Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie herzlich zur 139. Sitzung des Bundestagesin dieser Legislaturperiode.Der Kollege Max Lehmer hat am 6. November sei-nen 65. Geburtstag gefeiert. Ich möchte ihm im Namendes ganzen Hauses dazu auch auf diesem Wege herzlichgratulieren und alles Gute für die nächsten 65 Jahre wün-schen.
Die Kollegen Heidrun Dittrich und Andrej Hunko ha-ben ihre Schriftführerämter niedergelegt. Als neueSchriftführer schlägt die Fraktion Die Linke die Kolle-gen Ralph Lenkert und Sabine Stüber vor. Sind Sie da-mit einverstanden?
– Eine Vorstellung wäre denkbar, ist aber eigentlichnicht üblich. Ich nehme auch an, dass dazu allgemeinesEinvernehmen besteht. – Das ist der Fall. Dann sind diebeiden Kollegen hiermit gewählt.Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die ver-Zbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktlisteaufgeführten Punkte zu erweitern:ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion derSPD:Nein zum Betreuungsgeld – Familien- und Bil-dungspolitik zukunftsfähig gestalten
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten AndreaWicklein, Garrelt Duin, Hubertus Heil ,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDStagnation beim Bürokratieabbau überwinden –Neue Schwerpunktsetzung für den Mittelstandumsetzen– Drucksache 17/7610 –
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs einesZweiten Gesetzes zur Neuregelung energie-wirtschaftsrechtlicher Vorschriften– Drucksache 17/7632 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitb) Beratung des Antrags der Abgeordneten FrankSchwabe, Dirk Becker, Gerd Bollmann, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPDLeitlinien für Transparenz und Umweltver-träglichkeit bei der Förderung von unkonven-tionellem Erdgas– Drucksache 17/7612 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungc) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Matthias Miersch, Dirk Becker, MarcoBülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD
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16452 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Monitoring für versenkte Atommüllfässer imAtlantik sicherstellen und Maßnahmen gegenweitere Strahlenexposition einleiten– Drucksache 17/7633 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionZP 4 Weitere abschließende Beratung ohne Aus-spracheBeratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verkehr, Bau undStadtentwicklung zu dem Antragder Abgeordneten Daniela Wagner, ElisabethScharfenberg, Tabea Rößner, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENDer älter werdenden Gesellschaft gerecht wer-den – Barrieren in Wohnungen und im Wohn-umfeld abbauen– Drucksachen 17/7188, 17/7630 –Berichterstattung:Abgeordneter Volkmar Vogel
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIELINKE:Haltung der Regierungskoalition zur Einfüh-rung eines MindestlohnsZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Ulrike Gottschalck, HeinzPaula, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPDFlugzeugbesatzungen und Reisende vor konta-minierter Kabinenluft schützen– Drucksache 17/7611 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für GesundheitAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussFederführung strittigZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Innenausschusses zudem Antrag der Abgeordneten Memet Kilic,Josef Philip Winkler, Marieluise Beck ,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENZZZZZ
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ZP 13 Beratung des Antrags der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENEuratom-Vertrag ändern – Atomausstieg eu-ropaweit voranbringen – Atomprivileg been-den– Drucksache 17/7670 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungFederführung strittigZP 14 Aktuelle Stunde auf Verlangen der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:Schuldenfinanzierte Steuersenkungspläne derBundesregierung – Folgen für künftige Gene-rationen und für die soziale GerechtigkeitDabei soll, wie immer, von der Frist für den Beginnder Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen wer-den.Die Tagesordnungspunkte 11 und 13 werden abge-setzt. Anstelle von Tagesordnungspunkt 11 soll nun derTagesordnungspunkt 32 beraten werden. Die Tagesord-nungspunkte der Koalitionsfraktionen rücken entspre-chend vor. Für den Tagesordnungspunkt 32 soll morgender Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Wieder-gewährung von Sonderzahlungen debattiert werden.Schließlich wird der Tagesordnungspunkt 33 abgesetztund stattdessen der Antrag der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen zur Änderung des Euratom-Vertrages aufgeru-fen. Darf ich auch zu diesen zwischen den Fraktionenabgestimmten Veränderungen Ihr Einvernehmen fest-stellen? – Das ist der Fall. Dann ist das hiermit so be-schlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie den Zusatz-punkt 2 auf:3 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Joachim Pfeiffer, Dr. Michael Fuchs, KaiWegner, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSUsowie der Abgeordneten Dr. Hermann OttoSolms, Dr. Martin Lindner , ClaudiaBögel, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPWeniger Bürokratie und Belastungen für denMittelstand – Den Erfolgskurs fortsetzen– Drucksache 17/7636 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
InnenausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschussZdAiskdMFvmtedMKihbdbdnvummsleten
60 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Ar-eitsplätze sind im Mittelstand. Über 99 Prozent dereutschen Unternehmen sind kleine und mittlere Unter-ehmen. Über 83 Prozent der Auszubildenden werdenom Mittelstand ausgebildet. Auch das ist etwas, um dasns eigentlich die ganze Welt beneidet. Das heißt, wirüssen den Mittelstand in Deutschland stärken; wirüssen alles dafür tun, dass er gestärkt wird, weil er dastabile Element in unserer Volkswirtschaft ist.
Meine Damen und Herren, wenn man zu Mittelständ-rn kommt und sie fragt, was sie von der Politik erwar-n, dann heißt es häufig: Lasst uns arbeiten, gebt unsicht ständig neue Regelungen, gängelt uns nicht! – Ge-
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Parl. Staatssekretär Ernst Burgbacher
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nau das ist das Markenzeichen der christlich-liberalenRegierung: Wir geben dem Mittelstand Freiraum. Wirentlasten den Mittelstand von Bürokratie. Wir lassen dieUnternehmer arbeiten – das ist das, was sie wollen – undüberziehen sie nicht ständig mit neuen staatlichen Vor-schriften. Im Gegenteil: Wir bauen Vorschriften ab; wirbauen Bürokratie ab. Das ist das Markenzeichen derMittelstandspolitik dieser christlich-liberalen Regierung.
Es ist notwendig, dass wir den ordnungspolitischenRahmen immer wieder überarbeiten, dass wir ihn an ak-tuelle Gegebenheiten anpassen. Wir können gute Erfolgevorweisen. Noch vor fünf Jahren hatte die deutscheWirtschaft Bürokratielasten im Umfang von 50 Milliar-den Euro zu tragen. Wir haben diese Lasten um10,5 Milliarden Euro zurückgeführt. Ein Teil davonwurde in der Großen Koalition erreicht. Das waren aller-dings die Früchte, die niedrig hingen, die man nur zupflücken brauchte. Wir haben jetzt eine weitere Reduzie-rung um 4,5 Milliarden Euro erreicht. Ich glaube, das istnach zwei Jahren eine stolze Bilanz, die sich wirklich se-hen lassen kann.
Ich will einige ganz konkrete Beispiele nennen; ichbeginne mit ELENA. ELENA war ein Vorhaben, das gutgemeint war, eigentlich ein Vorhaben, um Bürokratie ab-zubauen. Es hat sich aber gezeigt, dass es gerade fürkleine und mittlere Unternehmen eher schwierig war, dieVorgaben zu erfüllen, dass es bei ihnen eines gewaltigenAufwandes mit gewaltigen Kosten bedurfte, um dieseVorgaben zu erfüllen. Deshalb bin ich froh, dass derDeutsche Bundestag am 29. September beschlossen hat,ELENA auslaufen zu lassen, und zwar schon in diesemJahr. Das ist ein gutes Zeichen für viele kleine und mitt-lere Unternehmen in Deutschland,
auch wenn wir natürlich darüber reden müssen, was wirmit den Daten machen und wie wir Dinge, die bereits ge-schehen sind, für die Zukunft nützen können.Ein zweites Beispiel: das Thema Vergaberecht. Beiöffentlichen Ausschreibungen müssen Unternehmen dieEignung nachweisen. Was wir getan haben: Es gibt jetztein deutlich vereinfachtes Verfahren für diesen Eig-nungsnachweis, was es gerade kleinen und mittleren Un-ternehmen leichter und auch kostengünstiger macht, anöffentlichen Ausschreibungen teilzunehmen.Ein drittes Beispiel. Wenn wir draußen im Land sind,bekommen wir alle etwas davon mit: die Klagen überEU-Vorgaben. Nun will ich deutlich sagen: Manchmalist die Kritik ein Stück weit überzogen; die EU muss fürvieles herhalten. Aber richtig ist, dass viele Bürokratie-lasten durch EU-Vorgaben entstehen. Deshalb haben wirden Koalitionsvertrag umgesetzt: Wir haben im Bundes-wirtschaftsministerium ein Frühwarnsystem für europäi-sche Regelungen eingerichtet. Dieses Frühwarnsystemwird ermöglichen, dass wir europäische Vorgaben nichterst dann behandeln, wenn es zu spät ist, sondern dasswronsapAmDdWRugfaawpguzligfüKnsutrdSzpfüsw
Schließlich, meine Damen und Herren, komme ichuf einen besonders wichtigen Punkt zu sprechen: Cor-orate Social Responsibility. Das unterstützen wir alle.ber es kann nicht sein, dass die EU kleinen Unterneh-en Vorgaben für ausführliche Berichtspflichten macht.ann wird aus dem gut gemeinten Projekt plötzlich wie-er neue Bürokratie.Deshalb sage ich auch für diese Bundesregierung:ir werden das stoppen. Wir wollen Corporate Socialesponsibility, aber rein nach dem Freiwilligkeitsprinzipnd nicht durch neue bürokratische Vorschriften.
Vieles hat diese Bundesregierung in den zwei Jahrenetan. Der Mittelstand hat eine deutliche Entlastung er-hren. Der Antrag weist weitere Punkte zu der Frageuf, was jetzt noch zu tun ist.Wir sind bei vielen Punkten in der Vorbereitung. Wirerden das umsetzen. Wir werden zeigen: Mittelstands-olitik ist ein Kernstück dieser christlich-liberalen Re-ierung. Mittelstandspolitik heißt, Unternehmerinnennd Unternehmern endlich wieder die Luft zum Atmenu geben und ihnen das zu ermöglichen, was sie amebsten tun, nämlich etwas zu unternehmen.Dafür hat die Politik die richtigen Rahmenbedingun-en zu setzen. Genau das machen wir.Herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Wicklein
r die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Herr Burgbacher, in der Sache sind wir uns ei-ig: Natürlich müssen wir alles dafür tun, den Mittel-tand von unnötiger Bürokratie zu entlasten. Wir sindns auch einig, was die Bedeutung des Mittelstands be-ifft – gar keine Frage.Aber was ist eigentlich in den letzten zwei Jahren mitem Regierungsprogramm Bürokratieabbau passiert?ie haben nicht, wie vor fünf Jahren festgelegt, das 25-Pro-ent-Nettoabbauziel bei den Informations- und Statistik-flichten erreicht.Auf europäischer Ebene, die in der Tat zu 50 Prozentr die bürokratischen Belastungen der deutschen Ge-etzgebung verantwortlich ist, ist seit zwei Jahren so gutie gar kein Fortschritt erzielt worden.
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Andrea Wicklein
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Für den neuen Ansatz, den Erfüllungsaufwand in aus-gewählten Bereichen zu verringern, wie durch das NKR-Gesetz im März 2011 festgelegt, haben Sie gerade ein-mal ein Handbuch vorgelegt. Ansonsten geht nach wievor die Umsetzung dieses wichtigen politischen Zielsleider nur sehr schleppend voran. Insgesamt stagniertalso die Umsetzung des Regierungsprogramms.Ich schaue mich um und frage mich: Was ist eigent-lich mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Bü-rokratieabbau? Fragen Sie einmal in unserem Land, werEckart von Klaeden in dieser Funktion kennt!
– Jetzt sehe ich ihn. Er sitzt auf der Regierungsbank –ganz versteckt.
– Herr Hinsken, fragen Sie im Land, ob jemand den Bü-rokratiebeauftragten der Bundesregierung kennt!
Dann merken Sie: Fehlanzeige! Niemand kennt ihn. Kei-ner weiß, dass es einen Bürokratieabbaubeauftragten derBundesregierung gibt.
Dabei war die Große Koalition vor fünf Jahren sehreindrucksvoll gestartet. In sehr kurzer Zeit gelang es,den Normenkontrollrat zu etablieren, das Standardkos-tenmodell einzuführen, die drei Mittelstandsentlastungs-gesetze zu verabschieden und so innerhalb relativ kurzerZeit die Belastung der Wirtschaft durch unnötige Büro-kratie um 20 Prozent abzubauen. Erreicht werden solltenaber bis Ende 2011 25 Prozent.
Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren sind verbindli-che Abbauziele. Ich frage daher die Bundesregierung– dazu haben Sie, Herr Staatssekretär, nicht viel gesagt –:Wie wollen Sie innerhalb der kurzen Zeit, also innerhalbder uns verbleibenden drei Sitzungswochen, noch diefehlenden Entlastungsmaßnahmen im Umfang von2 Milliarden Euro im Bundestag beschließen?
Das funktioniert also nicht. Folglich können wirschon heute kritisieren, dass Sie das versprochene Ab-bauziel nicht erreichen werden.
In der Tat erwartet der deutsche Mittelstand von derBundesregierung eine sehr schnelle Umsetzung des Ab-bauziels.nSbwdutitannstineebkSrarunUkruleArule2Ae–SpwlalesfoBgUBte
Wie eben aufgezeigt, gibt es seit zwei Jahren einentillstand beim Bürokratieabbau, und das ist fatal, ge-de im Hinblick auf die wirtschaftlichen Herausforde-ngen, vor denen wir stehen. Wir müssen alles unter-ehmen, um unnötige Kosten zu senken, damit sich dienternehmen auf ihre Kernkompetenzen konzentrierenönnen.Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regie-ngsfraktionen, sicherlich ist Ihnen das auch aufgefal-n. Deshalb haben Sie jetzt kurz vor Toresschluss einenntrag formuliert. In ihm fordern Sie Ihre eigene Regie-ngsmannschaft endlich zum Handeln auf. Festzustel-n ist aber: Dieser Antrag kommt zu spät, erst Ende011. Ich frage Sie: Warum nicht früher? Warum nur einntrag? Warum haben Sie nicht gleich ein viertes undin fünftes Mittelstandsentlastungsgesetz vorgelegt?
Bei insgesamt 24 Forderungen, Herr Hinsken, hättenie doch genügend Material für einen solchen Entwurfarat gehabt. Sie machen es vielleicht irgendwann. Aberarum haben Sie es bis jetzt nicht getan? Sie hattennge genug Zeit. Zwei Jahre sind vertan worden.
In der Tat gibt es viel zu tun. Ein Blick in den aktuel-n Jahresbericht des Normenkontrollrats reicht. Darinind ernstzunehmende Empfehlungen enthalten. Deshalbrdern wir:Erstens. Beenden Sie schnellstens den Stillstand beimürokratieabbau! Bauen Sie das bisher erfolgreiche Re-ierungsprogramm besonders für kleine und mittlerenternehmen weiter aus, und erweitern Sie es für dieürgerinnen und Bürger!Zweitens. Überprüfen Sie endlich die Bürokratiekos-n von EU-Richtlinien, und entwickeln Sie gemeinsam
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Andrea Wicklein
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mit anderen EU-Ländern Strategien zum Bürokratieab-bau und zu weiteren Vereinfachungen! Wirken Sie mitNachdruck auf die Europäische Kommission ein, undbestehen Sie auf einer plausiblen Abschätzung der Büro-kratiekosten aller Gesetzesvorschläge!Drittens. Bringen Sie neuen Schwung in das E-Govern-ment! Achten Sie darauf, dass es zu einem Abbau unnö-tiger Bürokratie genutzt wird! In der Vergangenheitführte die mangelhafte Abstimmung zwischen denMinisterien teilweise zu mehr statt zu weniger Bürokra-tie. Auch die Koordinierung mit den Bundesländernmuss an dieser Stelle verbessert werden.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von derCDU/CSU- und der FDP-Fraktion, wenn Sie unsere bei-den Anträge nebeneinander legen, dann können Sie fest-stellen, dass es bei den Forderungen viel Übereinstim-mung gibt. Es ist schön, dass Sie dem von unseingeschlagenen Weg folgen wollen. Auch beim Tempound bei der konsequenten Umsetzung sollten Sie sichwieder mehr an uns orientieren. Das hat in der GroßenKoalition ganz gut funktioniert.Meine Damen und Herren von der Bundesregierung,legen Sie endlich ein schlüssiges, in die Zukunft gerich-tetes Konzept vor! Beschließen Sie verbindliche Zielefür die Zeit ab 2012! Setzen Sie Beschlüsse um! Ich bingespannt, ob diese Bundesregierung dazu überhauptnoch in der Lage ist.
Unser Mittelstand kann sich keine weiteren Verzögerun-gen beim Bürokratieabbau leisten. Machen Sie endlichNägel mit Köpfen,
und investieren Sie in den Bürokratieabbau! Der Mittel-stand und die Bürgerinnen und Bürger werden es Ihnendanken.Ganz herzlichen Dank.
Kai Wegner ist der nächste Redner für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, dies ist einguter Tag, ein guter Morgen für kleine und mittelständi-sche Unternehmen in unserem Land. Wir beraten zurbesten Zeit hier im Deutschen Bundestag, zur Kernzeit,das Thema Bürokratieabbau.
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iebe Frau Wicklein, hätten Sie dem Staatssekretärurgbacher gerade zugehört, dann hätten Sie die Redeo, wie Sie sie gerade gehalten haben, glaube ich, nichtalten können.Bürokratie kostet Zeit und Geld. Beides sind entschei-ende Faktoren für die Wettbewerbsfähigkeit in unseremand. Die christlich-liberale Koalition hat sich zum Zielesetzt, die Belastungen durch Bürokratie so weit wieöglich abzubauen, insbesondere für den deutschenittelstand.
Wenn wir über Bürokratieabbau in Deutschland spre-hen, verwenden wir immer gerne Bilder. Ich vergleichen stets mit einem Marathonlauf: Am Start ist man vol-r Energie, und man bewältigt den größten Teil der Stre-ke problemlos, bis es anfängt, wehzutun. Dann darf manicht aufgeben. Man muss alle vorhandenen Kraftreser-en nutzen, um die Ziellinie zu erreichen. Liebe Kolle-innen und Kollegen, wir haben einen großen Teil un-erer Strecke geschafft. Wir werden diesen Wegonsequent weitergehen. Wir müssen allerdings aufpas-en – diesbezüglich haben Sie recht, Frau Wicklein –,ass wir uns durch neue Regulierungen den Weg nichtusätzlich erschweren.
Noch vor fünf Jahren mussten die Unternehmen ineutschland rund 50 Milliarden Euro im Jahr für Büro-ratiekosten aufwenden. Inzwischen sparen sie jährlicheutlich über 10 Milliarden Euro ein. Wir werden dieseneg weitergehen und über die Informationspflichten hi-aus auch den sogenannten Erfüllungsaufwand reduzie-n. Die Zahlen beweisen es: Wir sind auf dem richtigeneg.
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei derundesregierung und beim Bundeswirtschaftsministeredanken. Insbesondere möchte ich mich bei unseremtaatsminister Eckart von Klaeden für seine beharrlichend erfolgreiche Arbeit bedanken.
iebe Frau Wicklein, wenn Sie von dieser erfolgreichenrbeit nichts mitbekommen haben, dann ist das nichtas Problem der Koalition, sondern Ihr Problem. Wirind fest davon überzeugt, dass Herr von Klaeden eineute Arbeit leistet, die er fortsetzen wird.Einen Dank möchte ich auch den Mitgliedern des Na-onalen Normenkontrollrates aussprechen. Der Nor-enkontrollrat ist mit seinen Stellungnahmen und Anre-
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Kai Wegner
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gungen stets ein guter und wichtiger Begleiter beiunseren Bemühungen, Bürokratiekosten zu reduzieren.Herrn Dr. Ludewig möchte ich an dieser Stelle ganzherzlich danken, natürlich auch seinen Mitstreiterinnenund Mitstreitern.
Gerade in turbulenten Zeiten von Wirtschafts- und Fi-nanzkrisen sind wir verpflichtet, die Bedingungen fürunternehmerisches Handeln in Deutschland weiter zuverbessern. Nur so kann die deutsche Wirtschaft in Eu-ropa die Konjunkturlokomotive bleiben. Unternehmerin-nen und Unternehmer sollen sich auf ihr eigentlichesKerngeschäft konzentrieren können. Sie sollen innovativsein und im wahrsten Sinne des Wortes etwas unterneh-men. Wir müssen dafür sorgen, dass sie in der Lage sind,mehr in ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit zu investierenanstatt in häufig überflüssige Bürokratie. Nur ein ausge-wogenes Verhältnis von individueller Freiheit und staat-lichen Rahmenvorgaben gibt zusätzliche Impulse fürkleine und mittlere Unternehmen, für das Handwerk undden Handel und schafft somit Wachstum und Beschäfti-gung.
Der Bürokratieabbau hat den Charme, dass er im Ge-gensatz zu manch anderen Maßnahmen nichts kostenmuss – ein wahres Konjunkturprogramm zum Nulltarif.Deshalb ist uns dieses Thema so wichtig.
Dazu soll unser Antrag einen Beitrag leisten. Wir ha-ben in diesem Antrag einen umfangreichen Katalog anMaßnahmen vorgeschlagen, der weniger Bürokratie undweniger Belastung für den Mittelstand bringen soll.Mit den ersten beiden Forderungen halten wir dieBundesregierung an, ihr Programm „Bürokratieabbauund bessere Rechtsetzung“ fortzuschreiben und zu inten-sivieren.
Wir erwarten auch Maßnahmen, damit das Thema Büro-kratieabbau nach dem Erreichen des 25-Prozent-Zielsseine Dynamik behält.Unsere Maßnahmen müssen in der Tat zu spürbarenEntlastungen für die Wirtschaft, für die Verwaltung, fürdie Bürgerinnen und Bürger führen. Niemandem ist ge-holfen, wenn wir stets vorrechnen, wie stark die Belas-tungen bereits gesunken sind, ohne dass die, die davonprofitieren sollen, diese Entlastungen spüren.
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Unter den vielen weiteren wichtigen Forderungen imntrag zur Vereinfachung und zum Bürokratieabbauöchte ich eine Forderung besonders erwähnen. Unter-ehmerinnen und Unternehmer aus Berlin haben mirehrfach berichtet, wie zeitraubend es ist, immer undmer wieder die gleichen Daten und Informationenber das eigene Unternehmen an verschiedene Verwal-ngen und unterschiedlichste öffentliche Einrichtungenelden zu müssen. Daraus entstand die Idee, in Zusam-enarbeit mit dem Statistischen Bundesamt ein Konzeptu erarbeiten, welches die öffentlichen Verwaltungenerpflichtet, bereits gemeldete Daten zu nutzen, bevornternehmer erneut aufgefordert werden, öffentlich zu-ängliche Angaben gegenüber der Verwaltung zu wieder-olen. Mit einem solchen Konzept werden wir erreichen,ass Unternehmen zukünftig nur noch einmal ihre Datenelden müssen und die Verwaltungen diese Daten imedarfsfall im Austausch nutzen. Auch damit wäre einroßer Schritt in Richtung spürbarer Entlastung – zeitlichnd finanziell – erreicht.Ich möchte natürlich auch kurz auf den Antrag derPD-Fraktion eingehen. Sie bescheinigen uns, dass wireim Bürokratieabbau erfolgreich sind, dass wir unsereiele bisher erreicht haben und dass das sehr eindrucks-oll ist.
s freut mich natürlich sehr, dass Sie das in Ihrem An-ag so formulieren, liebe Kolleginnen und Kollegen derPD. Was allerdings Ihre Forderungen im Einzelnen be-ifft, bin ich schon enttäuscht.
h muss wieder einmal feststellen, dass Sie dem Regie-ngshandeln hinterherlaufen. Sie fordern beispiels-eise, in Zukunft beim Bürokratieabbau auch Entlastun-en für Bürgerinnen und Bürger stärker ins Auge zussen. Das passiert doch bereits, zum Beispiel durch die
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Projekte „Einfacher zum Studierenden-BAföG“, „Einfa-cher zum Wohngeld“ oder „Einfacher zum Elterngeld“.
Ein weiteres Beispiel: Sie fordern, die Methodik zurBerechnung des Erfüllungsaufwandes in das Bürokratie-abbauprogramm aufzunehmen. Dies ist mit Inkrafttretendes Leitfadens zur Ermittlung und Darstellung des Erfül-lungsaufwands in Regelungsvorhaben der Bundesregie-rung bereits geschehen. Sie sehen: Wir sind auf demrichtigen Weg.
Wir bauen Bürokratie ab.Ich komme zum Schluss meiner Rede zum Bild desMarathonlaufs zurück. Wir sind gut gestartet, haben ei-nen Großteil der Strecke bewältigt, sind aber noch nichtam Ziel. Deshalb bleibt der Abbau von überflüssiger Bü-rokratie auch in den nächsten Jahren eine Daueraufgabe.Wir werden insbesondere kleine und mittlere Unterneh-men von Belastungen durch Bürokratie, von Einschrän-kungen der Handlungsfähigkeit und von unnötigen Kos-ten befreien.
Unser Ziel bleibt es, den Mittelstand zu entfesseln, umdamit Wachstum und Beschäftigung in unserem Land zuschaffen.
Ich freue mich auf die weitere Debatte und danke fürIhre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Diether Dehm für
die Fraktion Die Linke.
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen undHerren! Kleine und mittelständische Unternehmen stellen79 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Beschäf-tigungsverhältnisse und 82 Prozent der Ausbildungs-plätze. 99,7 Prozent aller Unternehmen in Deutschlandsind kleine und mittlere; sie generieren aber nur 39 Pro-zent des Umsatzes. Ein Grund dafür ist, dass Schwarz-Gelb zwar sonntags vom Mittelstand redet, aber werktagsan der Leine der Exportkonzerne trottet.Wir brauchen nicht nur pauschal entbürokratisierendeMaßnahmen – keinesfalls brauchen wir eine unbürokra-tische Milliardenhilfe für Banken! Was wir brauchen ist:unbürokratischen Einsatz für mehr Binnennachfrage.
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Schauen Sie sich einmal die verschlüsselten Versiche-ngsbedingungen und die unterschiedlichen, fast gegen-ätzlichen Einkaufs- und Verkaufsbedingungen von Kon-ernen an. Hier geht es nicht nur um unnötig kompliziertermale Regelungen. Hier geht es um die Ausübungackter wirtschaftlicher Macht. Hier geht es darum, dassin Teil der Wertschöpfung kleiner Unternehmen mittelschtlicher Vormacht von großen Unternehmen angeeig-et wird. Dagegen will die Linke eine demokratische Bü-kratiekontrolle. Ich wiederhole: eine demokratischeürokratiekontrolle.
ir wollen die Überwachung und Einschränkung vonllgemeinen Geschäftsbedingungen, nicht nur zumchutz der Verbraucher, sondern auch zum Schutz der,6 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen, dieas Rückgrat unserer Wirtschaft sind.Nehmen wir das Supply Chain Management in derutomobilbranche. Das ist eine reine Abwälzung deresentlichen Produktionsschritte durch den auftragge-enden Großkonzern auf den mittelständischen Zuliefe-r, der den Druck seinerseits dann an noch kleinere Zu-eferer weitergibt. Dadurch entsteht ein Preisdruck, dern Existenzen nagt. Die Erpressung durch Konzerne, diearin zum Ausdruck kommt, dass Zulieferer Innovatio-en in großem Umfang vorfinanzieren müssen, was ihreigene Finanzierungskraft übersteigt, gehört überwun-en.
enn dann der Auftraggeber die Zahlungen verzögert,eht wieder ein Zulieferer pleite.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16459
Dr. Diether Dehm
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Welche Bürokratie verlangen BMW und Daimler, be-vor sie einen Reparaturbetrieb vor Ort lizenzieren! DieProdukte, die die Konzerntore verlassen, ob Pkw oderMonitore, sind häufig kurzlebig; ihre Lebensdauer über-steigt oft nur knapp die Garantiezeit. Die Linke will da-rum eine Reparaturoffensive unbürokratischer Art. Kon-zerne müssen gezwungen werden – das ist dannnotwendige Bürokratie –, wieder reparaturfreundlich zuproduzieren, damit jeder Handwerker unbürokratisch re-parieren kann,
weniger Module weggeworfen werden, mehr Stoffe ge-spart und mehr Arbeitsplätze, auch in infrastruktur-schwachen Regionen, geschaffen werden. Eine Repara-turoffensive ist für unser Handwerk das Gebot derStunde.
Das heißt: mehr Freiheit für Kleinunternehmen und we-niger Freiheit für Konzerne und Banken. Das ist dieLösung, die die Linke übrigens auch in ihrem Parteipro-gramm festgeschrieben hat. Die Linke ist so mittel-standsfreundlich wie keine andere Partei und setzt sichfür kleine und mittlere Unternehmen ein.
Es wäre jetzt naheliegend, auf die Banken und ihrKerngeschäft zu verweisen. Wer einmal einen Kreditan-trag bei einer großen privaten Bank ausgefüllt hat, weiß,was Bürokratismus ist. Das ist entwürdigend und hatnichts mit den Sonntagsreden zu tun, die Sie gelegent-lich für KMU halten.
Sparkassen und öffentliche Banken sind halt besserePartner für das Handwerk und den Mittelstand – auf je-den Fall bessere Partner als die Ackermänner und dieDeutsche Bank.
Die Linke verschließt nicht die Augen vor dem Büro-kratismus. Hier ist sie die einzige Partei gegen bürokrati-sierende Konzerne und Großbanken. Sie schiebt das al-les nicht nur auf die öffentliche Hand, auf den Staat. Esist ja teilweise wohlfeil, wie Sie den Staat hier immer aufdie Anklagebank setzen, als ob der Staat der einzige Pro-duzent von Bürokratismus ist, während Sie die Konzerneund Großbanken dabei außen vor lassen.Die Linke will eine antimonopolistische Deregulie-rung. Das ist die Regulierung, die wir brauchen.
Eiserne Regeln für die Ackermänner und die Finanz-märkte, weniger Druck auf die kleinen und mittleren Un-ternehmen, das ist das Gebot der Stunde. Das hat durch-aus mit Antikapitalismus zu tun, aber auch mit starkenkgSHIckwH–dIcSvSimSdD1wSdk
Ich erteile das Wort jetzt der Kollegin Christine
cheel, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Dr. Dehm, zur Reparaturklausel.
h glaube, Sie müssen noch einmal darüber nachden-en,
ie es funktionieren soll, dass die Arbeitsplätze imandwerk dann auch erhalten bleiben.
Das haben wir schon verstanden.Ich würde ganz gerne einmal etwas aufgreifen, was inem Antrag der CDU/CSU so schön geschrieben steht.h zitiere das gerade noch einmal:Gerade die mittelständische Wirtschaft als unver-zichtbarer Wachstums- und Beschäftigungsfaktorund Stabilitätsgarant in der globalisierten Welt siehtsich überproportionalen bürokratischen Lasten aus-gesetzt.
Deren Sinnhaftigkeit und Zeitgemäßheit stehenvielfach zu Recht in Frage. Statt in die eigene Wett-bewerbsfähigkeit müssen die Unternehmen Zeitund Geld in häufig überflüssige Bürokratie „inves-tieren“.ehr verehrte Damen und Herren von der Union, das istöllig richtig. Die Frage ist nur, welche Konsequenzenie in den letzten Jahren daraus gezogen haben.
Mit einem bestimmten zeitlichen Abstand legen Siemer wieder einen schönen Antrag vor. Letztens habenie einen Antrag eingebracht, in dem Sie sich auch miter Bürokratie und dem Mittelstand beschäftigt haben.ieser Antrag enthielt, wenn ich mich recht erinnere,5 Punkte. Nur 4 davon sind umgesetzt bzw. beibehaltenorden. Alles andere, was in dem Antrag stand, habenie weder gesetzgeberisch noch über Verordnungen aufen Weg gebracht. Das heißt, Anspruch und Wirklich-eit gehen bei dieser Koalition völlig auseinander.
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16460 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Christine Scheel
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Wir sind der Meinung, dass es nicht reicht, im Halb-jahresrhythmus eine unnötige Bauchpinselei zu betrei-ben, wenn man eine gewissenhafte und seriöse Politikfür den Mittelstand machen will, sondern der Mittelstandhat zu Recht den Anspruch, dass Sie als Regierung etwasdafür tun, dass wirklich Bürokratie abgebaut wird.
Hier nutzt es auch nichts, wenn man sagt: Wir haben denMittelstand um 10 Milliarden Euro entlastet. – Auf demPapier ja, aber in der Realität nein.
Lieber Ernst Hinsken, wir sagen immer wieder: Dasmuss ankommen. Es ist zum großen Teil aber nicht an-gekommen, weil von diesem Entlastungsprogramm imUmfang von 10 Milliarden Euro ein ganz großer Teilnoch nicht einmal umgesetzt worden ist; das ist dieWahrheit. Man kann deshalb nicht sagen: Das haben wirsuper gemacht. – Angepeilt wurde eine Reduzierung derBürokratiekosten um 25 Prozent, ein großer Teil – dieKollegin der SPD hat das auch angesprochen – ist aberüberhaupt nicht vollzogen.Wir fragen uns, wie Sie das bis zum Jahresende schaf-fen wollen. Sie haben keinen einzigen Antrag in diesesParlament eingebracht, aus dem ersichtlich würde, dassein Teil dieser Vorgaben, die Sie sich selbst gesetzt ha-ben, noch in dieser Jahresfrist angegangen wird.
Die Verbände – damit meine ich nicht nur die großenVerbände, sondern ich rede auch von denen, die vor Ortim Handwerksbereich oder im gewerblichen Bereich ak-tiv sind – sagen ganz klar, dass die versprochenen Leis-tungen dieser Regierung nicht bei ihnen angekommensind. Man kann sich die einzelnen Beispiele anschauen.Thema ELENA. Aussagekräftig wird die Zahl von10 Milliarden Euro an eingesparten Bürokratiekostenerst dann, wenn man einmal das gegenrechnet, HerrBurgbacher, was Sie aufgrund des ständigen Hickhacksbeim ELENA-Verfahren an Belastungen für die Unter-nehmen verursacht haben. Laut den Spitzenverbändensind für die Wirtschaft etwa 300 Millionen Euro an Be-lastungen entstanden, weil Sie dieses Hickhack verur-sacht haben. Ergebnis: Das Verfahren wurde zwar nichtumgesetzt, aber die Belastung ist bei der Wirtschaft hän-gen geblieben. Solche Belastungen muss man berück-sichtigen, wenn man über Bürokratieabbau spricht. Daswäre eine ehrliche Aussage, aber das tun Sie leider nicht.
Sie haben durch Doppelbelastungen Kosten verursacht.Auch das müssen Sie benennen.Der Normenkontrollrat – er ist auch aus unserer Sichtein hervorragendes Gremium – sollte mit ein bisschenmmgITebuNudBDW–LkuadstrSewsusdmmsaaDdUzn6tetädlesbKP
ieses Thema hat sehr viel mit Bürokratieabbau zu tun.ir wissen, dass die steuerliche Forschungsförderungdas zeigen uns die Beispiele aus anderen europäischenändern – für die Unternehmen mit Abstand die unbüro-ratischste Förderung in den Bereichen „Innovation“nd „Förderung von neuen Technologien“ ist.Sie haben uns von Anfang an versprochen – das stehtuch im Koalitionsvertrag –, dass diese Forschungsför-erung kommen wird. Aber bis heute ist sie nicht umge-etzt. Auch dieses Thema gehört in einen solchen An-ag. Aber darum haben Sie sich wieder herumgemogelt.ie reden ja nicht einmal mehr darüber. Hier sehen wirin Manko; denn diese Art von Förderung würde eineirkliche Entlastung bedeuten.
Stichwort Bilanzierung. Es wurde auf der europäi-chen Ebene lange darüber diskutiert, dass eine Befrei-ng von kleinen GmbHs und kleinen Personengesell-chaften von der Pflicht zur Bilanzierung, ähnlich wieas bei Einzelkaufleuten hinsichtlich der Grenzwerteöglich ist, sehr viel helfen würde. Aber nein! Ich ver-ute einmal, dass sich der Steuerberaterverband an die-er Stelle wieder durchgesetzt hat. Die Unternehmen,uch die ganz kleinen GmbHs mit wenig Umsatz, sindlso verpflichtet, eine Bilanz vorzulegen, wofür sie imurchschnitt 2 500 Euro zahlen. Dieses Geld würde inen kleineren Unternehmen, in GmbHs mit geringenmsätzen, für Wichtigeres als für eine unnötige Bilan-ierung gebraucht.Wir wünschen uns, dass Sie hier endlich Farbe beken-en. Die EU-Kommission hat geschätzt, dass es hier um,3 Milliarden Euro geht. Das betrifft 5,3 Millionen Un-rnehmen auf der europäischen Ebene. Hier könnten Sietig werden, wenn Sie wollten; denn es ist möglich,ass Deutschland hier vorangeht. Wir müssen feststel-n, dass hierzu auf der europäischen Ebene zwar Vor-chläge gemacht worden sind, Sie aber dafür gesorgt ha-en, dass es in Europa zu einer ganz eigenartigenompromisslösung gekommen ist, die uns bei diesemroblem nicht weiterbringt.
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Christine Scheel
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Auch die Einführung einer Europäischen Privatge-sellschaft ist ein wichtiges Thema für den exportieren-den deutschen Mittelstand. Auch hierzu fehlt es in IhremAntrag an Vorschlägen, ganz abgesehen vom ThemaBürgerbeteiligung bei Planungs- und Genehmigungsver-fahren, ganz abgesehen von der Frage der Entbürokrati-sierung bei Visumverfahren, ganz abgesehen davon, wieaus Ihrer Sicht ein wirklicher Bürokratieabbau vonstat-tengehen soll.Dafür braucht es eine Strategie. Auf diese Strategiewartet der Mittelstand zu Recht. Auf diese Strategie war-tet auch die Opposition, weil wir uns gerne damit aus-einandersetzen würden, was Sie im nächsten Jahr tun.Aber dazu braucht es nicht nur wohlfeile Worte, sonderneine Vorlage, aus der man das erkennt.Danke schön.
Die Kollegin Claudia Bögel erhält jetzt das Wort für
die FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! 90 Prozent der Weltbevölkerung – davon bin
ich fest überzeugt – würden gerne mit dem deutschen
Elend tauschen: Die Arbeitslosenzahlen sind so niedrig
wie seit 20 Jahren nicht. Die Wirtschaft ist robust, der
Umsatz stetig. Die Binnennachfrage steigt, den Men-
schen geht es gut.
Wir alle wissen: Das liegt an den mittelständischen
Unternehmen, die mit Fleiß, Erfindergeist und sozialver-
antwortlichem Handeln wesentlich zu unserem Erfolg
beitragen.
Das liegt aber auch an der Politik, die in den vergange-
nen Jahren die richtigen Impulse gesetzt hat.
Die kleinen und mittleren Unternehmen haben mit Risiko-
und Leistungsbereitschaft Wachstum, Wohlstand und
Innovation in Deutschland gesichert. Der Erfolgskurs des
Mittelstandes muss gefestigt werden.
Wir halten keine Sonntagsreden;
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nd weg von sozialistischer Zwangsregulierung hin zum
ialog mit der Politik, zum Handeln und Mitarbeiten zu-
unsten weniger Bürokratie.
Wie besang es schon Reinhard Mey vor vielen Jahren
o schön:
Einen Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars,
zur Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschrift-
exemplars, dessen Gültigkeitsvermerk von der Be-
zugsbehörde stammt, zum Behuf der Vorlage beim
zuständigen Erteilungsamt.
ottlob, davon sind wir nun um einige Längen entfernt.
ir sind aber noch lange nicht am Ziel.
Frau Kollegin Bögel, der Kollege Dehm würde gerne
er Sache mit dem Antragsformular nachgehen.
Nein.
Na ja, dann eben nicht.
Ein Weg dorthin ist die freiwillige Betriebsprüfung mitur einem Abschlussbericht – das spart Zeit und Geld –der der Abbau von Hindernissen für die elektronischeommunikation mit der Verwaltung. Das gesetzlich vor-esehene Ungetüm mit dem Namen „Schriftformerforder-is“ ist sicherlich kein Erfordernis, sondern eher ein Hin-ernis. Die gesetzlichen Aufbewahrungsfristen für
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16462 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Claudia Bögel
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Unternehmen und private Haushalte können wir vereinfa-chen, indem wir das Handels-, Steuer- und Sozialrechtvereinheitlichen und verkürzen.Die Entlastung durch Bürokratieabbau in Wirtschaft,Verwaltung und bei den Bürgerinnen und Bürgern be-läuft sich schon jetzt nachweislich auf 10 MilliardenEuro jährlich, nicht zuletzt durch die Stärkung des Nor-menkontrollrates und durch bessere Rechtsetzung. DasZiel lautet: Reduktion der Bürokratiekosten für die Wirt-schaft um 25 Prozent.Jedes Verfassungsorgan kann seit Beschluss der Ko-alition seine Initiativen dem Nationalen Normenkon-trollrat zuleiten. Diese Initiative wird dazu führen, dasses demnächst zum guten Ton gehört, sich bei der Ein-bringung von Gesetzesinitiativen erst der Expertise desNKR zu bedienen.Dies sind nur einige Beispiele, bei denen Bürokratieabgebaut und Geld gespart werden kann. Das ist Geld,das der Mittelstand besser zu investieren weiß. Zahlrei-che Maßnahmen des Programms „Bürokratieabbau undbessere Rechtsetzung“ wurden bereits umgesetzt. DerMittelstand braucht von der Politik ein klares Bekenntniszur sozialen Marktwirtschaft, weg von sozialistischenZwangsregulierungen. Der Mittelstand braucht von derPolitik klare Vorgaben und nicht noch mehr Papierbögenund Durchschläge. Der Mittelstand braucht von der Poli-tik ein klares Bekenntnis zu einem gesunden Verhältnisvon staatlichen Rahmenvorgaben und individueller Frei-heit.Gesellschaftliche Verantwortung ist, auch wirtschaft-lich gesehen, ein Erfolgsfaktor für den Mittelstand undwird durchaus gezielt eingesetzt, um die Wettbewerbsfä-higkeit zu stärken. Dies muss in jedem Fall auf demPrinzip der Freiwilligkeit basieren.Diese Koalition wird auch weiterhin neue Freiräumeschaffen und Chancen für Investition und Beschäftigungeröffnen. Ein Zentralkomitee, das dem Mittelstand dieVorgaben diktiert, das wollen wir nicht.
Der Mittelstand ist unser Garant für Leistung, Innova-tion und Fortschritt. Wir werden unseren Erfolgskurs so-mit fortsetzen und die Unternehmen durch weiteren Bü-rokratieabbau in ihrer Leistungskraft stärken, für nochmehr Arbeits- und Ausbildungsplätze, für noch mehrInnovationen und für noch mehr Fortschritt und Wachs-tum.Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Dehm
das Wort.
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nd, zweitens, dem Hohen Hause zu erklären, was Sie
it „ökologischer Diktatur“ meinten und damit, dass es
ehr viele Menschen auf anderen Kontinenten gebe, die
erne in diesem – in Anführungszeichen – „Elend“ bei
ns leben würden.
Bitte, zur Erwiderung.
Herr Dehm, ich habe nicht davon gesprochen, dass
er europäische Mittelstand oder wer auch immer hier in
nserem Elend leben möchte. Ich habe nur gesagt: Ich
in der festen Überzeugung, dass 90 Prozent der Ange-
örigen der Staaten in unserer Welt mit unserem deut-
chen Elend – das habe ich ironisch gemeint; ich sage
as, damit es Ihnen verständlich wird – zufrieden wären.
s wundert mich immer wieder, wenn die Opposition
ier behauptet, in welchem Elend wir hier angeblich le-
en; denn das kann ich absolut nicht feststellen.
Ökologische Diktatur, das ist ein Aufzwingen anderer
ebensweisen auf jeden Menschen in dieser Republik,
nd das möchte ich nicht.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Rita Schwarzelühr-
utter für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Stichwortkodiktatur: Sie haben wohl noch nie etwas von Mese-erger Beschlüssen, Klimawandel und ökologischer
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Rita Schwarzelühr-Sutter
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Wende – was hat Ihre Regierung erst in diesem Frühjahrbeschlossen? – gehört. Mir gefällt jedoch das Schlag-wort von der antimonopolistischen Deregulierung. Ichverweise auch auf das von Herrn Burgbacher angespro-chene Laisser-faire.Nach Max Weber ist eine moderne Bürokratie ein ef-fizientes Mittel, um das Zusammenleben einer Vielzahlvon Menschen zu organisieren. Transparenz schützt vorWillkür. Sie verhindert Korruption und Günstlingswirt-schaft. Beamte halten sich natürlich an fixierte Regeln. –So weit die Theorie. Bürokratie als funktionierende Ver-waltung ist in einem Staatswesen somit sinnvoll und not-wendig.
Bürokratismus dagegen belastet Bürgerinnen undBürger und vor allem Unternehmen. Jedem von uns, deran die Steuererklärung denkt, treibt es die Schweißtrop-fen auf die Stirn. Für Unternehmen ist Bürokratie nichtnur Aufwand, sondern bedeutet auch erhebliche Kosten.Darüber hinaus bringen übermäßige Regelungen undVorschriften für deutsche Unternehmen Nachteile im in-ternationalen Wettbewerb. Der Mittelstand, besondersdas Handwerk, kämpft mit der überbordenden Bürokra-tie. Die Betriebe wollen sich auf ihre produzierende Tä-tigkeit konzentrieren und sich nicht mit unproduktivenLasten herumschlagen.Die knappen Personalressourcen müssen da einge-setzt werden, wo sie produktiv sind, nicht für unproduk-tive Bürokratie. Manchmal braucht man sogar Fach-kräfte, um die Bürokratie zu bewältigen. NebenPersonalkosten entstehen auch Sachkosten, die nicht un-erheblich sind. Zehntausende von Nachweis-, Dokumen-tations- oder Berichtspflichten müssen Unternehmen er-füllen. Bürokratismus bedroht die Rentabilität undInnovationskraft von kleinen und mittleren Unterneh-men und besonders von Handwerksbetrieben.Auch wenn man bedenkt, dass der Aufwand für unnö-tige und überflüssige Bürokratie von 2006 bis jetzt umungefähr 10 Milliarden Euro abgebaut werden konnte,sollten Sie das nicht schönreden. Es fehlen immer nocheinige Milliarden Euro, bis das 25-Prozent-Ziel dieserRegierung erreicht ist. Die anfänglich beim Bürokratie-abbau spürbare Dynamik hat zuletzt erkennbar nachge-lassen. Typisch für diese Koalition: Sie ist kraft- undsaftlos. Ich will als ein Beispiel die E-Bilanz nennen.Man geht in der Zwischenzeit davon aus, dass eineMehrbelastung von insgesamt 3,15 Milliarden Euro aufden Mittelstand zukommt. Gut gemeint ist nicht gut ge-macht.
Eine Onlineumfrage des Baden-WürttembergischenHandwerkstages von Anfang dieses Jahres hat im Übri-gen ein interessantes Ergebnis hervorgebracht. Nur27 Prozent der Handwerker, die sich an der Umfrage be-teiligt haben, haben das Gefühl, dass sie tatsächlich ent-lastet werden.Ich möchte auf ein aktuelles und besonders ärgerli-ches Exempel von grenzüberschreitendem Bürokratis-mIhws1–gbbVglenfeakKSwbmsbERksseelicWzsdvzd
Das hat die Schweiz entschieden, und die Bundesre-ierung wollte das – Herr Brüderle hat das versichert –ilateral klären. Sie hat aber leider nichts zustande ge-racht.
iel versprochen, wenig realisiert.
Hier geht es den Handwerkern tatsächlich an den Kra-en. Sie müssen nämlich zum einen eine Kaution hinter-gen – jetzt gibt es auch eine Bürgschaft; die muss manatürlich bezahlen – und zum anderen bei einer Lohndif-renz von zum Beispiel nur 35 Franken, die vielleichtnfällt, eine Strafe von 1 500 Franken bezahlen. Fürleine und mittlere Handwerksunternehmen ist das eineatastrophe.
ie feiern heute Ihre vermeintlichen Erfolge, gleichzeitigird an anderen Stellen ein Bürokratiemonster aufge-aut. Da hilft der Satz: „Wir lassen die Unternehmen at-en“ wenig. Nein, die Unternehmen brauchen Unter-tützung und müssen wirklich entlastet werden.
Wir wollen keine Markteintrittsbarrieren, und wirrauchen auch auf europäischer Ebene eine Entlastung.in bloßes Bekenntnis, sich auch bei europäischenechtsetzungsverfahren für ein geringes Maß an Büro-ratie einzusetzen, ist zu wenig. Unternehmen wollenich auf eine einfache und qualitativ hochwertige Recht-etzung verlassen können. Deshalb brauchen wir einenuropäischen Normenkontrollrat. Die Grundprinzipieniner guten Gesetzgebung sind Transparenz, Verantwort-chkeit, Verhältnismäßigkeit, Konsistenz und Zielerrei-hung. Mit der Zielerreichung hapert es bei Ihnen.ürde sich nämlich die Bundesregierung an diese Prin-ipien halten, würden nicht immer neue Bürokratien ent-tehen.Die schwarz-gelbe Regierung muss nun endlich mitem Ernst machen, was sie hier ankündigt, um in denerbliebenen zwei Jahren tatsächlich noch zu dem Zielu kommen, das sie uns versprochen hat.Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Andreas Lämmel fürie CDU/CSU-Fraktion.
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16464 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Der berühmte deutsche Raketentechniker Wernhervon Braun wurde einmal auf die Auswüchse der Büro-kratie auf seiner Arbeitsstelle in der NASA angespro-chen, und er sagte den folgenden Spruch: Wir könnendie Schwerkraft mit unserer Technologie überwinden,aber der Papierkram erdrückt uns.Das ist das Gefühl, das auch sehr viele Unternehmerund Bürger mit dem Thema Bürokratie verbinden. Büro-kratie ist ein sehr emotional diskutiertes Thema, und inden letzten Jahren – hierbei schaue ich in die Reihen derGrünen; Frau Scheel hat sich vorhin so ereifert – undinsbesondere zu rot-grünen Zeiten eierte man beimThema Bürokratieabbau hin und her und brachte nichtszustande. Die Grundlagen, die wir mit dem NationalenNormenkontrollrat gelegt haben, hatte man damals nochnicht. Man konnte die Bürokratiekosten gar nicht richtigbeziffern. Deswegen muss man doch festhalten – unddas wird seitens der Opposition durchaus gewürdigt –,dass wir beim Abbau der Bürokratie in Deutschland seit2006 einen riesigen Sprung gemacht haben.Den Bürokratieabbau an sich kann man durch Gesetzbefehlen, aber letztendlich muss ein Bewusstseinswan-del eintreten. Jeder muss sich immer wieder klarmachen,dass zusätzliche Bürokratie die Wirtschaft und die Bür-ger belastet. Deswegen muss jeder, der über Gesetzes-texte oder Verordnungen nachdenkt, auch das ThemaBürokratieabbau im Hinterkopf haben. Ein solcher Be-wusstseinswechsel ist jedoch nicht innerhalb eines Jah-res erreichbar, sondern ein mittel- und langfristiger Pro-zess.Blicken wir doch einmal kurz zurück. Als wir 2006 inder Großen Koalition mit dem Bürokratieabbau Ernstmachten, waren andere Länder schon weiter.
Zum Beispiel hatten die Holländer schon viele Erfahrun-gen mit dem Bürokratieabbau gesammelt, und auch inSchweden und Großbritannien war man schon viel wei-ter. Aber jetzt, nach der Arbeit der letzten fünf Jahre, istDeutschland eindeutiger Spitzenreiter, und zwar erstenshinsichtlich der theoretischen Grundlagen des Bürokra-tieabbaus und zweitens hinsichtlich dessen, was wir bis-her wirklich geschafft haben. Das bescheinigt uns auchder Nationale Normenkontrollrat in seinem fünften Jah-resbericht, den er im September vorgelegt hat. Insofernkönnen Sie dies nicht einfach ignorieren.10 Milliarden Euro an Bürokratiekosten sind derdeutschen Wirtschaft nachweisbar erspart worden. Essind zwar immer noch 40 Milliarden Euro, die auf derWirtschaft lasten, aber 10 Milliarden Euro Einsparungensind ein erstes Pfand, das wir in der Hand haben, um aufdiesem Wege weiterzugehen.StegindpmDtu1liAzSlibeGzzhüSsdwesmkDläihIndnmuSmwindistiWism
Wenn man sich den Bericht anschaut, findet man sehrteressante Zahlen: Trotz eines Abbaus von 10 Milliar-en Euro an Bürokosten, sind 1 500 neue Informations-flichten über Gesetze eingeführt worden. Jetzt mussan natürlich den Saldo berechnen; das ist ganz klar.er Nationale Normenkontrollrat beziffert die Entlas-ng auf 8,5 Milliarden Euro und die Mehrbelastung auf Milliarde Euro. Somit kommt er zu ungefähr 7,5 Mil-arden Euro an direkter Entlastung.Man hat in den letzten fünf Jahren auch ziemlicheusschläge im Gesetzgebungsprozess erlebt. Wir habenum einen das Steuervereinfachungsgesetz 2011, das ausicht des Nationalen Normenkontrollrats zu 4,05 Mil-arden Euro Entlastung geführt hat. Zum anderen hateispielsweise das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzine Entlastung von 2,5 Milliarden Euro gebracht. Imegenzug – und das ist hoch kritisch – hat das Gesetzur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie eine ein-ige Branche mit Bürokratiekosten in Höhe von eineralben Milliarde Euro belastet.Man muss also immer genau hingucken, wenn manber das Thema spricht: Was steht auf der positiveneite? Was steht auf der negativen Seite?Auf der wirklich positiven Seite der letzten fünf Jahreteht die Aussage des Nationalen Normenkontrollrats,ass sich die Qualität der ausgearbeiteten Gesetzent-ürfe deutlich verbessert hat. Meine Damen und Herren,s ist doch schon ein Wert an sich, wenn sich die Recht-etzung auch mithilfe der Arbeit des Nationalen Nor-enkontrollrats verbessert hat.Natürlich gibt es noch Baustellen; das ist doch ganzlar. Schließlich befinden wir uns mitten im Prozess.Erstens. Ein Beispiel ist die Spürbarkeit des Abbaus.as ist ständig Thema, und wenn wir mit unseren aus-ndischen Freunden reden, sagen uns diese, dass es beinen nicht anders ist. Es ist nun einmal so: Wenn eineformationspflicht wegfällt, merkt das Unternehmenies nicht unbedingt. Denn das Unternehmen warteticht darauf, dass das Statistikamt oder sonst irgendje-and einen Fragebogen schickt, den es auszufüllen hat,m seiner Informationspflicht nachzukommen. Aber diepürbarkeit des Abbaus – das stellt der Nationale Nor-enkontrollrat ganz klar fest – muss noch verbesserterden. Einige diesbezügliche Vorhaben stehen ja auch unserem Antrag. Wenn wir diese Vorhaben umsetzen,ann wird auch die Spürbarkeit deutlich stärker werden.Zweitens. Die Entlastung der Bürgerinnen und Bürgert eine weitere Baustelle, die im Rahmen des Bürokra-eabbaus jetzt auch in Angriff genommen werden muss.ir müssen hier für weitere Beschleunigung sorgen. Dast gar keine Frage. Aber die letzten 20 Prozent, wennan schon 80 Prozent der Themen abgeräumt hat – das
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16465
Andreas G. Lämmel
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wissen auch Sie genau –, zu verwirklichen, stellt einenwirklich großen Schritt dar.Drittens. Wir müssen erfassen, wie der Stand der Er-füllung der Vorhaben ist.Fassen wir einmal alles zusammen. Aus dem Berichtdes Nationalen Normenkontrollrates geht ganz klar her-vor: Das System funktioniert. Die Rechtsetzung ist bes-ser geworden. Der Bürokratieabbau ist im Fluss. Wir ha-ben mit dem Normenkontrollrat ein hochmodernesInstrument geschaffen, um das uns manche andere Parla-mente und Regierungen beneiden.Wir wollen deswegen auf diesem Wege weitergehen.Ich bitte Sie ganz einfach, unseren vorliegenden Antragzu unterstützen.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Johanna Voß für
die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren von der Koalition, einen schö-nen Titel haben Sie gewählt: „Weniger … Belastungenfür den Mittelstand“. Wunderbar!
Dafür sind wir auch; doch die Wirklichkeit sieht ganzanders aus. Der Mittelstand und insbesondere Handwer-kerinnen und Handwerker wollen, dass ihre Problemeernst genommen und sie tatsächlich entlastet werden.Leider weigern Sie sich, die Probleme überhaupt zu se-hen. Das ergibt sich ganz klar aus den Antworten auf dieKleine Anfrage, die Kolleginnen und Kollegen von mirund ich zu den Handwerkskammern gestellt haben.Der Beweis: In der Antwort auf unsere Kleine An-frage schreiben Sie:Die Bundesregierung sieht bei den Handwerkskam-mern keine Missstände.Das kann doch wohl nicht wahr sein. Die Selbstverwal-tung der Kammern ist ein hohes Gut. Das heißt abernicht, dass man keine Kritik üben darf. Ohne Kritikkeine Verbesserungen. Verbesserungsbedarf gibt eszweifellos.Ein Beispiel sind die Regelungen zu den Handwerks-kammerbeiträgen: Hier herrscht ein richtiger Paragra-fendschungel. Da steht: Nur Personen, die eine gewerbli-che Tätigkeit nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 derHandwerksordnung ausüben und unter § 90 Abs. 3 fal-len, müssen gemäß § 113 Abs. 2 Satz 4 bis 5 200 EuroJahresgewinn keinen Beitrag zahlen, wenn laut § 90Abs. 4 – folgen Sie mir noch? – die Tätigkeit erstmalsnach dem 31. Dezember 2003 angemeldet wurde. – Al-les verstanden?–sfrVtrzwHz2WWKmwnSndwsegAinmdnbCmdgDtrDsHFNre
Das ist es ja. – Ich mache es einmal einfach: De factoieht die Handwerksordnung nämlich keine Beitragsbe-eiung vor, egal ob Betriebe kaum Gewinne oder garerluste machen. Ganz paradox ist, dass häufig ein Be-ieb, der keinen Gewinn macht, denselben Beitrag be-ahlen muss wie ein Betrieb, der 20 000 Euro Jahresge-inn ausweist; denn der Grundbeitrag ist in vielenandwerkskammern einheitlich, während die Freigren-en für Zusatzbeiträge meist zwischen 10 000 und0 000 Euro liegen. Das ist ungerecht. Das geht an derirklichkeit vorbei.
ir brauchen gerechtere Beitragsordnungen, kleine undleinstbetriebe müssen entlastet werden. Der Beitraguss an die Leistungsfähigkeit angepasst werden. Dasäre das Minimum, was hier zu leisten wäre.Ich komme zu einem zweiten Punkt: die Wahlord-ung. Sie antworten auf unsere Anfrage:Als Regelfall geht die … Wahlordnung aber vonder Zulassung von mehreren Wahlvorschlägen undder Durchführung einer Briefwahl aus.o weit, so gut. Seit 1953 – da trat die Handwerksord-ung erstmals in Kraft – wird nun alle fünf Jahre in jederer 53 Handwerkskammern die Vollversammlung ge-ählt. Wissen Sie, wie oft tatsächlich mehrere Wahlvor-chläge zugelassen wurden, das heißt, wie oft wirklichine Briefwahl stattgefunden hat? Ich kann es Ihnen sa-en: im Ganzen dreimal.
uch Sie könnten merken, dass die Handwerksordnung diesem Punkt den Praxistest nicht bestanden hat. Dauss etwas geändert werden.
Wir wollen selbstverständlich Handwerkskammern,ie gut funktionieren, Kammern, die die Handwerkerin-en und Handwerker entlasten und nicht belasten. Dazuraucht man Wahlen, bei denen jede und jeder einehance hat, zu kandidieren. Bisher ist es nicht so. Bisherüssen komplette Listen eingereicht werden, die nochazu einen bestimmten Proporz für die Gewerke und denenauen Proporz für die Regionen einhalten müssen.as ist so aufwendig, dass nur die bestvernetzten Be-iebe die Listenaufstellung überhaupt drucken können.ie anderen bleiben außen vor. Sorgen Sie dafür, dassich hier etwas bessert!Wie ernst die Lage für viele Handwerkerinnen undandwerker ist, zeigen zahlreiche Briefe, die meineraktion bekommen hat. Zum Beispiel heißt es in einemewsletter von friseur-intern im September dieses Jah-s: Im Gegensatz zu CDU/CSU und FDP, die sich stets
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16466 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Johanna Voß
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als Sprachrohr für das Handwerk sehen, greift die Links-fraktion den Unmut vieler Handwerksbetriebe auf.
Ich empfehle Ihnen: Öffnen Sie die Augen für dieseProbleme! Sie sind es doch, die in jeder Sonntagsrededas Hohelied auf das Handwerk singen. Geben Sie But-ter bei die Fische! Tun Sie etwas! Nicht die Bürokratieinsgesamt soll abgebaut werden, sondern der Bürokratis-mus. Wir brauchen eine Handwerksordnung. Wir brau-chen eine Regelung für den Beitrag, aber bitte eine ver-nünftige und verständliche.Ich danke Ihnen.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Lena Strothmann
für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Voß, ich willmeine Redezeit nicht dafür verwenden, Ihnen zu antwor-ten. Aber als Handwerkerin will ich Ihnen gerne einmalin einer stillen Stunde erklären, wie wir Handwerker dieVorzüge der Selbstverwaltung des Handwerks sehen.
Ein Handwerksbetrieb hat im Durchschnitt acht Mit-arbeiter: den Meister, die Gesellen und die Auszubilden-den. In der Regel übernimmt die Ehefrau die Buchfüh-rung, und eine Personal- und Rechtsabteilung gibt es inunseren Betrieben nicht. Statistische Erhebungen, Mel-depflichten und die vielen zusätzlichen Dinge werdenalso von Mitarbeitern mit erledigt, die ansonsten Kosten-voranschläge bearbeiten oder Löhne berechnen. Jede zu-sätzliche Informations- und Dokumentationspflicht wirdals echte Belastung empfunden.Nur um diese unnötigen Pflichten geht es bei dieserBürokratiedebatte. Viele Regelungen sind im Sinne dersozialen Marktwirtschaft sogar notwendig. Nur geord-nete Strukturen ermöglichen erfolgreiches unternehmeri-sches Denken und sozialen Zusammenhalt. Aber unnö-tige Bürokratie kostet Zeit und Geld.Viele Rechtsgebiete sind durch ständige Veränderun-gen und politische Kompromisse unüberschaubar ge-worden. Unternehmer können Steuerrecht, Tarifrechtund Hygieneverordnungen ohne externen Rat oft über-haupt nicht mehr überblicken.Wir alle sind für Bürokratieabbau. Jeder beklagt sich.Aber leider übersteigt oft – das ist meine Wahrnehmung –die Angst vor Veränderung das Interesse an Erneuerungin unserem Land. Hier ist noch viel Überzeugungsarbeitzu leisten. Denn leider ist die öffentliche Wahrnehmung,was die Abschaffung von Bürokratie angeht, sehr gering.EMUleclabkEdabddgmgpfüdJEwwätrmsDsbhfüsndHbndLpzgBsB2
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir arbeiten hierktiv auf zwei Ebenen: zum einen Abbau von Bürokratieei bestehenden Gesetzen und zum anderen die Vermei-ung von Bürokratie bei neuen Gesetzen. Hier kommtem Nationalen Normenkontrollrat eine wichtige Auf-abe zu. Seine Einsetzung und die Behandlung des The-as auf höchster Ebene, nämlich direkt im Kanzleramt,ehören meiner Meinung nach zu den Meilensteinen derolitischen Entscheidungen in den letzten Jahren.
Über das Abbauziel von 25 Prozent haben wir vornf, sechs Jahren lange diskutiert. Uns war klar, dassiese Marke sehr anspruchsvoll ist. In den vergangenenahren haben wir viele Gesetze überprüft. Es gibt vielerfolgsnachrichten – einige sind hier schon genanntorden –, auch für das Handwerk.Ich will Ihnen Beispiele nennen. Im MEG III habenir damals die Grundlage für die Handwerkszählung ge-ndert. Mindestens 460 000 der 1 Million Handwerksbe-iebe haben davon profitiert. Das heißt, wir greifen nichtehr auf direkte Erhebungen in den Betrieben zurück,ondern nutzen bereits vorliegende Verwaltungsdaten.ie erste Handwerkszählung fand im Sommer statt, undie ist gut verlaufen.Ein zweites Beispiel. Auch die Entfristung bei der Ist-esteuerung ist ein Beitrag zum Bürokratieabbau. Wiraben dauerhaft und deutschlandweit die Umsatzgrenzer die Istbesteuerung auf 500 000 Euro festgelegt. Daschafft Rechtssicherheit für die Unternehmen und Fi-anzverwaltungen.Die Forderungen in unserem Antrag umfassen auchie Aufbewahrungsfristen. Aufbewahrt werden müssenandelsbücher, Inventarlisten, Jahresabschlüsse, Lage-erichte, Zollanmeldungen usw. Das alles müssen Origi-ale sein; sie müssen feuer- und wasserfest gelagert wer-en, und das bis zu zehn Jahren. Die zusätzlicheagerfläche ist mit Kosten verbunden. Die jährliche An-assung ist aufwendig. Im Grundsatz muss alles jeder-eit den Behörden zur Verfügung stehen. Hier sehen wirroßen Handlungsbedarf.Auch die Befreiung der Kleinstunternehmer von derilanzierung ist unser Anliegen und einer der Kernvor-chläge auf EU-Ebene. Die EU will mit einem eigenenürokratieabbauprogramm die Verwaltungskosten bis012 deutlich verringern. Auch hier ist das Ziel 25 Pro-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16467
Lena Strothmann
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zent; das entspricht 150 Milliarden Euro. Denn geradedie Bedeutung der kleinen und mittleren Betriebe ist inEuropa angekommen. Think small first: Auch hier gehtder KMU-Test auf europäischer Ebene in die richtigeRichtung. Das betonen wir in unserem Antrag. Brüsselwird immer noch als Quelle überbordender Bürokratiewahrgenommen. Hier müssen wir sichtbarer vorankom-men, um die Akzeptanz der EU in diesem Bereich zuverbessern.Aber auch die Wirtschaft selbst ist gefragt. Im Be-reich der Normung funktioniert das bereits sehr gut.Normen ermöglichen den Betrieben, sich schnell undumfassend über Abläufe zu informieren. Der Austauschvon Waren und Dienstleistungen erfordert europaweiteinheitliche Vorschriften. Hier werden unzählige Einzel-bestimmungen vermieden. Die Weiterentwicklung imBereich der Normung ist eine wichtige Zukunftsaufgabe.Meine Damen und Herren, Sie sehen: Wir haben vielzu tun, um Wirtschaft, Handwerk und Mittelstand vonBürokratie zu entlasten. Dazu braucht es viel Überzeu-gungskraft und Mut zu Entscheidungen. Ich lade Sie ein,daran mitzuwirken.Herzlichen Dank.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Ernst Hinsken für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Zunächst möchte ich einen Dank ausspre-chen, einen Dank an Staatsminister von Klaeden, aberauch an Sie, Herr Brüderle, weil Sie als Bundeswirt-schaftsminister dem Bürokratieabbau einen neuen Schubgegeben haben. Sie beide zusammen haben die notwen-digen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass wir schonheute positive Ergebnisse vorzeigen können.
Etwas anderes fällt Ihnen gar nicht ein. Sehen Sie, soarm sind Sie an Geist.Meine Damen und Herren, wenn Sie Mittelständlerfragen, was ihnen am meisten helfen würde, dann ant-worten 11 Prozent: Förderprogramme, 18 Prozent: Steu-ersenkungen, 20 Prozent: einfachere Kreditvergabe und41 Prozent: Abbau von Bürokratie. – Das sagt doch al-les. Die Bürokratie ist die Geißel des Mittelstandes, dievom Staat auferlegt worden ist. Diese gilt es zurückzu-nehmen und so dem Problem Rechnung zu tragen.
Auf dem Sektor Bürokratie sind wir das, was wir beider Fußballweltmeisterschaft nicht geworden sind, näm-lich Weltmeister.DBGHhWvsbfüsnvGderainbmcmgteWub2tesagds2tidWsgeAudtu
as kann nicht von der Hand gewiesen werden. In derundesrepublik Deutschland gab es im Jahre 2005 6 588esetze und Verordnungen. Hier haben wir angesetzt.eute gibt es „nur“ noch 5 991 Gesetze. Das ist immer-in ein Abbau von fast 600 Gesetzen.
Damit sind wir auf einem guten und vernünftigeneg, der sich durchaus sehen lassen kann. Das kann sichor allem deshalb sehen lassen, weil wir so dem Mittel-tand weiterhelfen können, für den die Bürokratie eineesondere Belastung ist. Ein Kleinunternehmen brauchtr die Bewältigung der Bürokratie pro Jahr durch-chnittlich 60 Stunden pro Mitarbeiter, ein Großunter-ehmen hingegen nur 5,5 Stunden. Das muss man sichor Augen halten.Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von Rot-rün, ich darf daran erinnern, dass von Ihnen 1999 miter Initiative zum Abbau von Bürokratie viel heiße Luftrzeugt wurde. Es kam aber wenig Konkretes dabei he-us. Sie sollten sich ein Beispiel daran nehmen, was wir den letzten beiden Jahren an Großartigem geleistet ha-en.
Wir geben dem Mittelstand endlich die Luft zum At-en, die er braucht. Wir setzen den Rotstift an und strei-hen die Vorschriften, Regelungen, Ausführungsbestim-ungen, Verordnungen, Gesetze und was es sonst nochibt, rigoros zusammen. Gerade kleine und mittlere Un-rnehmen erwarten das dringend. Wir wollen dieachstumsfesseln durch Bürokratieabbau lösen. Dienionsgeführte Bundesregierung hat den Bürokratieab-au beschleunigt und sich das Ziel gesetzt, bis Ende011 25 Prozent der Kosten für die Informationspflich-n abzubauen.Ein Blick zurück zeigt: Vor fünf Jahren mussten deut-che Unternehmen jährlich rund 50 Milliarden Euro fürmtliche Statistiken, Antragsformulare, Rechnungsle-ung etc. aufbringen. Inzwischen sind diese Kosten fürie Unternehmen bereits um 10,5 Milliarden Euro ge-unken und sind damit 21 Prozent niedriger als im Jahr006. Das kann sich sehen lassen. Wir sind auf dem rich-gen Weg. Diesen Weg müssen wir weiter gehen, undas werden wir auch tun.
Zum ersten Mal ist es gelungen, die Belastungen derirtschaft durch die Bürokratie nachzuweisen und zuenken. Auch dieser Erfolg kann sich sehen lassen. Dierößte Entlastung ergibt sich aus der Vereinfachung derlektronischen Rechnungsstellung. Die Herabsetzung dernforderungen an elektronisch übermittelte Rechnungennd die Anerkennung von Rechnungen per E-Mail durchas Finanzamt führen in der Wirtschaft bereits zu Entlas-ngen in Höhe von 4,1 Milliarden Euro im Jahr. Durch
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Ernst Hinsken
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die Änderung der Vergabeordnung sparen die Unterneh-men künftig über 265 Millionen Euro jährlich. HerrFraktionsvorsitzender Kauder, darauf sind wir stolz. Dashaben wir auf den Weg gebracht.
Die bisher geforderten Nachweise zur Eignung derBieter – also Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuver-lässigkeit – können künftig in etwa 80 Prozent der betref-fenden Ausschreibungen durch entsprechende Eigener-klärungen der Bieter ersetzt werden. Weitere Entlastungenfür Unternehmen sind im Steuervereinfachungsgesetz2011 – im Umfang von 4,1 Milliarden Euro – sowie imBilanzrechtsmodernisierungsgesetz – im Umfang von2,5 Milliarden Euro – enthalten. Meine Damen und Her-ren, wir müssen das auch sagen und es nicht nur zurKenntnis nehmen. Denn es ist Fakt und es lässt sich Gottsei Dank hier vermelden, dass wir das durch vernünftigePolitik, insbesondere was den Bürokratieabbau beimMittelstand anbelangt, erreicht haben.Ich darf bei dieser Gelegenheit auch darauf verwei-sen, dass sich die EU auf dem richtigen Weg befindet.Die Kommission mit Altministerpräsident Stoiber an derSpitze – er war im Wirtschaftsausschuss und in verschie-denen anderen Ausschüssen – leistet hier hervorragendeArbeit. So wurden bis Juli 2011 auf EU-Ebene mehrereMaßnahmen verabschiedet. Dort wurden die Bürokratie-kosten um 22 Prozent gesenkt; bis 2012 ist ein Abbauum insgesamt 25 Prozent avisiert. Damit werden Unter-nehmen um circa 27 Milliarden Euro entlastet. Was dieKommission ansonsten Positives bewirkt hat, steht inmeinem Redemanuskript; aber ich kann das nicht vortra-gen, weil es den zeitlichen Rahmen sprengen würde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bürokratie-abbau – das sollten wir alle uns voll zu Herzen nehmen –ist ein Wachstumsprogramm zum Nulltarif. Bürokratie-abbau stärkt den Wirtschaftsstandort Deutschland, machtihn zukunftsfähig und muss mit Nachdruck fortgesetztwerden. Die Vermeidung und der Abbau überflüssigerBürokratie sind insbesondere im Mittelstand von ähnlichfundamentaler Bedeutung für den wirtschaftlichen Er-folg wie Innovation, Fachkräfte, Unternehmensnachfol-gen und -gründungen, Marktchancen im Ausland, Finan-zierung, Rohstoffe sowie Energie- und Materialeffizienz.Dem wollen wir Rechnung tragen.Lassen Sie mich zum Abschluss dem Nationalen Nor-menkontrollrat ein großes Kompliment aussprechen:Unter Leitung von Dr. Ludewig wurde hier Hervorra-gendes geleistet. Machen wir uns nichts vor: Wir werdenin dem Fall schon ein bisschen kontrolliert, denn jedesGesetz, das wir beschließen, muss zunächst die Zustim-mung des Nationalen Normenkontrollrates erfahren;sonst kann es nicht in Kraft treten.Das sind vernünftige Ansätze; das ist der richtigeWeg. Wir gehen diesen Weg. Wir reden nicht nur, son-dern handeln, weil die Bürokratie für den Mittelstand sobelastend ist.aTDda
neten Rüdiger Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz, OlafScholz, weiteren Abgeordneten und der Fraktionder SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts– Drucksache 17/773 –Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses
– Drucksache 17/7675 –Berichterstattung:Abgeordnete Stephan Mayer
Rüdiger VeitHartfrid Wolff
Sevim DağdelenMemet Kilic– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, KaiGehring, weiteren Abgeordneten und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung desStaatsangehörigkeitsrechts– Drucksache 17/3411 –Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses
– Drucksache 17/7675 –Berichterstattung:Abgeordnete Stephan Mayer
Rüdiger VeitHartfrid Wolff
Sevim DağdelenMemet Kilicb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Innenausschusses zu demAntrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Jan
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Präsident Dr. Norbert Lammert
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Korte, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKEAusgrenzung beenden – Einbürgerungen umfas-send erleichtern– Drucksachen 17/2351, 17/7675 –Berichterstattung:Abgeordnete Stephan Mayer
Rüdiger VeitHartfrid Wolff
Sevim DağdelenMemet KilicDer Innenausschuss hat den Gesetzentwurf der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Staatsan-gehörigkeitsrechts auf der Drucksache 17/3411 in seineBeschlussempfehlung einbezogen. Über diese Vorlagesoll jetzt ebenfalls abschließend beraten werden. Darfich auch hierzu Ihr Einvernehmen feststellen? – Das istder Fall.Über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD wer-den wir später namentlich abstimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Das heißt, wir werden die na-mentliche Abstimmung vermutlich irgendwann kurz vor12 Uhr erwarten können.Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst demParlamentarischen Staatssekretär Dr. Ole Schröder dasWort.
D
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Man muss es deutlich sagen: Das, was SPD,Grüne und Linke hier in ihren Gesetzentwürfen und imAntrag vorschlagen, ist ein Paradigmenwechsel imStaatsangehörigkeitsrecht.
Bisher ist es so, dass die Einbürgerung den Abschluss ei-nes gelungenen Integrationsprozesses darstellt. Sie mei-nen offensichtlich, dass sich jemand allein dadurch inte-griert, dass Sie ihm die Staatsbürgerschaft geben.
Ihr Ziel ist eine erhebliche Absenkung der Einbürge-rungsvoraussetzungen. So schlägt die SPD zum Beispielvor, die erforderlichen Aufenthaltszeiten auf nur nochsieben Jahre zu verkürzen. Die Grünen wollen sogar nursechs Jahre.Auf diese Frist sollen dann auch noch Zeiten ange-rechnet werden, in denen jemand lediglich geduldetwurde, also keinen rechtmäßigen Aufenthaltstitel inDeutschland hatte. Ebenso wollen Sie Zeiten im Asyl-verfahren berücksichtigen, selbst wenn das Asylverfah-ren am Ende erfolglos bleibt.dletigphutieHcsEdSlasVmEmDOtiluRmknEWdsT
ierzu gehören angemessene Aufenthaltszeiten, ausrei-hende Kenntnisse der deutschen Sprache und ein Ver-tändnis für unsere Rechts- und Gesellschaftsordnung.ine ganz wesentliche Voraussetzung für uns ist, dasser Einbürgerungsbewerber und derjenige, der seinetaatsangehörigkeit dadurch erwirbt, dass er in Deutsch-nd geboren wurde,
eine frühere Staatsangehörigkeit aufgibt und sich ohneorbehalte zu seinem neuen Staat bekennt, meine Da-en und Herren.Gerade in diesem letzten Punkt hatte es 1999 bei derinführung des Geburtsortsprinzips noch einen Kompro-iss gegeben, der nun von Ihnen aufgekündigt wird.amals waren Sie bereit, mit der Entscheidung für dieptionspflicht noch an der Vermeidung von Mehrstaa-gkeit festzuhalten.
Nun sind die ersten Kinder aus der Übergangsrege-ng in das optionspflichtige Alter gekommen. Sie vonot und Grün wollen nun vom zweiten Teil des Kompro-isses, nämlich dass sich jeder für eine Staatsangehörig-eit entscheiden muss, nichts mehr wissen.
Sie wollen die Regelung bereits abschaffen, obwohloch kein einziges Kind aus der Ius-soli-Regelung dasnde der Optionsfrist erreicht hat.
oher nehmen Sie eigentlich die Erkenntnis, dass dasamals von Ihnen beschlossene Optionsverfahren ge-cheitert ist?
Die Koalition hat in ihrer Koalitionsvereinbarung dashema ernst genommen. Wir haben uns darauf verstän-
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Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
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digt, die Erfahrung mit den ersten Optionsjahrgängenauf möglichen Verbesserungsbedarf hin zu überprüfen.Zugleich werden wir das Einbürgerungsrecht insgesamtauf unverhältnismäßige Hemmnisse überprüfen.
Die Forschungsgruppe des Bundesamtes für Migra-tion und Flüchtlinge – das wissen Sie – führt derzeit eineumfassende wissenschaftliche Untersuchung zur Op-tionsregelung und zum Einbürgerungsverhalten insge-samt durch.
Die Evaluierungsergebnisse werden in der erstenHälfte des nächsten Jahres vorliegen. Ich meine, dass wirdiese abwarten sollten. Denn eine sachliche Diskussionist nur möglich, wenn wir die Fakten kennen.
An dieser Stelle ist es mir wichtig, noch einmal dieBedeutung der Vermeidung von Mehrstaatigkeit hervor-zuheben. Sie ist letztlich der Ausdruck der Funktion vonStaatsangehörigkeit überhaupt, nämlich einen einheitli-chen Staat zu bilden. Doppelte Staatsangehörigkeit kannzu Loyalitätskonflikten führen.
Die Gefahr besteht immer dann, wenn der jeweils an-dere Staat versucht, die Betroffenen für seine politischenZiele zu instrumentalisieren. Ein anschauliches Beispielhierfür hatten wir beim Auftritt des türkischen Minister-präsidenten Erdogan 2008 in der Kölnarena sowie jüngstbei seinen Äußerungen anlässlich seines Besuchs inDeutschland.Hierbei gilt es, sich klar zu entscheiden und klar abzu-grenzen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Mehrstaatigkeit kann zu erheblichen Rechtsunsicher-heiten führen. Im Familien- und Erbrecht und im Be-reich der konsularischen Betreuung
bestehen dann konkurrierende Regelungen, die sichüberlagern, und Ansprüche, die nicht klar sind. Mit derAufgabe der früheren Staatsangehörigkeit verlangen wirnichts Unzumutbares. Sie bedeutet in keiner Weise denAbbruch der sozialen und kulturellen Bindung zum frü-heren Heimatland. Die Staatsangehörigkeit soll demjeni-gen, der dauerhaft in einem Land lebt, die Teilnahme ander Willensbildung und die Mitwirkung an der Aus-übung der Staatsgewalt ermöglichen.vlasSdvVDtiwzcsdEssdgzBdliMfeAruWrezckVfümdsRpteDsfüleGzsla
ereits 2009 war die Zahl in Berlin entgegen dem Bun-estrend um 8,1 Prozent zurückgegangen.An Maßnahmen der Bundesregierung kann das wirk-ch nicht gelegen haben. Selbstverständlich liegt es anaßnahmen, die in dem jeweiligen Bundesland getrof-n wurden. Es liegt daran, dass Hamburg erheblichenstrengungen unternommen hat: In den Einbürge-ngsbehörden ist Personal eingestellt worden, man haterbung für die Einbürgerung gemacht, in einigen Be-ichen wurden Informationsoffensiven gestartet. Daseigt: Einbürgerung wird nicht allein durch die gesetzli-hen Regelungen, sondern ganz wesentlich durch dieonkrete Umsetzung und Handhabung in den jeweiligenerwaltungen beeinflusst. Informationen und Werbungr die deutsche Staatsangehörigkeit bringen insofernehr für die Einbürgerung als wohlfeile politische For-erungen. Im Interesse der bei uns lebenden Ausländerollten Sie für die Einbürgerung in Deutschland werben.ühren Sie nicht immer nur die große Trommel der dop-elten Staatsangehörigkeit.Lassen Sie uns die Ergebnisse der Evaluierung abwar-n.
ann können wir auf gesicherter Grundlage darüberprechen, wo es Hemmnisse gibt und was der Grund da-r ist, dass sich viele eben nicht einbürgern lassen wol-n. Interessanterweise ist es so, dass sich gerade aus derruppe, für die wir eine doppelte Staatsangehörigkeitulassen, nämlich für diejenigen, die aus EU-Mitglied-taaten kommen, besonders wenig Menschen einbürgernssen. Da stellt sich die Frage, woran das liegt.
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Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
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Es hängt damit zusammen, dass der Rechtsrahmen mehroder weniger der gleiche ist, unabhängig davon, ob siesich in Deutschland lediglich aufhalten oder ob sie deut-sche Staatsbürger sind. Das sollten wir berücksichtigen.Wir glauben, dass es richtig ist, weiterhin daran fest-zuhalten, dass die Staatsangehörigkeit nur eine einzigesein kann. Das hat mit Loyalität zu tun. Das ist Ausdruckvon gelungener Integration. Ich frage mich, warum Siedaran nicht festhalten wollen. Ist es nicht vielleicht Aus-druck dessen, dass es Ihnen nicht um Integration geht, daSie es zulassen wollen, dass hier Menschen leben, diesich überhaupt nicht um Integration bemühen? Das soll-ten Sie eindeutig zum Ausdruck bringen und nicht überden Umweg des Staatsangehörigkeitsrechts.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Özoğuz für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Staatssekretär, man könnte Ihnen mit ei-nem Satz antworten: Wir halten die Optionspflichtschlicht für falsch und unzeitgemäß, und wir wollen dasändern. Ich werde das jetzt aber natürlich noch ein biss-chen ausführen.
Wir Sozialdemokraten haben es gemeinsam mit denGrünen 1999 geschafft, das Staatsangehörigkeitsrechtvon 1913 weitgehend den Realitäten unseres Landes an-zupassen. Über einen unzureichend gelösten Punkt spre-chen wir heute. Man sollte auch erwähnen: Es ist uns2005 gemeinsam mit der Union gelungen – die Zustim-mung der Grünen war gegeben –, endlich ein Zuwande-rungsrecht zu verabschieden, in dem unter anderem dieIntegrations- und Sprachkurse eine ganz wesentlicheRolle spielen. Die Verabschiedung dieses Gesetzent-wurfs war nicht leicht. Manch einer wird sich vielleichtan das Schauspiel im Bundesrat erinnern. Es ist trotzdemgelungen. Das Interessante ist: Es gibt kaum eine Partei,die sich dafür bei allen Gelegenheiten so sehr selbst fei-ert, wie die damals so zögerliche Union. Meine Damenund Herren von der Union, wir Sozialdemokratinnenund Sozialdemokraten geben Ihnen mit unserem Gesetz-entwurf heute erneut die Gelegenheit, als letzte Fraktionhier im Hause die Zeichen der Zeit zu erkennen und sichin den nächsten Jahren für die Abschaffung des Options-modells und für das Bekenntnis zu einer modernen undgleichzeitig solidarischen Gesellschaft mit uns allen ge-meinsam feiern zu lassen.dtelasKDsvfüMZfüpweksbmzwzds„SDsdhusAzSIcAtewDD
Es ist damals gelungen, Sie davon zu überzeugen,ass es absurd ist, Kinder der zweiten, dritten oder vier-n Generation immer weiter als Ausländer in Deutsch-nd zu betrachten, obwohl sie hier geboren und soziali-iert wurden. Es ist auch gelungen, dafür zu sorgen, dassindern mit einem ausländischen Elternteil, die ineutschland geboren werden, unter bestimmten Voraus-etzungen die deutsche Staatsangehörigkeit per Geburterliehen wird. Herr Staatssekretär, ich weiß nicht, wannr Sie der Integrationsprozess beginnt. Nach Ihrenaßstäben muss er bereits im Mutterbauch beginnen.
Leider war damals nur die Optionspflicht, also derwang, sich zwischen dem 18. und dem 23. Lebensjahrr eine Staatsangehörigkeit zu entscheiden, als Kom-romiss möglich. Mit unserem Gesetzentwurf wollenir dieses Optionsmodell, also den Zwang zur Aufgabeiner Staatsbürgerschaft, abschaffen. Wir wollen einonsequentes Bekenntnis zur doppelten Staatsbürger-chaft hier geborener Kinder ausländischer Eltern. Auchei Einbürgerung soll die doppelte Staatsangehörigkeitöglich sein. In diesem Zusammenhang – Sie haben esu Recht erwähnt – fordern wir in unserem Gesetzent-urf auch eine moderate Absenkung der Voraufenthalts-eiten.Es gibt ja Hoffnung auf Einsicht, auch bei Ihnen. Iner vergangenen Sitzungswoche haben wir hier eine sehrachliche und angenehme Debatte über das Thema50 Jahre Anwerbeabkommen mit der Türkei“ geführt.ie selbst haben von der teils mangelnden Attraktivitäteutschlands für hier geborene, gut ausgebildete Men-chen gesprochen. Sie haben auch davon gesprochen,ass viele von ihnen unser Land verlassen, dass wir se-enden Auges auf einen Fachkräftemangel zusteuernnd dass wir das alles billigend in Kauf nehmen.Ihre Pressemitteilung, Herr Wolff – das muss an die-er Stelle erwähnt werden –, in der steht, wir würden dasbstammungsrecht abschaffen wollen, muss Ihrer Ver-weiflung geschuldet sein, dass Sie gar nicht wissen, wieie sich dazu verhalten wollen.
h kann das nicht nachvollziehen. Niemand möchte dasbstammungsrecht abschaffen. Ein Kind deutscher El-rn, ob es an der Elfenbeinküste oder sonst wo geborenird, wird weiterhin Deutscher sein.
as müssten Sie uns wirklich einmal genauer erläutern.
Wir wollen ein integrationspolitisches Signal setzen.ie Betroffenen werden als Deutsche mit Rechten und
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Aydan Özoðuz
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Aydan ÖzoğuzPflichten, einschließlich des Wahlrechts, in die Gesell-schaft aufgenommen, aber eben ohne dass ihnen abver-langt wird, dass sie die für sie so wichtige und symbol-trächtige alte Staatsbürgerschaft aufgeben, was meistsehr belastend ist. Weil der Optionszwang einfach nichtin unsere Zeit und zu den realen Lebensumständen derMenschen passt, haben von SPD und Grünen geführteLänder im Bundesrat am 23. September dieses Jahres ei-nen Gesetzesantrag zur Aufhebung des Optionszwangseingebracht. Interessant ist, dass InnenministerSchünemann von der CDU im Bundesrat zu Protokollgab, dass der Optionsregelung vorgeworfen werde, siesei ein bürokratisches „Verwaltungsmonstrum“, und erdem zustimme. Recht hat er.Das Optionsmodell wirft tatsächlich integrationspoli-tische und verwaltungspraktische Probleme auf. Integra-tionspolitisch entbehrt es jeglicher Logik; das habe ichschon ausgeführt. Ich verstehe nicht, warum wir jungeMenschen, die in Deutschland geboren, aufgewachsenund hier zur Schule gegangen sind, die hier verwurzeltsind und bis zur Volljährigkeit mit zwei Staatsangehörig-keiten gelebt haben, nun plötzlich zwingen wollen, sichfür eine zu entscheiden.Verwaltungspraktisch ist es noch interessanter. Es be-steht schon heute Handlungsbedarf, nicht erst in einigenJahren. Es gibt schon heute die seit 2008 optionspflichti-gen Jugendlichen nach § 40 b Staatsangehörigkeitsge-setz. Bisher haben gut 15 000 Jugendliche – in diesemJahr sind es rund 4 160 – Post von der Behörde bekom-men. Im 8. Bericht der Beauftragten der Bundesregie-rung für Migration heißt es zu diesem Bürokratiemon-strum Optionsmodell treffend:Der Aufwand für die Durchführung eines Options-verfahrens bei den Staatsangehörigkeitsbehördenist nach den bisherigen Erfahrungen in der Praxismindestens so groß wie der Aufwand für ein voll-ständiges Einbürgerungsverfahren. … Schon beider heutigen Situation mit Fallzahlen von etwa3.000 bis 4.000 Optionskindern pro Jahr bundes-weit wurde von größeren
Schwierigkeiten bei der Umsetzung berichtet. Ver-bunden wurden diese oft mit den Befürchtungen fürdie Zeit ab 2018, wenn jährlich rund 40.000 Ju-gendliche bundesweit optionspflichtig werden.Nun schreibt Professor Thränhardt von der Universi-tät Münster in seinem Gutachten für das Land Nord-rhein-Westfalen: Geschieht nichts, so würde die Op-tionsregelung die Einbürgerungsbehörden lahmlegen,falls nicht in großem Ausmaß neues Personal eingestelltwürde. Mit diesem Aufwand werden die Länder bzw. dieKommunen belastet. – Das wollen Sie zulassen. Das istein bürokratischer Wahnsinn, auf den unser Land zusteu-ert, und Sie wissen das.
Sie haben doch gerade in der vorangegangenen Debatteüber Bürokratieabbau gesprochen. Herr Hinsken hateben noch hier am Pult gestanden und gesagt: Bürokra-ticvfaedSledsDndkdremridIcPAdglä„dbgeswlefo
Die zentralen Argumente gegen die Hinnahme mehr-cher Staatsangehörigkeiten sind längst überholt, so wietwa – dieses Argument haben wir eben wieder gehört –er Verweis auf Loyalitätskonflikte. Staatssekretär Olechröder war sich noch in der Debatte am 28. Oktobertzten Jahres nicht zu schade, zu argumentieren, dassas im Zusammenhang mit der Wehrpflicht ein Problemein könnte.
ass Sie so etwas gesagt haben, während gleichzeitigebenan im Verteidigungsministerium darüber nachge-acht wurde, wie die Wehrpflicht abgeschafft werdenann, das ist nun wirklich bezeichnend für die Rückstän-igkeit dieser Bundesregierung in Sachen Staatsbürger-cht.
Eines muss ich Herrn Kollegen Hartfrid Wolff nochitgeben. Er hat damals an die Grünen die Aussage ge-chtet, sie würden „die deutsche Staatsangehörigkeit aufem Multikultibasar verramschen“.
h gebe Ihnen eine kleine Denkhilfe aus Ihrem eigenenarteiprogramm:Die Integration kann jedoch auch durch doppelteStaatsbürgerschaft gefördert werden, wie die vielenFälle von gut integrierten Mitbürgern mit Doppel-staatsbürgerschaft zeigen.
lso, wenn eine Partei ihre Programmatik komplett aufem Koalitionsbasar verramscht hat, dann, würde ich sa-en, ist es die FDP.
Ein letzter Punkt. Die Realität hat Sie im Grundengst eingeholt. Die vielen Abweichungen vom PrinzipEine Person – ein Pass“, die es heute schon gibt, führenazu, dass laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2010ei 53 Prozent der Einbürgerungen Mehrstaatigkeit hin-enommen wurde. Staatssekretär Schröder sprach voniner Minderheit; da sollten Sie sich noch einmalchlaumachen. Viel deutlicher kann eine statistische Ent-icklung nicht ausfallen.Ich hoffe, dass Sie den warmen Worten, die Sie in dertzten Debatte von diesem Pult aus gesagt haben, Tatenlgen lassen. Es geht an der Lebensrealität der jungen
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16473
Aydan Özoðuz
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Aydan ÖzoğuzMenschen bei uns in Deutschland vollkommen vorbei,sie vor eine derart absurde Wahl zu stellen. Stimmen Siemit uns heute für unseren Gesetzentwurf, und lassen Siesich dann in den nächsten Jahren mit dafür feiern.Danke.
Das Wort erhält nun der Kollege Hartfrid Wolff fürdie FDP-Fraktion.
Hartfrid Wolff (FDP):Die SPD fordert wieder einmal die Abschaffung desOptionsmodells, das sie selbst vor zehn Jahren einge-führt hat. Es ist schon spannend, zu hören, wie Sie dieBürokratie geißeln, Frau Kollegin.
Hätten Sie das mal früher gedacht!
Das ist bei der SPD aber nichts Neues. Erst schaffen SieBürokratie, und an anderer Stelle geißeln Sie sie. Das istkeine stringente Linie der SPD.
Vor zehn Tagen wurden wir von der SPD überrascht.Es hieß, es gebe neue Forderungen für die Hinnahmevon Mehrfachstaatsangehörigkeiten. Heute beraten wireinen Gesetzentwurf der SPD vom Februar 2010. Es ent-steht der Eindruck: Dieser Opposition fällt nichts wirk-lich Neues ein. Ich muss ganz ehrlich sagen: Eine soschwache Opposition haben wir als Regierung nicht ver-dient.
Da nützt es auch nichts, dass der Fraktionsvorsitzendenachher kurz vor dem SPD-Parteitag selbst das Wort er-greift. Sie sollten sich einmal neue Gedanken machenund nicht immer wieder Ihre alten Ideen aufwärmen.
Dass sich die SPD von den Ergebnissen ihrer eigenenRegierungszeit distanziert, haben wir schon ein paar Malerlebt.
IndliOabbglidhgSzGkEausupAneisskWsfeweplekDüS
Sachlich bleibt ohnehin klar: Die Abschaffung desptionsmodells zu fordern, ist aus meiner Sicht völligbsurd; hier hat der Staatssekretär recht. Die Initiative istei weitem nicht die erste. Alle Oppositionsparteien ha-en das schon gefordert, auch im Bundesrat. Auch daibt es also nicht Neues. Angesichts der Konkurrenz imnken Lager – von Piraten, Grünen und Linken – wirktieser Versuch der SPD, ein Thema zu besetzen, eherilflos, wie eine Art Überbietungswettbewerb.Wir Liberale haben das Optionsmodell seinerzeit vor-eschlagen, um den Weg zu einer Öffnung des deutschentaatsangehörigkeitsrechts in Richtung auf das Jus Soliu ermöglichen. Es macht nach wie vor keinen Sinn, einesetz zu ändern, für dessen Wirkung es praktisch nocheine verwertbaren Daten gibt.
s ist einfach sinnvoll, erst einmal Erfahrungsberichtebzuwarten – bleiben Sie ein bisschen seriös, Kollegin –,
m beurteilen zu können, wie sich diese Regelung tat-ächlich auswirkt,
nd danach die rechtlichen Anpassungsmöglichkeiten zurüfen. So ist es auch im Koalitionsvertrag vorgesehen.lles andere ist wohlfeiler sozialdemokratischer Aktio-ismus, der kein Problem löst, sondern – im Gegenteil –her neue Probleme schaffen könnte.Für in Deutschland aufgewachsene junge Menschent es nach Auffassung von Rot-Rot-Grün unzumutbar,ich bei Volljährigkeit für die deutsche Staatsangehörig-eit zu entscheiden. Linke Parteien tun sich mit derahlfreiheit, der Kompetenz des Individuums, sich ent-cheiden zu dürfen, ja generell etwas schwerer.Anders als Kinder deutscher Eltern sollen die Betref-nden durch Mehrfachstaatsangehörigkeit privilegierterden. Ausdrücklich besagt der SPD-Gesetzentwurf,
s solle fürderhin ein konsequentes Bekenntnis zur dop-elten oder mehrfachen Staatsbürgerschaft geben. Viel-icht hofft die SPD auf Unterstützung durch den Wahl-ämpfer Erdogan, der die Erhaltung des Türkentums ineutschland beschwört.
Meine Damen und Herren, die SPD frohlockte einstber die Abschaffung des Abstammungsprinzips bei dertaatsangehörigkeit.
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16474 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Hartfrid Wolff
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– Hören Sie mir zu; denn Sie haben mich vorhingefragt. – Sie wollten das Abstammungsprinzip abschaf-fen.
Aber für Migranten wollen Sie es jetzt beibehalten.
Wer die doppelte Staatsangehörigkeit fordert, stoppt dieModernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts.
Galt Linken, Grünen und SPD das Abstammungs-recht bei deutschen Aussiedlern noch als reaktionäresRechtsprinzip,
ist es für die doppelte Staatsangehörigkeit, etwa für Ara-ber, plötzlich wieder erwünscht.
Es ist in der Tat absurd, in dem Land, in man geboren istund dauerhaft leben will, Ausländer zu sein. Allerdings:Niemand in diesem Haus will Menschen, die sich ein-deutig für Deutschland entscheiden, die die deutscheSprache beherrschen und sich auf unsere Grundwerteverpflichten, daran hindern, deutsche Staatsangehörigezu werden.
Nicht die Optionsmöglichkeit, sondern die desinte-grative Haltung von bestimmten Verbänden, die eine Artvon Herkunftsnationalismus beschwören, geht an derLebenswirklichkeit der betreffenden Menschen vorbei.Dass sich die Oppositionsparteien vor diesen reaktionä-ren Karren spannen lassen, ist aus meiner Sicht ein Ar-mutszeugnis.
Fortschrittlich wäre es dagegen, das Jus Soli weiterzu-entwickeln.Integration in die deutsche Gesellschaft kann nur ge-lingen, wenn man sich mit den gleichen Rechten undPflichten wie die anderen Staatsbürger in die deutscheGesellschaft integriert.
Mit einer doppelten Staatsangehörigkeit wird die Inte-gration erschwert, wenn Migranten mit Doppelstaatsan-gehörigkeit dem Irrtum verfallen, man könne gleichzei-tizWgg–gDaedavgralezWnWehdmDWMuheSgksn
Herr Kollege, unabhängig davon.Rot-Rot-Grün tut so, als ob Migration allein eine geo-rafische Standortveränderung wäre, und damit basta.as ist gefährlicher Unfug. Jeder, der sich mit Migrantenuseinandergesetzt hat, weiß, dass Zuwanderung nichtinfach durch eine Änderung des Territoriums, sondernurch den Umzug in ein Land mit anderen Menschen,nderer Tradition, Sprache und Kultur erfolgt. Wer daserschweigt oder kleinreden will und das Ganze alleineografisch sieht, der zerstört die Zukunftschancen ge-de der Migranten hier in Deutschland.
Mit einer Einbürgerungsregelung, die von weiten Tei-n der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, wird die Ak-eptanz von Migranten keinesfalls gestärkt.
er die Zukunft einer deutschen Nation erstrebt, in dericht Hautfarbe oder Abstammung, sondern allein derille und die freiwillige Verpflichtung, dazuzugehören,ntscheidend für die Zugehörigkeit sind, der muss ver-indern, dass Abstammungsfragen in Deutschland wie-er salonfähig werden, wie das durch das Instrument derehrfachen Staatsangehörigkeit geschieht.
ie Koalition aus Union und FDP hat beeindruckendeeichenstellungen in der Abkehr von rot-rot-grünerultikultiideologie vorgenommen.
Die FDP wird die freie Entscheidung der Individuennd die Integrationsleistungen jedes Einzelnen weiterhinöher schätzen als die Beschwörung von Herkunft undthnischen Milieus.
o gestalten wir den überfälligen Neuanfang in der Inte-rationspolitik auf dem Weg zu einer Kultur des Will-ommens auf der Basis von Gleichberechtigung, gegen-eitiger staatsbürgerlicher Loyalität und fairem Mitei-ander.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16475
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Ich erteile das Wort jetzt der Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch für die Fraktion Die Linke.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die Linke will Ausgrenzung been-
den und Einbürgerungen umfassend erleichtern.
Wir sagen den Menschen, die hier leben und bleiben
wollen: Willkommen, ihr gehört zu uns.
Immer weniger Menschen werden in Deutschland
eingebürgert. Warum ist das so, und warum ist die Situa-
tion zum Beispiel in Schweden, Portugal oder Polen
ganz anders?
In europäischen Ländern mit einer hohen Einbürge-
rungsquote ist es folgendermaßen: Einbürgerungen sind
auch dann möglich, wenn die Menschen weniger als fünf
Jahre in diesem Land leben, ein eigenständiges Einkom-
men muss nicht nachgewiesen werden, in diesen Län-
dern ist Mehrstaatigkeit generell erlaubt, und auf Einbür-
gerungstests wird verzichtet. Das ist eine sehr
vernünftige Regelung.
Herr Kollege Schröder, Sie haben gesagt: Wir wissen
noch gar nichts. – Das stimmt nicht. Das Gesetz ist nun
zwölf Jahre alt, die Analysen liegen auf dem Tisch. Im
Jahr 1999 haben SPD, Grüne und FDP ein Gesetz be-
schlossen, das sich in einem ganz wesentlichen Punkt
zum Einbürgerungsverhinderungsgesetz entwickelt hat.
Das muss heute dringend korrigiert werden.
Ich finde, wir müssen uns jetzt für die Menschen ent-
scheiden, die seit Jahren in unserem Land leben. SPD
und Grüne haben sich mit ihren Gesetzentwürfen ebenso
wie die Linke mit ihrem Antrag eindeutig für die Einbür-
gerung von Menschen entschieden, die gern in unserem
Land leben und den Wunsch haben, an der Gestaltung
der Gesellschaft demokratisch mitzuwirken. Ich bin der
festen Überzeugung: Das kann für uns alle nur gut sein!
Wenn CDU/CSU und FDP die Vorlagen ablehnen,
dann schaffen sie in unserem Land neue Mauern zwi-
schen den Menschen,
verhindern die demokratische Teilhabe von Millionen
von Menschen und befördern Rassismus und Fremden-
feindlichkeit in unserem Land. Das ist verantwortungs-
los.
