Protokoll:
17169

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 169

  • date_rangeDatum: 23. März 2012

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 09:51 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/169 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 169. Sitzung zugleich 894. Sitzung des Bundesrates Berlin, Freitag, den 23. März 2012 I n h a l t : Eidesleistung des Bundespräsidenten ge- mäß Art. 56 Grundgesetz Ansprache des Präsidenten des Deutschen Bundestages Prof. Dr. Norbert Lammert . . Ansprache des Präsidenten des Bundesrates Horst Seehofer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eidesleistung des Bundespräsidenten Dr. h. c. Joachim Gauck . . . . . . . . . . . . . . . Ansprache des Bundespräsidenten Dr. h. c. Joachim Gauck . . . . . . . . . . . . . . . Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 20079 A 20080 D 20081 D 20082 A 20085 A Inhaltsverzeichnis Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2012 20079 (A) (C) (D)(B) 169. Sitzung zugleich 894. Sitzung des Bundesrates Berlin, Freitag, den 23. März 2012 Beginn: 9.01 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2012 20085 (A) (C) (D)(B) Anlage zum Stenografischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 23.03.2012 Barchmann, Heinz- Joachim SPD 23.03.2012** Barnett, Doris SPD 23.03.2012* Blumenthal, Sebastian FDP 23.03.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 23.03.2012 Bülow, Marco SPD 23.03.2012 Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 23.03.2012 Ehrmann, Siegmund SPD 23.03.2012 Ferner, Elke SPD 23.03.2012 Fritz, Erich G. CDU/CSU 23.03.2012* Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 23.03.2012 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 23.03.2012 Goldmann, Hans- Michael FDP 23.03.2012 Granold, Ute CDU/CSU 23.03.2012 Groschek, Michael SPD 23.03.2012 Groß, Michael SPD 23.03.2012 Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 23.03.2012 Dr. Hendricks, Barbara SPD 23.03.2012 Hunko, Andrej DIE LINKE 23.03.2012* Dr. h. c. Koppelin, Jürgen FDP 23.03.2012 Kossendey, Thomas CDU/CSU 23.03.2012 Kramme, Anette SPD 23.03.2012 Krischer, Oliver BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.03.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.03.2012 Lanfermann, Heinz FDP 23.03.2012 Lay, Caren Nicole DIE LINKE 23.03.2012 Lindner, Christian FDP 23.03.2012 Luksic, Oliver FDP 23.03.2012 Menzner, Dorothée DIE LINKE 23.03.2012 Dr. Middelberg, Mathias CDU/CSU 23.03.2012 Möller, Kornelia DIE LINKE 23.03.2012 Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.03.2012 Müller (Aachen), Petra FDP 23.03.2012 Nahles, Andrea SPD 23.03.2012 Nestle, Ingrid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.03.2012 Nietan, Dietmar SPD 23.03.2012 Nord, Thomas DIE LINKE 23.03.2012 Dr. Ott, Hermann E. BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.03.2012 Pieper, Cornelia FDP 23.03.2012 Poland, Christoph CDU/CSU 23.03.2012 Dr. Ratjen-Damerau, Christiane FDP 23.03.2012 Sager, Krista BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.03.2012 Schaaf, Anton SPD 23.03.2012 Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU 23.03.2012 Schieder (Schwandorf), Marianne SPD 23.03.2012 Schlecht, Michael DIE LINKE 23.03.2012 Schmidt (Bochum), Frithjof BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.03.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 20086 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. März 2012 (A) (C) (D)(B) * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der Union für den Mittelmeerraum Schwanitz, Rolf SPD 23.03.2012 Seif, Detlef CDU/CSU 23.03.2012 Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 23.03.2012 Steinbach, Erika CDU/CSU 23.03.2012 Stracke, Stephan CDU/CSU 23.03.2012 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.03.2012 Ulrich, Alexander DIE LINKE 23.03.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 23.03.2012 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 23.03.2012 Werner, Katrin DIE LINKE 23.03.2012 Dr. Westerwelle, Guido FDP 23.03.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 169. Sitzung zugleich 894. Sitzung des Bundesrates Inhaltsverzeichnis Eidesleistung des Bundespräsidenten gemäßArt. 56 Grundgesetz Anlage
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716900000

Nehmen Sie bitte Platz.

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich eröffne die gemeinsame Sit-
zung des Bundestages und des Bundesrates nach Art. 56
des Grundgesetzes.

Auch im Namen des Präsidenten des Bundesrates be-
grüße ich alle Gäste aus dem In- und Ausland, die Besu-
cher auf den Tribünen und die Zuschauer, die diese Ver-
anstaltung an den Fernsehgeräten oder über das Internet
verfolgen. Ich heiße Sie alle herzlich willkommen.

Besonders herzlich begrüße ich Herrn Bundespräsi-
denten Dr. Joachim Gauck mit seiner Lebensgefährtin
Daniela Schadt und seinen Vorgänger im Amt, Herrn
Bundespräsidenten Christian Wulff, und seine Frau
Bettina sowie auf der Ehrentribüne die Bundespräsiden-
ten Dr. Richard von Weizsäcker, Professor Roman
Herzog und Professor Horst Köhler mit ihren Ehefrauen.


