese Reduktion offensichtlich in Tei-len nur auf dem Papier stattgefunden hat . Sie sagten jaselber, dass mindestens 662 000 Fahrzeuge hinsichtlichihrer CO2-Emission manipuliert worden sind .N
Europaweit .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Europaweit. – Das heißt, der Ausstoß ist definitiv hö-
her gewesen . Genaueres wissen wir aber noch nicht . Sie
haben selber gesagt, die Untersuchungen sind noch nicht
abgeschlossen . Bisher sprechen wir nur vom Hersteller
VW . Es kann aber noch weitere Enthüllungen geben .
Müsste man jetzt aus Ihrer Sicht nicht einmal überprü-
fen und evaluieren, ob das, was die Hersteller angegeben
haben, also was sie an CO2-Reduktion erreicht haben und
was wir mit Grenzwerten untersetzt haben, auch tatsäch-
lich stimmt? Müsste man diesen Skandal nicht zum An-
lass nehmen, die reale CO2-Reduktion neu zu ermitteln?
Denn das hat natürlich Auswirkungen auf die Frage, ob
wir unsere Klimaschutzziele erreichen oder nicht .
Herr Barthle, bitte .
N
Herr Kollege Kühn, heute früh im Ausschuss habe ich
Ihnen bereits dargelegt, dass es sich in Deutschland
nach aktuellen Mitteilungen des VW-Konzerns um
189 000 Fahrzeuge handelt . Wir von der Bundesregie-
rung haben allerdings den Eindruck, dass der VW-Kon-
zern selbst nicht genau sagen kann, um wie viele Fahr-
zeuge es sich handelt und wie groß die Abweichungen
sind . Das alles muss man zunächst einmal eruieren .
Wenn wir die Faktenlage kennen, dann können wir über
Weiteres nachdenken; aber wir kennen sie noch nicht .
Sie stellen Abweichungen in den Raum, Sie unterstellen
Abweichungen, die Sie nicht kennen und die wir nicht
kennen . Ich weiß nicht, wie groß die Abweichungen sind .
Kollege Krischer .
Danke, Frau Präsidentin . – Ich möchte noch mal zum
Thema Stickoxide, NOX, zurückkommen . Sie haben
eben die Kollegin Höhn belehrt . Ich hatte aber bei den
Antworten zeitweise den Eindruck, dass Sie es selber
nicht auseinanderhalten können . Deshalb sage ich, dass
wir jetzt über Stickoxide reden .
Sie haben uns eben erläutert, VW habe von sich aus
die Manipulationen öffentlich gemacht . In der Antwort
auf die nächste Frage haben Sie dann gesagt, auf Druck
der EPA, die Nachprüfungen durchgeführt und Fragen
gestellt habe, sei dann VW irgendwann damit rausge-
kommen . Sie haben sich also komplett widersprochen .
Das ist ganz anders gelaufen . Wir alle haben von der
EPA selbst gehört, dass ein Bericht des ICCT, der erheb-
liche Diskrepanzen im Bereich der Stickoxide nachweist,
Anlass für die Ermittlungen, Nachfragen und Nachprü-
fungen der EPA war . Dieser Bericht ist seit 2014 öffent-
lich . Er ist auch Ihrem Haus bekannt, er ist dem Kraft-
fahrt-Bundesamt bekannt, er ist jedem bekannt, der sich
dafür interessiert .
Insofern frage ich Sie: Warum hat die EPA in den USA
nachgefragt, nicht aber das Bundesministerium für Ver-
kehr oder das Kraftfahrt-Bundesamt? Warum wurden
nicht entsprechende Nachprüfungen veranlasst? Hier bit-
te ich Sie um eine klare Erläuterung .
Herr Barthle .
N
Herr Kollege Krischer, ich kann Ihnen nochmals
versichern: Informationen über Manipulationen der
NOX-Werte haben wir erst an diesem ominösen Datum
im September – ich müsste nachgucken, wann das war –
erhalten . Davor haben all unsere Erkenntnisse keine
Hinweise ergeben, dass irgendwelche Werte manipuliert
worden wären . Deshalb bestand keine Veranlassung, zu
handeln .
– Ich gehe davon aus, dass dieser Bericht dem Ministeri-
um bekannt war .
Jetzt ist Herr Barthle dran . – Herr Barthle, bitte .
N
Das war es schon .
Gut . – Dann die Kollegin Höhn .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13187
(C)
(D)
Herr Kollege Barthle, es gibt ja nicht nur die Berich-
te aus den USA, wegen derer die EPA tätig geworden
ist . Die DUH hat hier in Deutschland schon in den ver-
gangenen Jahren immer wieder veröffentlicht, dass zum
Beispiel die Werte, die in der Realität auftreten, erheblich
höher sind als die in der Theorie . Ich betrachte jetzt die
CO2-Emissionen – nicht dass Sie wieder sagen, ich redete
über Stickstoffemissionen . Bei der Höhe der CO2-Emis-
sionen tritt eine Spreizung, ein Unterschied zwischen
Theorie und Praxis, von 40 Prozent auf . Da ist VW noch
nicht mal der schlimmste Konzern; die Spreizung bei VW
liegt unter dem Durchschnitt . Was wollen Sie eigentlich
hinsichtlich der Autos der anderen Automobilkonzerne
tun, bei denen der Unterschied zwischen den Werten aus
Theorie und Praxis weit über 40 Prozent liegt? Wollen
Sie da jetzt auch entsprechende Überprüfungen durch-
führen? Wir müssen ja davon ausgehen, dass da vielleicht
auch nicht alles mit rechten Dingen zugeht .
N
Frau Kollegin Höhn, ich wiederhole nochmals, dass
wir auf europäischer Ebene mit Nachdruck daran arbei-
ten, dass wir bei Überprüfungen und in den Genehmi-
gungsverfahren Verbrauchswerte erhalten, die näher am
realen Verbrauch sind . Wir wollen das nicht nur auf eu-
ropäischer Ebene erreichen, sondern auch mit der soge-
nannten WLTD – oder wie heißt sie?
– Richtig,
mit diesem weltweiten System einer –
Herr Barthle, bitte .
N
Mit diesem weltweit einheitlichen System, das dann
auch auf europäischer Ebene installiert werden soll . –
Daran arbeiten wir intensiv; da sind wir diejenigen, die
auf europäischer Ebene das Tempo vorgeben und be-
schleunigen . Insofern bin ich zuversichtlich, dass wir es
schaffen können, dieses System im Jahr 2017, spätestens
im Jahr 2018 auf europäischer Ebene einzuführen .
Frau Höhn, Sie dürfen eine weitere Frage stellen, weil
zwei Fragestellungen zugrunde liegen . Danach darf noch
Herr Gastel fragen, aber dann kommen wir zu den nächs-
ten Fragen .
Herr Staatssekretär Barthle, ich war zehn Jahre Um-
weltministerin in Nordrhein-Westfalen . Es gibt dort
eine Fernüberwachung der Schornsteine von Industrie-
anlagen . Die Ergebnisse gehen in der Realität sofort zur
Überwachungsbehörde, sodass man genau weiß, was in
dem Moment aus dem Schornstein herauskommt . Das
betrifft große Industrieanlagen, an denen Tausende von
Arbeitsplätzen hängen . Was soll ich eigentlich den Be-
treibern dieser Industrieanlagen sagen, wenn sie jetzt
erfahren, dass in der Automobilindustrie, bei den Au-
tos, vollkommen anders reagiert wird, dass da Theorie
und Praxis weit auseinanderklaffen und die Behörden in
Deutschland da offensichtlich jahrelang die Augen ver-
schlossen haben?
Herr Barthle .
N
Frau Kollegin Höhn, das Typzulassungsverfahren ist
ein europarechtliches Verfahren . Wir bewegen uns im
europarechtlichen Zulassungsverfahren . Wenn wir Än-
derungen vornehmen wollen, müssen sie auf europäi-
scher Ebene vorgenommen werden, weil die Hersteller
andernfalls auf andere europäische Zulassungsbehörden
zurückgreifen; deshalb machen nationale Alleingänge
keinen Sinn . Es braucht etwas Zeit, um dies auf europäi-
scher Ebene hinzubekommen; aber wir arbeiten intensiv
daran .
Das eine hat mit dem anderen relativ wenig zu tun .
Bezüglich der Schornsteine müssen Sie sich an das Um-
weltministerium wenden .
Die letzte Frage zu den Fragen von Frau Verlinden:
Kollege Gastel .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Barthle, ichhabe an Sie folgende Frage: Auf eine Nachfrage meinerKollegin Verlinden nach dem Einsparziel der Bundesre-gierung in Sachen CO2 haben Sie geantwortet, die Bun-desregierung schnüre ein ganzes Bündel an Maßnahmen,um dieses Ziel zu erreichen . Ein Bündel an Maßnahmenkann erst dann entstehen, wenn es mehrere Maßnahmengibt . Ich kann aber keine Maßnahmen erkennen, aus de-nen ein Bündel geschnürt werden könnte .Sie haben ferner gesagt, dass Sie die Dekarbonisie-rung voranbringen wollen . Tatsächlich sind Sie in SachenElektromobilität aber krachend gescheitert; denn IhrZiel, 1 Million Elektroautos auf die Straße zu bringen,haben Sie ganz offensichtlich eindeutig verfehlt . Sie sindweit hinter Ihrem Ziel zurück . Ich glaube, Sie verfolgenes gar nicht mehr . Wie wollen Sie dieses Ziel der De-karbonisierung erreichen, und wie soll dieses Bündel anMaßnahmen, von dem Sie gesprochen haben, aussehen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513188
(C)
(D)
Herr Barthle .
N
Herr Kollege Gastel, das alles in extenso darzustellen,
ist sicherlich nicht Aufgabe der Fragestunde; aber ich
verweise auf die Nationale Plattform Elektromobilität,
auf der verschiedene Maßnahmen abgesprochen und ini-
tiiert werden, und auf die intensiven Anstrengungen, die
wir unternehmen, um alternative Antriebstechnologien
voranzubringen . Wir sind überzeugt, dass es uns gelingen
wird, dieses Ziel zu erreichen . Wir sind noch nicht in der
Markthochlaufphase angekommen, aber die Markterpro-
bung ist abgeschlossen . Warten Sie das Jahr 2020 einmal
ab; wir werden sehen, wo wir dann stehen werden . Es
gibt Bereiche, in denen wir sehr gut vorankommen . Den-
ken Sie zum Beispiel an die Elektrifizierung des Radver-
kehrs: Hier haben wir die Erwartungen weit übertroffen;
bereits eine halbe Million Elektrofahrräder sind auf dem
Markt . Das hat man so nicht erwarten können . Warten
Sie ab, was in den übrigen Verkehrsbereichen noch ge-
schieht .
Vielen Dank . – Ich rufe die Frage 5 der Kollegin Lisa
Paus auf:
Inwieweit und bei wie vielen Fahrzeugen erwartet die Bun-
desregierung, dass Softwareänderungen bzw . Anpassungen
des Motors in der vom Kraftfahrt-Bundesamt angeordneten
Rückrufaktion aufgrund zu niedrig ausgewiesener Stickoxid-
werte in Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns eine Neube-
rechnung der CO2-Emissionen erforderlich machen?
Herr Barthle, bitte .
N
Frau Kollegin Paus, Aussagen zu möglichen Änderun-
gen der CO2-Emissionswerte bei den betroffenen Fahr-
zeugen können erst getroffen werden, wenn Volkswagen
dem Kraftfahrt-Bundesamt vorschriftenkonforme Fahr-
zeuge für die Nachträge zur Typengenehmigung vorge-
stellt hat .
Frau Paus .
Ich hatte mich mit meiner Frage ausdrücklich auf
die ersten bekanntgewordenen Fälle bezogen, also auf
das Thema Diesel . Sie sind jetzt nicht nur in intensiven
Prüfungen, sondern auch in intensiven Gesprächen mit
VW . Deswegen würde ich gerne Folgendes wissen: Die
Rückrufaktion ist anberaumt . Sie soll im Januar nächsten
Jahres starten . Wissen Sie etwas darüber, welche verän-
derten Eigenschaften die Autos danach haben werden?
Es sind ja zwei Varianten denkbar . Die eine Variante ist:
Die Autos werden zwar richtig getestet, aber der Stick-
oxidausstoß ist sehr hoch . Die andere Variante ist: Die
Autos haben geringere Stickstoffausstöße . Die Testver-
fahren haben ja gezeigt, dass das grundsätzlich möglich
ist . Inwieweit sind Sie mit VW in Gesprächen darüber?
Können Sie mir sagen, welche Eigenschaften die Autos
haben werden?
Herr Barthle .
N
Was wir wissen, ist, dass sich die Rückrufaktion zu-
nächst einmal auf die betroffenen Dieselaggregate be-
zieht . Es ist wohl so: Bei den 2-Liter-Aggregaten kann
und muss die Software verändert werden, und damit ist
das Problem behoben . Für die Fahrzeuge mit 1,6-Li-
ter- und 1,2-Liter-Aggregaten sind andere Verfahren zur
Mängelbehebung notwendig . Was im Detail zu machen
ist und wie das im Detail zu machen ist – da müssen wohl
auch mechanische Teile ausgetauscht werden –, das wis-
sen wir noch nicht . Daran arbeitet VW noch .
Frau Paus .
Ich stelle fest: Sie wissen nichts darüber, und Sie set-
zen sich auch nicht dafür ein, dass am Ende der Stick-
stoffausstoß im Realbetrieb tatsächlich niedriger liegen
wird .
Meine zweite Frage ist aber eine andere . Nach allem,
was ich gelesen habe, stelle ich fest: Es gibt einen Zu-
sammenhang zwischen dem Stickstoffausstoß und den
CO2-Emissionen; auch damit wird ein Teil der Manipu-
lation erklärt . Die Aussage der Techniker, mit denen ich
gesprochen habe, ist, dass die leistungsfähigen Abgas-
filter zulasten des Verbrauchs gehen. Ich gehe also da-
von aus: Wenn Änderungen beim Filtern von Stickoxi-
den vorgenommen werden, dann müssten sich auch die
CO2-Werte ändern, gegebenenfalls steigen diese . Teilt
die Bundesregierung die technische Auskunft, die ich ge-
rade vorgetragen habe?
Herr Barthle, bitte .
N
Ihre Bewertungen teile ich überhaupt nicht . Ich stel-le fest: Wir sind intensiv dabei, die Vorfälle mit demVW-Konzern aufzuklären und transparent zu machen .Der VW-Konzern hat uns gesagt: Der 21 . Oktober istder Stichtag für die 2,0-Liter-Aggregate . Darauf beziehtsich auch die Nachrufaktion, die vom KBA begleitetwird . Wir haben VW zudem aufgefordert, für die kleine-ren Motoren ebenfalls einen Zeitplan vorzulegen . Daranwird aber noch gearbeitet . Wir haben ein hohes Interessedaran, dass die Vorfälle möglichst schnell aufgeklärt unddie Mängel behoben werden .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13189
(C)
(D)
Meine Frage war keine wertende, sondern technischer
Natur . Sie lautete: Sieht die Bundesregierung einen Zu-
sammenhang zwischen dem Stickoxidausstoß und dem
CO2-Ausstoß?
N
Die Manipulation des Stickoxidausstoßes bei den be-
troffenen Motoren wurde durch einen Abschaltmechanis-
mus erreicht, der in einem bestimmten Messzustand den
entsprechenden Faktor korrigiert, sodass die Grenzwerte
für Stickoxide eingehalten werden . Das hat aber nichts
mit der Messung des CO2-Ausstoßes zu tun .
Herr Krischer, bitte .
Die Beantwortung der letzten Frage hat deutlich ge-
macht, dass Sie kein Verständnis für das Problem haben .
Sie haben das Problem auch nicht richtig erkannt .
Ich möchte an die Frage des Kollegen Gastel anschlie-
ßen, der nach den Mitgliedern der Kommission gefragt
hat . Ich frage Sie noch einmal ganz konkret: Wie heißen
die Mitglieder der Kommission, die seit Bekanntwerden
des VW-Skandals die Vorgänge untersuchen? Wenn Sie
uns die Namen hier nicht nennen können oder wollen,
dann bitte ich, zu erklären, warum . Ich bitte um eine Er-
läuterung . Nach sieben Wochen wäre es an der Zeit, der
Öffentlichkeit zu sagen, wer genau untersucht . Ich rede
gar nicht vom Untersuchungsauftrag oder vom Ziel; das
verraten Sie uns sowieso nicht . Nennen Sie uns wenigs-
tens die Namen der Mitglieder der Kommission und ihre
Funktionsbezeichnung .
Herr Barthle, bitte .
N
Diese Information liegt mir nicht vor, Herr Krischer,
deshalb kann ich Ihnen die Namen der Mitglieder auch
nicht nennen . Wenn Sie die Regierung vorführen wollen,
dann fragen Sie am besten auch nach der Haarfarbe, dem
Geburtstag und Ähnlichem .
Kollege Krischer hat nicht nach der Haarfarbe gefragt,
sondern nach den Namen . Dass Sie die Frage nicht beant-
worten können, weil Ihnen die Namen nicht vorliegen,
haben Sie gesagt .
N
So ist das .
Dann stellt Frau Höhn jetzt noch eine Frage .
Herr Staatssekretär, dass Sie die Frage nach den Mit-
gliedern nicht beantworten können, spricht möglicher-
weise gegen Ihre Kenntnis des Hauses .
Bundestagspräsident Lammert hat eingefordert, dass
Abgeordnete Transparenz bekommen, zum Beispiel in
Bezug auf das Freihandelsabkommen . Daher frage ich
Sie: Wieso verweigert das Ministerium, uns die Frage
nach den Mitgliedern der Kommission zu beantworten?
Wenn Sie diese Frage heute nicht beantworten können,
dann erwarte ich, dass Sie sie schriftlich beantworten .
Ansonsten widersprechen Sie dem, was der Bundestags-
präsident von der amerikanischen Regierung und von der
Europäischen Kommission gefordert hat . Das ist eine ab-
solute Frechheit .
Herr Barthle, bitte .
N
Frau Kollegin Höhn, das ist keine Frage, sondern eine
Meinungsäußerung, die ich mit Abscheu und Empörung
zurückweise .
Die Bitte war, dass Sie, wenn Sie die Namen kennen,
diese dem Parlament zur Verfügung stellen .
Ich rufe Frage 6 des Kollegen Oliver Krischer auf:
Mit welchen Vertretern der US-Regierung bzw . nachgeord-
neter Behörden hat sich das Bundesministerium für Verkehr
und digitale Infrastruktur im Rahmen der USA-Reise von
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt in der 44 . Kalen-
erstmalig von den weiteren Ermittlungen der US-Umweltbe-
hörde EPA gegen weitere Dieselmotoren bei Volkswagen er-
fahren?
N
Herr Kollege Krischer, im Rahmen der USA-Reisevon Herrn Bundesminister Dobrindt fanden folgendeGesprächstermine statt: beim Department of Transporta-tion mit Secretary Anthony Foxx und weiteren Gespräch-steilnehmern, Gesprächsinhalt waren NOX, ThematikVW und weitere verkehrsrelevante Themen; dann einGespräch mit EPA-Administratorin Gina McCarthy undweiteren Teilnehmern, Gesprächsinhalt NOX und Thema-tik VW; dann mit dem Department of State, mit UnderSecretary Catherine Novelli, Gesprächsinhalt NOX, The-matik VW und weitere verkehrsrelevante Themen .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513190
(C)
(D)
Die Bundesregierung wurde über die Botschaft inWashington erstmals am 2 . November 2015 von denUS-Behörden informiert, dass weitere Vorwürfe gegenVolkswagen erhoben werden .
Vielen Dank, Herr Barthle . – Herr Krischer, bitte .
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin . – Eine Bemerkung
noch zum Thema „Namen der Mitglieder der Kommissi-
on“ . Dass Sie die Namen hier jetzt nicht nennen können,
halte ich für eine Impertinenz . Ich sage das sehr deutlich .
Wir haben dreimal schriftlich bei Ihnen nachgefragt . Da-
raufhin haben Sie die Namen schriftlich nicht genannt .
Wenn Sie das jetzt hier mündlich wieder nicht können,
kann ich nur daraus schließen: Sie wollen es nicht . Sie
liefern keine Begründung dafür, warum Sie sie nicht nen-
nen . Das ist das Gegenteil von Transparenz gegenüber
dem Parlament und der Öffentlichkeit . Das möchte ich
hier einfach nur einmal klarstellen .
Meine Nachfrage zum Besuch von Herrn Dobrindt in
den USA . In der Tat hat es unmittelbar nach dem Besuch
von Herrn Dobrindt weitere Vorwürfe der EPA gegen-
über weiteren Automobilunternehmen gegeben . Also, da
ist nicht nur VW betroffen, sondern auch Porsche und an-
dere . Es sind auch andere Motorentypen betroffen . Mich
würde interessieren: Welche konkreten Schlussfolgerun-
gen haben Sie aus diesen Vorwürfen gezogen? Was kon-
kret haben Sie veranlasst, um selber zu diesen Vorwürfen
Stellung nehmen zu können?
Herr Barthle, bitte .
N
Herr Kollege Krischer, Sie haben zunächst einmal
recht . Da ging es um Motoren, die eingebaut sind in den
VW Touareg, Modelljahr 2014, in den Porsche Cayen-
ne, Modelljahr 2015, in die Audi-Modelle A6 quattro, A7
quattro, A8, A8 L und Q5 . Die Untersuchungen wurden
in Amerika auf diese Fahrzeuge ausgeweitet, weil eine
falsche Dokumentation vorgelegt wurde . Dabei handelt
es sich um eine mangelnde Dokumentation innerhalb des
Zertifizierungsverfahrens. Wir haben das Kraftfahrt-Bun-
desamt angewiesen, die Überprüfungen auch auf diese
Fahrzeuge auszuweiten . Das geschieht derzeit .
Herr Krischer .
