Gesamtes Protokol
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-
zung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Vereinbarung über die Er-
richtung, Finanzierung und Verwaltung des Fonds
„Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis
1990“
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundes-
ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Herr Dr. Hermann Kues. – Bitte.
Dr
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Das Kabinett hat heute die Einrich-tung des Fonds „Heimerziehung in der DDR in den Jah-ren 1949 bis 1990“ beschlossen. Damit soll Menschengeholfen werden, die in Einrichtungen der Jugendhilfeund in Dauerheimen für Säuglinge und Kleinkinder inder DDR schweres Leid und Unrecht erleiden mussten.Wir kennen die vielen erschütternden Schicksale. DieEinrichtung des Fonds ist darauf eine Antwort.Der Bund, die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklen-burg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt sowie die Freistaa-ten Sachsen und Thüringen werden diesen Fonds ge-meinsam errichten und mit 40 Millionen Eurofinanzieren. Die Kosten teilen sich der Bund und die ost-deutschen Länder jeweils zur Hälfte. Mit dem Start desFonds steht auch den Heimkindern in der DDR ein zu-sätzliches Hilfsangebot zur Verfügung, das vergleichbarist mit dem Hilfsangebot für die Heimkinder in der Bun-desrepublik Deutschland. Basis für die Errichtung desFonds ist der am 7. Juli 2011 angenommene fraktions-übergreifende Antrag mit dem Titel „Opfern von Un-recht und Misshandlungen in der Heimerziehung wirk-sam helfen“.Bei der Einrichtung des Fonds sind die Bundesregie-rung und die ostdeutschen Länder in zwei Schritten vor-gegangen. In einem ersten Schritt wurde ein Bericht zurAufarbeitung der Heimerziehung in der DDR erarbeitet.Dieser wurde am 26. März dieses Jahres vorgestellt. Er-gebnis des Berichtes ist, dass nicht alles im Heimkinder-system der DDR Unrecht war, die Heimerziehung abervon Unrecht geprägt war. Zwang und Gewalt gehörtenfür viele Kinder und Jugendliche im Heim zum Alltag.Man hat ihnen Bildung verweigert. Man hat sie zur Ar-beit gezwungen. Viele von ihnen haben dadurch dauer-hafte Beeinträchtigungen und Schädigungen erlitten. Sieleiden auch heute noch an den Folgen. Darum spricht derBericht auch Empfehlungen zur Wiedergutmachung aus.An diese Empfehlungen knüpft der Fonds „Heim-erziehung in der DDR“ an, den wir in einem zweitenSchritt nun einrichten wollen. Grundlage für die Satzungdes nicht rechtsfähigen, gemeinnützigen Fonds ist eineVerwaltungsvereinbarung über die Errichtung, Finanzie-rung und Verwaltung des Fonds zwischen der Bundesre-publik Deutschland und den ostdeutschen Ländern sowieBerlin. Leistungen aus diesem Fonds können bis zum30. Juni 2016 beantragt werden. Sie werden bis EndeJuni 2017 ausgezahlt.Wie der Fonds „Heimerziehung West“ stellt dieserFonds ein ergänzendes Hilfssystem dar, das die beste-henden sozialrechtlichen Versorgungssysteme nicht er-setzen, sondern erweitern soll. Es sollen zum BeispielRentenersatzzahlungen und andere materielle Leistun-gen möglich sein, beispielsweise einmalige Geldleistun-gen für erbrachte Arbeit zwischen dem 14. und 21. Le-bensjahr, soweit dafür keine Beiträge in dieSozialversicherung der DDR gezahlt worden sind.Hierzu gehören aber auch Hilfen zur Überwindung vonTraumata, zum Nachholen von Bildungsabschlüssen.Die Vereinbarung soll möglichst unbürokratisch erfol-gen, wenn nötig auch durch Vorleistungen. Es gibt An-lauf- und Beratungsstellen, bei denen die BetroffenenAnsprechpartner finden, die sich ihrer Anliegen anneh-men und ihnen Hilfestellungen geben. Zu den Leistun-gen aus dem Fonds „Heimerziehung in der DDR“ gehö-ren eben auch die Begleitung bei Ämtergängen sowieHilfen bei der Akteneinsicht.
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21790 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
Parl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues
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Wir freuen uns sehr, dass der Fonds, so wie er jetztgestaltet ist, bei den Betroffenen viel Zustimmung ge-funden hat. Die Betroffenen wollen aber auch eine Wei-terentwicklung des SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes,insbesondere des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgeset-zes. Ziel ist es, vor allem die Heimunterbringung in denSpezialheimen der DDR generell als politisch motivierteinstufen zu lassen. Dieser schon früher geäußerten Bitteist der Bundestag im Dezember 2010 mit der Ergänzungdes Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes zumindestweitgehend gefolgt. Die Ergänzung stellt klar, dass allenBetroffenen, die aufgrund politisch motivierter oder da-mit vergleichbarer Einweisungsgründe in ein Heim ge-kommen sind, individuelle Rehabilitierungsmöglichkei-ten zustehen.Der Fonds „Heimerziehung in der DDR“ kann dasunfassbare Leid – das sei noch einmal ausdrücklich ge-sagt –, das vielen Heimkindern in den Einrichtungen an-getan wurde, nicht ungeschehen machen. Mit dem Fondserkennen wir allerdings an, dass den Heimkindern in derDDR, auch außerhalb der vom Rehabilitierungsgesetzerfassten Entscheidungen, von DDR-Behörden Leid undUnrecht geschehen ist. Wir unterstützen sie bei der Be-wältigung der Folgen dieses Unrechts. Wir bieten zu-sätzliche Unterstützung an, die helfen soll, die auchheute noch andauernden Folgeschäden aus der Zeit ihrerHeimunterbringung zu mildern.Wir haben damit insgesamt ein umfassendes Hilfesys-tem geschaffen, und zwar sowohl für die ehemaligenHeimkinder im Westen als auch für diejenigen im Osten.Insgesamt werden dafür 160 Millionen Euro eingesetzt.Es handelt sich um eine gemeinsame Kraftanstrengungvon Bund, Ländern und – das gilt für den Westen – auchden beiden Kirchen, die das Ganze möglich gemacht hat.Herzlichen Dank.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde. Das Wort zur
ersten Frage hat die Kollegin Katharina Landgraf.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
zunächst möchte ich ausdrücklich feststellen: Wir sind
froh, dass wir endlich so weit sind. Zwar können wir das
Unrecht nicht völlig wiedergutmachen, aber mit diesem
Schritt können wir doch zumindest etwas für die Betrof-
fenen tun. In diese Richtung geht auch meine Frage: Wie
finden die Betroffenen Zugang zu den schon erwähnten
Anlauf- und Beratungsstellen? Wie erfahren sie über-
haupt von diesem von uns verabschiedeten Paket? Gibt
es eine Strategie, um die Betroffenen zu erreichen?
Dr
Eine solche Strategie gibt es. Wir werden öffentlich
über dieses Paket aufklären. Es gibt eine Telefonnum-
mer, an die man sich wenden und unter der man Infor-
mationen erhalten kann. Es existieren Anlauf- und Bera-
tungsstellen in allen ostdeutschen Ländern. Außerdem
haben wir zusammen mit Betroffenen und auch Beratern
einen Leitfaden erarbeitet. In diesem Leitfaden wird er-
läutert, wie in einem Beratungsgespräch der individuelle
Hilfebedarf ermittelt werden kann. Die Anlauf- und Be-
ratungsstellen sollen auf Augenhöhe agieren. Es wird ei-
nen Lenkungsausschuss geben, der diese Vorgaben mit
den jeweiligen Vertretern der Länder in diesem Aus-
schuss regelmäßig abstimmt und überprüft.
Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Leistun-
gen ist der Nachweis eines Heimaufenthalts in der Zeit
von 1949 bis 1990. Soweit ein solcher Nachweis nicht
erfolgen kann, wird die Anlauf- und Beratungsstelle
auch bei Recherchearbeiten helfen, indem Unterlagen
überprüft werden, um so Nachweise in Bezug auf Heim-
erfahrung, Folgeschäden usw. erbringen zu können. Im
Mittelpunkt der Beratung dort steht das Gespräch. In
diesem wird man individuell den konkreten Hilfebedarf
benennen können, so ähnlich wie es auch beim Fonds
„Heimerziehung West“ erfolgt.
Möglich sind Gelder für Folgeschäden aus der Heim-
erziehung, Sachleistungen, aber auch Rentenersatzleis-
tungen, soweit keine oder zu geringe Sozialversiche-
rungsbeiträge eingezahlt worden sind. Das wird in Form
von Einmalzahlungen erfolgen. Damit wird nicht alles
ausgeglichen, aber es ist immerhin eine Anerkennung
des begangenen Unrechts.
Die Rentenersatzleistung erfolgt direkt durch Auszah-
lung von Geldern an die Betroffenen, bei den Hilfeleis-
tungen teilweise. Dabei wird es bei Sachleistungen unter
1 000 Euro eine vereinfachte Nachweispflicht geben.
Wir versuchen, das Ganze möglichst unbürokratisch hin-
zubekommen. Bei einer Summe über 1 000 Euro wird es
ein wenig komplizierter werden. Ausschließlich bei
Leistungen, die durch Dritte erbracht werden, zum Bei-
spiel bei Therapien, kann die Auszahlung auch direkt an
die Leistungsbringer erfolgen.
Letztlich soll alles so entwickelt und konzipiert sein,
dass die Betroffenen möglichst nicht belastet sind. Wer
einmal mit Betroffenen gesprochen hat, der weiß, dass
sie häufig gar nicht fähig sind, über ihre Erfahrungen zu
sprechen. Da muss erst ein Zugang gefunden werden. In-
sofern brauchen wir sehr einfühlsame Berater, die das
gewährleisten. Wir glauben aber, dass das zu bewältigen
ist. Die Länder haben uns dort jegliche Unterstützung
zugesagt.
Bevor ich die nächste Frage aufrufe, sei mir der Hin-weis gestattet, dass wir uns in den letzten Monaten da-rauf geeinigt haben, dass für Frage und Antwort je eineMinute vorgesehen ist. Es ist natürlich verständlich, dassSie möglichst viele Informationen für potenziell Betrof-fene über die Fragestunde transportieren wollen; aber ichdenke, das wird uns gelingen, indem wir die zahlreichenFragestellerinnen und Fragesteller hier zu Wort kommenlassen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21791
Vizepräsidentin Petra Pau
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Die nächste Frage stellt die Kollegin HeidrunDittrich.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Kues. Wie Sie wis-
sen, waren beim westdeutschen Runden Tisch Heim-
erziehung – auf ihn bezieht sich der Antrag der Bundes-
regierung, das hinsichtlich der Heimkinder in der
ehemaligen DDR gleichwertig zu regeln – unter den
21 stimmberechtigten Teilnehmern nur 3 ehemalige
Heimkinder. In der Anhörung wurde von den Wissen-
schaftlern empfohlen, die ehemaligen Heimkinder ab
jetzt stärker einzubeziehen. Wie geschieht das in den
neuen Anlaufstellen in den neuen Bundesländern? Das
heißt: Zu welchem Anteil ist die Beteiligung ehemaliger
Heimkinder gesichert? Erhalten sie ein Gehalt, oder
bleibt das ein Ehrenamt?
Dr
Wir haben, wie ich schon sagte, einen Lenkungsaus-
schuss eingerichtet. An diesem ist auch ein Vertreter der
ehemaligen Heimkinder beteiligt. Wir haben den Bericht
auch mit ehemaligen Heimkindern gemeinsam erstellt.
Im Prinzip haben wir Zustimmung zu dem erfahren, wie
es jetzt organisiert ist. Man muss gleich dazusagen – wir
haben das auch im Zusammenhang mit dem Fonds
„Heimerziehung West“ diskutiert –, dass die Erwartun-
gen natürlich erheblich sind. Aber wir können zumindest
sagen, dass wir die Erwartungen der Betroffenen – so
schätze ich das jedenfalls ein; ich selbst habe die Erfah-
rung gemacht – alles in allem erfüllen können. Ich sage
ausdrücklich: Es geht für viele Betroffene in erster Linie
nicht um materielle Leistungen, sondern darum, über-
haupt aufzuarbeiten, was ihnen widerfahren ist, und zu
lernen, damit umzugehen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Rolf Schwanitz.
Herr Staatssekretär, ich will zunächst für meine Frak-
tion ausdrücklich feststellen, dass ich mich sehr freue,
dass der Fonds heute auf den Weg kommt und damit der,
wenn ich das so sagen darf, noch offene zweite Teil der
Thematik, die vom Deutschen Bundestag aufgegriffen
worden ist, letztendlich vonseiten der Regierung und der
beteiligten Länder eine Untersetzung findet.
Ich möchte eine Frage zur Finanzierung stellen. Bei
allen Gesprächen, die ich mit den Betroffenen der Heim-
erziehung in der DDR geführt habe, habe ich immer wie-
der gehört, dass sie die verständliche Erwartung haben,
dass die Leistungen, die sie aus diesem Fonds erhalten,
nicht durch Kürzungen im Bereich der Kinder- und Ju-
gendpolitik des Bundes gegenfinanziert werden. Vor die-
sem Hintergrund möchte ich Sie fragen, wie Sie denn die
Tatsache bewerten, dass die Koalition gestern bei der
Beratung und Verabschiedung des Nachtragshaushalts
2012 im Haushaltsausschuss gesagt hat – so ist jetzt zu-
mindest die Beschlusslage –, dass sie die 20 Millionen
Euro an Bundesgeld, um die es hier geht, durch Kürzun-
gen im Einzelplan 17, also im Familienetat, ab dem Jahr
2016 finanzieren will und finanzieren wird?
Dr
Zunächst einmal ist es so – das haben Sie jetzt nicht
angesprochen –, dass die Gegenfinanzierung über den
Einzelplan 60 erfolgt und dass geklärt werden muss, wie
es ab 2016 weitergeht. Der Haushaltsausschuss hat dies
zunächst einmal so beschlossen. Wir werden uns dann zu
gegebener Zeit damit auseinanderzusetzen haben. Bis
dahin werden wir besser einschätzen können, wie hoch
der Bedarf tatsächlich ist. Wir werden jeweils auch die
Leitlinien anpassen müssen. Dann kann man konkreter
über finanzielle Leistungen sprechen. Gegenwärtig ist
das kaum möglich. Deswegen ist diese Form der Gegen-
finanzierung in der Finanzplanung erfolgt; in der Haus-
haltsplanung sieht es anders aus.
Die nächste Fragestellerin ist Johanna Voß.
Danke schön. – Herr Kues, es sollen 40 Millionen
Euro für Entschädigungsleistungen in den Fonds ein-
gestellt werden. Lassen Sie uns ein bisschen rechnen.
Nehmen wir an, dass sich der Anteil der Auszahlungen
ähnlich gestaltet wie im entsprechenden Fonds zu den
Rentenersatzleistungen der Bundesrepublik Deutsch-
land. Wäre das der Fall, dann würde von den 40 Mil-
lionen Euro nur ein Sechstel ausgezahlt werden, weil der
Fonds selbst auch Geld verschlingt. Ein Sechstel wären
6,7 Millionen Euro. Nun gibt es schätzungsweise
400 000 ehemalige Heimkinder aus der DDR, die Opfer
von Missbrauch wurden. Wenn davon beispielsweise
30 000 Leistungen aus dem Fonds in Anspruch nehmen
würden, dann bekäme jedes ehemalige Heimkind gerade
einmal 233 Euro an Ersatzleistungen. Halten Sie eine
solche geringe Einmalzahlung für angemessen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr
Zunächst einmal ist der Fonds nicht so gegliedert, wie
Sie das eben beschrieben haben. Wir sind von den ge-
schätzten Zahlen in West und Ost ausgegangen, dadurch
kommt die Korrelation zwischen 120 Millionen Euro
und 40 Millionen Euro zustande. Dann gehen wir davon
aus, dass der Fonds letztendlich auskömmlich sein wird.
Eine Aufteilung, wie Sie sie gerade vorgetragen haben,
gibt es nicht.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Katja Dörner.
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21792 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
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Vielen herzlichen Dank für Ihren Bericht, Herr Staats-
sekretär. Es war in unser aller Interesse – insofern kann
ich das für die Fraktion der Grünen begrüßen –, analog
zum Fonds für die Heimkinder im Westen einen Fonds
für die Heimkinder aus der ehemaligen DDR aufzule-
gen.
Gestatten Sie mir noch eine Vorbemerkung: Ich habe
diverse Tickermeldungen verfolgt, in denen Aussagen
der Ministerin zu dem heute im Kabinett beschlossenen
Fonds zu lesen waren. Ich fände es schön, wenn wir uns
gemeinsam darum bemühen könnten, zu vermeiden,
durch verbale Äußerungen eine Art Opfer erster und
zweiter Klasse zwischen den Heimkindern aus dem
Westen und den Heimkindern aus dem Osten zu etablie-
ren.
Zu meiner Frage: Im Zuge der Einrichtung des Fonds
werden auch in den östlichen Bundesländern Beratungs-
und Anlaufstellen eingerichtet. In diesem Zusammen-
hang ist den Vertretungen der Heimkinder zugesagt wor-
den, dass sie auf die Auswahl der dort tätigen Fachkräfte
Einfluss nehmen können. Dieses Versprechen seitens der
Bundesregierung ist nicht eingehalten worden. Ich
würde gerne wissen, warum nicht und ob Sie noch die
Möglichkeit sehen, dies wieder zu heilen.
Dr
Ich kann Ihre Ausführungen im Einzelnen nicht be-
stätigen, da die Länder für die Durchführung zuständig
sind. Die Länder handeln logischerweise in eigener Ver-
antwortung; das halte ich in der Sache auch für richtig.
Ich weiß nicht, inwieweit die Länder die Betroffenen be-
reits im Vorfeld der Einrichtung der Beratungsstellen be-
teiligt haben. Dem müssten wir nachgehen. Ich werde
Ihnen dann gerne darauf eine Antwort geben. Zum ge-
genwärtigen Zeitpunkt kann ich das weder bestätigen
noch dementieren.
Das Wort hat der Kollege Dr. Ilja Seifert.
Herr Staatssekretär, Sie haben uns vorgetragen, wie
mit den Heimkindern der DDR verfahren werden soll.
Was ist mit denjenigen, die wegen ihrer Behinderung in
verschiedenen Heimen untergebracht wurden, seien es
konfessionelle oder staatliche Einrichtungen? Gibt es
eine Übersicht darüber, um wie viele es sich handelt und
wie vielen möglicherweise Gewalt oder Ähnliches ange-
tan wurde? Können auch diese Betroffenen Leistungen
aus dem Fonds in Anspruch nehmen?
Dr
Sie kennen den Bericht, den wir im März dieses Jah-
res vorgelegt haben. Aus ihm geht hervor, wie sich nach
jetzigem Kenntnisstand die Sachverhalte im Einzelnen
darstellen. Ich betone ausdrücklich: Es gibt verschiedene
sozialrechtliche Regelungen für Behinderte, die natür-
lich auch für Heimkinder aus Ost oder West entspre-
chend gelten. Sollte jemand aufgrund der Tatsache, dass
er behindert ist, spezielle Benachteiligungen erfahren
haben, die durch die üblichen Entschädigungsleistungen
nicht ausgeglichen werden, kann man im Einzelfall da-
rüber nachdenken, wie man für einen Ausgleich zum
Beispiel in Form von Therapie, wenn diese notwendig
ist, sorgt.
Im Bereich der Behindertenheime, bei denen es sich
ja um besondere Einrichtungen handelte, sind wir noch
nicht so weit. Wir sind noch dabei, dieses Feld aufzuar-
beiten. Vieles ist noch ungeklärt, aber die Aufarbeitung
muss jetzt erfolgen, allerdings nicht nur auf Bundes-
ebene, sondern in jedem einzelnen Bundesland. Daran
wird auch gearbeitet werden.
Der Kollege Arnold Vaatz stellt die nächste Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
ich möchte an das Stichwort „sprechfähig werden“ an-
knüpfen. Die Betroffenen haben in ihrem Leben drama-
tische biografische Einschnitte hinnehmen müssen, die
ihre Erwerbsbiografie teilweise bis heute und auch ihre
Sozialbiografie entscheidend verändert haben. Sehen Sie
die Möglichkeit, dass für die Aufarbeitung und Bewer-
tung dieser biografischen Folgen finanzielle Mittel be-
reitgestellt werden, um die „Sprechfähigkeit“ der Betrof-
fenen zu verbessern und um die Gesellschaft in die Lage
zu versetzen, besser einzuschätzen, um welche Problem-
lagen es hier geht?
D
Die Anlauf- und Beratungsstellen haben zunächst ein-mal die Aufgabe, zu informieren, welche gesetzlichenMöglichkeiten und welche besonderen Möglichkeiten esaufgrund dieses Fonds gibt. Natürlich haben sie auch dieAufgabe, darüber zu informieren, dass es Hilfen gibt, umsich seiner Biografie überhaupt erst einmal zu vergewis-sern. Wir haben alle Stellen, die dafür infrage kommen,gebeten, das Material zusammenzustellen und zur Verfü-gung zu stellen, damit es ausgewertet werden kann. Da-mit soll dem Einzelnen, der vielleicht gar nicht weiß,was ihm widerfahren ist, der seine Geschichte vielleichtgar nicht kennt, die Möglichkeit gegeben werden, sichzu informieren bzw. sich zu vergewissern, wer sie sind,wo sie herkommen und was ihnen widerfahren ist. Dafürgibt es Möglichkeiten. Das geht sogar so weit, dassFahrtkosten pauschal erstattet werden können; denn wirkennen Betroffene, die gar nicht in der Lage sind, zu denjeweiligen Stellen zu fahren. Teilweise sind sie ja auchmehrfach umgezogen.Diese unkomplizierten Hilfestellungen sind möglich.Ich sage ausdrücklich: Wir werden auch dabei Erfahrun-gen sammeln, und wir werden bei der Umsetzung derLeitlinien diese Erfahrungen berücksichtigen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21793
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(B)
Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Dagmar
Enkelmann.
Herr Staatssekretär, ich habe gerade heute ein Ge-
spräch mit der Beratungsstelle Gegenwind aus Berlin ge-
führt. In diesem Gespräch sagte man mir, dass man im
Zusammenhang mit dem Fonds für Westheimkinder die
Erfahrung gesammelt hat, dass es notwendig ist, flexi-
bler mit den Mitteln umzugehen. Weil die Traumata bzw.
die Folgen der Heimerfahrung sehr unterschiedlich sind,
besteht ein sehr unterschiedlicher Bedarf bezogen auf
den Ausgleich. Das kann eine Therapie sein, das kann
eine medizinische Begleitung sein, das können aber auch
ganz andere Formen des Ausgleichs sein. Inwieweit ist
tatsächlich gesichert, dass deutlich flexibler vorgegan-
gen, das heißt, auf den konkreten Bedarf des Betroffenen
eingegangen werden kann?
Dr
Bund und Länder haben das Ziel, das möglichst un-
bürokratisch zu machen. Aber Sie haben recht: Man
muss die Regelungen immer den Erfahrungen, die ge-
macht worden sind, anpassen. Deswegen haben wir ja
einen Lenkungsausschuss eingesetzt, der überprüft, ob
das bislang praktizierte Vorgehen richtig ist. Erfahrun-
gen wie die, die in Berlin gesammelt wurden, können
miteinfließen.
Wir haben gemeinsam mit Betroffenen Leitlinien für
die Umsetzung abgestimmt. In der Umsetzung werden
diese praktisch weiterentwickelt, wenn wir erkennen,
dass das Verfahren nicht treffsicher, zu kompliziert, zu
bürokratisch ist. Diesbezüglich sind wir für Hinweise
dankbar; denn dann kann das thematisiert werden. Wir
– ich sage das auch für alle Länder – sind darum jeden-
falls bemüht.
Die nächste Frage stellt der Kollege Josef Winkler.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
ich möchte an die Frage des Kollegen Vaatz anknüpfen,
der die Brüche in den Biografien angesprochen hat. Wir
müssen häufig feststellen, dass bei Opfern von Heim-
erziehung schwerste Traumatisierungen vorliegen, die
dazu geführt haben, dass eine Berufsausbildung nicht
absolviert werden konnte oder im Laufe des Lebens ir-
gendwann eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit eingetre-
ten ist, sodass eine Rente oder andere Transferleistungen
bezogen werden müssen. Ist sichergestellt, dass die Leis-
tungen, die die Betroffenen aus dem Fonds „Heimerzie-
hung in der DDR“ erhalten, in keiner Weise mit Leistun-
gen verrechnet werden, die die Betroffenen aus anderen
Töpfen erhalten, zum Beispiel aufgrund der Traumatisie-
rung, oder ist das noch ungeklärt?
Dr
Nein, das ist nicht ungeklärt. Von Bundesseite müssen
wir das nicht speziell regeln, weil es im Sozialgesetz-
buch II und XII diese Möglichkeit im Prinzip gibt. Diese
Leistungen sind nicht Einkommen im klassischen Sinne.
Die Absicht ist, diese Leistung nicht anzurechnen. Das
ist eine Frage des vernünftigen Verwaltungshandelns in
den Ländern. Wenn Sie dort etwas anderes hören, sollten
Sie uns das sagen. Dann würden wir das thematisieren.
Das soll ausdrücklich nicht angerechnet werden. Es han-
delt sich um entschädigungsähnliche Leistungen, die ge-
geben werden.
Ich muss es noch einmal sagen: Wir können das Leid
finanziell nicht ausgleichen. Angesichts dessen wäre es
komisch, wenn die Summen, die gezahlt werden, mit an-
deren Leistungen verrechnet würden.
Das Wort hat die Kollegin Marlene Rupprecht.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,der Bundestag hat mit seinen Beschlüssen und überhauptmit seiner Befassung mit Missbrauch und Misshandlungin Heimen in Westdeutschland, aber auch in der ehemali-gen DDR einen neuen Weg beschritten, der vorher nochnie gegangen wurde. Daher ist es oftmals schwierig, das,was wir uns vorstellen, dann auch in Handeln umzuset-zen. Folgendes möchte ich gerne wissen:Erstens. Ich habe kürzlich Beratungsstellen für West-heimkinder besucht. Hier muss ich dem zustimmen, wasHerr Winkler gerade gesagt hat. Ich kann nur sagen:Weiß die Katze, dass ich keine Maus bin? Das heißt:Weiß die Behörde, dass das, was ich bekomme, nicht an-gerechnet werden darf? – Dass wir das so beschlossenhaben, ist klar. Allerdings muss die Behörde, beispiels-weise die Bundesagentur für Arbeit, wenn es um Leis-tungen geht, eigentlich wissen, dass sie diese Geldernicht anrechnen darf. Die Betroffenen müssen das derBehörde aber mitteilen; diese Rückmeldung bekommeich. Sie werden – bis auf einzelne Ausnahmen – höflichund freundlich behandelt; das höre ich von den Betroffe-nen auch. Die Frage ist aber: Sind alle Institutionen sogut informiert worden, dass sie das, was der Bundestagwill, auch umsetzen?Zweitens. Bei der Umsetzung bezüglich der Heimkin-der West gibt es verschiedene Modelle. Es geht von Nie-dersachsen, wo an jedem Jugendamt eine Beratungs-stelle angesiedelt ist – dort sehe ich die Fachlichkeitnicht mehr gewährleistet –, bis hin zu Bayern mit einerBeratungsstelle; was ich sehr sinnvoll finde, weil das mitden Betroffenen ausgehandelt wurde und weil dadurcheine hohe Fachlichkeit entsteht. Wie können wir esschaffen, dass das in Ostdeutschland wirklich gut funk-tioniert? In Berlin wird eine Beratungsstelle beides ma-
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21794 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
Marlene Rupprecht
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chen. Wie bekommen wir es also hin, dass wir sagenkönnen: „Dort könnt ihr hingehen; dort werdet ihr gutberaten“?Drittens. Als Letztes möchte ich wissen – ich weiß,dass eigentlich nur eine Frage – –
Frau Kollegin Rupprecht, wir setzen Sie gerne noch
einmal auf die Liste. Aber lassen Sie doch dem Staatsse-
kretär auch die Chance, in der vorgegebenen Zeit Ihre
Fragen zu beantworten. Sonst sind Sie erst recht unzu-
frieden, wenn Sie jetzt noch eine dritte Frage dranhän-
gen.
