Gesamtes Protokol
Schönen guten Tag, meine Damen und Herren! DieSitzung ist eröffnet.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Neue Impulse für Innovationund Wachstum – 6-Milliarden-Euro-Programm fürForschung und Entwicklung.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat die Bundesministerin für Bildung und Forschung,Frau Dr. Annette Schavan.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-dung und Forschung:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Das Kabinett hat in seinerheutigen Sitzung die Eckdaten des 6-Milliarden-Euro-Programms für Forschung und Entwicklung – Neue Im-pulse für Innovation und Wachstum beraten und verab-schiedet. Dieses 6-Milliarden-Euro-Programm enthältts1FdMdigWesbwwupLnEdsRedetdrei Säulen der künftigen Förderung von Forschung undInnovation:Die erste Säule ist die Förderung von Spitzen- undQuerschnittstechnologien mit dem Ziel eines zügigeren– also eines besser optimierten – Transfers von den Ideenzu den Produkten, Dienstleistungen und Anwendungen.Ein Beispiel hierfür ist in der Gesundheitsforschung dieEinrichtung von Spitzenzentren in der medizinischenForschung. Ein zweites Beispiel ist die Strategie „Nanogeht in die Produktion“. Im Bereich der Nanotechnologieist es jetzt möglich, wissenschaftliche Durchbrüche fürwirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu nutzen.Die zweite große Säule ist die verbesserteder Innovationsfähigkeit kleiner und mittlerermen, vor allen Dingen in Zusammenarbeit mitschaftsministerium.
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Frau Ministerin, wenn man die Nachrichten in den
Medien verfolgt, hat man manchmal den Eindruck, die
6 Milliarden Euro seien schon dreimal ausgegeben. Des-
wegen meine Frage: Wie sind die 6 Milliarden Euro in
den nächsten Jahren genau aufgeteilt auf die einzelnen
Forschungsbereiche und auf die einzelnen Ressorts?
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:
Die 6 Milliarden Euro sind auf die einzelnen Ressorts
wie folgt aufgeteilt: Rund 4 Milliarden Euro gehen an
das Forschungsministerium; hier werden wir entspre-
chend dem Koalitionsvertrag besonders die Mittel für
die Projektförderung erhöhen. Im Übrigen – deshalb
habe ich von Säulen gesprochen – ist insbesondere die
dritte Säule, die Exzellenzinitiative und der Pakt für For-
schung und Innovation, stark. Der zweitgrößte Anteil
geht an das Wirtschaftsministerium: 1,245 Milliarden
Euro. Rund 200 Millionen Euro gehen an das Verkehrs-
ministerium; hier werden vor allen Dingen Initiativen
und Strategien im Bereich Mobilität sowie zu Wasser-
stoff- und Brennstoffzellentechnologien angesiedelt sein.
160 Millionen Euro fließen an das Bundesumweltminis-
terium. Das Auswärtige Amt bekommt 100 Millionen
Euro für den internationalen Wissenschaftleraustausch.
Das Innenministerium erhält 80 Millionen Euro für In-
formations- und Sicherheitstechnologien. Das Verteidi-
gungsministerium erhält 206 Millionen Euro für militä-
rische Forschung und Entwicklung. Kleinere Beträge,
insgesamt 33,5 Millionen Euro, verteilen sich auf das
Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung und das Gesundheitsministerium. Das ist
die Aufschlüsselung der insgesamt 6 Milliarden Euro.
Man könnte jetzt noch die unterschiedlichen Anteile auf
die einzelnen Jahre bezogen aufführen; aber ich gehe da-
von aus, dass Ihnen das zur Verfügung gestellt wird.
Herr Mücke bitte, FDP-Fraktion.
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ch glaube aber nicht, dass es darauf ankommt, solche
ntscheidungen nicht in einer, wie es heißt, Übergangs-
eit zu fällen. Es handelt sich in der Tat um ein normales
erwaltungsverfahren. Das muss man vielleicht deutlich
achen. Ja, der Umfang dieses Kredites ist nicht klein.
ngesichts des Gläubigers, um den es geht, ist dieser
mfang allerdings völlig unbedenklich, auch aus haus-
altsrechtlicher Sicht. Das Unternehmen Gasprom ist ein
onitätsmäßig sehr gut zu bewertendes Unternehmen.
eit 1995 hat der Bund für insgesamt zehn Projekte deut-
cher Exporteure mit Gasprom Deckungen im Bereich
er Exportkreditfinanzierung mit einem Gesamtvolumen
on 1,5 Milliarden Euro übernommen, zum Beispiel für
as Gaspipelineprojekt Euro-Yamal. Alle Zahlungen er-
olgen pünktlich.
Sie erkennen daran, dass es solche Verbürgungen seit
995, also seit mehr als zehn Jahren, unter Beteiligung
ller politischen Farben an der Bundesregierung mit
usnahme der der Linken gegeben hat. Es ist also ein
öllig normales und übliches Verwaltungsgeschäft. Un-
ere Verfassung sieht gerade vor, dass eine Regierung so
ange im Amt bleibt, bis eine neue kommt, damit nor-
ale Verwaltungsgeschäfte gemacht werden können.
Die nächste Nachfrage kommt von dem Kollegen
olker Beck.
Frau Staatssekretärin, selbstverständlich muss man
andlungsfähig sein, auch nach einer Bundestagswahl.
enn alles korrekt gelaufen ist, dann ist dieser Kredit
rundsätzlich auch nicht zu kritisieren. Gleichwohl muss
an diese Nachfragen natürlich klären. Ich denke, diese
lärung wird im Ausschuss noch fortgesetzt werden
önnen.
Mich interessiert ein weiterer Aspekt: Welche Stellen
er Bundesregierung, insbesondere welche Mitglieder
er Bundesregierung, waren über den Tatbestand dieser
usage informiert? Wann waren welche Stellen einbezo-
en? Sind auch Stellen des Bundeskanzleramtes in die-
en Vorgang einbezogen oder nachträglich unterrichtet
orden?
D
Nein, es waren keine Stellen des Bundeskanzleramtsinbezogen. Es sind auch keine Stellen des Bundeskanz-eramts nachträglich unterrichtet worden. Das Verfahrenst rite gelaufen – unter Beteiligung der Häuser, die ichben schon aufgezählt hatte. Federführend war das Bun-esministerium für Wirtschaft und Arbeit, das heutigeundesministerium für Wirtschaft und Technologie, undeteiligt waren das Auswärtige Amt, das Bundesministe-ium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-ung und das Bundesministerium der Finanzen. Der in-
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Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricksterministerielle Ausschuss ist in der Regel aufReferatsleiterebene besetzt. Dieser Ausschuss ist vorbe-reitend tätig, was ungebundene Finanzkredite anbelangt.Der interministerielle Ausschuss hat am 24. Oktobergetagt. Was das Bundesministerium der Finanzen anbe-langt, so kann ich aus den Akten sagen, dass die Vorlagemit Schreiben vom 25. Oktober mit der Bitte um Zustim-mung an den Staatssekretär Koch-Weser gegangen ist.Wie ich eben schon gesagt habe, war dies dazwischenvon dem zuständigen Unterabteilungsleiter und Abtei-lungsleiter abgezeichnet. Ich gehe davon aus, dass das inden anderen Häusern in gleicher Weise erfolgt ist.Für das Bundesministerium der Finanzen kann ich sa-gen: Bundesminister Eichel ist nicht beteiligt gewesen.Ich bin auch nicht beteiligt gewesen. Wenn man sich so-zusagen die Linie des Hauses ansieht, ist das so: Erstkommt der Bundesminister, dann die ParlamentarischeStaatssekretärin und dann der beamtete Staatssekretär.An dieser Linie – Ebene beamteter Staatssekretär – hatbei uns die Endzeichnung für das Bundesministeriumder Finanzen stattgefunden. Ich gehe davon aus, dass dasin den anderen Häusern auch so war, mit Ausnahme na-türlich des federführenden Bundesministeriums fürWirtschaft und Arbeit, in dem der Bundesminister fürWirtschaft und Arbeit die Endzeichnung vorgenommenhat.
Es gibt eine weitere Nachfrage. Bitte, Frau
Lührmann.
Frau Staatssekretärin, unbestritten ist, dass die Ver-
waltung natürlich auch in der Zeit zwischen zwei Regie-
rungen handlungsfähig sein muss. Vor dem Hintergrund
dessen, dass der Aufsichtsratsvorsitzende des Pipeline-
projekts, der ehemalige Bundeskanzler Schröder, gesagt
hat, der Kredit und damit auch die Garantie würden gar
nicht in Anspruch genommen werden, möchte ich Sie
fragen, wie Sie die Dringlichkeit der Entscheidung – das
war sozusagen auch die letzte Amtshandlung von Exmi-
nister Clement – begründen.
D
In unserem Auftrag werden so genannte Mandatare
tätig, die zunächst einmal die Risiken bewerten. Das
macht für uns in diesem Zusammenhang die Firma
Pricewaterhouse-Coopers. Die Mandatare sind erstmals
im Februar 2005 an die beteiligten Häuser herangetreten
und haben erklärt, unabhängig von dem Unternehmen
Gasprom, es gebe vermehrt Nachfragen des Inhalts, ob
Energieprojekte – so möchte ich sie jetzt einmal bezeich-
nen – auch mit ungebundenen Finanzkrediten versehen
werden könnten. Aktuell gibt es zum Beispiel eine sol-
che Frage betreffend ein Ölvorkommen in einem afrika-
nischen Land.
Die ungebundenen Finanzkredite sind eben nicht an
einen bestimmten Auftrag eines Unternehmens gebun-
den. Daneben gibt es die Exportbürgschaften, die wir
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Frau Staatssekretärin, Sie haben schon darauf hinge-iesen, dass dieses Projekt mit 1 Milliarde Euro eine
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Matthias Berningerbesondere Größenordnung hat. Die Entscheidungen aufden Leitungsebenen der Häuser sind sehr schnell erfolgt.Wir beide wissen, dass das Tempo in öffentlichen Ver-waltungen nicht immer so hoch ist. Können Sie also vordem Hintergrund des Volumens und der Bedeutung desProjektes sowie der Schnelligkeit der Entscheidung aus-schließen, dass die politische Leitung auf der Ebene desBundeskanzleramtes, des Wirtschaftsministeriums oderdes Finanzministeriums – seitens der Banken, seitensdes beteiligten Partners Gasprom oder aber seitens derMitarbeiter Ihrer Häuser – in das Projekt involviert wor-den ist?D
Ich kann das für das Bundesministerium der Finanzen
ausschließen. Aufgrund der Aktenlage kann ich das auch
für die anderen Häuser ausschließen, mit Ausnahme des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit; in dem
Fall ist bekannt, dass der damalige Minister Clement das
vor dem Hintergrund der rohstoffpolitischen Förde-
rungswürdigkeit abgezeichnet hat. Selbstverständlich
kann ich nicht ausschließen, dass irgendwann irgendwer
mit irgendjemandem gesprochen hat. Aber das kann man
nie ausschließen. Sie dürfen daraus nicht umgekehrt
schließen, dass ich annehmen würde, unter der Hand sei
darüber gesprochen worden. Es gibt keinen Anlass zu ei-
ner solchen Vermutung.
Herr Kollege Winkler, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben im Zusammen-
hang mit der Vermeidung eines Anscheins von Interes-
senverquickung in Bezug auf Herrn Staatssekretär Koch-
Weser gesagt, es wäre besser gewesen, er hätte einen an-
deren Staatssekretär zeichnen lassen. Wie bewerten Sie
denn vor diesem Hintergrund der Vermeidung eines An-
scheins die Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes bei
der Firma Gasprom durch den Bundeskanzler?
D
Herr Kollege Fischer –
Winkler heiße ich.
D
– Entschuldigung, Herr Kollege Winkler; wir duzen
uns normalerweise; da kann das mit dem Nachnamen
schon einmal schief gehen –, der Bundeskanzler ist zu
keinem Zeitpunkt mit dieser Fragestellung befasst gewe-
sen. Im Übrigen – Sie mögen es für spitzfindig halten –
war bzw. ist dieser Kredit – wir haben noch keine offizi-
ellen neuen Nachrichten darüber, ob der Kredit nun tat-
sächlich in Anspruch genommen werden soll oder nicht;
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sieht die Bundes-egierung die zunehmende Zahl der Praktikanten mitochschulabschluss als ein Problem an oder nicht?Zweitens. Sie haben gesagt, die Datenlage sei unsi-her. Ist die Bundesregierung denn in der Lage, dem zu-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2541
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Josef Philip Winklerständigen Ausschuss Datenmaterial aus dem eigenen Zu-ständigkeitsbereich vorzulegen, und, wenn ja, wann?A
Herr Abgeordneter, ich darf auf die Antwort zur vor-
herigen Frage verweisen. Die HIS GmbH nimmt derzeit
im Rahmen der Absolventenstudie eine Datenerhebung
vor. Mit den Ergebnissen ist frühestens zum Jahresende
2006 zu rechnen. Sobald die Ergebnisse vorliegen, wer-
den sie selbstverständlich dem Fachausschuss vorgelegt.
Vielen Dank. Ich rufe die Frage 11 der Abgeordneten
Cornelia Hirsch auf:
Was waren die wesentlichen Inhalte der Konferenz der eu-
ropäischen Bildungsminister in Wien im März 2006 und wie
bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse der Gespräche?
A
Frau Abgeordnete Hirsch, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Solche informellen Bildungsministertreffen
haben sich seit den 90er-Jahren als Forum für den offe-
nen Meinungsaustausch auf Ministerebene zu aktuellen
Themen der europäischen Bildungspolitik etabliert. Be-
schlüsse werden im Rahmen solcher Treffen üblicher-
weise nicht gefasst. Bei dem diesjährigen Treffen stan-
den die folgenden Themen im Vordergrund: der
europäische Qualifikationsrahmen, das Europäische In-
stitut für Technologie, EIT, sowie der Stellenwert der
Bildung im europäischen Erweiterungsprozess und die
Rolle der Universitäten in Südosteuropa. Aus Sicht der
Bundesregierung kommt den im Rahmen des informel-
len Bildungsministertreffens geführten Diskussionen
eine wichtige Rolle als Impulsgeber für die weiteren
Verhandlungen in den relevanten Ratsgremien zu.
Eine Nachfrage, Frau Hirsch?
Ja, ich habe eine Nachfrage zum Themenkomplex
„europäischer Qualifikationsrahmen“. In der Debatte
darüber wurden in der Bundesrepublik von mehreren
Seiten Befürchtungen geäußert, dass das Berufsprinzip
durch diese europäische Initiative eingeschränkt wird.
Meine Frage lautet: Wurden diese Bedenken im Rahmen
dieser informellen Gespräche auch von anderen EU-Mit-
gliedstaaten geäußert und wie hat sich die Bundesregie-
rung dabei positioniert bzw. welche Impulse hat sie ge-
geben?
A
Nachdem EU-Kommissar Figel die Ergebnisse des
Konsultationsprozesses – die Mitgliedstaaten mussten
diese bis zum Ende des Jahres 2005 einreichen – vor-
gestellt hatte, fand eine erste politische Aussprache auf
Ministerebene statt. Dabei wurden die Ergebnisse von
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Frau Abgeordnete, soweit junge Erwachsene ihrerstausbildung an einer privaten Berufsfachschule be-innen, erscheint eine Ablehnung der Ausbildungsförde-ung nach dem BAföG nur wegen der Berücksichtigungon Einkommen des Auszubildenden oder seiner Eltern
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Parl. Staatssekretär Gerd Andresdenkbar. Das BAföG ist eine subsidiäre Sozialleistung,die nur dann eingreift, wenn der Auszubildende bzw.seine Eltern nicht in der Lage sind, die Ausbildung auseigener Kraft zu finanzieren.Wenn die Auszubildenden aus dem Ausbildungsver-hältnis eine Ausbildungsvergütung erhalten – im Falleder Ausbildung zum Altenpfleger ist der Träger derpraktischen Ausbildung nach § 17 des Altenpflegegeset-zes zur Zahlung einer angemessenen Ausbildungsvergü-tung verpflichtet –, dann sind diese Einkünfte nach § 23Abs. 3 BAföG voll auf den Bedarf des Auszubildendenanzurechnen. Für die Ausbildungsvergütung wird demAuszubildenden kein allgemeiner Freibetrag zugebil-ligt, weil ihm diese Mittel gewissermaßen zwangsläufigdurch und für die Ausbildung zufließen, also nicht dasErgebnis besonderer zusätzlicher Anstrengung sind.Weiterhin geht das BAföG typisierend davon aus,dass Eltern ihren Kindern gegenüber unterhaltspflichtigsind, wenn diese noch keine nach dem BAföG förde-rungsfähige Ausbildung durchlaufen haben. Dabei wirdunterstellt, dass die Eltern den angerechneten Betrag, dersich aus der Pauschalierung des bürgerlich-rechtlichenUnterhaltsanspruchs ergibt, an die Auszubildenden leis-ten. Ist dies nicht der Fall und ist die Ausbildung desKindes dadurch gefährdet, kann diesem nach § 36BAföG eine Vorausleistung gewährt werden.In dem konkreten Fall, auf den in der FragestellungBezug genommen wurde, dürfte ein BAföG-Ansprucham fehlenden Bedarf – aufgrund der Anrechnung derAusbildungsvergütung der Auszubildenden und des Ein-kommens des Vaters – gescheitert sein.