(Beifall)


Ich begrüße die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela
Merkel, und das Kabinett und den Präsidenten des Bun-
desverfassungsgerichts, Herrn Professor Voßkuhle.

Mit besonderer Freude heiße ich stellvertretend für
alle Ehrengäste den Staatssekretär beim polnischen Mi-
nisterpräsidenten und Beauftragten für den internationa-
len Dialog, Herrn Professor Bartoszewski, heute Morgen
im Deutschen Bundestag willkommen.


(Beifall)


Verehrter Herr Bartoszewski, wir registrieren mit Res-
pekt und Bewunderung, wie Sie sich auch vier Wochen
nach Ihrem 90. Geburtstag nach wie vor unermüdlich für
die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern ein-
setzen.


(Beifall)


Meine Damen und Herren, die Vereidigung des Bun-
despräsidenten ist die erste und zugleich beste Gelegen-
heit, zweierlei zu verbinden: die guten Wünsche für das

neue Staatsoberhaupt und den Dank an den Vorgänger
im Amt. Für mich ist es auch und gerade mit Blick auf
die letzten Wochen ein Gebot der Redlichkeit wie der
politischen Kultur, Christian Wulff nicht nur für manche
nachwirkenden Initiativen und Impulse seiner Amtszeit
als Bundespräsident zu danken, sondern zugleich auch
für das, was er in drei Jahrzehnten politischer Arbeit für
seine Heimatstadt, für Niedersachsen und für unser Land
geleistet hat.


(Beifall)


Das eingeübte Zusammenwirken von Bundestag und
Bundesrat mit verteilten Rollen zeigt sich heute in der
Verständigung darüber, dass ich mich zunächst an den
neuen, heute zu vereidigenden Bundespräsidenten wen-
den werde, dann im Anschluss der Herr Bundesratspräsi-
dent sich an dessen Vorgänger Christian Wulff.

Meine Damen und Herren, wir vereidigen heute den
elften deutschen Bundespräsidenten, den ersten, der
nicht aus dem Westen kommt und nicht direkt aus einem
anderen hohen politischen Amt. Es zeigt den eben doch
unaufhaltsamen Fortschritt der inneren Einheit unseres
geeinten Landes, dass Joachim Gauck das erste Staats-
oberhaupt der Bundesrepublik Deutschland ist, das in
der DDR aufgewachsen ist. Zum Verständnis seines bis-
herigen öffentlichen Wirkens ist seine Erfahrung des
Lebens unter den Bedingungen von Diktaturen nicht
wegzudenken. Joachim Gauck weiß aus eigener An-
schauung, was ein Leben in Gängelung, Bevormundung
und Unfreiheit bedeutet und was die Kraft der Freiheit
vermag.

Sehr verehrter Herr Bundespräsident, lieber Herr
Dr. Gauck, als Sie am 18. März 1990 bei der ersten
freien Wahl zur Volkskammer Ihre Stimme abgaben, da
sei, so haben Sie gesagt,

alle Freiheit Europas in das Herz des Einzelnen ge-
kommen. Ich wusste: Nie, nie und nimmer wirst du
auch nur eine Wahl versäumen.

Diesen Satz haben Sie feierlich bekräftigt, als Sie,
22 Jahre später, in der Bundesversammlung selbst zur





Präsident Prof. Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Wahl standen – für das höchste Amt, das unser Land zu
vergeben hat. Vor wenigen Tagen wurden Sie mit über-
wältigender Mehrheit zum elften Bundespräsidenten der
Bundesrepublik Deutschland gewählt.

Sie haben seit Wiederherstellung der deutschen Ein-
heit stets dafür geworben, statt – Zitat – „Trübsal zu bla-
sen“, sich über die gewonnene Einheit in Freiheit dankbar
zu freuen. Heute, lieber Herr Gauck, freuen sich viele in
unserem Land mit Ihnen. Ihre Wahl ausgerechnet am
18. März ist mehr als eine hübsche Pointe. Mit Ihrer Wahl
und Vereidigung zum Staatsoberhaupt schreibt die deut-
sche Einheitsgeschichte vielmehr ein weiteres, neues Ka-
pitel.

Herr Bundespräsident, als erster Bundesbeauftragter
für die Stasi-Unterlagen haben Sie konsequent zur Auf-
arbeitung der SED-Diktatur mit den Mitteln des Rechts-
staates beigetragen. Dabei ist Ihnen und Ihren Mitarbei-
tern, den Beteiligten wie Betroffenen die Erfahrung
nicht erspart geblieben, dass der Rechtsstaat vieles leis-
ten kann, aber seinen Prinzipien folgend selbst gesetzte
Grenzen respektieren muss, die nicht selten das Gerech-
tigkeitsempfinden vieler Menschen verletzen. Für Sie
war es dabei stets handlungsleitend, wo immer möglich,
zurückzugeben oder wiederherzustellen, was in der Dik-
tatur vielen genommen worden war: die Würde des
Menschen. Sie ist es, was zu Ihrem Lebensthema wurde,
als Pfarrer, Bürgerrechtler und als politisch denkender
und handelnder Mensch.