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Die Bundesregierung spricht gerne über Integration,
aut aber immer höhere Mauern gegen die Integration
uf. Ich sage Ihnen: Wir brauchen in Deutschland bei der
inbürgerung endlich europäische Normalität und nicht
eutsche Sonderwege. Wenn wir Menschen in unserem
and willkommen heißen, dann ist das für uns alle bes-
er.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Renate Künast für die Fraktionündnis 90/Die Grünen.
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16476 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man
die Reden von Herrn Staatssekretär Schröder und von
Herrn Wolff hört, dann kann das schon zu Irritationen
führen. Bei Herrn Schröder denke ich: Immer wenn von
der Regierungsbank Daten des Statistischen Bundesam-
tes vorzulesen sind, wird Herr Schröder geschickt. Das
kommt mir so vor, als wäre heute der nationale Vorlese-
tag. Das ist er aber gar nicht, Herr Schröder.
Bei Herrn Wolff denke ich: Jetzt gibt es gleich einen
Vortrag über die Mendel’sche Abstammungslehre. Aber
auch das ist nicht das Thema.
Ein Thema ist hier und heute, dass wir 50 Jahre nach
dem deutsch-türkischen Anwerbeabkommen überlegen
müssen: Wo sind wir angekommen?
Es reicht an dieser Stelle nicht, zu feiern und sich Filme
anzuschauen, in denen gezeigt wird, woher die damali-
gen sogenannten Gastarbeiter kommen. Vielmehr geht
es auch darum, zu reflektieren: Was ist in den 50 Jahren
passiert? Max Frisch hat gesagt: Es wurden Arbeits-
kräfte eingeladen, aber es sind Menschen gekommen. –
Wie gehen wir denn mit diesen Menschen um? Ihre Kri-
terien sind für die Frage des Umgangs miteinander defi-
nitiv unbrauchbar.
Schauen Sie sich einmal Folgendes an: Heute leben
fast 8 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in
Deutschland, die mehr als 8 Jahre hier sind. Der Punkt
ist: Sie erfüllen die wichtigsten Einbürgerungsvorausset-
zungen. In anderen europäischen Ländern – das zeigt der
Vergleich – wären sie alle schon eingebürgert. Was ist
bei uns passiert? Bei uns werden die Kinder der Einwan-
derer zu Auswanderern. Wir sind ein Auswandererland,
weil gut gebildete Migranten, zum Beispiel junge Tür-
kinnen und Türken, in Brüssel oder Istanbul ihre beruf-
liche Karriere besser weiterverfolgen können.
Ich sage Ihnen ganz klar: Sie können es nicht. Es geht
nicht um die Gnade der Einbürgerung, sondern es geht,
wie in der Europapolitik und in der Außenpolitik, auch
knallhart um deutsche Interessen, und die werden nicht
von der schwarz-gelben Koalition vertreten.
Es ist doch fatal: Wir erleben einen Fachkräfteman-
gel, und Ihnen fällt dazu nichts anderes ein, als die Ver-
dienstgrenze beim Zuzug von Fachkräften auf 48 000
Euro zu reduzieren. Dabei kriegen Leute mit Hochschul-
abschluss keinen Job, mit dem sie 48 000 Euro verdie-
nen. Also kommen sie auch nicht.
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Sie können mir auch nicht erzählen, dass es bei der
erteidigung des Landes Komplikationen gäbe. Wie soll
s denn bei jemandem, der zum Beispiel die deutsche
nd die türkische Staatsangehörigkeit hat, Komplikatio-
en bei der Verteidigung des Landes oder bei Auslands-
insätzen geben, wenn es um zwei NATO-Länder geht?
ann müssten Sie an der Stelle sagen, dass auch
cAllister einen Interessenskonflikt hat. Aber er kann
ritisch und deutsch und Ministerpräsident sein.
enau das wollen wir für die jungen türkischen Men-
chen, die hier aufgewachsen sind: dass auch sie einmal
inisterpräsidentin oder Ministerpräsident werden kön-
en.
Es geht nicht darum, dass diese Personen einen Inte-
ssenkonflikt hätten. Vielmehr entspricht es deutschen
teressen, bestehende Konflikte endlich aufzulösen: mit
iner doppelten Staatsbürgerschaft.
Was wir wollen, ist eine Art zweite deutsche Einheit.
abei geht es nicht um zwei Teile, sondern um alle
chichten und Teile dieser Gesellschaft. Lassen Sie uns,
ie Prantl schreibt, eine zweite deutsche Einheit versu-
hen. Das heißt im Übrigen: Wir haben gemeinsame In-
ressen, und dann muss man logischerweise zur doppel-
n Staatsbürgerschaft kommen. Dann können wir alle
robleme in einem anderen Sprachduktus miteinander
sen.
Wir bitten um Ihre Zustimmung.
Das Wort hat nun Stephan Mayer für die CDU/CSU-
raktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen!ehr geehrte Kollegen! Es ist nichts Neues, dass die Op-osition in regelmäßigen Abständen mit Gesetzentwür-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16477
Stephan Mayer
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fen und Anträgen um die Ecke kommt, die die Änderungunseres Staatsangehörigkeitsrechts zum Gegenstand ha-ben.
Aber ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren,meine werten Kolleginnen und Kollegen von der Oppo-sition, dass der eigentliche Grund der heutigen Debatteein anderer ist.Der SPD-Parteitag naht. Sehr geehrte Frau KolleginÖzoğuz, ich gönne es Ihnen wirklich, dass Sie desi-gnierte stellvertretende Parteivorsitzende sind.
Der eigentliche Grund der heutigen Debatte war unteranderem, Ihnen die Plattform zu bieten, eine Bewer-bungsrede für Ihre Kandidatur zur stellvertretenden Par-teivorsitzenden zu halten.
Ich sage Ihnen aber ganz offen, meine verehrten Kolle-gen von der SPD: Unser deutsches Staatsangehörigkeits-recht ist zu kostbar, als es nur als Profilierungsplattformdafür zu nutzen, dass Sie, Frau Özoğuz, stellvertretendeParteivorsitzende werden.
Meine werte Kollegin Künast, ich kann mich auchnicht des Eindrucks erwehren, dass Sie insbesonderedeshalb heute in dieser Debatte sprechen, weil Sie nachIhrem schwachen Abschneiden bei der Berliner Land-tagswahl in enormen innerparteilichen Schwierigkeitenstecken. Sie sind eben nicht Regierende Bürgermeisterinvon Berlin geworden. Jetzt gibt es deutlichen Druck inder eigenen Partei.
Ich glaube, dass auch dies ein Grund ist, warum Sieheute so aufgekratzt und emotional argumentiert haben.
Gleiches gilt für die Kollegin Lötzsch, die, wie manden Medien entnehmen kann, auch unter enormemRechtfertigungsdruck in der eigenen Partei steht. Hiergilt aber das Gleiche: Unser deutsches Staatsangehörig-keitsrecht ist zu kostbar, als es für eine bloße und sehrdurchsichtige parteipolitische Profilierung zu nutzen.
tiÖbAMdtrSlinstibSssfüDddnSssbsdrachuEteswUdissmhss
lso sollten Sie jetzt keine Rede halten, in der Sie diesesodell als schwach und als bürokratischen Wahnsinniffamieren. Sie selbst haben die Verantwortung dafür zuagen.Deutschland ist gut mit dem Grundprinzip in seinemtaatsangehörigkeitsrecht gefahren, dass man Mehrstaat-chkeit vermeidet. Einbürgerung kann nur am Ende ei-es erfolgreich abgeschlossenen Integrationsprozessestehen und kann und darf nie am Anfang des Integra-onsprozesses stehen.
Durch die Staatsangehörigkeit wird ein Loyalitäts-and zwischen dem Staat auf der einen Seite und demtaatsangehörigen auf der anderen Seite geknüpft. Die-es Loyalitätsband kann und darf nie eine Einbahnstraßeein; dieses Loyalitätsband eröffnet Rechte und Pflichtenr beide Seiten.
eswegen muss es weiterhin ein fester Grundsatz deseutschen Staatsangehörigkeitsrechts sein, dass eineoppelte Staatsangehörigkeit nach Möglichkeit abzuleh-en und zu vermeiden ist, weil sie erhebliche rechtlichechwierigkeiten aufwirft: Auf der einen Seite eröffnetie gewisse Privilegierungstatbestände für die Doppel-taatler, zum Beispiel was das Wahlrecht anbelangt. Esesteht die akute Gefahr der Rosinenpickerei: Man greiftich je nachdem, was einem gerade in den Sinn kommt,as günstigere Recht, zum Beispiel das Wahlrecht, he-us. Auf der anderen Seite gibt es offenkundig rechtli-he Nachteile. Die Juristerei spricht von sogenannteninkenden Rechtsverhältnissen, zum Beispiel im Ehe-nd Familienrecht und auch im Namensrecht.
s ist sehr wohl der Fall, dass man sich von der doppel-n Staatsangehörigkeit fälschlicherweise etwas ver-pricht, was in der Praxis nicht zu halten ist.Frau Künast, es gibt ganz konkrete Fälle. Ich selbstar in der letzten Legislaturperiode Mitglied des BND-ntersuchungsausschusses. Wir hatten unter anderemen Fall Mohammed Haydar Zammar zu behandeln. Ert Doppelstaatler – er ist Deutscher und Syrer –, war inyrischer Haft in einem berüchtigten Gefängnis in Da-askus. Ganz ehrlich: Die deutsche Staatsangehörigkeitat ihm persönlich überhaupt nichts gebracht. Konsulari-cher Schutz wurde ihm nämlich von der syrischen Seitetrengstens verwehrt,
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16478 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Stephan Mayer
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weil die Syrer die deutsche Staatsangehörigkeit nicht an-erkannt haben. Also hat er keine Möglichkeit gehabt, aufkonsularischen Schutz zurückzugreifen. Ganz im Ge-genteil, er wurde von den Syrern nur als Syrer angese-hen.
Man macht sich manche Vorstellungen und knüpft Er-wartungen an die doppelte Staatsangehörigkeit, die sichdann in der Praxis als falsch herausstellen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,wir sind gut damit gefahren, dass wir das Staatsangehö-rigkeitsrecht 2007 novelliert haben, dass wir darin deut-liche Verbesserungen aufgenommen haben, zum Bei-spiel was den Nachweis ausreichender deutscherSprachkenntnisse und die Sicherung des Lebensunter-halts für Personen unter 23 Jahren anbelangt.
Insbesondere die Einführung des Einbürgerungstestswar ein Meilenstein in der Veränderung des deutschenStaatsangehörigkeitsrechts.
Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Kanada, inden USA oder auch in den Niederlanden ist es der Fall,dass derjenige, der Staatsbürger in dem betreffendenLand werden will, mit einem Einbürgerungstest natürlichauch dokumentieren muss, dass er sich – in dem Fall – zuDeutschland, zur deutschen Sprache, zur deutschen Kul-tur und auch zur deutschen Verfassung bekennt. Ichglaube, das ist nicht zu viel verlangt.
Kollege Mayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Pronold?
Sehr gerne.
Herr Kollege Mayer, Sie erinnern sich ja sicher, dass
die CSU im Europaparlament durch Otto von Habsburg
vertreten war. Er hatte meines Wissens drei Staatsbürger-
schaften. Wie konnte er diese Konflikte trotzdem zum
Wohle Bayerns aushalten?
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Natürlich gibt es Mehrstaatler in Deutschland; das istar keine Frage.
h bitte schon, zu berücksichtigen, dass Otto von Habs-urg die deutsche Staatsangehörigkeit genauso wie diesterreichische hatte; aber daraus erwachsen keine un-ittelbaren Konfliktfelder.
as zu übersehen, ist der große Trugschluss, dem Sienterliegen. Die doppelte Staatsangehörigkeit in denällen, in denen sie in Deutschland meistens vorhandent, bezieht sich auf zwei oder drei europäische Länder,nd es entstehen aufgrund der Ähnlichkeit der Rechts-rdnungen dieser Länder keine Konfliktfelder.Ich sage Ihnen ganz offen: Natürlich bestehen größereonfliktfelder, wenn eine Person neben der deutschenuch die türkische Staatsangehörigkeit hat. Das mussan in aller Deutlichkeit sagen. Weil Sie Otto von Habs-urg angesprochen haben, möchte ich sehr lobend undehr respektvoll erwähnen, dass in Deutschland immer-in 1 Million Bürger lebt, die türkischer Abstammungind und mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeitaben. Ich ziehe den Hut vor diesen Menschen.
Bitte, Herr Pronold, das gehört noch zur Beantwortunger Frage, die Otto von Habsburg betrifft.
tto von Habsburg war ein großer Befürworter der Ver-tändigung zwischen Deutschland und der Türkei. Ge-de die 1 Million Türkischstämmigen, die mittlerweileie deutsche Staatsangehörigkeit haben, haben sich ganzewusst für die deutsche Staatsangehörigkeit entschie-en und ihre türkische Staatsangehörigkeit aufgegeben.h glaube, gerade dieser Personenkreis zeigt, wie mo-ern und erfolgreich das deutsche Staatsangehörigkeits-cht ist.
Gleichwohl bietet unser Staatsangehörigkeitsrechtusreichende Möglichkeiten, Härtefällen zu begegnen.12 des Staatsangehörigkeitsgesetzes bietet die Mög-)
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16479
Stephan Mayer
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lichkeit, wenn besondere Härten entstehen und die Auf-gabe der eigenen Staatsangehörigkeit eine besondereSchwierigkeit in vermögensrechtlicher oder anderweiti-ger Hinsicht darstellt, die deutsche Staatsangehörigkeitzusätzlich zu der ursprünglichen auszureichen. Das wie-derum zeigt, dass wir ein modernes und flexibles Staats-angehörigkeitsrecht haben, das durchaus allen unter-schiedlichen Bedürfnissen in ausreichender Weisegerecht wird.
Es laufen derzeit zwei Studien, die von der For-schungsgruppe am Bundesamt für Migration und Flücht-linge durchgeführt werden und in denen die ersten Ergeb-nisse des Optionsmodells evaluiert werden. Die Ergeb-nisse werden aller Voraussicht nach im ersten Halbjahrdes kommenden Jahres vorliegen. Ich bitte Sie, meinelieben Kolleginnen und Kollegen von der Opposition:Lassen Sie uns erst einmal diese Ergebnisse abwarten.Die ersten Personen, die die Optionsmöglichkeit wahr-nehmen können, gibt es seit dem Jahr 2008; es ist schonerwähnt worden. Jedes Jahr kommen zwischen 3 000 und5 000 neue Personen hinzu. Die ersten Personen, die op-tieren müssen, haben dafür immerhin bis Ende 2013 Zeit.
Es ist momentan viel zu früh, zu sagen, ob sich das Op-tionsmodell bewährt hat oder nicht, ob rechtlicheSchwierigkeiten auftauchen oder nicht. Wir sollten unswirklich die Zeit nehmen, die Ergebnisse der Evaluie-rung abzuwarten, und zu gegebener Zeit auch in diesemHause darüber debattieren, wie wir darauf reagieren.Ich glaube, dass wir gerade bei dieser gesellschafts-politisch relevanten Debatte deutlich machen müssen,dass die Ausreichung der deutschen Staatsangehörigkeitmehr ist, als nur einen Personalausweis, ein Legitima-tionspapier zu überreichen. Es geht bei der deutschenStaatsangehörigkeit wie bei der Staatsangehörigkeit ge-nerell auch sehr stark darum, ein Bekenntnis zu einemStaat abzugeben. Deswegen ist es mir auch so wichtig,darauf hinzuweisen, dass wir die Debatte über eine mög-liche Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts nichtauf dem Altar von Parteipolitik opfern sollten. Es sollteschon Konsens hier in diesem Haus sein, dass die Ver-fassungstreue und das Bekenntnis zu unserer freiheit-lich-demokratischen Grundordnung ein Grundpfeiler desdeutschen Staatsangehörigkeitsrechts sind. Ich glaube,dass man nicht umhinkann, festzuhalten, dass durchausdie Gefahr besteht, dass Loyalitätskonflikte bei Personenentstehen, die mehrere Staatsangehörigkeiten haben.
Vor dem Hintergrund bitte ich Sie herzlich, hier nichtfalsche Ängste zu schüren. Ich halte es für wirklich uner-trliliIciskwndsSHSKD–bsInIhsgduOsmfa
h glaube, dass dieser Vorwurf wirklich ungebührlicht und der Seriosität und Ernsthaftigkeit der Debatte ineiner Weise gerecht wird.
Das ist eine Debatte, die heute zur Unzeit geführtird. Wir haben noch genügend Zeit, wenn die Ergeb-isse der Evaluierung des Optionsmodells vorliegen, unsarüber auszutauschen.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerk-amkeit.
Das Wort hat nun Frank-Walter Steinmeier für die
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Dass sowohl der Herr Minister als auch die Frautaatsministerin heute keine Zeit haben, nehmen wir zurenntnis. Ich muss Ihnen sagen: Es wundert mich nicht.enn die Woche der Festakte ist schließlich vorbei.
Ich weiß gar nicht, was Sie immer mit Parteitagen ha-en. Ich meine, der CDU-Parteitag ist viel näher als un-erer.
sofern müssten wir schlechte Gedanken haben, wasre Tagesordnungspunkte angeht. Herr Wolff, da Siechon dazwischenrufen, lassen Sie mich noch eines sa-en: Ich hätte nicht gedacht, dass Sie in der Lage sind,as Diskussionsniveau Ihrer Partei doch so nachhaltig zunterschreiten. Das war wirklich auffällig.
Zu Ihrem Hinweis, dass es Konkurrenz innerhalb derpposition gebe, muss ich Ihnen eines sagen: Daschreckt mich nicht wirklich, solange ich weiß, dass Sieit solchen Reden dafür sorgen, dass die FDP – jeden-lls in Zukunft – außer Konkurrenz läuft.
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16480 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Ansonsten hätte ich mir gewünscht, dass wir dieseDebatte mit mehr Ernsthaftigkeit führen.
Deshalb sage ich zu Anfang: Über die doppelte Staatsan-gehörigkeit darf man streiten und muss man streiten –vielleicht auch heute. Man sollte jedoch vielleicht damitbeginnen, dass es ein paar Gemeinsamkeiten in diesemHohen Hause gibt. Ich habe das jedenfalls gespürt, alswir in der letzten Woche unterwegs waren und die vielenVeranstaltungen zu 50 Jahre deutsch-türkisches Anwer-beabkommen besucht haben.Viele auch Ihrer Redner haben darauf hingewiesen,wie sehr diejenigen, die von weit hergekommen sind,dieses Land bereichert haben. Die, die hergekommensind, haben hier – weit weg von zu Hause – gearbeitet,ohne die Sprache dieses Landes zu verstehen, haben daangepackt, wo die Arbeit am schwersten war, haben dieKohle aus der Erde geholt, haben als Stahlkocher Hitzeund Dreck widerstanden, haben auf dem Bau geschuftetund Autos zusammengeschraubt. Sie waren diejenigen,die dafür gesorgt haben, dass die wirtschaftliche Aufhol-jagd in diesem Lande tatsächlich stattfinden konnte.Es muss uns auch in einer solchen Debatte klar sein:Das war mit den Feierveranstaltungen der letzten Wochenicht abgeschlossen. Auch in einer solchen Debattemuss uns klar sein, dass das deutsche Wirtschaftswun-der, dieses Wachstum von beispielloser Stabilität und dieSteigerung des Wohlstandes, die hier in Deutschland fürbreite Schichten der Bevölkerung – und das nur zweiJahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges –möglich waren, eben auch getragen waren von der Ar-beit von Zehntausenden, von Hunderttausenden von Mi-granten. Deshalb sage ich: Unser Erfolg ist auch derenErfolg, und es war in der letzten Woche Zeit, dafür end-lich herzlichen Dank zu sagen.
Ich lasse jetzt die Reden beiseite, die hier gehaltenworden sind. Denn wir müssen uns die Frage stellen– das sage ich mit großem Ernst –: Was haben die Veran-staltungen in der letzten Woche mit dem Streit heute zutun?
Ich glaube, folgende Frage bleibt: Haben wir damals ei-gentlich gewusst, was Arbeitsmigration in der Größen-ordnung, wie wir sie erlebt haben, wirklich bedeutete?Haben wir gewusst, was sie in der Gesellschaft, aus derdie Arbeitsmigranten kamen, und was sie in der Gesell-schaft, in die viele Neue kamen, um hier zu arbeiten,verändert hat?Wir in Deutschland haben doch viel zu lange ge-glaubt: Das alles ist ein Provisorium. Das alles ist eineÜteudfeeridddubdLddVreMKzdwVsb6dfenZduläggvdlidggteWliMhs
ielleicht können Sie den Weg mitgehen und gemein-am mit uns überlegen, ob wir die politischen Aufgabenewältigt haben, die sich aus der Arbeitsmigration in den0er- und 70er-Jahren ergeben. Vielleicht kommen wirann auch zu einem gemeinsamen Ergebnis und könnenststellen: Wir haben sie wahrscheinlich nicht odericht ausreichend bewältigt. Darüber würden wir uns imweifel noch einig sein. Mit Blick auf all das, was ich iner letzten Woche von den Rednern der CDU, der CSUnd der FDP gehört habe,
sst sich jedenfalls festhalten, dass eigentlich fast alleesagt haben: Wir sind in der Integration nicht so weitekommen, wie es nötig gewesen wäre und wie vieleon uns es eigentlich wollten.Deshalb muss ich nicht in erster Linie das Hohe Hausavon überzeugen, wie wichtig es ist, dass wir jetzt end-ch das nachholen, was wir in der Vergangenheit schul-ig geblieben sind. Das sind wir eben nicht nur denjeni-en schuldig, die zugewandert sind, und den hiereborenen Kindern und Kindeskindern der Zugewander-n, sondern wir sind es auch uns selbst schuldig.
er es nämlich zulässt – das fällt in unsere Verantwort-chkeit als Politiker –, dass in diesem Lande zu vieleenschen zu wenige Chancen und nicht gleiche Rechteaben, wer das in Kauf nimmt, der setzt den inneren Zu-ammenhalt dieser Gesellschaft aufs Spiel. Hier geht es
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Dr. Frank-Walter Steinmeier
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aber um unsere Zukunft. Die dürfen wir nicht aufs Spielsetzen.
Wenn wir über Staatsangehörigkeit als ein Elementvon Integration reden, reden wir also nicht nur über Zu-gewanderte und deren Kinder, sondern auch über die Zu-kunft dieses Landes. Deshalb sage ich Ihnen: Wer Inte-gration wirklich ernst nimmt, der muss auch bereit sein,über Staatsangehörigkeit zu reden. Angesichts der Re-den, die wir hier vonseiten der Koalitionsfraktionen ge-hört haben, und mit Blick auf das, was die Regierung tutund insbesondere nicht tut, befürchte ich: Wir tun dasgenaue Gegenteil,
indem wir jungen Menschen eine Entscheidung abzwin-gen, die sie ganz offenbar nicht in der Lage sind zu tref-fen.
Jetzt sage ich Ihnen eines: Ja, wir haben diese Op-tionsregelung mitgetragen. Jetzt, nach zehn, elf Jahren,stelle ich mich auch hierher und sage mit Blick auf das,was hinter uns liegt: Sie können doch nicht, wo uns sonstüberall abverlangt wird, gelegentlich einmal zu kontrol-lieren, ob wir mit unserer Gesetzgebung erfolgreich ge-wesen sind, beim Staatsangehörigkeitsrecht sagen: Dadürft ihr euch, bitte, nicht korrigieren.
Nein, umgekehrt verhält es sich! Ich sage mit Blick aufdie zehn, elf Jahre, die jetzt hinter uns liegen: Wir habendamals gemeinsam einen Versuch gemacht. Wir habenein Angebot unterbreitet. Aber wir müssen auch zurKenntnis nehmen, dass dieses Angebot ausgeschlagenwird; diese Optionsregelung funktioniert nicht. Deshalbkönnen wir sie nicht einfach weiter mit uns herum-schleppen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wolff?
Selbstverständlich.
Hartfrid Wolff (FDP):
Herr Kollege Steinmeier, Sie haben gerade gesagt,
dass Sie Ihre Position ändern. Aber es ist doch Tatsache,
dass die Regelungen, die von Ihnen selbst eingeführt
wurden, erst seit Anfang dieses Jahres gelten.
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ie sind aber schnell dabei, Ihre Position zu ändern. Wie
tehen Sie denn dazu?
Herr Wolff, Sie sind offenbar nicht so ganz in derache drin. Das habe ich an dem Vortrag, den Sie ebenehalten haben, auch schon gesehen.
eder, der sich mit Fragen des Staatsangehörigkeitsrechtsirklich befasst, kann in jedem Jahr mindestens fünfroße Konferenzen und Tagungen besuchen, bei denengelmäßig alles erreichbare statistische Material vorge-gt wird. In diesem Rahmen könnten Sie zur Kenntnisehmen, ob die Bereitschaft jüngerer Zuwanderungsge-erationen besteht, von dieser Option Gebrauch zu ma-hen, ja oder nein. Wenn Sie das nicht tun und hier liebero tun, als ob wir über ein Phantom reden würden, zuem noch kein belastbares Material vorliege, liegt dasahrlich nicht in der Verantwortung der SPD-Fraktion.
Frau Merkel hat beim Festakt zum Jahrestag des An-erbeabkommens gegenüber der türkischstämmigenitbevölkerung gesagt:Sie sind ein Teil von Deutschland. Sie gehörendazu.as ist richtig; aber das ist natürlich zunächst einmalicht gesagt. Was heißt das eigentlich genau? Das ent-cheidende Element von Zugehörigkeit zu einem Ge-einwesen ist doch ganz ohne Zweifel die politischeeilhabe, das heißt die Teilhabe als Staatsbürgerin undtaatsbürger dieses Landes. Deshalb sage ich: Wenn das,as Frau Merkel hier richtigerweise gesagt hat, mehrein soll als ein Lippenbekenntnis, dann kommen wiricht umhin, allen dauerhaft hier lebenden Menschen dieire Chance zu geben, Bürgerin oder Bürger dieses Lan-es zu werden – mit allen Rechten und Pflichten; das ge-ört dazu. Aber wir müssen es machen.
Natürlich haben Sie recht, Herr Mayer, wenn Sie da-uf hinweisen, dass viele bei uns lebende Menschen ausinwandererfamilien eingebürgert sind. Ja, das gibt es.atürlich ist es auch richtig, dass allen Eingewanderteniese Option prinzipiell offensteht. Die Frage ist jedoch,u welchem Preis. Darum geht es doch, wenn wir unsagen, warum das Angebot der deutschen Staatsangehö-gkeit ausgeschlagen wird. Wir verlangen die Aufgabeer bisherigen Staatsangehörigkeit. Offenbar ist es miter Identität aber nicht ganz so einfach, wie wir uns dasor zwölf Jahren bei unseren politischen Entscheidungenorgestellt haben. Schwarz oder weiß, Inländer oderusländer, das ist für diese Generation eben nicht mehrie Frage; denn sie fühlt beides. Die Begründung mit
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Dr. Frank-Walter Steinmeier
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dem Loyalitätskonflikt ist der falsche Ansatz. Wir müs-sen uns der Realität stellen. Es sind Menschen, die die-sen Identitätskonflikt in sich spüren. Aber das ist keinGrund, ihnen die Staatsangehörigkeit zu verweigern.Das ist die Verweigerung von Politik.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich muss zum Ende kommen. Deshalb verweise ich
auf unseren Gesetzentwurf, den wir hier unterbreitet ha-
ben. Wir bitten Sie – jenseits der Reden, die dazu in der
Vergangenheit und auch heute im Parlament gehalten
worden sind –, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Lassen Sie mich abschließend den Herrn Bundesprä-
sidenten zitieren, der kürzlich in einer Rede zum 20. Jah-
restag der deutschen Einheit gesagt hat: Der Satz „Wir
sind ein Volk“ sollte heute mehr denn je auch als Einla-
dung an alle, die hier leben, verstanden werden, ob ein-
gewandert oder nicht. – Lassen Sie uns Ernst machen da-
mit!
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Serkan Tören für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Steinmeier, ich habe mich offenbar im Gegensatzzu Ihnen mit Ihrem Gesetzentwurf beschäftigt. Sie habenim Zusammenhang mit der doppelten Staatsangehörig-keit gesagt, man müsse in diesem Rahmen nicht überLoyalitätskonflikte sprechen. Ich zitiere aus Ihrem Ge-setzentwurf:Zum anderen finden sich viele der betroffenen Ju-gendlichen in einem Loyalitätskonflikt wieder.Insofern sollten Sie sich vielleicht mit Ihrem Gesetzent-wurf beschäftigen, bevor Sie hier in Ihrer Rede nur all-gemeinpolitische Ausführungen zur Integration ma-chen, ohne auf die Sache zu kommen.
Zudem habe ich mich sehr über den Zeitpunkt gewun-dert. Sie haben das vor 50 Jahren geschlossene Anwerbe-abkommen zwischen Deutschland und der Türkei ange-führt. Die Einführung der doppelten Staatsangehörigkeitsoll in Ihren Augen eine Art Belohnung sein. Wenn Ih-nen wirklich etwas an einer Belohnung liegt – oder las-sWüctiajolaKisgMdznisOszzwmatesDauGwdIcruEwfüredwstualasL
t viel mehr an Integration als das, was Sie in Ihrer Re-ierungszeit vorgelegt haben oder jetzt vorschlagen.Heute geht es um gleiche Chancen. Es muss um dieöglichkeit gehen, sein Leben in Deutschland selbst inie Hand zu nehmen. Das ist Respekt und Wertschät-ung. Die doppelte Staatsangehörigkeit hier als Beloh-ung anzuführen,
t doch völlig absurd und zeigt einmal mehr: Sie sind imktober 1961 stehengeblieben, mit einem patriarchali-chen und gönnerhaften Blick auf Migranten.
Unser Ziel ist es, aus Migranten Bürger dieses Landesu machen, Bürger, die sich verantwortlich fühlen, parti-ipieren und Deutschland mitgestalten. Genau dasollen auch die meisten Migranten. Wir tun doch nie-andem einen Gefallen, wenn wir die doppelte Staats-ngehörigkeit großzügig und karitativ als Bonus ver-ilen, am besten noch ohne irgendwelche Voraus-etzungen.
as bedeutet im Umkehrschluss aber nicht: Das Staats-ngehörigkeitsrecht ist gut, wie es ist, und wir müssenns keine Gedanken um dessen Modernisierung machen.anz im Gegenteil! Das sage ich hier ganz klar. Aberir müssen erst einmal die Evaluation des Optionsmo-ells abwarten.
h sage Ihnen auch, weshalb. Entgegen Ihren Ausfüh-ngen höre ich nämlich sehr Unterschiedliches von deninbürgerungsbehörden. Viele vermelden erfreulicher-eise eine sehr klare Tendenz bei den jungen Migrantenr die deutsche Staatsangehörigkeit. Gleichzeitig variie-n die Rückmeldungsquoten sehr stark. Einige Behör-en haben hohe Rückmeldungsquoten, andere kaumelche. Einer der Gründe hierfür liegt in der sehr unter-chiedlichen Leistungsfähigkeit und dem Dienstleis-ngscharakter der einzelnen Behörden. Aber das ist einnderes Thema. Wer also bereits jetzt für ganz Deutsch-nd ein klares Fazit zieht und die Optionspflicht als ge-cheitert abtut, arbeitet nicht seriös. Deshalb sage ich:assen Sie uns die Evaluation abwarten!
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16483
Serkan Tören
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Zur Wahrheit gehört aber auch: Das Thema Einbürge-rung ist in Deutschland kein Selbstläufer. Hier habenEinwanderer mit einer Niederlassungserlaubnis bereitssehr weitgehende Rechte. Politische Partizipation inForm von Wahlen hat derzeit leider keine Hochkonjunk-tur. Wirkliche Anreize insbesondere für gut integrierteEinwanderer fehlen. Zudem haben einige Debatten invergangener Zeit nicht zur viel zitierten Willkommens-kultur bzw. Anerkennungskultur beigetragen. Deshalbgilt: Wir müssen für die deutsche Staatsangehörigkeitwerben, ich meine nicht: für eine Urkunde, sondern fürunser wunderbares Land und unsere Gesellschaft als sol-che.
Machen wir uns nichts vor: Ein Einbürgerungstest oderein Stück Papier macht noch keinen loyalen, partizipie-renden Bürger aus. Das gilt für alle Deutschen – ob mitZuwanderungsgeschichte oder ohne.Wir werden diese Debatte verstärkt und engagiertführen, die Evaluation des Optionsmodells abwarten undIhre Ablenkungsmanöver nicht mitmachen.Zum Schluss eine kurze Bemerkung zu meiner Per-son. Ich war bis vor einigen Jahren Doppelstaatler, habemich dann aber entschieden, die türkische Staatsbürger-schaft abzugeben. Der Grund dafür war, dass Deutsch-land meine Heimat geworden ist, dass ich zu dieser Ge-sellschaft gehöre und ein Teil davon bin.
Eine praktische Erwägung war, dass ich keinen Militär-dienst ableisten musste. Diese Frage wird auf viele zu-kommen. Ich bin mit meiner Entscheidung sehr glück-lich.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Sevim Dağdelen für die Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist zubegrüßen, dass der 50. Jahrestag des deutsch-türkischenAnwerbeabkommens Anlass bietet, im Deutschen Bun-destag über das Thema Einbürgerungserleichterungenund über das Staatsangehörigkeitsrecht insgesamt zu de-battieren. Aber ich muss auch sagen, Herr Steinmeier: IhrDankeschön an die Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter,die vor 50 Jahren nach Deutschland gekommen sind undihre Familien nachgeholt haben – so war es beispiels-weise auch in meiner Familie der Fall –, lässt zu wün-schen übrig. Auf Ihr Dankeschön in Form von Hartz IV,Leiharbeit,ZbkSedploagDFgsdSru1dkWRdrudvEvlibDWsbruAbturelik
erstörung der gesetzlichen Rente und einer Praxisge-ühr hätten diese Millionen von Menschen verzichtenönnen.
chauen Sie sich einmal die Zahlen an, die zeigen, wies den Menschen geht, die von Altersarmut, von eineroppelt so hohen Arbeitslosigkeit und von einer über-roportional hohen Beschäftigungsquote im Niedrig-hnbereich betroffen sind. Wenn Sie diesen Menschenuch angesichts der Tatsache, dass Sie ihnen in der Ver-angenheit etwas schuldig geblieben sind, wirklichanke sagen wollen, dann sollten Sie erst einmal dieehler beseitigen, die Sie während der elf Jahre Ihrer Re-ierungszeit gemacht haben. Dann werden die Men-chen Ihr Dankeschön ernst nehmen.
Auch bei den Einbürgerungszahlen kann die Linkeas Eigenlob – ich sage nur, dass Eigenlob stinkt – vonPD und Grünen nicht nachvollziehen. Die Einbürge-ngszahlen des letzten Jahres, also 2010, sind mit rund00 000 immer noch niedriger als vor zehn Jahren, alsas antiquierte deutsche Reichs- und Staatsangehörig-eitsgesetz aus dem Jahre 1913 galt.
arum ist das so? Sie von der SPD haben während Ihreregierungszeit, ob es in der rot-grünen Koalition oder iner Großen Koalition war, durchweg für Verschlechte-ngen gesorgt. Ich nenne beispielsweise die Erhöhunger Anforderungen an Sprachkenntnisse von A1 auf B1.
Warum ist das für die Linke ein Problem, und warumerlangt die Linke umfassende Erleichterungen bei derinbürgerung? Das Bundesverfassungsgericht sprichton einem Demokratiedefizit in Deutschland, das darinegt, dass Millionen von Menschen die politische Mit-estimmung durch Wahlen versagt bleibt, obwohl sie imurchschnitt seit fast 20 Jahren in Deutschland leben.ir von der Linken wollen nicht, dass immer mehr Men-chen über einen längeren Zeitraum in Deutschland le-en, ohne die gleichen Rechte zu haben, ohne ihren Be-f frei wählen zu können oder nach 20 Jahren festemufenthalt nicht vor Ausweisung sicher zu sein. Deshalbrauchen wir keine Sprechblasen über Willkommenskul-r, sondern endlich gleiche Rechte.
Wenn Sie von der Regierungskoalition immer mit Ih-m anachronistischen Popanz von vermeintlichen Loya-tätskonflikten bei Menschen mit mehr als einem Passommen, dann muss ich sagen: In der Praxis ist die
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Sevim Daðdelen
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Sevim DağdelenMehrstaatigkeit doch längst Realität. Die Mehrzahl derEinbürgerungen in Deutschland geschieht unter Beibe-haltung der alten Staatsangehörigkeit. Mehr als 57 Pro-zent aller Eingebürgerten sind Doppelstaatler, das sindmehr als 4,5 Millionen Menschen. Es wird überhauptnicht darüber diskutiert, ob diese Menschen Loyalitäts-konflikte haben. Ebenso wenig wird darüber diskutiert,dass in elf EU-Staaten die Situation ähnlich ist. Wenn esnicht Ausdruck eines wirklichen Ausgrenzungswillenswäre, wäre das Ganze zum Lachen, Herr Kollege Mayer.
Wer heute noch dem Prinzip der Einstaatigkeit anhängt,folgt eher dem Prinzip der Einfältigkeit. Das ist bei Ih-nen aber nichts Neues.
Ich bin dankbar für die neue Ehrlichkeit in der CDU/CSU-Fraktion. Im Innenausschuss gab es gestern einebemerkenswerte Klarstellung des Kollegen Mayer vonder CDU/CSU-Fraktion. Er bekannte unmissverständ-lich, dass Mehrfachstaatsangehörigkeiten bei EU-Ange-hörigen ja kein Problem seien. Zum Problem würden sieaber, wenn es um türkische Staatsangehörigkeiten gehe.Ich kann nur sagen: Wir haben verstanden. Sie haltenMenschen, die entweder aus der Türkei eingewandertoder die hier geboren und aufgewachsen sind und zufäl-lig die türkische Staatsangehörigkeit haben, für eine be-sondere Bedrohung und potenzielle Gefahr. Wenn dasnicht rassistisch und fremdenfeindlich ist, was ist esdann?
Zum Schluss möchte ich vorwegnehmen – meineKollegin Frau Lötzsch hat es schon gesagt –: Die Linkewird den Gesetzentwürfen von der SPD und den Grünenzustimmen, und das, obwohl sie unglaubwürdig sind.Das gilt insbesondere für den Antrag der SPD. Sie warenelf Jahre lang pausenlos in der Regierung und haben dieEinbürgerungszahlen, die in den letzten Jahren katastro-phal niedrig sind, mit zu verantworten. Aber nicht nurdas. Sie haben vor noch nicht allzu langer Zeit hier imBundestag unsere Verbesserungsvorschläge zum Staats-angehörigkeitsgesetz und zu anderen Themen wie demkommunalen Wahlrecht für Drittstaater genauso abge-lehnt, wie Sie es gestern im Innenausschuss getan haben.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss. – Glaubwürdig sind Sie aber
erst dann, wenn Sie unseren Verbesserungsvorschlägen
zustimmen und solcherlei Anträge nicht nur vorlegen,
wenn Sie in der Opposition sind, –
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
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Frau Kollegin, Sie haben uns Eigenlob vorgeworfen.
h sage Ihnen: Wir haben Lob verdient, obwohl wir
999 ein Gesetz auf den Weg gebracht haben, das die be-
agte Optionsregelung enthält, von der wir schon damals
ussten, dass sie ein Fehler war.
Ich habe dieser Regelung damals zugestimmt, und
war deshalb, weil nach der Hessen-Wahl im Jahr 1999
ehr einfach nicht drin war.
h stand vor der Frage: Soll ich diesem Gesetz nicht zu-
timmen und damit Hunderttausenden in Deutschland
eborenen Kindern von Migranten die deutsche Staats-
ürgerschaft verweigern, oder soll ich diesem Gesetz in
enntnis dessen zustimmen, dass es Hunderttausenden
ugutekommen wird, die damit automatisch die deutsche
taatsbürgerschaft erwerben? Bereits damals habe ich
esagt: Diese Regelung ist im Grunde falsch; wir müs-
en sie aufheben, wenn es zum Schwur kommt, also
twa zehn Jahre später. Ich halte es nach wie vor für
chtig, dass wir damals diese Entscheidung getroffen
aben. Zwingend notwendig ist aber, dass diese Rege-
ng jetzt korrigiert wird.
Lob haben wir verdient, weil wir damit Zehntausen-
en von jungen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ermög-
cht haben, durch ihre Geburt in Deutschland die deut-
che Staatsbürgerschaft zu erwerben, und wir damit das
ogma gebrochen haben, dass die Staatsbürgerschaft
ur über die Blutsverwandtschaft vermittelt werden
ann. Die Entscheidung damals war richtig und gut; sie
ar notwendig. Heute ist es richtig, es endgültig so zu
geln, dass es für diese Leute keinerlei Zumutungen
ibt.
Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention erteile
h Kollegen Stephan Mayer.
Frau Kollegin Dağdelen, Sie haben meine Äußerungen der gestrigen Sitzung des Innenausschusses erwähnt.h möchte Sie darauf hinweisen und darf Sie bitten, zurenntnis zu nehmen, dass ich türkische Staatsangehörigeicht als „Problem“, schon gar nicht als „Bedrohung“ be-eichnet habe. Ich habe auf folgenden Umstand hinge-
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Stephan Mayer
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wiesen – ich tue das auch hier in aller Deutlichkeit –: Diedoppelte Staatsangehörigkeit von EU-Staatsangehörigeninnerhalb der Europäischen Union ist deshalb kein Pro-blem, weil es schon aufgrund des EU-Rechts heute so ist,dass EU-Staatsangehörige in Deutschland auch dann,wenn keine doppelte Staatsangehörigkeit besteht, fastalle Rechte haben, die auch Deutschen zustehen. Deshalbist die Ausreichung der doppelten Staatsangehörigkeitauch ohne das Gegenseitigkeitsprinzip kein Problem.Ich habe aber mitnichten behauptet, dass türkischeStaatsangehörige eine „Bedrohung“ für unsere Gesell-schaft darstellen. Ich muss mich deshalb wirklich in allerEntschiedenheit auch insoweit gegen Ihre Äußerungenwenden, dass Sie mir „rassistische“ Erwägungen unter-stellt haben. Das muss ich in aller Deutlichkeit von mirweisen. Ich habe in meiner Rede darauf hingewiesen:Ich bin dankbar und froh, wenn sich türkische Staatsan-gehörige in Deutschland so verwurzelt fühlen, dass siesich um die deutsche Staatsangehörigkeit bemühen unddarum bewerben. Mittlerweile gibt es immerhin schonüber 1 Million türkischstämmige Bürger in Deutschland.Ich möchte betonen: Ich bin froh um jeden türkischenStaatsangehörigen, der sich in Deutschland integriert hatund am Ende des erfolgreichen Integrationsprozesses diedeutsche Staatsangehörigkeit annimmt.Herzlichen Dank.
Kollegin Dağdelen, bitte schön.
Zunächst wende ich mich an den Kollegen Ströbele.
Herr Ströbele, es kann sein, dass Sie wieder einmal einen
Abwägungsprozess hatten, wie es bei der Grünen-Frak-
tion in den letzten Jahren – auch bei den Themen Krieg
und Frieden – oftmals der Fall war,
und Sie sich vielleicht gezwungen sahen, zwischen ei-
nem größeren und einem kleineren Übel zu entscheiden.
Das Problem ist doch Folgendes: Die Migrantinnenorga-
nisation, in deren Geschäftsführung ich damals war und
noch heute bin, hat diese Entscheidung damals, wie viele
andere Organisationen auch, als einen faulen Kompro-
miss bezeichnet; aber Sie wenden nur Lob und keinerlei
Selbstkritik an. Sie haben mit Ihrem Gesetz dafür ge-
sorgt, dass Zehntausende Menschen die deutsche Staats-
angehörigkeit verloren haben.
Sie haben mit dafür gesorgt, dass sich junge Menschen
für eine Staatsangehörigkeit entscheiden müssen.
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nicht. Eine Partei, die einfache Utopien zum Parteipro-gramm erklärt, kann auch Unglaubwürdigem zustim-men; das ist kein Widerspruch für Sie, Frau Dağdelen.
Mich wundert aber, dass die Regierungsfraktionen dieFrage gestellt haben, warum wir unsere Gesetzentwürfezur Erleichterung der Einbürgerung ausgerechnet jetztins Plenum einbringen. Warum nicht? Das größte Einbür-gerungspotenzial liegt bei den türkeistämmigen Einwan-derern. Wir haben gerade vor einer Woche das 50-jährigeJubiläum des Anwerbeabkommens zwischen der Türkeiund Deutschland gewürdigt. Auch die Regierungspar-teien haben sich für die Verdienste dieser Menschen, ins-besondere derjenigen der ersten Generation, bedankt.Meine Oma pflegte immer zu sagen: Was nützt mir einetrockene Danksagung? Wenn wir uns bedanken, musswenigstens ein bisschen Saft dabei sein. – Meine Omahatte recht, meine Damen und Herren.
Herr Kauder, zur Aktualität Ihrer Inhalte beim Staats-angehörigkeitsrecht: Diese sind etwas älter als meineOma.
Deshalb sollten Sie überdenken, ob Sie Ihre Inhalte nichtändern wollen. Gerade Einwanderer der ersten Genera-tion besitzen bekanntermaßen lückenhafte Sprachkennt-nisse, und ihre Rente reicht trotz jahrzehntelanger Arbeitoftmals nicht ganz aus. Ausgerechnet diese Menschenfaktisch von der Einbürgerung auszuschließen, ist keineDanksagung, sondern eher eine Verhöhnung dieser Ge-neration.
Daher wollen wir mit unserem Gesetzentwurf die Ein-bürgerung insbesondere für Rentnerinnen und Rentnersowie für ältere Menschen erleichtern, indem wir unsmit Kenntnissen der gesprochenen Sprache begnügenund die Inanspruchnahme von Grundsicherung im Alterfür unschädlich erklären.Wenn wir die Großmütter und Großväter aufgrund feh-lender deutscher Sprachkenntnisse oder fehlender finan-zieller Kraft von der Einbürgerung ausschließen, bürgernwir auch die Enkelkinder emotional aus. Das ist nicht gutfür unser Land.
Wir müssen den Enkelkindern die Möglichkeit geben,dass auch sie sagen können, ihre Großeltern seien eben-falls deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gewe-sen. Das ist gut für unser Land, liebe Freundinnen undFreunde. Das müssen wir tun.fuMvzgPWsmMasdDvhSUasSgresEKDsTwwdggicW
Die FDP hat gefragt, warum wir jetzt die Abschaf-ng des Optionszwangs fordern, obwohl für die jungenenschen die gesetzlichen Regelungen gerade erst rele-ant werden. 50 000 junge Menschen mit Ausbürgerungu konfrontieren und dann erst über den Sinn dieser Re-elung zu entscheiden, ist keine fürsorgliche liberaleosition, liebe FDP.
ir wollen nicht, dass sich viele junge Menschen zwi-chen den beiden Staatsangehörigkeiten entscheidenüssen, mit denen sie groß geworden sind. Herr Stephanayer von der CSU und Herr Schröder haben im Innen-usschuss angebliche Loyalitätskonflikte von Doppel-taatlern als Gegenargument vorgeschoben und meinten,ass ein Mensch nicht Diener zweier Herren sein könne.ies zeugt von einem veralteten Staatsverständnis. Indi-iduen sind keine Untertanen der Staaten, sondern ste-en als freie Bürger in einem Rechtsverhältnis zu demouverän – mit allen Rechten und Pflichten.
nionsbürger können Doppelstaatler sein. Sie müssenlso erklären, warum Menschen Diener von 27 Staatenein können, aber nicht von zwei. Diese Erklärung sindie uns schuldig.
Ich habe gestern im Innenausschuss vorsichtig davorewarnt, diese Argumentation auch angesichts der zahl-ichen binationalen Ehen nicht zu verwenden. Mit die-er Argumentation diskreditieren sie die binationalenhen und unterstellen den daraus hervorgegangenenindern, dass sie gegenüber Deutschland illoyal wären.as ist hirnrissig und ideologisch gesehen verheerendeparatistisch.
Mehrstaatigkeit ist weder eine Ausnahme noch einabu, sie ist vielmehr eine Lebenswirklichkeit im Ein-anderungsland Deutschland. Lassen Sie uns die Ein-anderinnen und Einwanderer nicht ausschließen, son-ern sie als Staatsbürgerinnen und Staatsbürgerewinnen.Vielen herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kolle-en.
Als letztem Redner zu diesem Debattenpunkt erteileh Kollegen Ingo Wellenreuther für die CDU/CSU dasort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zur Debatte stehen heute Gesetzentwürfe von
SPD und Grünen sowie ein Antrag der Linken über eine
Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts. Um es gleich
vorweg zu sagen und damit dem Kollegen Mayer recht
zu geben: Sie kommen mit Ihren Anträgen wieder ein-
mal zur Unzeit; denn wir haben im Koalitionsvertrag be-
schlossen, das Optionsmodell bzw. das Staatsangehörig-
keitsrecht generell grundlegend zu überprüfen. Das
nehmen wir ernst. Wir lassen derzeit umfassende wis-
senschaftliche Untersuchungen dazu durchführen, deren
Ergebnisse im ersten Halbjahr des kommenden Jahres zu
erwarten sind. Damit ist klar: Sie wollen heute mit dem
Thema „doppelte Staatsbürgerschaft“ den Bundestag
wieder einmal zur Bühne für eine Schauveranstaltung
machen. Das machen wir nicht mit.
Den Gesetzentwürfen der SPD und der Grünen ist un-
ter anderem gemeinsam, dass nicht nur das sogenannte
Optionsmodell abgeschafft werden soll, sondern auch
das Prinzip, mehrfache Staatsangehörigkeit zu vermei-
den, aufgegeben werden soll. Auf beide Punkte werde
ich gleich eingehen.
Zuvor noch einige Worte zu dem noch viel weiterge-
henden Antrag der Linken: Die Linken wollen Einbürge-
rungen umfassend erleichtern und haben vor, die Staats-
angehörigkeit geradezu mit der Gießkanne zu verteilen.
Auf ausreichende Deutschkenntnisse oder Kenntnisse
über unseren Staatsaufbau, unsere Rechts- und Gesell-
schaftsordnung, unsere Werte oder unsere Geschichte
will die Linke verzichten und eine Einbürgerung nicht
mehr davon abhängig machen. Wesentliche Grundbedin-
gungen, um ein Zugehörigkeitsgefühl entstehen zu las-
sen, fehlen somit. Selbst nicht unerheblich straffälligen
Ausländern oder Ausländern, die sich jahrelang unrecht-
mäßig in Deutschland aufgehalten haben, soll der deut-
sche Pass verliehen werden. Das Einzige, was die Linke
damit befördert, sind Parallelgesellschaften.
Insgesamt ist das unseres Erachtens ein integrationspoli-
tischer Blindflug. Die deutsche Staatsbürgerschaft hat für
die Linke ganz offensichtlich weder einen rechtlichen
noch einen emotionalen Wert. Ihre Forderungen offenba-
ren nur eines: Die Linke hat ein gestörtes Verhältnis zur
nationalen Identifikation. Eine darüber hinausgehende
Auseinandersetzung mit Ihrem Antrag können Sie daher
von uns nicht erwarten.
Ich möchte zunächst Ausführungen zur Optionspflicht
machen. 1999 wurde das Staatsangehörigkeitsrecht geän-
dert. Seitdem kann man die deutsche Staatsangehörigkeit
nicht nur durch Abstammung oder Einbürgerung, son-
dern auch durch Geburt erwerben. Die damals einge-
führte Optionspflicht beinhaltet, dass sich ein Kind mit
Eintritt der Volljährigkeit bis zum 23. Lebensjahr ent-
scheiden muss, ob es die deutsche Staatsangehörigkeit
oder aber die ausländische Staatsbürgerschaft eines sei-
ner Elternteile, die es durch Abstammung erworben hat,
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und sich einbürgern lassen, weil sie Deutsche werdenwollen, und nicht, weil sie unter Beibehaltung ihrerStaatsbürgerschaft lediglich die Vorteile einer deutschenStaatsbürgerschaft zusätzlich in Anspruch nehmen wol-len. Das ist ein innerer Prozess, den der Staat fördernmuss. Das ist nicht einfach. Das ist mühsam. Wir sindder Auffassung, dass SPD und Grüne es sich mit der ge-nerellen Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft vielzu einfach machen. Wir meinen, dass sie integrations-politisch damit auf dem Holzweg sind.
SPD und Grüne wollen mit ihren Entwürfen außer-dem das völkerrechtlich anerkannte, im deutschenStaatsangehörigkeitsrecht geltende Prinzip der Vermei-dung von Mehrstaatigkeit aufheben. Dies passt im Übri-gen genau zu dem, was Ministerpräsident Erdogan beiseinem Besuch in Deutschland vor wenigen Tagen ge-sagt hat. Er hat sich nämlich für die Ausweitung der dop-pelten Staatsbürgerschaft ausgesprochen. Dazu sage ich:Das ist mit uns, mit der Union, nicht zu machen. Auchwenn es in der Praxis zahlreiche Ausnahmen gibt, wol-len wir den Grundsatz beibehalten, mehrere Staatsange-hörigkeiten zu vermeiden.
Dafür sprechen, wie bereits angesprochen, mehrereGründe, rechtliche, den einzelnen Menschen betreffendeund politische.Der erste Punkt ist: Mehrere Staatsangehörigkeitenführen natürlich zu staats- und völkerrechtlichen Proble-men.
Auch wenn diese zu einem großen Teil durch internatio-nale Übereinkommen theoretisch lösbar sind, kann espraktisch zu Konflikten kommen, was den diplomati-schen Schutz, das Steuerrecht, das Strafrecht, das inter-nationale Privatrecht oder die Ausübung politischerRechte angeht. Diese Schwierigkeiten sind bei nur einerStaatsangehörigkeit nicht vorhanden.
Weiterhin sprechen Gründe, die in der Person desjeweils Betroffenen liegen, gegen eine generelle Zulas-sung der Mehrstaatigkeit. Viele Menschen haben ins-besondere aus familiären Gründen persönliche Verbin-dungen zu unterschiedlichen Ländern. Es geht in keinerWeise darum, diese einzuschränken. Es ist aber unbe-streitbar, dass die staatsbürgerliche Zugehörigkeit einesMenschen zu seinem Land, zu seiner Kultur und Werte-ordnung zu einer besonderen emotionalen Bindungführt. Zur Vermeidung von Konflikten sollte im Grund-satz auf eine solche Bindung zu mehreren Staaten ver-zichtet werden.
Schließlich ist es politisch der vollkommen falscheAnsatz, mit der Aushändigung eines Passes die Integra-tion voranbringen zu wollen; auch das wurde schon ge-swhAeukgdwtedSduhwlefüHruggsSfüsdduJnsluaOictrgIcsd
Generell hat die CDU/CSU-geführte Bundesregie-ng seit 2005 das Thema Integration zur Schlüsselauf-abe erkoren und zahlreiche konkrete Maßnahmen er-riffen. Sie alle kennen diese Maßnahmen, aber ich rufeie ganz kurz in Erinnerung. Es sind die Programme fürchulverweigerer, die zusätzlichen Ausbildungsplätzer Jugendliche mit Migrationshintergrund, eine verbes-erte Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse,ie Einführung einer Integrationsbeauftragten im Bun-eskanzleramt, die Schaffung eines Integrationsplansnd die Gründung der Deutschen Islam Konferenz imahre 2006 durch Minister Schäuble.Die vorliegenden Gesetzentwürfe von SPD und Grü-en sowie der Antrag der Linken sind ein großer Rück-chritt bei den umfassenden Bemühungen um eine ge-ngene Integration. Deshalb lehnen wir sie entschiedenb.Danke schön.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält Kollege
mid Nouripour.
Herr Kollege, ich habe mich zu Wort gemeldet, weilh von dem, was Sie beschrieben haben, persönlich be-offen bin. Ich bin so etwas wie ein Kronjuwel der Inte-ration.
h bin im Deutschen Bundestag im Verteidigungsaus-chuss, also für die Verteidigung des Vaterlandes zustän-ig. Mein Kind ist blond. Ich habe zwei Pässe. Ich habe
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Omid Nouripour
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den iranischen Pass, den ich gar nicht abgeben kann, undich habe den deutschen Pass. Ich habe keinerlei Schwie-rigkeiten, das mit mir zu vereinbaren. Ich habe keinerleiSchwierigkeiten, zu diesem Land loyal zu sein. Ich sitzeim Deutschen Bundestag und vertrete die Menschen inDeutschland. Wenn ich zu Hause bin, gibt es Momente,in denen ich eine andere Identität habe.Ich verstehe schlicht nicht, wie Sie darauf kommen,hier eine Loyalitätsparanoia aufzubauen.
Sie greifen ein einziges Merkmal von komplexen Per-sönlichkeiten auf und reduzieren die Menschen genaudarauf. Sie werden dem menschlichen Wesen damitnicht gerecht. Sie werden dem Dienst, den auch dieMenschen mit mehreren Staatsangehörigkeiten in die-sem Land leisten, nicht gerecht. Sie werden vor allemder Loyalität von Hunderten, von Tausenden von Men-schen, die in diesem Land schuften, Steuern zahlen etc.pp. nicht gerecht. Die Menschen haben die gleichenPflichten, sie sollten daher auch die gleichen Rechte ha-ben.
Kollege Wellenreuther, wollen Sie reagieren? – Bitte
schön.
Herr Kollege Nouripour, ich beglückwünsche Sie so-
wohl zu Ihrer familiären als auch zu Ihrer staatsbürgerli-
chen Situation.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-wurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Staatsange-hörigkeitsrechts. Der Innenausschuss empfiehlt unterBuchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 17/7675, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPDauf Drucksache 17/773 abzulehnen.Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlan-gen der Fraktion der SPD namentlich ab. Ich bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenenPlätze einzunehmen. – Ist das erfolgt? – Das ist der Fall.Ich eröffne die Abstimmung.ihisSluIherueluFnmgBSetusdDdsdisguoa1)
Wir sind immer noch bei Tagesordnungspunkt 4.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetz-ntwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Ände-ng des Staatsangehörigkeitsrechts. Der Innenausschussmpfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfeh-ng auf Drucksache 17/7675, den Gesetzentwurf derraktion der Grünen auf Drucksache 17/3411 abzuleh-en. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-en wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-en? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweitereratung mit den Stimmen der Koalition gegen dietimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Damitntfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera-ng.Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe ceiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7675ie Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke aufrucksache 17/2351 mit dem Titel „Ausgrenzung been-en – Einbürgerungen umfassend erleichtern“. Wertimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungt mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen ge-en die Stimmen der Linken bei Enthaltung von SPDnd Grünen angenommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tages-rdnungspunkt 34 a bis n sowie den Zusatzpunkt 3 a bis cuf:34 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-führung der Internationalen Gesundheitsvor-schriften und zur Änderung weitererGesetze– Drucksache 17/7576 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit
InnenausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 13. Februar 2007 zwischen derRegierung der Bundesrepublik Deutschlandund der Regierung des Staates Kuwait überdie Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich– Drucksache 17/7601 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussRechtsausschussErgebnis Seite 16493 D
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16490 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 22. Februar 2009 zwischen derRegierung der Bundesrepublik Deutschlandund der Regierung des Staates Katar über dieZusammenarbeit im Sicherheitsbereich– Drucksache 17/7602 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussRechtsausschussd) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 10. März 2009 zwischen der Re-gierung der Bundesrepublik Deutschland undder Regierung der Republik Kroatien über dieZusammenarbeit bei der Bekämpfung der Or-ganisierten und der schweren Kriminalität– Drucksache 17/7603 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussRechtsausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unione) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 27. Mai 2009 zwischen der Re-gierung der Bundesrepublik Deutschland undder Regierung des Königreichs Saudi-Arabienüber die Zusammenarbeit im Sicherheitsbe-reich– Drucksache 17/7604 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussRechtsausschussf) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 14. April 2010 zwischen der Re-gierung der Bundesrepublik Deutschland undder Regierung der Republik Kosovo über dieZusammenarbeit im Sicherheitsbereich– Drucksache 17/7605 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussRechtsausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Uniong) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 30. August 2010 zwischen derRegierung der Bundesrepublik Deutschlandund dem Ministerkabinett der Ukraine überdie Zusammenarbeit im Bereich der Bekämp-fung der Organisierten Kriminalität, des Ter-rorismus und anderer Straftaten von erhebli-cher Bedeutung– Drucksache 17/7606 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussRechtsausschuss
Dorothea Steiner, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENEinfuhr und Verwendung von Asbest und as-besthaltigen Produkten in Deutschland umfas-send verbieten– Drucksache 17/7478 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzi) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Anton Hofreiter, Ekin Deligöz, Hans-JosefFell, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENBau der dritten Start- und Landebahn amFlughafen München Erdinger Moos aussetzen –Keine unumkehrbaren Tatsachen schaffen– Drucksache 17/7479 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Tourismusj) Beratung des Antrags der Abgeordneten BeateMüller-Gemmeke, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLeiharbeit und Werkverträge abgrenzen –Kontrollen verstärken– Drucksache 17/7482 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und Technologiek) Beratung des Antrags der Abgeordneten AndrejHunko, Dr. Diether Dehm, Thomas Nord, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEDie Europäische Sozialcharta unverzüglichumsetzen– Drucksache 17/7484 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionl) Beratung des Antrags der Abgeordneten IngeHöger, Paul Schäfer , Harald Koch, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEKonversion von Bundeswehrstandorten alsEntwicklungschance für Kommunen– Drucksache 17/7504 –Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss
InnenausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und Soziales
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16491
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für TourismusHaushaltsausschussm) Beratung des Antrags der Abgeordneten KatrinKunert, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. DietmarBartsch, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKEDie Billigkeitsrichtlinie zu den Umstellungs-kosten aus der Umwidmung von Frequenzenden Realitäten anpassen– Drucksache 17/7655 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
InnenausschussAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschussn) Beratung des Antrags der Abgeordneten MemetKilic, Josef Philip Winkler, Volker Beck ,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENQualität der Integrationskurse verbessern– Drucksache 17/7639 –Überweisungsvorschlag:InnenausschussZP 3a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs einesZweiten Gesetzes zur Neuregelung energie-wirtschaftsrechtlicher Vorschriften– Drucksache 17/7632 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitb) Beratung des Antrags der Abgeordneten FrankSchwabe, Dirk Becker, Gerd Bollmann, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPDLeitlinien für Transparenz und Umweltver-träglichkeit bei der Förderung von unkonven-tionellem Erdgas– Drucksache 17/7612 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungc) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Matthias Miersch, Dirk Becker, MarcoBülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPDMonitoring für versenkte Atommüllfässer imAtlantik sicherstellen und Maßnahmen gegenweitere Strahlenexposition einleiten– Drucksache 17/7633 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
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16492 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
)
Berichterstattung:Abgeordnete Ansgar HevelingIngo EgloffJörg van EssenHalina WawzyniakJerzy MontagDer Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 17/7674, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/5391 inder Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit inzweiter Beratung mit Zustimmung von CDU/CSU, SPD,FDP und Grünen bei Enthaltung der Linken angenom-men.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvorangenommen.Tagesordnungspunkt 35 c:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des EG-Verbraucherschutz-durchsetzungsgesetzes und zur Änderung desUnterlassungsklagengesetzes– Drucksache 17/7235 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-cherschutz
– Drucksache 17/7672 –Berichterstattung:Abgeordnete Mechthild HeilElvira Drobinski-WeißDr. Erik SchweickertCaren LayNicole MaischDer Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 17/7672, den Gesetzentwurf derBundesregierung auf Drucksache 17/7235 anzunehmen.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiterBeratung einstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist in dritter Beratung ebenfalls einstimmig ange-nommen.eF1eDdbebszESustug
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16493
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Sammelübersicht 333 zu Petitionen Stadtentwicklung zu dem Antrag– Drucksache 17/7494 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 333 ist mit den Stimmenvon CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen gegen die Stim-men der Linken angenommen.Tagesordnungspunkt 35 i:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 334 zu Petitionen– Drucksache 17/7495 –Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 334ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP ge-gen die Stimmen von Linken und Grünen angenommen.Tagesordnungspunkt 35 j:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 335 zu Petitionen– Drucksache 17/7496 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 335 ist mit den Stimmenvon CDU/CSU, FDP und Grünen gegen die Stimmenvon SPD und Linken angenommen.luBleWefrtuvEwkamsEndgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 587;davonja: 278nein: 308enthalten: 1JaSPDIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Gerd BollmannKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann
EMUMPDMEGSInSDP
u Petitionenmmt dagegen? – Enthal- 332 ist mit den Stimmen Grünen bei Enthaltungmpfehlung des Petitions-ss)tudtiTagesordnungspunkt 35 k:Beratung der Beschlusse
u Petitionenmmt dagegen? – Enthal- 336 ist mit den Stimmendie Stimmen der Opposi-empfehlung und des Be- für Verkehr, Bau und
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16494 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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Wolfgang GunkelHans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannMichael Hartmann
Hubertus Heil
Rolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Frank Hofmann
Dr. Eva HöglChristel HummeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsUlrich KelberLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Fritz Rudolf KörperAnette KrammeNicolette KresslAngelika Krüger-LeißnerUte KumpfChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisPetra Merkel
Ullrich MeßmerDr. Matthias MierschFranz MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanManfred NinkThomas OppermannHolger OrtelAydan ÖzoğuzHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannSönke RixRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Michael Roth
Marlene Rupprecht
Axel Schäfer
Bernd ScheelenMarianne Schieder
WUSCOSEFDRSRDSPDCKDFWRUDAHDUDMBDJaADHKMHSCEDRSDHWDKWNDADHDInDAUDHJaJuKCerner Schieder
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ttmar Schreinerwen Schulz
wald Schurerrank Schwaber. Martin Schwanholzolf Schwanitztefan Schwartzeita Schwarzelühr-Sutterr. Carsten Sielingonja Steffeneer Steinbrückr. Frank-Walter Steinmeierhristoph Strässererstin Tackr. h. c. Wolfgang Thierseranz Thönnesolfgang Tiefenseeüdiger Veitte Vogtr. Marlies Volkmerndrea Wickleineidemarie Wieczorek-Zeulr. Dieter Wiefelspützta Zapfagmar Ziegleranfred Zöllmerrigitte ZypriesIE LINKEn van Akengnes Alpersr. Dietmar Bartscherbert Behrensarin Binderatthias W. Birkwaldeidrun Bluhmteffen Bockhahnhristine Buchholzva Bulling-Schröterr. Martina Bungeoland Clausevim Dağdelenr. Diether Dehmeidrun Dittricherner Dreibusr. Dagmar Enkelmannlaus Ernstolfgang Gehrckeicole Gohlkeiana Golzennette Grothr. Gregor Gysieike Hänselr. Rosemarie Heinge Högerr. Barbara Höllndrej Hunkolla Jelpker. Lukrezia Jochimsenarald Kochn Kortetta Krellmannatrin Kunertaren LayRMSUDTUDCKNWTPJeRYInPMDKRDKSADFDAKJoSHHKSBDKVCBVEKHHDKKBBPDBInTUKMSMUTSalph Lenkertichael Leuterttefan Liebichlla Lötzerr. Gesine Lötzschhomas Lutzelrich Maurerorothée Menznerornelia Möhringornelia Mölleriema Movassatolfgang Neškovićhomas Nordetra Pauns Petermannichard Pitterlevonne Ploetzgrid Remmersaul Schäfer
ichael Schlechtr. Ilja Seifertathrin Senger-Schäferaju Sharmar. Petra Sitteersten Steinkeabine Stüberlexander Süßmairr. Kirsten Tackmannrank Tempelr. Axel Troostlexander Ulrichathrin Voglerhanna Voßahra Wagenknechtalina Wawzyniakarald Weinbergatrin Wernerabine ZimmermannÜNDNIS 90/IE GRÜNENerstin Andreaeolker Beck
ornelia Behmirgitt Benderiola von Cramon-Taubadelkin Deligözatja Dörnerarald Ebnerans-Josef Fellr. Thomas Gambkeai Gehringatrin Göring-Eckardtritta Haßelmannettina Herlitziusriska Hinz
r. Anton Hofreiterärbel Höhngrid Hönlingerhilo Hoppewe Kekeritzatja Keulemet Kilicven-Christian Kindleraria Klein-Schmeinkte Koczyom Koenigsylvia Kotting-UhlOAFSRMUMDNAJeKBInDOFDLBTCKMECDDDDHDMJüDDJoNCIlPPDTNGEMVPSCPDWWNKMDHD
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16495
)
Dr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserErich G. FritzDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartNorbert GeisAlois GerigEberhard GiengerMichael GlosJosef GöppelPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundMonika GrüttersOlav GuttingFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilUrsula Heinen-EsserFrank HeinrichRudolf HenkeMichael HennrichJürgen HerrmannAnsgar HevelingErnst HinskenChristian HirteRobert HochbaumKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampJoachim HörsterAnette HübingerThomas JarzombekDieter JasperDr. Franz Josef JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHSABSVDREEVJüAJeHTMGRBDGDADKUDPDInMDPDDDKDHASDMDDPDDSDMDFEHDRUDSRCETDans-Werner Kammerteffen Kampeterlois Karlernhard Kaster
olker Kauderr. Stefan Kaufmannoderich Kiesewetterckart von Klaedenwa Klamtolkmar Kleinrgen Klimkexel Knoerigns Koeppenartmut Koschykhomas Kossendeyichael Kretschmerunther Krichbaumüdiger Kruseettina Kudlar. Hermann Kuesünter Lachr. Karl A. Lamers
ndreas G. Lämmelr. Norbert Lammertatharina Landgraflrich Langer. Max Lehmeraul Lehriederr. Ursula von der Leyengbert Liebingatthias Lietzr. Carsten Linnemannatricia Lipsr. Jan-Marco Luczakaniela Ludwigr. Michael Lutherarin Maagr. Thomas de Maizièreans-Georg von der Marwitzndreas Mattfeldttephan Mayer
r. Michael Meisteraria Michalkr. h. c. Hans Michelbachr. Mathias Middelberghilipp Mißfelderietrich Monstadtr. Gerd Müllertefan Müller
r. Philipp Murmannichaela Nollr. Georg Nüßleinranz Obermeierduard Oswaldenning Otter. Michael Paulita Pawelskilrich Petzoldr. Joachim Pfeifferibylle Pfeifferonald Pofallahristoph Polandckhard Polshomas Rachelr. Peter RamsauerEKLJoKDJoDDEAADDDKNTGCPDNDDBUADJoRDBTJoJeCDECDGSMKLMDADAVSAMKMPSInPKEDDWckhardt Rehbergatherina Reiche
othar Riebsamensef Rieflaus Riegertr. Heinz Riesenhuberhannes Röringr. Norbert Röttgenr. Christian Ruckrwin Rüddellbert Rupprecht
nita Schäfer
r. Wolfgang Schäubler. Annette Schavanr. Andreas Scheuerarl Schiewerlingorbert Schindlerankred Schipanskieorg Schirmbeckhristian Schmidt
atrick Schniederr. Andreas Schockenhoffadine Schön
r. Kristina Schröderr. Ole Schröderernhard Schulte-Drüggeltewe Schummer
etlef Seifhannes Selleeinhold Sendkerr. Patrick Sensburgernd Sieberthomas Silberhornhannes Singhammerns Spahnarola Staucher. Frank Steffelrika Steinbachhristian Freiherr von Stettenieter Stierero Storjohanntephan Strackeax Straubingerarin Strenzena Strothmannichael Stübgenr. Peter Tauberntje Tillmannr. Hans-Peter Uhlrnold Vaatzolkmar Vogel
tefanie Vogelsangndrea Astrid Voßhoffarco Wanderwitzai Wegnerarcus Weinberg
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go Wellenreuthereter Wichtellaus-Peter Willschlisabeth Winkelmeier-Beckeragmar G. Wöhrlr. Matthias Zimmerolfgang ZöllerWFJeCDFSCNKRAEMSHRDPMRJöUOPDDHMJoDHMEBDHMDPDGDSPHSHSLCDMDOPGJaPBDDH
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16496 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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Es ist schon bemerkenswert, wenn auf der einen SeiteHerr Laumann, den ich noch zitieren möchte, deutlich Ihre Fraktion hat dagegen gestimmt.sagt: „Wir müssen Schmutzkonauf der anderen Seite Hans MicPosition vertritt, die Festlegunsei – ich zitiere – „ordnungspolimit können wir nicht leben“.Wohin geht nun eigentlich dhabe den Eindruck, Sie machenkurrenz beseitigen“, undhelbach von der CSU dieg einer Lohnuntergrenzetisch nicht vertretbar, da-ie Reise in der CDU? Ich Politik nach dem MottonawInd
angucken, sage ich es Ih-hier betreiben, ist nichtserfen und so zu tun, alsesetzlichen Mindestlohn.icht nur nicht einig, son-icht. Das ist die Realität.Gisela PiltzDr. Christiane Ratjen-DamerauDr. Birgit ReinemundDr. Peter RöhlingerDr. Stefan RuppertBjörn SängerFrank SchäfflerChristoph SchnurrJimmy SchulzMarina SchusterDr. Erik SchweickertWerner SimmlingJudith SkudelnyDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerTDSFSDDDIch rufe nun den Zusatzpunkt 5 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion DIE LINKEHaltung der Regierungskoalition zur Einfüh-rung eines MindestlohnsLiebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Aus-sprache und erteile Kollegen Klaus Ernst für die Frak-tion Die Linke das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der eigentliche Skandal ist, dass wir in regelmä-ßigen Abständen Milliardenbeträge zur Rettung desEuro oder der Banken beschließen und dass es seit zweiLegislaturperioden nicht gelungen ist, Armutslöhne indieser Republik durch die Einführung von Mindestlöh-nen zu verhindern. Das ist ein Skandal an sich!
1,2 Millionen Menschen erhalten einen Lohn vonunter 5 Euro. 1,2 Millionen! 3,6 Millionen Menschenbekommen einen Stundenlohn von unter 7,50 Euro.14 Prozent der unter 20-Jährigen erhalten Stundenlöhnevon bis zu 5 Euro. Insofern freut es mich natürlich, dasssich inzwischen bei der CDU zumindest eine Debatteentwickelt hat, die sich tatsächlich den realen Problemender Menschen zuzuwenden scheint. Ich sage aber: zuzu-wenden scheint!91 Prozent der Menschen sprechen sich für eine festeLohnuntergrenze aus. Nur 8 Prozent lehnen einen gene-rellen Mindestlohn ab. Das hat laut dpa eine aktuelleStern-Umfrage vom 9. November ergeben. Es wurdealso Zeit, dass sich bei Ihnen etwas bewegt. Aber wasbewegt sich denn nun wirklich? Ich würde mich freuen,wenn die heutige Debatte darüber Auskunft gebenwürde, wohin der Weg der CDU beim Thema Mindest-lohn eigentlich geht.„vWgFv7inegw4Stereti–icuddsu
enn ich ins Detail gehe und mir ansehe, was Sie ei-entlich wollen, dann stelle ich fest, dass ein Teil Ihrerraktion eine Lohnuntergrenze irgendwo auf dem Ni-eau der Leiharbeit will, zwischen 7,01 Euro und,89 Euro. Das entspricht den unterschiedlichen Löhnen Ost und West. Ein anderer Teil sagt: „Das wollen wirigentlich nicht. Wir wollen nur dort eine Niedriglohn-renze einziehen, wo es keine Tarifverträge gibt.“ Wieir wissen, verdienen Friseure im Osten oft weniger als Euro; dort liegen die Tariflöhne unter 4 Euro. Wollenie dort, wo es Tariflöhne gibt, diese 4 Euro beibehal-n? Oder wollen Sie dort auch die Untergrenze einfüh-n? Was wollen Sie eigentlich? Das ist aus Ihrer Posi-on in keiner Weise ersichtlich.
Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen, dann binh gerne bereit, sie zu beantworten. Ansonsten bitte ichm etwas mehr Disziplin. Das würde Ihnen nicht scha-en.
Lassen Sie uns einmal festhalten, was heute im Bran-enburger Landtag beschlossen wurde. Dort wurde be-chlossen, und zwar mit Mehrheit der Linken, der SPDnd der Grünen:Der Landtag fordert die Einführung eines allgemei-nen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohns, derfür jeden Alleinstehenden bei Vollzeitarbeit exis-tenzsichernd ist.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16497
Klaus Ernst
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Die heutige Debatte könnte dazu beitragen, ein wenigLicht in die Dunkelheit zu bringen, die Sie verbreiten.Ich möchte an dieser Stelle gleich auf ein Argument ein-gehen. Weil Herr Kolb so nachdenklich dasitzt, möchteich ihn persönlich ansprechen. Ein Argument gegen ei-nen Mindestlohn, das auch von Ihnen immer in die Weltgesetzt wird: Ein gesetzlicher Mindestlohn würde Ar-beitsplätze kosten. Die Regierung selber hat eine Studiein Auftrag gegeben.
– Weil Sie sie nicht veröffentlichen. Denn Sie wissen,dass das Gegenteil von dem drinsteht, was Sie erwartethaben, Herr Kolb. Das ist die Realität.
Aus der Studie geht hervor, dass es keinen negativenZusammenhang zwischen der Einführung einer Lohnun-tergrenze und einer negativen Beschäftigungsentwick-lung gibt.
Ich habe Verständnis dafür, dass Sie das immer wiedervertreten, weil Sie nicht wahrhaben wollen, was wahrist. Aber Sie haben eine Studie in Auftrag gegeben, inder herauskommt, was inzwischen schon alle Welt weiß,nämlich dass die Einführung eines gesetzlichen Mindest-lohns schon aus einem einzigen Grund das Gebot derStunde wäre:
dass die Menschen von ihrer Arbeit leben können müs-sen und dass Arbeit etwas mit Würde zu tun hat.
Wer das verweigert – das machen auch Sie von derCDU, von der CSU und von der FDP –, der nimmt denMenschen die Würde. Dagegen werden wir uns weiterzur Wehr setzen.
Das Wort hat nun Matthias Zimmer für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LieberHerr Kollege Ernst, über die Frage, wie wir zum Min-destlohn stehen, werden wir auf dem Parteitag demokra-tisch entscheiden.
DfikmpWtedSsindzLWdzkASFEsdnreInhewWbGd8ru
ie unterstellen uns irgendwelche dunklen Machen-chaften, eine solche Studie nicht zu publizieren. Das ist hohem Maße albern.Meine Damen und Herren, ich glaube schon, dass inem Redebeitrag des Kollegen Ernst der Unterschiedwischen einem CDU-Parteitag und einem Parteitag derinken sehr klar geworden ist.
ir werden auf unserem Parteitag sehr ernsthaft darüberiskutieren, ob und inwiefern wir Familien dadurch stüt-en können, Familiengründungen dadurch unterstützenönnen, dass wir ordnungspolitische Leitlinien in denrbeitsmarkt integrieren.
ie diskutieren darüber, Drogen freizugeben, was zurolge hat, dass Familien kaputtgemacht werden undlend über die Familien gebracht wird.
Es ist natürlich schön, dass eine so große Aufmerk-amkeit für dieses Thema von Anfang an – schon vorem Parteitag – existiert, auch in der öffentlichen Wahr-ehmung. Das unterstreicht unsere Bedeutung als füh-nde und gestaltende Partei in der Bundesrepublik.
sofern ist es sinnvoll, Ihnen vorab schon die Gelegen-eit zu geben, das eine oder andere zu sagen. Auch derine oder andere Arbeitgeberverband hat vorab schon et-as dazu gesagt. Darauf will ich ganz kurz eingehen.Ich bin der Meinung, dass ein Arbeitgeberverband imesentlichen ein Tarifpartner ist. Wenn wir bei den Ar-eitgeberverbänden, etwa bei dem Arbeitgeberverbandesamtmetall, feststellen, dass zwischen 2005 und 2010ie Anzahl der Mitgliedschaften ohne Tarifbindung um4 Prozent gestiegen ist, dann ist das für mich ein beun-higendes Merkmal.
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16498 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Dr. Matthias Zimmer
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Damit wird gerade jene Tarifautonomie unterminiert, diedie Tarifpartner doch so deutlich anmahnen. Ich bin derMeinung, dass hier auch die Arbeitgeberverbände in derPflicht sind; denn ein Arbeitgeberverband ist mehr alsein Country Club mit angeschlossener Rechtsberatung.
Wir sind unserem Grundprinzip treu geblieben undsagen: Wir sind gegen gesetzliche Mindestlöhne.
Wir sind in der Tat der Meinung, dass der Gesetzgeberder falsche Partner dafür ist, Mindestlöhne festzulegen.
Vielmehr wollen wir uns an den Tarifpartnern orientie-ren. Denn ansonsten passiert genau das, was jetzt pas-siert ist: Es gibt einen Überbietungswettlauf in derFrage, wie hoch der gesetzliche Mindestlohn sein soll.
Ich kann mich erinnern: Wir fingen einmal an bei 7,50 Euro.Die SPD ist für 8,50 Euro. Die Linken haben mittler-weile die Höhe des Mindestlohnes, die sie fordern, mitdem Wahlergebnis synchronisiert, nämlich 10.
Ich bin mir sicher, dass es der SPD früher oder späterauch noch gelingen wird, den geforderten Mindestlohnauf die Höhe hochzuschrauben, die ihrem Wahlergebnisentspricht.Meine Damen und Herren, das wollen wir nicht. Wirsind der Meinung, dass die Tarifpartner weiterhin in derPflicht sind, dass die Tarifpartner weiterhin die entschei-dende Aufgabe haben, die Lohnuntergrenzen inDeutschland festzulegen. Wir wollen die Tarifpartnernicht aus der Pflicht entlassen. Das ist der wesentlicheImpetus unseres Leitantrages, den wir in Leipzig disku-tieren werden. Ich bin mir sicher, dass wir zu guten Er-gebnissen, vor allen Dingen zu demokratischen Ergeb-nissen kommen, Herr Ernst. Wir wissen nicht vorab, wiedie Mehrheit der Delegierten entscheidet. Auch das un-terscheidet uns von Ihrer Partei, in der Sie das offen-sichtlich schon vorher genau wissen.Danke schön.
Ich erteile das Wort Andrea Nahles für die SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Letzte Woche habe ich mich ehrlich gefreut.NdEdisancwFFisusudGmvtiAekdruBbTnWgwgeGrinkdsdvFfüebg5
nd diesmal in die falsche Richtung. Es ist mittlerweileo, dass sie eine offene Brüskierung der Sozialpolitikernd der Arbeitsministerin, die sich prinzipiell positivazu verhalten haben, in Kauf nimmt, indem sie imrunde die Lohnuntergrenze zum Schweizer Käseacht. Wer nämlich behauptet, er wolle eine allgemeine,erbindliche Lohnuntergrenze, der kann nicht gleichzei-g sagen, dass diese regionale und branchenbezogenebweichungen verträgt. Das ist nicht möglich. Das istin Witz. Es wird deswegen mit Ihnen – leider, sage ich –einen Mindestlohn in Deutschland geben. Das ist aberas, was wir brauchen. Wir brauchen auch keine Beleh-ngen über die Differenzierung im Tarifsystem. Dasundesarbeitsministerium kann darüber Auskunft ge-en. Wir haben ein hochflexibles Tarifsystem. 60 000arifverträge, die auf die unterschiedlichsten Bedürf-isse eingehen, haben wir bereits.
ir stellen trotzdem fest, dass es eine massive Tariffluchtibt und Tarifverträge durch sogenannte christliche Ge-erkschaften massiv unterlaufen werden. Deswegen sa-en wir: Wir brauchen eine Ergänzung, und das kann nurin gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro sein.
erne kann auch eine Mindestlohnkommission einge-chtet werden. Die hat sich zum Beispiel in Großbritan-ien bewährt. Deswegen gibt es in dieser Hinsicht gareinen Widerspruch.Wenn Sie – das möchte ich Ihnen einmal klar sagen –ie Tarifautonomie hochhalten, dann sind wir damitelbstverständlich einverstanden. Die Wahrheit ist aber,ass die Tarifflucht das mittlerweile in ganzen Regionen,or allem in Ostdeutschland, zu einer wirklich leerenorderung macht. Sie wissen genau: Die Menschen, dier 3 Euro oder 4 Euro pro Stunde arbeiten, brauchenine klare Aussage darüber, welche Rechte sie haben. Sierauchen kein Verwirrspiel: 25 verschiedene Lohnunter-renzen in einem Bundesland, zum Beispiel in der Pfalz,60 Euro, in der Eifel, woher ich komme, 7,20 Euro. Das
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16499
Andrea Nahles
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kann doch in direkten Verhandlungen zwischen Arbeit-nehmern und Arbeitgebern überhaupt nicht funktionie-ren.Das Schönste am Chaos ist die Planung. Wenn Sie dasnächste Mal etwas in Sachen Lohnuntergrenze planenund den Menschen zum Beispiel eine Verbesserung ver-sprechen, die Menschen aber nur wieder hinter dieFichte führen, was Sie gerade wieder planen, dann sitzenSie in der Opposition. Das ist die gute Nachricht. Dasverspreche ich Ihnen. Die Menschen in Deutschland ha-ben nämlich einen Mindestlohn verdient. Sie könnennicht liefern. Wir werden das erledigen müssen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Heinrich Kolb für die FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Ernst, dieser Aktuellen Stunde mit demschönen Titel „Haltung der Regierungskoalition zur Ein-führung eines Mindestlohns“ hätte es nicht bedurft.
Ein Blick in das Bundesgesetzblatt und in den Koali-tionsvertrag hätte genügt. Im Bundesgesetzblatt hättenSie gesehen, welche Branchenmindestlöhne diese Koali-tion eingeführt hat, zum Beispiel in der Pflege oder imWach- und Sicherheitsgewerbe.
Bei der Zeitarbeit sind wir auf dem Weg. Mit einemBlick in den Koalitionsvertrag hätten Sie sich folgendenSatz vor Augen führen können: „Einen einheitlichen ge-setzlichen Mindestlohn lehnen wir ab.“ Das ist die Ver-einbarung dieser Koalition, und zu dieser Vereinbarungstehen wir.Nun interessiert Sie anscheinend mehr, was die in derRegierung vertretenen Parteien denken, als das, was dieRegierungskoalition denkt. Ich will Ihnen gerne diePosition der FDP und insbesondere der FDP-Bundes-tagsfraktion darlegen. Die FDP will faire Löhne.
Sie will faire Löhne für Arbeitnehmer, die hart arbeiten.Sie will faire Löhne für Unternehmer,
die Verantwortung für den Bestand und den wirtschaft-lichen Erfolg ihrer Unternehmen tragen. Aber sie willauch faire Löhne für Arbeitnehmer, die einen Zugangzum Arbeitsmarkt suchen. Deswegen lehnen wir einenallgemeinen gesetzlichen Mindestlohn entschieden ab.EinradgadhinePtiisawddJwfuhTmzDwEteicwMgvriaw–Dz
Hier wird immer so getan – auch Sie, Herr Kollegernst, haben versucht, dieses Bild zu malen –, als ob es Deutschland ganz schrecklich sei. Ich lege Wert da-uf, festzustellen: Der Normalfall in Deutschland ist,ass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Tarifverträ-en oder auch einzelvertraglich auf Löhne einigen, dieuskömmlich und wirtschaftlich vernünftig sind und we-er Arbeitsplätze vernichten noch Neueinstellungen ver-indern. Das ist die Realität in Deutschland, Herr Ernst, der weit überwiegenden Zahl der Fälle.
Die deutsche Tarifautonomie gibt es nun einmal, unds ist gut so, dass es sie gibt. Sie besagt, dass sich dieolitik aus der Lohnfindung heraushalten soll. Sie funk-oniert und ist das Herzstück unseres Sozialstaats. Siet erfolgreich. Das sieht man daran, dass es nun wenigerls 2,8 Millionen Arbeitslose gibt, nachdem wir noch vorenigen Jahren 5 Millionen zu verzeichnen hatten – undas nach einer schweren, einschneidenden Krise –, undass wir die im europäischen Vergleich drittniedrigsteugendarbeitslosigkeit haben. Das ist für mich der Be-eis dafür, dass die Tarifautonomie in Deutschlandnktioniert.
Ihre Kritik am Arbeitsmarkt hält einer Überprüfungäufig nicht stand. Auch in diesem Aufschwung sind dieariflöhne real gestiegen. Zu diesem Ergebnis kommtan, legt man die Zahlen des Statistischen Bundesamtesugrunde.
er Niedriglohnsektor in Deutschland war politisch ge-ollt, und zwar von SPD und Grünen.
r eröffnet vielen Menschen, gerade geringer qualifizier-n, in Deutschland eine Einstiegschance.Worauf es aber ankommt – diese Unterscheidung willh Ihnen hier sehr deutlich machen –, ist Folgendes: Dieeit überwiegende Anzahl der Arbeitgeber entlohnt ihreitarbeiter im Sinne eines ehrbaren Kaufmanns fair. Eseht aber nicht, dass ein Arbeitgeber einem Mitarbeiteror dem Hintergrund des staatlichen Transfers einen ge-ngeren Lohn zahlt, obwohl es ihm eigentlich, gemessenn der Produktivität seines Unternehmens, möglichäre, einen höheren Lohn zu zahlen; das geht nicht.
Das sind doch extreme Ausnahmen.Ich möchte Ihnen schildern, wie es im Moment ineutschland aussieht. Die Tarifbindung liegt bei 80 Pro-ent, 60 Prozent direkt und 20 Prozent durch Bezug-
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16500 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Dr. Heinrich L. Kolb
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nahme. Dabei handelt es sich durchweg um gute, aus-kömmliche Löhne für die Mitarbeiter undMitarbeiterinnen der Unternehmen.
Da, wo es Probleme gab, haben wir – genauso wie dierot-grüne Koalition und die Große Koalition zuvor – inden letzten Jahren für 4 Millionen Arbeitnehmer Bran-chenmindestlöhne eingeführt, die das leisten müssen,was Sie hier fordern.
Da, wo es weiße Flecken gibt – das sind nun wirklich dieAusnahmen –, haben wir ein doppeltes Fangnetz instal-liert. Es gibt zum einen ein Verbot sittenwidriger Löhneund zum anderen das Mindestarbeitsbedingungenge-setz, das zuletzt unter Ihrer Ägide, Herr Kollege Heil,geändert wurde. Haben Sie denn damals Mist produ-ziert? Das Gesetz ermöglicht es, genau in den angespro-chenen Fällen einzugreifen. Aber die Erfahrungen derletzten Jahre zeigen: Einen entsprechenden Bedarf gibtes offensichtlich nicht. Die sozialen Verwerfungen, dieSie als Voraussetzung hier genannt haben, gibt es ebennicht.
Wir wollen keinen gesetzlichen Mindestlohn. Ichfinde es richtig, dass wir darauf achten, dass die Men-schen ein ausreichendes Mindesteinkommen haben. Dasist in der Tat der Fall: Es gibt bei 22 Millionen sozial-versicherungspflichtigen Beschäftigten gerade einmal11 000 Vollzeit arbeitende, alleinstehende Beschäftigte,die aufstocken müssen.
Das zeigt, dass die Probleme eine andere Dimension ha-ben, als Sie es uns hier weismachen wollen. Deshalb hal-ten wir am Koalitionsvertrag und an der Linie, die wirbei den Koalitionsverhandlungen vereinbart haben, fest.Mit uns wird es keinen gesetzlichen flächendeckendenMindestlohn geben. Ein Mindestlohn schadet den Men-schen, die einen Arbeitsplatz suchen.
Sie müssen zum Schluss kommen.
Deswegen sollten Sie darüber nachdenken, ob Ihre
Position richtig ist.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Brigitte Pothmer für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
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s gibt einen einzigen Fortschritt: Wir haben bislangier in diesem Parlament noch keine Mindestlohndiskus-ion geführt, in der wir nicht ausführlich begründenussten, warum ein Mindestlohn in Deutschland not-endig ist. Dass nicht mehr ernsthaft in Zweifel gezogenird, dass wir einen Mindestlohn brauchen, dazu habenie Gutachten, die diese Bundesregierung in Auftrag ge-eben hat, einen Beitrag geleistet.
ir haben es jetzt schwarz auf weiß, Herr Kolb, dassre Behauptung, Mindestlöhne würden Arbeitsplätzeernichten, einfach falsch ist. Das hat lange gedauert,ber wir diskutieren heute nicht mehr über die Frage, obin Mindestlohn eingeführt werden soll, sondern überie Frage, wie der Mindestlohn ausgestaltet werden soll.as ist in der Tat eine ziemlich entscheidende Frage.Was ist denn von dem Merkel-Mindestlohn nach demehrmaligen Zurückrudern übrig geblieben? Ich kannazu nur sagen: Dabei handelt es sich um einen Schein-esen; denn je näher Sie ihn mit der Lupe untersuchen,esto kleiner wird er.
r soll erstens nur für die Branchen gelten, in denen eseine Tariflöhne gibt. Aber was heißt das konkret? Dieriseurin in Sachsen mit einem Verdienst von 3,06 Euro der Stunde hat keinen Cent mehr in der Tasche. Dasleiche gilt für die Floristin in Thüringen. Das gilt auchr eine hohe Zahl an Beschäftigten im Hotel- und Gast-tättengewerbe, beim Gartenbau und in der Landwirt-chaft. Für all diejenigen ändert sich durch den Merkel-indestlohn gar nichts.
it anderen Worten: Beim Merkel-Mindestlohn gehenie davon aus, dass Hungerlöhne dann akzeptabel sind,enn sie den tariflichen Segen haben. Das ist eine Einla-ung an die Arbeitgeber zu Dumpinglöhnen. Das wer-en wir nicht mitmachen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16501
Brigitte Pothmer
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Zweitens. Der Merkel-Mindestlohn sieht keine ein-heitliche Lohnuntergrenze vor. Da kann ich mit HerrnLaumann wirklich nur sagen: Auch ich kann mir keinDeutschland vorstellen, in dem es 500 unterschiedlicheLohnuntergrenzen gibt. Dieser Flickenteppich wäre imÜbrigen auch eine Zumutung für die Wirtschaft. Daswerden wir nicht mitmachen.
Dann wollen wir einmal schauen, was sich eigentlichbei Ihrer Mindestlohnkommission herauskristallisiert.Eine Mindestlohnkommission in der Art, wie Sie sie sichvorstellen, haben wir schon. Wir haben sie in Form desHauptausschusses gemäß Mindestarbeitsbedingungen-gesetz, und zwar seit 2009. Bislang hat dieser Hauptaus-schuss nicht einen einzigen Mindestlohn durchgesetzt.Ich sage Ihnen: Wenn Sie Ihrer Mindestlohnkommissionkeinen anderen Geist einhauchen, dann wird sich nichts,aber auch gar nichts im Bereich Dumpinglöhne ändern.
Ich befürchte, genau das ist Ihr Ziel. Der Mindestlohn,den Sie diskutieren, ist nichts anderes als weiße Salbe.Deswegen hat, wie ich befürchte, Michael Fuchs, derVertreter Ihres Wirtschaftsflügels, recht. Er hat nämlichauf die Frage der Leipziger Volkszeitung, was sich durchdie von der CDU vorgesehene Lohnuntergrenze ändernwürde, gesagt: „Nichts, rein gar nichts.“ Das wollen wiraber nicht. Wir wollen einen echten Mindestlohn, undwir wollen, dass es zu einer echten sozialpolitischenKehrtwende, zu mehr Gerechtigkeit und Solidaritätkommt.
Frau Merkel verfolgt wahltaktische und machtstrate-gische Ziele mit der Mindestlohndiskussion.
Sie will ein Wahlkampfthema vom Tisch räumen, undsie will sich hübsch machen für andere Koalitionspart-ner, mit Vorliebe für eine Große Koalition.
– Das will ich einmal hoffen, Hubertus. Auf euch ist janicht so viel Verlass.
Dass sie mit der FDP keinen Staat mehr machen kann,hat sich ja bis zu ihr herumgesprochen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Merkel-Min-destlohn geht es um nichts anderes als um der Kaiserinneue Kleider. Diese neuen Kleider sollen in diesem Fallsozialpolitischer Natur sein. Aber für die Beschäftigtenim Niedriglohnsektor geht es wahrlich um mehr. Sie ste-hen vor der Frage: Lohngerechtigkeit oder Weiter-so mitSmFKgWvnWElezMindsDguD„nMcSwJngew
Das Wort hat nun Frank Heinrich für die CDU/CSU-
raktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Die Debatte geht über unsere Haltung als Re-ierungskoalition zum Thema Mindestlohn.
enn Sie, Frau Kollegin Pothmer, jedoch die ganze Zeiton einem Merkel-Mindestlohn reden, kann ich Ihnenur entgegnen: Sie reden von einer Phantomsituation.ir führen diese Debatte nämlich erst.
ine große Volkspartei führt eine Debatte, und wir wol-n das auch in aller Breite diskutieren. In diesem Pro-ess befinden wir uns. Wir haben noch keinen Merkel-indestlohn festgelegt.
Es verwundert mich, dass sowohl von der Opposition,sbesondere von den Linken, als auch in der Presse under Öffentlichkeit so getan wird, als ob es an der Stellechon einen grundlegenden Richtungswechsel gäbe. Ineutschland wurde 1997 – Helmut Kohl war an der Re-ierung – zum ersten Mal ein Mindestlohn eingeführt,nd zwar in der Elektrobranche.
a fällt mir die Werbung für ein bestimmtes Bonbon ein:Wer hat’s erfunden?“ – Wir haben den Mindestlohnicht erfunden, wohl aber in die Tat umgesetzt.
indestlöhne gelten inzwischen in verschiedenen Bran-hen, und sie leisten – so Frau von der Leyen am letztenonntag – „einen großen Beitrag“ auch zu unserem Job-under.
etzt wird – je länger, desto mehr – thematisiert, dass esoch Bereiche gibt, die ebenfalls eine solche Lohnunter-renze brauchen. Diese Diskussion beginnt aber nichtrst jetzt, wie Sie, Herr Ernst, vorhin gesagt haben. Nein,ir wollen seit Monaten dieses Thema behandeln.
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Frank Heinrich
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Wir sind dabei. Auch die CDA hat ihren Teil beigetragenund, ebenfalls durch Frau von der Leyen, Stellung bezo-gen in dieser Debatte. Das ist vielleicht der Unterschied:Wir wollen eben nicht nur von politischen Forderungengetrieben handeln,
sondern ordentliche Arbeit abliefern. Wir wollen keinenÜberbietungswettbewerb und keinen Unterbietungswett-bewerb.
Weil wir gute Arbeit machen wollen,
hat die Bundesregierung den Auftrag im Koalitionsver-trag ernst genommen und ein entsprechendes Gutachtenerstellen lassen.
Sie hat verschiedene Branchenmindestlöhne von ver-schiedenen Institutionen untersuchen lassen. Es gehtalso nicht, wie Sie hier mutmaßen, um einen allgemei-nen Mindestlohn, sondern es sind einzelne Branchen-mindestlöhne untersucht worden.
Auf die Ergebnisse der Evaluation bin ich sehr gespannt.Worum geht es uns? Sie haben mich danach gefragt,und Sie fragen in dieser Debatte danach. Die FDP hat fürsich Stellung genommen, ich möchte das für uns tun. DieSchnittmenge ist sehr groß. Wir wollen in einer spannen-den und, wie ich finde, angemessenen Diskussion einenWeg suchen, wie wir einer gerechten Entlohnung nochnäher kommen können.
Ich müsste Ihrer Meinung nach, Frau Nahles, brüskiertsein als Sozialpolitiker, aber das bin ich nicht. Was istdenn gerechter Lohn? Bezieht er sich auf, wie von Ihnengenannt, die Friseurin in Sachsen oder auf die in Rhein-land-Pfalz auf dem Land lebende Helferin im Drogerie-markt, die mit 5,30 Euro zufrieden sein muss? Odermuss man noch andere Gerechtigkeitsfaktoren betrach-ten: den Markt als solches,
die Leistung, wie sie gerade genannt wurde, die Situa-tion – es gibt einen Unterschied zwischen dem Gehalt imErzgebirge und dem Gehalt in München –, den Aufwandund den Bedarf? Es kennzeichnet den sozialen Rechts-staat, in dem ich froh bin leben zu dürfen,dsnürüdLtetisAseb2m1dmzgausvdWwvusaAnT
ass Leistungs- und Bedarfsgerechtigkeit in ein men-chengerechtes Verhältnis zueinander gesetzt werden.Ich zitiere, was am vergangenen Sonntag in Chem-itz, meiner Stadt, gesagt wurde: Sprechen Sie nichtber Mindestlöhne – wir sprechen heute nicht direkt da-ber,
as ist aber der Konsens heute Morgen –, sondern überöhne, von denen Menschen in Würde ihr Leben gestal-n können.Prinzipiell ist es richtig, dass jeder, der vollerwerbstä-g ist, ohne Unterstützung des Staates auskommenollte.
ber hier gilt es zu differenzieren. Wenn ich – ich warlber Sozialhilfeempfänger – für meine Familie Hartz IVeantrage, dann liegt dieser Satz bei ungefähr700 Euro. Der Lohn, den ich demnach verdienenüsste, um in Würde leben zu können, liegt bei etwa6 bis 17 Euro pro Stunde. Das könnte Anlass geben, inem von Ihnen betriebenen Überbietungswettbewerbitzuspielen. Das wollen wir aber nicht. Es gibt für unswei verschiedene Kategorien von Mindestlöhnen: denesetzlich festgelegten Mindestlohn, flächendeckend fürlle Regionen und Branchen – den lehnen wir ab –,
nd den von den Tarifpartnern ausgehandelten spezifi-chen, für die Branche festgelegten Mindestlohn, derom Gesetzgeber als allgemeinverbindlich erklärt wer-en kann.
ir wollen das Erste nicht, am Zweiten arbeiten wir, undir wollen das erweitern.Die Höhe darf nicht von der Politik, sondern musson den Tarifparteien entschieden werden, unterstütztnd ermutigt von Politik und Wissenschaft. Ein Vor-chlag dafür lautet, dass wir uns an den in der Zeitarbeitusgehandelten Mindestlohn anlehnen.
uch hier bin ich gespannt auf die Diskussion in denächsten Tagen und darauf, wie die Verhandlungen derarifpartner sich entwickeln werden.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
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Ich komme zum Ende. – Neben dem hohen Gut der
Tarifautonomie selbst und dem oft eingeforderten
Grundsatz der Solidarität ist es ein großer Gewinn, dass
wir in der sozialen Marktwirtschaft von Subsidiarität re-
den: So wenig Staat wie möglich, so viel Staat wie nötig.
Herr Kollege!
Ich bin der Überzeugung – das hat auch der Staatsse-
kretär gestern im Ausschuss gesagt –: Die Tarifparteien
können das. Wir werden sie dazu ermuntern.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Hubertus Heil für die SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen! Frau Ministerin, zu dieser Frage hätteuns die Haltung der Bundesregierung interessiert. In dergestrigen Debatte über das Betreuungsgeld war Ihre Kol-legin Schröder so mutig, zu versuchen, uns ihren Stand-punkt zu erklären.
Was Sie meinen, das lesen wir in der Bild am Sonntag.Als ich Ihr Interview gelesen habe, erging es mir wiemeiner Kollegin Nahles. Ich dachte nämlich: Hossa, dieWaldfee! Da bewegt sich etwas.Herr Kober, Sie sind von Hause aus evangelischerTheologe. Ich bin evangelischer Christ. Daher ist folgen-der Satz nahe liegend: Im Himmel ist mehr Freude übereinen reuigen Sünder als über 100 Gerechte. – ZuDeutsch: Wenn Sie sich in Sachen Mindestlohn tatsäch-lich unseren Vorschlägen anschließen, Frau von derLeyen, dann würden wir das nicht kritisieren.