Frau Zimmermann, Sie haben eine Nachfrage, bitte
schön.
Danke schön erst einmal für die Antwort. – Der Fall,
der in der Presse geschildert worden ist, ist kein Einzel-
fall. Es betrifft etliche Jugendliche zwischen 18 und 25,
die Hartz-IV-Empfänger waren. Durch die Neuregelung
sind die, die schon in einer eigenen Wohnung leben und
sich einen Ausbildungsplatz gesucht haben – egal ob in
den Weißkittelberufen oder in den Berufen nach dem
Berufsbildungsgesetz –, davon betroffen. Nehmen wir
also an, ein Jugendlicher hat eine eigene Wohnung, gilt
als eigene Bedarfsgemeinschaft und hat sich selbststän-
dig einen Ausbildungsplatz gesucht. Im Altenpflegege-
setz steht nur etwas von einer „angemessenen Berufsaus-
bildungsvergütung“; „angemessen“ kann man so oder so
definieren. Ein solcher Jugendlicher ist durch die Neure-
gelung benachteiligt. Im vorliegenden Fall ist es so, dass
die Jugendliche, weil sie nur 300 Euro zur Verfügung
hatte und ihre Wohnung nicht mehr finanzieren konnte,
praktisch bestraft wird. Oder soll sie jetzt wieder bei ih-
ren Eltern einziehen?
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Frau Zimmermann, auf den konkreten Fall, um den es
in dieser Pressemitteilung ging, bin ich eingegangen.
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2544 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
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Der Arbeitgeber hat die erforderlichen Maßnah-
In Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr hat der
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2545
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Dann kommen wir zur Frage 20 des Kollegen Harald
erpe:
Durch welche Maßnahmen will die Bundesregierung die
Umsetzung bzw. den Vollzug der den Passivraucherschutz be-
treffenden Änderung der Arbeitsstättenverordnung vom
Oktober 2003 fördern und erfolgte bisher eine Evaluation?
G
Die Durchführung der Arbeitsschutzvorschriften ob-
iegt gemäß Grundgesetz den zuständigen Arbeitsschutz-
ehörden der Bundesländer. Informationen über die An-
endung und den Vollzug der Vorschriften zum
ichtraucherschutz am Arbeitsplatz liegen der Bundes-
egierung nicht vor.
Haben Sie eine Nachfrage? – Bitte schön, Herr Terpe.
Meine Nachfrage ist: Wird die Bundesregierung ini-
iativ werden, um eine Evaluation der Umsetzung dieser
rbeitsschutzverordnung vorzunehmen?
G
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung wird diese
ündliche Anfrage zum Anlass nehmen, den Ausschuss
ür Arbeitsstätten mit dieser Aufgabe zu betrauen. Wir
erden also in diesem Bereich tätig werden.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja. – Vielen Dank für diese Antwort. Ich merke, dass
ie Bundesregierung initiativ werden möchte. Teilen Sie
ber mit mir die Auffassung, dass die Maßnahmen zum
chutz vor Passivrauchen seitens der Regierung insge-
amt relativ langsam umgesetzt werden? Das betrifft
uch den ganzen Bereich der Tabakreklame.
G
Zunächst einmal will ich sagen: Schauen Sie sich ein-al an, was in der Zwischenzeit in manchen Bundes-inisterien passiert ist. Da wird in vielen Bereichen deut-ich, dass Rauchen nicht erwünscht ist. Im Bundesdienstberwacht die Zentralstelle für Arbeitsschutz beim Bun-esinnenministerium und in ihrem Auftrag die Unfall-asse des Bundes die Einhaltung des Nichtraucherschut-es nach der Arbeitsstättenverordnung. Außerdem berät
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2546 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006
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Parl. Staatssekretär Gerd Andressie die Dienststellen bei der Umsetzung von Maßnahmenund bei der Ausgestaltung von Betriebsvereinbarungenund entsprechenden Hausanweisungen. Aus der Überwa-chungs- und Beratungspraxis kann geschlossen werden,dass der Nichtraucherschutz im Bundesdienst entspre-chend der Arbeitsstättenverordnung angemessen umge-setzt und auch praktiziert wird.Zur Evaluation der Maßnahmen im Zusammenhangmit den Zuständigkeiten der Länder habe ich Ihnen ebenschon geantwortet, dass wir dies entsprechend ergänzenwollen.
– Bitte schön.
Es gibt eine weitere Nachfrage. Frau Koczy, bitte
schön.
Herr Staatssekretär, wollen Sie daran arbeiten, dass
wir beim Schutz vor Passivrauchen im Vergleich zu an-
deren europäischen Ländern an der Spitze der Bewegung
sind? Oder sind Sie mit mir der Auffassung, dass wir
dann, wenn wir in dem Tempo, das Sie vorlegen, weiter-
machen, zur lahmen Ente werden?
G
Ich weiß nicht, welche Maßnahme welcher europäi-
schen Länder Sie meinen. Die Unterschiede sind be-
kanntlich sehr groß. Es gibt Länder mit einem ziemlich
rigiden Rauchverbot in Gaststätten, öffentlichen Einrich-
tungen und ähnlichem. So weit sind wir noch nicht ge-
gangen. Ich habe dazu schon einiges gesagt. Wir wollen
zunächst abwarten, welche Erfahrungen damit gemacht
werden. Ich denke, die Bundesregierung betreibt hierbei
auf alle Fälle eine Politik mit Augenmaß.
Dann sind wir jetzt bei der Frage 21 der Abgeordne-
ten Veronika Bellmann:
Welchen genauen Zeitpunkt versteht die Bundesregierung
unter „zeitnah“, wenn sie auf die Stellungnahme des Bundes-
rates zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vor-
schriften des Sozialen Entschädigungsrechts und des Gesetzes
über einen Ausgleich von Dienstbeschädigungen im Beitritts-
gebiet vom 23. Februar 2006
wie folgt in ihrer Gegenäußerung Stellung bezieht: „… ver-
sichert die Bundesregierung, … möglichst zeitnah ein tragfä-
higes Konzept zur weiteren Unterstützung der Opfer der SED-
Diktatur zu erarbeiten“, und wie ist die inhaltliche Ausrich-
tung eines solchen Konzepts vorgesehen?
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Frau Bellmann, in der von Ihnen leider nicht vollstän-
dig zitierten Gegenäußerung hat die Bundesregierung
versichert, gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen
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hre Beschädigung im Zusammenhang mit Menschen-
echtsverletzungen erlitten haben.
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Das ist nicht bekannt. Wir haben, wie Sie wissen, das
esetz heute Vormittag im Ausschuss für Arbeit und
oziales behandelt. Es hat in fast allen Fraktionen Über-
instimmung hinsichtlich eines Änderungsantrags gege-
en, mit dem klargelegt werden soll, dass die Entschädi-
ung bei Verstößen gegen die Menschenrechte zu
ersagen ist. Wir werden jetzt in Umsetzung der neuen
esetzlichen Regelung feststellen müssen, um wie viele
älle es sich handelt. Das kann ich beim besten Willen
ier nicht beantworten.
Vielen Dank für die Information. Ein Abgeordneter
ann nicht in mehreren Ausschüssen gleichzeitig sein.
alls Sie das als Kritik gemeint haben, dann weise ich
as insofern zurück.
Sie haben noch eine weitere Nachfrage, Frau
ellmann? – Bitte schön.
Meine weitere Nachfrage geht in eine ähnliche Rich-ung. Gibt es Erkenntnisse über die genaue Anzahl vonienstbeschädigten Stasimitarbeitern und mit welcheninanzvolumina ist in diesem Zusammenhang zu rech-en?
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. April 2006 2547
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Es tut mir Leid. Erlauben Sie mir eine Anmerkung:
Ihre Fragestellung hat eigentlich nur sehr mittelbar mit
dem zu tun, was Sie jetzt fragen. Ich bin gerne bereit, Ih-
nen die Informationen zur Verfügung zu stellen, die un-
ser Haus hat. Ich kann die Frage jetzt leider nicht beant-
worten.
Damit sind wir bei der Frage 22 des Abgeordneten
Jörg Rohde:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass im Rah-
men des Schätzmeldeverfahrens der Krankenkassen seit
1. Januar 2006 Menschen mit Behinderungen, die Arbeitgeber
von Pflegekräften im Privathaushalt sind, genauso wie ge-
meinnützige Vereine, die diese behinderten Arbeitgeber bei
der Lohnabrechnung unterstützen, durch die doppelte Büro-
kratie infolge der später zusätzlich erforderlichen Restschuld-
meldung vor einen Mehraufwand gestellt werden, der so groß
ist, dass er in vielen Fällen nicht mehr allein oder ohne zusätz-
liche Kosten bewältigt werden kann, und sieht die Bundes-
regierung Möglichkeiten, private Arbeitgeber, die infolge ei-
ner Behinderung den erhöhten organisatorischen Aufwand der
Schätz- und Restschuldmeldung nicht bewältigen können,
von der Pflicht zur Schätz- und Onlinemeldung zu befreien?
G
Herr Abgeordneter Rohde, die gesetzlichen Vorschrif-
ten über die Erhebung der Gesamtversicherungsbeiträge
treffen keine unterschiedlichen Regelungen für be-
stimmte Arbeitgebergruppen. Eine solche Differenzie-
rung ließe sich auch nicht begründen, da sich der Auf-
wand für die Berechnung und Abführung der
Sozialversicherungsbeiträge für alle Arbeitgeber in glei-
cher Weise darstellt. Dies gilt auch für Arbeitgeber mit
Behinderungen.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Rohde? – Bitte
schön.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung der
Tatsache bewusst, dass trotz des vorgezogenen Einzugs
der Beiträge durch die Krankenkassen der Kostenträger,
das Sozialamt, nur eine 30-prozentige Abschlagszahlung
gewährt – vielerorts nicht einmal das – und die behinder-
ten Arbeitgeber dadurch in eine Schuldenfalle geraten
können, zumal die Krankenkassenbeiträge monatlichen
Schwankungen unterliegen? Es geht um die privaten Ar-
beitgeber bzw. das persönliche Budget bei diesen
Modellversuchen.
G
Wir sind uns dessen bewusst. Ich kann aber gegen-
wärtig nicht sagen, wie viele Fälle es gibt. Dieses Thema
wird aber – wie heute Morgen im Ausschuss – auch in
anderen Zusammenhängen besprochen. In der politi-
schen Diskussion ist behauptet worden, dass diese Tat-
bestände massenweise zu Konkursen und zum Scheitern
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Welche Auswirkungen auf die Menschenrechtssituation in
Afghanistan hat die Verankerung sowohl von internationalen
Menschenrechtsabkommen als auch der Scharia in der afgha-
nischen Verfassung und welche Konsequenzen haben diese
Auswirkungen auf die Abschiebung afghanischer Flüchtlinge
in der Bundesrepublik?
Herr Kollege Beck, ich beantworte Ihre Frage wieolgt: In Art. 7 der afghanischen Verfassung wird dieültigkeit der Allgemeinen Menschenrechtserklärungon 1948 sowie der weiteren von Afghanistan ratifizier-en Menschenrechtsabkommen anerkannt. Die Verfas-ung sieht in Art. 130 für den Fall, dass keine andere ge-etzliche Norm anwendbar ist, die Anwendung dercharia vor. Die Scharia ist demnach nur subsidiär anzu-enden. Die Bundesregierung geht daher davon aus,ass die Menschenrechte im afghanischen Rechtssystemolle und durch keine religiösen Vorschriften einge-chränkte Geltung beanspruchen.Die Verfassung wurde 2004 nach zähem Ringen deresellschaftlichen und politischen Kräfte in Afghanistan
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Staatsminister Günter Gloserverabschiedet. Die Bundesregierung unterstützt weiter-hin jene Kräfte und Institutionen, die diese menschen-rechtskonforme Rechtsauslegung in allen Teilen desLandes in die Praxis umsetzen. Der Bundesregierung istkein Fall bekannt, in dem mit einem rechtskräftigen Ur-teil die Menschenrechte eines Angeklagten in Afghanis-tan aufgrund der Anwendung der Scharia durch ein or-dentliches Gericht verletzt worden wären. Daher habendiese Verfassungsbestimmungen keine Auswirkung aufdie Abschiebung afghanischer Flüchtlinge aus der Bun-desrepublik.
Herr Kollege, Ihre Nachfragen.
Ich muss sagen: Ich bin jetzt doch etwas baff. Es
wurde gerade eine Diskussion über den Christen Abdul
Rahman geführt. Wir haben gesehen, dass die afghani-
sche Gerichtsbarkeit den bloßen Religionswechsel, den
Übertritt vom Islam zum Christentum, zum Anlass für
ein Todesurteil nehmen wollte. Ich bin davon ausgegan-
gen, dass wir uns hier im Hause auch mit der Bundes-
regierung einig sind, dass das eine erhebliche Menschen-
rechtsverletzung darstellen würde. Sie haben Recht: Es
gibt kein in Kraft getretenes Urteil. Es konnte aber nur
durch einen politischen Winkelzug abgewendet werden.
Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen, ob Ih-
nen tatsächlich keine anderen Hinweise vorliegen, dass
aufgrund der subsidiären Anwendung der Scharia in
Afghanistan die Menschenrechte für bestimmte Gruppen
und bei bestimmten Handlungen nicht gewährleistet
sind. Das hätte natürlich Rückwirkungen im Hinblick
auf die Bewertung des Flüchtlingsschutzes.
Herr Kollege Beck, ich denke, wir sind uns einig, dass
wir im Parlament vieles gemeinsam unternommen ha-
ben, um in Afghanistan nach 23 Jahren Bürgerkrieg den
Aufbau des Landes zu ermöglichen. Das gilt in besonde-
rem Maß für die Justiz. Viele Staatsanwälte und Richter
sind trotz erheblicher Anstrengungen der internationalen
Gemeinschaft bei der Reform des Justizwesens noch
Vorstellungen verhaftet, die sich nicht mit dem neuen
Rechtssystem decken. Das ist der Punkt, den Sie ange-
sprochen haben. Es ist aber gerade das Ziel, dort ein
Rechtssystem zu entwickeln, das unseren Anforderun-
gen entspricht. Ich sage noch einmal: Zurzeit ist der
Bundesregierung kein Fall bekannt, in dem ein Urteil auf
Grundlage der Scharia ausgesprochen worden wäre.
Sind Sie sicher, dass sich die Rechtslage im Falle ei-
nes Übertritts von Muslimen zum Christentum, zum Ju-
dentum, zur Religion der Bahá'í oder zu einer anderen
Religion so gestaltet, dass in Zukunft keine strafrechtli-
che Verfolgung und erst recht keine Todesstrafe droht?