Die Würde des Menschen umfasst beileibe nicht nur,
aber doch wesentlich die Freiheit. Politisch bedeutet sie
in einer pluralistisch verfassten Gesellschaft, dass es ne-
ben dem eigenen Standpunkt stets auch andere berech-
tigte und gut begründete Meinungen geben darf. Freie
Gesellschaften erlauben nicht nur Widerspruch, sie brau-
chen ihn.

Demokratie ist gerade kein Verfahren zur Vermeidung
von Streit, sondern ein Verfahren zur fairen Austragung
unterschiedlicher Interessen und Meinungen. Auch ein
Bundespräsident, der von einem großen Konsens getra-
gen wird, kann den unverzichtbaren Grundkonsens für
den legitimen Streit in unserer Gesellschaft nicht alleine
stiften und bewahren, ohne den es keine stabile und le-
bendige Demokratie gibt, aber er kann durch die Autori-
tät seines Amtes und seiner Person wesentlich dazu bei-
tragen.

In einem Vortrag vor genau einem Jahr hat Joachim
Gauck festgehalten, dass wir – ich darf ihn zitieren – „so
gerne eine letzte Autorität“ hätten, „die wir anrufen kön-
nen bei all diesen Streitfragen, wenn sich unsere Parteien
und Politiker nicht einigen. Aber ebendiese Unsicherheit
müssen wir aushalten.“ Tatsächlich ist in unserem demo-
kratischen Gemeinwesen für eine solche letzte Autorität
kein Platz. Das gilt sogar für das Amt des Bundespräsi-
denten.

Lieber Herr Gauck, es ist gut, dass Sie gleich nach Ih-
rer Nominierung gesagt haben, Sie seien weder ein Su-
permann noch ein fehlerloser Mensch. Das eine ist so
beruhigend wie das andere.


(Heiterkeit)


Mit diesem Bekenntnis, das vielleicht manche über-
rascht hat,


(Heiterkeit)


haben Sie in Erinnerung gerufen, dass zu den notwendi-
gen Voraussetzungen für die Übernahme einer politi-
schen Funktion keine übermenschlichen Fähigkeiten ge-
hören. Ämter werden von Menschen ausgefüllt, die mit
dem Amt zwar Verantwortung übernehmen, aber durch
das Amt weder unfehlbar noch unantastbar werden. Ei-
nen Anspruch auf Respekt und Würde haben im demo-
kratischen Rechtsstaat nicht nur Staatsoberhäupter; aber
dieser selbstverständliche Anspruch muss sicher auch
für diejenigen gelten, die – durch Wahlen legitimiert –
für begrenzte Zeit hohe Ämter in diesem und für diesen
Staat ausüben.


(Beifall)


Herr Bundespräsident, Sie werden getragen von einer
Woge der Sympathie. Es ist Ihnen und Ihrem Amt zu
wünschen, dass dies so bleibt – nicht nur am Beginn ei-
ner fünfjährigen Amtszeit. Die Erwartungen, die an das
Amt gestellt werden, sind hoch. Und die Hoffnungen,
die sich auf Ihre Person richten, sind vielleicht noch grö-
ßer. Wer ein Amt übernimmt, braucht das Vertrauen der
Menschen, die er vertreten soll. Sie, lieber Herr Gauck,
sehr geehrter Herr Bundespräsident, genießen dieses
Vertrauen, und wir alle wünschen Ihnen bei Ihrer Amts-
führung alles Gute und vor allem eine stets glückliche
Hand zum Wohle der Menschen in unserem Land. Und
ganz persönlich wünsche ich Ihnen, dass Sie – jedenfalls
gelegentlich – auch Freude an der Wahrnehmung dieses
hohen Amtes haben.

Das Wort hat nun der Präsident des Bundesrates, der
in den letzten Wochen die Befugnisse des Bundespräsi-
denten wahrgenommen hat. Damit verband sich, wie
Sie, Herr Bundesratspräsident, lieber Herr Seehofer, be-
kannt haben, eine – Zitat – „schöne Erfahrung“ für die
eigene politische Tätigkeit – aber natürlich auch eine zu-
sätzliche Arbeitsbelastung. Ihre Aufgaben haben Sie mit
bayrisch-präsidialer Souveränität fast unauffällig ausge-
führt.


(Heiterkeit und Beifall)


Dafür gebühren Ihnen unser Dank und unsere Anerken-
nung.

In diesem Hause, meine Herren Präsidenten, wird
nicht allzu häufig gelobt – schon gar nicht überpartei-
lich. Deshalb genießen Sie alle miteinander diesen Tag.
Es kommen auch wieder andere.


(Heiterkeit und Beifall)


Herr Bundesratspräsident.

Horst Seehofer, Präsident des Bundesrates:
Meine sehr verehrten Herren Präsidenten! Sehr ver-

ehrte Frau Bundeskanzlerin! Exzellenzen! Meine Damen
und Herren! Ich möchte in dieser gemeinsamen Sitzung
des Deutschen Bundestages und des Bundesrates Ihnen,
lieber Herr Bundespräsident Gauck, zuallererst im Na-
men des Bundesrates, der vollständig angetreten ist, zu





Präsident des Bundesrates Horst Seehofer


(A) (C)



(D)(B)


Ihrer Wahl herzlich gratulieren und Ihnen für Ihr Amt al-
les Gute wünschen.