Herzlichen Dank für die Antwort . – Mich würde jetzt
an dieser Stelle interessieren: Haben Sie bei Ihrem Be-
such in den USA die EPA konkret nach weiteren Vorwür-
fen, nach weiteren Motoren gefragt? Ist das zur Sprache
gekommen? Hat die EPA einfach nicht darauf geantwor-
tet? Oder war das gar kein Gegenstand der Gespräche,
sodass die Information Sie – so haben Sie es ja eben er-
läutert – erst zwei Tage später über die Botschaft erreicht
hat? Es ist ja ein bisschen verwunderlich, wenn der deut-
sche Verkehrsminister mit Vertretern der Behörde spricht
und das gar nicht erwähnt wird und die Informationen
nicht weitergegeben werden, dann aber zwei Tage später
die Botschaft informiert wird . Deshalb meine Frage: Ha-
ben Sie konkret nach weiteren Vorwürfen, nach weiteren
Ermittlungen der EPA gefragt?
N
Da ich bei dieser Reise nicht dabei war, kann ich auch
nicht persönlich gefragt haben . Ich wiederhole, dass uns
diese Informationen erstmals am 2 . November erreicht
haben .
Wir kommen jetzt zur Frage 7 des Abgeordneten
Oliver Krischer:
Woraus bestanden die Nachprüfungen des Kraftfahrt-Bun-
desamts an „über tausend“ Fahrzeugen bzw . Fahrzeugtypen
gaswerten fanden dabei statt?
Ich habe schon gesehen, dass es einige Rückfragen
gibt . Aber es sind auch noch einige Fragen zu beantwor-
ten . Deswegen Oliver Krischer, und ich sehe schon, wer
sich noch gemeldet hat .
N
Herr Kollege Krischer, zur Frage 7: Im Zeitraum
2010 bis 2015 wurden fast 1 100 Nachprüfungen zu den
vom Kraftfahrt-Bundesamt erteilten Typengenehmigun-
gen vorgenommen . Die Unternehmungen des Kraft-
fahrt-Bundesamtes finden im Rahmen der entsprechen-
den Rechtsvorschriften statt . Im Übrigen wird auf die
Antwort der Bundesregierung zu den Fragen 20 und 21
der Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen, Drucksache 18/5656, verwiesen .
Herr Krischer .
Herr Staatssekretär, für diese Antwort danke ich Ihnenleider nicht . Denn es ist genau dieselbe Antwort, die Sieuns schriftlich gegeben haben . Ich habe konkret gefragt .Aber Sie verweisen wieder auf eine Nichtantwort aufeine schriftliche Frage . Das ist Ihre Form von Transpa-renz .Ich hätte gerne gewusst, was bei den einzelnen Nach-prüfungen überprüft worden ist . Hat man da Stickoxidenachgemessen? Hat man da CO2 gemessen? Hat man daüberhaupt gemessen? Oder haben diese Nachprüfungendarin bestanden, dass man sich irgendwelche Unterla-gen angeguckt hat? Oder hat die Nachprüfung nur da-Parl. Staatssekretär Norbert Barthle
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13191
(C)
(D)
rin bestanden, dass da irgendein Stempel draufgemachtworden ist? Ich bitte Sie um eine konkrete Erläuterung:Hat es im Rahmen dieser Nachprüfungen Messungen zuStickoxiden und CO2 gegeben?
Herr Barthle .
N
Einen kleinen Augenblick; ich will korrekt antwor-
ten . – Das Kraftfahrt-Bundesamt, Herr Kollege Krischer,
wurde ja von uns angewiesen, alle auf dem deutschen
Markt befindlichen Dieselkraftfahrzeuge zu überprüfen.
Das geschieht derzeit . Es sind, wenn ich es richtig im
Kopf habe, mehr als 50 unterschiedliche Fahrzeugmo-
delle .
Da werden selbstverständlich die Abgaswerte nachge-
messen . Ergebnisse liegen uns noch nicht vor . Es gibt
lediglich Rohdaten . Das habe ich auch heute früh im
Ausschuss schon dargelegt; das können Sie gerne im
Ausschussprotokoll nachlesen . Uns liegen, wie gesagt,
bislang nur Rohdaten vor . Diese Rohdaten müssen über-
prüft und mit denen der Hersteller abgeglichen werden .
Die Ergebnisse werden dann in den Abschlussbericht der
Kommission, der sicherlich auch veröffentlicht wird, ein-
fließen.
Herr Krischer, zweite Zusatzfrage .
Herr Barthle, langsam fasse ich es nicht mehr . Ich habe
nicht gefragt, welche Nachprüfungen Sie nach Bekannt-
werden des VW-Skandals durchgeführt haben; das ist ein
anderer Themenkomplex . Hier geht es um die Frage, was
im Zeitraum vorher geschehen ist . Dazu haben Sie selber
eben gesagt, es habe 1 500 Nachprüfungen gegeben .
N
Nicht 1 500, sondern 1 100 .
Ich stelle Ihnen noch einmal die Frage – dazu gibt es
eine mündliche Frage, die schriftlich gestellt worden ist,
und mehrere schriftliche Fragen –: Was genau ist da un-
tersucht worden? Das ist eigentlich eine ganz einfache
Frage . Nun erläutern Sie uns das doch einmal! Sind da
Stickoxide und CO2 gemessen worden?
Herr Barthle .
N
Bei diesen Nachprüfungen – insgesamt fast 1 100,
nicht 1 500 – werden die Dinge nachgeprüft, die Teil der
Typengenehmigungsverordnung sind . Sie richten sich
immer nach der Typengenehmigungsverordnung .
– Wenn es sich um Verbrauchswerte oder um Abgaswerte
handelt, dann geht das nur, indem man misst . Also wurde
mit Sicherheit auch gemessen .
Vielen Dank . – Herr Kühn .
N
Diese Frage habe ich übrigens in der letzten Frage-
stunde schon einmal genauso beantwortet .
Herr Kühn .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Meine Nachfrage bezieht sich auf die Frage 6 . Ich hof-
fe, dass ich sie noch stellen darf .
Dann fallen andere weg . – Aber bitte, machen Sie!Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Sie haben mir, Herr Staatssekretär, in der letzten Wo-che auf meine Frage nach den Gesprächen und der bila-teralen behördlichen Zusammenarbeit geantwortet – Zi-tat –:Der gute Informationsaustausch zwischen den deut-schen und amerikanischen Behörden wird fortge-setzt .Wenn dieser Informationsaustausch so gut ist, wundereich mich über Folgendes: Das ICCT ist ja im Herbst 2014auf die Abweichung zwischen Labor- und Straßenwertengekommen, die es sich nicht erklären konnte . Daraufhinhat die EPA angefangen, dem nachzugehen . Die Untersu-chung, die die EPA daraufhin durchgeführt hat, und dieGespräche mit VW, die dann stattgefunden haben, sindaber nicht in guter behördlicher Zusammenarbeit undgutem Informationsaustausch an die deutschen Behördengegangen . Können Sie mir erklären, wie man von einemguten Informationsaustausch zwischen deutschen undamerikanischen Behörden sprechen kann, wenn die In-formation, dass die EPA den Ergebnissen der ICCT-Stu-die nachgeht, in Deutschland angeblich nicht bekanntgeworden ist? Das verstehe ich nicht . Das ist für michein Widerspruch .Oliver Krischer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513192
(C)
(D)
Herr Barthle .
N
Herr Kollege Kühn, ich kann gern wiederholen: Wir
haben Erkenntnisse über Manipulationen zu den Zeit-
punkten bekommen, die ich hier schon mehrfach darge-
legt habe, und nicht zuvor .
Dann kommen wir zur Frage 8 des Kollegen Gastel:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der
Auffassung der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH ,
dass der Flughafen Berlin Brandenburg kein interna-
und mit welchen finanziellen Folgen für die Wirtschaftlichkeit
des BER rechnet die Bundesregierung?
Herr Barthle, bitte .
N
Herr Kollege Gastel, die Bundesregierung erwar-
tet, dass die operativ zuständige Geschäftsführung der
Flughafen Berlin Brandenburg GmbH den gesellschafts-
rechtlich zuständigen Gremien der Flughafen Berlin
Brandenburg GmbH den Sachverhalt einschließlich der
wirtschaftlichen Folgen erläutern wird .
Herr Gastel .
Das ist natürlich eine super Antwort .
N
Danke .
Ich habe mehrere Nachfragen . Deswegen muss ich mir
jetzt gut überlegen, welche zwei Nachfragen ich stelle .
Eine Minute!
Genau . – Meine erste Frage ist: Steht nach Erkennt-
nis der Bundesregierung der Inbetriebnahmetermin
Herbst 2017?
N
Nach Erkenntnis der Bundesregierung und nach Aus-
sage von Herrn Mühlenfeld steht dieser Termin .
Zweite Nachfrage .
Meine zweite Nachfrage: Die Deutsche Bahn hat
ihre Strecke zum BER und ihren Bahnhof unter dem
BER schon vor einiger Zeit fertiggestellt . Logischerwei-
se kann sie dort aber noch keinen Betrieb durchführen .
Trotzdem muss sie dort regelmäßig Züge fahren lassen,
damit die Metalle, die dort verbaut wurden, nicht rosten,
wodurch Kosten entstehen .
Die DB hat jetzt eine Klage gegen die Betreiberge-
sellschaft des Flughafens eingereicht, weil der Bahnhof
nicht in Betrieb gehen kann . Was ist dazu die Meinung
der Bundesregierung?
N
Die Meinung der Bundesregierung dazu ist, dass wir
abwarten, wie dieses Gerichtsverfahren endet .
Herr Ströbele .
Danke, Frau Präsidentin . – Herr Staatssekretär, ich
komme da auch manchmal vorbei und sehe dann – vor
allen Dingen abends – die Beleuchtung . Das sieht wie
ein riesiges Schloss aus und ist faszinierend . Ich kann mir
vorstellen, dass das viele Reisende, die dort ankommen,
auch sehen .
Kann man dieses Gebäude, das seit Jahren leer steht
und wahrscheinlich noch ein paar weitere Jahre leer ste-
hen wird, nicht für etwas Nützliches verwenden? Wir
wissen, dass jeden Monat über 30 Millionen Euro dafür
ausgegeben werden . Das ist unter anderem auch Bun-
desgeld . Würden Sie befürworten, dass beispielsweise
Flüchtlinge jedenfalls in den Bereichen untergebracht
werden, wo sie vor einem Einsturz des Daches und einem
Herunterfallen der Heizung sicher sind?
Interessante Frage . – Herr Barthle .
N
Herr Ströbele, dazu kann ich Ihnen keine Auskünfte
geben; denn es liegt nicht im Ermessen der Bundesregie-
rung, wie da verfahren wird .
Vielen Dank . – Die Frage 9 der Kollegin VeronikaBellmann wird schriftlich beantwortet .
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13193
(C)
(D)
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbe-reichs . – Herr Barthle, ich danke Ihnen für die Antwor-ten . Sie sind nach diesen wenigen Fragen jetzt fertig .Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re-aktorsicherheit . Zur Beantwortung steht die Parlamen-tarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter zurVerfügung . – Herzlich willkommen .Die Frage 10 der Abgeordneten Bärbel Höhn und dieFragen 11 und 12 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhlwerden schriftlich beantwortet .Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Peter Meiwald auf:Werden die Einträge von Mikroplastik in die Umwelt nachEinschätzung der Bundesregierung durch die Einführung desWertstoffgesetzes verringert, wie von den Regierungsfraktio-nen in der Beratung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen „Freisetzung von Mikroplastik beenden“ behauptet
,
und, wenn ja, durch welche konkreten Regelungen des vorlie-genden Arbeitsentwurfes für ein Wertstoffgesetz wird ein sig-nifikanter Rückgang der Mikroplastikeinträge in die Umweltaus Sicht der Regierung erwartet?Frau Staatssekretärin, bitte .Ri
Sehr geehrter Herr Kollege Meiwald, ich antwor-
te Ihnen wie folgt: Wesentliche Voraussetzung für eine
Verminderung des Eintrags von sogenanntem sekundär-
en Mikroplastik aus zerkleinerten bzw . fragmentierten
Kunststoffprodukten in die Umwelt – und insbesondere
in Gewässer – ist eine geordnete Abfallentsorgung .
In Deutschland haben wir das bereits erreicht . Durch
die flächendeckende Erfassung von Abfällen, hohe Ver-
wertungsquoten und Anreize zur Abfallvermeidung ist
ein Eintrag von Kunststoffabfällen in die Gewässer weit-
gehend ausgeschlossen . Der bestehende abfallrechtliche
Rahmen wird auch in dieser Legislaturperiode weiterent-
wickelt, unter anderem mit dem geplanten Wertstoffge-
setz . Er soll dazu führen, dass in Produktverantwortung
der Hersteller und Vertreiber im Bereich der sogenannten
Post-Consumer-Siedlungsabfälle noch mehr Kunststoff-
abfälle gesammelt und aufgrund deutlich gesteigerter
Recyclinganforderungen einer hochwertigen wertstoffli-
chen Verwertung zugeführt werden .
Weiter gehende spezielle Regelungen, die zu einem
in der Frage angesprochenen signifikanten „Rückgang
der Mikroplastikeinträge in die Umwelt“ führen würden,
sind im Arbeitsentwurf für ein Wertstoffgesetz nicht vor-
gesehen und in diesem Kontext auch nicht erforderlich .
Herr Meiwald, bitte .
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . – Sie sagen, dass
Sie es nicht über das Wertstoffgesetz regeln wollen – das
habe ich mir ja schon fast gedacht, aber der Kollege aus
der Koalition sprach in der ersten Debatte über unseren
Antrag davon, es dort zu regeln –, daher frage ich Sie:
Welche Ziele zur Verringerung der Einträge von Mikro-
plastik in die Umwelt hat die Regierung denn sonst wo
formuliert, und mit welchen Programmen soll eine Redu-
zierung in Kürze erreicht werden, insbesondere nachdem
die UBA-Untersuchung dargestellt hat, dass zum Bei-
spiel aus Reifenabrieb ein signifikanter Teil von Mikro-
plastik in die Umwelt kommt? Über welche gesetzlichen
Vorhaben soll das geregelt werden?
Frau Staatssekretärin .
Ri
In der Plenardebatte ging es vor allem um Plastiktü-
ten . In der Zwischenzeit sind wir durch die Diskussio-
nen im politischen Umfeld und in der Gesellschaft er-
heblich weitergekommen, und zwar dahin gehend, dass
ein freiwilliges Entgelt verlangt werden soll . Ich denke,
das war das Hauptproblem . Damals hieß es ja: Wenn das
Ziel auf freiwilligem Wege nicht erreicht werden kann,
dann könnte man es im Wertstoffgesetz entsprechend
verankern . Aber es deutet ja alles darauf hin, dass eine
freiwillige Lösung möglich ist, mit der ein Entgelt für
Plastiktüten vom Verbraucher verlangt wird .
Zum Reifenabrieb und damit Eintrag von sekundärem
Mikroplastik: Es ist natürlich schwierig, das im Wert-
stoffgesetz zu verankern, weil der Abrieb während des
Betriebs passiert . Insofern erübrigt sich das .
Herr Meiwald zu einer weiteren Rückfrage .
Dass sich das nicht über das Wertstoffgesetz regeln
lässt, ist relativ offensichtlich . Aber meine Frage laute-
te: Welche weiter gehenden gesetzlichen Vorstellungen
haben Sie, dieses Problem in den Griff zu bekommen?
Daneben stellt sich natürlich die Frage des primären
Mikroplastiks aus Kosmetika . Dazu gibt es ja bis jetzt
noch keine freiwillig verbindliche Regelung . Das BMUB
hat am 26 . Juli getwittert: „Unsichtbar und gefährlich für
Tier & Umwelt: Mikroplastik in Kosmetik .“ Deshalb
meine Frage: Welche Maßnahmen sind da jetzt geplant?
Ri
Lieber Herr Kollege Meiwald, wir hatten einen soge-nannten Kosmetikdialog . Die Industrievertreter habenuns glaubhaft versichert, einen Komplettausstieg aus derVerwendung von Mikroplastikteilchen anzustreben .Zu Ihrer Frage, welche Maßnahmen wir bezüglichdes Reifenabriebs vorhaben: Da sind mir bisher keinebekannt .Vizepräsidentin Claudia Roth
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513194
(C)
(D)
Vielen Dank .
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Bildung und Forschung . Die Fragen 14
und 15 des Abgeordneten Kai Gehring werden schriftlich
beantwortet .
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung .
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Uwe Kekeritz
auf:
Mit welcher Begründung unterstützt die Bundesregierung
den derzeit diskutierten Vorschlag im Rahmen des Vallet-
ta-Gipfels, dass Gelder der Entwicklungszusammenarbeit an
die Bereitschaft der Partnerländer zur Rückübernahme und
sie in diesem Zusammenhang die Kooperation unter anderem
mit autoritären Regimen wie etwa Eritrea?
Herzlich willkommen, Hans-Joachim Fuchtel, zur Be-
antwortung der Frage .
Ha
Diese Frage gibt Anlass zu einer wichtigen Klarstel-
lung, Herr Kollege . Der „More for more“-Ansatz ist im
Zusammenhang mit dem Valetta-Gipfel auf gar keinen
Fall als Konditionierung von Entwicklungszusammenar-
beit zu verstehen .
Zu Eritrea: Eine Zusammenarbeit mit Eritrea besteht
derzeit nicht . Gleichwohl ist Eritrea ein Land, aus dem
zurzeit der größte Teil afrikanischer Flüchtlinge stammt .
Daher müssen Dialogstrukturen aufgebaut werden . Das
wird bei dieser Konferenz auch geschehen .
Kollege Kekeritz .
Danke schön für die Antwort .- Der „More for mo-
re“-Ansatz ist also Ihrer Angabe nach nicht im Zusam-
menhang mit Entwicklungspolitik zu verstehen . Dann
verstehe ich aber den Begriff „More for more“ nicht . Die
Aussage von Thomas de Maizière – er scheint ja jetzt
die Politik dieser Regierung zu bestimmen; er wurde
darin ja auch von Herrn Schäuble unterstützt – ist ganz
klar: Wenn Länder zum Beispiel aus Afrika bereit sind,
mehr Flüchtlinge zurückzunehmen, die von uns zurück-
geführt werden, dann wird diese Regierung auch mehr
Entwicklungsgelder bereitstellen . Das verstehe ich jetzt
also nicht .
Zur Aussage zu Eritrea, es gehe um den Treuhand-
fonds: Es gibt ein Papier der EU-Kommission, wonach
Eritrea und Sudan in Zukunft die Partner sein werden .
Insofern verstehe ich nicht Ihre Aussage, dass Sie mit
diesen Ländern nicht verhandeln . Ich muss Ihnen ja wohl
nicht erklären, dass sowohl im Sudan als auch in Eritrea
Diktatoren an der Regierung sind, die Ursache für die
Fluchtbewegungen sind .
Herr Fuchtel, bitte .
Ha
Der Prozess von Valletta ist sehr breit angelegt . Er hat
natürlich auch alles, was die Fluchtbewegungen betrifft,
zum Inhalt . Natürlich ist es das Ziel, diese Bewegungen
einzudämmen . Man möchte vor allem, dass Afrika künf-
tig einen aktiven Part übernimmt und vor allem die Pro-
blematiken, die sich in diesem Zusammenhang auftun,
als gemeinsame Anliegen sieht und damit künftig kon-
zeptionell eine bessere Zusammenarbeit möglich ist .
Wir werden das nicht nur durch den gerade genann-
ten Fonds unter Beweis stellen, sondern wir werden auch
viele weitere Maßnahmen treffen, die sich dort einfügen
und die die Aussage, die ich gerade gemacht habe, unter-
streichen .
Herr Kollege Kekeritz .
Danke schön . – Eine zweite Frage . Die Bundesregie-
rung äußert sich immer öffentlich, dass sie jetzt Fluchtur-
sachen ganz massiv bekämpfen will . Eine Fluchtursache
ist natürlich der Krieg . Ich weiß nicht, ob Sie da aktiv
werden können, vermutlich nicht . Aber es wäre für uns
hochinteressant, von Ihnen die Fluchtursachen ganz
klar definiert zu bekommen. Bisher wird immer nur von
Fluchtursachen gesprochen, ohne diese zu benennen .
Eine Antwort, die Sie darauf geben, ist: Sie wollen die
Mittel für Ausbildungsprogramme verstetigen und erhö-
hen . Dafür bin ich voll und ganz . Aber wir müssen auch
der Tatsache ins Auge schauen, dass Ausbildungspro-
gramme im Rahmen der Entwicklungshilfe seit 50 Jah-
ren durchgeführt werden und diese offensichtlich doch
nicht dazu geführt haben, Fluchtursachen zu bekämpfen .
Was macht Sie so optimistisch, zu glauben, dass jetzt ein
bisschen mehr Ausbildungsprogramme tatsächlich ein
wesentlicher Beitrag zur Bekämpfung von Fluchtursa-
chen sind?
Herr Staatssekretär .
Ha
Herr Kollege, Sie sind mit diesen Fragen sehr vertraut .Aus diesem Grund brauche ich Ihnen nicht zu erläutern,dass Fluchtursachen sehr vielfältige Gründe haben . Dasfängt bei Hunger an und geht über ein verändertes Klimabis hin zu vielen anderen Bereichen . Wenn es bis jetztnoch nicht gelungen ist, dagegen genügend Maßnahmen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13195
(C)
(D)
zu ergreifen, dann ist es höchste Zeit – das sollte auch inIhrem Interesse sein –, dass das geschieht . Genau dazuwird jetzt in Valletta ein ernsthafter Anlauf genommen .Geben Sie bitte diesem Bemühen parteiübergreifend eineChance .
Vielen Dank . – Ich sehe keine weiteren Wünsche nach
Zusatzfragen . Dann kommen wir zum Ende dieses Ge-
schäftsbereichs . – Entschuldigung, es war keine böse
Absicht, Sie zu übersehen . – Bitte schön, Frau Kollegin
Pfeiffer .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . Es tut weh, wenn man
übersehen wird . Aber ich habe es ja noch gerade ge-
schafft .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie werden Gelder zur Verfügung gestellt? Werden mehr
Mittel zur Verfügung gestellt? Natürlich ist die Sonder-
ini tiative „Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge rein-
tegrieren“ eine der haushalterisch und monetär wichtigs-
ten Maßnahmen, die wir haben . Deshalb stellt sich für
mich die Frage: Ist es nicht richtig und wichtig, genau
in diesem Zusammenhang auch das Thema Bildung und
Ausbildung zu fördern?