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Herr Staatsminister, das, was Sie gerade gesagt haben,
teht aber in einem extremen Widerspruch zu dem, was
n der afghanischen Öffentlichkeit, unter anderem in der
fghanischen Presse, debattiert worden ist, nämlich wie
iesem Fall überhaupt beizukommen sei. Ich frage Sie,
b Sie folgende Auffassung teilen: Offensichtlich war
ie Rechtslage doch so, dass ein Übertritt zum Christen-
um nur dann straffrei ist, wenn eine Geisteserkrankung
orliegt, und dass eine Todesstrafe dann in eine Gefäng-
isstrafe umgewandelt werden kann, wenn davon auszu-
ehen ist, dass der Übertritt im Wahn stattgefunden hat.
as deckt sich überhaupt nicht mit der Einschätzung, die
ie eben gegeben haben. Die Einschätzung der Bundes-
egierung wird sich nicht nur auf das Lesen von Geset-
estexten stützen können; die Bundesregierung wird
ohl auch zur Kenntnis nehmen müssen, wie die breite
ffentlichkeit in Afghanistan über diesen Fall diskutiert
at.
Herr Kollege Winkler, ich möchte noch einmal aufen Aspekt eingehen, den ich vorhin erwähnt habe: Af-hanistan ist natürlich im Aufbau befindlich. Wir alleüssen ein Interesse daran haben – wir müssen die ent-prechende Unterstützung leisten –, dass dort einechtssystem entsteht. Ich teile insofern Ihre Auffas-ung. Die Bundesregierung wird sich nicht nur an demerfassungstext orientieren – natürlich ist auch er wich-ig –, sondern auch seine Umsetzung betrachten. Des-alb wird sie die Entwicklungen genau beobachten.Es ist sicherlich nicht so, dass wir den von Ihneneschriebenen Fall akzeptieren und als nebensächlichetrachten. Wir wollen, dass die Menschenrechte in
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Staatsminister Günter GloserAfghanistan insgesamt akzeptiert werden und von Ver-waltung und Justiz beachtet werden.
Ich rufe nun die Frage 28 des Kollegen Volker Beck
auf:
Wie sieht die Rechtspraxis in Afghanistan – Bereiche
Frauenrechte, Religionsfreiheit und Homosexualität – aus und
welche Konsequenzen hat dies für die Abschiebung afghani-
scher Flüchtlinge in der Bundesrepublik?
Herr Kollege Beck, die Lage der Frauen in Afghanis-
tan verbessert sich trotz formeller Aufhebung der gegen
sie gerichteten Verbote aus der Talibanzeit nur langsam,
wie ich zugeben muss. Entwicklungsmöglichkeiten für
Mädchen und Frauen sind durch konservative gesell-
schaftliche Strukturen vor allem im ländlichen Bereich
weiterhin wesentlich eingeschränkt.
Zur Religionsfreiheit ist zu sagen, dass Art. 2 Abs. 1
der neuen afghanischen Verfassung bestimmt, dass der
Islam Staatsreligion Afghanistans ist. Art. 2 Abs. 2 die-
ser Verfassung räumt Angehörigen anderer Religionsge-
meinschaften das Recht ein – darauf sind wir vorhin
schon eingegangen –, ihren Glauben im Rahmen der Ge-
setze auszuüben und ihre religiösen Bräuche zu pflegen.
Dieses Recht steht unter einem Gesetzesvorbehalt. Ich
füge hinzu: Dieser Vorbehalt ist nach Kenntnis des Aus-
wärtigen Amtes bislang nicht konkretisiert worden. Der
Bundesregierung ist kein Fall bekannt, in dem die Reli-
gionsfreiheit in Afghanistan durch ein rechtskräftiges
Gerichtsurteil eingeschränkt worden wäre.
Homosexualität ist in Afghanistan ein Tabuthema. Es
ist davon auszugehen, dass ein offenes Bekenntnis zur
Homosexualität zur gesellschaftlichen Diskriminierung
führen würde.
Eine Entscheidung über Konsequenzen für Rückfüh-
rungen ausreisepflichtiger Personen mit afghanischer
Staatsangehörigkeit – diese Personen sind übrigens
keine Flüchtlinge im rechtlichen Sinne – liegt nach der
gesetzlichen Zuständigkeitsregelung bei den Innenbe-
hörden der Länder.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Liegen dem Auswärtigen Amt Informationen darüber
vor, dass es beim Thema Homosexualität zu keiner An-
wendung der Scharia kommt? Ist es seit dem
In-Kraft-Treten der Verfassung zu keinen strafrechtli-
chen Urteilen gegen Homosexuelle gekommen? Welche
strafrechtlichen Urteile oder welche anderweitigen Ver-
folgungsmaßnahmen sind Ihnen bekannt?
Wie ich vorhin ausgeführt habe, wird dieses Thema in
der afghanischen Gesellschaft tabuisiert. Insofern tritt
man damit nicht an die Öffentlichkeit. Der Bundesregie-
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Herr Staatsminister, Sie haben gerade gesagt, man
önne davon ausgehen, dass ein öffentliches Bekenntnis
ur Homosexualität in Afghanistan zur gesellschaftli-
hen Diskriminierung führen könne. Nun ist es ja nicht
o, dass das in weiten Teilen der Bundesrepublik nicht
uch der Fall sein könnte. Teilen Sie aber die Auffas-
ung, dass gesellschaftliche Diskriminierung von Homo-
exuellen in Afghanistan andere Konsequenzen mit sich
ringen könnte als in Deutschland und dass das auch Im-
likationen für das Fluchtverhalten und das Asylrecht
at?
Herr Kollege Winkler, ich habe nicht die gesellschaft-
ichen Verhältnisse verglichen, sondern nur auf die Frage
eantwortet, mit welchen Konsequenzen zu rechnen ist.
ch sage noch einmal, auch im Hinblick auf die gestellte
rage: Der Bundesregierung ist bis heute kein solcher
all bekannt. Wenn das, was Sie ausgeführt haben, dort
anz anders betrachtet würde als bei uns und Konse-
uenzen für die Betroffenen hätte, dann müsste das bei
er Beurteilung bestimmter Rückführungsfälle natürlich
einen Niederschlag finden.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs desuswärtigen Amtes. Herr Staatsminister, ich danke Ih-en für die Beantwortung der Fragen.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-inisteriums des Innern. Für die Beantwortung der Fra-
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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldtgen steht der Parlamentarische Staatssekretär PeterAltmaier zur Verfügung.Die Frage 29 des Abgeordneten Jürgen Trittin wirdschriftlich beantwortet.Ich rufe die Frage 30 des Kollegen Markus Kurth auf:Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass dieZentrale Ausländerbehörde Dortmund abgelehnte Asylbewer-ber einer inoffiziellen Delegation aus Guinea vorführt, umaufgrund einer Inaugenscheinnahme die Identität der abge-lehnten Asylbewerber zu klären und so genannte Passersatz-
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Herr Kollege Kurth, die Frage wurde teilweise bereits
von Staatsminister Gloser beantwortet. Ich darf noch
einmal darauf hinweisen, dass die Zentrale Ausländerbe-
hörde in Dortmund nach bundesgesetzlichen Vorschrif-
ten gehandelt hat, und zwar im Rahmen des Aufenthalts-
gesetzes. Diese Vorschriften werden nach Art. 83 des
Grundgesetzes von den Ländern als eigene Angelegen-
heiten ausgeführt.
Deshalb kann ich zu Ihrer Frage nur ganz allgemein
Folgendes sagen:
Wenn jemand rückgeführt werden soll, hat das zur
Voraussetzung, dass die Staatsangehörigkeit festgestellt
wird und nachfolgend auch Heimreisedokumente ausge-
stellt werden. Das wiederum bedingt die Kooperation
mit den beteiligten Staaten. Diese Kooperation erfolgt
im Einklang mit dem Völkerrecht. Es liegt in der Natur
der Sache, dass dem Staat, der die Rückübernahme einer
ausreisepflichtigen Person durchführen soll, im Zwei-
felsfall auch die Möglichkeit eingeräumt wird, sich diese
Person vorstellen zu lassen und sie zum Zweck der Veri-
fizierung der Staatsangehörigkeit anzuhören. Das ist Vo-
raussetzung für die Feststellung der Staatsangehörigkeit.
Die Rechtsgrundlage für diese Anhörungen findet
sich in § 82 Abs. 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes, wo-
nach das persönliche Erscheinen des Ausländers unter
anderem bei den Vertretungen des Staates, dessen Staats-
angehörigkeit er vermutlich besitzt, angeordnet werden
kann. Es ist völlig unbestritten, dass der Begriff „Vertre-
tung“ im Sinne dieser Vorschrift nicht räumlich – in Be-
zug auf Gebäude der diplomatischen Vertretungen –,
sondern in Bezug auf die handelnden Personen zu ver-
stehen ist.
Haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte.
Gleichwohl werden Sie mir doch darin zustimmen,
dass man das Notwendige zum Zweck der Feststellung
der Staatsbürgerschaft im Rahmen der Verfahren der
Bundesrepublik Deutschland tun sollte, wo auch immer
die Vertretung ist. Wie also ist es zu bewerten, wenn der
Leiter der Zentralen Ausländerbehörde in Dortmund
sagt, wo die Delegation diese Inaugenscheinnahme der
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Entschuldigung, Frau Kollegin. Der Herr Staatssekre-
är war mit seiner Beantwortung noch nicht fertig.
Entschuldigung!
Ich denke, wir sollten ihm noch einmal die Gelegen-
eit zur Beantwortung geben.
Aber gerne. Vielleicht beantwortet er meine Frage ja
esser als bisher.
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Hoffnung sollte man immer haben; aber zu viel Hoff-ung kann ich Ihnen nicht machen, Frau Höhn.Wie in Deutschland ein Geschäftsgeheimnis zu defi-ieren ist, ergibt sich nicht aus der schwedischen oderer dänischen Rechtsordnung, sondern aus der deut-chen Rechtsordnung. Danach ist unbestritten, dass Ge-chäftsgeheimnisse auch dann vorliegen, wenn Rück-chlüsse auf die Wettbewerbsposition gezogen werdenönnen. Es gibt in der Literatur, auch in der deutscheniteratur, vereinzelt die Position, dass Informationen, dieen Wettbewerb betreffen, niemals als Geschäftsgeheim-isse definiert werden können, sodass sie – ganz in Ih-em Sinne – bekannt gegeben werden dürfen. Dies istach meinem Kenntnisstand aber eine Mindermeinung.uch in erstinstanzlicher Rechtsprechung wird diese
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Parl. Staatssekretär Dr. Peter PaziorekRechtsmeinung nicht geteilt, sodass wir zu dem Ergeb-nis kommen, dass es sich hier um Geschäftsgeheimnissehandelt und wir dies daher nicht weiter spezifizierenkönnen.
Jetzt haben Sie das Wort zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich erinnere mich an das Verbrau-
cherinformationsgesetz. Danach dürfen Informationen
ebenfalls wegen der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
nicht weitergegeben werden. Nun kommen Sie mit der-
selben Argumentation: Hier können Informationen nicht
weitergegeben werden, weil auch die Höhe der Subven-
tionen, die diese Unternehmen erhalten, Betriebs- und
Geschäftsgeheimnis ist. Sind Sie nicht mit mir der Mei-
nung, dass man diese Definition von Betriebs- und Ge-
schäftsgeheimnissen in Deutschland endlich einmal än-
dern muss, damit wir zu transparenten Informationen
kommen?
Dr
Ich bin nicht Ihrer Meinung, Frau Abgeordnete.
Dann rufe ich die Frage 40 der Kollegin Bärbel Höhn
auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Direktzahlungen an
landwirtschaftliche Betriebe in Abhängigkeit zu Betriebs-
größe und Beschäftigtenzahl in aggregierter Form zu veröf-
fentlichen und die Direktzahlungen an die 100 Betriebe, die
die höchsten Beträge erhalten, offen zu legen?
Dr
Verehrte Frau Kollegin, die Verteilung der Direktzah-
lungen an landwirtschaftliche Betriebe nach Größenklas-
sen der Zahlungsbeträge wird von der EU-Kommission,
auch nach Mitgliedstaaten sortiert, regelmäßig veröffent-
licht und ist über das Internet abrufbar. Die Aktualisie-
rung der Zahlen für das Haushaltsjahr 2005 ist derzeit in
Bearbeitung.
Informationen über die Zusammensetzung und Ver-
teilung der Direktzahlungen nach Produktionsrichtun-
gen, Rechtsformen und Betriebsgrößen finden sich im
Agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung und im
Statistischen Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten. Aus den betreffenden Tabellen ist auch die
Höhe der Direktzahlungen je Arbeitskraft ersichtlich.
Die Direktzahlungen an die 100 Betriebe, die die
höchsten Beträge erhalten haben, kann ich hingegen
auch nicht in anonymisierter Form offen legen. Es han-
delt sich um Einzelbetriebsdaten, die von den zuständi-
gen Länderbehörden erhoben werden. Der Informations-
gewinn durch eine solche Veröffentlichung wäre auch
nur äußerst begrenzt, da die Direktzahlungen bekannter-
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as ist der eigentliche Anlass für die Erörterung deshemas im Deutschen Bundestag.Einen Tag bevor dieser Brief die Öffentlichkeit er-eicht hat, hatte die CDU in der Bezirksversammlungeukölln den Antrag gestellt, sich um diese Schule zuemühen und zu kümmern. Der zuständige Stadtrat ant-ortete darauf, mit dem Kollegium sei alles besprochen,eder einzelne Punkt durchdekliniert, und im Übrigenabe man die Schulleitung und das Kollegium daraufingewiesen, dass es nicht in Ordnung sei, solche Briefenter Umgehung des Dienstweges zu schreiben. Wennas die staatliche Antwort einer Verwaltung auf diesenrennpunkt, auf diesen Vorgang ist, dann ist das angnoranz nicht zu überbieten.
s wird eine Herausforderung für uns sein, auch an an-eren Orten – die Rütli-Schule ist nicht die einzigechule –, in denen es Schulen mit solchen Unterrichtssi-uationen gibt, die in Brennpunkten und in solchen so-ialen Milieus liegen, ernsthaft über Integrationspolitiku sprechen und uns nicht mehr aufgrund der alten Poli-ical Correctness zu scheuen, offen zu sagen, was dienforderungen eines freiheitlichen Staatswesens an die-enigen sind, die zu uns kommen, und was hier getanerden muss. Das ist unumgänglich.
Das beginnt mit einem ganz kleinen Sachverhalt, dernabdingbar für Integration, für Kommunikation in derchule und auch für Kommunikation des Elternhausesit der Schule ist: dem Erlernen der deutschen Sprache.
ch betone das, weil vielleicht viele hier sagen, das seiine bare Selbstverständlichkeit. Ich habe noch Diskus-ionen im Gedächtnis, in denen Mitbürgerinnen und Mit-ürger den Eindruck erweckten, als sei die Anforderung,uerst einmal die deutsche Sprache zu lernen, eine Arteeinträchtigung der kulturellen Identität derer, die zuns kommen. Für mich ist das eine bare Selbstverständ-ichkeit für die Kommunikation in freiheitlichen Staaten.
Wir haben das Problem lange verdrängt. Wir kanntenie hohen Anteile von Ausländern mit sprachlichen Pro-lemen auch an anderen Schulen in Deutschland. DieISA-Studien haben uns schon früher auf Niveauver-uste im Unterricht hingewiesen.
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Dr. Wolfgang Gerhardt– Herr Benneter, wenn Sie jetzt sagen, ich würde offeneTore einrennen, dann begrüße ich den Sinnenswandelder Sozialdemokratischen Partei, der durch diesen Zwi-schenruf zum Ausdruck kommt.
Wir haben mit Ihnen früher ganz andere Diskussionengeführt. Ihre kleine Lärmkulisse hier sollte bei Ihnenkeine Selbsttäuschung bewirken. Die deutsche Sprachezu erlernen, bedeutet nämlich zum einen, dass wir unsdas hier mitteilen und offene Türen einrennen;
ich möchte aber zum anderen wissen – Schule ist dasverfassungsrechtliche Hausgut der Länder –, wie das inden Ländern und hier speziell in der Hauptstadt Berlinsichergestellt wird.
Es muss eine exakte Prüfung erfolgen und die Einschu-lung kann nur erfolgen – zumindest mit Stützmaßnah-men –, wenn die deutsche Sprache einigermaßen be-herrscht wird.Ich halte das im Übrigen auch für eine Anforderungan die Elternhäuser. Ich frage mich, ob hier eine genü-gende Kommunikation deutscher Behörden gegeben ist,die gegebenenfalls mit Sanktionen reagieren können. Al-les, was ich bisher höre, bedeutet, dass nicht genügendgetan wird. Das Problem wird nicht hinreichend ernstgenommen. Es wird in Debatten erörtert; aber es wirdnichts vollzogen. Darum geht es in zweiter Linie.Da wir jetzt offene Türen einrennen und uns einigsind, Herr Benneter, mache ich Ihnen folgenden Vor-schlag: Gehen Sie zum Schulsenator – er spricht jagleich hier – und fragen ihn, wie das in Berlin vollzogenwird.