Ganz kurz: Die Initiativen, die sich um die Beratungs-
stellen bilden, brauchen Unterstützung. Diese Unterstüt-
zung kann nicht nur ehrenamtlich erfolgen. Da braucht
man Hauptamtlichkeit. Wie wollen wir diese Initiativen
unterstützen?
Insgesamt bin ich froh, dass wir es auf den Weg brin-
gen. Aber wie schaffen wir es, das dann auch tatsächlich
gut umzusetzen?
Dr
Frau Präsidentin, ich kenne die Kollegin Rupprecht
seit vielen Jahren sehr gut. Ich weiß, dass sie sich inten-
siv um diese Thematik kümmert. Das ist auch ein wichti-
ger Punkt. Schließlich ist das Ganze zunächst einmal
eine Initiative des Parlaments gewesen. Daher sollte das
Parlament die Sache auch im Blick behalten.
Ich glaube, dass wir bei den Heimkindern Ost einen
Vorteil haben. Wir konnten bei den Heimkindern West
nämlich schon Erfahrungen sammeln. Daher wissen wir,
was geht und was nicht geht. Außerdem haben wir die
Leitlinien bereits entsprechend angepasst. Es muss aber
auch dafür gesorgt werden, dass die Fondsmittel tatsäch-
lich den Betroffenen unmittelbar zugutekommen. Darum
müssen wir uns kümmern. Das werden wir auch tun. Wir
werden das auch noch einmal mit den Ländern bespre-
chen.
Zur Frage, inwieweit sich der einzelne Mitarbeiter
korrekt verhält: Davon gehe ich jetzt einmal aus. Ich
habe schon das Gefühl, dass das ehrliche Bemühen bei
allen Ländern und bei den Ministern da ist. Wir haben
mehrfach mit ihnen zusammengesessen. Wenn es nicht
funktioniert, dann muss man es auch im jeweiligen Land
thematisieren.
– Das wird auch im jeweiligen Land zu klären sein. Wir
werden es bundesweit prüfen, was machbar ist. Das ist
unsere Aufgabe als Bund. Aber es gibt sicher auch Mög-
lichkeiten der Umsetzung im jeweiligen Land. Das ist
völlig klar. Da werden die Länder auch ihre Erfahrungen
sammeln müssen. Bislang haben wir aber keine Hin-
weise, dass man sich nicht ernsthaft darum bemüht. Die
Länder sammeln allerdings auch erst ihre Erfahrungen
mit dieser Thematik.
Die nächste Frage stellt der Kollege Matthias W.
Birkwald.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
die Anlauf- und Beratungsstellen für ehemalige Heim-
kinder sollen in den neuen Bundesländern ausschließlich
bei staatlichen Stellen angesiedelt werden, also in Meck-
lenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen-Anhalt
beispielsweise bei den Landesbeauftragten für die Unter-
lagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen
DDR. Wäre eine Ansiedlung bei unabhängigen Bera-
tungsstellen wie Wildwasser, Violetta oder ähnlichen
nicht sinnvoller? Halten Sie das nicht für angemessener
für die Opfer der Heimerziehung in der DDR?
Dr
Das ist letztlich ein Wunsch und eine Entscheidung
der Länder gewesen. Viele Betroffene verfügen nämlich
bereits über Erfahrungen mit den Landesbeauftragten,
weil sie dort die Möglichkeit haben, ihre Akten einzuse-
hen und sich zu informieren, soweit sie etwa in Spezial-
heimen untergebracht waren. Es war der Wunsch, das
zusammenzufassen; denn die Landesbeauftragten sind
erfahrene Institutionen, die auch bei den Menschen be-
kannt sind.
Man kann immer darüber diskutieren, ob man es an-
ders organisieren sollte. Ich gehe davon aus, dass die
Länder die Initiative ergreifen werden, wenn sich her-
ausstellen sollte, dass es nicht funktioniert. Wir können
es dann aber auch gerne seitens des Bundes thematisie-
ren.
Die Kollegin Heidrun Dittrich hat noch eine Nach-
frage.
Sie haben vorhin geantwortet, dass der Fonds, der40 Millionen Euro umfasst und in den neuen Bundeslän-dern zur Auszahlung kommt, als Rentenersatzleistungfungieren könnte, wenn entsprechende Anträge gestelltwerden würden. Daher frage ich: Wenn nach den Krite-rien der Internationalen Arbeitsorganisation bzw. nachden Kriterien des Völkerrechtes Zwangsarbeit vorliegt– demnach ist Zwangsarbeit jede Art von Arbeit oderDienstleistung, die eine Person unter Androhung einerStrafe zu tun hat und für die sie sich nicht freiwillig zurVerfügung gestellt hat –, kann dann nicht zusätzlich zuder Zahlung aus diesem 40-Millionen-Euro-Fonds eineSchadensersatzleistung eingeklagt werden?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21795
(C)
(B)
Dr
Nein, das wird nicht so sein. Ich habe ja gesagt: Die
Zahlung aus dem Fonds wird kein Ausgleich für erlitte-
nes Unrecht sein. Wir werden uns noch einmal gesondert
damit beschäftigen müssen, was den Menschen in den
Spezialheimen widerfahren ist, in die sie eingewiesen
worden sind, damit dort aus ihnen „sozialistische Per-
sönlichkeiten“ geformt werden. Wie das im Einzelnen zu
bewerten ist, ist ein ganz anderes Thema, das wir noch
nicht hinreichend erfasst haben; bisher gibt es erste Hin-
weise.
Die gesetzlichen Regelungen, zum Beispiel auch die
des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes, gelten na-
türlich auch für Heimkinder. Hier geht es um Zusatzleis-
tungen, die erbracht werden, wenn etwas durch die be-
stehenden gesetzlichen Regelungen nicht abgegolten ist.
Die Kollegin Rupprecht hat jetzt das Wort zu einer
Nachfrage.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, ich
will an das anknüpfen, was Herr Schwanitz sagte. Er
sagte, dass langfristig eine Finanzierung aus dem Etat
des Familienministeriums erfolgt. Unser Haushalt ist ja
nicht gerade riesig. Mir stellt sich deshalb die Frage, ob
die Bundesregierung, also der Finanzminister und die
anderen Ressorts, das prinzipiell als ressortübergreifende
Aufgabe ansieht. Auch der Bundestag war davon ausge-
gangen, dass der Fonds von allen Ressorts finanziert
wird oder prinzipiell aus dem Einzelplan 60 gespeist
wird. Ich finde, wir sollten ihn nicht im Etat des Fami-
lienministeriums ansiedeln. Das heißt, Familien und
Kinder der heutigen Generation sollten nicht für das zah-
len, was andere früher falsch gemacht haben. Gibt es von
der Ministerin das klare Zeichen an den Finanzminister
und an die anderen Ressorts, dass alle ihren Beitrag leis-
ten sollten und nicht nur das Familienministerium?
Dr
Frau Kollegin Rupprecht, Sie wissen, dass wir im Etat
des Familienministeriums einen regelmäßigen Auf-
wuchs haben. Das ist sehr positiv. Die Familienpolitik ist
zudem sehr erfolgreich, angefangen beim Elterngeld
über den Kinderzuschlag bis hin zu anderen Leistungen.
Herr Schwanitz achtet als Haushälter sehr genau darauf,
dass wir sparsam mit den Mitteln umgehen; das ist sein
gutes Recht.
Ich gebe Ihnen recht: Unterschiedliche Finanzie-
rungsformen sind möglich. Der Einzelplan 60 ist kein
Steinbruch für alle Leistungen. Dass man diesen Bereich
nun der Familien- und Jugendpolitik zuordnet, ist von
der Logik her nachvollziehbar. Das Familienministerium
könnte natürlich noch mehr Geld sinnvoll einsetzen; das
wissen Sie. Wir haben uns in den letzten Jahren erhebli-
che Anteile am Bundesetat erarbeiten können. Gleich-
zeitig wissen wir aber, dass die Bundesrepublik Sparvor-
gaben einhalten muss. Ich glaube, daher ist klar, wo die
Grenzen sind und dass wir nicht ganz umhinkommen,
hier mitzufinanzieren.
Die Kollegin Dittrich hat mir signalisiert, dass sie
noch eine Nachfrage hat. Bitte.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, besteht für die
Heimkinder die Möglichkeit, Leistungen aus dem Fonds
und Leistungen aufgrund des Strafrechtlichen Rehabili-
tierungsgesetzes zu kumulieren?
Dr
Ich habe eben gesagt: Der Fonds tritt nur ein, wenn
alle gesetzlichen Ansprüche abgegolten sind bzw. wenn
andere Möglichkeiten, Ansprüche zu befriedigen, nicht
mehr gegeben sind. Wir zeigen: Es werden zunächst ein-
mal die Möglichkeiten anderer Gesetze genutzt. Ist dies
nicht möglich, greift der Fonds. Hier handelt es sich also
nicht um unbegrenzte, sondern um begrenzte praktische
Möglichkeiten. So kommen wir auf die Summen, die wir
errechnet haben.
Es wird allerdings keine Anrechnung auf StrRehaG-
Leistungen stattfinden. Eine andere Vorgehensweise
würde von der Logik her auch nicht funktionieren. Wir
sagen: Es werden zunächst einmal die Möglichkeiten an-
derer Gesetze genutzt. Ist dies nicht möglich, greift der
Fonds.
Danke. – Ich habe vor – ich kündige das schon einmal
an –, die drei mir signalisierten Fragen zu sonstigen In-
halten der Kabinettssitzung oder sonstigen Themen noch
zuzulassen.
– Dann müssen Sie sich melden. – Eine allerletzte Nach-
frage stellt Frau Dittrich.
Eine kurze Frage: Was beabsichtigen Sie für die Men-
schen zu tun, die vor dem 14. Lebensjahr in Heimen un-
tergebracht waren und die, da Kinder unter 14 Jahren
nicht arbeiten dürfen, keine Rentenersatzleistungen gel-
tend machen können? Was für eine Entschädigung pla-
nen Sie für diese Personen? Nur Leistungen für die Fol-
geschäden?
Dr
Wir werden uns mit den Folgen zu beschäftigen ha-ben. Wir werden uns auch mit der Frage zu beschäftigen
Metadaten/Kopzeile:
21796 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
Parl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues
(C)
(B)
haben, ob ihnen Bildungsabschlüsse verweigert wordensind, weil sie keine Möglichkeit hatten, eine Schule zubesuchen. Damit muss man sich auseinandersetzen;denn all das ist den Betroffenen vorenthalten worden. Eswird natürlich Geld kosten, beispielsweise dafür zu sor-gen, dass sie Schulabschlüsse nachholen können. Es istvielleicht sogar mit das Wichtigste, zu gewährleisten,dass Menschen die Chance bekommen, etwas aus ihremLeben zu machen. In den Heimen ist ihnen diese Chanceverwehrt worden. Hier greifen die Leitlinien für denFonds.
Der Kollege Raabe hat mir vorhin dringenden Frage-
bedarf signalisiert.
– Dann bitte ich, das auch so anzuzeigen.
Herr Staatssekretär, wir danken Ihnen recht herzlich.
Dr
Auch ich bedanke mich.
Offensichtlich sind wir am Ende der Befragung der
Bundesregierung zu diesem Thema.
Es gibt die Möglichkeit, die Dauer der Befragung der
Bundesregierung zu verlängern. Dies wiederum heißt
aber, dass sich die Dauer der anschließenden Frage-
stunde verkürzt.
Die erste Frage zu sonstigen Inhalten stellt der Kol-
lege Volker Beck.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Mir geht es um die
sogenannte Fliegender-Teppich-Affäre. Ich möchte
gerne über den genauen Ablauf der Vorgänge unterrich-
tet werden. Wann ging bei Bundesminister Niebel die
Anfrage des Spiegel ein, und wann wurde der Antrag auf
Nachverzollung gestellt bzw. Selbstanzeige erstattet?
Meine zweite Frage, die damit im Zusammenhang
steht, lautet: Inwiefern entrichtete Bundesminister Niebel
für die Verbringung eines privat gekauften Teppichs per
BND-Flugzeug eine entsprechende Gebühr? Oder ist dies
beim Transport von Privatgegenständen per BND-Flug-
zeug grundsätzlich nicht üblich?
Gu
Sehr geehrter Herr Kollege Beck, der Sachverhalt,
den Sie eben angesprochen haben – der Teppichkauf von
Herrn Minister Niebel –, war nicht Gegenstand der heu-
tigen Kabinettssitzung.
Im Übrigen findet im Anschluss an diese Fragestunde
eine Aktuelle Stunde statt, in deren Rahmen es um die-
ses Thema gehen wird und in der Bundesminister Niebel
selbst das Wort ergreifen wird.
Die Bundesregierung hat geantwortet. Es ist natürlich
das gute Recht eines jeden Abgeordneten, mit dieser
Antwort zufrieden oder unzufrieden zu sein
und darüber nach den von uns selbst getroffenen Rege-
lungen mit der Bundesregierung zu diskutieren. Ich
muss keine Hellseherin sein, um vorherzusagen, dass wir
darüber andernorts noch diskutieren werden.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Ute Koczy.
Danke, Frau Präsidentin. – Auch in meiner Frage
geht es um die Nachverzollung. Ich möchte von der
Bundesregierung erfahren, ob der Antrag von Minister
Dirk Niebel auf Nachverzollung mit einer Selbstanzeige
gemäß § 371 der Abgabenordnung verbunden ist und ob
der Bundesregierung ein anderer Fall in der bundesdeut-
schen Geschichte bekannt ist, in der sich ein aktives Mit-
glied der Bundesregierung selbst angezeigt hat.
Bitte, Herr von Klaeden.
E
Frau Kollegin, ich bitte um Verständnis dafür, dass
ich diese Fragen hier jetzt nicht beantworten kann, und
will auf die Möglichkeit hinweisen, Fragen einzurei-
chen. Dann besteht für uns die Möglichkeit, die detail-
lierten Fragen angemessen zu beantworten, sodass Sie
schneller die Informationen bekommen, auf die Sie An-
spruch haben.
Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. FrithjofSchmidt.
Da Sie sagen, dass Sie jetzt keine Fragen zu demTransport des von Bundesminister Niebel gekauftenTeppichs durch ein Flugzeug des Bundesnachrichten-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21797
Dr. Frithjof Schmidt
(C)
(B)
diensts beantworten wollen, möchte ich eine generelleFrage an die Bundesregierung richten: Ist es üblich, dassfür den Transport privater Gegenstände von Regierungs-mitgliedern durch Flugzeuge des Bundesnachrichten-diensts Gebühren erhoben werden, oder nicht?E
Herr Kollege, generell ist es selbstverständlich nicht
üblich, dass private Gegenstände mit dem Flugzeug des
Bundesnachrichtendiensts transportiert werden. Das hat
Bundesminister Niebel in seinen Stellungnahmen ja
auch selber deutlich gemacht. Insofern erübrigt sich die
Frage nach Gebühren oder Weiterem.
Der Kollege Dr. Sascha Raabe stellt die nächste
Frage.
Frau Staatssekretärin, wenn Sie die Frage jetzt nicht
mündlich beantworten können, dann können Sie ja ver-
suchen, die Antwort schriftlich nachzureichen; denn der
Minister ist nicht verpflichtet, in der Aktuellen Stunde
– das ist ja keine Fragestunde – auf Fragen einzugehen.
Sie waren bei uns im Ausschuss und wissen, dass das
Thema Kinderarbeit für uns wichtig ist. Ich hätte gerne
gewusst, ob Ihnen bekannt ist, ob der Teppich, den
Minister Niebel erworben hat, mit einem GoodWeave-
Siegel versehen ist, das wir ja auch mit Mitteln der deut-
schen Entwicklungszusammenarbeit fördern, oder ob er
einfach blind irgendeinen Teppich gekauft hat, ohne ei-
nen entsprechenden Nachweis zu haben.
Meine zweite Frage an Minister Niebel, die Sie gege-
benenfalls bitte weiterleiten können, lautet, ob er auch
auf vorherigen Dienstreisen Einkäufe getätigt hat, die
den Wert von 430 Euro überstiegen haben, und ob er
diese dann auch verzollt hat.
Vielleicht können Sie diese Fragen dem Minister
freundlicherweise weiterleiten.
Gu
Das tue ich gerne. Wir beantworten Ihre Fragen gerne
schriftlich.
Gut. Die schriftliche Beantwortung ist zugesagt. –
Die nächste Frage stellt die Kollegin Bärbel Kofler.
Herzlichen Dank. – Weil es jetzt sicher schwierig ist,
spezielle Fragen im Detail zu beantworten – die Fragen
der Kollegen zum Vorgehen des Ministers und zur Ver-
zollung und Versteuerung sind schon sehr interessant –,
habe ich eine ganz generelle entwicklungspolitische
Frage.
Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, gute
Regierungsführung sei ein Schlüsselkriterium für die
deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Würden Sie das
Vorgehen des Entwicklungsministers – ich möchte „Ent-
wicklungsminister“ an dieser Stelle unterstreichen – in
Bezug auf den Transport eines Teppichs aus Afghanis-
tan, das immer wieder als ein Land kritisiert wird, in
dem man um gute Regierungsführung ringen muss, als
gutes Beispiel für gute Regierungsführung und Integrität
im Amt bezeichnen?
Gu
Frau Kollegin Kofler, Sie haben selbstverständlich
recht damit, dass es das oberste Ziel nicht nur des Bun-
desentwicklungsministers, sondern auch der gesamten
Bundesregierung ist, gute Regierungsführung zu zeigen.
Ich sehe diese weder in der Vergangenheit noch heute in
irgendeiner Form beeinträchtigt.
Das bleibt auch weiterhin unser Ziel.
Der Kollege Dr. Jürgen Koppelin hat das Wort.
Anlass für meine Frage an die Bundesregierung ist
der Besuch der Kollegin Claudia Roth in Libyen. Gibt es
auch für Abgeordnete Richtlinien bezüglich Reisen?
Wenn zum Beispiel in Nordafrika ein Flug ausfällt:
Kann dann ein Abgeordneter gepanzerte Fahrzeuge or-
dern, damit er zum Beispiel von Tripolis nach Tunesien
gefahren werden kann?
Man konnte sogar in einem Video sehen, dass die
Kollegin Claudia Roth auf einem Basar in Libyen reich-
lich eingekauft hat. Diese Waren sind sicher auch mit
dem gepanzerten Fahrzeug transportiert worden. Werden
dafür Kosten erhoben, und ist das auch verzollt worden?
Wer aus der Bundesregierung fühlt sich in der Lage,
zu antworten? – Bitte.
E
Herr Kollege Koppelin, ich kann Ihre Fragen jetzt lei-
der nicht beantworten und bitte um Verständnis dafür,
dass ich das schriftlich nachholen muss.
Das ist damit zugesagt. – Die letzte Frage in diesemBereich stellt die Kollegin Kathrin Vogler.
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21798 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
(C)
(B)
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-
rin, da Sie konkrete Fragen zu dem Thema Teppichkauf
nicht beantworten können, habe ich eine inhaltliche
Frage zum Besuch von Minister Niebel in Afghanistan.
Trifft es zu, dass er bei diesem Besuch unter anderem
mit Regierungsvertretern über Good Governance, also
gute Regierungsführung, gesprochen hat? Wurden dabei
auch Fragen wie der Aufbau von Rechtsstaatlichkeit und
die Korruptionsbekämpfung angesprochen? Gibt es in-
zwischen Reaktionen seiner Gesprächspartner auf die
aktuelle Debatte hier in Deutschland?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Gu
Frau Kollegin, der Bundesminister wie auch andere
Minister, die nach Afghanistan reisen, sind daran inte-
ressiert, bessere Lebensverhältnisse für die Menschen
vor Ort zu schaffen. Dazu gehören natürlich eine gute
Regierungsführung und die Beachtung von Menschen-
rechten. Selbstverständlich sind dies Themen, die bei al-
len Besuchen immer wieder angesprochen werden. Mir
ist nicht bekannt, dass sich die afghanische Regierung in
irgendeiner Weise mit dem von Ihnen angesprochenen
Thema befasst hat.
Danke, Frau Staatssekretärin. – Ich beende die Befra-
gung. Die neun Minuten, um die wir die Befragung ver-
längert haben, ziehen wir von der Zeit für die Frage-
stunde ab.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksachen 17/9888, 17/9910 –
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß
Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die
dringlichen Fragen auf Drucksache 17/9910 auf.
Zur Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums für Gesundheit steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike Flach zur Ver-
fügung.
Wir beginnen mit der dringlichen Frage 1 des Kolle-
gen Harald Weinberg:
Wird bei der Bundesregierung angesichts der dramati-
schen Versorgungslage und des drohenden Komplettzusam-
Nothilfen oder Notkrediten für das griechische Gesundheits-
system bzw. die Krankenkasse EOPYY gesehen, und erwägt
die Bundesregierung, Nothilfen zu gewähren?
Bitte, Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.
U
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Unsere Antwort
ist wie folgt: Die Probleme im griechischen Gesund-
heitssystem sind nicht neu. Sie bestanden schon vor dem
Beginn des Hilfsprogramms. Sie sind daher nicht ur-
sächlich mit der aktuellen Schuldenkrise oder den not-
wendigen Strukturreformen innerhalb des Memoran-
dums verbunden.
Die Mitgliedstaaten der Euro-Zone und der Interna-
tionale Währungsfonds haben auch aus diesem Grund
Griechenland im Rahmen des Anpassungsprogramms
Kredite von insgesamt 237,5 Milliarden Euro zugesagt.
Hierdurch soll Griechenland in die Lage versetzt wer-
den, seinen Verpflichtungen gegenüber nationalen und
internationalen Gläubigern nachzukommen und hier-
durch Spielräume für die Bereitstellung öffentlicher
Dienstleistungen, unter anderem im Gesundheitsbereich,
zu schaffen. Voraussetzung für den Erfolg des zweiten
Programms ist jedoch, dass Griechenland die Strukturre-
formen fortsetzt.
Die Bundesregierung ist darüber hinaus bereit, Grie-
chenland strukturell und organisatorisch zu unterstützen.
Insbesondere sind weitere Reformen im Gesundheitswe-
sen notwendig. Da beispielsweise das Abrechnungssys-
tem in griechischen Krankenhäusern intransparent ist,
nimmt das Bundesministerium für Gesundheit in seiner
Funktion als „Domain Leader“ im Rahmen der
Taskforce gemeinsam mit dem griechischen Gesund-
heitsministerium und der Taskforce Griechenland bei der
Europäischen Kommission gestaltenden Einfluss, um
nachhaltige Verbesserungen in der griechischen Gesund-
heitsversorgung zu bewirken.
Danke, Frau Staatssekretärin. – Herr Weinberg, Sie
haben die Möglichkeit zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Eine Nachfrage
habe ich in diesem Zusammenhang schon. Trifft es nach
Ihrer Erkenntnis zu, dass ein Bestandteil der aufgelegten
Reformmaßnahmen darin besteht, dass der Anteil der
Gesundheitskosten von bisher etwa 9,6 Prozent auf
6,5 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts zu-
rückgefahren werden soll?
U
Herr Kollege Weinberg, wir sind vordringlich beratendunterwegs. Aus diesem Grunde haben wir das Memoran-dum of Understanding unterschrieben. Wir befassen unsvor allen Dingen mit dem Versuch, eine grundlegendeStrukturreform im griechischen Gesundheitssystem vor-zubereiten. Sie können sich vorstellen, dass dies ange-sichts der Lage und der bevorstehenden Wahlen in Grie-chenland ein sehr schwieriger Akt ist. Deswegen sind wirin einem laufenden Prozess.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21799
(C)
(B)
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. – Sie ver-
zichten. Dann hat die Kollegin Kathrin Vogler das Wort.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, Sie sprachen ge-
rade von nachhaltigen Verbesserungen und strukturellen
Veränderungen. Uns erreichen täglich Pressemitteilun-
gen, in denen die Lage als mehr als dramatisch geschil-
dert wird: Krankenhäuser können keine Operationen
mehr durchführen. Es gibt keine Desinfektionsmittel,
Handschuhe und Katheter mehr. Die Patientinnen und
Patienten müssen ihre Medikamente in der Apotheke bar
bezahlen, weil die staatliche Gesundheitskasse bei den
Apothekern keinen Kredit mehr hat. Viele Menschen
können es sich angesichts der auch aufgrund der Vorga-
ben der Troika gesunkenen Löhne und der sinkenden
Renten nicht mehr leisten, sie zu kaufen.
Halten Sie das Streben nach nachhaltigen Verbesse-
rungen wirklich für ausreichend, um den akuten Versor-
gungsbedarf der Patientinnen und Patienten in Griechen-
land in irgendeiner Weise zu decken?
U
Frau Kollegin Vogler, bis zum jetzigen Zeitpunkt sind
keinerlei Kreditanfragen der griechischen Regierung bei
uns eingetroffen. Wir würden solche Kredite natürlich
nicht in vorauseilendem Gehorsam gewähren. Das ist
das eine.
Das Zweite ist – in Ihrer Frage haben Sie einen rein
humanitären Bereich angesprochen –: Die Europäische
Kommission diskutiert, wie Sie wissen, zurzeit die Si-
tuation dort. Auch das ist ein laufender Prozess, sodass
ich zu dem Abschluss der Verhandlungen derzeit noch
nichts sagen kann. Aber auch wir sind in diese Diskus-
sionen eingebunden.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Dr. Marlies
Volkmer.
Vielen Dank. – Ich kann nahtlos an die Frage der Kol-
legin Vogler anschließen. Halten Sie es für notwendig,
schnell zu Hilfsmaßnahmen für Griechenland bzw. die
griechische Bevölkerung zu kommen? Denn wenn sich
chronisch kranke Menschen wie Diabetiker, Asthma-
kranke und Herzkranke keine Medikamente mehr leisten
können und sie diese aber auch nicht über die Kranken-
versicherung bekommen, dann sind Todesfälle absehbar.
Wie lange werden Ihres Erachtens die Beratungen und
Abstimmungen innerhalb der Europäischen Union dau-
ern, um Hilfe gewähren zu können?