An dieser Stelle sage ich aber ganz klar: Die Diskussionbei Ihnen hat sich in den letzten Tagen zerbröselt. Siewissen nicht nur nicht, was Sie wollen, Sie wissen auchnicht, was Sie tun.
Es gibt da die buntesten Vorschläge. Frau von der Leyen,ich befürchte, dass am Ende Herr Laumann recht hat, derheute in einem Interview gesagt hat, er rechne angesichtsder Verhältnisse in seiner Partei und bei seinem Koali-tionspartner nicht damit, dass sich in dieser Legislatur-psdsecwefaimdödWdBhddnTevJhuWmtrcgIcnTDalene3BIcsv
Ich sage Ihnen ganz offen: Das künstliche Auseinan-erdividieren von über das Arbeitnehmer-Entsendege-etz geschaffenen tarifvertraglichen Mindestlöhnen undiner allgemeinen Lohnuntergrenze bzw. eines gesetzli-hen Mindestlohnes, der diesen Namen auch verdient,ird der Sache nicht gerecht. Sie könnten ohne Weiterestwas dafür tun, dass tarifvertragliche Mindestlöhne ein-cher vereinbart werden können – das haben wir Ihnen Frühjahr vorgeschlagen –, indem Sie allen Brancheniese Möglichkeit im Arbeitnehmer-Entsendegesetz er-ffnen. Sie tun es nicht, weil sich die CDU nicht gegenie FDP durchsetzen konnte. Das ist an dieser Stelle dieahrheit.Für jede neu hinzukommende Branche müssen wiras Arbeitnehmer-Entsendegesetz sozusagen anfassen.isher gilt es nämlich nur für zehn Branchen. Es ist da-er ein zähes Ringen um tarifvertragliche Mindestlöhne;enn erstens muss eine neue Regelung, was den Kreiser betroffenen Branchen angeht, in das Gesetz aufge-ommen werden, und zweitens muss die Mehrheit imarifausschuss entscheiden. Das zu ändern, wäre derrste Schritt, den wir machen könnten.Wir Sozialdemokraten wollen einen Vorrang für tarif-ertragliche Mindestlöhne. Darum haben wir Jahr fürahr gekämpft – dies mussten wir Ihnen auch in den Ver-andlungen im Frühjahr Branche um Branche abringen –,nd deshalb sind wir so weit gekommen.
ir wollen, wie gesagt, einen Vorrang der Tarifautono-ie. Wir wollen aber auch die Möglichkeit für tarifver-agliche Mindestlöhne weiter ausbauen. Daneben brau-hen wir eine Lohnuntergrenze, also einen allgemeinenesetzlichen Mindestlohn, als untere Auffanglinie.
h sage Ihnen auch, warum. Die Kollegin Pothmer hatämlich vollkommen recht: In einigen Bereichen gibt esarifverträge, die diesen Namen nicht mehr verdienen.as liegt an der Tarifflucht auf Arbeitgeberseite unduch an der Tatsache, dass es für Gewerkschaften in vie-n Branchen außerordentlich schwierig ist, sich zu orga-isieren. Das ist die Wahrheit.Der Mindestlohn ist notwendig, weil beispielsweisein Stundenlohn von – wenn ich mich richtig erinnere –,12 Euro im Friseurgewerbe in Sachsen leider Gottesestandteil eines Tarifvertrages ist.
h sage Ihnen an dieser Stelle: Die Tarifautonomie hatich jahrzehntelang bewährt. Wer die Augen aber davorerschließt, dass die aktuelle Entwicklung, die sich in
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Hubertus Heil
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der Tarifflucht und in der aktuellen Schwäche auf Ar-beitgeber- und Gewerkschaftsseite zeigt, dazu geführthat, dass Lohnfindungsprozesse bei 3,12 Euro oder bei3,06 Euro enden, der muss handeln. Deshalb sage ich Ih-nen: Es ist nicht akzeptabel, dass Sie sich hier hinstellen,rumeiern und die verschiedensten Vorschläge machen.Für die Öffentlichkeit und für die betroffenen Menschenist es vollkommen uninteressant, welcher Flügel derCDU sich in dieser Frage durchsetzt. Es zählen Taten. Esgilt der Satz von Erich Kästner: Es gibt nichts Gutes, au-ßer man tut es.
Frau Ministerin, Sie haben in der Bild am Sonntag an-gekündigt, dass Sie noch in dieser Legislaturperiode ei-nen Gesetzesvorschlag machen wollen. Nach IhremLeipziger Parteitag werde ich Sie täglich fragen, wannSie liefern.
Ich kann Ihnen aber nur die alte Kaufmannsweisheit ent-gegenhalten: Man kann nur liefern, wenn man etwas aufLager hat. Diese Koalition hat nichts auf Lager. Dasführt zu dem Ergebnis, dass Sie manchmal Expertisen,die Ihnen nicht in den Kram passen, unterdrücken.
Das angesprochene Gutachten von renommierten Insti-tuten wie IAQ, IAW, IAB und ZEW im Auftrag des Bun-desministeriums für Arbeit und Soziales, mit Steuergel-dern bezahlt, liegt Ihnen doch seit dem 31. August vor.Frau Ministerin, es ist ganz interessant, dass man mit ei-nem wissenschaftlichen Gutachten erst einmal in dieRessortabstimmung mit FDP-Ministern eintreten muss,um zu schauen, ob einem die Ergebnisse passen. Das istein dickes Ding, das Sie sich da leisten.
Dieses Gutachten beleuchtet die Arbeitsplatzeffekteder tarifvertraglichen Mindestlöhne in den Branchen.Daraus ergibt sich, dass das, was die FDP seit Jahren be-hauptet, dass nämlich Mindestlöhne Arbeitsplätze ver-nichten würden, schlicht und ergreifend Unsinn ist.
– Wenn Sie schon nicht auf uns hören, Herr Kolb, dannwill ich Ihnen einen Rat von einem Menschen geben,dem sie vielleicht mehr zutrauen als uns; das kann jasein.
Ich zitiere:Ein Mensch muss von seiner Arbeit leben könnenund sein Lohn muss wenigstens existenzsicherndsein! Ja, er sollte in der Regel etwas höher sein. An-W–gdsmrudwteVHasM–SsreBggw–
Nein, das ist kein Papst gewesen, sondern das war einewisser Adam Smith im Jahre 1776. 235 Jahre nachem Urvater der liberalen Vorstellung von Marktwirt-chaft haben Sie es immer noch nicht begriffen.
Ich sage Ihnen: Das werden die Menschen Ihnen nichtehr durchgehen lassen. Frau Merkel kann nicht längermeiern. Wir werden Sie stellen; wir werden Sie auffor-ern, einen Gesetzentwurf vorzulegen, –
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
– und wir werden unseren Gesetzentwurf einbringen,
eil es uns darum geht, dass Menschen, die hart arbei-
n, von ihrer Arbeit auch leben können.
Herzlichen Dank.
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Johannes
ogel für die FDP-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier wird nach deraltung der Regierungskoalition gefragt. Sie ist im Ko-litionsvertrag ganz klar niedergelegt – darauf wurdechon hingewiesen –: Einen allgemeinen gesetzlichenindestlohn wollen wir nicht. Warum denn, Herr Heil?
Nein, Frau Kollegin Pothmer. – Warum denn? Lassenie uns einmal im Detail darüber reden.Sie haben vorhin die Realität in Deutschland be-chrieben. Wir alle wollen, dass die Menschen von ih-m Lohn leben können.
ei der Debatte müssen wir uns eines klarmachen. Eseht um Fairness gegenüber drei Gruppen, erstens ge-enüber den Arbeitnehmern, die gute Löhne wollen. Dasollen wir alle, deswegen tun wir mehr für Qualifikation und zwar mehr, als Sie getan haben, liebe Kolleginnen
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Johannes Vogel
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und Kollegen –, gerade von beschäftigten Arbeitneh-mern.
Zweitens geht es um Fairness gegenüber Arbeitge-bern und Unternehmen, die die Löhne zahlen könnenmüssen. Drittens schließlich geht es um Fairness gegen-über denjenigen, die erst auf den Arbeitsmarkt wollen.Das ist doch die Voraussetzung für alles Weitere. EchteTeilhabe in der Gesellschaft ist natürlich am besten mög-lich, wenn man auf dem Arbeitsmarkt dabei ist. Dasmüssen wir im Blick haben.Zum deutschen Jobwunder gehört die Tarifautono-mie, das heißt, dass in unserer sozialen Marktwirtschaftdie Löhne von den Tarifpartnern ausgehandelt werden.Das dürfen wir nicht gefährden. Genau das fordern Sieaber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposi-tion.Schauen wir uns doch einmal an, wie die Lage ist,Herr Heil! Wie viele Menschen in Deutschland könnendenn nicht von ihrem Lohn leben?
Es wird immer die Zahl von 1,4 Millionen Aufstockerngenannt. Von dieser Gruppe arbeiten 900 000 nur in Teil-zeit. Hier ist nicht die Lohnhöhe das Problem, sonderndie Arbeitszeit. Warum ist das so? Weil Sie die Hinzu-verdienstgrenzen bei Hartz IV so ausgestaltet haben,dass man kaum aus diesen Grenzen herauswachsenkann. Dieses Problem wollen wir uns im nächsten Jahrnoch einmal vornehmen.
125 000 Menschen aus dieser Gruppe sind selbststän-dig. Man muss untersuchen, ob diese Menschen ein gu-tes Geschäftsmodell als Grundlage haben und was manfür sie tun kann, um gegebenenfalls nachzubessern. Hiergeht es nicht um die Lohnhöhe.300 000 Menschen arbeiten Vollzeit und stocken auf.Herr Heil, die weit überwiegende Zahl dieser Menschenstockt aber nicht auf, weil die Lohnhöhe so niedrig ist,sondern weil sie eine große Familie haben. Das mussman einmal sagen. Es ist eine sozialpolitische Errungen-schaft in diesem Land, dass wir Familien nicht alleinelassen, sondern ihre wirtschaftliche Lage verbessern.
Die Frage lautet: Wie gehen wir als Staat damit um,dass wir den Vorrang für Tarifpartner wollen, dass wirnatürlich – der Kollege Kolb hat es ausgeführt – nichtwollen, dass es einzelne schwarze Schafe unter den Un-teswvDriHTadseDswHkShDaDwhDuD–
Wie schafft man das? Die Tarifautonomie hat sich be-ährt. Daher ist wohl klar, dass man in drei Schrittenorgeht. Für die 80 Prozent der Beschäftigten ineutschland, die tarifgebunden sind, funktioniert die Ta-fautonomie.
ier brauchen wir keine Lösung, weil das Ganze bei denarifpartnern richtig funktioniert.In diesem Zusammenhang werden immer die Friseureus Thüringen angeführt. Wenn wir ehrlich miteinanderebattieren wollen, dann gehört hier auch dazu, dass die-er Friseurtarifvertrag aus Thüringen,
ine wesentliche Umsatzbeteiligung vorsieht.
as heißt, es ist unfair, wenn Sie nur auf die Lohnhöhechauen. Das können Sie gar nicht vergleichen. Die Ge-erkschaften, denen Sie offenbar nicht mehr vertrauen,err Heil, machen in unserem Land bei der Lohnfindungeinen Unsinn.Bei den Branchen, in denen es einzelne schwarzechafe gibt, besteht die Möglichkeit, die unterste Lohn-öhe für allgemeinverbindlich zu erklären.
as hat diese Regierungskoalition in mehr Fällen getanls Sie in der rot-grünen Regierungszeit.
er Unterschied zum allgemeinen Mindestlohn, den Sieollen, ist eben nur: Hier liegt die Lohnfindung weiter-in in den Händen der Tarifpartner und nicht hier imeutschen Bundestag, in den Händen von Herrn Ernstnd anderen.
as wollen wir so lassen.
Nein.
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Johannes Vogel
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– Nein, wir reden nichts schön; wir stellen die Realität inDeutschland dar. Dazu gehört eben, dass wir das deut-sche Jobwunder haben und die Löhne in der Regel aus-kömmlich sind.
Das können wir nicht erhalten, indem wir uns einer Poli-tik anschließen, die alles zurückdreht und alles verän-dern will, was dieses deutsche Jobwunder ausmacht. Daswäre eine Unverschämtheit gegenüber den Menschen,die dann arbeitslos werden, Herr Kollege Heil. SchauenSie sich doch einmal im europäischen Ausland um! Daswollen wir nicht.
– Ja, Herr Ernst. Er spielt eine wesentliche Rolle bei derFrage der hohen Arbeitslosigkeit.Bleiben wir aber bei dem Fall. Für die wenigen wei-ßen Flecken gibt es in Deutschland sogar das Mindestar-beitsbedingungengesetz.
Wir können eine Lösung für diese Branchen finden.Wenn Sie mehr wollen,
dann müssen Sie zugeben: Sie wollen einen allgemeinenMindestlohn; das sagen Sie auch offen.
Ich sage Ihnen: Ein allgemeiner Mindestlohn, eine allge-meine politische Lohnuntergrenze, die von Aachen bisCottbus und von Flensburg bis Konstanz gilt und für alleBranchen identisch ist, wird nicht zu höheren Löhnen,sondern zu höherer Arbeitslosigkeit führen.
DdawFsglemnmissD2reteemFFbdsnInFw
Das war unser Kollege Johannes Vogel für die FDP-
raktion. – Jetzt spricht für die Fraktion Die Linke un-
ere Kollegin Jutta Krellmann. Bitte schön, Frau Kolle-
in Jutta Krellmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Guten Tag, liebe Kol-ginnen und Kollegen! Ich möchte da anknüpfen, woein Kollege Klaus Ernst aufgehört hat,
ämlich bei Art. 1 Grundgesetz – ich zitiere daraus, da-it auch Sie es verstehen –: „Die Würde des Menschent unantastbar.“ Zur Würde gehört auch, dass die Men-chen von ihrer Arbeit leben können.
as ist seit zehn Jahren zunehmend nicht mehr der Fall:3 Prozent der Beschäftigten arbeiten im Niedriglohnbe-ich. In der Exportnation Deutschland gibt es Löhne un-r 5 Euro. Das kann doch gar nicht wahr sein; das ist einchter Skandal.
Herr Kolb sagte, dass es 11 000 Aufstocker gibt. Da-it kann er doch nur seinen Landkreis in der Nähe vonrankfurt meinen.
ür Deutschland gilt das nicht. Das gilt vielleicht für Ba-enhausen. Mein Kollege Klaus Ernst hat die Antworter Bundesregierung auf die Frage, wie viele vollzeitbe-chäftigte Aufstocker es in Deutschland gibt: 326 000,icht 11 000.
sofern ist es gut, dass die CDU auf ihrem Parteitag dasenster für den Mindestlohn aufmachen will. Linksirkt!
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Jutta Krellmann
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Aber was wollen Sie jetzt machen? Die Informatio-nen werden immer diffuser und – wir haben Herbst – im-mer vernebelter. Die Informationen, die ich habe, sindaus dem Text des Antrages für den CDU-Parteitag – ichzitiere –:Die CDU Deutschlands hält es für notwendig, eineallgemeine verbindliche Lohnuntergrenze in denBereichen einzuführen, in denen ein tarifvertraglichfestgelegter Lohn nicht existiert.
Jetzt geht das Geschacher los:
Frau Merkel spricht sich für eine Lohnuntergrenze aus.Ja, toll. Das verbindet sie aber mit dem Ziel: keine An-bindung an die Löhne in der Leiharbeit. Abweichungennach unten sollen möglich sein.
Auch ich will keine Anbindung an die Löhne in derLeiharbeit – das sage ich ganz deutlich –, nicht weil mirdas zu viel ist, sondern weil mir das eindeutig zu wenigist.
7,89 Euro im Westen und 7,01 Euro im Osten sind mireinfach zu wenig. Unsere Forderung ist: 10 Euro für alle.
Frau Merkel macht einen Knicks vor der Arbeitgeber-lobby.
Ich kann nicht verstehen, wieso sich die Ostfrau Merkelnicht für gleiche Lebensverhältnisse in Ost und Westeinsetzt, obwohl sie selbst aus dem Osten kommt.
Ich als Urwessi setze mich dafür ein, weil ich dieSchnauze voll davon habe, dass alle toll finden, dass dieMauer weg ist, Sie aber nichts tun, damit sich die Le-bensverhältnisse in irgendeiner Form angleichen –nichts!
mwnHCleg8leepsBgnubmSvleDzsMdreggvWAvB
Branchentarifverträge funktionieren dort, wo Gewerk-chaften die Verhandlungsmacht haben dank kollektiveritgliedschaft sowie der Drohung, im Zweifel das Rechter kollektiven Arbeitsniederlegung, nämlich das Streik-cht nach Art. 9 des Grundgesetzes, wahrzunehmen.Das Streikrecht steht in Verbindung mit Tarifverträ-en. Das eine funktioniert ohne das andere nicht. Zu sa-en: „Die Gewerkschaften sollen jetzt endlich einmalerhandeln“, ist doch Blödsinn.
enn Gewerkschaften nicht die Möglichkeit haben, zurbeitsniederlegungen aufzurufen, wird es keine Tarif-erträge geben, sondern dann bleibt es beim kollektivenetteln.
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16508 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Jutta Krellmann
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Sie haben Erwartungen bei den Menschen geweckt.Ich möchte Sie auffordern: Erfüllen Sie die Erwartun-gen!
Die Menschen erwarten einen Mindestlohn, der für allegilt und der nach unserer Position 10 Euro betragen soll.Tun Sie etwas, bewegen Sie sich und machen Sie dasFenster wieder zu, das Sie selbst geöffnet haben!
Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Krellmann. – Jetzt für die
Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Max Straubinger.
Bitte schön, Kollege Straubinger.
Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Frau Kolle-gin Krellmann, Sie haben sich gerade darüber ausgelas-sen, dass die Frau Bundeskanzlerin und die Bundesregie-rung nichts für die Angleichung der Lebensverhältnisseim Osten und Westen tun würden.
Ich möchte zunächst feststellen: Sie von der linkenSeite waren überhaupt einmal gegen die Wiedervereini-gung – vor allen Dingen Ihr Fraktionsvorsitzender, dergerade den Saal verlässt.
Damit wären den Menschen gute Lebensverhältnissevorenthalten worden. Das ist letztlich der Punkt hier.Darüber hinaus möchte ich auch daran erinnern, dassmittlerweile viele Löhne in Ost und West zu 100 Prozentangeglichen worden sind, zum Beispiel im Metallbe-reich.
Das ist mit entscheidend dafür, dass sich die Lebensver-hältnisse der Menschen im Osten so großartig entwi-ckeln – dies nur mit der Garantie dieser Bundesregie-rung. Das wäre garantiert nicht der Fall, wenn SieVerantwortung tragen würden.
ez–smteWWbsDvDdscgKeSWscndruwwn
Herr Kollege Heil, von den Linken wurde also offen-ichtlich die falsche Frage gestellt. Denn Sie haben be-ängelt, dass die Bundesregierung nicht darauf antwor-t.
ir antworten als Regierungsfraktionen.
Der Kollege Kolb hat bereits darauf hingewiesen:
ir stehen zur vollen Tarifautonomie und nicht zu einerevormundenden Tarifautonomie durch staatlich festge-etzte Löhne.
arüber hinaus steht eindeutig in unserem Koalitions-ertrag, dass wir gesetzliche Mindestlöhne ablehnen.abei wird es auch bleiben;
enn es ist richtig, dass wir auf Branchenmindestlöhneetzen. Das hatte im Bereich Pflege großen Erfolg.Herr Kollege Heil, im Übrigen wurde der erste Bran-henmindestlohn unter einer CDU/CSU-FDP-Bundesre-ierung mit tatkräftiger Unterstützung des Kollegenolb, der damals Parlamentarischer Staatssekretär war,ingeführt.
o viel zur Geschichte.
ir sind uns unserer sozialen Verantwortung den Men-chen gegenüber bewusst. Mittlerweile haben wir Bran-henmindestlöhne in den Bereichen Pflege, Gebäuderei-igerhandwerk, Wäschereien und Wach- und Sicherheits-ienst eingeführt.
Wenn das Gutachten vorliegt, das die Bundesregie-ng eingeholt hat – möglicherweise haben Sie schon et-as gelesen; das weiß ich nicht –,
ird möglicherweise deutlich, dass die Auswirkungenicht feststellbar sind.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16509
Max Straubinger
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Es ist nicht klar, ob sie positiv oder negativ sind. Das istdeshalb so, weil wir die Einführung des Mindestlohnesauf einige Branchen beschränkt haben.Das Schlimmste, was im Bereich Arbeitsplätze pas-sieren konnte, ist unter Rot-Grün passiert. Damals gab esin Deutschland einen massiven Verlust an Arbeitsplät-zen. Seitdem die Union wieder regiert – mittlerweile mitder FDP –, gab es einen gewaltigen Zuwachs an sozial-versicherungspflichtiger Beschäftigung.
Das ist darauf zurückzuführen, dass wir eine fundierteWirtschaftspolitik in Gang gesetzt haben, durch die dieMenschen ein gutes Einkommen erzielen können.
Nun sind wir wieder beim Thema Mindestlohn. Da-mit wollen wir uns auch auseinandersetzen.
Kollege Ernst hat zum einen das Thema Arbeitsplatzver-lust angesprochen. Zum anderen hat er darauf hingewie-sen, dass die Menschen auch von den Löhnen leben kön-nen müssen.
Nehmen wir das Beispiel Frankreich, das von Ihnenoft als Vorzeigeland bezeichnet wird. Dort beträgt dergesetzliche Mindestlohn 9,10 Euro. Frau KolleginNahles hat Großbritannien vorbildlich genannt. Ichmöchte feststellen: In Frankreich sind das im Monat1 365 Euro brutto und in Großbritannien 1 086 Eurobrutto. Wissen Sie, wie hoch der niedrigste Tariflohn imHotel- und Gaststättengewerbe in Bayern – wohlge-merkt: der niedrigste! – ist? Er liegt bei 1 361 Euro undnach drei Monaten Einarbeitungszeit bei 1 464 Euro.
Das sind letztlich die 8,50 Euro, die die SPD als Min-destlohn fordert.
Dabei haben das die Tarifparteien bereits vereinbart.
Deshalb bedarf es auch in dieser Hinsicht dieser Unter-stützung nicht.sdsvhimmliloFnSserisbrü–bmriSBKhDdHvti
Diese Frage kann in der Aktuellen Stunde nicht mehr
eantwortet werden. Der Kollege hat keine Redezeit
ehr.
Schade, dass ich die Frage nicht beantworten kann.
Vielen Dank, Kollege Straubinger. – Nächste Redne-
n in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der
ozialdemokraten unsere Kollegin Frau Anette Kramme.
itte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Wenn die Regierung ein Thema für wichtigält, dann redet normalerweise die Spitze der Partei.ann redet die Bundeskanzlerin, alternativ der zustän-ige Fachminister oder die zuständige Fachministerin.
ier und heute hat man den Eindruck, dass ein Sprech-erbot für die obersten Chargen dieser Regierung exis-ert.
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Anette Kramme
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Das ist nachvollziehbar. Wir würden aber gerne wissen,ob Ursula von der Leyen noch an der Seite von HerrnLaumann steht oder mittlerweile bei Frau Merkel ange-langt ist.
Herr Straubinger, Sie sagen, dass Sie sich um dieMenschen in diesem Land kümmern. Es gibt aber sehrviele Zahlen zum Niedriglohnsektor, die mehr als er-schreckend sind.
Angesichts der Zahlen müssten die Ministerpräsidentenaller fünf neuen Bundesländer schreiend durch die Ge-gend laufen. Das Einkommen von mehr als 40 Prozentder Menschen in Ostdeutschland liegt unterhalb einereinheitlichen Niedriglohngrenze in Deutschland. Sieverdienen also weniger als 1 800 Euro brutto. Wir kön-nen auch Zahlen des IAQ nehmen: Das IAQ hat errech-net, dass 23 Prozent aller Haupt- und Nebenbeschäftig-ten von einem Mindestlohn in Höhe von 8,50 Europrofitieren würden. Wie erschreckend!
Wir können das auch noch an anderen Zahlen festma-chen. Prognos hat eine Studie vorgelegt. Prognos hat unsauch einiges über die Wirkungen eines Mindestlohns ge-sagt. Dabei geht es um die Würde der Arbeit. Prognoshat aber auch belegt, wie volkswirtschaftlich sinnvoll dieEinführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro ist. Pro-gnos hat belegt: 14 Milliarden Euro würden die Haus-halte in der Bundesrepublik Deutschland zusätzlich ver-dienen. Es wurde belegt, dass wir zusätzliche Einkom-mensteuereinnahmen in Höhe von 2,7 Milliarden Eurohätten. Es wurde belegt, dass die Sozialversicherungenzusätzlich 2,7 Milliarden Euro einnehmen würden. Da-rüber hinaus ist herausgekommen, dass wir mit 80 000zusätzlichen Arbeitsplätzen in der Bundesrepublik rech-nen könnten.
Frau von der Leyen, wie das Baby heißt, ob „Lohnun-tergrenze“ oder „Mindestlohn“, ist uns an sich egal. DasPaket, dass Sie an dieser Stelle schnüren wollen, ist aberein Nichts, ein Nullum. Das wird den Menschen in derBundesrepublik Deutschland nicht helfen.
Ein Grund dafür ist, dass Sie wollen, dass die Min-destlöhne nur dann greifen, wenn es an der Tarifbindungfehlt.
Das ist nicht Respekt vor der Tarifautonomie, sondern Prinzip eine Missachtung der Tarifautonomie.
Herr Kolb, ich würde Ihnen das gerne erläutern. Es isto, dass wir mehrere Hundert Tarifverträge in der Bun-esrepublik Deutschland haben, die Löhne unterhalbon 8,50 Euro vorsehen.
enn Sie jetzt sagen, dass die Lohnuntergrenze nur dannreifen soll, wenn eine Tarifbindung nicht vorliegt,
ann bedeutet das, dass Gewerkschaften, wenn sie ihreneuten etwas Gutes tun wollen, wenn sie den Arbeitneh-erinnen und Arbeitnehmern in diesem Land etwas Gu-s tun wollen, künftig auf den Abschluss von Tarifver-ägen verzichten müssen. Das ist ein Eingriff in diearifautonomie und nicht das Gegenteil davon!
Sie sagen überdies, das Ganze solle branchenabhän-ig laufen und nach Regionen differenziert. Wissen Sie,as das bedeutet? Das bedeutet, dass ganz viele Men-chen in Deutschland mangels Informationen auf ihreechte verzichten werden. Da ein solches Verfahrenahre dauern wird, wird auch sichergestellt, dass Min-estlöhne nicht kommen.Ein weiterer Punkt: Die Kanzlerin oder ihre Regie-ng hat zunächst erklärt, dass man auf einen Maßstabr eine Lohnuntergrenze nicht verzichten wolle. Dieeiharbeit solle der Maßstab sein. Dann gab es einen To-lrückzieher.
Herr Heinrich, Sie haben davon gesprochen, dass esünftig einen Überbietungswettbewerb in der Politik ge-en würde. Was Sie mit diesem Verzicht einleiten wür-en, ist ein Unterbietungswettbewerb.
ir haben bis heute nicht von Ihnen gehört, wie hocher Mindestlohn in der Bundesrepublik Deutschland seinoll. Sollen es 4 Euro sein, sollen es 5 Euro sein, sollens 5,50 Euro sein, oder sollen es 6 Euro sein?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16511
Anette Kramme
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Dies ist offensichtlich ein Zugeständnis an den Wirt-schaftsflügel Ihrer Partei.
Zum Abschluss Folgendes: Arbeit muss Würde ha-ben, und würdige Arbeit ist existenziell für das Leben imAlter, für eine Rente, von der man leben kann. Sie leitenhier momentan einen Prozess ein, der zu Altersarmut imgroßen Maßstab führen wird. Deshalb kann man Ihnennur sagen: Besinnen Sie sich und kommen Sie endlichzur Vernunft!Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Anette Kramme. – Jetzt
für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Peter
Weiß. Bitte schön, Kollege Peter Weiß.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Zum Schluss dieser Aktuellen Stunde bleibt mir nurnoch eine Feststellung: Bei der Opposition geht dieblanke Angst um.
Es ist die blanke Angst davor, dass das Thema Mindest-lohn als Verunglimpfungsthema gegen die Regierungs-koalition und die sie tragenden Parteien abhandenkom-men könnte. Das wurde hier heute vorgeführt.
Die Behauptung, CDU, CSU und FDP seien strikt ge-gen Mindestlöhne, ist schon deswegen falsch,
weil – es ist schon erwähnt worden – der erste branchen-bezogene Mindestlohn in Deutschland unter einer Regie-rung von CDU/CSU und FDP, unter Helmut Kohl undBundesarbeitsminister Norbert Blüm vereinbart wordenist.UDdk–cvrikussbtrdDndbntezusM
nter einem sozialdemokratischen Bundeskanzler ist ineutschland kein einziger Mindestlohn vereinbart wor-en.
Aber heute, mit einer christdemokratischen Bundes-anzlerin und selbst in einer Koalition mit der FDPdies hätten viele nicht vermutet –, gibt es in zehn Bran-hen in Deutschland Mindestlöhne, die die Tarifpartnerereinbart haben und die die Frau Bundesarbeitsministe-n per Rechtsverordnung für allgemeinverbindlich er-lärt hat, das heißt, sie gelten für alle Arbeitnehmerinnennd Arbeitnehmer in dieser Branche, ob sie organisiertind oder nicht. Das ist ein großer Erfolg. Mindestlöhneind das Markenzeichen der CDU.
Erst gestern hat der Gemeinsame Tarifausschuss – eresteht aus drei Vertretern der Arbeitgeber und drei Ver-etern der Gewerkschaften – getagt und zum Beispielen Mindestlohn für die Dachdecker verlängert.
Morgen erscheint der Bundesanzeiger neu.
arin werden Sie schwarz auf weiß die Bekanntgabe deseuen Mindestlohns in der Zeitarbeit lesen können,
en die Bundesministerin ebenfalls für allgemein ver-indlich erklären wird. Dann bekommen Zeitarbeitericht mehr nur 5 Euro pro Stunde, dann müssen im Wes-n mindestens 7,89 Euro und im Osten 7,01 Euro ge-ahlt werden,
nd zwar nicht, weil die Politik es so beschlossen hat,ondern weil Gewerkschaften und Arbeitgeber diesenindestlohn vereinbart haben.
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16512 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb[FDP])Nun gibt es trotz dieses erfolgreichen Wegs Bran-chen, in denen voraussichtlich keine branchenbezogenenMindestlöhne vereinbart werden.
Das ist Anlass dafür, dass sieben Landesverbände, meh-rere Vereinigungen der Partei und 21 Kreisverbände fürden CDU-Bundesparteitag, der am Montag und Dienstagder kommenden Woche in Leipzig stattfinden wird, An-träge gestellt haben,
in denen sie vorschlagen, dass wir eine allgemeine un-tere Lohngrenze für all die Bereiche festlegen, in denenbranchenbezogen nichts geregelt ist, dass diese Lohn-grenze von den Tarifparteien, den Gewerkschaften undArbeitgeberverbänden, ausgehandelt wird und anschlie-ßend durch die Bundesregierung für allgemeinverbind-lich erklärt werden soll, sprich: für alle gelten soll, egalob In- oder Ausländer, ob in der einen oder der anderenBranche beschäftigt. All die Zeitungsmeldungen, diehier vorgetragen worden sind, geben das, was in den An-trägen steht, nicht wieder.
Die Mühe, darauf hinzuweisen, hat sich niemand von derOpposition gemacht.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, natürlich könnenSie heute eine Aktuelle Stunde beantragen. Aber: DieCDU ist wie die CSU und die FDP
– ich hoffe, wie auch die anderen – eine demokratischePartei.
Bei uns entscheidet nicht die Parteivorsitzende, nicht eineinzelner Landesverband,
auch nicht die Fraktion oder ein Abgeordneter. Bei unsentscheidet der Bundesparteitag in der nächsten Woche,wie das Konzept der Union aussieht.
geSDWdThnDstewdzWLAo
er große Unterschied ist:
ir sind der Auffassung: Deutschland hat seinen Erfolger Tarifautonomie zu verdanken. Die Tatsache, dass diearifpartner anständige Löhne ausgehandelt haben,
at zum Wohlstand der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-ehmer in Deutschland beigetragen.
en Weg, über Tarifverträge und anschließend durchtaatliche Allgemeinverbindlichkeitserklärungen zu gu-n Löhnen in Deutschland zu kommen,
ollen wir weitergehen und weisen den Vorschlag, diesurch staatliche Gesetzgebung zu ersetzen, entschiedenurück.
ir wollen den Vorrang der Tarifautonomie für guteöhne in Deutschland.Vielen Dank.
Kollege Peter Weiß war der letzte Redner in unsererktuellen Stunde, die damit beendet ist.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tages-rdnungspunkt 5 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt-entwicklung
– zu dem Antrag der Abgeordneten VeronikaBellmann, Dirk Fischer , ArnoldVaatz, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSU sowie der Abgeordneten Oliver
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16513
Vizepräsident Eduard Oswald
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Luksic, Patrick Döring, Werner Simmling, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDPWeißbuch Verkehr – Auf dem Weg zu einernachhaltigen und bezahlbaren Mobilität– zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Groß,Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der SPDEU-Weißbuch Verkehr – Neuausrichtung derintegrierten Verkehrspolitik in Deutschlandund in der Europäischen Union nutzen– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. AntonHofreiter, Winfried Hermann, Dr. Valerie Wilms,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENWeißbuch Verkehr für Trendwende der Ver-kehrspolitik in Deutschland und Europa nut-zen– Drucksachen 17/7464, 17/7177, 17/5906, 17/7679 –Berichterstattung:Abgeordnete Veronika BellmannMichael GroßNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Sie sind damiteinverstanden. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als Ersteunsere Kollegin Veronika Bellmann für die Fraktion derCDU/CSU. Bitte schön, Frau Kollegin VeronikaBellmann.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Seit den Römischen Verträgen 1958ist die Verkehrspolitik klassisches Handlungsfeld euro-päischer Politik. Seit 2001 wird die Konkretisierung dereuropäischen Verkehrspolitik in Weißbüchern vorge-nommen. 2001 gab es das erste, 2006 das zweite, undnunmehr, seit dem 28. März dieses Jahres, gibt es dasdritte. Es trägt den Titel „Fahrplan zu einem einheit-lichen europäischen Verkehrsraum – Hin zu einem wett-bewerbsorientierten und ressourcenschonenden Ver-kehrssystem“.Mit der Vorlage dieses Weißbuches formuliert die Eu-ropäische Kommission die Neuausrichtung der europa-weiten Verkehrspolitik bis zum Jahr 2020. Darüber hi-naus entwirft sie zugleich eine Vision bis 2050. Damitdie Ziele der Nachhaltigkeit – das dritte Weißbuch ver-schreibt sich vor allen Dingen dem Ziel der Nachhaltig-keit –, der Sicherheit, der Weiterentwicklung des Ver-kehrsbinnenmarktes und des Abbaus der Abhängigkeitvom Rohstoff Öl erreicht werden, hat die EuropäischeKommission dem Papier 40 Maßnahmen in einem Paketbzw. einer Anlage angehängt. Sie sind ohne Zweifel sehrambitioniert, manchmal auch sehr visionär, aber durch-aus umsetzbar.bnstägsinAfu2dumdgBdleWbsdteteEHravzKtrsEsnisssBKKadsadmnvdroSKV
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verkehre und den ÖPNV gemacht werden. Hier muss injedem Falle nachjustiert werden.
Aus diesem Grund haben wir als Koalitionsfraktionenunseren Antrag mit dem Titel „Weißbuch Verkehr – Aufdem Weg zu einer nachhaltigen und bezahlbaren Mobili-tät“ eingebracht. Mit ihm geben wir unserer Bundesre-gierung einige Forderungen mit auf den Weg, um auf eu-ropäischer Ebene entsprechend zu verhandeln, damit wirim Mobilitäts- und Verkehrssektor der Zukunft Ökologieund Ökonomie ordentlich miteinander verzahnen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es liegennoch zwei andere Anträge bezogen auf das WeißbuchVerkehr vor, nämlich einer der Grünen und einer derSPD. Ich habe gestern in den Ausschussberatungen ein-mal den Versuch gemacht, die Gemeinsamkeiten in denAnträgen hervorzuheben. Ich glaube, das ist mir an vie-len Stellen gelungen. Man kann sie zumindest denschriftlichen Anträgen deutlich entnehmen. In der Dis-kussion wurde es dann aber doch – insbesondere seitensder Grünen – etwas ideologisch, als es um die Verlage-rung des Luft- und Straßenverkehrs auf die Schiene undauf Wasserstraßen ging.Wir sind auch für Verkehrsverlagerungen, aber immernur dort, wo es sinnvoll ist, also nicht auf Gedeih undVerderb. Wir sehen die im Weißbuch dargelegten Zielesehr kritisch: Bis 2050 sollen der Straßengüterverkehrund auch große Teile des Personenverkehrs ab 300 Kilo-meter Streckenlänge auf die Schiene verlagert werden.Gleiches gilt für den Luftverkehr unter einer Strecken-länge von 1 000 Kilometern. Das muss man sich einmalvorstellen: Das sind alle innerdeutschen Verbindungen.Auch das Ziel, bis 2020 einen annähernd CO2-freienStadtverkehr zu erreichen, muss man sehr kritisch be-trachten; denn die Reduktion der Anzahl konventionellerFahrzeuge um 50 Prozent bis 2030 und um 100 Prozentbis 2050 ist nicht nur ambitioniert, sondern dahintersteckt auch ein hoher Kostenfaktor.Darum sagen wir: Pauschale dirigistische Vorgabensind nicht zielführend, vor allen Dingen dann nicht,wenn sie in Bezug auf Mengen, Zieldaten und Entfer-nungen gemacht werden. Solche Vorgaben müssen tech-nologieneutral und verkehrsträgerneutral sein; denn an-sonsten verhindern sie Innovationen für effizientereAntriebe, neue Kraftstoffe, intelligente Verkehrsleitsys-teme und auch Elektromobilität. Dafür bieten Sie nichtsweiter als massive Staatseingriffe und Verteuerung fürStaat und Bürger.Ich komme jetzt auf den Antrag der SPD zu sprechen.Dort finden sich einige Gemeinsamkeiten mit unserenPositionen. Das liegt aber auch daran, dass die47 Punkte, die Sie in Ihrem Forderungskatalog darlegen,überwiegend Allgemeinplätze beinhalten. Sie forderndie Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, dass die Wert-schöpfung und die Arbeitsplätze auch bei einem umfas-senden Strukturwandel in Deutschland und Europa blei-ben sollen. Das versteht sich für meine Begriffe vonselbst.FkkSdMmzroddrüdcvZsmbDteti–LPAsdzVFBgTru
Nein.
Frau Kollegin Bellmann, Sie wissen schon, was die
ichter vor Ihnen auf dem Pult bedeuten?
Jawohl, das weiß ich.
Der ökologische, ökonomische und – das ist der letzte
unkt, den ich genannt habe – soziale Ausgleich ist im
ntrag der Koalitionsfraktionen enthalten. Daher ist die-
er Antrag der weitgehendste von allen drei vorliegen-
en Anträgen. Ich bitte Sie deshalb um Ihre Unterstüt-
ung für diesen Antrag hinsichtlich des Weißbuches
erkehr der Europäischen Union.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Bellmann. – Jetzt für die
raktion der Sozialdemokraten unser Kollege Martin
urkert. Bitte schön, Kollege Martin Burkert.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-en! Sehr verehrte Damen und Herren auf den Tribünen!äglich sind Menschen in Deutschland unterwegs: be-flich, privat, in der Stadt, auf dem Land, regional und
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16515
Martin Burkert
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über Landesgrenzen hinaus, gemäß dem Motto: heutehier, morgen dort, zu Land, zu Wasser und in der Luft.Eine gut ausgebaute Infrastruktur betrifft jeden Ein-zelnen. Sie ist aber auch wesentlicher Bestandteil unse-rer Wirtschaft. Doch weder der Individual- noch derHandelsverkehr enden an den nationalen Grenzen. Des-halb ist es richtig, dass das Weißbuch Verkehr, über daswir heute sprechen, den Verkehr in Europa als Ganzesbetrachtet, dass es uns einen Fahrplan, eine Richtschnur,gibt, wie der europäische Verkehrsraum in rund 40 Jah-ren aussehen soll.Die bis 2050 gesteckten Ziele für mehr Umwelt- undmehr Klimaschutz im Verkehr sind dringend notwendigund werden von uns begrüßt. Wie in allen anderen Berei-chen muss auch der Verkehr seinen Beitrag leisten, umenergieeffizienter zu werden, damit Europa möglichstunabhängig vom Öl wird. Das begrüßt die SPD-Bundes-tagsfraktion selbstredend.Wir brauchen aber kein Weißbuch, mit dem wir nurvon einem zukunftsfähigen Verkehr im Jahr 2050 träu-men. Wir brauchen ein Schwarz-auf-weiß-Buch, in demwir festlegen, was wir ganz konkret machen, um denFahrplan im Weißbuch einzuhalten. Dafür bräuchte es inDeutschland aber eine wirkliche Takterhöhung. Wirbräuchten eine grundlegende Fahrplananpassung. Hierhaben die schwarz-gelbe Bundesregierung und die Ko-alitionsfraktionen die Weichen in der Verkehrspolitikfalsch gestellt.
Die europäische Leitlinie ist laut Weißbuch völligklar: Mehr Verkehr auf die Schiene und mehr Verkehrauf die Wasserstraße! Wie soll es aber zu einem starkeneuropäischen Eisenbahnverkehrsmarkt kommen, wenndie Bundesregierung nach wie vor ausschließlich auf As-phalt setzt?
Wie soll man die Wasserstraße sinnvoll nutzen, wenndiese jetzt auch noch bemautet werden soll? Herr Minis-ter, heute wäre ein guter Zeitpunkt, um deutlich zu ma-chen, ob die Kanäle zukünftig bemautet oder besteuertwerden sollen.Mehr Verkehr auf der Schiene erreicht man auch nichteinfach durch die Trennung von Netz und Betrieb bei derBahn, indem also die Infrastruktur, das Streckennetz, inStaatshand verbleibt, die Beförderungs- und Trans-portsparte aber privatisiert wird. Das kann sicherlichnicht die ultimative Lösung sein.
Andere Länder haben vorgemacht, wohin das führt.Aber Privatisierung und Liberalisierung sollen dasAllheilmittel sein: die gute Fee, durch die jeder Wunscherfüllt und alles gut wird.FssIhRüEsdteliHWwegFjeteteA2zubnKdgzaöBbbktrRsdAS
ragen Sie doch einmal die Bürgerinnen und Bürger, obie an die gute Fee aus dem Märchen glauben.Die Struktur der Bahn sollte nicht ständig infrage ge-tellt werden. Ich bin der Meinung, nein. Ich zitiere mitrer Erlaubnis, Herr Präsident, unseren Bundesministeramsauer, der am 6. Oktober 2011 zur Entscheidungber die Neufassung des dritten Eisenbahnpaketes derU verlauten ließ, es sei falsch – Zitat – „aus ideologi-chen Gründen ein erfolgreiches Modell aufzugeben undamit einem Mitgliedstaat unwägbare Risiken zuzumu-n“. Dies könne auch „nicht im europäischen Interesseegen“.
err Minister Ramsauer, wir nehmen Sie hier beimort. Ob das Ihre Koalitionsfraktionen machen, lassenir offen.Die Frage ist nämlich, welche Konsequenzen sich ausiner Trennung der Struktur der Deutschen Bahn AG er-eben würden.
ür die DB-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter würde esdenfalls bedeuten, dass der konzernübergreifende, in-grierte Arbeitsmarkt und damit auch die dort festgeleg-n sozialen Standards, die Mitbestimmungsrechte, dierbeitsbedingungen usw., passé wären.
Alleine bei DB Dienstleistungen arbeiten zurzeit über6 000 Menschen. Der Bereich trägt 4 Milliarden Euroum Gesamtumsatz der DB AG bei. 4 000 Kolleginnennd Kollegen sind aus dem Bereich JobService, demahneigenen Arbeitsamt, gekommen. Sie mussten sichicht bei der Agentur für Arbeit arbeitslos melden. Ihreoalition, Herr Minister, stellt das allerdings immer wie-er infrage.Herr Ramsauer, die grenzüberschreitende Beschäfti-ung im Verkehrssektor ist so auszugestalten, dass So-ialdumping ausgeschlossen ist. Das ist eine der Kern-ussagen im Weißbuch. Wenn es um die Tariftreue beiffentlichen Ausschreibungen geht, lässt sich bei einemlick auf unser Bundesland Bayern leider nur Negativeserichten: Es gibt kein Tariftreuegesetz. Ein Schienen-ranchentarifvertrag für den Schienenpersonennahver-ehr wird nicht vorgeschrieben.Ein Lokführer verdient nach Abschluss des Tarifver-ags der sieben großen Eisenbahnen 2 200 Euro, eineeinigungskraft 1 700 Euro, bei 26 Tagen Urlaubsan-pruch und 4 Euro Sonntagszulage. Aber nicht einmaliese Mindestanforderungen will man in Bayern fürusschreibungen im Schienenpersonennahverkehr zumtandard machen. Das ist ein Skandal.
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16516 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Martin Burkert
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– Sie haben völlig recht, Herr Döring: Das entscheidetdas Land. Das ist in Nordrhein-Westfalen und in Rhein-land-Pfalz wesentlich besser geregelt.
Ich bin froh, dass ab 2013 nicht nur in der Bundesregie-rung wieder ein SPD-geführter Wind weht, sondern dasswir uns auch in der bayerischen Landesregierung ab2013 darum kümmern können.Ich sage ganz eindeutig: Einen Wettbewerb auf demRücken der Beschäftigten darf es nicht geben. Sie dürfennicht die Leidtragenden einer weiteren Europäisierungsein. Nein, ihnen muss gezeigt werden, dass dieses Eu-ropa eine Chance für uns ist. Das bringt dieses Weißbuchzum Ausdruck.Herr Ramsauer, ich fordere Sie im Namen der Frak-tion auf: Führen Sie die europäischen Sozialstandardsnicht nur ein, sondern setzen Sie sie auch so schnell wiemöglich durch. Das ist eines der Kernelemente. Das istIhre Aufgabe. Dabei wünschen wir Ihnen sogar viel Er-folg.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Burkert. – Als nächster Redner
für die Fraktion der FDP unser Kollege Oliver Luksic.
Bitte schön, Kollege Luksic.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirwidmen uns heute einem der wichtigsten Bereiche Euro-pas: der freien und grenzüberschreitenden Mobilität.Durch sie werden die Vorteile eines vereinten Europasim wahrsten Sinne des Wortes erfahrbar. Ich halte es fürbesonders wichtig, dass sich der Deutsche Bundestagausführlich mit diesem Thema befasst; denn Deutsch-land ist als Transitland im Herzen Europas von verkehrs-politischen Entscheidungen besonders betroffen.Das gilt auch für das Weißbuch Verkehr der Kommis-sion. Wir als FDP-Fraktion begrüßen ausdrücklich, dasssich neue Verkehrskonzepte – das ist in diesem Weiß-buch klar formuliert – dem Bürger nicht aufzwingen las-sen. Wir brauchen hier eine Akzeptanz der Bürger undder Wirtschaft. Wir müssen wegkommen von ideolo-gisch motivierter Umerziehungspolitik, wie sie leiderauch im Antrag der Grünen ein Stück weit gefordertwird. Wir als FDP unterstützen ausdrücklich den zentra-len Satz im Weißbuch Verkehr, dass die Einschränkungvon Mobilität keine Option ist. Das ist auch Leitlinie li-beraler Verkehrspolitik und entspricht der Haltung dieserKoalition.KsgkDhsfüwbimetewIdnabBgregBlibgwhwbhgkcreaWxInadliDe
Der Verkehrssektor darf auch nicht ausschließlich alsohlendioxidverursacher betrachtet werden. Wir müs-en uns vielmehr darum kümmern, die Herausforderun-en zu bewältigen, die die Zunahme des Verkehrsauf-ommens in ganz Europa und natürlich besonders ineutschland mit sich bringt. Wir glauben, wir brauchenier ein Miteinander der Verkehrsträger, Ko-Modalität,tatt erzwungener Verlagerung. Unsere Regierung stehtr Pragmatismus statt Ideologie. Deswegen begrüßenir, dass das im Weißbuch klar zum Ausdruck kommt.Wir haben uns gewünscht, dass es einen roten Fadeneim Thema Ko-Modalität gibt. Stattdessen finden wirmer wieder – Kollegin Bellmann hat es angesprochen –inige dirigistische Maßnahmen, die wir kritisch bewer-n, beispielsweise den Gedanken einer Citymaut, demir wirklich eine Absage erteilen wollen, wie auch deree, dass in einer Innenstadt kein Auto mit konventio-ellem Antrieb mehr fahren darf. Für uns ist das Subsidi-ritätsprinzip kein Selbstzweck, sondern es garantiert dieesten Lösungen auf der richtigen Ebene. Wir meinen:rüssel muss sich – vielleicht noch mehr als bisher – umrenzüberschreitende Verkehre bemühen, sich aber ausgionalen und lokalen Verkehren heraushalten. Daseht Brüssel nichts an.
Wir wollen stärker als bisher einen Austausch vonest-Practice-Lösungen der Mitgliedstaaten, wo es mög-ch ist, statt europaweit vorgeschriebener Regeln. Wirrauchen beispielsweise im Bereich der Bodenabferti-ungsdienste – es wurde zu Recht angesprochen – keineeitere Regulierung durch eine Verordnung. Die beste-ende Richtlinie ist ausreichend. Wir sollten dort, woir ein hohes Qualitätsniveau haben, Premiumlösungen,eispielsweise im Bereich der Fahrzeugüberwachung,erausstellen und auch in Brüssel offensiv vertreten. Eseht hier wirklich um die Zukunftsfähigkeit des Ver-ehrssektors und der Mobilität in Europa. Dafür brau-hen wir neue Modelle und Ideen, beispielsweise im Be-ich der Infrastrukturfinanzierung.Ohne eine verlässliche Finanzierungsgrundlage sinduch die schönsten Projekte leider nur etwas für denunschzettel. Es kommt auf die Umsetzung in der Pra-is an. Hier brauchen wir in Zeiten knapper Kassennovationen. Deswegen ist es gut und richtig, dass wirls Koalition trotz der schwierigen Haushaltslage aufem Koalitionsgipfel beschlossen haben, dass wir 1 Mil-arde Euro zusätzlich für die Verkehrsinfrastruktur ineutschland ausgeben. Das ist gut, und das ist richtig.
Wichtig ist auch, dass wir auf europäischer Ebeneine Anrechnung der Umweltkosten erreichen. Dazu
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16517
Oliver Luksic
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muss die Kommission ein Gesamtkonzept für alle Ver-kehrsträger vorlegen. Ein Punkt, der unserer Fraktion be-sonders wichtig ist: Wir müssen Verkehrsprojekte zügi-ger und effizienter als bisher realisieren, beispielsweisemit öffentlich-privaten Partnerschaften oder auch mitProjektanleihen, die die Europäische Kommission zuRecht vorgeschlagen hat, um mehr privates Kapital fürgroße Infrastrukturprojekte zu bewegen. Das sollte mei-nes Erachtens auch die SPD anerkennen, statt dies rund-weg abzulehnen.Wichtig ist für uns: Wir erhalten auch bei der Ent-wicklung neuer Technologien Deutschland als führendenStandort, beispielsweise in der Elektromobilität, aberauch bei anderen Zukunftstechnologien, und wir müssenauch unseren Spitzenplatz als Logistikweltmeister be-haupten.Im Bereich des Schienenverkehrs, der eben ausführ-lich angesprochen wurde, ist für uns klar: Alle Ländermüssen Hürden abbauen. Wir wollen einen fairen Wett-bewerb. Welche Probleme wir in Europa immer noch ha-ben, zeigen die Schwierigkeiten der Deutschen Bahn,wenn sie mit ihren Zügen durch den Eurotunnel fahrenwill. Wir brauchen also weitere Liberalisierungsschrittebeim Netzzugang und bei der Trennung von Netz und Be-trieb. Da ist gerade Deutschland gefordert. Herr Burkert,Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass es ein Vertrags-verletzungsverfahren gegen Deutschland gibt. Wir erwar-ten mit Spannung das Urteil des Europäischen Gerichts-hofs und die weiteren Vorschläge von Kommissar Kallaszur Öffnung der Eisenbahnmärkte. Dank Brüssel musssich bei der Bahnpolitik auch hierzulande etwas bewe-gen.Herr Burkert, Sie haben eben die Gewerkschafts-standpunkte vorgetragen. Man weiß manchmal nicht, fürwen Sie reden, ob für die Gewerkschaften oder für dieSPD. Auf jeden Fall ist das, was Sie von der SPD hiervorschlagen, nicht nur rückwärtsgewandt, sondern aucheuroparechtlich unzulässig. Das müssen Sie einfach zurKenntnis nehmen.
Lassen Sie mich zum Ende sagen, dass die Koalitionfür ein vernünftiges Neben- und Miteinander der Ver-kehrsträger steht statt erzwungener Verlagerungen, wiesie die Grünen wollen. Wir wollen eine Politik, die sichum konkrete Verkehrsprobleme kümmert. Wir braucheninnovative Konzepte wie Projektanleihen. Das ist unsereAuffassung von vernünftiger Verkehrspolitik. Ich glaube,wir müssen – das ist der Auftrag an die Bundesregierung –in Brüssel so früh wie möglich proaktiv alles begleitenund gestalten. Unser Antrag bietet dazu eine sehr guteGrundlage. Wir haben gute Arbeit geleistet.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
dBwtewVdVsFwSCblaCrezgwvsvufoPvkGpJbSDweWDüuGS
nd auch nur wenig in den Anträgen der SPD und derrünen.Diesen schweren Mangel im Weißbuch wollen auchie nicht ausgleichen. Im Antrag der CDU/CSU und der
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16518 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Herbert Behrens
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FDP heißt es dagegen – es wurde eben ansatzweise er-wähnt –, die Bereitstellung einer bedarfsgerechten undleistungsfähigen Infrastruktur müsse im Fokus stehen.
Hemmnisse des Wettbewerbs im Verkehrssektor solltenabgebaut werden. Vollständige Liberalisierung desEU-Eisenbahnverkehrs wird gefordert. Ihr Antrag,meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen,ist von einem bekannten Marktradikalismus durchdrun-gen,
wenn er auch in Teilen gute Ideen enthält. Aber dieseIdeen werden durch Ihren Ansatz plattgemacht. DiesenRadikalismus lehnen wir ab.
Stattdessen brauchen wir ein radikales Denken,
wenn wir Verkehrspolitik nachhaltig gestalten wollen.Das ist mit dem Programm von heute nicht mehr zu ma-chen. Diese Politik muss ein gutes Leben und Arbeitenals Maßstab haben und die ökologischen Herausforde-rungen wirklich ernst nehmen.Die Linke will deshalb eine sozial und ökologischorientierte Verkehrspolitik, die Gesamtwirtschaft, dieBedürfnisse der Menschen und die klimapolitischenZiele zusammen denkt. Diese Debatte müssen wir nichtneu erfinden.
Sie findet schließlich schon statt. Die Menschen machensich Gedanken darüber, wie beispielsweise der Güterver-kehr aus Wilhelmshaven abtransportiert werden kann.Sie machen sich Gedanken über unsinnige, teure Groß-projekte im Verkehrswesen. Stuttgart 21 und die Küsten-autobahn A 22 sind nur Synonyme dafür.Unser Verkehrskonzept stellt zuerst die Fragen: Wel-che Transporte sind notwendig? Welche Orte wollen dieMenschen erreichen? Wie können wir die Arbeits- undLebensbedingungen der Menschen verbessern? – DieAntworten auf diese Fragen
geben die Richtung für eine nachhaltige Mobilitätspoli-tik vor. Die vorliegenden Anträge werden diesen An-sprüchen jedoch nicht gerecht.
Marktradikalismus ist keine Antwort auf den Klimawan-del.
WöLfüDHNK9dEWzsuMrusteCogaPgdDgGudBsoli2wresP
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Wir wissen, dass unsere Mobilität aktuell zu6 Prozent am Rohstoff Rohöl hängt, und wir wissen,ass 70 Prozent des Rohöls, das wir Tag für Tag nachuropa importieren, nur für Mobilität verbrannt werden.enn wir auf eine Änderung dieser Abhängigkeit set-en, dann tun wir das nicht aus ideologischen Gründen,ondern weil es schlichtweg umweltpolitisch gebotennd einfach nur klug ist, die Verkehrsinfrastruktur, dieobilitätsinfrastruktur bereits jetzt auf die Herausforde-ngen der Zukunft auszurichten.
Wir wissen, dass die einzelnen Verkehrsträger unter-chiedlich leicht auf diese Herausforderungen auszurich-n sind. Wir wissen, dass die Eisenbahn leichter aufO2-frei oder CO2-arm umzustellen ist als der Personen-der Gütertransport auf der Straße. Das sind die Hinter-ründe, warum wir auf eine Verlagerung von der Straßeuf die Schiene setzen.
Wir alle hier im Raum wissen doch, dass es von derlanung bis zur Realisierung von großen und aufwendi-en Verkehrsinfrastrukturprojekten zum Teil Jahrzehnteauert.
as wissen wir alle, und wir kennen auch den Hinter-rund. Der Hintergrund ist ein eklatanter Mangel aneld bzw. eine gigantische Anzahl von Projekten, dienserem Ziel letztendlich nicht dienen. Sie alle kennenie Zahlen: 47 Milliarden Euro macht der Vordringlicheedarf allein im Bereich der Straße aus. Wie viel Geldteht zur Verfügung? – 1,2 Milliarden, 1,5 Milliardender vielleicht 2 Milliarden Euro. Wenn einem Vordring-chen Bedarf von 47 Milliarden Euro gerade einmalMilliarden Euro gegenübergestellt werden, dann – dasissen wir alle – wird ein Großteil der Projekte nichtchtzeitig realisiert werden können. Bei der Schienechaut es mindestens genauso dramatisch aus.
Was ist deshalb nötig? Es ist nicht nötig, auf einzelnerojekte zu setzen, die nur wenige Effekte für die Mobi-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16519
Dr. Anton Hofreiter
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lität mit sich bringen. Vielmehr ist es notwendig, endlichdafür zu sorgen, dass wir die Verkehrsinfrastruktur, diezum einen Engpässe tatsächlich beseitigt und uns zumanderen fit für die Zukunft macht, ausbauen. Denn dieHerausforderungen der Zukunft sind teureres Rohöl undder Klimawandel.Genau das ist im Moment dringend notwendig, aberdie Verkehrspolitik dieser Koalition verhindert es. DennSie setzen auf isolierte Großprojekte, wo es keinen einzi-gen Engpass gibt,
und Sie setzen bei der Bahn darauf, dass Ihnen dieEU-Kommission hilft. Denn Sie sind zu schwach, Ihreneigenen Koalitionsvertrag gegenüber dem Minister unddem Bahn-Chef durchzusetzen. Sie hoffen darauf, dassendlich die Gewinnabführungs- und Beherrschungsver-träge aufgehoben werden, damit wir bei der Bahnpolitikzu etwas Vernünftigem kommen.Angesichts all dessen ist es eigentlich nur tragisch zunennen, wie die Verkehrspolitik von dieser Koalition ge-handhabt wird. Einerseits sprechen Sie davon, dass esideologisch sei, wenn man fordere, die Verkehrsinfrastruk-tur an die Herausforderungen der Zukunft anzupassen. An-dererseits passiert aber nichts. Die Gewinnabführungs-und Beherrschungsverträge werden nicht aufgehoben; esfindet keine vernünftige Verkehrsinfrastrukturpolitikstatt, indem das Geld zur Beseitigung von Engpässen ver-wendet wird; aus der Logistikabgabe haben Sie eine reineStraßenfinanzierungsabgabe gemacht;
bei den Wasserstraßen wurden kleine Fortschritte erzielt,aber es wurde nicht wirklich etwas erreicht. Das heißt, inallen drei Sektoren der Verkehrsinfrastruktur herrschtStillstand. Zugleich halten Sie aber große Reden undsprechen von dem Unterschied zwischen ideologischerund nichtideologischer Verkehrspolitik. Hier muss esdringend zu Änderungen kommen.
Wenn hier nichts passiert, haben wir keine Chance, un-sere Verkehrsinfrastruktur an die Herausforderungen derZukunft anzupassen.Die Herausforderungen der Zukunft bestehen darin,Mobilität für Menschen und Güter zu gewährleisten, denKlimawandel zu verhindern und das Ganze ökologischund sozial gerecht zu gestalten.
Vielen Dank, Kollege Dr. Anton Hofreiter. – Jetzt für
die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Karl
Holmeier. Bitte schön, Kollege Holmeier.
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as machen wir im Antrag von CDU/CSU und FDPuch ganz klar und verweisen darin auf die realistischenielmarken in unserem Energiepaket.In unserem Antrag sagen wir auf Basis dieser realisti-chen Zielvorgaben darüber hinaus auch ganz klar, mitelchen Maßnahmen wir diese Ziele erreichen wollen.ie Antworten, die in den Oppositionsanträgen auf dieserage gegeben werden, sind, vorsichtig formuliert, nurnzureichend. Sie schlagen doch allen Ernstes vor, weni-er Geld in den Aus- und Neubau von Straßen zu inves-eren. Da kann ich zu den Wählern der Grünen nur sa-en: Willkommen bei der Dagegen-Partei!Wie, bitte schön, wollen Sie angesichts verstopftertraßen und langer Staus eigentlich den CO2-Ausstoß re-uzieren? Wie wollen Sie die Ortschaften entlasten,enn Sie keine Umgehungsstraßen mehr bauen wollen?
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Karl Holmeier
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Und wie, bitte schön, wollen Sie Mobilität gewährleis-ten, wenn Sie dem angestauten Nachholbedarf beimAusbau unserer Straßen nicht endlich gerecht werden?Viele Bürgerinnen und Bürger in unserem Land wartendringend – jawohl, Herr Hofreiter, dringend – auf dennotwendigen Bau von Ortsumgehungen und auf denAusbau von Straßen.
Vor allem aufgrund der zahlreichen Verpflichtungen,die unter SPD-Führung bei der Bahn eingegangen wur-den und nun abfinanziert werden müssen, fehlt unseremVerkehrsminister Peter Ramsauer heute Geld für solchewichtigen Ausbaumaßnahmen im Straßenbereich.
Deshalb danke ich – und das tun viele in unserem Land –der Spitze der christlich-liberalen Koalition für die Be-schlüsse, die sie letztes Wochenende gefasst hat. Die zu-sätzliche Milliarde für Investitionen in die Infrastrukturlöst zwar nicht alle Probleme. Es können aber einigewichtige neue Maßnahmen auf den Weg gebracht wer-den. Für uns wäre es wichtig, diese Milliarde in dennächsten Jahren dauerhaft einplanen zu können.
Ich möchte an dieser Stelle auch einmal unserem Ver-kehrsminister Peter Ramsauer ein großes Lob ausspre-chen.
Er ist um seinen Job keineswegs zu beneiden. Er mussheute ausbügeln, was Rot und Grün in den vergangenenJahren angerichtet haben, und er macht das wirklich her-vorragend.
Peter Ramsauer war es auch, der von Anfang an klarge-macht hat, dass es sein Ziel ist, Mobilität zu ermöglichenund nicht einzuschränken.Dieser Ansatz findet sich nun auch im Vorschlag derEuropäischen Kommission wieder.
Herr Kollege Holmeier, gestatten Sie eine Zwischen-
frage unseres Kollegen Florian Pronold?
Gerne.
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Herr Kollege Holmeier, Ihr gerade gelobter Minister
pricht zu Recht an, dass, wie wir alle wissen, der Ver-
ehrsetat unterfinanziert ist, und zwar um bis zu 4 Mil-
arden Euro pro Jahr.
etzt stelle ich Ihnen die Frage, wieso Sie als Koalition
ngesichts dieser Erkenntnis erstens nur einmalig 1 Mil-
arde Euro bekommen, wie Sie es zweitens geschafft
aben, vorher den Hoteliers große Steuergeschenke zu
achen,
nd wie Sie drittens am vergangenen Sonntag auch noch
Milliarden Euro an Steuergeldern verschenken konn-
n. Wie ist das angesichts des unterfinanzierten Ver-
ehrsetats möglich?
Wir schaffen nur eine gewisse steuerliche Gerechtig-eit, die schon lange notwendig ist.
h habe es gesagt: Wir sind froh, dass wir diese Mil-arde haben, und wir arbeiten daran, sie zu verstetigen,m die notwendigen Projekte auf den Weg zu bringen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen in Zukunfticht weniger, sondern mehr Mobilität. Wir müssen da-uf achten, dass Mobilität auch in Zukunft leistbar undezahlbar ist, auch für den kleinen Mann. Der Antrag derhristlich-liberalen Koalition macht das ganz klar. DiePD-Fraktion hat dies im Grundsatz auch erkannt. Dierünen haben es bis jetzt noch nicht erkannt; aber wasicht ist, kann ja vielleicht noch werden.Wer allerdings ernsthaft gewillt ist, Mobilität nichtinzuschränken, sondern zu ermöglichen und gleichzei-g bezahlbar zu halten, darf nicht von vornherein einenestimmten Verkehrsträger ausschließen. Ebenso darf ericht einen bestimmten Verkehrsträger bevorzugen. Je-er Verkehrsträger hat seine Stärken und Vorteile. Daheruss jeder Verkehrsträger entsprechend seinen Stärkeningesetzt werden, um das Verkehrsaufkommen optimalewältigen und bestmögliche Mobilität gewährleisten zuönnen. Eine dirigistische und pauschale Verlagerungs-olitik, wie manche sie fordern, wird dem nicht gerecht.Wir setzen uns in unserem Antrag klar für ein ausge-ogenes Verhältnis aller Verkehrsträger ein. Wir sind
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Karl Holmeier
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auch für Verlagerung; aber die sollte es nur dort geben,wo es wirklich sinnvoll ist. Alles andere ist kontrapro-duktiv, schränkt Mobilität ein und verringert die Akzep-tanz der Nutzer.Abschließend möchte ich noch auf den Vorschlag derKommission eingehen, bis 2050 im Stadtverkehr auf sol-che Pkw zu verzichten, die mit konventionellem Kraft-stoff betrieben werden. Die Oppositionsanträge nehmendiesen Vorschlag nur zur Kenntnis, ohne inhaltlich dazuStellung zu beziehen. Wir sagen ganz klar: Eine voll-ständige und undifferenzierte Verbannung von Verbren-nungsmotoren darf es nicht geben. Es kann doch nichtzielführend sein, bestimmte Technologien von vornhe-rein auszuschließen, ohne zu wissen, welche technologi-schen Möglichkeiten es in 40 Jahren geben wird. DieReduzierung des CO2-Ausstoßes muss durch einen tech-nologieneutralen Ansatz verfolgt werden, also durchverschiedene alternative Antriebs- und Kraftstoffarten,nicht jedoch durch den Ausschluss einzelner Technolo-gien.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ausfüh-rungen zeigen, welche Dimension das Weißbuch Ver-kehr hat. Es ist tatsächlich ein echter Meilenstein. Einsolch wegweisendes Weißbuch erfordert aber auch einesehr ernsthafte Auseinandersetzung, und diese liefert al-lein der Antrag von CDU/CSU und FDP.
Ich bitte Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Karl Holmeier. – Nächster Red-
ner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kol-
lege Michael Groß. Bitte schön, Kollege Michael Groß.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich wunderemich schon darüber, dass die Koalition immer wieder da-rauf abhebt, wie lange die rot-grüne Regierung im Amtwar. Sie sind jetzt zwei Jahre – Herr Ramsauer, Sie habengestern von zwei Jahren und 13 Tagen gesprochen – imAmt. Da muss ich schon fragen: Wann übernehmen Sieendlich Verantwortung und treffen Entscheidungen überDinge, die für unser Land wichtig sind? Dazu gehört dieGestaltung der Verkehrspolitik.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Europa für dieBürgerinnen und Bürger in unserem Land immer wichti-ger wird. Das wird besonders dann der Fall sein, wenn esuns gelingt, in Europa einen einheitlichen Verkehrsraumzu schaffen, von dem die Bürger profitieren. Die Heraus-forderungen liegen klar auf dem Tisch. Heutige Genera-tikdDdwDWAkgbZmfeMskInSA–tiVliswactidudcsKnZasvHwksevssdtib
enn der Zeithorizont wird, je später wir mit der eigentli-hen Umsetzung beginnen, immer enger. Wir wartenchon viel zu lange auf das von Ihnen angekündigteonzept. Für Klimaschutz und Stauprävention ist esicht mehr fünf vor zwölf, sondern schon nach zwölf.Sie sperren sich zum Beispiel gegen ambitionierteielsetzungen der EU, den Güterverkehr von der Straßeuf die Schiene und Wasserstraße zu verlagern. Progno-en gehen aufgrund der Zuwächse im Güterverkehr da-on aus, dass in absehbarer Zeit zwei Fahrspuren aufauptverkehrsachsen von Lastkraftwagen besetzt seinerden. Die Folgen für Pkw-Reisende oder Pendlerann sich jeder ausmalen: Dauerstau mit hohen Umwelt-chäden und hohen wirtschaftlichen Kosten.Die EU schlägt Maßnahmen vor, die geeignet sind,in effizientes Verkehrssystem, das uns unabhängigerom Öl macht und die Umwelt schützt, aufzubauen. Esollen aber auch der europäische Wirtschaftsraum ge-tärkt und Arbeitsplätze gesichert und geschaffen wer-en. Kostenschätzungen für die erforderlichen Investi-onen liegen bei 550 Milliarden Euro für den Zeitraumis 2020. Allerdings werden die Hauptlast der Finanzie-
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Michael Groß
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rung einer integrierten und zukunftsfähigen Verkehrsin-frastruktur die Mitgliedstaaten tragen müssen. Doch be-reits jetzt ist der Verkehrssektor in Deutschland unter-finanziert. Die von der Koalition geplante weitere Mil-liarde für den Verkehrshaushalt ist mehr als begrüßens-wert. Doch wird sie buchstäblich im Sande versickern,wenn nicht klare Prioritäten gesetzt werden und entspre-chende Gelder in den nächsten Jahren verlässlich zurVerfügung stehen.Dass eine zusätzliche Milliarde nicht ausreichen wird,um Engpässe zu reduzieren, Knotenpunkte auszubauensowie Straßen und Brücken zu erhalten und zu sanieren,hat Herr Ramsauer gestern auf einer Veranstaltung ange-deutet. Allein für die notwendigen Schleusenarbeiten imNord-Ostsee-Kanal werden mehr als 500 Millionen Eurobenötigt. Die Leistungsfähigkeit des Nord-Ostsee-Kanalsmuss deutlich erhöht werden, sonst droht ein Verkehrsin-farkt mit massiven Auswirkungen auf die Entwicklungdes Güterverkehrs.
Festzuhalten ist: In Europa wird für Infrastruktur we-sentlich mehr Geld ausgegeben als bei uns. In derSchweiz wird für die Schieneninfrastruktur bis zu sechs-mal mehr pro Einwohner ausgegeben.
In der Süddeutschen Zeitung vom 8. November 2011 istzu lesen, dass die Landkarte fürs Geldausgeben bereitsin der Schublade des Verkehrsministeriums liegt. Aberdiesen Plan gibt es ja eigentlich nicht – zumindest wirduns das ständig erzählt.Wegen knapper Haushaltsmittel wurden Projekte wiedie regionale Schnellbahn in NRW – der RRX – ersatz-los gestrichen. Ebenso sollte es der Südbahn in Baden-Württemberg ergehen.
Doch hier vermelden die CDU-Kollegen – man höre – inder Presse, dass das Projekt dank ihres Einsatzes wiederaufgenommen wurde. Kein Verkehrskonzept, sondernallein politische Einflussnahme spielt hier eine Rolle.Die Menschen unserer Zeit wollen und müssen mobilsein. Das bedeutet nicht unbedingt Mobilität mit dem ei-genen Auto, wie die Entwicklungen in den Großstädtenzeigen. Viele junge Leute haben gar kein eigenes Automehr. Dieser Entwicklung müssen wir gerecht werden.
Heutzutage ist es immer wichtiger, planbar und verläss-lich von Haustür zu Haustür reisen zu können. Der euro-päische Verkehrssektor ist für die Wirtschaft und für dieBürger von enormer Bedeutung. Dabei geht es um inner-europäische Integration und Harmonisierung.Darüber hinaus müssen die Arbeitsplätze im Ver-kehrssektor auf hohem sozialen Standard gesichert wer-dVnzmfüBWmkWpkglagInsEchtegsngsmövhjezSddvpIn
Vielen Dank, Kollege Michael Groß. – Jetzt spricht
r die Fraktion der FDP unser Kollege Patrick Döring.
itte schön, Kollege Patrick Döring.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!enn man der Debatte aufmerksam gefolgt ist, stelltan fest, dass manches zur allgemeinen nationalen Ver-ehrspolitik gesagt worden ist, aber nicht sehr viel zumeißbuch. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Op-osition, das, was hier gesagt worden ist, darf nicht un-ommentiert bleiben.Ganz offensichtlich ist zumindest in Ihren Arbeits-ruppen noch nicht angekommen, dass es in Deutsch-nd eine grundgesetzlich festgelegte Schuldenbremseibt. Deshalb können die Fachpolitiker aus dem Bereichfrastruktur nicht aus dem Vollen schöpfen, wie Sie daselbst gerne machen würden.
Das geht schlicht nicht. Deshalb ist die 1 Milliardeuro, die diese Koalition am Sonntagabend an zusätzli-hen Investitionsmitteln für das kommende Jahr geplantat, ein großer Erfolg von Peter Ramsauer und allen Be-iligten. Das darf man nicht kleinreden.
Ich will deutlich sagen, dass mich die Rede des Kolle-en Burkert – der offenbar schon gehen musste – ausge-prochen fasziniert hat, denn sie hat in weiten Teilenichts mit der europapolitischen Realität zu tun – übri-ens auch nichts mit der eisenbahnpolitischen Diskus-ion, die wir in der Koalition führen.Eines aber dürfte doch auch Sozialdemokraten ver-ittelbar sein: Es macht keinen Sinn, dass das von derffentlichen Hand zur Verfügung gestellte Eigenkapitalon Infrastrukturunternehmen, das ausschließlich des-alb entsteht, weil dieses Parlament Infrastrukturpro-kte finanziert, mit einer angenommenen Mindestver-insung von 8 Prozent bewertet wird. Das müsste sogarozialdemokraten vermittelbar sein.Das ist der aktuelle Streit bei der Frage des Recast. Iniesem Punkt bin ich ganz an der Seite der Sozialistin,ie hier Hauptberichterstatterin ist und die es jedenfallserstanden hat, dass es nicht vernünftig ist, das Eigenka-ital von Unternehmen, die von der Finanzierung vonfrastrukturprojekten durch die öffentliche Hand leben,
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Patrick Döring
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mit einer Verzinsung von 8 Prozent zu bewerten. Dassollte die Haltung des ganzen Hauses sein.
In dieser Frage lässt sich kein Keil zwischen die Ko-alitionsfraktionen treiben. Deshalb haben wir in diesemZusammenhang vereinbart, dass wir die Entscheidungdes Europäischen Gerichtshofs im Vertragsverletzungs-verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland abwar-ten. Wenn diese Entscheidung vorliegt, dann ist derBund als Eigentümer gerüstet. Dessen können Sie sichersein.Ich will einen weiteren wichtigen Punkt ansprechen,weil wir uns dazu alsbald in einem Gesetzgebungsver-fahren befinden werden. Es geht um die Frage, wie wirin Deutschland mit dem Fernbusverkehr umgehen wol-len. Ab dem 1. Januar kommenden Jahres sind Fern-busse innerhalb der Europäischen Union voll liberali-siert. Das heißt, ein Bus im Fernverkehr kann inAmsterdam starten und bis Warschau durch die Bundes-republik Deutschland hindurchfahren. Währenddessenkann er Fahrgäste aufnehmen oder absetzen.
Das ist Ergebnis des Handelns der EuropäischenUnion. Hiermit hat die Bundesrepublik Deutschlandzunächst nichts zu tun. Ich halte es allerdings für eineAufgabe des nationalen Parlaments, dass wir den Busun-ternehmen in Deutschland zumindest die gleiche Mög-lichkeit bieten, im eigenen Land diese Verkehre zu reali-sieren. Wir arbeiten im Rahmen der Novelle desPersonenbeförderungsgesetzes daran, hier gleiche Wett-bewerbsbedingungen zwischen dem niederländischenBusunternehmer und dem niedersächsischen Busunter-nehmer zu schaffen, um das einmal so klar zu sagen.
Ein Letztes – es wurde vorhin in einer Randbemer-kung angesprochen –: Im Antrag steht das Nötige zu denBodenverkehrsdiensten an Flughäfen. Solange wir Wett-bewerb haben und die Eigenabfertigungsmöglichkeitenvon den Airlines nicht genutzt werden, ist eine durch Eu-ropa verordnete Ausweitung der Regulierung nicht er-forderlich. Das ist die Haltung der Koalition und derBundesregierung; dazu stehen wir.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Kollege Patrick Döring. – Jetzt spricht
für die Fraktion Die Linke unser Kollege Alexander
Ulrich.
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a kann man Ihnen nur zurufen: Wer bei der Bahn aufritische Verhältnisse setzt, der hat wirklich gar nichtserstanden. Dieses Modell wäre verheerend, nicht nurr die Beschäftigten, sondern auch für die Sicherheiter Reisenden.Lassen Sie mich ein Thema anschneiden, das sehr engit der Frage der künftigen Mobilität in Europa ver-nüpft ist. Am 30. November 2011 soll das sogenanntelughafenpaket von der EU-Kommission vorgelegt wer-en. Die bisher bekannt gewordenen Überlegungen wer-en sowohl von Flughafenbetreibern als auch von denewerkschaften scharf kritisiert. Diese Kritik ist absoluterechtfertigt: Wieder einmal will die Kommission Maß-ahmen durchbringen, die gleichbedeutend sind mit we-iger Sicherheit und weniger Lohn, mit mehr Lärmbeläs-gung für die Anwohner und weniger sozialer Sicherheitr die Beschäftigten.Die europäische Verkehrspolitik muss grundlegenderändert werden:
ie Rechte von Beschäftigten dürfen ebenso wie die Si-herheit der Kunden nicht auf dem Altar einer neolibera-n, ökologisch fragwürdigen Mobilitätspolitik geopferterden. Die Linke spricht sich klar gegen weitere Libe-lisierungen in der Verkehrspolitik aus. Im Verkehrsbe-ich zählen drei Dinge: Klimaschutz, bezahlbare Mobi-tät für alle und gute Arbeitsbedingungen für die
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Beschäftigten der Branche. Für eine solche ökologisch-soziale Mobilität wird die Linke auch in Zukunft eintre-ten und streiten.Hier ist auch darüber gesprochen worden, was derBundesverkehrsminister macht. Er ist im Prinzip ein An-kündigungsminister. Er hat Erfolge auf CSU-Parteita-gen; aber wenn er hier in Berlin ankommt, wird er vonder Bundeskanzlerin ausgebremst. Das, was hier ange-kündigt wurde, ist in der Realität noch nicht angekom-men. Aus linker Sicht muss man aber auch sagen: ZumGlück kommt das nicht in der Realität an.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Alexander Ulrich. – Jetzt
spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser
Kollege Stephan Kühn. Bitte schön, Kollege Stephan
Kühn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
darüber gesprochen: Die EU-Kommission hat ambitio-
nierte Ziele für den Verkehrssektor formuliert. Wir be-
grüßen diese Ziele, auch wenn es leider Langfristziele
sind. So sollen die Emissionen im Verkehrssektor bis
2050 um 60 Prozent reduziert werden. Es fehlen Zwi-
schenschritte, sodass man Gefahr läuft, diese Sachen auf
die lange Bank zu schieben, weil 2050 noch weit weg
ist.
Ein wichtiges Ziel, das formuliert wird, ist die Minde-
rung der Abhängigkeit vom Öl. Es ist angesprochen
worden: Der Bedarf an Öl macht 96 Prozent des gesam-
ten Energiebedarfs des Verkehrssektors aus. Es ist nicht
nur eine umweltpolitische, sondern auch eine klar wirt-
schaftspolitische Herausforderung, diese Abhängigkeit
zu reduzieren.
Die Bezahlbarkeit von Mobilität ist eng mit der Frage
verbunden, wie wir die Abhängigkeit vom Öl reduzie-
ren, weil wir nicht mehr die Zeit bekommen werden wie
in den 70er-Jahren, als das Barrel Öl 3 US-Dollar gekos-
tet hat. Es ist auch eine volkswirtschaftliche Frage, weil
viele Unternehmen aufgrund der steigenden Kosten
durch die Energieimporte ganz große Probleme haben.
Deshalb ist es nicht nur umweltpolitisch, sondern auch
volkswirtschaftlich richtig, diese Abhängigkeit vom Öl
zu reduzieren.
Deutschland hat sich ähnliche Ziele wie die, die im
Weißbuch Verkehr formuliert sind, gesetzt. Der Trend
geht jedoch in eine völlig andere Richtung: Während der
Energieverbrauch von Industrie und Haushalten sinkt,
stagniert er in diesem Bereich in Deutschland seit Jah-
ren. 80 Prozent des Energieverbrauchs für den Verkehr
gehen auf das Konto des Straßenverkehrs.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Die gemeinschaftliche Verkehrspolitik der EuropäischenUnion hat dazu beigetragen, dass in den letzten 20 Jah-ren nach Öffnung des Binnenmarktes für Warentrans-porte und Bürger vieles einfacher geworden ist. Wir soll-ten unseren Bürgern immer, auch bei solchen Debatten,den positiven Nutzen der Europäischen Union vor Au-gen führen.
Die heutige Debatte zeigt aber auch, dass es notwen-dig ist, bereits erreichte Ziele dieser gemeinschaftlichenVerkehrspolitik weiterzuentwickeln. Das Weißbuch Ver-kehr der Europäischen Kommission gibt hierfür wesent-liche Impulse, um das künftige Verkehrswachstum zubewältigen, ohne dabei Klima- und Umweltschutzzielezu vernachlässigen.Ohne Abstriche unterstütze ich folgende Aussage derEuropäischen Kommission: Die Einschränkung von Mo-bilität ist keine Option. – Das sollte immer wieder deut-lich unterstrichen werden.
Diese Aussage muss Grundlage jeder Verkehrspolitiksein – national wie europäisch.Für Europa, speziell für die exportorientierte deutscheVolkswirtschaft, müssen technische und rechtliche Hin-dernisse immer weiter abgebaut werden. Um dies zu ver-deutlichen, benutze ich ein ganz triviales Beispiel: Wel-chen Ladestecker braucht man in der Zukunft, wenn manmit dem Elektroauto von Deutschland nach Frankreichfahren will? Entscheidend ist, dass diese Dinge harmo-nisch europäisch geregelt werden.Die Wettbewerbsfähigkeit der wachsenden Mobili-täts- und Logistikbranche muss gestärkt werden. Dassorgt für wirtschaftlichen Erfolg und zukunftssichere Ar-beitsplätze gleichermaßen. Wichtig ist: Bei allen Maß-nahmen, die die europäische Politik ergreift, muss dasSubsidiaritätsprinzip eingehalten werden.
Das gilt vor allem auch für den städtischen Verkehr,Stichwort „Citymaut“. Darüber sollten getrost die Bür-gerinnen und Bürger vor Ort und ihre Kommunalparla-mente entscheiden und nicht Brüssel.
Da treffen wir eine ganz klare Aussage.Der Ausbau der transeuropäischen Netze ist für dasZusammenwachsen Europas wichtig. Allerdings dürfenInvestitionsmittel nicht allein auf grenzüberschreitendeKorridore eines Kernnetzes konzentriert werden. DasZiel der Europäischen Kommission, möglichst viel Ver-kehr auf Schiene oder Wasserstraßen zu verlagern, wirdvon uns unterstützt.
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h will bei dieser Gelegenheit in Erinnerung rufen, dasserr Mehdorn als Bahnchef früher dazu gesagt hat: Daschnet sich erst ab 400 Kilometer. Der frühere SPD-erkehrsminister Klimmt hat noch einen draufgesetztnd gesagt: In Wahrheit rechnet es sich erst ab 500 Kilo-eter. Also lasst bitte die Kirche im Dorf, und vergesst diesem Zusammenhang nicht die Aspekte der Wirt-chaftlichkeit.
lle Verkehrsträger sind gleichwertig zu behandeln.ine einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung vonerkehrsträgern lehnen wir ab. Das heißt auch: Es darfeine Diskriminierung des Lkw zugunsten der Schieneeben.Zum Thema Trennung von Netz und Betrieb imchienenverkehr will ich Folgendes sagen: Hätte ich eineißes Blatt Papier vor mir liegen, würde ich darauf dieigentumsrechtliche Trennung von staatlicher Infra-truktur und Verkehrsbetrieben im Wettbewerb schrei-en. Das entspricht meiner ordnungspolitischen Grund-berzeugung.
ber ich habe dieses weiße Blatt Papier nicht vor miregen.
ir müssen uns daher mit den vorhandenen Strukturenuseinandersetzen.Derzeit kann ich mit dem Holdingmodell der DB AGben, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind. Ers-ns. Die Bundesnetzagentur muss in ihren Rechten wei-r gestärkt werden. Sie muss auch das Recht haben, Be-cheide zu erlassen. Zweitens. Mit dem geplantenisenbahnregulierungsgesetz müssen weitere Grundla-en für die Stärkung des Wettbewerbs gelegt werden.rittens. Wir müssen das Urteil des Europäischen Ge-chtshofes im Vertragsverletzungsverfahren gegeneutschland abwarten und gegebenenfalls darauf reagie-n.Wettbewerb muss es auch – das wurde von einigenednern angesprochen – bei den Bodenabfertigungs-iensten auf den Flughäfen geben. Dafür hat die Richt-
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Dirk Fischer
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linie der EU gesorgt. Was in Brüssel jetzt geplant wird,lehnen wir ab. Wir wollen keinen Wettbewerb zugunstenvon Dumpinglöhnen und zulasten von Sicherheit undQualität.
Manche Entwicklungen – wir alle in den Fraktionenhaben mit den Betriebsräten der Flughäfen gesprochen –sind schon heute als eher unerfreulich zu bezeichnen. Wirwollen keine Verschlechterung und auch keine Verteue-rung von Leistungen für unsere Passagiere. Das Signalnach Brüssel lautet: Keine Überarbeitung der Boden-abfertigungsrichtlinie mit dem Ziel einer noch weiter ge-henden Marktöffnung, schon gar nicht in Form einerVerordnung. Wir fordern, die bestehenden Regelungenerst einmal europaweit umzusetzen, was in etlichen Mit-gliedstaaten der Europäischen Union noch nicht gesche-hen ist.Eine Zweckbindung verkehrsspezifischer Einnahmenfür Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, wie es dieSPD in ihrem Antrag fordert, ist im Prinzip richtig, abernur auf nationaler Ebene. Eine Regelung auf EU-Ebenewürde die nationalen Befugnisse erheblich einschränkenund den Bundestag und die anderen nationalen Parla-mente in ihrer Budgethoheit aushebeln.Alles in allem weist das Weißbuch der EU-Kommis-sion, wie ich denke, in die richtige Richtung. Darübersind sich die Fraktionen wohl weitgehend einig. Es istkeine Frage, dass sich auch der Verkehrssektor den ak-tuellen Herausforderungen der Politik stellen muss – zurVerbesserung von Qualität und Zuverlässigkeit des Ver-kehrssystems und der von diesem System angebotenenDienstleistungen, zum Schutz von Klima und Umwelt,für praxisnahe Innovationen und natürlich auch für dieSicherheit im Verkehr.Einen einheitlichen europäischen Verkehrsraum zumWohle unserer Bürger können und wollen wir weiterhingemeinsam mit unseren Nachbarn verwirklichen. Des-wegen bitte ich um Zustimmung zum Antrag der Koali-tionsfraktionen.
Vielen Dank, Kollege Dirk Fischer. – Wir sind damit
am Ende dieser Debatte. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung auf Drucksache 17/7679. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen
der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/7464 mit
dem Titel „Weißbuch Verkehr – Auf dem Weg zu einer
nachhaltigen und bezahlbaren Mobilität“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Fraktio-
nen CDU/CSU und FDP. Gegenprobe! – Das sind die
Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Somit ist
die Beschlussempfehlung angenommen.
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dem Kriegsgetöse entgegengetreten wird. Das halte ichfür sehr wichtig.
– Wir können das gerne hineinschreiben. Wenn Sie ein-verstanden sind, dann beschließen wir das zusammen.Wir haben den Antrag auf der Grundlage des Parla-mentsbeteiligungsgesetzes eingebracht. Wir möchten,dass der Bundestag erstmalig von § 8 des Parlaments-beteiligungsgesetzes Gebrauch macht, von dem Recht,entsandte Truppen zurückzuholen.
Wir wollen, dass die Bundeswehr zurückgeholt wird,dass der Einsatz beendet wird. Ich will Ihnen die Gründedafür vortragen. Der Abzug der Bundeswehr aus Afgha-nistan wäre ein deutliches Zeichen, dass der Krieg been-det werden soll. Jeder Tag, an dem der Krieg fortdauert,kostet Menschen Leben und Gesundheit und mindert dieChancen auf Frieden. Wir verlieren kostbare Zeit. Ohneden Abzug der ausländischen Truppen wird es in Afgha-nistan keinen Frieden geben. Bislang hat der Krieg zwi-schen 30 000 und 100 000 Menschen das Leben gekos-tet. Unser Antrag ist ein Antrag für das Leben. DasParlament sollte endlich ein Signal für das Leben in Af-ghanistan aussenden.
Der Abzug der Bundeswehr soll aus meiner Sichtauch das Leben von Soldatinnen und Soldaten schützen.Wir wollen nicht, dass Soldaten, die der Bundestag nachAfghanistan geschickt hat, traumatisiert immer wiederden Krieg durchleben müssen. Wir wollen nicht, dassSoldatinnen und Soldaten durch diesen Krieg verrohtwerden. Ich fand es erschütternd, im Spiegel über einendeutschen Scharfschützen zu lesen, der unzufrieden war,weil er nicht zum Schuss gekommen ist. Er wird dort mitden Worten zitiert: „Das ist, als wenn du einen Hundscharfmachst und den nicht von der Leine lässt“. Ichfand es ebenso erschütternd, in der gleichen Ausgabe desSpiegel zu lesen, dass ein Soldat folgende Nachricht aufseinem Handy gespeichert hat: „Kämpfe fanatisch! Dubist ein Menschenjäger!“ Das mögen Einzelfälle sein,aber sie zeigen, wie der Krieg Menschen verroht. Diessollten wir nicht fortsetzen. Wir sollten die Soldaten zu-rückholen.
Der Abzug der Bundeswehr soll aus meiner Sicht undaus unserer Sicht dazu beitragen, dass das Geld der Steu-erzahler nicht mehr für den Krieg, sondern für Entwick-lung und Aufbau eingesetzt wird. Bislang haben diesezehn Jahre Krieg Deutschland 17 Milliarden Euro gekos-tet. Das sind pro Kopf der afghanischen Bürgerinnenund Bürger 3 800 Euro. Das durchschnittliche Einkom-men in Afghanistan beträgt 400 bis 450 Dollar pro Jahr.Wie viel Segensreiches könnte man in Afghanistan errei-chen, wenn man das Geld nicht für den Krieg vergeudenwürde? Dem berühmten Satz: „Nichts ist gut in Afgha-nistan“,isGdmFksKdNndicEbDBtiBKvzDgkcsliszFadaLwM–
Wenn ich mich hier umschaue, bin ich mir relativ si-her, dass fast alle Anwesenden einer Meinung sind: Un-ere Soldatinnen und Soldaten gehören so früh als mög-ch aus Afghanistan abgezogen. Doch die Geistercheiden sich, wie der vorliegende Antrag der Linkeneigt, bei der Frage, was „so früh als möglich“ bedeutet.ür die Mehrheit dieses Hauses bedeutet dies: ein ver-ntwortungsvoller Abzug mit dem klaren Bewusstsein,ie Sicherheit unseres Landes nicht zu gefährden. Dienderen, nämlich Sie, meine Damen und Herren von deninken, handeln meiner Meinung nach abermals verant-ortungslos und leichtfertig. Sie gefährden sogar dieenschen bei uns hier in Deutschland.
Hören Sie gut zu.
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16528 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Robert Hochbaum
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Warum stehen wir für Verantwortung und verantwort-liches Handeln in Afghanistan? Die Sicherheit der Bür-ger in unserem Lande steht dabei auf jeden Fall an ersterStelle. Das heißt, von Afghanistan darf auch in Zukunft,auch nach dem Abzug unserer Truppen, keine Gefähr-dung für unsere Bevölkerung mehr ausgehen.
Kollege Hochbaum, gestatten Sie eine Zwischenfrage
unseres Kollegen Christian Ströbele?
Darauf freue ich mich, Herr Ströbele. Sehr gerne.
Bitte schön, Kollege Ströbele.
Danke, Herr Kollege. – Können Sie mir erklären, wie
Deutschland und deutsche Bürger in Deutschland – nicht
diejenigen, die in Afghanistan Krieg führen oder aus an-
derem Grunde dort sind – durch Afghanen bzw. durch
den Krieg in Afghanistan konkret gefährdet werden, vor
allen Dingen dann, wenn deutsche Truppen nicht mehr
in Afghanistan sein sollten? Es hat nach meiner Kenntnis
noch nie eine Drohung von Taliban oder anderen Auf-
ständischen in Afghanistan gegenüber dem deutschen
Volk gegeben, sondern es wurde immer nur die Forde-
rung „Abzug aus Afghanistan!“ erhoben.
Lieber Kollege Ströbele, wenn Sie einen Augenblicklänger Geduld gehabt hätten, hätte ich es Ihnen erklärt.Aber ich erkläre es Ihnen auch gerne schon jetzt.Erinnern Sie sich nur an die Bilder von Terrorausbil-dungscamps in Afghanistan – Sie können sich daranvielleicht nicht mehr erinnern, ich mich aber sehr gut –,auf denen wir vor vielen Jahren gesehen haben, wie vorOrt in Afghanistan junge Menschen für den weltweitenTerrorismus ausgebildet werden.
Zum Ziel des weltweiten Terrorismus gehören auch Eu-ropa und Deutschland. Es war nur eine Frage der Zeit,bis die Menschen, die dort mit Hasstiraden ausgebildetwurden,
auf den Rest der Welt angesetzt wurden, auch um hier inDeutschland ihre Aktivitäten zu entfalten. Zum Glückkonnten einige dieser Aktivitäten im Vorfeld erkannt undverhindert werden. Insofern wäre nicht von den Afgha-nen direkt, sondern von anderen Leuten, die eventuell inAfghanistan tätig waren–vsdosremDdSBgZtedÜwdbDihsessDEnmEdLStewkdddN
wir alle kennen sie –, eine direkte Gefährdung der Be-ölkerung in Deutschland ausgegangen. Darum wäre esträflich, diesen Zustand, der ein Rückschritt wäre, wie-er zuzulassen, alle Anstrengungen als vergeblich einzu-rdnen – wir hatten eine solche Situation in Afghanistanchon einmal – und alle Opfer, die dort zu beklagen wa-n, für umsonst zu erklären. Nein, wir wollen kein Landehr, das den Terrorismus in die Welt und auch nacheutschland exportiert. Wir wollen keine Gefährdunger Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, Herrtröbele.
Ich sagte bereits: Manche erinnern sich noch an dieilder von Terrorausbildungscamps und Wüstenfestun-en, die nicht zum Spaß gebaut wurden, sondern demweck dienten, den internationalen Terrorismus zu un-rstützen. Darum stehen wir zu der Aussage: Erst wennie Sicherheitslage es zulässt und die Nachhaltigkeit desbergangsprozesses, Herr Ströbele, nicht gefährdet ist,erden wir den vertretbaren Spielraum zur Truppenre-uzierung nutzen.Präsident Karzai hat für sein Land das Ziel definiert,is Ende 2014 die volle Souveränität zu übernehmen.ie internationale Schutztruppe wird darum bis 2014re Truppenstärke zurückführen. Das ist unser gemein-am vereinbartes Ziel, und daran werden wir uns halten.Die Fraktion der Linken verweist in ihrem Antrag aufin Zitat des Sonderbotschafters Steiner aus dem Tages-piegel, „dass es in Afghanistan keine militärische Lö-ung geben kann.“ Das ist richtig.
em kann man nur zustimmen.
r sagte aber ebenfalls: Ohne die militärische Kompo-ente ist auch eine sichere Entwicklung zurzeit nichtöglich.
r sagte auch, dass es sträflich und unverantwortbar sei,ie Truppen sofort abzuziehen.
iebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, wennie schon jemanden für sich sprechen lassen, dann soll-n Sie seine gesamte Auffassung wiedergeben. Dasürde Ihren Antrag aber ad absurdum führen.
Natürlich wissen auch wir, dass es in Afghanistaneine rein militärische Lösung geben kann. Darum istie militärische Komponente nur ein Teil des Konzepteser vernetzten Sicherheit; denn kein Akteur kann Frie-en und Sicherheit in diesem Land allein gewährleisten.ur durch das Zusammenspiel aller Instrumente können
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16529
Robert Hochbaum
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der Erfolg und damit die Stabilität des Landes erreichtwerden.Verantwortungsvolles Handeln zeichnet sich auchdurch Verlässlichkeit und Langfristigkeit aus. Afghanis-tan wird auch über 2014 hinaus deutsche Unterstützungbrauchen und – da bin ich mir sicher – auch bekommen.Auch wenn die Kampftruppen das Land verlassen ha-ben, müssen die Ausbildung der Sicherheitskräfte undnatürlich auch – das ist ganz wichtig – der zivile Aufbauweitergehen. Wir setzen in diesem Zusammenhang sehrauf die Afghanistan-Konferenz in Bonn am 5. Dezember2011. Dort gilt es, die Weichen für ein sicheres und sta-biles Afghanistan zu stellen.Im Fortschrittsbericht Afghanistan vom Juli diesesJahres wird von einer Generationenaufgabe gesprochen,die in Afghanistan zu leisten ist. Die wirtschaftliche undsoziale Transformation ist bei noch immer schwierigerSicherheitslage nur mit internationaler Unterstützung zumeistern.Es tut mir leid, aber nun noch einmal zu Ihrem An-trag, meine Damen und Herren der Linken. Mir ganzpersönlich kommt es so vor, als wollten Sie, wenn IhreZiele erreicht würden, zulassen, dass dieses Land wieder– ich habe es Herrn Ströbele erläutert – in den Terror zu-rückfällt, als wollten Sie der afghanischen Bevölkerungjede Zukunftsperspektive nehmen und als wollten Siedie Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger inDeutschland in der Zukunft tatsächlich erneut gefährden.Eine große Mehrheit der verantwortungsvollen Politi-ker dieses Hauses will das nicht. Sie stehen für Verant-wortung für die afghanische Bevölkerung und für Si-cherheit für die Menschen in unserem Land.
Darum ist der Abzug unserer Truppen zwar bereits amHorizont zu sehen – wir wissen: 2014 –, aber er erfolgterst dann, wenn er verantwortbar ist und wenn von Af-ghanistan keine Gefährdung mehr für die Menschen inunserem Land ausgeht.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Hochbaum. – Jetzt spricht für
die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege
Johannes Pflug. Bitte schön, Kollege Pflug.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Seit Beginn des Einsatzes unserer Bundeswehrin Afghanistan, also seit fast genau zehn Jahren, wieder-holt die Fraktion der Linkspartei fast gebetsmühlenartigJahr um Jahr eine Forderung: Sofort raus aus Afghanis-tan, Bundeswehr raus aus Afghanistan.
Gnddsw–wkwnDbtodduA–rebgvtebnnhgdtevsd
ämlich, militärisch löse man keine Konflikte,
ie Sicherheitslage verschlechtere sich,
ie Bevölkerung sei für den sofortigen Abzug, kurz ge-agt: der Einsatz in Afghanistan sei gescheitert, ohne et-as erreicht zu haben.
Nun bestätigen Sie das ausdrücklich.Wenn Sie genau auf Ihre Worte achten würden, dannürden Sie wahrscheinlich zu derselben Feststellungommen: Sie legen ein Glaubensbekenntnis ab. Damiterden Sie der aktuellen Situation in Afghanistan abericht gerecht.
Auf Ihrem Parteitag haben Sie, meine sehr verehrtenamen und Herren von den Linken, ein Parteiprogrammeschlossen, in dem Sie die internationale Solidarität be-nen. Aus Solidarität mit dem afghanischen Volk for-ern Sie nun in Ihrem Antrag das unverzügliche Endees Bundeswehreinsatzes
nd unausgesprochen gleichzeitig natürlich auch denbzug der NATO-Streitkräfte aus Afghanistan.
Sie bestätigen das. – Darüber hinaus haben Sie auf Ih-m Parteitag auch noch das Ende der Unterstützungeim Aufbau des afghanischen Militärs und der Polizeiefordert. Die Frage lautet nun: Was würde diese Arton Solidarität für die Menschen in Afghanistan bedeu-n? Das ist die konkrete Frage. Es geht nicht um Glau-ensbekenntnisse.
Trotz der Erfolge bei der Ausbildung sind die afgha-ischen Sicherheitskräfte ohne Unterstützung der inter-ationalen Truppen noch nicht in der Lage, die Sicher-eit in Gesamtafghanistan zu gewährleisten, und ichebe gerne zu: Wir wissen nicht, wann sie es sein wer-en. Wie immer man diese Sicherheitslage auch beur-ilt: Sie würde sich auf jeden Fall noch einmal erheblicherschlechtern. Mehr noch: Ohne die finanzielle Unter-tützung der internationalen Gemeinschaft würde sichie afghanische Armee entlang ihrer ethnischen Grenzen
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16530 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Johannes Pflug
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in kürzester Zeit auflösen, und der nächste Bürgerkriegin Afghanistan wäre unausweichlich.Dies trat im Jahr 1992 genau so ein, als Moskau seineUnterstützung für die afghanischen Sicherheitskräfteeinstellte. Aber diese Lektion, meine sehr verehrten Da-men und Herren von der Linken, weigern Sie sich zurKenntnis zu nehmen. Wenn internationale Truppen undafghanische Sicherheitskräfte ausfallen: Wer soll dannIhrer Meinung nach die Afghanen schützen?An die Stelle von gegenwärtig zweifellos prekärer Si-cherheit würde ein vollständiges Machtvakuum treten,das Kriegsherren, lokale Machthaber, Drogenbarone undletztendlich auch ausländische Staaten nur allzu gern fül-len würden. Die Taliban würden zumindest im Südenund Osten des Landes wieder die Macht übernehmenund Vergeltung an denjenigen üben, die sich im Ver-trauen auf die internationale Gemeinschaft für ein mo-dernes und stabiles Afghanistan engagiert haben. Wer istdas? Das sind Lehrer, Frauenrechtler, Journalisten; dassind Eltern, die ihren Töchtern eine gute Ausbildung er-möglichen wollten, um nur einige zu nennen. MehrFlucht und Gewalt sowie die Zerstörung der bescheide-nen bisherigen Fortschritte, insbesondere im Bereich desBildungswesens und der medizinischen Versorgung, wä-ren das Ergebnis.Richtig ist, dass viele Dinge in Afghanistan nicht zumBesten stehen. Aber am schlimmsten für das Land wärezweifellos ein unredlicher, überstürzter Abzug, wie Sieihn fordern. Dies wurde heute Morgen bei einem Ge-spräch mit Vertretern von NGOs, die in Afghanistan tä-tig sind, erneut deutlich.Die Linke spricht vom hehren Ziel der internationalenSolidarität, betreibt aber eine Politik des Sich-Heraus-haltens. Auch die kritische öffentliche Meinung ist dabereits weiter als Sie. Sie verweisen auf Umfragen, nachdenen – das stimmt – 66 Prozent der Deutschen einensofortigen Abzug der Bundeswehr wünschen.