Denn hier Ausführungen zu machen, das ist nur die eineSeite.Ich sage das deshalb, weil der Hilferuf der Lehrerin-nen und Lehrer doch auch darauf hinweist, dass Toleranznicht Gleichgültigkeit sein kann, dass Respekt vor kultu-reller Identität nicht Wegsehen bedeuten kann, dass dasgenaue Hinsehen die Herausforderung ist, dass das in ei-nem freiheitlichen Staatswesen notwendig ist und dassdieser Einstellung auch zum Durchbruch verholfen wer-den muss.Es gibt ganz einfache pädagogische Erkenntnisse, diefür jedes Kind gelten und die wir auch nicht vergessensollten, wenn es um zugewanderte Kinder und um derenElternhäuser geht: Es ist kein Aufwachsen in einer frei-heitlichen Gesellschaft möglich, ohne in der SchuleLeistung und Disziplin zu fordern. Es ist kein andererpädagogischer Weg möglich als die intensive Zuwen-ddlmKmkKDmRiSSgHDdfaZi4kasbihKgmwg
Für die Bundesregierung hat nun das Wort die Staats-
inisterin Dr. Maria Böhmer.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Wir wissen sehr wohl, worauf es ankommt.as heißt, wir müssen die Realitäten in den Blick neh-en. Ich will einige dieser Realitäten am Anfang meinerede sehr deutlich nennen – wir haben sie heute Morgenm Innenausschuss genauso benannt –: In vielen großentädten in unserem Land werden wir im Jahr 2010 dieituation vorfinden, dass die Hälfte der unter 40-Jähri-en einen Migrationshintergrund hat und die andereälfte Deutsche sind.
ann werden wir nicht mehr über Mehrheiten und Min-erheiten diskutieren. Daher sind wir nun gefordert, da-ür zu sorgen, dass die Integration konkret wird und dassus Parallelgesellschaften ein Miteinander wird.
Hinzu kommt, dass jeder fünfte Schüler, der aus eineruwandererfamilie stammt, ohne Schulabschluss bleibt;n Neukölln ist es sogar jeder Dritte. Bundesweit können0 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrundeinerlei berufliche Qualifizierung vorweisen. Legt manllein diese wenigen Zahlen zugrunde, muss man fest-tellen, dass in der Tat erhebliche Integrationsdefiziteestehen.Die Zeit des Wegschauens bzw. der Gleichgültigkeitst vorbei. Wir müssen die Bilanz, die ich gerade genanntabe, zur Kenntnis nehmen und daraus die richtigenonsequenzen ziehen. Deshalb wird sich die Bundesre-ierung in dieser Legislaturperiode schwerpunktmäßigit dem Thema Integration beschäftigen. Auch dann,enn die Scheinwerfer nicht mehr auf die Rütli-Schuleerichtet sind, werden wir bei der Integration einen
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Staatsministerin Dr. Maria BöhmerSchwerpunkt setzen und dieses Thema mit aller Kraft inAngriff nehmen.
Da ich am vergangenen Freitag die Rütli-Schule be-sucht habe, kann ich Ihnen sagen: Diese Schule ist einSonderfall, aber leider kein Einzelfall. Der Anteil derSchülerinnen und Schülern arabischer Herkunft beträgtdort 43 Prozent; 30 Prozent von ihnen sind türkischerAbstammung und 13 Prozent sind deutscher Herkunft.Allerdings möchte ich betonen: Allein die Tatsache, dassder Ausländeranteil an einer Schule hoch ist, muss nochnicht bedeuten, dass dort Gewalt vorprogrammiert ist
und dass die Schule und damit die Schülerinnen undSchüler keine Chance haben. Es kommt ganz darauf an,in welchem Zustand sich die Schule befindet. Die Lehre-rinnen und Lehrer der Rütli-Schule stehen inzwischenmit dem Rücken zur Wand. Sie wurden allein gelassen.Das darf nicht sein. Sie brauchen Hilfe und Unterstüt-zung.
Ich war sehr verwundert, als ich feststellen musste,dass erst vor kurzem zwei Sozialarbeiter und ein Schul-psychologe in diese Schule geschickt worden sind, dassdie Leitung der Schule nicht wahrgenommen wurde,weil die Schulleiterin seit längerer Zeit erkrankt ist, unddass die Stelle des Konrektors seit mehr als zehn Jahrennicht besetzt ist. Es darf einfach nicht sein, dass Schulenso allein gelassen werden.
Das ist kein Einzelfall. An zehn weiteren BerlinerHauptschulen gibt es ebenfalls keinen Konrektor, weilsich für diese Stellen niemand findet.
Natürlich muss man fragen, warum das so ist. Die not-wendige Hilfe von außen habe ich bereits angesprochen.Aber man muss auch die Frage stellen, ob Hauptschul-lehrer, die in sozialen Brennpunkten tätig sind, vielleichtnicht nur mehr Anerkennung, sondern auch eine Leis-tungszulage verdient haben. Denn dort, wo Leistung be-sonders gefordert ist, muss sie, wie ich finde, auch hono-riert werden.
Zur Forderung nach einer Abschaffung der Haupt-schule kann ich nur sagen: Wir müssen von unseren typi-schen Reflexen Abstand nehmen. Ich weiß, dass derBund für die Bildung nicht mehr zuständig ist; das istrichtig.
ber an dieser Stelle müssen wir uns auf die Stärken derauptschule besinnen. Wer die Hauptschule abschreibt,er schreibt auch ihre Schüler ab. Dazu darf es nichtommen.
Wir müssen für eine stärkere Verzahnung von Schulend Betrieb sorgen, die auch praktiziert wird, zum Bei-piel an den so genannten SchuB-Klassen in Hessen oderurch das Hamburger Modell. Auch in Berlin gibt esinzelne Schulen, an denen man solche Wege beschrei-et. Dort haben die Schülerinnen und Schüler sehr wohline Chance.
ie Schule muss also gestärkt werden, damit sie in derage ist, ihre Aufgaben zu erfüllen.
An dieser Stelle will ich betonen: Es ist notwendig,ass wir insbesondere den Hauptschülerinnen und -schü-ern eine Perspektive geben. Denn eines haben mir diechüler der achten Klasse der Rütli-Schule, die ich be-ucht habe, sehr deutlich gesagt: Wir haben doch keinehance auf einen Ausbildungsplatz.Deshalb wollen wir als neue Bundesregierung allesaransetzen, dass diejenigen, die einen Migrationshinter-rund haben, in der Zukunft bessere Chancen haben, ei-en Ausbildungsplatz zu bekommen. Das haben wir imusbildungspakt an der Stelle „Jugendliche mit Migra-ionshintergrund“ verankert.
Ich werde morgen gemeinsam mit Kollegen aus demundesbildungsministerium mit Unternehmen, die vonusländern geführt werden, darüber sprechen, dass ge-ade in diesem Bereich mehr Ausbildungsplätze bereit-estellt werden. Ich finde, wir müssen dem Beispielrankreichs folgen.
ier sind die deutschen Unternehmen gefordert, sich imahmen einer Selbstverpflichtung bereit zu erklären,ehr Ausbildungsplätze für Jugendliche zur Verfügungu stellen; denn daran entscheiden sich die Zukunft-chancen.
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Staatsministerin Dr. Maria Böhmer– Ich erinnere mich, dass Sie einmal in der Verantwor-tung standen; es ist noch gar nicht so lange her. Wer hatdenn die Integrationsdefizite zu verantworten?
Sie waren in der Verantwortung.
Ich will noch ein deutliches Wort zum Erwerb derdeutschen Sprache sagen – ich bin Herrn Gerhardt sehrdankbar, dass er diesen Punkt benannt hat –: Es muss ge-lingen, dass jedes Kind, das die Grundschule besucht, diedeutsche Sprache so beherrscht, dass es dem Unterrichtvon Anfang an voll folgen kann; das ist das A und O.
Ich sehe, dass die Bundesländer die Kindergärten im-mer mehr zu Bildungseinrichtungen entwickeln
und dass dort frühkindliche Förderung stattfindet. Wirbrauchen Sprachstandstests und wir brauchen entspre-chende Fördermöglichkeiten.
Wir hatten vor einiger Zeit eine laute Diskussion imganzen Land über die Hoover-Realschule in Berlin.
Dort hatte sich die Schule gemeinsam mit den Eltern undmit den Schülerinnen und Schülern entschlossen, dassDeutsch die Sprache ist, die im gesamten Schulbetriebgesprochen wird, dass Deutsch also auch auf dem Schul-hof gesprochen wird. Es ging ein Aufschrei durch unserLand. Ich habe mich gewundert: Es muss doch selbstver-ständlich sein, dass Deutsch nicht nur im Unterricht,sondern auch auf dem Schulhof gesprochen wird, im ge-samten Schulleben: damit Schülerinnen und Schüler einebessere Chance haben. Deshalb sage ich: Dieses Beispielmuss Schule machen.
Hinzukommen muss ein Zweites. Denn die Lehrerin-nen und Lehrer haben mir gesagt, sie können sich mitden Eltern kaum verständigen. Es ist in der Tat ein Pro-blem, wenn Eltern zum Gespräch, zum Elternnachmittagoder zum Elternabend eingeladen werden und man mitihnen ganz konkret über die Situation der Schülerinnenund Schüler reden will, man sich aber nicht verständigenkann und die Kinder Dolmetscherfunktion übernehmenmüssen. Deshalb ist es für uns so wichtig, dass die Inte-grationskurse, die Elternkurse und die Sprachangebote,ganz gezielt für Mütter, genutzt werden.HgkdDDnEwdwaFHSkZsSmlsbIkpPbzdzAaa
eute Vormittag haben wir im Innenausschuss darüberesprochen, wie wir dieses Instrument der Integrations-urse weiterentwickeln können, damit Eltern ihren Kin-ern die Unterstützung geben können, die sie brauchen.as bedeutet, wir müssen Integration konkret machen.iesen Weg werden wir fortsetzen: Wir arbeiten auf ei-en nationalen Aktionsplan hin; denn wir müssen diebenen Bund, Länder und Kommunen verbinden. Wirollen, dass Kinder in unserem Land Chancen haben,amit sie sich später beruflich integrieren können. Dasird unsere Aufgabe sein; das sind die Konsequenzenus den Vorgängen in der Rütli-Schule.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch,
raktion Die Linke.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen underren! Liebe Gäste auf den Tribünen! An der Rütli-chule ist einiges falsch gelaufen. Das ist zu Recht zuritisieren. Aber jede Verallgemeinerung ist gefährlich:
um einen haben nicht alle 54 Hauptschulen in Berlinolche Probleme; ich habe bei meinen regelmäßigenchulbesuchen im Wahlkreis viele gute Erfahrungen ge-acht. Zum anderen, Frau Böhmer, gibt es auch an vie-en Hauptschulen, in denen nicht ein einziges Kind mito genanntem Migrationshintergrund ist, ähnliche Pro-leme wie in dieser Hauptschule.
ch lehne es also ab, das allein als Migrationsproblem zuennzeichnen; es ist vielmehr ein Problem der Bildungs-olitik.
Der neue Leiter der Rütli-Schule hat gestern auf derressekonferenz einiges klargestellt: Es gibt große Pro-leme an der Schule, aber es gibt auch eine Diskrepanzwischen den Mediendarstellungen und der Situation anieser Schule. Seine Äußerungen lassen sich wie folgtusammenfassen:Erstens. An der Rütli-Schule werden ab sofort einrabisch und ein Türkisch sprechender Sozialpädagogerbeiten. Ab 1. Mai 2006 wird es einen weiteren Sozial-rbeiter geben. Das ist der richtige Weg.
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Zweitens. Die Schülerinnen und Schüler wenden sichgegen eine diskriminierende Verurteilung in der Öffent-lichkeit.Drittens. Die Rütli-Schule sollte nicht zur Wahl-kampfarena werden; denn das würde weder den Schüle-rinnen und Schülern noch den Lehrern helfen.
Meine Damen und Herren, die Redezeit reicht nichtaus, um sich mit allen unqualifizierten Äußerungen zudiesem Thema auseinander zu setzen. Die üblichen Ver-dächtigen wie Herr Schönbohm und Herr Stoiber habenja für jedes Problem die gleiche Lösung: einsperren oderausweisen. Das ist dumm und gefährlich zugleich.
Wer sich ernsthaft mit dem Problem Schule beschäfti-gen möchte, muss auch bereit sein, die eigene Politik zuhinterfragen. Herr Gerhardt, ich gehe davon aus, dass dieFDP dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat, umdeutlich zu machen, dass die Rütli-Schule für eine bil-dungspolitische Sackgasse und für ein bildungspoliti-sches Auslaufmodell steht, nämlich für das dreigliedrigeSchulsystem.
Das ist ein Selektionssystem, mit dem viele junge Men-schen unabhängig von ihrer Muttersprache frühzeitig insAbseits gestellt werden. Denken Sie doch mal selberdarüber nach, wie Sie in der 4. Klasse, in der 6. Klasseoder in der 8. Klasse waren und wann die Weichen ge-stellt wurden.
Damit sinken die Ausbildungs- und Arbeitsmarktchan-cen dieser Kinder drastisch.
Wen wundert es dann, dass diese Perspektivlosigkeit zuLethargie und Aggressionen führen kann?Meine Damen und Herren, die Frage, die hier bespro-chen werden muss, ist doch, was der Bundestag tunkann, um den jungen Menschen an dieser Schule und anden anderen Hauptschulen in unserem Land eine Chanceauf Bildung und Arbeit zu geben. Die Bundestagsfrak-tion der Union hat nun einen Integrationsgipfel bei FrauMerkel vorgeschlagen. Ich sage Ihnen: Das ist ein Pla-cebo für die aufgeregte Öffentlichkeit. Das wird an derSituation der Jugendlichen nichts ändern; denn es ist einTrugschluss, dass man mit Gipfeltreffen alle Problemelösen könnte. Das ist symbolisch und kurzatmig. Wirbrauchen konkrete Vorschläge.tVddsmhsulwdwpCgfWAvlRPsawnhkd
ir erwarten von der Bundesagentur für Arbeit mehrnstrengungen bei der Qualifizierung und Vermittlungon jungen Menschen in den ersten Arbeitsmarkt.
Meine Damen und Herren, in den 20er-Jahren desetzten Jahrhunderts orientierten sich die Lehrer derütli-Schule an den Ideen der Reformer Wilhelmaulsen und Peter Petersen. Die Hauptidee war: Kinderollten in der Schule nicht nur Wissen erwerben, sondernuch das Zusammenleben einüben und gestalten. Ichürde mich freuen, wenn wir der Schule, den Schülerin-en und Schülern und allen Schulen im Lande wirklichelfen könnten und wenn wir hier nicht eine Wahl-ampfarena betreten würden.Vielen Dank.
Für den Bundesrat hat nun Herr Senator Klaus Bögeras Wort.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichkomme gerade von einer Konferenz aller meiner Haupt-schulleiterinnen und Hauptschulleiter in Berlin. Ich habenicht zum ersten Mal und, wie ich denke, auch nicht zumletzten Mal mit den Damen und Herren gesprochen.
Die wichtigste Konsequenz, die die Kolleginnen undKollegen aus dieser Diskussion um die Rütli-Schule zie-hen, ist die, dass jetzt alle in unserem Land offen, kri-tisch und auch selbstkritisch über Wege zur Integrationvon Kindern von Ausländern, von Kindern, die einenicht deutsche Herkunftssprache sprechen, und von Kin-dern, deren Eltern bildungsfern oder arbeitslos sind, dis-kutieren müssen. Das ist wichtig.
– Für manche ist es nie zu spät.
– Den Zuruf des Kollegen aus der CDU/CSU, wie vieleJahre ich im Amt bin, nehme ich gerne auf. Ich bin ge-nau sechs Jahre im Amt. Glauben Sie im Ernst, HerrKollege, dass dieses Problem in sechs Jahren entstandenist? Dieses Problem ist in Deutschland in über 20 Jahrenentstanden; das müssen wir zur Kenntnis nehmen.