U
Liebe Kollegin Dr. Volkmer, wir sind momentan nicht
in der Lage, einen Zeitraum zu nennen. Das Verfahren
läuft zurzeit. Wie Sie wissen, ist das BMG für europäi-
sche Verhandlungen nicht zuständig. Ich bin aber gerne
bereit, Sie schriftlich zu informieren, was die ungefähre
Abschätzung des Zeitraums angeht.
Wir kommen damit zur zweiten dringlichen Frage des
Kollegen Harald Weinberg:
Arbeitet die Bundesregierung in der Europäischen Union
darauf hin, dass es Nothilfen oder Notkredite für das griechi-
sche Gesundheitssystem bzw. die Krankenkasse EOPYY gibt,
und welche Auswirkungen wären zu befürchten, falls keiner-
lei Hilfen für das griechische Gesundheitssystem gewährt
würden?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
U
Ich habe in meiner Antwort auf die erste dringliche
Frage bereits darauf hingewiesen, dass es keine Anfra-
gen seitens der griechischen Regierung und aus diesem
Grunde auch keine Überlegungen in unserem Hause zu
diesem Thema gibt.
Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Ich wiederhole
noch einmal die Frage, um deutlich zu machen, worum
es geht. Die Frage lautet: Arbeitet die Bundesregierung
in der Europäischen Union darauf hin, dass es Nothilfen
oder Notkredite für das griechische Gesundheitssystem
bzw. die Krankenkasse dort geben soll? Die Frage ist
also nicht, ob Griechenland Kreditanfragen an Sie ge-
richtet hat und ob Sie Kredite gewähren, sondern ob Ihre
politische Strategie in der Europäischen Union darauf
ausgerichtet ist, diese Nothilfen zur Verfügung zu stel-
len. Auf diese Frage hätte ich gerne eine Antwort.
U
Herr Kollege Weinberg, ich habe eben schon darauf
verwiesen, dass das ein laufender Prozess innerhalb der
Europäischen Kommission ist, über den ich gerne infor-
miere, wenn ich das notwendige Wissen habe. Zurzeit
habe ich es nicht.
Eine zweite Nachfrage.
Ich habe noch eine zweite Nachfrage. Einem Berichtder Bundesregierung habe ich Folgendes entnommen: Ineinem am 5. Juni in Brüssel geführten Gespräch zwi-schen Vertretern des BMG und dem Leiter der Taskforcebei der Europäischen Kommission, Herrn Reichenbach,bestand Einvernehmen darüber, dass die bisherigen Ini-tiativen zur Unterstützung Griechenlands im Gesund-heitsbereich im Falle einer Regierungsbildung durch bis-lang die Regierung tragende Parteien grundsätzlichfortgesetzt werden können.
Metadaten/Kopzeile:
21800 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
Harald Weinberg
(C)
(B)
Ich betone: im Falle einer Regierungsbildung durchbislang die Regierung tragende Parteien. Wenn es nun inGriechenland zu einer Regierungsbildung ohne die bis-lang die Regierung tragenden Parteien kommt, stellt sichdie Frage: Wird die Initiative dann eingestellt, oder wirdsie fortgesetzt?U
Herr Kollege Weinberg, das werden wir entscheiden,
wenn es so weit ist.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Vogler.
Frau Staatssekretärin, wollen Sie uns allen Ernstes er-
zählen, dass sich die Bundesregierung angesichts der am
nächsten Wochenende stattfindenden Wahlen in Grie-
chenland und vorliegender Umfrageergebnisse im Hin-
blick auf den Wahlausgang keine strategischen Gedan-
ken gemacht hat, wie sie mit einem möglicherweise
ihren Plänen entgegenstehenden Wahlausgang umgehen
wird?
U
Liebe Kollegin Vogler, es gibt zurzeit keine Pläne,
über die ich eine Aussage machen könnte. Ich finde es
auch merkwürdig, hier über den Ausgang einer demo-
kratischen Wahl in einem anderen Land zu spekulieren.
Das steht mir nicht zu.
Die dringliche Frage 3 der Kollegin Dr. Martina
Bunge wird schriftlich beantwortet. – Herzlichen Dank,
Frau Staatssekretärin.
Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und be-
antwortet worden sind, rufe ich jetzt die mündlichen Fra-
gen auf Drucksache 17/9888 in der üblichen Reihenfolge
auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Max
Stadler zur Verfügung.
Die Frage 1 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wird schrift-
lich beantwortet.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Dr. Matthias
Miersch auf:
Hat das Bundesministerium der Justiz die Forderungen
des einstimmig angenommenen Antrags auf Bundestags-
drucksache 17/8344 – keine Patentierung von konventionell
gezüchteten landwirtschaftlichen Nutztieren und -pflanzen –
bereits umgesetzt, und wenn nein, warum nicht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bedauere, dass die Frage des Kollegen Seifert
schriftlich beantwortet werden muss, weil ich zu der in
dieser Frage thematisierten Behindertenkonvention
gerne mündlich vorgetragen hätte. Selbstverständlich be-
trifft die Frage des Kollegen Miersch ebenfalls eine äu-
ßerst wichtige Thematik. Herr Kollege, Sie fragen nach
der Umsetzung eines Antrags, der im Februar 2012 vom
Bundestag bezüglich der EU-Biopatentrichtlinie be-
schlossen worden ist.
Der genannte Antrag vom 17. Januar 2012 zielt unter
anderem auf die Konkretisierung und Änderung der
EU-Biopatentrichtlinie ab. Die Bundesministerin der
Justiz hat bereits unmittelbar nach der Plenardebatte, die
zu diesem Antrag stattgefunden hat, nämlich mit Schrei-
ben vom 31. Januar 2012, den zuständigen EU-Binnen-
marktkommissar Barnier auf die Meinungslage im Deut-
schen Bundestag aufmerksam gemacht. Die
Bundesregierung hat in diesem Schreiben die Notwen-
digkeit unterstrichen, dass die EU-Kommission noch un-
ter dänischer Ratspräsidentschaft einen neuen Bericht
zur Umsetzung der Biopatentrichtlinie in den Mitglied-
staaten der EU vorlegen möge. Der Brief der Justiz-
ministerin enthält schließlich die Bitte, dass entspre-
chend Nr. 6 des Antrags und des Beschlusses des
Bundestags in diesem Bericht „die ethischen Aspekte“
von biotechnologischen Patenten „sowie die Folgen für
die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit und für die
Forschung berücksichtigt“ werden. Kommissar Barnier
hatte bereits im November 2011 die Vorlage dieses Be-
richts zugesagt. Nach neueren Informationen soll der
Bericht nunmehr im Oktober oder November dieses Jah-
res vorgelegt werden.
Frau Präsidentin, die Frage erfordert leider, etwas
ausführlicher auszuholen; denn der Antrag auf der ge-
nannten Drucksache spricht auch die Schaffung des
EU-Patents an. Die Bundesregierung hat sich in den Be-
ratungen dazu im Hinblick auf die Belange der deut-
schen Bauern und Züchter für eine sogenannte Unbe-
rührtheitsklausel zugunsten nationaler Sonderregelungen
eingesetzt. Dazu besteht unter den EU-Mitgliedstaaten
Konsens. Danach können sich deutsche Bauern und
Züchter wie bisher gegenüber deutschen und europäi-
schen Patenten künftig auch gegenüber den Inhabern des
neu zu schaffenden EU-Patents auf die deutschen Son-
derbestimmungen berufen, das heißt auf das Pflanzen-
züchterprivileg und das Landwirteprivileg mit der Be-
weislastumkehr bei zufälliger Auskreuzung von Saatgut.
Ich glaube, ich belasse es dabei. Der Herr Kollege
setzt sowieso schon zu einer Zusatzfrage an. Ich kann Ih-
nen vielleicht dann den Rest meiner geplanten Antwort
vortragen.
Er stellt garantiert eine Nachfrage. – Bitte, KollegeMiersch.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21801
(C)
(B)
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für diese Antwort.
Ich möchte mir die Anmerkung erlauben, dass sich diese
Antwort auf meine zweite Frage bezogen hat. In meiner
ersten Frage habe ich ganz bewusst nicht nach der euro-
päischen Rechtslage gefragt. Der Antrag, den wir hier
über alle Fraktionsgrenzen hinweg beschlossen haben,
bezog sich vielmehr auf das nationale Patentgesetz und
die Einführung eines Biopatentmonitorings. Können Sie
mir dazu noch etwas sagen?
D
Herr Kollege, es ist in der Tat so, dass genau dieser
Teil meiner Antwort der Zeitregel zum Opfer gefallen ist.
Ich kann jetzt Ihre Zusatzfrage dazu nutzen, Ihnen den
weiteren Teil meiner Antwort wie geplant vorzutragen.
Soweit sich der von Ihnen zitierte Antrag auf das
deutsche Patentgesetz bezieht, hat der Deutsche Bundes-
tag eine Prüfung erbeten, ob und inwieweit auch ohne
Änderung der EU-Biopatentrichtlinie Änderungen oder
Klarstellungen zur Einschränkung der Patentierung von
Tieren und Pflanzen möglich sind. Diese Prüfung läuft
derzeit. Sie wirft ziemlich schwierige Fragen auf, einer-
seits Fragen des nationalen Regelungsspielraums im
Rahmen EU-rechtlicher Vorgaben, andererseits auch
Fragen der rechtlichen Konsequenzen einer abweichen-
den Regelung auf nationaler Ebene für die Wettbewerbs-
situation deutscher Unternehmen im Binnenmarkt. Zu-
sammengefasst: Diese Prüfung läuft derzeit noch.
Ihre zweite Nachfrage.
Können Sie uns einen Zeitraum nennen, wann wir mit
einem Ergebnis rechnen können?
D
Ja. Ich rechne mit einem Abschluss dieser Prüfung bis
zum Ende dieses Jahres.
Wir kommen zur Frage 3 des Kollegen Miersch:
Wird sich das Bundesministerium der Justiz im europäi-
schen Patentrecht für ein klares Verbot der Patentierung von
Züchtungsverfahren, von Züchtungsmaterial und Pflanzen
und Tieren aussprechen und sich für eine Änderung der Bio-
patentrichtlinie auf EU-Ebene einsetzen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Ich darf wie folgt antworten: Zunächst ist klarzustel-
len – das haben Sie aber selber schon gesagt –, dass sich
der Beschluss des Bundestags, den wir gerade schon er-
örtert haben, nur auf konventionelle Züchtungsverfahren
bezieht und nicht auf solche technischen Charakters wie
etwa gentechnische Verfahren.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass das
Verbot der Patentierung im Wesentlichen biologischer
Verfahren, soweit die Verfahren selbst Gegenstand der
Patentansprüche sind, in der EU-Biopatentrichtlinie
ebenso wie im Europäischen Patentübereinkommen und
im deutschen Patentgesetz eindeutig geregelt ist und
dass diese Rechtslage durch den sogenannten Brokkoli-
Beschluss der Großen Beschwerdekammer des Europäi-
schen Patentamts vom 9. Dezember 2010 bestätigt wor-
den ist.
Die Bundesregierung ist weiterhin der Auffassung,
dass sich aus dieser Rechtslage zwingend ergibt, dass
auch die mittels solcher vom Patentschutz ausgeschlos-
senen Verfahren gewonnenen Erzeugnisse nicht paten-
tierbar sind. Mit dieser Thematik wird sich übrigens die
Große Beschwerdekammer des Europäischen Patent-
amts auch noch im Zusammenhang mit dem sogenann-
ten Tomaten-Patent befassen.
Was die Prüfung eines möglichen Änderungsbedarfs
der Biopatentrichtlinie der EU angeht, wird die Bundes-
regierung den vorhin schon erwähnten Bericht der EU-
Kommission abwarten, um ein Gesamtbild über den
Stand der Umsetzung und den gegebenenfalls erkennba-
ren Reformbedarf zu erhalten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, in diesem Zusammenhang hat
sich der Deutsche Bundestag angesichts der Entwick-
lung, die wir auf europäischer Ebene beobachten
können, und der Tatsache, dass sehr vielfältig in die Er-
nährung der Menschen in Europa eingegriffen wird,
einvernehmlich dafür ausgesprochen, ein Biopatentmo-
nitoring nationalstaatlich zu organisieren. Deswegen
meine Frage: Haben Sie dieses Monitoring gestartet,
bzw. wann tritt es in Kraft?
D
Dies ist in der Tat auch Gegenstand des Beschlusses
des Parlaments vom 8. Februar. Nach meiner Informa-
tion ist es so, dass nachgeordnete Stellen des Landwirt-
schaftsministeriums – dafür ist das Justizministerium
nicht zuständig – dieses Anliegen des Parlaments
erfüllen werden. In diesem Beschluss sind wir weiterhin
aufgefordert worden, den Dialog mit den von Biopaten-
ten betroffenen gesellschaftlichen Gruppen zu führen.
Auch dies geschieht laufend.
Ihre zweite Nachfrage.
Auch hierzu frage ich ganz konkret: Wann können wirdamit rechnen, dass wir dieses Monitoring installiert be-kommen? Wann startet die Bundesregierung damit?
Metadaten/Kopzeile:
21802 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
(C)
(B)
D
Es wird kein Monitoring in dem Sinne geben, dass die
Bundesregierung sozusagen die letzte Revisionsinstanz
wäre. Was gewünscht wird, nämlich Entwicklungen
frühzeitig erkennen zu können und in angemessenen
Zeiträumen einen Bericht über die Auswirkungen des
Patentrechts vorzulegen, wird jetzt laufend durch nach-
geordnete Stellen des Landwirtschaftsministeriums
geleistet werden.
Für eine weitere Nachfrage hat der Kollege Harald
Ebner das Wort.
Herr Staatssekretär, Sie hatten beschrieben, dass die
Bundesregierung die Patentierung der biologischen Ver-
fahren für eindeutig geregelt hält.
Der Bundestag war mit seinem interfraktionellen An-
trag einer anderen Meinung. Alle Fraktionen haben sich
geeinigt, diesen Antrag zu verabschieden, weil da Rege-
lungsbedarf gesehen wurde. Ich möchte Sie fragen, wie
Sie sich angesichts Ihrer Erläuterungen die große Zahl
von mehreren Hundert faktisch erteilten Patenten auf
konventionelle Züchtungen erklären.
D
Herr Kollege, noch einmal: Ich habe die Rechtslage
dargestellt. Ich habe auch ausgeführt, dass das Ganze
unserer Meinung nach geregelt ist.
Es wird aber Gesetzgebungsverfahren geben bzw. sol-
che sind schon im Gang, bei denen diese Fragen und die
von Ihnen angeführten Beobachtungen aus der Praxis in
dem Sinne erörtert werden können, ob es dennoch einen
Klarstellungsbedarf gibt. Dabei ist auch die Frage zu be-
antworten, inwieweit hierbei nationaler Regelungsspiel-
raum besteht.
Danke, Herr Staatssekretär. – Wir bleiben im Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Ich
rufe die Frage 4 der Kollegin Sonja Steffen auf:
Für wann sind die Verabschiedung des Entwurfs eines Ge-
setzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens,
zur Stärkung der Gläubigerrechte und zur Insolvenzfestigkeit
von Lizenzen durch das Kabinett und die Einbringung in den
Deutschen Bundestag geplant?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Die Frage der Kollegin Steffen berührt in der Praxis
wirklich sehr viele Menschen, sodass die potenziell
Betroffenen sicherlich darauf warten, dass die Gesetz-
gebung hierbei voranschreitet.
In der Tat ist die Verabschiedung des Gesetzentwurfs,
den Sie mit Ihrer Frage ansprechen, durch das Kabinett
noch für den Sommer 2012 geplant. Die Einbringung in
den Deutschen Bundestag wird dann den üblichen Re-
geln entsprechend erfolgen, also dann, wenn sich der
Bundesrat damit befasst hat.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr
Staatssekretär. – Die erste Nachfrage betrifft den Inhalt
des Entwurfs in Bezug auf das jetzige Vorhaben, dass die
Rechtspfleger am Insolvenzverfahren stärker beteiligt
werden sollen. Nach dem Entwurf ist beabsichtigt, dass
die Rechtspfleger das Insolvenzverfahren und auch das
Restschuldbefreiungsverfahren übernehmen sollen. Ist
dies auch weiterhin beabsichtigt?
D
Frau Kollegin Steffen, die Ressortabstimmung zu die-
sem Gesetzentwurf ist noch nicht abgeschlossen, sodass
ich im Moment keine verbindlichen Aussagen darüber
machen kann, wie genau der Kabinettsbeschluss ausse-
hen wird. Wir müssen das noch abwarten.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Die zweite Nachfrage betrifft auch den jetzt vorgese-
henen Inhalt des Entwurfs. Sie bezieht sich auf das
Vorhaben, das Verfahren der Restschuldbefreiung zu
verkürzen. Dies ist allerdings an die Tilgung von Gläubi-
gerforderungen gekoppelt. Wie ist denn dazu der ak-
tuelle Stand im Ministerium?
D
Frau Kollegin Steffen, ein wesentlicher Teil des Ge-setzentwurfs ist, dass die Restschuldbefreiung deutlichfrüher erlangt werden kann, als dies nach bisherigemRecht der Fall ist. Bekanntlich ist das nicht völlig unum-stritten; denn auf der anderen Seite stehen die Interessender Gläubiger.In der Praxis hat sich die jetzige Restschuldbefreiungsehr bewährt. Nach dem Prinzip, dass jeder eine zweiteChance verdient, hat sich nämlich ergeben, dass mit die-sem Instrument eben kein Missbrauch betrieben wordenist. Vielmehr zeigte sich: Menschen, die in eine finan-zielle Notlage gekommen sind, konnten nach der Rest-schuldbefreiung wieder von vorne beginnen. Dieses In-strument ist durchaus erfolgreich gewesen.Aus diesem Grund schlagen wir vor, dass künftigschon nach drei Jahren die Restschuldbefreiung eintretenkann, falls eine bestimmte Quote der Forderungen erfülltist. Der Gedanke war, bei etwa 25 Prozent anzusetzen.Aber selbstverständlich sind in der politischen Debattegerade die Fragen der Fristen und der zu erreichendenQuote strittig. Daher muss ich Sie noch um wenige Wo-
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Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler
(C)
(B)
chen Geduld bitten, bis nach der Ressortabstimmung derendgültige Entwurf dem Parlament vorgelegt werdenkann.
Wir kommen dann zur Frage 5 der Kollegin Sonja
Steffen:
Welche Änderungen sind vom Bundesministerium der
Justiz nach Einholung der Stellungnahmen der Verbände ge-
genüber dem Referentenentwurf geplant?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Die Frage 5 geht ein wenig in die Richtung der zwei-
ten Nachfrage von Kollegin Steffen nach den geplanten
Änderungen. Hierzu habe ich schon ausgeführt, dass die
Ressortabstimmung gerade im Gange ist; sie ist noch
nicht abgeschlossen. Stellungnahmen der Länder und der
interessierten Verbände sind eingeholt und werden jetzt
ausgewertet. Nach dieser Auswertung und nach der Ab-
stimmung können wir Ihnen vortragen, ob es zu Ände-
rungen gegenüber dem Entwurf, den ich skizziert habe,
kommen wird.
Dieser Entwurf basiert, wie gesagt, auf der Idee,
schon nach der relativ kurzen Zeit von drei Jahren bei
einer bestimmten Wohlverhaltensquote zur Restschuld-
befreiung zu gelangen. Dem zugrunde liegen gute Erfah-
rungen mit dem jetzt geltenden Recht, das wir damit aus-
bauen würden.
Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Nach-
frage.
Ich habe eine Frage in Bezug auf die Dauer des Ge-
setzgebungsverfahrens. Wir können dann also damit
rechnen, dass der Entwurf nach der Sommerpause hier
ins Plenum kommt?
D
Ich rechne damit, dass der Bundesrat nach der Som-
merpause seinen ersten Durchgang durchführen wird.
Wenn dies geschehen ist, kommt der Gesetzentwurf ins
Plenum.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? – Nein.
Dann kommen wir zur Frage 6 des Kollegen
Burkhard Lischka:
Wird die Bundesregierung einen Regelungsvorschlag für
eine eigene Rechtsgrundlage für die Quellen-Telekommuni-
kationsüberwachung, Quellen-TKÜ, vorlegen?
Bitte, Herr Stadler.
D
Das ist eine Thematik, Herr Kollege Lischka, über die
wir uns im Rahmen der Fragestunde schon einmal
ausgetauscht haben. Nach wie vor gilt, dass es eigenstän-
dige Rechtsgrundlagen für die Quellen-Telekommunika-
tionsüberwachung im präventiven Bereich teilweise be-
reits gibt, beispielsweise in § 20 I Abs. 2 des
Bundeskriminalamtgesetzes. Für den Bereich der Straf-
verfolgung – darauf zielt Ihre Frage sicherlich ab – wen-
den die Gerichte § 100 a Strafprozessordnung auch für
diese Art der Überwachung von Telefonaten an der
Quelle an. Hierzu gibt es mittlerweile eine Rechtspre-
chung, die sich verfestigt hat.
Ob es geboten ist, gesetzliche Regelungen zusätzlich
vorzusehen, ist gerade Gegenstand einer intensiven
Prüfung der Bundesregierung, in die die Erkenntnisse
aus der derzeit noch laufenden Entwicklung der für die
Durchführung einer Quellen-Telekommunikationsüber-
wachung erforderlichen Software ebenso einfließen
werden wie die Hinweise, die wir zwischenzeitlich von
Experten, übrigens auch im Unterausschuss Neue
Medien des Bundestags, erhalten haben.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Darf ich dann
Ihrer Antwort entnehmen, dass nach Auffassung der
Bundesregierung § 100 a StPO im Bereich der Strafver-
folgung trotz gewichtiger Gegenstimmen in der Rechts-
literatur und in der Wissenschaft eine ausreichende
Rechtsgrundlage für die Quellen-TKÜ darstellt?
D
Sie dürfen meiner Antwort entnehmen, dass es mitt-lerweile einhellige Praxis der Gerichte ist, § 100 a alsRechtsgrundlage heranzuziehen, und dass wir diese inrichterlicher Unabhängigkeit getroffenen Entscheidun-gen respektieren. Wir hatten darüber ja schon einmal, inder Fragestunde im Oktober 2011, gesprochen. Nach-träglich ist bekannt geworden, dass es insoweit nicht nurEntscheidungen von Instanzgerichten gibt, sondern aucheine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die sich auf§ 100 a StPO gestützt hat.Gleichwohl bleibt offen, ob wir für die Zukunft nochModifizierungen brauchen, die der Gesetzgeber vorzu-nehmen hätte. Das hängt ein wenig davon ab, wie sichdie technische Entwicklung darstellt. Es wird ja jetztversucht, eine, wenn ich das so unjuristisch sagen darf,grundrechtsschonendere Software zu entwickeln. Vonder Frage, was diese Software kann und was man in die-sem Zusammenhang verbieten muss, hängt letztlich ab,ob es für den Gesetzgeber noch Regelungsbedarf überden § 100 a StPO hinaus gibt. Eine Entscheidung habenwir noch nicht getroffen; wir prüfen noch.
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21804 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
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(B)
Ihre zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben die Entwicklung einer
Software angesprochen. Daran schließe ich meine
zweite Frage an: Liegen der Bundesregierung denn Er-
kenntnisse darüber vor, ob derzeit bei den Bundesbehör-
den die Quellen-TKÜ angewandt wird? Oder wird die
Quellen-TKÜ nicht angewandt, solange eine Software
entwickelt wird?
D
Ich habe jedenfalls die sichere Erkenntnis, dass in
Bayern, wo sich ein Fall ereignet hat, der die Debatte da-
rüber überhaupt erst ausgelöst hat, und wo durch das
Landgericht Landshut festgestellt werden musste, dass
die sogenannten Screenshots nicht zulässig sind, die
Staatsregierung entschieden hat, diese Software nicht
mehr einzusetzen.
Ich habe jetzt keinen schriftlichen Beleg dazu, ob das
im Bereich der Bundesregierung auch so ist. Ich würde
vorschlagen, dass ich diesen Teil der Antwort schriftlich
nachtrage, bevor ich hier etwas Unrichtiges sage. Dann
haben Sie eine zuverlässigere Information, als wenn ich
jetzt aus der Lamäng eine Antwort geben würde.
Das halten wir so fest.
Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Marianne Schieder
auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Regelung des
§ 52 a des Urheberrechtsgesetzes, welche die Nutzung von ur-
heberrechtlich geschütztem Material in engen Grenzen für
Unterricht und Forschung, zum Beispiel im Intranet der Uni-
versität, erlaubt und zum 31. Dezember 2012 ausläuft, zu ver-
längern bzw. zu entfristen, und, wenn nein, warum nicht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Beim § 52 a des Urheberrechtsgesetzes geht es be-
kanntlich darum, dass für Unterricht und Forschung ur-
heberrechtlich geschütztes Material in engen Grenzen
und unter bestimmten Voraussetzungen genutzt werden
kann. Diese Regelung ist noch unter Regierungsverant-
wortung der SPD eingeführt worden, jedoch befristet,
weil man die praktischen Auswirkungen sehen wollte.
Es gab dann erneute Befristungen. Nun läuft die Frist
zum 31. Dezember 2012 aus, sodass zu entscheiden ist,
wie man weiter vorgeht.
Zur Vorbereitung dieser Entscheidung hat das Bun-
desministerium der Justiz eine Evaluierung des § 52 a
des Urheberrechtsgesetzes vorgenommen. Diese Evalu-
ierung ist noch nicht vollständig abgeschlossen. Das
Bundesministerium der Justiz wird den entsprechenden
Bericht demnächst dem Deutschen Bundestag zuleiten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, bis zum 31. Dezember ist nicht
mehr viel Zeit. Können Sie denn wenigstens in groben
Zügen sagen, wie das Ergebnis dieser Evaluierung aus-
sieht?
D
Ich kann nur sagen, dass das Bundesministerium der
Justiz anstrebt, dass es bei der Regelung des § 52 a des
Urheberrechtsgesetzes bleibt.
Zweite Nachfrage.
In welcher Form, Herr Staatssekretär? Streben Sie das
an, indem Sie die Frist wieder verlängern oder indem Sie
das Ganze entfristen?
D
Diese beiden Möglichkeiten stehen zur Debatte. Da-
rüber ist eine Entscheidung noch nicht getroffen. Insbe-
sondere gibt es auch noch keine abgestimmte Haltung
der Bundesregierung, weil, wie gesagt, der Evaluie-
rungsbericht gerade erst ausgewertet wird. Aber bei den
von Ihnen zu Recht genannten zeitlichen Vorgaben ist
klar, dass Sie in allernächster Zeit mit einem Entwurf
rechnen können.
Damit kommen wir zur Frage 8 der Kollegin Brigitte
Zypries:
Wann wird die Bundesregierung, der Ankündigung im
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP folgend, den
Dritten Korb zur Reform des Urheberrechts vorlegen, und
welche konkreten Regelungen werden darin enthalten sein?
Bitte.
D
Frau Präsidentin, wenn Sie gestatten, würde ich gern
die Fragen 8 und 9 von Frau Kollegin Zypries im Zu-
sammenhang beantworten. Darin geht es um den soge-
nannten Dritten Korb zum Urheberrecht und um das
Leistungsschutzrecht für Presseverlage.