(Beifall)


Ich möchte zugleich Ihrem Vorgänger im Amt, Herrn
Bundespräsidenten Christian Wulff, und seiner Frau
Bettina Wulff danken.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Wulff, Sie haben
in Ihrer Amtszeit wichtige Impulse für Zusammenhalt
und Integration gesetzt, Impulse, die bleiben werden. Sie
haben immer wieder für den Dialog der Kulturen gewor-
ben. Es ging Ihnen um ein Deutschland, das offen für die
Vielfalt der Traditionen und Kulturen ist, das sich der
Welt zuwendet, um gemeinsame Lösungen für die gro-
ßen Herausforderungen unserer Zeit voranzubringen. In
Erinnerung bleibt Ihr mutiges Eintreten für die Grund-
werte einer offenen Gesellschaft, für Toleranz, für Reli-
gionsfreiheit, für die Menschenrechte im In- und Aus-
land. Lieber Herr Bundespräsident Wulff, ich danke
Ihnen für das, was Sie für Deutschland geleistet haben –
in unserem Land und in der ganzen Welt.


(Beifall)


Verehrte Frau Wulff, mit Souveränität und Herzlich-
keit haben Sie die Sympathie der Menschen in unserem
Lande gewonnen. Sie haben dem modernen Deutschland
ein Gesicht gegeben. Ihr soziales Engagement gehört zu
den besonderen Verdiensten, die ich hervorheben
möchte. Ich nenne nur Ihren Einsatz für Kinder in
schwierigen sozialen Lagen, Ihr Wirken für UNICEF
Deutschland und in vielen weiteren Stiftungen. Sie ha-
ben Ihre Aufgabe an der Seite des Bundespräsidenten
mit viel Herzblut und Überzeugungskraft zum Wohle der
Menschen in unserem Lande erfüllt. Auch Ihnen möchte
ich ganz herzlich für diesen Dienst danken.


(Beifall)


Sehr verehrter Herr Bundespräsident Gauck, lieber
Herr Gauck, im 23. Jahr nach dem Fall der Mauer ist
nach meiner Einschätzung Ihre Wahl ein wichtiger Mei-
lenstein in der Geschichte unseres Landes. Sie haben zu
unserem Vaterland eine ganz besondere, aus Ihrer Le-
bensgeschichte gewachsene tiefe Beziehung. Sie stehen
heute wie kaum ein Zweiter für den Satz der friedlichen
Revolution 1989 „Wir sind ein Volk!“.

Sie sind für viele ein Vorbild, eine Identifikationsfi-
gur. Sie werben bekanntlich für Freiheit und Verantwor-
tung, wo immer Sie können; eine Freiheit, die sich an
das Gemeinwohl bindet, eine Freiheit zur Verantwor-
tung, ohne die eine menschliche Gemeinschaft nicht vor-
stellbar ist, eine Freiheit, die mit Freude und Tatkraft er-
füllt wird. Es ist unser aller Auftrag, die Fackel dieser
Freiheit an kommende Generationen weiterzugeben.

Lieber Herr Gauck, Sie stehen für Mut und Zu-
kunftsoptimismus. Sie glauben an die Kraft des Einzel-
nen und die Stärke der Menschen. Sie stehen für Zu-
trauen statt Misstrauen. Sie stehen für Respekt und den
würdevollen Umgang miteinander. Genau deshalb sind
Sie mit überwältigender Mehrheit zum Bundespräsiden-
ten der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden.

Unsere Hoffnungen begleiten Sie zum Amtsantritt als
Staatsoberhaupt des ganzen, des vereinten Vaterlandes.

Ich erlaube mir noch einen zarten Hinweis aus der
Sicht der Bundesländer, des Bundesrates: Deutschlands
Stärke liegt in seiner regionalen Vielfalt und in der Ei-
genständigkeit seiner Länder.


(Heiterkeit und Beifall)


– Das ist ein praktiziertes Minderheitenrecht in diesem
Hause.


(Heiterkeit)


Deshalb wiederhole ich: Deutschlands Stärke liegt in
seiner regionalen Vielfalt und in der Eigenständigkeit
seiner Länder. Die föderale Ausrichtung des Präsidial-
amtes, die Zusammensetzung der Bundesversammlung
und die Bestimmungen zur Vereidigung des Staatsober-
hauptes sind ein klares Bekenntnis zur föderalen Viel-
falt.

Der Bundespräsident, lieber Herr Gauck, wird von
den Menschen in allen Ländern getragen. Ich wünsche
Ihnen im Namen des Bundesrates aus tiefem Herzen
Glück, Erfolg und Gottes Segen.


(Beifall)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716900100

Vielen Dank, Herr Bundesratspräsident.

Meine Damen und Herren, am 18. März dieses Jahres
hat die Bundesversammlung Herrn Dr. h. c. Joachim
Gauck zum Bundespräsidenten der Bundesrepublik
Deutschland gewählt. Herr Dr. Gauck hat vor der Bun-
desversammlung die Wahl angenommen und damit das
Amt des Bundespräsidenten angetreten.