Die Rütli-Schule ist in der Tat kein Einzelfall. Ich warnedavor, dies in Berlin oder in anderen bundesdeutschenGroßstädten isoliert zu betrachten. Es ist in der Tat eineHerausforderung.Sie sitzen hier im Reichstag im Bezirk Berlin-Mitte.
– Ja, im Bundestag. Aber es geht um den Bezirk Mitte.In diesem Bezirk sind 56 Prozent aller Schülerinnen undSchüler Kinder mit Migrationshintergrund, Tendenz stei-gend. Was können und müssen wir in diesem Land tun?Das Erste ist: Wir müssen diese Kinder als unsere Kin-der annehmen und nicht wegschicken.
Wir müssen sie – das sage ich ganz betont – bilden underziehen. Dies ist notwendig, weil es erhebliche kultu-relle Differenzen zwischen dem, was Kinder in denElternhäusern prägt, und dem gibt, was sich in jahrzehn-telanger Diskussion als unsere gemeinsamen Wertvor-stellungen entwickelt hat. Das ist die Wahrheit.Wir brauchen Unterstützung, weil unsere Gesellschaftund die Gesellschaftsstruktur enorme Probleme mit Ar-beitslosigkeit und Perspektivlosigkeit hat, was sich auchauf die Eltern auswirkt. Das ist – bei allem Respekt –nicht nur ein Problem der Bildungspolitik.mrgrB9eKdaedsksBnBrIkDwurWdtDsSiPnigdf
Ich habe viele Ratschläge gehört und bekommen. Ichöchte Ihnen sagen, dass wir in Berlin nicht den Weck-uf der Rütli-Schule brauchten. Wir in Berlin sind – übri-ens mit vielen in diesem Raum – schon längst auf demichtigen Weg. In Berlin gibt es die erste und wichtigsteildungseinrichtung für Kinder, und zwar für mehr als0 Prozent der Kinder – das ist gut und richtig so –, unds gibt längst einen verpflichtenden Sprachtest für alleinder mit vier Jahren.
In Berlin als erstem und einzigem Bundesland gibt esie Verpflichtung, dass Kinder, die sprachliche Defiziteufweisen und keine Kita besuchen, vor der Einschulunginen Sprachkurs von 330 Stunden absolvieren. Wennie Eltern sich weigern, ihr Kind zu diesem Kurs zuchicken, müssen die Eltern ein Bußgeld zahlen. Das isteine bayerische Kabinettsvorlage, sondern Berliner Ge-etzeslage.
Lieber Kollege Gerhardt, glauben Sie mir, in vielenereichen sind wir schon weiter, aber wir sind längstoch nicht da, wo wir hinkommen müssen, weil es in derildung sehr lange dauert, bis eine Fehlorientierung kor-igiert wird.
ch sage Ihnen: Wir – damit meine ich nicht nur das kon-rete Verwaltungshandeln – in der Bundesrepublikeutschland haben bei vielen Fragen generell zu langeeggesehen
nd gedacht, die Dinge regelten sich von alleine. Nichtsegelt sich von alleine. Herr Kollege Wellmann, als alterestberliner wissen Sie, dass in Westberlin 40 Prozenter Schüler von Hauptschulen keinen Abschluss erreich-en.
as könnten die Väter der jetzigen Schüler sein. In die-er Zeit war meine Kollegin Laurien Senatorin. Hörenie auf, mit billigem Kleingeld zu arbeiten. Das machech nicht mit.
Ich nehme gerne die Gelegenheit wahr, einen anderenunkt anzusprechen. Wir haben – diese Entwicklung istoch nicht abgeschlossen – alle Grundschulen in Berlin,n denen glücklicherweise sechs Jahre lang gemeinsamelernt wird, zu Ganztagsgrundschulen gemacht. Füriese Millionen – die Milliarden waren leider nicht alleinür Berlin – zum Ausbau von Ganztagsgrundschulen will
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Senator Klaus Böger
ich mich bedanken. Das ist konkrete Hilfe und Unter-stützung für konkrete Bildungspolitik.
Ich möchte etwas zum Thema Gewalt sagen. Mir lie-gen exakte Zahlen vor, weil Berlin das einzige Land ist,das alle Schulen verpflichtet, jeden – auch noch so klei-nen – Gewaltvorfall zu melden. Ich habe deshalb einensehr genauen Überblick, was dort geschieht. Das Pro-blem beschränkt sich leider nicht auf die Hauptschulen;es besteht auch in den Grundschulen, Realschulen undGymnasien und auch anderswo als in Berlin. Es hilftnichts, auf andere zu zeigen. Wir müssen uns der Fragestellen.
Das heißt für mich – ich habe darüber lange mit denKollegen diskutiert –: Die schulischen Disziplinarmittelreichen aus. Das Wichtigste ist, dass die Schule selbstentscheidet und gemeinsam durchsetzt, was möglich ist.Respekt – und zwar Respekt von Lehrern gegenüberSchülern und von Schülern gegenüber Lehrern – ist keinaltertümlicher Begriff, sondern eine Notwendigkeit imUmgang miteinander.
Das kann man durchsetzen und das wird auch in Schulendurchgesetzt. Übrigens, Frau Kollegin Böhmer, ist dieHoover-Schule mit dem amerikanischen Präsidentenna-men mit meiner Unterstützung diesen Weg gegangen.Es gibt in Berlin längst Schulen, an denen ein Handy-verbot und andere klare Verbote gelten, aber nicht parordre du mufti, sondern selbst erarbeitet und durchge-setzt. Das ist der entscheidende Punkt.
Wir werden uns beim Thema Gewalt – zwischenschulischen Disziplinarmaßnahmen, Erziehung, Jugend-sozialarbeit, Jugendamt oder dem Jugendstrafgerichtgibt es eine Lücke, die wir notwendigerweise ausfüllenmüssen – damit befassen müssen, wobei ich Sie dabeium Mithilfe bitte, wie wir Jugendliche, die sich schlechtund mies verhalten, in der Schule mit Sanktionen bele-gen können, die auch tatsächlich durchgesetzt werden,statt nur damit zu drohen, dass ein Schüler mal zu Hausebleibt oder in eine andere Schule kommt. Darüber müs-sen wir nachdenken, weil in vielen Bereichen keine na-türlichen Erziehungsinstanzen mehr existieren. Wer dasbestreitet, der sollte die Berliner Schulen besuchen undsich der Realität stellen. Sie alle sind herzlich eingela-den – wenn möglich, nicht alle auf einmal.Vielen Dank.
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eil es meines Erachtens schlicht und einfach zu spät ist.
Dahinter steckt auch etwas anderes. Herr Böger hat eserade angesprochen. Ich bin nicht hier, um Herrn Bögernd den Berliner Senat zu beweihräuchern. Ich hätte im-er noch Verbesserungsvorschläge. Aber was hat dennie CDU in den letzten Jahren getan, Frau Böhmer? Sieätten zum Beispiel mit einem Ganztagsschulprogrammiel früher dabei helfen können, dass in dieser Republikanztagsschulen mit einer guten Nachmittagsförderungusgebaut werden.
as haben Sie gestoppt.Sie hätten im Zusammenhang mit der doppeltentaatsbürgerschaft beim Zuwanderungsgesetz viel stär-er darauf hinarbeiten müssen, dass die betroffenen Kin-er in dieser Republik eine Perspektive bekommen undls Menschen respektiert werden,
amit deutlich wird, dass dies unsere Kinder sind.
Damit komme ich zum Kern. Wir reden hier definitivber ein deutsches Problem – diese Feststellung richtech wegen der aktuellen Vorschläge von Herrnchönbohm und Herrn Pflüger zur Abschiebung vonehrfachtätern besonders an die CDU –, das mit Ab-chiebung nicht gelöst werden kann.
ie Jugendlichen an der Rütli-Schule stammen aus Ber-in. Sie sind zu einem guten Teil hier geboren und aufge-achsen. Sie sind Teil dieser Gesellschaft.
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Renate Künast
Gewalt an Schulen gibt es übrigens auch dort, wo fastausschließlich Schülerinnen und Schüler mit deutschemPass sind. Herr Gerhardt, ich nenne als Beispiel die Se-kundarschule „Karl Marx“ in Gardelegen in Sachsen-Anhalt. Dort ist ein Viertel der Lehrer krank
– das spiegelt die stressige Situation in der Schule wider –und es gibt Pöbeleien und Bedrohungen durch Schüler.Sobald Journalisten auf dem Schulhof auftauchen, wer-den etwa Feuerlöscher in Brand gesetzt. Wir dürfen aberauf dieses Problem nicht erneut mit Ausgrenzung reagie-ren und sagen: Die haben sich gefälligst diszipliniert zuverhalten. Vielmehr handelt es sich um ein deutschesProblem. Die Kernfrage lautet, wie wir des sozialen Pro-blems Herr werden, wie wir diesen Kindern und Jugend-lichen – die Förderung sollte schon im frühkindlichenStadium beginnen – eine Perspektive in dieser Republikbieten können, und zwar zu unser aller Nutzen.
– Wir werden es Ihnen gegebenenfalls erklären.
Es geht um soziale Exklusion, um Ausgrenzung. HerrGerhardt, Sie haben große Worte gefunden. Ich hätte mirgewünscht, dass Sie schon 1988, als Sie Präsident derKultusministerkonferenz waren, ein gezieltes Konzeptzur Integration vorgelegt hätten. Dann wären wir heutevielleicht schon weiter.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, was ich 1988 inBerlin gemacht habe. Damals habe ich mich im Wesent-lichen nicht mit Ihnen, sondern mit der Berliner CDUgestritten, weil diese gesagt hat: Wie kommen wir denndazu, den Migranten noch Deutschkurse zu bezahlen?Das ist doch Luxus; das machen wir nicht.
In dieser Republik sprechen zu viele Kinder schlechtdeutsch bei der Einschulung. Das ist vor allem ein Pro-blem von Migrantenkindern, aber nicht nur. Vielmehrsind auch deutsche Kinder betroffen. Umso traurigerstimmt mich das, was bei der Föderalismusreform ge-schieht. Angesichts der Tatsache, dass jedes dritte deut-sche Kind vor der Schulzeit Sprachförderung braucht,kann ich nur sagen: Ein Fehler der Föderalismusreformist, dem Bund keinerlei Möglichkeiten für eine gemein-swdDA–PfWpmaMüSmÜBbhzWfsPCH–
Wir erwarten von den betroffenen Eltern und Kin-ern, die in dieser Republik leben wollen, dass sieeutsch lernen und sich bei der Gestaltung einbringen.ber wir müssen auch Respekt vor den Kindern habendaran mangelt es in diesem Land – und sie als kleineersönlichkeiten akzeptieren. Das bedeutet nicht nurrühkindliche Sprachförderung, sondern auch, dass dieirtschaft – das müssen wir einfordern – Ausbildungs-lätze zur Verfügung stellt. In diesem Zusammenhanguss man auch noch einmal über eine Ausbildungsplatz-bgabe nachdenken.
an sollte sich trauen, Druck auf die Wirtschaft auszu-ben.Bei der Integration brauchen die Schulen Autonomie.ie sollten spezifische Angebote machen und Maßnah-en selbstständig umsetzen können. Wir brauchen imbrigen mehr Sprach- und Integrationskurse. Frauöhmer, wenn man Ihren Worten nur einen Hauch Glau-en schenken soll, sollten Sie die Kürzung der Haus-altsmittel für Integrationskurse um 67 Millionen Eurourücknehmen.
ir brauchen dieses Geld für neue Kurse, für die betrof-enen Kinder, für das Zusammenleben.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Nicht durch Streichen, sondern durch Investieren lö-
en Sie das Problem. Wie gesagt, es ist ein deutsches
roblem, das Sie nicht mit Abschiebung lösen können.
Nun hat das Wort der Kollege Dr. Friedbert Pflüger,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Frau Künast, ich möchte zuerst deutlich machen ich glaube, darüber besteht im Hause Konsens –, dass
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Dr. Friedbert Pflügeres bei dem angesprochenen Thema nicht in erster Linieum Ausländer auf der einen und Deutsche auf der ande-ren Seite geht.
Trotz der Aufgeregtheit dürfen wir uns nicht in eine fal-sche Frontlinie treiben lassen.
Die eigentliche Front ist: Rechtschaffene gleich welcherHerkunft, auf der einen Seite gegen Störer, Kriminelle,Drogenhändler und Extremisten auf der anderen Seite.Das ist die Frontlinie, um die es eigentlich geht.
Es ist wichtig, dass wir uns vor Augen führen: AlleProbleme der Integration, alle Probleme, die mit Schulezusammenhängen, können wir in einer Stadt wie Berlinnur lösen, wenn wir die Eltern und die Schüler, geradeaus Migrantenfamilien, gewinnen, mitzumachen und dieGewalttäter zu isolieren. Wir können es nicht gegen sieschaffen, sondern müssen sie mitnehmen. Das ist eineganz wichtige und wesentliche Aufgabe.
Es sind nämlich gerade viele türkische Familien – ichhabe gestern an der Rütli-Schule mit türkischen Schülernund mit Schülersprechern gesprochen –, es sind vieleImmigranten, Herr Böger, die sich beklagen, dass an denSchulen zu wenig Disziplin herrscht, dass zu viel Schul-schwänzen erlaubt wird, dass die Leute in der Schulekeine Werte vermittelt bekommen. Da muss sich an un-seren Schulen etwas verbessern! Das wollen gerade auchdie Migrantenfamilien, aber Sie, Herr Böger, haben esnicht in Angriff genommen. Da muss sich in Berlin et-was ändern.
Ich möchte eines zum Thema „Deutsch“ sagen – HerrGerhardt und andere haben es angesprochen –: 1998oder 1999 hat Herr Schönbohm, damals Innensenator inBerlin, Vorschläge gemacht. Er forderte, den Deutschun-terricht zu forcieren, Deutsch zu einer Grundlage zu ma-chen. Da haben Sie, Herr Böger, gesagt, das sei Deutsch-tümelei.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass auf diese Weisereagiert worden ist. Ich kann mich gut daran erinnern!
Es ist wichtig – da gebe ich Herrn Böger Recht –, zuverstehen: Die Probleme, die wir haben, sind nicht fünfoder zehn Jahre alt; sie haben zum großen Teil ihre Wur-zeln im Beginn sehr langer Entwicklungen. Wir alle ha-ben dabei Fehler gemacht. Wer wollte das bestreiten!Aber, Herr Böger – es tut mir furchtbar Leid –: ZurFrage der Durchsetzung des Rechts an den Schulen, zurFrage der Durchsetzung von Deutsch als Verkehrsspra-cfumuvwSfZDkghaa–BgtptSAlwwhaOatitBNwwns
Herr Böger, wenn Sie sagen, alle hätten Fehler ge-acht, dann stimme ich natürlich zu. Jetzt befinden wirns aber in dieser Situation. Wenn ich im „Tagesspiegel“on gestern Ihre Aussage lese, es würden zwar alle Ge-altfälle gemeldet, aber lediglich „bei Amoklauf, Mord,chusswaffengebrauch, Geiselnahme“ ließen Sie sich in-ormieren, dann frage ich mich: Was sind denn das fürustände in Berlin, in Ihrer Behörde, Herr Böger?
as haben Sie gesagt. Es steht im „Tagesspiegel“. Ichann es Ihnen geben. Wenn man so an die Dinge heran-eht, dann verhält man sich wie ein Arzt im Kranken-aus, der erst dann tätig wird, wenn der Patient schonuf der Intensivstation liegt. Das ist eine Politik, die wirblehnen und die falsch ist.
Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen. Herröger selbst hat doch Fehler eingeräumt. Das ist auchut so, denn in Berlin haben wir es in der Tat mit einerotal verfehlten Integrations-, Rechts- und Gesellschafts-olitik, vor allem aber mit einer verfehlten Bildungspoli-ik zu tun.Jetzt gibt es einige in der SPD – ich finde es gut, dassie, Herr Böger, nicht dazu gehören –, die meinen, dasllheilmittel sei, die Hauptschule abzuschaffen. In Ber-in gibt es aber sehr gute Hauptschulen, die sich dagegenehren würden, abgeschafft zu werden. Sie sind, nichteil sie viel Unterstützung von der Senatsverwaltung er-alten haben, gut geworden, sondern weil sie selbst initi-tiv geworden sind. Zum Beispiel die Nikolaus-August-tto-Hauptschule in Berlin: eine fabelhafte Schule, dieus eigener Initiative Elternseminare anbietet. Eine fan-astische Geschichte! Oder die Jean-Piaget-Hauptschulen Hellersdorf: Sie bemüht sich, zusammen mit den Be-rieben Praktika anzubieten. Das heißt, es gibt auch guteeispiele.
un schmeißen Sie nicht das ganze Schulsystem um,ie es Ideologen in der SPD und in anderen Parteienollen!
