Protokoll:
14242

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 242

  • date_rangeDatum: 13. Juni 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 23:48 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Erweiterung und Änderung der Tagesordnung 24177 A Absetzung der Tagesordnungspunkte 14, 23, 30, 31, 33 a bis c und 37 . . . . . . . . . . . . . . . . . 24179 A Tagesordnungspunkt 3: a) Abgabe einer Regierungserklärung: Politik für Bildung und Innovation – Chancen eröffnen, Werte vermitteln, Teilhabe sichern, im Wettbewerb er- folgreich bestehen b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Bildungs- und Forschungspolitik für eine nachhaltige Entwicklung – zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technik- folgenabschätzung gemäß § 56 a der Geschäftsordnung: Technikfolgen- abschätzung; hier: „Forschungs- und Technologiepolitik für eine nachhaltige Entwicklung“ – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Bericht der Bundes- regierung zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (Drucksachen14/8651, 14/571, 14/7971, 14/9421) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24179 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Peter Eckardt, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Die internationale Attraktivität und Leistungsfähig- keit des Wissenschafts- und For- schungsstandortes Deutschland für ausländische Studierende und jun- ge Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftler stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Verbesserung der internationalen Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Hoch- schulstandortes Deutschland – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Bessere Rahmenbedingungen für auslän- dische Studierende in Deutschland – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Sicherung des Wissen- Plenarprotokoll 14/242 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 242. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 I n h a l t : schafts-, Forschungs- und Wirt- schaftsstandorts Deutschland durch Ausbildung hochqualifizier- ter Fachkräfte (Drucksachen14/6209,14/3339,14/5250, 14/6445, 14/7337) . . . . . . . . . . . . . . . . 24179 C d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Bildungsschecks für mehr Qualität und Wettbewerb an Hochschulen in Deutschland (Drucksachen 14/3518, 14/7338) . . . . . 24179 D e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Anfor- derungen an die Weiterbildung (Drucksachen 14/7075, 14/7880) . . . . . 24180 A f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Weltoffenheit als Chance für die Hochschulen (Drucksachen 14/7425, 14/9138) . . . . . 24180 A g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Tobias Marhold, Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans- Christian Ströbele, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Wissenschafts- und Hochschulko- operationen mit Entwicklungs- und Transformationsländern – zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Wissenschafts- und Hochschulzusammenarbeit mit den Entwicklungs- und Trans- formationsländern stärken (Drucksachen14/6442,14/3376,14/8962) 24180 B h) Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Neuer Aufbruch im Bildungswesen (Drucksache 14/9215) . . . . . . . . . . . . . 24180 B i) Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Deutsche Hochschu- len zukunftsfähig gestalten (Drucksache 14/9217) . . . . . . . . . . . . . 24180 C j) Antrag der Abgeordneten Jörg Tauss, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Na- tionaler Bildungsbericht und Ein- richtung eines gemeinsamen Sach- verständigenrates von Bund und Ländern (Drucksache 14/9269) . . . . . . . . . . . . . 24180 C k) Antrag der Abgeordneten Jörg Tauss, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Christian Simmert, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Bil- dung ist Zukunft (Drucksache 14/9272) . . . . . . . . . . . . . 24180 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für eine neue Bildung in Deutschland – Konsequenzen aus der PISA-Studie (Drucksache 14/9257) . . . . . . . . . . . . . . . . 24180 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Gegen ein Forschungsverbot in der Gashydrat- forschung (Drucksache 14/9392) . . . . . . . . . . . . . . . . 24181 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . . 24181 A Dr. Annette Schavan, Ministerin (Baden-Würt- temberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24185 C Sigmar Gabriel, Ministerpräsident (Nieder- sachsen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24189 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002II Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24193 D Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24195 C Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24197 D Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 24199 B Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen) CDU/CSU 24203 B Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24207 B Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . 24209 B Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24210 D Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24211 B Tagesordnungspunkt 4: Große Anfrage der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Behinderung und Erschwerung unter- nehmerischer Entfaltung durch hohe Bürokratiedichte (Drucksache 14/8945) . . . . . . . . . . . . . . . . 