– Herr Kekeritz sollte zuhören . Das war eine ganz wich-
tige Frage, aber das interessiert ihn dann doch nicht . –
Wenn wir Fluchtursachen bekämpfen wollen, geht es
auch darum, wie wir die Länder weiter wirtschaftlich un-
terstützen und zum Erfolg führen können . Genau das ist
der richtige Ansatzpunkt .
Ha
Ich möchte das noch einmal unterstreichen . Beispiels-
weise gibt es heute von VENRO eine Pressemitteilung,
in der darauf hingewiesen wird, dass es eine langfristi-
ge Aufgabe ist . Deswegen habe ich hier so deutlich auf-
geführt, dass es neben diesen Fragestellungen, die die
Fluchtbewegungen ganz konkret betreffen, bei denen es
auch darum geht: „Was kann man tun, um die Schleuser-
probleme besser in den Griff zu bekommen?“, genauso
um langfristige Fragestellungen geht .
Bislang gab es in 18 Ländern Afrikas Maßnahmen der
beruflichen Bildung.
Hieraus muss man jetzt die Lehren ziehen, nach dem
Motto „lesson learnt“, darauf aufbauen und mit neuen
Impulsen und Akzenten Hoffnung geben . Denn eines der
wichtigsten Dinge ist, dass die Menschen die Hoffnung
haben, dass sie vor Ort eine Chance bekommen . Dazu
gehört im Übrigen auch, dass wir uns, was bisher wenig
getan wurde, viel stärker mit Ausbildungsmöglichkeiten
und entsprechenden Angeboten für Rückkehrer befassen .
Genau das gehört auch zur gesamten Strategie, die die
Bundesregierung verfolgt .
Vielen Dank . – Es gibt jetzt keine weiteren Fragen
mehr .
Noch einmal zur Erklärung, Frau Kollegin Pfeiffer:
Nach unserer Geschäftsordnung darf der Fragesteller
oder die Fragestellerin zwei Zusatzfragen stellen, jeder
andere Abgeordnete eine Frage .
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs .
Ich bedanke mich beim Parlamentarischen Staatssekretär
Fuchtel für die geduldige Beantwortung der Fragen .
Ich rufe den Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin
und des Bundeskanzleramtes auf .
Die Frage 17 der Abgeordneten Bärbel Höhn wird
schriftlich beantwortet .
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Wirtschaft und Energie auf . Zur Beantwor-
tung steht der Parlamentarische Staatssekretär Uwe
Beckmeyer zur Verfügung .
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Uwe Kekeritz
auf:
Was versteht die Bundesregierung unter Verhältnismäßig-
keit, wenn sie im Rahmen der Ratsarbeitsgruppe „Handelsfra-
gen“ in Bezug auf verbindliche Regelungen in den Lieferket-
ten sogenannter Konfliktmineralien angibt, diese für geeignet
zu halten, „wenn sie verhältnismäßig“ sind, und wie setzt sich
die Bundesregierung für verbindliche soziale, ökologische
und menschenrechtliche Standards im sogenannten Down-
stream-Bereich der Lieferkette – also von der Schmelze zum
Produkt – ein ?
Bitte schön, Herr Staatssekretär .
U
Frau Präsidentin! Ich beantworte die Frage von HerrnKekeritz wie folgt: Die Bundesregierung hat noch kei-ne Entscheidung für ein konkretes Modell getroffen,insbesondere dazu, wie weit die Verbindlichkeit reichensollte . Sie hat auch noch keine Festlegung in Bezug aufdie Frage der Verhältnismäßigkeit getroffen, um flexibelauf Vorschläge im Rahmen des Trilogs mit dem Europäi-schen Parlament und der Kommission zu reagieren .Die Achtung der Menschenrechte sowie hoher öko-logischer und sozialer Standards durch deutsche Unter-nehmen ist aus Sicht der Bundesregierung ein wichtigesAnliegen . Gemäß dem Auftrag aus dem Koalitionsver-trag entwickelt die Bundesregierung daher derzeit einennationalen Aktionsplan zur Umsetzung der VN-Leitprin-zipien für Wirtschaft und Menschenrechte . Die überwie-gende Mehrheit der deutschen Unternehmen erweist sichnach einer BDI-Studie bereits jetzt in ihren Auslandsin-vestments bei der Einhaltung von sozialen Standards alsvorbildlich und setzt international Maßstäbe .Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513196
(C)
(D)
Es gibt eine Reihe von Empfehlungen für verantwor-tungsvolles unternehmerisches Handeln in einem globa-len Kontext wie die „OECD-Leitsätze für multinationa-le Unternehmen“ und den „UN Global Compact“ . DieBundesregierung unterstützt die Unternehmen bei derUmsetzung ihrer Sorgfaltspflichten. Im Bereich der so-genannten Konfliktmineralien informiert die Bundesan-stalt für Geowissenschaften und Rohstoffe bereits heuteUnternehmen auf Anfrage sowie auf Veranstaltungenvon Unternehmensverbänden zu den internationalen An-forderungen und Initiativen zur Sorgfaltspflicht in Liefer-ketten mineralischer Rohstoffe .
Bitte schön, Herr Kollege Kekeritz .
Herr Beckmeyer, die Antwort verwirrt mich jetzt et-
was .
U
Das liegt an Ihnen .
Das kann schon sein, aber es liegt vielleicht auch an
Ihrer Antwort . – Mir liegt ein Drahtbericht der EU-Kom-
mission vor, in dem klar steht, dass das Wirtschaftsmi-
nisterium für verbindliche Standards im Bereich von
Konfliktmineralien eintritt – nun kommt das Wort „ver-
hältnismäßig“ –, wenn diese verbindlichen Standards
verhältnismäßig sind .
Sie sagen jetzt: Es gibt keinerlei Festlegungen der
Bundesregierung . – Das ist für mich sehr verwirrend .
Wie soll ich Ihnen Fragen stellen, wenn Sie einerseits sa-
gen, Sie hätten sich gar nicht festgelegt, aber andererseits
ein Drahtbericht der EU-Kommission vorliegt, in dem es
heißt, dass sich das Wirtschaftsministerium für Standards
ausgesprochen hat?
Wie mache ich jetzt weiter? Ich stelle Ihnen erst ein-
mal die Frage: Was würden Sie, sofern es zutrifft, dass
die Verbindlichkeit der Regeln festgelegt wird, unter
„Verhältnismäßigkeit“ verstehen? Ist damit die Verhält-
nismäßigkeit gegenüber den europäischen Industriellen
gemeint, oder ist es die Verhältnismäßigkeit gegenüber
jenen Menschen zum Beispiel im Kongo-Becken, die
unter lebensgefährlichen, sozial und ökologisch nicht ak-
zeptablen Bedingungen in Bergwerken arbeiten?
Herr Staatssekretär .
U
Herr Kekeritz, wenn Sie aufmerksam zugehört hät-
ten, hätten Sie festgestellt, dass ich bei meiner Antwort
gesagt habe, dass es uns um Flexibilität geht, vor allen
Dingen wenn wir im Rahmen des Trilogs auf Vorschläge
antworten und uns einbringen . Wie Sie wissen, gibt es ei-
nen Beschluss des Europäischen Parlaments . Sie kennen
sicherlich auch das Verhalten der einzelnen Mitgliedstaa-
ten . Wenn Ihnen ein Drahtbericht vorliegt, dann kennen
Sie wahrscheinlich auch andere Drahtberichte, aus denen
hervorgeht, wie sich die einzelnen Mitgliedstaaten in Eu-
ropa zurzeit aufgestellt haben . Die Bundesregierung und
die schwedische Regierung könnten sich für Verbindlich-
keiten aussprechen . Aber ein Großteil der anderen Mit-
gliedstaaten kann das eben nicht . Aus diesen verschie-
denen Positionen muss letztendlich etwas Verbindliches
gebildet werden; daran arbeiten wir zurzeit . Der Prozess
ist noch nicht zu Ende .
Sie haben mich gefragt, was in diesem Fall verbind-
lich und verhältnismäßig ist .
Die Redezeit ist jetzt verbindlich .
U
Der eine oder andere Jurist sagt dazu: geeignet, erfor-
derlich, angemessen .
Herr Kekeritz, Sie dürfen nur noch ganz schnell eine
weitere Zusatzfrage stellen; denn wir haben die Zeit für
die Fragestunde bereits überschritten .
Ganz schnell eine letzte Frage . – Es gibt eine Initiative
auf EU-Ebene . Plant die Bundesregierung, die nationalen
Transparenzrichtlinien zu verschärfen, um mehr Infor-
mationen über die Aktivitäten unserer Industrie in Bezug
auf die Lieferketten zu erhalten?
U
Herr Kekeritz, wir sind sogar einen Schritt weiter .
Wir haben gerade den Prozess der Bewerbung bei EITI
abgeschlossen . Wir haben unseren Antrag in Vorberei-
tung und wollen ihn zum Jahresende in Oslo abgeben,
sodass wir dann Vollmitglied in der Extractive Industries
Transparency Initiative sind . Wir sind aktuell dabei, uns
einzubringen, und wollen auf diesem Weg Korruption im
Rohstoffsektor verhindern; das ist unsere Position und
Politik . Daran arbeiten wir ganz gezielt und entschlossen .
Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Frage-stunde angelangt . Alle weiteren Fragen, die heute nichtbeantwortet werden können, werden gemäß unserer Ge-schäftsordnung schriftlich beantwortet .Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und desBerichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Im-munität und Geschäftsordnung
zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD,DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENParl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13197
(C)
(D)
Einsetzung des 3. UntersuchungsausschussesDrucksachen 18/6330, 18/6601Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .Ich darf an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen,dass wir im Laufe des späteren Nachmittags die Feier-lichkeiten anlässlich des 60 . Jahrestages der Bundeswehrhaben . Deshalb darf ich alle Kolleginnen und Kollegeneindringlich bitten, sich an die vereinbarte Redezeit zuhalten . Ansonsten kommen wir noch mehr ins Hintertref-fen . Wir sind schon jetzt im Hintertreffen beim Zeitplan .Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der KollegeClemens Binninger, CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Meine Damen und Herren! Möglicherweise habenwir gedacht, als wir vor etwa drei Jahren den 1 . Unter-suchungsausschuss eingesetzt haben, dass es nicht nocheinmal notwendig sein wird, dieses Thema im Rahmeneines weiteren parlamentarischen Untersuchungsaus-schusses zu beleuchten . Nun sind wir heute zusammen-gekommen, um genau das zu beschließen . Bevor ichbegründen will, warum ich der festen Überzeugung bin,dass das notwendig und richtig ist, will ich noch einmalan die Arbeit des 1 . Untersuchungsausschusses erinnern .Es war eine Verbrechensserie, die alle in diesem Landerschüttert hat . Wir haben uns gefragt: Wie konnte essein, dass ein Terrortrio und sein rechtsextremes Umfeldhier so lange agiert haben, ohne dass man es bemerkt undals solches erkannt hat?Ein Präsident einer Sicherheitsbehörde hat damals ge-sagt: Das war eine Niederlage für die Sicherheitsbehör-den . – Ich gehe ein Stück weiter – ich bin in den Debattenimmer ein Stück weiter gegangen –: Dass hier die Mordegeschehen konnten, dass man sie nicht als solche erkannthat, dass Opfer durch die Art der Ermittlungen noch ein-mal zu Opfern gemacht wurden, dass man die Gefahr desrechten gewaltbereiten Extremismus unterschätzt hat, sieauch nicht sehen wollte, war eine Niederlage für unseregesamte Gesellschaft und darf sich nicht wiederholen .
Mit diesem Befund war uns auch sehr schnell klar,dass dieses Thema keine Parteipolitik verträgt . Das istnicht ganz einfach, weil wir wissen – so seriös mussman miteinander umgehen –, dass wir zu der Arbeit derSicherheitsbehörden, zu manchen Instrumenten – Stich-wort: V-Leute – oder zum Umgang mit und zu der Bewer-tung von Nachrichtendiensten natürlich unterschiedlichepolitische Meinungen haben . Die gehen auch nicht da-durch weg, dass man in einem Untersuchungsausschusszusammenarbeitet .Aber die Leistung des ersten Ausschusses war – soviel Selbstlob sei gestattet –, dass wir diese politischenUnterschiede beiseitegelassen und gesagt haben: Wirkonzentrieren uns auf die Aufklärung . Wir konzentrierenuns darauf: Warum ist es nicht gelungen, das Trio nachdem Untertauchen zu finden? Warum ist es nicht gelun-gen, dass der Verfassungsschutz besser mit der Polizeizusammengearbeitet hat? Warum hat man das V-Leu-te-Instrument so eingesetzt, wie man es eingesetzt hat?Ich habe damals gesagt: Aufwand und Risiko, das manmit diesen Leuten eingeht – sie bleiben ja Neonazis, auchwenn sie dem Staat Informationen liefern –, standen inkeinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn .
Das waren unsere Schwerpunkte . Daran haben wir unsorientiert .Es waren viele Bundesländer betroffen . Es waren alleParteien irgendwann einmal in einer Regierung vertreten .Deshalb konnte auch keiner sagen: Jemand ist schuld . –Wir haben am Ende 47 Empfehlungen ausgesprochen,von denen wir einen Teil bereits umgesetzt haben, wo-bei die anderen immer wieder von uns allen gemeinsamüberprüft werden . Jetzt stellt sich die Frage: Ihr habt un-tersucht, ihr habt 47 Empfehlungen ausgesprochen, war-um noch einmal ein Ausschuss?Dazu will ich die Geschichte dieser Legislatur erzäh-len, nämlich dass wir eine Berichterstatterrunde gebildethaben, die dieses Thema weiterhin verfolgt hat: Frau Mihalic, Frau Högl, Frau Pau und ich . Wir haben natür-lich auch während der letzten Jahre Fragen gehabt . Eineder Kernfragen war: Kann es wirklich sein, dass der NSUnur ein Trio war, oder sind nicht Zweifel angebracht? Wirhaben Fragen, die aufgetreten sind, immer wieder im In-nenausschuss gestellt . Es ist uns aber auch von der einenoder anderen öffentlichen Stelle bedeutet worden: JedeFrage, die euch interessiert, werden wir nicht beantwor-ten, da ihr kein Untersuchungsausschuss seid .Also, es war klar, dass wir mit den bisherigen Instru-menten an eine natürliche Grenze kommen . Auch deshalbhaben wir gesagt: Wenn wir dem tiefer auf den Grund ge-hen wollen, dann brauchen wir einen Untersuchungsaus-schuss . Wir sind es, glaube ich, auch unverändert – daswar unser Versprechen an die Familien der Opfer – denFamilien der Opfer, den ausländischen Mitbürgern, diebetroffen waren, aber auch allen anderen schuldig, dasswir alles tun, um mehr Licht ins Dunkel zu bringen . Dasist auch unsere Aufgabe, Aufgabe der Sicherheitsbehör-den natürlich auch .Wir sind keine Ersatzermittler, aber natürlich werdenwir uns mit der Arbeit von Ermittlungsbehörden nocheinmal auseinandersetzen müssen, auch mit der Arbeitder Dienste . Auch die Frage, ob es wirklich sein kann,dass es keinen einzigen V-Mann gab, der nicht einmalden Aufenthaltsort des Trios kannte, ist etwas, was einenzu Recht zweifeln lässt . Auch die Frage, ob die Polizistinin Heilbronn wirklich ein Zufallsopfer war, und natür-lich die Dinge, die wir beim ersten Mal nicht aufarbeitenkonnten, weil uns die Zeit gefehlt hat, die Ereignisse am4 . November 2011 in Eisenach und in Zwickau, spieleneine Rolle .Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513198
(C)
(D)
Anders als beim ersten Mal können wir auf fundiertesWissen von uns selber zurückgreifen . Beim ersten Malhatten wir 12 000 Leitz-Ordner durchzuarbeiten, wirhatten, glaube ich, etwa 100 Zeugen in kurzer Zeit zubefragen, es gab nur wenige oder gar keine Ausschüs-se in den Ländern, die Ermittlungen liefen noch . Heutegreifen wir auf mehr zurück und können sehr gezielt undsehr konkret an den wichtigen Fragen arbeiten und dannhoffentlich auch Schlüsse ziehen .Ich bin – das war ich beim letzten Mal auch, aber die-ses Mal bin ich es noch mehr – fest davon überzeugt, dassdie Kolleginnen und Kollegen, die in diesem Ausschussmitarbeiten, so sehr von dem Willen getragen sind, esüberparteilich zu tun, dass wir auch bei diesem Aus-schuss die Parteipolitik auf der Seite lassen, im Interesseder Sache überfraktionell arbeiten, niemanden schonen,aber auch niemanden vorführen, in der Kritik klar undpräzise sind, aber nicht unfair und dass wir das, was wirvielleicht einmal im Streit zu besprechen haben – denwird es auch geben –, unter uns regeln .Wir haben erfahrene Kollegen, die schon beim erstenMal dabei waren, die jetzt wieder mitarbeiten . Wir habenKollegen, die neu dabei sind und mit großem Interesseam Thema mitarbeiten . Wir haben auch Kollegen mitErfahrung aus praktischer Arbeit in Sicherheitsbehörden .Das wird sicherlich eine Hilfe sein . Deshalb lassen Sieuns, ohne dass ich zu viele Erwartungen wecken will,etwas tun, was Aufgabe des Parlaments ist, die Kontrol-le der Exekutive, die Aufarbeitung von einem wirklichschwierigen Sachverhalt, und versuchen, so viel Klärungzu erreichen, wie es einem Parlament mit seinen Instru-menten möglich ist, und das alles gemeinsam und über-parteilich .
Herr Kollege Binninger, kommen Sie bitte langsam
zum Schluss .
Es passiert mir ganz selten, dass ich die Zeit überzie-
he .
Aber jetzt schon ganz massiv .
Es waren ein paar Sekunden, aber okay . – Schlusssatz
von mir: Ich glaube, dass wir gerade in diesen Tagen, in
denen wir fremdenfeindliche Gewalt erleben müssen, in
denen Rechtsextremismus Zulauf bekommt, mit einer se-
riösen Arbeit ein klares politisches Signal setzen, dass in
unserem Land niemand Angst haben soll vor Gewalt, vor
Verfolgung und wir an der Seite derer stehen, die diese
Unterstützung brauchen . Fremdenfeindlichkeit hat in un-
serem Land keinen Platz .
Vielen Dank . – Es ist so: 60 Sekunden sind eine Mi-
nute . Es sind zwar nur einige Sekunden jeweils, aber es
summiert sich .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau, Fraktion
Die Linke .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kannhier nahtlos anschließen . Das Kürzel NSU umfasst diebis dato größte rechtsterroristische Mord-, Raub- undÜberfallserie in Deutschland und beschreibt zugleich einabsolutes Staatsversagen . Das war die gemeinsame Ein-schätzung nach dem Untersuchungsausschuss des Bun-destages in der 17 . Legislaturperiode .Auch in der laufenden 18 . Legislatur geriet derNSU-Komplex nie aus dem Blick . Die Linke stellte al-lein über 40 parlamentarische Anfragen . Monatelang be-fassten wir uns im Innenausschuss ausgiebig mit diesemThema, mit mäßigem Erfolg . Abwehr überwog an vielenStellen . Ich möchte daran erinnern: Die BundeskanzlerinAngela Merkel hatte den Hinterbliebenen, den Überle-benden, der Öffentlichkeit bedingungslose Aufklärungder NSU-Anschläge versprochen . Aber es gab viel zuviele Behinderungen aus Ämtern, aus Behörden, auchaus Ministerien . Ich denke, wir sollten alle gemeinsamdafür sorgen, dass sie auf gar keinen Fall meineidig wird .
Clemens Binninger hat den Prozess, der zum Zu-standekommen des Untersuchungsauftrages führte, denwir heute beschließen – ich denke, dass wir das heutefraktionsübergreifend tun –, schon beschrieben . Aus dengenannten Gründen brauchen wir diesen Untersuchungs-ausschuss mit all seinen besonderen Befugnissen .Nehmen wir allein die zehn Morde, die dem NSU zurLast gelegt werden . Es gibt keinen einzigen, bei dem ichsagen könnte: Ja, so wie es jetzt beschrieben ist, war esauch . Das trifft auch auf das tödliche Finale für Böhnhardtund Mundlos am 4 . November 2011 in Eisenach zu .Damit zusammen hängen die ebenso fragwürdigenGeschehnisse unmittelbar danach in Zwickau im Wohn-haus des NSU-Trios . Über all dem schwebt weiter dieFrage: War das Nazitrio wirklich unerkannt durch dieLande gezogen, und, wenn nein, wer wusste wann was?Wir sind uns weitgehend einig: Der NSU ist nicht aufein Trio zu beschränken . Seine Mitglieder waren ver-netzt, regional, national, international . Spuren weisennach Skandinavien, in die USA, nach Südafrika . Wasvon alledem wusste eigentlich der Bundesnachrichten-dienst? Überhaupt bleiben viele Fragen an die Geheim-dienste, allen voran an die Ämter für Verfassungsschutz,zumal wir ja inzwischen auch wissen, nicht zuletzt durchClemens Binninger
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13199
(C)
(D)
den Prozess in München: Im Umfeld des Nazitrios, desKerntrios des NSU, agierten mehr als 40 V-Leute dieserÄmter .Übrigens, genau heute vor vier Jahren, am 11 . No-vember 2011, wurde im Bundesamt für Verfassungs-schutz die „Operation Konfetti“, wie unser früherer Kol-lege Wolfgang Wieland sie nannte, gestartet: Meterweisewurden Akten geschreddert und somit Belege vernich-tet, die bei der Aufklärung des NSU-Komplexes wichtigsein könnten . Auch dafür müssen die Verantwortlichenschwerwiegende Gründe gesehen haben, die nichts Gutesverheißen . Wir haben sie im ersten Untersuchungsaus-schuss nicht zu Ende erhellen können . Aber wir wissenaus den Antworten, auch auf unsere parlamentarischenAnfragen, dass einige dieser Akten inzwischen wiederrekonstruiert oder in ihren Bestandteilen anderswo auf-gefunden worden sein sollen . Auch diesen wird sich derneue Untersuchungsausschuss zuwenden . Wir wollen imzweiten Untersuchungsausschuss daher nicht nur erhel-len, was vor dem 4 . November 2011 geschah, sondernauch, was seither geschehen ist .Schließlich gibt es einen aktuellen Bezug: Anfang der1990er-Jahre gab es regelrechte Pogrome gegen Migran-ten und Flüchtlinge, in Ost und West, in Nord und Süd .Die wenigsten Täter wurden dafür belangt . Die meistenfühlten sich sogar ermutigt, zum Beispiel dadurch, dassdas von ihnen verhasste Asylrecht damals politisch ge-kappt wurde . In dieser Zeit wurde das NSU-Kerntriorechtsextrem sozialisiert und gewalttätig radikalisiert .Ich finde, aktuelle Vergleiche lassen einen erschrecken.Längst könnten erneut Rechtsterroristen unterwegs sein .Umso mehr müssen wir den NSU-Komplex vollständigaufklären .
Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kol-
legin Dr . Eva Högl das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Esgibt Verbrechen, es gibt Anschläge, es gibt Terrorakte,die bleiben uns allen für immer in Erinnerung und dieprägen unsere Gesellschaft . Das waren der Terror derRAF – Bilder davon sehen wir jetzt anlässlich des trauri-gen Todes von Helmut Schmidt wieder im Fernsehen –,der Anschlag auf das Münchner Oktoberfest, der 11 . Sep-tember 2001, und die Morde und Sprengstoffanschlägedes NSU gehören ebenfalls in diese Aufzählung . Dassind Verbrechen, das sind Terrorakte, die wir nicht ver-gessen werden und die uns weiter beschäftigen werden .Ich sage hier noch einmal deutlich: Diese Morde unddiese Sprengstoffanschläge waren Anschläge auf unsalle, auf unsere Demokratie, auf unser friedliches Zu-sammenleben, auf unsere tolerante Gesellschaft . Wir allemiteinander, wir waren gemeint mit diesen Anschlägen .
Das Zweite ist: Diese Sprengstoffanschläge, dieseviele Jahre nicht aufgeklärte Mordserie des NSU wareneine Zäsur für die Sicherheitsbehörden, eine ganz grau-same Zäsur; denn sie legten offen, dass wir es mit einemsystematischen, flächendeckenden Versagen der Sicher-heitsbehörden zu tun hatten, und zwar im Bund und inden Bundesländern, bei Polizei, bei Verfassungsschutz,bei der Justiz . Das war keine leichte Erkenntnis und istes bis heute nicht . Aber das war die Erkenntnis des erstenUntersuchungsausschusses: dass es eben keine Ansamm-lung von Pleiten, Pech und Pannen, von Dusseligkeitenund Schusseligkeiten war, sondern dass es tatsächlich einflächendeckendes Versagen war, dass die Mordserie elfJahre lang nicht in Zusammenhang gebracht wurde mitdem untergetauchten rechtsextremen Terrortrio NSU .Ich will noch einmal daran erinnern, was unsere zweiwesentlichen Erkenntnisse im NSU-Untersuchungsaus-schuss waren: Der Rechtsextremismus wurde jahrelang –man kann sogar sagen, jahrzehntelang – systematischverharmlost, verniedlicht, vernachlässigt und nicht alsGefahr für unsere Gesellschaft gesehen . Bei den Ermitt-lungen der Morde und Sprengstoffanschläge wurden ankeiner Stelle, an keinem einzigen Tatort die möglichenMotive Rassismus und Rechtsextremismus auch nur an-satzweise so gründlich in den Blick genommen, wie esnotwendig gewesen wäre . – Das sind die beiden wesent-lichen Erkenntnisse . Deswegen ist es für uns anlässlichdes NSU so wichtig, auf der einen Seite weiter aufzuklä-ren und auf der anderen Seite auch Reformen anzugehen .Wir, die ehemaligen Obleute und andere interessier-te Kolleginnen und Kollegen, haben uns jetzt – das istschon gesagt worden – zwei Jahre ganz intensiv weitermit dem Thema beschäftigt und uns die Entscheidungbezüglich der Frage, ob wir noch einmal einen NSU-Un-tersuchungsausschuss einsetzen, wahrlich nicht leichtgemacht . Wir haben sehr sorgfältig überlegt und erst ein-mal die anderen Möglichkeiten genutzt, die wir hier imParlament so haben – das ist schon gesagt worden –: alsBerichterstatterin und Berichterstatter, mit Kleinen undGroßen Anfragen sowie mit Einzelfragen und intensivenDebatten im Innenausschuss . Aber wir haben festge-stellt, dass wir die Fragen, die wir alle noch haben, ebennicht beantwortet bekommen, dass wir in dem Rahmen,den wir hier zur Verfügung haben, nicht weiter aufklä-ren können und deshalb einen NSU-Untersuchungsaus-schuss Teil 2 brauchen .Ich will ganz ausdrücklich sagen: Wir rollen nicht auf,was wir bereits untersucht haben . Darüber haben wir unsbereits ausgetauscht; darauf haben wir uns verständigt .Wir knüpfen an den ersten Untersuchungsausschuss anund setzen ihn fort . Ich will drei Punkte nennen, die unsdabei besonders wichtig sind .Es ist schon gesagt worden – gut ist, dass das von allengesagt wird –, dass es jetzt um die Netzwerke, die Unter-stützer und die Zusammenhänge geht . Dafür hatten wirVizepräsidentin Petra Pau
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513200
(C)
(D)
damals nicht genügend Zeit . Jetzt haben wir auch vielmehr Erkenntnisse . Zudem werden wir auf die aktuelleSituation Bezug nehmen – darauf haben Sie hingewiesen;das ist auch mir besonders wichtig –, die uns alarmierenmuss . Wir müssen wissen, wer über das Trio hinaus denNSU unterstützt hat und wie die Zusammenhänge sind .Wir haben Fragen rund um die einzelnen Tatorte, nichtzuletzt auch, was den Tatort beim Mord an der Polizis-tin Michèle Kiesewetter in Heilbronn angeht . Aber auch,was die anderen Tatorte anbelangt, haben wir weiterhinFragen .Außerdem wollen wir in diesem zweiten Untersu-chungsausschuss noch genauer beleuchten, welche Rolledie V-Leute gespielt haben, welche Verantwortung auchder Verfassungsschutz hatte, wer wo was gewusst hat .Wir sind der Auffassung, dass wir da noch längst nichtam Ende unserer Erkenntnisse bzw . der Aufklärung sind .Ich will noch einen vierten Punkt benennen, der mirauch sehr wichtig ist . Die Selbstenttarnung des NSU istjetzt vier Jahre her . Ich habe über notwendige Refor-men gesprochen, die in Teilen – mehr oder weniger zurZufriedenheit der einen oder der anderen – auch ange-gangen worden sind . Aber ich glaube nicht, dass bei derArbeit von Polizei, Verfassungsschutz und Justiz schonso viel verändert wurde, dass wir zufrieden sein können .Vielleicht werden wir nie zufrieden sein; aber ich bin esim Moment überhaupt nicht, weil ich glaube, dass derRuck, den der NSU in den Sicherheitsbehörden ausgelösthat, noch nicht die ausreichenden Konsequenzen hattedergestalt, dass schon an allen Ecken und Enden andersgearbeitet wird . Ich glaube deshalb, dass wir auch weiter-hin an den Reformen arbeiten müssen .
Wir haben wenig Zeit . Wir sputen uns . Wir schauenuns an, woran in den Bundesländern gearbeitet wird, undwir werden uns anschauen, was beim OberlandesgerichtMünchen herauskommen wird . Wir werden die Zeit – dieanderthalb Jahre – nutzen . Ich bedanke mich für die Un-terstützung . Wir gehen engagiert an die Arbeit .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen spricht jetzt die Kollegin Irene Mihalic .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Frau Pau hat vorhin darauf hingewiesen:Heute vor genau vier Jahren fand im Bundesamt für Ver-fassungsschutz die sogenannte Aktion Konfetti statt, alsodie massenhafte Vernichtung von Akten über V-Leute ausdem näheren Umfeld des NSU-Trios . Diese Schredder-aktion steht seitdem als Sinnbild für die – ich will es ein-mal so sagen – zweifelhafte Rolle des Verfassungsschut-zes im Zusammenhang mit der gesamten Entwicklungdes Rechtsterrorismus in den letzten Jahrzehnten .In der Aufarbeitung dieser Rolle liegt für uns Grü-ne auch ein wesentlicher Schlüssel zur Aufklärung imNSU-Komplex . Leider aber haben wir in den letzten Jah-ren feststellen müssen, dass das Bundesamt bei der Auf-arbeitung keine große Hilfe war . Der Kollege Binningerhat in seiner Rede darauf hingewiesen, was wir im Innen-ausschuss alles aufzuklären versucht haben, wo wir re-gelmäßig vor eine Wand gelaufen sind . Es wurde viel un-ter dem Deckel gehalten . Es wurde verschleiert . Da ist esmeiner Ansicht nach blanker Hohn, wenn Herr Maaßenimmer wieder erklärt, sein Amt habe keine Fehler ge-macht und sogar verlorengegangenes Vertrauen wieder-hergestellt . Da fragen wir uns doch: Wodurch denn bitte?
Weil alle, die gesamte Gesellschaft – für den Hinweis binich dankbar –, Verantwortung für das Nichterkennen desNSU tragen, gerade deshalb darf sich niemand aus dieserVerantwortung stehlen .
Natürlich ist der Verfassungsschutz eine Behörde, dieim Geheimen operieren muss . Aber es kann ja nicht sein,dass sich die Arbeit des Verfassungsschutzes jeglicherNachvollziehbarkeit entzieht; denn die Gesellschaft hatein Recht darauf, die Arbeit des Verfassungsschutzes aufFaktengrundlage zu bewerten, und darum wird es auchin diesem Untersuchungsausschuss gehen . Wir beste-hen darauf, zu wissen, welchen Nutzen die Gesellschaftdurch den massiven V-Leute-Einsatz in der rechtsextre-men Szene hatte . Wir bestehen darauf, zu erfahren, wel-chen Erkenntnisgewinn der Einsatz staatlich geförderterNeonazis tatsächlich gebracht hat . Wir bestehen darauf,zu erfahren, ob wir der rechtsextremen Szene durch denV-Leute-Einsatz nicht am Ende sogar noch Strukturhilfegegeben haben .Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beantwortungdieser Fragen ist kein reiner Akt der Vergangenheitsbe-wältigung, sondern hochaktuell; Frau Högl, Frau Pau,auch Sie haben darauf hingewiesen . Wir erleben heute,wie Flüchtlinge und Unterkünfte sowie engagierte Bür-gerinnen und Bürger brutal angegriffen werden . Wenn esimmer heißt, dass es nie wieder so schlimm werden darfwie Anfang der 1990er-Jahre, dann sage ich: Wir sind mitüber 600 Angriffen in diesem Jahr schon weit darüberhinaus .
Damals, in den 90er-Jahren, begann sich der NSU zu for-mieren . Heute sind wir schon wieder schlecht vorbereitetauf rechtsextreme Anschläge . Heute sind wir schon wie-der nicht in der Lage, die Hintergründe genügend auszu-leuchten . Schon wieder laufen wir Gefahr, zu übersehen,dass sich hier rechtsterroristische Netzwerke etablieren .Dr. Eva Högl
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13201
(C)
(D)
Wenn es heißt, dass nur 34 Prozent der Tatverdächti-gen bekannte Rechtsextremisten sind, und den anderen66 Prozent wenig Bedeutung beigemessen wird, dannmache ich persönlich mir sehr große Sorgen mit Blick aufdie Analysefähigkeit unserer Sicherheitsbehörden . Wennin Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gan-ze Banden von Nazis losziehen und Flüchtlinge zusam-menschlagen, dann muss es doch Planungen im Vorfeldgegeben haben . Die haben sich doch nicht zufällig aufder Straße getroffen . Das Problem ist: Wir wissen davonnichts, und das zeigt, dass der Verfassungsschutz nichtdarauf eingestellt ist, die heute viel fluideren Organisa-tionsmuster in der rechtsextremen Szene ausreichend zuerkennen . Diese Dinge müssen wir im Untersuchungs-ausschuss gründlich aufarbeiten, um sie nachhaltig ab-stellen zu können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Januar diesesJahres waren wir alle tief betroffen von den schreckli-chen Terroranschlägen in Paris . Wir waren uns soforteinig, dass diese Anschläge auch ein Angriff auf unserefreiheitlichen und demokratischen Grundwerte waren .Das haben in spontanen Kundgebungen Millionen vonMenschen aus allen Teilen der Gesellschaft mit dem be-rühmt gewordenen Spruch „Je suis Charlie“ zum Aus-druck gebracht . Dies sollte klarmachen: Wenn ihr im Sin-ne eurer todbringenden Ideologie auch nur Einzelne vonuns angreift, dann greift ihr uns alle als Gesellschaft an .Genau diese Grundhaltung bewegt uns heute, wennwir in fraktionsübergreifender Einigkeit erneut einen Un-tersuchungsausschuss zum NSU-Terror einsetzen . Wirsagen damit als Parlament ganz klar: Auch wenn über-wiegend Menschen mit Migrationshintergrund unter denOpfern waren – die Taten der Rechtsterroristen sind imKern auch ein Angriff auf uns als gesamte Gesellschaft,und wir werden parlamentarisch alle Möglichkeiten derAufklärung nutzen, um dem Terror von rechts entschlos-sen entgegenzutreten .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als Nächstes hat der Kollege Armin
Schuster, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich war Mitglied des Untersuchungsausschussesin seiner ersten Auflage. Ich bin zurzeit noch Mitgliedim zweiten Untersuchungsausschuss dieser Periode, zuEdathy . Wenn ich das vergleiche, muss ich sagen: Der Un-tersuchungsausschuss, der gerade läuft, ist für mich reinePflichterfüllung. Der, der vor uns steht, ist mir – das sageich mit der Erfahrung aus der ersten Auflage – eine Her-zensangelegenheit . Ich bin Innenpolitiker mit Leib undSeele . Aufzuklären, was den NSU-Terror ausmacht, dasmuss uns sehr wichtig sein – warum? –, weil Rechtsterrorheute vielleicht wieder das Thema sein könnte . Ich habeschon im ersten Untersuchungsausschuss dazu immerwieder die Strukturen hinterfragt und damit manchenKollegen, vor allem aber die Medien gelangweilt: Stimmtdie Sicherheitsarchitektur in Deutschland? Sind wir da fitgenug? – Jetzt kommt ein dritter Aspekt hinzu: Ich findees unglaublich interessant, in diesem Untersuchungsaus-schuss auch evaluieren zu können, wie die Maßnahmenzur Umsetzung unserer Empfehlungen wirken . Das istzwar nicht der Untersuchungsauftrag, aber wir werdennicht umhinkommen, das immer wieder zu beleuchten .Für mich ist das insgesamt ein ganz wichtiger Ausschuss,und ich musste nicht lange überlegen, mitzumachen .An die Kollegin Mihalic adressiert, möchte ich sagen:Die Dramaturgie zwischen Opposition und Regierungwar leider schon am Anfang weg . Was wir zu meinemLeidwesen nicht geschafft haben, war, dem Antrag vonHerrn Ströbele und Herrn Wieland nachzukommen – derKollege Ströbele ist zum Glück noch da, Herr Wielandnicht mehr –, die Sitzungen deutlich vor Mitternacht zubeenden .
Wenn Sie den Ströbele-Antrag wieder formulieren, binich diesmal auf Ihrer Seite . Auch das werden wir hinbe-kommen .
An die neuen Mitglieder: Bitte nicht erschrecken! Aberso war es .Warum brauchen wir eigentlich eine zweite Auflage?Weil es nicht nur ein Trio war, sondern mehr Täter, weilwir den Kopf des Trios gar nicht kennen – die perfideGenialität dieser Verbrechensserien passt nicht zu denPsychogrammen der drei Täter, die wir kennen; immer-hin haben sie den Föderalismus an die Grenze seinerLeistungsfähigkeit und darüber hinaus gebracht –, weilder Selbstmord in Eisenach kein verabredeter Mord war,weil die Wohnung in der Frühlingsstraße gar nicht so indie Luft geflogen ist, wie wir es bisher glaubten, weil dasUnterstützernetzwerk größer war, weil die V-Leute-Sze-ne das doch wusste und weil Kiesewetter von mehr alszwei Tätern umgebracht wurde . – Sie wundern sich jetzt .Ich kann das auch nicht beweisen, aber wir alle auchnicht das Gegenteil .
Solange diese Fragezeichen bestehen, dürfen wir nichtder gleichen Gefahr unterliegen wie damals die Sicher-heitsbehörden, die lange an einer Hypothese festgehaltenhaben; Sie erinnern sich: die Organisationstheorie . Wirmüssen aufpassen, dass wir nicht denselben Fehler ma-chen . Deswegen: Solange diese Fragen gestellt werdenkönnen, ohne dass irgendeiner der Fachleute mir jetztwiderspricht, ist dieser Ausschuss erforderlich .
Wir sind nicht die besseren Ermittler; das will ich aus-drücklich sagen, vor allem, weil viele Polizisten dabeisein werden . Aber ich glaube, dass die BundesrepublikDeutschland in allen Ländern und im Bund die LessonsIrene Mihalic
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513202
(C)
(D)
Learnt dieser Terrorserie für ihre Sicherheitsarchitekturnoch lange nicht abgeschlossen hat . Da steckt noch eineMenge drin .Worum geht es mir nicht, Frau Mihalic? Es geht mirnicht darum, das x-te Behördenversagen ohne einen wei-teren Erkenntniswert zu zelebrieren .
Es geht mir nicht darum, speziell eine Behörde unterDauerbeschuss zu nehmen . Es geht mir um Balance . Jetztzitiere ich mich selber aus dem September 2013
– immer gut –: Es war nicht ein Versagen der Sicherheits-behörden, es war ein kompletter Systemausfall .
Wer mich dazu zwingt, den werde ich auch nötigen,dass wir dann über das Versagen der deutschen Parla-mente genauso hart urteilen . Wir sprechen über Wasser-hähne des BND, aber haben nie über diese Mordseriegesprochen . Wer mich dazu zwingt, den nötige ich auch,über alle Regierungschefs zu sprechen – es waren allebeteiligt –, die es nicht geschafft haben, das zur Chef-sache zu machen . – Lassen Sie es uns so machen wiebeim letzten Mal . Balance bedeutet: Es war ein kom-pletter Systemausfall . Schießen Sie also bitte nicht eineneinzigen Bereich sturmreif, weil es vielleicht medial gutankommt . Das ist mein Wunsch .Der Bund hat mit dem ersten Untersuchungsausschusssehr schnell reagiert . Er war Trendsetter für viele Län-der . Manche mussten nahezu genötigt werden; denkenwir zum Beispiel an Baden-Württemberg . Es gab vieleInformationen aus den Landtagsausschüssen und vieleInformationen aus den Medien. Ich finde die Terminfin-dung – Bernhard Kaster, du warst dabei –, dass wir denUntersuchungsausschuss heute einsetzen, fast genial .Dieser Untersuchungsausschuss wird wieder einen Trendsetzen, weil wir die Chance haben, all diese Informati-onen jetzt im Netzwerk zu verbinden und vielleicht zueinem Abschluss zu kommen . Dann wäre der Bund starkgestartet und wird auch stark enden . Das ist ein starkesZeichen in der richtigen Zeit .Danke schön .
Vielen Dank . – Als Nächstes hat der Kollege Uli
Grötsch, SPD-Fraktion, das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Waren es wirklich nur Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt,die jahrelang vermeintlich unbemerkt von den Behördenmordend durch Deutschland gezogen sind, oder hattensie überall Helfer? Wurden die Opfer doch nicht zufäl-lig ausgewählt? Gibt es vielleicht ein größeres Neona-zi-Netzwerk, das das Trio unterstützt hat und vielleichtimmer noch dessen Ideologie verbreitet? Gibt es Verbin-dungen zur organisierten Kriminalität? Haben die Behör-den – so, wie es scheint – Hinweise übersehen? – Ich fürmich persönlich würde diese und andere Fragen wohl mit„Ja, so scheint es; aber wir müssen es beweisen“ beant-worten . Diese und viele weitere Umstände sind auch vierJahre nach der Selbstenttarnung des Nationalsozialisti-schen Untergrundes ungeklärt . Das ist ein Zustand, denwir so nicht hinnehmen werden .Ich bin fest davon überzeugt, dass wir, wie auch schonmeine Kolleginnen und Kollegen im ersten NSU-Unter-suchungsausschuss, alle an einem Strang ziehen werden .Das Thema ist zu wichtig für Parteibefindlichkeiten, undes eignet sich schon gar nicht für Grabenkämpfe oderpersönliche Profilierung.
Der erste NSU-Untersuchungsausschuss des Bundes-tages und die Untersuchungsausschüsse der Landtage ha-ben schon vieles aufgeklärt und wichtige Arbeit geleistet .Dafür möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich beiallen Beteiligten bedanken .
Wir wollen nun das leisten, was der erste NSU-Unter-suchungsausschuss des Deutschen Bundestages schlicht-weg nicht leisten konnte, zum Teil aus Zeitgründen, zumTeil auch deshalb, weil wir heute Erkenntnisse haben,die damals noch völlig unbekannt waren . Jetzt könnenwir auf die bisherigen Ergebnisse zurückgreifen und daansetzen, wo noch Fragen offen sind . Diese offenen Fra-gen – möglichst alle – wollen wir abräumen .Anders als meine Vorgängerinnen und Vorgänger kön-nen wir heute in unserer Arbeit auch auf die Rechercheer-gebnisse von Journalisten, Vereinen, Organisationen undStiftungen wie etwa der Amadeu-Antonio-Stiftung zu-rückgreifen, die sich in den letzten vier Jahren intensivmit dem NSU beschäftigt haben . Wir müssen nicht beinull anfangen . Ich glaube, das wird ein großer Vorteilsein .Mir ist auch wichtig, dass wir im Untersuchungsaus-schuss nicht nur die Fragen aufarbeiten, die sich unsAbgeordneten stellen . Ich möchte auch den Fragen nach-gehen, die sich etwa den Opferanwälten oder den Me-dienvertretern stellen .Ohnehin spielen die Medien in diesem Komplex einebesondere Rolle . Vieles ist erst durch ihre Rechercheüberhaupt ans Tageslicht gekommen . Von einer medialen„Hexenjagd“, wie ein Mitarbeiter des Verfassungsschut-zes in Baden-Württemberg die Arbeit der Presse vor demdortigen Untersuchungsausschuss bezeichnet hat, kannmeiner Meinung nach überhaupt keine Rede sein .