Lassen Sie mich ein Letztes sagen. Ich zitiere aus ei-em Brief von Lehrern, die nicht an der Rütli-Haupt-chule, sondern an der Theodor-Plivier-Oberschule
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Dr. Friedbert Pflügerunterrichten – Sie müssen sich einmal überlegen, was esbedeutet, wenn Lehrer einen solchen Brief schreiben –:Die Quote polizeibekannter Kleinkrimineller in unserenKlassen ist „erschreckend hoch, gewaltbereite Intensiv-täter mit erheblichem Einfluss“ sitzen „kurze Zeit nachihrer Verurteilung“ wieder im Unterricht. Ein Teil derSchüler bringt seine Bandenkriminalität mit in dieSchule. – Ich könnte weitere solche Zitate vortragen. Ir-gendjemand wird für solche Zustände doch wohl Verant-wortung tragen und übernehmen.
Für diese verfehlte Schulpolitik tragen nicht die Lehrer,sondern dieser rot-rote Senat die Verantwortung.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. – Das Allerschlimmste, was
einem in einer solchen Situation einfällt – –
– Können Sie mal bitte ruhig sein!
Kommen Sie aber bitte wirklich zum Schluss. Sie ha-
ben Ihre Redezeit längst überschritten.
Das liegt aber an den vielen Zwischenrufen, Frau Prä-
sidentin.
Ich war schon großzügig, Herr Kollege. Ich bitte
wirklich darum, zum Schluss zu kommen.
Ich komme zum Schluss. – Ich will nur noch sagen:
Das Einzige, was wir alle miteinander nun wirklich nicht
machen sollten,
ist das, was der Regierende Bürgermeister von Berlin
gemacht hat, indem er gesagt hat, es handele sich um
ausgebrannte Lehrer, die man durch bessere Lehrerper-
sönlichkeiten ersetzen müsse. Die Schuld für diese Pro-
bleme jetzt bei diesen Lehrern abzuladen, das ist nun
wirklich der falsche Weg. Wir müssen die Lehrer an sol-
chen Schulen stärken und nicht beschimpfen.
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Nun hat der Kollege Markus Löning für die FDP-
raktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlau-en Sie mir eine kurze Vorbemerkung. Herr Böger, Sieaben hier lobend erwähnt, dass die Vorgänge um dieütli-Schule endlich eine überfällige Diskussion inang gebracht haben. Da haben Sie zweifellos Recht.ber ich frage mich, Herr Böger: Warum kommt es erstetzt auf die Tagesordnung? Sie wissen davon schonange. Ihr Haus weiß davon schon lange. Sie haben esnter der Decke gehalten. Lehrer in Berlin bekommeninen Maulkorb verpasst.Ich würde mich freuen, Herr Böger, wenn Sie dieehrer, die die Zivilcourage gehabt haben, an die Öffent-ichkeit zu gehen, ausdrücklich belobigen würden, wennie sagen würden: Ihr seid den richtigen Weg gegangen,ls ihr die Zivilcourage aufgebracht habt, an die Öffent-ichkeit zu gehen und solche Diskussionen loszutreten.ch wiederhole: Ich würde mich freuen, wenn Sie dieseamen und Herren ausdrücklich belobigen würden undenn Sie ihnen keinen Maulkorb verpassen würden, wieie es gemacht haben.
Wir stehen hier auch auf den Scherben einer ideologi-chen Debatte, was die Integrationspolitik angeht. Frauünast, von Ihrer Seite ist hier jahrelang romantisierendorgegangen worden.
a wurde zur Zuwanderung gesagt: Hauptsache, esommen mehr Leute und es wird ein bisschen bunter;as alles bringt überhaupt keine Probleme mit sich, so-ange man nur nett zu den Leuten ist. Das ist schief ge-angen. Diese Multikultiromantik ist in die Hose gegan-en. Sie ist ein Grund dafür, warum wir jetzt da sind, woir sind.
Aber ich muss denselben Vorwurf auch an die andereeite des Hauses richten. Auch die Union hat sich in deruwanderungspolitik den Realitäten jahrelang, auch iner Zeit der Koalition mit uns bis 1998, verweigert.uch das muss hier einmal deutlich gesagt werden.
Jetzt sind offensichtlich alle schlauer. Ich hoffe, dassir hier gemeinsam den richtigen Weg finden, eine ver-
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Markus Löningnünftige Integrationspolitik zu betreiben, die fordert unddie auch fördert. Beides gehört zusammen. Wir müssendie Anerkenntnis unserer Grundwerte fordern. Wir müs-sen Deutschkenntnisse fordern. Aber als Gesellschaftmüssen wir selbstverständlich auch sagen: Ihr seid hierwillkommen, wenn ihr euch unserer Gesellschaft an-passt.
Die Debatte, die wir hier führen, beschäftigt sich abereben nicht nur mit der Frage der Integration, sondernauch mit unserer Schul- und Bildungspolitik. FrauKünast, offensichtlich haben auch Sie die „taz“ gelesen.Ich hatte mir dasselbe schöne Beispiel herausgesucht,weil es wichtig ist, klar zu machen, dass es nicht nur eineIntegrationsdebatte ist, um die es hier geht; vielmehrgeht es um Perspektiven für unsere Jugendlichen. In Ge-genden, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und die wirt-schaftliche Perspektive unserer Jugendlichen schlechtist, wo es keine Aussicht gibt, im Anschluss an dieSchule eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz zu finden,haben wir die Probleme. Wie sollen wir die Kinder moti-vieren, die Schule vernünftig abzuschließen
– richtig –, wenn sie wissen, dass sie im Anschluss so-wieso keine Arbeit finden?Ich finde es sehr schön, dass dieser Zwischenruf aus-gerechnet aus Ihrer Ecke kommt. In der Zeit, in der Siein Berlin regieren, ist die Arbeitslosigkeit in Berlin um3 Prozentpunkte gestiegen. Schreiben Sie sich das ein-mal hinter die Ohren! Was Sie machen, ist keine sozialeoder sozialistische Politik. Was Sie hier veranstalten, istzutiefst unsozial.
Wo Sie regieren, ist die Arbeitslosigkeit höher und steigtweiter. Das ist das, was an dieser Stelle unsozial ist.
Frau Böhmer, Sie haben das Beispiel Frankreich an-gesprochen. Ich muss ehrlich sagen: Das ist mir wirklichvöllig unverständlich. Wie kann man in dieser Debattedas Beispiel Frankreich anführen? Dort ist die Jugend-arbeitslosigkeit noch höher als hier. Dort gibt es eineAusbildungsplatzabgabe und sie führt genau zu dem,wovor wir immer gewarnt haben:
Es gibt weniger Ausbildung und mehr Jugendarbeitslo-sigkeit. Also, Frankreich ist das denkbar schlechtesteBeispiel an dieser Stelle.
poWmDessSwvSuwcWdhJztDttBIePWatvtDhvs
Das andere ist die Frage – Frau Lötzsch, dazu sagenie nichts –: Wie bekommen wir die Wirtschaft in Berlinnd in der Bundesrepublik in Schwung? Denn nur dasird am Ende Lebensperspektiven für unsere Jugendli-hen schaffen. Nur wenn es uns gelingt, wieder auf einenachstumskurs zu kommen, nur wenn wir erreichen,ass durch Wirtschaftswachstum Arbeitsplätze entste-en, gerade auch in Berlin, werden wir es schaffen, dieugendlichen aus dieser Situation zu befreien und die so-ialen Probleme auch in Kiezen wie Neukölln wenigs-ens annähernd zu lösen. Ohne das wird es nicht gehen.azu hat aber weder Rot-Rot in Berlin irgendetwas ge-an noch haben Sie von Rot-Grün dazu irgend etwas ge-an, solange Sie im Bund regiert haben.Vielen Dank.
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Michael
ürsch, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!n der Tat, die Rütli-Schule hat durch ihren Hilferuf aufin sehr ernstes Problem aufmerksam gemacht, auf einroblem der Integrationspolitik und der Bildungspolitik.as wir jetzt erleben, ist ein Lehrstück dazu, wie Politikuf Probleme reagieren kann. Es gibt zwei Möglichkei-en, wie so oft im Leben. Die eine Möglichkeit wird unsorgeführt: Die Reaktion ist kurzatmig, populistisch, ak-ionistisch und gnadenlos vereinfachend.
ie andere Methode ist, sachgerecht, differenziert, nach-altig, vielleicht auch nach dem Prinzip Gründlichkeitor Schnelligkeit vorzugehen.Was die erste Methode angeht, brauchen wir nichtehr weit zu schauen. Herr Pflüger, auch wenn Sie
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Dr. Michael Bürschdifferenzierter angefangen haben: Das war ein gutesStück Demagogik.
Das war auch ein gutes Stück politischer Populismus.Wenn wir einmal einen maßgeblichen CSU-Politikerzu Wort kommen lassen, dann zeigt sich, wozu eine sol-che Schnellreaktion führen kann. Es gibt von EdmundStoiber das Dreiphasenmodell. Auf einen kurzen Nennergebracht lautet es – das ist ein Zitat –:1. Wer nicht Deutsch kann, wird nicht eingeschult.2. Wer in der Schule randaliert, fliegt aus der Klas-sengemeinschaft. 3. Wer sich dauerhaft nicht inte-griert, muss Deutschland wieder verlassen.
So einfach ist das. Wenn das nicht Populismus ist,dann möchte ich wissen, was das sonst sein soll. Das isteine Irreführung des Publikums; denn so erweckt manden Eindruck, als ob damit irgendein Problem gelöstwürde.
Ich brauche dazu kein eigenes Urteil abzugeben. Das„Handelsblatt“, das nicht im Verdacht steht, sozialdemo-kratisch oder träumerisch zu sein, schreibt heute im Leit-artikel – das sollte, meine ich, schon Anlass zum Nach-denken geben –:Die Deutschen bekommen zu wenige Kinder. Dochmanche Kinder sind den Deutschen zu viel. Diesebittere Quintessenz lässt sich ziehen aus der aktuel-len Integrationsdebatte … Auf die Aggressionenausländischer Jugendlicher antworten Teile derCDU/CSU mit Gegenaggression. Ausweisen odereinsperren, fordern Edmund Stoiber und Co. getreudem biblischen Motto: Auge um Auge, Zahn umZahn.
Dieser Rückfall in obrigkeitsstaatliche Reflexe ver-mischt mit Blut-und-Boden-Anachronismen
– das ist die Sprache des „Handelsblattes“ –
wäre besser unterblieben. Wir können es uns– das ist nun der Appell, den wir, meine ich, alle unter-schreiben können –am allerwenigsten leisten, eine Front zwischendeutschen Erwachsenen und ausländischen Jugend-lichen aufzubauen.DsfsDliwnsdHlSMaBmlnddmbsSngtZGgstSAbaDmzmdn
Das weist genau in die Richtung, wie wir eine Lösunginden müssen. Ich spreche nicht als Bildungspolitiker,ondern als Integrationspolitiker. Mein Appell lautet:as Problem wird nicht allein von schulischer Seite, al-ein von der Schulverwaltung gelöst werden können. Esst ein Problem der Bürgergesellschaft, wenn man soill. Das ist ein Appell an alle. Die Verantwortung darficht einem Schulsenator oder einer Regierung zuge-choben werden, sondern es geht um die Frage, was alle,ie etwas zur Lösung des Problems beitragen können,err Pflüger, zu tun bereit sind. Das richtet sich natür-ich an die Erwachsenen, an die verantwortungsvollenchülerinnen und Schüler, aber auch zum Beispiel an dieigrantenvereine. Nazar Mahmood, der Vorsitzende desrabischen Kulturinstituts, sagt: Wir alle sind schuld:ehörden, Eltern, Migrantenvereine.Alle können und müssen an der Stelle etwas tun, da-it die Probleme der Integration in der Schule besser ge-öst werden können. Wir brauchen, womit schon begon-en worden ist, Migrantenlehrer, Begleiter, die deneutschen Lehrern erklären, wie jemand tickt, der auser Türkei oder einem arabischen Land kommt. Dasuss ein deutscher Lehrer nicht unbedingt wissen. Wirrauchen – das ist auch heute Morgen im Innenaus-chuss gesagt worden – positive Anreize, nicht nuranktionen. Mit Repressionen werden Sie Menschenicht unbedingt verbessern. Sie müssen ihnen Anreizeeben.Auch die Wirtschaft hat zum Beispiel eine Verantwor-ung. Ein schönes Beispiel ist gestern in der „Berlinereitung“ publiziert worden. Der Unternehmer Norberteyer ist vor über 40 Jahren auf ebendiese Rütli-Schuleegangen. Er nimmt – nicht nur weil er die Schule kennt,ondern weil er der Gesellschaft gegenüber Verantwor-ung zeigt – die Probleme ernst, kümmert sich um diechule und gibt zum Beispiel den Schülern, die keinenbschluss haben, einen Praktikumsplatz oder einen Aus-ildungsplatz.
Das ist ein Beispiel dafür, wie man mit dem Themauch umgehen kann. Norbert Geyer sagt völlig zu Recht:as hat damit zu tun, dass wir den Menschen zeigenüssen, dass wir sie anerkennen, dass wir sie wertschät-en, dass wir sie überhaupt wahrnehmen. Die Schülerüssen merken, dass wir uns um sie kümmern.Er sagt – was ich voll und ganz unterschreibe, dennas ist in die Zukunft gerichtet und wirklich ernst zuehmen –:Was wir heute nicht in die Jungen investieren, müs-sen wir morgen für den Personenschutz ausgeben.Danke schön.
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Dr. Michael Bürsch
Nun hat die Kollegin Monika Grütters, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Knall-hart“, Herr Benneter, das ist nicht zufällig der Titel einesFilms über Neuköllner Jugendgangs, der zurzeit in denKinos Furore macht.
– Schlimm genug, dass solche Szenen ausgerechnetSpielfilmregisseuren als Vorlage für einen Film dienen,der im Kino im Moment Karriere macht,
und zwar deshalb, weil die Realität in Neukölln knallhartist. Es ist auch kein Zufall, dass es die Rütli-Schule inNeukölln war, die uns jenseits des Spielfilmgenres jetztunmissverständlich darauf aufmerksam gemacht hat.Machen wir uns nichts vor: Neukölln ist inzwischenfast überall in der Bundesrepublik. Jugendgewalt, Bil-dungsmiseren, mangelnde Integration von Migrantenund ein Leben in regelrechten Sozialhilfedynastien – sowird ein Stadtteil in der deutschen Hauptstadt, der im-merhin einer mittleren deutschen Großstadt entspricht,zum Symbol. Das kann sich Berlin, das kann sichDeutschland nicht leisten.
Das entspricht im Übrigen auch nicht unserem Selbst-verständnis. Denn gerade Berlin ist zu Recht, wie ich,die ich seit 18 Jahren hier lebe, finde, immer stolz daraufgewesen, dass es hier ein friedliches Miteinander Zuge-reister mit Einheimischen gibt. Solche Vorgänge wie inMölln oder in Hoyerswerda hat es in Berlin noch nichtgegeben.
Aber hier ist offensichtlich ein ganz normaler Wahnsinnzum Alltag geworden.Herr Böger, Sie müssen sich schon die Frage gefallenlassen, wie es so weit kommen konnte, dass alle Welterst dann hinschaut, wenn verzweifelte Lehrer um Hilferufen.
Sie sagen, Sie hätten vier Wochen lang von dem Briefnichts gewusst. Das ist schlimm genug. Von den Miss-ssFgEshW–gbrsitddwtdiFsedghssslwdogDn
ür Ihre ignoranten Beamten – es tut mir Leid, dies sa-en zu müssen – sind Sie als Chef verantwortlich. Diexponenten dieses Senats haben nicht nur in Neukölln,ondern in den letzten Tagen leider auch in Hohenschön-ausen einmal mehr gezeigt, dass diese Hauptstadt unterert regiert wird.