Stellt man allerdings den Deutschen konkret die Frage:„Meinen Sie sofortigen Abzug oder Abzug nach ange-messenem Abschluss der Mission?“, dann ist das Ergeb-nis: Es befürworten mehr als 50 Prozent der Bevölke-rung den Abzug in Verantwortung, also nicht densofortigen Abzug. Ihre Politik des „Ohne uns“ repräsen-tiert also keinesfalls eine Mehrheit der Menschen in die-sem Land.Sie sollten nicht Jahr für Jahr dieselben Forderungenherunterbeten, die nicht weniger Gewalt, aber wenigerSicherheit, weniger Entwicklung und weniger Souverä-nität für Afghanistan bedeuten. Wir laden Sie ein, sichkonstruktiv an der Debatte zu beteiligen. Es gibt mit demJahr 2014 – das ist die Antwort auf Ihre Frage – nun einePerspektive für den endgültigen Abzug der deutschenKampftruppen aus Afghanistan. Allerdings wird dieBundesregierung bis dahin noch viele Fragen zu beant-worten haben, auch hier vor dem Deutschen Bundestag,der bislang über die Pläne der Regierung entweder be-wwSrisclaeMmdüteKdAsAtehflBsIndJwtisbUgzimnsAVAbssalazdZruBein
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16531
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Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Wolfgang Gehrcke.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Ich habe mich zu
einer Kurzintervention gemeldet, weil ich vom Kollegen
Pflug direkt angesprochen worden bin. Ich finde, wenn
man sich die Sache nüchtern vor Augen führt, muss die
erste Feststellung sein – deswegen haben wir Sonderbot-
schafter Steiner mit seiner Aussage bemüht, dass der
Konflikt nicht militärisch zu lösen ist –: Wenn man in
der Sackgasse ist, dann kann es kein Weiter-so oder Vor-
wärts geben;
dann muss man zurückgehen, das heißt die Truppen zu-
rückziehen. Das hat seine Logik.
Zweitens ist festzustellen: Weil sehr viel Widerstand
in Afghanistan daher rührt, dass die Afghaninnen und
Afghanen ihr Land als von fremden Truppen besetzt be-
trachten, wird der Verbleib von fremden Truppen den
Widerstand verstärken, und es wird nicht zu einer friedli-
chen Lösung kommen. Die Besetzung des Landes ist ein
Argument, das die Taliban ständig anführen. Ich sage
sehr zugespitzt: Mit Ihrer Politik stärken Sie die Taliban,
statt sie zu schwächen.
Der dritte Punkt ist, dass wir endlich darüber nach-
denken müssen, dass das Volk von Afghanistan Selbst-
bestimmung verdient hat. Das Volk von Afghanistan
muss selber entscheiden, was wirtschaftlich gemacht
wird und was in seinem Land passieren soll. Sie bevor-
munden, um es freundlich zu sagen, das Volk von Af-
ghanistan. Das wird nicht zur Lösung des Konfliktes
führen.
Meine Solidarität heißt auch: Die Menschen in Afgha-
nistan müssen endlich selber entscheiden. Es geht nicht
an, dass mit Petersberg II in Bonn wieder über sie ent-
schieden wird.
Das sind die Probleme, denen man sich stellen muss.
Das machen wir in unserem Antrag.
Zwei Punkte haben mich begeistert. Das kann ich nur
bestätigen, Kollege Pflug. Wir sagen seit zehn Jahren im
Bundestag: Schluss mit dem Krieg! Zieht die Bundes-
wehr zurück! Ich bin stolz darauf, dass wir von Anfang
an diese Position gehabt und sie durchgehalten haben –
im Unterschied zu anderen.
Es waren bestimmte Regierungen, die diesen unsinnigen
Kurs begonnen haben.
Der zweite Punkt ist: Dass alle Kolleginnen und Kol-
legen des Bundestags unser Parteiprogramm lesen, reißt
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieberollege Gehrcke, auch wenn Ihr Antrag durchaus einigechtige Aspekte beinhaltet, dürfen wir an den Realitäten dieser Region und vor allem an den Realitäten in Af-hanistan nicht vorbeireden.
Es ist völlig richtig, Herr Kollege Gehrcke: Es wird infghanistan keine militärische Lösung geben. Das istonnenklar. Darin besteht auch Einigkeit.Es ist ebenfalls richtig: Der Westen hat sich speziell inieser Region in der Vergangenheit häufig Illusioneningegeben. Ich bestreite nicht: Auch Deutschland hatteich unter zum Teil falschen Vorstellungen des Einsatzesnd seiner Ziele 2001 mit der Bundeswehr in diesen Ein-atz begeben. Daher mussten die Erwartungen genausoie übrigens auch die Einsatzstrategie selbst im Laufeer Zeit überdacht und angepasst werden.Ich bin allerdings davon überzeugt, dass wir heute diechtigen Ziele formuliert haben und die richtige Strate-ie verfolgen. Wir verfolgen heute realistische Zieledas ist der wesentliche Unterschied zu früher –: hinrei-hende Stabilität im Land und Gewährleistung von Men-chenrechten, begleitet von einer Strategie der Versöh-ung und Aussöhnung im ganzen Land.Die aktuelle Strategie trägt zu einer Verbesserung derituation im Land bei, sodass eine Perspektive für denbzug der militärischen Hilfe in Aussicht bleibt. Unge-uld zahlt sich an dieser Stelle nicht aus, Herr Kollege.arüber müssen wir uns Gedanken machen.Bei den Entscheidungen über die Zukunft des deut-chen militärischen Engagements in Afghanistan geht esicht um Tage, sondern es geht um wichtige Weichen-tellungen für die Zukunft. Entscheidend ist die Frage,ie das Afghanistan von morgen aussehen kann. Was imern nötig ist – da stimme ich Ihnen auch zu –, ist eineolitische Lösung, eine Versöhnung der Gegner. Dazuibt es keine Alternative.
Wichtig ist bei diesem Friedensprozess, dass alle rele-anten Gruppen einbezogen werden und dass nicht Teileer afghanischen Gesellschaft außen vor bleiben. Wieh oft gehört habe, sagen dies sogar Afghanen selbst.
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16532 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Dr. Bijan Djir-Sarai
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Die Frage des inneren Aussöhnungsprozesses muss al-lerdings zuerst von den Afghanen selbst vorangetriebenwerden; denn Frieden in Afghanistan kann nur zwischenden Parteien und Gruppierungen vor Ort geschlossenwerden.
Diesem Ziel dient übrigens auch die Bonner Afgha-nistan-Konferenz im Dezember. Herr Kollege Pflug, dasist keine Showveranstaltung. Deutschland ist nicht nurGastgeber dieser Konferenz, sondern hat auch eine Füh-rungsrolle in Afghanistan. Die Konferenz ist insofernbesonders, da sie von afghanischer Seite als Konferenzmit einer strategischen Bedeutung gesehen wird, eineKonferenz, welche die Zukunft Afghanistans massiv be-einflussen wird. Deshalb übergeben wir nach der klarenroten Linie unserer Strategie – die übrigens nicht als ge-scheitert zu diffamieren ist – schrittweise die Verantwor-tung an die afghanischen Sicherheitskräfte – in guter,vertrauensvoller Arbeit mit unseren ISAF-Partnern.Uns allen hier im Haus ist doch klar, dass es nicht umeinen direkten Abzug geht. Es ist aber auch klar, dassaus Afghanistan keine Hochburg der Demokratie werdenwird. Es geht darum, diesen Übergangsprozess verant-wortungsvoll und ordentlich abzuschließen. Das istheute die Sachlage.Genau darum wird es auch in Bonn gehen: die Über-gabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen vo-ranzubringen, den inneren Aussöhnungsprozess zu un-terstützen und dem Land eine Perspektive für die Zeitnach dem Abzug der internationalen Kampftruppen2014 aufzuzeigen. Das sind die Hauptziele, die in Bonndiskutiert werden. Das ist keine Showveranstaltung.In den kommenden Wochen wird uns ein neuer Fort-schrittsbericht für Afghanistan vorliegen. Kurz daraufwerden wir hier im Deutschen Bundestag über eineMandatsverlängerung debattieren. In dieser Debattewird klar zum Ausdruck kommen, dass wir eine kon-krete Abzugsperspektive haben und haben müssen. Da-bei darf es allerdings keine Gefährdung von allem bisherErreichten geben. Dabei darf es auch keine Gefährdungfür unsere Soldaten in Afghanistan geben.In dem neuen Mandat wird dann auch die Richtungfür den Abzug der deutschen Soldaten erkennbar sein.Denn klar und möglich ist: Wir wollen bis Ende 2014 dieVerantwortung für die Sicherheit vollständig an Afgha-nistan übergeben und die Kampftruppen abziehen. Dasist international in Lissabon so vereinbart worden undauch von Präsident Karzai so bestätigt worden. DerFahrplan steht. Das sind realistische Ziele, für deren Er-reichung wir in den nächsten Wochen und Monaten hartarbeiten müssen. Realistisch sind für Afghanistan: eineausreichend gute Regierungsführung, die Wahrung derfundamentalen Rechte und keine neue Gefährdung unse-rer Sicherheit hier zu Hause.Ich traf vor einigen Tagen hier im Deutschen Bundes-tag eine Gruppe von afghanischen Frauenrechtlerinnen.Diese haben bestätigt, dass allein auf diesem GebietefosGInvwshLknDAnwkasdJBFCNzAmEscKmfuvSnwgEdKB–dle1k
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seitehn Jahren führen wir mit unserer Parlamentsarmee infghanistan Krieg. Seit vier, fünf Jahren führen wir ihnit immer mehr Soldaten und immer schrecklicher. Dasrgebnis dieses Krieges ist bisher desaströs: Zehntau-ende von Menschen sind getötet worden, eine mehrfa-he Zahl von Menschen ist in Afghanistan Opfer diesesrieges, verletzt und zu Krüppeln geworden. Trotz im-er neuer Truppenverstärkungen und einer Verschär-ng des Krieges ist die Sicherheitssituation für die Be-ölkerung in Afghanistan jedes Jahr schlechter geworden.o schlecht wie derzeit war sie noch nie.Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Wir könnenicht einfach sagen: „Wir machen weiter so“, sondernir müssen neue Wege gehen. Für diese neuen Wegeibt es Möglichkeiten, und es gibt Aussicht auf Erfolg.s kann nicht heißen: „Wir führen den Krieg mindestensrei Jahre weiter“, sondern es muss heißen: Es muss eineehrtwendung von dem Einsatz in Afghanistan hin zureendigung des Krieges stattfinden, und zwar sofort.In diesem Punkt gebe ich dem Kollegen Gehrcke aus-rücklich recht. Der Krieg muss beendet werden. Imtzten Jahr sind allein in drei Monaten von den USA485 sogenannte verdeckte Operationen von Spezial-räften durchgeführt worden, bei denen 485 Menschen
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16533
Hans-Christian Ströbele
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getötet worden sind und durch die unendlich viel Leidangerichtet worden ist. Das kann nicht sein. Wenn Siedas hochrechnen, kommen Sie auf über 5 000 solcherAngriffe in einem Jahr. Wir können nicht erwarten, dassauf der anderen Seite nichts passiert. Diese Angriffe füh-ren vielmehr zu einer Verschärfung des Krieges. Sie füh-ren dazu, dass die Taliban jeden Tag stärker werden, dasssich immer mehr Menschen aus Hass und deshalb, weilsie Vergeltung üben wollen, dem Krieg der Aufständi-schen gegen die NATO anschließen. Deshalb ist einneuer Weg erforderlich.Nun stimme ich dem Antrag der Linken trotzdemnicht zu. Ich glaube, dass die immer gleiche Wiederho-lung in dem Antrag, sofort alle Truppen aus Afghanistanabzuziehen, falsch ist. Dass das funktioniert, lieber Kol-lege Gehrcke, glaubt ihr selber nicht. Das ist nicht mög-lich.
Das ist im Augenblick auch nicht die erste Priorität. Dieerste Priorität muss sein, den Krieg zu beenden.
Das heißt, man muss morgen erklären, dass keine sol-chen Offensivmaßnahmen und keine offensiven Groß-operationen mehr stattfinden; stattdessen fangen wirzum Zeichen der Versöhnung mit dem Abzug an. Wirsollten aber nicht das machen, was Herr Westerwellejetzt offenbar vorhat. Noch vor einem Jahr hat er hier imDeutschen Bundestag erklärt, Ende des Jahres 2011 wür-den die ersten deutschen Truppen aus Afghanistan abge-zogen. Davon ist keine Rede mehr. In diesem Jahr wer-den keine Truppen abgezogen; man vertröstet unsvielmehr auf das nächste Jahr. Das ist der falsche Weg.Wir müssen Zeichen setzen, und wir müssen nach derErklärung eines Waffenstillstandes deutlich auf die Tali-ban zugehen und sie in Verhandlungen einbinden. Siesind dazu bereit. Ich war im September in Afghanistanund habe das von vielen dort gehört, nicht nur von ehe-maligen Mitgliedern der Regierung der Taliban, sondernauch von vielen anderen. Es kann allerdings nicht sein,dass die Menschen, die in Verhandlungen mit der Regie-rung Karzai und den Alliierten eintreten, anschließend inihrer Wohnung von Spezialkräften der USA aufgesucht,aus ihren Wohnungen herausgeholt, an die Wand gestelltund ermordet werden, wie es in Afghanistan stattgefun-den hat. Das führt nicht zum Frieden. Die Verhandlun-gen müssen vielmehr von Sicherheitsgarantien für allediejenigen begleitet sein, die verhandlungsbereit sindund in Verhandlungen eintreten. Das ist der Weg aus derMisere. Dieser Weg muss beschritten werden, und zwarnicht erst in drei Jahren oder nächstes Jahr, sondern abdiesem Jahr, jetzt sofort.
Zu einer Kurzintervention hat unser Kollege
Dr. Rainer Stinner das Wort.
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err Kollege Djir-Sarai hat darauf hingewiesen, dass wir
inen Entwicklungspfad bis 2014 haben, und Sie, Herr
ollege Ströbele, haben das Jahr 2011 angesprochen. Ich
ann Ihnen sagen: Wir haben eine Mandatsverlängerung
Januar 2012 – das ist nicht 2011, sondern 2012 –, und
h kann Ihnen auch sagen – gerade läuft es über den
pa-Ticker; insofern ist es eine öffentliche Information –,
ass die Bundesregierung laut dpa – ich will das jetzt
icht im Einzelnen kommentieren, sondern gebe nur wie-
er, was ich gerade in öffentlichen Medien gelesen habe –
eschlossen hat, die Mandatsobergrenze schon ab Januar
012 auf 4 900 Soldatinnen und Soldaten zu reduzieren.
as heißt, diesem Ansinnen des graduellen Abbaus trägt
iese Bundesregierung wieder einmal in exzellenter
eise Rechnung.
Vielen Dank.
Herr Kollege Ströbele, Sie haben die Möglichkeit zurntwort.
Es ist doch schön, dass ich hier zu diesem Thema ein-al zu Wort komme. – Herr Kollege, ich lese Ihnen ein-al vor, was Ihr Außenminister am 15. oder 16. Dezem-er vergangenen Jahres gesagt hat: Ende 2011 werdenir unser Bundeswehrkontingent in Afghanistan erst-als reduzieren können. – So, und wann wird jetzt redu-iert?
Ich sage Ihnen: Ich glaube Ihnen nichts mehr. Ichlaube auch dem Außenminister nichts mehr. Denn icheiß, dass der Außenminister auch in der Bundesregie-ng ganz offensichtlich andere Auffassungen vertritt alser Verteidigungsminister. Bisher hat sich der Verteidi-ungsminister ganz offensichtlich durchgesetzt. Er willber nicht, dass in diesem Jahr Truppen abgezogen wer-en,
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16534 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Hans-Christian Ströbele
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jedenfalls nicht mehr als 90 Leute, die sowieso nicht dortsind.
Sie führen die Öffentlichkeit in die Irre, und immerwieder klingt durch, dass ein Einsatz auch über 2014 hi-naus durchaus in Betracht kommt, sofern die Sicher-heitssituation dies verlangt. Versuchen Sie also Glaub-würdigkeit zurückzugewinnen. Dann können wir darüberreden.Nun zu der Frage, für wen ich rede. Ich rede für mich.
Ich habe hier für mich eine Rede gehalten, aber ich willSie noch einmal – das haben Sie auch im Ausschuss ge-hört, und das können Sie auch von mir hier und heutenoch einmal hören – auf unsere Forderung nach der Be-endigung der Offensivmaßnahmen und insbesonderedieser gezielten Tötungen hinweisen. Wissen Sie, nachjedem Anschlag auf die Bundeswehr wird immer wiederbeklagt – dies wird völlig zu Recht beklagt, sage ich –,wie hinterlistig und bösartig diese Angriffe sind, bei de-nen Bundeswehrsoldaten umkommen. Ich frage Sieaber: Ist es etwas anderes, wenn nachts Spezialkomman-dos ausrücken und Personen, die vorher aufgelistet wor-den sind, aus ihren Wohnungen holen und kaltblütig tö-ten? Oder ist es etwas anderes, wenn Menschen amMittags- oder Abendtisch von einer Drohne, die man inder Luft gar nicht wahrnimmt, getötet werden? Ist dasnicht auch heimtückisch? Ist das nicht auch hinterlistig?
Das heißt, es findet dort ein schrecklicher Krieg statt,und um das zu beenden – darüber war ich froh –, hatmeine Fraktion schon vor zwei Jahren die Einstellungsolcher Tötungsaktionen und der Offensivmaßnahmender NATO und insbesondere der US-Amerikaner gefor-dert. Es sind aber nicht nur die US-Amerikaner. Viel-mehr verfahren auch die Deutschen inzwischen so undhelfen den Amerikanern bei solchen Kill-Aktionen, in-dem sie ihnen Informationen geben und Leute auflisten.Wir sind also mit dabei, und ich glaube, die Fraktion ver-tritt dazu Auffassungen, die sich meinen – sage ich mal –annähern.Abschließend dazu, wie wir zu diesem Antrag stehen.Ich werde dem Antrag der Linken nicht zustimmen. Ichwerde mich der Stimme enthalten. Wie sich die Fraktionentscheidet, werden Sie erleben.
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arüber kann sich aber jeder selbst sein Urteil bilden.
Was mich aber betroffen macht, meine Damen underren von der Linken, ist, dass Sie sich in Ihrem Antragit keinem Wort dazu äußern, was denn die Konsequen-en eines sofortigen Abzugs für Afghanistan wären: füren bisher erreichten Fortschritt beim Wiederaufbau, fürie Übergabe der Verantwortung an das afghanischeolk, für die Sicherheit der Menschen und der zivilenelfer dort, für die wirtschaftliche Situation im Lande.it den konkreten Folgen Ihrer Forderungen beschäfti-en Sie sich nicht. Wichtig ist Ihnen nur, dass die Über-chriften stimmen und morgen in den Zeitungen steht:inke fordert sofortigen Abzug aus Afghanistan.
Meine Damen und Herren, das ist keine Basis für einernsthafte Debatte über die Frage, wie langfristig Frie-en und Stabilität in Afghanistan geschaffen werdenönnen. Die Antwort auf diese Frage umfasst ein ganzesündel an politischen, diplomatischen, entwicklungspo-tischen, wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen, diengfristig angelegt sein müssen und die auch nach dembzug des Militärs in 2014 weiter wirken werden.
Ich finde, Deutschland spielt beim Finden einer ent-prechenden Lösung eine sehr positive, konstruktiveolle. Am 5. Dezember werden sich Außenminister undertreter aus über 90 Ländern in Bonn treffen, um dortarüber zu beraten, wie es nach dem Abzug der Kampf-uppen 2014 in Afghanistan weitergehen wird. Ebenicht in der Weise „Augen zu und raus und nach uns dieintflut“, sondern vielmehr von den Überlegungen ge-agen: Was muss bis dahin an zivilen Maßnahmen noch
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16535
Dr. Reinhard Brandl
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in die Wege geleitet werden? Wie kann ein langfristigesEngagement der internationalen Gemeinschaft in Afgha-nistan aussehen?
Wie muss der politische Prozess der Übergabe in Verant-wortung ausgestaltet werden?Dass Deutschland auf afghanischen Wunsch hin Gast-geber dieser Konferenz sein darf, ist ein Zeichen des ho-hen Vertrauens, das uns von diesem Land und von der in-ternationalen Staatengemeinschaft entgegengebracht wird.
Das zeigt sich auch immer wieder in Umfragen, in denenvom Ausland der deutsche Einfluss in der Welt sehr po-sitiv bewertet wird.
Das ist vielleicht der größte Trumpf, den wir in unsererAußenpolitik haben. Den dürfen wir nicht leichtfertigverspielen. Das Vertrauen, das uns entgegengebrachtwird, gründet unter anderem darauf, dass uns kein Hege-monialdenken unterstellt wird,
und auch darauf, dass wir in der Welt als zuverlässigeund verlässliche Partner gelten.Meine Damen und Herren, ich komme zurück auf Af-ghanistan und die Forderung der Linken nach einem so-fortigen Abzug. An dem Einsatz beteiligen sich im Mo-ment 49 Nationen aus der ganzen Welt. Diese teilen sichdie Aufgabe sowohl regional als auch funktional auf.Dass man eine solche globale Aufgabe gemeinsam unterdem Dach der Vereinten Nationen angeht, ist doch be-grüßenswert. Das geht aber nur, wenn sich die Länderuntereinander auf Zusagen verlassen können und Ent-scheidungen wie die eines Abzuges gemeinsam treffen,und zwar in enger Abstimmung mit dem Land, dem manhelfen möchte. Und es sind auch die Menschen vor Ort,die sich auf uns verlassen, die mit unseren Soldaten zu-sammenarbeiten und deren Leben wir unter Umständenaufs Spiel setzen würden, wenn wir uns von heute aufmorgen aus der Verantwortung verabschieden würden.Das alles blendet die Linke aus, wenn sie heute einen so-fortigen Abzug fordert. Das ist verantwortungslos.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung istgerade dabei – der Kollege Stinner hat es vorhin ange-sprochen –, im Vorfeld der Mandatsbeschlüsse die Vo-raussetzungen für eine Reduzierung zu schaffen. Ichwürde es begrüßen, wenn sich dafür eine breite Mehrheitim Parlament finden würde.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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16536 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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Zweitens. Die Anwendung von PSM in der konven-tionellen Landwirtschaft, der Forstwirtschaft, dem Wein-bau oder dem Obst- und Gartenbau ist und bleibt – daskönnen Sie gerne wörtlich nehmen – notwendig.
Sie trägt wesentlich zu höheren Erträgen bei guter Quali-tät und damit zu einer sicheren Versorgung unserer Be-völkerung mit bezahlbaren und gesunden Lebensmittelnbei.Warum ist es erforderlich, in der EU die Anwendungund Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zu harmoni-sieren? Auf dem europäischen Binnenmarkt bestehenbeachtliche Unterschiede. Es ist zum einen für die deut-schen Landbewirtschafter ein klarer Wettbewerbsnach-teil, wenn Konkurrenten in anderen EU-Staaten Pflan-zenschutzmittel zur Verfügung haben, die in Deutsch-land nicht zugelassen sind, und es ist zum anderen irre-führend und äußerst unfair für die Verbraucher, wennLebensmittel in unseren Supermarktregalen stehen, dienicht nach den gleichen bzw. strengen deutschen Um-weltstandards produziert wurden.Ein wichtiger Schritt in Richtung von mehr Harmoni-sierung ist zum Beispiel die gegenseitige Anerkennungvon Zulassungen. Die EU wurde in drei Zonen aufge-teilt. Ist ein PSM in einem Mitgliedstaat zugelassen, sosoll die Zulassung dieses Mittels in Mitgliedstaaten, dieder gleichen Zone angehören, innerhalb von 120 Tagenerfolgen. Im Ergebnis ist zu erwarten, dass durch diesesZusammenspiel schneller bessere und möglicherweiseauch mehr Pflanzenschutzmittel zugelassen werden. Da-durch dürfte sich die Verfügbarkeit von PSM in Deutsch-land verbessern, was ökologisch durchaus sinnvoll istund auch dazu beiträgt, zunehmende Resistenzen in denKulturen zu verhindern.
Das kann allerdings nur dann gelingen, wenn die natio-nalen Zulassungsbehörden im Verfahren einheitliche Be-wertungsmaßstäbe anlegen und praktikabel handhaben.Dies fordern wir ebenso wie die Umsetzung des Natio-nalen Aktionsplanes in unserem gemeinsamen Ent-schließungsantrag.Große Bedeutung für einen fairen Wettbewerb beimPflanzenschutz haben auch die Anwendungsbedingungen:Integrierter Pflanzenschutz, Sachkundenachweis und einTÜV für Pflanzenschutzgeräte wurden in Deutschland be-reits vor Jahren eingeführt und werden künftig EU-weitvorgeschrieben. Wir müssen allerdings schon aufpassen,dass die Harmonisierungsziele möglichst eins zu eins um-gesetzt und nicht durch ungeschickte Regelungen durchdie Hintertür konterkariert werden. Hier ist die Bundesre-gierung gemeinsam mit den Ländern gefordert.Überhaupt ist Praktikabilität in dem neuen Gesetz einwichtiges Anliegen. So haben wir, anders als vom Bun-desrat gefordert, auf die Festlegung starrer Abstandsre-gelungen für Gewässer verzichtet. Besser ist es, wenndiese im Rahmen der guten fachlichen Praxis nach denömLWwDtebsüisdmnPcsvmvvPPtunmtrSSHsüm
Für besondere Gebiete, wie beispielsweise das Alteand, schaffen wir die Voraussetzungen dafür, unterahrung des Schutzniveaus abweichende Regeln anzu-enden.
ie Entscheidung über die Ausweisung dieser sogenann-n Sondergebiete wird unter Beteiligung des Umwelt-undesamtes getroffen. Gleichzeitig stellen wir im Ge-etz sicher, dass im Einzelfall zügige Entscheidungenber Sondergebiete oder dann, wenn Gefahr im Verzugt, möglich sind. Ähnlich pragmatisch wird, falls unab-ingbar, bei der Ausbringung von Pflanzenschutzmittelnit Luftfahrzeugen im Steillagenweinbau und im Kro-enbereich der Wälder verfahren.Gegen den Handel mit gefälschten oder verbotenenSM werden strengere Regeln geschaffen. Dies ist glei-hermaßen im Sinne von Herstellern und Verbrauchern.Eines möchte ich zum Ende meiner Rede noch grund-ätzlich festhalten: Um die Welt bei zunehmender Be-ölkerung
it Nahrungsmitteln und nachwachsenden Rohstoffenersorgen zu können, brauchen wir moderne und inno-ative Pflanzenschutz- bzw. im gewissen Rahmen auchflanzenstärkungsmittel.
Mit dem vorliegenden Gesetz wird es gelingen, denflanzenschutz auch weiterhin in den Dienst einer leis-ngsfähigen, nachhaltigen und ökologisch ausgewoge-en Landbewirtschaftung zu stellen. Damit wird nacheiner festen Überzeugung ein weiterer wichtiger Bei-ag zur Harmonisierung in Europa geleistet. Ich bitteie: Stimmen Sie diesem Gesetz zu.Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Gustav Herzog für die
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Pflanzen-chutzrecht ist eine sehr komplexe Materie, um die sichberwiegend die Spezialisten in den Fraktionen küm-ern.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16537
Gustav Herzog
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Aber das damit verbundene Regelwerk betrifft uns alle.Dies gilt insbesondere für die Qualität und Quantität deruns zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel. Es wirdaber auch geregelt, wie wir am Wochenende, wenn esunsere Zeit erlaubt, den Rasen zu Hause pflegen dürfen,wie der Zustand unserer Gewässer ist und wie hoch dasEinkommen der Landwirte ausfällt, inwiefern sie ihreErträge sichern können. Ferner wird Einfluss auf dieVielfalt von Flora und Fauna genommen. Der vorlie-gende Gesetzentwurf ist daher wichtig und hat die not-wendige Aufmerksamkeit verdient.Wir regeln die Zulassung der Mittel, während es euro-päische Regelungen für die Wirkstoffe gibt. Wir schaf-fen Regelungen bezüglich der Anwendung und der Ge-räte. Eine wichtige Frage ist – sie wird immer mehr anBedeutung gewinnen –, wie wir illegale Importe und diedamit verbundenen kriminellen Machenschaften verhin-dern. Wir haben gemeinsam den Fokus darauf gerichtetund die entsprechenden Sanktionen vereinbart.Wir haben diese Neuordnung erarbeitet, weil im Jahr2009 die EU eine entsprechende Vorgabe in Form einerVerordnung und einer Richtlinie gemacht hat. Herr Kol-lege Bleser, Sie haben sich jetzt auf die Abgeordneten-bank gesetzt, ich spreche Sie aber als Vertreter desMinisteriums an: Sie haben sich viel Zeit gelassen, demDeutschen Bundestag diesen Gesetzentwurf vorzulegen.Wir hätten gerne etwas mehr Zeit gehabt, mit den Fach-leuten über diesen Entwurf zu beraten. Ich glaube, es istim Sinne des ganzen Hauses, wenn Sie sich beim nächs-ten Mal etwas weniger Zeit lassen.
Die Auswirkungen dieses Gesetzes sind für Deutsch-land nicht gravierend. Der Entwurf beinhaltet insbeson-dere für Hersteller und Anwender wesentliche neue Re-gelungen – auch Vorteile; da stimme ich dem KollegenGerig zu. Ich habe immer für die zonale Zulassung ge-kämpft; denn wir brauchen eine Vielfalt an Mitteln, umResistenzen vorzubeugen. Jedoch trägt nicht das UBAdie Schuld daran, dass für eine Reihe von Indikationenso wenige Mittel zur Verfügung standen. Vielmehr kon-zentriert sich die Industrie darauf, für die großen Pro-dukte und Kulturen entsprechende Mittel zu erforschenund zuzulassen; die kleinen Kulturen jedoch – die selte-nen Schadorganismen – bleiben außen vor. Ich kannmich noch gut an Aufrufe im Pfälzer Bauer erinnern, indenen geradezu um Geld zur Durchführung von entspre-chenden Untersuchungen gebettelt worden ist, um Lü-ckenindikationen schließen zu können. Von daher auchvon hier ein Aufruf an die Industrie, in diesem Bereichetwas mehr zu tun.
Herr Gerig, Sie haben heute – wie Sie alle bei der ers-ten Lesung – von dem hohen Schutzniveau in Deutsch-land gesprochen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dassIhre Seite in diesem Haus hierzu am allerwenigsten ei-nen Beitrag geleistet hat.
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Sie haben die Eins-zu-eins-Umsetzung angesprochen.h bin da sehr zögerlich; denn ich halte das für eintück politische Selbstkastration.
ier hätte man schon etwas mehr machen können. Derundesrat hat 56 Änderungsanträge gestellt. Sie sind derundesregierung willig gefolgt, indem Sie nur dieunkte in Ihre Änderungsanträge übernommen haben, inenen sich Bundesrat und Bundesregierung einig waren.ie haben keine einzige Anregung aus der Anhörungbernommen, die qualitativ sehr gut besetzt war. Etwasehr Kreativität hätte ich von den Koalitionsfraktionenchon erwartet. Aber nach all dem, was ansonsten annsinn verbreitet wird, ist eine Eins-zu-eins-Umsetzungielleicht doch das Beste für die deutsche Landwirt-chaft.
Wir sagen: Fortschritt ist möglich. Das Recht soll ein-cher, ökologischer und damit besser sein. Lassen Sieich kurz vier Punkte ansprechen.Erstens: Abstand zu Gewässern. In der Anhörung sindnterschiedliche pauschale Abstände genannt worden.er Bundesrat wollte 1 Meter – abgelehnt durch dieundesregierung. Vorgeschlagen wurden auch 3 Meter, Meter und 10 Meter Abstand. Wir hielten – ich sageas bewusst – 3 Meter für opportun, um eine ganzeeihe von Pflanzenschutzmitteln in dieses Regelwerkufzunehmen. Das wäre ein Beitrag zur Entbürokratisie-ng gewesen.Dass das Thema „Eintrag in Gewässer“ nach wie vorehr wichtig ist, zeigt ein Beispiel: Im Oktober hat daselmholtz-Zentrum für Umweltforschung eine Untersu-hung veröffentlicht, für die europaweit 750 000 Gewäs-eranalysen ausgewertet wurden. 73 chemo-organischeerbindungen sind als potenziell prioritäre Schadstoffeentifiziert worden, zwei Drittel davon waren Pestizide.
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Gustav Herzog
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist für uns einAlarmzeichen, dass wir uns intensiv darum zu kümmernhaben.
Zweitens. Die gute fachliche Praxis darf nicht nur alsInhalt einer schönen Broschüre des Ministeriums verteiltwerden, sondern muss als verbindliches Regelwerk, alsVerordnung festgeschrieben werden.Dritter Punkt. Hier geht es um eine, wie ich finde,sehr gute Anregung aus der Industrie. Sie müssen sichvorstellen: Die Behälter, in denen sich die Pflanzen-schutzmittel befinden – das sind hochgiftige, konzent-rierte Substanzen –, werden nicht immer und überall dortzurückgegeben, wo sie anständig entsorgt werden; siekönnen auch einmal im Gelben Sack landen. Was heißtdas für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Sor-tierwerken, in denen die Kunststoffe sortiert werden?Was heißt es, wenn Reste von Pflanzenschutzmitteln andem Kunststoff haften bleiben und aus dem recyceltenKunststoff zum Beispiel Kinderspielzeug hergestelltwird? Ich sage: Bei solchen wirklich gefährlichen Sub-stanzen ist es sinnvoll, sie sicher zu entsorgen. Sie sindunserer Anregung nicht gefolgt. Schade!Vierter Punkt. In der Frage der Pflanzenstärkungsmit-tel sind Sie uns aber gefolgt. Herr Kollege Bleser, jetztmuss ich Sie als Staatssekretär doch einmal loben.– Jetzt, wo ich ihn lobe, hört er nicht zu. –
Herr Bleser hat eine erneute juristische Prüfung im Hausveranlasst. Das Ministerium ist zur Einschätzung ge-kommen, dass es doch möglich ist, die Pflanzenstär-kungsmittel weiterhin mit einer geeigneten Kennzeich-nung in den Vertrieb zu bringen. Dafür möchte ich michbedanken. Ich glaube, das hilft einer Branche.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim NationalenAktionsprogramm zur nachhaltigen Anwendung vonPflanzenschutzmitteln unterscheiden wir uns wieder.Früher hieß es einmal „Pflanzenschutzmittelreduktions-programm“. Ich glaube, dieser Titel war angemessener.Da ist noch einiges zu tun. Wir werden Ihnen kritisch aufdie Finger schauen.Das Gesetz ist notwendig. Die Bundesregierung hatdie Vorgaben der Europäischen Union eingehalten. Siehaben nichts kaputtgemacht. Wir können dem Gesetzzwar nicht zustimmen, aber wir werden uns der Stimmeenthalten. Das gilt im Übrigen auch für den Entschlie-ßungsantrag der Grünen: Es gibt viel Übereinstimmung,aber auch ein paar Punkte, bei denen wir Ihnen nicht fol-gen können.
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Die Kollegin Christel Happach-Kasan ist die nächste
ednerin für die FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Die Rede von Gustav Herzog war nach demotto: Nicht kritisiert ist genug gelobt. Herzlichen Dankafür.
ir sind da in einigen Punkten auch gar nicht sehr weituseinander.
Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wird zwar im-er wieder kritisiert. Trotzdem wissen wir alle: Die Ver-raucherinnen und Verbraucher wollen Produkte, die freion Blattläusen sind, und Erdbeeren, die keinen Schim-el haben, weil sie keine Pilzvergiftung erleiden wollen.or diesem Hintergrund ist uns klar, dass wir in der mo-ernen Landwirtschaft, im Getreideanbau und im Ge-üse- und Obstanbau genauso wie im Ökolandbauflanzenschutzmittel brauchen; das ist unverzichtbar.ies möchte ich festhalten. Gleichzeitig sind wir alle iniesem Hause uns einig, dass wir natürlich eine Mini-ierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln wol-n, weil wir die Natur schonen und schützen wollen. Ichlaube, auch jeder Landwirt ist sich bewusst, dass esichtig ist, nur einen sehr maßvollen Einsatz von Pflan-enschutzmitteln zu betreiben, weil dieser nämlich ex-em teuer ist.Mit dem heute eingebrachten Entwurf eines Gesetzesur Neuordnung des Pflanzenschutzrechtes setzen wirwei Verordnungen und zwei Richtlinien der EU in na-onales Recht um. Diese Verordnungen und Richtlinientammen aus dem Jahre 2009; das Ziel ist die Harmoni-ierung der Zulassungen in der EU.
Lieber Kollege Herzog, es gibt andere Richtlinien underordnungen, für deren Umsetzung Rot-Grün eineneutlich längeren Zeitraum gebraucht hat; ich glaube,as können wir gemeinsam festhalten.
Ein Ziel ist, dabei Wettbewerbsverzerrungen zu ver-eiden. Denn uns allen ist klar: Es ist nicht sehr glaub-
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Dr. Christel Happach-Kasan
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würdig, wenn ein Landwirt in Niedersachsen ein Pflan-zenschutzmittel nicht anwenden darf, wenn nebenan,hinter der Grenze zu den Niederlanden, der Einsatzdurchaus erlaubt ist.
– Oder umgekehrt; das ist ein Punkt, den ich sehr gerneaufnehme.
Wir sind uns auch darüber einig, dass neue Pflanzen-schutzmittel in aller Regel besser sind als alte, dass es inder Regel einen Entwicklungsfortschritt gibt. Insofern istes gut, wenn wir die Forschung und die Entwicklungneuer Pflanzenschutzmittel unterstützen. Deswegen ha-ben wir uns entschieden, in § 20 des Gesetzentwurfs öf-fentliche Labore und öffentlich zertifizierte Laboregleichzusetzen, wenn sie eine Anzeige über den Versuchan das BVL geben und mitteilen, welchen Versuch sieunternehmen wollen.Wir haben ein relativ kompliziertes Gesetz geschaf-fen; das muss man deutlich sagen. Die Zulassung neuerPflanzenschutzmittel erfolgt durch das Bundesamt fürVerbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Es hatim Benehmen mit dem RKI und dem BfR und im Ein-vernehmen mit dem Umweltbundesamt zu handeln; Kol-lege Herzog hat sich dazu schon geäußert.
– Zutreffend geäußert, sehr richtig. – Im Verfahren gabes 50 Anträge der Bundesländer. Die Hälfte haben wirübernommen.Kollege Herzog, hinsichtlich der Behälter sollte manFolgendes zur Kenntnis nehmen: Neben den gesetzli-chen Regelungen gibt es auch eine handelnde Zivilge-sellschaft. Ich erinnere mich sehr gut daran, dass einigePflanzenschutzunternehmen diese Behälter eingesam-melt haben. Das scheint mir eine besonders sinnvolleRegelung zu sein, damit sie nicht wieder in die Entsor-gung kommen.
– Das mag so sein. Trotzdem freue ich mich, wenn Un-ternehmen eigenverantwortlich handeln.
Weitere Änderungen haben wir beim Parallelhandelvorgenommen, weil wir uns beim Thema „kriminellesHandeln“ einig sind. Wir haben hier eine Strafbeweh-rung geschaffen.Lassen Sie uns auch das Thema Gewässerabstand be-handeln. Man braucht sich nur anzuschauen, was beimAteGuzäkuPjäddwLhVddduisnmLRd2ddsnbmWAcdlefüSUWNruG
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16540 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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Alexander Süßmair ist der nächste Redner für die
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kei-
ner von uns will Rückstände von chemischen Pflanzen-
schutzmitteln im Salat mitessen, und keiner von uns will
in einen Apfel beißen, aus dem er von einem Wurm an-
gelächelt wird. Genau in diesem Dilemma befinden wir
uns beim Thema Pflanzenschutzmittel.
Pflanzenschutzmittel bewahren die Erträge aus Gar-
ten und Ackerbau vor Schaden. Der Einsatz von Dünge-
und Pflanzenschutzmitteln trägt zur betriebswirtschaft-
lichen Effizienz und zu höheren Erträgen der landwirt-
schaftlichen Produktion bei. Aber betriebswirtschaftli-
che Effizienz bedeutet auch die Spezialisierung auf nur
wenige Anbaukulturen und damit die Ausbreitung von
Monokulturen. Das hat zur Folge, dass viele Pflanzen
anfälliger für Schädlinge werden. Deshalb werden mehr
Pestizide gespritzt, und die Umwelt wird stärker belastet.
Genau das ist der Konflikt zwischen Ökonomie und
Ökologie, der durch den Wunsch nach ständigem
Wachstum verstärkt wird.
Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass es einen eindeuti-
gen Zusammenhang zwischen dem Verlust an Tier- und
Pflanzenarten in der Natur und der Intensivierung der
landwirtschaftlichen Erzeugung gibt.
Die Anhörung im Ausschuss für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz hat alle Fehler des vorlie-
genden Gesetzentwurfs auf den Tisch gebracht. Mit die-
sem Gesetzentwurf wird es keine Verbesserung beim
Gewässerschutz geben, das steht jetzt schon fest. Hätten
Sie den Willen der EU umgesetzt, wären konkrete gesetz-
liche Vorgaben im Gesetz die Folge gewesen. Aber das
Gegenteil ist der Fall. In Ihrem Gesetzentwurf ist zum
Beispiel kein Mindestabstand zu Gewässern bei der An-
wendung von Pflanzenschutzmitteln enthalten. Wasser-
und Naturschutzgebiete hätten berücksichtigt werden
müssen. Sie werden aber nicht berücksichtigt. Das ist für
uns nicht akzeptabel.
Pestizide schädigen nicht nur Pflanzen und Tiere,
sondern auch uns Menschen. Menschen verbringen be-
sonders viel Zeit in Gärten und sind eng mit der Natur
verbunden. Deshalb kann nicht jedes Mittel, das für den
Acker zugelassen ist, für den Schrebergarten genehmigt
werden. Besonders in diesem Bereich möchten wir Ar-
tenvielfalt bewahren. Die Menschen sollen sich sicher
erholen und Kinder gefahrlos spielen können.
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ir sind der Meinung: Pflanzenschutzmittel mit hohem
isiko gehören nicht in den Garten.
Wird der vorliegende Gesetzentwurf zum Pflanzen-
chutz den heutigen Anforderungen an eine nachhaltige
nd umweltgerechte Agrarwirtschaft gerecht? Wir mei-
en, nein. Mit Ihrem Gesetzentwurf zum Pflanzen-
chutzrecht wird die Chance verspielt, klare Vorgaben zu
achen und einen Schritt zum Erhalt der biologischen
ielfalt zu tun. Heute wird wieder einmal deutlich, wer
nen die Feder für den vorliegenden Gesetzentwurf ge-
hrt hat, nämlich eine Lobby aus Landwirtschafts- und
grarindustrie. Dafür spricht auch, dass Naturschutz-,
asserwirtschafts- und Umweltverbände den Gesetzent-
urf für ein Feigenblatt zugunsten der Agroindustrie
alten. Damit haben Sie von der Koalition wieder einmal
ie Gelegenheit verpasst, eine nachhaltige Lösung im
inne des Schutzes von Umwelt, Natur und Mensch zu
nden.
ie Linke wird deshalb den Gesetzentwurf ablehnen.
Danke.
Nächster Redner ist der Kollege Harald Ebner, Bünd-
is 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Die Kolleginnen und Kollegen von der Koali-on haben hier und auch gestern im Ausschuss viel vonarmonisierung, beschleunigter Zulassung und Parallel-andel gesprochen. Das hört sich für mich fast so an, alsb der vorliegende Gesetzentwurf vor allem die Pro-leme der Industrie lösen soll. So kann man natürlich anin Gesetz herangehen – das erwarte ich schon fast voner Koalition –, man kann aber auch die Probleme derenschen und der Umwelt lösen wollen. Da muss derlick über den Ackerrand hinausgehen.
Wir finden heute im Blut von Eisbären in der Arktisückstände von Pflanzenschutzmitteln und deren Meta-olite. Die WHO hat 1990 aufgehört, die Fälle der jährli-hen akuten Pestizidvergiftungen von Menschen zu zäh-n. Damals war man bei 3,5 bis 5 Millionen Fällen proahr angelangt. Das heißt, die Stoffe gelangen in die hin-
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Harald Ebner
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tersten Winkel der Welt und entfalten auch dort ihre Wir-kung, wo wir es längst nicht mehr brauchen. Das ist dieProblemlage.Weil es eben nicht um harmlose Substanzen geht– wir reden hier über Pestizideinsatz –, muss ein moder-nes Pflanzenschutzgesetz zum Ziel haben, den Einsatzvon Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren und diejenigen,die dennoch angewandt werden, vor ihrer Zulassung zu-verlässig und umfassend auf ihre Risiken für Menschund Umwelt zu prüfen.
Dass dies gegenwärtig nicht in ausreichendem Maß derFall ist, zeigen die zahlreichen Fälle der erst viel zu späterkannten Gefährlichkeit von Pestiziden: in der Vergan-genheit bei Atrazin oder aktuell bei Glyphosat und Tal-lowaminen. Weil in Ihrem Gesetzentwurf das Ziel der ef-fektiven Reduktion gar nicht zu finden ist und auch dasZiel einer wirklichen Risikovorsorge nicht zufriedenstel-lend angegangen wird, kann die Novelle nicht mit einpaar Änderungen geheilt werden.Welche Kernpunkte muss ein modernes Pflanzen-schutzgesetz abdecken? Diese Punkte haben wir in unse-rem Entschließungsantrag aufgeführt: Das beginnt beieiner gründlichen Zulassungsprüfung, die im Interessevon Verbrauchern, Landwirtschaft und Umwelt auf denErgebnissen einer unabhängigen Risikoforschung basie-ren muss. Das Gegenteil ist heute der Fall. Es darf nichtweiter so sein, dass sämtliche Daten für die Zulassungvon Pestiziden von den Herstellern dieser Mittel selberstammen.
Gerade hier gilt: „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ undnicht umgekehrt. In Ihrem Gesetzentwurf fehlt sogareine verbindliche Definition der guten fachlichen Praxis;das hat Herr Herzog schon dargestellt. Es fehlen Anga-ben über die Abstände zu Gewässern. Wir wollen einenMindestabstand von 5 Metern und spezifische Risiko-minderungsmaßnahmen. Die Haus- und Kleingärtenwurden vom Kollegen Süßmair schon angesprochen;hier sind wir ganz auf einer Linie.Die Ökobauern wollen ihre Pflanzen stärken, stattSchädlinge und Nützlinge zu vergiften. Deshalb brau-chen wir längere Übergangsfristen bei der Zulassungvon Pflanzenstärkungsmitteln. Ja, Herr Kollege Gerig,da haben Sie völlig recht, aber Sie haben sich im Gesetz-entwurf nicht zu einer richtigen Lösung durchringenkönnen. Aber was will man von dieser Bundesregierungschon erwarten, wenn Staatssekretär Bleser schon beimWort „Ökolandbau“ eine „Stimmhemmung“ hat, wiegestern nach eigenem Bekunden im Ausschuss gesche-hen.
Ich komme langsam zum Schluss. Wir waren schoneinmal wesentlich weiter auf dem Weg zu einer umwelt-verträglichen und nachhaltigen Landwirtschaft. Nach2005 kam leider ein Rollback. Aus dem Reduktionspro-gtissdFwDwcmisgLahnZkDliteCvwliEPPtupasws
Sie legen zum wiederholten Male einen Gesetzent-urf vor, der zwar vorgibt, dass im Sinne von Verbrau-hern und Umwelt gehandelt wird, in Wahrheit folgtan aber den Interessen einer Lobbygruppe. Die Fraget doch, welche Landwirtschaft wir wollen: Eine billi-ere oder eine bessere?
Wir wollen eine nachhaltige, zukunftsorientierteandwirtschaft, die Umwelt und biologische Vielfalt,lso unsere Lebensgrundlagen, auf Dauer schützt und er-ält, statt sie zu vergiften. Dafür müssen wir immer we-iger Pestizide einsetzen, und das immer sicherer. Dieseielsetzung fehlt in Ihrem Gesetzentwurf leider voll-ommen.Danke schön.
Lieber Kollege Ebner, das war Ihre erste Rede im
eutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gratu-
ere, verbunden mit allen guten Wünschen für die wei-
re Arbeit.
Nun hat der Kollege Max Lehmer das Wort für die
DU/CSU-Fraktion.
Danke. – Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehrerehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Ich begrüßeie Sie alle und wie meine Vorredner die Ziele des vor-egenden Gesetzentwurfs, welcher der Umsetzung desU-Pflanzenschutzpaktes dient. Ich unterstütze, auch alsraktiker, ausdrücklich die weitere Harmonisierung derflanzenschutzmittelzulassungen und der Gewährleis-ng eines hohen Schutzniveaus in der gesamten Euro-äischen Union.Bei der Umsetzung des Gesetzes in die Praxis mussber noch auf einige unbürokratische Lösungen für un-ere Landwirte geachtet werden. Herr Herzog, da habenir sicher noch einige Hausaufgaben zu machen. So be-teht zum Beispiel bei der Frage der TÜV-Fristen, also
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Dr. Max Lehmer
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bei der technischen Prüfung von Spritzgeräten, nochHandlungsbedarf.
– Nein. Darüber reden wir separat noch einmal. Darüberkönnen wir gerne diskutieren.Allgemein ist zu sagen, dass die Regelungen inDeutschland ein hohes Niveau haben und die EU-Vorga-ben übertreffen, was der Sicherheit der Verbraucher, aberauch der Umwelt und der Wettbewerbsfähigkeit unsererLandwirtschaft dient. Gleiches gilt für die hohe Sach-kunde unserer Anwender.Ich kann es mir nicht verkneifen, eines an die Adresseeiniger meiner Vorredner zu richten: Sie müssen sichdringend einmal mit den zehnjährigen Zulassungsprü-fungen für ein Präparat befassen.
Sie müssen einmal sehen – ich wende mich insbesonderean meinen Vorredner –, welche Prüfungen in ökotoxiko-logischer, toxikologischer, human- und umwelttoxikolo-gischer Hinsicht und zur Wassergängigkeit durchgeführtwerden müssen. So ein Prozess dauert zehn Jahre undkostet 250 Millionen Euro. Ich sage Ihnen das nur.Alles, was Sie erst bei der Anwendung verlangen,wird schon vorher in weiten Bereichen – Herr Herzogweiß das – geprüft. Dass trotzdem – das gilt im Straßen-verkehr genauso wie bei allen Anwendungen von Präpa-raten und Produkten – bei Anwendungen Unregelmäßig-keiten auftreten und Fehler passieren, die nachhaltig zuvermeiden sind, ist unstrittig. Aber Sie können uns nichtvorwerfen, man sei zugunsten der Agrarlobby und derIndustrie bei der Zulassung von Präparaten großzügig.Das ist doch Unsinn pur.
Erlauben Sie mir, bei dieser Gelegenheit auf einigegrundsätzliche Aussagen zu Pflanzenschutzmitteln ein-zugehen. In der Tat, Herr Herzog, geht Pflanzenschutzuns alle an; das ist aber leider nicht allen bewusst. Da-rum möchte ich auf ein paar Punkte zu sprechen kom-men, die vor allen Dingen den Verbraucher angehen.Pflanzenschutz ist und bleibt ein wichtiger Bestandteilmoderner Produktionstechnik; daran gibt es für mich inder Landwirtschaft keine Zweifel. Eines darf man unsnicht vorwerfen: Wir sind längst über das Prinzip „Vielhilft viel“ hinaus. Ich bin jetzt seit 50 Jahren gelernterLandwirt. Am Anfang konnte man die Mittel vielleichtnicht so genau dosieren; dies lag auch an der Technik.Schon seit vielen Jahren werden anspruchsvolle Pro-gnose- und Diagnosemodelle als Entscheidungsgrund-lage für Pflanzenschutzmaßnahmen in der Praxis viel-fach genutzt.Für nahezu alle Anwendungssegmente werden soge-nannte Schadschwellen definiert, wodurch sichergestelltwwdsdemteadfainnaaöbtisAFdddzhSsvPSsQK–ev
ls auch der Umwelt, indem nur die unbedingt notwen-ige Menge an Präparaten eingesetzt wird. Ein derartchkundiger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, wie er der Praxis gängig ist, hat auch dazu geführt, dass nuroch in Ausnahmefällen Rückstände in Ernteproduktenus deutscher Produktion gefunden werden, die aber inller Regel keine toxikologische Relevanz erreichen.Pflanzenschutz – das bedauere ich sehr – wird in derffentlichen Wahrnehmung allgemein mit großer Skepsisegegnet. Gespräche mit Bürgern bestätigen eine sehr kri-sche Einstellung gegenüber dem chemischen Pflanzen-chutz – das muss man konstatieren –, welche meineruffassung nach – ich bin in der Diskussion immer an derront – einem verbreiteten Informationsdefizit geschul-et ist. Dies liegt meines Erachtens unter anderem aucharan, dass viele Kritiker des Pflanzenschutzes – auchas haben wir heute wieder gehört – Begriffe wie „Pesti-ide“ und bösartige Worte, die negative Assoziationenervorrufen sollen, verwenden.
ie nehmen woanders auch nicht englische Begriffe. Wirollten über Pflanzenschutzmittel sprechen.
Der Begriff „Pflanzenschutzmittel“ kommt der Sacheiel näher als „Pestizid“.
flanzenschutzmittel haben die Aufgabe, Pflanzen vorchädlingen, Krankheiten und Konkurrenzpflanzen zuchützen; sonst wären weder Ertrag noch Menge nochualität erreichbar. Sie werden zum Schutz gegenrankheiten und Schädlinge eingesetzt.
Ach, Frau Kollegin, Sie sind doch auch Agrarexpertin!
Letztlich geht es beim Pflanzenschutz darum, Ernte-rträge zu sichern und die zum Teil erheblichen Ertrags-erluste durch Pilzerkrankungen und Schädlinge zu ver-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16543
Dr. Max Lehmer
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meiden. Es geht nicht immer darum, Erträge zu steigern,sondern darum, Schäden und Verluste zu minimieren.
Herr Kollege.
Pflanzenschutzmittel leisten daher einen wichtigen
Beitrag zur Ernährungssicherung und durch die Erzeu-
gung gesunder und befallsfreier Ernteprodukte auch zur
gesunden Ernährung.
Wichtig ist ein Fall, den ich Ihnen schildern möchte.
Nein, Herr Kollege, das wird jetzt nicht mehr gehen,
weil wir schon deutlich über die vorgesehene Zeit sind.
Ich bin gleich fertig. Ein Beispiel sei mir noch er-
laubt, Herr Präsident. – Es geht auch um die Bekämp-
fung humantoxischer Stoffe, wie sie zum Beispiel durch
Fusarien, also Schimmelpilze, im Getreide gebildet wer-
den. Schließlich haben wir durch eine Mykotoxin-
Höchstmengenverordnung dazu beigetragen, die Men-
schen vor Schaden durch dieses natürliche Gift zu schüt-
zen. Dies zeigt, dass auch natürliche Gifte erhebliche
Probleme mit sich bringen. Ein geordneter Pflanzen-
schutz, der Ökologie, Ökonomie und den Menschen
schützt, ist unabdingbar.
Vielen Dank.
Ja. Das war in der Tat der Zuschlag, den ich auch an-
deren Kollegen einmal im Leben aus Anlass des 65. Ge-
burtstages hiermit förmlich in Aussicht stelle.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neu-
ordnung des Pflanzenschutzrechtes. Der Ausschuss für Er-
nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der
Drucksache 17/7671 , den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf den Drucksachen 17/7317 und 17/7369
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzent-
wurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
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Nein, es schadet überhaupt nicht. Im Gegenteil: Ge-
de der Blick aus einer anderen Perspektive tut dem
inden sachgerechter Lösungen meistens gut.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu gibt
s offenkundig keine Meinungsverschiedenheit. Dann
önnen wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
ollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/
ie Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir habenns entschieden, diesen Antrag hier und heute ins Ple-um einzubringen, weil wir davon überzeugt sind, dasss nicht nur in der Gesellschaft eine riesengroße Mehr-
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16544 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Brigitte Pothmer
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heit für einen Mindestlohn gibt, sondern dass es dieseMehrheit in Wahrheit auch in diesem Parlament gibt. Esgibt eine Mehrheit dafür, Lohndumping zu stoppen undfaire Wettbewerbsbedingungen durchzusetzen.Wir haben ganz bewusst darauf verzichtet, in diesenAntrag Maximalforderungen zu schreiben. Wir betonennicht das Trennende. Wir betonen die Gemeinsamkeiten,die sich herauskristallisiert haben. Wir haben deswegenauch darauf verzichtet, in unserem Antrag bereits dieHöhe des Mindestlohnes festzulegen. Wir wollen, dass dieHöhe des Mindestlohns von einer Mindestlohnkommis-sion festgesetzt wird und dass diese Mindestlohnkommis-sion bei der Festsetzung der Höhe des Mindestlohns auchdie sozialen und wirtschaftlichen Anforderungen be-rücksichtigt.Meine Damen und Herren von der Unionsfraktion,wenn ich Ihre Anträge für den Bundesparteitag, IhreStellungnahmen der letzten Tage und Wochen und dasberücksichtige, was hier heute gesagt worden ist, dannkomme ich zu dem Schluss, dass wir selbst Sie mit unse-rem Antrag nicht überfordern.
Wo ist eigentlich Herr Weiß? Herr Weiß hat heute hierim Rahmen der Aktuellen Stunde nämlich gesagt, dieCDU sei die Partei des Mindestlohnes.
Herr Weiß, jetzt ist die Stunde der Wahrheit gekommen.
Sie können das unter Beweis stellen und zeigen, dass Sienicht nur große Reden halten können, sondern dass Sieauch in der Lage sind, diesen Reden Taten folgen zu las-sen und das in Ihrer Partei und Ihrer Fraktion auchdurchzusetzen.
Ich sage Ihnen: Sie müssen sich jetzt einmal entschei-den,
ob Sie weiterhin wollen, dass 3,4 Millionen Menschennach getaner Arbeit mit weniger als 7 Euro pro Stundenach Hause gehen. Sie müssen sich entscheiden, ob SieLohngerechtigkeit wirklich wollen, und zwar für alle,unabhängig davon, ob sie für Hungerlöhne aufgrund ei-nes Tarifvertrages oder für Hungerlöhne außerhalb vonTarifverträgen arbeiten. Sie müssen sich entscheiden, obSie weiterhin Lohndumping zulassen oder faire Wettbe-werbsbedingungen durchsetzen wollen.erudkeenaBnHassagdfrinßledBnedM
Peter Tauber von der CDU/CSU-Fraktion ist der
ächste Redner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meineerren! Es ist nach der Aktuellen Stunde das zweite Malm heutigen Tage, dass wir über das Thema Mindestlohnprechen.
Sie müssen damit leben: Wir halten uns an demokrati-che Spielregeln. Es ist normalerweise so, dass man erstuf einem Parteitag diskutiert und dann in ein Parlamenteht, um dort Entscheidungen zu treffen. Vielleicht istas bei Ihnen anders, aber wir machen das so, und wireuen uns natürlich, dass die innerparteilichen Debatten der Union bei Ihnen auf ein so großes Interesse sto-en.
Ich muss Sie allerdings ein bisschen aufklären. Viel-icht beschäftigen Sie sich nicht intensiv genug mitem, was die Union bei diesem Thema umtreibt. Einlick in unser Grundsatzprogramm hilft. Ich möchte Ih-en gerne zwei Abschnitte daraus vorlesen, die ich Ihnenxtra mitgebracht habe.
Der erste Abschnitt lautet:Unser Leitbild für Deutschland ist die Chancenge-sellschaft, in der die Bürger frei und sicher leben.
Sie steht für Respekt vor Leistung und Erfolg. Undwir wollen die soziale Verankerung in die gesell-schaftliche Mitte auch für jene, die bisher davonausgeschlossen sind.
Jetzt können Sie aufschreien und sagen: Super, genaueswegen muss die Union jetzt ja für einen gesetzlichenindestlohn sein.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16545
Dr. Peter Tauber
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So einfach ist es nicht. Sie werden es nicht erleben, dassdie Union in einen Bieterwettstreit um den möglichsthöchsten gesetzlichen Mindestlohn eintritt, nach demMotto: Immer zweimal mehr als du.
Das ist keine Lösung für die Probleme.Dass wir das so sehen, liegt an einem weiteren Satz,den Sie so wahrscheinlich in der Tat nur in unserem Par-teiprogramm und nicht in Ihrem finden. Er lautet:Die Einsicht in die Fehlbarkeit des Menschen be-wahrt uns vor der Gefahr, Politik zu ideologisieren,und zeigt uns die Grenzen der Politik auf.Genau das tun Sie beim Thema Mindestlohn natürlichseit langer, langer Zeit. Sie ideologisieren
und verschieben die Grenzen der Politik in einen Be-reich, in dem wir uns tunlichst zurückhalten sollten;denn auch das ist eben eine Lehre aus den ersten 60 Jah-ren der Bundesrepublik Deutschland: Der Erfolg der so-zialen Marktwirtschaft ist maßgeblich auf der Grundlageder Tarifautonomie aufgebaut worden. Da hat sich diePolitik aus dem einen oder anderen herauszuhalten.
Ludwig Erhard hat recht. Er hat einmal den schönenSatz gesagt: Die Sozialdemokraten habe ich schon 1948als Nachtwächter bezeichnet. Sie sind es bis zum heuti-gen Tage geblieben. – Das gilt unverändert fort, dennnachdem 1987 – hören Sie gut zu; ich glaube, das hat Ih-nen der Kollege Weiß heute auch schon erklärt – dererste branchenspezifische Mindestlohn eingeführt wor-den ist, sind seitdem zehn weitere Branchen gefolgt. Undman höre und staune: Jedes Mal war ein ChristdemokratBundeskanzler. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.Deswegen brauchen wir da keine Nachhilfe.
Jetzt kann man fragen: Was haben Sie eigentlich ge-macht? Auch Sie haben einmal regiert.
– Auch mit uns zusammen. – Dabei haben wir mit einerchristdemokratischen Kanzlerin den einen oder anderenbranchenspezifischen Mindestlohn eingeführt.
Sie haben in Ihrer Regierungszeit andere Dinge ge-macht. Sie haben auch ohne Mindestlohn 5 MillionenArbeitslose erreicht. Sie haben Griechenland in dieEuro-Gruppe aufgenommen. Sie haben die Maastricht-KsmGSseMkfüvDSwbZgnbu–cjee–gd–teSknnMte
ie haben am Ende ein Finanzmarktförderungsgesetz be-chlossen, anstatt sich um das zu kümmern, was Sie jetztinfordern.Ich möchte einmal das vorlesen, was Franzüntefering damals gesagt hat. Er hat zum Beispiel er-lärt, es sei darauf zu achten, dass unnötige Belastungenr die Unternehmen der Finanzdienstleistungsindustrieermieden werden. Regulierung sei kein Selbstzweck.ie Bundesregierung solle weitere Maßnahmen zurchaffung eines leistungsfähigeren, international wettbe-erbsfähigen Verbriefungsmarktes prüfen. Und Sie ha-en Derivate, Hedgefonds etc. zugelassen.
Dass Sie bei diesen politischen Entscheidungen keineeit hatten, einen branchenspezifischen oder gar einenesetzlichen Mindestlohn einzuführen, das mag Ihnenachgesehen werden. Sie hatten in der Tat ein volles Ar-eitsprogramm. Aber uns hier vorzuwerfen, wir seienntätig gewesen, das schlägt dem Fass den Boden aus.
Nein, das sind wir eben nicht. – Wir haben elf bran-henspezifische Mindestlöhne eingeführt. Wir redentzt darüber, eine Lohnuntergrenze dort einzuführen, wos keinen tariflichen Lohn gibt.
Für Sie reicht es intellektuell immer noch, Frau Kolle-in. Ganz ehrlich: Diese Bemerkung kann ich mir nachiesem Zwischenruf nicht verkneifen.
Herr Heil, auch da gilt das, was ich Ihrer Kollegin ges-rn gesagt habe: Wer schreit, hat unrecht.
ie können sich zu einer Zwischenfrage melden. Sieönnen weiter toben. Aber trotzdem werde ich michicht auf Ihr Niveau in der Debatte herablassen. Da kön-en Sie ruhig weiterschreien.
Es bleibt dabei: Wir haben elf branchenspezifischeindestlöhne eingeführt. Wir streiten für eine Lohnun-rgrenze, die genau dies leisten soll. Dass sich die Tarif-
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Dr. Peter Tauber
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partner, also starke Gewerkschaften gemeinsam mit Un-ternehmern, die sozialverantwortlich handeln, daraufverständigen, das ist soziale Marktwirtschaft.
Wir brauchen beide Seiten: starke Gewerkschaften undsozialverantwortlich handelnde Unternehmer.Das hat in der Vergangenheit gut funktioniert. Diesegesellschaftlichen Kräfte müssen wir stärken. Wir dürfennicht glauben, dass wir das in einem Bieterwettbewerbin der Politik besser machen. Dabei bleibt es. Das wer-den Sie am Montag und am Dienstag auf dem Bundes-parteitag der Union mitverfolgen können.
Ich lade Sie dazu herzlich ein. Der Lerneffekt kommtmanchmal bei der Wiederholung.
Insofern ist es gut, dass Sie zugehört haben.Herzlichen Dank.
Gabriele Lösekrug-Möller ist die nächste Rednerin
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Viele im Bundestag kennen
das Struck’sche Gesetz. Das heißt: Kein Gesetz verlässt
das Parlament so, wie es eingebracht wurde. Dieses Ge-
setz zeigt, wie kraftvoll ein Parlament ist.
Kennen Sie das Merkel’sche Gesetz? Es lautet: Je ve-
hementer etwas abgelehnt wird, desto sicherer kommt es
dann. Das haben wir beim Atomausstieg gesehen. Das
haben wir bei der Abschaffung der Wehrpflicht erlebt.
Auch beim Schuldenschnitt für Griechenland kam dieses
Gesetz zum Tragen.
Ich frage Sie: Wie lange müssen wir jetzt warten, bis das
Merkel’sche Gesetz in Sachen Mindestlohn kommt?
Ich sage Ihnen: Jeder Tag, der untätig vergeht, ist ein
verlorener Tag für 1,6 Millionen Menschen, die hart ar-
beiten, vollschichtig erwerbstätig sind und trotzdem am
Ende nicht von ihrer Hände Arbeit leben können. Sie
finden nicht, dass es ein Witz ist, wenn der Kollege Weiß
heute sagt: „Mindestlöhne sind das Markenzeichen der
CDU.“ Herr Kollege Weiß, darüber mögen Sie lachen
können und sich freuen. Die Menschen, die am Ende des
Monats nicht genug Geld haben, empören sich darüber.
Denn sie fühlen sich in ihrer Lebenssituation nicht ver-
standen.
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nd bei der anderen handelt man. Können Sie mir bestä-
gen, dass wir in Deutschland auf Vorschlag der Tarif-
artner mittlerweile in zehn Branchen Mindestlohnrege-
ngen haben,
ass diese zehn Mindestlöhne für über 4 Millionen Be-
chäftigte in Deutschland allesamt unter der Kanzler-
chaft von Helmut Kohl und Angela Merkel in Kraft ge-
etzt worden sind und dass unter der Kanzlerschaft von
erhard Schröder kein einziger Mindestlohn in Kraft ge-
etzt worden ist und somit in der Kanzlerschaft eines so-
ialdemokratischen Kanzlers, um mit Ihren Worten zu
prechen, eine besondere Zuneigung zu Menschen im
iedriglohnbereich offensichtlich nicht geherrscht hat?
Darauf antworte ich Ihnen besonders gerne, Herr Kol-ge Weiß. Denn wir haben viel gemeinsame Zeit imachausschuss verbracht, und meine Antwort lautet: Esibt nur eine gute Politik, und zwar die, bei der Wort undat zusammenfallen. Das vermisse ich bei der CDU/SU.
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Gabriele Lösekrug-Möller
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Wir haben all diese Lösungen organisiert – hören Siemir schön zu! –, weil es mit Ihnen nicht möglich war, ei-nen gesetzlichen Mindestlohn durchzubringen.
Zur Wahrheit gehört doch, dass Sie sich über Jahre hin-weg hinterher die Zähne geputzt haben, wenn Sie dasWort „Mindestlohn“ in den Mund nehmen mussten. Wirsind zum Glück ein Stückchen weiter und sagen: Ja, wirwollen jede Hilfe geben, die möglich ist.Mehr war nicht drin. Wir sagen: Das reicht uns nicht.Auch die Gewerkschaften sagen: Das war in Ordnung,aber wir wollen mehr. Das wollen wir mit der Mehrheitin Deutschland.Ich bin fertig mit der Beantwortung der Frage.
– Falsch. Sie haben die Chance, das im Protokoll nach-zulesen. Dann werden Sie sehen, dass ich Ihnen sehrkorrekt geantwortet habe.Ich wünsche mir, dass auch bei Ihnen Handeln undReden zusammenfallen. Denn das haben die vielen Men-schen, die immer noch auf einen ordentlichen Lohn war-ten, verdient. Es reicht nicht aus, wenn man Tarifab-schlüsse mit Löhnen hat, die unter dem liegen, was zumLeben reicht. Wir haben heute Morgen lange darüberdiskutiert. Auch diesen Menschen wollen wir helfen. Siewürden nämlich nicht mit der Lösung klarkommen, dieSie vorschlagen.
Sie müssen bei der Wahrheit bleiben: Am Ende wäreIhr Vorschlag ein Flickenteppich. Damit könnte mannoch leben, auch wenn Herr Laumann sagt, 500 Lohnun-tergrenzen seien ein bisschen viel. Ich stehe sehr an sei-ner Seite. Aber das Allerschlimmste ist: Der Flickentep-pich hätte riesengroße Löcher. Das wollen wir in der Tatnicht hinnehmen.Es ist erwiesen, dass ein gesetzlicher Mindestlohn gutfür Deutschland insgesamt ist. Deshalb finden wir denAntrag der Grünen, den wir jetzt diskutieren, ausge-zeichnet. Das ist errechnet worden. Frau Kramme hatdas heute Morgen im Plenum belegt. Es ist interessant,dass das Ministerium seit August auf Evaluierungser-gebnissen zu jenen Mindestlöhnen hockt, die wir immer-hin zustande gebracht haben; denn das waren nicht Sieallein, Herr Weiß, und auch nicht die CDU/CSU allein.Das Ergebnis dieser Evaluierung ist: Mindestlohn istgrundsätzlich richtig.Interessant ist, dass diese Ergebnisse uns als Parla-ment bis heute nicht vorliegen. Es gab ein unglaublichesGeeiere vom Staatssekretär Brauksiepe, der gerade die-sen Saal betritt. Wir haben eine Ausschusssitzung erlebt,in der es wirklich bitter zuging, nach dem Motto: DieElitewinndLdfüDsmgeAdSADh–wtearüsliaSrehammicin
Nächster Redner ist der Kollege Johannes Vogel für
ie FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!iebe Kollegin Pothmer, auch ich danke Ihnen, dass wirieselbe Debatte am gleichen Tag jetzt das zweite Malhren dürfen.
as ist eine ganz gute Gelegenheit, sich einmal anzu-chauen, wie Sie sich das vorstellen. Vielleicht erkenntan dann auch, dass die Befürchtungen, die wir haben,erechtfertigt sind.Ich will erst einmal an die Grundlage dieser Debatterinnern; denn sie geht bei den Diskussionen unter denrbeitsmarkt- und Sozialpolitikern immer unter. Wir re-en gerne über das deutsche Jobwunder. Darüber freuenie sich hoffentlich genauso wie wir: unter 3 Millionenrbeitslose, eine extrem niedrige Jugendarbeitslosigkeit.ie Frage ist ja: Kommt das von allein zustande, oderat das Gründe?
Nein. – Das hat natürlich Gründe, und zwar drei: Klar,ir haben enorme, innovative, wettbewerbsfähige Un-rnehmen in Deutschland.Ja, wir haben einen flexiblen Arbeitsmarkt. Bei vielennderen Debatten wird deutlich: Sie wollen gerne zu-ckdrehen, was Sie einmal erreicht haben. Darübertreiten wir gerne: über Befristungen, über andere Mög-chkeiten der Flexibilisierung. Wenn Sie etwa die Zeit-rbeitsregelungen kaputtmachen wollen, dann wollenie das kaputtmachen, was durch mehr Flexibilität er-icht worden ist.Aber zum Erfolg auf dem deutschen Arbeitsmarkt ge-ört eben auch die Tarifautonomie. Dazu gehört ebenuch, dass in Deutschland Arbeitgeber und Arbeitneh-er die Löhne vereinbaren. Und das ist gut so. Wennan die Tarifautonomie achtet, dann kann man, glaubeh, in Anerkennung, dass es in einzelnen Branchen und einzelnen Unternehmen natürlich Lohnprobleme gibt,
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Johannes Vogel
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die auch wir nicht wollen, nur zu dem Ergebnis kom-men: Wir gehen dreistufig vor.Der Regelfall ist: Die Tarifpartner bringen die Lohn-festsetzung ganz gut ohne die Politik zustande. Wenn dieTarifpartner einer Branche zu dem Ergebnis kommen,sie wollen einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlicherklärt haben, dann ist das möglich. Der Kollege Weißführt das immer wieder gerne aus – der Kollege Kolb hatdaran schon in den 90er-Jahren mitgewirkt –: Dann wer-den Branchentarifverträge in der untersten Lohngruppefür allgemeinverbindlich erklärt.
Dies haben wir in dieser Legislaturperiode schon in vie-len Branchen gemacht. Nächster Schritt: Selbst wenn esdann noch Probleme geben sollte, gibt es die letzte Auf-fanglinie – das Mindestarbeitsbedingungengesetz. Dasheißt, in Summe gibt es keinen Grund, diese Betrach-tung, die im Kern heißt: „Die Lohnfindung liegt in derHand der Tarifpartner und nicht hier im Deutschen Bun-destag“, zu verlassen.
– Ich gehe auf Ihren Antrag gleich noch ein, Frau Kolle-gin Pothmer.Hier wird immer wieder auf die Evaluation der Bran-chenmindestlöhne verwiesen.
Ich will noch einmal festhalten: Diese Evaluation mussvon der Bundesregierung nicht vorgelegt werden; viel-mehr haben die Koalitionsfraktionen die Regierung auf-gefordert, sie vorzulegen.
Deswegen gibt es auch keine Frist, bis zu der sie er-scheint. Wir werden sie in den nächsten Wochen nochausführlich diskutieren.Sie zitieren immer wieder aus den vorläufigen Ergeb-nissen, die in der Presse schon kursieren. Selbst bei die-sen vorläufigen Ergebnissen ist eines klar – das erwarteich auch –: Es ist überraschenderweise nicht allesschlecht, was wir gemacht haben. Noch etwas ist klar:Die Ergebnisse werden differenziert sein. Dann müssenaber auch die Lösungen differenziert sein. Warum Sieaus einer Evaluation von Branchenmindestlöhnen – dieTarifpartner haben die Lohnhöhe festgelegt – ableiten,wir könnten jetzt eine allgemeine Lohnuntergrenze fürganz Deutschland, für alle Branchen, für alle Altersgrup-pen festlegen, das werden Sie mir noch erklären müssen.
Den Grund kann ich nicht erkennen. Ich glaube, das wirdauch aus den Ergebnissen nicht abzuleiten sein. AberwRbtaJn–lesdlegmPzMebwaLhlinstuMZhkdmbnw
Herr Kurth, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wol-n: sehr gerne.
Gut. – Bitte schön, Herr Kurth. Sie dürfen eine Zwi-
chenfrage stellen.
Ich habe kurz auf meine Redezeit gesehen. Es ist mir
aher sogar sehr lieb, wenn Sie eine Zwischenfrage stel-
n.
Herr Vogel, Sie sagen, Sie könnten den Sinn einer all-
emeinen Lohnuntergrenze nicht erkennen. Stimmen Sie
ir zu, dass die Einschätzung Ihres Parteikollegen
ascal Kober, der auch hier sitzt, zutrifft, der – so wird er
umindest in der Welt von heute zitiert – sagte:
Unternehmen zahlen Niedrigstlöhne und wälzen
ihre Kosten so auf Steuer- und Beitragszahler ab.
einen Sie nicht, dass das ein hinreichender Grund ist,
ine allgemeine Untergrenze einzuführen?
Herr Kurth, sowohl der Kollege Kolb als auch ich ha-en Ihnen heute Morgen schon gesagt: Was wir nichtollen, ist, dass Unternehmer niedrigere Löhne zahlenls sie könnten. Niemand von uns wünscht sich niedrigeöhne. Nur, zur Wahrheit, Herr Kurth, gehört – auch dasaben wir heute Morgen nicht zum ersten Mal hinläng-ch diskutiert –: Zu niedrige Löhne, also Löhne, von de-en die Menschen nicht leben können, müssen ja Löhneein, zu denen die Menschen ergänzende Hartz-IV-Leis-ngen bekommen. Das betrifft in Deutschland 300 000enschen, die Vollzeit arbeiten. Die weit überwiegendeahl dieser Menschen stockt doch nicht wegen der Lohn-öhe auf, sondern weil sie eine große Familie haben. Wirönnen das gerne hundertmal diskutieren. Wir glauben,ass es eine sozialpolitische Errungenschaft ist, dass Fa-ilien unterstützt werden. Sie machen daraus ein Pro-lem der Lohnhöhe. Das ist es aber nicht.Es gibt nur wenige schwarze Schafe unter den Unter-ehmern, die zu niedrige Löhne zahlen. Dafür müssenir eine Lösung finden.
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Johannes Vogel
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Das ist genau das, was ich eben beschrieben habe. Nur,es muss doch eine Lösung sein, mit der das Kind nichtmit dem Bade ausgeschüttet wird und gleich die ganzenGrundlagen der deutschen Tarifautonomie aufgegebenwerden.
Deswegen kann es nur die dreistufige Lösung geben.Wenn die Tarifpartner das selber hinbekommen, bestehtkein Handlungsbedarf. Wenn die Tarifpartner keine Eini-gung erzielen, können wir Tarifverträge für allgemein-verbindlich erklären – das haben wir in großer Zahl ge-tan –, und als letzte Möglichkeit haben wir dasMindestarbeitsbedingungengesetz.Die Frage ist, warum es, wie Sie sagen, etwas darüberhinaus geben muss. Damit sind wir bei einer allgemei-nen Lohnuntergrenze. Ich kann aus Ihren Anträgen derletzten Jahre nur schließen, dass Sie selber erkennen,dass dann, wenn die Politik das in der Hand hätte, wirganz schnell einen Überbietungswettbewerb bezüglichder Lohnhöhe hätten. Dann wären wir ganz schnell inder Situation wie in anderen Ländern, in denen dieLöhne so hoch sind, dass sie die Chancen der Menschen,einen Arbeitsplatz zu bekommen oder den Arbeitsplatzzu behalten, zerstören. Genau das wollen wir nicht.Ich erkenne an, Frau Kollegin Pothmer, dass Sie sichfür eine unabhängige Kommission aussprechen.
Das habe ich gelesen. Wir sollten immer lesen, was wiruns gegenseitig vorschlagen. Nur, seit zwei Jahren schla-gen alle drei Fraktionen, die für den Mindestlohn sind,die Einrichtung einer unabhängigen Kommission vor.
– Damals war ich noch nicht dabei. Ich erkenne gernean: die Grünen schon seit fünf Jahren. – Das Problem ist:Sie wollen, dass diese von der Politik unabhängigeKommission bei der Festlegung der Mindestlohnhöheeine bestimmte Grenze nicht unterschreitet. Sie von denGrünen nennen als Betrag 7,50 Euro,
Sie von der SPD aktuell 8,50 Euro und Sie von den Lin-ken 10 Euro. Eine Kommission, der von der Politik vor-gegeben wird, wie hoch der Lohn zu sein hat, ist allesandere als unabhängig.
Herr Kollege, möchten Sie eine weitere Zwischen-
frage beantworten, und zwar vom Kollegen Birkwald?
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enn Sie den Tarifpartnern die Lohnfindung entziehen,enn Sie sagen, dass die Lohnfindung nicht mehr in ers-r Linie die Aufgabe der Tarifpartner ist, dann werdenie die Tradition der deutschen Tarifautonomie schwä-hen. Davon bin ich fest überzeugt.Frau Kollegin Pothmer, ich erkenne natürlich an, dassie das alles jetzt weggelassen haben. Ich muss aller-ings dazusagen, dass das nicht besonders glaubwürdigt. Sie legen uns seit zwei Jahren Anträge zur Höhe desindestlohns vor und verlieren nun kein Wort darüber. der Begründung verweisen Sie aber auf Ihren eigenenesetzentwurf, der einen Mindestlohn in Höhe von,50 Euro vorsieht, sowie auf die Gesetzentwürfe der an-eren Oppositionsfraktionen, die andere Lohnvorgabenachen. Darüber hinaus schreiben Sie, dass Sie einenehrheitsfähigen Gesetzentwurf der Bundesregierungerlangen, auch was die Lohnhöhe angeht.
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Johannes Vogel
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Liebe Frau Pothmer, damit haben Sie sich von dem Ge-danken, dass die Politik bestimmen soll, welcher Lohnakzeptabel ist und welcher nicht, noch gar nicht verab-schiedet. Das zeigt, dass mit Ihnen – selbst dann, wennman es wollte – kein überparteilicher Konsens über eineunabhängige Kommission zu erzielen wäre. Vielmehrwäre die Lohnfindung wieder da, wohin sie nicht gehört,nämlich hier im Deutschen Bundestag, also auch bei Ih-nen und bei den Kollegen von der Linken. Da wollen wirsie im Interesse der arbeitenden und arbeitsuchendenMenschen in diesem Land nicht haben.
Deswegen – und weil Sie die Tarifautonomie damitkaputtmachen – kommt für die Koalitionsfraktionen inSumme eine Zustimmung zu Ihrem Antrag leider nichtinfrage.Vielen Dank.
Michael Schlecht ist der nächste Redner für die Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! DieGewerkschaften und die Linke wollen den Mindestlohnmit einem festen Betrag per Gesetz einführen. Die Ge-werkschaften wollen 8,50 Euro. Meine GewerkschaftVerdi sagt mittlerweile dazu, dass in schnellen Schritten10 Euro kommen sollen,
und 10 Euro sind auch der Betrag, den die Linke als ge-setzlichen Mindestlohn möglichst unverzüglich in die-sem Lande politisch festsetzen will.
Jetzt erleben wir plötzlich seit ein oder zwei Wochen,dass die CDU und – seit dem Antrag, der hier zur De-batte steht – auch die Grünen in trauter Eintracht dieseStartmarke nicht mehr selbstständig hier im Parlamentpolitisch setzen wollen, sondern dass für die Ermittlungeines Startmindestlohns eine Kommission eingesetztwerden soll.
Nach Auffassung von Gewerkschaften und uns sollteeine solche Kommission nach einem politisch festge-setzten Startmindestlohn nur Vorschläge für weitere Stei-gerungen machen. Diese Kommission wird nun in IhremKonzept missbraucht, den Startmindestlohn festzuset-zteIcmAbAriTMzbMWdwdgcbAissüchfatePgckteimL–Su
h sage Ihnen ganz deutlich: So etwas kann sich nur je-and ausdenken, der von der Tarifwirklichkeit keinehnung hat oder der die Öffentlichkeit über seine Vorha-en bewusst täuschen will.
Mit der Agenda 2010, die SPD und Grüne 2003 unterpplaus der rechten Seite beschlossen haben, ist der Ta-fautonomie ein schwerer Schlag versetzt worden; zumeil ist sie sogar zerstört worden. Wenn immer mehrenschen befristet arbeiten und um die Verlängerungittern, wenn immer mehr Menschen nur einen Leihar-eitsjob haben, wenn vor allem immer mehr Frauen ininijobs die Arbeitswelt nur noch in einer zerstückelteneise erleben, dann ist das eine Situation, in der es fürie betroffenen Menschen sehr schwierig ist, sich zuehren und gewerkschaftlich zu organisieren. Das ver-eutlicht, dass die anderen vier Parteien, diese ganzroße Koalition, im letzten Jahrzehnt die gewerkschaftli-he Handlungsmacht für die Durchsetzung gerechter Ar-eitsbedingungen und gerechter Löhne durch diegenda 2010 massiv beschädigt und zerstört haben. Dast der Sachverhalt.
Hinzu kommt die allgegenwärtige Angst vor dem Ab-turz in Hartz IV, die wie eine disziplinierende Peitscheber den Köpfen vieler kreist und die die gewerkschaftli-hen Handlungsmöglichkeiten zusätzlich eingeschränktat.Vor diesem Hintergrund ist es wirklich schon eine In-mie, zu sagen: Jetzt sollen doch die Tarifvertragspar-ien den Startmindestlohn festsetzen. – Den Schwarzeneter den Tarifvertragsparteien zuzuschieben, ist bildlichesprochen so, als würde man jemandem die Beine bre-hen und dann von ihm verlangen, 100 Meter in 10 Se-unden zu laufen. Das ist natürlich vollkommen aben-uerlich und zeigt nur Ihre Geisteshaltung: Sie wollen Grunde genommen gar keinen Mindestlohn bzw. eineohnuntergrenze.
Sie kennen die Wirklichkeit nicht. Das ist das Problem.
Wenn CDU und Grüne jetzt Krokodilstränen ob deschicksals der Hunger- und Niedriglöhner vergießennd die Einrichtung einer Kommission fordern,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16551
Michael Schlecht
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dann ist das im Grunde genommen nichts anderes als einfauler Trick, mit dem man den Eindruck zu erweckenversucht, man wolle eine Lohnuntergrenze, man wolleeinen Mindestlohn durchsetzen; aber in Wirklichkeitwird hier nur eine riesengroße Nebelkerze geworfen.Dass in Anbetracht der Not der Menschen – diese ist jain diesem Hause heute weidlich dargestellt worden – miteiner solchen Nebelkerze operiert wird, ist wirklich eineSchweinerei. Damit werden die Menschen, die unterHungerlöhnen und den Verhältnissen leiden, auch nochverhöhnt.Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Lange für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Mindestlohn, die Zweite – so könnte man das heute nen-
nen. Ich habe mich gefragt, welchen Erkenntnisgewinn
wir heute Nachmittag erzielen werden. Mich erinnert das
hier so ein bisschen an eine nachmittägliche Schulstunde
zur Wiederholung. Sie, Herr Schlecht, nehme ich aller-
dings aus; denn das, was Sie da gerade vorgebracht ha-
ben, war einfach unterirdisch.
Da muss ich sogar der Kollegin Pothmer zur Seite sprin-
gen. Ich habe den Antrag der Grünen gelesen. Man kann
da sicherlich über vieles diskutieren. Aber dass wir jetzt
gemeinsam in einen Topf geworfen werden, finde ich
wirklich bemerkenswert. Das schafft wirklich nur die
Linke.
Ja, die Grünen haben sich von ihrem ursprünglichen
Plan, einen staatlichen Mindestlohn festzulegen, ein we-
nig wegbewegt und sich dem System einer Lohnunter-
grenze genähert. Ich nehme einmal an, dass Sie eine An-
leihe bei § 5 Tarifvertragsgesetz gemacht haben und
diesen analog anwenden wollen, um hier irgendwo Bo-
den zu finden.
Ich möchte zunächst festhalten, nachdem vorhin et-
was hart diskutiert wurde, dass es die Union war, die die
Branchenmindestlöhne äußerst erfolgreich eingeführt
hat. Wort und Tat haben bei der Union – da muss ich
dem Kollegen Weiß recht geben – über die Jahrzehnte
sozialer Marktwirtschaft zusammengepasst.
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Ich will nicht zum fünften Mal auf die Agenda 2010
ingehen. Ich bleibe allerdings dabei: Sie war in vielen
unkten nicht falsch, auch wenn Sie heute davon nichts
ehr hören wollen. Aber den Mindestlohn, liebe Kolle-
innen und Kollegen von Rot-Grün, haben Sie damals
icht eingeführt.
Dass wir – auch darauf ist heute schon mehrfach ein-
egangen worden – seit Ludwig Erhard die soziale
arktwirtschaft stringent fortentwickelt haben, möchte
h am Beispiel eines Gesetzes deutlich machen. –
ieso leuchtet der Präsident?
Weil der Kollege Schlecht Ihnen gerne eine Zwi-
chenfrage stellen möchte und ich Sie fragen muss, ob
ie diese zulassen wollen.
Das machen wir danach.
Was heißt „danach“?
Ich muss meine Redezeit heute nicht unnötig verlän-
ern. Wenn er danach intervenieren will, kann er das tun.
ann antworte ich oder auch nicht; jetzt mache ich wei-
r.
Gut.
Wir haben heute lange genug über das Thema gespro-hen.1952 wurde unter Ludwig Erhard das Mindestarbeits-edingungengesetz eingeführt, und seitdem haben wirie soziale Marktwirtschaft stringent weiterentwickelt.
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16552 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Ulrich Lange
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Heute diskutieren wir über Lösungen in tariffernen Be-reichen, weil auch wir natürlich erkennen, dass es Tarif-flucht gibt, dass es Branchen gibt, in denen die Tarifpart-nerschaft nicht so funktioniert, wie wir es uns wünschen.Das heißt aber nicht – das möchte ich in aller Deutlich-keit sagen –, dass wir den Grundsatz der Tarifautonomieauch nur im Geringsten aufzuweichen oder gar aufzuge-ben gedenken.Die Allgemeinverbindlichkeit – das ist auch vomKollegen Vogel schon angesprochen worden – war bis-her ein sehr gutes und sehr schlüssiges Mittel, Mindest-löhne und tarifliche Bedingungen festzuschreiben. Icherlaube mir, darauf hinzuweisen, dass es überwiegendchristlich-liberale Regierungen waren, die Tarifverträgefür allgemeinverbindlich erklärt haben. Also tun wirbitte heute nicht so, als ob das alles neu und quasi eineErfindung aus irgendeiner Richtung wäre.Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Union wirdeine ernste und an den Werten unserer sozialen Markt-wirtschaft orientierte Debatte geführt, die berücksichtigtund berücksichtigen muss, dass zum Beispiel ein flexib-ler Arbeitsmarkt als Motor und als wesentliches Erfolgs-rezept unseres Jobwunders, unseres Wirtschaftswunderserhalten bleiben muss. Geringe Jugendarbeitslosigkeitund weniger als 3 Millionen Arbeitslose insgesamt – dassind Erfolge, die wir nicht durch fahrlässige Diskussio-nen in Gefahr bringen dürfen. Unnötige staatliche Ein-griffe in die Lohnfindung gefährden die Tarifautonomie.Politik darf Löhne nicht diktieren. Die Lohnfindung istzunächst Aufgabe der Tarifpartner. Nur dort, wo eineNachjustierung notwendig ist, soll und darf die Politikeingreifen.Ich sage ganz deutlich: Wir werden nicht mitmachenbei einer billigen Mindestlohnwahldemokratie nach demMotto „Wer bietet mehr?“.
Wir sind für soziale Marktwirtschaft mit fairen Löhnen.Das ist wirklich christlich-sozial.Danke schön.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Schlecht
das Wort.
Danke. – Sie haben sich unverständig gezeigt, warum
ich die Grünen plötzlich an Ihrer Seite sehe. Haben Sie
den Antrag der Grünen denn nicht gelesen? Dort heißt
es:
Die Mindestlohnhöhe wird durch eine unabhängige
Kommission festgelegt.
Das ist im Prinzip O-Ton mindestens der Sozialaus-
schüsse.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16553
Ottmar Schreiner
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Jetzt erklären Sie sich zum Sachwalter der Tarifautono-mie.
Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Gewerk-schaften unisono einen allgemeinen Mindestlohn, eineLohnuntergrenze fordern. Die Gewerkschaften weisen indiesem Zusammenhang darauf hin, dass der gegenwär-tige Zustand das gesamte Tarifgefüge quer durch alleBereiche erschüttert. Sie wissen, dass wir etwa mit demBundesurlaubsgesetz und dem BundesarbeitszeitgesetzRegelungsfelder haben, in denen der Gesetzgeber Rah-menbedingungen formuliert, die nicht unterschrittenwerden dürfen und die durch die Tarifparteien ausgefülltwerden sollen. Das funktioniert in Deutschland seit Jahr-zehnten ganz hervorragend. Warum soll dies ausgerech-net bei den Tarifen nicht funktionieren, wo es doch inanderen Regelungsfeldern, wie gesagt, gute Ergebnissegezeitigt hat?Die zweite Bemerkung geht an die Adresse des Kolle-gen Weiß. Der Kollege Weiß hat heute eine Formulierunggebraucht, die mich fast umhaut. Er hat nämlich gesagt,dass das Markenzeichen der Union der Mindestlohn ist.
Das hat er wirklich gesagt. Herr Kollege Weiß, nicht derMindestlohn ist das Markenzeichen der Union, sondernplatteste Geschichtsfälschung ist das Markenzeichen derUnion.
Warum, das will ich Ihnen in aller Kürze erklären.Sie haben auf die Einführung der branchenbezogenenMindestlöhne während der Zeit der Großen Koalitionhingewiesen.
In der Großen Koalition sind alle branchenbezogenenMindestlöhne – es waren deren acht – vom sozialdemo-kratisch geführten Bundesarbeitsministerium gegen denteilweise erbitterten Widerstand der Union durchgesetztworden. Das ist die Wahrheit.
Sie wissen gar nicht mehr, was in Ihren Wahlpro-grammen steht, Herr Kollege Weiß. In Ihrem Wahlpro-gramm 2005 ist folgende Formulierung enthalten:Für die Arbeitnehmer sichern wir durch eine ausge-wogene Kombination aus Arbeitslohn und ergän-zender Sozialleistung ein angemessenes Auskom-men.
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Herr Kollege Schreiner.
Herr Präsident, mir ist klar, dass der gerade von mir
enutzte Ausdruck nicht sehr parlamentarisch war. Aber
Wat mutt, dat mutt!“ hat ein anderer immer gesagt.
Gut. Aber deswegen habe ich Sie gar nicht unterbro-
hen, zumal die Einsicht Sie schnell eingeholt hat.
h habe Sie fragen wollen, ob Sie sich vorstellen kön-
en, eine Zwischenfrage des Kollegen Straubinger zu
eantworten.
Er ist schon in Lauerstellung. Bitte.
Herr Kollege Schreiner, Sie haben gerade der Äuße-
ng des Kollegen Weiß widersprochen, dass die Union
ie Hüterin des Branchenmindestlohns ist. Sie haben
uch lobend gesagt, dass die meisten dieser Löhne von
inem SPD-Minister eingeführt worden sind. Deshalb
age ich Sie: Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass
ies unter Bundeskanzlerin Angela Merkel geschehen
t, die zugleich CDU-Vorsitzende ist?
diesem Sinne hat der Kollege Weiß mit seiner Aus-
age durchaus recht.
Die Frau Bundeskanzlerin musste sich wohl der Ver-unft der Zwänge beugen. Anders ist das gar nicht zu er-lären.
Auch in der Großen Koalition mussten Kompromisseemacht werden. Die CDU/CSU wollte ausweislich ih-s Wahlprogramms Kombilöhne,
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Ottmar Schreiner
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das heißt die Hinnahme von Armutslöhnen, die durchstaatliche steuerfinanzierte Leistungen aufgestockt wer-den. Das war Ihre Ausgangsposition.Die Ausgangsposition der SPD im Jahr 2005 – lesenSie die Wahlprogramme! – war die Forderung nach ei-nem gesetzlichen Mindestlohn. In den Bereichen, in de-nen das nicht durchsetzbar sein sollte, sollten dann bran-chenbezogene Mindestlöhne eingeführt werden. Das warexakt der Kompromiss zwischen dem klaren Nein derUnion und dem ebenso klaren Ja der SPD zum gesetz-lichen Mindestlohn. Dieser Kompromiss konnte aufDruck der sozialdemokratischen Abteilung in der Gro-ßen Koalition herbeigeführt werden.
Wenn Sie das nun bestreiten wollen, dann wird es hierallmählich finster, was die Wahrheit anbelangt. – Bittebleiben Sie noch einen Moment stehen, HerrStraubinger, dann gewinne ich noch ein paar Sekunden.Auf dem Bundeskongress des Deutschen Gewerk-schaftsbundes im Mai 2010 hat Frau Merkel – bezogenauf den Mindestlohn – gesagt: Ich glaube, dass das nichtdie richtige Antwort der Politik ist. – Das waren dieWorte von Frau Merkel zum Mindestlohn noch im Mai2010.Die berüchtigte Frau Kollegin Connemann, die heutebedauerlicherweise nicht hier sein kann, hat im April desJahres 2010 gesagt: Ein Mindestlohn in Deutschlandhätte nur ein Ergebnis: Jobvernichtung.Der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg hat gesagt: Von einem flächendeckendenMindestlohn halte ich gar nichts.Der Vorsitzende der CDU in Nordrhein-Westfalen,Herr Röttgen, hat gesagt: Ich bin gegen eine Politisie-rung der Lohnfindung. Die Lohnhöhe richtet sich nachAngebot und Nachfrage. Der Markt definiert den Lohn.Ich könnte diese Aussagen beliebig fortführen. Siealle zeugen von einem: Wenn Sie sagen, dass es in Sa-chen Mindestlohn irgendeinen Markenkern der Uniongibt, dann ist das die platteste Geschichtsfälschung. Dasist die Wahrheit.
Werfen wir einen Blick auf die Ausgangslage für Ih-ren Parteitag: Einige von Ihnen fordern jetzt flächen-deckende Mindestlöhne. Hier hat sich der KollegeLaumann ohne jeden Zweifel Verdienste erworben. Dasist sehr zu unterstützen, und wir beobachten das mit vielRespekt.Herr Kollege Weiß, im Übrigen geht bei uns nicht dieblanke Angst um, dass uns etwa ein Thema abhanden-käme. Vielmehr geht es uns darum, dass Millionen vonMenschen ein Stück menschlicher Würde zurückgege-ben wird.
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Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 17/7483 an die in der Tagesordnung aufge-hrten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:Beratung des Antrags der BundesregierungFortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-scher Streitkräfte an der EU-geführten Opera-tion „ALTHEA“ zur weiteren Stabilisierungdes Friedensprozesses in Bosnien und Herze-gowina im Rahmen der Implementierung derAnnexe 1-A und 2 der Dayton-Friedensverein-barung sowie an dem NATO-HauptquartierSarajevo und seinen Aufgaben, auf Grundlageder Resolution des Sicherheitsrates der Ver-einten Nationen 1575 und Folgeresolu-tionen– Drucksache 17/7577 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
RechtsausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschuss gemäß § 96 GO
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16555
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-derspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist dasso beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner das Wort dem Bundesaußenminister Dr. GuidoWesterwelle.Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Kolleginnen und Kollegen! Das deutsche Interessean der Stabilisierung von Bosnien und Herzegowina istunverändert groß. Unser Ziel bleibt ein friedliches, de-mokratisches, rechtsstaatliches Bosnien und Herzego-wina, das aus eigener Kraft in der Lage ist, den Weg derEU-Integration erfolgreich zu beschreiten.Bei aller Vorsicht und aller zurückhaltenden Bewer-tung können wir heute sagen, dass die militärischen Si-cherungsaufgaben der Operation zum gegenwärtigenZeitpunkt erfüllt sind. Die Sicherheitslage ist stabil. Daszeigt, wie viel wir erreicht haben. Gerade weil wir in die-sem Hause sehr oft kontrovers diskutieren – zum Bei-spiel gerade eben mit Leidenschaft und fast mit Atemlo-sigkeit der Redner –, ist es wichtig, darauf hinzuweisen,dass hier seit vielen, vielen Jahren eine große Überein-stimmung in diesem Hause besteht. Ich denke, ich spre-che im Namen aller Anwesenden, wenn ich hier denFrauen und Männern der Bundeswehr, die vor Ort ihrenverantwortungsvollen Dienst tun, unseren Dank zumAusdruck bringe.
Meine Damen und Herren, das militärische Engage-ment der Europäischen Union bleibt aber weiter nötig.Es muss insbesondere noch mehr getan werden, um dieKompetenz und Professionalität der bosnischen Streit-kräfte weiter zu stärken. Der Rat für Außenbeziehungender Europäischen Union hat daher am 10. Oktoberbeschlossen, dass der Schwerpunkt der OperationALTHEA, für die ich jetzt hier das Mandat einbringe,künftig auf Ausbildung und Training liegen soll. UnsereBundeswehr beteiligt sich an dieser Ausbildung und amPersonal des Hauptquartiers in Sarajevo. Ansonsten sindkeine deutschen Soldatinnen und Soldaten mehr in Bos-nien und Herzegowina eingesetzt. Damit konnte das um-gesetzt werden, was ich hier vor einem Jahr, bei der letz-ten Einbringung des Mandates, in Aussicht gestellt undformuliert habe.Im letzten Jahr konnten wir die Personalobergrenzedes Mandates von 2 400 auf 900 absenken. Auch jetztkönnen wir eine Senkung der Personalobergrenze vor-nehmen, und zwar von 900 auf 800. Gemessen an derZahl der tatsächlich vor Ort eingesetzten Soldaten, bleibteine hohe Personalobergrenze des Mandates, denn wiebislang wird für die Operation ein Reservebataillon be-reitgehalten. Deutschland stellt den Löwenanteil an die-skKwhskcvKteknremzfüSHmdrandm9tedFdwkswleDsJRkndauGdwpkv
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16556 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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Die auf die Europäische Union bezogenen Reformenmüssen eindeutig Priorität erhalten. Ethnische Einzel-interessen müssen dahinter zurückgestellt werden.Die EU soll in Bosnien und Herzegowina zentralerAkteur sein. Es ist deshalb gut, dass die Trennung derFunktion des Hohen Repräsentanten von dem Amt desEU-Sonderbeauftragten vollzogen ist. Der Amtsantrittdes neuen eigenständigen EU-Sonderbeauftragten istAusdruck der Neuaufstellung der internationalen Ge-meinschaft in Bosnien und Herzegowina. Auch dieszeigt, dass wir einen entsprechenden Fortschritt ver-zeichnen können.Es bleibt das Ziel der Bundesregierung, ALTHEAmittelfristig zu einer nichtexekutiven Beratungs- undUnterstützungsmission weiterzuentwickeln. Dazu istnoch weitere Abstimmung mit unseren Partnern erfor-derlich. Bis es so weit ist, bleiben wir in Loyalität undVerlässlichkeit gegenüber unseren Partnern und in unse-rer Verantwortung gegenüber den Menschen in Bosnienund Herzegowina diesem Mandat verpflichtet.Deswegen bitte ich Sie im Namen der Bundesregie-rung um Zustimmung zu diesem Mandat.