Armin Schuster
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13203
(C)
(D)
Aber da zeigt sich wieder: Von einer Fehlerkultur sindwir in manchen Behörden noch weit entfernt .Wir werden uns nicht schon frühzeitig auf die eineoder andere Theorie festlegen; das hat schon mein Vor-redner unterstrichen . Für die Behörden stand damals vonAnfang an fest: Die Täter müssen aus dem familiärenUmkreis kommen . Von „Döner-Morden“ und der „Mord-serie Bosporus“ war die Rede . Mit diesen Beschuldigun-gen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurden die Ange-hörigen zum zweiten Mal Opfer . Dass die Täter aus derrechten Szene kommen und Rassismus das Tatmotiv seinkönnte, wurde damals bei den Ermittlungen nicht in Er-wägung gezogen . Es konnte nicht sein, was nicht seindurfte . Heute wissen wir es besser .Dass das Trio mit rechtsextremen Gruppierungenwie etwa Blood & Honour, Combat 18 oder der Oido-xie Streetfighting Crew vernetzt war, scheint uns heuteziemlich eindeutig zu sein . Schon im ersten NSU-Unter-suchungsausschuss wurde klar, dass das Netzwerk grö-ßer war, als die Ermittlungsbehörden zunächst glaubtenund zum Teil wohl heute noch glauben . Ich frage mich,ob der NSU vielleicht sogar ein noch größeres, strafferorganisiertes und umfassenderes Monstrum war, als wires uns zum heutigen Zeitpunkt vorstellen können .Das alles, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollenwir klären – mit allen Mitgliedern, auf Augenhöhe undfraktionsübergreifend –, weil wir es den Opfern schuldigsind . Abdulkerim Simsek, der Sohn des ersten NSU-Op-fers Enver Simsek, brachte es auf den Punkt, als er sagte:Ich möchte meinen Kindern erzählen können, wasmit ihrem Opa passiert ist . Ich würde dafür sorgen,dass sie trotz allem ohne Hass aufwachsen . Aber ichmöchte ihnen die Wahrheit erzählen können – dieganze .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-
nungspunkt ist der Kollege Dr . Volker Ullrich, CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Vor gut vier Jahren ist die Terrorzelle des NSUenttarnt worden . Diese Enttarnung hat zu einem Schockund zu Sprachlosigkeit geführt, weil sie uns aufgezeigthat, wie verwundbar unsere Werte und unsere Freiheitsein können . Zahlreiche offene Fragen haben sich unsgestellt .Der 17 . Deutsche Bundestag hat einen Untersuchungs-ausschuss eingesetzt, um Fragen einer Beantwortungzuzuführen und Erkenntnisse umzusetzen . Die erstenErkenntnisse sind bereits umgesetzt worden . Wir habenbeispielsweise die Befugnisse des Generalbundesanwaltsgestärkt, um rechtsterroristische und rechtsextreme Straf-taten besser verfolgen zu können . Diese Arbeit trägt ersteFrüchte . Man sieht das beispielsweise bei dem uns allesprachlos machenden Attentat auf Henriette Reker: DerGeneralbundesanwalt konnte die Ermittlungen überneh-men . Nach der bis Juni dieses Jahres geltenden Rechtsla-ge hätte er das nicht gekonnt . – Das zeigt, dass wir schoneiniges umgesetzt haben .
Wir setzen heute einen weiteren Untersuchungsaus-schuss ein, nicht, weil eine parlamentarische Minderheitetwas untersuchen möchte, was die parlamentarischeMehrheit möglicherweise zu verantworten hat, auchnicht zum Zwecke der Untersuchung von Regierungs-handeln, sondern wir setzen den Untersuchungsaus-schuss gemeinsam ein, getragen von einem gemeinsa-men Interesse an der Aufklärung . Wir wollen aufklären,nicht um einer historisch richtigen Geschichtsschreibungwillen, sondern weil wir das den Opfern und ihren Ange-hörigen schuldig sind . Aber wir müssen auch unseretwe-gen aufklären, weil wir verhindern müssen, dass ähnlicheStraftaten in Zukunft wieder passieren können .Es sind viele Fragen offen – ich meine, zu viele Fra-gen –: Was ist im Umfeld des 25 . April 2007 in Heilbronnpassiert? Was ist am 4 . November 2011 in Eisenach ge-schehen? Wie konnte dieses Trio – und war es denn über-haupt ein Trio – fast ein Jahrzehnt lang unentdeckt blei-ben? Wir müssen uns auch fragen: Welche strukturellenund kriminellen Netzwerke liegen dieser Bande zugrun-de? Gab es Verbindungen zur organisierten Kriminalität,zu Rockern, zu internationalen Netzwerken?Meine Damen und Herren, durch diese Aufklärungs-arbeit können die Taten nicht ungeschehen gemachtwerden; aber die Erkenntnisse sind wichtig, damit derwehrhafte Rechtsstaat daraus Lehren ziehen kann, damiter es besser machen kann . Damit können wir aktiv fürunsere Werte, die uns wichtig sind, eintreten . Wir werdendiese Erkenntnisse auch umsetzen müssen . Wir müssenuns fragen, ob wir die Erkenntnisse von V-Leuten unddie Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehördennicht weiter optimieren können . Wir müssen uns fragen,ob wir im Bereich der Bekämpfung des Extremismus unddes Terrorismus die Verbindungen zwischen Bund undLändern noch besser machen müssen . Und wir müssenuns auch fragen, welche Normen wir im Bereich der Ge-richtsverfassung und der Strafprozessordnung optimie-ren müssen, um ein klares Signal dieses Rechtsstaats zusetzen .Ich will davor warnen, an diesen Ausschuss zu hoheErwartungen zu knüpfen . Wir können nicht alle Fragen,die es in unserem Land gibt, abschließend beantworten .Aber wir können einen wichtigen, einen sehr wertvol-len Beitrag dazu leisten, dass unser Rechtsstaat klar unddeutlich kommuniziert: Die Würde des Menschen, dieFreiheit der Person und die demokratisch legitimierteAuseinandersetzung ohne Gewalt und ohne Hass sindkonstitutiv für unser Land . Wir werden daran arbeiten,Uli Grötsch
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513204
(C)
(D)
dass das klare Signal ausgeht: Diese Werte stehen nichtzur Disposition .
Wir werden aufklären, weil wir uns den Werten desGrundgesetzes verpflichtet sehen. In diesem Sinne: Las-sen Sie uns gemeinsam und von gemeinsamer Verant-wortung getragen an die Arbeit gehen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Wir sind damit am Ende der Ausspra-
che .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu
dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Einset-
zung des 3 . Untersuchungsausschusses“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/6601, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU,
der SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/6330 in der Ausschussfassung anzuneh-
men . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Be-
schlussempfehlung einstimmig angenommen .
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen DIE LINKE und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zur Statusfrage
syrischer Flüchtlinge und zur Einschränkung
des Familiennachzuges
Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen . – Ich eröffne
die Aussprache . Das Wort hat Luise Amtsberg, Bünd-
nis 90/Die Grünen
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Diese Aktuelle Stunde heute ist notwendig, nicht nur,weil es hier um einen unerträglichen Vorstoß des Innen-ministers gegen syrische Schutzsuchende geht, sondernweil die Konzeptlosigkeit und die Kopflosigkeit dieserBundesregierung in den vergangenen Tagen uns förmlichdazu zwingen .
Seit Wochen werden wir Zeuge eines internen Macht-kampfes innerhalb der Unionsfraktionen, aber auch in-nerhalb des Kabinetts . Ich sage ganz deutlich: Das Bild,das Sie hier bei einer der größten innen- und europapoli-tischen Herausforderung, der unser Land jemals gegen-überstand, abgeben, ist Wasser auf die Mühlen derjeni-gen, die mit Hass im Herzen und dem Galgen in der Handauf unseren Straßen demonstrieren .
Mit einer Änderung des Status syrischer Flüchtlingewill der Innenminister die Möglichkeit beschränken,dass syrische Flüchtlinge ihre Familien auf sicheremWege nach Deutschland bringen können . Was zunächstvermutlich ein sonderbarer Alleingang des Ministerswar – er hat weder den Koalitionspartner noch die zu-ständige Behörde noch das zuständige Kanzleramt einge-bunden –, erfährt mittlerweile eine breite Unterstützungaus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion . Die CSU undauch Finanzminister Schäuble sprachen sich für diesenVorschlag aus und fallen damit erneut der Kanzlerin inden Rücken .Aber ganz ehrlich, verehrte Kolleginnen und Kolle-gen: Hat eigentlich einer von Ihnen diesen Vorschlageinmal zu Ende gedacht? Das Bundesamt hat die Mar-ke von einer Viertelmillion Asylanträge im Stau längstüberschritten . Mittlerweile sind es 330 000 Anträge inder Warteschleife; hinzu kommt eine nicht unerheblicheZahl noch nicht erfasster Anträge . Und Sie fordern, nundas Schnellverfahren für syrische Flüchtlinge auszuset-zen? Mit welchem Personal denn? Mit welchen Kapazi-täten? Und vor allen Dingen: mit welchem Zeithorizont?
Ihnen muss doch klar sein, dass Sie die Lage damit wei-ter verschärfen .Dass das Innenministerium, wie wir heute im Aus-schuss erneut erleben durften, keinen Plan hat, wie esauf europäischer Ebene Solidarität und Gemeinsamkeitherstellen kann, dass keine der europapolitischen Forde-rungen auch nur ansatzweise mit Konzepten unterlegt ist,ist schon traurig genug . Dass Sie aber mit der Einschrän-kung beim Familiennachzug die einzige legale Möglich-keit kappen wollen, die syrische Angehörige haben, istbitter .
Ich darf daran erinnern, dass Sie, Herr Innenminister,auch Verfassungsminister sind . Schauen Sie sich bitteArtikel 6 des Grundgesetzes zum Schutz der Familienoch einmal an .Die Folge dieser Politik dürfte erfahrungsgemäß klarsein: Noch mehr Menschen werden auf unsichere Boo-te steigen und einen anderen, viel gefährlicheren Wegsuchen, um zu ihren Angehörigen zu kommen . Für dieMenschen, die bereits hier sind, wird das Leben zu einerunerträglichen Zitterpartie . Ich kann nur sagen: Ich kanndas mit meinem Gewissen nicht vereinbaren .
Dr. Volker Ullrich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13205
(C)
(D)
Noch einmal zum Technischen: Als wenn das nichtschon genug ist, gibt es einen weiteren Vorschlag desMinisters . Das Aussetzen der Dublin-Regelung für sy-rische Flüchtlinge, das Monate der Kapazitäten einesBAMF-Mitarbeiters frisst und am Ende meist nicht ineine Rückführung mündet, hat noch nicht einmal dreiMonate überlebt, da ändert der Minister wieder seineMeinung . Wieder läuft er in die entgegengesetzte Rich-tung . Die Folge: ein noch größerer Antragstau . Das ist einTrauerspiel, bei dem der Minister scheinbar vergisst, dasser als Dienstherr auch eine Verantwortung gegenüber denMitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesamtes hat .Gerade die letzte Woche hat gezeigt: Sie haben kei-nen Plan, und – noch viel schlimmer – Sie haben keinenKompass . Dieses und die Maßnahmen gegen syrischeBürgerkriegsflüchtlinge, Herr Innenminister, sind mitnichts anderem zu erklären als mit Panik, Getriebenheit,mit Angst und Überforderung . All das hat mit verantwor-tungsbewusstem Handeln nichts, aber auch wirklich garnichts mehr zu tun .
Deshalb ist es auch verständlich, dass die KanzlerinIhnen den Hut für dieses Thema weggenommen hat;denn das Letzte, was Deutschland jetzt braucht, ist einInnenminister, der kopflos, ängstlich und panisch ist.Frau Bundeskanzlerin – sie ist nicht hier, aber ich sagedies an ihre Adresse –, weil Sie es verpasst haben, dieje-nigen, die auf dem Tisch tanzen, zur Räson zu rufen, istdie Meinungshoheit jetzt bei den Hardlinern der Innen-politik . Nicht Sie und Ihr Kanzleramtschef, sondern dieHardliner der Innenpolitik bestimmen jetzt die Flücht-lingspolitik . Das ist bitter, vor allen Dingen vor dem Hin-tergrund, dass Sie diese Frage als eine der wichtigstennationalen Herausforderungen begriffen haben und dortjetzt nicht mehr den Zepter in der Hand haben .
Es ist höchste Zeit, dass Sie an dieser Stelle für Klarheitsorgen .Ja, es ist richtig: Momentan gibt es etwas zu erkämp-fen, nämlich die gesellschaftliche Mehrheit für De-mokratie und Rechtsstaatlichkeit, für den Schutz vonFlüchtlingen und für eine tolerante Gesellschaft . Das istnicht leicht . Wir alle brauchen eine klare Haltung dazu .Die aber bleiben Sie schuldig – leider .
Vielen Dank . – Für die Bundesregierung erhält jetztdas Wort Dr . Thomas de Maizière, Bundesminister .
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir allein Deutschland sehen uns seit Monaten mit einer Zuwan-derung konfrontiert und ihr ausgesetzt in einem Umfangwie nie zuvor . Jeden Tag kommen 6 000 bis 10 000 Men-schen zu uns, manchmal auch mehr . Sie kommen ausunterschiedlichen Ländern, mit unterschiedlichen Moti-ven und mit unterschiedlichen Bleibeperspektiven . DasHauptherkunftsland ist mit Abstand Syrien mit knappder Hälfte der Antragsteller . Allein im Oktober haben wiretwa 88 000 Schutzsuchende aus Syrien registriert .Die Zahl ist auch deshalb so massiv angestiegen, weilviele, die ursprünglich aus Syrien kommen, jetzt aus Ge-genden wie etwa der Türkei, Jordanien oder dem Liba-non kommen . Das ist eine Entwicklung, die uns in beson-derer Weise besorgt . Darunter sind viele, die schon seitMonaten in der Türkei leben .Alle diese Menschen müssen aufgenommen, verteilt,untergebracht und versorgt werden . Ich bin mit vielemnicht einig, was Sie, Frau Amtsberg, gesagt haben, aberin einem sind wir uns einig und waren wir uns immereinig: Jeder, der zu uns kommt, unabhängig davon, ober bleibt oder nicht, wie er sich benimmt oder was ir-gendwie los ist, hat einen Anspruch darauf, hier nicht be-leidigt, beschimpft, bespuckt, von Gewalt bedroht odersonst irgendwas zu werden . Das muss ein Konsens zwi-schen uns allen sein .
Die Integrationsleistung für die, die hierbleiben wer-den, wird hoch sein . Die Rückführung derer, die nichtbleiben dürfen, ist hart . Die Entscheidung darüber wollenwir beschleunigen . Zu all diesen Themen haben wir ineiner Reihe wegweisender Entscheidungen in den letztenWochen gute Maßnahmen beschlossen . Die Beschlüssevon Ende September mit den Ministerpräsidenten, daserste große Asylpaket, die finanziellen Hilfen für dieLänder und Kommunen und die Beschlüsse der Koalitionvom letzten Donnerstag, all das waren wichtige Schritte .Hinzu kommen die vielen europäischen und internatio-nalen Aktivitäten, die ich jetzt hier heute aus Zeitgründennicht erläutern kann und will . Das ist uns gelungen, weilalle, Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat, die Län-der und die Kommunen, zusammengearbeitet haben undkompromissbereit waren . Das muss auch in Zukunft sobleiben .Am vergangenen Donnerstag wurde mit dem Papierder Parteivorsitzenden eine Beschränkung des Famili-ennachzugs bei subsidiär Schutzberechtigten vereinbart .Das bedeutet, dass ein Familienangehöriger zunächst fürzwei Jahre nicht zu der Person mit subsidiärem Schutz-status in Deutschland nachreisen kann . Nach diesen zweiJahren ist der Familiennachzug möglich, wenn zumBeispiel der Lebensunterhalt gesichert ist . Für primärSchutzbedürftige bleibt der Anspruch auf privilegier-ten Familiennachzug unverändert erhalten; das sind dieMenschen, die Schutz nach Artikel 16 a des Grundgeset-zes oder nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten .Eine andere Frage ist, wie wir den Schutzstatus ei-nes Antragstellers feststellen; darum geht es ja in die-ser Debatte . Als vor gut einem Jahr die Asylbewerber-zahlen deutlichen anstiegen, war uns natürlich wichtig,die Asylverfahren zu beschleunigen . Für AntragstellerLuise Amtsberg
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513206
(C)
(D)
aus Syrien wurde das erreicht, indem wir als Innenmi-nisterium Anfang November 2014 auf die Anhörung imAsylverfahren verzichtet und damit auf ein schriftlichesVerfahren umgestellt haben .
Vorher hatten wir dies in der Innenministerkonferenzzwischen Bund und Ländern besprochen .Im beschleunigten Verfahren mussten syrische An-tragsteller keine persönlichen Anhörungen mehr durch-laufen, sofern kein Sicherheitsrisiko bestand . Sie konn-ten ihre Fluchtgründe schriftlich erklären . Im Ergebniserhielten sie dann regelmäßig den Flüchtlingsstatus imSinne der Genfer Flüchtlingskonvention . Das geschahunabhängig davon, ob der konkrete syrische Antragstel-ler tatsächlich einer individuellen Verfolgung ausgesetztoder aber vor dem Bürgerkrieg geflohen war, der jedengleichermaßen bedroht . Der Anspruch auf Familiennach-zug war privilegiert . Auf die Sicherung des Lebensunter-haltes kam es beim Familiennachzug nicht an .Diese Verfahrensentscheidung vom November 2014war damals richtig . Sie war richtig, weil in 77 Prozent der2014 getroffenen Entscheidungen ohnehin ein Asyl oderFlüchtlingsschutz gewährt worden war . Nur 12 Prozentder syrischen Asylbewerber hatten diesen subsidiärenSchutz erhalten . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen,die Lage hat sich seitdem verändert .
Die Zahl insbesondere der Syrer ist in einem Maßegestiegen, das im Oktober/November 2014 keiner hatvorhersehen können .
Das schriftliche Verfahren für Antragsteller aus Sy-rien hat sich als zu grobmaschig und auch unter demGesichtspunkt der Identifizierung und der öffentlichenSicherheit in Deutschland als lückenhaft erwiesen . Oftberuht die Erfassung der Staatsangehörigkeiten nur aufAngaben der Asylsuchenden selbst, insbesondere dann,wenn keine Identitätsdokumente vorgelegt worden sind .Wir wissen aber, dass viele behaupten, Syrer zu sein, ob-wohl sie keine Syrer sind . Manche kommen auch mit ge-fälschten Papieren . Ohne persönliche Anhörungen lassensich die Angaben über die tatsächliche Herkunft aber nurschwer beurteilen .
All das besorgt uns . Deshalb müssen wir jetzt reagie-ren . Die Lage zwingt uns zu Anpassungen . Deshalb ha-ben wir im Innenministerium – wie damals in die eineRichtung, jetzt in die andere Richtung – eine Entschei-dung getroffen, nämlich für eine Rückkehr zur Einzel-fallprüfung, für eine Rückkehr zum regulären Verfahren,das eine mündliche Anhörung wie im Asylgesetz vor-sieht . Diejenigen, die individuell verfolgt sind, die etwaaus politischer Überzeugung das Assad-Regime ableh-nen, werden weiterhin Flüchtlingsschutz erhalten . Auchohne Nachweis der Lebensunterhaltssicherung könnendiese Flüchtlinge ihre Kernfamilien nachholen, obwohlwir ihnen sagen müssen, dass diese Verfahren sehr, sehrlange dauern werden .
Dass aber für alle, die sagen, sie kommen aus Syrien,der Familiennachzug möglich ist, ohne dass für eine aus-reichende Sicherung des Lebensunterhalts gesorgt wäre,halte ich angesichts der großen Zahl der Syrer, die zu unskommen, nicht mehr für tragbar .
Einen Nachzug in die Arbeitslosigkeit und damit in diePerspektivlosigkeit sollte es nicht geben . Das ist wichtig,um unsere Kommunen zu entlasten .
Das ist wichtig, um unsere Gesellschaft nicht zu über-fordern .
– Die Gestaltung von Verwaltungsverfahren ist eine Res-sortentscheidung des zuständigen Ministers .
Nun habe ich zur Kenntnis genommen, dass die Koa-lition, die SPD dazu Gesprächsbedarf hat .
– Das ist okay; das ist so .
Deswegen habe ich die Entscheidung sozusagen nichtvollzogen,
und deswegen werden wir auch darüber reden – zunächstim Kreise der Innenministerkonferenz .Niemand weiß, wie viele Menschen in Syrien undseinen Anrainerstaaten darauf warten, ihre Ansprücheauf Familiennachzug geltend zu machen . Klar ist: Wirkönnen unsere hohen Flüchtlingszahlen nicht durch Fa-miliennachzug verdoppeln oder gar verdreifachen . Dasist der Kern des Themas .
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13207
(C)
(D)
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einWort zu Dublin sagen; Frau Kollegin Amtsberg ist auchdarauf eingegangen .Hier besteht überhaupt kein Grund zur Aufregung .Deutschland wendet das Dublin-Verfahren für alle Her-kunftsländer und alle Mitgliedstaaten der EuropäischenUnion außer Griechenland an . Das galt und gilt auch fürsyrische Staatsangehörige . Deutschland hat das Dub-lin-Verfahren zu keinem Zeitpunkt rechtlich ausgesetzt .Das sehen die Regelungen der Dublin-Verordnung übri-gens auch gar nicht vor .Aufgrund des starken Zustroms hat das Bundesamt fürMigration seit Ende August lediglich von seinem Selbst-eintrittsrecht nach Artikel 17 der Verordnung gegenübersyrischen Staatsangehörigen umfangreich Gebrauch ge-macht . Das haben wir seit dem 21 . Oktober 2015 – daswar wieder eine Ressortentscheidung – geändert . Dassdie Sache gestern mitgeteilt wurde, liegt schlicht undeinfach nur daran, dass es eine Medienanfrage gab, wieübrigens eine Woche vorher auch, und sie ist auch schonbeantwortet worden .