Natürlich. Dann rufe ich auch die Frage 9 der Kolle-gin Brigitte Zypries auf:Wie wird das vom Koalitionsausschuss am 4. März 2012beschlossene Leistungsschutzrecht für Presseverlage genauausgestaltet sein?Damit gibt es die Möglichkeit, vier Nachfragen zustellen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21805
(C)
(B)
D
Das innerhalb der Bundesregierung für das Urheber-
recht zuständige Bundesministerium der Justiz wird
noch vor der Sommerpause den Entwurf eines Gesetzes
zur Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presse-
verlage vorlegen. Mit einem solchen Leistungsschutz-
recht soll den Presseverlegern das ausschließliche Recht
eingeräumt werden, Presseerzeugnisse zu gewerblichen
Zwecken im Internet öffentlich zugänglich zu machen.
Urheber sind angemessen an der Vergütung zu beteili-
gen.
Darüber hinaus erarbeitet das Bundesministerium der
Justiz derzeit Eckpunkte für ein weiteres Gesetz mit Än-
derungen im Urheberrecht. Diese Eckpunkte werden
verschiedene Bereiche umfassen, beispielsweise Rege-
lungen zur Nutzung sogenannter verwaister Werke. Die
Arbeiten hieran sind jedoch noch nicht abgeschlossen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie hatten ja vor einigen Wochen
im Unterausschuss Neue Medien gesagt, dass das Justiz-
ministerium prüfe, in welcher Form der Beschluss des
Koalitionsausschusses zum Leistungsschutzrecht tat-
sächlich umgesetzt werden könne. Jetzt entnehme ich Ih-
ren Worten, dass es dabei bleiben soll, dass Herausgeber
von Zeitungen das ausschließliche Recht haben, ihr
Presseerzeugnis ganz oder in Teilen zu gewerblichen
Zwecken online öffentlich zugänglich zu machen. Das
heißt, die streitige Frage der Snippets wäre damit ent-
schieden: Es bleibt nach wie vor Sache der Verlage, ob
sie sie zugänglich machen wollen oder nicht. Habe ich
Sie da richtig verstanden?
D
Ich habe Ihnen das Grundprinzip des geplanten Leis-
tungsschutzrechts dargestellt. Zu dem Zeitpunkt, als ich
in Ihrem Ausschuss vortragen durfte, war noch fraglich,
wie der Beschluss des Koalitionsausschusses umgesetzt
wird. Wir machen jetzt den Vorschlag, dass ein Leis-
tungsschutzrecht eingeführt wird. Das heißt, Presseer-
zeugnisse zu gewerblichen Zwecken im Internet öffent-
lich zugänglich zu machen, ist dann das ausschließliche
Recht der Presseverlage – also nicht mehr ein von den
Urhebern abgeleitetes Recht –, mit den Möglichkeiten,
die sich daraus ergeben, etwa bei Verstößen Unterlas-
sungsklage zu erheben oder mit anderen Nutzern Gebüh-
renvereinbarungen zu treffen.
Über die genaue Abgrenzung muss man dann im Ge-
setzgebungsverfahren reden. Klar ist beispielsweise,
dass das Recht, zu zitieren, weiterhin besteht, so wie es
dem jetzigen Urheberrecht entspricht.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
In Bezug auf Zitate ist das richtig. Ich muss aber noch
einmal auf die Snippets zurückkommen. Die Sonder-
regelung, dass man Ausschnitte aus Werken bei Google
findet, ist eigentlich der wesentliche Kern des Streits. Ich
habe noch nicht ganz verstanden, wie Sie dieses Problem
lösen wollen.
D
Das Problem wird in der Weise gelöst, dass eine bloße
Verlinkung selbstverständlich nicht das Leistungsschutz-
recht tangiert. Wenn hingegen ein News-Aggregator
auch nur kleine Teile eines Presseerzeugnisses ins Netz
stellt, wäre das von dem neuen Leistungsschutzrecht er-
fasst, mit der gerade schon genannten Folge, dass entwe-
der das Unterlassen begehrt werden kann oder aber, was
wir als wahrscheinlicher ansehen, die Beteiligten sich
über eine finanzielle Vergütung einigen.
Wichtig ist, dass die private Nutzung vom Leistungs-
schutzrecht nicht berührt wird; das sage ich noch einmal,
damit kein Missverständnis bezüglich dessen Reichweite
entsteht. Das Leistungsschutzrecht bezieht sich auf einen
eng begrenzten Bereich und soll für diesen ähnliche Re-
gelungen schaffen, wie es sie für Rechteverwerter in an-
deren Bereichen schon gibt.
Sie haben das Wort zur nächsten Nachfrage.
Gehe ich recht in der Annahme, Herr Staatssekretär,
dass Sie nicht mit Filtersoftware kontrollieren wollen, ob
jemand Google News gewerblich oder privat nutzt? Wie
aber wollen Sie das kontrollieren?
D
Die Frageform „Gehe ich recht in der Annahme“ geht
ja auf die berühmte Sendung Was bin ich? mit Robert
Lembke zurück.
Dort war es ja so, dass ein Nein zum Ende der Fragezeit
und damit des Fragerechts geführt hat. Diese Gefahr be-
steht bei Ihnen nicht, weil Sie noch die Möglichkeit ei-
ner weiteren Nachfrage haben.
Ich kann Ihre Frage aber kurz und bündig mit Ja be-
antworten. Es soll also keine Überwachungssoftware
eingesetzt werden. Ob eine private oder gewerbliche
Nutzung vorliegt, hängt natürlich von den Umständen
des Einzelfalles ab. Aber die grundsätzliche Trennlinie
wird im Gesetz klar enthalten sein. Sicherlich wird es in
der Praxis Einzelfälle geben, in denen geklärt werden
muss, ob eine Nutzung noch privat oder schon gewerb-
lich ist.
Ihre vierte Frage.
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21806 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
(C)
(B)
Ich habe immer noch nicht ganz verstanden, wie man
das feststellen will. Es stellt sich doch die Frage: Ist es
privat oder gewerblich, wenn ich an meinem PC sitze
und google und Zeitungsausschnitte für meine Arbeit als
Abgeordnete suche?
D
Noch einmal: Es ist nicht die Sache des Staates, Sie
zu überwachen.
Das werden Sie von einem liberal geführten Bundesjus-
tizministerium zu Recht nicht erwarten.
Zeitungsverleger erhalten vielmehr das Recht, ein
Leistungsschutzrecht geltend zu machen. Wenn Sie der
Meinung sind, dass ein Nutzer dieses Recht verletzt,
dann muss man sich darüber auseinandersetzen, ob eine
private Nutzung vorliegt. Da Sie als Abgeordnete nicht
gewerblich tätig sind, kann ich Sie beruhigen: Der Fall
wird hiervon nicht erfasst. Ich habe dabei nicht berück-
sichtigt, dass Sie natürlich auch eine Nebentätigkeit ge-
werblicher Art ausüben könnten und dann in den ge-
werblichen Bereich kämen. Das haben Sie aber, glaube
ich, nicht gemeint.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Finanzen.
Wir kommen zur Frage 10 der Kollegin Andrea
Wicklein. – Ich sehe, dass der Parlamentarische Staats-
sekretär Steffen Kampeter nicht anwesend ist. Kann mir
die Bundesregierung Auskunft erteilen, ob Herr
Kampeter auf dem Weg ist? – Ich schlage vor, wir stellen
die Fragen 10 und 11 einen Moment zurück, bis ich In-
formationen bekommen habe.
Die Frage 12 des Kollegen Dr. Axel Troost, die
Frage 13 des Kollegen Richard Pitterle, die Fragen 14
und 15 der Kollegin Dr. Barbara Höll, die Fragen 16 und 17
der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, die Frage 18 des Kolle-
gen Andrej Hunko, die Frage 19 des Kollegen Hans-
Christian Ströbele sowie die Fragen 20 und 21 der Kolle-
gin Priska Hinz werden schriftlich beantwortet.
Bis mir weitere Informationen vorliegen, rufe ich den
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe zur
Verfügung.
Die Frage 22 des Kollegen Dr. Ilja Seifert und die
Frage 23 des Kollegen Anton Schaaf werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe die Frage 24 der Kollegin Sabine
Zimmermann auf:
Wie wurde das Programm „Initiative zur Flankierung des
Strukturwandels“ bisher genutzt – bitte Mittelabfluss, Teil-
nehmerzahlen nach Maßnahmenart sowie durchschnittliche
jährliche Ausgaben je Teilnehmer, Eingliederungsquote nen-
nen –, und wie stellt sich die Mittelbindung durch Verpflich-
tungsermächtigungen für das Jahr 2012 und die Folgejahre
dar?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin, die
Ausgaben für die Initiative zur Flankierung des Struktur-
wandels, IFlaS, der Bundesagentur für Arbeit beliefen
sich im Haushaltsjahr 2010 auf 126 Millionen Euro und
im Haushaltsjahr 2011 auf 244 Millionen Euro. Im Jahr
2011 wurden rund 22 000 Eintritte in IFlaS-Maßnahmen
gefördert, davon rund 13 000 mit dem Ziel Berufsab-
schluss, rund 1 500 Vorbereitungslehrgänge für die Ex-
ternenprüfung und rund 7 300 sonstige berufliche Wei-
terbildungen, wie zum Beispiel Teilqualifikationen. Bis
Ende März 2012 sind rund 5 000 Eintritte in IFlaS-Maß-
nahmen erfolgt, davon rund 2 500 berufliche Weiterbil-
dungen mit Abschluss, rund 280 Vorbereitungslehrgänge
für die Externenprüfung und rund 2 100 sonstige berufli-
che Weiterbildungen.
Die durchschnittlichen jährlichen Ausgaben je Teil-
nehmer lagen nach Angaben der Bundesagentur für
Arbeit in der beruflichen Weiterbildung bei rund
7 700 Euro im Jahr 2011. Durchschnittszahlen für das
angesprochene Programm liegen nicht vor. Angaben zur
Eingliederungsquote der Teilnehmer an IFlaS-Maßnah-
men liegen ebenfalls nicht vor.
Für die Initiative zur Flankierung des Strukturwandels
stehen mit 400 Millionen Euro im Jahr 2012 innerhalb
des Eingliederungstitels der Bundesagentur für Arbeit
mehr Mittel zur Verfügung als im Jahr 2011; da waren es
350 Millionen Euro. Von den 400 Millionen Euro wur-
den nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit bis Mai
dieses Jahres rund 114 Millionen ausgegeben. Für das
Jahr 2013 sind Verpflichtungsermächtigungen in Höhe
von 300 Millionen Euro vorgesehen. Das Programm ist
also finanziell mehr als ausreichend ausgestattet.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Es war die Rede da-
von, dass die Schlecker-Beschäftigten zu Erzieherinnen
umgeschult werden sollen und auch andere Bereiche in
Betracht kommen. Können Sie sicherstellen, dass die
Maßnahmen im Rahmen des IFlaS-Programms zu einem
qualifizierten Abschluss führen, das heißt, dass die Kol-
leginnen und Kollegen hier nicht nur mit einfachen
Lehrgängen abgespeist werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Frau Kollegin, im Rahmen von IFlaS wird niemand„abgespeist“. Die Bundesregierung kann natürlich keine
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21807
Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
(C)
(B)
erfolgreichen Abschlüsse von Weiterbildungsmaßnah-men garantieren. Ich kann Ihnen jedoch sagen, dass dasProgramm für diejenigen vorgesehen ist, die über keinenBerufsabschluss verfügen. Nach unseren bisherigenErkenntnissen trifft das für rund 35,4 Prozent derSchlecker-Beschäftigten zu. Es handelt sich um ein An-gebot im Rahmen dieses Programms, um diejenigen, diebisher über keinen Abschluss verfügen, entsprechendauf den Arbeitsmarkt vorzubereiten.Darüber hinaus gibt es ein Angebot für diejenigen– wobei wir den Bedarf nicht quantifizieren können –,die länger als vier Jahre nicht mehr in ihrem erlerntenBeruf tätig waren. Auch diese Beschäftigten werdenüber IFlaS gefördert.
Ihre zweite Frage bitte.
Sie sprachen von den Ausbildungsmöglichkeiten zur
Erzieherin oder zur Altenpflegerin. In dem Zusammen-
hang lautete meine Frage ganz konkret, ob es sich um
Ausbildungen mit einem anerkannten Abschluss handeln
soll. Immerhin geht die Ausbildung zur Altenpflegerin
und auch zur Erzieherin über drei Jahre.
Darüber hinaus würde mich noch etwas anderes inte-
ressieren. Viele Frauen haben gesagt, dass sie aus dem
Bereich des Einzelhandels heraus möchten und lieber ei-
nen anderen Beruf erlernen wollen. Warum hat man sich
gerade für die Ausbildungsgänge zur Erzieherin bzw. zur
Altenpflegerin entschieden? Es gibt viele Frauen, die
gerne in den Metallbereich wechseln würden. Das habe
ich auf vielen Betriebsversammlungen gehört. Frauen
haben sich eindeutig dahin gehend artikuliert, dass sie
etwas anderes machen möchten, aber ganz gezielt in den
Metallbereich wollen. Hier gibt es ebenfalls einen gro-
ßen Bedarf an Arbeitskräften.
D
Frau Kollegin, ich habe bei der Beantwortung der
Frage 24 nicht über Erzieherinnen gesprochen, und Sie
haben auch nicht danach gefragt. Ich will aber im Rah-
men dieser Zusatzfrage gerne den Hinweis geben, dass
wir nach den Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt-
und Berufsforschung im ersten Quartal dieses Jahres
bundesweit von rund 966 000 offenen Stellen auf dem
ersten Arbeitsmarkt ausgehen.
Es geht darum, Menschen, die in Arbeitslosigkeit ge-
raten, für diese vielen offenen Stellen zu qualifizieren,
die es eben unter anderem im Erziehungsbereich gibt.
Niemand wird in einen solchen Weg gezwungen. Denje-
nigen jedoch, die geneigt sind, sich in diesem Bereich
weiterzuqualifizieren, umzuschulen und die dafür auch
geeignet sind, steht dieser Weg grundsätzlich zur Verfü-
gung. Wir stellen sehr viel öffentliches Geld bereit – das
habe ich Ihnen skizziert –, um Menschen in solche Be-
reiche umzuschulen, wenn sie es denn wollen.
Wir kommen damit zur Frage 25 der Kollegin Sabine
Zimmermann:
Inwiefern erfüllen die Schlecker-Beschäftigten in der Re-
gel die Voraussetzungen der Initiative zur Flankierung des
Strukturwandels, und wie haben sich die Maßnahmen der be-
ruflichen Weiterbildung im Dritten Buch Sozialgesetzbuch,
SGB III, gegenüber dem Vorjahr entwickelt, nach Teilnehmer-
zahlen und Ausgaben absolut wie relativ?
D
Frau Kollegin Zimmermann, in dieser Frage sprechen
Sie das Programm in Bezug auf die Schlecker-Beschäf-
tigten an. Ich antworte Ihnen wie folgt, wobei ich mich
zum Teil wiederhole:
Ziel der Initiative zur Flankierung des Strukturwan-
dels – IFlaS – der Bundesagentur für Arbeit ist es unter
anderem, durch berufliche Weiterbildungsförderung Ar-
beitslosen bzw. von Arbeitslosigkeit bedrohten Ge-
ringqualifizierten den Erwerb anerkannter Berufsab-
schlüsse bzw. Teilqualifikationen zu ermöglichen.
Von den insgesamt seit Beginn der Schlecker-Insol-
venz arbeitsuchend oder arbeitslos gemeldeten Schle-
cker-Beschäftigten haben nach Angaben der Bundes-
agentur für Arbeit 35,4 Prozent keine abgeschlossene
Berufsausbildung und erfüllen damit grundsätzlich die
Fördervoraussetzungen für IFlaS. Hinzu kommen dieje-
nigen Beschäftigten bei Schlecker, die zwar über einen
Berufsabschluss verfügen, aber mehr als vier Jahre in
an- oder ungelernter Tätigkeit gearbeitet haben. Zu die-
sem ebenfalls grundsätzlich förderberechtigten Perso-
nenkreis liegen keine Zahlenangaben vor.
Nach den statistischen Daten der Bundesagentur für
Arbeit sind bis Ende Mai dieses Jahres im Rechtskreis
des SGB III rund 50 000 Personen in eine geförderte be-
rufliche Weiterbildung eingetreten. Das sind rund
25 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.
Gemäß den statistischen Daten der Bundesagentur für
Arbeit wurden von Januar bis Mai 2012 rund 680 Millio-
nen Euro für die Förderung der beruflichen Weiterbil-
dung im Rechtskreis des SGB III verausgabt. Das sind
rund 17 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. In
diesem Vorjahreszeitraum, von Januar bis Mai 2011, be-
trugen die entsprechenden Ausgaben rund 820 Millionen
Euro.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Insgesamt kann man feststellen, dass wir gegenüberdem letzten Jahr bei den Maßnahmen zur beruflichenUmschulung einen Rückgang von 30 Prozent haben. Dastellt sich mir schon die Frage, ob es angesichts desSparkurses der Bundesregierung, der dazu geführt hat,dass es bei den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten zuenormen Einsparungen kommt, im Moment überhauptrichtig möglich ist, eine Vollzeitumschulung anzubieten.Sind Sie der Meinung, dass es möglich ist, diese Um-
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21808 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
Sabine Zimmermann
(C)
(B)
schulung über die einzelnen Programme für mehrereTausend Euro zu finanzieren? Stellt sich nicht auch Ih-nen die Frage, woher das ganze Geld kommen soll?D
Frau Kollegin, der aktuelle Rückgang der Zahl der
Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei den Maßnahmen
zur Förderung der beruflichen Weiterbildung trägt insbe-
sondere der deutlich verbesserten Arbeitsmarktlage und
dem Auslaufen krisenbedingter Sonderregelungen Rech-
nung. Das heißt, der Umstand, dass wir eine Rekordbe-
schäftigung haben, dass die Arbeitslosigkeit so niedrig
ist wie seit rund zwei Jahrzehnten nicht mehr, schlägt
sich natürlich auch darin nieder, dass weniger Menschen
solche Maßnahmen brauchen. Für diejenigen, die sie
brauchen, steht in ausreichendem Maße Geld zur Verfü-
gung.
Ihre zweite Nachfrage.
Sie haben uns heute die Zahlen genannt, nach denen
wir im Einzelhandelsbereich 27 000 offene Stellen und
rund 300 000 arbeitslose Menschen haben. Da ist die
Marktlage aus meiner Sicht eigentlich relativ schwierig:
Das Verhältnis zwischen offenen Stellen und arbeitslo-
sen Menschen liegt ungefähr bei 1 : 10 oder 1 : 12. Da
stellt sich mir schon die Frage: Haben die Kolleginnen
und Kollegen, die schon von der ersten Entlassungswelle
betroffen waren, dieselbe Chance, zum Beispiel in das
IFlaS-Programm zu kommen? Kann man angesichts der
zweiten Entlassungswelle, die jetzt ansteht, und der so-
genannten dritten Entlassungswelle, die bei Ihr Platz los-
getreten werden soll, davon ausgehen, dass alle Beschäf-
tigten die gleichen Chancen haben?
D
Frau Kollegin, das IFlaS-Programm ist an die Krite-
rien gebunden, die ich Ihnen genannt habe: Da geht es
um Menschen, die keine abgeschlossene Berufsausbil-
dung haben, oder um Menschen mit einer abgeschlosse-
nen Berufsausbildung, die seit mehr als vier Jahren nicht
mehr im Beruf tätig gewesen sind. Auf sie ist das Pro-
gramm IFlaS zugeschnitten, für das im nächsten Jahr
300 Millionen Euro vorgesehen sind. Ich habe Ihnen
heute Morgen in der Ausschusssitzung berichtet, dass
davon bisher weniger als 1 Million Euro – 1 von
300 Millionen Euro – für andere Zwecke gebunden sind.
Ich wiederhole deswegen gerne so oft, wie Sie danach
fragen, dass hier für die verschiedenen Gruppen in den
verschiedenen Programmen ausreichend Mittel zur Ver-
fügung stehen.
Die 27 000 Stellen, die ich Ihnen heute Morgen ge-
nannt habe, sind die bei der BA bekannten offenen Stel-
len im Einzelhandel. Ich kann Ihnen die Zahl der offenen
Stellen nennen, die im Mai bundesweit bei der Bundes-
agentur für Arbeit gemeldet waren: 499 217. Geschätzt
wird, dass es, wie gesagt, im ungeförderten ersten Ar-
beitsmarkt ungefähr doppelt so viele offene Stellen gibt,
das heißt rund 1 Million Stellen im ersten Arbeitsmarkt,
die auch den rund 30 000 Menschen zur Verfügung ste-
hen, die bedauerlicherweise von der Schlecker-Pleite be-
troffen sind. Deswegen haben wir dieses umfangreiche
arbeitsmarktpolitische Instrumentarium: um eine Zahl
von Menschen bundesweit für die vorhandenen Arbeits-
plätze zu qualifizieren, um sie dafür fit zu machen, in
dem Umfang, der jeweils notwendig ist. IFlaS ist da eine
Maßnahme unter sehr vielen, für ganz bestimmte Perso-
nengruppen. Für sie steht genauso in ausreichendem
Maße Geld zur Verfügung wie für andere.
Danke, Herr Staatssekretär. – Die Fragen 26 und 27
der Kollegin Brigitte Pothmer werden schriftlich beant-
wortet.
Bevor wir fortfahren, halten wir für das Protokoll fest,
dass die Fragen 10 und 11 der Kollegin Andrea Wicklein
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Fi-
nanzen schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 28 der Kollegin Jutta Krellmann auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, für die
Schlecker-Beschäftigten einen Sozialfonds bei der Bundes-
agentur für Arbeit einzurichten, um Zeit dafür zu gewinnen,
vielleicht doch Investoren für einzelne Teile von Schlecker zu
finden, vor dem Hintergrund, dass bei Schlecker wegen der
Rechtsform des Einzelkaufmanns und der damit verbundenen
fehlenden umfassenden Bilanzierungspflicht das Insolvenz-
geld nicht zweckgerecht zur Überbrückung der Zeit der Inves-
torensuche genutzt werden konnte, und prüft die Bundesregie-
rung unabhängig davon die Bildung einer Transfergesellschaft
für die von der zweiten Kündigungswelle betroffenen
Schlecker-Beschäftigten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Vielen Dank, Frau Kollegin Krellmann. – Die Bun-desregierung kann bei der Bundesagentur für Arbeit kei-nen Sozialfonds einrichten; hierzu fehlt es unter andereman den maßgeblichen Rechtsgrundlagen. Unabhängigdavon ist ein solcher Sozialfonds auch nicht erforderlich.Nachdem der Gläubigerausschuss am 1. Juni 2012 dieLiquidation der Firma Anton Schlecker e. K. beschlos-sen hat, hat Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyenam 7. Juni 2012 ein Gespräch mit dem Vorsitzenden derGewerkschaft Verdi, Herrn Frank Bsirske, und dem Vor-sitzenden des Vorstands der BA, Herrn Frank-JürgenWeise, geführt. Ergebnis des Gesprächs ist, dass die BAdie Beschäftigten von Schlecker mit dem gesamten zurVerfügung stehenden Instrumentarium der aktiven Ar-beitsmarktpolitik unterstützen wird. Dies ist ihr Kernge-schäft, wie ich ausdrücklich betonen möchte. Für die Be-troffenen kommen beispielsweise die Erprobung beieinem neuen Arbeitgeber mit dem Ziel des Übergangs inein neues Arbeitsverhältnis, die Unterstützung und Qua-lifizierung bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz,etwa in Form von Bewerbungstraining und Coaching,sowie Anpassungsqualifizierungen in Betracht. Die BAkann im Rahmen der schon genannten Initiative zurFlankierung des Strukturwandels zudem Umschulungen
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zum Erwerb eines neuen Berufsabschlusses fördern,falls im erlernten Beruf keine Vermittlungschancen mehrbestehen. Für sämtliche Maßnahmen stehen im Haushaltder BA finanzielle Mittel in ausreichendem Umfang be-reit.Die Voraussetzungen für die Prüfung der Einrichtungeiner Transfergesellschaft für die jetzt von Kündigungbedrohten Schlecker-Beschäftigten liegen derzeit nichtvor. Bereits im Rahmen der Kündigung von rund11 000 Schlecker-Beschäftigten im März dieses Jahreshat die Bundesregierung angeboten, technische Hilfe-stellung durch die Anweisung eines KfW-Kredits zuleisten. Voraussetzung dafür wäre allerdings gewesen,dass die Länder die Bürgschaft für den KfW-Kreditübernommen hätten; denn zum Umgang mit Finanzie-rungsanfragen von Unternehmen in Schwierigkeiten gibtes klare Absprachen und eine in der Vergangenheit re-gelmäßig geübte Praxis zwischen Bund und Ländern.Danach ist das Land, in dem das Unternehmen seinenSitz hat, Ansprechpartner in Finanzierungsfragen undKoordinator zwischen den betroffenen Ländern. Hilfedurch den Bund kommt hingegen nur dann in Betracht,wenn die Bundesländer finanziell überfordert sind.
Sie haben das Wort zur Nachfrage.
Vielen Dank. – Sie haben eben die Gewerkschaft
Verdi genannt. Wie steht die Bundesregierung dazu, dass
nach Angaben der Gewerkschaft Verdi viele Schlecker-
Frauen nach der ersten Kündigungswelle lediglich in un-
bezahlte Praktika oder Urlaubsvertretungen vermittelt
wurden?
D
Frau Kollegin, die entsprechenden Hinweise des Vor-
sitzenden der Gewerkschaft Verdi, Herrn Bsirske, sind
der Bundesregierung bekannt. Ich kann die einzelnen
Fälle so nicht nachvollziehen. Ich habe eben das arbeits-
marktpolitische Instrumentarium beschrieben. Ich will
an dieser Stelle noch einmal betonen: Wir haben in
172 Arbeitsagenturen mit 600 Geschäftsstellen bundes-
weit hochqualifizierte und hochmotivierte Menschen,
die sich darum bemühen, die von Arbeitslosigkeit be-
troffenen bzw. bedrohten Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter von Schlecker mit dem dafür vorgesehenen Instru-
mentarium wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Ihre zweite Nachfrage.
Meine zweite Nachfrage passt sehr gut zu dem, was
Sie eben gesagt haben. Die Chefin der Bundesagentur
für Arbeit in Baden-Württemberg, Eva Strobl, wies da-
rauf hin, dass die guten Verdienstmöglichkeiten bei
Schlecker ein Vermittlungshemmnis darstellen; denn
Schlecker hat seinen Verkäuferinnen zwischen 10 und
14 Euro pro Stunde gezahlt, viele andere Unternehmen
zahlen lediglich 9 bis 10 Euro. Die Frage ist: Wie ist die
Position der Bundesregierung zu diesem Vermittlungs-
hemmnis?