Das Wort hat der Kollege Dietmar Nietan von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am24. November des vergangenen Jahres haben wir hierüber die damalige Mandatsverlängerung für ALTHEAdiskutiert. An dieser Stelle habe ich meiner Hoffnungund vielleicht auch meinem Wunsch Ausdruck verlie-hen, dass sich Dinge in Bosnien-Herzegowina zum Bes-seren wenden werden.Ich hatte das damit begründet, dass die dortigen Wah-len am 3. Oktober vergangenen Jahres die moderatenKräfte ausdrücklich deshalb gestärkt haben, weil diesemoderaten Kräfte nicht Nationalismus, sondern sozialeAspekte und Themen des Landes in den Vordergrund desWahlkampfs gestellt hatten.Ich hatte auch die Hoffnung, dass die Regierungsbil-dung eine neue Chance eröffnet, die dringend notwendi-gen Verfassungsreformen in Gang zu setzen, die dasLand auf dem Weg nach Europa braucht; der Außen-minister hat darauf hingewiesen.Ich hatte mir erhofft, dass die Visaliberalisierung auchein Zeichen dafür ist, dass wir Bosnien auf seinem Wegnach Europa unterstützen.Heute, ein Jahr später, kann ich nicht verhehlen, dassich von den politischen Eliten in Bosnien-Herzegowinasehr enttäuscht bin, die bis jetzt das Ziel ihrer Verant-wortung, eine stabile Regierung zu bilden und die not-wendigen Verfassungsreformen auf den Weg zu bringen,eindeutig verfehlt haben.tidRdaTdbssndrugnru1vuHenrenreusaingZdrutinwnadMsdzdbceHsmH
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16557
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sprächen zur Regierungsbildung ihren Alleinvertretungs-anspruch für die Kroaten in Bosnien-Herzegowina auf-geben muss. Serbien muss seinen Druck dahin gehenderhöhen, dass Herr Dodik endlich zu einer konstruktivenPolitik zurückkehrt, weg vom Nationalismus.
Deshalb ist es gut, dass Kroatien hoffentlich bald Mit-glied der Europäischen Union ist. Es ist auch gut, dasswir im Fortschrittsbericht der Europäischen Union nach-lesen konnten, dass Serbien auf dem Weg nach Europagroße Fortschritte gemacht hat. Ich würde mir deshalbwünschen, dass der Europäische Rat im Dezember einklares Zeichen in Richtung Serbien setzt und Serbienden Kandidatenstatus, so wie von der Kommission vor-geschlagen, einräumen wird. Ich finde, dass PräsidentTadic, der für seine Reformpolitik nicht nur ein hohespolitisches, sondern auch ein hohes persönliches Risikoeingeht, unser aller Unterstützung verdient hat. Ich würdemich freuen, wenn die Bundesregierung schon vor demEuropäischen Rat das klare öffentliche Signal gebenwürde, dass die Bundesregierung den Vorschlag derKommission, Serbien den Kandidatenstatus einzuräu-men, mit aller Kraft unterstützt. Bisher vermisse ich die-ses öffentliche Signal.Wir brauchen mehr Europa und nicht weniger Eu-ropa. – Das hat Polens Ministerpräsident Tusk in einerbemerkenswerten Rede zum Antritt der EU-Ratspräsi-dentschaft Polens vor dem Europäischen Parlament ge-sagt. Ich finde, diese Maxime darf nicht nur bei der Ret-tung unserer gemeinsamen Währung gelten, sondern siemuss auch gelten, wenn es jetzt darum geht, auf demWestbalkan, mitten in Europa – das will ich betonen –,endlich die Folgen des schrecklichen Bürgerkrieges zuüberwinden. Aus dieser Verantwortung können wir unsnicht stehlen.Als der Bürgerkrieg in den 90er-Jahren ausbrach, wardas Handeln der Europäer – das wissen Sie – kein Ruh-mesblatt. Wir haben dort versagt und sind unserer politi-schen Verantwortung nicht gerecht geworden. Deshalbwill ich noch einmal betonen, was ich schon im letztenJahr gesagt habe: Es geht nicht nur um eine Mandatsver-längerung, sondern es geht darum, dass wir deutlich ma-chen: Die Bundesrepublik Deutschland will sich ge-meinsam mit ihren Partnern in der Europäischen Unionstärker engagieren. Es wird nach Kroatien kein Ende derErweiterungsfähigkeit und der Offenheit für Erweite-rung geben. Die, die die Reformen erfüllen, die die Re-gion in eine Region des Friedens und der Demokratieverwandeln wollen, haben unsere Unterstützung undkönnen der Europäischen Union beitreten. In diesemSinne würde ich mir wünschen, dass wir über die Dis-kussion des Mandats hinaus unsere Anstrengungen ver-stärken, damit diese Region mitten in Europa Friedenfindet und die Menschen dort eine wirkliche Perspektivebekommen.Herzlichen Dank.Td1tasgEinrudsb1IFv2uDnafüumdsfüguEhA5ugASbBneSDwa
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
homas Kossendey.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor6 Jahren, am 6. Dezember 1995, stimmte der Bundes-g in einer sehr bedeutsamen Debatte erstmals der Ent-endung deutscher Streitkräfte nach Bosnien und Herze-owina zu. Die Zustimmung erfolgte damals unter demindruck der schockierenden Ereignisse, unter anderem Srebrenica. Heute beraten wir die erneute Verlänge-ng dieses Mandats. Zwar hat die Führung dieses Man-ats gewechselt – die Mission steht heute unter europäi-cher Verantwortung –, die Ziele jedoch sind unverändert.Deutschland kommt seiner Verantwortung für die Sta-ilisierung in Bosnien und Herzegowina nunmehr seit995 nach, zunächst im Rahmen der NATO-OperationOR – das war von 1995 bis 1996 –, dann im Rahmenon SFOR – von 1996 bis 2004 – und seit Dezember004 im Rahmen der EU-geführten Operation ALTHEAnd des NATO-Hauptquartiers in Sarajevo. Das zeigt:eutschland ist ein verlässlicher Partner und steht zu sei-er Verantwortung – in Bosnien-Herzegowina wie auchn den anderen Einsatzorten. Das heißt: Verantwortungr den Einsatz von Soldaten, wenn es notwendig ist,nd Verantwortung für den zivilen Übergang, sobald dasöglich ist.ALTHEA umfasst derzeit noch insgesamt 1 300 Sol-atinnen und Soldaten in Bosnien und Herzegowina. Zu-ätzlich werden zwei Bataillone als operative Reserver den Balkan bereitgehalten, um auf Lageverschärfun-en schnell reagieren zu können. Wie wichtig und wienverzichtbar so eine Vorsorge ist, haben die jüngstenntwicklungen im Kosovo sehr deutlich gezeigt. Des-alb sind und bleiben Reservekräfte für KFOR und fürLTHEA ein wichtiger Bestandteil unserer Planungen.Insgesamt hat Deutschland seit 1995 mit mehr als0 000 Soldaten in Bosnien und Herzegowina gearbeitetnd damit wesentlich zum Erreichen des Friedens bei-etragen. Aktuell beteiligen wir uns im Rahmen desLTHEA-Mandats nur noch mit fünf Soldaten in dentäben. Wir stellen gemeinsam mit Österreich eines dereiden genannten Reservebataillone. Aktuell ist diesesataillon im Kosovo stationiert. Dort wird es wegen dericht ganz sicheren Lage voraussichtlich bis zum Jahres-nde bleiben.Ich will die Gelegenheit nutzen, an dieser Stelle denoldatinnen und Soldaten, die nun aus der Reserve ineutschland in den Einsatz auf dem Balkan gerufenurden, wie auch den Soldaten in den anderen Einsätzenusdrücklich zu danken. Sie leisten einen wichtigen Bei-
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Parl. Staatssekretär Thomas Kossendey
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trag zur Stabilisierung des Friedens und damit letztend-lich für den zivilen Übergang.
Nachdem wir bereits 100 deutsche Soldatinnen undSoldaten aus Bosnien und Herzegowina abziehen konn-ten, geht es nun um die Fortsetzung des Einsatzes mit in-haltlich unverändertem Mandat, allerdings unter Absen-kung der personellen Obergrenze von 900 auf 800 Sol-daten. Diese Zahl bietet uns die Möglichkeit, flexibel zureagieren. Sie beinhaltet einen Anteil von ungefähr500 Soldaten in dem Reservebataillon. Das gibt unsSpielraum, um gegebenenfalls, bei Verstärkungsnotwen-digkeiten, im logistischen Bereich nachzusteuern.Wenn wir uns die Entwicklung der Gesamtzahlen beidieser Operation anschauen – von mehr als 50 000NATO-Soldaten im Jahr 1996 zu 1 300 Soldaten im Rah-men von EUFOR –, dann wird deutlich, dass sich die Si-cherheitslage dramatisch verbessert hat. Bosnien undHerzegowina macht im Augenblick sogar den erstenSchritt, um selber internationale Verantwortung zu über-nehmen. Das Land beteiligt sich im Augenblick mit54 Soldaten am Einsatz in Afghanistan, entlastet damitdie Verbündeten, auch uns.Dennoch hat Bosnien und Herzegowina ein gutesStück des Weges noch vor sich; der Außenminister hatdarauf hingewiesen. Wir müssen auch im Interesse derMenschen vor Ort weiter politischen Druck ausüben. Esfehlt noch immer an den notwendigen Reformen, ein-schließlich einer Verfassungsreform. Es fehlt vor allenDingen auch an dem Willen zur Bildung einer gesamt-staatlichen Regierung. Ich bekräftige deswegen aus-drücklich den Appell des Außenministers: Ja, die Zu-kunft dieses Landes liegt langfristig in der NATO und inder Europäischen Union, aber dafür bedarf es der Kom-promissbereitschaft und letztendlich auch des Dialogeszwischen den Volksgruppen, und es bedarf des gemein-samen Willens zur Gestaltung einer gemeinsamenZukunft. Deswegen sind die aktuellen Aufträge vonALTHEA neben Ausbildungs- und Trainingsaufgabenauch weiterhin exekutive Aufgaben zum Erhalt eines si-cheren Umfeldes und zur Unterstützung der bosnisch-herzegowinischen Autoritäten.Außerdem gewährleistet ALTHEA die Unterstüt-zung für den EU-Sonderbeauftragten und für den Inter-nationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugosla-wien sowie – auch darauf sind wir vorbereitet –gegebenenfalls die Durchführung von Evakuierungs-maßnahmen der internationalen Gemeinschaft. Auch dasist Teil unserer Verantwortung, die nicht mit dem Abzugder Soldaten endet und letztendlich nicht an den Einsatzvon Streitkräften gebunden ist.Dieses exekutive Mandat der Operation wird mit re-duzierter Präsenz in Bosnien und Herzegowina zunächsteinmal fortgesetzt werden. Ab 2012 wird sich die Opera-tion vornehmlich auf die Unterstützung der Ausbildungund die Entwicklung der Fähigkeiten der bosnisch-her-zegowinischen Streitkräfte konzentrieren. Der EinsatzvriWfüBFBsBgBEJudkddLncnnEmmsaEnAzuFp7kaBag
Das Wort hat jetzt die Kollegin Inge Höger von der
raktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Landosnien-Herzegowina ist eine moderne Kolonie. – Die-er Satz stammt nicht von mir. Er stammt von Ismetajramovic, dem Vorsitzenden des Bundes unabhängi-er Gewerkschaften im bosnisch-kroatischen Landesteilosnien-Herzegowinas. Herr Bajramovic ist nicht derinzige, der das vor Ort so sieht. Ich war im Juni diesesahres dort und habe mich mit den Menschen in Sarajevond Srebrenica unterhalten. Dabei habe ich festgestellt,ass es eine tiefe Kluft gibt zwischen der lokalen Bevöl-erung und denen, die nicht gern Besatzer genannt wer-en wollen, aber als solche wahrgenommen werden.In den Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertreterner NATO und der EU hatte ich den Eindruck, diesesand würde längst in Schutt und Asche liegen, wenn esicht selbsternannte Helferinnen und Helfer aus den rei-hen Ländern gäbe, die hier mit Militär und Investitio-en für Ordnung sorgen. Bei Gesprächen mit Bosnierin-en und Bosniern hörte sich alles ganz anders an. DieUFOR-Truppen werden mit Befremden wahrgenom-en, nicht nur wegen der nächtlichen Truppenübungen,it denen sie in Wohngebieten in Sarajevo für Unmutorgen. Schüsse und Kriegslärm kennen die Leute dortus den schlimmen Zeiten der 90er-Jahre nur zu gut. DieUFOR verbessert die unerträgliche Situation im Landeicht; vielmehr zementieren die Truppen diese Situation.uch deshalb fordert die Linke immer wieder den Ab-ug der Bundeswehr aus Bosnien.
Banken aus dem Ausland, vorrangig aus Österreichnd Deutschland, kaufen einen Großteil des Landes auf.abriken werden nach den Vorgaben von EU und IWFrivatisiert. Die Arbeitslosigkeit steigt. Nicht nur dieMillionen Euro, die dieser Einsatz im nächsten Jahrosten wird, sind an der falschen Stelle ausgegeben,uch ein Teil der knapp 100 Millionen Euro im zivilenereich richtet Schaden an; denn dieses Geld dient auchls Druckmittel für neoliberale Wirtschaftsreformen.Wer Privatisierungen, Sozialabbau und die Zerschla-ung des öffentlichen Dienstes auf dem Balkan durch-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16559
Inge Höger
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drückt, der hat nichts, aber auch gar nichts von den Ursa-chen der aktuellen Wirtschaftskrise verstanden. Es istmehr als fragwürdig, in Bosnien die gleiche Politikdurchzusetzen, die Griechenland und Italien gerade inden Ruin treibt.
Im Übrigen sehen die Menschen auf dem Balkan amBeispiel Griechenlands, was ihnen blüht, wenn die vonMinister Westerwelle propagierte euro-atlantische Inte-gration kommt. Sie sollten zumindest so mutig sein, denLeuten nicht länger Sand in die Augen zu streuen.Auch gemessen an den Maßstäben der Bundesregie-rung ist dieser Einsatz völlig unnötig. 16 Jahre nachKriegsende brauchen die Bosnier keine militärischenBewacher. Die Vorstellung, dass sich Mitglieder der ei-nen Ethnie sicherer vor den Mitgliedern der anderen Eth-nie fühlen, weil die Bundeswehr dort stationiert ist, ent-behrt jeder realen Grundlage.
– Ich war vor kurzem in Bosnien; das habe ich Ihnen ge-rade gesagt.
Genau das haben sie gesagt: Die Militärpräsenz verstärktden Eindruck, Bosnien-Herzegowina werde von der EUfremdbeherrscht. Dieser Eindruck ist nicht ganz falsch.EUFOR bildet die bosnische Armee aus, damit sichdiese in Afghanistan an einem neuen Krieg beteiligenund neue Probleme schaffen kann. Diese Spirale vonMilitarisierung und Krieg muss endlich durchbrochenwerden.
Auch die EU-geführte Polizeitrainingsmission dientletztlich dem Aufbau einer Polizei, die Proteste nieder-schlägt und somit den Ausverkauf des Landes unter-stützt.
So wurden zum Beispiel im vergangenen Jahr Demon-strationen gegen Kürzungen im Gesundheitswesen vonder Polizei brutal niedergeschlagen. Damit muss endlichSchluss sein.
Das Geld, das für den Bosnien-Einsatz ausgegebenwird, könnte viel nützlicher für Aufbauprogramme aus-gegeben werden. Gut angelegt wäre das Geld unter an-derem bei der Minenräumung. Minen sind in BosnienerägwleZHBKmggbanDteksssvtetisEdimssSMscfübanla8s
Das Wort hat jetzt die Kollegin Katja Keul vom
ündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Die Bundeswehr ist in Bosnien-Herzegowinait gerade noch zwölf Soldaten vor Ort. Wir hoffen alleemeinsam, dass der Militäreinsatz nach 16 Jahren ir-endwann sein Ende finden wird. Einige EU-Staaten ha-en ihre Soldatinnen und Soldaten bereits vollständigbgezogen.Allerdings findet dieser Rückzug gleichzeitig mit ei-er sich ständig verschärfenden politischen Krise statt.er diesjährige EU-Fortschrittsbericht zeichnet ein düs-res Bild. Seit den letzten Wahlen im Oktober 2010onnten sich die Parteien nicht auf die Bildung einer ge-amtstaatlichen Regierung einigen. Die Spaltung zwi-chen den drei ethnischen Entitäten hat sich weiter ver-chärft. Vermittlungsversuche, ob vonseiten der EU oderonseiten der Bundesregierung, sind allesamt geschei-rt. Nun haben auch die Kroaten innerhalb der Födera-on im April dieses Jahres ihre eigene Nationalver-ammlung gegründet – ein verheerendes Signal für dieinheit des Staates.Der Präsident der Republik Srpska unterstützte offenie Absetzbewegung der kroatischen Bosnier und drohte, serbischen Teilstaat ein Referendum abhalten zu las-en. Dabei ging es ihm um den Ausstieg aus dem gemein-amen Justizsystem – eine der wenigen gesamtstaatlichentrukturen überhaupt. Catherine Ashton reiste im letztenoment nach Banja Luka und musste Dodik für die Ab-age des Referendums auch noch Zugeständnisse ma-hen. Nicht auszudenken, was ein solches Referendumr die Existenz des Staates Bosnien-Herzegowina hätteedeuten können!In Anbetracht dieser Spannungen ist es nach wie vorngemessen, für den Krisenfall 500 Einsatzkräfte in ei-em Reservebataillon bereitzuhalten. Die Höchstgrenzeut Mandat beträgt vor diesem Hintergrund immer noch00 Soldatinnen und Soldaten, und das akzeptieren wir.Klar ist aber auch, dass die Konflikte nur auf politi-chem Wege gelöst werden können. Kanzlerin Merkel
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16560 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Katja Keul
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hat sich persönlich Anfang des Jahres engagiert, aller-dings ohne Erfolg. Das dürfte unter anderem daran lie-gen, dass bisher eine konsistente politische Strategiefehlt, die den ganzen Raum des westlichen Balkans um-fasst. Wir fordern die Bundesregierung nachdrücklichauf, sich in der EU für ein solches Konzept starkzuma-chen.
Ganz vorne muss dabei weiterhin die Reform derStaatsverfassung stehen. Die im Vertrag von Daytonfestgeschriebene Verfassung hat das Land nicht befrie-det, sondern die Aufteilung in Volksgruppen befördert.Dadurch verhindert sie eine integrierte nationale Regie-rung. Leider müssen wir konstatieren, dass die EU durchihre nichtkonsistente Politik ein gutes Stück Verantwor-tung dafür trägt, dass sich die Kluft zwischen den Volks-gruppen immer mehr vertieft hat.Wir müssen uns dieser Verantwortung stellen und denBosniern signalisieren, dass ihnen weiterhin eine Bei-trittsperspektive offensteht. Deshalb war es richtig undwichtig, dass Ende letzten Jahres die Visumfreiheit auchfür Bosnien eingeführt wurde.Weiterhin müssen wir die Bosnier beim Kampf gegendas organisierte Verbrechen und die Korruption wirksamunterstützen. Denn diese kriminellen Strukturen nutzendie bestehenden Konflikte aus, um aus der InstabilitätProfit zu schlagen, und leider stehen sie oft in enger Ver-bindung zur Politik.An diesem Punkt ist es wichtig, dass die EU ihre Un-terstützung fortsetzt, auch wenn EUPM, die Polizeimis-sion, bis Mitte nächsten Jahres eingestellt wird. Wir for-dern die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken, dassdie EU neue Projekte im Bereich der Rechtsstaatlichkeitund der Strafverfolgung auf den Weg bringt. Es darf inBosnien nicht der Eindruck entstehen, dass sich die Eu-ropäische Union angesichts der Krise resigniert zurück-zieht. Dies wäre eine fatale Ermutigung für all jeneKräfte, die darauf hinarbeiten, dass das Land auseinan-derbricht.Die Bundesregierung sollte im nächsten Jahr endlichein starkes politisches Signal setzen und den Westbalkanin das Zentrum ihrer Außenpolitik rücken. Hier kann siemit ihrem politischen Gewicht wirklich etwas bewegen.Dabei muss sie auch wagen, Druck auf die politischenKräfte auszuüben. Die EU darf sich nicht mehr vonplumpen Drohungen der Rassisten und Separatisten be-eindrucken lassen.
Das führt zu fragwürdigen Kompromissen, die nur dieInstabilität verstärken.Seit den Balkankriegen wissen wir wieder, dass derFrieden in Europa keine Selbstverständlichkeit ist. DieseErkenntnis sollte auch 16 Jahre nach Kriegsende An-sporn sein, uns weiter für Frieden und Stabilität auf demwestlichen Balkan einzusetzen.Vielen Dank.dFgjeredZudwssBDeliwUwRknebbvVerezpsNsdgtevd4a
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
as Wort der Kollege Florian Hahn von der CDU/CSU-
raktion.
Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kolle-en! Auch wenn uns in bewegten Zeiten wie diesen nichtden Tag Nachrichten aus Bosnien und Herzegowina er-ichen, darf nicht in Vergessenheit geraten, dass wirort ein wichtiges Mandat erfüllen. Gerade in diesemusammenhang dürfen wir vor allem nicht den Einsatznserer Soldatinnen und Soldaten, der zivilen Helfer under Polizisten vergessen. Sie alle sind mit dafür verant-ortlich, dass die Region als weitestgehend stabil einge-tuft werden kann. Sie bündeln die zivil-militärische Zu-ammenarbeit vor Ort und leisten somit einen wichtigeneitrag zum Friedenserhalt.
as haben Sie, Herr Bundesminister Westerwelle, nochinmal deutlich gemacht. Dafür möchte ich Ihnen herz-ch danken.Ein stabiles Bosnien-Herzegowina liegt in unseremie auch im elementaren Interesse der Europäischennion. Daher müssen und wollen wir das Land aucheiterhin auf dem Weg zu einem demokratischenechtsstaat begleiten. Unser Ziel muss dabei auch in Zu-unft sein, dass dort ein Staat entsteht, in dem alle Eth-ien – Bosniaken, Serben und Kroaten – in Frieden mit-inander leben können. Die Region muss hierfür durchi- und multilaterale Hilfe langfristig und nachhaltig sta-ilisiert werden. Nur so können sich Zukunftsperspekti-en, Wohlstand und Demokratie entwickeln. Das ist dieoraussetzung dafür, dass irgendwann ethnische Aus-inandersetzungen für immer der Vergangenheit angehö-n können.Deutschland engagiert sich seit 1995 im Friedenspro-ess. Wir unterstützen dabei nachhaltig die zivilen undolitischen Bemühungen der internationalen Gemein-chaft. So können wir heute über eine Aufnahme in dieATO und auch in die Europäische Union zumindest an-atzweise nachdenken. Ich stehe auch dazu, dass es füren gesamten westlichen Balkan eine EU-Perspektiveeben muss.Doch trotz aller Erfolge ist es bis dahin noch ein wei-r Weg; denn Bosnien und Herzegowina ist nach wieor ein großes Sorgenkind auf dem Balkan. So wurdeort am 3. Oktober 2010 gewählt, doch gibt es seit über00 Tagen keine Regierung, und eine Einigung ist bisheruch nicht in Sicht.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16561
Florian Hahn
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Beim Dialog zu Fragen der Justizreform wollen füh-rende Politiker möglichst wenig Rechtsprechung auf derEbene Bosnien-Herzegowinas akzeptieren. Dies stellt inmeinen Augen einen deutlichen Rückschritt auf demWeg hin zu einem demokratischen Rechtsstaat dar.Wenn Rechtsstaatlichkeit nicht im Interesse der Verant-wortlichen dort liegt,
so liegt ein EU-Beitritt auch nicht in unserem Interesse.Ein glaubhaftes Bemühen, Mitglied der EuropäischenUnion zu werden, beinhaltet deshalb für mich eine solideRegierungsbildung, das Bearbeiten der längst überfälli-gen Verfassungsreform sowie die wirtschaftliche Inte-gration nach den Regeln der EU.Bei der Verfassungsreform muss beispielsweise diemenschenrechtswidrige Praxis, dass Minderheiten nichtgewählt werden können, umgehend geändert werden.Bei der wirtschaftlichen Integration in den EU-Binnen-markt gilt es, das Beihilfeverbot der EU einzuhalten.Hierzu ist eine Aufsichtsbehörde notwendig, die dasauch nachvollziehbar überwachen kann.Da sich in Bosnien und Herzegowina aber noch großeTeile der Wirtschaft in öffentlicher Hand befinden, ver-laufen Auftragsvergaben nicht immer zweifelsfrei. ImGegenzug sind öffentliche Unternehmen eine Versor-gungseinrichtung für bestimmte Cliquen. Auch hierbraucht es mehr Transparenz, hier sind entsprechendeGesetze notwendig. Vetternwirtschaft und Korruptionmuss Einhalt geboten werden; denn auf Korruption kannman keinen modernen Staat aufbauen.
Als weiterer Punkt ist für mich die Durchführung ei-nes Haushaltszensus von großer Wichtigkeit. Der letzteZensus wurde 1991 durchgeführt. Die damals erhobenenDaten sind obsolet und können keine Basis für die Ge-genwart und die Zukunft sein. Gerechtigkeit in der Ver-teilung und beim Mitspracherecht kann so niemals her-gestellt werden. Technisch ist die Durchführung einesZensus kein Problem. Das Problem liegt allein im politi-schen Willen.Meine Damen und Herren, Bosnien und Herzegowinabraucht für eine chancenreiche Zukunft dringend weitereErfolge. Mit einer Mandatsverlängerung werden wirauch künftig dazu beitragen, dass das Land diese Erfolgerealisieren kann. Wir wissen, dass Bosnien und Herzego-wina die internationale Präsenz selbst wünscht. DieMenschen haben den Wunsch, dass im Notfall eine Re-serve da ist, die für sie und ihre Sicherheit sorgt.Wir haben das Ziel, die exekutive Operation ALTHEAzu beenden und in eine nichtexekutive Ausbildungs- undUnterstützungsmission umzuwandeln. Die Reduzierungder Mandatsobergrenze ist dafür ein Indikator. Ich werbefür die Verlängerung dieses Mandats. Unseren Soldatin-nen und Soldaten, den Polizisten und zivilen HelfernwgDfüvsAdtekBicluVgseSh
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 17/7577 an die in der Tagesordnung aufge-
hrten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
o beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Martin Gerster,
Sönke Rix, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Rechtsextremistische Einstellungen im Sport
konsequent bekämpfen – Toleranz und Demo-
kratie nachhaltig fördern
– Drucksachen 17/5045, 17/7597 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Martin Gerster
Dr. Lutz Knopek
Katrin Kunert
Viola von Cramon-Taubadel
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
erspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als ers-
m Redner das Wort dem Parlamentarischen Staatsse-
retär Dr. Christoph Bergner.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohlh aufgefordert bin, hier für die Bundesregierung Stel-ng zu nehmen, sei es mir gestattet, ein Beispiel aus derereinspraxis anzuführen.Mein eigener Sportverein hat auf seiner letzten Dele-iertenversammlung eine Satzungsänderung beschlos-en. Die Satzung lautet – ich darf zitieren –: Unser Ver-inist offen für alle sportinteressierten Bürger, unab-hängig von ihrer Religion, Weltanschauung, Partei-zugehörigkeit und gesellschaftlichen Stellung.o weit war das schon bisher Satzungstext. Nun kommtinzu:
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16562 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Parl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
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Er wendet sich entschieden gegen jede Form vonRassismus, Chauvinismus, Extremismus und politi-scher Willkür.Die Satzungsänderung, die wir in unserem Verein be-schlossen haben, hat einen Hintergrund. Wir haben ausden Erfahrungen gelernt, die ein anderer Verein unseresBundeslandes machen musste, als ein Trainer undÜbungsleiter, der Mitglied der NPD war, seine Vereins-mitarbeit für Werbung im extremistischen Sinne –
– im rechtsextremistischen Sinne – genutzt hatte und derVerein große Schwierigkeiten hatte, sich von diesemTrainer und Übungsleiter auf der Basis der bestehendenSatzung zu trennen.Ich nenne dieses Beispiel, um deutlich zu machen,dass die Sportvereine und -verbände im Rahmen ihrergesamtgesellschaftlichen Verantwortung hier vor beson-deren Herausforderungen stehen, dass also das Anliegen,das mit dem Antrag der SPD-Fraktion zum Ausdruck ge-bracht wurde, durchaus als berechtigt gelten kann.Aber allein diese Feststellung sollte uns bei der Be-wertung und der Behandlung dieses Antrages nicht ge-nügen. Denn was aus meiner Sicht im Antrag unzurei-chend zum Ausdruck kommt, ist die Anknüpfung anentsprechende Bemühungen. Ich nenne insbesondere dieKampagne „Sport und Politik verein(t) gegen Rechts-extremismus“,
die nicht allein, wie der Antragsteller sagt, eine Kampa-gne der Bundesregierung ist. Kampagnenträger sind ne-ben dem Bundesinnenministerium und dem Bundes-ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugenddie Bundeszentrale für politische Bildung, die DeutscheSportjugend im Auftrag des DOSB, der Deutsche Fuß-ball-Bund, die Sportministerkonferenz, die kommunalenSpitzenverbände und die Landessportbünde.Sie alle – das wird bei der weiteren Beratung des An-trags noch bedeutsam werden – wirken bei der Umset-zung der Empfehlungen des Handlungskonzepts mit, dasder Kampagne zugrunde liegt. Dabei steht die Bekämp-fung von Rechtsextremismus zwar im Vordergrund, aberder Initiative geht es um viel mehr: Sie richtet sich auchgegen jegliche Form von Diskriminierung im Umfelddes Sports und legt deshalb einen besonderen Schwer-punkt auf die Prävention.Ich will nur kurz auf die drei wichtigsten Punkte derKampagne verweisen. Es geht darum, die Vereine fürrechtsextremistische Einflussnahmen, die subtil erfolgen,zu sensibilisieren, sie zu motivieren, konsequent gegenrechtsextremistische Erscheinungsformen und Diskrimi-nierung vorzugehen, sich entsprechend fortzubilden undgegen Rechtsextremismus zu positionieren und durcheine Bündelung von Informationen und Vernetzung vonexternen Unterstützungsangeboten Vereinen eine ent-sprechende Hilfestellung zu geben.dgTdfldbhmdeBBzwsScatued„isbgsdruenswkfrzdfülubsSgww
Ich verweise mit Blick auf die neuen Bundesländerarauf, dass es dem Bundesinnenministerium ein wichti-es Anliegen war, das Programm „Zusammenhalt durcheilhabe“ zu einem Programm zu machen, das die Lan-essportbünde bei der Bekämpfung extremistischer Ein-ussnahmen und Bestrebungen im Sport unterstützt.So wichtig das Anliegen ist, so sehr ist zu bemängeln,ass sich die Antragsteller nicht über den Stand der Ar-eit hinreichend informiert bzw. nicht daran angeknüpftaben. Im Lichte der bereits bestehenden Kampagne istanche der Forderungen, die im Antrag erhoben wer-en, als wenig zielführend zu bewerten.Das gilt zunächst einmal für die Forderung, zeitnahinen Bericht über verfassungsfeindliche extremistischeestrebungen im Sport, mit konkreten Fallzahlen nachundesländern und Sportarten, vorzulegen. Die Umset-ung dieser Forderung bedeutet nicht mehr und nichteniger als die Einführung eines verbindlichen Melde-ystems für die Vereine, bei dem bereits unterhalb dertrafbarkeitsschwelle entsprechende Meldungen zu ma-hen sind. Sie alle, jedenfalls die Mitglieder des Sport-usschusses, stecken tief im Thema Vereinsverantwor-ng und Vereinsarbeit und wissen, was das für deninzelnen Verein und die ehrenamtlichen Leitungen be-eutet.Die zweite Forderung, die Aufnahme eines KapitelsExtremismus und Sport“ in künftigen Sportberichten,t mit dem 12. Sportbericht bereits erfüllt. Wir werdenei der Diskussion des nächsten Sportberichts die Gele-enheit haben, festzustellen, ob die Forderungen ent-prechend umfänglich und vollständig umgesetzt wur-en.
Ich erwähne schließlich eine ganze Reihe von Forde-ngen, die auf eine finanzielle Unterstützung der Ver-ine abzielen. Ich muss an diesen Forderungen zum ei-en kritisieren, dass sie haushaltsrelevant sind. Sieollten an anderer Stelle und weniger pauschal gestellterden. Zum anderen muss ich aber vor allen Dingenritisieren, dass sie die Zuständigkeits- und Kompetenz-agen außer Acht lassen, die für die jeweiligen Finan-ierungsmodelle nicht ohne Bedeutung sind.Es gibt eine Anzahl von Forderungen, die ich als aufem Wege, wenn auch nicht als erfüllt betrachte. Die Ein-hrung eines Gütesiegels ist Teil der Handlungsempfeh-ngen. Die geforderten Ansprechpartner im LSB gibt esereits. Fortbildungsveranstaltungen mit LSB-Vertreternind schon im Herbst dieses Jahres durch die Deutscheportjugend entsprechend terminiert.Ich will noch einmal deutlich machen: Ich glaube, esibt gegen das Anliegen des Antrags keinerlei Ein-ände. Im Gegenteil, wir wissen, dass wir es mit einemichtigen Anliegen zu tun haben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16563
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
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Das ist der letzte Satz, Herr Präsident.
Gut. Bitte.
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Ich möchte an dieser Stelle an Sie alle appellieren, da-
für zu sorgen, dass wir die in der Kampagne verfolgten
Ziele nicht durch ein vordergründiges Einfordern von
Erfolgsmeldungen, nicht erfüllbaren Beitragspflichten
oder unpräzise formulierten Finanzierungsmaßnahmen
konterkarieren, sondern dass wir die Maßnahmen dieser
gemeinsamen Kampagne, die von der Bundesregierung
nur zu einem Teil betrieben wird, gemeinsam unterstüt-
zen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Martin Gerster von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Gestern war der 9. November – ein ganz besonderer Tag,in mehrfacher Hinsicht ein bemerkenswerter Tag in derdeutschen Geschichte. Mit Blick auf die Reichspogrom-nacht ist dieser Tag für uns natürlich eine immerwäh-rende Mahnung, entschlossen gegen Antisemitismus, ge-gen Rassismus, kurz: gegen Menschenfeindlichkeit mitall ihren Erscheinungsformen einzutreten und klarzuma-chen: Nein, so etwas nie wieder!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir überSport sprechen, dann beschwören wir oft die Fähigkeitdes Sports, Menschen zusammenzubringen, Vorurteileabzubauen und an ihrer Stelle Fairness und Toleranz zufördern. Viel weniger sprechen wir über die Gefahren,die damit verbunden sind, wenn Sport missbraucht wird:Dann kann das exakte Gegenteil von dem entstehen, waswir uns vom Sport wünschen. Seit Jahren ist bekannt,dass Rechtsextremisten gezielt versuchen, den Sport vorihren ideologischen Karren zu spannen, und die ehren-amtliche Tätigkeit im Sportverein nutzen, um ganz ne-benbei ihre rechtsextreme Propaganda zu verbreiten.Sportstätten sehen sie als Bühne, um zu provozieren, umrassistische und antisemitische Inszenierungen irgend-wie zustande zu bringen. Die Politik darf dabei nichtwlesSedteuzvdläzDbjeGkihBnuPdshDuaswBdßEZSndtigbgnwd
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es ge-chafft, solche Aktivitäten zuweilen aus den großenportarenen zu verbannen. Aber die Frage ist ja: Wie ists uns gelungen? Hier muss man ganz klar sagen: Das istas Verdienst all derjenigen, die sich in den Fanprojek-n engagieren, die engagierte Arbeit an der Basis leistennd andererseits oftmals nicht die notwendige Unterstüt-ung aus der Politik erfahren, weil es noch immer viel zuiele Kommunen gibt, die nicht erkennen, welcher Wertahintersteckt, weil es noch immer viel zu viele Bundes-nder gibt, die sich letztendlich schwertun, sich hierbeiu engagieren.Ich will nur das Beispiel Baden-Württemberg nennen:ie schwarz-gelbe Landesregierung hat ganz lange ge-raucht, um endlich einzusehen, wie wichtig Fanpro-kte an dieser Stelle sind. Die neue Landesregierung ausrünen und SPD hat es im Koalitionsvertrag festge-lopft: Fanprojekte sind ein ganz wichtiger Bestandteilrer Politik. Das ist so, und das wird auch so bleiben inaden-Württemberg.
Seit Jahren fordern wir, die Aufbauarbeit der Koordi-ationsstelle Fanprojekte, KOS, in Frankfurt stärker zunterstützen.Unverständlich für uns ist, dass diese Woche in derresse zu lesen war, dass Bundesinnenminister Friedrichie Finanzierung dieser Projekte infrage stellt. Wir wis-en nicht, ob zutrifft, was dort berichtet wurde. Aber ichätte mir schon gewünscht, Herr Staatssekretärr. Bergner, dass Sie die heutige Debatte genutzt hätten,m klarzustellen, dass eine Reduzierung der Mittel nichtngestrebt wird. Schade! Eine verpasste Chance an die-er Stelle.Wir finden, dass es irgendwie unglaubwürdig ist,enn einerseits im Januar der Vorgänger des jetzigenundesinnenministers, Herr Thomas de Maizière, undie Familienministerin Frau Schröder sich bei einer gro-en Veranstaltung feiern lassen, wenn sie bei diesemvent viel ankündigen, wir aber andererseits jetzt in deneitungen lesen: Die Finanzierung wird infrage gestellt.chade! Vielleicht wird das einer der folgenden Redneroch klarstellen. Wir haben jedenfalls nicht vergessen,ass vor zehn Monaten zwei Minister in Berlin die Ini-ative „Verein(t) gegen Rechtsextremismus“ mit einemroßen Bahnhof vorgestellt haben, und stellen fest, dassis jetzt eigentlich noch gar nichts passiert ist. Ichlaube, hier wird etwas verwechselt. Ankündigung istoch nicht gleich Handeln.
Wenn in der Diskussion im Sportausschuss gesagtird, der Antrag der SPD-Fraktion habe sich durch Han-eln erledigt, dann muss ich sagen, dass das einfach
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16564 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Martin Gerster
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nicht zutrifft; denn schon vor über zehn Monaten wurdezum Beispiel angekündigt, dass ein Gütesiegel für Ver-eine eingeführt wird. Bislang ist noch nichts passiert.Wir haben im Sportausschuss bei den Vertretern desMinisteriums nachgefragt. Da hieß es, in den nächstenWochen wolle man sich so langsam zusammensetzenund überlegen, wie man das irgendwie hinbekommenkönne. Dazu muss ich sagen: Es dauert ganz schönlange, bis irgendetwas auf die Reihe gebracht wird. DieRegierung kündigt viel an, aber es passiert letztendlichviel zu wenig. Das kritisieren wir. Deswegen haben wirden Antrag eingebracht. Wir sagen nicht, dass allesfalsch ist, was im Januar angekündigt wurde, aber mitder Umsetzung hapert es gewaltig.Im Übrigen muss man ganz klar sagen: Sie könnteneigentlich jetzt mit gutem Beispiel vorangehen, wenn esdarum geht, Demokratie und Wertevermittlung voranzu-bringen, indem Sie uns zugestehen, dass wir auch imSportausschuss wieder öffentlich über ein solchesThema diskutieren.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Lutz Knopek von der
FDP-Fraktion.
Könnten Sie das Pult hochdrehen?
Das müssen Sie selber machen.
Mein Vorredner und ich, wir unterscheiden uns in derGröße, aber nicht in unserem Engagement für den Sport.Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich begrüße es, dass die SPD mit ihrem An-trag auf die ernstzunehmende Gefahr hinweist, dassRechtsextremisten Sportvereine gezielt zur Verbreitungihres rassistischen, antidemokratischen und menschen-verachtenden Gedankenguts nutzen, sei es als aktiverSportler, Trainer, Vorstandsmitglied oder Sponsor. Esfreut mich daher, dass dieses wichtige Thema heuteNachmittag im Plenum öffentliches Gehör finden kann.
Gerade der Sport, der Menschen verschiedenster Kul-turen miteinander verbindet, innerhalb der Gesellschaftdie Integration fördert und Werte wie Toleranz, Respektund Fairness vermittelt, muss unbedingt vor antidemo-kratischem und rassistischem Gedankengut geschütztwerden. Immer wieder blicken wir hier als Erstes aufden Fußball. Ich möchte aber auch darauf hinweisen,dass Rechtsextremismus im Sport kein reines ProblemddsmvbBbdRRGrereAdreuazPFinKsdSzDralisötesesssbBsKGInzA–nmpmmli
espekt und Menschenwürde“ eine Initiative gestartet.emeinsam mit dem organisierten Sport hat die Bundes-gierung tragfähige Handlungskonzepte vorgelegt, umchtsextremistische Tendenzen im Sport abzuwehren.uch hat das Innenministerium gegenüber den Lan-essportbünden, wie im Antrag der SPD gefordert, be-its die Empfehlung ausgesprochen, Ansprechpartnernd Hilfe zur Verfügung zu stellen, was diese teilweiseuch schon umgesetzt haben. Insbesondere der Fußballeigt sich auf der Ebene der Landesverbände für dieseroblematik sensibilisiert.Auch die klassischen Fanprojekte leisten auf diesemeld bereits hervorragende Arbeit. Des Weiteren gibt eszwischen zahlreiche Faninitiativen wie die „Bunteurve“ oder „Fare Network“, die sich gezielt gegen Ras-ismus und Diskriminierung im Allgemeinen wehren;enn auch Homophobie stellt ein großes Problem import dar.Die Europäische Kommission vergibt Zuschüsse anwölf transnationale Initiativen – neun davon ineutschland – zur Bekämpfung von Gewalt und Intole-nz im Sport, insbesondere auf der Basisebene. Zusätz-ch gibt es eine europaweite Aktionswoche gegen Ras-ismus, und Vereine und Spieler positionieren sichffentlich gegen Rassismus und nutzen ihre Möglichkei-n, in ihren Stadien gegen Rassismus vorzugehen.Die von der SPD im Antrag geforderten Initiativeneitens der Regierung, Verbände, Vereine und Fanclubsxistieren also bereits: organisationsübergreifend undogar konkreter und zielgerichteter als nun gefordert undind bis zum haushaltsrechtlich zulässigen Maß umge-etzt. Ich denke nicht, dass es bei einer so großen undreiten gesellschaftlichen Gegenbewegung Aufgabe desundes ist, hier noch weitere Modellprojekte oder Güte-iegel zu schaffen. Eher sehe ich hier die Länder undommunen in der Pflicht, die die Gegebenheiten undefahren vor Ort viel besser kennen, antiextremistischeitiativen zu unterstützen, zu fördern und eng mit ihnenusammenzuarbeiten. In diesem Punkt kann ich demntrag zustimmen, und ich begrüße es ausdrücklichanders als die Linke –, dass die SPD an dieser Stelle ei-en geweiteten Blick auf andere Formen des Extremis-us lenkt.Natürlich liegt im Bereich der Vereine der Schwer-unkt klar beim Rechtsextremismus. Allerdings darfan vor anderen Formen des gewaltbereiten Extremis-us, wie Linksextremismus und Islamismus, grundsätz-ch nicht die Augen verschließen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16565
Dr. Lutz Knopek
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Wir hoffen sehr, dass die heutige Debatte alle, alsoPolitik, Verbände, aber auch die Vereine selbst mit ihrenVereinsmitgliedern stärker für die Problematik desRechtsextremismus im Sport sensibilisiert und zum Han-deln motiviert. Wir brauchen noch stärker eine Kulturdes Hinsehens und der Zivilcourage. Je mehr Menschenvon den Kampagnen und Maßnahmen sowie den An-laufstellen bei Betroffenheit erfahren, umso stärker kön-nen wir alle gemeinsam Rechtsextremismus im Sportvorbeugen und bekämpfen.Mit Blick auf ihren Antrag muss sich die SPD aller-dings die Frage gefallen lassen, ob sie der Bundesregie-rung unterstellt, hier etwas versäumt zu haben. Dabei istdas Gegenteil der Fall. Das ist unfair und unsportlich.Meine Fraktion wird diesen Antrag daher leider ableh-nen.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Kollege Jens Petermann von der
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die
Zahlen sind erschreckend: In den letzten 20 Jahren ha-
ben 137 Menschen ihr Leben durch rechtsextremistische
Straftaten verloren. Sie wurden Opfer antisemitischer,
fremdenfeindlicher und rassistischer Gesinnungstäter.
Derartige Einstellungen finden sich in vielen gesell-
schaftlichen Bereichen – leider auch im Sport. Sie stel-
len eine ernstzunehmende Bedrohung dar. Darum müs-
sen wir uns immer wieder damit auseinandersetzen –
auch hier und heute im Deutschen Bundestag.
Die Zusammenarbeit von Politik und zivilgesell-
schaftlichen Strukturen ist hier ein erfolgreiches Agieren
gegen die Gefahr von rechts außen und ohne Alternative.
Ein Beispiel dafür ist die thüringische Kreisstadt Hild-
burghausen. Dort hatte ein bekennender Neonazi einen
Fußballverein gegründet, der als rechtes Sammelbecken
diente. Durch zivilgesellschaftliches Engagement ist es
gelungen, den Verein von der Bildfläche zu verbannen.
Die Stadt Hildburghausen – übrigens mit einem linken
Bürgermeister an der Spitze – hat dem Verein den Zu-
gang zu Sportanlagen untersagt. Der Kreissportbund hat
dem Zusammenschluss die Anerkennung als Verein ver-
wehrt, und das örtliche Bündnis gegen Rechtsextremis-
mus, in dem unter anderem Vertreter von Kirchen, Par-
teien und Gewerkschafter organisiert sind, hat vorbild-
liche zivilgesellschaftliche Aufklärungsarbeit geleistet.
Rechtsextremismus im Sport ist ein sehr ernstzuneh-
mendes Phänomen. Das zeigt eine endlose Kette von
Vorfällen insbesondere im Umfeld des Fußballs; Kollege
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iebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, das
eld überlasse ich Ihnen gerne. Auch die heutige Politik
uss sich an diesem Maßstab messen lassen. Die Linke
ird darum dem Antrag der SPD zustimmen. Die Forde-
ng, dauerhafte Förderstrukturen für Verbände und Ver-
ine zu schaffen, unterstützen wir. Das ist ein ganz kon-
reter Vorschlag, auch wenn der Antrag in der Wahl der
egriffe nicht ganz konsistent ist.
Ich erinnere an dieser Stelle an die Erkenntnisse, die
er Sportausschuss bereits im Jahre 2008 gewonnen hat.
amals erklärte der Sachverständige Martin Endemann
om Bündnis Aktiver Fußballfans in der Anhörung zu
xtremismus im Sport: Mir ist nicht bekannt, dass es in
eutschland ein großartiges Problem mit linksextremis-
schen Fußballfans gebe. Insofern halte ich den Titel
ieser Veranstaltung für falsch; es sei denn, man macht
en Fehler, antirassistisches Engagement in irgendeiner
eise mit linksextremistischer Politik verknüpfen zu
ollen. – Übrigens hat sich der DFB-Präsident Theo
wanziger diese Position in der gleichen Sitzung zu ei-
en gemacht.
Im Bereich Fußball bestehen sicherlich die größten
robleme, aber Rassismus und Diskriminierung gibt es
uch in anderen Sportarten, manchmal offensichtlich,
anchmal aber auch im Verborgenen. Bedingungsloser
insatz gegen den Rechtsextremismus in unserer Gesell-
chaft muss über Konzepte auf geduldigem Papier hin-
usgehen. Ich empfehle darum Union und FDP, einmal
eim Bürgermeister in Hildburghausen zu hospitieren.
h setze mich gerne dafür ein, dass Sie dort kurzfristig
inen Termin bekommen, und bedanke mich für Ihre
ufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar vom Bünd-
is 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esurde schon gesagt: Neonazismus und Rechtsextremis-us sind ein gesamtgesellschaftliches Problem, das im-er wieder auch im Sport vorkommt. Deshalb bin ichen Kolleginnen und Kollegen der SPD dankbar, dassie diesen Antrag eingebracht haben.
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16566 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Monika Lazar
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Sie haben den Ball aufgenommen, den wir ihnen in derletzten Wahlperiode mit unserem Antrag zugespielt ha-ben.
Unseren damaligen Antrag „Alle Formen von Diskrimi-nierungen thematisieren“ hatten Sie leider abgelehnt. Al-lerdings sehen wir mit Freude, dass Sie in Ihrem jetztvorgelegten Antrag durchaus viele unserer damaligenForderungen teilen.Der Sport hat einen hohen Stellenwert in unserer Ge-sellschaft – da sind wir uns wahrscheinlich alle einig. Al-lerdings ist der Sport nicht automatisch tolerant und inte-grativ. Wir müssen uns da immer wieder engagieren. Ichpersönlich habe schon häufig erlebt, wie Initiativen, diesich für Toleranz im Sport einsetzen, von anderen Verei-nen oder Verbänden argwöhnisch beäugt werden. Siewerden sehr schnell als Nestbeschmutzer beschimpft,oder es wird gesagt, sie würden unnötigerweise die Poli-tik in den Sport hineintragen. Deshalb möchte auch ichauf das Engagement von Theo Zwanziger verweisen, dersich diesbezüglich immer sehr explizit äußert: ob in derAnhörung des Sportausschusses oder auch sonst bei vie-len anderen Gelegenheiten. Diese Appelle müssen insbe-sondere im Breitensport gehört und umgesetzt werden.Viel zu häufig wird vor Ort gesagt, das schaffe man nicht,es wird auf das Prinzip der Subsidiarität verwiesen oderauf die Überlastung des Ehrenamtes hingewiesen.Politik ist bei dieser Thematik ebenso gefragt. DieInitiative „Verein(t) gegen Rechtsextremismus“ wurde jaschon von verschiedenen Vorrednern angesprochen.Auch ich kann allerdings nur sagen: Außer markigenWorten ist bis jetzt leider nichts weiter erfolgt.
Der Präsident des DOSB, Thomas Bach, schilderte, dassman gegen rechtsextreme Einstellungen im Sport konse-quent vorgehe. Der DOSB hätte – ich zitiere – „diesenTendenzen bereits vor Jahren den Krieg erklärt“. Daswaren klare Worte, doch nach fast einem Jahr müssenwir konstatieren: Es waren wohl eher, um im Jargon zubleiben, leere Patronenhülsen. Das Programm mag nochso schön zu lesen sein; wir würden im Bundestag gernemehr über die Umsetzung erfahren. Wenn die entspre-chenden Ministerien der Bundesregierung mehr wissen,könnte man uns ja in den Ausschüssen dahin gehend in-formieren.Wir haben in den vergangenen Jahren insbesondereauch bei den Fanprojekten sehr viel gemacht, mittler-weile in allen Bundesländern. In Sachsen hat es wie inBaden-Württemberg – Letzteres wurde ja schon ange-sprochen – lange Jahre gedauert, bis etwas unternommenwurde. Es musste erst etwas Schlimmes passieren, bissich die sächsische Landesregierung dazu durchgerun-gen hat. Von daher sind die geplanten Kürzungen bei derKOS in keiner Weise nachvollziehbar. Es kann einfachnicht sein, dass man sagt, hier werde Geld verschwendet.Hier wird gute Arbeit geleistet. Wir brauchen eher mehrdavon als weniger. Von daher ist insbesondere die sozial-pädagogische Arbeit in diesen Bereichen auszuweiten.Hier darf es keine Kürzungen geben.hzisuwotiDawaanruhddkleFlepznredredgPdbdU–dtihnDG
Das Förderprogramm „Zusammenhalt durch Teil-abe“ ist ebenfalls schon angesprochen worden. Die da-ugehörigen Modellprojekte unterstützen wir. Allerdingst auch bei diesem Programm zu kritisieren, dass dernklare, unwissenschaftliche Extremismusbegriff immerieder verwendet wird. Dieser Umstand erschwert diehnehin schwierige praktische Arbeit. Ebenso ist zu kri-sieren, dass die Dauer des Programms nur befristet ist.as ist ein generelles Problem. Ich erinnere nur an dasusgelaufene Modellprojekt „Am Ball bleiben“. Dorturden tolle Sachen gemacht, aber das Programm läuftus; alles wird abgeheftet, und es folgt leider nichts.Wir müssen nicht jedes Mal das Rad neu erfinden;ber wir sollten uns endlich alle zusammensetzen undachhaltige Konzepte entwickeln, inklusive Finanzie-ng.Ganz zum Schluss an all diejenigen, die den Antrageute ablehnen werden: Ihnen empfehle ich die Lektürees Buches „Angriff von Rechtsaußen – Wie Neonazisen Fußball missbrauchen“ von Ronny Blaschke. Dortönnen Sie alle möglichen Beispiele noch einmal nach-sen, zum Beispiel den von Herrn Bergner erwähntenall Battke und den Fall in Hildburghausen, den der Kol-ge Petermann genannt hat. Es gibt auch ein großes Ka-itel zum Thema Leipzig, wo es in der Auseinanderset-ung große Probleme gibt. Lesen bildet! Wenn Sie heuteicht zustimmen, kommen wir vielleicht zu einem ande-n Zeitpunkt zu einer gemeinsamen Position.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Frank Steffel von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Wir begrüßen es, um das gleich vorneweg zu sagen,ass es seit Anfang dieses Jahres das gemeinsame Pro-ramm „Verein(t) gegen Rechtsextremismus“ gibt – einrogramm der Bundesregierung, mehrerer Ministerien,er Sportminister der 16 Bundesländer, der Landessport-ünde, des DOSB, des DFB, der Deutschen Sportjugend,er kommunalen Spitzenverbände und vieler anderer.nabhängig davon, was wir im Detail kritisieren können das mag ja zum Teil sogar einen –, sind wir dankbar,ass sie alle sich darauf verständigt haben, diesem wich-gen Thema die Bedeutung beizumessen, die wir ihmeute zu Recht auch im Deutschen Bundestag zuerken-en.Es gibt Themen, die sich wenig für parteipolitischenissens eignen. Deswegen haben wir Ihren Antrag, Herrerster, im Sportausschuss sehr ausführlich beraten. Wir
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16567
Dr. Frank Steffel
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sind in der Tat in einigen der acht Punkte, die Sie ergän-zend vorschlagen, nicht Ihrer Auffassung und werdenden Antrag heute ablehnen müssen, weil das nun einmaldas parlamentarische Verfahren ist. Wir lassen uns des-wegen aber nicht unterstellen, wir würden das Themanicht ernst nehmen oder gar uns nicht ernsthaft darumbemühen, unseren Vereinen dabei zu helfen, sich vorRechtsradikalen und Rechtsextremen zu schützen.Denn, meine Damen und Herren, darum geht es imWesentlichen. Wir sollten nicht den Eindruck erwecken,der deutsche Sport, gar der deutsche Vereinssport oderwesentliche Teile der Ehrenamtlichen, die im deutschenVereinssport tätig sind, seien rechtsradikal oder hättenverdeckt rechtsradikale Empfindungen.
– Ich will das nur klarstellen, Frau Kollegin. Ich habe daüberhaupt keinen Dissens gehört. Aber viele Hundert-tausend Menschen hören heute zu oder erfahren das, waswir hier besprechen, auf anderem Wege. Insofern willich deutlich machen: In den Vereinen sind zu 99,9 Pro-zent Menschen tätig, die für Toleranz, für Menschen-rechte, für Respekt, für Fairness und für all das werben,was uns auch hier verbindet.
Nun gibt es offensichtlich ein Problem. Viele jungeMenschen engagieren sich sehr stark in Vereinen;50 Prozent unserer Jugendlichen sind in Sportvereinen.Diese jungen Menschen sind natürlich ein guter Nährbo-den für politische Strömungen, die versuchen, Menschenin die Irre zu führen, die mit Fremdenfeindlichkeit, mitAusgrenzung, mit all den Dingen, die wir in unserem de-mokratischen Spektrum eben nicht wollen, versuchen,diesen Menschen einfache Antworten zu geben und da-mit vielleicht auch von Alltagsproblemen abzulenken.Insofern sind wir gut beraten, den Vereinen zu helfen– die Bundesregierung und die Initiative tun das – undsie übrigens auch zu ermutigen – auch diesen Aspektmöchte ich herausarbeiten –, sich dazu zu bekennen,wenn sie ein solches Problem in ihrer ehrenamtlichenTrainer- oder Betreuerschaft haben. Das ist doch einwirkliches Problem bei diesem Thema. Wenn ein Vereinsagt, er habe bei einem Jugendtrainer festgestellt, dass erbeispielsweise Mitglied der NPD ist und dass er mit jun-gen Menschen nicht so arbeitet, wie der Verein sich dasvorstellt, dann führt das zu einer medialen Ächtung und,möchte man fast sagen, zu einer gesellschaftspolitischenHinrichtung des Vorstandes des Vereins und der anderenehrenamtlichen Trainer. Es entsteht außerdem der Ein-druck, der gesamte Verein habe jahrelang bewusst weg-geschaut, was dazu führt, dass Eltern ihre Kinder ausdem Verein herausnehmen. So dürfen wir uns nicht wun-dern, dass die Vereine sagen: Wenn das die Konsequenzist, dann vertuschen wir diese Vorkommnisse undschweigen das Thema lieber tot. – Daher möchte ichheute meine Rede dazu nutzen, nicht nur allgemeine Be-kenntnisse abzugeben, sondern an uns und an die Me-dien zu appellieren, die Vereine, die den Mut haben, einsolches Thema in die Öffentlichkeit zu bringen, zu un-terstützen. Das ist ein wichtiger Aspekt dieser Debatte.mfalinwulilePluleinssbmgenlefeadddGwihssWfeinDgteihTddkzdted
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16568 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Erst einmal möchte ich feststellen, dass es heute nicht
darum geht, dass Fußballfans – teilweise handelt es sich
um Hooligans – bei Bundesligaspielen Spieler mit Mi-
grationshintergrund beleidigen, wie wir es öfter im Fern-
sehen beobachten können. Es geht vielmehr darum, wie
gerade bei den kleinen Vereinen vor Ort mit dem Thema
Menschenverachtung, Rassismus und Rechtsextremis-
mus umgegangen wird. Dass das im Sport genauso wie
in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen ein wichti-
ges Thema ist, muss uns allen bewusst sein.
Herr Bergner und Herr Steffel, Sie haben auf die gu-
ten Ansätze, die mit den Projekten verbunden sind, hin-
gewiesen. Sie haben das Programm „Zusammenhalt
durch Teilhabe“ und die Fanprojekte gelobt. Sie spre-
chen von einer guten Arbeit vor Ort. Dem schließen wir
uns an und danken den Ehrenamtlichen herzlich für ihre
Arbeit.
Ich sage auch einen herzlichen Dank dafür, dass wir
diese Arbeit hier gemeinsam unterstützen. Wir sind uns
darin einig, dass es sich um eine Aufgabe handelt, der
wir uns ständig stellen müssen. Aber weil wir uns dieser
Aufgabe ständig stellen müssen, ist unser Antrag ein
Beitrag dazu, neue Impulse zu setzen. Diese vermisse
ich aber auf der Seite der schwarz-gelben Koalition. Hier
hätten Sie doch sagen können: Wunderbar, die Sozialde-
mokraten haben einen Antrag eingebracht. In der Bewer-
tung der Lage sind wir uns einig und auch darüber, dass
wir gute Projekte haben. Wie aber machen wir gemein-
sam weiter? – Das fehlt auf der schwarz-gelben Seite.
Hierzu hätte ich heute etwas mehr von Ihnen erwartet.
Die Frage, wie wir für Menschlichkeit und Toleranz
werben können, ist nicht nur im Sport wichtig, sondern
insbesondere auch in der Jugendpolitik. Das ist ein sehr
wichtiges Thema. Ich vermisse in der Debatte über diese
Frage aber noch ein Zweites, nämlich die Gesamtstrate-
gie der Bundesregierung dazu. In den einzelnen Häusern
gibt es viele unterschiedliche und gute Ansätze, was
meistens in den Haushaltstiteln zum Ausdruck kommt.
Wie aber die Gesamtstrategie der Bundesregierung für
diesen Bereich aussieht, ist auch heute wieder nicht
deutlich geworden. Ich bitte Sie, hier noch einmal nach-
zuarbeiten. Dann freuen wir uns auf die weitere Diskus-
sion.
Schließlich ist heute noch einmal deutlich geworden,
dass den Projekten die Nachhaltigkeit fehlt.
Nicht umsonst wollen wir die neuen Impulse starten und
erneut über das Thema reden; denn es passiert immer
wieder, dass gute Projekte auslaufen und leider nicht
weitergeführt werden. Deshalb bitte ich Sie: Stimmen
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Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Sportaus-chusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit demitel „Rechtsextremistische Einstellungen im Sport kon-equent bekämpfen – Toleranz und Demokratie nachhal-g fördern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-chlussempfehlung auf Drucksache 17/7597, den Antrager Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5045 abzuleh-en. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-enstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-ng ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, derraktion Bündnis 90/Die Grünen – –
Wollen Sie Ihr Abstimmungsvotum ändern? – Ich wie-erhole die Abstimmung. Wer stimmt für diese Be-chlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-ält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit dentimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmener Oppositionsfraktionen angenommen.Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesord-ung um die Beratung einer Beschlussempfehlung desusschusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-chäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zururchführung eines Strafverfahrens zu erweitern undiese jetzt als Zusatzpunkt 15 aufzurufen. Sind Sie damitinverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so be-chlossen.Somit rufe ich den Zusatzpunkt 15 auf:Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-schäftsordnung
Antrag auf Genehmigung zur Durchführungeines Strafverfahrens– Drucksache 17/7682 –Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Ausschussr Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnungmpfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-ache 17/7682, die Genehmigung zur Durchführung einestrafverfahrens zu erteilen. Wer stimmt für diese Be-chlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –ie Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 a und b auf:a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16569
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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– zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU,SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENAusgleich für Radargeschädigte der Bun-deswehr und der ehemaligen NVA– zu dem Antrag der Abgeordneten RainerArnold, Dr. Hans-Peter Bartels, Dr. h. c.Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPDAusgleich für Radargeschädigte der Bun-deswehr und der ehemaligen NVA voran-bringen– zu dem Antrag der Abgeordneten AgnesMalczak, Katja Keul, Tom Koenigs, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENUmfassende Entschädigung für Radar-strahlenopfer der Bundeswehr und derehemaligen NVA– Drucksachen 17/7354, 17/5365, 17/5373, 17/7553 –Berichterstattung:Abgeordnete Karin StrenzUllrich MeßmerBurkhardt Müller-SönksenInge HögerAgnes Malczakb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Höger, Paul Schäfer , Kathrin Vogler, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEUmfassende Entschädigung für Radarstrah-lenopfer der Bundeswehr, der ehemaligenNVA und ziviler Einrichtungen– Drucksachen 17/5233, 17/6556 –Berichterstattung:Abgeordnete Karin StrenzUllrich MeßmerBurkhardt Müller-SönksenPaul Schäfer
Agnes MalczakNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-schlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstemRedner dem Parlamentarischen Staatssekretär ChristianSchmidt das Wort.C
Herr Präsident! Mein Kolleginnen und Kollegen! Dieheutige Debatte des gemeinsamen Antrags der Fraktio-nen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/DieGrünen ist eine wichtige Debatte. Die Bundesregierungbegrüßt ausdrücklich das Ergebnis der vorangegangenenBdsudgSbRdwüuIcmsEBhcHetegbcrauriddEliimliheEegszsKsdKFdg
ine solche Tätigkeit ist nicht ganz einfach, weil erheb-che finanzielle Volumina bewegt und Entscheidungen Einzelfall getroffen werden müssen, die von erheb-cher Tragweite für die Betroffenen sind.Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestagesat in seiner Sitzung vom 27. Oktober dieses Jahresmpfohlen, im Haushalt des Jahres 2012, in unsereminzelplan 14, eine Summe von 7 Millionen Euro fürine mögliche Stiftungslösung vorzusehen. Ich kommeerade von der Bereinigungssitzung des Haushaltsaus-chusses und durfte die frohe Nachricht mitnehmen, dasswischenzeitlich die letzten Hürden genommen wordenind.
ollegin Hoff, es ist ein Zufall, dass diese Bereinigungs-itzung vor unserer Debatte stattgefunden hat und ichem Hauptberichterstatter Ihrer Fraktion, Herrnoppelin, sowie den Kolleginnen und Kollegen derraktionen der Koalition, aber auch der Opposition fürie Unterstützung danken darf. Ich möchte sowieso sa-en: Bei diesem Thema, das sich seit 12 oder 13 Jahren
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16570 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Parl. Staatssekretär Christian Schmidt
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)in der politischen Diskussion befindet, stehen wir alle ineiner Verantwortung, sei es eine parlamentarische Ver-antwortung oder eine Regierungsverantwortung; wir ha-ben mit erheblichem Engagement und Maß versucht, unsden entsprechenden Fragen zu stellen.Die Diskussionen sind nun zu einem gewissen Ab-schluss gekommen; das ist erfreulich. Wir werden nichtnur die Empfehlungen der Radarkommission eins zueins umsetzen; es kommt ein weiteres Instrument hinzu,das mit Blick auf die Fürsorge angewendet werden kann.Die entsprechenden Gelder müssen sicherlich mit Au-genmaß und verantwortungsbewusst verteilt werden; siemüssen ihre Wirkung entfalten können. Wir werden übereine reine Stiftungslösung hinausgehende Vorschlägezur Verbesserung der Situation von Radargeschädigtensorgfältig prüfen. Ohne das Ergebnis vorwegnehmen zuwollen, möchte ich zu der Aufforderung, eine finanzielleBeteiligung der Gerätehersteller an solch einer Stiftungzu erreichen, jedoch sagen, dass dies zwar angestrebtund gefordert wird, wir uns aber, wie ich meine, nichtvon unserem Weg abbringen lassen dürfen, indem wirBedingungen aufstellen, die ein baldiges Wirken derStiftung verhindern würden.Hinsichtlich der Empfehlungen aus dem Bericht derRadarkommission kann ich versichern, dass wir dieseeins zu eins umsetzen. Wir haben eine erhebliche Zahlvon Fällen, die bereits verbeschieden sind. Darüber hi-naus kann ich versichern, dass wir Entscheidungsspiel-räume, beispielsweise bei Doppelkausalitäten, im Sinneder Betroffenen nutzen, ohne im Einzelfall nachzuprü-fen, ob wirklich eine Kausalität besteht. Das ist eineFrage, die sich über das soziale Entschädigungsrecht hi-naus entwickelt. Das müssen wir wissen.Genauso gehört dazu, dass sich der jetzige Sachver-ständigenbeirat „Versorgungsmedizin“ beim Bundes-ministerium für Arbeit und Soziales fortentwickelt unddort neue Prüfungen von über das evidenzbasierte Wis-sen hinausgehenden Vorgaben erforderlich sind, um bei-spielsweise bei der CLL, der chronischen lymphatischenLeukämie, oder bei benignen Tumoren zu möglicher-weise neuen Bewertungen zu kommen. Diese werdendann selbstverständlich einfließen.Ich hoffe, dass wir aus dem Bereich Radar nicht wei-tere neue Fälle von Soldatinnen und Soldaten dazube-kommen, die Schäden davongetragen haben. Ich meine,dass das Instrument einer Stiftung für die Fürsorge, diewir unseren Soldatinnen und Soldaten angedeihen lassenmüssen, eine ganz wichtige Errungenschaft ist.Dafür möchte ich mich noch einmal bei allen Bericht-erstatterinnen und Berichterstattern sowie beim Haus fürdie Unterstützung und die Aufforderungen bedanken.
Das Wort hat der Kollege Ullrich Meßmer von der
SPD-Fraktion.
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Vor uns liegen klare Verbesserungen der jetzigen Si-ation:Erstens. Die Möglichkeit, dass bereits abgelehnteälle als Härtefälle positiv im Sinne der Antragstellereschieden werden können.Zweitens. Eine mögliche Beteiligung der Geräteher-teller an einem Ausgleich.Drittens. Eine klare Aufforderung auch an die Ver-altung, die Umsetzungspraxis weiter im Interesse deretroffenen zu verbessern.Viertens. Die Absicht, auch weiterhin neue wissen-chaftliche Erkenntnisse in der Anerkennungspraxis zuerücksichtigen.Fünftens. Die Aufforderung, ein Expertengremiumr Zweifelsfälle einzurichten, das auch vermitteln kann.
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Ullrich Meßmer
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Sechstens. Eine jährliche Berichtspflicht der Bundes-regierung zur Kontrolle der Fortschritte.Was bedeutet das konkret? Erstens. Bereits abge-lehnte Anträge – ich hatte bereits darauf hingewiesen –erhalten erneut eine Chance. Hier fordert der Antrag ein-deutig, dass im Zweifelsfall großzügig verfahren werdensoll – ich zitiere –,um in besonderen Härtefällen, die auf Grund derAusübung der dienstlichen Pflichten entstandensein könnten, eine gewisse Unterstützung – auchaußerhalb des geltenden Versorgungsrechts – er-möglichen zu können.Sie haben auf die Problematik hingewiesen.Zweitens ermöglicht der Antrag ungeachtet rechtli-cher Verpflichtungen eine Beteiligung der Geräteherstel-ler an einer solchen Stiftung oder einem Fonds, der dannnotwendig wäre. Ich weiß auch – ich will das so deutlichsagen –, dass das sicherlich einer der schwierigsten Teileist. Niemand wird sich jubelnd darauf stürzen. Aber ichdenke, es ist es durchaus wert und Aufgabe der Bundes-regierung, ein Stück weit auf die Gerätehersteller einzu-wirken, dass auch sie als Produzenten eine Verantwor-tung für die durch Strahlung geschädigten Opfer haben.Drittens. Besonders wichtig ist es mir, festzuhalten,dass der Wille, den Opfern zu helfen, im Vordergrundsteht, und zwar möglichst unbürokratisch und möglichstzügig. Ich gebe zu, das wir uns als SPD bei diesen For-mulierungen ein bisschen mehr Biss gewünscht hätten.Aber wir sind uns einig, es gilt die Feststellung: Es man-gelt in diesem Haus nicht am politischen Willen. DieUmsetzung ist vielleicht – hier hilft der Antrag – nochverbesserungsfähig.Viertens. Es ist wichtig, neuere wissenschaftliche Er-kenntnisse in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen.Das ist im Interesse der Betroffenen; denn mancheKrankheitsbilder werden möglicherweise erst in dennächsten Jahren so weit untersucht sein, dass man ioni-sierende Strahlung als Auslöser ansehen oder sicher aus-schließen kann. Deshalb müssen auch weitere Untersu-chungen erfolgen. Radioaktive Leuchtfarbe wird imAntrag explizit genannt. Es geht um Klarheit für ehema-lige Bordmechaniker und Wartungspersonal, die Leucht-farben ohne Schutzvorrichtungen erneuert haben.Fünftens. Bei strittigen Fällen sollen unabhängige Ex-perten zurate gezogen werden. Dadurch können Verfah-rensdauern verkürzt werden; denn die Zeit wird knapp.All diese Vorschläge wurden fraktionsübergreifend– ich will das so deutlich sagen – erarbeitet. Das wareine positive Erfahrung für mich, deshalb möchte ichmich bei allen Beteiligten der Fraktionen für die sehrkollegiale und zielorientierte Zusammenarbeit herzlichbedanken. Mein Dank geht auch in Richtung der Interes-senverbände der Opfer und des Deutschen Bundeswehr-Verbandes. Ihrem unablässigen Wirken – das muss manso ehrlich sagen – ist es zu verdanken, dass das ThemaRadarschädigung nicht vergessen, sondern auf der politi-schen Tagesordnung gehalten wurde.zFAwgstrimAmdkStezeg–SFsmEAfüGSdHledcrotaWreInddS
Ich weiß, dass in dem Antrag nicht alle Wünsche bisum Letzten erfüllt worden sind, zum Beispiel in derrage der Beweislastumkehr bzw. der Erleichterung vonnerkennung weiterer Krankheitsbilder oder der Aus-eitung der Gruppe der Betroffenen. Ich will hinzufü-en: Es ist nicht alles eins zu eins umsetzbar. Man mussich fragen: Entscheide ich mich für den schönsten An-ag im Interesse der Verbände, der aber keine Mehrheit Parlament findet, oder entscheide ich mich für einenntrag im Sinne der Opfer, der die Mehrheit im Parla-ent findet? Ich denke, wir haben uns richtig entschie-en.Ich weiß, dass viele Dinge problematisch sind. Manönnte in Abwandlung des deutschen Sprichwortes vonpatz und Taube die irische Variante nehmen, die da lau-t: Ein Vogel in der Hand ist ungefähr so viel wert wiewei Vögel im Busch. Dieser Antrag ebnet den Weg zutwas besseren Lösungen. Die derzeitige Entschädi-ungspraxis wird verbessert.
Ja, das war nur die Abwandlung des Sprichwortes vonpatz und Taube. Die Iren haben da eine etwas andereormulierung, vielleicht eher landschaftlich verhaftet.Herr Staatssekretär, Sie kommen gerade aus der ab-chließenden Konsolidierungssitzung. Ich denke, manuss über die 7 Millionen Euro, je nachdem, wie dientschädigungspraxis ausfällt, nachdenken; denn gutebsichten können bei unzureichender finanzieller Unter-tterung – das ist mir sehr wichtig – sehr schnell in dasegenteil umschlagen, weil alle sagen: Ihr habt etwaschönes gemacht, aber ihr gebt kein Geld dazu, damitas umgesetzt werden kann. Mein Appell geht an dieaushälter aller Fraktionen: Es ist noch einmal zu über-gen, ob man nicht gerade in der Anfangsphase, in derer Druck sehr groß ist, doch noch Verbesserungen errei-hen kann. Ich glaube, dass hier einiges möglich ist.Wir sind uns darüber einig, dass wir zügig und unbü-kratisch helfen wollen. Die Praxis wird zeigen, ob estsächlich gelingt, hier etwas auf den Weg zu bringen.enn aus der Absicht Realität wird, waren wir mit unse-m Antrag sehr erfolgreich. In diesem Sinne betone ich: den weiteren Beratungen bis zur Abstimmung geht esarum, das Ganze umzusetzen. An die Arbeit, die Zeiträngt!Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Burkhardt Müller-önksen von der FDP-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Lieber Kollege Meßmer, im Anschluss an Ihre Redemöchte ich zwei Dinge ansprechen.Erstens. Sie haben von der Beweislastumkehr gespro-chen. Dieser Antrag stellt in gewisser Weise juristischeine Beweislastumkehr dar. Ja, wir wollen den Betroffe-nen helfen. Das ist richtig und gut so. Bisher mussten dieSoldaten beweisen, dass sie eine Schädigung davonge-tragen haben. Das haben wir mit diesem Antrag besei-tigt. Insofern ist das ausgeräumt.Ich möchte gleich mit einem zweiten Punkt aufräu-men: Für mich sind die 7 Millionen Euro, die wir ange-setzt haben, das Ergebnis einer realistischen Abschät-zung dessen, was wir finanziell zu wuppen haben. Dasist seriös gerechnet. Diese Summe ist im Haushaltsent-wurf bereits enthalten; das ist wichtig und zu betonen.Ich möchte aber auch klar sagen, dass eine Evaluierungstattfinden wird. Es gibt keinen Deckel. Wir müssen se-riös arbeiten und schauen, ob das reicht.
Wir als Parlament haben Wort gehalten. Mit demheute vorliegenden Antrag haben wir die Grundlage füreinen fairen und unbürokratischen Ausgleich für die Ra-dargeschädigten gefunden. Darüber werden wir gleichabstimmen. Mich freut besonders, dass wir keinen Un-terschied machen, ob die Soldatinnen und Soldaten beider Bundeswehr oder bei der NVA gewesen sind.Der heute vorliegende Antrag geht auf die gemein-same Initiative einer breiten Mehrheit der Fraktionenhier im Haus zurück. Daher gilt mein besonderer Dankmeinen Berichterstatterkolleginnen, Karin Strenz undAgnes Malczak, sowie meinem Berichterstatterkollegen,Herrn Meßmer. Wir haben im Interesse der Sache und imInteresse der Soldatinnen und Soldaten sehr gut zusam-mengearbeitet.
Ich freue mich, dass es uns gemeinsam gelungen ist, ei-nen solchen Konsens im Sinne der Sache zu finden.Mein Dank gilt auch dem Parlamentarischen Staatsse-kretär Christian Schmidt, der das Anliegen des Parla-ments von Anfang an positiv begleitet hat.
Mein Dank gilt aber auch den Kolleginnen und Kolle-gen im Haushaltsausschuss. Sie haben trotz der großenHerausforderung Bundeswehrreform eine Möglichkeitgefunden, im Verteidigungshaushalt eine angemesseneEntschädigung für die Radaropfer einzustellen. Ganz be-sonders möchte ich mich bei den Opferverbänden bedan-ken. Sie haben uns Parlamentariern in vielen Gesprä-chen, in vielen Stunden immer wieder die Lücken imbisherigen Entschädigungsverfahren aufgezeigt. Ihr jah-relanges Engagement ist ein Grund dafür, dass wir heutedeJdssKsgssnw–wnVnhlavsassgvsnwgöksAsumgwLheUggpsDzSteknH
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gen geleistet werden. Damit, dass wir hier heute begin-nen, setzen wir ein Zeichen. Ich bitte daher alle um ihreZustimmung zu diesem interfraktionellen Antrag. Ichglaube, dass diese breite Mehrheit hier eine klare Aus-sage in Richtung der Radargeschädigten ist: Wir habeneuch nicht vergessen, und wir setzen uns weiterhin füreuch ein.Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege
Harald Koch.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Seit Jahrzehnten führen viele ehemalige Bundes-
wehr- und NVA-Angehörige einen engagierten, aber er-
folglosen Kampf um Anerkennung und Entschädigung
für ihre unwissentlich durch die Arbeit an ungeschützten
Radargeräten erworbenen Krankheiten. Um diesen Men-
schen endlich zu ihrem Recht zu verhelfen, gibt es seit
mehr als einem Jahr interfraktionelle Gespräche, die
maßgeblich von der Linken initiiert wurden.
Dabei wurde von allen Fraktionen immer wieder der
Wille bekundet, den Betroffenen möglichst zeitnah und
umfassend Hilfe zuteil werden zu lassen. Dass dies of-
fenbar nur leere Floskeln waren, zeigt sich nun in dem
Antrag, den Sie heute zwar interfraktionell, aber ohne
die Linke vorlegen.
Ich möchte hier Folgendes betonen – das erwarten Sie
wahrscheinlich gar nicht –: Ich bedanke mich ausdrück-
lich bei den Berichterstatterkolleginnen und -kollegen
für die Zusammenarbeit. Es war eine sehr sachliche Zu-
sammenarbeit, aber leider wurden wir als Linke dann
aus diesem Antrag ausgeschlossen. Ich bedauere das
sehr. Ich hoffe, dass das in Zukunft anders wird.
Sie fordern in Ihrem Antrag, die Bundesregierung
solle prüfen, ob eine gewisse Unterstützung durch eine
Stiftung oder einen Fonds denkbar ist. Das ist zu wenig;
das ist zu unverbindlich. Sie prüfen seit zehn Jahren. In
den letzten zehn Jahren ist bei dieser Prüfung nichts
Sinnvolles für die Betroffenen herausgekommen. Das
sage ich aus der Sicht der Betroffenen. Wie wir das se-
hen, sei dahingestellt. Soll es jetzt noch weitere zehn
Jahre so gehen? Dafür haben die Betroffenen keine Zeit
mehr. Aufgrund ihres oft schon hohen Lebensalters ster-
ben sie, bevor die Bundesregierung zu Ende geprüft hat.
Das kann ja wohl nicht Ihre Lösungsstrategie sein. Das
Spiel auf Zeit zulasten der Betroffenen ist zynisch und
muss endlich ein Ende haben.
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gierung einigen. Dazu gehört vor allem der Prüfauftragzur Einrichtung einer Stiftung zur Unterstützung der ra-dargeschädigten ehemaligen Soldaten und eines unab-hängigen Expertengremiums für Streitfälle.Einig sind wir uns aber nicht in der Bewertung derbisherigen Entschädigungspraxis. Wir haben eine beson-dere Verantwortung für die Parlamentsarmee. Diese be-steht auch in der Verpflichtung zur Fürsorge für die Sol-datinnen und Soldaten. Das gilt nicht nur für dieGegenwart und die Zukunft, sondern auch für die Ver-gangenheit.
Die durch Radarstrahlen geschädigten Soldaten habendiese Fürsorge bisher nur unzureichend erfahren. Diesgilt auch für die ehemaligen Soldaten der NVA. Hiermüssen wir dringend Abhilfe schaffen. Es war schon ei-nige Überzeugungskraft notwendig, um die Koalitions-fraktionen von diesem Handlungsbedarf zu überzeugen.Das Verfahren ist an der einen oder anderen Stelle leiderunnötigerweise ins Stocken geraten. Erst nachdem dieOppositionsfraktionen jeweils Anträge eingereicht ha-ben, haben sie sich bewegt. Allein in dieser Legislatur-periode haben wir nun zwei Jahre gebraucht, um diesenKompromiss zu erzielen. Insgesamt wurde auf diese Artund Weise zu viel Zeit vertan, Zeit, in der sich die ehe-maligen Soldaten der Bundeswehr und der NVA und ihreAngehörigen von Dienstherr und Politik alleine gelassengefühlt haben.
Es ist zehn Jahre her, dass sich der Verteidigungsaus-schuss erstmals intensiv mit dem sogenannten Radarpro-blem auseinandergesetzt hat. Ehemalige Soldaten derBundeswehr, aber auch der NVA waren bis in die 80er-Jahre hinein unzureichend geschützt an Geräten einge-setzt, von denen eine gesundheitsschädliche Strahlungausging. Die tragischen Folgen für die Soldaten zeigtensich in der Regel erst wesentlich später. Die Betroffenenerkrankten schwer – nicht selten mit tödlichem Ausgang –,sie konnten keine Kinder zeugen, oder ihre Kinder kamenmit massiven Erbgutschäden zur Welt.Da die Ursache ihrer Erkrankung im Dienst bei derBundeswehr lag, sollten sich die Betroffenen eigentlichauf die Fürsorge und Unterstützung ihres ehemaligenDienstherrn verlassen können. Es war eine äußerstschmerzhafte Erfahrung für die Betroffenen, dass derDienstherr eine Verantwortung zuerst verweigerte. Dochsie gaben nicht auf und konnten schließlich erreichen,dass sich das Parlament mit ihrer Situation auseinander-setzte. Experten untersuchten damals im Auftrag desVerteidigungsministeriums die Zusammenhänge undempfahlen schließlich eine wohlwollende Entschädi-gungspraxis. Das ist acht Jahre her.Es ist traurig, dass dieser Antrag nach diesem langenZeitraum heute noch notwendig ist. In dieser Zeit ist eseben nicht gelungen, die Entschädigungspraxis so zu ge-stalten, dass allen Betroffenen geholfen werden kann.Die Folge ist, dass Menschen, die um ihr Leben kämp-fen, oder auch die Hinterbliebenen Kraft in einen mühsa-men Rechtsstreit stecken müssen. Es ist richtig, dass wirhsdudwsdgzzEfütedtrzsdetuAkaCahtiVriwnseauste
Das Verteidigungsministerium ist jetzt in der Pflicht,en Auftrag, den das Parlament ihm heute hier erteilenill, zügig umzusetzen. Insbesondere in die Stiftungslö-ung setzen viele Betroffene große Hoffnungen, und dieürfen wir nicht enttäuschen.In den Debatten und in der heute diskutierten Eini-ung haben wir uns auf die ehemaligen Soldaten kon-entriert. Was wir nicht vergessen sollten: Auch dieweite Generation, die Kinder der Soldaten, ist durchrbgutschäden von dieser Problematik betroffen. Auchr sie ist die Entschädigungsfrage noch nicht beantwor-t. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie beier Umsetzung dieses Antrages auch die Kinder der be-offenen Soldaten nicht außer Acht lässt.
Die Weigerung, ein Problem im Fürsorgebereich an-uerkennen und schnell und entschlossen nach einer Lö-ung zu suchen, finde ich im Übrigen ausgesprochen be-enklich. Radargeschädigte sind für diese Haltung nurin Beispiel. Auch die an einer posttraumatischen Belas-ngsstörung Erkrankten mussten viel zu lange um dienerkennung ihrer Probleme und um Unterstützungämpfen. Ich kann den Minister nur eindringlich dazuuffordern, die Neuausrichtung der Bundeswehr auch alshance zu nutzen, hier an einem Einstellungswandel zurbeiten.Vielen Dank.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
at die Kollegin Karin Strenz von der CDU/CSU-Frak-
on das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ielen Bürgern mahlen die Mühlen unserer parlamenta-schen Demokratie zu langsam. Seien wir ehrlich: Auchir als Abgeordnete müssen bisweilen erfahren, dass sieicht schneller mahlen, selbst dann nicht, wenn wir nocho viel Wind drum machen. Aber unser Mühlen mahlenben.Ich freue mich, dass wir uns mit dem Antrag heutebermals um jene Männer kümmern, die einst bei NVAnd Bundeswehr bis in die 80er-Jahre hinein ohne Wis-en gesundheitliche Schäden durch Radarstrahlen erlit-n haben. Wir tun dies nicht zum ersten Mal.
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Karin Strenz
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Es war der Verteidigungsausschuss, der vor allerdingsfast zehn Jahren eine unabhängige Radarkommission er-kämpft hatte. In ihrem Abschlussbericht kam sie 2003zwar zu dem Ergebnis, dass es keinen konkreten Zusam-menhang zwischen der Arbeit am Radargerät und späte-ren Erkrankungen gebe, gleichwohl war dies kein Vor-wand, um finanzielle Hilfen zu verweigern; denn dieKommission schlug vereinfachte Kriterien vor, um Ver-sorgungsanträge anzuerkennen.Nun baut unser Rechtsstaat – übrigens aus gutemGrund – manche Hürde zwischen Helfen-Wollen undHelfen-Dürfen. Der Rechtsstaat will nämlich genau wis-sen, ob jemand Ansprüche hat, ob ihm geholfen werdendarf oder gar geholfen werden muss. Das ist für den Be-troffenen natürlich nicht immer leicht; denn die Hilfe,die der Staat gewährt, trägt der Steuerzahler.Dass sich Schwererkrankte, deren Anträge abgelehntwurden, bisweilen ungerecht behandelt fühlen, istmenschlich absolut nachvollziehbar. Ich nehme aberausdrücklich auch die Beamten in Schutz, die diese Ver-fahren begleitet haben und auch weiter begleiten wer-den.Ich habe in jüngster Zeit immer wieder mit einemVorstandsmitglied des Bundes zur Unterstützung Radar-geschädigter persönliche Gespräche geführt und auchsehr lange telefoniert – so auch heute. Der Mann hatAusdauer, und er verfolgt, wie viele seine Mitstreiter,unsere Arbeit sehr, sehr aufmerksam. Der eine oder an-dere Kollege kann das ganz sicher bestätigen.
Vielen Radargeschädigten sind wir natürlich nichtschnell genug, und ich kann das gut verstehen. Es ticktda – die Betroffenen nennen das selbst so – eine biologi-sche Uhr. Wir haben es mit Männern zu tun, die in den60er- und 70er-Jahren gedient haben. Das ist schon eineWeile her. Die meisten Männer sind nur noch auf altenFotos jung. Sie wollen und können nicht mehr warten.Jeder fünfte Antrag auf Entschädigung ist im Laufeder Jahre anerkannt worden. Dies mag auf den erstenBlick wenig erscheinen. Mehr als zwei Drittel wurdennicht bewilligt. Man hat dennoch großzügig geprüft, im-mer mit dem Wissen, wie schwierig der Nachweis seinkann, dass eine heutige Erkrankung mit der Arbeit anRadargeräten vor Jahrzehnten zusammenhängt.Vergessen wir nicht: Dass heute manches so kompli-ziert ist, liegt auch daran, dass von damals so wenig do-kumentiert ist. Es fehlte letztlich das Bewusstsein imUmgang mit Strahlen, zumal sich die Folgen nicht sofortzeigten, sondern oft erst Jahre oder Jahrzehnte später.Das Soldatenbild hat sich seit der Gründung der Bun-deswehr gewandelt – zum Glück. Ich kann mir vorstel-len, dass Schmerzen früher nicht ins Bild passten. Manhat sich weniger Gedanken um das Wohlergehen derSoldaten und auch um ihre Gesundheit gemacht. Wieschwer der Kampf für die Rechte ist, auch davon könnendie Radargeschädigten erzählen. Sie haben mit ihrenFPTddtrRApWBAHmzhremtädotrbnbriCcDkbnremaissbAteuKwetidge
Die gesundheitlichen Probleme im Alltag bleibenäufig. Und mehr noch: Sie verändern sich mit den Jah-n und dem Alter, leider nicht zum Besseren. Es hatich sehr bedrückt, in Gesprächen zu hören, wie ent-uscht viele Radaropfer heute sind. Ich bedaure es, dassiese Männer keine guten Erinnerungen an ihre Armee-der Bundeswehrzeit haben, weil das heute viel von demübt, was sie damals erlebt und geleistet haben. Aber ichin noch optimistisch, dass wir mit diesem interfraktio-ellen Antrag wieder einen Beitrag zur Versöhnung er-ringen können. Daran hat das Verteidigungsministe-um, vor allem aber der Parlamentarische Staatssekretärhristian Schmidt, einen großen Anteil. Dafür herzli-hen Dank!
er Dank geht natürlich ebenso an die Berichterstatter-ollegen, mit denen wir vielfach zusammengesessen ha-en und heute hoffentlich ein tolles Abstimmungsergeb-is erzielen werden.Jedem Opfer werden wir es wahrscheinlich nichtcht machen können. Wer von der Politik – das ist im-er so – absolute Gerechtigkeit und die Zufriedenheitller Betroffenen verlangt, ist und bleibt blauäugig. Dast schon deshalb schwer möglich, weil wir es mit unter-chiedlichen, sehr persönlichen Schicksalen zu tun ha-en und eben nicht mit einer Art Standarderkrankung.ber wenn wir hier und dort Leid lindern, ist das ein gu-s Ergebnis. Dann hätte sich alles gelohnt: das Ringenm einen gemeinsamen Antrag, die Suche nach einemompromiss, kurz: unsere gesamte Arbeit.Geholfen hat uns auch in schwierigen Augenblicken,enn die Verhandlungen einmal ins Stocken gerieten,in gemeinsamer Wille: Helfen – schnell und unbürokra-sch; denn das Ticken der biologischen Uhr kann ver-ammt laut sein.In Härtefällen soll der Dienstherr auch seiner Fürsor-epflicht nachkommen dürfen, wo das Versorgungsrechtben nicht weiterhilft. Das ist ein wichtiges Ergebnis.
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Wir wollen erreichen, dass noch nicht abgeschlosseneFälle sorgfältig behandelt werden. Die Bundesregierungwidmet sich also nicht nur der Ausfinanzierung, sieschaut auch, ob die Gerätehersteller beteiligt werdenkönnen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind mit diesemAntrag auf einem guten Weg. Das behaupte nicht nurich. Das hat mir auch der Vorstandsmann vom Bund zurUnterstützung der Radargeschädigten bestätigt. Unserletztes Telefongespräch wird es mit Sicherheit trotzdemnicht gewesen sein. Die Mühlen mahlen weiter.Danke.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksa-
che 17/7553. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags
der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7354 mit dem Ti-
tel „Ausgleich für Radargeschädigte der Bundeswehr
und der ehemaligen NVA“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion, der SPD-
Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, den An-
trag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5365 mit
dem Titel „Ausgleich für Radargeschädigte der Bundes-
wehr und der ehemaligen NVA voranbringen“ für erle-
digt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions-
fraktion, der FDP-Fraktion, der SPD-Fraktion und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/5373 mit
dem Titel „Umfassende Entschädigung für Radarstrah-
lenopfer der Bundeswehr und der ehemaligen NVA“ für
erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den gleichen Stimm-
verhältnissen wie die vorherige angenommen.
Tagesordnungspunkt 32 b: Beschlussempfehlung des
Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Umfassende Entschädigung
für Radarstrahlenopfer der Bundeswehr, der ehemaligen
NVA und ziviler Einrichtungen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16577
Angelika Graf
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Der Europäische Gerichtshof hat ein kohärentes Sys-tem der Prävention und Bekämpfung der Glücksspiel-sucht zur Voraussetzung für das Glücksspielmonopol derLänder gemacht. Dieses kohärente System liegt inDeutschland nicht vor, wenn der Bund bei den Geld-spielautomaten, von denen eine besonders hohe Sucht-gefahr ausgeht, beide Augen zudrückt. Erschreckende52 Prozent der Spieler in Spielhallen sagen laut dem Ab-schlussbericht des Instituts für Therapieforschung, wel-ches eine allgemeine, öffentlich anerkannte Untersu-chung durchgeführt hat, dass sie die Kontrolle über dasSpiel an den Automaten verloren haben.Die Suchtgefahr ist seit der Lockerung der Spielver-ordnung im Jahre 2005 unter dem damaligen Wirt-schaftsminister Michael Glos – diese Lockerung warohne Zweifel ein Fehler; das sage ich ganz selbstkritisch,weil auch wir damals mit an der Regierung waren – ge-stiegen. Zu diesem Ergebnis kommt die Ende 2010 vor-gelegte Evaluation des IFT, auf die ich schon hingewie-sen habe und auf die wir mit unserem Antrag reagieren.Gleichzeitig gibt es in manchen Gegenden eine regel-rechte Flut von neuen Spielhallen.Diesen Trend, meine ich, müssen wir dringend stop-pen, indem wir die Geldspielautomaten wieder stärkerzum Unterhaltungsspiel zurückführen und die Präven-tion stärken.
Es geht uns dabei um die Entschärfung und Entschleuni-gung der Geldspielautomaten, die Reduzierung der An-zahl der Automaten sowohl in Spielhallen als auch inImbissbuden, mehr Transparenz für die Spieler hinsicht-lich der realen Gewinnchancen sowie den Abbau vonsuchtfördernden Funktionen der Automaten.Auch den Einfluss der Kommunen auf die Standortevon Spielhallen wollen wir ausbauen. Wir schlagen zu-dem ein Identifikationssystem für die Spieler als Voraus-setzung für einen besseren Jugendschutz und die Mög-lichkeit der Sperrung Süchtiger vor. Die von derBundesregierung diskutierte elektronische Spielerkartemit Geldkartenfunktion und der Möglichkeit zur Spiel-manipulation ist dagegen aus unserer Sicht gefährlichund dient gerade nicht der Suchtprävention.
Als Gegengewicht zu der zweifellos mächtigenGlücksspiellobby – man muss da immer nur die Zeitun-gen lesen – brauchen wir ein Korrektiv auf Bundes-ebene. Wir denken, dass bei der Drogenbeauftragten– oder dem Drogenbeauftragen – der Bundesregierungein unabhängiger Beirat einzusetzen ist, der analog zumbestehenden Fachbeirat Glücksspielsucht der Ländereine kohärente Suchtpolitik durch die Zusammenarbeitmit den Ländern stärken soll.
Wir fordern Sie dazu auf, der Lobby nicht auf denLeim zu gehen und das Problem der Glücksspielsuchtnicht mit ein paar Placebos zu ignorieren und zu ver-hSnVaBdmDgeDnddAULsgsa1SShGzbure
Wir brauchen ein Gesamtkonzept zur Prävention undekämpfung von Glücksspielsucht, und wir brauchenas staatliche Monopol als Voraussetzung für den best-öglichen Spielerschutz. Die von den Ländern aufruck der FDP vorgesehene Aufgabe des Monopols aus-erechnet bei den suchtgefährlichen Sportwetten bedau-re ich daher ausdrücklich.
ie Länder laufen damit nämlich Gefahr, dass das Mo-opol insgesamt verzockt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Schutzauftrages Staates muss höher bewertet werden als das Interesseer Profitmaximierung. Deswegen werbe ich für unserenntrag.
Das Wort hat die Kollegin Karin Maag für die
nionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!iebe Frau Graf, Ihnen geht es darum, die Glücksspiel-ucht zu bekämpfen; so lautet zumindest Ihr Antrag. Ichlaube, bevor wir hier wieder sehr breit streuen, lohnt esich jetzt einfach einmal, das Ganze systematisch aufzu-rbeiten.Sie haben recht: Das Glücksspiel ist weit verbreitet.
4 Prozent der Deutschen haben bereits einmal einepielbank aufgesucht und dort an den Spieltischen undpielautomaten gespielt. 25 Prozent der Bevölkerungaben bereits an Geldspielautomaten in Spielhallen undaststätten gespielt. Nicht zuletzt spielen rund 70 Pro-ent der Deutschen Lotto. Wie überall kommt es aucheim Spielen und bei der Spielsucht auf das richtige Maßnd vor allen Dingen auf die richtigen Ansätze an.In der Tat ist es besorgniserregend – da haben Siecht –, dass mittlerweile rund 1,1 Prozent der bundes-
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16578 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Karin Maag
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deutschen Bevölkerung zwischen 16 und 65 ein proble-matisches Spielverhalten aufweisen.Absolut sind es rund 600 000 Menschen. Der Anteilder pathologischen Spieler beträgt je nach Ergebnis derrepräsentativen Umfragen zwischen 0,2 und 0,6 Prozent.Insofern ist die Grundüberlegung Ihres Antrags richtig.Pathologisches Glücksspiel ist als eigenständige psychi-sche Erkrankung anerkannt. Man darf sich nicht wundern,dass es die Spieler an den Geldautomaten sind, die diegrößte Gruppe innerhalb der pathologischen Spieler dar-stellen. Automatenspiele – übrigens unabhängig vomStandort, ob in Spielbanken oder in Gaststätten undHallen – haben nach allen Untersuchungen das höchsteSuchtpotenzial. Das ist einleuchtend; denn zum einen er-lebt der Spieler, der die schnelle Spielfrequenz mag, mitder bislang erlaubten Mehrfachbespielung und derSchnelle den Verlust deutlich weniger. Er hat gar keineZeit, zu realisieren, dass er in dem Augenblick, in dem erdie Taste neu drückt, schon Geld verloren hat. Zum ande-ren wird der Anreiz, mehr Geld einzusetzen, um damit ei-nen höheren Verlust auszugleichen, größer. Natürlich sinddiese Automatenspiele auch außerhalb der Kasinos in denHallen und Gaststätten verfügbar.Aber – jetzt kommt das große Aber, Frau Graf – ers-tens ist der Antrag, wenn Sie ihn an die Bundesregierungrichten, überwiegend an die falsche Adresse gerichtet.Das merkt man übrigens auch an Ihren Formulierungen.So solle die Bundesregierung auf die Länder einwirkenund an die Länder appellieren. Mit der Föderalismusre-form 2006 ist die Kompetenz für die Hallen auf die Län-der übergegangen.
Die Ministerpräsidenten werden den Staatsvertrag ir-gendwann im Dezember unterzeichnen. Also: falscherAdressat.
Zweitens. Sie verlangen eine strengere Regulierungder Automaten in Spielhallen, ohne den technisch weit-gehend nicht regulierten Markt in den Spielbanken über-haupt zu hinterfragen. Geldspielgeräte in den Spielban-ken erfahren keinerlei technische Vorgaben in derGerätekonstruktion. Da gibt es kein Verlustlimit undkeine Laufzeitbeschränkung. Es wird einzig über denZutritt in die Kasinos gesteuert. Diese einseitige Sicht istschon deshalb ein Versäumnis, weil der EuGH anmahnt,dass das staatliche Glücksspielmonopol nur vor demHintergrund haltbar ist, dass die Spielsucht in allenGlücksspielbereichen konsequent verfolgt werden muss.Drittens. Sie holen zum Rundumschlag gegen alleAutomaten aus. Sie ignorieren – das finde ich eigentlichschade –, dass die Automatenwirtschaft, die Sie so sehrals Lobby hingestellt haben,
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Ich bin durch die Stadt gelaufen, Herr Kollege.
icht, dass wir uns missverstehen: Ich will ausdrücklichugestehen, dass wir die schwarzen Schafe bekämpfenerden. Aber ich bin von einer Tatsache extrem über-eugt: Wir werden weiterhin diese Form der schnellenpiele haben. Mir ist es sehr viel lieber, dass diese in denontrollierten Spielhallen stattfinden und dass die Men-chen in diesen Spielhallen bleiben,
denen zum Beispiel Alkohol verboten ist und in denenroschüren über Sucht ausliegen müssen, als dass sichiese Szene in das Internet verlagert, wo man keinerleiugangsmöglichkeit zu ihnen hat, um das Suchtthemanzugehen.
Ich habe mit den Vertretern der Branche gesprochennd mir Spielhallen angeschaut. Ich konnte mich selbstavon überzeugen, dass die sogenannten Guten durchausereit sind, mitzuwirken.
Liebe Frau Bätzing, ich habe noch etwas und kannoch nachlegen und sagen, was wir machen wollen. Jetztarten Sie einfach einmal ab.
ür mich ist es sehr wichtig, dass das Element der frei-illigen Selbstkontrolle, das ich für ein gutes Elementalte,
leibt und dass wir erst dann, wenn dieses nicht funktio-iert, mit der staatlichen Keule kommen. Aus all diesenründen lehnen wir Ihren Antrag ab.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16579
Karin Maag
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt regen Sie sichein bisschen weniger auf. Ich bin ja noch nicht am Ende.
Das heißt nicht, dass wir Prävention vernachlässigenund dass wir uns außerhalb der technischen Regulierungnicht auch um die Suchthilfe kümmern. Ich möchte nurdarauf hinweisen, dass es seit 2007 Modellprojekte desBMG gibt. Zum Beispiel wird das Projekt „Frühe Inter-vention bei pathologischem Glücksspiel“ mit 1,1 Millio-nen Euro gefördert. Es steht bereits jetzt fest, dass dieQualifizierung in der Suchthilfe für Glücksspielsucht mitdiesem Modellprojekt gelungen ist. Des Weiteren ist dieBundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung – daswissen Sie – umfassend tätig.
Wenn Sie Ihren Fokus heute ausschließlich auf dieGeldspielgeräte richten wollen, so kann ich Ihnen sagen,dass dieser Bereich in Spiel- und Gaststätten bereitsheute streng reguliert ist.Darüber hinaus mahnten Sie den Einsatz auf europäi-scher Ebene an. Ich kann Sie beruhigen: Auch dort istDeutschland sehr präsent. Es geht dabei insbesondereum den Minderjährigenschutz, die Bekämpfung derSpielsucht und den Schutz vor Folge- und Begleitkrimi-nalität.Sie rufen stets nach Änderungen der Baunutzungsver-ordnung. Auch hier empfehle ich – wie sonst auch – eindifferenziertes Vorgehen. Die Städte und Gemeinden ha-ben heute schon die Instrumente, um den Spielhallenauf-wuchs zu steuern. Das setzt vor allem die Verabschie-dung der entsprechenden Bebauungspläne voraus. Ichnenne aus meiner Region Ludwigsburg und Esslingen.Daneben gehen die Städte jetzt dazu über, illegale undnicht angemeldete Geräte in den Gaststätten zu bekämp-fen. Das finde ich vorzüglich.
Kollegin Maag, gestatten Sie eine Frage oder Erklä-
rung des Kollegen Ströbele?
Bitte, Herr Ströbele.
Danke, Frau Kollegin. – Ich frage mich die ganze
Zeit, während ich hier sitze, wie häufig Sie schon in
Spielhallen gewesen sind. Wir könnten einmal hier um
die Ecke gehen; das ist gar nicht weit weg. Ich bin vor
wenigen Tagen über die Stromstraße geradelt und habe
die Spielhallen gezählt. Dort befindet sich eine Spiel-
halle neben der anderen. Insgesamt sind es 17 Spielhal-
len, und alle haben verdunkelte Fenster.
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ehen Sie einmal in eine hinein. Dann sehen Sie, wel-
hes Milieu dort verkehrt. Es ist die Frage, ob Sie wei-
rhin sagen werden: Wie gut, dass alles kontrolliert ist.
Vor allen Dingen – deshalb habe ich mich gemeldet –
öchte ich Sie fragen: Sind Sie bereit, zum zuständigen
ezirksamt zu gehen und denen zu sagen, wie die loka-
n Behörden dagegen vorgehen können?