Nach Art. 56 des Grundgesetzes leistet der Bundes-
präsident bei seinem Amtsantritt vor den versammelten
Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates den
vorgeschriebenen Eid. Ich bitte Sie, Herr Bundespräsi-
dent, zu mir zu kommen, um den Eid zu leisten, und darf
auch den Herrn Bundesratspräsidenten dazubitten.


(Die Anwesenden erheben sich)


Herr Bundespräsident, ich halte in meinen Händen die
Urschrift unseres Grundgesetzes und darf Sie bitten, den
in Art. 56 vorgesehenen Eid zu leisten.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1716900200

Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des

deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Scha-
den von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze
des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten ge-
wissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann
üben werde. So wahr mir Gott helfe.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716900300

Herzlichen Dank und alle guten Wünsche!


(Anhaltender Beifall)


Herr Bundespräsident, Sie haben den vom Grundge-
setz vorgesehenen Eid geleistet. Das Haus, alle anwesen-





Präsident Prof. Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


den Mitglieder von Bundestag und Bundesrat, auch die
Gäste, begleiten Sie mit ihren zum Ausdruck gebrachten
guten Wünschen. Wir freuen uns nun auf Ihre Anspra-
che.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1716900400

Herr Präsident des Deutschen Bundestages! Meine

sehr verehrten Damen und Herren! Liebe verehrte Mit-
bürgerinnen und Mitbürger aus dem In- und Ausland!
Zunächst Ihnen, Herr Präsident, meinen allerherzlichen
Dank für die unnachahmliche Führung dieser Sitzung
und für das leuchtende Beispiel in unser Land hinein,
dass Politik Freude machen kann.


(Beifall)


Herr Bundesratspräsident, Sie haben Worte gefunden,
die bei mir und sicher auch bei Herrn Bundespräsidenten
Wulff ein tiefes und nachhaltiges Echo hinterlassen ha-
ben. Ich danke Ihnen.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wie soll es denn
nun aussehen, dieses Land, zu dem unsere Kinder und
Enkel einmal sagen sollen „unser Land“? Geht die Ver-
einzelung in diesem Land weiter? Geht die Schere zwi-
schen Arm und Reich weiter auf? Verschlingt uns die
Globalisierung? Werden Menschen sich als Verlierer
fühlen, wenn sie an den Rand der Gesellschaft geraten?
Schaffen ethnische oder religiöse Minderheiten in ge-
wollter oder beklagter Isolation Gegenkulturen? Hat die
europäische Idee Bestand? Droht im Nahen Osten ein
neuer Krieg? Kann ein verbrecherischer Fanatismus in
Deutschland wie in anderen Teilen der Welt weiter fried-
liche Menschen bedrohen, einschüchtern und ermorden?

Jeder Tag, jede Begegnung mit den Medien bringt
eine Fülle neuer Ängste und Sorgen hervor. Manche er-
sinnen dann Fluchtwege, misstrauen der Zukunft, fürch-
ten die Gegenwart. Viele fragen sich: Was ist das eigent-
lich für ein Leben, was ist das für eine Freiheit? Mein
Lebensthema Freiheit ist dann für sie keine Verheißung,
kein Versprechen, sondern nur Verunsicherung. Ich ver-
stehe diese Reaktion, doch ich will ihr keinen Vorschub
leisten. Ängste – so habe ich es gelernt in einem langen
Leben – vermindern unseren Mut wie unser Selbstver-
trauen, und manchmal so entscheidend, dass wir beides
ganz und gar verlieren können, bis wir gar Feigheit für
Tugend halten und Flucht für eine legitime Haltung im
politischen Raum.

Stattdessen – da ich das nicht will – will ich meine Er-
innerung als Kraft und Kraftquelle nutzen, mich und uns
zu lehren und zu motivieren. Ich wünsche mir also eine
lebendige Erinnerung auch an das, was in unserem Land
nach all den Verbrechen der nationalsozialistischen Dik-
tatur und nach den Gräueln des Krieges gelungen ist. In
Deutschlands Westen trug es, dieses Gelungene, als Ers-
tes den Namen „Wirtschaftswunder“. Deutschland kam
wieder auf die Beine. Die Vertriebenen, gar die Ausge-
bombten, erhielten Wohnraum. Nach Jahren der Entbeh-
rung nahm der Durchschnittsbürger teil am wachsenden
Wohlstand, freilich nicht jeder im selben Maße.