D
Die Bundesregierung betrachtet eine bestimmte
Lohnhöhe nicht als Vermittlungshemmnis. Die Bundes-
regierung stellt finanziell und instrumentell ausreichend
Mittel zur Verfügung, damit jedem Arbeitslosen und je-
dem von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen – die
alle ein unterschiedliches Schicksal, verschiedene Quali-
fikationen und bestimmte Vorzüge und Defizite haben –
individuell geholfen werden kann, wieder in Arbeit zu
kommen.
Ich rufe die Frage 29 der Kollegin Jutta Krellmann
auf:
Inwiefern kann der EU-Globalisierungsfonds zur Unter-
stützung der Schlecker-Beschäftigten genutzt werden, und
welche Initiativen plant die Bundesregierung zur Unterstüt-
zung der Schlecker-Beschäftigten über die angekündigten
obligatorischen Aktivitäten der Bundesagentur für Arbeit
hinaus?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Vielen Dank, Frau Kollegin Krellmann. – Der Euro-päische Globalisierungsfonds, EGF, kann zur Unterstüt-zung der Schlecker-Beschäftigten leider nicht eingesetztwerden. Der EGF wurde im Jahr 2007 eingerichtet, umEntlassungen, die auf Verschiebungen im Welthandels-gefüge zulasten der EU beruhen, sozial abzufedern unddadurch die Solidarität der EU mit den betroffenen Per-sonen sichtbar zu machen.Voraussetzung für einen Finanzbeitrag des EGF ist,dass die Entlassungen im Zusammenhang stehen mitweitgehenden strukturellen Veränderungen im Welthan-delsgefüge, die zu einer schwerwiegenden Störung desWirtschaftsgeschehens führen, insbesondere zu einemsubstanziellen Anstieg der Importe in die EU, zu einemraschen Rückgang des Marktanteils der EU in einem be-stimmten Sektor und/oder zu einer Standortverlagerungin Drittländer außerhalb der EU. Die Entlassungenmüssen darüber hinaus unvorhersehbar gewesen sein.Reiner Strukturwandel soll und kann mit dem EGF nichtgefördert werden. Bei einer EGF-Antragstellung ist ge-genüber der EU-Kommission die Erfüllung dieser Inter-ventionsvoraussetzungen anhand von statistischemDaten- und Informationsmaterial zu belegen.Die Anton Schlecker e. K. ist im Einzelhandel tätig.Der Einzelhandel besitzt keine derart global einfluss-reiche Stellung, aufgrund derer die Schlecker-Entlas-sungen auf die internationale Konkurrenzsituation zu-rückgeführt werden könnten. Damit kommt ein Einsatzdes EGF anders als beispielsweise bei den deutschenEGF-Fällen BenQ, Nokia, in der Automobilzuliefer-
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industrie oder bei der Heidelberger Druckmaschinen AGnicht infrage.Im Übrigen steht sowohl im Bereich der aktiven Ar-beitsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuchals auch im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsu-chende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch einflexibler Instrumentenkasten zur Verfügung, um dieSchlecker-Beschäftigten zu unterstützen. Die mit derFrage zum Ausdruck gebrachte Auffassung, die soge-nannten obligatorischen Instrumente seien unzurei-chend, teilt die Bundesregierung ausdrücklich nicht.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Im Grunde bringen die Fragen ja zum Ausdruck, dass
wir und viele andere sehr bemüht sind, die Beschäfti-
gung der betroffenen Kolleginnen und Kollegen zu si-
chern und zu schützen, auch für die Zukunft. Wir wollen
Wege finden, um das zu ermöglichen. Daraus ergibt sich
meine Frage:
Im Zusammenhang mit der Insolvenz von Schlecker
wurde die Idee formuliert, Unternehmensteile herauszu-
lösen und dafür andere Unternehmensformen zu finden.
Zum Beispiel wurde vorgeschlagen, den Betrieb als Ge-
nossenschaft weiterzuführen. Welche Position hat die
Bundesregierung dazu?
D
Die Bundesregierung hat keine Kompetenz, solche
Entscheidungen zu treffen. Die Bundesregierung konzen-
triert sich gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit
darauf, die von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen
mit den bereits skizzierten bzw. im Detail diskutierten In-
strumenten wieder in Beschäftigung zu bringen.
Ich will an dieser Stelle wiederholen, was Ihnen aus
der Ausschusssitzung bekannt ist: Von denjenigen, die
im Rahmen der sogenannten ersten Welle entlassen wor-
den sind und sich an die Bundesagentur für Arbeit ge-
wandt haben, ist mehr als die Hälfte wieder aus der
Arbeitslosigkeit abgemeldet. Sie sind beispielsweise in
Beschäftigung gekommen oder in eine Maßnahme ver-
mittelt worden. Bisher konnte also mehr als der Hälfte
der in diesem Zusammenhang arbeitslos gewordenen
Menschen geholfen werden. Das heißt, wir haben nicht
nur das Geld auf dem Konto und die Instrumente auf
dem Papier, sondern wir helfen auch erfolgreich, um
Menschen wieder in Arbeit zu bringen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Ich fürchte, Sie haben meine Frage nicht verstanden
oder ich habe sie nicht gut genug formuliert. Sie haben
sich auf den Lösungsvorschlag bezogen. Ich habe aber
nach Hilfestellungen gefragt. Sieht die Bundesregierung
Möglichkeiten, Hilfestellungen zu geben, damit die Idee,
eine Genossenschaft zu gründen, realisiert werden kann?
D
Frau Kollegin, die Bundesregierung und die Bundes-
agentur für Arbeit und alle anderen damit befassten
Stellen leisten selbstverständlich Hilfe auf Basis der
Rechtslage, die wir in Deutschland haben. Die Rechts-
lage bilden im Wesentlichen die einschlägigen Gesetze
und die darin benannten arbeitsmarktpolitischen Instru-
mente. Den von Ihnen genannten Vorschlag kann die
Bundesregierung nicht beurteilen, jedenfalls nicht so
spontan.
Danke, Herr Staatssekretär. – Wir sind damit am Ende
des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Ar-
beit und Soziales und kommen zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser
zur Verfügung. Die Fragen 30 und 31 der Kollegin
Dr. Kirsten Tackmann werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Harald Ebner auf:
Mit welcher Begründung und aufgrund welcher Annah-
men bzw. Risikoabwägungen insbesondere bezüglich einer
möglichen Weiterverbreitung der gentechnisch veränderten
Bakterien bzw. Übertragung der Erregergene auf andere Bak-
terien durch horizontalen Gentransfer hat die Bundesregie-
rung dem Freisetzungsversuch mit einem gentechnisch verän-
derten Lebendimpfstoff gegen den Erreger Rhodococcus equi
in Mecklenburg-Vorpommern zugestimmt, der eine nur sel-
tene Form der Lungenentzündung bei Pferdefohlen auslösen
kann?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Pe
Sehr verehrter Herr Kollege Ebner, zuständig für dieEntscheidung über den Antrag der niederländischenFirma Intervet International auf Genehmigung der Frei-setzung des gentechnisch veränderten BakterienstammesRhodococcus equi RG 2837 ist das Bundesamt für Ver-braucherschutz und Lebensmittelsicherheit, kurz BVL.Bei dem Bakterienstamm handelt es sich um einenbakteriellen Lebendimpfstoff, der im Rahmen einesFreisetzungsversuches Pferdefohlen verabreicht werdensoll, um diese aktiv gegen pathogene Rhodococcus-equi-Stämme, die bei Fohlen Lungenentzündung auslösenkönnen, zu immunisieren.Das BVL kommt in seiner Sicherheitsbewertung zudem Schluss, dass von den Freisetzungsversuchen keinegentechnisch-spezifischen schädlichen Einflüsse aufMenschen und Tiere sowie auf die Umwelt zu erwartensind.Nach Auffassung der Bundesregierung besteht keineVeranlassung, die Einschätzung und Entscheidung des
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BVL über die Genehmigung der Freisetzung im Wegeder Fachaufsicht zu beanstanden.Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen: Im Jahr2011 hat die Firma Intervet bereits einen Freisetzungs-versuch mit dem Impfstamm in den Niederlanden durch-geführt. Im Rahmen dieses Versuches wurden keineimpfstoffspezifischen Besonderheiten festgestellt. Vor-sorglich hat das BVL strenge Auflagen angeordnet, umdie Freisetzung zu begrenzen und damit zu verhindern,dass sich größere Mengen der gentechnisch verändertenBakterien außerhalb des Stallgebäudes in der Umweltetablieren.Die Markteinführung eines wirksamen Impfstoffeswürde dazu beitragen, den Einsatz von Antibiotika in derTierhaltung zu vermindern und somit auch der Entste-hung von Antibiotikaresistenzen, in diesem Fall beiPferden, vorzubeugen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Was den Versuch
in den Niederlanden angeht, war ich etwas anders infor-
miert. Meines Wissens wurde dieser Versuch abge-
brochen.
Ich möchte aber nachfragen, woraus sich denn der
konkrete Bedarf für solche Experimente ergibt. Schließ-
lich sind Freisetzungsversuche immer mit Risiken ver-
bunden, weil wir nicht wirklich in die Zukunft gucken
können. Das zeigen auch die Sicherheitsauflagen, die
das BVL hier vorsieht. Woraus ergibt sich also der kon-
krete Bedarf vor dem Hintergrund, dass eine Mehrheit
der Tiermediziner der Meinung ist, dass Rhodococcus-
Infektionen bei Fohlen im Zusammenhang mit nicht art-
gerechter oder zu groß dimensionierter Pferdehaltung
auftreten und dass sich in zahlreichen Studien eine Imp-
fung gegen diesen Erreger als wirkungslos erwiesen hat?
Pe
Herr Kollege Ebner, der Bedarf ist von mir bereits ge-
schildert worden. Wenn man damit Krankheiten bei
Tieren durch Impfung vermeiden kann, ist das sicher
schon eine Rechtfertigung an sich. Ansonsten werden
die Versuche ja erst durchgeführt. Erst danach wird die
Entscheidung zu treffen sein, ob eine Zulassung ausge-
sprochen werden kann oder nicht.
Ihre zweite Nachfrage.
Dann muss ich noch nachfragen, inwieweit denn die
Bundesregierung die Risiken der geplanten Freisetzung
des Lebendimpfstoffs vor dem Hintergrund für verant-
wortbar hält, dass die Annahme der Sicherheit dieses
Impfstoffs für andere Säugetiere und Hühner allein auf
Zellkulturversuchen beruht, dass eine Überwachung des
Umweltverhaltens des gentechnisch veränderten Erre-
gers gar nicht geplant ist – bislang liegen meines
Wissens auch keinerlei Erfahrungen mit solchen Fällen
oder etwa ein Monitoring vor – und dass die möglichen
Gefahren für Menschen weder gezielt untersucht wurden
noch in Zukunft solche Untersuchungen vor Beginn ei-
nes Versuchs überhaupt geplant sind.
Pe
Herr Kollege Ebner, aus genau diesem Grund hat das
BVL besondere Auflagen erlassen, die bei der Durch-
führung dieser Versuche zu beachten sind. Ich werde Ih-
nen diese kurz vortragen: Die Pferde sind für die Dauer
des Freisetzungsversuches ausschließlich in einem Stall-
gebäude zu halten, welches an drei Seiten mit festen
Wänden und an der vierten Seite mit einem Gatter zu
versehen ist. Solange am Versuch teilnehmende Pferde
am Ort der Freisetzung gehalten werden, sind die Stall-
gebäude und deren unmittelbare Umgebung täglich zu
kontrollieren; Stroh, Einstreu und Mist aus dem Stall
sind zu verbrennen. Nachdem alle Studienpferde den
Freisetzungsstandort verlassen haben, werden einmal im
Jahr der Stall und die gesamte Bodenfläche in und vor
dem Stall sowie sämtliche verwendete Gerätschaften mit
einem geeigneten Desinfektionsmittel desinfiziert. Die
Pferde sollen frühestens sechs Wochen nach der letzten
Impfung auf das Hauptgestüt zurückgebracht werden. Es
dürfen nur Tiere, die den gentechnisch veränderten
Impfstamm nachweislich nicht ausscheiden, zum Haupt-
gestüt transportiert werden. Das sind die Auflagen, die
das BVL zusätzlich erlassen hat, um auch diese Beden-
ken auszuräumen.
Wir kommen damit zur Frage 33 des Kollegen Ebner:
Wie bewertet die Bundesregierung das Schreiben zahlrei-
cher Abgeordneter aller Fraktionen des Europäischen Parla-
ments vom 9. Januar 2012 zum Entwurf neuer Richtlinien für
die Risikobewertung von gentechnisch veränderten Organis-
men, GVO, in der EU, das auch an die Vertreter der Bundes-
regierung bei der EU und im Ständigen Ausschuss für die
Lebensmittelkette und Tiergesundheit, StALuT, gerichtet war
und in dem grundsätzliche Bedenken gegen das Konzept der
„vergleichenden Risikobewertung“ und gegen unzureichende
Fütterungsversuche mit GVO geäußert werden, und warum
hat die Bundesregierung dieses Schreiben bis heute nicht be-
antwortet?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Pe
Herr Kollege Ebner, der Bundesregierung ist dasSchreiben von 16 Abgeordneten des Europäischen Par-laments vom 9. Januar 2012 zum Entwurf einer Kom-missionsverordnung mit Durchführungsvorschriften fürAnträge auf Zulassung von gentechnisch verändertenLebens- und Futtermitteln bekannt. Die Auffassung derAbgeordneten wird in die regierungsinterne Beratungzur Festlegung einer Position der Bundesregierung ein-
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bezogen. Bisher hat die Bundesregierung ihre Positionzu dem Entwurf, der wiederholt geändert wurde, nochnicht abschließend festgelegt. Das habe ich hier schonmehrfach dargelegt. Die bisherigen Beratungen imStALuT haben deutlich gemacht, dass ein erheblichesAbweichen von den derzeitigen Leitlinien der Europäi-schen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA,schwierig ist, zumal sich die Kommission bei ihrem Ent-wurf an diesen Leitlinien orientiert.Bei den Beratungen über Art und Umfang von Fütte-rungsversuchen ist zudem zu berücksichtigen, dass auchTierschutzaspekte eine Rolle spielen. Das geltende EU-Recht schreibt für Tierversuche die konsequente Umset-zung des 3-R-Prinzips – auf Deutsch: Vermeiden, Ver-ringern und Verbessern – vor. Demnach sind Tierversu-che, wo immer möglich, zu vermeiden. Ich denke, dastimmen wir überein.Das Schreiben der Abgeordneten ist an den HerrnKommissar John Dalli sowie an die dänische Umweltmi-nisterin Frau Ida Auken und die dänische Landwirt-schaftsministerin Frau Mette Gjerskov als Vertreter derEU-Ratspräsidentschaft gerichtet. Die Ständige Vertre-tung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäi-schen Union und die Vertreter der Bundesregierung imStändigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tier-gesundheit, StALuT, haben dieses Schreiben nachricht-lich erhalten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – In den parlamenta-
rischen Debatten über GVO betont die Bundesregierung
immer wieder die Bedeutung wissenschaftsbasierter Be-
wertungen. Inwiefern wird sich die Bundesregierung auf
europäischer und auf nationaler Ebene jetzt dafür einset-
zen, dass wissenschaftlich längst überholte Konzepte,
zum Beispiel die von den Abgeordneten des Europäi-
schen Parlaments angesprochene vergleichende Risiko-
bewertung, oder gar wissenschaftlich unzulässige Ver-
fahren, zum Beispiel Fütterungsversuche auf einer
statistisch nicht sauber auswertbaren Basis, durch seri-
öse Risikobewertungen abgelöst werden, die zudem von
Experten vorgenommen werden, die nicht durch direkte
und indirekte Verflechtungen mit den Antragstellern ein-
seitig vorbelastet sind?
Pe
Sehr geehrter Kollege Ebner, die Bundesregierung
stützt sich hier auf die dafür zuständigen Stellen, die
dafür befugten Bewertungseinrichtungen sowohl auf
europäischer als auch auf nationaler Ebene.
Ihre zweite Nachfrage.
Danke schön. – Es stellt sich ja genau die Frage,
inwieweit die zuständigen Stellen durch die Verflechtun-
gen in ihrer Objektivität eingeschränkt sind.
Es gibt einen Beschluss des EU-Umweltministerrates
vom Dezember 2008, in dem sich die Umweltminister
für verbesserte Standards und Vorgaben für das Zulas-
sungsverfahren für GVO unter anderem unter umfassen-
der Berücksichtigung von ökologischen und sozioöko-
nomischen Auswirkungen des Anbaus von gentechnisch
veränderten Organismen – da sind wir auch wieder beim
Impfstoff – aussprechen. Wird die Bundesregierung ent-
sprechend dieses Beschlusses konkrete Initiativen auf
EU-Ebene einbringen, und, wenn nein, warum nicht?
Pe
Herr Kollege Ebner, die Bundesregierung hat noch
keine abschließende Position zu den Vorschlägen der
Kommission eingenommen. Dies wird erst dann gesche-
hen, wenn ein entsprechender Vorschlag auf dem Tisch
liegt. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob ökologi-
sche und sozioökonomische Auswirkungen im Rahmen
einer wissenschaftlichen Bewertung betrachtet werden
können.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.Danke, Herr Staatssekretär.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung derFragen steht der Parlamentarische StaatssekretärChristian Schmidt zur Verfügung.Wir kommen zu Frage 34 der Kollegin Ulla Jelpke.Die Kollegin ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wiein der Geschäftsordnung vorgesehen.Die Fragen 35 und 36 der Kollegin Dağdelen, dieFrage 37 der Kollegin Keul und die Fragen 38 und 39der Kollegin Agnes Brugger werden schriftlich beant-wortet.Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Omid Nouripourauf:In wie vielen Fällen ist es bei der Bundeswehr seit 2001 zuSuizidversuchen gekommen, bei denen im Vorfeld eine Mala-ria-Chemoprophylaxe mit dem Medikament Lariam – Meflo-quin – erfolgte, und welche Schlüsse zieht das Bundesminis-terium der Verteidigung aus der Tatsache, dass unter anderemProfessor August Stich von der Deutschen Gesellschaft fürTropenmedizin und Internationale Gesundheit e. V., DTG, in
erklärte, dass die Chemoprophylaxe für Soldatinnen und Sol-daten der Bundeswehr in Afghanistan unter Rückgriff auf dasMedikament Lariam – Mefloquin – nicht den Empfehlungender DTG entspräche?Bitte, Herr Staatssekretär.
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(C)
(B)
C
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
Nouripour, Ihre Frage kann ich wie folgt beantworten:
Die Zahl der Suizidversuche in der Bundeswehr seit
2001, bei denen im Vorfeld eine solche Prophylaxe er-
folgte, wurde beim Bundesministerium der Verteidigung
nicht statistisch erfasst. Solch eine Statistik wird derzeit
nicht geführt. Es liegen auch keine Berichte vor, die ei-
nen kausalen Zusammenhang zwischen Fällen von Sui-
zid bzw. zwischen Suizidversuchen deutscher Soldatin-
nen und Soldaten und einer Medikation mit Lariam
belegen oder nach denen auch nur ein vager Verdacht in
dieser Richtung im Raum steht.
Eine valide Beantwortung Ihrer Frage würde es not-
wendig machen, im Rückblick und im Längsschnitt die
Zahl aller in der Bundeswehr dokumentierten Suizidver-
suche daraufhin zu untersuchen, ob im Vorfeld einer
Dienstreise oder eines Einsatzes eine Malariaprophylaxe
erfolgt ist. Dies wäre methodisch und zeitlich sehr auf-
wendig. Eine valide Beantwortung Ihrer Frage vom
8. Juni 2012 kann daher nicht fristgerecht erfolgen.
Die Zahl der Selbsttötungen von Soldaten und Solda-
tinnen, die sich auf dem Balkan im Einsatz befanden, be-
trägt nach unserer Kenntnis gegenwärtig 13. Im Kosovo
war eine saisonale Malaria-Chemoprophylaxe der einge-
setzten Kräfte nicht erforderlich. Die Zahl der Selbsttö-
tungen von Soldaten und Soldatinnen, die sich auf dem
Balkan im Einsatz befanden, ist bislang allerdings deut-
lich höher als die Zahl der Selbsttötungen von Soldaten
und Soldatinnen, die sich in Afghanistan und in Afrika
im Einsatz befinden. Bei diesen Soldaten kam es in drei
Fällen zu einer Selbsttötung.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege Nouripour.
Herr Staatssekretär, herzlichen Dank für Ihre Ant-
wort. – Ich glaube, zumindest einen Bericht kann ich Ih-
nen nach dieser Diskussion zur Verfügung stellen.
Meine Frage hatte noch einen zweiten Teil. Er bezieht
sich auf die Einschätzung von Professor August Stich
von der DTG und die Einnahme von Lariam als Prophy-
laxe. Könnten Sie auch diesen Teil meiner Frage beant-
worten?
C
Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, ist darauf
hinzuweisen, dass die in der Medienberichterstattung
wiedergegebene Auffassung von Professor Stich, der
Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Tro-
penmedizin und Internationale Gesundheit ist, als eine
wissenschaftliche Einzelmeinung zu qualifizieren ist,
diese jedoch nicht den Standpunkt der Gesellschaft zur
Malaria-Chemoprophylaxe darstellt. Dessen haben wir
uns beim Vorsitzenden der Gesellschaft versichert.
Herr Nouripour, Sie haben noch eine Nachfrage.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. – Dann trage
ich Ihnen einmal die offizielle Darstellung der Gesell-
schaft vor: Reisende mit Aktivitäten, die eine ungestörte
Aufmerksamkeit, räumliche Orientierung und Feinmoto-
rik erfordern, sollten möglichst kein Lariam einnehmen. –
Dies gilt auch im Hinblick auf die Einschätzung der
amerikanischen Partner und deren Umgang mit ihren
Soldaten. Das gilt auch für die Niederlande und Norwe-
gen, die ihre Praxis mittlerweile verändert haben und
kein Lariam mehr als Prophylaxe verabreichen, was im
Gegensatz zu Ihrem Bericht steht, der mir vorliegt.
Es gibt einen Informationsbogen für die Soldatinnen
und Soldaten, die diesen unterschreiben und damit bestä-
tigen, dass sie die Risiken und Nebenwirkungen zur
Kenntnis genommen haben. In diesem Informations-
bogen fehlen aber just die psychischen Nebenwirkun-
gen, von denen man in der Packungsbeilage lesen kann:
langandauernde neuropsychische Störungen, Suizidali-
tät, Stimmungsschwankungen, Panikattacken, Vergess-
lichkeit, Verwirrtheit, Halluzinationen, usw. Die Frage,
die sich mir stellt, ist: Warum?
C
Herr Kollege, gestatten Sie mir zunächst, dass ich er-gänzend darauf verweise, dass Sie am 25. Mai 2012 imVerteidigungsausschuss eine schriftliche Anfrage an un-ser Haus gerichtet und einen Bericht hierzu angeforderthaben. Ich will der guten Ordnung halber nur darauf hin-weisen, dass der zwölfseitige Bericht zu Detailfragen,die Sie gestellt haben, gestern vom Kollegen Kossendeyder Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses zugelei-tet worden ist. Ich weiß nicht, ob dieser heute bereitsweitergeleitet werden konnte. Soweit ich weiß, war diesauch im Verteidigungsausschuss ein Thema auf der Ta-gesordnung.Es bleibt natürlich richtig – ich sage das nicht aus me-dizinischer, sondern aus allgemeiner Kenntnis heraus –,dass vor der Einnahme von Lariam, die Nebenwirkun-gen mit sich bringen kann, das Risiko gegen den Nutzenabgewogen werden muss. Jeder, der solch eine Prophy-laxe mit Lariam schon einmal hinter sich gebracht hat– als Soldat oder Zivilperson –, kann möglicherweisevon Übelkeit und anderen Dingen berichten. Die Ein-nahme darf natürlich nur sehr zurückhaltend und immererst nach Abwägung der Notwendigkeit erfolgen. Des-halb ist bei kurzfristigen Aufenthalten solch eine Pro-phylaxe auch gar nicht mehr indiziert.Das heißt nicht unbedingt, dass daraus ein Suizid-risiko entsteht. Sie hatten ja nach dem Suizidrisiko ge-fragt. Die Amerikaner verwenden nur noch teilweise La-riam. Das hat sicherlich auch sehr mit der speziellenjuristischen Situation dort zu tun. Dort ist berichtet wor-den, dass diese Untersuchungen, soweit wir das wissen,zu keiner wissenschaftlichen Erhärtung eines höherenSuizidrisikos geführt haben. Ganz im Gegenteil – ich
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Parl. Staatssekretär Christian Schmidt
(C)
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muss hier vorsichtig sein –: In den Streitkräften derUSA, die seit 2009 Lariam nicht mehr regelhaft als Pro-phylaxe verwenden, ist es nicht zu einer Abnahme, son-dern bedauerlicherweise zu einem Anstieg der Zahl anSelbsttötungen gekommen.Ich will das nicht korrelieren, weil die Ursachen hier-für woanders liegen mögen, aber das mag darauf hinwei-sen, dass die Position, die Professor Stich hier vertritt, si-cherlich betrachtet werden muss. Eine Evidenz ist bisheraber nicht vorhanden.Es versteht sich von selbst, dass wir diesen Hinweisennatürlich trotzdem intensiv nachgehen werden, weil unsnichts ferner liegt, als die Soldaten einem zusätzlichenRisiko auszusetzen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums der Verteidigung beendet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Die Frage 41 des Kollegen Richard Pitterle wird
schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Gesundheit.
Zur Beantwortung steht uns die Parlamentarische
Staatssekretärin Ulrike Flach zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 42 unserer Kollegin Elisabeth
Scharfenberg:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
der breiten und übereinstimmenden Kritik von Expertinnen
und Experten und Verbänden an der vom Bundeskabinett am
6. Juni 2012 beschlossenen staatlichen Förderung für eine pri-
vate Pflegezusatzversicherung, etwa des Gesamtverbandes
so teuer werden könnten, dass „sich nur noch diejenigen ver-
sichern, bei denen ein hohes Risiko der Pflegebedürftigkeit“
vorliege, und es daher sehr zweifelhaft sei, ob „unter diesen
Voraussetzungen überhaupt ein Markt mit geförderten Vorsor-
geprodukten entstehen“ könne?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
U
Ich antworte wie folgt: Die der von der Bundesregie-
rung geplanten staatlichen Förderung der Pflegevorsorge
entgegengebrachte Kritik ist keineswegs übereinstim-
mend, sondern in sich widersprüchlich. So wird der
Bundesregierung in dem angeführten Artikel aus der
tageszeitung einerseits vorgeworfen, sie betreibe Klientel-
politik zugunsten der Privatassekuranzen und ermögliche
Menschen mit kleineren Einkommen keine Förderung.
Andererseits wird Kritik aus der Versicherungswirtschaft
an den gesetzlich vorgesehenen Fördervoraussetzungen
zitiert. Letztere zielen ausdrücklich darauf, dass in Zu-
kunft, anders als derzeit meist der Fall, auch Personen
mit geringeren Einkommen und im mittleren oder höhe-
ren Alter eine Pflegezusatzversicherung abschließen
können.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Scharfenberg.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Es gibt aber auch
massive Kritik aus der privaten Versicherungsindustrie.