Aber gerne, Herr Ströbele.
Würden Sie denen einmal sagen, wie das möglich
äre? Die bemühen sich nämlich seit vielen Jahren,
icht nur auf der Stromstraße, sondern auch auf der
urmstraße – die befinden sich hier in Moabit – dagegen
orzugehen, aber leider fehlt ihnen die notwendige
andhabe.
Lieber Herr Ströbele, ich bin gerne bereit, mit Ihnenemeinsam einmal da hinzugehen.
h kann Ihnen sagen, dass es in den Gemeinden Lud-igsburg und Esslingen keine Spielhallen mehr gibt,eil diese die entsprechenden Bebauungspläne erstelltaben. Ich bin gerne bereit, dem Land Berlin die Adres-en zu nennen, bei denen man erfahren kann, wie so et-as geht.
Bei aller Kritik am Antrag: Natürlich verlangt dievaluation der Spielverordnung – das haben wir auch imusschuss gesehen – ein Nachsteuern. Die früheren Un-rhaltungsspiele, bei denen man das Geld einsetzte, umie Unterhaltungsautomaten – beispielsweise Flipper-utomaten – in Gang zu setzen, gibt es nicht mehr. Dernterhaltungsaspekt ist im Laufe der Zeit zugunsten desewinnaspektes in den Hintergrund getreten, und geradeurch die letzte Novellierung der Spielverordnungurde die Ereignisfrequenz, diese Illusion der Beein-ussbarkeit von Einsatz und Gewinn, erhöht.Die Evaluation hat auch ergeben, dass der damals,006, mit den Änderungen beabsichtigte Schutz zumeispiel mit dem Verbot der Fungames erreicht wurde.Illegale Praktiken, Frau Graf, gibt es; das gestehe ichnen ohne Weiteres zu. Das ist zum Beispiel das Vor-ünzen. Diese illegalen Praktiken konnte man nicht aus-ichend verhindern, und daher müssen wir jetzt nach-teuern.
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16580 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Karin Maag
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Für mich ist allerdings zentral wichtig, dass Spieler-schutz auch heißt, dass wir vor allem die Spieler undnicht die Geräte in den Blick nehmen müssen. Die Ge-räte sind zweitrangig. Um diese kümmern wir uns auch.Aber wichtiger ist, dass wir den Spieler schützen. DieSuchtpolitik der christlich-liberalen Koalition nimmtstets Bezug auf den einzelnen Menschen und seinen Le-benshintergrund.
Insofern will ich da auch einen Schwerpunkt setzen.
– Ich glaube nicht, dass das zum Lachen ist.
– Ich glaube, Frau Kollegin, dass wir, wenn wir uns da-rüber unterhalten, wer von uns wie viele Spielhallen be-sucht hat, wer mit wie vielen betroffenen Menschen ge-redet hat,
feststellen werden, dass ich Ihnen zumindest da in nichtsnachstehe.Das Emnid-Institut hat in seiner neuesten Studiehierzu ausdrücklich festgestellt, nicht das Spielangebotsei ursächlich, sondern krankhafte Strukturen in derSpielerpersönlichkeit. Das heißt, wenn eine bestimmteSpielform erschwert oder verboten wird, hört der Spielerlogischerweise nicht auf, zu spielen, sondern wendetsich anderen Formen zu. Es macht deshalb auch wenigSinn, einzelne Formen zu verbieten oder einfach nichtmehr zuzulassen. Wir vertreiben die Menschen damitnur aus den Hallen und treiben sie ins Internet.
Ich setze mich deshalb für Maßnahmen ein, wie sie inder Evaluation vorgesehen sind:Hier wird einmal die Einführung einer sogenanntenSpielerkarte vorgeschlagen, um illegale Spielpraktikenzu verhindern. Diese Karte soll nur für einen Tag und füreine Spielstätte gelten. Sie kann nur an einem Gerät ein-gesetzt werden. Damit verhindert man Mehrfachbespie-lungen. Die Karte soll auch eine maximale Obergrenzefür mögliche Einzahlungen beinhalten. Gewinne werdennicht auf der Karte gespeichert, sondern müssen ebensowie möglicherweise verbleibende Restbeträge am Endedes Tages ausbezahlt werden.Dann ist es mir tatsächlich auch wichtig, Frau Graf,dass die Kenntnisse der Spielhallenbetreiber über denSpieler- und Jugendschutz verbessert werden, dass eineSachkundeprüfung zur Voraussetzung für die Erteilungeiner Spielhallenerlaubnis gemacht wird und der Betrei-ber und die Mitarbeiter diese Prüfung in regelmäßigenAbständen wiederholen müssen. Das ist ein zentralesAnliegen.IhdügaLAszvleZrevgaTdBss„leAssatiukDuSwdinzrudru
Das Wort hat der Kollege Frank Tempel für die Frak-
on Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damennd Herren! Wir haben eben von Frau Graf gehört undönnen es auch dem SPD-Antrag entnehmen, dass wir ineutschland rund 500 000 pathologische Glücksspielernd rund 800 000 problematische Spieler haben. Denkenie, wenn wir über das Thema reden, ganz kurz daran,as das für den Einzelnen, aber auch dessen Familie be-eutet. Wir müssen also schon über die Glücksspielsuchtsgesamt reden und dürfen nicht nur auf die Kompeten-en von Bund und Ländern abstellen. Die Bundesregie-ng kann nämlich durchaus auch Einfluss auf die Län-er nehmen.
Der Europäische Gerichtshof fordert ja die Reformie-ng des Glücksspielvertrages der Bundesländer, wenn
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16581
Frank Tempel
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das staatliche Glücksspielmonopol aufrechterhalten wer-den soll; denn staatliche Werbung für Lotterien auf dereinen Seite und der Auftrag der Suchtprävention auf deranderen Seite ist mit dem staatlichen Monopol auf dasGlücksspiel unvereinbar. Wer also ehrlich mit demThema Glücksspiel umgehen will, muss zuerst eineFrage beantworten: Wollen wir eine funktionierendeSuchtprävention, die die Gefahren des Glücksspiels ein-schränkt, oder sollen mit dem Glücksspiel Mehreinnah-men erzielt werden, die den Betreibern und auch demStaat zufallen?Ein Beispiel: Schwarz-Gelb in Schleswig-Holsteinscheint sich für die Einnahmeseite entschieden zu haben.Dort lässt man jetzt Poker-Portale und Wettangebote jeg-licher Art ohne Begrenzung der Zahl der kommerziellenAnbieter zu. Schleswig-Holstein ist so auf dem bestenWeg zu einem Las Vegas an der Waterkant.Tobias Koch von der CDU Schleswig-Holstein hatschon Euro-Zeichen in den Augen. Er rechnet mit 40 bis60 Millionen Euro Mehreinnahmen für die Landeskasse.Im Klartext heißt das aber: Mehr Markt gleich mehrSpiel gleich mehr Spielsucht.
Das ist verantwortungslos, und das wird mit der Linkennicht gehen.
Die anderen Bundesländer gehen mit der Einnahme-orientierung nicht ganz so weit. Hier soll auf der einenSeite das staatliche Lottomonopol erhalten bleiben, aufder anderen Seite aber auch der Markt für Sportwettengeöffnet werden. Es soll 20 statt der geplanten 7 kom-merziellen Sportwettenanbieter geben, und die Steuerbe-lastung für Spieleinsätze soll von 16,6 Prozent auf 5 Pro-zent gesenkt werden. Die Ministerpräsidenten habenalso keine neue Regelung im Bereich der Suchtpräven-tion gesucht, sondern es vorgezogen, der Glücksspiel-lobby durch Öffnung des Marktes entgegenzukommen.
Es sagt doch alles, wenn der Chef des Anbieters Betand Win die neue Regelung als wichtigen Schritt aufdem Weg zu einer zeitgemäßen Glücksspielregelung be-zeichnet und damit sozusagen lobt. Gleichzeitig findet erdie Regelung in Schleswig-Holstein zukunftsweisend.Hier spricht einer, der noch mehr Einnahmen auf sichzukommen sieht und am liebsten noch mehr Spielraumhätte. Auch dazu sagt die Linke: So geht es nicht.
Dass es für diese Problematik eine hohe Sensibilitätgibt, zeigt die SPD mit ihrem hier vorliegenden Antrag.In ihm wird vor allem die Suchtgefahr beim Automaten-glücksspiel thematisiert. Konkret wird unter anderemgefordert: Entschleunigung der Geldspielautomaten, Sen-kung des maximalen Verlustes pro Stunde, ein verpflich-tendes Identifikationssystem. Das alles sind geeignetepSdswAzmwäGPdbEpbenAGaseTszgwb1vDhzüeWc
Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Christine
schenberg-Dugnus das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!lücksspielsucht ist ein ernstzunehmendes Thema. Weruf Dauer länger spielt oder mehr Geld einsetzt, als erich leisten kann oder will, für den kann das Spielen zuiner schweren Belastung werden. Doch so ernst dieseshema auch ist, es gibt auch Anlass für positive Bot-chaften.Ich bin froh, Ihnen mitteilen zu können, dass 99 Pro-ent der Bevölkerung im Alter von 16 bis 65 Jahren ins-esamt kein pathologisches Glücksspielverhalten auf-eisen. Das ist auch eine Botschaft unserer heutigen De-atte. Im Umkehrschluss heißt das, dass insgesamt nurProzent der Bevölkerung problematisches Glücksspiel-erhalten aufweist.
as sind nach Angaben der Bundeszentrale für gesund-eitliche Aufklärung bundesweit 540 000 Betroffene –u viele; da gebe ich Ihnen recht. Im Jahr 2009 waren esbrigens noch 590 000 Betroffene. Wir haben also schoninen Rückgang um 50 000 zu verzeichnen.
ir sprechen hier also von 1 Prozent mit missbräuchli-hem Verhalten.
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16582 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Christine Aschenberg-Dugnus
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Bei allem Respekt vor diesen Menschen, denen wirganz sicher helfen müssen und auch helfen wollen: Es istschlicht nur 1 Prozent. Für die überwältigende Mehrheitist Glücksspiel ein emotionaler Freizeitspaß. Die martia-lische Dramatik, die Sie in Ihrem Antrag an den Tag le-gen, ist daher vollkommen unangebracht. Sie tun geradeso – das haben wir heute schon mehrfach festgestellt –,als ob ein ganzes Volk durch Glücksspiel von massiverVerschuldung oder Kriminalität bedroht wäre. Sie tun so,als wenn wir hier in einem völlig unkontrollierten LasVegas wären, in dem vernünftige Menschen dazu ani-miert werden, ihre Existenz zu verspielen und Frau undKind im Elend zurückzulassen.
Meine Damen und Herren, das ist nicht der Fall.
Denn es gibt bereits klare gesetzliche Vorgaben und sehrbegrüßenswerte freiwillige Maßnahmen, auch und ge-rade – auch wenn Sie das kritisieren – von der Automa-tenindustrie, und zwar ohne staatlichen Dirigismus. Sosetzen die Konzepte der Automatenindustrie einenSchwerpunkt auf Information und Prävention. Die An-sätze hierbei sind: erstens Mitarbeiterschulung zur Früh-erkennung und Prävention,
zweitens Informationsflyer über kostenfreie und ano-nyme Beratungsmöglichkeiten sowie drittens Hinweiseauf die Beratungshotline der BZgA. Außerdem besteht– die Kollegin Maag hat es schon angesprochen – seit1985 in vielen Spielotheken ein absolutes Alkoholverbot– das finde ich sehr richtig –, um einen klaren Kopf beiden Spielgästen zu garantieren.
Dennoch ist jeder Fall von Glücksspielsucht einer zuviel. Deshalb helfen wir diesen Menschen. Doch jedenoch so gut gemeinte Hilfestellung muss dem Grundsatzder Verhältnismäßigkeit standhalten.
Ich lehne es grundsätzlich ab, die große Mehrheit derer,die mit einer Sache verantwortungsvoll umgehen, voll-kommen überzogen zu bestrafen, und das nur, weil eineMinderheit nicht damit umgehen kann. Beim Glücks-spiel sprechen wir von solch einer Sachlage. Es gilt, mitAugenmaß und Gespür für die Menschen an die Proble-matik heranzugehen, und genau das tun wir.
Liebe Sozialdemokraten, in Ihrem Antrag formulierenSie einige wichtige Forderungen, die ich hier gar nichtablehnen will. Aber Sie bleiben auch wichtige Antwor-ten schuldig. Ein Beispiel ist Ihr Mantra des staatlichenGskAgisohsmUaEsFzshafütosnsSsVzbzWznlimnzkmmkinmaWEVgmle
In diesem Punkt kann ich Ihrem Antrag auch folgen.ine Intensivierung von Aufklärungskampagnen ist ab-olut begrüßenswert und wird von uns unterstützt. Dieortführung bewährter und die Entwicklung neuer, undwar zielgruppenspezifischer, Präventionsmaßnahmentehen ganz oben auf unserer Agenda. Die BZgA machtier eine ganz hervorragende Arbeit. Wir debattierenuch – da bin ich mit Karin Maag einig – über die Ein-hrung einer Spielerkarte, um die Suchtspirale der Au-matenmehrfachbespielung zu durchbrechen. Ganz be-onders im Hinblick auf den Jugendschutz mussatürlich auch das Personal in seiner Kompetenz ge-tärkt werden; denn es muss ohne Wenn und Aber dafürorge tragen, dass Minderjährige nicht an Automatenpielen. Ansonsten muss der Verstoß gegen gesetzlicheorgaben natürlich strikt sanktioniert werden.Herr Ströbele, es gibt übrigens auch einige grüne Be-irksstadträte, die lieber die Einhaltung des Heizpilzver-ots kontrollieren als die Einhaltung des Jugendschut-es. An diesem Punkt könnten wir auch einmal ansetzen.ir haben nämlich ein Vollzugsdefizit und kein Geset-esdefizit. Das sage ich, um das Ganze richtig einzuord-en.Die Sachkenntnis von Automatenaufstellern hinsicht-ch des pathologischen Glücksspielverhaltens kann unduss noch verbessert werden. Doch bevor wir es Gastro-omen verbieten, in ihrer Kneipe einen Automaten auf-ustellen, sollten wir lieber die Einhaltung der Gesetzeontrollieren und Verstöße hart bestrafen. In der Summeüssen wir die Beteiligten stärken, statt sie zu bevor-unden: Wir müssen erstens die Spieler in ihrer aufge-lärten Eigenverantwortung und zweitens die Betreiber ihrer Verantwortung, Missbrauch zu erkennen, zu ver-eiden und zu unterbinden, stärken. Das kann und sollteuch durch technische Maßnahmen flankiert werden.ir sollten beispielsweise über eine Verringerung derreignisfrequenz und eine Verringerung des maximalenerlustes bzw. Gewinns ergebnisoffen diskutieren. Dazuehört ebenso die Einführung einer Spielerkarte. Einenit erhobenem Zeigefinger versehenen Rundumschlaghne ich jedoch ab; denn die meisten Menschen haben
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16583
Christine Aschenberg-Dugnus
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keine Probleme mit dem Glücksspiel. Diejenigen, die siehaben, werden wir davor schützen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Harald Terpe für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die Kollegin
Aschenberg-Dugnus – an dieser Stelle könnte ich auch
Frau Maag erwähnen – an Verharmlosung geboten hat,
ist kaum erträglich.
Dass wir dann auch noch hören mussten, dass der Auto-
matenindustrie in diesem Lande der Charakter von Sa-
maritern zugeschrieben wird,
ist wirklich so daneben, wie man sich das nur vorstellen
kann. Die übliche Floskel: „Das liegt in der Suchtstruk-
tur der Spieler begründet“, bedeutet eine klare Ableh-
nung von Verhältnisprävention. Auch das ist überhaupt
nicht zu verstehen.
Das Thema Glücksspiel ist ein anschauliches Beispiel
dafür, welche Folgen eine falsche Suchtpolitik haben
kann.
Bei der Behandlung illegaler Drogen haben die Ideolo-
gen das Sagen, die die Abhängigen kriminalisieren.
Beim Thema Glücksspielsucht bestimmt maßgeblich die
Industrie den Kurs der Bundesregierung.
Den Preis dafür zahlt immer die gesamte Gesellschaft.
Bezüglich des Automatenspiels heißt das: Privatisierung
der Gewinne – 7 Milliarden Euro für die Automatenin-
dustrie – und Sozialisierung der Suchtfolgen. Das kann
das Parlament doch nicht tolerieren.
Insofern ist jede Initiative zu begrüßen, die hier Ab-
hilfe schaffen will. So zumindest verstehe ich den An-
trag der SPD. Auch meine Fraktion hatte in der Vergan-
genheit diesbezüglich mehrfach Vorstöße unternommen,
zuletzt mit einer Anhörung im Gesundheitsausschuss.
Ich schlage Ihnen vor, einmal in den Zusammenfassun-
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Viele Forderungen im Antrag der SPD werden von
ns unterstützt, insbesondere die strengen Rahmenvor-
aben für Geldspielgeräte. Das setzt allerdings voraus
da schließe ich mich dem Kollegen Tempel an –, dass
an die Kommunen finanziell und personell in die Lage
ersetzt, die Einhaltung der Vorgaben auch zu kontrollie-
n. Die Ergebnisse der Modellversuche und der Studien
ur Evaluation der Spielerverordnung sind ernüchternd.
an kann mitnichten sagen, da sei alles in Butter. Viel-
ehr berichten die Kolleginnen und Kollegen vor Ort
on einer derart mangelnden Kooperation der Betreiber,
ass einem die Haare zu Berge stehen. Das muss hier
inmal festgehalten werden.
Wir begrüßen den Ansatz der SPD, über die Baunut-
ungsverordnung der Spielhallenflut in den Kommunen
err zu werden, und freuen uns darüber, dass Sie inzwi-
chen selbst einen entsprechenden Antrag umsetzen wol-
n, nachdem Sie zuvor unserem Antrag nicht zustim-
en konnten.
Es gibt aber auch Forderungen, die man kritisch hin-
rfragen muss. Beispielsweise bin ich skeptisch, was die
inführung einer Spielerkarte in Spielhallen angeht. Er-
hrungen aus Australien haben gezeigt, dass solche
arten wirkungslos sind und zu nichts führen. Dass eine
olche Einführung ausgerechnet von der Automatenin-
ustrie befürwortet wird, nährt doch den Verdacht, damit
uasi als Alibi wirksame Einschränkungen zu verhin-
ern oder Kundenprofiling zu betreiben, möglicherweise
ogar beides. Wir sind der Überzeugung, dass solche
utomaten in Kneipen und Imbissbuden nichts zu su-
hen haben. Viele Studien haben gezeigt, dass junge
enschen dort angefixt werden, zumal dort wirksame
ontrollen des Jugendschutzes nicht möglich sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns ge-
einsam Fehlentwicklungen und Probleme, die nach der
tzten Novelle zur Spielerverordnung aus dem Jahr
006 aufgetreten sind, beseitigen.
Meine letzte Anregung ist, uns auch auf Länderebene
r die Stärkung der Monopolstaatsverträge einzusetzen
nd dafür zu sorgen, dass es nicht zu einer Aushöhlung
ommt. Die Länder muss man zumindest dafür loben,
ass sie mehr Bereitschaft zeigen als der Bund, Spielau-
maten strenger zu reglementieren, weil ihnen die Pro-
leme vor Ort offenbar stärker auf den Nägeln brennen.
Kollege Terpe, achten Sie bitte auf das Signal.
Ein solches Engagement würde ich mir natürlich auchom Bund wünschen. Das ist aber von einem FDP-ge-
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16584 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Dr. Harald Terpe
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führten Bundeswirtschaftsministerium weniger zu er-warten, obwohl der Minister eigentlich etwas von Sucht-gefährdung verstehen müsste.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Die Kollegin Sabine Bätzing-Lichtenthäler hat für die
SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Oscar Wilde hat gesagt, allem könne er wider-
stehen, nur der Versuchung nicht. Was uns vielleicht
zum Schmunzeln bringt, ist für viele Menschen leider
schmerzhafte Realität: Sie können einer Versuchung
nicht widerstehen; sie sind süchtig. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, Eigenverantwortung allein hilft an dieser
Stelle nicht weiter.
Mit unserem Antrag wollen wir nicht das Glücksspiel
verbieten. Mit unserem Antrag wollen wir nicht das pro-
saische letzte bisschen Freiheit, das so oft beschworen
wird, eingrenzen. Nein, es geht uns ausschließlich da-
rum, süchtigen Menschen zu helfen; denn Sucht ist nicht
Freiheit; Sucht ist das Gegenteil.
Ich möchte auf einen anderen Aspekt hinweisen. Mit
dem Entwurf eines neuen Glücksspielstaatsvertrags sind
vor einigen Wochen negative Fakten geschaffen worden,
etwa durch die Aufgabe des Sportwettenmonopols. Wa-
rum negativ? Mit dem Glücksspielmonopol wurde bis-
her nicht nur die Prävention sichergestellt; das Glücks-
spielmonopol hat auch – das gehört dazu – massiv zur
Förderung und Finanzierung des Breitensports beigetra-
gen, weil die staatliche Lotterie eine Konzessionsabgabe
von 16 2/3 Prozent des Einsatzes gezahlt hat, die dem
Breitensport insgesamt zugeflossen ist. So kamen durch
Lotto und Oddset jedes Jahr 500 Millionen Euro für den
Breitensport zusammen.
Mit diesem Geld wurde mehr gemacht, als Torpfosten
einzugraben und Tischtennisplatten aufzustellen. Mit
diesem Geld wurden Jugendarbeit und ehrenamtliches
Engagement gefördert.
In diesem Bereich wird es durch die Aufgabe des
Monopols extreme Einschnitte geben. Denn es gibt er-
hebliche Zweifel, ob eine 5-prozentige Abgabe auf Wett-
einsätze, die von 20 bisher rein potenziellen Konzes-
sionsnehmern gezahlt werden soll, den Wegfall der
bisherigen Einnahmen aus der Zweckabgabe im Rahmen
des Wettmonopols ausgleichen wird.
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s bleibt offen, was das in Euro und Cent für den Brei-
nsport bedeutet.
Das bedeutet: Nur wenn einerseits das Volumen des
lücksspielmarktes an sich steigt und andererseits mehr
enschen als bisher spielen und mehr Geld als bisher
erspielen, wird der Breitensport annähernd die gleiche
örderung wie bisher erhalten. Das aber, liebe Kollegin-
en und Kollegen, würde zu einer erhöhten Zahl der
pielsüchtigen führen.
as ist kein Schreckgespenst; das sind Fakten: In Groß-
ritannien ist die Zahl der Spielsüchtigen in den ersten
rei Jahren der Kommerzialisierung des Glücksspiel-
arktes um 50 Prozent gestiegen. Es kann von uns nicht
ewollt sein, eine dahin gehende Liberalisierung durch-
uführen.
Die Ausrede, dieser Staatsvertrag sei Angelegenheit
er Länder, lassen wir einfach nicht gelten. An anderer
telle sind Sie auch nicht so zurückhaltend und versu-
hen vielmehr, auf die Länder einzuwirken.
sofern möchte ich Sie noch einmal bitten, auf der ei-
en Seite die Spielsüchtigen und ihre Angehörigen und
amilien nicht alleinzulassen und in die Prävention zu
vestieren und auf der anderen Seite sicherzustellen,
ass dem Breitensport wenigstens durch die staatliche
bgabe eine angemessene Finanzierung zur Verfügung
estellt wird.
Es tut mir leid, Kollege Kauder, aber Sie waren mitrer Initiative, mit der Kollegin Bätzing ins Gesprächu kommen, zu spät. Sie hatte ihre Redezeit schon über-chritten.Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufrucksache 17/6338 an die in der Tagesordnung aufge-hrten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16585
Vizepräsidentin Petra Pau
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verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 a und b auf:a) Beratung der Unterrichtung durch den Parlamen-tarischen Beirat für nachhaltige EntwicklungBericht des Parlamentarischen Beirats überdie Nachhaltigkeitsprüfung in der Gesetzesfol-genabschätzung und die Optimierung des Ver-fahrens– Drucksache 17/6680 –b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit zu der Un-terrichtung durch den Parlamentarischen Beiratfür nachhaltige EntwicklungEuropäische Nachhaltigkeitsstrategie– Drucksachen 17/5295, 17/7678 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Thomas GebhartDr. Matthias MierschMichael KauchRalph LenkertDorothea SteinerNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Daniela Ludwig für die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir debattieren heute zwei Themen, die nur bedingt et-was miteinander zu tun haben: die Nachhaltigkeitsprü-fung in der Gesetzesfolgenabschätzung und die Fort-schreibung der EU-Nachhaltigkeitsstrategie. Auf denersten Blick sind dies scheinbar zwei unterschiedlicheAspekte, die aber deutlich mehr miteinander zu tun ha-ben. Es geht nämlich immer um die Frage: Wie wirdPolitik nachhaltiger?Wenn es um die Sicherung von Nachhaltigkeitszielenin der Gesetzgebung geht, stehen wir in der Politik ei-gentlich immer vor einem Dilemma. Die Gesetzgebungorientiert sich zumeist an einer Legislaturperiode. Siemöchte innerhalb dieser Zeit Ergebnisse vorweisen.Auch die Bürgerinnen und Bürger erwarten zumeist rela-tiv schnell und kurzfristig Ergebnisse. Sie sind oftmalsnicht bereit, mit uns den Weg einer langfristigen Per-spektive zu gehen. Es soll immer recht schnell etwas he-rauskommen. Unsere honorige Aufgabe als Beirat ist esnun – das ist auch Aufgabe der Nachhaltigkeitsprüfung –,genau dem entgegenzuwirken und die Aufmerksamkeitim politischen Betrieb darauf zu lenken, wie Politik, Ge-setzentwürfe und Verordnungen nachhaltiger werdenkönnen.fuewVAteabdEsadwsfadInGüunbmfegPnehfeknzgdatizmLwdknjeisbslizlib
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16586 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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Das ist das eine Thema, mit dem wir uns heute be-schäftigen und für das ich sehr werbe, auch unter denKollegen, die nicht im Beirat sitzen. Ich empfehle, sichdieses Themas fraktionsübergreifend sensibler anzuneh-men. Ich glaube, jeder findet in seiner Fraktion den einenoder anderen Ansprechpartner, der einen mit großen Au-gen anschaut, wenn man die Themen Gesetzesfolgenab-schätzung und Nachhaltigkeitsprüfung in einem Satz er-wähnt. Wir alle haben noch Lieferbedarf, Hol- undBringschuld gleichermaßen. Wir haben uns in der Ar-beitsgruppe der CDU/CSU-Fraktion vorgenommen, die-ses Thema massiv anzugehen.Gestatten Sie mir zum Abschluss noch wenige Wortezum Thema Europäische Nachhaltigkeitsstrategie, daswir an diese Debatte angedockt haben. Es ist aus Sichtdes Beirats – Sie merken, wir versuchen immer sehrkonsensual zu arbeiten; das gelingt uns nicht immer,aber sehr häufig – absolut inakzeptabel, wenn die Euro-päische Kommission den Standpunkt vertritt, eine Fort-schreibung der Europäischen Nachhaltigkeitsstrategiesei nicht erforderlich, weil die Nachhaltigkeitsstrategiein die Strategie Europa 2020 aufgehe. So wird keinSchuh draus. Die Europäische Nachhaltigkeitsstrategiemuss immer der große Rahmen für alle anderen Strate-gien auf europäischer Ebene sein, zum Beispiel die Lis-sabon-Strategie. Ich bin sehr froh, dass wir einen ge-meinsamen Entschließungsantrag zustande gebrachthaben, in dem die Bundesregierung einvernehmlich auf-gefordert wird, auf europäischer Ebene genau in dieseRichtung hinzuwirken und dieses Thema in Brüssel in-tensiv anzubringen.Im Großen und Ganzen sind wir national wie euro-päisch auf einem ausgesprochen guten Weg. Lassen Sieuns diesen Weg weitergehen. Lassen Sie uns immer bes-ser werden.Vielen herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Parla-mentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung ist am17. Dezember 2009 zum dritten Mal eingesetzt worden.Es ist unser Problem, dass wir in jeder Legislaturperiodeneu eingesetzt werden müssen. Wir gehören noch nichtganz normal dazu. Wir haben auch keinen Minister, derfür uns zuständig ist. Wir müssen immer über den Um-weltausschuss hier im Plenum reden. Wir sind bisheralso etwas stiefmütterlich behandelt worden.Aber wir haben Aufgaben. Diese Aufgaben beinhal-ten seit dieser Legislaturperiode unter anderem die Ge-setzesfolgenabschätzung. Das heißt, wir haben die Auf-gabe, zu überprüfen, ob die Bundesregierung, wenn sieeinen Gesetzentwurf eingebracht hat, auf das ThemaNWdreswFdfe–liisvdDmdtihrahdsfaptiPmsstesEtrA–QaNDEhawsomuugR
Quantität gegen Qualität. Gut. Bei uns geht es mitualität und Quantität. Das sollten Sie eigentlich auchnstreben.
Schwierig ist die Vernetzung mit der europäischenachhaltigkeitsstrategie; das wurde schon angedeutet.ie praktische Umsetzung ist sehr problematisch, weilurostat zwar viele Daten erhebt, die Europäische Nach-altigkeitsstrategie für die Bundesregierung in Bezuguf ihr Verhalten aber eigentlich keine Rolle spielt. Wirürden uns schon etwas anderes wünschen. Wir wün-chen uns entweder eine stärkere inhaltliche Verzahnungder dass man das eine zur Grundlage des anderenacht. Ich finde, es ist sehr wichtig, dass wir, wenn esm Generationengerechtigkeit geht, wenn es wirklichm die Verantwortung für nachfolgende Generationeneht, auf europäischer und nationaler Ebene in eineichtung laufen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16587
Ingrid Arndt-Brauer
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Auf europäischer Ebene werden ganz andere Dingegeprüft und ganz andere Daten erhoben. Man hat dasGefühl, dass zwei Stränge vollkommen parallel neben-einander verlaufen. Das ist unbedingt zu verändern. Ichdenke, wir müssen die Bundesregierung immer wiederauffordern, ihren Einfluss in Europa geltend zu machen.Vielleicht müssen wir so weit gehen, dass wir sagen:Okay, wir passen unsere nationale Nachhaltigkeitsstrate-gie an die europäische an. Im Moment haben wir aberden Eindruck, dass das Thema Nachhaltigkeit in Europanur eine untergeordnete Rolle spielt. Es werden zwarviele Daten erhoben und Leitlinien entwickelt, man hataber das Gefühl, dass Überlegungen zur Nachhaltigkeitauf die Europäische Politik in Wirklichkeit kaum Ein-fluss haben. Wir haben versucht, mit Parlamentariern inKontakt zu kommen. Das ist bisher aber nicht besonderswerthaltig gewesen.Ich möchte die Kollegen auffordern, in ihrem tägli-chen Leben und in ihrer Politik Nachhaltigkeitsüberle-gungen stärker zu verankern. Ich möchte aber ausdrück-lich auch die Regierung, die heute nur sehr marginalvertreten ist – da gilt vermutlich auch: Qualität vorQuantität –,
auffordern, das Thema Nachhaltigkeit stärker in den Fo-kus zu rücken und dafür zu sorgen, dass wir das ThemaGenerationengerechtigkeit nicht immer nur in Redenhochhalten, sondern Generationengerechtigkeit als Zielder Politik ausdrücklich anstreben.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir uns im Beiratsehr bemühen, die Dinge im Konsens zu verabschieden.Auf dem Weg dorthin wird manchmal recht strittig dis-kutiert. Das wird im Rahmen der Obleuteberatungenaber meistens abgeräumt. Ich fände es gut, wenn wir ein-mal gemeinsam einen Antrag auf den Weg bringenkönnten, bei dem alle Fraktionen im Titel erscheinen.Vielleicht können einige einmal über ihren Schattenspringen.
Ich würde es begrüßen, wenn wir das erreichen könntenund auf lange Sicht Anträge im Parlament einvernehm-lich verabschieden könnten. Vielleicht ist das auch zu ei-ner anderen Tageszeit möglich, sodass uns auf den Rän-gen und im Fernsehen mehr zuhören und zuschauenkönnen.Das Thema Nachhaltigkeit sollte nicht nur in Regie-rungserklärungen erwähnt werden, sondern auch im täg-lichen Leben eine Rolle spielen. Dazu möchte ich alleauffordern. Ansonsten wünsche ich uns weiterhin eineerfolgreiche Arbeit beim Thema Nachhaltigkeit. Die Ge-setzesfolgenabschätzung sollte nicht das Endziel sein.DIcKbhBb2edmbhEstimbdlitetenSgahuImvluPsfrLeDEe
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Michael
auch das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wirefinden uns in einer Finanz- und Schuldenkrise. Wiraben sowohl im Bereich des Klimaschutzes als auch imereich der Biodiversität massive ökologische Pro-leme. Wir stehen vor einer großen UN-Konferenz.0 Jahre nach der UN-Konferenz von Rio soll die Weltrneut das Thema Nachhaltigkeit diskutieren. Was machtie Europäische Kommission? Die Europäische Kom-ission sagt angesichts all dieser Nachhaltigkeitspro-leme, vor denen wir stehen: Wir brauchen keine Nach-altigkeitsstrategie. – Das ist eine abwegige Haltung deruropäischen Kommission, die der Deutsche Bundestago nicht teilt.
Deshalb begrüßen wir ausdrücklich, dass das Auswär-ge Amt und das Bundeskanzleramt in den Gesprächenit dem Parlamentarischen Beirat deutlich gemacht ha-en, dass die Europäische Nachhaltigkeitsstrategie fürie Bundesrepublik Deutschland weiterhin eine wesent-che Strategie ist und dass sie eben nicht durch die Stra-gie „Europa 2020“ abgelöst wird. Nachhaltigkeitsstra-gien brauchen einen längeren Atem als nur für dieächsten neun Jahre. Sie brauchen auch ein weiterespektrum als das, was in der Strategie „Europa 2020“enannt ist. Die Strategie „Europa 2020“ ist wichtig,ber sie deckt nicht alle Bereiche ab, die für eine nach-altige Entwicklung, für Generationengerechtigkeit aufnserem Kontinent erforderlich sind.
Ich habe etwas zur Europäischen Kommission gesagt. Europäischen Parlament läuft dies nicht besser. Wirom Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwick-ng haben die zuständigen Kollegen im Europäischenarlament besucht. Wir haben leise angeregt, dass einolches Gremium wie das im Deutschen Bundestag, dasaktionsübergreifend arbeitet und sich mit den langeninien von Politik abseits der Tagesdebatten beschäftigt,ine gute Idee auch für das Europäische Parlament wäre.ie fraktionsübergreifende Antwort war: Alles, was dasuropäische Parlament macht, ist so nachhaltig, dass wirin solches Gremium nicht brauchen.
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16588 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Michael Kauch
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Ich glaube, dass manche Kolleginnen und Kollegenauch im Europäischen Parlament vielleicht ein bisschenvon den Mitgliedstaaten der Europäischen Union lernenkönnten, zum Beispiel von Deutschland, Skandinavien,Großbritannien und auch einigen der südeuropäischenLänder, die inzwischen eine umfassende Nachhaltig-keitsstrategie haben. Bei uns besteht eine Nachhaltig-keitsstrategie nicht nur aus Blabla, wir stellen nicht nurein paar Ziele auf und machen dann eine statistischeAuswertung. Das deutsche System und das von Großbri-tannien und anderen Ländern hat vielmehr eine klareManagementorientierung und beinhaltet Strategien,Ziele, Indikatoren und dann auch eine Überprüfung undRückkopplung, in deren Folge neue Ziele aufgestelltwerden. Das ist aus meiner Sicht für die EuropäischeUnion längst überfällig.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Frak-
tion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnenund Kollegen! Nachhaltigkeit ist in und ein Lieblings-wort der Bundesregierung. Als Mitglieder des Parlamen-tarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung über-prüfen wir, ob es die Bundesregierung mit derNachhaltigkeit wirklich ernst meint. Nachhaltigkeit be-schreibt eine Gesellschaft, die Wasser und andere Res-sourcen nur in der Menge verbraucht, wie sie im Kreis-lauf erneut verfügbar sind, und welche die Natur erhält,eine freie und gerechte Gesellschaft, die Wohlstand füralle erreicht. Das unterstützt die Linke. Aber müssen wirder Nachhaltigkeitsstrategie der Regierung deshalb zu-stimmen?Bevor ich fortfahre, sei eine kurze wichtige Frage er-laubt: Woher kommt eigentlich das viel bemühte Wort„Nachhaltigkeit“? Warum haben Bürgerinnen und Bür-ger, Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Regierungund Opposition, oder auch Manager deutscher DAX-Un-ternehmen das Wort dauernd im Mund? Das Wort ent-hält den Wunsch, Entscheidungen und Produkte seienhaltbar wie ägyptische Pyramiden nach ihrem Bau, alsonachhaltig. Deshalb vermittelt die Verwendung des At-tributes „nachhaltig“ zusammen mit Vorhaben und Ge-setzen das gute Gefühl von Ewigkeit. Herrlich!Aber das Streben nach ständigem Wachstum, so wiees der aktuellen Wirtschaftspolitik entspricht, ist nichtnachhaltig. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler,Unternehmerinnen und Unternehmer, Gewerkschafterin-nen und Gewerkschafter und Künstlerinnen und Künst-ler aus aller Welt haben vor den katastrophalen Folgenunserer Art des Wirtschaftens gewarnt: vor der Über-fischung und Verschmutzung der Meere, der VerpestungduvARuNKdbcinL„NmdoInPeDvluuliGgfuWdSWtatiee
Die Arbeit des Parlamentarischen Beirates ist derzeither ein Alibi. Meistens gleicht sie dem Schicksal einesinsamen Rufers in der Wüste: Keiner nimmt sie wahr.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16589
Ralph Lenkert
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Die Linke will erreichen, dass der Beirat die Interessender Menschen und der Natur gegen Finanzhaie und Pro-fithamster durchsetzt, und zwar durch Überprüfung derGesetze. Das wäre nachhaltig.Vielen Dank.
Die Kollegin Dr. Valerie Wilms hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! WerteKolleginnen und Kollegen! Nach dieser sehr emotiona-len Rede des Kollegen Lenkert möchte ich den Blickwieder auf das Thema europäische Nachhaltigkeitsstra-tegie lenken;
schauen wir einmal, wie wir da weiterkommen. DieNachhaltigkeitsprüfung möchte ich nur ganz kurz an-sprechen; denn meine Redezeit als Vertreterin der kleins-ten Fraktion ist sehr kurz bemessen.Darüber, wie die Nachhaltigkeitsprüfung abläuft, ha-ben meine Vorrednerinnen, Frau Arndt-Brauer und FrauLudwig, schon eine ganze Menge berichtet. Das Verfah-ren ist jetzt etabliert. Nach einer zähen Anfangsphaseverlässt kaum noch ein Gesetzentwurf ohne diese Prü-fung das Kabinett; so weit sind wir immerhin schon.Auch wenn da nur platt steht: „Der Gesetzentwurf istnachhaltig“, haben wir schon gewisse Verbesserungenerzielt. Es könnte allerdings noch ein bisschen mehrsein.
Sicherlich werden wir Probleme bekommen, wenn esdarum geht, in eine umfassende inhaltliche Prüfung ein-zusteigen; schauen wir einmal. Aber auch hier werdensich vielleicht noch Türen öffnen.Wir sollten insgesamt ehrlich sein: Ist unsere Repu-blik nachhaltiger geworden, seitdem diese Prüfungdurchgeführt wird? Der Beschluss zur Energiewendewar sicherlich kein Ergebnis einer Initiative im Rahmender Nachhaltigkeitsprüfung; er war essenziell notwen-dig. Hier hat die Nachhaltigkeitsprüfung also nichts ge-bracht.Mit dem Euro-Rettungsschirm laufen wir der Nach-haltigkeit stets nur hinterher. Mit einer nachhaltigen, alsoeiner vorsorgenden und vorausschauenden Haushalts-politik und Finanzmarktregulierung wäre er wahrschein-lich nicht erforderlich geworden. Für eine nachhaltigePolitik brauchen wir nicht nur eine Nachhaltigkeitsprü-fung, sondern auch stringente und konsequente Kon-zepte, mit denen wir auf diesem langen Weg, den Kol-lege Kauch angesprochen hat und der absolut richtig ist– wir dürfen uns nicht immer nur im VierjahresrhythmustrfrsisFÜdgnteDdwgmtigEabsrenBDeSwDKgvegHwktutiBmDEslaIng
ie Krönung waren die Abgeordneten. Unsere liebenolleginnen und Kollegen in Brüssel hatten diesen Be-riff teilweise überhaupt noch nicht gehört.Es lohnt sich, das Thema Nachhaltigkeit ernsthaft zuerfolgen. Wir als rohstoffarmes Land haben hier einenntsprechenden Bedarf, und wir müssen unsere Intelli-enz für die Sicherstellung der Nachhaltigkeit einsetzen.ier sind wir in Deutschland relativ gut dabei, aber esäre auch sinnvoll, wenn aus Europa ein solcher Winkommen würde, gerade im Hinblick auf die Vorberei-ng des neuen Erdgipfels nach 20 Jahren Rio.Was brauchen wir? Durch die europäische Nachhal-gkeitsstrategie könnte deutlich mehr geboten werden.ei der anstehenden Überprüfung und Überarbeitungüssen wir aber mehr Verbindlichkeit einfordern.
amit es dazu kommt, müssen wir das nicht nur in deruropäischen Kommission behandeln, sondern wir müs-en auch die Parlamente beteiligen: das Europäische Par-ment und auch die nationalen Parlamente. Die ganzendikatoren und Ziele müssen auch parlamentarisch ab-esichert sein.
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16590 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Dr. Valerie Wilms
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In diesem Sinne sollten wir weitermachen. Vielleichtgelingt es uns ja auch, das dicke Brett Europa irgend-wann einmal zu durchbohren.
Der Kollege Andreas Jung hat für die Unionsfraktion
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Mit dem vorliegenden Bericht zeigt sich, dass wir beider Implementierung des Nachhaltigkeitsgedankens inden politischen Prozess in den letzten Jahren entschei-dende Schritte vorangekommen sind.Ich will mit der Neuerung auf Initiative des Parlamen-tarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung in derletzten Legislaturperiode beginnen. Schon damals ist esgelungen, dass die Bundesregierung in die GemeinsameGeschäftsordnung der Bundesministerien neu aufge-nommen hat, dass bei jedem einzelnen Gesetzentwurfeine Nachhaltigkeitsprüfung vorzunehmen ist, dass alsonicht nur gesagt werden muss, welche Kosten entstehenund welcher Aufwand an Bürokratie entsteht, sonderndass in jedem einzelnen Gesetzentwurf auch gesagt wer-den muss, welches die Auswirkungen auf nachhaltigeEntwicklung sind. Das war ein wichtiger Punkt.
Ein weiterer wichtiger Punkt war, dass der Parlamen-tarische Beirat wiederum auch in dieser Legislaturpe-riode und somit zum dritten Mal vom Deutschen Bun-destag eingesetzt wurde und damit zu einem nicht mehrwegzudenkenden Gremium im Deutschen Bundestag ge-worden ist. Auch ist der Parlamentarische Beirat nun be-auftragt worden, die Nachhaltigkeitsprüfung der Bun-desregierung zu bewerten.Das war ein wichtiger Schritt. Davor war der Beiratein Gremium, das sich allgemein mit Nachhaltigkeitsfra-gen auseinandergesetzt hat, das Stellungnahmen abgege-ben hat, das aber vom parlamentarischen Alltag losge-löst war. Jetzt haben wir harte Rechte. Wir habenMöglichkeiten, die sogar über die der Fachausschüssehinausgehen, weil wir uns mit jedem einzelnen Gesetz-entwurf befassen können und bei jedem einzelnen Ge-setzentwurf sagen können: Hier stellen wir auf Rot, hiersehen wir Probleme, hier führen wir Kritikpunkte an.Das war ein wichtiger Schritt. Es ist schon gesagtworden: Damit leisten wir Pionierarbeit. Ich finde es be-merkenswert, dass es in den allermeisten Fällen gelingt,nicht nur fraktionsübergreifend zu diskutieren, sondernam Ende auch fraktionsübergreifend Stellungnahmenabzugeben. Es ist zum Beispiel von Frau Arndt-Brauerangeführt worden, dass das oftmals ein Ringen ist unddass das auch nicht in jedem Einzelfall gelingt. Aber wirssDoWtaüteeDIchEtiubkktuFaInaesdddlusdsmedteAVkbhgFwwrigv
Wir stellen fest, dass das, was im Deutschen Bundes-g gemacht wird, durchaus beispielgebend ist, auchber Deutschland hinaus. In unseren Länderparlamen-n, aber auch in anderen europäischen Staaten gibt esin solches Verfahren oder ein solches Gremium nicht.as Europäische Parlament ist angesprochen worden.h will all das unterstreichen, was die Kollegen gesagtaben. Es ist nicht in Ordnung, wie auf europäischerbene mit den Nachhaltigkeitsstrategien, den Nachhal-gkeitsindikatoren und den Nachhaltigkeitsinstrumentenmgegangen wird. Da braucht es deutliche Impulse. Ichin froh, dass wir diese fraktionsübergreifend gebenönnen. Wir wünschen uns, dass in Europa Nachhaltig-eit eine größere Rolle spielt und eine wichtigere Bedeu-ng erhält.
Wenn ich vorher gesagt habe, dass man einerseits dieortschritte sieht, die gemacht werden, dann müssen wirndererseits zur Kenntnis nehmen, dass das wie bei allennovationen ist: Es geht nicht von einem Tag auf dennderen. Deshalb gab es Anlaufschwierigkeiten und gibts auch jetzt noch Verbesserungsbedarf. Die Anlauf-chwierigkeiten sind genannt worden.Wir haben zu Anfang unserer Prüfungen festgestellt,ass in vielen Gesetzentwürfen der Bundesregierungem selbst auferlegten Erfordernis nicht in ausreichen-em Maße Rechnung getragen wurde. Wir haben Stel-ngnahmen abgegeben und haben dann auch das Ge-präch mit den Vertretern von Bundeskanzleramt unden Ministerien gesucht. Wir haben mittlerweile festge-tellt, dass sich das eingespielt hat und dass in den aller-eisten Gesetzentwürfen entsprechende Ausführungennthalten sind. Wahr ist – das ist auch schon gesagt wor-en –, dass hinsichtlich der Qualität der Ausführungenilweise immer noch Spielraum nach oben besteht.ber wir stellen fest, dass sich hier eine ganz deutlicheerbesserung eingestellt hat.Ein anderer Punkt, über den wir hier im Plenum dis-utieren sollten, wo viele Kolleginnen und Kollegen da-ei sind, die nicht dem Parlamentarischen Beirat ange-ören, betrifft uns selber. Es geht um die Frage: Wieehen wir selbst, wie gehen die jeweils federführendenachausschüsse, denen wir unsere Stellungnahmen über-eisen, mit diesen Stellungnahmen um? Hier erkennenir ganz deutliche Defizite. Das geht auch aus dem Be-cht hervor.Wir haben in insgesamt 16 Fällen, in denen eklatantegen das Erfordernis einer guten Nachhaltigkeitsprüfungerstoßen wurde, dem federführenden Fachausschuss
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16591
Andreas Jung
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eine Stellungnahme zukommen lassen und darum gebe-ten, in den jeweiligen Beratungen darauf einzugehen.Das entspricht auch dem Erfordernis, das der DeutscheBundestag in seinem Einsetzungsbeschluss postulierthat, nämlich dass der federführende Ausschuss über dieStellungnahmen zu diskutieren und diese zu bewertenhat. Wir haben festgestellt, dass das nur in fünf Fällentatsächlich passiert ist, in neun aber nicht.Deshalb möchte ich an dieser Stelle aus Anlass dieserDebatte noch einmal an alle Ausschüsse und Ausschuss-vorsitzende appellieren: Hier müssen wir gemeinsambesser werden. Wir wünschen uns, dass dem, was nichtnur wir uns vorstellen, sondern was der Deutsche Bun-destag gemeinsam beschlossen hat, Rechnung getragenwird. Darauf wollen wir in Gesprächen hinweisen.Wir sind aber auch der Meinung, es braucht noch ei-nen weiteren Schritt. Dieses Verfahren muss mit derkonkreten Vorgehensweise, mit konkreten Anforderun-gen in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundesta-ges verankert werden.
Das ist die logische Konsequenz aus unserer gemeinsa-men Auffassung, dass Nachhaltigkeit eine besondere Be-deutung über alle Bereiche hinweg hat und kein Mode-thema, sondern eine Daueraufgabe ist. Deshalb gehört esauch formalisiert in unsere Geschäftsordnung.Herzlichen Dank.
Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Florian Bernschneider für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Kollege Jung hat es gerade zu Recht gesagt: Die Im-plementierung der Nachhaltigkeitsprüfung in der Ge-meinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien warsicherlich ein Meilenstein für den ParlamentarischenBeirat. Damit es nicht bei einem Lippenbekenntnis derMinisterien bleibt, haben wir als Parlamentarischer Bei-rat ein Verfahren entwickelt, mit dem wir den Ministe-rien auf die Finger schauen, wenn es darum geht, wie dieNachhaltigkeitsprüfung umgesetzt wird.Mit dem vorliegenden Bericht versuchen wir nun, dieVerfahren, die wir entwickelt haben, praxistauglicher zumachen und ein Stück weit zu verbessern. Obgleich ichallen Kolleginnen und Kollegen sehr dankbar dafür bin,wie konstruktiv die Beratungen zu diesen Verbesserun-gen waren, will ich nicht konkret auf die Verbesserungeneingehen, sondern noch einmal etwas Grundsätzlichessagen, was mir auch in den Beratungen mit den Bericht-erstattern wichtig war.ruwmsliisraDdbesslisfigbAretibInmdfütiwsnnksNahWdmDgIcn
Deswegen reicht es nicht, wenn wir als Parlamentari-cher Beirat nur bessere und professionellere Verfahrennden. Wir müssen auch unsere Kolleginnen und Kolle-en mit auf den Weg nehmen. Ich behaupte, uns ist dasisher nicht ganz so gut gelungen. Sie können heutebend in der Parlamentarischen Gesellschaft ausprobie-n, wie gut wir unsere Kollegen beim Thema Nachhal-gkeitsprüfung schon mit auf den Weg genommen ha-en, und sie fragen, was sie zur Diskussion um dendikator 15 sagen, ob sie das auch aufregt, dass man da-it nichts Vernünftiges abbilden kann, oder ob sie beier aktuellen verkehrspolitischen Ausrichtung das Ge-hl haben, dass wir die Indikatoren 4 und 11 c vernünf-g abbilden.Ich glaube, wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, dannerden unsere Kolleginnen und Kollegen uns nicht ver-tehen. Das muss man als Parlamentarischer Beirat ernstehmen.Ich wage noch eine These. Ich glaube, viele Kollegin-en und Kollegen konzentrieren das Thema Nachhaltig-eit nach wie vor auf die Umweltpolitik und vernachläs-igen damit die wichtigen anderen Dimensionen vonachhaltigkeit.
Deswegen freue ich mich über den klaren Handlungs-uftrag, den wir in der Einleitung zum Bericht gegebenaben. Darin heißt es:Es gilt daher, alle Mitglieder des Bundestages fürdie Nachhaltigkeitsprüfung und deren Bewertungzu sensibilisieren.Es ist richtig und wichtig, dass wir uns weiter auf deneg machen, unsere Verfahren zu verbessern. Aber auchiesen Handlungsauftrag müssen wir ernst nehmen. Wirüssen die Kollegen für ein sehr scharfes Schwert in deriskussion begeistern, nämlich die Nachhaltigkeit. Dasilt für die Opposition wie für die Regierungsfraktionen.h glaube, wenn uns das gelungen ist, dann erleben wiricht nur im Parlamentarischen Beirat spannende Debat-
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16592 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Florian Bernschneider
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ten über Nachhaltigkeit, sondern in allen unseren Fach-ausschüssen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/6680 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
zu der Unterrichtung durch den Parlamentarischen Bei-
rat für nachhaltige Entwicklung mit dem Titel „Europäi-
sche Nachhaltigkeitsstrategie“. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7678,
in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 17/5295
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion, der FDP-Fraktion, der
SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 a und b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz zu
dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte,
Dr. Kirsten Tackmann, Agnes Alpers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Ökosysteme schützen, Artenvielfalt erhalten –
Kormoranmanagement einführen
– Drucksachen 17/5378, 17/5955 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Carola Stauche
Holger Ortel
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Undine Kurth
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz zu
dem Antrag der Abgeordneten Franz-Josef
Holzenkamp, Peter Altmaier, Cajus Caesar, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Christel Happach-
Kasan, Rainer Erdel, Angelika Brunkhorst, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Fischartenschutz voranbringen – Vordringli-
che Maßnahmen für ein Kormoranmanage-
ment
– Drucksachen 17/7352, 17/7673 –
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kormoran-anagement ist für uns ein ausgewogener Artenschutz.ir setzen nicht auf eine Art, sondern wir setzen auf dasleichgewicht in der Natur, und wir setzen auf die Ar-nvielfalt. Das ist uns wichtig. Es geht darum, langfris-g die Artenvielfalt zu sichern und zu entwickeln.
s ist ganz wichtig, dass wir – ob wir über Ökologieder über den Umwelt- und Klimaschutz reden – diesenleichklang, dieses Voranbringen in der Gesamtheit se-en und uns hier nicht in Details verlieren. Die Union je-enfalls will sich dieser Herausforderung stellen. Wiretzen auf Kooperation und nicht auf Konfrontation. Dast uns in diesem Zusammenhang besonders wichtig.
h glaube, es ist wichtig, dass man nicht die Augen ver-chließt, sondern dass man schaut, was da passiert, undiese Problematik zur Kenntnis nimmt.Richtig ist, dass der Kormoran ein prominenter Vogelt. In der Tat, der Naturschutzbund hat ihn zum Vogeles Jahres ausgerufen, und der Kormoran hat es aucherdient. Jahrzehntelang hatten wir nur wenige Brut-aare, und es lag uns am Herzen, die Population zu ent-ickeln. Aber wenn diese Population aus dem Ruderuft, muss man auch den Mut aufbringen, Maßnahmenu ergreifen und sich diesen Herausforderungen zu stel-n. Deshalb sagt die Union all denjenigen Nein, die sa-en: Lass es so laufen; lass es so weitergehen! Das isticht unsere Vorgehensweise. Wir wollen eine erfolgrei-he Erhaltung von Biodiversität.Zwei Jahrzehnte, besonders intensiv in den letztenahren, haben sich Wissenschaftler mit der Bestandsent-icklung der Kormorane beschäftigt, und sie sind jetztu dem Ergebnis gekommen: Die Population ist über-öht, und sie ist insgesamt, wenn man die Artenvielfaltieht, so nicht hinnehmbar und so nicht gesund. Dieseissenschaftler kommen sogar zu dem Ergebnis: Wennir mehr FFH-Gebiete ausweisen und den Naturschutzoranbringen wollen, dann geht das nicht mit der Popu-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16593
Cajus Caesar
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lation, die wir jetzt haben, und deshalb müssen wir han-deln.
Wir als Union jedenfalls wollen diesen wissenschaft-lichen Erkenntnissen Rechnung tragen. Deshalb ist esuns wichtig, hier ein Kormoranmanagement auf denWeg zu bringen, das die Dinge insgesamt betrachtet unddas erfolgreich handelt. Der Kormoran selbst ist einFischfresser, er ist schnell, er ist hartnäckig, und er kannbis zu 40 Meter tief tauchen. In größeren Gewässerntreibt er sogar die Fischbestände zusammen – das be-herrscht er hervorragend – und jagt sie so lange, bis nichtmehr viel übrig bleibt.
– Das sagen Sie zu Recht. Deshalb hoffe ich, dass Sieunserem Antrag zustimmen. – Es gibt da eine große Pro-blematik, die wir als Union aufgreifen wollen. Wir sehendie Problematik im Zusammenhang mit denjenigen, dieFamilienbetriebe haben, von denen sie leben müssen,und denjenigen, die Lebensqualität im ländlichen Raumbewahren wollen. Auf der einen Seite geht es also da-rum, die wirtschaftliche Entwicklung zu sichern. Auf deranderen Seite wollen wir den Fischbesatz und die Arten-vielfalt dort, wo wir eine intakte Natur und gesundeBachläufe haben, erhalten und entwickeln.Schauen Sie sich die Entwicklung an. 1980 gab es inDeutschland 800 Brutpaare, heute haben wir es mit130 000 Vögeln zu tun. Daran sieht man, welche Ent-wicklung die Kormoranpopulation genommen hat. An1 000 Brutpaaren allein in Nordrhein-Westfalen siehtman, wie rasant diese Entwicklung gewesen ist. Sie istaber nicht positiv rasant gewesen, sondern negativ rasant.Deshalb kommen zu Recht Beschwerden wie die fol-gende aus der Bevölkerung: Lieber Unionsabgeordnetermeines Wahlkreises, du musst dich kümmern. – Franz-Josef Holzenkamp hat mir vor wenigen Tagen gesagt:Cajus, wir müssen etwas tun. Setz dich ein. Wir gemein-sam schaffen das. – Ich denke, die Bundesregierung undinsbesondere unser Staatssekretär Peter Bleser sowie wirUnionsabgeordnete werden das schaffen. Ich bin davonüberzeugt, dass unsere Bemühungen erfolgreich seinwerden.
Wir müssen feststellen, dass gerade im süddeutschenRaum die Bestände der Zugvögel stark zunehmen und esdeshalb auch dort Handlungsbedarf gibt. Wir wollen Na-tionalparks und gesunde Gewässer erhalten und müssendeshalb tätig werden.Ein Kormoran ist etwa 80 bis 100 Zentimeter groß. Erwiegt 2 bis 3 Kilogramm.
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ir wollen nicht bestimmte Gruppen an die Seite drän-en. Uns liegen Gewässerqualität und Artenschutz in ih-r Gesamtheit am Herzen. Es ist wichtig, dass wir denestand der einheimischen Fischarten, der als gefährdetilt, wie Lachs, Äsche, Zander, Hecht, Karpfen, Meeres-relle, aber auch den Aal, erhalten.
Sie alle wissen, dass das Bundesamt für Naturschutz wenn jemand für den Naturschutz eintritt, dann ist esieses Bundesamt – festgestellt hat, dass 74 Prozent dereimischen Rundmäuler und Fischarten als gefährdetder sogar ausgestorben gelten. Daraus können wirchließen, dass es Handlungsbedarf gibt und wir eingrei-n müssen. Das geht ganz eindeutig daraus hervor.
ir als Union wollen, dass ein Räuber nicht mehr Spiel-um bekommt,
ondern wir wollen in der Tat vernünftigen Ressourcen-chutz betreiben und uns für Nachhaltigkeit einsetzen.enn wir das tun, sind wir auf dem richtigen Weg.Es ist festzustellen, dass die Fischpopulation, ob esich um die in freien Gewässern oder um die in heimi-chen Bachläufen handelt, durch den Kormoran großenchaden nimmt. Deshalb müssen wir das Gleichgewichterstellen. Ich glaube, dass es wichtig ist, die Dinge kon-equent anzugehen
wenn Sie zugehört hätten, wüssten Sie es – und denassiven Bestandszuwachs zurückzudrängen. Wirrientieren uns an dem, was Wissenschaftler und Exper-
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16594 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Cajus Caesar
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ten festgestellt haben. Wir nehmen die Populationszu-nahme sehr wohl zur Kenntnis, im Gegensatz zu Ihnen.
Jedenfalls ziehen wir daraus entsprechende Schlüsse,und das ist wichtig.Ich denke, jeder kennt in seinem Wahlkreis Gegendenmit idyllischen Bachläufen und gesunder Gewässerqua-lität, und dort können wir uns über den Fischreichtumund insbesondere über seltene Fische freuen. Wir alsUnion wollen den Artenschutz erhalten und entwickeln.
Es ist in der Tat wichtig, dass man nicht nur die Aspektevon Umwelt- und Naturschutz, sondern auch die Interes-sen derjenigen berücksichtigt, die ihre wirtschaftlicheExistenz sichern müssen. Wir wollen die Familienbe-triebe nicht im Stich lassen. Wir denken auch an die vorOrt arbeitenden und lebenden Menschen und wollen sieeinbeziehen.Bisher sind Schutzmaßnahmen wie das Abspannenund Überspannen von Wasserflächen relativ erfolglosgeblieben, und deshalb muss man über andere Maßnah-men nachdenken. Die Union hat sich auch in den Län-dern schon sehr früh damit beschäftigt. Sie hat in Schles-wig-Holstein eine Kormoranverordnung erlassen. Wirkönnen dank unserer Bundesministerin für Ernährung,Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ilse Aigner, auchauf europäischer Ebene einige Aktivitäten vorweisen. Esist zudem wichtig, dass die im Rahmen der Agrarminis-terkonferenz eingerichtete Bund-Länder-Arbeitsgruppe„Kormoran“ vorankommt.Wir haben bereits Maßnahmen zur Abwehr fischerei-wirtschaftlicher Schäden ergriffen. Allerdings müssendiese durch entsprechende politische Maßnahmen flan-kiert werden, die über die Bundesländer hinaus abge-stimmt werden müssen.
Ich glaube, es macht wenig Sinn, wenn auf der einenSeite eines Bachlaufs, die zu Niedersachsen gehört, et-was anderes passiert als auf der anderen Seite, die zuNordrhein-Westfalen gehört. Es macht daher mehr Sinn,wenn die Bundesregierung flankierende Maßnahmen aufden Weg bringt. Dazu gehören auch konkrete und um-setzbare Maßnahmen für ein effektives Kormoran-management.Wir jedenfalls wollen klare Lösungen, ein zügigesVerfahren und eine effektive Umsetzung. Wir wolleneinen erfolgreichen Vogelschutz ebenso wie einen effek-tiven und erfolgreichen Fischschutz. Wir wollen eineausgewogene Artenvielfalt. Wir wollen die Fischerei-wüfrsumkIcdWdmlieFpVSseseSAuAgbBddwAnA
ie verfallen mit Ihren Anträgen zurück in ein ziemlichchlichtes Denken von vorgestern. Sie teilen Arteninerseits in nützlich, also schützenswert, und anderer-eits in Nahrungskonkurrenten, also nicht schützenswert,in. Diese Einteilung ist in der Tat schon lange überholt.ie widerspricht nicht nur einem modernen Natur- undrtenschutzdenken, sondern auch der europäischen undnserer eigenen nationalen Gesetzgebung.
lle Arten, ob Vögel oder Fische, sind erst einmalrundsätzlich in ihrem Bestand zu erhalten, und ihre Le-ensräume sind entsprechend zu schützen. Weder dasundesnaturschutzgesetz noch die FFH-Richtlinie nochie Vogelschutzrichtlinie räumen einer wirtschaftlich be-eutenderen Art gegenüber einer anderen Art eine ge-isse Vorzugsbehandlung ein. Diese Idee, die in Ihrennträgen zum Ausdruck kommt, stammt allein von Ih-en.
Die Wirtschaftlichkeit ist im Zusammenhang mit demrtenschutz schlicht kein Kriterium. Schon gar nicht
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16595
Ute Vogt
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wird die europaweite Reduktion des Kormoranbestandesum 25 Prozent, also um ein ganzes Viertel, in irgendei-ner Form auf europäischer Ebene gefordert oder unter-stützt, auch nicht, wenn Sie diese Idee euphemistischverbrämen und als Kormoranmanagement tarnen. Esgeht ja tatsächlich darum, eine Art zu reduzieren.
Natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, fressenKormorane Fische.
Es ist auch nachzuvollziehen, dass sich Angler undFischer darüber ärgern und dadurch gestört fühlen. Ausindividueller Sicht kann man all das verstehen. Aber esgibt bereits entsprechende Möglichkeiten. Es gibt so-wohl auf europäischer als auch auf nationaler EbeneAusnahmeregelungen,
nach denen Kormorane an Fischteichen vergrämt odergegebenenfalls sogar abgeschossen werden dürfen.Diese Ausnahmeregelungen gibt es heute schon.
Die Bundesländer, zumindest die meisten, machen auchGebrauch von solchen Ausnahmeregelungen. Es bestehtalso keinerlei Bedarf, auf Bundesebene eine weiter ge-hende Regelung einzuführen.Ich will Ihnen noch einmal die Zahlen vor Augen füh-ren. Nach der Analyse des von Ihnen geführten Land-wirtschaftsministeriums wurden im letzten Jahr in zwölfBundesländern knapp 27 000 Kormorane abgeschossen.Das ist ja eine beträchtliche Anzahl. In Deutschland be-finden sich etwa 21 000 Brutpaare. Der Bestand der Kor-morane, die sich im Winter in Deutschland befinden,nämlich 51 000, wurde durch diese 27 000 Abschüsse inetwa halbiert. Ich finde, aufgrund dieser hohen Ab-schusszahlen und auch aufgrund der Entschädigungszah-lungen, die sehr viele Bundesländer leisten, wenn es zuSchäden durch Kormorane kommt, besteht kein weitererRegelungsbedarf. Vor allen Dingen gibt es auch keineweitere Regelungsmöglichkeit. Die von Ihnen hier vor-gelegten Anträge sind Schaufensteranträge; denn es gibtin der Europäischen Union keine Mehrheit für Ihr soge-nanntes Kormoranmanagement.
Eine entsprechende Vorlage wurde nämlich schon mehr-fach abgelehnt.
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a sind wir gerne an Ihrer Seite. Der Weg dahin – ichage es Ihnen gerne noch einmal – darf aber nicht in dereise beschritten werden, dass man eine andere Vogel-rt an die Seite drängt, sondern der Weg des Fischschut-es führt über die Verbesserung der Gewässerqualitätnd über die Verbesserung der Durchgängigkeit vonließgewässern.
enn Sie es wirklich ernst meinten mit dem Fisch-chutz, dann müssten Sie doch Ihre Energie darauf kon-entrieren, auf europäischer Ebene auf die Umsetzunger Wasserrahmenrichtlinie hinzuarbeiten,
tatt im nationalen Alleingang etwas gegen die Kormo-ne zu unternehmen.Ich jedenfalls kann für die SPD-Fraktion sagen: Wiralten es für unfair,
enn von Menschen gemachte Probleme beim Fischbe-tand und bei der Artenvielfalt von Fischen nun einzignd allein den Kormoranen angelastet werden. Deshalbird die SPD-Fraktion die vorliegenden Anträge mitroßer Mehrheit ablehnen.
Die Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan hat für die
DP-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Ich freue mich außerordentlich, heute Abendier zum Thema Kormoran sprechen zu dürfen; denn est mir ein Anliegen, dass wir gerade bei diesem Thema,em Kormoran, zu einem sachverständigen Naturschutzommen. Ich freue mich auch sehr darüber, dass ich iner gestrigen Ausschussberatung von einer Seite Zustim-ung bekommen habe, von der ich sie gar nicht erwartetätte,
ämlich nicht nur von der CDU/CSU, sondern auch voner Linken sowie vom Fischereiexperten der SPD-Bun-estagsfraktion sowie des Deutschen Bundestages,errn Holger Ortel,
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16596 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Dr. Christel Happach-Kasan
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und von Dr. Wilhelm Priesmeier. Ich bedanke mich ganzherzlich für die Zustimmung zu dem Antrag.
Der Kormoran ist das Beispiel in Deutschland für er-folgreichen Naturschutz. Frau Kollegin Vogt, eine Vo-gelart mit fast 2 Millionen Exemplaren durch ein Ma-nagement zu reduzieren, ist völlig unmöglich.
Sie haben eine absolut eingeschränkte Sicht. Vor 20 Jah-ren war der Kormoran stark gefährdet. Heute ist er eineAllerweltsvogelart. Die EU-Vogelschutzrichtlinie führtihn in ihren Anhängen gar nicht mehr auf. Wir habenneun Forderungen für eine nachhaltige Bestandsregulie-rung
aufgestellt, die offensichtlich mehrheitlich Zustimmungfindet.Es ist bemerkenswert, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, dass es trotz eines sehr eindeutigen Votums in derBevölkerung Naturschützer gibt, die sich mit diesem Er-folg des Naturschutzes nicht zufriedengeben, sondernden Vogel weiterhin auch dort schützen wollen, wo da-durch andere Arten, beispielweise Fischarten, gefährdetwerden.
Wir leben in einer Kulturlandschaft. Es ist völlig unstrit-tig, dass zum Schutz der Wälder Rehwild geschossenwird, dass wir ein Management für Rotwild haben. Es istvöllig unstrittig, dass wir in unserer KulturlandschaftWildschweine bejagen. Allein bei mir im Wahlkreis hates eine Verzehnfachung des Wildschweinbestandes in-nerhalb der letzten 30 Jahre gegeben, und natürlich wer-den sie bejagt. Genauso unstrittig sollte es sein, dass derKormoran dort, wo er zu Schäden an autochthonenFischbeständen führt, ebenfalls reguliert wird.
Der Schutz autochthoner Bestände ist unser Anliegen,genauso wie der Artenschutz unter der Wasseroberflä-che. Wir wollen den Erhalt von Teichwirtschaften, ge-rade in FFH-Gebieten. Jeder, der ein bisschen Ahnungvon unserer Kulturlandschaft hat, weiß, dass wir dieFischbestände dort nicht durch Überspannung der Teicheschützen können; das geht überhaupt nicht. Sie sind zugroß. Ich will als Schleswig-Holsteinerin natürlich dieFischerei am Großen Plöner See erhalten. Auch dort istezssVdBmsriaztePdb–DdsmdadFLfrnwDsdwdaFd
Wir wollen – das will ich ganz deutlich sagen – mit un-erem Antrag auch Anerkennung gegenüber den Angle-nnen und Anglern zum Ausdruck bringen, die in ihremnerkannten Naturschutzverband herausragende Arbeitum Schutz der Gewässer und in der Umweltbildung leis-n.Schauen wir doch einmal in die Presse. In der Main-ost lesen wir unter der Überschrift „Kormoran frissten Main leer“, was Willi Wingenfeld, Fischereiver-andsbeauftragter, dazu sagt:Die reinen, selbst ernannten Vogelschützer habenkein Verständnis. Für die sind Fische Vogelfutter. Genauso wie für Sie, Frau Vogt. –
Nach dem Motto: Solange es Fischstäbchen gibt,brauchen wir keine Fische draußen.as ist bemerkenswert. – In Franken sagt ein Mitarbeiterer unteren Naturschutzbehörde, ein Biologe, er stelleich hinter die Teichwirte in seinem Land. Im Zusam-enhang mit der Karpfenernte in der Lewitz berichteter NDR, dass der Fischer Hermann Stahl die Verlusteuf 30 Prozent senken konnte, seit er intensiver gegenen größten Fischräuber, den Kormoran, vorgehen kann.rüher betrugen die Verluste bis zu 75 Prozent.Das Bundesamt für Naturschutz führt in der Roteniste der Süßwasserfische und Neunaugen aus: Eine be-iedigende Lösung des Kormoranproblems ist bishericht in Sicht, und zu der Frage, wie der Äsche geholfenerden kann, gibt es erheblichen Forschungsbedarf.
ie fachliche Meinung des Bundesnaturschutzamtesollte ernst genommen werden. Es reicht nicht, zu sagen,ass es Umweltverbände gibt, die nicht wollen, dass et-as unternommen wird.
Wenn wir uns eine entsprechende Veröffentlichunges Bundesumweltministeriums aus dem Oktober 2011nschauen, sehen wir, dass auch darin der Kormoran alsraßräuber benannt wurde. Ich glaube, es ist an der Zeit,ass wir beim Kormoran zu einem Umdenken kommen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16597
Dr. Christel Happach-Kasan
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Liebe Kollegin Kurth, ich fand es schon bemerkens-wert, dass Sie gestern im Ausschuss erstmalig davon ge-sprochen haben, dass wir einen Interessenkonflikt beimThema Kormoran haben. Frau Kollegin Behm hat in derersten Rede zum Kormoranantrag ausgeführt, dass esdurchaus Gewässerabschnitte geben kann, in denen tat-sächlich Bedarf an einem Management für bestimmteArten besteht.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Kormoranin den küstenfernen Regionen Deutschlands, also inSüddeutschland, eine invasive Art ist.
Er hat Brutbestände dort aufgebaut, wo er früher einmalallenfalls als Irrgast vorgekommen ist. Es ist auch klar,dass wir bestimmte Fischarten haben, die sich der neuenSituation nicht angepasst haben. Insbesondere gilt diesfür die Äsche, aber auch für andere Fischarten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind aufgefor-dert, die Akzeptanz für den Naturschutz zu erhalten.Dazu gehört auch, dass wir ein Management organisie-ren, wenn sich eine Art, wie es beim Kormoran der Fallist, so stark vermehrt, dass andere Arten in ihrem Be-stand gefährdet sind. Es ist richtig, was der Fischereiver-band von Brandenburg sagt: Auch Fische brauchenSchutz. – In diesem Sinne bitte ich Sie herzlich, meinemAntrag zuzustimmen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Der nächste Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Jan Korte für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!In der Tat ergibt sich bei dieser Debatte eine etwas unge-wöhnliche Konstellation. Das hat mit der Tatsache zutun, dass sich offenbar in mehreren Fraktionen Sachken-ner mit dieser Materie auseinandergesetzt haben unddementsprechend sinnvolle Anträge eingebracht haben.
Die Linke hat bereits im April zum Kormoranma-nagement einen Antrag eingebracht. Die Koalitionsfrak-tionen haben dann im Oktober nachgelegt und die we-sentlichen Punkten unseres Antrages erfreulicherweisebei uns abgeschrieben und übernommen. Das ist in Ord-nung; denn der Antrag, den wir eingebracht haben, istein sehr kluger Antrag.
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umindest bei dieser K-Frage hätten Sie einmal aus-ahmsweise sachlich und nicht ideologisch mit uns dis-utieren und dem Antrag einfach zustimmen können.ann wären wir schon ein gutes Stück weiter.
Nun aber zu den Fakten. Bis auf die Grünen und bisuf Ute Vogt wissen alle, die sich mit diesem Thema be-chäftigen, dass der Kormoran ein großes Problem dar-tellt. 1990 gab es 5 000 Brutpaare. 2010 gab es schon4 000 Brutpaare. Das ist in der Tat – darüber könnenir uns alle freuen – ein Erfolg für den Artenschutz. Dast auch erst einmal in Ordnung. Aber – darüber diskutie-n wir hier zu Recht – der Artenschutz endet eben nichtn der Wasseroberfläche, liebe Kollegen von den Grü-en. Um dieses Problem geht es heute.
Ich habe mir die Reden, die damals zu Protokoll gege-en wurden, angeschaut. Den Grünen und in diesemalle auch Ute Vogt sei gesagt: Was Sie in dieser Debatteicht begriffen haben, ist, dass Artenschutz eben nichtur für kleine, niedliche Tierchen mit Knopfaugen giltdas ist Ihre Position –, sondern beispielsweise auch füren Aal und für die Äsche.
Nun weiter zu den Fakten. Erstens. In einer Studie deshüringer Umweltministeriums zur Kormoranüberwin-rung an Fließgewässern in Thüringen heißt es abschlie-end – das ist das Fazit der Wissenschaftler –: Der da-us resultierende Fraßdruck auf die Äschenpopulationann nicht mehr kompensiert werden.Zweitens. Der Kormoran frisst pro Tag – das besagenlle wissenschaftlichen Untersuchungen – zwischen 300nd 500 Gramm Fisch. Das macht pro Jahr insgesamtwischen 15 000 und 25 000 Tonnen. Das ist übrigensehr, als die gesamte deutsche Binnenfischerei produ-iert.Drittens. Laut Antwort der Bundesregierung auf einenfrage der Linken frisst der Kormoran pro Jahr rund40 Tonnen des europäischen Aals, einer Art, die mitt-rweile fast vollkommen ausgestorben ist.Viertens ein Beispiel aus Brandenburg, das schon zuecht angesprochen wurde: Die dort existierenden klei-en Teichwirtschaften in Form von Familienbetriebendas müsste die Kollegin Behm doch wissen – hatten imtzten Jahr einen Verlust von 1 Million Euro bei einem
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16598 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Jan Korte
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Gesamtumsatz von 3,6 Millionen Euro. Da kann mandoch nicht einfach sagen: „Das ist uns egal“, insbeson-dere wenn man sich die regionale Wirtschaft auf dieFahnen schreibt. In dieser Frage sind Sie schlicht un-glaubwürdig.
Deswegen – in dem Punkt ist unser Antrag wirklichbesser – fordern wir, wie es bereits in Dänemark erfolg-reich praktiziert wurde, dass man Naturschützer, Fischerund Angler in diesen Prozess einbezieht. Wir fordern dieBundesregierung auf, nachhaltig dafür zu sorgen, dieseGruppen einzubinden.
Die Kollegin Tackmann hat hierzu heute eine sehr fach-kundige Erklärung zur Abstimmung vorgelegt.Ich will Ihnen eines sagen – auch das ist bereits ange-sprochen worden –: Der Dank sollte heute in der Tat al-len Naturschützern und Artenschützern gelten, aber ebenauch den Anglern, ohne deren Besatzmaßnahmen es bei-spielsweise den europäischen Aal in unseren Gewässerngar nicht mehr geben würde. Insofern gilt ihnen der aus-drückliche Dank des Bundestages.
Es ist schon bemerkenswert, dass all diese Fakten Sienicht überzeugen können. Zum Schluss möchte ich aberdoch noch eine Anmerkung zu CDU/CSU und FDP ma-chen. Im Gegensatz zu Ihnen entscheidet die Linkegrundsätzlich nach Sacherwägungen.
Wir lesen, was in dem Antrag steht. Sie aber schauen nurdarauf, wer den Antrag eingebracht hat. Das heißt, Siesind ideologisch, und wir sind unideologisch.
Das ist die Wahrheit, und weil wir das nicht nur pos-tulieren, sondern auch machen, werden wir heute IhremAntrag selbstverständlich zustimmen, genauso wie wirhoffen, dass Sie – ebenfalls unideologisch und an der Sa-che orientiert – unserem Antrag zustimmen werden.
Dafür möchte ich gerne werben. Das wäre dann in derTat ein gutes Zeichen für einen ganzheitlichen Arten-schutz, der in diesem Bereich dringend erforderlich ist.
sdGLTeTdudtev–NwkkwsEdd–renn–
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen für das Wort. –iebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Gäste auf derribüne! Das Ganze klingt ziemlich heiter; dabei ist esigentlich ein relativ ernstes Thema.
Ich frage mich, wie oft wir hier noch über dieseshema reden müssen, ehe Sie endlich einmal bereit sind,ie Rechtslage zu akzeptieren
nd sich damit auseinanderzusetzen, dass wir uns übereutsches und europäisches Naturschutzrecht unterhal-n. Sie hingegen tragen emotional zum Fischartenschutzor, meinen aber eigentlich wirtschaftliche Interessen.
Doch.
atürlich stört der Artenschutz, wenn es eigentlich umirtschaftliche Interessen geht. Der steht im Wege; denann man nicht brauchen. Wir sollten uns endlich einmallarmachen, dass man nicht jeden Konflikt zwischenirtschaftlichen Interessen und dem Arten- und Natur-chutz mit dem Gewehr lösen kann. Das führt zu keinemrgebnis.
Um es gleich vorwegzunehmen: Wir werden keinemer beiden Anträge – weder dem der Linken noch demer Koalition – zustimmen.
Gott sei Dank? Sie scheinen ja selber nicht viel von Ih-m Antrag zu halten, wenn Sie sagen, wir sollten ihmicht zustimmen.
Weil ich nur relativ wenig Zeit habe, werde ich michur auf wenige Punkte konzentrieren.
Das glaube ich nicht; Sie sollten besser zuhören.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16599
Undine Kurth
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Erstens. Sie tragen immer wieder die allseits beliebteForderung vor, man müsse den Fischartenschutz mitdem Vogelschutz gleichstellen.
Ute Vogt ist darauf schon eingegangen. Sie sollten zurKenntnis nehmen: Es gibt im Artenschutz gar keine Vor-rangregelung.
Das deutsche und das europäische Naturschutzrecht be-stimmen nach Daten und Fakten Schutzkategorien. Andie haben sich alle verbindlich zu halten. Ihnen geht esaber gar nicht – das behaupte ich – um mehr Fischarten-schutz, sondern um die Ertragslage der Fischer.
Das ist völlig in Ordnung. Darum muss man sich auchkümmern. Man muss dann aber die Instrumente einset-zen, die wirklich eine Verbesserung bringen.
– Sie kennen das. Sie wissen, dass wir für die Gewässerwesentlich mehr tun müssen. Dort, wo Fischer wirklichunter extremem Druck leiden, können wir mit Aus-gleichsmaßnahmen ansetzen oder Sonderregelungenzum Tragen bringen.
– Zu denen komme ich gleich noch.Ihnen ist berichtet worden, dass es Eingriffsmöglich-keiten gibt. Es liegt nämlich nicht – das ist das einzigEntscheidende – im Belieben irgendeines Mitgliedstaa-tes, festzulegen, an welche Artenschutzregelungen ersich gerade halten will und welche ihm gerade nicht pas-sen. Das Recht ist verbindlich. Wenn Sie der Meinungsind, dass der Kormoran inzwischen eine Allerwelts-vogelart ist,
wobei ich ja eher den Eindruck hatte, es sei der böseWolf, dann stellen Sie doch bitte den entsprechendenAntrag und bringen empirische Belege, die einem sol-chen Antrag, nämlich den Kormoran artenschutzrecht-lich neu einzugruppieren, als Grundlage dienen können.Das wäre doch eine Variante.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ja, bitte, Frau Happach-Kasan.
Frau Kollegin Christel Happach-Kasan, bitte schön.
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ie hat außerdem die gestiegenen Bruterfolge als alar-
ierende Hinweise bezeichnet. Ist Ihnen dieses be-
annt? Wie beurteilen Sie die Bemerkungen von Frau
inisterin Höfken?
Sie war bei uns im Ausschuss!
Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN):
Die Frau Ministerin wird sicherlich im nächsten
chritt überlegen, welche der möglichen Ausnahmerege-
ngen, die das Naturschutz- und Artenschutzrecht vor-
ehen, zur Anwendung kommen sollen, wenn sich jetzt
in kausaler Zusammenhang offenbaren würde. Ganz
infache Antwort!
Ich komme zu meinem zweiten Punkt. Das, was Sie
on der Koalition und von der Linken in Ihren Anträgen
ortragen, ist zum Teil wirklich abenteuerlich und for-
ert zum Rechtsbruch auf.
achen Sie sich bitte bewusst: Der Kormoran ist nach
rt. 2, 5, 6 und 4 Abs. 2 der europäischen Vogelschutz-
chtlinie geschützt.
araus ergeben sich erhebliche Zugriffsverbote und ein
rinzipielles und generelles Jagdverbot.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischen-
age?
Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN):
Wir können das heute Abend gerne so weiterführen.
on wem diesmal, bitte?
Vom Kollegen Jan Korte.
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16600 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Ja.
– Na ja, diese Allianz gibt’s doch gerade!
Bitte schön.
Liebe Kollegin Kurth, Sie haben gerade die EU-Vo-
gelschutzrichtlinie angesprochen. Lassen Sie mich kurz
daraus zitieren. Dort heißt es in Art. 2:
Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maß-
nahmen, um die Bestände aller unter Artikel 1 fal-
lenden Vogelarten auf einem Stand zu halten oder
auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den
ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen
Erfordernissen entspricht, wobei den wirtschaft-
lichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rech-
nung getragen wird.
Wie konstruieren Sie damit bitte einen Gegensatz
zwischen den vorliegenden Anträgen und der geltenden
EU-Vogelschutzrichtlinie? Das verstehe ich nicht.
Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Jetzt hat der Angler gesprochen. – Ich wollte des Wei-
teren sagen: Alle Maßnahmen, die zu einer Eingrenzung
oder Beeinflussung der Population führen sollten, sind
nach § 38 Bundesnaturschutzgesetz als Eingriff zu be-
werten. – Darauf haben Sie gerade auch abgehoben. Ein
Eingriff, wenn es darum geht, Veränderungen vorzuneh-
men, kann einer Verträglichkeitsprüfung unterzogen
werden. Dabei ist zu prüfen, ob durch die geplante Maß-
nahme eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebens-
räume des Kormorans zu erwarten ist oder der günstige
Erhaltungszustand der Bestände gefährdet wird.
– Herr Döring, mit dieser Haltung werden Sie im Natur-
schutz und im Artenschutz natürlich besonders weit
kommen. Sie stellen sehr deutlich klar, in welche Rich-
tung Ihr Denken geht, in welche Richtung Ihr Verhältnis
zum Natur- und Artenschutz geht.
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Ich darf Sie darauf hinweisen, dass der Verwaltungs-
erichtshof Baden-Württemberg im März dieses Jahres
ine solche Vergrämungsaktion, wie sie in der Gegend
on Radolfzell durchgeführt worden ist, für unrechtmä-
ig erklärt hat. Es wird zukünftig nicht mehr zu solchen
ktionen kommen. Es wäre gut, wenn Sie endlich ein-
al die Rechtslage und die Rechtsprechung zur Kennt-
is nähmen.
Wie gesagt: Es ist kein Geheimnis, dass der Kormo-
n gerne und gut Fisch isst. Das weiß jeder; das haben
ir, Frau Happach-Kasan, übrigens noch nie geleugnet.
ir verkennen auch nicht das Problem, das es mit Popu-
tionen gibt, wenn sich große Kolonien bilden. Aber
ort müssen spezifische Lösungen gefunden werden;
an kann sie auch finden, denn das Artenschutzrecht
ibt bereits jetzt Ausnahmemöglichkeiten her, aber eben
eine generellen, sondern nur im in der Sache geprüften
inzelfall.
Es ist doch geradezu aberwitzig, wenn wir uns hier
instellen und sagen: Wir haben zwar europäisches Na-
rschutz- und Artenschutzrecht, aber wir müssen uns
erade einmal nicht daran halten. Wieso glauben Sie ei-
entlich, dass dieser Rechtsbereich der individuellen
ntscheidung unterliegt, während man sich an andere
echtsvorschriften zu halten hat? Das ist doch nicht be-
ebig.
ir haben geltendes Recht, und das ist verbindlich für
lle.
Doch, er widerspricht geltendem Recht, denn Manage-
entpläne sind gar nicht möglich.
Wir machen dann Schluss.
Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIERÜNEN):Das ist wahrscheinlich auch besser, denn wir müssenoch oft üben, ehe Sie offensichtlich bereit sind, zu be-reifen, was Naturschutzrecht bedeutet.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16601
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Vielen Dank, Frau Kollegin Undine Kurth.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Frak-
tion Die Linke mit dem Titel „Ökosysteme schützen,
Artenvielfalt erhalten – Kormoranmanagement einfüh-
ren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 17/5955, den Antrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 17/5378 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die
Koalitionsfraktionen, die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen und der größte Teil der Sozialdemokraten. Gegen-
probe! – Linksfraktion und einige Stimmen aus der so-
zialdemokratischen Fraktion. Enthaltungen? – Keine.
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem An-
trag der Koalitionsfraktionen mit dem Titel „Fischarten-
schutz voranbringen – Vordringliche Maßnahmen für ein
Kormoranmanagement“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7673,
den Antrag der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 17/7352
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Das sind die Koalitionsfraktionen, die Links-
fraktion und einige Stimmen aus der sozialdemokrati-
schen Fraktion.
– Ich korrigiere mich: zwei Stimmen. – Gegenprobe! –
Das sind der größte Teil der Fraktion der Sozialdemokra-
ten sowie die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Enthal-
tungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen.
Ich darf noch darauf hinweisen, dass Frau Kollegin
Dr. Kirsten Tackmann eine Erklärung zur Abstimmung
abgegeben hat.1)
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein-
richtung und zum Betrieb eines bundesweiten
– Drucksache 17/7238 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
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e1) Anlage 2
Soviel ich weiß, wird er bald vorgelegt. Es wäre nichtchlecht gewesen, ihn vorher zu haben, aber er wirdachgeliefert. – Das Wichtigste ist aber nicht, dass wirgendwelche Versprechen erfüllen und abstrakte Rege-ngen beschließen, sondern dass wir ein konkretes Hil-projekt etablieren, das Frauen in besonders gewaltbe-afteten Lebenssituationen konkret hilft.Das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen in Deutsch-nd wird zumeist unterschätzt. Wenn es nicht die Studiees Frauenministeriums gäbe, würde man nicht für mög-ch halten, dass bereits 40 Prozent aller Frauen einmal ihrem Leben mit Gewalt konfrontiert gewesen sind,nd zwar in unterschiedlichen Formen: angefangen beier häuslichen Gewalt bis hin zur sexuellen Belästigungm Arbeitsplatz. Stalking, Genitalverstümmelung undwangsverheiratung sind weitere Arten der Gewalt.5 Prozent der in Deutschland lebenden Frauen haben ininer früheren oder in ihrer aktuellen Partnerschaft Ge-)
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16602 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Elisabeth Winkelmeier-Becker
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walt erfahren. Es ist also ein wirklich wichtiges Thema,um das wir uns heute kümmern.
Diesem Problem steht eine breite Hilfestruktur gegen-über. Es gibt 360 Frauenhäuser und Zufluchtswohnun-gen, an die 500 Beratungsstellen und Notrufe sowie be-sondere Beratungsstellen für besondere Problemlagen,für Opfer von häuslicher Gewalt oder Opfer von Frauen-handel. Viele ehrenamtliche Mitarbeiterinnen, aber auchviele Profis arbeiten in diesem Bereich. Sie engagierensich besonders und tun nicht nur das, was sie vom Ar-beitsvertrag her zu leisten hätten, also zum Beispiel38,5 Stunden arbeiten, sondern sie setzen sich in der Re-gel auch darüber hinaus ein. Ich finde es in diesem Zu-sammenhang wichtig, den Mitarbeiterinnen in den Bera-tungsstellen und Frauenhäusern unseren Dank auszu-sprechen.
Die schon angesprochene Studie zeigt – und das isterschreckend –, dass in einer konkreten Notsituation nur20 Prozent der Frauen das Hilfeangebot überhaupt wahr-nehmen können. 80 Prozent, also die weitaus größteZahl der betroffenen Frauen, findet das nötige Angebotin einer solchen Situation nicht. Das ist auch kein Wun-der; denn Frauenhäuser sind in der Öffentlichkeit be-wusst nicht präsent. Wenn man sich in einer Gewalt-situation befindet, hat man nicht die Zeit, dasTelefonbuch zu wälzen oder sich zu erkundigen. Es gehtdeswegen darum, die Nummer zu kennen und zu wissen,an wen man sich wenden kann. Ziel des neuen Angebotsist es, Bedarf und Angebot auf einfache Weise besser zu-sammenzubringen, damit ein Weg offensteht, wenn esnötig ist. Daraus ergeben sich bestimmte Merkmale undAnforderungen, die wir an diese Helpline stellen.Es geht um eine Lotsenfunktion. Es geht nicht darum,in Konkurrenz zu treten oder selbst ein Angebot zu un-terbreiten, sondern es geht darum, zu vermitteln. Wir set-zen dazu qualifizierte Kräfte ein, die aufgrund ihrer Aus-bildung in der Lage sind, mit den Frauen in der kon-kreten Situation zu kommunizieren, auf sie einzugehenund ihnen zu erklären, was für sie in der jeweiligen Si-tuation am besten ist. Wir müssen für ein mehrsprachi-ges Angebot sorgen, um Frauen unterschiedlicher Her-kunft beraten zu können. Es muss anonym, vertraulich,kostenlos und – ganz wichtig – 24 Stunden an sieben Ta-gen in der Woche zur Verfügung stehen, also rund umdie Uhr.Wir lassen uns das einiges kosten. Die Prognose, auchaufgrund der Erfahrung anderer Länder, ist: Wir brau-chen dafür ungefähr 80 bis 90 Kräfte. Wenn das Ganzeläuft, wird das jedes Jahr etwa 6 Millionen Euro kosten.Das Angebot steht allen betroffenen Frauen zur Ver-fügung, aber auch dem Umfeld, zum Beispiel der Nach-barin, die Geräusche hört, der Freundin, die blaue Fle-cken sieht, oder dem Mitarbeiter im Jugendzentrum, derAnhaltspunkte dafür hat, dass ein junges Mädchen inden Ferien im Heimatland seiner Eltern zwangsverheira-tet wird. Auch diesen Menschen hilft die Helpline, auchsie sollen sich an die Helpline wenden. Mit diesem Ge-szremdDHmanAainnssJleRWHwWufodfüwwevfapsriteDz
Vielen Dank, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker. –
etzt für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kol-
gin Marlene Rupprecht. Bitte schön, Frau Kollegin
upprecht.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!ir haben einen Gesetzentwurf zur Einrichtung einesilfetelefons vorliegen. Dieser Gesetzentwurf ist not-endig, wichtig und richtig.
ir setzen damit internationale Vorgaben um. Wir habenns verpflichtet, diese Vorgaben umzusetzen. Europardert uns auf – die Kollegin Winkelmeier-Becker hatas schon gesagt –, ein Hilfetelefon einzurichten und da-r zu sorgen, dass die Nummer europaweit bekanntird. Mit den Telefonnummern 110 und 112 verbindenir etwas. Bei dieser neuen Telefonnummer sollte dasbenfalls so sein.Wir in Europa sollten klar sagen: Wir schützen Frauenor Gewalt, vor allem vor häuslicher Gewalt. Gewalt immiliären Umfeld akzeptieren die Gesellschaften Euro-as nicht.Der Europarat – ich bin Mitglied der Parlamentari-chen Versammlung – hat in langen, manchmal schwie-gen Verhandlungen ein Übereinkommen dazu erarbei-t, das in Istanbul gezeichnet wurde, auch voneutschland. Ich hoffe, es gelingt uns möglichst bald, esu ratifizieren. Das Übereinkommen enthält viele Maß-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16603
Marlene Rupprecht
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nahmen, die wir umzusetzen haben. An manchen Stellenbrauchen wir gar nichts zu machen, weil wir schon seitvielen Jahren Aktionspläne haben und bereits Gesetzeverabschiedet haben. Das heißt: Wir haben schon sehrviel.An dieser Stelle möchte ich, was man als Oppositi-onspolitikerin selten oder eigentlich gar nicht tut, denMitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken, die in diesemBereich im Ministerium seit vielen Jahren gut und or-dentlich arbeiten. Sie sind auch im Ausland als Sachver-ständige für diesen Bereich anerkannt.
Im Vorfeld dieses Gesetzentwurfs bin ich etliche Maleangesprochen worden mit dem Tenor: Nehmt doch dasGeld und gebt es den regionalen Netzwerken! Gebt esdenen, die schon etwas tun! Dazu sage ich: Wenn mansich das nur kurz anschaut, kann man auf die Idee kom-men, dass das eine Möglichkeit wäre. Dieses Hilfetele-fon ist aber keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzungdes bereits bestehenden Hilfeangebots. Das halte ich fürrichtig.Was uns fehlt, ist natürlich nach wie vor eine struktu-rierte Finanzierung all der Angebote vor Ort. Wir solltennicht auf Spenden angewiesen sein und nicht jedes Jahrbetteln müssen. Angesichts der Haushaltslage der Kom-munen werden die Mittel für die Frauenhäuser und dieNotrufe gekürzt. Das Leistungs- und Hilfeangebot wirdreduziert. Einen Ausgleich dafür kann dieses Hilfetele-fon nicht darstellen. Deshalb appelliere ich hier noche
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir müssen möglichst schnell
gemeinsam eine Länderfinanzierung hinbekommen.
Hierbei muss der Bund den Hut aufhaben.
Heute Mittag habe ich mir als Nichtjuristin extra noch
einmal einen Kommentar zu Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 Grund-
gesetz – öffentliche Fürsorge – angesehen. Da heißt es:
Hilfsmaßnahmen sind anzubieten, nicht nur bei wirt-
schaftlichen Notlagen, sondern auch bei Notlagen in
neuen Lebenssachverhalten. Ich denke, da müssen wir in
die Gänge kommen, egal wo, ob auf Bundesebene, auf
Landesebene oder sonst wo. Nach weit über 30 Jahren
Frauenhäusern kann es nicht sein, dass diese als freiwil-
lige Leistung angesehen werden. Ich finde, das ist ein-
fach unerträglich.
Deshalb brauchen wir die Finanzierung dieser örtli-
chen Netzwerke und Angebote. Ich habe 20 Jahre lang
ein Frauenhaus geleitet. Ich kann Ihnen sagen: Ich habe
manchmal nicht gewusst, wie wir es das nächste Jahr fi-
nanzieren, obwohl ich da sehr fantasievoll bin. Diese
Gelder zu besorgen, mit wem man sich auseinanderset-
zen muss, damit man Geld bekommt, das kann man
schon fast mit Prostitution vergleichen; so habe ich das
manchmal empfunden. Für mich selbst als Person würde
ich dies nie tun, aber für das Frauenhaus bin ich zu ver-
schiedenen Firmen gegangen und habe um Geld gebe-
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Ich habe eine weitere Bitte, diesmal an dieses Parla-
ent. Der Europarat hat eine Kampagne zum Schutz der
rauen vor häuslicher Gewalt gestartet. Als Mitglied der
arlamentarischen Versammlung des Europarats bin ich
oordinatorin bei dieser Kampagne. Es wäre schön,
enn dieses Parlament sagte: Ja, wir machen mit, und
ir sind auch bereit, hier eine Veranstaltung durchzufüh-
n für den Europarat, für die Länder, die erst jetzt be-
reifen, dass es notwendig ist, so etwas in ihrem Land
orzuhalten. Wir haben etwas vorzuweisen. Wir haben
ns schon vor langem auf den Weg gemacht. Vielleicht
elingt es uns, nächstes Jahr hier in Berlin so eine ge-
einsame Veranstaltung durchzuführen.
Ich kann Ihnen eines sagen: Es ist den Parlamentari-
rn aus anderen Staaten ziemlich egal, wer einen Gesetz-
ntwurf geschrieben oder einen Aktionsplan aufgelegt
at. Sie wollen sehen, was dieses Land auf den Weg ge-
racht hat. Ich bin stolz, dass wir etwas geschafft haben,
uch wenn es mühsam war. Der gravierendste Kritik-
unkt, den der Europarat uns gegenüber geäußert hat,
ar, dass unsere Frauenhausplätze nicht sicher und nicht
genügender Zahl vorhanden sind. Dies müsste sich
eheben lassen. In allen anderen Punkten wurden wir ge-
bt. Deshalb freue ich mich, dass auch das Hilfetelefon
un eingeführt wird. Es ist schön, dass dessen Nutzung
usgewertet werden soll und dass eine Datenbank erstellt
erden soll. Ich hoffe, dass alle kooperieren.
In diesem Sinne sage ich Dankeschön und wünsche
nen einen schönen Abend.
Vielen Dank, Frau Kollegin Marlene Rupprecht. –
etzt für die Fraktion der FDP unsere Kollegin Sibylle
aurischk. Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ver-inten Nationen haben im CEDAW-Übereinkommen die
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Sibylle Laurischk
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Beseitigung jeglicher Form von Diskriminierung derFrau verlangt. Dem widmen wir uns. Das sehen wir alseine Aufgabe, die wir auch auf europäischer Ebene for-muliert haben. So hat beispielsweise der Rat der Euro-päischen Union in seinen Schlussfolgerungen „Beseiti-gung der Gewalt gegen Frauen in der EuropäischenUnion“ vom 8. März 2010 die Einrichtung einer kosten-losen und einheitlichen Telefonnummer für von Gewaltbetroffene Frauen gefordert. Es ist also durchaus eine in-ternationale Aufgabenstellung.Insofern war es für uns nur folgerichtig, diese Aufga-benstellung in den Koalitionsvertrag aufzunehmen. Daes im Koalitionsvertrag steht, wird es vor allem von denFrauen in der Koalitionsfraktionen gefordert. Ich erin-nere mich gut an die Beratung, in der wir das vereinbarthaben; Herr Kues, auch Sie erinnern sich sicherlich da-ran, auch wenn Sie gerade nicht zuhören. Wir haben ge-sagt: Wir wollen ein Hilfetelefon. – Ich bin froh, dass estatsächlich auf den Weg gebracht wird und dass unsheute der Gesetzentwurf vorliegt; denn das ist ein wich-tiges Signal.Wir wollen etwas gegen die häusliche bzw. familiäreGewalt, besonders gegen die Gewalt, die Frauen immerwieder erleben, unternehmen. Dabei geht es um eine Si-tuation, die wir uns, glaube ich, kaum vorstellen können.Frauen, die geschlagen, misshandelt oder vergewaltigtwerden, die sich in großer Not nicht zu helfen wissenund sich voller Scham kaum jemandem öffnen, solltenein Gesprächsangebot bekommen: einfach, nieder-schwellig, anonym, aber mit der klaren Aussage, wo sieHilfe finden können, wenn sie sie in Anspruch nehmenwollen. Das brauchen wir.Ich erinnere mich gut an die Zeit, als ich im Rahmeneiner Frauenhausinitiative den Wochenenddienst über-nommen habe. Gerade am Wochenende, wenn die Fami-lie beisammen ist, ist die familiäre Gewalt besondersheftig. Die Kinder erleben sie mit, die Frauen wissensich nicht zu helfen. Wenn sie dann eine Ansprachemög-lichkeit haben, ist das ein erster Schritt, der aus der Ge-waltspirale hinausführt.Wir brauchen ein vielsprachiges Angebot; denn Mi-grantinnen, die isoliert sind und oftmals zu geringeSprachkenntnisse haben, wissen sich sonst nicht zu hel-fen. Es ist sehr wichtig, dass sie in ihrer Muttersprachenach Hilfe fragen können. Das ist ein notwendiges An-gebot, gerade vor dem Hintergrund, dass wir dieZwangsverheiratung unter Strafe gestellt haben. Wirmüssen die flankierenden Maßnahmen ernsthaft anbie-ten. Dies ist ein erster Schritt.Dass wir an dieser Stelle nicht stehen bleiben können,ist völlig klar. Wie Sie wissen, setze ich mich sehr dafürein, dass die Finanzierung von Frauenhäusern stabilisiertund bundesweit einheitlich geregelt wird. Da sind wirnoch nicht so weit wie beim Hilfetelefon. Wir müssenSchritt für Schritt vorgehen. Die flankierenden Maßnah-men sind dabei notwendig. Ich bin froh, dass wir unshier verständigen und einen breiten Konsens findenkonnten.Vielen Dank.FBuEckSsdvdugadsVwligLgdvdAicAmBbSDeddPHKpfigsdswdc
Vielen Dank, Frau Kollegin Laurischk. – Jetzt für die
raktion Die Linke unsere Kollegin Cornelia Möhring.
itte schön, Frau Kollegin Möhring.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnennd Kollegen! Auch die Fraktion Die Linke begrüßt dieinrichtung eines zentralen Hilfetelefons. Eine einheitli-he Nummer – darüber sind wir uns alle im Klaren –, dieostenfrei zur Verfügung gestellt wird und unter der 24tunden am Tag jemand erreichbar ist, übernimmt eineehr wichtige Lotsenfunktion. Nach Aussage der Bun-esregierung können bisher immerhin 80 Prozent deron Gewalt betroffenen Frauen nicht in unser bestehen-es Hilfesystem vermittelt werden. Ich finde, das ist einenglaublich hohe Zahl von Frauen, die, obwohl sie drin-end Hilfe brauchen, keine Hilfe erhalten.Ich möchte daran erinnern – Frau Laurischk und dienderen Vorrednerinnen haben das eindrücklich geschil-ert –: Von Gewalt betroffen sind Frauen aller gesell-chaftlichen Schichten: die Professorin genauso wie dieerkäuferin im Supermarkt, die Hamburgerin genausoie die Migrantin. Das geht quer durch alle gesellschaft-chen Schichten und Berufe. Wir haben die Zahl schonehört: 40 Prozent der Frauen und Mädchen machen imaufe ihres Lebens Gewalterfahrungen. Das ist eine gi-antische Größenordnung und macht den Handlungsbe-arf im Hinblick auf einen umfangreichen Schutz deron Gewalt betroffenen Mädchen und Frauen deutlich.Die Bundesregierung rechnet im Zusammenhang miter Einführung des bundesweiten Hilfetelefons mit 700nrufen täglich. Das sind – ich habe es ausgerechnet;h könnte das jetzt nicht so schnell im Kopf – 255 500nrufe jährlich. Wir sollten uns immer wieder deutlichachen, was für ein wichtiger Schritt es ist, wenn eineetroffene tatsächlich zum Telefon greift und sagt: Ichrauche Hilfe. – Wir müssen uns darüber im Klaren sein:ie muss dann auch schnell Hilfe vor Ort bekommen.er bundesweite Notruf kann dafür natürlich nur derrste Anstoß sein.Das Ausmaß der erwarteten Anrufe macht schoneutlich, dass die personelle und finanzielle Ausstattunger bestehenden Schutzeinrichtungen und die Zahl derlätze bei weitem noch nicht ausreichen. In Schleswig-olstein werden zurzeit aufgrund von Kürzungen undahlschlägen Frauenhäuser und Beratungseinrichtungenlattgemacht. Ich möchte auch hier deutlich sagen: Ichnde es zwar gut, dass die Bundesregierung die Vor-abe, die wir von der EU bekommen haben, jetzt um-etzt, aber in Schleswig-Holstein und in anderen Bun-esländern müssen Frauenhäuser und Beratungsstellenchließen. Das Frauenhaus in Wedel zum Beispiel, ob-ohl immer voll ausgelastet, steht vor dem Aus. Aucher Mädchentreff in Husum, an den sich betroffene Mäd-hen wenden konnten und wo sie bisher immer Hilfe be-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16605
Cornelia Möhring
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kommen haben, steht vor dem Aus und kann sich nurnoch über Spenden aufrechterhalten. In anderen Ländernsieht es ähnlich aus. Ich finde, das darf nicht sein.