Wir verfolgen damit das Ziel, wieder zu geordnetenVerfahren bei der Einreise und bei Asylverfahren zurück-zukehren . Zu einem geordneten Verfahren gehört auchdas Dublin-Verfahren, und zwar mit der Feststellung deszuständigen Mitgliedstaates, der Prüfung aller Aspektefür einen möglichen Selbsteintritt Deutschlands in dasAsylverfahren und, wenn die Voraussetzungen vorliegen,der Rücküberstellung in den zuständigen Mitgliedstaat .Das kann auch in der Koalition nicht besonders um-stritten sein –
Herr Minister, denken Sie bitte an die Redezeit .
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
– letzter Satz –, denn in einem Papier des Koalitionsaus-
schusses vom 6 . September 2015, das wir formuliert ha-
ben – ich war selber dabei –, heißt es nämlich:
Deutschland steht zu seinen humanitären und euro-
päischen Verpflichtungen und erwartet dies ebenso
von seinen Partnern . Dazu gehören die Einhaltung
der Dublin-III-Verordnung und die Bereitschaft zu
gesamteuropäischer Solidarität bei der Aufnahme
von Flüchtlingen . Die am Wochenende getroffene
Aufnahmeentscheidung von Deutschland und Ös-
terreich soll eine Ausnahme bleiben .
Wer von anderen die Einhaltung des europäischen
Rechts verlangt, muss es auch selbst einhalten .
Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla
Jelpke, Fraktion Die Linke .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrMinister, Sie haben mit Ihrer Rede gerade erneut IhreKürzungspolitik betont und wieder insgesamt asylfeind-liche Vorschläge gemacht . Man kann sich das Asylrechtnicht einfach hinbiegen, nur weil mehr Menschen zu unskommen . Sie stellen sich damit auch in einen totalen Wi-derspruch zur Kanzlerin, die zu Recht gesagt hat: „DasGrundrecht auf Asyl . . . kennt keine Obergrenze . . .“ Dabeimüssen wir auch bleiben .
Nachdem ich Sie hier so höre, muss ich wirklich sa-gen: Ihre Feindseligkeit gegenüber Flüchtlingen, die Siehier zum Ausdruck gebracht haben,
ist Öl aufs Feuer von Pegida, AfD und anderen Rassisten .Wir müssen hier das Grundrecht auf Asyl verteidigenund uns für die Menschen einsetzen, die wirklich in Notsind
und die vor allen Dingen Schutz suchen, und dafür müs-sen wir auch die Gesetze einhalten .
Das Recht auf Familienzusammenführung ist ein ele-mentares, international geschütztes Rechtsgut, und auchim Grundgesetz – das ist hier schon erwähnt worden – istder Schutz von Ehe und Familie verankert . Es ist wirk-lich eigenartig, dass vor allem die C-Parteien, die dieEhe, die Familie, die Menschenrechte, die Kinderrechteusw . immer ganz oben anhängen, jetzt, da es darauf an-kommt, der Meinung sind, dass dies offenbar nur nochfür Deutsche und nicht für Migranten gilt . Wo kommenwir denn da hin? Das geht jedenfalls gar nicht .
Meine Damen und Herren, was bedeuten diese Pläne,die der Minister hier vorgeschlagen hat, eigentlich ganzkonkret? Der einzige legale Weg für viele Flüchtlinge,den es überhaupt aus Syrien gibt, ist der des Familien-nachzuges .Schon in der Vergangenheit sind diese Rechte unter-höhlt worden; denn schon heute warten die Familien, obin der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, weit überein Jahr darauf, bei den Botschaften einen Visumster-min zu bekommen . Wenn das so weitergeht und wennSie das, was Sie hier angekündigt haben, umsetzen, dannwerden sich vor allem Frauen und Kinder auf den Weg indie wackligen Boote, in die Schlauchboote, Richtung Eu-Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513208
(C)
(D)
ropa machen . Damit nimmt man im Grunde genommenin Kauf, dass das fortgesetzt wird, was wir auch heuteMorgen wieder gehört haben, nämlich 14 Tote vor Les-bos, davon vier Kinder .
Das darf so nicht weitergehen . Es muss endlich etwaspassieren . Hier muss eine vernünftige Flüchtlingspolitikstattfinden.
Man muss aber auch die Frage stellen, ob Sie eigent-lich darauf spekulieren, dass die Väter „freiwillig“ insKriegsgebiet zurückkehren . Dann wäre nämlich die gan-ze Familie der Willkür der verschiedenen Kriegsparteienin Syrien ausgeliefert . Das sind wirklich albtraumhafteVisionen, mit denen eine verantwortungsvolle Flücht-lingspolitik überhaupt nicht mehr vereinbar ist .
Wir haben gestern erfahren – das ist bereits angespro-chen worden –, dass das Dublin-Verfahren für syrischeFlüchtlinge wieder angewendet werden soll . Das bedeu-tet in Hunderttausenden von Fällen, dass vorrangig derFluchtweg und nicht mehr die Fluchtgründe geprüft wer-den . Das führt zum genauen Gegenteil von schnell durch-geführten Asylverfahren . Was hat sich denn eigentlich inden letzten Monaten geändert? Sie argumentieren hiernur noch mit Zahlen und nicht mehr mit den Rechten,die wir hier einmal festgeschrieben haben und die dieseFlüchtlinge haben . Das ist wirklich ein Skandal!
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, IhreFamilienministerin hat gestern zu Recht gefordert, dasswir in der Asyldebatte nicht jeden Tag eine neue Saudurchs Dorf treiben sollen .
Das Problem ist aber, dass auch Sie in den vergangenenMonaten eine Verschlechterung nach der anderen für dieFlüchtlinge mitbeschlossen haben . Darüber hinaus habenauch Sie – darauf hat der Minister zu Recht hingewie-sen – den Regelungen zu den subsidiär Schutzberech-tigten im Koalitionsbeschluss ausdrücklich zugestimmt .Zwar ging es hier noch um eine kleine Zahl, aber wir fin-den es schon sehr beunruhigend, wenn zum Beispiel IhreGeneralsekretärin Fahimi sagt: Zum jetzigen Zeitpunktwürde sie nicht zustimmen wollen, aber sie will es prü-fen . – Ich kann nur an Sie appellieren: Machen Sie dieserestriktive Politik gegen Flüchtlinge nicht weiter mit, dievon der Regierung immer wieder angetrieben wird!
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Jelpke .
Ja . – Zum Schluss appelliere ich an alle in diesem
Hause, endlich damit aufzuhören, die Stammtische zu
bedienen und AfD und Pegida immer weiter hinterherzu-
laufen . Wir brauchen eine gute Integrationspolitik, eine
Politik, die die Flüchtlinge aufnimmt, die für ein gutes
Gesundheitswesen und dafür sorgt, dass Kinder in die
Schule gehen können, und nicht die ständige Ankündi-
gung und Durchsetzung neuer Repressionen .
Ich danke Ihnen .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist Dr . Lars
Castellucci, SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hatuns Helmut Schmidt für immer verlassen . Ich will einZitat von ihm nennen, das, glaube ich, hilft, ihn uns nocheinmal vor das innere Auge zu führen .
Helmut Schmidt hat gesagt: „In der Krise beweist sichder Charakter“ .
Das ist einer der Sätze, die man Helmut Schmidt ab-genommen hat, weil er sie nicht als Hinweis an andereverwendet hat, sondern weil man bei ihm gespürt hat, esist sein eigener Maßstab, den er da formuliert . Er war einCharaktertyp, einer mit Haltung, einer, der nicht wackelt .Ja, er fehlt uns .Helmut Schmidt war wirklich krisenerfahren . Ich willerst einmal fragen: Würde Helmut Schmidt heute über-haupt von einer Krise sprechen? Ich sage, er würde vonSchwierigkeiten sprechen, die wir in Deutschland haben,von Problemen, vor denen wir stehen . Aber er würde unsin Erinnerung rufen: In Wahrheit ist Deutschland heuteso stark, wie es vielleicht kaum jemals zuvor in der Ge-schichte war .
Wenn wir von einer Krise sprechen wollen, dann müssenwir schon die ganze Frage in den Blick nehmen . Ja, inden Herkunftsländern gibt es eine Krise . Auch Europabefindet sich in einer Krise, aber Deutschland nicht.
Was aber auch stimmt: Es gibt Fragen: Wie viele kom-men noch? 1 Million; das ist schon ein Wort . NächstesJahr kommt wieder 1 Million? Wie geht es weiter? Und:Was bedeutet das für unser Land und für unser Zusam-Ulla Jelpke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13209
(C)
(D)
menleben? Das produziert natürlich Unsicherheit . DieMenschen sehen zwar auch die Chancen, aber sie wollen,dass wir die Chancen heben; denn sie wissen: Von selberwerden sich die Chancen nicht verwirklichen .Worauf kommt es also an? Erstens: auf Besonnenheit .Es gibt nicht die Lösung, und es gibt auch nicht immereine neue Lösung für das Problem, vor dem wir stehen .Wenn uns der Lehrer in der Schule an einem Tag erklärt:„2 plus 2 ist 4“, und am nächsten Tag sagt: „2 plus 3 istauch 4“, und am nächsten Tag das Spiel so weiter treibt,dann glauben wir ihm irgendwann nicht mehr . – Wirmüssen bei den Botschaften, die wir miteinander für dieBevölkerung gefunden haben, bleiben .
Unsere Agenda ist nicht einfach . Unsere Antwortenreichen von der Diplomatie, von dem, was in den Kri-sengebieten passieren muss, über die Transitländer, diewir unterstützen müssen, über Europa bis hin zu dem,was wir in Deutschland auf die Reihe bekommen müs-sen . Es ist schwierig . Es gibt keine einfachen Antworten .Das kann man den Leuten nicht nur sagen; das muss manihnen sogar sagen .
Worauf kommt es noch an? Zweitens: Konsequenz .Wir müssen bei den Vereinbarungen bleiben . Wir habenim Koalitionsvertrag – zwei Jahre ist er alt – festgehalten,dass das Asylverfahren drei Monate dauern soll .
Dann hat es geheißen: Jetzt steigen die Flüchtlingszah-len . Jetzt ist dies nicht mehr zu halten . – Ich sage: Umge-kehrt wird daraus ein Schuh . Mehr Flüchtlinge bedeutenumso mehr, dass wir die Verfahrensdauer von drei Mona-ten einhalten müssen .
Herr Weise hat uns gestern zugesagt, dass er dieseDauer von drei Monaten für das Jahr 2016 anstrebt . Aberda entdecke ich plötzlich ein Problem – das kann man imAnhang des Gutachtens der Sachverständigen auch nach-lesen –; denn plötzlich wird zwischen der Dauer des Ver-fahrens durch das Bundesamt für Migration und Flücht-linge – das soll drei Monate nicht übersteigen – und derDauer bis zur Eröffnung des Verfahrens unterschieden,und diese Zeit wird nicht mehr eingerechnet . Meine sehrverehrten Damen und Herren, das war mit uns nicht ver-einbart . Ich fordere, dass wir zu einer Gesamtdauer derVerfahren von drei Monaten kommen müssen und keineAufteilung vornehmen .
Meine Kollegen werden das noch ausführen .Ich bitte gleichzeitig darum, dass wir Dinge unterlas-sen, die in Wahrheit zu einer Verlängerung von Verfahrenführen werden .
Wir können natürlich jetzt beschließen, dass das Dub-lin-Verfahren wieder gilt, alle nach Hause gehen unddenken, wir haben das damit alles erledigt ist . Aber obdas draußen wirklich nutzt, ist die große Frage . Das isteigentlich keine Frage . Eine Prüfung nach dem Dub-lin-Verfahren heißt eine Verlängerung der Verfahren .
Wir haben im Oktober vier Personen zurückgeführt .Wenn ich diese Zahl nach der zweiten Kommastelle ab-runde, bin ich immer noch bei 0 Prozent Rückführung fürden Oktober .
Auf der anderen Seite wird beim Bundesamt für Migrati-on und Flüchtlinge ein Riesenaufwand betrieben . Erklä-ren Sie mir bitte die Verhältnismäßigkeit . Wir sind bereit,darüber zu reden . Aber die Vorschläge zu den Verfahrenmüssen Sinn machen .
Gleiches gilt für den Schutzstatus . Den Schutzstatusfür die Flüchtlinge zu überprüfen, wird zu einer Verlän-gerung der Verfahren führen; das hat gestern auch HerrKauder bestätigt .Ich muss zum Schluss kommen . Meine Damen undHerren, wir alle wollen weniger Flucht; das ist doch völ-lig klar . Niemand will das den Menschen zumuten . Wiralle wollen diese Herausforderung gut bewältigen . Vorallem: Wir wollen und wir müssen die Brandstifter ausden Parlamenten heraushalten .
Darum lassen Sie uns konsequent umsetzen, was wir unsvorgenommen haben . Jagen wir nicht jede Woche eineneue Sau durchs Dorf . Beweisen wir den Charakter, dersich in der Krise zeigt; denn damit hat Helmut Schmidtrecht: „In der Krise beweist sich der Charakter .“ So oderso .
Vielen Dank . – An die zukünftigen Redner und Red-nerinnen: Es wäre schön, wenn man nach dem Satz: „Ichmuss zum Schluss kommen“, auch zum Schluss käme,damit wir die Redezeiten einhalten . – Nächster Redner istder Kollege Thomas Strobl, CDU/CSU-Fraktion .
Dr. Lars Castellucci
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513210
(C)
(D)
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Menschlich ist
es total nachvollziehbar, wenn ein Flüchtling seine Fami-
lie nachholen will . Ich würde es genauso tun,
und wir alle würden es uns genauso wünschen und es
genauso machen .
Wer aber in und für Deutschland Verantwortung trägt,
muss auch abwägen, was das für unser Land bedeutet .
Wenn ein Innenminister das bedenkt, dann ist das mög-
licherweise nicht populär und wird von der Opposition
kritisiert,
aber dann macht er nichts anderes als seine Arbeit, und
er verdient die Unterstützung meiner Fraktion und unsere
Anerkennung .
Bereits heute halten sich mehr als 300 000 syrische
Flüchtlinge in Deutschland auf, von denen ein sehr gro-
ßer Teil den GFK-Flüchtlingsstatus erhalten hat . Diesen
Status will ihnen derzeit auch niemand nehmen . Das
heißt in der Konsequenz aber auch: Bereits heute müs-
sen wir mit einem Familiennachzug in einer nie dage-
wesenen Dimension rechnen . Wenn wir die bisherige
Anerkennungspraxis fortsetzen, geht es möglicherweise
um einen Familiennachzug von vielen Hunderttausend
Menschen,
ohne – ich betone: ohne – dass ein anerkannter Flücht-
ling nachweisen müsste, dass er den Lebensunterhalt für
seine nachziehende Familie sichern kann oder über aus-
reichenden Wohnraum verfügt . Das würde in der Sache
nichts anderes bedeuten, als dass zwar mit einer gewissen
zeitlichen Verzögerung, dafür aber umso sicherer eine
zweite Flüchtlingswelle auf unser Land zurollt, während
wir bereits mit äußerster Anstrengung noch an der ers-
ten Flüchtlingswelle arbeiten und diese kaum bewältigen
können .
Deswegen bin ich überzeugt: Wir müssen den Famili-
ennachzug begrenzen, um das zu tun, was wir tun wollen,
nämlich denen, die an Leib und Leben bedroht sind, auch
in Zukunft Aufnahme zu gewähren .
– Wer so laut schreit, Herr Hofreiter, hat in der Regel
schon wegen der Lautstärke des Zwischenrufs nicht
recht .
Aber jetzt hat der Kollege Strobl das Wort . – Bitte
schön .
Ich will in diesem Zusammenhang drei Punkte zu-rechtrücken:Erstens . Es wird behauptet, subsidiärer Schutz sei garkein Schutz oder eine Art Schutz light . Richtig ist: Sub-sidiär Schutzberechtigte sind Flüchtlingen nach der Gen-fer Flüchtlingskonvention weitgehend gleichgestellt . Sieerhalten die gleichen sozialen Leistungen, dieselben Ar-beits- und Integrationsmöglichkeiten . Vor allem gilt abereines: Subsidiärer Schutz besteht, solange ein Konfliktanhält und eine Rückkehr in den Herkunftsstaat nichtmöglich ist . Nur der Aufenthaltstitel wird zunächst nurfür ein Jahr gewährt, in der Folge aber immer für zweiweitere Jahre verlängert . Es ist ganz klar, und alle ande-ren Behauptungen sind grober Unfug: Wir schicken nie-manden in ein Bürgerkriegsland zurück . Das ist groberUnfug, was Sie hier erzählen .
Zweitens wird behauptet: Wer den Familiennachzugeinschränkt, lässt Familien im Bürgerkrieg zurück .
Richtig ist: Für den Familiennachzug muss ein Visum aneiner unserer Botschaften beantragt werden .
Der allergrößte Teil der syrischen Flüchtlinge kommtnicht unmittelbar aus den Bürgerkriegsgebieten, sondernaus den Flüchtlingslagern in der Türkei, in Jordanien undim Libanon . Dort ist die Situation sicherlich sehr, sehrschwierig . Aber lebensbedrohlich ist das nicht unmittel-bar . Wir setzen vor allem in Deutschland alles, wirklichalles daran, dass in diesen Einrichtungen in der Türkei,in Jordanien und im Libanon die Lebensverhältnisse bes-ser werden . Wir, diese Bundesregierung – allen voran
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13211
(C)
(D)
Angela Merkel, die Bundeskanzlerin –, arbeiten daran,dass es in der Türkei für die Menschen bessere Lebens-verhältnisse gibt und dass sie Arbeitsmöglichkeiten be-kommen . Wir unterstützen die Bundeskanzlerin in dieserArbeit, damit weniger Menschen zu uns fliehen müssenund wir im Übrigen auch unsere griechische Außengren-ze zur Türkei besser schützen können .
Das ist der Weg, den wir gehen .
Ich komme sofort zum Ende . Drittens wäre die Aner-kennung von Syrern als subsidiär Schutzberechtigte keindeutscher Sonderweg . Hier kann ich nur sagen: Eine gan-ze Reihe europäischer Länder – darunter diejenigen, dieaußergewöhnlich viele Flüchtlinge aufnehmen – gewährtdiesen Flüchtlingen subsidiären Schutz . Dazu gehörendie Niederlande und Schweden, das der Hälfte der syri-schen Flüchtlinge subsidiären Schutz gibt . Diese Ländersind doch nicht inhuman, sondern geben gemeinsam mitDeutschland in dieser Krise eine humanitäre Visitenkartefür ganz Europa ab .
Diese Leistungsfähigkeit wollen wir uns auch in Zukunfterhalten . Deswegen müssen wir den Familiennachzugbegrenzen .Danke schön .
Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
die Kollegin Sevim Dağdelen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrter Herr Minister, diese Aktuelle Stunde findetheute statt auf Antrag der Grünen und der Linksfraktion,weil Sie als Innenminister dieser Bundesregierung oderauch nicht – offenbar gibt es hierzu Meinungsverschie-denheiten mit Ihrem Koalitionspartner – die Fluchtmög-lichkeiten für Frauen und Kinder aus Syrien beschneidenwollen . Um nichts anderes geht es hier, wenn Sie denFamiliennachzug für syrische Flüchtlinge verhindernwollen . Syrische Flüchtlinge sollen nach dem Willen desInnenministers nicht mehr als Flüchtlinge im Sinne derGenfer Flüchtlingskonvention anerkannt und behandeltwerden, sondern als Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz .Das ist im Kern nichts weiter als eine Duldung: ein Jahrhier sein, warten, in dieser Zeit meistens nicht Deutschlernen können,
keine Familien nachholen und nicht wissen, wie langeman hierbleiben darf . Das ist Gift für die Integration . Esist das Gegenteil von Integration, was Sie hier mit IhrenMaßnahmen schaffen .
Wenn Sie mit Ihrem Plan durchkommen, werden sichnoch mehr Frauen und Kinder auf die gefährliche Reiseüber das Mittelmeer machen müssen, um Schutz zu be-kommen . Da frage ich Sie, Herr Minister, die anderen ausdem Kabinett und ganz besonders die Koalitionsfrakti-onen: Wollen Sie verantwortlich sein für mehr Tote imMittelmeer? Wollen Sie das tatsächlich verantworten?Sie verhindern, dass Kinder mit ihren Eltern zusammen-leben können . Sie haben doch selbst Familie . StellenSie sich einmal vor, dass Sie von Ihrer Familie getrenntbleiben müssen, während der Rest der Familie unter demBombenhagel und bei Kämpfen zwischen terroristischenIslamisten und der Armee sein Leben verliert . Das istdann das Ergebnis Ihrer Politik und insbesondere dieserMaßnahme . Das ist nicht nur unchristlich . Das ist viel-mehr eine moralische Bankrotterklärung .
Deshalb haben die zwei großen Kirchen Ihre Politik ver-urteilt und sagen: Hören Sie mit der menschenverachten-den Politik auf, die Sie mit der Verhinderung des Famili-ennachzugs betreiben!
Ich finde es gut, Herr Castellucci, dass die SPD – sotapfer und standhaft, wie sie hier im Bundestag immerist – sagt, dass dies mit ihr nicht zu machen ist . Wennich mich aber an die Vorratsdatenspeicherung, die Asyl-rechtsverschärfung und die Transitzonen, die nun Regis-trierzonen genannt werden, erinnere,
dann stelle ich fest, dass die SPD zuerst nicht dafür war,es dann aber gemacht hat .
Wenn Sie bei der Beschränkung des Familiennachzugssagen, das sei mit Ihnen nicht zu machen
– das ist die Sache –, stellt sich die Frage, ob Sie IhrePosition, die Sie heute vertreten, weiterhin glaubwürdigvertreten werden, ob sich die Flüchtlinge darauf verlas-sen können, dass die SPD nicht nur heute sagt, sie sei ge-gen die Begrenzung des Familiennachzugs, sondern auchmorgen und übermorgen . Das ist doch die Politik, mit derwir es in der letzten Woche zu tun hatten .