Herr Tauss, schauen Sie sich den Film über die Vor-änge in Hohenschönhausen an.Genau dieser rot-rote Senat maßt sich an der sensi-elsten Stelle in der Bildungspolitik an, Eltern und He-anwachsenden den Werteunterricht vorzuschreiben,
tatt sie wählen zu lassen, ob sie sich nicht doch lieberm Glauben unterweisen lassen wollen. Nachweislichrägt der christliche Religionsunterricht in anderen Bun-esländern dazu bei,
ie Sozialkompetenz der Schüler zu stärken und zur ge-altlosen Lösung von Konflikten unter Schülern beizu-ragen.
Immer wieder fordern wir gerade in dieser Debatteie Verantwortung der Eltern. An dieser zentralen Stellem Bildungsbereich, also da, wo es um Nächstenliebe,riedfertigkeit und Gewissensbildung geht, schreibt die-er Senat den Eltern, die wollen, dass ihre Kinder einntsprechendes Unterrichtsangebot wahrnehmen, vor,ass es das im Rahmen des normalen Unterrichts nichtibt.
Schule muss angesichts der Zustände in den Eltern-äusern Verantwortung tragen. Eine Lehrerin fragte, wieie ihren Schülern beibringen soll, dass sie morgens auf-tehen müssen, wenn sie die Einzigen in ihrer Familieind, die jeden Morgen aufstehen. Wir müssen uns natür-ich darum kümmern. Aber die Verantwortung dafür,as aus Kindern wird, liegt zuallererst nun einmal beien Eltern. Wenn sie diese nicht wahrnehmen könnender wollen, muss man in die Sanktionsmaßnahmen ge-en auffällige Schüler eben auch die Eltern einbeziehen.
as können beispielsweise spürbare finanzielle Sanktio-en oder gar die Gefährdung des Aufenthaltsstatus sein.
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Monika GrüttersDas verstehen auch diejenigen, die der deutschen Spra-che eher unkundig sind.
Unsere ehemalige Berliner Ausländerbeauftragte,Barbara John, sagte es ganz deutlich und selbstkritisch:Wir haben zu lange Geld gegeben, wo eigentlich Leis-tung hätte verlangt werden müssen. Heute würde sieeher großzügig sein mit Arbeitserlaubnissen und geizigmit der Sozialhilfe.Der Staat darf sich mit seiner Gebermentalität nichtaus der Verantwortung stehlen, was die Perspektivlosig-keit dieser Jugendlichen angeht. Stattdessen müssen wirsie beschäftigen und ihnen das Gefühl vermitteln, dasssie willkommen sind.
Es sind schon Beispiele genannt worden. Die Werner-Stephan-Oberschule in Berlin-Tempelhof – übrigenseine Hauptschule – hat Theaterklubs und Fahrradwerk-stätten eingerichtet und ließ in Teams Hausaufgaben ma-chen. Ich nenne ferner das spektakuläre Education-Pro-gramm der Berliner Philharmoniker. Jugendliche, die esgewohnt waren, Aufmerksamkeit durch Gewalt, Klein-kriminalität oder durch eine rabiate Strafe zu erpressen,bekommen diese Aufmerksamkeit auf einmal, weil sichTanzpädagogen genau diesen Brennpunktkindern in ih-ren monatelangen Proben zu dem Tanz- und Filmprojekt„Rhythm is it“ gewidmet haben. Es gibt diese Pro-gramme also.
– Sie haben sich aber genau diesen Brennpunktkinderngewidmet.
– Das sage ich ja.Wir kennen diese Probleme seit Jahren. RomanHerzog hat seine Ruck-Rede vor mehr als zehn Jahrengehalten. Was ist seitdem passiert? Die Initiativen, vondenen ich eben berichtet habe, sind private Initiativen.Staatliche Initiativen brauchen manchmal eine ganzeSchülergeneration, ehe sie verwirklicht werden.
Was wir jetzt brauchen, Frau Künast, ist keine De-batte über die Schulstruktur. Ich erinnere mich auch angrüne Sprüche von der Zwangsgermanisierung, als esum den Sprachunterricht ging.
Wir fordern jetzt einen nationalen Aktionsplan Inte-gration, an dem nicht nur Bund, Länder und Kommunen,sondern auch Tarifpartner, Kirchen und Wohlfahrtsver-bände teilnehmen. Denn wir alle müssen dafür sorgen,dass die Jugendlichen aus Neukölln und ihre Familien inder Gesellschaft und nicht an deren Rand leben.uwedSKasshmsusdSdgrLnadhiGusuEdcsCuEss
Nun hat das Wort der Kollege Jürgen Kucharczyk,
PD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diektuellen Geschehnisse in der Berliner Rütli-Haupt-chule machen uns sehr betroffen. Wie wir wissen, sindie jedoch in der Bundesrepublik kein Einzelfall. Des-alb dürfen wir die Augen nicht davor verschließen. Wirüssen schon genau hinsehen und schauen, wo die Ur-achen liegen. Dabei sage ich deutlich: Polizeischutznd der Einsatz eines neuen Schulleiters sind keine Lö-ungen, die uns zufrieden stellen dürfen, ebenso weniger Ruf nach Internaten und die entwürdigende Idee,chnupperknäste einzurichten.Wir alle haben die Hilferufe der Rütli-Schule gelesen;as ist schon heftig. Knapp 50 Kolleginnen und Kolle-en in unserem Hohen Hause sind ausgebildete Lehre-innen und Lehrer. Sie wissen wohl am besten, dass eineehrkraft die ihr anvertrauten Schülerinnen und Schülericht einfach so aufgibt. Das heißt für alle politisch Ver-ntwortlichen und bedeutet für uns im Deutschen Bun-estag, dass wir gefordert sind und handeln müssen:andeln im Sinne der Kinder und Jugendlichen, handelnm Sinne der Lehrkräfte, handeln für eine Schule ohneewalt.Den Verzicht auf Gewalt verstehen meine Fraktionnd ich im doppelten Sinne: Einerseits muss die physi-che Gewalt aufhören. Wenn andererseits Schülerinnennd Schüler an Hauptschulen stigmatisiert und letztenndes für unsere Gesellschaft abgeschrieben werden,ann ist auch das Gewalt. Hier sind wir gefordert.
Wir dürfen nicht zulassen, dass Kinder und Jugendli-he in unserem Land – egal ob deutscher oder ausländi-cher Herkunft – ohne Perspektive und ohne reellehance auf einen Schulabschluss, ein Arbeitsverhältnisnd damit eine gesicherte Zukunft aufwachsen.
in wenig mehr Aufrichtigkeit bei der Bewältigung die-er Herausforderungen würde uns allen gut zu Gesichttehen.
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Jürgen KucharczykTürkische und arabische Vereine in Berlin haben be-reits Selbstkritik geübt und sind auf der Suche nach ei-nem verlässlichen Ansprechpartner in den Ministerien,aber auch in unserem Hause. Wir müssen ihnen zur Ver-fügung stehen. Im „Nationalen Aktionsplan für ein kin-dergerechtes Deutschland“ der rot-grünen Bundesregie-rung haben wir uns dieser wichtigen Thematik bereitsangenommen. Unsere damalige Erkenntnis gilt nach wievor und lautet: Bildung ist wichtig von Anfang an.
Kinder können nur dann ihre vielfältigen Potenziale op-timal ausbauen, wenn sie früh und individuell gefördertwerden. Die Grundsteinlegung, die in den ersten Lebens-jahren versäumt wird, ist später kaum mehr aufzuholen.Frühkindliche Bildung kann nur gelingen, wenn sich dieQualität des Kinderbetreuungssystems auf hohem Ni-veau befindet.Mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz haben wir diePlattform für eine gute und bedarfsgerechte Kinderbe-treuung errichtet. Die Steigerung der Bildungs- und Er-ziehungsqualität in den vorschulischen Einrichtungen istein zukunftsweisender Ansatz. Wir sind damit auf demrichtigen Weg.Insbesondere im Fall der Kinder mit Migrationshin-tergrund müssen verstärkt Anstrengungen unternommenund neue Konzepte erarbeitet werden. Dabei gilt es ins-besondere, die sprachliche Bildung und die kulturelle In-tegration der Jungen und Mädchen effektiv zu gestalten.Das Erlernen der deutschen Sprache muss schon vor derGrundschule abgeschlossen sein; denn Wissen und sozi-ale Kontakte werden über unsere Sprache erworben.
Auch der Lehrer kann das Potenzial seines Schülersdann besser einschätzen.Mit dem Ausbau der Halbtagsschulen zu Ganztags-einrichtungen hat die Bundesregierung Möglichkeitengeschaffen, alle Talente der einzelnen Kinder zu fördernund die großen und kleinen Schwächen auszugleichen.Ich sage deutlich: Diesen Weg müssen wir konsequentweitergehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, egal ob frühkindli-che oder schulische Bildung, die Eltern müssen in ihrerVerantwortung bleiben. Sie müssen aktiv in den Prozesseingebunden werden und dürfen nicht außen vor bleiben.Wir müssen auch Antworten auf die Frage finden: Wasmachen wir mit den Eltern, die die Integration zulastenihrer Kinder verweigern? Um die vorhandenen Miss-stände zu beheben, sind wir auf die Hilfe und die Mitar-beit öffentlicher und privater Träger angewiesen. DieVernetzung von Jugendhilfe und Schule in den Stadttei-len muss intensiviert werden. Stadtteilkonferenzen mitallen beteiligten Vereinen, Verbänden und Schulen kön-nen dabei genauso hilfreich sein wie so genannte Ord-nungspartnerschaften.ghdtfdszaKCn–ejSvn–sHgidjSnlhZwZdMfl
Das Wort hat nun die Kollegin Ilse Aigner für die
DU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-en und Kollegen!
Dann fange ich gleich bei Ihnen an, Herr Bürsch. Ich bintwas verwirrt. Sie haben gerade darüber geschimpft, wasetzt in Bayern alles gemacht wird. Kurz davor hat Herrenator Böger gesagt, es werde schon alles gemacht, wason Bayern gefordert wird. Irgendwie stimmt da etwasicht. Habe ich vielleicht etwas missinterpretiert?
Nein, so habe ich das verstanden. Senator Böger hatich gerühmt, dass das schon in Berlin gemacht wird.err Bürsch sagt aber, es sei ganz falsch, was in Bayernemacht wird. Irgendwas passt nicht zusammen.Damit bin ich bei Ihnen, Herr Senator Böger – damitst der Spaß auch schon zu Ende –: Wie viele Schreibener Lehrer muss es eigentlich gegeben haben, damit sieetzt dieses Maß an Aufmerksamkeit erreicht haben? Dieituation bedrückt mich nicht so sehr, weil es sich um ei-en offensichtlichen Missstand handelt, sondern eigent-ich eher wegen der Jugendlichen in dieser Schule. Sieaben jetzt – das wird deutlich, wenn Sie sich einmal dieeitungsartikel durchgelesen haben – nachvollziehbarer-eise ein ernsthaftes Problem, wenn sie sich mit einemeugnis von der Rütli-Schule bewerben sollen, weil sieadurch schon in gewisser Weise benachteiligt sind.an hätte die Lösung dieses Problems vielleicht schonrüher angehen können. Diesen Vorwurf kann ich Ihneneider nicht ersparen.
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Ilse Aigner– Wenn wir schon dabei sind, Frau Künast, kann ichauch Ihnen eines nicht ersparen.
Ich habe jetzt kein Zitat von Ihnen präsent. Ich kannmich aber noch sehr gut an die Kollegin Roth erinnern,die zu Ihrer Fraktion gehört und sogar Vorsitzende IhrerPartei ist. Sie hat Multikulti immer über alles gestellt.Wenn wir gesagt haben, dass die deutsche Sprache eineVoraussetzung sein muss, ging es ihres Erachtens schonfast um eine Assimilierung. Ich bin froh, dass wir jetzteine gemeinsame Basis haben und der Meinung sind: Esist nicht ganz unsinnig, wenn derjenige, der in die Schulegehen will, die Sprache versteht, die in dieser Schule ge-sprochen wird.
– Ich will jetzt nicht alle Landesteile daraufhin untersu-chen, ob dort druckreif gesprochen wird. Ich versteheSie aber ganz gut. Außerdem wurde auch in den PISA-Tests festgestellt, dass diejenigen, die zweisprachig auf-gewachsen sind, besser sind. Vielleicht sollte man sichdas einmal überlegen.
Ich sage ja nicht, dass die Migranten nicht ihre Spra-che sprechen sollen; darum geht es gar nicht. Es gehtvielmehr um die Frage, ob sie der deutschen Sprachemächtig sein müssen, um dem Unterricht folgen zu kön-nen.
Darin sind wir uns Gott sei Dank einig.Ich möchte noch auf andere Dinge eingehen, undzwar zunächst auf das Thema Auflösung der Haupt-schule. Das ist ja immer ein Allheilmittel.
– Das ist richtig, aber ich gebe ihnen nicht Recht. Dassage ich auch im Hinblick auf die Schüler. Auf der Tri-büne sitzen übrigens Schüler; ich weiß nicht, in welcherSchule sie sind.Ich habe eine Nichte und einen Neffen, die gerade denAbschluss in der Hauptschule machen: der Neffe dieMittlere Reife und die Nichte den qualifizierten Haupt-schulabschluss. Ich weiß nicht, wie sie es empfinden,wenn man ihnen sagt, ihre Schulart sei eigentlich nichtsmehr wert.
Ich hoffe, die beiden bekommen eine Lehrstelle. Dashoffe ich auch für alle Schülerinnen und Schüler in Ber-lin.bdaJswbsnwdgerKJbWNaww–wdwSeenHLvLItmusTw
Ich sage ja nur, dass das wichtige Dinge sind. Es istichtig, dass letztendlich auch die Schüler mitarbeiten,ass wir sie nicht sich allein überlassen, sondern dassir sie begleiten.
ie müssen ihr eigenes Leben gestalten können. Es gibtben Methoden, mit denen man es schaffen kann, dassine Schule gewaltfrei wird.
Zum Schluss möchte ich sagen – das kann ich Ihnenicht ersparen –: Es gehören auch einige Tugenden dazu.err Senator Böger, jetzt schaue ich eher in Richtung derinken. Ihr früherer Parteikollege Lafontaine hat einmalon Sekundärtugenden gesprochen. Jetzt hat er ja bei derinken Verantwortung.
ch glaube, über diese Sekundärtugenden sollten wirrotzdem nachdenken. Denn es ist nicht falsch, wennan Respekt gegenüber anderen hat, wenn man Fleißnd Anstand mitbringt. Das ist nicht schlecht und eschadet einem Jugendlichen auch nicht, wenn er dieseugenden beim Eintritt ins Berufsleben mitbringt. Dasird auch gefordert.
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Das Wort hat nun der Kollege Klaus Uwe Benneter
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolle-ginnen und Kollegen! Um weiteren Irritationen nichtVorschub zu leisten, möchte ich aus unserer Koalitions-vereinbarung zitieren:
Schwerpunkt bleibt die Integration. Das bleibt Schwer-punkt für die Regierungsarbeit, so wie es auch schon beiRot-Grün der Fall war.
Dass das Lernen von Deutsch wichtig ist, haben wirschon früher erkannt; das ist ja nun wirklich nichtsNeues. Deshalb hat ja auch schon die Vorgängerregie-rung Integrationskurse und Sprachkurse auf den Weg ge-bracht. Frau Böhmer, wir haben heute mehrere Stundenim Innenausschuss darüber diskutiert und erste Evaluati-onen vorgenommen, damit wir sehen können, wo manetwas verbessern kann. Mit Sicherheit ist es nicht richtig,in diesem Bereich 67 oder 68 Millionen Euro einzuspa-ren, nur weil dieser Betrag im letzten Jahr nicht ausgege-ben wurde.
Da werden wir nacharbeiten müssen. Herr Pflüger, ichdenke, dass wir uns darin einig sind, dass wir dies nichtals das größte Problem bezeichnen können und dann,wenn es um die finanzielle Unterstützung geht, die Mit-tel streichen.