Danach habe sie unter anderem extreme Probleme mit
dem Kontrahierungszwang, was an sich total in Ordnung
und richtig ist. Aber dadurch muss die Versicherungs-
industrie anders kalkulieren. Das heißt, entweder werden
die Prämien höher oder die Ausschüttung wird später ge-
ringer sein. Können Sie mir noch einmal den Gewinn
dieser Zusatzversicherung darlegen, wenn am Ende ein
wirklich unattraktives Produkt herauskommt?
U
Frau Kollegin, Scharfenberg, wir gehen nicht von un-
attraktiven Produkten aus, sondern wir haben diese
Zuzahlungsregelung ganz bewusst gewählt, weil wir
wollen, dass Menschen mit kleineren und mittleren Ein-
kommen die Möglichkeit haben, eine zusätzliche Kapi-
talsäule neben der Pflegeversicherung, die jeder als
Teilversicherung hat, aus eigener Kraft aufzubauen. Das
heißt, wir halten es für dringend erforderlich, dass die
Versicherungswirtschaft Angebote entwickeln wird, die
dann natürlich für diesen Kreis attraktiv sind.
Hätten wir uns anders entschieden, wären wir zum
Beispiel zu einer steuerlichen Förderung übergegangen,
dann hätten wir genau den Kreis, den wir hier anspre-
chen wollen, nämlich die Bezieher kleiner und mittlerer
Einkommen, nicht erreicht, sondern nur die mit den hö-
heren Einkommen. Deswegen haben wir diesen Weg ge-
wählt. Wir glauben, dass wir damit die Menschen in die-
sem Lande unterstützen, die in Eigenverantwortung eine
Absicherung für den Pflegefall herbeiführen wollen.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. FrauScharfenberg, Ihre zweite Nachfrage.
Danke schön. – Es gibt beim Abschluss dieser Versi-cherung keine Risikoprüfung. Das heißt, es wird nichtgeschaut, wie krank oder gesund jemand ist oder wel-ches Risiko er mitbringt. Aber es wird wohl eine Bei-tragsstaffelung nach Alter geben. Das heißt, je älter manist und je größer natürlich das Pflegerisiko im Alterwird, desto höher wird die Prämie sein, die man zu zah-len hat. Im Grunde genommen ist das zwar keine Risiko-prüfung, aber eine verdeckte Risikoverteilung.Gehen Sie nicht davon aus, dass sich der junge undgesunde Versicherungsnehmer erst einmal in der Pro-duktpalette mit Risikoprüfung umschaut, um dann even-tuell ein attraktiveres und günstigeres Produkt mit höhe-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21815
Elisabeth Scharfenberg
(C)
(B)
rer Ausschüttung zu nehmen, während sich diejenigen,die sich keiner Risikoprüfung unterziehen können oderwollen, letztendlich bei den – ich sage es noch einmal –unattraktiven Produkten landen werden?U
Frau Kollegin Scharfenberg, es gibt hier zum ersten
Mal die Möglichkeit, dass jemand auf eine einfache und
unbürokratische Art und Weise eine private Zusatzversi-
cherung abschließen kann, auch wenn er kein hohes Ein-
kommen hat. Ich glaube, dass wir das mit dem Weg, den
wir beschritten haben, erreichen werden. Dass es ein Un-
terschied ist, ob jemand in meinem Alter eine Versiche-
rung abschließt, was dann zu einem höheren Beitrag füh-
ren wird, oder in ihrem noch jugendlicheren Alter, wird
jeder verstehen und für ziemlich normal halten. Das ist
so bei Versicherungsverträgen. Wir müssen uns die end-
gültige Ausgestaltung anschauen. Aber ich denke, das
wird ein attraktives Produkt.
Vielen Dank. – Jetzt rufe ich die Frage 43 auf:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass angesichts der
Kosten für den Bundeshaushalt, die für die vom Bundeskabi-
nett am 6. Juni 2012 beschlossene staatliche Förderung für eine
private Pflegezusatzversicherung bei 15 Millionen förderungs-
fähigen Versicherungsverträgen in Höhe von circa 900 Millio-
die solidarische Pflegeversicherung zu investieren wären, um
dort allen Versicherten bzw. allen Pflegebedürftigen zur Verfü-
gung zu stehen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
U
Danke, Herr Präsident. – Wir beantworten die Frage
wie folgt: Die Bundesregierung teilt diese Ansicht nicht.
Sie hat bereits am 28. März 2012 den Entwurf eines Ge-
setzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung be-
schlossen, der sich mittlerweile in der parlamentarischen
Beratung befindet. Der Entwurf richtet Leistungen der
Pflegeversicherung neu aus und verbessert deren Leis-
tungen insbesondere mit Blick auf an Demenz erkrankte
Menschen in erheblichem Umfang.
Unabhängig davon hält die Bundesregierung aber an
der Konzeption der gesetzlichen Pflegeversicherung als
Teilleistungssystem fest. Sie ist sich darin mit sämtli-
chen im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen
grundsätzlich einig. Denn es gibt keine Fraktion, die bis-
lang gefordert hat, im Rahmen der aktuellen Reform der
Pflegeversicherung die Leistungen so zu erhöhen, dass
sämtliche Pflegekosten getragen werden.
Insoweit sind die Bürger und Bürgerinnen darin zu
unterstützen, einen eigenen Beitrag zur Absicherung für
den Pflegefall zu leisten. Mit der staatlichen Förderung
der Pflegevorsorge gehen wir diesen Weg.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Vielen Dank. – Ich denke, man sollte vorwegschi-
cken: Uns geht es unterm Strich um alle Versicherten
und Pflegebedürftigen. Aber wir gehen nicht davon aus,
dass alle die private Zusatzversicherung abschließen
werden. Es wird gemutmaßt, dass 1,5 Millionen Men-
schen sich dafür entschließen werden. Aber selbst wenn
10 oder 15 Millionen Personen diese Versicherung ab-
schließen, haben wir nur einen Teil der gesamten Ver-
sicherten in Deutschland erreicht. Es brauchen aber alle
eine ordentliche Absicherung. Deshalb frage ich noch
einmal, warum beim Entwurf des Pflege-Neuausrich-
tungs-Gesetzes nicht nach einer nachhaltigen Finanzie-
rungsform gesucht worden ist und warum so ein un-
attraktives Produkt – ich nenne es noch einmal so – aus
dem Hut gezaubert wird, das nur einen sehr geringen
Teil der Bevölkerung erreichen wird.
U
Frau Kollegin Scharfenberg, ich verweise noch ein-
mal darauf, dass die geltende Pflegeversicherung auch
nach Meinung Ihrer Fraktion eine Teilpflegeversiche-
rung ist. Keiner von uns möchte eine allumfassende
Pflegeversicherung.
Wir als bürgerlich-liberale Koalition wissen, dass wir
trotzdem eine zusätzliche Absicherung brauchen, setzen
aber auf das Eigenengagement der Menschen in diesem
Lande und appellieren auch an die Menschen, eine sol-
che Chance wahrzunehmen, die wir ihnen mit dem
neuen Gesetz bieten werden. Die Anzahl der Anträge ist
übrigens nicht gedeckelt, wie Sie wissen. Wenn es mehr
Anträge geben sollte, dann werden diese auch geneh-
migt.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Scharfenberg.
Vielen Dank. – Bundesgesundheitsminister Bahrwurde in den letzten Tagen mehrmals damit zitiert, dasser die Kritik von SPD und Grünen nicht verstehe. Wirhätten schließlich in der rot-grünen Regierungszeit dieRiester-Rente eingeführt, die damit vergleichbar sei. Ichbitte Sie, mit diesem falschen Vergleich aufzuräumenund aufzuklären, worin der Unterschied zwischen derRiester-Rente als Teil der Altersvorsorge mit einem ga-rantierten Ertrag und dem Pflege-Bahr – so nenne ich ihneinmal – liegt, der nämlich eine Risikoversicherung dar-stellt. Das heißt, bei der Riester-Rente gibt es immer eineAusschüttung, aber die Zusatzpflegeversicherung wirdnur im Bedarfsfall ausgeschüttet; andernfalls ist dasGeld weg.
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21816 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
(C)
(B)
U
Das ist korrekt, Kollegin Scharfenberg. Aber beiden
Systemen liegt eine Idee zugrunde. Ich finde, es ehrt
beide Regierungen – Ihre damalige rot-grüne wie unsere
heutige –, dass wir auf das Eigenengagement der Men-
schen setzen, dass zusätzlich zum sozialen Leistungssys-
tem etwas aufzubauen ist.
Wir haben in diesem Fall auf eine Risikoversicherung
gesetzt. Ich erinnere daran, dass wir es mit anderen haus-
halterischen Bedingungen zu tun haben als damals die
Schröder-Regierung. Ich glaube, dass dies – das muss
ich noch einmal betonen – ein Angebot ist, bei dem sich
jeder in Deutschland ernsthaft überlegen sollte, ob er es
wahrnimmt.
Vielen Dank. – Ich rufe die Frage 44 unseres Kolle-
gen Dr. Harald Terpe auf:
Wie hoch beziffert die Bundesregierung die Verwaltungs-
kosten, die dem Bundeshaushalt durch die vom Bundeskabi-
nett am 6. Juni 2012 beschlossene staatliche Förderung für
eine private Pflegezusatzversicherung entstehen, und inwie-
fern hält sie diese Kosten im Verhältnis zur eigentlichen För-
dersumme für angemessen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
U
Wir beantworten die Frage wie folgt: Die vom Kabi-
nett am 6. Juni beschlossene Formulierungshilfe für ei-
nen Änderungsantrag zum Entwurf des Pflege-Neuaus-
richtungs-Gesetzes zur Zulagenförderung der privaten
Pflegevorsorge sieht vor, dass verschiedene Vorgaben
zur Durchführung der Zulagenförderung im Rahmen ei-
ner Rechtsverordnung konkretisiert werden sollen.
Eine detaillierte Berechnung der Verwaltungskosten
der Durchführung der Pflegevorsorgeförderung ist daher
erst nach Erarbeitung dieser Rechtsverordnung möglich.
Durch weitestgehende Nutzung elektronischer Aus-
tauschverfahren zwischen der für die Zulagenförderung
zuständigen Stelle und den Versicherungsunternehmen
erscheint es jedoch möglich, die Kosten der Durchfüh-
rung der Zulagenförderung auf unter 10 Millionen Euro
jährlich zu begrenzen.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Dr. Terpe.
Verstehe ich Sie richtig, dass es sich auch für Sie bei
der Begrenzung auf unter 10 Millionen Euro um eine re-
levante Größenordnung handelt? Bezogen auf die
Summe von 90 Millionen Euro, bewegt sich der Verwal-
tungskostenanteil bei knapp 10 Prozent. Halten Sie es
für angemessen, dass der Verwaltungskostenanteil so
hoch angesetzt wird? Halten Sie diese Relation für ver-
tretbar?
U
Herr Kollege Terpe, wir warten ab, wie die Rechts-
verordnung aussehen wird. Wir werden alles tun, um die
Verwaltungskosten in diesem Zusammenhang so niedrig
wie möglich zu halten.
Ihre zweite Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, welchen Prozentsatz der Ver-
waltungskosten hielten Sie persönlich für angemessen?
U
Liebe Kollege Dr. Terpe, Sie setzen auf mein munte-
res Mundwerk. Heute setzen Sie darauf vergebens. Ich
werde hier nicht spekulieren.
Jetzt wäre es interessant, wenn Sie noch eine weitere
Nachfrage stellen dürften, Herr Dr. Terpe.
Ich rufe nun Frage 45 des Kollegen Dr. Terpe auf:
Hält die Bundesregierung trotz der breiten und überein-
stimmenden Kritik von Expertinnen, Experten und Verbänden
an der Einführung der vom Bundeskabinett am 6. Juni 2012
beschlossenen staatlichen Förderung für eine private Pflege-
zusatzversicherung fest, und wenn ja, warum?
Frau Staatssekretärin, Sie bemühen sich bestimmt
auch hier.
U
Herr Kollege Dr. Terpe, unsere Antwort lautet wie
folgt: Die gesetzliche Pflegeversicherung ist als Teilleis-
tungssystem konzipiert. An dieser Grundkonzeption will
nicht nur die Bundesregierung, sondern auch – das zei-
gen jedenfalls die vorhandenen Initiativen – die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen weiter festhalten. Die mit dem
demografischen Wandel verbundenen Belastungen wird
aber ein Teilleistungssystem allein nicht meistern kön-
nen. Die Bürger und Bürgerinnen sind daher aufgefor-
dert, neben der gesetzlichen Pflegeversicherung einen
eigenen Beitrag zur Absicherung für den Pflegefall zu
leisten. Dabei will sie die Bundesregierung unterstützen.
Aus ihrer Sicht ist und bleibt die staatliche Förderung
der privaten Pflegevorsorge daher ein wichtiger Beitrag
zur nachhaltigen, generationengerechten Ausgestaltung
der sozialen Sicherung.
Ihre erste Nachfrage, Dr. Terpe.
Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, FrauStaatssekretärin. – Da Sie davon ausgehen, dass es sichbei der sozialen Pflegeversicherung um eine Teilleis-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21817
Dr. Harald Terpe
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tungsversicherung handelt und dass die Betroffenen dieZuzahlungen aus ihren eigenen Einkünften bestreiten,verweise ich auf die Riester-Rente, die dazu dient, dieEinkünfte im Alter entsprechend den Bedürfnissen zuverbessern und sich zusätzlich zum staatlichen Renten-system abzusichern. Halten Sie es vor diesem Hinter-grund nicht für vernünftiger, dass der Gesetzgeber dieGelder für die staatliche Förderung einer zusätzlichenAbsicherung im Bereich der Pflegeversicherung imRahmen der Riester-Rente aufwendet? Das würde denVerwaltungsaufwand verringern, und es würde kein Zu-satzsystem geschaffen, das – das zeigt die aktuelle Dis-kussion – wieder nur einen Teilbereich absichern kann.U
Herr Kollege Dr. Terpe, wir haben uns natürlich auch
mit diesem Gedanken befasst. Wir sind zu der Erkennt-
nis gekommen, dass der Weg, den wir jetzt beschritten
haben, auch im Hinblick auf die Haushaltssituation und
unser Ziel, ein verschuldungsfreies Land zu werden,
richtig ist.
Ich weise an dieser Stelle auf die Anhörung hin, die
uns allen noch bevorsteht. Wenn es irgendwo auf der
Welt Vorschläge für eine vernünftige Lösung gibt, dann
kann man immer noch entsprechende Änderungsanträge
einbringen. Aber ich glaube das nicht. Aufgrund unserer
bisherigen Prüfungen glaube ich, dass der beschrittene
Weg der richtige ist.
Dr. Terpe, eine weitere Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ich nehme Ihre Freude über die
gemeinsame Anhörung auf. Auch ich freue mich schon
darauf.
Ich möchte das Thema aber von einer anderen Seite
beleuchten. Sie selbst haben gesagt, im Bedarfsfalle
werde auch dann weiter gefördert, wenn mehr als
1,5 Millionen Verträge abgeschlossen würden. Wenn
15 Millionen Verträge abgeschlossen werden, sind wir
schon bei 900 Millionen Euro Förderung. Wenn wir in
Rechnung stellen, dass wir uns auf einen schuldenfreien
Haushalt zubewegen wollen, dann ist das eine erhebliche
Summe. Angesichts einer solchen Größenordnung hätte
man das Riester-Prinzip weiter stärken können. Was sa-
gen Sie denn zu dieser Auffassung von mir?
U
Lieber Kollege Dr. Terpe, Sie wissen, dass ich Haus-
hälter war, bevor ich Gesundheitspolitiker wurde. Ich
würde nie auf eine solch vage Vermutung hin ein Gesetz
konzipieren. Wir haben jetzt erst einmal ein Paket ge-
schnürt. Wir gehen von aus unserer Sicht realistischen
Schätzungen der Interessenten für eine solche Versiche-
rung aus. Meine Aussage basierte auf der Vermutung, es
gebe eine Deckelung. Noch einmal: Das ist nicht der
Fall. Wenn es mehr Menschen gibt, die einen Vertrag ab-
schließen wollen, dann wird es auch entsprechende Ver-
sicherungen geben können.
Vielen herzlichen Dank.
Die Frage 46 wird von unserer Kollegin Frau Maria
Klein-Schmeink gestellt:
Inwiefern ist die vom Bundeskabinett am 6. Juni 2012 be-
schlossene staatliche Förderung für eine private Pflegezusatz-
versicherung in Höhe von 5 Euro monatlich für Geringverdie-
ner, die wie andere Personen auch Eigenmittel von
mindestens 10 Euro monatlich für die Zusatzversicherung bei-
steuern müssten, eine „notwendige und sinnvolle Ergänzung“,
die zudem dafür sorge, „dass die Pflegeversicherung demo-
rum unterlässt die Bundesregierung es gerade im Interesse
solch vulnerabler Personengruppen, die solidarische gesetzli-
che Pflegeversicherung mit einer demografiefesten und stabi-
len Finanzierung auszustatten?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
U
Wir antworten darauf wie folgt: Die gesetzliche Pfle-
geversicherung ist als Teilleistungssystem konzipiert.
An dieser Konzeption wollen wir alle nichts verändern.
Insoweit war es bereits bisher sinnvoll, ergänzend selbst
für das Risiko der Pflegebedürftigkeit vorzusorgen. Be-
reits bisher konnte dies auch über den Abschluss einer
Pflegezusatzversicherung erfolgen. Allerdings – und da-
rin besteht der Unterschied – beinhalten entsprechende
Verträge bislang keinen Kontrahierungszwang; beson-
dere Erleichterungen für Personen mit niedrigerem Ein-
kommen haben ebenfalls nicht existiert.
Diese unbefriedigende Situation wird durch den Vor-
schlag der Bundesregierung für eine staatliche Förde-
rung der privaten Pflegevorsorge beendet. Die in diesem
Konzept verlangten Fördervoraussetzungen machen es
insbesondere auch für Personen mit Vorerkrankungen
oder mit niedrigerem Einkommen erstmals möglich,
eine entsprechende Zusatzversicherung abzuschließen.
Um die Förderung gerade auch für Bezieher kleiner und
mittlerer Einkommen attraktiv auszugestalten, hat die
Bundesregierung ausdrücklich ein Zulagenmodell vor-
geschlagen; denn während von einer steuerlichen Förde-
rung nur jene begünstigt werden, die aufgrund der Höhe
ihres persönlichen Einkommens Einkommensteuer zah-
len, ist der Kreis der Anspruchsberechtigten bei einer
Zulage ungleich größer. Dies macht die soziale Ausrich-
tung der geplanten Förderung mittels Zulage deutlich.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Klein-Schmeink.
Es geht um die Demografiefestigkeit und auch diestabile künftige Finanzierung. Warum haben Sie nicht al-ternativ den Weg gewählt, die soziale Bürgerversiche-
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21818 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
Maria Klein-Schmeink
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rung stabil und demografiefest zu finanzieren und dieEinnahmebasis zu stärken?U
Weil wir eine andere Vorstellung von dem persönli-
chen Engagement des Bürgers in diesem Lande haben
als Sie, Frau Kollegin Klein-Schmeink. Wir glauben,
dass wir die soziale Pflegeversicherung, die es bisher
gibt, gut und gerne mit einem zusätzlichen Kapitalstock
ergänzen und dabei auf die eigene Kraft unserer Bürger
zählen können. Deswegen sind wir zu diesem Konzept
gekommen und nicht zu Ihrem.
Es liegt nahe, dass Sie noch einmal nachfragen.
Ja, denn Sie gehen in Ihren eigenen Berechnungen da-
von aus, dass 1,6 bzw. 1,7 Millionen Bürger dieses An-
gebot wahrnehmen werden. Das ist natürlich nur eine
Kleinstgruppe all derer, um die es eigentlich gehen
sollte. Deshalb habe ich die Nachfrage: Wäre es nicht ziel-
führender, die solidarisch finanzierte soziale Bürgerversi-
cherung auszubauen, wenn man eine demografiefeste
Finanzierung haben will, und dort für eine nachhaltige
Finanzierung sowie einen nachhaltigen Leistungskatalog
zu sorgen?
U
Frau Kollegin Klein-Schmeink, noch einmal: Wir hal-
ten diesen Weg weder für zulässig noch für gangbar. Er
ist deutlich teurer. Wir werden mit dem jetzigen Konzept
viele Menschen in diesem Land erreichen, die sich zum
ersten Mal überhaupt mit dem Gedanken auseinanderset-
zen, eine Zusatzvorsorge vorzunehmen. Auch das ist ein
wichtiger Schritt.
So wie es damals bei Riester einen Paradigmenwech-
sel gegeben hat – die Menschen wussten plötzlich: Sie
müssen neben der Rente vorsorgen –, ist es auch jetzt bei
der privaten Pflegevorsorge: Vielen Menschen ist plötz-
lich bewusst geworden, dass sie vorsorgen müssen, weil
unsere sozialen Sicherungssysteme endlich sind.
Vielen herzlichen Dank. – Jetzt komme ich zur Fra-
ge 47 unserer Frau Kollegin Klein-Schmeink:
Mit welchen monatlichen Gesamtkosten rechnet die Bun-
desregierung für die vom Bundeskabinett am 6. Juni 2012
beschlossene staatliche Förderung für eine private Pflegezu-
satzversicherung unter Berücksichtigung der von der Bundes-
regierung geplanten Versicherungsbedingungen beispiels-
weise für einen 55-jährigen Mann, der heutzutage für eine
private Pflegetagegeldversicherung mit durchschnittlichen
und inwiefern hält sie die Zulage von 5 Euro monatlich dabei
für eine wirksame Unterstützung dieser Personengruppe?
Ich darf Sie, Frau Staatssekretärin, um Beantwortung
bitten.
U
Danke, Herr Präsident. – Unsere Antwort ist wie
folgt: Die Kalkulation entsprechender Pflegezusatzversi-
cherungen hat durch die Anbieter solcher Produkte zu
erfolgen. Da es sich bei den förderfähigen Pflegevorsor-
geprodukten um Risikoversicherungen handelt, die nach
Art der Lebensversicherung kalkuliert werden, ist der
Beitrag vom Eintrittsalter abhängig. Es liegt daher nahe,
dass dieser bei einem 55-jährigen Mann höher als bei ei-
nem Mann ist, der eine entsprechende Zusatzversiche-
rung bereits im Alter von 30 Jahren abschließt.
Die Bundesregierung geht aber davon aus, dass die
privaten Krankenversicherungsunternehmen auch für
höhere Altersgruppen Angebote kalkulieren, die im Zu-
sammenhang mit der staatlichen Förderung preislich
ausreichend attraktiv sind.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Können Sie uns und den privaten Versicherungsunter-
nehmen noch einmal verdeutlichen, wie es zu einer Kal-
kulation kommen kann, die im Vergleich zu den anderen
Tarifen der Pflegerisiko- und Pflegetagegeldversicherun-
gen ein attraktives Angebot gerade auch für die Perso-
nengruppe darstellt, die über ein geringes Einkommen
verfügt?
U
Frau Kollegin Klein-Schmeink, wir gehen davon aus
– die PKV hat uns das bereits signalisiert –, dass es ent-
sprechende Angebote geben wird. Ich gehe davon aus,
dass auch dies in der eben von mir angeführten Anhö-
rung zur Sprache kommen wird.
Ich nehme an, Sie fragen noch einmal nach.
Ja. – Mit welchen Steigerungsraten bei den Tarifen
muss diese Personengruppe – nehmen wir einmal einen
55-Jährigen – rechnen, wenn es dazu kommt, dass sich
gerade diejenigen, die besondere Risiken haben und die
sich nicht einer Risikoprüfung unterziehen können, an-
gesichts der anderen Pflegetarife, die es bei den privaten
Unternehmen gibt, versichern müssen? Wie wird sich
dabei die Tarifgestaltung für die Zukunft darstellen?
Kann das dann noch ein attraktives Angebot für eine
Personengruppe sein, die über ein geringes Einkommen
verfügt?
U
Auch hierbei, Frau Kollegin Klein-Schmeink, könnenwir erst von zuverlässigen Zahlen ausgehen, wenn die
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21819
Parl. Staatssekretärin Ulrike Flach
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ersten Berechnungen auf dem Tisch liegen. Das heißt,wir sind in einem frühen Stadium. Sie wie wir gehen da-von aus, dass es nicht zu unverhältnismäßigen und ausunserer Sicht unzulässig starken Steigerungen kommenwird.
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung. Die Fragen 48 und 49
des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, die Fragen 50
und 51 des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, die
Frage 52 des Abgeordneten Uwe Kekeritz, die Fragen 53
und 54 der Abgeordneten Cornelia Behm, die Fragen 55
und 56 der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, die Fragen 57
und 58 der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann sowie
die Fragen 59 und 60 der Abgeordneten Tabea Rößner
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zur Frage 61 des Kollegen
Nouripour:
Aus welchen Gründen hat das Bundesministerium für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung, BMVBS, auf eine bundes-
aufsichtliche Weisung hinsichtlich des Bescheids des damali-
gen hessischen Landesverkehrsministers Dieter Posch zur
Anpassung der Flugbetriebsbeschränkungen des Planfeststel-
lungsbeschlusses zum Ausbau des Frankfurter Flughafens an
das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. April 2012
verzichtet, obwohl das BMVBS bereits im Vorfeld einem so-
genannten Planklarstellungsverfahren gegenüber Bedenken
geäußert hat?
Sie wird jetzt vom Parlamentarischen Staatssekretär
Dr. Andreas Scheuer beantwortet. Bitte schön, Herr
Staatssekretär.
D
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Nouripour, auf Ihre Frage antworte ich wie
folgt: Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung hat die zuständige Behörde im Land
Hessen darauf hingewiesen, dass es die Anpassung des
Planfeststellungsbeschlusses an das Urteil des Bundes-
verwaltungsgerichtes vor dessen vollständiger Veröf-
fentlichung nicht für zweckmäßig hält. Die Planfeststel-
lungsbehörde hat dies abgewogen und hat in eigener
Zuständigkeit bewertet, dass sie das beabsichtigte Vorge-
hen für zielführend zur rechtlichen Umsetzung des Ur-
teils erachtet.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Nouripour.
Danke, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, was ist
denn eigentlich das Kriterium im Falle einer Auseinan-
dersetzung zwischen dem Bundesministerium und einem
Landesministerium, bei dem das Bundesministerium of-
fensichtlich der Meinung ist, dass das, was das Landes-
ministerium macht, nicht zweckmäßig ist? In einem
Statement sagt der Pressesprecher Ihres Hauses: Es ist
sinnvoll, die Urteilsbegründung abzuwarten. – Wenn
das, was dort passiert, nicht sinnvoll ist, was ist dann das
Kriterium dafür, mit einer Weisung einzuschreiten oder
dies nicht zu tun?
D
Herr Kollege, wir sprechen nicht von einer Auseinan-
dersetzung mit dem Landesverkehrsministerium und
dem ehemaligen Landesverkehrsminister Posch, sondern
wir haben unsere Stellungnahme und unsere Meinung
dazu abgegeben, nicht mehr und nicht weniger. Fakt ist:
Die an dieser Stelle zuständige Behörde ist eine Behörde
des Landes Hessen, und wir haben eine Empfehlung ge-
geben, nicht mehr und nicht weniger.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Nouripour.