Noch einmal zurück zum Hilfetelefon. Ich möchtenoch ein wichtiges Anliegen der örtlichen Beratungsstel-len und Nottelefone anbringen, das bei der Umsetzungdes Gesetzes unbedingt beachtet werden muss. Sie pla-nen zwar einen jährlichen Sachstandsbericht, aber dieerste umfassende Evaluation soll erst nach fünf Jahrenerfolgen. Ich finde, das ist viel zu spät.
Bei Fragen an das Ministerium – nicht wahr, HerrDr. Kues – hören wir immer wieder: Das haben wir nochnicht geprüft, da haben wir noch keine Ergebnisse, dazukönnen wir noch nichts sagen. – Ich finde, wir sollten indieser Sache weder Herrn Dr. Kues noch uns solcheBandschleifen weiter zumuten. Die Evaluation muss vonAnfang an erfolgen.Der noch nicht erstellte Bericht zur Lage der Frauen-und Kinderschutzhäuser ist schon genannt worden. Ichfinde, zwei Jahre nachdem die Vorlage dieses Berichtsim Koalitionsvertrag vereinbart wurde, wird es tatsäch-lich einmal Zeit dafür.
Eine Evaluierung erst nach fünf Jahren ist aber auchfachlich völlig unlogisch. Projekte dieser Art, die ja völ-lig sinnig und richtig sind, müssen im Verlauf, im ständi-gen Prozess evaluiert werden, und zwar gemeinsam mitden Akteurinnen vor Ort. Damit wird, wie Sie gesagt ha-ben, Frau Winkelmeier-Becker, Transparenz hinsichtlichder Frage hergestellt, wo weiterer Bedarf besteht. Denndurch die vorliegenden Zahlen wird deutlich: Es wirdweiteren Bedarf geben.Ich fordere Sie also ausdrücklich auf: Machen Sie ausdieser guten Idee eines zentralen Hilfetelefons auch tat-sächlich eine richtig gute Sache. Sorgen Sie dafür, dasses für die vielen Schutzbedürftigen dann auch wirklichSchutz und Unterstützung geben wird. Wir sind dabei anIhrer Seite.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Möhring. – Jetzt für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin
Monika Lazar. Bitte schön, Frau Kollegin.
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eswegen sind insbesondere auch die Länder und Kom-unen angehalten, ebenfalls Finanzmittel zur Verfügungu stellen.Neben der Finanzierung ist auch das Problem derrauenhäuser schon angesprochen worden. Ich hoffe,ass wir Anfang nächsten Jahres den Bericht dazu end-ch diskutieren können und dass wir noch in dieserahlperiode zügig eine gemeinsame Lösung finden;enn in den Beratungen sowohl im Plenum als auch imusschuss gab es einen ziemlich großen Konsens. Wirlle würden uns freuen, wenn wir mit guten Schritten vo-nkämen; denn wir als Bund müssen die Linie vorgeben
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Monika Lazar
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und selbstverständlich auch die Kommunen und Ländermit ins Boot holen. Aber für uns – das hat auch KolleginRupprecht gesagt – ist das einfach eine grundgesetzlicheVerpflichtung.
Das Hilfetelefon soll eine Erstberatung anbieten.Dann soll an die örtlichen Strukturen vermittelt werden.Diese Lotsenfunktion setzt allerdings eine Datenbankvoraus, die es bis jetzt noch nicht gibt. Bei deren Erstel-lung müssen Qualitätsstandards eingehalten werden. Esist insbesondere wichtig, dass die vorhandene Expertisevon den Frauen und den Beratungsstellen in den Länderngenutzt wird. Deshalb unser Aufruf: Richten Sie jetzt ei-nen Beirat ein, mit dem Sie gemeinsam dieses Problembeheben.Laut Gesetzentwurf ist für das Hilfetelefon ein Ar-beitskräftebedarf von 80 bis 90 Personen vorgesehen.Qualifizierte weibliche Fachkräfte werden gesucht.Wichtig ist allerdings auch, dass diese Fachkräfte weiter-hin geschult werden. Bei einem Anfall von täglich circa700 Anrufen ist es wichtig, dass auch Supervision ange-boten wird; die Mittel dafür müssen spätestens in denHaushaltsplan 2013 eingestellt werden. Ansonsten sinddie Fachkräfte sehr schnell ausgebrannt und fallen ent-sprechend aus.Die mit dem Hilfetelefon angesprochene Zielgruppeist sehr weitreichend, da die Erscheinungsformen vonGewalt sehr breit gefächert sind. Es geht um sexuali-sierte und häusliche Gewalt, Stalking, Genitalverstüm-melung und um Gewalt im Rahmen von Prostitution undZwangsverheiratung. Zum letzten Thema wurde geradeerst eine Studie erstellt, aus der hervorgeht, wie schwie-rig dieser Bereich ist.Die Einrichtung eines Hilfetelefons ist wichtig, aberbitte in Zusammenarbeit mit den Fachfrauen. Es mussfür dieses Telefon, wenn es dann so weit ist, mit einerKampagne geworben werden, damit die Frauen wissen,dass es dieses niedrigschwellige Angebot gibt und wohinsie sich wenden müssen.Insgesamt: Wir sollten uns in den nächsten Monatenalle gemeinsam zusammensetzen und insbesondere fürdie betroffenen Frauen eine Lösung finden; denn wirmachen diese Sache nicht für uns, sondern für dieFrauen, die uns dankbar sind, wenn sie nicht nur das Hil-fetelefon in Anspruch nehmen können, sondern auch dieörtlichen Strukturen.Danke.
Wir haben zu danken. – Nächster Redner für die Frak-
tion der CDU/CSU ist unser Kollege Norbert Geis. Bitte
schön, Kollege Norbert Geis.
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h freue mich, dass ich zu einem Thema reden darf, dasuf Konsens trifft, und dass es nicht immer zu einertreitigen Auseinandersetzung kommen muss.Wenn man der Statistik glauben kann, dann leben wir einem ganz sicheren Land, jedenfalls in einem relativicheren Land mit Blick auf andere Länder. Aber die Sa-he hat auch eine andere Seite. Es ist richtig, dass bei-pielsweise die Jugendgewalt in unserem Land zurück-eht. Aber wir erleben seit 10 bis 15 Jahren, dass dieewalttäter brutaler werden. Die Gewalttaten nehmenn Brutalität zu. Das ist eine gefährliche Tendenz. Gegeniese Tendenz muss es einen gesellschaftlichen Wider-tand geben. Deswegen ist auch diese Diskussion vonroßer Bedeutung.Natürlich ist dieser gesellschaftliche Konsens insbe-ondere bei Gewalt gegen Frauen angebracht. Wir habens vorhin schon gehört: 40 Prozent – man soll es nichtlauben – der in Deutschland lebenden Frauen sind be-its Opfer einer körperlichen oder sexuellen Gewalt ge-orden. Das ist eine unvorstellbar hohe Zahl. Sie istuch im europäischen Vergleich außerordentlich hoch.as können wir so nicht mehr länger hinnehmen.Es gibt natürlich Gruppen von Frauen, die der Gewaltesonders ausgesetzt sind. Der Weiße Ring hat festgestellt,ass es sich dabei um Migrantinnen handelt – das ist hierhon zur Sprache gekommen –, um Frauen, die in Asyl-ewerberwohnheimen leben, und um Prostituierte.Auch gibt es in Deutschland Gewalt gegen Frauen,ie voll und ganz in die Gesellschaft integriert sind. Dast meistens Gewalt in der Privatheit der Wohnung. Es istewalt, die in der Regel vom Partner ausgeht und imrunde genommen aus einer intimen Beziehung herausntstanden ist. Sie trifft die Frauen in einer ganz beson-eren Weise.Diese Frauen wenden sich aber nicht an die zuständi-en Stellen. Sie suchen keine Hilfe, obgleich zwei Drit-l dieser Vorfälle, vor allen Dingen häusliche Gewalt, soiele und so schwere Verletzungen verursachen, dassanchmal sogar lebensbedrohliche Verletzungen festge-tellt werden. Das ist ein gefährlicher Umstand. Davorann man nicht die Augen verschließen.Deswegen müssen wir einen Weg finden, wie wir die-en Frauen klarmachen, dass sie Hilfe in Anspruch neh-en sollten. Aber da es sich um einen sehr intimen Be-ich, nämlich die eigene Wohnung, handelt und dieewalt von Personen ausgeübt wird, mit denen man zu-ächst einmal in einer intimen Beziehung gelebt hat, ha-en diese Frauen oft Scham. Sie wagen sich nicht an dieffentlichkeit oder wollen nicht, dass ihr Fall irgendwo
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16607
Norbert Geis
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bekannt wird. Deswegen sind sie auch nicht bereit, eineentsprechende Stelle aufzusuchen.Oft sind auch keine Nachbarn da, die das mitbekom-men würden. Die eigenen Kinder bekommen es viel-leicht nicht mit. So leben diese Frauen in einem Teufels-kreis aus Privatheit, Abhängigkeit und Gewalt, aus demsie nicht mehr allein herausfinden. Da ist Hilfe von au-ßen notwendig, zumindest die Möglichkeit, Hilfe zu be-kommen.Ich meine, das bundesweite Hilfetelefon ist eine guteund vernünftige Einrichtung. Es wurde schon angespro-chen, dass es in den europäischen Ländern längst ver-breitet ist und dass wir noch ein wenig nachhinken. Esist höchste Zeit, dass eine solche Einrichtung bei uns ge-schaffen wird.
Dieses Hilfetelefon muss natürlich, wie schon gesagtwurde, barrierefrei sein. Es muss schnell erreichbar sein.Wenn eine Frau anruft und wieder auflegt, weil niemandam Ende der Leitung ist, dann hat sie nicht den Mut,gleich wieder anzurufen. Sie hat schon gar nicht denMut, am nächsten Morgen anzurufen. Deshalb muss amanderen Ende der Leitung eine wache, gut ausgebildete,kompetente Person sein. Es muss in der Regel eine Frausein, weil sich Frauen in einer solchen Situation nichtgerne Männern anvertrauen.Es muss darauf geachtet werden, dass wir kompetentePersonen einsetzen, die auch andere Sprachen sprechen.Auch eine türkische Frau muss beim Hilfetelefon anru-fen können und eine Antwort auf Türkisch bekommen,wenn sie die deutsche Sprache nicht versteht. Die techni-sche Ausstattung muss hervorragend sein, und am Tele-fon müssen hervorragend ausgebildete Personen sein.Das muss man mit berücksichtigen.
Ich will einen weiteren Gedanken ansprechen, dernoch nicht richtig zur Geltung gekommen ist. Nicht nurdie Betroffenen, sondern auch andere Personen könnendieses Hilfetelefon in Anspruch nehmen. Das könnenKinder oder Nachbarn sein. Jeder, der entdeckt, dass ge-gen eine Frau Gewalt ausgeübt wird, soll und kann die-ses Telefon in Anspruch nehmen. Dafür muss natürlichdie Nummer bekannt sein. Es muss also eine entspre-chende Öffentlichkeitsarbeit geben, damit die bundes-weite Telefonnummer weithin bekannt wird und genutztwerden kann.Ich meine, dass der Gesetzentwurf eine sehr gute Ini-tiative der Bundesregierung bzw. der Bundesministerinist. Ich kann sie nur unterstützen.Ich möchte zum Schluss noch einen Gedanken an-sprechen. Es ist richtig, dass wir solche Möglichkeitenhaben. Aber wir müssen in einem stärkeren Maße in un-serer Gesellschaft eine Ächtung jeglicher Gewalt herbei-führen.DWwsnwwspzsdwleBDEewedFzareteDdHeBFloruDdreUzndz
er Gewalttäter muss merken, dass er auf geschlosseneniderstand stößt. Dieser Widerstand muss auch einmal,enn es notwendig ist, handfest werden. Darauf mussich der Gewalttäter ebenfalls einrichten. Ich will nunicht die Gewalt auf der anderen Seite predigen – dasill ich tatsächlich nicht –; aber der Gewalttäter mussissen: Ich stoße auf Widerstand. Das muss gesell-chaftsweit in das Bewusstsein der Bevölkerung einge-flanzt werden. Ich meine, dass wir vielleicht tatsächlichu einer größeren Freiheit von Gewalt innerhalb der ge-amten Gesellschaft kommen.Danke schön.
Vielen Dank, Kollege Norbert Geis. Auch der Präsi-
ent hätte geklatscht, wenn ihm dies möglich gewesen
äre.
Nächste Rednerin in unserer Debatte ist die Frau Kol-
gin Nicole Bracht-Bendt für die Fraktion der FDP.
itte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!rst einmal freut es mich, dass wir heute Abend hier für-inander klatschen und so stimmig miteinander sind. Ichünsche mir, dass das hier häufiger vorkommt.Etwa jede vierte Frau in Deutschland ist mindestensinmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durcherzeitige oder frühere Partner geworden. Gewalt gegenrauen findet alltäglich und mitten unter uns statt, undwar nicht nur im sozial kritischen Milieu, sondern über-ll. Opfer von Gewalt gegen Frauen sind häufig auch de-n Kinder. Für alle Betroffenen bedeutet Gewalt meis-ns erhebliche psychische und gesundheitliche Folgen.ie Bekämpfung von Gewalt ist ein vordringliches Zieler Koalition. Wir sind uns alle einig, dass hier hoherandlungsbedarf besteht. Deshalb handeln wir.Nachdem der Bundesrat im September dem Gesetz-ntwurf der Bundesregierung zur Einrichtung und zumetrieb eines bundesweiten Hilfetelefons „Gewalt gegenrauen“ zugestimmt hat, ist der Weg frei für eine kosten-se bundesweite Hotline – eine Nummer, die Frauennd um die Uhr wählen können, wenn sie in Not sind.ie FDP-Bundestagsfraktion hat sich maßgeblich füriese Hotline starkgemacht. In Deutschland existiert be-its ein Netz von Anlaufstellen für betroffene Frauen.ntersuchungen haben aber gezeigt, dass circa 80 Pro-ent der Opfer von den bestehenden Hilfsstrukturenicht oder nicht früh genug erreicht werden. Eine Frau,ie Opfer einer Gewalttat wird, braucht sofort und nichtu bestimmten Öffnungszeiten unbürokratische Hilfe.
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Nicole Bracht-Bendt
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Die Wirksamkeit der Hotline unter Federführung desFamilienministeriums hängt allerdings davon ab, ob sieauch bekannt ist. Das A und O ist deshalb eine nachhal-tige Öffentlichkeitsarbeit. Opfer von Gewalt müssenwissen, wo sie rund um die Uhr Hilfe von Experten be-kommen können. Es handelt sich um ein bewusstniedrigschwelliges, barrierefreies Hilfsangebot, dasFrauen jederzeit und auch anonym in Anspruch nehmenkönnen. Die Experten am Telefon sind eng vernetzt undnennen Adressen, an die sich Frauen wenden können.Damit fällt die Hemmschwelle für viele Frauen weg.Das ist ein wichtiger Punkt. Gerade in kleineren Städtenscheuen sich Frauen häufig, Hilfe in Anspruch zu neh-men, weil sie sich schämen. Sie wollen nicht, dass in ih-rem Umfeld bekannt wird, was sich hinter ihrer Woh-nungstür abspielt, und versuchen lange, damit alleinfertigzuwerden. Deshalb ist es ganz wichtig, dass diebundesweit einheitliche Nummer einen höheren Be-kanntheitsgrad erreicht als bisherige Einzelmaßnahmen.Mit dem Hilfetelefongesetz setzt die Bundesregierungein weiteres Ziel des Koalitionsvertrages um.Ganz herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Bracht-Bendt. – Wir ha-
ben keine weiteren Wortmeldungen mehr. So schließe
ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/7238 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tages-
ordnungspunkt 16 a und b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit zu dem
Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl,
Dorothea Steiner, Hans-Josef Fell, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kein CASTOR-Transport nach Gorleben zu
Lasten des Strahlenschutzes – Zwischenlage-
rung hochradioaktiver Wiederaufarbeitungs-
abfälle verursachergerecht neu gestalten
– Drucksachen 17/7465, 17/7677 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth
Ute Vogt
Angelika Brunkhorst
Dorothée Menzner
Sylvia Kotting-Uhl
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Dorothée Menzner, Johanna Voß, Eva Bulling-
Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
CASTOR-Transport 2011 nach Gorleben stop-
pen
– Drucksache 17/7634 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Die erste Rednerin in un-
erer Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU unsere
ollegin Frau Dr. Maria Flachsbarth. Bitte schön, Frau
ollegin Maria Flachsbarth.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirebattieren heute Abend über zwei Anträge, einen derrünen und einen der Linken, bezüglich der Ende desonats geplanten Castortransporte von La Hague nachorleben, die die Forderung enthalten, diese Transporteu stoppen. Anlass dazu sind Strahlenmessungen desiedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft,üsten- und Naturschutz, der am 15. August und am1. August dem niedersächsischen Umweltministeriumitgeteilt hat, dass der Grenzwert am Zaun des Trans-ortbehälterlagers in Gorleben in diesem Jahr mögli-herweise überschritten werden könnte. Das niedersäch-ische Ministerium hat daraufhin den Niedersächsischenandtag unterrichtet und ein fachaufsichtliches Ge-präch mit der Gesellschaft für Nuklear-Service als Be-eiberin der Anlage geführt. Die GNS wurde aufgefor-ert, vorsorglich Maßnahmen vorzuschlagen, die eineinhaltung des genehmigten Wertes gewährleisten. Esurden Prüfungen der Messungen durch den TÜV Norditiiert und weitere Messungen durch die Physikalisch-echnische Bundesanstalt durchgeführt. All diese Über-rüfungen ergaben, dass die zunächst befürchtete Über-chreitung des Genehmigungswertes, auch bei Einlage-ng der Castoren aus La Hague, wohl nicht zu erwartent.Das wurde vom niedersächsischen Ministerium demmweltausschuss des Niedersächsischen Landtags und Rahmen eines bundesaufsichtlichen Gesprächs demundesumweltministerium mitgeteilt. Anschließendind wir im Umweltausschuss des Deutschen Bundesta-es am 28. September und am 9. November durch Ver-eter des niedersächsischen Ministeriums und des Bun-esumweltministeriums über diesen Sachverhaltmfassend informiert worden. Darüber hinaus kann manas Ganze in den Antworten der Bundesregierung aufwei Kleine Anfragen zu dieser Thematik nachlesen.Nun heute Abend den Eindruck zu erwecken, wie esei den Anträgen der Grünen und der Linken der Fall ist,ass bei diesem Castortransport nach Gorleben Sicher-eitsbestimmungen außer Acht gelassen oder Grenz-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16609
Dr. Maria Flachsbarth
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werte gröblich verletzt würden, ist einfach grob unred-lich.
Im Gegenteil: Aufgrund der geltenden Gesetzeslage,also wegen der nach dem Atomgesetz vorgenommenenBerechnungen und Messungen sowie aufgrund des völ-kerrechtlichen Vertrags zwischen der BundesrepublikDeutschland und der Republik Frankreich über dieRücknahme der wiederaufgearbeiteten Abfälle bis zum31. Dezember 2011, ist gar keine andere Entscheidungmöglich als die, die der niedersächsische Umweltminis-ter letztendlich getroffen hat, nämlich die Genehmigungfür die Einlagerung zu erteilen. Allerdings – auch daswill ich sagen – sollte man bezüglich der Rücknahmevon Abfällen aus Sellafield ab 2014 – denn aus LaHague kommen jetzt keine Abfälle mehr – neu nachden-ken, insbesondere was die Frage des Standorts betrifft.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Niedersachsennimmt seine Verantwortung bezüglich der Zwischen-und Endlagerung radioaktiver Abfälle wahr, nicht zuletztaufgrund der Geologie seines Untergrunds. Aber wir rei-ßen uns nicht darum, dass radioaktive Abfälle nach Nie-dersachsen kommen.
Ich bin davon überzeugt, dass die Zwischenlagerung derCastoren in einem anderen Bundesland den Dialogpro-zess, den die Bundesregierung bezüglich der Weiterfüh-rung der ergebnisoffenen Erkundung in Gorleben ini-tiiert hat, intensivieren könnte. Ich will es ganz deutlichhier sagen: Gerade nach dem Ausstieg Deutschlands ausder Kernenergie ist die Suche nach einem sicheren End-lager dringlicher denn je.
Sie ist eine nationale und gesamtgesellschaftliche Auf-gabe, der sich der Bund und alle Bundesländer – nichtnur ein Bundesland – stellen müssen. Sie stehen gemein-sam in der Verantwortung.Deshalb begrüße ich die Initiative des Bundesum-weltministers, in Vorbereitung auf das im Rahmen desAtomausstiegs angekündigte Entsorgungsgesetz Gesprä-che mit allen Ländern zu führen.Schade finde ich es, dass nur zwei von 16 Minister-präsidenten teilnehmen, und schade finde ich es, dassaus den Reihen der Opposition versucht wird, schon imVorfeld das Gespräch zu diskreditieren.
Der Minister sei mit der Vorlage des Gesetzes insHintertreffen geraten, wird gesagt. Ich will Ihnen einessagen: Wenn der Minister ein Gesetz vorgelegt hätte,dann würde genau aus dieser Richtung des Hauses derVorwurf ertönen, dass der Minister Fakten schaffen will,bevor solche Gespräche stattgefunden haben.lednhDshsnSddsKLnBdn
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ziemlichicht, einen solch schwierigen Dialogprozess zu torpe-ieren, und es braucht ziemlich viel Mut, sich in ihn hi-einzubegeben und die Schützengräben der Vergangen-eit zu verlassen.
er Bundesumweltminister und die beiden Ministerprä-identen aus Niedersachsen und aus Baden-Württembergaben diesen Mut, und ich bitte Sie, dass auch der Deut-che Bundestag, also wir Abgeordnete und die Fraktio-en dieses Hauses, den Mut haben, die politischenchaukämpfe beiseite zu lassen und wirklich gemeinsamiese dringliche nationale Frage
er Endlagerung anzugehen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Flachsbarth. – Jetzt
pricht für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere
ollegin Kirsten Lühmann. Bitte schön, Frau Kollegin
ühmann.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kollegin-en! Liebe Zuhörenden! Ganz besonders begrüße ich dieesuchergruppe aus meinem Wahlkreis Uelzen,
ie bis zur Behandlung dieses wichtigen Themas, das sieatürlich auch betrifft, ausgeharrt hat.
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Kirsten Lühmann
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Zitat:Eine Absage des geplanten Castor-Transports nachGorleben würde das Land Niedersachsen Millionenkosten. „Wir mussten die Transportbehälter bereitsanmieten und müssten sie auch bei einer Absagebezahlen“, sagte Niedersachsens InnenministerUwe Schünemann .Das war die Antwort auf die Forderung der Deut-schen Polizeigewerkschaft, den Castortransport in die-sem Jahr aus sachlichen Gründen abzusagen. Wenn dasdie Antwort des Innenministers ist, hat man natürlichden Verdacht, dass bei der Genehmigung dieses Trans-ports nicht wissenschaftlich begründete Sicherheitskrite-rien ausschlaggebend waren, sondern wirtschaftlicheKostenkriterien den maßgeblichen Anlass dazu gaben,die Genehmigung zu erteilen, und das, liebe Herren undDamen, ist einfach inakzeptabel.
Worum geht es? – Wir haben ein Zwischenlager, daseine Genehmigung für eine maximale Strahlendosis hat,die am ungünstigsten Messpunkt 0,3 Millisievert im Jahrnicht überschreiten darf. Wir haben Messungen, die Fol-gendes aussagen: Wenn wir zusätzliche Castoren einla-gern, dann droht diese Zahl überschritten zu werden.Frau Flachsbarth, es ist eben nicht unbestritten, dassdiese Messungen stimmen. Sie haben von neuen Mes-sungen geredet.
Ich würde viel lieber über neue Berechnungsmodelle re-den, aufgrund derer andere Zahlen herauskommen.Die Frage, die sich stellt, ist: Was tut die Regierungangesichts dieser Zahlen?
Als Erstes beruhigt sie die Bevölkerung. Ich zitierewieder:Die von Greenpeace dargestellten Zusammen-hänge entbehren jeder technischen und naturwis-senschaftlichen Grundlage, sind somit unhaltbar …Als Nächstes haben Sie Transparenz angekündigt. Ichzitiere:Man sei froh, dass Greenpeace die Einwände jetztformuliert hätte, „da die Entscheidung über denCastor-Transport noch nicht gefallen ist“,sagte eine Sprecherin der niedersächsischen Umweltmi-nisteriums der Berliner Zeitung. Sie würden nun geprüft.Aber was ist dann passiert? – Bei einer öffentlichenVeranstaltung im Wendland hat sich die niedersächsi-sche Regierung geweigert, eingeladene Experten dorthinzuschicken. Die hätten Transparenz herstellen kön-nen.nsmdnBfulesdzEfüTendfrCzsktrmBuhtrhwscIsszghsd
Ich möchte nur kurz erwähnen, dass der Deutscheundestag 48 Stunden braucht, um die Sicherheitsprü-ng durchzuführen. Ich habe es jedoch auch schon er-bt, dass er es in sechs Stunden geschafft hat. Wenn mano etwas weiß, dann weiß man auch, dass die Begrün-ung der Betreibergesellschaft an den Haaren herbeige-ogen ist, meine Herren und Damen.
s ist unter diesen Voraussetzungen natürlich schwierigr uns, zu glauben, dass nichts zu verbergen ist und dassransparenz hergestellt werden soll.Für den Fall, dass die heute vorliegenden Anträge hierventuell nicht die nötige Mehrheit bekommen und es ei-en Castortransport geben wird, lade ich Sie, insbeson-ere die Kolleginnen und Kollegen von den Koalitions-aktionen, herzlich ein. Die SPD wird wieder einastorcamp machen, in dem sich Polizistinnen und Poli-isten mit heißem Kaffee aufwärmen können, in demich die Bevölkerung an einer Suppe laben kann. Daönnen Sie einmal schauen, woher denn dieses Miss-auen kommt und was Ihre Politik vor Ort bewirkt,eine Herren und Damen.
Was mich auch verwundert, ist die Tatsache, dass dieetriebserlaubnis für das Zwischenlager für 40 Jahrend für 420 Castorbehälter erteilt wurde. Wir haben bis-er noch nicht einmal die Hälfte der genehmigten Be-iebszeit erreicht, und es ist nur ein Viertel der vorgese-enen Transportbehälter eingelagert. Aber schon habenir Probleme mit dem festgelegten Grenzwert. Ange-ichts der Tatsache, dass dieser Grenzwert für die vierfa-he Menge an Müll ausgelegt war, frage ich mich doch:t 1995 falsch gerechnet worden, oder sind die Wertechöngerechnet worden? Beides ist auf alle Fälle inak-eptabel.
Ich hatte in meiner Heimatgemeinde eine Diskothekehabt. In der Genehmigung war ein Lärmrichtwert ent-alten. Wir alle wissen, auch Lärm macht ab einer gewis-en Stärke krank. Als Messungen ergaben, nachdem sichie Bevölkerung beschwert hatte, dass dieser Lärmgrenz-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16611
Kirsten Lühmann
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wert überschritten war, musste die Diskothek schließen.Es wurden Auflagen erlassen; es mussten bauliche Ver-änderungen vorgenommen werden. Nachdem sicherge-stellt worden war, dass der Lärm das zulässige Maß nichtüberschreitet, durfte die Diskothek wieder öffnen. Ichfrage Sie jetzt: Wieso ist das, was bei einer Diskothek inBezug auf das Problem Lärm selbstverständlich ist, beieinem Zwischenlager in Bezug auf das Problem Strah-lung ganz anders? Das kann ich nicht verstehen.
Darum wird die SPD dem Antrag der Grünen, die unteranderem fordern, den Castortransport für dieses Jahrauszusetzen, zustimmen.Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, wie diePlanungen für diesen Castortransport in diesem Jahr ge-laufen sind. Der ursprüngliche Termin Anfang Novem-ber konnte nicht eingehalten werden, weil die französi-sche Polizei angab, sie könne den Transport auffranzösischer Seite nicht schützen, weil sie aufgrund derBelastungen durch den G-20-Gipfel erst ausreichendeRuhezeiten brauche, bevor sie in den neuen Großeinsatzgehen könne. Dann gab es diverse Diskussionen. Jetzt istder erste Advent als Transporttermin vorgesehen. JedePerson in diesem Land weiß: Erster Advent heißt Weih-nachtsmärkte. Einige wissen: Erster Advent ist das Wo-chenende mit mehreren problematischen Fußballspielender Ersten bis Dritten Liga. Viele in diesem Land wisseninzwischen: Es gibt Probleme mit Grenzwerten. Daherhaben beide Polizeigewerkschaften, die DPolG und dieGdP, die berechtigte Forderung gestellt, den Castortrans-port zu diesem Zeitpunkt auszusetzen.
Wenn Sie sagen, diese Bedenken seien nicht gerecht-fertigt, möchte ich Ihnen kurz die Situation bei einemnormalen Castortransport schildern. Einige Polizeibe-amte und Polizeibeamtinnen tragen persönliche Strah-lenmessgeräte. Aufgrund verschiedener technischer Pro-bleme zeigen die aber erst Werte an, die deutlich überden Grenzwerten liegen. Darum gibt es auch eine An-weisung über maximale Aufenthaltszeiten im Nahbe-reich des Castors oder des Zwischenlagers. Wir haben esaber oft erlebt, dass die Einsatzlage es nicht zulässt,diese Zeiten einzuhalten. Ich persönlich habe erlebt, dassKollegen die dreifache Zeit in unmittelbarer Nähe desCastortransportes verbringen mussten, weil eine Ablö-sung nicht möglich war. Jetzt haben wir Hinweise aufmögliche zusätzliche Belastung. Ich verstehe die Forde-rungen der Gewerkschaften. Eigentlich sollte es unseraller Anliegen sein, dass wir den transportbegleitendenPolizeibeamten nur die unvermeidbare Belastung zumu-ten und nicht noch zusätzliche.
Präsident Sarkozy hat sich schützend vor seine Poli-zei gestellt und ihr ausreichend Erholungszeiten ermög-liwgssbIcKnFBWrübkgbmbZinWsKzdTgLissmFbkT
h befürchte allerdings, dass ich dieses Zeichen vonraft und Entscheidungsfähigkeit in dieser Regierungicht nur bei der Kanzlerin vergeblich suche.Danke schön.
Vielen Dank, Frau Kollegin Lühmann. – Jetzt für die
raktion der FDP unsere Kollegin Angelika Brunkhorst.
itte schön, Frau Kollegin Brunkhorst.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!ie in jedem Jahr geht es darum, radioaktive Abfälle zu-ckzunehmen, die die Franzosen in La Hague aus abge-rannten Kernbrennstäben aus deutschen Kernkraftwer-en aufbereitet haben. Das Entsorgungskonzept voran-egangener Bundesregierungen sah vor, den noch nutz-aren Kernbrennstoff aus den abgebrannten Brennele-enten wiederaufzuarbeiten und nur das zurückblei-ende Abfallgebinde in den Castoren zentral in einemwischenlager, dem sogenannten Transportbehälterlager Gorleben, zu lagern.Unter der rot-grünen Bundesregierung wurde dieiederaufarbeitung verboten und die dezentrale Zwi-chenlagerung der abgebrannten Brennstäbe an denernkraftwerksstandorten vorgeschrieben. Anstelle vonwei bzw. drei zentralen Lagern haben wir nunmehr 15ezentrale Zwischenlager. Aber einzig und allein dasransportbehälterlager in Gorleben hat eine Genehmi-ung, die Abfälle aus der Wiederaufbereitungsanlage ina Hague überhaupt aufzunehmen.Der Castortransport Ende November nach Gorlebent erforderlich; denn wir sind zur Rücknahme des deut-chen Atommülls rechtlich, aber vor allen Dingen auchoralisch verpflichtet.
Ich kann das Gejammer, insbesondere der Grünen-raktion, hier nicht so ganz nachvollziehen; denn dieseesondere Genehmigungssituation ist Ihnen längst be-annt. Sie haben sie auch nicht geändert. Auch Herrrittin hat sie nicht geändert. Also, sorry.
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16612 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Angelika Brunkhorst
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Nach dem Willen der Grünen und der Linken soll deranstehende Castortransport nach Gorleben dennoch ab-geblasen werden, weil der sogenannte Eingreifwert von0,27 Millisievert pro Jahr möglicherweise überschrittenwird. Sie werfen den zuständigen Ministerien und Be-hörden einen laxen Umgang mit den Strahlenwerten amZwischenlager vor.Meine Kollegin Frau Flachsbarth hat schon ausrei-chend erläutert, dass hier einiges getan wurde, um mitzusätzlichen Messungen sicherzustellen, dass dieser Ein-greifwert gar nicht erst erreicht wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen dochselbst – spätestens seit den Beratungen im Umweltaus-schuss –, dass der Betreiber bei Erreichen des sogenann-ten Eingreifwerts die Einlagerungsmaßnahmen unterbre-chen muss oder auf jeden Fall Maßnahmen ergreifenmuss, um die Einhaltung des geltenden Grenzwerts von0,3 Millisievert im Jahr zu gewährleisten.Ich möchte hier, weil auch Frau Lühmann sehr vielüber Grenzwerte erzählt hat, eine Klarstellung zu denGrenzwerten vornehmen. Der Grenzwert für das zentraleZwischenlager in Gorleben beträgt 0,3 Millisievert proJahr. Umweltminister Trittin hat ja, wie schon gesagt, diedezentralen Zwischenlager eingerichtet. Für Zwischen-lager, die sich dezentral an den Kernkraftwerken befin-den, gilt demgegenüber ein Grenzwert von 1 Millisievertpro Jahr. Das ist also das Dreifache.
– Hört, hört; so ist das. 1 Millisievert gilt demnach auchfür das Zwischenlager im Kernkraftwerk Philippsburg.Es wurde von Greenpeace durchaus als Option vorge-schlagen, die Castoren dorthin zu verbringen. Ich fragemich wirklich, wo die vielen Greenpeace-Atomexpertenwaren, als Herr Trittin die Regelung getroffen hat, die ei-nen Grenzwert von 1 Millisievert vorsieht.Damit Sie einmal ein Gefühl für die Werte entwickelnkönnen: Die natürliche Strahlendosis, der wir ausgesetztsind, beträgt im Jahr durchschnittlich 2,1 Millisievert.Das ist also das Siebenfache. Da kann man doch sagen,dass der Grenzwert von 0,3 Millisievert ein sehr ambi-tionierter Wert ist. Ich denke, das Eingreifen des libera-len Umweltministers in Niedersachsen war genau rich-tig. Ich habe auch großes Vertrauen zu den Beamten,
die dargelegt haben, was sie alles getan haben, um zu ge-währleisten, dass dieser Wert auch eingehalten wird.Zum Schluss möchte ich noch sagen: Die Behaup-tung, dass jeder zusätzliche eingelagerte Castor imAtomzwischenlager in Gorleben eine Manifestierung ist,kann ich nicht untermauern. Ich bin der Meinung: Nichtdie Zahl der dort befindlichen Castoren ist ausschlagge-bend, sondern die Frage, ob wir eine SchadensvorsorgengZsDssgdmadkamktelienszmliraABhdtrJsSfotrnloreg
Die gesetzlich festgelegten Grenzwerte sind nichtazu da, sie zu ignorieren. Sie sollen die Werte derünstlichen Strahlendosen aus Atomanlagen auf einemkzeptablen Niveau halten. Das ist eigentlich gar nichtöglich. Denn es gibt kein akzeptables Niveau fürünstliche Strahlendosen. Die Grenzwerte sind höchs-ns eine Obergrenze einer wachsenden Unverantwort-chkeit. Auf welcher Höhe diese festzulegen sind, istine ethische Frage.Wir alle wissen und haben es erlebt, dass im Falle ei-es Falles Grenzwerte auch veränderbar sind. In Fuku-hima wurden sie sukzessive hochgesetzt, und zwar auswei Gründen: Erstens klingt es immer harmloser, wennan formuliert, dass sich die Werte innerhalb der gesetz-chen Bestimmungen bewegen. Zweitens übertrifft derdioaktive Ausstoß immer wieder alle Erwartungen dertombefürworter, mit denen man die Gesellschaft seiteginn der Nutzung der Atomkraft versucht hat zu beru-igen.Das alles ist schon seit Jahrzehnten bekannt. Aber miter permanenten Unbelehrbarkeit und mit dem kapital-ächtigen Lobbyismus, den wir Tag für Tag und Jahr fürahr erleben, wird ein unausräumbarer Widerspruch ge-chaffen, der täglich größer wird.
ie vergrößern diesen Widerspruch, indem Sie nicht so-rt aus der Atomkraft aussteigen, indem Sie die Castor-ansporte nach Gorleben nicht stoppen und indem Sieicht bereit sind, sich auf einen gesellschaftlichen Dia-g wirklich einzulassen, bei dem die Bevölkerung mit-den darf, wie es mit der Atommüllverwahrung weiter-ehen soll.
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Dorothée Menzner
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Ich will Ihnen auch sagen, warum Sie nicht bereitsind, diese gesellschaftlich dringend notwendige Debattezu führen. Sie haben Angst, und Sie wissen, dass es ei-gentlich keine Lösung gibt. Dieser Widerspruch ist nichtauflösbar. Das Vertrauen der Menschen ist grundlegendverspielt.Nein, mit den Akteuren in der Atomindustrie, aberauch in den Parlamenten, die seit Jahrzehnten dieses De-saster angerichtet haben, wird es nicht möglich sein, mitdieser Problematik verantwortungsvoll umzugehen. Siesind an sinnvollen Lösungen offensichtlich nicht interes-siert, sondern hören nach wie vor auf das DeutscheAtomforum, auf den BDI und auf die anderen Verbände.Wir haben derzeit kein Zwischenlager für die Castor-behälter aus der Wiederaufarbeitung. Das ist Ihr Ver-schulden. Deutschland ist momentan nicht in der Lage,diesen strahlenden Müll aus Frankreich aufzunehmen.Das Zwischenlager Gorleben ist das einzige Lager, dasüber eine entsprechende Genehmigung verfügt. Dortsind die Grenzwerte aber erreicht. Das Lager ist damitvoll.Es wurde versäumt, sich rechtzeitig nach Alternativenumzuschauen. Die Konsequenz für das französischeVolk ist unzumutbar: Die Genehmigung für den Castor-transport ist zu widerrufen. Das Zeug muss offensicht-lich noch Jahre in La Hague bleiben, was für die Franzo-sen, wie gesagt, unzumutbar ist. Wir wissen aber alle,dass es Jahre dauern wird, bis die Genehmigung für einweiteres Zwischenlager erteilt wird. Welchem Land-strich wollen wir dieses Lager bitte schön aufbürden?Ich sehe nicht, dass es eine Lösung wäre, einen derStandorte der Atomkraftwerke als Atommülllager auszu-weisen.
Ich komme zu den Konsequenzen. Erstens. DenCastortransport untersagen.
Zweitens. Die Atomkraftwerke abschalten. Drittens. Inder Vergangenheit gemachte Fehler eingestehen. Vier-tens. Gorleben und Schacht Konrad als Endlager aufge-ben. Fünftens. Einen gesellschaftlichen Dialog begin-nen. Dieser Dialog muss Menschen einbeziehen undVertrauen schaffen. Dann kann in der Gesellschaft da-rüber diskutiert werden, wie wir dieses in 50 Jahren ent-standene Problem lösen können. Wie können wir dieseProbleme gemeinsam lösen? Das funktioniert nur mit ei-nem Dialog auf Augenhöhe, und nicht mit Durchknüp-peln, mit Erlassen oder der Einschränkung von Demo-kratierechten.
Von daher wird die Linke am ersten Adventswochen-ende wieder mit vielen Menschen bunt und vielfältig imWendland unterwegs sein.Ich danke Ihnen.füSUWbssPDgwaLbhNssnowmmdsggrosgdtrH
Vielen Dank, Frau Kollegin Menzner. – Jetzt spricht
r die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin
ylvia Kotting-Uhl. Bitte schön, Frau Kollegin Kotting-
hl.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!ie mehrere der Rednerinnen und Redner bei dieser De-atte bin ich erst vorhin aus dem Untersuchungsaus-chuss Gorleben gekommen. Wenn man sich mit der Ge-chichte von Gorleben befasst, dann trifft man auf dasrinzip: Was nicht passt, wird passend gemacht.
as bezieht sich auf das Endlagerbergwerk, an dem dortearbeitet wird. Man kann heute hinzufügen: Oder esird so lange gemessen, bis es passt. Das bezieht sichuf das Zwischenlager.
Was passt nicht? Es passt nicht, dass der zuständigeandesbetrieb NLWKN eine Neutronenstrahlung vonereits 0,41 Millisievert gemessen und hochgerechnetat, dass nach Einlagerung weiterer elf Castoren, die imovember erwartet werden, der Eingreifwert voraus-ichtlich überschritten wird.Was ist seitdem passiert? Es wurden Behälter umge-tellt, die PTB hat gemessen, der TÜV hat gerechnet. Ei-ige Abgeordnete – ich selbst war eine dieser Abge-rdneten – haben versucht, ihre Kontrollfunktionahrzunehmen und in dem Transportbehälterlager ein-al zu prüfen, was dort an sogenannten Optimierungs-aßnahmen vorgenommen wurde. Das wurde uns je-och verwehrt.
Trotz des Wustes von Hintergrundwerten, Messun-icherheiten, Tageswerten und jeder Menge offene Fra-en ist für das NMU eines klar: Es gibt keine Bedenkenegen die Einlagerung der Castoren. Der Transport kannllen. Umweltminister Sander ist hier genauso wider-prüchlich wie die Messungen; denn er spricht sich ge-en weitere Castortransporte aus. Er ist aber derjenige,er diesmal den Schlüssel in der Hand hat, den Castor-ansport zu verhindern. Er hat die Entscheidung in derand, und er kneift vor dieser Entscheidung,
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16614 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Sylvia Kotting-Uhl
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und zwar möglicherweise aus Gründen, die Sie, FrauLühmann, uns dargelegt haben.Dahinter steckt ein Problem, das – wie so oft bei derAtomkraft – unschön und schwer lösbar ist. In Deutsch-land gibt es keinen anderen genehmigten Ort für dieRücknahme des atomaren Wiederaufarbeitungsmülls alsdieses Zwischenlager in Gorleben. Abhilfe schafft abernicht eine Spielwiese, auf der man einfach einmal mitden bestehenden Grenzwerten, den Eingreifwerten unddem Strahlenminimierungsgebot herumjongliert. Ab-hilfe schafft man nur, wenn man die AKW-Betreiber ge-mäß dem Verursacherprinzip dazu auffordert, Genehmi-gungsanträge für die Aufbewahrung des Mülls in denstandortnahen Zwischenlagern zu stellen.Zu den Grenzwerten will ich Ihnen einmal etwas sa-gen, Frau Brunkhorst: Grenzwerte sind gesetzliche Re-gelungen, die zumeist ihren Grund haben. Grenzwertesind immer Ergebnis eines Kompromisses zwischen demgesundheitlich Notwendigen und dem, was wirtschaft-lich als notwendig erachtet wird. Deswegen habenGrenzwerte für unterschiedliche Müllsorten an unter-schiedlichen Standorten auch unterschiedliche Höhen.
Das müssten Sie in der – immer noch – vermeintlichenWirtschaftsfraktion eigentlich wissen.
Wir haben jetzt die Möglichkeit, gemeinsam eine ent-sprechende Forderung an die Atomkraftwerksbetreiberzu stellen. Dazu fordere ich Sie auf. Das muss umgehendgeschehen, damit die Zeit des Verbleibs der Castoren inLa Hague so kurz wie möglich ist; denn für die Franzo-sen ist es unzumutbar, sie noch länger in ihrer Obhut zuhaben. Diese Aufforderung können wir gemeinsam stel-len, wenn Sie unserem Antrag zustimmen.Die Widersprüche von Herrn Sander zeigen, dass eroffensichtlich bundesaufsichtliche Hilfe braucht. Deshalbwürde ich an dieser Stelle gern Herrn Röttgen – wenn erdenn da wäre, aber vielleicht liest er ja meinen Antrag –auffordern, damit aufzuhören, den Kopf in den Sand zustecken, sich wegzuducken und die Dinge laufen zu las-sen. Es ist Zeit für eine bundesaufsichtliche Weisung.Herr Röttgen sollte seiner Aufgabe jetzt gerecht werden.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Zu einer Kurzinterven-
tion hat unsere Kollegin Frau Skudelny das Wort. Bitte
schön, Frau Kollegin Skudelny.
Ich weiß, es ist nicht die Uhrzeit dafür, aber ich ma-
che es ganz kurz. – In Baden-Württemberg stellen die
Grünen nicht nur den Ministerpräsidenten, sondern auch
den Umweltminister. Von Greenpeace wurde vorge-
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Zur Antwort, Frau Kollegin Kotting-Uhl.
Ich werde jetzt ganz sachlich auf das antworten, wasie hier vorgetragen haben,
bwohl es da noch viele andere Dinge zu sagen gäbe. –reenpeace hat gefordert, diese Castorbehälter aus-chließlich zum standortnahen Zwischenlager in Phi-ppsburg zu bringen. Hätten Sie mir zugehört, den An-ag gelesen oder dem Umweltminister von Baden-ürttemberg zugehört, dann wüssten Sie, dass sowohler Umweltminister von Baden-Württemberg wie auchh dafür sind, diesen Transport abzusagen und dieseastoren zu den verschiedenen standortnahen Zwischen-gern in Deutschland zu bringen, nicht nur zu demtandortnahen Zwischenlager in Philippsburg. Ich willnen auch sagen, warum: Nachdem Baden-Württem-erg jetzt, und zwar wohlweislich nach dem Regierungs-echsel, das erste Land war, das gesagt hat: „Wir wer-en unserer Verantwortung für die Lagerung destommülls gerecht und öffnen uns für eine Endlager-uche“, kann es nicht sein, dass man zum Dank dafür ei-em einzigen Zwischenlager in diesem Land just denanzen anstehenden Müll vor die Füße wirft.
Baden-Württemberg ist für 20 Prozent des Mülls zu-tändig, der jetzt zurückkommt. Für diese 20 Prozent solladen-Württemberg nach der Vorstellung des baden-ürttembergischen Umweltministers und meiner Frak-on die Verantwortung übernehmen. Die Aufgabe liegt Moment darin, dass die AKW-Betreiber die Geneh-igungsanträge stellen. Es ist deren Sache, wie sie sichuf eine Verteilung der Transporte einigen und wie sieas ausrechnen. Es sind noch einige Transporte zu er-arten: Es ist nicht der letzte Transport aus La Hague; esird noch schwach- und mittelradioaktiver Müll aus Laague kommen. Es kommen auch noch 22 Castoren ausellafield.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16615
Sylvia Kotting-Uhl
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Wir in Baden-Württemberg sind im Gegensatz zu vie-len anderen Ländern bereit, Verantwortung zu überneh-men, übrigens auch im Gegensatz zur früheren schwarz-gelben Regierung in Baden-Württemberg; Gott sei Dankist diese Zeit vorbei. Die schwarz-gelbe Regierung hatimmer nur gesagt: Nicht bei uns! Not in my backyard! –Diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei; Baden-Württemberg übernimmt seine Verantwortung.
Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU
unser Kollege Dr. Georg Nüßlein. Bitte schön, Kollege
Dr. Georg Nüßlein.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Nach
der Rücknahme der Laufzeitverlängerungen und einer
Präzisierung, insbesondere einer zeitlichen Klarstellung,
zum Ausstieg aus der Kernenergie bleibt bei mir immer
noch die Hoffnung, dass es diesem Haus gelingen mag,
solche Themen wie das heutige mit großer Sachlichkeit
und Verantwortung für das, was noch vor uns liegt, anzu-
gehen. Andererseits ärgert es mich natürlich, wenn von
einer Seite immer wieder Panikmache und Betroffen-
heitsrhetorik kommen.
Liebe Frau Kollegin Menzner, es ist nun einmal hane-
büchen, uns den Vorschlag, die Untersuchungen in Gor-
leben und gleich auch noch den Schacht Konrad aufzu-
geben, als Lösung der Endlagerfrage zu präsentieren;
das muss man einmal ganz deutlich sagen.
Ich will klipp und klar festhalten, dass für uns beim
Thema Kerntechnologie und Strahlenschutz Sicherheit
das oberste Gebot ist; ich gestehe es allen anderen Frak-
tionen zu, dass sie es genauso sehen. Vor diesem Hinter-
grund möchte ich eindeutig klarstellen, dass die Messun-
gen, über die wir hier diskutieren, in § 6 Atomgesetz, der
Strahlenschutzverordnung, der Aufbewahrungsgenehmi-
gung des Bundesamtes für Strahlenschutz, der Richtlinie
zur Emissions- und Immissionsüberwachung kerntechni-
scher Anlagen sowie den Messanleitungen für die Über-
wachung radioaktiver Stoffe in der Umwelt und externer
Strahlung so festgehalten sind.
Das ist richtig und wichtig. Die Messungen sind auf die-
ser Grundlage erfolgt.
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Ich sage dann aber auch klar: Ich bin zunächst einmal
bsolut darüber erleichtert, dass uns in der Umweltaus-
chusssitzung vom 9. November vom Bundesumweltmi-
isterium noch einmal ausführlich erläutert wurde, dass
er genehmigte Jahreswert nicht überschritten wird –
anz klipp und klar.
Ich bin – vermutlich wie auch Sie – unglücklich über
ie Kommunikation in der letzten Woche. Aber in der
estrigen Umweltausschusssitzung wurde das Thema
och einmal auf die Tagesordnung gesetzt. Dabei wurde
usführlichst erläutert, wie die unterschiedlichen Mess-
erte des Niedersächsischen Landesbetriebes für Was-
erwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, der Physika-
sch-Technischen Bundesanstalt sowie des TÜV Nord
ustande kamen. Das haben die meisten der hier anwe-
enden Ausschussmitglieder mitbekommen.
Im Übrigen gibt es dazu eine schriftliche Abhand-
ng, nämlich die Antwort der Parlamentarischen Staats-
ekretärin Heinen-Esser, nachzulesen in der Drucksache
7/7239.
Herr Kollege Nüßlein, geben Sie der Frau Kollegin
otting-Uhl die Chance für eine Zwischenfrage?
Die Kolleginnen und Kollegen sind nicht begeistert;
h bin es um 22.31 Uhr auch nicht übermäßig. Aber
enn Sie meinen, Sie müssten noch einmal zwischenfra-
en, tun Sie es doch.
Sie haben versprochen, sich kurzzufassen.
Ich will mich nur auf das „klipp und klar“ beziehen.er TÜV hat klipp und klar ausgerechnet, dass man bei,254 mSv landen wird. Dabei ist eine Prognose vonlus/minus 10 Prozent. Wenn Sie die 10 Prozent addie-n, sind Sie bei über 0,27 mSv. Das ist genau der Ein-
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16616 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
Sylvia Kotting-Uhl
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greifwert. Das heißt, nach dem Strahlenminimierungsge-bot muss man eingreifen.
Man liegt unter dem Eingriffswert.
– Es heißt: „plus/minus 10 Prozent“. Sie haben Werte
zwischen 0,238 mSv und 0,254 mSv plus/minus 10 Pro-
zent.
Also liegt man aus meiner Sicht, jedenfalls wenn man
diese Werte begutachtet, unter dem Eingriffswert. Damit
ist man ganz eindeutig in einer Situation, in der das in
dieser Art und Weise jedenfalls nicht geboten ist.
Die Frage ist, was Sie damit erreichen wollen. Sie
müssen natürlich dann auch erklären, liebe Frau Kolle-
gin, wie Sie mit dieser Thematik umgehen wollen, wie
Sie den völkerrechtlichen Verpflichtungen, die wir erfül-
len müssen, nachkommen wollen, wie Sie den Franzosen
erklären wollen, weshalb Sie die Castoren, die von dort
zu Recht wieder zurück nach Deutschland gebracht wer-
den müssen, jetzt nicht in diesem Land annehmen kön-
nen. Diese Fragen müssen sie aus meiner Sicht beant-
worten.
Fest steht, dass in Gorleben derzeit 102 Castorbehäl-
ter liegen. Die Lagergenehmigung ist auf über 400 dieser
Behälter ausgerichtet.
Eigentlich wollte ich nicht konfrontativ vorgehen.
Aber weil Sie mich gefragt haben, möchte ich Folgendes
zur Sicherheit und den Castortransporten sagen: Dazu
können Sie einen entscheidenden Beitrag leisten. Ich er-
innere mich gut an die Aktion im Herbst letzten Jahres.
Damals sind elf Castorbehälter von Nordfrankreich nach
Gorleben transportiert worden.
Dabei wurde ein neuer Begriff geprägt, nämlich der Be-
griff des Schotterns. Das wurde von verschiedenen Sei-
ten – ich schaue bewusst niemanden an – ganz massiv
protegiert.
Das wurde auch von Ihnen in dem Wissen, dass mit
solch einem Eingriff in den Schienenverkehr am Ende
auch Risiken für Menschen verbunden sind, unterstützt.
Das ist nicht nur ein unzulässiges Eingreifen in Eigen-
tumsrechte. Das muss ich deutlich sagen.
Von Ihrer Seite ist schon die übliche Folklore angekün-
digt worden. Sie haben schon gesagt, was Sie in den
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Meine Damen und Herren, nichts gegen das Demons-
ationsrecht.
as ist ein hohes Rechtsgut. Aber was Sie persönlich be-
eiben und vormachen, geht weiter über das Demons-
ieren hinaus. Das ist ein Eingriff ins Eigentum und
efährdet Sicherheit. Das muss man in dieser Klarheit
agen. Ich hoffe, dass Sie damit anders umgehen.
Ich sage das auch an Herrn Trittin und an Herrn Gysi
erichtet, die jetzt wieder zu Demonstrationen aufrufen.
ährend seiner Amtszeit hat Herr Trittin Castortrans-
orte genehmigt. Ich erinnere mich noch gut an die Aus-
agen von Herrn Trittin.
r hat sich hingestellt und gesagt: Gegen die Castor-
ansporte – die guten, von den Grünen genehmigten –
ürften die Grünen weder singend, tanzend noch sonst
gendwie demonstrieren. Aber gegen die, die von uns
enehmigt werden müssen, muss man natürlich demons-
ieren.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. – Es wäre gut gewesen, wenn Sie diese Doppel-üngigkeit eingestellt hätten. Es hätte mich gefreut,enn Sie bei Ihren Redebeiträgen außer der angekündig-n Folklore etwas dazu gesagt hätten, dass es verant-ortlich wäre, zu Zurückhaltung aufzurufen.
as hätte ich von Ihnen erwartet, aber anscheinend kannan so viel von Ihnen nicht erwarten.In diesem Sinne: Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16617
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Kein CASTOR-Transport nach Gorleben zu
Lasten des Strahlenschutzes – Zwischenlagerung hoch-
radioaktiver Wiederaufarbeitungsabfälle verursacherge-
recht neu gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7677, den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind
die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind die
Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und SPD sowie Teile
der Linksfraktion. Enthaltungen? – Das ist die übrige
Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/7634 mit dem Titel „CASTOR-
Transport 2011 nach Gorleben stoppen“. Wer stimmt für
diesen Antrag? – Das ist die Fraktion Die Linke. Wer
stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen.
Enthaltungen? – Das sind die Sozialdemokraten und
Bündnis 90/Die Grünen. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Besetzung der Großen Straf- und Ju-
gendkammern in der Hauptverhandlung
– Drucksachen 17/6905, 17/7276 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
– Drucksache 17/7669 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Patrick Sensburg
Christoph Strässer
Mechthild Dyckmans
Jens Petermann
Jerzy Montag
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Sie
sind alle damit einverstanden? – Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen liegen dem Präsidium vor. Ich ver-
zichte auf die Verlesung.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Be-
setzung der Großen Straf- und Jugendkammern in der
Hauptverhandlung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7669,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 17/6905 und 17/7276 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen.
Wer stimmt dagegen? – Das sind die Sozialdemokraten
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in1) Anlage 3
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Organisatoren der Initiative innerhalb eines Jahres Un-
terstützungsbekundungen sammeln. Neben der Papier-
form können auch online Unterstützungsbekundungen
gesammelt werden, wofür die Europäische Kommission
eine kostenfreie Open-Source-Software bereitstellt.
Für eine gültige Bürgerinitiative bedarf es der Unter-
zeichnung durch 1 Million Unionsbürger, die nach dem
jeweiligen nationalen Recht bei den Wahlen zum Euro-
päischen Parlament wahlberechtigt sind. Die Zahl der
Unterzeichner entspricht 0,2 Prozent der Unionsbürger
und ist damit sehr niedrig angesetzt.
Um sicherzustellen, dass die Angelegenheit von euro-
paweitem Interesse ist, müssen die Unterstützer aus min-
destens einem Viertel der Mitgliedstaaten, derzeit also
aus sieben Mitgliedstaaten, kommen. Erforderlich ist
auch eine jeweilige Mindestzahl aus diesen Staaten. Aus
Deutschland müssen es mindestens 74 250 Unterzeich-
ner sein.
Liegen alle Voraussetzungen vor und ist eine Bürger-
initiative danach zulässig, prüft die Europäische Kom-
mission diese und legt innerhalb von drei Monaten ihr
beabsichtigtes Vorgehen und die Gründe dafür dar. Falls
sie nicht beabsichtigt, Maßnahmen zu ergreifen, erläu-
tert sie die Gründe dafür ebenfalls. Den Organisatoren
wird zuvor die Möglichkeit gegeben, ihre Bürgerinitia-
tive innerhalb einer öffentlichen Anhörung im Europäi-
schen Parlament vorzustellen.
Die EU-Verordnung über die Bürgerinitiative ver-
langt nationale Zuständigkeitszuweisungen und Verfah-
rensfestlegungen, die mit dem vorliegenden Gesetz er-
folgen sollen. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um
folgende Regelungen:
Das Bundesversicherungsamt wird als zuständige Be-
hörde für die Überprüfung der Unterstützungsbekun-
dungen sowie das Ausstellen von Bescheinigungen über
die Zahl der gültigen Bekundungen in Deutschland be-
nannt.
Um den Verwaltungsaufwand gering zu halten, wird
von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Zulässig-
keit der gesammelten Unterstützungsbekundungen stich-
probenartig zu überprüfen. Zudem soll die Überprüfung
von Unterstützungsbekundungen durch einen automati-
sierten Datenaustausch zwischen Bundesversicherungs-
amt und Meldebehörden erleichtert werden. Zu diesem
Zweck wird die Bundesmeldedatenübermittlungsverord-
nung ergänzt.
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informations-
technik wird als die zuständige Behörde benannt, die be-
scheinigt, ob ein Onlinesammelsystem mit den techni-
schen und sicherheitsrelevanten Anforderungen der EU-
Verordnung über die Bürgerinitiative vereinbar ist.
Außerdem werden Bußgeldvorschriften erlassen, die
Verstöße der Organisatoren einer Bürgerinitiative gegen
die EU-Verordnung sanktionieren.
Da ein Demokratiedefizit auf der europäischen Ebene
offensichtlich ist und dies auch von einer großen Zahl
der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland beklagt
wird, begrüßen wir die Europäische Bürgerinitiative
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Zu Protokoll ge
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16618 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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auf Dauer gegen die europäische Idee mobilisieren undnicht für sie gewinnen. Will Europa von den Bürgern alsihres begriffen werden, so muss es ihnen jenseits dersehr indirekten Strukturen von Rats-, Kommissions- undParlamentsentscheidungen direktere demokratische Mit-wirkungsmöglichkeiten eröffnen.Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich von Anfang anfür die Europäische Bürgerinitiative ausgesprochen undden Prozess begleitet. Da gibt es deutliche Erfolge zuverzeichnen! Die notwendige Unterstützeranzahl einersolchen Initiative wurde von 160 000 Bürgerinnen undBürger auf 72 000 reduziert.Die Mindestanzahl der Mitgliedstaaten, aus denendie Unterstützer kommen müssen, wurde von neun aufsieben gesenkt. Das ist erfreulich, denn Bürgerinnen undBürger aus einem Viertel der Mitgliedstaaten können be-reits sicherstellen, dass es um Fragen von europaweitemund nicht nur nationalem Interesse geht.Bedauerlich ist, dass der Zeitraum für die Sammlungvon Unterstützungsbekundungen nicht von zwölf Mona-ten auf achtzehn Monate erhöht wurde. Wir haben da-mals schon gesagt, dass es einen enorm hohen Aufwandbedeutet, Menschen aus so vielen EU-Mitgliedstaatenmiteinander zu vernetzen und dass das angemessen beider Zeitraumbestimmung berücksichtigt werden sollte.Trotz allem ist es jetzt dringend geboten, die Möglich-keiten der Bürgerbeteiligung in Europa zügig Realitätwerden zu lassen.Die EU-Verordnung zur Europäischen Bürgerinitia-tive soll im April 2012 in Kraft treten. Bis dahin müssendie nationalen Regelungen angepasst sein. Es mag derTatsache geschuldet sein, dass es hier um die Anpassungdeutschen Rechts an eine ohnehin unmittelbar geltendeEU-Verordnung ging, was insoweit kaum eigenständi-gen Regelungsgehalt aufweist. Die SPD-Bundestags-fraktion hat dennoch erfreut zur Kenntnis genommen,dass die Bundesregierung die notwendigen Maßnahmen,einen Gesetzentwurf zur Durchführung der EU-Verord-nung vorzulegen, ausnahmsweise frühzeitig ergriffenhat.Wenn die Regierungen Europas es nicht schaffen,eine Finanztransaktionsteuer in Europa durchzusetzen,dann werden mit der Europäischen Bürgerinitiative künf-tig die Bürgerinnen und Bürger Europas dazu die Gele-genheit haben.
Die Menschen in Europa haben bis heute wenige
reale Möglichkeiten, aktiv am europäischen Willensbil-
dungsprozess teilzunehmen. Europa muss dringend nach
grenzübergreifenden Beteiligungsformen über die Wahl
des Europäischen Parlaments hinaus suchen. Gerade
jetzt, in Zeiten der europäischen Krise und der „Wutbür-
ger“, die sich nicht so einfach mit politischen Entschei-
dungen abfinden wollen, sollten die Menschen stets in
Politikprozesse einbezogen werden. Sie müssen die
Chance erhalten, ihre Anliegen zu artikulieren, Argu-
mente auszutauschen und angehört zu werden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16619
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Ich freue mich sehr, dass die EBI durch diesen Ge-setzentwurf immer greifbarer wird. Aus der Idee, eineeuropäische Möglichkeit, sich zu beteiligen, zu etablie-ren, ist ein konkreter Gesetzentwurf geworden, der dasVerfahren zur Umsetzung einer EBI regelt. Die Idee wirdalso zunehmend lebendiger.Wichtig ist es, Bürgerinnen und Bürger zu einer Bür-gerinitiative zu ermutigen und zu motivieren – sie mitzu-nehmen. Gerade deshalb ist es entscheidend, die Verfah-ren so benutzerfreundlich und einfach wie nur möglichzu gestalten. Das Verfahren entscheidet schließlich auchüber die Häufigkeit der Anwendung einer EBI. Gleich-zeitig muss natürlich auch der Datenschutz gewahrtbleiben.In meiner ersten Rede zu diesem Thema habe ich ge-fordert, dass der Schutz der Unterstützerdaten durch dieOrganisatoren und die zuständigen Behörden sicherge-stellt werden muss. Damals wie heute erachte ich es alsbesonders wichtig, dass die Möglichkeit der Sammlungvon Unterschriften über das Internet möglich ist. Dieswird in Art. 6 der EU-Verordnung extra geregelt. Alserster Schritt zur Umsetzung einer EBI soll in Deutsch-land durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informa-tionstechnik, BSI, eine Bescheinigung ausgestellt wer-den, die den Organisatoren einer EBI die Erfüllung derAnforderungen zum Onlinesammelsystem gemäß diesesArt. 6 Abs. 4 bestätigt. Das BSI überprüft also erst ein-mal das Sammelsystem der Organisatoren auf die fest-gelegten Datenschutz- und Sicherheitsbestimmungen.Gibt das BSI das Okay, können die Organisatoren sam-meln.In der EU-Verordnung heißt es nämlich, die Online-sammelsysteme müssen über angemessene Sicherheits-merkmale und technische Merkmale verfügen. Dies istzunächst natürlich sehr zu begrüßen. Der Datenschutzist ein wichtiger Aspekt, der garantiert werden muss. Biszum 1. Januar 2012 will die Kommission nun noch tech-nische Spezifikationen für die Umsetzung verabschie-den. Diese werde ich dann genau betrachten und analy-sieren.Neben der Sammlung der Daten müssen diese dannauch in einem professionellen Verfahren überprüft wer-den. Das fällt in die Zuständigkeit des Bundesverwal-tungsamtes. Die Organisatoren übermitteln also die Da-ten an das Amt. Dieses wird stichprobenartig dieGültigkeit der Daten überprüfen und arbeitet dafür mitden Meldebehörden zusammen. Um Missbrauch zu ver-meiden ist dies ein wichtiger und richtiger Ansatz. Vo-raussetzung für eine EBI muss natürlich ihre Legitimitätsein, die so bestätigt wird.Allerdings möchte ich die Vorgehensweise hier nichtganz unkritisch stehen lassen. In § 3 Abs. 3 ist festge-schrieben, welche Daten mit den Melderegistern abge-glichen werden können. Darunter fallen auch frühereAnschriften und frühere Namen. In der Begründungsteht, dass zunächst nur die erforderlichen Daten fürden Abgleich genutzt würden, und später erst weiterewie frühere Adressen zum Tragen kämen:adnMpkLduzdkUüsteGmevesgmSsGsdelileLwkgihEAgsbZu Protokoll ge
Metadaten/Kopzeile:
16620 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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gerinnen und Bürger zu machen. Wir haben goutiert,dass die Europäische Bürgerinitiative ein Instrumentsein kann, grenzüberschreitende Debatten anzustoßenund zum Aufbau einer europäischen Öffentlichkeit bei-zutragen. Wir haben aber auch gesagt, einen Schritt zurunmittelbaren Volksgesetzgebung stelle sie indes nichtdar. Aber, wie wir – im Zusammenhang mit der Fragenach Volksabstimmungen zu europäischen Fragen – erstwieder in den vergangenen Tagen seitens der CDU hö-ren konnten: Es ist auch gar nicht gewünscht, dass dieMenschen in diesem und allen anderen Mitgliedslän-dern der Europäischen Union mehr Beteiligungsmög-lichkeiten haben und größeren Einfluss auf politischeEntscheidungen nehmen können. BundestagspräsidentNorbert Lammert hat es deutlich gemacht, indem ersagte: „Das Hauptproblem der Leute scheint mir nichtzu sein, dass sie sich von Entscheidungen ausgeschlos-sen fühlen, die sie selbst fällen möchten. Im Gegenteil:Die meisten fühlen sich von diesen Fragen zwar betrof-fen, aber auch überfordert. Sie wollen doch nicht ernst-haft die Entscheidung anstelle der gewählten Gremientreffen.“ Diese Art des Paternalismus ist es, die denGeist des Vertrages von Lissabon ausmacht und die ver-hindert, dass wir in Deutschland und in der EU auch nurein Stück vorankommen in Richtung direkter Bürgerin-nen- und Bürgerbeteiligung. Eine ehrliche Antwort allerBundestagsabgeordneten auf die Frage, ob sie vollstän-dig verstehen, worüber sie beim dauerhaften Euro-Ret-tungsschirm ESM abstimmen, oder sich überfordert füh-len, überraschte uns sicher.Gut ist, dass die Bundesregierung mit dem vorliegen-den Entwurf zur Europäischen Bürgerinitiative zumin-dest von ihrem ursprünglichen Plan, die Kosten, die beiOnlinebürgerinitiativen entstehen, teilweise an die Or-ganisatoren durchzureichen, absieht. Es wäre auch ei-ner Verhöhnung der Menschen gleichgekommen, die in-itiativ werden und sich im Sinne der Fortentwicklungunserer Demokratie engagieren.Die EBI ist keine bedeutende Neuerung in Richtung„Europa für Bürgerinnen und Bürger“. Sie bietet zwarvernetzten Organisationen die Möglichkeit, initiativ zuwerden; für alle anderen aber ist sie zu elitär. Die EBIhat kein wirkliches Initiativrecht und bietet keine Mög-lichkeit, die Politik tatsächlich zu beeinflussen. So ent-steht kein europäisches Bewusstsein, das sich darausnährt, auf politische Prozesse einwirken, sie mitgestal-ten zu können. Sie ist nur ein bisschen mehr als Kosmetikund hat mit wirklicher europäischer Bürgerbeteiligungwenig zu tun. Sie wird das strukturelle Demokratiedefizitder Europäischen Union nicht aufheben, auch weil esdie Mitgliedstaaten der Union sind, die ein europäischesBewusstsein zu verhindern suchen. Wir fordern die Bun-desregierung auf, auf europäischer Ebene die Initiativefür mehr direkte demokratische Bürgerinnen- und Bür-gerbeteiligung zu ergreifen.
Das Jahr 2012 wird für Europa und die europäischeIdee ein gutes Jahr. Ab dem 1. April 2012 wird es fürjede Europäerin und jeden Europäer möglich sein, eineEuropäische Bürgerinitiative einzuleiten. Adressat derInHUbpdtiBdsJmsBhGnrkeRrDdduvrouAseBedKhvuUtrHDsclegpBGnsaga3Zu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16621
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16622 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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ger Bürgerinitiativen haben ein Recht auf Anhörung beider EU. Die Kommission und das Europäische Parla-ment stellen sicher, dass diese Anhörung im Europäi-schen Parlament stattfindet, dass gegebenenfalls andereOrgane und Einrichtungen der Union an der Anhörungteilnehmen und dass die Kommission auf geeigneterEbene vertreten ist. Bürgerinnen und Bürger können da-mit nicht mehr nur mit einem Brief der EU-Kommissionabgespeist werden. Es wird eine Open-source-Softwarefür die Onlineunterschriftensammlung geben. Die Euro-päische Kommission wird eine Kontaktstelle für Bera-tungen und Nachfragen einrichten.Die Europäische Bürgerinitiative ist ein Schritt in dierichtige Richtung. Aber sie ist nur ein erster Schritt. WirGrüne wollen mehr. Wir wollen, dass sich die EU-Kom-mission nicht nur mit dem Anliegen der Initiative befas-sen muss, um dann eventuell nach Belieben einen ent-sprechenden Gesetzesvorschlag zu erarbeiten. Wir wollenmehr direkte Entscheidungsmöglichkeiten, die über diebloße Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an derpolitischen Agenda hinausgehen. Europa sollte seinenBürgerinnen und Bürgern mehr zutrauen. Wir tun es undfordern auch die Bundesregierung und die Regierungs-koalition dazu auf. Vertrauen Sie den Menschen, und öff-nen Sie die Türen für mehr Demokratie in der Europäi-schen Union!
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/7575 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Nachhaltige Entwicklung in Subsahara-Afrika
durch die Stärkung der Menschenrechte för-
dern
– Drucksache 17/7370 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu nehmen. –
Sie sind damit einverstanden. Die Namen der Kollegin-
nen und Kollegen liegen dem Präsidium vor.1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7370 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit ein-
verstanden. Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
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T1) Anlage 4
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Weiter wird der Zugang aus dem Ausland erst durch
die elektronische Veröffentlichung ermöglicht. Durch
die elektronische Veröffentlichung erhält somit nicht nur
jeder in Deutschland wohnende Interessierte Zugang,
sondern auch jede Person, die im Ausland wohnt und In-
teresse an den in Deutschland verkündeten Texten hat.
Im europäischen Kontext wird so ein Zusammenwachsen
gefördert.
Letztlich können durch die Umstellung auf die elek-
tronische Verkündung bei Druck und Vertrieb Kosten-
einsparungen realisiert werden. Diese Einsparungen
kommen der Wirtschaft zugute. Dies ist dem Umstand
geschuldet, dass nach dem Vertrag mit der Bundesanzei-
ger Verlagsgesellschaft Kostensenkungen weiterzuge-
ben sind.
Mit dem heute zu beschließenden Gesetz zur Ände-
rung von Verkündung und Bekanntmachungen wird aber
gleichzeitig eine Korrektur des Gesetzes zur Reform der
Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung vom
29. Juli 2009, Bundesgesetzblatt I, Seite 2258, beschlos-
sen. Die entsprechenden Korrekturen und Änderungen
sind im Wesentlichen die grundlegende Neukonzeption
der Vermögensverzeichnisse und der Schuldner-ver-
zeichnisse. Die Vermögensverzeichnisse und die Schuld-
nerverzeichnisse werden derzeit in Papierform geführt
und lokal bei den einzelnen Vollstreckungsgerichten ver-
waltet. Dies beeinträchtigt die Effektivität von Vollstre-
ckungsmaßnahmen des Gläubigers erheblich.
Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der
Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung am 1. Ja-
nuar 2013 werden die Vermögensverzeichnisse künftig in
jedem Land zentral an einem Vollstreckungsgericht ver-
waltet. Die Schuldnerverzeichnisse werden zentral an
diesem Vollstreckungsgericht geführt. Beides erfolgt
künftig in elektronischer Form.
Im Zuge der Ausarbeitung der Verordnung über das
Vermögensverzeichnis hat sich Anpassungsbedarf bei
den gesetzlichen Grundlagen für den Erlass der Verord-
nungen ergeben. Die Änderungen sind für den Erlass ei-
ner widerspruchsfreien Verordnung, die auf die prakti-
schen Bedürfnisse der Länder abgestimmt ist, zwingend
notwendig.
Das Gesetz über Änderungen von Vorschriften über
Verkündungen und Bekanntmachungen, das einerseits
eine elektronische Form des Bundesanzeigers festlegt
und gleichzeitig einige notwendige Korrekturen an dem
Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangs-
vollstreckung vornimmt, stellt für den interessierten
Bürger eine Erleichterung in zeitlicher Hinsicht dar und
schafft eine zeitnähere Informationsmöglichkeit des
Bürgers. Gleichzeitig führt die Einführung des elektroni-
schen Bundesanzeigers zur Einsparung von Druck- und
Vertriebskosten, ohne solche Kosten ungerechtfertigter
Weise umzuverteilen.
Auch im Hinblick auf die Entwicklungen in der Euro-
päischen Union ist die Einführung des elektronischen
Bundesanzeigers notwendig. Das Amtsblatt der Euro-
päischen Union wird nun elektronisch veröffentlicht.
Das entsprechende Gesetz wurde am 27. Oktober 2011
in
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Bundesanzeigers verursachen hohe Kosten. Der Auf-wand für die Herstellung einer Papierausgabe für Infor-mationen, wie etwa Tarife oder technische Regeln, dienur von einem vergleichsweise kleinen Kreis von Spezi-alisten nachgefragt werden, ist unverhältnismäßig. DerGesetzentwurf führt zu Recht aus, dass mit dem elektro-nischen Bundesanzeiger inzwischen eine funktionsfä-hige elektronische Veröffentlichungsmöglichkeit besteht,die dem bisherigen gedruckten Bundesanzeiger überle-gen ist.Durch die Veröffentlichung im elektronischen Bun-desanzeiger werden die Rechtsnormen der Öffentlichkeitzugänglich gemacht. Der gedruckte Bundesanzeigerwurde nur noch von etwa 1 700 Abonnenten bezogen.Die elektronische Fassung bietet über das Internet einesehr gute Verbreitungsmöglichkeit. Zu Recht wird imGesetzentwurf festgestellt, dass ein Nebeneinander vonBundesanzeiger und elektronischem Bundesanzeiger da-mit nicht mehr erforderlich und unwirtschaftlich ist.Durch eine Zusammenführung der verschiedenenVerkündungen im elektronischen Medium können dieAnforderungen an eine ordentliche Verkündung auf Voll-ständigkeit einerseits und einfache Handhabbarkeit so-wie zügige Veröffentlichung andererseits ideal erfülltwerden.Bei der Bekanntmachung muss aber auch die Identi-tät des Textes selbst sichergestellt werden. Dies betrifftzum einen die „Authentizität“, die inhaltliche Überein-stimmung mit der Originalvorlage. Das hat auch mit„Amtlichkeit“ zu tun. Die Bürgerinnen und Bürger ver-trauten darauf, dass fehlerhafte oder gar falsche Texteschnell erkannt und publik gemacht werden. Dieses Ver-trauen, das vor allem auch mit der greifbaren Verfüg-barkeit der Hefte verbunden ist, fehlt dem elektronischenDokument. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Er-scheinungsbild eines Gesetzblattes imitiert wird und ge-zielt Fälschungen in Umlauf gebracht werden. In denBegründungen zu den einzelnen Paragrafen des Gesetz-entwurfs ist zur Umsetzung des § 7 die Verwendung undBeifügung einer qualifizierten elektronischen Signaturentsprechend dem Signaturgesetz vorgesehen.Die Überprüfung sollte aber für den Anwender direktmöglich sein, das heißt, die Überprüfung muss direkt aufder Webseite des Bundesanzeigers angeboten werden.Es darf nicht sein, dass die Anwender eine Software vonDrittanbietern erst auswählen, dann downloaden undinstallieren müssen.Zum anderen betrifft dies die Formatierung der In-halte. Die Sicherungsanforderungen des § 7 Abs. 2 se-hen vor, dass ein Dokument in einem ständig und dauer-haft verfügbaren und lesbaren Format bereitgestelltwird. Durch technische Vorkehrungen muss sicherge-stellt sein, dass nachträgliche inhaltliche Veränderun-gen eines Dokuments zuverlässig erkennbar sind.Dies kann nach unserer Auffassung und bestätigtdurch die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft fürRecht und Informatik e. V., die DGRI, das PDF-Formatgewährleisten. Das Portable Document Format ist einsStrdAdDhmeRnRvaVrsnGtrZsovruedkZnulidgtrmen2gcpEliegZu Protokoll ge
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fentliche Bibliothek Einsicht in den elektronischen Bun-desanzeiger zu nehmen. Daneben erhalten Personen, diemit dem Internet nicht umgehen wollen oder können, dieMöglichkeit, Ausdrucke des Bundesanzeigers oder be-stimmter Teile davon gegen Entgelt zu beziehen. Dieelektronische Veröffentlichung wird inzwischen auf-grund spezieller Ermächtigungen in verschiedenen Ge-setzen sicher und erfolgreich auch für die Verkündungvon Rechtsverordnungen genutzt. Damit liegen ausrei-chende Erfahrungen mit diesem Medium vor, und einNebeneinander von gedruckter Fassung und elektroni-schem Bundesanzeiger ist nicht mehr erforderlich unddarüber hinaus auch unwirtschaftlich.Durch die neue Form der Veröffentlichung wird derZugang der Bevölkerung zu den Gesetzestexten wesent-lich verbessert. Die Gesetze werden schneller und leich-ter auffindbar und auch die jederzeitige Einsicht vomAusland her wird erst durch die elektronische Verkün-dung möglich.Wichtig ist, dass die Funktion des Bundesanzeigersals Bekanntmachungs- und Verkündungsorgan erhaltenbleibt, und ebenso wichtig ist, dass ein sicheres Verfah-ren entwickelt wurde, das Authentizität und Dauerhaf-tigkeit der veröffentlichten Texte gewährleistet.Mit der Umstellung auf die alleinige elektronischeVerkündung und Bekanntmachung des Bundesanzeigerskönnen auch praktische Erfahrungen gesammelt werdenauf dem Weg zu einem einheitlichen elektronischenRechtsinformationssystem.Der zweite Hauptgegenstand des Gesetzentwurfs be-trifft im Wesentlichen Korrekturänderungen des Geset-zes zur Reform der Sachaufklärung, das zum 1. Januar2013 in Kraft tritt und eine Vielzahl von Verbesserungenbei der Informationsgewinnung bei der Durchführungder Zwangsvollstreckung mit sich bringt. Schuldner-und Vermögensverzeichnis werden künftig zentral ver-waltet und in elektronischer Form geführt, wobei dieEinzelheiten betreffend Verwaltung und Löschung derVerzeichnisse durch Rechtsverordnung geregelt werden.Im Rahmen der Ausarbeitung der Verordnungen hat sichein Korrekturbedarf bei den gesetzlichen Grundlagenfür ihren Erlass ergeben, der zeitnah vorgenommen wer-den muss, damit die Länder ausreichend Gelegenheithaben, die elektronische Führung der Verzeichnisse ein-zuführen. Dabei befürworten die Länder ausdrücklicheinen einheitlichen bundesweiten Abruf der Vermögens-verzeichnisse über eine Adresse im Internet. Dies solldurch § 802 k Abs. 1 ZPO ermöglicht werden.Mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzes zeigtder Gesetzgeber, dass er die moderne Informations- undKommunikationstechnologie auch in Gesetzgebung undöffentlicher Verwaltung verantwortungsbewusst ein-setzt.
Der Bundesanzeiger wird seit Jahrzehnten in Papier-form durch das Bundesministerium für Justiz veröffent-licht. Daneben wurde am 30. August 2002 der elektroni-sche Bundesanzeiger eingerichtet. Beide werden mittler-wcnbsgdteinDreFEzntuFrgvvsVvezetrhmUbdBMdäFwDbbiswAmdsdnlahrenBZu Protokoll ge
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Der Geschäftsordnungsausschuss hat in seiner Ausle-gungsentscheidung vom 15. November 1984 Folgendesfestgelegt: Ausschussmitglieder dürfen bei der Beratungeines Gesetzentwurfs Anträge zu seiner Änderung oderErgänzung einbringen, die in unmittelbarem Sachzu-sammenhang zu der Vorlage stehen. Ein unmittelbarerSachzusammenhang ist anzuerkennen, wenn die Ergän-zungen am Gesetzgebungsgrund oder an den Gesetzge-bungszielen der ursprünglichen Vorlage anknüpfen.Da im vorliegenden Fall durch den ÄnderungsantragVorschriften zur Zwangsvollstreckung aufgenommenwurden, die mitnichten mit dem Gesetzgebungsgrundoder auch den Gesetzgebungszielen, den elektronischenBundesanzeiger festzuschreiben, verknüpfbar sind, istder erforderliche Sachzusammenhang nicht gegeben.Durch Annahme dieses Änderungsantrages und Vorlagezum Plenum verstößt der Rechtsausschuss gegen seinePflicht aus § 62 Geschäftsordnung des Bundestages undmaßt sich das Gesetzgebungsinitiativrecht des Art. 76Abs. 1 Grundgesetz an. Das ist nicht hinnehmbar.Die Linke kann nicht sehenden Auges einem nichtverfassungsgemäß entstandenen Gesetzentwurf die Zu-stimmung erteilen und muss demnach unabhängig vonden inhaltlichen Erwägungen leider mit Ablehnung vo-tieren.
Das Internet und andere elektronische Medien gewin-
nen in unserer Gesellschaft immer mehr an Bedeutung.
Über das Internet können wir auf eine unendliche Fülle
von Dokumenten zugreifen. Die Informationsbeschaf-
fung ist auf diese Weise leichter und vor allem schneller
geworden. Im Laufe der Zeit haben wir uns immer wie-
der neuen technischen Herausforderungen gestellt und
haben unser Leben daran angepasst. E-Mails haben bin-
nen kürzester Zeit dem Briefverkehr den Rang abgelau-
fen. Eine komplett neue Infrastruktur der Kommunika-
tion hat sich eröffnet. Wer kann sich heute noch eine
Welt ohne elektronische Medien vorstellen?
Auch die deutsche Verwaltung und Justiz haben sich
den Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation
gegenüber aufgeschlossen gezeigt. Eine klare Tendenz
zur verstärkten Nutzung elektronischer Kommunika-
tionsformen ist erkennbar. Nicht umsonst entstehen neu-
deutsche Begriffe wie „E-Justice“, die elektronische
Justiz. Als erfolgreiches Beispiel der elektronischen Jus-
tiz möchte ich hier das EGVP nennen – das Elektroni-
sche Gerichts- und Verwaltungspostfach. Das EGVP ist
eine Software, die es Verfahrensbeteiligten ermöglicht,
mit Gerichten, Behörden und untereinander elektroni-
sche Nachrichten schnell und sicher auszutauschen.
Zum einen macht dies eine effizientere Bearbeitung bei
den Gerichten und Behörden möglich. Zum anderen er-
leichtert es den Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu
Gericht und Behörden. Mitte dieses Jahres waren bereits
45 000 Nutzer des EGVP registriert, wie dem Internet zu
entnehmen ist.
Die elektronische Fassung des Bundesanzeigers ist
bereits heute jedem Internetnutzer frei zugänglich. Die
Onlineversion erleichtert nicht nur den Zugriff auf den
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halber frage ich: Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzent-wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Das sind die Koalitionsfraktionen, Bündnis 90/Die Grü-nen und die Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? –Das ist die Linksfraktion. Enthaltungen? – Keine. DerGesetzentwurf ist angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 a und b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten UtaZapf, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDsowie der Abgeordneten Agnes Malczak, VolkerBeck , Marieluise Beck (Bremen), weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENGegen eine Aufweichung des Verbots vonStreumunition– Drucksache 17/7637 –b) Beratung des Antrags der Abgeordneten IngeHöger, Jan van Aken, Christine Buchholz, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEStreumunition nicht wieder zulassen – Gegenein Protokoll über Streumunition zum CCW– Drucksache 17/7635 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Sie sind da-mit einverstanden. Damit ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst fürdie Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin FrauUta Zapf. – Bitte schön, Frau Kollegin Uta Zapf.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirhaben uns in diesem Jahr schon mehrfach mit dem ThemaStreumunition beschäftigt. Im Mai und im Septemberhaben wir ein Round-Table-Gespräch mit Vertretern vonNichtregierungsorganisationen zum Thema Investi-tionsverbot in Firmen, die Streumunition herstellen,durchgeführt. Am 20. Oktober dieses Jahres haben wirdie Reden zu diesem Antrag zu Protokoll gegeben. Heutereden wir zwar zu später Stunde darüber, aber ich glaube,es ist gut, dass wir die Reden heute nicht zu Protokoll ge-ben; denn dieses Thema ist von großer Wichtigkeit.
Ein Aspekt im Zusammenhang mit Streumunition istin der heutigen Debatte von ganz besonderer Brisanz:Der Inhalt und der Geist des von uns allen hochgelobtenOslo-Abkommens zum Verbot von Streumunition stehtauf dem Spiel. Die Convention on Cluster Munition,CCM, wurde von uns, vom Deutschen Bundestag, ein-dringlich gefordert. Wir waren alle froh, dass die Bun-dzWdkubmmdÜhAvtusrakGwdinWtemvgDPkdimihtetitrBsSaCüa„…swcK
Das von uns ratifizierte Abkommen von Oslo be-haltet ein umfassendes Verbot dieser grausamenaffe, die Zivilisten, Kinder, Alte und Junge ohne Un-rschied tötet, und dies noch Jahre nach Abwurf. Im-erhin 111 Staaten haben die Konvention unterzeichnet;iele EU- und NATO-Staaten sind dabei. Nur die ganzroßen Staaten und Besitzer dieser Waffen, vor alleningen die USA, Russland und China, aber auch Indien,akistan und einige andere – sie produzieren und ver-aufen diese Munition und wenden diese an –, sind nichtabei. Sie sind es, die auf eine Miniversion des Verbots UN-Kontext drängen. Durch dieses Protokoll würdere Weigerung, auf diese inhumane Waffe zu verzich-n, legitimiert. Ich glaube, das können wir nicht wollen.
Die Oslo-Konvention hat in hohem Maße zur Delegi-mierung und Stigmatisierung von Streumunition beige-agen. China und Russland nehmen zum Beispiel alseobachter an den Konventionskonferenzen teil. Beideind nicht Vertragsstaaten und haben hohe Bestände antreumunition. Die USA verzichten seit geraumer Zeituf den Einsatz dieser Waffen.In dieser Situation soll im November im Rahmen deronvention on Certain Conventional Weapons, CCW,ber Streumunition verhandelt werden. Das erst 2011,lso kürzlich erneuerte Mandat soll sich – ich zitiere –mit der humanitären Problematik durch Streumunition befassen und dabei eine Balance zwischen militäri-chen und menschenrechtlichen Gesichtspunkten …ahren“. Schon dieser Satz ist eine Ungeheuerlichkeit.Das, was vorgeschlagen wird, ist noch ungeheuerli-her. Künftig wäre wieder erlaubt, was von der Oslo-onferenz verboten wurde. Nur wenige Einschränkun-
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Uta Zapf
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gen werden auferlegt. Produktion und Transfer bleibenerlaubt. Nur Streumunition, die vor 1980 hergestellt wor-den ist, wird verboten; alles andere bleibt erlaubt. DieMunition, die vor 1980 hergestellt wurde, hat eine Über-gangsfrist von zwölf Jahren. Dies ist ein Nullverbot, weilderart überalterte Munition heute ohnehin nicht mehr ein-gesetzt wird. Der Text des Entwurfes erlaubt darüber hi-naus die Nutzung für weitere zwölf Jahre. Sollte dies be-schlossen werden, werden alle der Oslo-Konventionnicht beigetretenen Länder leichten Gewissens wiederStreumunition verwenden.Streumunition mit einer Fehlerquote von bis zu 1 Pro-zent mit integriertem Sicherheitsmechanismus wäre er-laubt. Aber Fehlerquoten sind im Test realistisch nichtfeststellbar. Im Libanon wurde 2006 die M 85 eingesetzt,die eine Fehlerquote von unter 1 Prozent haben sollte;tatsächlich kam es bei ihrem Einsatz zu 15 ProzentBlindgängern.Ein solches Protokoll ist in der Tat eine Nulllösung.Die humanitäre Frage wird nicht gelöst. Im Gegenteil:Es gibt keine konkrete Verpflichtung zur Opferunterstüt-zung, zur Munitionsbeseitigung, zur Lagerbestands-auflösung usw. Mit diesem Protokoll wird also alles, wasin Oslo beschlossen wurde, wieder rückgängig gemacht.Es ist richtig – dieses Argument wird jetzt natürlich ge-nannt werden –: Deutschland bleibt selbstverständlich andie hohen Standards von Oslo gebunden. Deutschlandgäbe aber den USA, China, Russland, Pakistan, Israelund noch einigen anderen, die ein Zusatzprotokoll überStreumunition abgelehnt haben, einen Freibrief, ohneschlechtes Gewissen in die Steinzeit der Streumunitionzurückzufallen.
Die Argumentation, man hole diese Staaten näher andie Oslo-Standards heran, kann ich angesichts diesesmickrigen Entwurfs nun wirklich nicht teilen. Ich zitiereaus dem Abrüstungsbericht: Die Bundesregierung glaubt,„substanzielle Verpflichtungen der großen Herstellerlän-der und einen deutlichen humanitären Mehrwert“ zu er-zielen, der „die weltweite Streumunitionssituation ent-scheidend verbessern“ wird. Das glaube ich nicht. Das istauch nicht zu erwarten. Der Vertreter eines Landes, dasüber große Bestände verfügt, nämlich der russische UN-Botschafter Antonov, hat zu diesem Entwurf – er nenntihn „Verbotsvertrag“ – gesagt, dieser Verbotsvertragdürfe Russlands Verteidigungsfähigkeit in Bezug auf denEinsatz von Streumunition nicht beeinträchtigen undkeine finanziellen Konsequenzen für sein Land haben,und alle technischen Vorschriften des Verbotsvertragesmüssten unverbindlich formuliert sein.Ich fordere die Bundesregierung auf, über einen sol-chen Entwurf nicht zu verhandeln, sich dem zu verwei-gern und damit die Oslo-Kriterien, die wir erkämpft undunterschrieben haben, zu schützen und beizubehalten.Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Frau Kollegin Zapf. – Nächster Redner
t für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Erich
ritz. Bitte schön, Kollege Erich Fritz.
Lieber Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damennd Herren! Abrüstungsschritte und die Ächtung von be-timmten Waffen auf unterschiedlichen Feldern waren inen letzten Jahren weltweite Erfolge; da sind wir uns ei-ig. Wir sind uns auch darin einig, dass es keinen Ein-atz von Streumunition mehr geben soll und dass wir mitller Entschiedenheit für die Beseitigung dieser Waffenämpfen wollen. Das sind Waffen, die von der Welt ver-chwinden müssen.Diese eindeutige Position Deutschlands wird nicht al-in daran deutlich, dass hierzulande keine Produktionolch inhumaner Waffen stattfindet. Tatsache ist auch,ass Deutschland einen erheblichen Beitrag dazu geleis-t hat, dass wir mit dem CCM-Protokoll bzw. der Oslo-onvention vorankommen. Dieser völkerrechtliche Ver-ag beinhaltet das Verbot des Einsatzes, der Herstellungnd der Weitergabe bestimmter Typen von konventionel-r Streumunition und ist am 1. August 2010, wie Frauollegin Zapf schon gesagt hat, in Kraft getreten – einichtiger Schritt, den man nicht hoch genug einschätzenann.Wünschenswert wäre nun, dass die weltweite Staaten-emeinschaft den CCM-Vertrag ratifiziert. Das ist nachnserer Auffassung das Ideal. Auch mit noch so viel Ide-lismus ist an dieser Stelle aber leider eine eindeutigeatsache nicht aus der Welt zu schaffen: Gegenwärtig er-sst das Übereinkommen nur 10 bis 20 Prozent dereltweiten Streumunitionsbestände. Deshalb frage ich:as muss man angesichts der Gewissheit, dass einigetaaten das CCM-Übereinkommen nicht, zumindesticht kurz- oder mittelfristig, ratifizieren werden, tun?as der Vertreter eines dieser Länder in aller Offenheitesagt hat, haben wir gerade gehört.Hier wird im Prinzip die Schwäche plurilateraler Ab-ommen sichtbar. Häufig sind die Gutwilligen die Ver-agspartner, aber die, auf die es besonders ankäme, ste-en, weil sie scheinbar bedeutende Interessen wahrenollen, abseits.
ie soll man das überbrücken? Das ist die Kunst.Das Protokoll VI zum Übereinkommen der Vereintenationen über bestimmte konventionelle Waffen, CCW,leibt hinter den restriktiven Festlegungen des Vertragson Oslo zurück. Hier gibt es keine Fehldeutung; das istine Tatsache. Dennoch ist die Umsetzung dieses Proto-olls nach unserer Auffassung wünschenswert, da es den
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Erich G. Fritz
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einzigen zurzeit möglichen Einstieg in ein weltweitesund mit der Autorität eines UN-Abkommens ausgestat-tetes Streumunitionsregime darstellt. Ein solches mitdieser Bedeutung gibt es bisher nicht. Es wäre nicht all-umfassend – klar – und erreichte nicht das Niveau desOslo-Abkommens, aber erstmals wäre die Teilnahmeund Zustimmung von Russland und den VereinigtenStaaten möglich.
Ein multilateraler Ansatz unter Einbindung der Groß-mächte – das wäre ein solcher – brächte uns also einenSchritt in die richtige Richtung. Multilaterale Regelnwürden die Politik gegen Streumunition auf eine neue,qualitativ höhere Stufe stellen.Erstens wird ein sofortiges Verbot von Streumunition,die vor 1980 hergestellt wurde, erreicht. Sie ist zu zerstö-ren. Das kann man bagatellisieren, und darüber kannman auch gut diskutieren, aber das ist ein Zugeständnis,das nicht zu erwarten war und mit dem wir uns zunächsteinmal doch zufrieden zeigen können.Zweitens gibt es ein Verbot jeder nach 1980 herge-stellten Streumunition ohne Sicherheitsmechanismus.Da wir eine bestimmte Einschätzung dieser Waffen ha-ben, tröstet uns das nicht sehr. Staaten, die diese Bedin-gungen nicht sofort erfüllen können, werden für nach1980 produzierte Streumunition Übergangsfristen er-möglicht. Sie haben gleich die höchstmögliche ange-führt. Eigentlich sollen es für Gebrauch, Lagerung undRückbehalt acht Jahre sein – einmalig um vier Jahre ver-längerbar. Für eine Weitergabe von Streumunition, alsoden Transfer, den Sie angesprochen haben, Frau Zapf,sowie für deren Beschaffung und Produktion sind Über-gangsfristen dagegen nicht vorgesehen. Hier müssen Sienoch einmal hinschauen.Nicht zu verachten ist, dass die quantitative Wirkungdes Protokolls von Anfang an deutlich höher wäre als diedes gesamten Oslo-Übereinkommens. Eben dies ist derentscheidende Punkt. Wichtig ist im Ergebnis doch nichtdie Anzahl der Staaten, die mitmachen, sondern dieMenge an Munition, die keine Gefährdung mehr darstel-len kann.
– Auch das, ja, klar.Der potenzielle Einsatz der ältesten und unzuverläs-sigsten Streumunitionstypen sowie deren Weiterverbrei-tung würde zumindest stark begrenzt. Das kann einemzu wenig sein und ist uns allen zu wenig. Wenn dieseMöglichkeit aber besteht, dann ist es doch allein aus hu-manitären Aspekten geboten, sie auch zu nutzen.
Die hier eingebrachten Anträge sind hingegen Status-quo-orientiert und somit leider wenig konstruktiv. Ichmeine sogar, sie mindern die Durchsetzungsfähigkeit desVbtezRdmhVruwndwgsüdtiddNdNavAegkHVPdFfütrdksgdSdsD
Ein Scheitern der Verhandlungen im November, dasurch die Anträge in Kauf genommen oder sogar geför-ert wird, würde nicht nur eine Abwertung der Vereintenationen im Allgemeinen, sondern auch des CCW, alsoes UN-Protokolls, als wichtigem Forum der Vereintenationen im Besonderen nach sich ziehen. Das gilt esuf jeden Fall abzuwenden. Im Gegenteil müssen wirersuchen, dieses Protokoll mit einer höchstmöglichenutorität auszustatten. Durch das VN-Protokoll werdenrstmals auch Verbotsstandards für die großen Herstellereschaffen.Jetzt wird es vielleicht ein bisschen technisch: Einelar definierte Bemühensklausel würde diese großenersteller dazu verpflichten, sich in Zukunft auf stärkereerbote einzulassen. Sie wissen doch selbst, auf welcherozesse man sich einlassen muss und dass man gedul-ig sein muss, um solche Ziele zu erreichen. Alleine dieorderung, man müsse sich auf das einlassen, was wirr richtig halten, ist ja leider kein besonders guter Bei-ag zur Lösung dieser Probleme. Ich plädiere deshalbafür, dass Deutschland in den Verhandlungen den Fo-us auf eine Verschärfung der aktuellen Bemühensklau-el legt. Es war Deutschland, das diese für meine Be-riffe schon starke Brücke zwischen CCM und CCW inie Verhandlungen eingebracht hat.Man bedenke, dass alleine die USA 300 Millionentück Submunition zerstören müssten. Das ist mehr alsoppelt so viel Streumunition, wie alle Oslo-Vertrags-taaten zusammen zerstören müssen.
as ist doch eine Hausnummer.
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Erich G. Fritz
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– Sie gehen ja davon aus, dass mit einem solchen Proto-koll der ganze moralische Druck sozusagen weggenom-men wird. Das bestreite ich.
Wir dürfen über dem Wünschenswerten nicht dasMögliche aus den Augen verlieren. Insofern liegt es inunserem Interesse, wenigstens einen Großteil der Streu-munitionsbestände so schnell wie möglich zu vernichtenund die bestehende Lücke jenseits der Oslo-Zeichner zuschließen. Die legitime Forderung nach universellerÜbernahme der CCM-Standards ist weiterhin unser Be-streben. Daran halten wir fest. Meines Erachtens stehtdas aber nicht im Widerspruch zu den Verhandlungenüber ein VN-Protokoll.Es gibt auch keine Hinweise dafür, dass mit der An-nahme des VN-Protokolls eine verminderte Stigmatisie-rungswirkung einhergehen würde.
Ganz im Gegenteil belegt das Nebeneinander von AP IIund Ottawa-Konvention in der ähnlich gelagerten Fragedes Verbots von Antipersonenminen, dass auf einersolch zweigleisigen Strecke Fortschritte möglich sind.Rechtlich – so entnehme ich einer juristischen Exper-teneinschätzung – schließen sich das VN-Protokoll unddie CCM-Standards nicht aus. Ich war nicht bei der An-hörung, sondern habe das nur nachgelesen. Dabei hatmich die Darstellung von Frau Dr. Jana Hertwig vomBochumer Institut für Friedenssicherungsrecht und Hu-manitäres Völkerrecht überzeugt. Sie erklärte: Das Wie-ner Übereinkommen über das Recht der Verträge ausdem Jahre 1969 hält für den Fall, dass Staaten Vertrags-parteien aufeinander folgender Verträge über denselbenGegenstand sind, eine entsprechende Regelung inArt. 30 Abs. 2 bereit. Dort heißt es:Bestimmt ein Vertrag, dass er einem früher … ge-schlossenen Vertrag untergeordnet ist …, so hat derandere Vertrag Vorrang.Der VN-Protokollentwurf enthält ausdrücklich einesolche Bestimmung, in welchem Verhältnis das Proto-koll zum Oslo-Übereinkommen stehen soll. In Art. 1Ziff. 3 heißt es, dass das Protokoll die Rechte und Pflich-ten der Vertragsstaaten des Oslo-Übereinkommens nichtbeeinträchtigt. Oslo geht vor!