Es sollen ja noch Wunder geschehen . Ich hoffe darauf –ich würde mich freuen –, dass Sie bei dieser Position blei-ben, dass Sie hier Rückgrat zeigen und als Sozialdemokra-tinnen und Sozialdemokraten diese Maßnahme von Herrnde Maizière und Co . verhindern . Sie sollten aber auch ver-Thomas Strobl
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513212
(C)
(D)
hindern, dass statt Fluchtursachen weiterhin Fluchtmög-lichkeiten bekämpft werden; denn nichts anderes ist es,wenn Sie dabei helfen, dass den Menschen die Fluchtwegeabgeschnitten werden oder auch sichere, legale Wege überden Familiennachzug abgeschnitten werden .Gestern hat meine Fraktion Gäste von der syrischenzivilen Opposition empfangen . Eine ihrer Forderungenwar die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen, die 2011verhängt worden sind und die eben nicht Assad und sei-ne Entourage, sondern die Bevölkerung in Syrien treffen .Schon im Herbst 2013 tauchten erste Berichte über ver-hungernde Kinder in Vororten von Damaskus oder auchim Flüchtlingslager Jarmuk auf . Die Sanktionen habendas ganze Gesundheitssystem kollabieren lassen . Medika-mente gegen Krebs, Herzkrankheiten oder auch Diabeteskönnen nicht mehr importiert werden . Aufgrund der Sank-tionen in der Pharma- und auch der Chemieindustrie kön-nen sie auch nicht mehr produziert werden . Die Lebens-erwartung ist um 20 Jahre gesunken. Ich finde, es ist einehumanitäre Pflicht, wenn man davon spricht, Fluchtur-sachen zu bekämpfen, diese Sanktionen aufzuheben unddas Elend der Menschen dort zu verringern . Dann werdenauch weniger Menschen nach Europa kommen müssen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Sönke
Rix, SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zunächst einmal möchte ich auf den Vorwurf eingehen,dass die SPD nicht zu dem steht, was sie sagt . Ich wärebei der Debatte über den Familiennachzug sehr vor-sichtig mit Behauptungen, insbesondere wenn man diePressemitteilung des Fraktionsvorsitzenden im saarlän-dischen Landtag Oskar Lafontaine liest .
Die war überschrieben: Familiennachzug eindämmen,um weiteren Flüchtlingszuzug zu ermöglichen . – EinAusspielen der Flüchtlingsgruppen gegeneinander ist ge-nauso wenig hilfreich, wie das infrage zu stellen, wofürdie SPD steht .
Zunächst einmal will ich grundsätzlich etwas fragen,und zwar: Wie ist eigentlich unsere Haltung in der aktu-ellen Debatte zur Flüchtlingssituation?
Ich vermeide bewusst das Wort „Flüchtlingskrise“ .
Wir haben die Situation, dass wir zwei Grundsätzezu berücksichtigen haben . Der erste Grundsatz ist: Werum Sicherheit und Leben fürchten muss, der soll hier inDeutschland Sicherheit und Hilfe auch erhalten . DiesemGrundsatz fühlen wir uns verpflichtet. Der zweite Grund-satz muss sein: Vor dem Hintergrund der besonderen He-rausforderungen, die damit einhergehen, brauchen wirbei diesem sehr schnellen Zuzug von Flüchtlingen, denwir im Moment erleben, vor allen Dingen eine Gesell-schaft, die zusammenhält . Das ist ein wesentlicher Be-standteil unserer Arbeit .Umso wichtiger ist es, dass wir mit unserer Wortwahlvorsichtig sind und nicht von „Flüchtlingswellen“ undvon „Dramatik“ reden, wenn es keine Dramatik gibt .
Ich hatte gerade eben eine Besuchergruppe und habe dieFrage gestellt bekommen: Wie gehen Sie eigentlich da-mit um, dass viele Menschen so viel Angst haben? Wasantworten Sie den Menschen eigentlich? – Die Besuche-rin sprach auch von diffusen Ängsten . Darauf sagte ich:Ich mache das so ähnlich wie mit meinen Kindern . Ichfrage nach der konkreten Angst, ich frage, wo die kon-krete Befürchtung ist . Wir müssen aufpassen, dass wirnicht Ängste schüren, obwohl die Menschen keine Ängs-te haben müssen . Die Situation ist beherrschbar, liebeKolleginnen und Kollegen .
Wir haben bewiesen, dass wir als Koalition hand-lungsfähig sind . Wir stellen den Kommunen und denLändern erheblich mehr Mittel zur Verfügung . Wir ar-beiten außenpolitisch an der Situation, insbesondere ander Situation in den umliegenden Ländern in der Kri-senregion . Wir unterstützen bei der Bereitstellung vonUnterkünften, und wir ermöglichen bürgerschaftlichesEngagement, weil bürgerschaftliches Engagement be-sonders wichtig ist, auch für die Akzeptanz in der Gesell-schaft . Erst dann, wenn viele Teile der Gesellschaft denFlüchtlingen helfen, haben wir die Gewähr, dass dann inder Gesellschaft eine große Anerkennung folgt . Wir soll-ten alles daransetzen, dass wir das, was wir gemeinsambeschlossen haben, umsetzen, bevor wir die schon viel-zitierte neue Sau durchs Dorf jagen, liebe Kolleginnenund Kollegen .Für uns heißt es, klare Haltung in der Familienpolitikzu zeigen. Wir haben eine sehr deutliche Verpflichtunggegenüber Frauen und Kindern, die um ihre Sicherheitund um ihr Leben fürchten müssen . Wir haben in unse-rem Grundgesetz einen Grundwert bezüglich der Fami-lienpolitik, dort steht: Wir wollen Familie, Ehe und Kin-der schützen . – Das gilt auch für Flüchtlingskinder, fürFlüchtlingsfamilien .
Diese Haltung sollten wir wahren und nicht durchneue Vorschläge so tun, als ob wir mit einem Auseinan-derreißen von Familien – nichts anderes wäre das – eineSevim Dağdelen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13213
(C)
(D)
Situation bekommen, wonach wir eine Entlastung anden Grenzen und bei den Verfahren hätten . Das Gegen-teil wäre doch der Fall . Diejenigen, die nicht nachziehenkönnen, würden ihren Asylantrag individuell stellen . Siewerden individuell an der Grenze stehen und sich auf denunsicheren Weg machen . Das dürfen wir hier nicht ver-antworten, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Es wäre auch integrationspolitisch falsch, die Männerhier alleine zu lassen und ihnen Möglichkeiten zu geben,die Sprache zu lernen, sich zu integrieren und vielleichtauch in Ausbildung und Arbeit zu kommen, aber ihre Fa-milien nicht hierherziehen zu lassen . Ich glaube, es istwesentlich und wichtig, dass Familien hier gemeinsamsein können . Hier müsste das Familienbild der Unioneine große Rolle spielen .Ich will noch einen letzten Satz sagen . Wir haben nocheine EU-Richtlinie auf den Weg zu bringen, mit ihr ha-ben wir insbesondere den Schutz von Kindern, Familienund Frauen umzusetzen . Ich warne davor, die Umsetzungdieser EU-Richtlinie zu verzögern . Wir brauchen denSchutz der Flüchtlingskinder und der Flüchtlingsfrauen,die bereits in unseren Einrichtungen sind . Deshalb bitteich ganz dringend darum, diese Richtlinie sofort und sehrschnell umzusetzen; nicht nur der Weg hierher soll er-möglicht werden, sondern auch der Schutz hier . Sie brau-chen Schutz und Hilfe . Das sollte unser Ziel sein .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen hat jetzt Volker Beck das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichmöchte mit einem Wort der Anerkennung für Ihre Rede,Herr Castellucci, beginnen . Ich fand sie sehr präzise undsehr mutig .
Mutig fand ich, dass Sie sich hinter Ihre Bundeskanzleringestellt haben . Das ist in diesen Zeiten in der Koalitionschon etwas Besonderes, das Würdigung verdient .
Ich gehöre dem Hohen Hause seit 21 Jahren an . Ichmuss sagen: Was heute hier stattgefunden hat, habe ichin meiner Zeit als Abgeordneter bislang nicht erlebt: of-fener Kampf des Bundesinnenministers gegen die Richt-linienkompetenz der Bundeskanzlerin . Das haben wir sonoch nicht gesehen . Am Donnerstag einigen sich die Par-teivorsitzenden . Am Freitag hält der Innenminister einStatement . Er hatte eine Presseanfrage – oh Wunder . DerKanzleramtsminister und Flüchtlingskoordinator sam-melt das Statement wieder ein, und am Mittwoch erzähltder Bundesinnenminister hier am Rednerpult kackfrechgenau dasselbe, was er am Freitag schon erzählt hat . Soviel Ignoranz gegenüber der Bundeskanzlerin, gegenüberder Koordination einer gemeinsamen Politik durch dasBundeskanzleramt, habe ich noch nicht erlebt .
Offensichtlich haben Sie nicht verdaut, dass man Ih-nen mit Herrn Altmaier einen Flüchtlingskoordinator vordie Nase gesetzt hat . Nun wehren Sie sich offensichtlichmit den Instrumenten des zivilen Ungehorsams. Ich fin-de es angesichts der humanitären Frage, um die es hiergeht, vollkommen unangemessen, auf dem Rücken derFlüchtlinge und dem Rücken des demokratischen Klimasin diesem Land einen solchen Machtkampf aufzuführen .
Herr Innenminister, in der Sache richten Sie maxi-malen Schaden an . Sie verkünden, anders als es derBeschluss der drei Parteivorsitzenden vorsieht, dass beisubsidiär Geschützten der Familiennachzug zwei Jahreausgesetzt werden soll – das finde ich in der Sache ver-kehrt –, in der Presse aber etwas ganz anderes:Ihr bekommt Schutz, aber den sogenannten subsidi-ären Schutz – das heißt zeitlich begrenzten Schutzohne Familiennachzug .Das sagte der Bundesinnenminister am 6 . November2015 .„Ohne Familiennachzug“, das heißt für viele Men-schen, die in Flüchtlingscamps in Syrien oder am Randevon Syrien, in Nachbarstaaten, sind: Für euch gibt es kei-ne legale Chance, zu euren Söhnen, zu euren Männernnach Deutschland oder nach Europa zu kommen . Euchbleiben nur der Schleuser und der Weg über das Mittel-meer . – Das ist zynisch, und das ist nichts anderes als einSchleuserwesenankurbelungsprogramm .
Angeblich wollen Sie doch genau das bekämpfen . Dasmacht mich in der Sache wirklich sprachlos. Ich finde, soetwas darf man als Innenminister in einer solchen Situa-tion nicht machen . Das Innenministerium braucht gegen-wärtig einen Troubleshooter, aber es hat einen Trouble-maker, und da ist der Fehler .
Meine Damen und Herren, der zweite Punkt, über dengerade geredet wird, ist ja die Frage, ob wir zum Dub-lin-Verfahren zurückkehren . Da liegt natürlich ein Pro-blem: Ja, wir brauchen eine neue europäische Begründungeiner solidarischen Flüchtlingsaufnahme . Aber durch dieWiederherstellung des gescheiterten Dublin-SystemsSönke Rix
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513214
(C)
(D)
wird das nicht gelingen . Das Reden über eine neue eu-ropäische Aufnahme fängt damit an, dass Deutschlandgegenüber seinen europäischen Partnern eingesteht, dassdas Dublin-System auf Egoismus angelegt war und dassDeutschland von diesem Egoismus über annähernd zweiJahrzehnte profitiert hat.
Wir waren umzingelt von sicheren Drittstaaten; Flücht-lingsaufnahme war ein Problem der anderen . Sie ginguns nichts an – bis es schiefging .Man hätte es schon länger wissen müssen . Als aufdem Oranienplatz hier in Berlin die ersten Flüchtlingeaus Italien ankamen, hätte ein Innenminister reagie-ren und sagen müssen: Wir müssen diese solidarischeFlüchtlingsaufnahme mit neuen Instrumenten europäischabsichern . – Dazu gehört für mich: einheitliche Mindest-standards bei der Versorgung . Es kann nicht sein, dassin manchen Ländern Flüchtlinge noch nicht einmal eineUnterkunft bekommen .
Außerdem muss es endlich einen europäischen Me-chanismus der Finanzierung geben, ähnlich wie wir ihnjetzt im Verhältnis zwischen Bund und Ländern haben .Es darf sich nicht für diejenigen rechnen, die sich amEnde aus der Solidarität und aus der humanitären Auf-gabe davonstehlen. Das muss solidarisch finanziert sein.Wir können doch nicht hinsichtlich der Einhaltung derMaastricht-Kriterien Schäuble losschicken, damit dersagt: „Achtet auf euren Haushalt“, und im Hinblick aufdie Flüchtlingsaufnahme sagen: Seid aber bitte schönhumanitär . – Das ist angewandtes Spaltungsirrsein . Dasdarf es nicht geben .
Aber die Wiederherstellung des Dublin-Abkommensüber repressive Maßnahmen führt doch nur zu einem: zuvölligem Chaos . Deutschland hat zwei Monate Zeit, umeinen Antrag auf Rücknahme zu stellen . Das Aufnahme-land hat drei Monate Zeit, um darauf zu antworten . Dannhat Deutschland sechs Monate Zeit, um es umzusetzen .Zwischen 2 und 5 Prozent liegen in der Regel die rea-len Rückführungsquoten . Ein Flüchtling ist also ein Jahrhier, und nichts ist passiert, und dann stellen wir fest:Jetzt bleibt er doch da .
Herr Kollege .
Dann fangen wir mit der Integration an . Das ist wirk-
lich eine Politik, durch die Sie dem Land nicht signali-
sieren, dass wir das schaffen können und dass wir das
schaffen wollen . Wenn wir wollen, dann können wir;
aber bei Ihnen bin ich mir nicht sicher, ob Sie wirklich
noch wollen .
Vielen Dank, Herr Kollege Beck . – Nächste Redne-
rin für die CDU/CSU-Fraktion ist die Kollegin Andrea
Lindholz .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Deutschland hilft in dieser histori-schen Flüchtlingskrise wie kaum ein anderes Industrie-land . Das ist gut und richtig; aber auch unsere Kräftesind begrenzt . Ich darf Erhart Körting, den ehemaligenInnensenator des Landes Berlin, zitieren, der heute in derFAZ sagt: „Die Aufnahmemöglichkeiten sind endlich .“Genau das wird uns auch tagtäglich von Bürgerinnen undBürgern, von verantwortlichen Bürgermeistern, Landrä-ten, Kommunalpolitikern aller Parteien, Hilfsorganisati-onen und vielen Helferinnen und Helfern in diesem Landbestätigt: Ja, wir wollen helfen; aber unsere Kapazitätensind begrenzt .
All diese Menschen erwarten von uns Antworten .Diese Antworten sollten mehr als nur polemische Redensein . Es sollten konkrete Vorschläge sein . Die könnensich nicht nur mit der Integration beschäftigen, sondernsie müssen sich auch mit den Fragen der Begrenzung be-schäftigen .Bis Ende Oktober waren in Deutschland 758 000Asylbewerber im System zur Erstverteilung registriert .Monatlich kommen bis zu 180 000 Migranten dazu . Hun-derttausende Migranten wurden bisher überhaupt nichterfasst . Sie verteilen sich selbstbestimmt in Deutschlandund Europa . In Schweden ist die Aufnahmekapazitätbereits erschöpft, und in Österreich ist die Lage ähnlichprekär .Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatin diesem Jahr über 205 000 Anträge entschieden und83 000 Menschen Flüchtlingsstatus oder Asyl gewährt .Natürlich dürfen diese Menschen ihre Kernfamilie nach-holen . Sie müssen bei uns auch ordnungsgemäß versorgtund integriert werden . 330 000 Asylanträge sind nochoffen .Das alles stellt unser Land vor große Herausforderun-gen . Diese werden durch den extremen Anstieg der Zu-wanderung, den wir seit September dieses Jahres erleben,immer mehr potenziert . Auch die deutschen Kommunensind überfordert . Der Städte- und Gemeindebund hatschon Anfang Oktober die Einschränkung des Familien-nachzuges gefordert .Ja, Deutschland muss angesichts dieser dramatischenEntwicklung Entscheidungen treffen, die sicherlich nichtimmer einfach sind . Die Bürgerinnen und Bürger erwar-ten aber von uns, dass wir geltendes europäisches undVolker Beck
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13215
(C)
(D)
nationales Recht anwenden . Dazu gehört auch die Dub-lin-Verordnung, solange sie nicht durch ein anderes Sys-tem abgelöst ist .
Eine Vervielfachung der hohen Zugangszahlen in-nerhalb kurzer Zeit würden wir in diesem Land nichtverkraften . Das würde auch unsere Integrationskraftüberfordern . Auch diese Erkenntnis gehört zu einer ver-antwortungsvollen Flüchtlingspolitik .
Die Koalition hat sich daher in den letzten Wochenauf weitere Maßnahmen geeinigt – auch darauf, den Fa-miliennachzug für subsidiär Geschützte für zwei Jahreauszusetzen . Bis Juli dieses Jahres konnten subsidiär Ge-schützte nur unter engen Voraussetzungen ihre Familiennachholen . Wir haben dies verbessert, obwohl weder dasEU-Recht noch unsere Verfassung diesen Anspruch vor-sehen .Wer geglaubt hat, dass dieser Punkt in der Einigungüberhaupt keine Relevanz haben soll, dem ist offensicht-lich der Ernst der Lage nicht bewusst . Die Union hat ge-fordert, den Familiennachzug für subsidiär Geschütztefür zwei Jahre auszusetzen und nicht abzuschaffen . Ersoll für zwei Jahre ausgesetzt werden, um in diesem Landauch wieder Kapazitäten zu schaffen, die notwendigenIntegrationsleistungen in ausreichendem Maße zu erbrin-gen und die Zuwanderung in unser Land auch ein Stückweit mit steuern zu können .
Natürlich muss auch bei allen Asylbewerbern dasAsylrecht konsequent angewendet werden . Es müssenauch wieder Anhörungen – auch bei den Syrern – durch-geführt werden . Das muss einerseits deshalb geschehen,weil wir alle Flüchtlinge gleich behandeln sollten, ande-rerseits aber – das ist viel wichtiger –, weil wir einfachklären müssen, wer wirklich aus Syrien stammt . Und dasgeht eben nun einmal nur mit einer ordnungsgemäßenAnhörung . Es ist kein Geheimnis, dass man in Istanbuleinen syrischen Pass für einige 100 Euro bekommt . Defacto stammt bereits eine gewisse Anzahl der syrischenAsylbewerber gar nicht aus Syrien . Auch das ist Teil derWahrheit, über die man sprechen muss .
Die Beschleunigung von Asylverfahren ist und warwichtig . Sie wird von uns auch nicht in Abrede gestellt .Schnelligkeit allein aber darf kein Selbstzweck sein . DieFrage, ob Asyl, Flüchtlingsstatus oder subsidiärer Schutzgewährt wird, muss im Einzelfall anhand der geltendenRechtslage geklärt werden . Und hierfür ist nicht die Poli-tik zuständig, sondern hierfür sind die Entscheidungsträ-ger im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zustän-dig . Deshalb unterstützt auch die Unionsfraktion – dasgilt auch für mich selbst – den Vorschlag unseres Bun-desinnenministers, jeden einzelnen Antrag – auch wiederdie Anträge von Syrern – nach geltendem Asylrecht undim Einzelfall zu prüfen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Frank
Schwabe für die SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich mache das sonst nicht, will an dieser Stelle abersagen: Liebe Engagierte, liebe Haupt- und Ehrenamtli-che – die jetzt vielleicht zuschauen oder später zuschauenwerden –, ich will Sie zu dieser Debatte besonders begrü-ßen . Denn Sie machen in dieser Zeit eine tolle Arbeit . Ichglaube, dass dieses Land – ich denke, das muss man sosagen – wirklich stolz auf das sein kann, was Sie zurzeitfür Flüchtlinge leisten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn sich dasheute kaum jemand vorstellen kann: Es wird eine Zeitnach der Flüchtlingslage geben, die wir zurzeit haben;vielleicht wird diese Zeit auch schneller kommen als ge-dacht . Wir werden in dem Lichte dann auf das zurück-blicken müssen, was wir heute diskutieren und was wirheute entscheiden . Ich hoffe, dass wir dann nicht vollerScham darauf zurückblicken müssen .
Eigentlich müsste man es nicht extra sagen: Wir redenüber Menschen und darüber, wie Menschen mit Men-schen umgehen . – Das ist jetzt ein bisschen pathetisch,aber ich will das in dieser Zeit doch einmal sagen: Wirhaben bald Weihnachten . Ich frage mich wirklich, wieman Heiligabend mit seiner Familie besinnlich vor demWeihnachtsbaum sitzen und gleichzeitig auf die Ideekommen kann, Väter, Mütter, kleine Mädchen und Jun-gen voneinander zu trennen . Wie will man das eigentlichverantworten?
Es ist leider die Konsequenz einer Politik, wie sie hiergelegentlich skizziert wurde, dass am Ende Kinder mitihren Müttern auf eine todbringende Reise über das Meergezwungen werden . Wir reden im Übrigen – das will ichnur noch einmal betonen – über die Kernfamilie . Wir re-den an dieser Stelle über Mutter, Vater, Kind; über nichtsanderes .
Ich finde, ein solches Verhalten ist mit dem Grundsatzder christlichen Nächstenliebe nur schlecht zu vereinba-ren, eigentlich gar nicht zu vereinbaren . Ich bin wirklichAndrea Lindholz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513216
(C)
(D)
stolz darauf und froh darüber, dass meine Partei sich daklar positioniert hat .
Man muss noch einmal zurückdenken: Wie war eseigentlich Anfang des Jahres, als wir die Ereignisse umLampedusa und all die Diskussionen darum hatten? Dahaben wir doch eine Korrektur vorgenommen, haben ge-sagt: Wir müssen alles tun, um Menschen vor dem Er-trinken zu retten. – Zurzeit findet das EU-Afrika-Treffenin Valletta statt . Dort wird eine Abschlusserklärung – sieist schon verabredet – verabschiedet . Darin steht als erstePriorität: Lebensrettung und Achtung der Menschenrech-te . – Das ist die erste Priorität .
Ich glaube, dem müssen wir uns auch in unserer Politikstellen .Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Flüchtlingsla-ge ist herausfordernd – das ist mehrfach betont worden –,aber Hysterie ist fehl am Platze .