Allerdings sind für mich die Autos, die Kühlschränke
und all der neue Glanz einer neuen Prosperität nicht das

Wunderbare jenes Jahrzehnts. Ich empfinde mein Land
vor allem als ein Land des „Demokratiewunders“. An-
ders als es die Alliierten damals nach dem Kriege fürch-
teten, wurde der Revanchismus im Nachkriegsdeutsch-
land nie mehrheitsfähig. Es gab schon ein Nachwirken
nationalsozialistischer Gedanken, aber daraus wurde
keine wirklich gestaltende Kraft. Es entstand stattdessen
eine stabile demokratische Ordnung. Deutschland West
wurde Teil der freien westlichen Welt.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte
in dieser Zeit blieb allerdings defizitär. Die Verdrängung
eigener Schuld, die fehlende Empathie mit den Opfern
des Naziregimes prägten den damaligen Zeitgeist. Erst
die 68er-Generation hat das nachhaltig geändert. Damals
war meine Generation konfrontiert mit dem tiefschwar-
zen Loch der deutschen Geschichte, als die Generation
unserer Eltern sich mit Hybris, Mord und Krieg gegen
unsere Nachbarn im Inneren wie im Äußeren vergingen.
Es war und blieb das Verdienst dieser Generation, der
68er: Es war ein mühsam errungener Segen, sich neu,
anders und tiefer erinnern zu können. Trotz aller Irr-
wege, die sich mit dem Aufbegehren der 68er auch ver-
bunden haben, hat sie die historische Schuld ins kollek-
tive Bewusstsein gerückt.


(Beifall)


Diese auf Fakten basierende und an Werten orientierte
Aufarbeitung der Vergangenheit wurde nicht nur rich-
tungsweisend für uns nach 1989 in Ostdeutschland. Sie
wird auch als beispielhaft von vielen Gesellschaften
empfunden, die ein totalitäres oder despotisches Joch ab-
geschüttelt haben und nicht wissen, wie sie mit der Last
der Vergangenheit umgehen sollen.

Das entschlossene Ja der Westdeutschen zu Europa ist
ein weiteres kostbares Gut der deutschen Nachkriegsge-
schichte, ein Erinnerungsgut, das uns wichtig bleiben
sollte. Konrad Adenauer, Kanzler des Landes, das eben
noch geprägt und dann ruiniert war vom Nationalismus,
wird zu einem der Gründungsväter einer zukunftsgerich-
teten europäischen Integration. Dankbarkeit und Freude!

So wie später – 1989, dieser nächste Schatz in unse-
rem Erinnerungsgut. Da waren die Ostdeutschen zu ei-
ner friedlichen Revolution imstande, zu einer friedlichen
Freiheitsrevolution. Wir wurden das Volk, und wir wur-
den ein Volk. Und nie vergessen: Vor dem Fall der
Mauer mussten sich die vielen ermächtigen. Erst wenn
die Menschen aufstehen und sagen: „Wir sind das Volk“,
werden sie sagen können: „Wir sind ein Volk“, werden
die Mauern fallen.


(Beifall)


Damals wurde auf ganz unblutige Weise auch der jahr-
zehntelange Ost-West-Gegensatz aus den Zeiten des
Kalten Krieges gelöscht, und die aus ihr erwachsende
Kriegsgefahr wurde besiegt und beseitigt.

Wenn ich so spreche, ist der Sinn dessen, dass ich
nicht nur über die Schattenseiten, über Schuld und Versa-
gen sprechen möchte. Auch jener Teil unserer Geschichte
darf nicht vergessen sein, der die Neugründung einer
politischen Kultur der Freiheit, die gelebte Verantwor-





Bundespräsident Dr. h. c. Joachim Gauck


(A) (C)



(D)(B)


tung, die Friedensfähigkeit und die Solidarität unseres
Volkes umfasst. Das ist kein Paradigmenwechsel in der
Erinnerungskultur. Das ist eine Paradigmenergänzung.
Sie soll uns ermutigen: Das, was mehrfach in der Vergan-
genheit gelungen ist, all die Herausforderungen der Zeit
anzunehmen und sie nach besten Kräften – wenn auch
nicht gleich ideal – zu lösen, das ist eine große Ermuti-
gung auch für uns in der Zukunft.


(Beifall)


Wie soll es nun also aussehen, dieses Land, zu dem
unsere Kinder und Enkel „unser Land“ sagen? Es soll
„unser Land“ sein, weil „unser Land“ soziale Gerechtig-
keit, Teilhabe und Aufstiegschancen verbindet. Der Weg
dazu ist nicht der einer paternalistischen Fürsorgepolitik,
sondern der eines Sozialstaates, der vorsorgt und er-
mächtigt. Wie dürfen nicht dulden, dass Kinder ihre Ta-
lente nicht entfalten können, weil keine Chancengleich-
heit existiert. Wir dürfen nicht dulden, dass Menschen
den Eindruck haben, Leistung lohne sich für sie nicht
mehr und der Aufstieg sei ihnen selbst dann verwehrt,
wenn sie sich nach Kräften bemühen. Wir dürfen nicht
dulden, dass Menschen den Eindruck haben, sie seien
nicht Teil unserer Gesellschaft, weil sie arm oder alt oder
behindert sind.