Nichtsdestotrotz ist es durchaus möglich und liegt im
Bereich des Richtigen, zumindest im Bereich des Rech-
ten, dass das Bundesministerium mit einer Weisung dort
einschreitet. Meine Frage war, warum dies nicht gesche-
hen ist, wenn das Ministerium der Meinung ist, dass das
Vorgehen der Landesregierung nicht zweckmäßig ist.
D
Herr Kollege Nouripour, „einschreiten“ und Ähnli-
ches – das sind Vokabeln, die Sie verwenden. Wir pfle-
gen mit den Auftragsverwaltungen und den Landes-
ministerien eine gute, kollegiale Zusammenarbeit. Wir
sind weit davon entfernt, dass das BMVBS in solchen
Verfahren einschreitet. Vielmehr geben wir dazu unsere
Meinung ab. Die zuständige Behörde ist an dieser Stelle
nicht das BMVBS, sondern das entsprechende Landes-
ministerium. Genauso wie wir uns jetzt streiten können,
ob Ihre Frage sinnvoll oder nicht sinnvoll ist, haben wir
unsere Meinung zu diesem Verfahren beim Landes-
ministerium in Hessen abgegeben, nicht mehr und nicht
weniger.
Vielen herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen undKollegen, die restlichen Fragen der Fragestunde werdenentsprechend unserer Geschäftsordnung schriftlich be-antwortet.Wir sind am Ende unserer Fragestunde.Wir fahren in unserer Tagesordnung fort. Ich rufe denZusatzpunkt 1 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion der SPDUmstrittene Nutzung des Auslandsnachrich-tendienstes für den Transport eines von BMNiebel privat gekauften TeppichsIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat als Ersterfür die Fraktion der Sozialdemokraten Kollege
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21820 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
Vizepräsident Eduard Oswald
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Dr. Sascha Raabe. Bitte schön, Kollege Dr. SaschaRaabe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir haben die heutige Aktuelle Stunde bean-tragt, weil wir es nicht länger mit ansehen können, wieBundesminister Dirk Niebel sein Amt für seine persönli-chen Interessen und für die Interessen seiner Partei miss-braucht.
Erst hat er reihenweise Parteifreunde mit hochbezahltenöffentlichen Stellen versorgt, dann hat er den Personalratkaltgestellt, und jetzt lässt er auch noch auf Staatskosteneinen Teppich für seine Privatgemächer einfliegen. Wirkönnen das nicht mehr mit ansehen. Wir glauben, dassdamit auch dem Ansehen und der GlaubwürdigkeitDeutschlands geschadet wird. Deswegen haben wir dieheutige Aktuelle Stunde beantragt.
Wie peinlich ist es,
dass ausgerechnet heute das Bundesministerium einKonzept mit dem Namen „Antikorruption und Integritätin der deutschen Entwicklungspolitik“ vorstellt! In einerPressemitteilung auf der Homepage des Ministeriumsheißt es heute:Wir nehmen unsere Partner in die Pflicht, konkreteReformen durchzuführen, um Korruption zu min-dern und Transparenz, Integrität, Partizipation undRechenschaft auszubauen.
Nehmen Sie sich endlich auch einmal selbst in diePflicht und fangen beim Minister an, meine sehr verehr-ten Damen und Herren!
Die Frage nach den Konsequenzen beschäftigt auchdie Journalisten. Ich werde jetzt nicht diejenigen aus denlinksliberalen Zeitungen zitieren, sondern ich werde ein-mal ganz bewusst die Blätter zitieren, die der FDP unddem Minister eigentlich genehm sein müssten,
nämlich die Wirtschafts-, Finanz- und Handelsblätter.Ich fange einmal mit dem Handelsblatt an.
Das Handelsblatt bringt heute ein Zitat von Dirk Niebelvom Januar. Da hat er gesagt:Politiker müssen sich an Recht und Gesetz haltenwie alle anderen auch und haben eine Vorbildfunk-tion.Das Handelsblatt titelt: „Pinocchio des Tages“. – DirkNiebel, Lügner des Tages.Die Wirtschaftswoche bezeichnet Dirk Niebel als „li-berales Teppichluder“.
Das mache ich mir nicht zu eigen.
Das ist die Wirtschaftswoche.Die Financial Times Deutschland schreibt von Miss-brauch des Staates. Jetzt würde ich Sie bitten, einmalnicht zu krakeelen, sondern zuzuhören. Hier schreibt derKommentator: Ein Staatsskandal ist auch die Teppich-affäre um den Bundesentwicklungsminister Dirk Niebelnicht. Doch in diesem Fall gerät der Minister zum wie-derholten Mal in Erklärungsnot und in den Ruf von Vet-ternwirtschaft und Korruption.
Mag der Anlass noch so nichtig sein und Niebel sichreumütig zeigen: Er sollte zurücktreten. Hierbei dient einMinister nicht mehr dem Staat, sondern er missbrauchtihn für seine persönlichen Interessen,
zumal es bei Niebel eine Vorgeschichte gibt, die vonSelbstherrlichkeit und Eigeninteresse handelt, und zwarseit seinem Amtsantritt im Entwicklungsministerium.Seine Personalpolitik etwa wirkt so, als sei es die vorran-gige Aufgabe eines FDP-Ministers, verdiente Liberalemit gut dotierten Posten zu versorgen. – Deswegenkommt auch dieser Kommentator zu Recht zu demSchluss, dass ein Minister, der die Prinzipien guter Re-gierungsführung in alle Welt exportieren soll, so nichtmit seinem Amt umgehen kann.Deswegen sagt die Financial Times Deutschland:Dieser Minister soll zurücktreten. – Ich schließe michdieser Forderung an, meine sehr verehrten Damen undHerren.
Die Frage des am Zoll vorbeigeschmuggelten Tep-pichs
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21821
Dr. Sascha Raabe
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(B)
und damit der persönlichen Vorteilsnahme von etwa4 000 Euro – Transportkosten und Zollabgaben, die fäl-lig gewesen wären –
werden wir heute noch diskutieren.
Es ist keineswegs nur eine Lappalie, um die es hier geht.
Wenn es um ein Land wie Afghanistan geht – wir wis-sen, dass dort Teppiche meist von Kindern hergestelltwerden –, kann man schon erwarten, dass ein Entwick-lungsminister mehr nachfragt und sich nicht nur auf dasWort eines Angehörigen der Botschaft verlässt, dass dasein seriöser Händler sei. Wir haben dort nicht umsonstmit Mitteln der deutschen Entwicklungszusammenarbeitein zertifiziertes Siegel geschaffen. „GoodWeave“ heißtdas. Es ist der Nachfolger von RugMark. Auch in Afgha-nistan gibt es einen Händler, der zertifiziert ist und vonder Größe her etwa mit dem Otto-Versand in Deutsch-land vergleichbar ist. Wir fragen uns, Herr Minister: Wa-rum haben Sie nicht von diesem Händler einen Teppichprivat erworben? Sie können doch nicht einfach einenteuren Teppich für Ihr Wohnzimmer kaufen, an dessenHerstellung vielleicht Kinderhände beteiligt gewesensind,
und das, wo Sie am Welttag gegen Kinderarbeit tränen-reich verkündet haben, wie schlimm Sie Kinderarbeit inaller Welt finden. Das passt nicht, Herr Minister!
Wenn einige anführen: „Na ja, was sind denn schonein paar Tausend Euro?“, sage ich: Es wurde in Deutsch-land schon einmal einer Kassiererin eines Supermarktswegen 1,30 Euro gekündigt. Da hat sich die FDP merk-lich zurückgehalten.
Deshalb glaube ich schon, dass wir hier nicht einfach zurTagesordnung übergehen können. Wir werden hier letzt-lich auch erörtern, wie der Bundesnachrichtendienst da-bei zu Schaden gekommen ist.Ich sage an dieser Stelle,
weil es wirklich nicht nur um Minister Niebel geht, son-dern auch um das Ansehen und die GlaubwürdigkeitDeutschlands in der Welt gegenüber seinen Partnerlän-dern – gute Regierungsführung ist für uns etwas, was wirvorleben müssen –, dass die Kanzlerin ihrer Verantwor-tung gerecht werden muss. Ich sage: Sorgen Sie für guteRegierungsführung! Sorgen Sie dafür, dass nicht einTeppich fliegt, sondern dieser Minister!Herzlichen Dank.
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist Bun-desminister Dirk Niebel. Bitte schön, BundesministerDirk Niebel.
Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung:Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Ich habe einen Fehler gemacht, den ich selbst zu verant-worten habe, und ich kann verstehen, wenn der Vorgangsachlich kritisiert wird. Ich habe mich dafür sofort um-fassend und öffentlich entschuldigt und tue dies aus-drücklich noch einmal hier im Deutschen Bundestag.
Ich wollte mir einen Teppich für mein Haus kaufen,was aus Sicherheitsgründen natürlich nicht auf demBasar in Kabul möglich war. Aus logistischen Gründenwollte ich den Teppich zu einem späteren Zeitpunkt mitnach Hause nehmen. Ich hatte mich zunächst gefreut, alsich erfuhr, dass ich durch die Hilfsbereitschaft des Bun-desnachrichtendiensts die Chance haben würde, denTeppich früher als gedacht zu Hause zu haben. Ich be-daure ausdrücklich, dass der BND-Chef, der von einemzollfreien Gastgeschenk ausging,
dadurch in eine unangenehme Situation gebracht wordenist. Ich ging davon aus, dass alle Formalitäten bei derEinreise erledigt wurden, und werfe mir vor, keineklaren Absprachen getroffen zu haben.Als ich durch die Anfrage eines Medienvertreters pro-blembewusst wurde, habe ich die Nachverzollung unver-züglich beantragt und das auch öffentlich erklärt. Siekönnen versichert sein, liebe Kolleginnen und Kollegen,meine sehr verehrten Damen und Herren: Niemand är-gert sich über diesen Vorgang mehr als ich.Vielen herzlichen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
21822 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
(C)
(B)
Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke un-
sere Kollegin Heike Hänsel. Bitte schön, Frau Kollegin
Hänsel.
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter HerrMinister Niebel, das war ein bisschen sehr kurz.
Ich denke, es gibt dazu noch etwas mehr zu sagen.Ich möchte mich aber auf die sachliche Kritikkonzentrieren, und diese muss Minister Niebel auch aus-halten; denn er gehört nicht zu denjenigen, die sich mitKritik zurückhalten.
Ein Minister auf Dienstreise lässt sich in der Deut-schen Botschaft in Kabul eine Teppichauswahl vorlegen.Er kauft einen Teppich, und der Geheimdienst schmug-gelt ihn am Zoll vorbei nach Deutschland.
Diese Nummer wäre eigentlich reif fürs Kabarett, wenndas Ganze nicht in einem so ernsten Umfeld stattfindenwürde.Herr Niebel war nämlich in einer Kriegsregion, wounter anderem deutsche Soldaten Krieg führen, wo täg-lich Menschen durch Krieg sterben und wo ein Teppich-kauf in meinen Augen eigentlich nicht zu einer Dienst-reise gehört.
Wir unterstellen ihm nicht, dass er irgendwelche Zoll-gebühren sparen und sich persönlich bereichern wollte.Diese Vorwürfe finde ich albern, Herr Niebel. Vielmehrgeht es darum, dass Sie in verantwortungsvoller Positionein Gespür dafür haben müssen, was man machen kannund was nicht. Ich finde, dieses Gespür fehlt Ihnen.
Das haben Sie in meinen Augen schon zu Beginn IhrerAmtszeit gezeigt, indem Sie mehrfach – manchmal auchheute noch – mit Bundeswehrkappe in Afrika oderLateinamerika unterwegs waren.
Dieses Bild ist eines Entwicklungsministers in meinenAugen nicht würdig.
Es erinnert an ungute deutsche Zeiten.
Das fand ich schon damals ein ganz großes Problem. Eszeigt, dass Ihnen, Herr Niebel, in manchen Bereichen,die in Ihrer Verantwortung liegen, das Gespür fehlt.
In der Öffentlichkeit kann schnell der Eindruck ent-stehen, Sie fahren in eine Kriegsregion und am Endekommt dabei ein Schnäppchenkauf heraus. Ich fragemich auch, ob es die Aufgabe der Deutschen Botschaftist, eine Teppichauswahl zu organisieren. Auch dieseFrage darf man stellen.Dazu, dass keine Kinderarbeit in dem Teppich steckt,gab es nur eine lapidare Bemerkung. Wir fragen natür-lich nach: Wie wollen Sie das eigentlich beweisen, vorallem angesichts des relativ geringen Preises für dengroßen Teppich? Das sind in meinen Augen ernsthafteFragen.Der eigentliche Skandal liegt für mich und für dieLinke aber nicht in Ihrer Teppichnummer, sondern inIhrer Entwicklungspolitik. Damit kommen wir zu denzentralen Punkten: Sie setzen auf Außenwirtschaftsför-derung. Ferner gab es Skandale um merkwürdigeStellenbesetzungen, und in meinen Augen waren auchPersonalbesetzungen im Ministerium oft inadäquat. Esgeht auch um die sogenannte Fusion der verschiedenenEntwicklungsorganisationen.
In meinen Augen wurde die gute Organisation DED zer-schlagen. Sie ist nicht mit ihren Stärken in die soge-nannte Fusion eingeführt worden. Sie haben noch sehrgroße Baustellen. Auch was Afghanistan angeht, wurdendie Entwicklungsorganisationen unter Ihrer Regierungstärker ans Militär gebunden. Leider begann das unterRot-Grün.Herr Niebel, mir gefällt Ihre oft arrogante Haltungnicht – das habe ich auch schon erlebt –, wenn Sie inLändern des Südens unterwegs sind, die nicht Ihren poli-tischen Vorstellungen entsprechen, wie zum Beispiel inLateinamerika, in Bolivien, in Ecuador, in Nicaragua.
Sie treten sehr arrogant auf. Sie haben die Entwicklungs-zusammenarbeit mit Nicaragua wegen fehlender guterRegierungsführung eingestellt. Dazu sage ich: Das kannnicht sein, Herr Niebel. Dann müssen wir gleiche Maß-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21823
Heike Hänsel
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stäbe anlegen. Ich fordere eine gute Regierungsführungfür Deutschland.
Uns ärgert auch – das ist eine gravierende Konse-quenz dieser einfach auch doofen Teppichdiskussion –,dass wir über viele wichtige Dinge in Afghanistan nichtsprechen. Vor einigen Tagen gab es dort ein Erdbebenmit über 80 Toten. Wer weiß davon?
Wer spricht davon? Die Medien nicht. Aber Herr Niebelauch nicht. Es gab Tote durch NATO-Angriffe; eswurden über 18 Zivilisten getötet. Darüber spricht HerrNiebel auch nicht. Ich habe nichts von ihm gehört.
Wir haben eine säkulare, progressive Partei in Afghanis-tan, die Solidaritätspartei, die gegen den Krieg kämpft.Gegen diese wurde ein Verbotsverfahren durchgeführt.Wir haben bei der Deutschen Botschaft mehrmals ge-fragt: Was macht die Bundesregierung? Wie reagierendas Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium? –Wir haben nichts gehört. Ich frage mich: Wo sind diePrioritäten?
Sie treten mit Teppichaktionen in Afghanistan in Er-scheinung, machen aber nicht den Mund auf, wennOrganisationen, die gegen den Krieg und die Warlords inAfghanistan kämpfen, verboten werden sollen. Das sindfür mich entscheidende Punkte. Ich sage Ihnen: HerrNiebel, für mich ist der Teppichkauf kein Rücktritts-grund,
aber die Entwicklungspolitik, die Sie gestalten, und dieFehlentscheidungen wären schon längst ein Rücktritts-grund.
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der FDP unsere Kollegin Frau Dr. Christiane
Ratjen-Damerau. Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenKollegen und Kolleginnen! Sehr geehrter Herr Minister,ich danke Ihnen ganz herzlich für die klärenden Worteund den sehr offenen Umgang mit dieser besagtenAffäre.
Sie haben sehr offen dargelegt, einen in Afghanistan ge-kauften Teppich in Deutschland nicht unmittelbar ver-zollt zu haben. Als Ihnen dieses bekannt wurde, habenSie unverzüglich die Nachverzollung beantragt undöffentlich die Verantwortung – so wie eben auch – über-nommen. Damit ist diese Angelegenheit für mich abge-schlossen.
Wenn Sie, sehr geehrte Kollegen von der Opposition,insbesondere Sie, Herr Raabe und Frau Hänsel, ehrlichsind, geben Sie zu, dass ich recht habe. Ihre ständig wie-derholten, künstlichen und hier lauthals geäußertenRücktrittsforderungen haben keinen Anlass. Es fehlenIhnen sonstige Angriffspunkte.
Der Minister und sein Haus leisten hervorragende Arbeitfür die deutsche und die weltweite Entwicklungspolitik –und damit zum Wohle vieler Menschen auf dieser Welt.
Mit der Fusion der Durchführungsorganisationen istunter der Führung von Dirk Niebel die größte Reformder deutschen Entwicklungszusammenarbeit gelungen.Vor ihm sind an dieser Fusion alle Vorgänger – auch IhreMinisterin – gescheitert.
Durch diese Fusion wurden im Stellenbestand desBundes 700 Stellen eingespart. Und: Die Gesellschaftfür Internationale Zusammenarbeit ist zu einem GlobalPlayer geworden, der zu einem Marktführer wird.
Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit unddie KfW-Entwicklungsbank kooperieren seit dem Amts-antritt von Dirk Niebel so gut wie noch nie zuvor.
Dies hat unter anderem dazu beigetragen, dass dieKfW-Entwicklungsbank den Entwicklungsländern inden letzten zwei Jahren zusätzliche Kredite in Höhe von2,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat. Das istfür die weltweite Bekämpfung von Hunger und Armutein sehr großer Erfolg, auf den wir ausgesprochen stolzsind.
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21824 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
Dr. Christiane Ratjen-Damerau
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– Hören Sie doch mal zu, dann begreifen Sie es viel-leicht!Gleichzeitig wurde die Außenstruktur des Bundes-ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung an den deutschen Botschaften verstärkt.Damit hat sich die Steuerungsmöglichkeit der Entwick-lungszusammenarbeit in den betreffenden Ländern deut-lich verbessert.
Es wurde nicht nur die Zusammenarbeit mit den Vorfeld-organisationen verbessert, sondern auch die Kohärenzder gesamten Bundesregierung. Erstmals wird unter Fe-derführung des Bundesministeriums zusammengetragen,welche Aktivitäten die einzelnen Ressorts der Bundesre-gierung im Bereich der Entwicklungszusammenarbeitleisten.Wir alle wissen um die große Bedeutung der Zivil-gesellschaft und der Wirtschaft bei der Entwicklungs-zusammenarbeit. Unser Ziel ist es, die Zahl der Enga-gierten auf 2 Millionen zu verdoppeln. Deshalb wurdendie Mittel für Zivilgesellschaft, Kirchen und politischeStiftungen deutlich erhöht. Die Veranstaltung „Engage-ment fairbindet“ des Bundesministeriums hat sich zueiner einzigartigen Plattform entwickelt, auf der sich dieverschiedenen Akteure der Entwicklungszusammen-arbeit treffen. Geschaffen hat dies Dirk Niebel mit sei-nem Haus.Im nächsten Jahr wird es erstmals einen bundesweitenEntwicklungstag geben,
der mit einer Afrika-Gala im deutschen Fernsehen endet.Damit erreichen wir für unsere Arbeit und die gesamteEntwicklungszusammenarbeit eine breite Öffentlich-keit, die es bisher nicht gegeben hat.
So werden die Bürgerinnen und Bürger mit dem Themader Entwicklungszusammenarbeit vertraut gemacht; siewerden hierfür sensibilisiert, und ihr Engagement wirdverstärkt.
– Das habe ich gar nicht nötig.Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung wird in dieser Legislatur-periode zu einer Plattform für den Austausch und dieZusammenarbeit zwischen Staat, Wirtschaft und Nicht-regierungsorganisationen ausgebaut. Die Türen in Rich-tung Mitte der Gesellschaft sind weit geöffnet. Ein be-deutender Schritt dafür ist die Servicestelle fürbürgerschaftliches und kommunales Engagement, die indiesem Jahr eröffnet wurde.
Um die Wirksamkeit der eingesetzten Mittel zu über-prüfen und die Effizienz zu steigern, wird gerade ein un-abhängiges Evaluierungsinstitut eingerichtet. Erstmaliggibt es damit ein Institut – ein absolutes Novum und einMeilenstein im Feld der deutschen Entwicklungspolitik –,das gegenüber der Öffentlichkeit und den Parlamenten inDeutschland und in unseren Partnerländern über die ge-leistete Arbeit Rechenschaft ablegt.Sie sehen: Seit dem Regierungswechsel 2009 ist einevöllig neu ausgerichtete Entwicklungspolitik geschaffenworden.
Diese neue Entwicklungspolitik sorgt für mehr Wirk-samkeit, für einen höheren Einsatz der finanziellen Mit-tel und für ein verstärktes persönliches Engagement inunserer Gesellschaft. Damit bekommen die Menschen,die uns brauchen, konkret mehr Unterstützung.Vielen Dank.
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin
Frau Ute Koczy. Bitte schön, Frau Kollegin Ute Koczy.
Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worüber reden wirhier eigentlich?
Ein Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung fliegt nach Afghanistan, lässt sich dort ei-nen Teppich vorführen, kauft diesen, lässt ihn vomBND-Chef nach Deutschland befördern und von seinemFahrer auf dem Rollfeld abholen. Diese Beobachtungwird der Presse mitgeteilt.Problem: Die Verzollung wurde vergessen. Das istkein Lapsus. Das ist eine politische Dummheit,
wenngleich auch keine echte Staatsaffäre. Dennoch fragtsich die Öffentlichkeit zu Recht, warum unserem Minis-ter Dirk Niebel nicht aufgefallen ist, dass er hier seinePrivilegien missbraucht hat.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21825
Ute Koczy
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Der politische Schaden ist groß.Ich finde das besonders ärgerlich, weil wir in der Ent-wicklungspolitik Wichtigeres zu tun haben: Das europäi-sche Projekt befindet sich in der Krise; am Horn vonAfrika und in der Sahelzone grassiert der Hunger; imKongo häufen sich erneut die Massenvergewaltigungen;in Bangladesch drohen 30 Millionen Menschen wegendes Klimawandels unterzugehen.
Zu Afghanistan finden gegenwärtig kaum noch Debattenzur Lage im Land und zur Situation der Menschen dortstatt.
Aber Deutschland streitet über einen fliegenden, vor denZollbeamten fliehenden Teppich.
Die Verschiebung der Gewichte – das muss man sichklarmachen – hat sehr viel mit der Person des Ministerszu tun. Es findet auf Grundlage dessen statt, was DirkNiebel immer großspurig verkündet, zum Beispiel wenner dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tu-berkulose und Malaria wegen Bestechungsvorwürfenandroht, die Gelder zu streichen, und in der Welt vom17. März 2011 sagt: „Korruption tötet!“
Wir erinnern uns an einen Minister Niebel, der nach denRegierungsverhandlungen mit Afghanistan sagt:Deutsches Geld nur, wenn Korruption bekämpftwird.
Und:Wir werden das Geld nicht zum Fenster raus-schmeißen, unsere Steuerzahler haben das hart er-arbeitet.Die Presse hat dieses Thema deswegen aufgegriffen,weil es vor der Folie dessen läuft, was der Minister im-mer groß ankündigt.
Diesen Widerspruch kann man nicht vom Tisch wischen.Man muss doch fragen, und das tut die Öffentlichkeit
– da können Sie jetzt so laut tönen, wie Sie wollen –, wa-rum die Steuerzahler nicht zu Recht annehmen müssen,dass es hier einen Akt gegeben hat, der nicht restlos auf-geklärt ist und bei dem man sich fragen muss, ob derMinister sein Amt missbraucht hat.Es ist doch eine Farce, wenn heute das BMZ – auchdas ist eine Koinzidenz – mit einer Veranstaltung mitdem Titel „Transparenz. Integrität. Entwicklung.“ her-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Korruption
ist wie ein Krebsgeschwür“. Wenn er dort sagt, das neue
Antikorruptionskonzept sei für die Institutionen der
staatlichen EZ verbindlich, dann ist es die Aufgabe der
Opposition, sich hier hinzustellen und zu fragen: Wie
verbindlich ist dieses Konzept für den deutschen Ent-
wicklungsminister?
Ich möchte bei diesem Vorfall einen Punkt heraushe-
ben, nämlich die Frage der Nachverzollung. Herr Niebel,
Sie haben einen Antrag auf Nachverzollung gemäß
§ 371 der Abgabenordnung gestellt, der mit einer Selbst-
anzeige verbunden wurde. Die Selbstanzeige ist in die-
sem Paragrafen aber anders geregelt, als Sie es sich vor-
stellen; denn nach § 371 der Abgabenordnung tritt eine
Strafbefreiung durch Selbstanzeige nur dann ein, wenn
der Tatbestand zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt
geworden ist.
Der Antrag auf Nachverzollung wurde am 6. Juni ge-
stellt, nachdem Spiegel Online am 6. Juni diesbezüglich
Fragen an das BMZ gerichtet hatte.
Diese Fragen hätten wir vorhin gerne gestellt. Vielleicht
hätten Sie sie richtig beantworten können. Ich finde, dass
wir diese Aktuelle Stunde zu Recht durchführen, um auf
bestimmte Fragen zu diesem Fall hinzuweisen, die noch
nicht beantwortet worden sind.
Wir haben jetzt hier Ihre Entschuldigung gehört. Aber
ich sage Ihnen: Aufgrund der Frage der Nachverzollung
ist dieser Teppich noch nicht geklopft.
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist fürdie Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin SibyllePfeiffer. Bitte schön, Frau Kollegin Pfeiffer.
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21826 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
(C)
(B)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
alle wissen, dass wir als Politiker, Abgeordnete und auch
Minister unter besonderer Beobachtung stehen. Wir ha-
ben eine Vorbildfunktion. An uns werden höhere ethi-
sche und moralische Maßstäbe gestellt, ob uns das passt
oder nicht.
Ja, Minister Niebel hat einen Fehler gemacht, und ja,
dieser Fehler ist ärgerlich, nein, „blöd“, um die Worte
des Ministers zu gebrauchen. Ja, Minister Niebel steht
für seinen Fehler gerade.
Das tut er, und dieses Unrechtsbewusstsein hat in der
Vergangenheit nicht immer jeder gezeigt.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, daraus eine
Staatsaffäre zu machen, wie es die Opposition will und
tut,
ist ebenfalls ein Fehler, um nicht zu sagen: blöd,
weil die Verhältnismäßigkeit fehlt. Es stellt sich nämlich
schlicht und einfach die Frage: Womit befassen wir uns
im Parlament? Große politische Affären, Missbräuche
und Skandale erfordern und verdienen eine parlamenta-
rische Befassung. Dieser Teppich gehört definitiv nicht
dazu.
Wir sollten uns einmal überlegen, ob unser Drang, je-
des Fehlverhalten immer gleich zu skandalisieren, gut
für uns, für die politische Kultur und die Demokratie in
unserem Lande ist.