Die Regierung ist gehalten, nicht Scheinlösungen vor-zulegen, getrieben von irgendeiner Hysterie; wir müssenganz kontinuierlich und vernünftig das abarbeiten, waswir uns vorgenommen haben . Wir hatten gestern – esist schon gesagt worden – Frank-Jürgen Weise in derSPD-Fraktion . Es war sehr wohltuend, was er da gesagthat .
Wir haben das Vertrauen, dass er jemand ist, der wirklichdie Dinge abarbeiten kann, die wir miteinander beschlos-sen haben .Ich will auch das noch einmal sagen: „SubsidiärerSchutz“ und „Dublin“ sind zwei Stichworte, sind amEnde zwei Synonyme für mehr Bürokratie und nicht fürweniger Bürokratie .
Wie wir damit die Aufgabe besser bewältigen können, istmir jedenfalls nicht klar .Wir brauchen die volle Unterstützung für Kommunen,Hilfsorganisationen und Ehrenamtliche . Die Bürgermeis-ter sind genannt worden, Frau Lindholz, parteiübergrei-fend . Es gibt in der Tat verantwortungsbewusste Bür-germeister und Oberbürgermeister . Da ist etwa der OBDupper in Passau . Was man von ihm lesen kann, ist wirk-lich beeindruckend . Ich habe gerade auch gelesen, dassStephan Neher – in Klammern: CDU – klar gesagt hat:Wir schaffen das bei uns in Rottenburg . Wenn Deutsch-land das nicht schafft, wer soll das eigentlich sonst schaf-fen?
Verantwortungslos ist – das will ich an dieser Stelleauch sagen –, wenn Herr Landsberg vom Städte- und Ge-meindebund – es gibt da noch andere Verbandsfunktionä-re – sich nicht nur zur kommunalen Situation äußert – daszu tun ist seine Aufgabe –, sondern sich auch als Hob-byaußenpolitiker geriert . Ich sage, nicht zu kritisch auchin Richtung meiner eigenen Kolleginnen und Kollegen inder Fraktion: Ich finde es problematisch, wenn Kommu-nalpolitiker oder auch Innenpolitiker anfangen, außen-politische Fragen in einer bestimmten Art und Weise zubewerten .
Dafür haben wir wirklich eine vernünftige, verlässlicheAußenpolitik, und die kann bewerten, wo auf der Welt essichere Zonen gibt und wo nicht .In der aktuellen Debatte wird immer wieder etwas ge-sagt, was nicht stimmt, und das ärgert mich am meisten .Tatsache ist: Deutschland tut eine ganze Menge in derFrage der humanitären Hilfe . Frank-Walter Steinmeierläuft sich die Hacken ab, um da voranzukommen . Wirhaben in Deutschland die Mittel massiv erhöht; das istwahr .Aber wir haben weiterhin folgende Situation – daskönnen alle nachlesen –: Im Jahr 2015 haben die Ver-einten Nationen um 2,9 Milliarden US-Dollar Hilfe fürSyrien gebeten . Davon sind 1,059 Milliarden US-Dollargedeckt . Das sind 37 Prozent . An Hilfe für die Regionenrund um Syrien halten die Vereinten Nationen 4,5 Milli-arden US-Dollar für nötig . Davon wurden 2,278 Milliar-den US-Dollar zur Verfügung gestellt . Das sind 50 Pro-zent . Nicht mal die Hälfte des Geldes, das notwendigist, um Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen oderihnen genug zu essen zu geben, wird von der internatio-nalen Gemeinschaft aufgebracht. Ich finde, es ist die Auf-gabe von uns allen, das endlich zu ändern und dafür zusorgen, dass Fluchtursachen wirklich bekämpft werden .Das schaffen wir nicht durch Abschreckungsmaßnah-men, sondern nur durch Hilfe für die Menschen vor Ort .
Vielen Dank . – Die nächste Rednerin ist Nina Warken,
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Menschen im Land schauen heute in ihrer ganz über-wiegenden Zahl mit dem Wunsch nach Berlin, dass wirden Zustrom an Asylsuchenden ordnen und begrenzen .Das ist verständlich . Die Kommunen leisten Großartigesbei der Unterbringung von Flüchtlingen . Sie sind, eben-so wie die vielen Ehrenamtlichen von DRK, Feuerwehr,THW, Helferkreisen etc ., am Rande ihrer Leistungsfä-Frank Schwabe
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13217
(C)
(D)
higkeit . Dem Anliegen, den Flüchtlingsandrang zu ord-nen und zu begrenzen, müssen wir Rechnung tragen .Es ist Zeit, zu handeln .
Die Koalition ist sich dieser Situation sehr bewusst . Siehandelt .
Mit dem in kürzester Zeit beschlossenen Asylverfahrens-beschleunigungsgesetz und der Vereinbarung der Par-teivorsitzenden von vergangener Woche haben wir zweiSchritte in die richtige Richtung gemacht . Weitere Schrit-te müssen und werden folgen . Dabei sollte man keinenWeg von vornherein ausschließen, schon gar nicht, wennman wie Sie, liebe Kollegen von der Opposition, keineeigenen Vorschläge hat .Ich möchte die Gelegenheit heute auch nutzen, einigeDinge klarzustellen .
Es geht hier nicht um eine pauschale Beschränkung derRechte der Flüchtlinge aus Syrien . Es geht auch nicht da-rum, den Entscheidern politische Vorgaben zu machen .Nein, es geht darum, geltendes Recht anzuwenden . Esgeht darum, wieder zur Einzelfallprüfung, zu individuel-len Entscheidungen, zur Anwendung objektiver Kriterien
und zu den Regelungen der Genfer Flüchtlingskonventi-on zurückzukommen .
Wir sollten keine Gruppe privilegieren und bei keinerGruppe pauschal auf die Durchführung von Anhörungenverzichten und im schriftlichen Verfahren entscheiden .Für diesen Weg hatte man sich vor rund einem Jahr ent-schieden . Das wird in der aktuellen Debatte oft verges-sen – unter dem Druck der steigenden Zugangszahlenund unbearbeiteten Anträge .
Das mag damals richtig gewesen sein; aber eine geänder-te Lage erfordert ein Umdenken .
Der aktuelle Zustrom von Menschen aus Syrien ist einkomplett anderer, er ist um ein Vielfaches größer und un-kontrollierter .
Eine nicht unbeachtliche Zahl kommt dabei bereits aussicheren Drittstaaten zu uns . Es ist davon auszugehen,dass etwa 30 Prozent derer, die behaupten, sie kämen ausSyrien, tatsächlich keine Syrer sind .
Wenn jetzt also über eine Änderung gesprochen wird,ist dies schon aus Sicherheitsinteressen geboten .
Wir sollten daher wieder zu einem Verfahren mit einerAnhörung und einer Prüfung jedes Einzelnen, seinerIdentität und der ihm zustehenden Rechte zurückkom-men .
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die
Ein Verfahren, das alle Antragsteller gleich behandelt undniemanden privilegiert . Ein offenes Verfahren, an dessenEnde die Entscheidung steht, ob Asyl, Flüchtlingsstatusoder subsidiärer Schutz gewährt wird . Der Schutzstatusdarf sich nicht ausschließlich an einer oft auch nur be-haupteten Staatsangehörigkeit orientieren .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um einem weiterenVorwurf klar entgegenzutreten: Keiner möchte hier denFamiliennachzug für alle Syrer grundsätzlich abschaffen .
Wir – damit meine ich die Koalition – wollen eine Geset-zesänderung dahin gehend, dass man bei einer gewissenPersonengruppe, nämlich den subsidiär Schutzbedürf-tigen, das Recht auf Familiennachzug für zwei Jahreaussetzt, ein Recht übrigens, das kein althergebrachtesist, sondern das man dieser Gruppe in der jetzigen Formüberhaupt erst vor wenigen Monaten im Rahmen einerGesetzesänderung zugesprochen hat .Eine veränderte Lage erfordert auch eine verändertePolitik . Gerade unserer Fraktion ist der Schutz von Eheund Familie sehr wichtig .
Wir sehen aber auch, dass wir jetzt schon kaum in derLage sind, diejenigen, die zu uns kommen, gut unter-zubringen und zu versorgen . Es ist auch ein Gebot derMenschlichkeit, die Angekommenen angemessen aufzu-nehmen .
Es ist daher richtig, heute über die Aussetzung des Fa-miliennachzugs für die subsidiär Schutzbedürftigen zuNina Warken
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513218
(C)
(D)
sprechen . Das mag hart klingen, ist aber ehrlich gegen-über denjenigen, die bei uns um Aufnahme ersuchen .Wir wären mit diesem Weg auch nicht alleine oderblieben hinter europäischen Standards zurück . Unserederzeitige Praxis gibt es in keinem anderen Land der EU .Auch das ist für die Menschen ein Anreiz, gerade zu unszu kommen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen drin-gend Mittel und Wege finden, unsere massiv unter Druckgeratenen Kommunen zu entlasten,
den Flüchtlingszustrom zu steuern und für unsere Asyl-politik die notwendige breite Akzeptanz in der Bevölke-rung zu erhalten .Ein Wort noch, liebe Kolleginnen und Kollegen, zuden Diskussionen der letzten Tage: Ich wehre mich ent-schieden dagegen, dass man angesichts der Situation inunserem Land pauschal und a priori eine Welle der Em-pörung über pragmatische Vorschläge zur Bewältigungder Lage losbricht .
Es ist jetzt nicht die Zeit für Empörung und ideologischeDebatten .
Es ist Zeit, zu handeln . Wir brauchen eine Politik, diesich am Machbaren und an den tatsächlichen Verhältnis-sen in unserem Land orientiert . Dafür plädiere ich .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt Michael Frieser .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Manchmal bin ich über die Aufge-regtheit in diesem Haus wirklich etwas überrascht .
Es ist zwar seit jeher das Privileg der Opposition, Kritikzu üben, gerne auch lauthals, und die Last der die Re-gierung tragenden Fraktionen, Lösungen darbieten zumüssen, von dieser Seite des Hauses habe ich heute aberkeinen einzigen Lösungsvorschlag gehört,
zu dem ich sagen könnte: Damit kommen wir einer Be-grenzung, einer Lösung des entscheidenden Problemseinen Schritt weiter .
Das bedeutet – lassen Sie es mich ganz deutlich sagen –:Jene Art der Realitätsverdrängung, die im Augenblickhier betrieben wird, treibt die Menschen auf der Straßedirekt in die Arme von AfD und Pegida . Das ist unserProblem .
Ich will es deutlich sagen, versuche aber zugleich, michkurzzufassen: Mit der wirklich warmherzigen Aufnahmedurch Ehrenamtliche – mit unendlichem Geschick undEmotionen –, aber auch mit der Hilfe bei der Aufnahmedurch Vertreter der staatlichen Seite und der Wohlfahrts-verbände ist die Arbeit doch nicht getan . Die wirklicheArbeit fängt doch erst an, wenn es um diese Fragen geht:Wie kommen diese Menschen in Arbeit? Wo finden dieseMenschen Wohnungen? Wie sorgen wir für einen Inte-grationsprozess, an dessen Ende sie ein Bestandteil un-serer Gesellschaft sind? Darüber hinwegzusehen und zuglauben, man könne an einer Art Rechtsbruch festhalten,zeugt in der Tat von Realitätsverdrängung .
Es ist also vielmehr notwendig, zu einem rechtsstaatli-chen Verfahren zurückzukehren .
Ich bin schon überrascht über diese Art des Umgangs;denn die Tatsache, dass wir in einer Notsituation ein Ver-fahren, mit dem die Institutionen, die bei uns gesetzlichnormiert sind, über die Aufnahme von Flüchtlingen zuentscheiden, wegen der Vielzahl der Fälle nicht mehr zu-rechtkommen, außer Kraft setzen, bedeutet doch nicht,dass diese Ausnahme zu einer permanenten Rechtssi-tuation werden kann . Das heißt, wir müssen zu einemrechtsstaatlichen Verfahren zurückkehren, zum Beispielbei den Anerkennungsverfahren . Alles andere wäre einedauerhafte Außerkraftsetzung unseres Rechtssystems .
Das, was ich hier höre, bedeutet letztlich, wenn ich eszu Ende denke: Abschaffung eines individuellen Rechtsauf Asyl . Das würde bedeuten, dass wir auf einen institu-tionellen, auf einen automatischen Anspruch zusteuern .Dann müssten Sie aber auch die Frage beantworten, wel-che Höchstgrenze es bei dieser Kontingentierung gäbe;denn es gäbe ja keine Einzelfallprüfungen mehr . DannNina Warken
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13219
(C)
(D)
ginge es nicht mehr darum, tatsächlich die Verfolgungdes einzelnen Flüchtlings festzustellen und die individu-ellen Asylgründe zu ergründen; denn das geht wirklichnur durch eine persönliche Befragung .Übrigens muss man auch fragen: Wie wollen Sie ei-gentlich denjenigen begegnen, die „über Nacht“ Syrerwurden, deren Muttersprache aber Serbokroatisch ist?
Das können Sie nur in einem persönlichen Verfahrenhinterfragen . Deshalb ist klar: Sobald es irgendwie geht,müssen wir zu diesem Verfahren zurückkehren .
Sonst halten wir diesen Ausnahmezustand immer weiteraufrecht .
Das kann nicht die richtige Botschaft an diejenigen sein,die ihre Fluchtgründe tatsächlich persönlich vorbringenwollen .Weiter geht es mit der entscheidenden Frage des Fami-liennachzugs . Da drängen sich herzzerreißende Beispieleauf, von denen wir hier hören . Sie wissen aber genausowie wir – auch das muss ich einmal sagen –, dass sichTausende und Abertausende von unbegleiteten minder-jährigen Flüchtlingen auf dem Weg befinden, die letztlichnur ein Ziel haben, nämlich die Familie auf rechtsstaatli-chem Wege nachzuholen .
Wenn Sie den Familiennachzug nicht in der vorgesehe-nen Form begrenzen, evozieren Sie genau dieses Verhal-ten .
Genau das sollten wir nicht tun . Deshalb haben wir amEnde gar keine Alternative, als den Familiennachzug zubegrenzen .In Bezug auf die Dublin-Verordnung sollte über Fol-gendes nachgedacht werden: Was meinen Sie, wie langedas unsere europäischen Nachbarn noch mitmachen?Wie lange werden sich Frankreich und die Beneluxstaa-ten das noch mit ansehen,
dass Tausende von Menschen durch Deutschland hin-durchdiffundieren, weil wir selbst nicht mehr in der Lagesind, der Dublin-Verordnung zu einem rechtsstaatlichenDurchbruch zu verhelfen? Die bisher vereinbarten Aus-nahmen können deshalb nicht auf Dauer zum Normalfallwerden .Ich kann abschließend nur sagen: Herr Innenminister,vielen herzlichen Dank für die deutlichen Worte, vielenherzlichen Dank auch für den Durchhaltewillen und denMut, die Dinge, die notwendig sind, umzusetzen . Siewissen, dass die Fraktion hinter Ihnen steht;
denn Realitätsverdrängung bringt uns gerade im Augen-blick mit Sicherheit nicht weiter .Vielen herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als letzte Rednerin erhält jetzt Barbara
Woltmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
Ja, Sie können sich schon darauf freuen .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! „Menschen in Not helfen, Zuwanderung ordnenund steuern, Integration sichern“ – das ist der Titel desPositionspapiers von CDU/CSU vom 1 . November 2015,in dem wir unsere zentralen Ziele benannt haben . Sie lau-ten erstens:Zuwanderung ordnen und steuern sowie Fluchtur-sachen bekämpfen, um so die Zahl der Flüchtlingezu reduzieren,
– und zweitens –Menschen in Not zu helfen und die IntegrationSchutzbedürftiger zu sichern .Hinsichtlich der Erreichung dieser dort formulierten Zie-le sind wir uns mit der Bundeskanzlerin völlig einig .
Insofern kann ich die Angriffe der Opposition nur zu-rückweisen . Es ist eine Mär, dass wir gegen die Bundes-kanzlerin arbeiten . Das ist ganz und gar nicht so .
Wir verfolgen gemeinsame Ziele, und diese haben wir inder Form formuliert .
Michael Frieser
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 201513220
(C)
(D)
Im Grunde bin ich der Opposition dankbar, dass siedieses Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt hat .
So können wir darüber sprechen . Das ist gut . Dabei kannman auch versuchen, auszutarieren, wo es Gemeinsam-keiten gibt . Und es gibt auch Gemeinsamkeiten über alleFraktionen hinweg – ich habe genau zugehört –: Wir alleverfolgen einen humanitären Ansatz . Wir wollen denMenschen helfen, die wirklich in Not sind, die einenAsylgrund haben oder die Flüchtlinge nach der GenferFlüchtlingskonvention sind und unsere Hilfe benötigen .Dagegen ist hier keiner . Ich bin froh, dass wir in diesemwesentlichen Punkt Einigkeit erzielt haben .Wir dürfen aber andererseits nicht aus dem Blick ver-lieren, wie die Situation in unserem Lande mittlerweileist . Laut Prognose haben wir 800 000 Flüchtlinge in die-sem Jahr,
möglicherweise werden es mehr werden . Wir wissenauch nicht, wie sich die Situation im nächsten Jahr ent-wickeln wird .
Alle kommunalen Spitzenverbände haben sich dahin ge-hend geäußert – Sie haben doch auch alle Wahlkreise; Siewissen doch, was zu Hause bei Ihnen los ist –:
Wenn wir den Menschen, die kommen, Schutz gewährenwollen, dann sollte er angemessen sein . Wir wollen siegut unterbringen, aber es kommen zu schnell zu viele . –Das muss man einfach deutlich sagen .
Der Winter steht vor der Tür .
Die Bürgermeister wissen oft nicht mehr, wo sie dieMenschen unterbringen sollen; den Ländern, in denendie Erstaufnahme erfolgt, geht es genauso . Ich kommeaus Niedersachsen . Dort hat das Land die Erstaufnah-me mittels Amtshilfeverfahren auf die Kommunen ab-geschoben . Vonseiten des Landes heißt es: Wir könnennicht mehr, wir wissen nicht mehr, wo wir die Menschenunterbringen sollen, ihr Kommunen müsst es richten .Gott sei Dank haben es, zumindest bei uns in Nieder-sachsen, die Kommunen bislang noch richten können .Sie haben dafür sorgen können, dass die Menschen einDach über dem Kopf haben .
Bei uns gibt es – das ist von anderen auch schon erwähntworden – sehr viel ehrenamtliches Engagement . Es istwahnsinnig toll, wie viele ehrenamtliche Helfer sich die-ser Aufgabe widmen . Das ist nicht hoch genug anzuer-kennen .Als ich in den Notaufnahmeeinrichtungen gewesenbin, bin ich aber auch mit den Mitarbeitern des RotenKreuzes oder der Malteser – oder wer auch immer dahilft – ins Gespräch gekommen . Die sagen auch: UnsereLeute, die das hier ehrenamtlich machen, sind allmählicham Limit .
Denn die machen das neben ihrem Beruf . Wir haben Leu-te bei uns, die Nachtdienst in der Einrichtung machenund tagsüber ihrem Beruf nachgehen . Das ist eine ganzerhebliche Belastung .
Insofern müssen wir uns darüber unterhalten, wie wirdie Dinge auch in Zukunft gut bewältigen können . Wirsind ein reiches Land . Wir sind ein wohlhabendes Land .Keiner von uns sagt ja, dass wir das in diesem Jahr nichtschaffen können . Wir haben es ja auch geschafft . Aberwie ist es in Zukunft? Wie ist es in den nächsten Jahren,wenn sich die Zahlen so weiterentwickeln? Darüber müs-sen wir uns unterhalten. Da müssen wir Lösungen finden.
Ich bin froh, dass wir mit unserem ersten Gesetzespa-ket, das am 24 . Oktober in Kraft getreten ist, eine guteGrundlage geschaffen haben . Ich bin auch der SPD dank-bar, dass wir mit dem am 5 . November gefundenen Kom-promiss ein weiteres Paket werden auf den Weg bringenkönnen .Es gibt – auch das ist schon gesagt worden – nicht dieeine Lösung, es gibt nur ein ganzes Paket an Lösungen .Die Probleme können auch nicht nur die Innenpolitikerlösen, sondern diese müssen auch die Außenpolitiker lö-sen . Insofern ist es gut, wie Minister de Maizière sagt –da ist er voll auf der Seite der Kanzlerin; ich darf dasvielleicht so zitieren, Herr Minister, weil Sie es uns ge-genüber gesagt haben –, dass Altmaier die Dinge jetzt imKanzleramt koordiniert, weil verschiedene Ministerienbetroffen sind . Das ist eine gute Entscheidung .Wir wissen auch, dass wir es nicht alleine werden lö-sen können . Da ist Europa gefragt, da ist die internatio-nale Gemeinschaft gefragt . Der UNHCR muss endlichmit den entsprechenden Mitteln ausgestattet werden . Eskann einfach nicht angehen, dass der UNHCR nur noch14 Euro im Monat pro Flüchtling hat .
Frau Kollegin Woltmann .Barbara Woltmann
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 135 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 11 . November 2015 13221
(C)
(D)
Einen Satz noch . – Wir haben mit Herrn Weise, dem
neuen Präsidenten des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge, gesprochen . Wir haben ihn gefragt: Was
wird denn als Fluchtursache genannt? Uns wurde gesagt,
dass drei Gründe in den Asylverfahren von den Flücht-
lingen genannt werden . Die Flüchtlinge nennen als einen
Grund die sichere Situation in Deutschland . Außerdem
geben sie an: Weil die wirtschaftliche Lage in Deutsch-
land gut und stabil ist, glauben wir, dass wir dann auch
einen Arbeitsplatz finden. Und zum Dritten sagen sie:
Weil wir in den Lagern, in den Camps in den Anrainer-
staaten nicht mehr genug zu essen haben . – Auch das war
einer der Gründe . Deswegen müssen wir da helfen .
Ich muss zum Schluss kommen . Man könnte jedoch
noch sehr viel mehr sagen .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 12 . November 2015,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich freue mich, wenn ich
Sie alle nachher beim Großen Zapfenstreich wiederse-
he . – Vielen Dank .