Freiheit ist eine notwendige Bedingung von Gerech-
tigkeit. Denn was Gerechtigkeit – auch soziale Gerech-
tigkeit – bedeutet und was wir tun müssen, um ihr näher-
zukommen, lässt sich nicht paternalistisch anordnen, nur
in intensiver demokratischer Diskussion und Debatte
klären. Umgekehrt ist das Bemühen um Gerechtigkeit
unerlässlich für die Bewahrung der Freiheit. Wenn die
Zahl der Menschen wächst, die den Eindruck haben, ihr
Staat meine es mit dem Bekenntnis zu einer gerechten
Ordnung in der Gesellschaft nicht ernst, sinkt das Ver-
trauen in die Demokratie. „Unser Land“ muss also ein
Land sein, das beides verbindet: Freiheit als Bedingung
für Gerechtigkeit und Gerechtigkeit als Bedingung da-
für, Freiheit und Selbstverwirklichung erlebbar zu ma-
chen.


(Beifall)


Sodann: In „unserem Land“ sollen auch alle zu Hause
sein können, die hier leben. Wir leben inzwischen in ei-
nem Staat, in dem neben die ganz selbstverständliche
deutschsprachige und christliche Tradition Religionen
wie der Islam getreten sind, auch andere Sprachen, an-
dere Traditionen und Kulturen, in einem Staat, der sich
immer weniger durch nationale Zugehörigkeit seiner
Bürger definieren lässt, sondern durch ihre Zugehörig-
keit zu einer politischen und ethischen Wertegemein-
schaft, in dem nicht ausschließlich die über lange Zeit
entstandene Schicksalsgemeinschaft das Gemeinwesen
bestimmt, sondern zunehmend das Streben der Unter-
schiedlichen nach dem Gemeinsamen: diesem unseren
Staat in Europa.


(Beifall)


Und wir finden dieses Gemeinsame in diesem unseren
Staat in Europa, in dem wir in Freiheit, Frieden und in
Solidarität miteinander leben wollen.

Wir wären allerdings schlecht beraten, wenn wir aus
Ignoranz oder falsch verstandener Korrektheit vor realen
Problemen die Augen verschließen würden. Hierauf hat
bereits Bundespräsident Johannes Rau in seiner Berliner
Rede vor zwölf Jahren eindrücklich und deutlich hinge-
wiesen. Aber in Fragen des Zusammenlebens dürfen wir
uns eben nicht letztlich von Ängsten, Ressentiments und
negativen Projektionen leiten lassen. Für eine einladende,
offene Gesellschaft hat Bundespräsident Christian Wulff
in seiner Amtszeit nachhaltige Impulse gegeben. Herr
Bundespräsident Wulff, dieses Ihr Anliegen wird auch
mir beständig am Herzen liegen.


(Beifall)


Unsere Verfassung, meine Damen und Herren, spricht
allen Menschen dieselbe Würde zu, ungeachtet dessen,
woher sie kommen, woran sie glauben oder welche
Sprache sie sprechen. Sie tut dies nicht als Belohnung
für gelungene Integration, sie versagt dies aber auch
nicht als Sanktion für verweigerte Integration. Unsere
Verfassung wie unser Menschsein tragen uns auf, im An-
deren geschwisterlich uns selbst zu sehen: begabt und
berechtigt zur Teilhabe wie wir.


(Beifall)


Der Philosoph Hans-Georg Gadamer war der Ansicht,
nach den Erschütterungen der Geschichte erwarte spe-
ziell uns in Europa eine „wahre Schule“ des Miteinan-
ders auf engstem Raum. „Mit dem Anderen leben, als
der Andere des Anderen leben“ – darin sah er die ethi-
sche und politische Aufgabe Europas. Dieses Ja zu Eu-
ropa gilt es nun ebenfalls zu bewahren. Gerade in Kri-
senzeiten ist die Neigung, sich auf die Ebene des
Nationalstaats zu flüchten, besonders ausgeprägt. Das
europäische Miteinander ist aber ohne den Lebensatem
der Solidarität nicht gestaltbar.


(Beifall)


Gerade in der Krise heißt es deshalb: Wir wollen mehr
Europa wagen.


(Beifall)


Mit Freude sehe ich, dass gerade auch die Mehrheit der
Deutschen diesem europäischen Gedanken wieder und
weiter Zukunft gibt.

Europa war für meine Generation Verheißung – auf-
bauend auf abendländischen Traditionen, dem antiken
Erbe einer gemeinsamen Rechtsordnung, dem christli-
chen und jüdischen Erbe. Für meine Enkel ist Europa
längst aktuelle Lebenswirklichkeit mit grenzüberschrei-
tender Freiheit und den Chancen und Sorgen einer offe-
nen Gesellschaft. Nicht nur für meine Enkel ist diese Le-
benswirklichkeit ein wunderbarer Gewinn.

Wie kann es noch aussehen, dieses Land, zu dem un-
sere Kinder und Enkel „unser Land“ sagen sollen? Nicht
nur bei uns, sondern auch in Europa und darüber hinaus
ist die repräsentative Demokratie das einzig geeignete
System, Gruppeninteressen und Gemeinwohlinteressen
auszugleichen.


(Beifall)






Bundespräsident Dr. h. c. Joachim Gauck


(A) (C)



(D)(B)


Das Besondere dieses Systems ist nicht seine Vollkom-
menheit, sondern dass es sich um ein lernfähiges System
handelt.