Das ist wichtig. Deshalb ist es keine Relativierung, son-dern der Versuch der Einbeziehung derer, die bis jetztabseits gestanden haben und die wir durch kein Mittelder Welt außer über den Schritt eines gemeinsamen Pro-tokolls mit der Autorität der UNO in dieses Systemhineinbekommen.agdmwAgagstiSzSdDretikisgUmSdtetisnKSvbütelawgmgZmre
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Deswegen war es überfällig, dass im April 2009 auchder Bundestag einstimmig beschloss, die Ächtung vonStreumunition durch die Ratifizierung der Oslo-Konven-tion umzusetzen. Für die Linke habe ich damals erklärt,dass wir diesen Schritt ausdrücklich unterstützen. Wirhaben aber auch darauf hingewiesen, dass es für die Zu-kunft gilt, noch einige Lücken, die in der Konventionenthalten sind, zu schließen und Ausnahmeregelungenebenfalls zu verbieten.Doch nun wird auf UN-Ebene mit UnterstützungDeutschlands über Regelungen verhandelt, die komplettin die falsche Richtung gehen. Ich spreche vom Proto-koll VI zum Übereinkommen über bestimmte konventio-nelle Waffen. Um es klar zu sagen: Was nächste Wochebeschlossen werden soll, würde Streumunition wiederlegalisieren. Das steht im Widerspruch zum Völkerrecht.Das sogenannte CCW-Protokoll würde lediglich ver-altete Typen von Streumunition verbieten, und selbstdiese würden wegen langer Übergangsfristen nicht so-fort aus den Arsenalen der Militärs verschwinden. Profi-tieren würde von dieser Regelung die Rüstungsindustrie.Sie könnte sich über Aufträge für neue Generationen vonStreumunition freuen. Das ist doch perfide.Bis jetzt war die Oslo-Konvention zum Verbot vonStreumunition ein großer Erfolg. 111 Staaten sind ihr be-reits beigetreten. Andere Staaten wie USA, China, Russ-land, Israel und Indien haben dies zwar noch nicht getan,doch der internationale Druck auf diese Staaten und derDruck von Aktivistinnen und Aktivisten innerhalb dieserStaaten ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen.Dieser Druck, internationales Recht und humanitäreStandards einzuhalten, ist ein wichtiges Instrument zurErreichung politischer Fortschritte. Das CCW-Protokollwürde diesen politischen Druck verringern. Es relativiertvölkerrechtliche Standards und suggeriert, der Einsatzbestimmter Arten von Streumunition wäre völkerrechts-konform. Das ist er nicht. Der Einsatz von Streumunitionist und bleibt ein Verbrechen.
Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf: Bitteunterlassen Sie alles, was ein Ende der Ächtung vonStreumunition bedeuten könnte!Lassen Sie mich an dieser Stelle auch etwas zumAgieren der anderen Fraktionen im Bundestag anmer-ken. Die Regierungsfraktionen haben offenbar verges-sen, dass Deutschland sich mit der Ratifizierung derOslo-Konvention verpflichtet hat, andere Staaten nichtdabei zu unterstützen, etwas zu unternehmen, was durchdie Oslo-Konvention verboten ist.
Durch die Zustimmung zum CCW-Zusatzprotokollmachen Sie aber genau dies. Die FDP hätte sich an ihrerSchwesterpartei in der Schweiz orientieren können, de-ren Antrag wir hier fast wortgleich einbringen. DieLinke ist daran interessiert, den großen Konsens zurÄchtung von Streumunition aus dem Jahr 2009 auchweiter aufrechtzuerhalten.mkFsmdWrevJbmMfegdddnansNwbcsäcKdaptituhBjewliCP
Vielen Dank, Frau Kollegin Höger. – Jetzt für die
raktion der FDP unser Kollege Christoph Schnurr. Bitte
chön, Kollege Christoph Schnurr.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichöchte mit einem Rückblick in eine Zeit beginnen, iner ein Krieg herrscht. In diesem Krieg kommt eineaffe zum Einsatz, deren Folgen dramatisch sind. In ih-r Wirkung unterscheidet die Waffe nicht zwischen Zi-ilisten und Soldaten. Sie tötet unterschiedslos. Auchahre nach ihrem Einsatz bleiben die betroffenen Ge-iete weitgehend unbewohnbar.Die Folgen sind so erschütternd, dass sich die Weltge-einschaft zum Handeln gezwungen sieht. Die großeehrheit der Staaten verpflichtet sich dazu, solche Waf-n niemals mehr zu entwickeln, zu erwerben und schonar nicht einzusetzen.Ein paar wenige Staaten sind aber nicht bereit, aufiese Waffenkategorie zu verzichten. Auch sie möchtenie Waffen nicht unbedingt einsetzen. Die Option füren Ernstfall wollen sie sich trotzdem offenhalten. Ei-ige Jahre später einigen sich die größten Besitzerstaatenuf einen Kompromiss. Zwar wollen sie die Waffenicht sofort aufgeben, sie verpflichten sich aber, ihre Be-tände deutlich zu reduzieren. Politik, Wissenschaft,ichtregierungsorganisationen und die Medien sind sicheitestgehend darüber einig: Das ist – bei aller verblei-enden und berechtigten Kritik – ein Fortschritt.Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben es si-herlich bemerkt: Ich spreche nicht von Streumunition,ondern ich spreche über Kernwaffen. Was aber hätte ichndern müssen, wenn ich über Streumunition gespro-hen hätte? Nicht besonders viel! Es gibt noch keinenompromiss der größten Streumunitionsbesitzer, wieer Kollege Fritz es völlig zu Recht erwähnt hatte. Vorllem aber: Allein die Möglichkeit eines solchen Kom-romisses ruft bereits heute Abend hier bei der Opposi-on und einigen anderen Empörung hervor. Diese Hal-ng haben Sie in diese beiden Anträge gegossen, die wireute diskutieren. Sie fordern darin zum Beispiel, dieundesregierung solle sich – so wörtlich – entschiedendem Abkommen zu Streumunition entgegenstellen,elches einen Rückschritt gegenüber der CCM darstellt.
Ein Rückschritt wäre es aus Ihrer Sicht wahrschein-ch auch, wenn das Protokoll nicht identisch mit derCM wäre. Dass es zu einem mit der CCM identischenrotokoll kommt, ist aber von der Realität weit entfernt
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Christoph Schnurr
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und nahezu absurd. Da frage ich mich: Warum wurdendie Verhandlungen in der CCW dann überhaupt aufge-nommen? Sie, insbesondere die Kolleginnen und Kolle-gen der Sozialdemokratie, hätten das 2007 und 2008 ver-hindern können, als es noch einen sozialdemokratischenAußenminister gab. Ich mache Ihnen das nicht zum Vor-wurf, keinesfalls. Aber damals wie auch heute ist dieCCW nicht nur ein Forum und ein Instrument, um dasThema Streumunition auf der internationalen Agenda zuhalten, sondern eben auch ein Instrument, um Druck aufdie Streumunitionsbesitzer auszuüben. Die Verhandlun-gen über ein Protokoll sollen auch ganz konkret auf dieweltweite, rechtlich verbindliche Ächtung von Streumu-nition hinwirken. In den Vorbereitungssitzungen zurCCW-Überprüfungskonferenz wurde ein Protokollent-wurf diskutiert, demzufolge Streumunition, die vor 1980produziert wurde, verboten werden soll. Aus meinerSicht ist das allein nicht ausreichend.Trotzdem muss man sich auch die Dimension diesesVorschlages einmal vergegenwärtigen. Allein die Verei-nigten Staaten müssten circa 40 Prozent oder, in absolu-ten Zahlen, 300 Millionen Stück ihrer Submunition ver-nichten. Das wäre fast die doppelte Menge dessen, wasvon den Oslo-Staaten zerstört werden muss. Dazu kom-men andere Verpflichtungen wie die zur Opferfürsorgeund zur Räumung von Kampfmittelrückständen. Wennder Protokolltext noch verbessert werden wird, kann esalso durchaus einen humanitären Mehrwert geben.Ich will Ihnen noch ein Beispiel nennen, warum einStreumunitionsprotokoll nicht die Katastrophe wäre, alsdie Sie es gerne darstellen: die Abkommen zu Antiperso-nenminen. Auf der einen Seite haben wir die Ottawa-Konvention, auf der anderen Seite das Protokoll II zurCCW. Obwohl hier zwei unterschiedlich starke Regelun-gen nebeneinanderstehen, wirkt die Stigmatisierungdurch das stärkere Abkommen, nämlich die Ottawa-Konvention, fort. So könnte es auch im Fall der Streu-munition funktionieren.Ich kenne natürlich Ihre Einwände: Im Gegensatz zurRegelung bei Antipersonenminen würde bei der Streu-munition das schwächere dem stärkeren Abkommen fol-gen. Sie folgern daraus, dass die Stigmatisierung vonOslo verloren ginge. Zu dieser Einschätzung kann mankommen, ja; belegen lässt sie sich allerdings nicht.Ich komme deshalb zu einer anderen Bewertung – dieGründe dafür habe ich gerade dargelegt –: Ein Streumu-nitionsprotokoll in Genf kann – ich sage ausdrücklich:kann – ein Zwischenschritt hin zu einem universellenVerbot dieser Waffenkategorie sein. Der Protokollent-wurf für das letzte Vorbereitungstreffen im August – dassage ich ebenfalls ganz deutlich an dieser Stelle – gibtdas noch nicht her. Hier muss es noch substanzielle Ver-besserungen geben, vor allem bei der Definition, welcheMunition verboten wird.Meine Damen und Herren, unser Ziel ist am Endedoch das gleiche: Wir wollen, dass Streumunition welt-weit geächtet wird. Auch die Bundesregierung hat sichimmer wieder zu diesem Ziel bekannt. Der Bundes-außenminister wurde zu Recht mit seinen sehr intelligen-ten und klugen Äußerungen in dieser Hinsicht schon zi-timnpFAjazkissOvnuAbvledÜwlaimDrubGktrVdzswSresßW
uch große Anwenderländer, die der Konvention nichteigetreten sind, wie die USA, China oder Russland,erzichten mittlerweile auf den Einsatz. Das ist ein Be-g dafür, dass das Oslo-Übereinkommen wirkt.
Was wirkt, bewirkt jedoch oft Widerstand bei jenen,ie sich an der Wirkung stoßen. Gerade weil das Oslo-bereinkommen wirksam ist, ist es bedroht. Wenn wirollen, dass die völkerrechtlichen Standards, für die wirnge gekämpft haben, erhalten bleiben, müssen wir siemer wieder gegen Widerstände verteidigen.
ie großen Hersteller- und Besitzerstaaten sind nun da-m bemüht, die Wirkung Oslos auf sie selbst auszuhe-eln. Wie man das am besten macht, lässt sich zurzeit inenf bei den Verhandlungen zum VN-Waffenüberein-ommen beobachten. Dort setzen sich einige Nichtver-agsstaaten für neue Standards ein, die das umfassendeerbot von Streumunition untergraben würden. Um sichem Wirkungsradius von Oslo zu entziehen, soll einweiter, laxer völkerrechtlicher Referenzrahmen ge-chaffen werden, in den Nichtvertragsstaaten dann ent-eichen können. Herr Kollege Fritz, Herr Kollegechnurr, es ist eben nicht so, dass eine weitere völker-chtliche Norm zu Streumunition schon deshalb wün-chenswert sein soll, weil sich ihr mehr Staaten anschlie-en; denn entscheidend sind doch die Qualität und dieirkung der Norm.
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Agnes Malczak
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Hier würde eine von mehr Staaten durchgesetzteschlechtere Regelung eine von weniger Staaten getra-gene bessere Regelung verdrängen.
Insbesondere die USA – auch darüber kann man ein-mal nachdenken –
bemühen sich in Genf um ein Protokoll VI zu Streumu-nition, das nur ein Teilverbot von Munition vorsieht, dievor 1980 produziert wurde. Ein umfassendes Produk-tionsverbot, Zerstörungsfristen für vorhandene Be-stände oder Verpflichtungen zur Opferhilfe und Minen-räumung sucht man vergeblich. Sollte dieses Protokollso verabschiedet werden – es ist naiv, zu glauben, dasssich da noch viel verändern wird, Herr Schnurr –,
hätten wir neue, schwächere Standards und eine Relegi-timierung neuerer Typen von Streumunition. De factowürde ein großer Teil dieser Waffen somit wieder für le-gal erklärt.
Zwar wären Deutschland und andere Vertragsstaatenweiter an Oslo gebunden – Sie haben recht, Herr KollegeFritz; das hat auch niemand bestritten –, anderen Staatenaber, die außerhalb des Vertragsregimes stehen wie dieUSA, Russland, China, Israel oder Indien, wären dieProduktion und der Einsatz von Streumunition auf ein-mal völkerrechtlich erlaubt. Das würde nicht nur der US-Regierung ermöglichen, ihr Streumunitionsarsenal auchnoch mit Hinweis auf das Völkerrecht zu modernisieren.Wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz völligzu Recht feststellt, würde damit ein Präzedenzfall im hu-manitären Völkerrecht geschaffen. Dann würde eineschwächere Norm zu einem Waffentyp vereinbart, fürden es bereits höhere Standards gibt. Bisher gab es einensolchen Rückschritt nicht, und ich glaube, den kann mansich auch nicht wünschen.
Ich kann nur hoffen, dass der dringende Appell ausder Zivilgesellschaft von der Bundesregierung erhörtwird, einem solchen Protokoll nicht zuzustimmen. Bis-her hat sich die Bundesregierung in dieser Frage nämlichleider nicht als eiserne Verfechterin der Oslo-Konven-tion hervorgetan. Im Gegenteil: Sie setzt sich weiter fürein Protokoll zu Streumunition ein. Damit nimmt sieeine Aufweichung des Verbots von Streumunition billi-gend in Kauf
und verspielt leichtfertig die abrüstungspolitische Glaub-würdigkeit der Bundesrepublik. Damit nehmen Sie jegli-czesnzdskdnAdDFsDanmDGnteRg
Es ist daher nun am Deutschen Bundestag, sich gegenine Aufweichung des Verbots von Streumunition auszu-prechen. Die grüne Bundestagsfraktion hat hierfür ei-en Antrag erarbeitet, den wir gemeinsam mit der SPDur Abstimmung stellen. Wir bitten um Ihre Stimme füriesen Antrag und damit um Ihre Stimme gegen eine Zu-timmung Deutschlands zu einem verheerenden Proto-oll zu Streumunition.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Malczak.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag
er Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
en auf Drucksache 17/7637 mit dem Titel „Gegen eine
ufweichung des Verbots von Streumunition“. Wer für
iesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. –
as sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, SPD-
raktion und Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? – Das
ind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine.
er Antrag ist abgelehnt.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke
uf Drucksache 17/7635 mit dem Titel „Streumunition
icht wieder zulassen – Gegen ein Protokoll über Streu-
unition zum CCW“. Wer stimmt für diesen Antrag? –
as sind die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
rünen. Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktio-
en. Enthaltungen? – Die Fraktion der Sozialdemokra-
n. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 24:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien
zu dem Antrag der Fraktionen
CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Gedenkort für die Opfer der NS-„Euthana-
sie“-Morde
– Drucksachen 17/5493, 17/7596 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Lars Lindemann
Dr. Lukrezia Jochimsen
Claudia Roth
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
eden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
innen und Kollegen liegen dem Präsidium vor.
)
)
Unter der NS-Schreckensdiktatur wurden auch Hun-
derttausende Menschen mit Behinderungen und psychi-
schen Erkrankungen in ganz Europa systematisch
erfasst, für medizinische Experimente missbraucht,
zwangssterilisiert und zu Zehntausenden ermordet. Ei-
nes von leider vielen dunklen Kapiteln unserer jüngeren
Geschichte, das uns Nachgeborene erschauern lässt,
fassungslos macht ob der Abgründe des Menschlichen.
Die Verpflichtung, die Aufarbeitung des NS-Terrors
und der späteren SED-Diktatur in der ehemaligen DDR
im Gedenkstättenkonzept des Bundes nicht nur fortzuset-
zen, sondern zu verstärken, war integraler Bestandteil
der Koalitionsverhandlungen der christlich-liberalen
Koalition zu Beginn dieser Wahlperiode.
Die Morde an behinderten Menschen, insbesondere
Patienten, die besonderen Schutzes bedurft hätten, dür-
fen nicht in Vergessenheit geraten. Der Opfer zu geden-
ken, ist Aufgabe von nationaler Bedeutung und gesamt-
staatlicher Verantwortung.
Die Gedenkstättenkonzeption des Bundes schließt die
Euthanasieopfer daher ausdrücklich in unser nationales
Gedenken ein. Bestandteil der Beschlussfassung 1999
über die Errichtung des Denkmals für die ermordeten
Juden Europas war daher auch die Verpflichtung, der
anderen Opfer des Nationalsozialismus würdig zu ge-
denken.
Unser Antrag steht entsprechend auf breiten, über-
greifenden Füßen der demokratischen Fraktionen des
Hauses. Das beweist, dass sich das Parlament in diesem
wichtigen Punkt seiner gesamtgesellschaftlichen Verant-
wortung bewusst ist und dafür Sorge tragen will, die Er-
innerung im kollektiven Gedächtnis zu behalten.
Der Antrag ist nicht nur als ein wichtiges Signal ge-
gen das Vergessen an die Hinterbliebenen und Angehö-
rigen zu verstehen. Er ist auch bedeutender Beitrag für
die Erinnerung und Aufklärung der Nachgeborenen.
Wir wollen die Aufwertung des gegenwärtigen Ge-
denkortes in der Tiergartenstraße 4 in Berlin. Wenn-
gleich das Gebäude am historischen Standort der Pla-
nung und Organisation dem Ort der Täter, an dem am
Schreibtisch über Leben und Tod von Menschen ent-
schieden wurde, nicht mehr steht, so ist doch das Kürzel
T4 zum Begriff für diese Mordaktion geworden. Histori-
scher Anknüpfungspunkt für das Erinnerungszeichen ist
daher der Platz um die Berliner Philharmonie.
Wir setzen auf die Ergebnisse des durch das Land
Berlin auszuschreibenden Ideenwettbewerbs zur künst-
lerischen Umgestaltung des Geländekomplexes am Kul-
turforum. Unsere Hauptstadt würdigt damit ihren beson-
deren Stellenwert in der Erinnerungskultur und kommt
mit der anteiligen Übernahme der erforderlichen Mittel
ihrer Verantwortung in kulturpolitischer Hinsicht ebenso
wie der Bund nach. Angesichts der bestehenden Nut-
zung des Areals an der Berliner Philharmonie und der
nicht mehr vorhandenen Baulichkeiten sind einer Auf-
wertung jedoch natürliche Grenzen gesetzt. Neben ei-
nem Erinnerungszeichen am historischen Ort wollen wir
gleichwohl die Thematik weiter bearbeiten. Über die Er-
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Zu Protokoll ge
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16634 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
)
denkstätten Grafeneck in Baden-Württemberg undHadamar in Hessen unterstützt. In einer weiteren ehe-maligen Tötungsanstalt in Brandenburg an der Havelwird auch mit Mitteln aus der Gedenkstättenkonzeptiondes Bundes eine weitere Gedenkstätte aufgebaut. Dochauch Berlin muss Standort eines Gedenkortes sein. AlsHauptstadt der Bundesrepublik sowie als kultureller An-ziehungspunkt für Menschen aus Deutschland und derganzen Welt nimmt Berlin einen zentralen Platz in derErinnerungsarbeit des Bundes ein. Hier in Berlin – inder Tiergartenstraße 4 – wurde die sogenannte Aktion T4systematisch und zentral geplant. Hier war der Sitz derkoordinierenden Dienststelle. Deshalb sollte auch hier– am historischen Ort der Planung der Verbrechen – einsichtbares Zeichen gesetzt werden und sollten hier dieOpfer gewürdigt werden. An einem düsteren Herbsttagin diesem Jahr war ich zuletzt an der besagten Stelle undwar zutiefst betroffen bei dem Gedanken daran, was hiervor über 70 Jahren beschlossen worden war. Dabeiwurde mir von Neuem deutlich, dass die derzeitige inden Boden eingelassene und leider kaum beachtete Ge-denktafel sowie die umgewidmete Plastik von RichardSerra nicht ausreichend sind, um an das Grauen, dasvon diesem Ort ausgegangen war, zu erinnern.Auch das für die Umsetzung zuständige Land Berlinsteht in der Pflicht, alles zu tun, um den Verbrechen, diein dieser Stadt stattfanden, in angemessener Form Rech-nung zu tragen. Wir erwarten, dass Bund und Berlin ge-meinsam das bereits bestehende Denkmal aufwerten undgemeinsam die Opfer am historischen Ort würdigen.Zum Schluss ist es mir ein Anliegen, den verschiede-nen bürgerschaftlichen Initiativen ausdrücklich für ih-ren langjährigen geduldigen, aber auch hartnäckigenEinsatz zu danken. Stellvertretend für viele weitere seienhier der Runde Tisch zu T4, die Deutsche Gesellschaftfür Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkundesowie der Arbeitskreis zur Erforschung der national-sozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisationgenannt. Vor allem ihnen ist es zu verdanken, dass dieOpfer der NS-„Euthanasie“-Morde nicht in Vergessen-heit geraten sind, bleibende Mahnmale und Dokumenta-tionen daran erinnern, dass wir alle aufgerufen sind, un-sere Demokratie zu stärken, Extremisten abzuwehren,damit es nie wieder zu diktatorisch-autoritären Regie-rungen in unserem Land kommt, die Bürger- und Men-schenrechte mit Füßen treten.
Daran, wie ein Gemeinwesen mit seinen Kranken um-geht, lässt sich erkennen, wie human es ist. Im national-sozialistischen Deutschland wurden Kranke ermordet.Die euphemistische Umschreibung für den systemati-schen, bürokratisch exakt organisierten Massenmord ankörperlich und geistig beeinträchtigten Menschen lau-tete Euthanasie – das griechische Wort für den „leich-ten“, den „schönen Tod“. Der Tod, der im Gebäude derBerliner Tiergartenstraße 4 koordiniert wurde, war allesandere als leicht und schön. Ab 1939 und während desgesamten Zweiten Weltkrieges wurden HunderttausendeMenschen in Hospitälern und Heilanstalten vergast,vdHfoPVHatewwKaLUhedctuvWvtenhFdcGSmdhwshZafo„bSseznSzZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16635
)
Klarheit ist erstens darüber zu schaffen, wie weit diegeplante Aufwertung des Gedenkortes gehen soll. DieLinke hätte am liebsten ein neues Dokumentations-zentrum und trägt unseren Antrag deshalb nicht mit. DieKoalitionsfraktionen unterstützen die Neugestaltungzwar, tendieren aber zum anderen Extrem und wünschensich nur minimale Veränderungen. Dies ist zu wenig.Damit zukünftige Besucher die Qualität des histori-schen Ortes erfassen können, bedarf es grundlegenderInformationen. Drei Aspekte halte ich dabei für beson-ders wichtig: Die Opfer sind zu würdigen. Die Täter sindzu benennen. Der Ort sollte für Besucher kenntlich wer-den, beispielsweise durch Kennzeichnen der Umrissedes einstigen T4-Gebäudes. Auch Hinweise auf die be-stehenden Gedenk- und Informationsstätten in Deutsch-land und Europa sind erforderlich. Die dezentrale Um-setzung und die schiere Dimension der „Euthanasie“-Verbrechen müssen deutlich werden.Zweitens ist zu klären, welche Einrichtung geeignetwäre, sich der Thematik der „Euthanasie“-Morde dau-erhaft anzunehmen. Dabei muss der weitere Kontext na-tionalsozialistischer Erbgesundheitspolitik, Eugenikund der sogenannten Rassenhygiene beleuchtet werden.Die Stiftung „Denkmal für die ermordeten JudenEuropas“ wird hier eine wichtige Rolle spielen. DemCharakter des Ortes entsprechend halte ich aber dieStiftung „Topographie des Terrors“ für besonders ge-eignet, die Aufgaben der Dokumentation und der päda-gogischen Arbeit zum Thema zu übernehmen. Ich plä-diere dafür, dass die Stiftung „Topographie des Terrors“dem Thema einen dauerhaften Platz in ihrer Ausstellungeinräumt.Über diese Präzisierungen wird noch zu sprechensein. Verehrte Kollegen der Koalitionsfraktionen: Schie-ben Sie das Fachgespräch nicht auf die lange Bank!
Es steht außer Frage: Wir tragen als Deutsche be-sondere Verantwortung, um der Opfer der NS-Terror-herrschaft zu gedenken, um die heutige und zukünftigeGeneration zu mahnen und zu informieren. Teil des na-tionalsozialistischen Rassenwahns war die Erfassung,Verfolgung und Ermordung „lebensunwerten Lebens“,die Verfolgung und Ermordung von Menschen mit Be-hinderungen und psychisch Kranken.Von September 1939 bis April 1940 fielen mehr als10 000 psychiatrische Patienten aus Pommern, West-preußen und dem Wartheland den Krankenmorden aufdem damaligen besetzten Gebiet Polens zum Opfer. VonJanuar 1940 bis August 1941 wurde die sogenannte Ak-tion T4 durchgeführt, bei der in eigens eingerichtetenGasmordanstalten mehr als 70 000 Psychiatriepatientenund -patientinnen systematisch und zentral geplant er-mordet wurden. Die Aktion T4 wurde benannt nach demSitz der koordinierenden Dienststelle in der Tiergarten-straße 4.Wir sind uns fraktionsübergreifend einig: Dieser Ortbenötigt ein würdiges Gedenken. Heute erinnert nureine im Boden eingelassene Gedenktafel, eine nachträg-liRadnwnezdePddddssetiddzgcmSAwdEnBrARgLugtuuNTs6sTbsdusZu Protokoll ge
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16636 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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auszuloben. Wir sind gespannt auf diesen Wettbewerbzur Umgestaltung des Areals Tiergartenstraße 4, in denBetroffene und Verbände in adäquater Weise eingebun-den werden.
Rückdatiert auf den Überfall Deutschlands auf Polen,den Kriegsbeginn am 1. September 1939, befahl AdolfHitler die sogenannte „Euthanasie“-Aktion. Zum medi-zinischen Leiter dieser – später T4 genannten – Aktionwurde der Psychiater und Neurologe Professor WernerHeyde bestimmt. Der Aktion T4 und den nach ihrer offi-ziellen Beendigung sich anschließenden weiteren Pha-sen der Krankentötungen sollten bis zum Kriegsende– und noch einige Wochen darüber hinaus – mindestens250 000 bis 300 000 psychisch, geistig und körperlichkranke Menschen zum Opfer fallen.Am Ort der ehemaligen Zentraldienststelle in derTiergartenstraße 4 befinden sich heute nur eine un-scheinbare, in den Boden eingelassene Gedenktafel fürdie „Euthanasie“-Opfer und eine erst nachträglich denOpfern gewidmete Plastik. Einen zentralen, nationalenGedenkort für die Opfer der sogenannten „Euthanasie“gibt es bisher nicht. Dies soll nun geändert werden. Mitihrem Antrag „Gedenkort für die Opfer der NS-Eutha-nasie-Morde“, 17/5493, wollen CDU/CSU, SPD undBündnis 90/Die Grünen sich für eine Aufwertung des be-stehenden Denkmals und eine angemessene Würdigungder Opfer am historischen Ort der Planung und Orga-nisation der Aktion T4 in der Tiergartenstraße 4 einset-zen.Die Linke hat dieses Ansinnen von Beginn an aufBundes- und Landesebene unterstützt. Die nationalso-zialistischen Morde an behinderten Menschen bzw. Pa-tienten gehören in das kollektive Gedächtnis unsererNation. Die Erinnerung daran ist eine Aufgabe von na-tionaler Bedeutung und gesamtstaatlicher Verantwor-tung. Die Gedenkstättenkonzeption des Bundes schließtdiese Opfergruppe ausdrücklich in das nationale Ge-denken ein. Es steht für uns außer Frage, dass der Bundzu seiner Verantwortung stehen sollte und in diesem Fallgibt es auch einen parteiübergreifenden Willen, dies zutun.Leider wurden wir erneut von der Erarbeitung einesinterfraktionellen Antrages ausgegrenzt und konnten soEinwände und Änderungsvorschläge am vorliegendenAntrag nicht geltend machen. Um diesen unserer Auffas-sung nach wichtigen Ergänzungen Gehör zu verschaf-fen, haben wir einen entsprechenden Änderungsantrageingebracht, in dem wir nicht allein einen Gedenk-, son-dern auch einen entsprechenden Informationsort sowiedarüber hinaus die finanziellen Mittel für eine wissen-schaftliche Aufarbeitung des Themas fordern. Wirreagieren damit auch auf Anregungen der in dieser The-matik engagierten Initiativen und Institutionen, stellver-tretend für eine größere Gruppe ist hier die DeutscheGesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Ner-venheilkunde, DGPPN, die Stiftung „Denkmal für dieermordeten Juden Europas“ und die Stiftung „Topogra-phie des Terrors“ zu nennen. Trotz zweijähriger Bera-tubAuaSuTddfoÜmsnEbatezlecrHdssvdtetanegAtezddlaM1PgbWbdnbhjubwfeOnJZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16637
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16638 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
)
natlichen Entschädigungen an die für andere aus rassis-tischen Gründen verfolgten Opfer gefasst hat – im Jahre2011!Warum die an dem Antrag beteiligten Fraktionennicht auf die Angebote gerade der DGPPN eingegangensind, welche von der Erstellung einer Ausstellung übereinen finanziellen Zuschuss zu einem Dokumentations-zentrum bis hin zur Finanzierung einer wissenschaftli-chen Mitarbeiterstelle für die Dauer von zehn Jahrengehen, bleibt unverständlich.Vielleicht lassen sich in einem „verspätet“ stattfin-denden Fachgespräch diese Defizite beseitigen. Unswäre sehr daran gelegen, soll es doch hier nicht um par-teipolitische Interessen, sondern nach mehr als 60 Jah-ren um eine angemessene Würdigung der Opfer und ih-rer Angehörigen gehen.Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Wir freuen uns, dass der Bundestag den interfraktio-nellen Antrag zum Gedenken an die Opfer der NS-„Eu-thanasie“-Morde breit unterstützen will. Wir bedankenuns ausdrücklich für die Zusammenarbeit bei der Ausar-beitung und Diskussion des Antrags und auch dafür,dass hier mit großer Offenheit eine Initiative unsererFraktion aufgegriffen und nun gemeinsam umgesetztwird.Die Erinnerung an die NS-„Euthanasie“-Opfer, anZwangssterilisationen und weitere grausame Verbre-chen an dieser Opfergruppe ist ein wichtiger Teil in derGedenkpolitik und Erinnerungskultur. Für die gesell-schaftliche Wahrnehmung der Täter und ihrer schreckli-chen Taten und für das Gedenken an die Opfer ist eineDokumentation an dem Ort, von dem die Verbrechenausgingen, der Berliner Tiergartenstraße 4, wichtig undvon nationaler Bedeutung.Bei den Gesprächen zur Ausarbeitung des Antragshaben wir an einem Punkt etwas länger debattiert, undzwar bei der Frage, wie sich der Informationsaspekt undder Gedenkaspekt in diesem Projekt zueinander verhal-ten sollten. Wir Grüne haben uns sehr dafür eingesetzt,dass der Informationsaspekt zusammen mit dem Gedenk-aspekt deutlich herauskommt.Es gab einige Bedenken, ob eine Herausstellung desInformationsaspekts etwa bedeuten würde, am Ort vonT4 ein Museum neu zu bauen – mit allen auch finanziel-len Konsequenzen. Eine zweite Frage war, ob es nicht zueiner Inflationierung von entsprechenden Informations-orten in Berlin käme, die sich möglicherweise gegensei-tig entwerten würden.Wir glauben, dass man hier keine künstlichen Gegen-sätze zwischen Gedenken und Informieren aufmachensollte. Wir brauchen beides, und es ist gut, dass wir imAntrag gemeinsam die Aufgabe der Information aucham Ort T4 deutlich gemacht haben. Denn es geht ja ganzwesentlich auch um Information – zum Ablauf der Ver-brechen, um die Aufarbeitung auch individueller Le-bteusdbTaBofoDumsmwddRWglemzpncsleKfetinfüstua
)
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen liegen hier dem Präsidium vor.
Die Aufbewahrungsfrist für Lohnunterlagen aus
DDR-Zeiten läuft zum Jahresende 2011 ab. In dem An-
trag der Fraktion Die Linke, über den wir heute beraten,
wird die Bundesregierung dazu aufgefordert, die Aufbe-
wahrungsfrist von Unterlagen über Löhne und Arbeits-
zeiten in DDR-Betrieben über den 31. Dezember 2011
hinaus bis zum 31. Dezember 2016 zu verlängern. Diese
Unterlagen sind vor allem für die korrekte Rentenbe-
rechnung wichtig, da sie zur Klärung des Versicherungs-
kontos notwendig sind. Im Rahmen der sogenannten
Kontoklärung wird das Versicherungskonto mit allen
versicherungsrechtlich relevanten und rentenrelevanten
Daten vervollständigt.
Zur Sicherstellung der vollständigen Kontenklärung
und Vormerkung aller rentenanwartschaftsbegründen-
den Beschäftigungszeiten und Arbeitsentgelte der be-
troffenen Versicherten beschloss der Bundestag im Ok-
tober 2006, die zum Jahresende 2006 auslaufende
Aufbewahrungspflicht um fünf Jahre zu verlängern. Das
heißt also, dass die Betriebe rund 20 Jahre lang im Inte-
resse der Versicherten und der Deutschen Rentenversi-
cherung die Lohnunterlagen aufbewahrt haben. Und
das zusätzlich zu den jeweils aktuell zu speichernden
Daten. Eine solche Aufbewahrung ist vor allem mit ho-
hen Lager- und Verwaltungskosten sowie mit großem
Aufwand für die Betriebe verbunden. Es ist auch zu be-
merken, dass viele dieser DDR-Betriebe mittlerweile
nicht mehr existieren. Das bedeutet, dass ihre Rechts-
nachfolger oder auch private Firmen, wie zum Beispiel
die Rhenus Office Systems GmbH in Großbeeren, sich
um die Aufbewahrung der alten Lohnunterlagen küm-
mern.
Die Kollegen aus der Partei Die Linke haben zutref-
fend bemerkt, dass es noch nicht gelungen sei, alle Kon-
ten aufzuklären. Ich glaube jedoch, dass 20 Jahre lang
genug sind, um Kontoklärungen veranlassen zu können.
Es steht auch nicht fest, ob zur Klärung der übrigen
Konten tatsächlich im Einzelfall auf Lohnunterlagen der
DDR-Betriebe zugegriffen werden muss. Die Belastung
der Arbeitgeber ist meiner Meinung nach in diesem Fall
unverhältnismäßig, vor allem, wenn man bedenkt, dass
die Versäumnisse bei der Kontoklärung hauptsächlich
darauf zurückzuführen sind, dass die Versicherten ihrer
Mitwirkungspflicht nicht nachgehen. Ohne aktives Mit-
wirken der Versicherten selbst ist die Beschaffung von
fehlenden Unterlagen durch den Rentenversicherungs-
träger kaum möglich. Es geht hier also um eigene Ver-
antwortung und Selbstständigkeit der Versicherten.
Die Medien haben insbesondere in den letzten Mona-
ten viel darüber berichtet, dass die Aufbewahrungsfrist
zum Jahresende 2011 abläuft. Auch die Rentenversiche-
rungsträger haben mehrmals zur Kontenklärung aufge-
rufen. Am Beispiel von meiner Stadt Chemnitz kann ich
bestätigen, dass die Information für Bürger zugänglich
gemacht wurde und auf verständlicherweise zu allen In-
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Zu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16639
)
auch in den nächsten fünf Jahren keine wesentliche Ver-änderung des Sachverhalts zu erwarten sein wird.Vor diesem Hintergrund halten wir es für richtig, dassdie Unternehmen und der Bund als Rechtsnachfolgerehemaliger DDR-Betriebe die Kosten für die Aufbewah-rung der Unterlagen nicht noch für weitere fünf Jahreübernehmen sollen, nur weil etliche Bürgerinnen undBürger sich nicht um die Klärung ihres Rentenkontoskümmern.Diesen Bürgerinnen und Bürgern kann man nur ra-ten, sich um die Klärung ihres Rentenkontos zu bemü-hen. Wenn Versicherte aus der ehemaligen DDR ihreBeschäftigungszeiten möglichst genau im Kontenklä-rungsantrag angeben, kann darauf gestützt die DeutscheRentenversicherung den ehemaligen Arbeitgeber bzw.dessen Rechtsnachfolger ermitteln und eine Bestätigungder Daten erhalten. Alternativ können sich Antragstellerbis Ende dieses Jahres auch an die privaten Archivie-rungsgesellschaften wenden, die alte Lohnunterlagen li-quidierter DDR-Betriebe aufbewahren. Zudem könnenfehlende Versicherungszeiten durch eigene Dokumentesowie auch mittels Zeugenerklärungen belegt werden.Betroffene sollten sich spätestens jetzt Kopien allerpersönlichen DDR-Lohnunterlagen besorgen. Wenn derdamalige Betrieb oder dessen Rechtsnachfolger nichtmehr existieren, kann der Rentenversicherungsträgerhelfen.Wenn die Aufbewahrungsfrist dann zum Jahresendeabgelaufen sein wird, bedeutet das aber nicht, dass dieUnterlagen weggeworfen werden. Die noch bei Behör-den, Arbeitgebern und Rechtsnachfolgern von DDR-Be-trieben liegenden Dokumente werden Landes- undStaatsarchiven bzw. dem Bundesarchiv angeboten. DieBetroffenen können sich also ab kommendem Jahr andiese Stellen wenden.Auch potenziellen Antragstellern auf berufliche Re-habilitierung wird mit dem Auslaufen der Aufbewah-rungsfrist für die Lohnunterlagen keinesfalls die Mög-lichkeit der Antragstellung nach dem BeruflichenRehabilitierungsgesetz abgeschnitten. Es gibt auch Be-weiserleichterungen: Es reicht aus, wenn der Betroffeneseine Angaben zur Verfolgteneigenschaft und zur Verfol-gungszeit glaubhaft machen kann.Deshalb gibt es keinen Grund, die Aufbewahrungszeitvon Unterlagen erneut zu verlängern.
Lohnunterlagen müssen vom Arbeitgeber generell füreine Frist von sechs Jahren aufbewahrt werden. Hiervonabweichend, sind nach geltendem Recht gemäß § 28 fAbs. 5 Satz 1 SGB IV die am 31. Dezember 1991 im Bei-trittsgebiet vorhandenen Lohnunterlagen mindestens biszum 31. Dezember 2011 vom Arbeitgeber aufzubewah-ren.Diese Pflicht zur Aufbewahrung der Lohnunterlagenvon DDR-Betrieben läuft wegen Untätigkeit der Regie-rungskoalition zum Ende des Jahres aus. Eine vorherge-hdspgzmcfeNtrarelivgBkB1kDcvrfüwscddv3vtiwzaimvdDDhVadJddreGrZu Protokoll ge
Metadaten/Kopzeile:
16640 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
)
In dem vorliegenden Antrag fordert die Linke, einen
Gesetzentwurf zur Aufbewahrungsfrist der Lohnunterla-
gen von DDR-Betrieben vorzulegen, der sicherstellt,
dass die Frist über den 31. Dezember 2011 hinaus bis
zum 31. Dezember 2016 verlängert wird.
Worum geht es hier im Detail? Zum Ende dieses Jah-
res – also am 31. Dezember 2011 – läuft die Frist zur
Aufbewahrung von Lohnunterlagen nach § 28 f Abs. 5
Satz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch aus. Es han-
delt sich um eine Sonderregelung für die Aufbewahrung
von Lohnunterlagen für abhängig Beschäftigte aus der
ehemaligen DDR. Diese Regelung umfasst Lohnunterla-
gen, die am 31. Dezember 1991 in den neuen Bundeslän-
dern vorhanden gewesen sind. Grundsätzlich müssen
Lohnunterlagen nach § 28 f Abs. 1 SGB IV in Verbin-
dung mit § 28 p SGB IV für fünf Jahre aufbewahrt wer-
den, um den Rentenversicherungsträgern zu ermögli-
chen, die Arbeitgeber im Hinblick auf ihre Meldepflicht
und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV zu über-
prüfen.
Für abhängig Beschäftigte in der ehemaligen DDR
dienen diese Lohnunterlagen zur Klärung ihres Renten-
versicherungskontos. Erschwerend ist bei diesem Perso-
nenkreis hinzugekommen, dass sie oftmals keine ausrei-
chenden eigenen Nachweise über ihre Beschäftigung
erbringen konnten. Die Klärung des Versicherungskon-
tos erfolgt auf Antrag des Betroffenen bei der Deutschen
Rentenversicherung. Die Betroffenen wurden in den ver-
gangenen 20 Jahren mehrfach persönlich angeschrie-
ben und über Pressemitteilungen in den gängigen Me-
dien von den Rentenversicherungsträgern für die
Problematik sensibilisiert, die nötigen Anträge vor
Fristablauf einzureichen. Eine vollständige Renten-
berechnung setzt ein vollständiges Versicherungskonto
voraus. Die ursprüngliche Aufbewahrungsfrist ist im
Jahr 2006 ausgelaufen. Mit Rücksicht auf die hohe An-
zahl Beschäftigter, die noch keinen Antrag auf Konten-
klärung eingereicht hatten, wurde die Frist bis zum
31. Dezember 2011 verlängert.
Bezogen auf den Antrag der Linken bedeutet das für
uns als FDP-Fraktion, dass wir keinen Grund für eine
erneute Fristverlängerung sehen. Schon die Verlänge-
rung der Frist im Jahre 2006 war für uns in vielerlei
Hinsicht strittig. So müssen zum Beispiel Arbeitgeber
bzw. der Bund als Rechtsnachfolger der abgewickelten
DDR-Staatsunternehmen die Lohnunterlagen mit erheb-
lichen Kosten aufbewahren – nach den aktuellen Vorga-
ben 15 Jahre über die „reguläre“ Zeit von fünf Jahren
hinaus. Sämtliche Jahrgänge mit Wohnsitz oder Zeiten
im Beitrittsgebiet sind in den Jahren 2005 bis 2007 auf-
gerufen worden, einen Antrag auf Kontenklärung zu
stellen. Im Jahr 2006 wurden alle Betroffenen auf die
Notwendigkeit einer Kontenklärung bezüglich der Zei-
ten in der früheren DDR hingewiesen. Auch im Zuge der
jährlich wiederkehrenden Versendung der Renteninfor-
mation sind alle Versicherten erneut persönlich auf das
Erfordernis einer Kontenklärung hingewiesen worden.
Ein Großteil der Betroffenen ist dem bislang auch nach-
gekommen. Darüber hinaus hat auch in diesem Jahr die
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16641
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16642 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung,DRV, Bund sowie der DRV Berlin-Brandenburg, derDRV Mitteldeutschland und der DRV Nord gibt es rund648 000 ungeklärte Rentenkonten von Versicherten inden ostdeutschen Bundesländern. Nicht erfasst sind indiesen Zahlen diejenigen, die nach Herstellung der Ein-heit von Ost nach West gingen. Laut Statistischem Bun-desamt waren das allein bis 2008 mehr als 2,7 MillionenMenschen. Es ist leider nicht davon auszugehen, dassalle ihre Rentenangelegenheiten geklärt haben.Natürlich resultieren nicht alle Lücken in Rentenkon-ten aus Zeiten der Berufstätigkeit in der DDR. Aber dieDeutsche Rentenversicherung Nord zum Beispiel schätztfür Mecklenburg-Vorpommern, dass von den 57 900 of-fenen Konten etwa 45 000 wegen fehlender Unterlagenaus DDR-Zeiten noch nicht abschließend geklärt wer-den konnten. Das sind mehr als drei Viertel.Noch einige Worte zu zwei speziellen Gründen, dieLohnunterlagen zugänglich zu halten. Erstens geht esum diejenigen, die sich in Klageverfahren befinden. Siemüssen erfahrungsgemäß häufig weitere Belege beibrin-gen. Zweitens gibt es den Personenkreis, der nach even-tuellen gesetzlichen Korrekturen mit hoher Wahrschein-lichkeit weitere Originaldokumente vorlegen muss.Beide Gruppen brauchen zur Wahrnehmung ihrerRechte den weiteren Zugang zu den Lohnunterlagen.Die Bundesregierung hat mich auf die Glaubhaftma-chung nach SGB VI verwiesen. „Hierdurch werdenNachteile in der Rentenhöhe abgemildert, wenn derNachweis von Versicherungszeiten nicht gelingt“, hießes in einer Antwort. Konkret ist eine Glaubhaftmachungmit einem Verlust von einem Sechstel des eigentlichenAnspruchs verbunden. Das wäre eine Belastung vor al-lem für diejenigen, die längere Zeiten von Arbeitslosig-keit hinnehmen mussten und deren Renten ohnehinschmal ausfallen dürften.Im Übrigen gibt es Menschen, für die selbst eineGlaubhaftmachung schwer, wenn nicht gar unmöglichist, zum Beispiel Menschen, die in die Bundesrepublikgeflüchtet waren – nachvollziehbarerweise ohne alleUnterlagen – und die heute nur noch vage Erinnerungan genaue Beschäftigungszeiten und an das Einkommenhaben.Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfrak-tionen, entschließen Sie sich wie schon im Jahr 2006 zueiner Gesetzesänderung, um die Frist nochmals zu ver-längern! Ändern Sie wie damals den § 28 f Abs. 5 desSGB IV! Ersetzen Sie das darin enthaltene Datum„31. Dezember 2011“ durch den „31. Dezember 2016“.So einfach wäre die Gesetzesänderung! Sie wäre nichtnur für zahlreiche Versicherte, sondern auch für dieDeutsche Rentenversicherung gut, denn deren Aufwandzur Feststellung von Rentenansprüchen würde sich ohneden weiteren Zugang zu den Lohnunterlagen massiv er-höhen.
Altersarmut droht besonders in Ostdeutschland. Dortdrohen nach Berechnungen des DIW aufgrund der an-haltend hohen Arbeitslosigkeit und der Absenkung desRnisLzJteDdDcss2vngdInabLvdkscdRksvihbLzbafoEcurgbdDndhzDfüed
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16643
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Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 25 sowie denZusatzpunkt 6:25 Beratung des Antrags der Abgeordneten MarkusTressel, Cornelia Behm, Harald Ebner, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKontaminierte Kabinenluft in Flugzeugen un-terbinden– Drucksache 17/7480 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für GesundheitAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussFederführung strittigZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Ulrike Gottschalck, HeinzPaula, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPDFlugzeugbesatzungen und Reisende vor konta-minierter Kabinenluft schützen– Drucksache 17/7611 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für GesundheitAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussFederführung strittigWie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-ginnen und Kollegen liegen hier dem Präsidium vor.
Lassen Sie mich zunächst die vorliegenden Anträge
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der SPD-
Fraktion und die diesbezügliche Debatte nutzen, um klar
zu verdeutlichen, dass die Bundesregierung ihrer Ver-
antwortung im Bereich des Luftverkehrs nachkommt.
Die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik, seien
sie Beschäftigte bei Fluggesellschaften oder Passagiere
an Bord von Luftfahrzeugen, werden mit einer verant-
wortungsbewussten und nachhaltigen Luftverkehrspoli-
tik begleitet. Als Grundlage aller gesetzlichen Rahmen-
bedingungen genießen dabei die Sicherheit des
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verkehr zuständige Internationale Zivilluftfahrtorgani-
sation, ICAO, die sich bereits Anfang Oktober 2010 mit
der Thematik beschäftigt hat, erkennt keinen Grund für
Veränderungen. Selbiges gilt für die EASA, die diesbe-
züglich bereits 2009 einen umfassenden Konsultations-
prozess begonnen hat, dessen Ergebnisse öffentlich und
auf der Internetseite der Behörde einsehbar sind. Auch
gegenwärtig liegen beiden Organisationen keine kon-
kreten Hinweise auf eine Gesundheitsgefährdung von
Passagieren oder Besatzungsmitgliedern durch konta-
minierte Kabinenluft vor.
Selbst die zuständige Berufsgenossenschaft für
Transport und Verkehrswirtschaft befasst sich seit dem
Jahr 2008 eingehend mit der Frage möglicher Gefähr-
dungen des Personals durch belastete Luft in Flugzeug-
kabinen, auch in enger Zusammenarbeit mit dem Institut
für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallver-
sicherung, IFA. Um einen möglichen Zusammenhang
von Gesundheitsbeeinträchtigungen und der beruflichen
Tätigkeit zu untersuchen, wurde unter anderem das welt-
weit größte TKP-Biomonitoring-Projekt initiiert, das
nun kurz vor dem Abschluss steht. Bis heute konnten
nach Auswertung eines Großteiles der Proben in keinem
einzigen Fall Konzentrationen des in den Anträgen the-
matisierten Öladditivs Trikresylphosphat TKP festge-
stellt werden, die Gesundheitsbeschwerden begründen
könnten.
Lassen Sie mich abschließend zusammenfassen, dass
die Thematik der kontaminierten Kabinenluft durchaus
aktuell ist, die vorliegenden Anträge und die darin ent-
haltenen Forderungen ebenso wie die mediale Bericht-
erstattung aber mit der gegenwärtigen Sachlage nicht
vereinbar sind. Entgegen den Ansichten der Opposi-
tionsfraktionen sieht die CDU/CSU-Fraktion keinen
Handlungsbedarf und teilt die Auffassung der Bundesre-
gierung, dass die bereits bestehenden Untersuchungen,
Meldepflichten und Verfahren zur Störungsbehebung
ausreichen, um – im Falle von Missständen und Fehlver-
halten – weitere Schritte einleiten zu können. Nicht zu-
letzt die umfangreiche Auseinandersetzung mit der The-
matik seitens zuständiger Behörden wie der EASA oder
auch der zuständigen Berufsgenossenschaft belegt, dass
eine mögliche Gefahr durch verunreinigte Kabinenluft
seit Jahren immer wieder verantwortungsbewusst und
ergebnisoffen untersucht wird. Eine Veranlassung, über
die bereits bestehenden und angemessenen Zuständig-
keiten und Aktivitäten hinaus Maßnahmen vorzuschrei-
ben, ist daher nicht gegeben. Die vorliegenden Anträge
lehnen wir dementsprechend ab.
Am 21. September hat der Tourismusausschuss sichin einem Expertengespräch ausführlich dem komplexenThema der „fume-events“ in Passagierflugzeugen undder damit in Zusammenhang gebrachten Kontaminie-rung der Kabinenluft gewidmet. Im vergangenen Jahrhat die Bundesregierung in diesem Kontext auch denTourismusausschuss zu den gesundheitlichen Gefahrendes aerotoxischen Syndroms unterrichtet. Dies zeigt,dass wir uns alle der Problematik verunreinigter Kabi-nenluft bewusst sind und es auch als potenzielle Gefah-regzSrdFssfüudgdEgtuagGzwsDsnRuTsFBfrdvetuFbmreowAvETfekbCmslituZu Protokoll ge
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16644 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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In diesem Zusammenhang stellt auch die Begriffsver-wendung von „neurotoxologisch bedenklichen Ölen“eine tendenzielle und pauschalisierte Bewertung derbislang verwendeten Öle dar. Damit soll ein kausalerZusammenhang zwischen den verwendeten Ölen und ge-sundheitlichen Beeinträchtigungen von Fluggästen oderdem Flugpersonal impliziert werden. Das ist aber derzeitnicht nur wissenschaftlich nicht nachweisbar, sondernauch durch die bislang vorhandenen Untersuchungs-ergebnisse in keiner Weise untermauert. Vielmehr spre-chen eben diese Ergebnisse dezidiert gegen einen kausa-len Zusammenhang zwischen den sogenannten fume-events und den in Urinproben festgestellten untergrenz-wertigen TCP-Belastungen.Gleichwohl wird in dem Antrag gefordert, diese be-denklichen Öle durch andere, als weniger bedenklichbezeichnete auszutauschen. Offen bleibt dabei, welchedas sein sollen. Denn auch hier ist es ein feststehendesFaktum, dass die bislang verwendeten Öle und Betriebs-mittel ausführlich erprobt und auch hinreichend be-währt sind. Mir scheint es dagegen viel mehr ein Risikodarzustellen, diese durch vermeintlich unbedenklicherezu ersetzen, die nicht annähernd so gut untersucht undim Einsatz bewährt sind. Der Nutzen einer Maßnahme,die etwas Bewährtes durch etwas noch nicht Bewährtesersetzt, erschließt sich mir nicht.Ebenso sind die Forderungen zu den Bauvorschriftennicht hinlänglich stringent, weder im Fall der geforder-ten Detektoren noch der entsprechenden Filter. Einer-seits erscheint mir die Forderung, Bau- und Konstruk-tionsvorschriften zu erlassen, ohne eine schlüssig undempirisch nachgewiesene Ursache-Wirkung-Kette zuhaben, ein Stück weit unredlich. Andererseits sind die in-frage kommenden zu detektierenden oder zu filterndenStoffe so vielfältig, dass dies in technischer Hinsicht eineaußerordentlich breite anspruchsvolle Anforderung dar-stellt. Derzeitig verfügbare Detektoren können bei ent-sprechender Kalibrierung rund zehn unterschiedlicheStoffe aufspüren. Wie in der Expertenanhörung deutlichwurde, umfasst allein die Gruppe der unter dem Sam-melbegriff Trikresylphosphat zusammengefassten Stoffezehn unterschiedliche Isomere. Dabei kann deren Kon-zentration in der Kabine hinsichtlich ihrer Kausalitätfür Beschwerden derzeit nicht wissenschaftlich fundiertunterstellt werden. Demzufolge ist das Spektrum infragekommender Stoffe eventuell noch breiter. Zum anderensind aber auch die Expositionsquellen der unter demGrenzwert liegenden TCP-Konzentrationen, wie zumBeispiel in den Kabinen verwendete Kunststoffe, vielfäl-tiger, als der Antrag glauben macht, und vielfältiger, alsdass man dem Ganzen mit Zapfluftfiltern begegnenkönnte. Der Antrag der SPD-Fraktion bemüht sich mitweniger Pauschalisierungen um einen sachlicherenUmgang mit dieser sensiblen Materie. Gleichwohl be-trachtet er das Problem ebenfalls allein aus einer Blick-richtung und räumt den bislang vorhandenen wissen-schaftlichen Erkenntnissen ebenfalls keinen Raum ein.Wenngleich ich in meinen Ausführungen die vielfälti-gen Forderungen der Anträge ablehne und an derenSachdarstellung Kritik übe, dann jedoch nicht, weil ichauch die grundsätzliche Zielsetzung ablehne. Nein, dennasdvnszdseLducbzvdVknefüsbdPpwfürnshEbüuteddwnnKSbgleDnDzZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16645
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saugt werden und danach in die Kabinenluft gelangen.Im Triebwerksöl enthalten sind verschiedene Additive,unter anderem das hoch giftige Trikresylphosphat, TKP,englisch TCP. Gelangen diese Rückstände in die Kabi-nenluft, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sieernste gesundheitliche Beeinträchtigungen wie ste-chende Schmerzen in Armen, Händen, Füßen, Schwin-del, Taubheitsgefühle, Muskelschwäche, chronischeMüdigkeit, Asthma, Schädigungen des Nervensystems,Krebs etc. hervorrufen können. Einwirkungen auf dasServicepersonal für die Reinigung der Flugzeuge amBoden sind nicht ausgeschlossen.Bislang ist es für das betroffene Flugpersonal schwer,zu beweisen, dass langfristige gesundheitliche Schädendurch das Einatmen bzw. anderweitige Aufnahme vonGiftstoffen während der Tätigkeit an Bord verursachtwurden, denn bislang fehlt der wissenschaftliche Beweiseiner Kausalkette für die Auswirkungen von kontami-nierter Kabinenluft auf die menschliche Gesundheit.Eine Erkrankung mit den beschriebenen Symptomen,das „Aerotoxische Syndrom“, wurde bislang von denBerufsgenossenschaften nicht als Berufskrankheit desfliegenden Personals klassifiziert. Hier besteht dringen-der Klärungsbedarf, in diesem Sinne ist unser Antrag zuverstehen.Vorfälle infolge kontaminierter Kabinenluft treten un-vorhergesehen auf. Häufig besteht keine Klarheit da-rüber, wann es sich um eine Störung bzw. schwere Stö-rung nach § 5 der Luftverkehrs-Ordnung, LuftVO,handelt. Stellungnahmen des Flugpersonals und aktuelleMedienberichte lassen darauf schließen, dass das Perso-nal im Hinblick auf diese Vorfälle bislang nur ungenü-gend aufgeklärt und geschult wurde. Gemäß § 5 der Luft-verkehrs-Ordnung, LuftVO, sind „smoke/fume-events“dem Luftfahrtbundesamt, LBA, bzw. der Bundesstelle fürFluguntersuchungen, BFU, anzuzeigen. In 2010 wurdenbei der BFU zwar von einer deutschen Airline 60 Öl-dampf-Störfälle gemeldet, vergleiche „Spiegel“-Aus-gabe 9/2011. Dennoch besteht offensichtlich eine Dis-krepanz zwischen den in den Medien berichtetenVorfällen, bei denen kontaminierte Kabinenluft vermutetwurde, und den tatsächlich bei der BFU angezeigtenStörfällen. Auch hier besteht dringender Aufklärungsbe-darf. Das Expertengespräch hat ergeben, dass die Sach-verständigen die Existenz eines „Problems“ bestätigthaben. In der Frage der Folgen von kontaminierter Ka-binenluft auf Flugsicherheit und Gesundheit gab es un-terschiedlich Bewertungen. Die SPD-Bundestagsfrak-tion geht davon aus, dass die Flugzeugindustrie und dieFluggesellschaften, aber auch die Flugsicherheitsbe-hörden ein großes Interesse an der weiteren Ursachen-forschung und an technischen Lösungen haben.Der SPD-Bundestagsfraktion fehlen Handlungsan-weisungen zur technischen Aufklärung der Ursachendieser Erscheinung auf der Basis gesicherter Erkennt-nisse und wissenschaftlich-technischer Forschungser-gebnisse. Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesre-gierung daher auf, entsprechend tätig zu werden. Wirerwarten von der Bundesregierung, dass nun endlich um-fassende Langzeitmessungen zur Belastung der Kabinen-luft mit Organophosphaten und anderen SchadstoffenvwzhwgvaletesvfüprsdTwfüaLwZvtihwwdtrdntePdTbbgarezhKInlehdbMVtrDDZu Protokoll ge
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16646 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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Kabinenluft voranzutreiben. Dies ist ein globalesThema. Deshalb ist es notwendig, dass sich die Bundes-regierung auch auf EU-Ebene und international dafüreinsetzt, dass Untersuchungen zu diesem Thema durch-geführt und daraus abgeleitete einheitliche Standardsfür die Qualitätssicherung der Kabinenluft sowie ent-sprechende Prüfverfahren vereinbart werden. Wir kön-nen uns in Kenntnis der Vorkommnisse mit den derzeiti-gen fachlichen Bewertungen durch die EASA nichtzufrieden geben.Ich bitte Sie im Interesse der Flugzeugbesatzungenund der Passagiere unseren Antrag zu unterstützen.
Die von Bündnis 90/Die Grünen und SPD vorgeleg-ten Anträge sind ein hervorragendes Beispiel dafür, wieHysterie verbreitet wird. Wer die Antragstexte liest, be-kommt den Eindruck, als ob Fluggäste und Flugperso-nal geradezu reihenweise vergiftet werden. Es heißtsogar, dass ein „enormes Risiko für die Flugsicherheitbestünde“.In Deutschland starten und landen jedes Jahr fastdrei Millionen Flugzeuge. Zahlen, die auch nur ansatz-weise eine Gefahr für die Flugsicherheit durch kontami-nierte Kabinenluft hergeben, lassen sich nicht finden.Die Europäische Agentur für Flugsicherheit EASA hatim Mai 2011 festgehalten, dass es zum Thema Kabinen-luft bezogen auf die Sicherheit keinen Vorfall gebe, dereine sofortige oder generelle Vorschriftenänderungrechtfertigt. Ebenso wenig gibt es Erkenntnisse übergroßflächige Vergiftungen. Insofern stellt sich die Frage,ob hier nicht Panik geschürt wird, die der Sache unan-gemessen ist.Stattdessen wird von den Grünen auch noch der Ver-dacht geschürt, die Luftverkehrsbranche würde Rechts-bruch begehen. Es heißt da im Antrag, die Bundesregie-rung solle „die Einhaltung aller Rechtsvorschriftenfordern“. Oder wollen Sie behaupten, dass die Bundes-regierung kein Auge darauf hat, dass geltendes Rechteingehalten wird?Natürlich, die Möglichkeit, dass Kabinenluft in Flug-zeugen kontaminiert wird, darf nicht einfach beiseite ge-wischt werden. Es besteht aber nicht, wie von Ihnen,liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, darge-stellt, akuter Handlungsbedarf. Die Ergebnisse derEASA, die sich mit dem Thema beschäftigt, sind öffent-lich. Die EASA will weitere Studien auf den Weg brin-gen. Es ist nicht nötig, wie von Ihnen gefordert, weitereumfangreiche Testreihen auf den Weg zu bringen. DieseForderung ist schlicht unangemessen und unverhältnis-mäßig.Ich weise Sie auch darauf hin, dass die Industrie die-ses Thema schon lange auf dem Schirm hat. Sowohl dieFluggesellschaften als auch die Flugzeughersteller be-schäftigen sich intensiv mit der Problematik. Dabei sindStudien sowohl der Fluggesellschaften selbst als auchder Berufsgenossenschaft ohne Befund geblieben. DieHersteller arbeiten bereits an Lösungen, die die schonjeunsekenjelidwmGmnhqAdsdkzgfadBvHstrtelägeMbdmgzwecvFtecudsbZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16647
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Immer wieder berichten Fluggäste und die Besatzun-
gen von Flugzeugen von störenden, chemischen Gerü-
chen und Rauch- oder Gaserscheinungen in der Kabine.
Diese sogenannten Fume Events oder Smoke Events
werden ausgelöst durch das Ansaugen von verdampften
Ölrückstanden durch die Frischluftzufuhr des Flugzeu-
ges. Dieses Triebwerksöl enthält unter anderem das
hochgiftige Kresylphosphat, weshalb die Kontamination
der Kabinenluft durch Ölrückstände im dringenden Ver-
dacht steht, für eine Reihe akuter Beschwerden und
chronischer Erkrankungen von Kabinenpersonalperso-
nal verantwortlich zu sein.
Unser im Tourismusausschuss durchgeführtes Exper-
tengespräch hat uns zum Thema aufschlussreiche wie
erschreckende Erkenntnisse gebracht. Hierbei bewegen
mich besonders zwei Aspekte: Die Belange der Betroffe-
nen, die als fliegendes Personal dem Schadstoff Kresyl-
phosphat möglicherweise über Jahre in gesundheits-
schädlichen Konzentrationen ausgesetzt waren. Zum
Zweiten, wie eine Kontamination zukünftig wirksam
ausgeschlossen werden kann.
Ich komme zunächst zum fliegenden Personal. Wie im
Expertengespräch deutlich wurde, haben Angestellte
der Luftfahrtbranche große Schwierigkeiten bei der Be-
weisführung, dass infrage kommende Erkrankungen
durch eine Kontamination der Kabinenluft durch Kresyl-
phosphat ausgelöst wurden. Dies liegt zum einen daran,
dass ein Nachweis über die Aufnahme von Kresylphos-
phat in den Körper und ein Zusammenhang mit chroni-
schen Erkrankungen aus medizinischer Sicht schwer zu
führen ist. Auf der anderen Seite – und dies wiegt schwe-
rer – zögern viele Kabinenbeschäftigte aufgrund von
Klauseln in ihrem Arbeitsvertrag damit, ihre Beschwer-
den untersuchen zu lassen; denn sollte ein Arzt die Flug-
unfähigkeit eines Beschäftigten feststellen, ist dieser sei-
nen Job los. Ohne beweisen zu können, dass seine
Flugunfähigkeit durch die berufliche Tätigkeit verur-
sacht wurde, bedeutet dies den wirtschaftlichen Ruin.
Hier muss die rechtliche Situation dringend zugunsten
der Beschäftigten angepasst werden.
Wie kann es aus technischer Sicht überhaupt zu einer
solchen Kontamination der Kabinenluft durch Rück-
stände von Triebwerksöl kommen? Die Antwort ist in
der Tat bemerkenswert: Die Luft für die Triebwerke des
Flugzeuges und die Luft zur Belüftung der Kabine wird
dem Flugzeug durch ein und dasselbe Ansaugsystem zu-
geführt, wodurch im Störungsfalle Substanzen aus dem
Treibwerk in die Luftzufuhr gelangen können. Die Zu-
sammenführung der Luftversorgung von Triebwerk und
Kabine ist allerdings keine technische Notwendigkeit,
sondern lediglich Kostengrünen geschuldet. Eine Tren-
nung in zwei voneinander getrennte Systeme ist tech-
nisch ohne Weiteres möglich und würde die sogenannten
Fume/Smoke-Events wirksam ausschließen.
Aus Sicht der Linken sind folgende Maßnahmen im
Umgang mit kontaminierter Kabinenluft erforderlich:
langfristig angelegte unabhängige Untersuchungen zur
Häufigkeit der sogenannten Fume/Smoke-Events; Maß-
nahmen zur Luftgütesicherung in Kabinen durch Instal-
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16648 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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Besatzungen noch den Airlines selbst, wenn man sich ei-nem derartigen Problem nicht stellt und stattdessen eineWagenburg baut und versucht, das Thema auszusitzen.Es bringt aber auch nichts, ausschließlich zurückzu-schauen. Ich appelliere an die Airlines, aber auch an dieFlugzeughersteller, den Dialog unaufgeregt und sach-lich zu führen und mit der Politik gemeinsam eine Lö-sung zu finden. Wir haben mit unserem Antrag Lösungs-vorschläge gemacht, die auch die Industrie nichtüberfordern, aber für mehr Sicherheit und Gesundheits-prävention im Flugverkehr sorgen. Und das ist nicht nurim Interesse zufriedener Fluggäste und Besatzungsmit-glieder, sondern auch im ökonomischen Interesse derFluggesellschaften.Ich möchte mich hier noch einmal kurz auf die Öl-dämpfe konzentrieren. Wie kommen die eigentlich in dieKabine? Vereinfacht dargestellt: Fast alle Flugzeugezapfen die Luft an den Triebwerken ab. Darin werdenÖle benutzt. Und in den Ölen befinden sich Additive, dietoxisch wirken. Wenn diese Öle erhitzt werden undDampf bilden, kann dieser in die Kabinenluft gelangen.Lediglich eine Dichtung trennt mit Öl geschmierte Teiledes Triebwerkes von der Kabinenluft. Solche Dichtun-gen lassen konstruktionsbedingt bei Lastwechseln quasiimmer zumindest geringe Mengen an Öldampf durch,der dann in die Kabinenluft gelangt. So wurde auch eineBelastung von neurotoxischen Stoffen im Normalbetriebdurch das norwegische Staatsinstitut für Arbeitsumweltfestgestellt. Dieser Mechanismus ist meines Erachtensschon rein aus der Logik heraus extrem fragwürdig. Wa-rum zapft man „Frischluft“ in Triebwerken ab, die nunmal auf Öle etc. angewiesen sind? Nun gut: Dieses Pro-blem wird man nicht von heute auf morgen lösen können.Lösungsansätze haben wir Ihnen präsentiert. Und nichtzuletzt der Dreamliner zeigt mit seiner Abkehr vomZapfluftmechanismus, wohin die Reise technisch geht!Qualitätsstandards der Kabinenluft sind bezogen aufdie drei Gefahrenquellen TCP, Ozon und Pestizide nichtvorhanden. Stattdessen ist es laut den Bestimmungen so-gar zulässig, Passagiere bei 60 Grad Celsius zu beför-dern. Das macht doch deutlich, dass wir hier Hand-lungsbedarf haben. Das LBA erweist sich bislang nichtals verantwortungsbewusst. Bis zuletzt begnügte sich dieAufsichtsbehörde mit erst auf Nachfrage gemeldetenFällen von meldepflichtigen Ereignissen. Das kann nichtgeduldet werden. Das widerspricht auch nicht zuletztdem europäischen Recht!Kurzum: Öldampf hat nichts in der Kabine zu suchen.Ozon hat nichts in der Kabine zu suchen. Und Pestizidehaben auch nichts in der Kabine zu suchen, wenn Passa-giere darin sitzen.Fälle, bei denen Personal ausfällt und Störungen,welcher Art auch immer, festgestellt werden, sindschwere Störungen! Daran gibt es nichts zu deuteln.Aber durch zögerliches Meldeverhalten werden hier un-abhängige Untersuchungen verhindert. Weitere Unter-suchungen seien auch gar nicht nötig, so die Wirtschaftbislang; denn eigene Tests würden beweisen, dass nochnie etwas gefunden worden wäre. Ist ja erstaunlich,fragt man sich da. Nicht nur, dass Testverfahren undSdaNugtasInbfeandPnbADNwüFeetrWgTSuLzcaPmgPdLuBrADoFFdeus
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16650 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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Ich lasse zunächst abstimmen über die Überweisungs-vorschläge der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünenund der Sozialdemokraten, also über die Federführungbeim Tourismusausschuss. Wer stimmt für diese Über-weisungsvorschläge? – Das sind die SPD-Fraktion,Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Wer stimmtdagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthal-tungen? – Keine. Die Überweisungsvorschläge sind ab-gelehnt.Ich lasse nunmehr abstimmen über die Überwei-sungsvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und FDP,also über die Federführung beim Ausschuss für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung. Wer stimmt für diese Über-weisungsvorschläge? – Das sind die Koalitionsfraktio-nen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die drei anderenFraktionen in der Opposition. Enthaltungen? – Keine.Überweisungsvorschläge sind angenommen.Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 26 sowie denZusatzpunkt 7:26 Beratung des Antrags der Abgeordneten SevimDağdelen, Jan Korte, Matthias W. Birkwald, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE50 Jahre deutsch-türkisches Anwerbeabkom-men – Assoziationsrecht wirksam umsetzen– Drucksache 17/7373 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussRechtsausschussAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Innenausschusses zudem Antrag der Abgeordneten Memet Kilic,Josef Philip Winkler, Marieluise Beck ,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENVisumfreie Einreise türkischer Staatsangehö-riger für Kurzaufenthalte ermöglichen– Drucksachen 17/3686, 17/5989 –Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard GrindelDaniela Kolbe
Hartfrid Wolff
Ulla JelpkeMemet KilicWie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-ginnen und Kollegen liegen hier vor.
Bereits in der vergangenen Plenarwoche haben wir
im Plenum ausführlich über den 50. Jahrestag des
deutsch-türkischen Anwerbeabkommens debattiert. Un-
verständlich ist es deshalb, dass nun mit einiger Verspä-
tung im Antrag der Linksfraktion dazu noch einmal die-
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lich behauptet, die Bundesregierung würde ihnen Rechte
vorenthalten.
Das ist nun aber keineswegs der Fall. Wenn wir zum
Beispiel über das Wahlrecht sprechen, dann ist festzu-
halten, dass alle diejenigen, die die deutsche Staatsan-
gehörigkeit erworben haben – was auf die meisten der
ehemaligen Gastarbeiter zutrifft –, das Recht und die
tatsächliche Möglichkeit haben, in Deutschland auf al-
len Ebenen zu wählen. Auch haben sich für diejenigen,
die sich offen für Deutschland entschieden haben, seit
dem „Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat und
zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat“ keine
Verschlechterungen ergeben:
Für Deutschland wie für die Türkei war das Anwer-
beabkommen ohne jeden Zweifel ein Gewinn. Die Zu-
wanderer haben großen Anteil am Erfolg der deutschen
Wirtschaft. Der Umgang mit Gastarbeitern, die im
Grunde, was damals noch keiner wusste, Einwanderer
waren, war der Bundesrepublik damals noch fremd.
Deshalb haben alle damaligen Parteien, auch wir, in der
Integrationspolitik – aus heutiger Sicht – zweifellos
auch Fehler gemacht. Aber gerade in den letzten Jahren
hat sich die Bundesregierung mit aller Kraft für eine
bessere Integration eingesetzt. Wir wollen den Migran-
ten eine gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen und so
den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland
stärken. Deshalb haben wir in der Integrationspolitik
bewusst umgesteuert. Wir fördern die Integration der
Migrationsbevölkerung mit allen Mitteln, fordern zu-
gleich aber auch deren aktive Mitarbeit an der Integra-
tion ein. Das beste Beispiel hierfür sind die verpflichten-
den Integrationskurse, die sich zum weit überwiegenden
Teil auf die Vermittlung der deutschen Sprache konzen-
trieren, die – unstreitig – das Fundament des Miteinan-
ders in Deutschland ist. Nur wer die deutsche Sprache
spricht, kann sich in unsere Gesellschaft einfinden und
mit den Mitmenschen kommunizieren, und ist damit
fähig zu Teilnahme und Teilhabe. Darüber hinaus erfor-
dern der Zusammenhalt und die Weiterentwicklung un-
serer Gesellschaft eine sinnvolle Steuerung der Migra-
tion, was auch integrationspolitische Maßnahmen sowie
die Neuzuwanderung begrenzende Maßnahmen mit ein-
schließt.
Ich stimme meinem Kollegen Stephan Mayer zu, der
am 26. Oktober erklärte, dass mit dem sehr würdigen
Begehen dieses Jahrestages deutlich wird, das es tradi-
tionell eine enge Freundschaft zwischen der Türkei und
Deutschland gibt. Zum 50. Jahrestag sollten wir uns
deshalb vor allem vornehmen, noch stärker darauf hin-
zuwirken, Missverständnisse und Vorurteile abzubauen.
Die Fraktion Die Linke strebt mit ihrem Antrag jedoch
genau das Gegenteil an, und das konnte und kann unsere
Zustimmung gestern, heute und morgen nicht finden.
50 Jahre deutsch-türkisches Anwerbeabkommen: Werhätte vor 50 Jahren gedacht, dass dies einmal ein Datumsein wird, das wir bewusst in Deutschland begehen undfeiern werden?suFanaaHsDk„kdwlerenAStamsLGWgsskutuwsAtepg1hslatefüuuwugmDemnPZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011 16651
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sierend reden und debattieren, für die jungen Menschender 3. und 4. Generation kein Thema mehr. Integration –für sie ist sie selbstverständlich.Warum ist das so? Ganz einfach: Sie sind hier gebo-ren, aufgewachsen, sie gehen hier zur Schule, machenihre Ausbildung und sie arbeiten. Kurzum: Für sie istDeutschland ebenso ihr Zuhause, wie vielleicht die Tür-kei, das Herkunftsland ihrer Eltern. Sie sind beides. Siesind deutsch und türkisch. In eine Schublade lassen siesich nicht drängen. Darum ist es für sie auch unver-ständlich, dass sie sich entscheiden sollen, wie sie sichfühlen. Was macht es für einen Sinn, diese jungen Leutezu zwingen, sich zu entscheiden und eine der beidenSchubladen abzuschließen? Das macht keinen Sinn. DasFesthalten an der Optionspflicht, bei der junge Men-schen zu einer Entscheidung gezwungen werden, die siegar nicht treffen sollten, zeigt, wie weit wir von einer an-erkennenden respektvollen Willkommenskultur entferntsind.Wir diskutieren heute zum zweiten Mal über 50 JahreGastarbeiterabkommen mit der Türkei. Nach einer ver-einbarten Debatte in der letzten Sitzungswoche sindheute Anträge der Grünen und der Linken der Anlass.Vielen Dank, dass sie uns einen zweiten Anlass zur De-batte geben, denn auch 50 Jahre nach der Unterzeich-nung des Abkommens gibt es noch genug offene Themen,über die es zu diskutieren lohnt. Die Grünen thematisie-ren in ihrem Antrag die Visapraxis gegenüber türkischenStaatsangehörigen. Und in der Tat, laut Assoziationsab-kommen zwischen der Türkei und der EU müssten zahl-reiche türkische Reisende ohne Visum, zum Beispiel fürKurzaufenthalte, nach Deutschland einreisen können.Die aktuelle Praxis sieht jedoch wie so oft ganz andersaus.An die Adresse der schwarz-gelben Bundesregierungsage ich: Wir brauchen hier endlich eine Debatte undeine Anpassung des deutschen Rechts an die Lebens-wirklichkeit und vor allem an EU-Vorgaben. Deshalbstimmen wir als SPD dem Grünen-Antrag auch zu.Anders verhält es sich jedoch bei dem Antrag der Lin-ken. Zwar spricht auch dieser in der Tat viele Punkte an,über die es sich lohnt zu diskutieren: den Spracherwerbvor Ehegattennachzug etwa oder die absurde Verlänge-rung der Ehebestandszeit durch Schwarz-Gelb. An an-deren Stellen geht uns ihr Antrag jedoch zu weit, liebeKolleginnen und Kollegen von den Linken. Sie fordernein Wahlrecht auf allen Ebenen. Ich gehe einmal davonaus, Sie meinen Bund, Land und Kommune. Das schießtfür uns als SPD-Fraktion übers Ziel hinaus. Wir fordernschon seit langem endlich ein Wahlrecht für Drittstaats-angehörige auf kommunaler Ebene. Dafür sollten wirgemeinsam streiten; aber wir sollten den ersten Schrittvor dem zweiten machen und nicht umgekehrt.Zudem, liebe Linke, wollen sie die Gebühren für dieErteilung von Aufenthaltstiteln auf den Stand von 1980senken. Bei allem Respekt: Als SPD sind wir zwar eben-falls der Ansicht, dass die Gebühren sozial gestaltet undbezahlbar sein müssen. Diese Ihre Forderung schießtaber auch hier weit übers Ziel hinaus. Denn immerhingtrTdnnegleevjädgubsuIhhdADugsnnLLgtudgreDmadDGfüdHwanliZu Protokoll ge
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tig. Ich halte diese Anforderung tatsächlich für nützlich,und zwar für die betroffene Person selbst. Denn die Fä-higkeit, sich zumindest einfach verständigen zu können,ist eine große Hilfe in einem fremden Land. Es machtselbstbewusster und erleichtert die Integration. An die-ser Stelle möchte ich noch mal betonen: Bei demSprachnachweis handelt es sich um die allererste Stufe,nämlich A1. Es geht hier um sehr einfache Verständi-gung. Das ist keine unüberwindbare Hürde, wenn mansich entscheidet, in einem anderen Land dauerhaft lebenzu wollen.Gleichwohl sieht auch die FDP-Bundestagsfraktionhier Handlungsbedarf. Dabei denke ich insbesondere andie Infrastrukturen im Herkunftsland. Wenn wir einensolchen Nachweis verlangen, muss auch sichergestelltsein, dass die Betroffenen vor Ort diesen auch ohne un-überwindbare Hürden erlangen können. In vielen Län-dern der Welt gibt es derzeit nur vereinzelt oder in eini-gen sogar gar keine Goethe-Institute. Der Erwerb desZertifikats ist entsprechend mit einem erheblichen Zeit-und Geldaufwand verbunden. Die praktische Umsetzungund Handhabung des Gesetzes stellt daher oftmals einehohe Hürde dar. Das darf nicht sein.Ich will mich an dieser Stelle aber nicht der aktuellenDiskussion über die Rechtmäßigkeit des Sprachnach-weiserfordernisses beim Ehegattennachzug mit Blick aufdas Assoziierungsabkommen zwischen Deutschland undder Türkei entziehen. Hier gibt es starke rechtliche Be-denken, die es ganz klar weiter zu prüfen gilt.Ich halte den Sprachnachweis für nachziehende Ehe-gatten insgesamt für eine integrationspolitisch sehrsinnvolle Maßnahme. Nachvollziehbar ist in diesemKontext allerdings nicht, weshalb Staatsangehörige an-derer Länder wie Kanada, Japan oder der Republik Ko-rea grundsätzlich von diesen Anforderungen ausgenom-men sind. Das ist eine Ungleichbehandlung, die es ausliberaler Sicht dringend zu diskutieren gilt.Die Linken sprechen in ihrem Antrag auch die Vi-sumspolitik an. Dabei ignorieren sie die bereits beste-henden Bemühungen, insbesondere auf EU-Ebene. ImFebruar wurde erfreulicherweise das Rücknahmeab-kommen zwischen der EU und der Türkei unterzeichnet.Das war ein wichtiger Schritt. Die Türkei ist nun aufge-fordert, das Abkommen auch umzusetzen. Gleichzeitigmuss dies die unverzügliche Aufnahme eines ernsthaftenVisumsdialogs mit der Türkei bedeuten.Die Türkei ist schon längst nicht mehr nur ein Touris-tenziel oder ein Absatzmarkt. Diese Entwicklung hat dieLinke offensichtlich nicht mitbekommen. Die Türkei istzu einem wichtigen Partner der EU und Deutschlandsgeworden. Das gilt geostrategisch, aber vor allem kultu-rell und wirtschaftlich. Das sage ich, 50 Jahre nach Un-terzeichnung des Anwerbeabkommens, auch mit Blickauf künftige Fachkräftezuwanderung. Denn Deutsch-land braucht qualifizierte Zuwanderer. Das ist keineFrage von Hautfarbe oder Religion. Gerade in der Tür-kei gibt es ein zunehmendes Fachkräftepotenzial. Unterden Ländern, die derzeit eine Mitgliedschaft in der EUanstreben, ist die Türkei das einzige Land, das über einezrblapEehaawvdznkuzkkSOkvasddtizrmdoTufüAweMumsakcreZu Protokoll ge
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Nun gibt es mindestens drei Gründe, auf die Lage dertürkischen Migrantinnen und Migranten näher einzuge-hen als mit einem losen Danke, das nichts kostet: Zumeinen die schiere Zahl: Es handelt sich bei ihnen um diegrößte Einzelgruppe der hier lebenden Menschen nicht-deutscher Staatsangehörigkeit.Zum Zweiten verdienen sie besondere Aufmerksam-keit, weil sie besonderen Anfeindungen ausgesetzt ist:Nicht erst seit Sarrazin werden insbesondere türkische– aber zum Beispiel auch arabische – Migrantinnen undMigranten als Chiffre für vermeintlich integrationsun-willige, den Staatshaushalt belastende oder gar bedroh-liche Menschen angesehen. Die ausgeprägte und zuneh-mende Feindlichkeit gegenüber Muslimen in diesemLand spielt dabei eine unheilvolle Rolle, aber auch de-ren sozial besonders ausgegrenzte Lage, die ihnen alspersönliches Versagen oder gar Unwilligkeit zur Lastgelegt wird.Der dritte Grund, warum auf den staatlichen Um-gang mit türkischen Staatsangehörigen gesondert einge-gangen werden sollte und der auch Gegenstand des vor-liegenden Antrags ist, ist deren Sonderstellung imAufenthaltsrecht. Viele Menschen, auch viele Betroffene,wissen es nicht, aber das seit 1963 geltende Assoziie-rungs-Abkommen der EU, damals noch EWG genannt,mit der Türkei und nachfolgende Protokolle und Be-schlüsse verschaffen türkischen Staatsangehörigen be-sondere Rechte. Diese einmal von der EU eingegange-nen Verpflichtungen können auch nicht mehr imNachhinein von den Nationalstaaten wieder zurückge-nommen werden. Dies hat der Europäische Gerichtshofdurch zahlreiche Urteile geklärt, aber immer wiedermuss er unwillige Staaten der EU an ihre vertraglichenVerpflichtungen erinnern. Dieser zunehmende Rechtsni-hilismus ist skandalös.Das sogenannte Verschlechterungsverbot im Assozia-tionsrecht sieht verbindlich vor, dass es keine Ver-schlechterungen im Aufenthalts- und Beschäftigungs-recht, bei der Niederlassungs- und Dienstleistungs-freiheit gegenüber türkischen Staatsangehörigen gebendarf. Das gilt auch für zwischenzeitliche Erleichterun-gen, das gilt in Bezug auf Regelungen des Familien-nachzugs und selbst in Bezug auf Regelungen zur erst-maligen Einreise. All dies hat die Bundesregierunginfolge zahlreicher parlamentarischer Anfragen derLinken zu diesem Thema im Grundsatz bereits einräu-men müssen – nur um stets erneut rechtliche Ausflüchteaus dem paragrafenschweren Zylinderhut des Bundes-innenministeriums zu zaubern, um diese Vorgaben desEuropäischen Gerichtshofs nicht umzusetzen.Auf diesen Skandal möchte die Linke mit dem vorlie-genden Antrag aufmerksam machen: Die Bundesregie-rung weigert sich unseres Erachtens bewusst, verbindli-ches Assoziationsrecht und Entscheidungen des EuGHwirksam umzusetzen und verwehrt somit türkischenStaatsangehörigen gezielt ihre Rechte. Sie können diehilflosen und wenig überzeugenden Antworten der Bun-desregierung auf die Anfragen der Linken zu diesemThema nachlesen: Wer einigermaßen mit der Rechtspre-chung und Fachliteratur befasst ist, weiß, dass es nurererebEssktügfrAdDewBwSsdedzsvDWdrw2fovRtatudhzrasateluhrenBzGkhsZu Protokoll ge
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der Exekutive beraten lassen, welche Rechtsänderungenim Detail erforderlich sind.Nach Ansicht der Linken – und hier komme ich zumAnfang zurück – sollten sich die notwendigen umfang-reichen Erleichterungen im Aufenthaltsrecht auch nichtauf türkische Staatsangehörige beschränken, sondernalle Drittstaatsangehörigen einbeziehen. Es wäre ab-surd, die Zersplitterung des Aufenthaltsrechts weiter vo-ranzutreiben: Für Unionsangehörige gilt das deutscheAufenthaltsgesetz ohnehin nicht, für bestimmte privile-gierte Staaten gelten Sonderregelungen, und was für tür-kische Staatsangehörige gilt, steht schon längst nichtmehr im Gesetz.Gerade weil es sich bei den türkischen Staatsangehö-rigen um die größte Gruppe handelt, und gerade weilzahlreiche Verschärfungen insbesondere mit Blick aufsie erlassen wurden, plädieren wir dafür, diese Ver-schärfungen insgesamt zurückzunehmen. Das aufge-baute Droh- und Zwangsinstrumentarium im Umgangmit Migrantinnen und Migranten ist ohnehin falsch undvon fataler Wirkung, wie die zunehmende Fremden- undIslamfeindlichkeit, Vorurteile und Zerrbilder belegen.Wir appellieren an die Bundesregierung, aber auch andas Parlament, diese Änderungen, die in Bezug auf tür-kische Staatsangehörige rechtlich ohnehin zwingendsind, nicht erst auf Druck des EuGH, sondern bewusstund mit Überzeugung vorzunehmen. Sie sollten inner-halb der deutschen Bevölkerung um Verständnis für einesolche, auf Zwang und Drohungen weitgehend verzich-tende Migrationspolitik werben, statt gefährliche, nichtnur türken- , sondern auch EU-feindliche Ressentimentszu fördern, wenn solche Änderungen zwangsweise in-folge von Entscheidungen eines vermeintlich fernen EU-Gerichts erfolgen. Mit unserem Antrag haben Sie dieChance dazu, dieses Thema nicht Rechtspopulisten zuüberlassen.
Es reicht nicht, sich, wie die Bundesregierung es tut,in der Jubiläumswoche des deutsch-türkischen Anwer-beabkommens bei den Einwanderinnen und Einwande-rern für ihre Leistungen zu bedanken, wenn man nichtgleichzeitig etwas unternimmt, damit sie endlich gleich-berechtigt in Deutschland teilhaben können. Danke sa-gen ist einfach; aber daraus Konsequenzen zu ziehenund türkeistämmigen Einwanderern ihre Rechte aus demAssoziationsabkommen einzuräumen, fällt der Bundes-regierung offensichtlich schwer. Bewusst behandelt sieEingewanderte als Menschen zweiter Klasse und ver-sagt ihnen trotz langjährigen Aufenthalts die gleichenRechte, wie sie deutsche Staatsangehörige haben. Ur-teile des Europäischen Gerichtshofes zugunsten der Ein-wanderinnen und Einwanderer ignoriert sie so lange,bis die Kommission mit Vertragsverletzungsverfahrendroht.Nach 50 Jahren Einwanderung aus der Türkei ist esZeit, unser Aufenthaltsgesetz auf die Vereinbarkeit mitdem Assoziierungsrecht zu überprüfen und notwendigeÄnderungen vorzunehmen. Das gilt erst recht nach denkürzlich ergangenen wegweisenden Entscheidungen desEsaElaEhbssledWSesrihssecCuWbdwrErLsnddskgnAEEarJsremdZu Protokoll ge
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weder konkret den Änderungsbedarf auf, noch schlägtsie Lösungen vor. Das wollen wir besser machen und be-reiten daher gerade eine umfassendere Initiative zurUmsetzung der Rechtsprechung des Europäischen Ge-richtshofs zum Assoziationsrecht vor.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7373 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit ein-
verstanden? – Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Der Innenausschuss – das ist jetzt der Zusatzpunkt 7 –
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/5989, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 17/3686 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die
Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Bündnis 90/Die
Grünen, SPD und Linksfraktion. Enthaltungen folglich
keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin
von Notz, Wolfgang Wieland, Volker Beck
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gutachten über die geplanten EU-Fluggastda-
tenabkommen mit den USA und Australien
beim Gerichtshof der Europäischen Union ein-
holen
– Drucksachen 17/6331, 17/7676 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Wolfgang Gunkel
Gisela Piltz
Jan Korte
Dr. Konstantin von Notz
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen. Die Namen der Kolle-
ginnen und Kollegen sind dem Präsidium bekannt.
Wir diskutieren hier zum wiederholten Male überGrundrechts- und Datenschutzfragen bei den EU-Flug-gastdatenabkommen mit den USA und Australien. Dasist zweifelsohne wichtig. Wichtiger wäre aber vielleicht,dass die Grünen dazu einmal einen Antrag vorlegen, derdieser schwierigen Thematik angemessen ist.Es sei den Grünen unbenommen, sich für eine Über-prüfung der Abkommen durch den Europäischen Ge-richtshof einzusetzen. Es wäre aber auch schön gewe-sen, wenn die Grünen wenigstens mit einem Halbsatzerwähnt hätten, warum die Europäische Union PNR-Ab-kommen schließt, nämlich weil der Datenaustausch we-sentliche Erkenntnisse zur Bekämpfung des internatio-nalen Terrorismus und der organisierten Kriminalitätliefert. Aber im Antrag der Grünen Fehlanzeige. UndwinzlikkfrsgwsFroDubteTduuwAdhntedDzPdAdhdHeaEmtedskkskmdeVm
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den Umgang und die Nutzung von Fluggastdaten festge-schrieben haben. Nach den Terroranschlägen von 9/11stellte sich die Situation anders dar als heute. Die USAhatte alle Fluggesellschaften, die Flüge in die oder ausden USA oder über das Gebiet der USA durchführen,verpflichtet, den amerikanischen Zollbehörden elektro-nischen Zugriff auf die Daten ihrer Reservierungs- undAbfertigungssysteme, die sogenannten Passenger NameRecords, einzuräumen. Nachdem die EU um einen Auf-schub gebeten hatte, traten die Vorschriften schließlich2003 in Kraft. Danach räumten europäische Fluggesell-schaften den amerikanischen Zollbehörden Zugang zuihren Fluggastdatensätzen nach einseitig festgesetztenRegeln ein.Das zeigt: Wenn wir ein besseres Abkommen mit bes-serem Datenschutz wollen, dann erreichen wir dies nurzusammen mit unseren Partnern. Wenn wir angemessenüber PNR-Abkommen diskutieren wollen, gehört alsodazu, dass es sich um Verträge handelt, an denen immermindestens zwei Seiten beteiligt sind. Hier kann nichteine Seite der anderen den Inhalt vorschreiben. Das giltim Übrigen auch für die einzelnen EU-Länder, die unter-schiedliche Maßstäbe an die Nutzung von Fluggastdatenstellen. Auch hier muss eine interne Linie gefunden wer-den, die sich nicht nur nach den deutschen Vorstellungenrichtet.Deshalb hat die Europäische Kommission sowohl mitden USA als auch mit Australien im Rahmen der Ver-handlungsmandate, die das Europäische Parlament vor-gegeben hat, aber auch mit Blick auf die Bedenken desParlaments über die Nutzung der Fluggastdaten verhan-delt. Die jetzt vorliegenden Einigungen mit beiden Län-dern spiegeln eine kontinuierliche Verbesserung auchder Datenschutzbestimmungen wider. Es geht darum,zusammen mit unseren Partnern eine Balance zu finden,die dazu beiträgt, Terrorismus und Kriminalität besserbekämpfen zu können und gleichzeitig die Rechte desEinzelnen zu sichern, auch wenn es hier aus deutscherSicht sicher noch einige offene Wünsche gibt.Das Abkommen mit Australien ist praktisch unterDach und Fach. Es wurde im Oktober vom JI-Rat be-schlossen. Auch das Europäische Parlament hat EndeOktober in einer legislativen Entschließung dem PNR-Abkommen mit Australien bereits zugestimmt. Im De-zember wird der Rat abschließend seine Zustimmung ge-ben. Insofern hat sich der Antrag der Grünen auf Über-prüfung erledigt. Das Abkommen mit Australien ist ausunserer Sicht gut ausgestaltet, auch in Datenschutzfra-gen. Dies hat auch der Bundesdatenschutzbeauftragteanerkannt. Mit den USA wurden seit dem Sommer imVergleich zum Verhandlungsstand, der dem Antrag derGrünen zugrunde liegt, weitere Fortschritte erzielt, dienoch in Schriftform gegossen werden. Erst dann wirdman den neuen Entwurf für das PNR-Abkommen genaubewerten können.Die beiden Abkommen unterscheiden sich in vielenPunkten. Ich möchte dennoch drei zentrale Aspekte her-vorheben:eateJhroJcaEnDvJFbsodnlieszfiDcndnlimkfatraduWnemtrdsNwvuwsreggPZu Protokoll ge
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Die Abkommen über die Fluggastdaten sind nicht
zum ersten Mal Thema im Deutschen Bundestag. Nach-
dem die Verhandlungen zwischen der Europäischen
Union und den USA beziehungsweise Australien nun
vorläufig abgeschlossen sind, bestehen noch immer er-
hebliche Zweifel an der Vereinbarkeit der Abkommen
mit dem EU-Primärrecht, insbesondere mit dem Schutz
personenbezogener Daten gemäß Art. 8 der EU-Grund-
rechtecharta.
Der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen greift diese Bedenken auf und fordert die Bun-
desregierung auf, ein Gutachten beim Gerichtshof der
Europäischen Union einzuholen, welcher die Vereinbar-
keit der geplanten Abkommen mit EU-Primärrecht prü-
fen soll. Da auch die SPD-Bundestagsfraktion diese Be-
denken teilt und ein Gutachten des Europäischen
Gerichtshofs mehr Rechtssicherheit für die Bürgerinnen
und Bürger mit sich bringen würde, stimmen wir dem
Antrag zu.
Bereits im Juni 2011 habe ich darauf hingewiesen,
dass mit der Weitergabe von Fluggastdaten zwar ein le-
gitimes Ziel verfolgt wird, dabei aber grund- und men-
schenrechtliche Garantien beachtet werden müssen.
Dies sehe ich in den geplanten EU-Fluggastdatenab-
kommen mit den USA und Australien noch nicht ausrei-
chend gewährleistet. So hat auch der Juristische Dienst
der Kommission in seiner Stellungnahme vom 18. Mai
2011 erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit des Ab-
kommens zwischen der EU und den USA mit dem
Grundrecht auf Datenschutz geäußert. Ich möchte hier
noch einmal betonen, dass es sich dabei um einen inter-
nen Dienst der Kommission handelt, also des EU-Or-
gans, das für die Aushandlung der Fluggastdatenab-
kommen zuständig ist. Demnach gibt es auch innerhalb
der Kommission Bedenken hinsichtlich der Grund-
rechtskonformität dieses Abkommens.
Die Kritik bezieht sich insbesondere auf die Verhält-
nismäßigkeit des Abkommens. So sieht das geplante
PNR-Abkommen mit den USA eine Dauer der Daten-
speicherung von 15 Jahren vor. Der Juristische Dienst
des Rates hat in seinem Gutachten zum Vorschlag einer
EU-Richtlinie über die Verwendung von Fluggastdaten
vom 12. April 2011 bereits die Notwendigkeit einer Spei-
cherfrist von mehr als 2 Jahren infrage gestellt. Für die
Erforderlichkeit einer 15-jährigen Speicherfrist fehlt zu-
dem jeglicher Nachweis, und somit bestehen erhebliche
Zweifel, dass der mit der Speicherung der Daten verbun-
dene Grundrechtseingriff dem Grundsatz der Verhältnis-
mäßigkeit entspricht.
Des Weiteren soll die Verwendung von Fluggastdaten
nach dem geplanten Abkommen unter anderem zu Zwe-
cken der Verhütung und Bekämpfung von „schweren
Straftaten“ zulässig sein. Über einen Verweisungs-
dschungel gelangt man allerdings zu dem Ergebnis, dass
es sich dabei bereits um Straftaten handelt, die mit einer
Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht sind.
Damit umfasst diese Definition eine weitaus größere
Zahl von Straftaten als beispielsweise der EU-Richt-
linienvorschlag zur Weitergabe von Fluggastdaten oder
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Das Verhalten der Grünen jedenfalls nennt man ge-meinhin widersprüchlich. Heute so zu tun, als hätten Siemit dem Thema nichts zu tun und könnten sich hier alsvermeintliche Retter des Rechtsstaats aufzuspielen, istschon ziemlich dreist.Die FDP-Fraktion bleibt ihrer Linie bei Fluggastda-ten treu. Wir haben die Nutzung von Fluggastdaten vonAnfang an kritisch begleitet. Wir müssen zur Kenntnisnehmen, dass weder im Rat noch im Europäischen Par-lament eine Mehrheit gegen Fluggastdatensammlungenvorhanden ist. Aber wir nehmen auch zur Kenntnis, dassdie Sensibilität immerhin gestiegen ist für den Daten-schutz und den Schutz der Persönlichkeitsrechte. Sogarder Juristische Dienst der Kommission hat inzwischenein kritisches Gutachten zu dem geplanten Abkommenzur Übermittlung von Fluggastdaten in die USA erstellt;ebenso hat der Juristische Dienst des Rates sich kritischmit dem geplanten EU-Fluggastdatensystem befasst.Diese Kritik muss ernst genommen und bei den Beratun-gen natürlich berücksichtigt werden. Anders als zu frü-heren rot-grünen Zeiten muss man das aber heute derBundesregierung nicht extra sagen – die Bundesjustiz-ministerin hat diese Fragen selbst im Blick und setzt sichnational wie auch in der EU und international für mehrDatenschutz ein.Dass das nicht immer einfach ist, zeigt sich aktuellbei den Verhandlungen über ein neues Abkommen zwi-schen EU und USA. Wir wissen, dass bei aller gutentransatlantischen Zusammenarbeit und Partnerschaftgerade im Hinblick auf den Datenschutz doch erhebli-che Unterschiede bestehen. Davor kann man kapitulie-ren und wie damals Joschka Fischer einfach ohneweitere rechtsstaatliche Sicherungen den Zugriff aufFluggastdaten und Bankdaten europäischer Bürgerin-nen und Bürger gestatten. Oder man kann dafür kämp-fen, dass es besser wird. Wir machen lieber Letzteres.Gemeinsam mit den Liberalen im Europaparlament undder Bundesjustizministerin setzt sich die FDP-Fraktiondafür ein, dass bei dem künftigen Abkommen mit denUSA ein hohes Datenschutzniveau erreicht wird. Beidem Abkommen zwischen EU und Australien ist das be-reits gelungen. Dieses Abkommen ist – vor allem im Ver-gleich zu denjenigen, die wir bisher kannten, und natür-lich immer unter Berücksichtigung der Tatsache, dass essich um eine grundsätzlich nicht unbedenkliche anlass-lose Speicherung von persönlichen Daten handelt –mustergültig. Das anerkennt auch der Bundesdaten-schutzbeauftragte.Und ganz ehrlich: Dafür brauchen wir keinen Rat-schlag von den Grünen, ganz besonders nicht von denGrünen, die bei diesem Thema eigentlich in Sack undAsche gehen müssten.Ihren Antrag lehnen wir daher ab und handeln lieberim Sinne von mehr Datenschutz und mehr Schutz derPersönlichkeitsrechte von Flugreisenden.
Das Versagen der schwarz-gelben Koalition, insbeson-dere aber die fehlende Durchsetzungsfähigkeit der Bun-desjustizministerin, Sabine Leutheusser-SchnarrenbergervnknbszatenDrvZpPsPsvbzSreadBvaeMtagUwinmuwEdleeStuReGsdkGssvEZu Protokoll ge
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gelnde Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit der Grund-rechtseingriffe, die überlange Speicherdauer und diemangelnde Kontrolle durch unabhängige Datenschutz-beauftragte.Auch das Bundesverfassungsgericht hat uns mit sei-nem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung vom März 2010klipp und klar aufgetragen, uns für die Wahrung der ver-fassungsrechtlichen Datenschutzstandards des deut-schen Grundgesetzes auch in internationalen Zusam-menhängen einzusetzen.Insofern stimmen wir dem Antrag der Grünen zu undfordern die Bundesregierung auf, gemäß Art. 218Abs. 11 AEUV ein Gutachten der Europäischen Unionüber die Vereinbarkeit der geplanten Abkommen mit denUSA und Australien über die Weitergabe von Passagier-daten mit dem europäischen Primärrecht einzuholen.
„Wir dürfen hier nicht sehenden Auges eine Situationentstehen lassen, in dem die EU grundrechtswidrige Ab-kommen abschließt.“ Mit diesem Satz habe ich Sie in derersten Lesung im Juni 2011 bereits um Zustimmung zuunserem Antrag gebeten. Mit diesem Satz bitte ich Sienoch einmal um Unterstützung unseres Antrags, mit demdie Bundesregierung aufgefordert wird, die geplantenAbkommen über die Weitergabe von Passagierdaten,PNR, an die USA und Australien dem EuGH zur Prüfungvorzulegen.Meine Damen und Herren von der Koalition, liebeFrau Piltz, lieber Herr Binninger, was haben Sie denn fürein Selbstverständnis als Parlamentarier in der Regie-rungskoalition? Die Bundesregierung enthält sich – alseinzige EU-Regierung – bei der Abstimmung über dasPNR-Abkommen mit Australien im Rat der Stimme, undzwar aufgrund erheblicher Datenschutzbedenken. Undwas machen Sie? Sie lehnen eine Vorlage dieses Abkom-mens und des PNR-Abkommens mit den USA zum EuGHmit der schlichten Begründung ab, Terrorbekämpfungsei nötig und es hätte schon einmal schlechtere Abkom-men gegeben.Was, meine Damen und Herren von der Koalition, ha-ben Sie für ein Verständnis von Demokratie und Gewal-tenteilung? Die Bundesregierung hat im Rat erheblicheBedenken gegen die PNR-Abkommen wegen Zweifeln ander Rechtsgrundlage geäußert. Das heißt übersetzt: DieBundesregierung ist der Ansicht, dass die PNR-Abkom-men mit den USA und Australien von den nationalenParlamenten, also auch vom Deutschen Bundestag, rati-fiziert werden müssten. Die Bundesregierung konntesich mit dieser Auffassung im Rat aber nicht durchset-zen. Was machen Sie? Sie akzeptieren brav wie dieSchafe auf dem Weg zur Schlachtbank, dass dem Bun-destag hier möglicherweise Rechte vorenthalten werden,statt sich dafür einzusetzen, dass auch diese Frage vomEuGH in einem Gutachten geklärt wird.Jetzt aber noch einmal zu den Inhalten, dem Kern derBesorgnis der Grünen als Bürgerrechtspartei: Auchwenn im Laufe der Verhandlungen mit den USA undAemPpGdhDmmBwUdpliEstesRIhwhwdinMEezsedddtessfaGesGzdsddzIhkhInmApZu Protokoll ge
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16660 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. November 2011
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(C)
(B)
Wir wollen dennoch weiterarbeiten, aber nicht mehr
heute, sondern morgen.
Ich berufe somit die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Freitag, den 11. November
2011 – ein besonderer Tag –, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.