Denken wir doch einmal weiter. Denken auch Sie einmal
weiter, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allen Din-
gen von der SPD. Überlegen Sie sich gut, welche Maß-
stäbe Sie hier und heute für politische Rücktrittsforde-
rungen festlegen wollen. Ist eine solche Forderung in
diesem Zusammenhang wirklich verhältnismäßig? Ist
das Ihr Maßstab? Für mich stellt sich die Frage nach der
Debattenkultur: Setzen wir nur noch auf Effekthascherei
und Bedienung des Boulevards? Denn dann bleiben die
wirklich wichtigen Debatten, auch über schwere und
echte Affären, auf der Strecke.
Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ist
Ihr Vorgehen falsch und vor allem gefährlich; denn eines
Tages könnte sich das für Sie als Bumerang erweisen,
unter dem Sie sich dann nicht mehr wegducken können.
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau
Dr. Bärbel Kofler. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Kofler.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Ich glaube, bei Ihnen ist ein falscher Ein-druck entstanden. Sie tun so, als hätten wir von derOpposition Spaß, uns schon wieder mit Herrn Niebel be-schäftigen zu müssen. Das Gegenteil ist der Fall. Leiderwar es in diesem Jahr aufgrund des Verhaltens vonMinister Niebel schon das zweite Mal nötig, eine Ak-tuelle Stunde zu beantragen. Es ging sowohl um sein Ge-baren in Bezug auf seine Personalpolitik als auch umsein etwas seltsames Verständnis von Steuergerechtig-keit, vom Bezahlen von Steuern in unserem Land.
Herr Minister, ich hätte mir von Ihnen klärende Wortegewünscht. Sie tun so, als wäre Ihr Verhalten ein kleinerFehler, ein Lapsus. Sie sagen, man hätte einfach verges-sen, den Fahrer zu instruieren. Man hätte dem Fahreraber auch Geld mitgeben müssen, um die Ware beimZoll auszulösen.
Aber nicht nur darum geht es. Es geht auch darum, dass,wie man den Medien entnehmen konnte, die Staatsan-waltschaft immerhin wegen des Anfangsverdachts aufSteuerhinterziehung ermittelt. Es war also kein kleinerFehler, kein Lapsus.
Selbstverständlich muss man darüber im Bundestagsprechen,
gerade vor dem Hintergrund, dass Sie als Entwicklungs-minister nach Afghanistan gereist sind. Sowohl in derRegierungskoalition als auch im Ministerium für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sollte mansich überlegen, welche Ansprüche man in Bezug aufgute Regierungsführung hat. Insbesondere als Ministerfür wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungmuss man sich daran messen lassen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21827
Dr. Bärbel Kofler
(C)
(B)
Auf der Homepage des Ministeriums für wirtschaftli-che Zusammenarbeit und Entwicklung ist zu lesen, dassim Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Regierung guteRegierungsführung als Schlüsselsektor der deutschenEntwicklungszusammenarbeit definiert wird. Ich haltedas durchaus für richtig. Gute Regierungsführung ist einentscheidender Faktor bei der Bekämpfung der Armutund auch, wenn es darum geht, Ressourcen zu schonen,um den Ärmsten der Armen zu helfen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: WelchesBild geben Sie eigentlich ab, Herr Minister Niebel? Einkatastrophales!
Es geht noch weiter. Es geht ja nicht nur um den Be-griff der guten Regierungsführung im Allgemeinen, son-dern auch um gute Regierungsführung im Zusammen-hang mit einer guten Finanz- und Steuerpolitik.Diesbezüglich wird auf der Homepage des BMZ zuRecht auf die Bedeutung von transparenten und leis-tungsfähigen öffentlichen Finanzsystemen hingewiesen.
Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich noch einmalaus der Homepage des BMZ:Transparente und leistungsfähige öffentliche Fi-nanzsysteme sind eine wichtige Grundvorausset-zung für Armutsreduzierung und nachhaltige Ent-wicklung. Sie mobilisieren nicht nur Mittel,sondern schaffen auch Legitimität für staatlichesHandeln, fördern die Identifizierung der Bürger mitihrem Staat …Das ist völlig richtig. An diesem Punkt sind wir uns ei-nig. Welchen Eindruck erweckt aber ein Entwicklungs-minister in der Welt –
ein Entwicklungsminister muss mit den Regierungen an-derer Länder darum ringen, dass Steuersysteme einge-führt werden, durch die gerade die finanzstarken politi-schen Eliten belastet werden –, der einen, so sage ich eseinmal, sehr leichtfertigen oder flapsigen Umgang mitdem deutschen Steuersystem pflegt? Zeugt das nicht vonDoppelmoral?
Ich glaube, dass Sie der Entwicklungspolitik insge-samt und insbesondere der deutschen Entwicklungspoli-tik mit Ihrem Verhalten einen Bärendienst erwiesen ha-ben. Sie wissen selbst, dass sich seit über zehn Jahrenzahlreiche internationale Vereinbarungen gerade mit derFrage der Verbesserung der Steuersysteme in der Weltbeschäftigen: Steuerhinterziehung, Mittel für Armuts-bekämpfung heben, Monterrey-Konferenz, Doha-Kon-ferenz, nachhaltige Finanzierung der Entwicklungszu-sammenarbeit – die Kollegin Ratjen-Damerau hat ja aufdie Themen Effizienz und Wirksamkeit hingewiesen –,Konferenz von Paris, Konferenz von Accra, Konferenzvon Busan. Auf dem G-8-Gipfel 2007 in Deutschlandhat man sich mit dem Thema G 8 Action Plan for GoodFinancial Governance in Africa beschäftigt. Gute Regie-rungsführung in Afrika war also das Thema auf der Kon-ferenz in Deutschland.Vor diesem Hintergrund ist Ihr Verhalten als drama-tisch zu bezeichnen. Ich möchte wirklich wissen, wie Sieauf Meldungen reagieren werden, nach denen Ministeraus anderen Ländern Ähnliches tun. Stellen Sie dann dieTranchen für die Entwicklungszusammenarbeit ein, wasSie manchen anderen bereits angesprochenen Organisa-tionen wie dem GFATM angedroht haben? Was machenSie dann? Wie werden Sie reagieren?Ich denke, ein Entwicklungsminister muss in diesemThemenbereich eine besondere Integrität an den Tag le-gen. Er muss sich an dem messen lassen, was er interna-tional fordert, auch bezogen auf sein persönliches Ver-halten. Insofern haben Sie ein denkbar schlechtesBeispiel abgeliefert, Herr Niebel.
Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die
Fraktion der FDP unser Kollege Patrick Döring. Bitte
schön, Kollege Patrick Döring.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister Niebel! Geschätzte Kolleginnen und Kol-legen, ein schlechtes Beispiel für gute Debattenkulturund demokratische Auseinandersetzung geben Sie hierab; denn Sie gehen in Ihren Beiträgen hier – das gilt ins-besondere für die Beiträge der Kollegin Hänsel und desKollegen Raabe – sehr lax mit der Wahrheit um.
Deshalb bedanke ich mich zunächst für die Entschuldi-gung und für die Aufklärung durch den Herrn Bundes-minister.
Auch andere Kollegen haben es in den letzten Tagenmit der Wahrheit nicht so genau genommen. Der von miransonsten hochgeschätzte Kollege Oppermann wird mitden Worten „Missbrauch des BND für private Zwecke“zitiert.
Der Bundesminister hat in seiner ersten Erklärung klar-gestellt, dass es – zu keinem Zeitpunkt – weder einen
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21828 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
Patrick Döring
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(B)
Auftrag noch überhaupt eine Kommunikation mit demPräsidenten des Bundesnachrichtendienstes über dieseMitnahme, die durch die Botschaft organisiert wurde,gegeben hat.
Hier Missbrauch zu insinuieren, ist eine bewusste Ver-zerrung der Tatsachen. Sie gehen mit der Wahrheit laxum, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Sie wollen hier durch den Begriff „Korruption“, denSie permanent im Munde führen, einen Eindruck erwe-cken, der schlicht falsch ist. Der Kollege Niebel wolltenach Ende des offiziellen Programms die Zeit nutzen,die sich dadurch ergeben hat, dass er mit einem Linien-flugzeug nach Afghanistan geflogen ist. Er wollte einenBasar besuchen. Davon hat ihm die Botschaft aus Si-cherheitsgründen abgeraten. Vielen von uns, insbeson-dere den geschätzten Kollegen aus dem Fachbereich, dievor mir geredet haben, ist schon mehrfach in anderenLändern der Erde, auch in Afghanistan, von der Bot-schaft empfohlen worden, den Basar nicht zu besuchen.Er hat daraufhin entschieden, dass er dennoch Mittel-stand und Handwerk in diesem Land unterstützen und ei-nen privaten Einkauf vornehmen will.
Weil Sie sich so schön aufregen, will ich Ihnen dazuetwas sagen.
– Na, das wird sich zeigen. –
Mir hat ein Kollege ein schönes Bild geschildert: Kolle-gin Hänsel kam schwer bepackt mit Einkaufstüten voneiner Reise zurück, die sie mit der Delegation des HerrnMinisters nach Kolumbien unternommen hatte, und ließsich das Gepäck von einem Steward der Luftwaffe tra-gen.
Liebe Leute, was wäre denn los, wenn ich anfangenwürde, das als Missbrauch der deutschen Luftwaffe undaktiven Schmuggel von Gütern aus Kolumbien nachDeutschland zu bezeichnen? Mit solchen Kleinigkeitendarf man sich doch gar nicht befassen, liebe Kollegen.Das ist wirklich abenteuerlich.
Sie alle wissen in Wahrheit ganz genau, dass die Verket-tung der Umstände zu diesem Einfuhrvergehen geführthat.Jetzt haben sich hier einige Hilfsjuristen mit der Frageder Nachverzollung befasst. Geschätzte Kolleginnen undKollegen, ein Zollvergehen begeht derjenige, der dieWare einführt. Minister Niebel hat nicht eingeführt.
Dennoch hat er seinen Fehler eingestanden und sich ent-schuldigt, weil das selbstverständlich auf sein Fehlver-halten zurückgeht.
Die Art und Weise, in der Sie hier versuchen, eineMücke zu einem Elefanten aufzupumpen, hat mit demo-kratischer Streitkultur nichts zu tun.
Die Freien Demokraten und Dirk Niebel als Personhaben die deutsche Entwicklungspolitik neu ausgerich-tet. Das mag Ihnen nicht gefallen. Darüber kann man indiesem Haus auch kräftig streiten.
Diese Koalition hat sich aber zum Ziel gesetzt, die Ent-wicklungspolitik effizienter, erfolgreicher und orientiertan guter Regierungsführung in der Welt auszurichten.Das ist auch gelungen.
Wenn Minister Niebel für diese politische Aufgabe kriti-siert wird, dann muss er das genauso aushalten, wie esdiese Koalition aushalten muss. Dass Sie aber ganz ge-zielt mit Halbwahrheiten und Unwahrheiten den Ein-druck erwecken wollen, es hätte hier ein Amtsmiss-brauch und vielleicht sogar ein Skandal stattgefunden,ist schlicht unverantwortlich, meine lieben Kolleginnenund Kollegen.
– Er hat sich dafür entschuldigt, dass er der Botschaftnicht die klare Anweisung gegeben hat, sie möge daraufverzichten, den Teppich auf die Reise zu geben, ohne mitihm darüber zu sprechen. Das können Sie ihm weitervorwerfen.
– Er hat sich für weit mehr entschuldigt, weil er den Prä-sidenten des Bundesnachrichtendienstes ohne sein Zutunin eine missliche Lage gebracht hat.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21829
Patrick Döring
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Statt das zu respektieren und sich inhaltlich mit die-sem Besuch und den fünf weiteren Besuchen des HerrnMinisters in Afghanistan auseinanderzusetzen, plusternSie sich hier auf und erwecken den Eindruck, inDeutschland sei eine Staatsaffäre passiert. Das Einzige,was hier passiert ist, ist eine Blamage für die Opposition.Vielen Dank.
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Fritz
Rudolf Körper. Bitte schön, Kollege Körper.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Dass der Generalsekretärseinen Minister verteidigt, haben wir alle erwartet. Aberdass er dies mit solch schwachen Argumenten tut, de-klassiert ihn außerordentlich.
Was war eigentlich im März 2012 in Kabul los? Einbundesdeutscher Minister namens Dirk Niebel reistenach Kabul und wollte einen Teppich kaufen;
denn er bestellte für den privaten Kauf von AuslegewareTeppichhändler in die deutsche Botschaft. Die deutscheBotschaft hat es aber nicht verdient, zum orientalischenBasar zu werden.
Im Grunde genommen zeigt dieses Vorgehen – ichwollte meine Rede eigentlich sehr ruhig und gelassenhalten –
die Haltung. Darum geht es mir.
Ich finde, diese Vorgehensweise ist ein Missbrauch derdeutschen Botschaft und der dort Arbeitenden, selbstwenn das am Ende der Dienstreise war.
Herr Niebel befand sich auf Dienstreise. Ich glaube, esgehört zur Vorbildfunktion eines Ministers, dass manPrivates und Dienstliches nicht so kunterbunt vermischt,wie er es getan hat. Er ist hier seiner Vorbildfunktion ab-solut nicht gerecht geworden.
Ich sage noch etwas zur Haltung, Herr KollegeLindner; auch das sollte man schildern. Herr Niebelhätte seinen Teppich privat transportieren lassen könnenwie jeder andere Otto Normalverbraucher. Aber dies istdem Minister überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Erhat abgewartet, wann er beim Transport ein Schnäpp-chen machen kann. Ich sage: Mit dieser Haltung disqua-lifiziert sich Herr Niebel selbst.
Es geht mir um die Haltung. Diese wird beispiels-weise auch daran deutlich, dass er den Bundesnachrich-tendienst in fahrlässiger Art und Weise in die Bredouillegebracht hat, weil nicht klar gewesen ist, dass es sich umeinen privat gekauften Teppich handelte. Der Bundes-nachrichtendienst hat den Teppich in der Annahme, ersei ein Gastgeschenk für die Bundesregierung, transpor-tiert. Lieber Herr Niebel, auch das beschreibt Ihre Hal-tung. Sie sind Ihrer Informationspflicht nicht nachge-kommen. Das muss man deutlich sagen.
Sie können mich für kleinlich halten. Ich war schoneinmal Mitglied der Bundesregierung.
– Ja, das mag sein; aber, lieber Herr Lindner, solangeman Dienstliches und Privates nicht auseinanderhaltenkann, werden wir alle angreifbar,
weil die Menschen zu Recht sagen: So sind die alle. –Deswegen hat diese Haltung, die von Herrn Niebel anden Tag gelegt worden ist, einen großen Schaden an un-serem politischen System verursacht.
Lieber Herr Lindner, wenn Sie sehen, wie über diesenVorgang in der Öffentlichkeit diskutiert worden ist, wis-sen Sie, dass es keine Lappalie ist. Ich gebe zu, dass esauch keine Staatsaffäre ist, aber es ist keine Lappalie.
Man muss wissen, dass dies eine Verhaltensweise wider-spiegelt.
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21830 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
Fritz Rudolf Körper
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Es ist letztendlich auch nicht Aufgabe des Fahrers desMinisters, den privat gekauften Teppich am Flugzeugabzuholen.
– Sie nennen das Stichwort Ulla Schmidt. Ich erinnereSie daran, in welcher gehässigen Art und Weise Sie mitUlla Schmidt in der Frage der Nutzung ihres Dienstwa-gens umgegangen sind. Das war nicht in Ordnung. Daswar schäbig.
– Nein, es ist nicht in Ordnung, dass der Fahrer den Tep-pich abgeholt hat. Das ist nicht seine Aufgabe.Ich finde, Herr Niebel, dass die öffentliche Kommuni-kation in dieser Sache sehr läppisch gewesen ist.
Ich zitiere Ihren Pressesprecher. Er sagte auf der Presse-konferenz:Das ist tatsächlich einfach liegen geblieben, wie soetwas eben einfach liegen bleiben kann.Ignoranter kann eine Aussage nicht sein.Herr Niebel, gehen Sie in sich, denken Sie nach, undsagen Sie nicht einfach nur, Sie hätten einen Fehler ge-macht. Das war mehr als ein Fehler. Wie Sie damit um-gehen, überlasse ich Ihnen.Herzlichen Dank.
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Florian Hahn.
Bitte schön, Kollege Florian Hahn.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Diese Ak-tuelle Stunde ist so ärgerlich und überflüssig wie derFehler, um den es hier geht.Worüber reden wir? Bundesminister Niebel hat einenin Afghanistan hergestellten und nicht billigen Teppichgekauft. Dies ist im Interesse der Menschen und derWirtschaft von Afghanistan. Ich begrüße den Kauf daherausdrücklich. Ich ermuntere jeden, der nach Afghanistanoder in andere arme Länder reist, dort Produkte aus loka-ler Produktion zu kaufen und mit nach Hause zu neh-men.
Dies ist auch ein Gebot der Glaubwürdigkeit,
wenn wir gleichzeitig die Entwicklung einer örtlichenWirtschaft zur Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze an-mahnen und in der Entwicklungspolitik aktiv unterstüt-zen.
Die Kritik des Kollegen Raabe, es gehe Bundesminis-ter Niebel nur um seine persönlichen Bedürfnisse,
geht völlig ins Leere. Es wäre für die Menschen in denEntwicklungsländern ein ganz fatales Ergebnis, wenn alsFolge dieses Vorfalls kein Politiker mehr örtliche Pro-dukte kaufen würde.
Mit Ihrer unsachlichen und diffamierenden Kritik, HerrRaabe, hätten Sie dieses Ergebnis zulasten der Entwick-lungsländer zu verantworten.
Völlig richtig ist natürlich, dass Transport und Ein-fuhr privat erworbener Waren korrekt abgewickelt wer-den müssen.
Dabei dürfen dem Steuerzahler keine Kosten entstehen.Ich sehe aber nicht, dass die Nutzung des Flugzeugs desBND solche Kosten verursacht hat.
Wäre Bundesminister Niebel mit einer Regierungs-maschine geflogen, wäre wohl niemand auf die Idee ge-kommen, zu kritisieren, dass er einen privat erworbenenTeppich im Gepäck mit nach Hause nimmt. Natürlichmüssen Einfuhrabgaben wie Zölle und Mehrwertsteuerregelgerecht entrichtet werden. Bundesminister Niebelhat die diesbezüglichen Fehler eingeräumt, sich ent-schuldigt und unverzüglich das Verfahren eingeleitet,um die Einfuhrabgaben nachzuentrichten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21831
Florian Hahn
(C)
(B)
Sie versuchen, aus einer Mücke einen Elefanten zumachen. Sie versuchen, einen Fehler, den der Ministersofort eingeräumt und geheilt hat, künstlich zu einemSkandal aufzublasen. Einmal mehr scheuen Sie sichnicht, Ihre parteipolitischen Interessen in den Vorder-grund zu stellen – des Ansehens unseres Landes und derpolitischen Klasse ungeachtet. Wenn Sie bei einer zuge-gebenermaßen unnötigen, aber in der Substanz geringenVerfehlung immer gleich ein Teeren und Federn fordern,dann trägt das in der Bevölkerung nicht zur Stärkung desVertrauens in die politische Klasse bei.
Uns allen sollte dieser Vorfall eine Lehre sein: Wirhaben peinlichst genau darauf zu achten, privates unddienstliches Handeln so voneinander zu trennen, dassalle Regeln eingehalten werden und unser privates Han-deln nicht der Öffentlichkeit zur Last fällt.Der Öffentlichkeit zur Last fällt allerdings diese abso-lut überflüssige Aktuelle Stunde. Sie stiehlt uns wichtigeZeit, die wir nutzen könnten, um über drängende politi-sche Themen zu sprechen, und sie löst keine Entwick-lungsprobleme. Man kann es allerdings auch als gutesZeichen werten, dass die Opposition eine AktuelleStunde zu diesem Thema beantragt hat. Offenbar gibt essonst keine Kritik an der Entwicklungspolitik der Koali-tion.
Angesichts unserer positiven Bilanz ist das auch lo-gisch. Die Koalition hat mit der Vorfeldreform einenzentralen Erfolg bei der Schaffung von mehr Kohärenzund Effizienz erzielt. Wir haben deutlich umgesteuert,und zwar in Richtung der Förderung nachhaltiger Ent-wicklung; das heißt, für gute Regierungsführung, fürmehr Bildung und Berufsbildung,
für die Förderung der Privatwirtschaft in den Entwick-lungsländern, um Arbeitsplätze zu schaffen, für mehrKlimaschutz und die Bewahrung der Schöpfung, für einebessere Ernährungssicherheit und für produktivereLandwirtschaft.
In vielen Bereichen wurden die Mittel deutlich gestei-gert. Diese Bilanz der christlich-liberalen Koalition kannsich sehen lassen. Davon darf und kann der verunglückteKauf eines Teppichs nicht ablenken.Vielen Dank.
Letzte Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau
Dr. Barbara Hendricks. Bitte schön, Frau Kollegin
Dr. Hendricks.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wollen wir den Sachverhalt des fliegenden Teppichs desHerrn Niebel doch einmal unter steuerrechtlichen Ge-sichtspunkten prüfen:
Herr Niebel hat sich entschieden, nach § 371 der Ab-gabenordnung eine Selbstanzeige zu erstatten; Frau Kol-legin Koczy hat darauf schon hingewiesen. Er hat diesgetan, nachdem er von Redakteuren von Spiegel Onlineangerufen oder auf andere Weise kontaktiert wurde. DieFinanzverwaltung wird zu prüfen haben, ob diese Selbst-anzeige rechtzeitig erfolgt ist oder ob sie nicht doch– weil der Sachverhalt schon öffentlich war; wenn viel-leicht noch nicht öffentlich, so doch an anderer Stelle be-kannt – zu spät erfolgt ist.
Dieser Sachverhalt wird durch die Finanzverwaltung zuprüfen sein.
Wir stellen also fest, dass wir es hier nicht mit einembloßen Fehler, sondern zumindest mit dem Versuch derSteuerhinterziehung zu tun haben. Ob dieser Versuchvollendet ist, wird die Finanzverwaltung festzustellenhaben.
– Nein, ich weiß, dass das richtig ist. Man kann tatsäch-lich Straftaten auch aus Unachtsamkeit begehen. Das istzweifellos möglich.
Auch wenn es nur Unachtsamkeit gewesen wäre, wäremöglicherweise trotzdem ein Straftatbestand erfüllt. Ober vollendet ist, werden die Finanzverwaltung und in derFolge die Gerichte klären.
Metadaten/Kopzeile:
21832 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012
Dr. Barbara Hendricks
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– Ja, wir haben unabhängige Gerichte, sie werden sichdamit auseinandersetzen. Zunächst wird die Finanzver-waltung prüfen und anschließend möglicherweise dieStaatsanwaltschaft, möglicherweise aber auch nicht.Es handelt sich hier aber nicht um einen einfachenBürger, sondern um einen Bundesminister, und ein Bun-desminister muss sich im Zweifelsfall eben auch diesemParlament und nicht nur der Finanzverwaltung und denunabhängigen Gerichten stellen.
Dies hat er getan, indem er gesagt hat, er habe einenFehler begangen, diesen räume er ein und es tue ihmleid.Was ist denn zum Beispiel mit einem 14-Jährigen, derim Supermarkt eine Schachtel Zigaretten klaut,
am Ausgang des Supermarktes erwischt wird und sagt:„Es tut mir leid“?
Der Detektiv kann ihn natürlich trotzdem der Straf-verfolgung überantworten. Ob er dann verurteilt wird, isteine andere Frage. Möglicherweise muss er Sozialstun-den leisten. So etwas in der Art kann folgen.
– Herr Döring, ich komme gerne auf Sie zurück.Es ist völlig richtig: „Steuerpflichtig ist, wer ein-führt“. Hier und heute und auch schon durch die Äuße-rungen, die Sie bisher öffentlich gemacht haben, tun Sieaber wirklich etwas, was eines Bundestagsabgeordnetennicht würdig ist. Sie wollen den Minister exkulpieren,indem Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bot-schaft und den Präsidenten des Bundesnachrichtendiens-tes
für etwas verantwortlich machen, was sie wirklich nichtzu verantworten haben.
– Entschuldigung, Herr Präsident!
Das Wort hat die Frau Kollegin Dr. Hendricks.
Vielleicht bekomme ich hinterher ja eine Minute ex-
tra.
– Herr Lindner, ich erinnere an die Worte des Kollegen
van Aken. Das reicht, was Sie anbelangt. Danke schön.
Sie sagen, derjenige, der einführt, sei derjenige, der
hinterzogen hat. Damit unterstellen Sie doch, dass der
Präsident des Bundesnachrichtendienstes diese Steuer-
hinterziehung begangen hätte. Das können Sie als Abge-
ordneter doch nicht ernsthaft tun.
– Wissen Sie, ich erinnere noch einmal an die Worte des
Kollegen van Aken. Für alle Zuhörer: Er ist der berühm-
teste Eierkrauler dieses Parlaments.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wort hat die
Frau Kollegin Dr. Hendricks.
Es ist eben nicht damit getan, dass man sagt: Ich habeda einen Fehler begangen.Herr Niebel, haben Sie denn vom Bundesnachrichten-dienst eigentlich zum Beispiel schon die Transportkos-ten in Rechnung gestellt bekommen? Die Transport-kosten sind nämlich genauso wie der KaufpreisBemessungsgrundlage für die Einfuhrumsatzsteuer von19 Prozent und für die Zollabgabe von 3 Prozent. Alsomüssen die Transportkosten zum Warenwert des Tep-pichs hinzugerechnet werden. Es ist also nicht mit19 Prozent von 1 000 Euro getan, sondern hinzu kom-men noch die Transportkosten. Haben Sie die Transport-kosten entrichtet?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. Juni 2012 21833
Dr. Barbara Hendricks
(C)
(B)
Wenn Ihnen der Bundesnachrichtendienst diese Trans-portkosten nicht in Rechnung stellt, dann müssen Siedies als geldwerten Vorteil versteuern. Haben Sie dasschon gemacht?Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Ihre strafbe-freiende Selbstanzeige möglicherweise gar nicht strafbe-freiend ist, weil sie nicht vollumfänglich abgegebenworden ist.
Hier sind nämlich mehrere Sachverhalte, die Sie allemAnschein nach auch im Nachhinein nicht beachtet ha-ben. Dies ist nicht unerheblich für einen Bundesminister.
Es ist in der Tat so: Diese Koalition nimmt für sich inAnspruch, eine bürgerlich-liberale Koalition zu sein.
Frau Kollegin, würden Sie bitte zum Schluss kom-
men?
Wäre es möglich, dass Sie einmal darüber nachden-
ken, ob der bürgerliche Anstand noch bei allen von Ih-
nen vorhanden ist?
Frau Kollegin, wir werden bei allen Debatten darauf
zu achten haben, ob wir alle Begriffe immer so parla-
mentarisch anwenden, um den einzelnen Kollegen je-
weils in der Form anzusprechen, wie es unter Kollegen
immer üblich sein sollte.
Insofern werden wir noch einmal nachlesen, wie Sie das
formuliert haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 14. Juni 2012,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.