In der Hauptschule sammeln sich eben alle Probleme.Insofern ist die Schulform nicht das Entscheidende; viel-mehr ist entscheidend, dass in der Hauptschule alles kul-miniert. Wir lassen es ja zu, dass sich dort alles sammelt.
Das sind die Früchte unser aller Versäumnisse, die sichin der Hauptschule zeigen. Das bitte ich auch in dieserDiskussion zu bedenken.
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Ihre Wählerklientel sollten Sie einmal auffordern, ihrererpflichtung an dem Punkt endlich nachzukommen!
enn es Ausbildungsmöglichkeiten für die jungen Leuteäbe, dann wären sie auch motiviert, zu lernen.
ann könnten Sie, Herr Gerhardt – es ist ja richtig, wasie dazu gesagt haben –, Leistung und Disziplin einfor-ern. Dann könnten Sie den jungen Leuten eine Perspek-ive aufzeigen und ihnen sagen,
arum es sich lohnt, in der Schule diszipliniert und eifrigu lernen.Frau Kollegin Aigner hat auf die Verhältnisse in Bay-rn hingewiesen. Die Stoiber-Pädagogik haben wir inen letzten Tagen alle kennen gelernt: Raus und weg!amit ist das Problem erledigt. Die Koalition hat sichorgenommen, dieses Problem seriös aufzuarbeiten.
Herr Pflüger, ich trete Ihnen sicherlich nicht zu nahe,enn ich darauf hinweise, dass Sie sich im großen Kinoa und dort einen Ausrutscher geleistet haben. Sie sinda heute, das habe ich „Spiegel Online“ entnommen,chon wieder zurückgerudert. Sie haben den „Spiegel“ebeten, das, was Sie gesagt haben, nicht als Zurückru-ern zu verstehen. Jetzt sind Sie nicht mehr für Auswei-ung, jedenfalls nicht für die sofortige, und auch nichtür den Einsatz der Nationalgarde, wie Ihr Kollegechönbohm. Insofern sind Sie auf den Teppich der Koa-itionsvereinbarung zurückgekehrt. Das finde ich gutnd in Ordnung.
uch wenn es jetzt auf Ostern zugeht, Herr Pflüger, ei-rn Sie nicht länger herum!
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Klaus Uwe Benneter
Senator Böger hat die Zahl der Gewalttaten genannt.Er hat darauf hingewiesen, welche Anstrengungen unter-nommen werden, um gerade an der Hauptschule die Ge-walt zurückzudrängen. Herr Pflüger, niemand hat, wieSie fälschlicherweise behauptet haben, Gewalt geduldet.Unser aller Anstrengung zielt darauf, diesen Schülerin-nen und Schülern eine Chance zu bieten. Eine wirklichePerspektive können wir ihnen aber nur dann bieten,wenn wir das schaffen, was wir uns in der Koalitionsver-einbarung vorgenommen haben. Schwerpunkt Integra-tion heißt, dass wir respektvoll miteinander umgehen.Wir dürfen nicht nur von der anderen Seite Respekt ver-langen, sondern müssen ein wechselseitiges Respektver-hältnis herstellen. Wir müssen in diesem Land zu einerWillkommenskultur kommen und nicht zu einer Ab-schiebekultur, wie sie immer wieder aus Bayern gefor-dert wird.
Das Wort hat nun die Kollegin Kristina Köhler für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ein altes arabisches Sprichwort sagt: Immer nur Sonnemacht eine Wüste. Ich möchte diesen kulturübergreifen-den Sinnspruch gerne durch einen deutschen Sinnspruchergänzen: Manchmal bedarf es eines ebenso fruchtbarenwie reinigenden Gewitters. Dieses reinigende Gewitterkann in der Integrationspolitik – ich spreche als Innen-politikerin – nichts anderes sein als das Benennen vonWahrheiten.Eine dieser Wahrheiten hat die Soziologin NeclaKelek bezüglich vieler – ich betone: nicht aller – türki-scher Migranten jüngst so formuliert: Mit ihren Füßensind sie hier, aber in ihrem Kopf und ihren Herzen habensie ihr Dorf nie verlassen. Liebe Kolleginnen und Kolle-gen, was wir sicherlich nicht verordnen können, ist, dassdiese Migranten ihr Herz allein Deutschland schenken;was wir aber verlangen müssen, ist, dass sie mit demKopf voll und ganz in Deutschland sind.
Lassen Sie mich kurz erklären, was ich damit meine.Zwischen den Grünen und der Union gibt es in der Inte-grationspolitik einen zentralen Unterschied, der meinesErachtens auf unterschiedlichen Menschenbildern be-ruht. Ich möchte dies an einer Pressemitteilung der Grü-nen vom Montag dieser Woche festmachen. Dort erklärtIhre Parteivorsitzende Claudia Roth die Gewalt an denSswdwnrvddedsih–dsdkG–DcktsdvcbDGFuzp
Das greift zu kurz. Dürfen wir den jungen Migrantenirklich derart die Verantwortung für ihr eigenes Lebenehmen? Kann es genügen, sie nur als Opfer eines unfai-en Systems zu betrachten? Müssen wir mit ihnen nichtielmehr auf Augenhöhe reden? Heißt das nicht auch,ass man auch klipp und klar sagt: „Freundchen, so gehtas nicht!“?
Muss man nicht auch klipp und klar sagen: „Wenn dutwas aus deinem Leben machen willst, dann musst dueinen eigenen Hintern hochbekommen“? Wenn ichage, dass wir diese jungen Migranten ernst nehmen undhnen die eigene Verantwortung für ihr Leben zugeste-en müssen, dann heißt das aber auch, dass wir die – –
Nein, es geht hier insbesondere um Migranten. Wirürfen doch jetzt nicht die Augen vor der Realität ver-chließen. Wir dürfen sie auch nicht davor verschließen,ass leider nachgewiesen ist, dass insbesondere bei tür-ischen Jugendlichen eine besonders hohe Neigung zuewalt festzustellen ist.
Ja, Herr Benneter, das hat Ursachen. Das ist richtig.
ie übliche Erklärung ist, dass dies allein soziale Ursa-hen hat. Das stimmt ja auch. Die jungen Migrantenommen in der Regel aus schwächeren sozialen Schich-en, sie haben niedrigere oder gar keine Bildungsab-chlüsse und keine Berufsabschlüsse. Natürlich spieltas alles bei der Gewalttätigkeit eine Rolle.Aber zur Wahrheit gehört leider auch, dass der Anteilon Gewalttätern bei männlichen türkischen Jugendli-hen verglichen mit deutschen Jugendlichen aus dersel-en sozialen Gruppe immer noch doppelt so hoch ist.
eswegen müssen wir eben auch nach den kulturellenründen fragen. Wenn wir dann in die kriminologischeorschung schauen, stoßen wir immer wieder auf einnd denselben Punkt, nämlich dass es ein nicht nur so-ial, sondern auch kulturell bedingtes massives Gewalt-roblem in vielen türkischen Familien gibt,
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Kristina Köhler
dessen Opfer Ehefrauen und Kinder sind. Dieses Ge-waltproblem geht einher mit einem patriarchalischenEhrbegriff. Da können wir doch nicht einfach weg-schauen. Diese Frauen und Kinder sind Teil unserer Ge-sellschaft. Deswegen müssen wir auf diese FamilienEinfluss nehmen, und zwar mit Aufklärung, aber ebenauch mit aller Härte des Gesetzes.
– Natürlich gibt es auch das. Aber nehmen Sie doch ein-fach einmal die statistischen Häufungen zur Kenntnis.Viel zu lange haben wir aus einer falsch verstandenenpolitischen Korrektheit heraus immer wieder darüberhinweggeredet.
Diese Jungs und Mädels lernen leider schnell, wie dieMachtverhältnisse funktionieren. Sie lernen, dass dasRecht des Mannes, das Recht des Stärkeren gilt. WennSie einmal nach Neukölln oder Wedding gehen, dann hö-ren Sie das leider auch überall. Wer den anderen entwür-digen will, der nennt ihn Opfer. Cool ist es, Täter zusein.
Täter sein, heißt stark zu sein, und stark zu sein, heißt,Respekt innerhalb des Kollektivs zu bekommen. Aberdas ist nicht die Art von Respekt, auf der unsere Gesell-schaft basiert.
Als letzter Redner in dieser Debatte hat nun das Wort
der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zum Schluss könnte man jetzt über Berlin eine politi-sche Wahlkampfrede halten. Ich will das nicht tun.Frau Böhmer, Sie haben ein wichtiges gemeinsamesAnliegen der großen Koalition und der gesamten Gesell-schaft angesprochen, das es verdient, in den Mittelpunktgestellt zu werden.
Ich möchte vorweg sagen – das sei mir mit der Anerken-nung in Bezug auf Senator Böger gestattet –: Wer sich indiese Diskussion selbstkritisch einbringt, der wird alle-mal mehr Vertrauen bei der Suche nach richtigen Wegenbekommen, als derjenige, der meint, sich mit Selbstge-rechtigkeit in diese Debatte einbringen zu müssen.dwgtd–drbfgsvaddlEdWW–lwBumGtmstidw
Ich will hinsichtlich der Selbstgerechtigkeit nieman-en hier ausdrücklich ansprechen, vielmehr will ich et-as aufnehmen, was uns Sozialdemokraten bei der CDUefreut hat. Sie haben auf Ihrer Klausurtagung ein Posi-ionspapier zum nationalen Aktionsplan erstellt. Wir fin-en dort sehr Bemerkenswertes.
Lassen Sie sich doch vielleicht einmal auf etwas ein.
Sie sagen dort ausdrücklich, es gehe dabei nicht umie kulturelle Differenz, sondern um die soziale Diffe-enz. Es geht nicht darum, das Problem an der Zuschrei-ung „Ausländerinnen und Ausländer hie, Deutsche da“estzumachen, sondern wir müssen zuerst die Hinter-ründe beleuchten.
Des Weiteren weisen Sie darauf hin, dass es unter die-en sozialen Bedingungen auch unter den Deutschen zuiele Delinquenten gibt. Das wollen wir ausdrücklichnerkennen. Aber fragen Sie sich doch auch einmal, ober letzte Redebeitrag Ihrer Kollegin nicht zum Aus-ruck gebracht hat, dass diese alte falsche Einstellungeider schon allzu sehr verinnerlicht wurde.
s geht eben nicht um eine kulturelle bzw. eine Werte-ifferenz. Es geht nicht darum, zu sagen, die deutschenerte seien besser. Vielmehr geht es um menschlicheerte.
Sie sagen zwar „Das sagt auch keiner!“. Aber viel-eicht ist es gerade wichtig, dass das auch einmal gesagtird.Im Hinblick auf den Weg zur Integration, den Frauöhmer im Namen der gesamten Bundesregierung fürnsere Gesellschaft und unseren Staat gehen will,öchte ich festhalten: Hierbei geht es auch um dierundmelodie und die Art und Weise, wie wir unsere In-egrationsbereitschaft zeigen. Deshalb sage ich noch ein-al: Es geht nicht um deutsche Werte, sondern um ge-ellschaftliche, humanistische Werte, die in einerürkischen Familie genauso vorhanden sein können wien einer arabischen oder einer deutschen Familie. Wür-en wir so tun, als seien unsere Werte die besseren, undürden wir den anderen ihre Werte absprechen, welche
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Dr. Ernst Dieter RossmannMöglichkeit hätten sie dann noch, außer sich zurückzu-ziehen
und nur in ihrer eigenen Gruppe nach Identifikation zusuchen? Nein, das dürfen wir nicht tun!
Zum Zweiten geht es darum, sich von der Spirale vonGewalt und Gegengewalt zu befreien. Denn natürlichwissen sie, dass es aus dieser Gewaltspirale keinen Aus-weg gibt. Es wird immer zu Gewalt gegen den Aggres-sor kommen, also zu Identifikation durch Gewalt. Daskann man zum Beispiel daran erkennen, dass die Schülerden Eindruck haben, sie würden nur wahrgenommen,wenn sie gewalttätig sind. Daher verhalten sie sich auchgewalttätig. Auf diesem Weg kann keine Integration ge-lingen.
Zum Dritten geht es darum, ein Selbstwertgefühl zuschaffen. An dieser Stelle besteht zwischen uns Überein-stimmung. Als Stichworte nenne ich die Sprachförde-rung, den schulischen Lebensweg, die Ausbildung, dieberuflichen Chancen, den Weg in ein soziales Leben unddie soziale Integration. Wir bitten Sie ausdrücklich,diese Aspekte gemeinschaftlich mit uns in Angriff zunehmen. Denn hier geht es nicht allein um Berlin. Dasbetrifft genauso München-Hasenbergl, Hamburg-Wilhelmsburg oder Kiel-Garden.
Wenn wir uns darauf verständigen können, haben wireine andere Basis dafür gefunden, welchen Weg wir ge-hen müssen, um die Integration zu verbessern.
Jetzt stellen wir plötzlich erschreckt fest, wie groß dieBedeutung der Frauen unter den Gesichtspunkten derStabilisierung und der Integration ist. Hier könnten wirgemeinsam etwas unternehmen.dHbKSigGnlsshetanIssdnntgdmgDwEnbkh
Wenn es um Integration geht, muss Schule auch an-ers wahrgenommen werden: als Oase und als sozialeeimat. Als Stichworte nenne ich die Jugendsozialar-eit, die Ganztagsschule, die Erweiterung personellerompetenzen und die Schaffung eines Netzes um diechüler herum. Frau Böhmer, wir wollen, dass der Bundn diesem Zusammenhang nicht nur redet. Dieses Anlie-en muss er aktiv unterstützen. Das hat auch viel mitlaubwürdigkeit zu tun.
Bereits die Vorgängerregierung musste zur Kenntnisehmen, dass es nicht nur in den Familien viele Jugend-iche ohne Ausbildung gibt. Es gibt auch viele ausländi-che Firmen, die nicht ausbilden. Diese Probleme müs-en wir im Zusammenhang betrachten. Auch dafüraben Sie unsere ausdrückliche Unterstützung.
Angesichts der zwölf Forderungen, die die CDU/CSUrhoben hat, bitten wir allerdings um eines: Der Integra-ionsgipfel wird nur dann gelingen, wenn er als Prozessngelegt ist. Er sollte durch nichts belastet werden, wasicht auf eine gemeinschaftliche Lösung ausgerichtet ist.m parteipolitischen Bereich mag das noch zu ertragenein, im gesellschaftlichen Bereich wird es allerdingschwierig. Deshalb sollten wir uns nicht auf die Verän-erungen im Jugendstrafrecht konzentrieren, die Sie vor-ehmen wollen – ich nenne als Beispiel Ihre Forderungach Einführung eines Warnarrests –, sondern wir soll-en auch den Hinweis des Kollegen Böger berücksichti-en, dass es noch einen anderen Weg geben muss. Wirürfen die Menschen nicht abschieben, sondern wirüssen sie stützen, fordern, ihnen ihre Grenzen aufzei-en und ihnen positive Erfahrungen vermitteln.
urch einen Arrest kann das genauso wenig geleisteterden wie durch Abschiebeinternate.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich komme zum Schluss und werde sehr konstruktiv:s geht nicht, dass all das, was im Ausländerrecht bishericht konsensfähig war, wieder in die Debatte einge-racht wird; dann kann der Gipfel nicht gelingen. Erann nur gelingen, wenn er ein gemeinschaftliches Zielat, wenn er gut vorbereitet wird.
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Dr. Ernst Dieter RossmannEine ganze persönliche Bitte auch an Sie, FrauBöhmer: Ich habe in der Zeitung gelesen, dass der Türki-sche Elternbund einen großen Bildungskongress veran-stalten wird und sich um Frau Schavan und Sie bemühthat. Ich will akzeptieren, dass Sie an dem Termin viel-leicht verhindert sind – dann kann man auch nicht sprin-gen –, aber genau solche Gesten braucht es. Es brauchtunsere Gesten, es ist wichtig, dass jemand von uns dort-hin geht. Man muss auch in die guten Schulen gehen,ohne dass das Fernsehen dabei ist. Denn das gute Bei-spiel wirkt und stärkt.
In diesem Sinne sind wir auf einem guten Weg. AmEnde ist nicht der Gipfel, sondern der Weg das Ziel. Andieser Stelle müssen wir zusammenarbeiten.Danke schön.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages für morgen, Donnerstag, 6. April, um 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.