Neben den Parteien und anderen demokratischen In-
stitutionen existiert aber eine zweite Stütze unserer
Demokratie: die aktive Bürgergesellschaft. Bürgerinitia-
tiven, Ad-hoc-Bewegungen, auch Teile der digitalen
Netzgemeinde ergänzen mit ihrem Engagement, aber
auch mit ihrem Protest die parlamentarische Demokratie
und gleichen Mängel aus. Und: Anders als die Demokra-
tie von Weimar verfügt unser Land über genügend De-
mokraten, die dem Ungeist von Fanatikern, Terroristen
und Mordgesellen wehren. Sie alle bezeugen – aus un-
terschiedlichen politischen oder religiösen Gründen –:
Wir lassen uns unsere Demokratie nicht wegnehmen, wir
stehen zu diesem Land.


(Beifall)


Wir stehen zu diesem Land, nicht weil es so vollkommen
ist, sondern weil wir nie zuvor ein besseres gesehen ha-
ben.

Speziell zu den rechtsextremen Verächtern unserer
Demokratie sagen wir mit aller Deutlichkeit: Euer Hass
ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich.


(Beifall)


Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet
Vergangenheit sein, und unsere Demokratie wird leben.


(Beifall)


Die Extremisten anderer politischer Richtungen wer-
den unserer Entschlossenheit in gleicher Weise begeg-
nen. Und auch denjenigen, die unter dem Deckmantel
der Religion Fanatismus und Terror ins Land tragen und
die hinter die europäische Aufklärung zurückfallen, wer-
den wir Einhalt gebieten. Ihnen sagen wir: Die Völker
ziehen in die Richtung der Freiheit. Ihr werdet den Zug
vielleicht behindern, aber endgültig aufhalten könnt ihr
ihn nicht.


(Beifall)


Mir macht allerdings auch die Distanz vieler Bürge-
rinnen und Bürger zu den demokratischen Institutionen
Angst: die geringe Wahlbeteiligung, auch die Gering-
schätzung oder gar Verachtung von politischem Engage-
ment, von Politik und Politikern. „Was?“, so hören wir
es oft im privaten Raum, „du gehst zur Sitzung eines
Ortsvereins?“ „Wie bitte, du bist aktiv in einer Gewerk-
schaft?“ Manche finden das dann „uncool“. Ich frage
mich manchmal: Wo wäre eigentlich unsere Gesellschaft
ohne derlei Aktivitäten?


(Beifall)


Wir alle haben nichts von dieser Distanz zwischen Re-
gierenden und Regierten. Meine Bitte an beide, an Re-

gierende wie Regierte, ist: Findet euch nicht ab mit die-
ser zunehmenden Distanz.

Für die politisch Handelnden heißt das: Redet offen
und klar, dann kann verlorengegangenes Vertrauen wie-
dergewonnen werden.


(Beifall)


Den Regierten, unseren Bürgern, muten wir zu: Ihr seid
nicht nur Konsumenten. Ihr seid Bürger, das heißt Ge-
stalter, Mitgestalter. Wem Teilhabe möglich ist und wer
ohne Not auf sie verzichtet, der vergibt eine der schöns-
ten und größten Möglichkeiten des menschlichen Da-
seins – Verantwortung zu leben.


(Beifall)


Zum Schluss erlaube ich mir, Sie alle um ein Ge-
schenk zu bitten – um Vertrauen. Zuletzt bitte ich Sie um
Vertrauen in meine Person. Davor aber bitte ich Sie um
Vertrauen zu denen, die in unserem Land Verantwortung
tragen, wie ich diese um Vertrauen zu all den Bewohnern
dieses wiedervereinigten und erwachsen gewordenen
Landes bitte. Und davor wiederum bitte ich Sie alle, mu-
tig und immer wieder damit zu beginnen, Vertrauen in
sich selbst zu setzen. Nach einem Wort Gandhis kann
nur ein Mensch mit Selbstvertrauen Fortschritte machen
und Erfolge haben. Dies gilt für einen Menschen wie für
ein Land, so Gandhi.

Ob wir den Kindern und Enkeln dieses Landes Geld
oder Gut vererben werden, das wissen wir nicht. Aber
dass es möglich ist, nicht den Ängsten zu folgen, son-
dern den Mut zu wählen, davon haben wir nicht nur ge-
träumt, das haben wir gelebt und gezeigt. Gott und den
Menschen sei Dank: Dieses Erbe dürfen sie erwarten.


(Langanhaltender Beifall)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716900500

Ich danke Ihnen, Herr Bundespräsident. – Für die

Wahrnehmung Ihrer Aufgaben in den kommenden Jah-
ren wünsche ich Ihnen im Namen des ganzen Hauses die
Autorität dieses Amtes, eine glückliche Hand, das Ver-
trauen der Menschen und vor allem Gottes Segen.

Wir singen nun unsere Nationalhymne.


(Nationalhymne)


Mit den besten Wünschen für ein hoffentlich noch ge-
mütlicheres Wochenende schließe ich die gemeinsame
Sitzung von Bundestag und Bundesrat.

In einer halben Stunde ist wieder Alltag. Ich berufe
die nächste Sitzung des Bundestages ein für heute,
10.30 Uhr.

Diese Sitzung ist geschlossen.


(Beifall)