24215 B Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24215 C Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 24218 A Rainer Brüderle FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24222 B Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 24224 D Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24228 B Wolfgang Schulhoff CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24230 B Dr. Uwe Jens SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24232 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24234 C Ludwig Eich SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24235 C Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 24237 B Tagesordnungspunkt 40: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Re- form der Arbeitnehmerüberlassung (Drucksache 14/8545) . . . . . . . . . . . . 24238 A b) Antrag der Abgeordneten Christian Müller (Zittau), Dr. Rainer Wend, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz (Leipzig), Ulrike Höfken, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die Gemeinschaftsaufgabe Verbesse- rung der regionalen Wirtschafts- struktur als regelgebundenes För- dersystem erhalten (Drucksache 14/9242) . . . . . . . . . . . . . 24238 A c) Antrag der Abgeordneten Ursula Lötzer, Pia Maier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Sozialbindung des Eigentums in beschäftigungspoli- tische Verantwortung umsetzen (Drucksache 14/8552) . . . . . . . . . . . . . 23238 B d) Antrag der Abgeordneten Christina Schenk, Pia Maier, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS: Eigen- ständige Existenzsicherung durch Rückkehr in den Beruf statt nach- ehelicher Unterhaltsabhängigkeit (Drucksache 14/9185) . . . . . . . . . . . . . 23238 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren (Ergänzung zu TOP 40) a) Antrag der Abgeordneten Jörg-Otto Spiller, Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Angelika Beer, Andrea Fischer (Berlin), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Re- form der internationalen Finanz- architektur (Drucksache 14/9359) . . . . . . . . . . . . . 24238 C b) Antrag der Abgeordneten Brunhilde Irber, Annette Faße, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Sylvia Voß, Albert Schmidt (Hitzhofen), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Aktionsplan zum Kinder- und Ju- gendtourismus in Deutschland (Drucksache 14/9363) . . . . . . . . . . . . . 23238 D c) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Matthias Wissmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Zukunft Meer – Für eine verantwortungsbewusste Nut- zung derMeerestechnologie (Drucksache 14/9352) . . . . . . . . . . . . . 23238 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 III Tagesordnungspunkt 41: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 15. Juni 1999 des Übereinkommens zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten und zu dem Zusatzprotokoll vom 8. November 2001 zu diesem Übereinkommen (Drucksachen 14/9193, 14/9407) . . . . . 24239 A b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Neunten Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes über das Branntweinmonopol (Drucksachen14/9005,14/9042,14/9409, 14/9450) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23239 B c) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 17. November 2000 des Übereinkommens vom 20. August 1971 über die Internatio- nale Fernmeldesatellitenorganisation INTELSAT (Drucksachen 14/8983, 14/9412) . . . . . 24239 C d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Dritten Gesetzes zur Än- derung verwaltungsverfahrensrecht- licher Vorschriften (Drucksachen14/9000,14/9259,14/9418) 23239 D e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Sechsten Gesetzes zur Än- derung des Strafvollzugsgesetzes (Drucksachen14/9197,14/9235,14/9423) 23240 A g) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkom- men vom 15. Dezember 1997 zur Bekämpfung terroristischerBomben- anschläge (Drucksachen 14/9198, 14/9424) . . . . . 24240 B h) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aus- führung des Zweiten Protokolls vom 19. Juni 1997 zum Überein- kommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Euro- päischen Gemeinschaften, der ge- meinsamen Maßnahme betref- fend die Bestechung im privaten Sektor vom 22. Dezember 1998 und des Rahmenbeschlusses vom 29. Mai 2000 über die Verstär- kung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewährten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro (Drucksachen 14/8998, 14/9258) 24240 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 26. Mai 1997 über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Eu- ropäischen Union beteiligt sind (Drucksachen 14/8999, 14/9208) 24240 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zweiten Protokoll vom 19. Juni 1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Inte- ressen der Europäischen Gemein- schaften (Drucksachen 14/9002, 14/9207, 14/9413) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24240 D i) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Ordnungswidrigkeitenver- fahrensrechts (Drucksachen14/9001,14/9238,14/9426) 24241 B j) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Abkom- men vom 13. Dezember 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien über soziale Sicherheit (Drucksachen 14/8984, 14/9234) . . . . . 24241 C k) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Eu- ropäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Eu- roparates vom 5. November 1992 (Drucksachen 14/7545, 14/9408) . . . . . 24241 D l) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Revisionsprotokoll vom 12. März 2002 zu dem Abkommen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002IV vom 11. August 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossen- schaft zur Vermeidung der Doppel- besteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksachen14/9201,14/9381,14/9441) 24242 A m) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Inter- nationalen Kaffee-Übereinkommen von 2001 (Drucksachen 14/9202, 14/9411) . . . . 24242 B n) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Rechtsvorschriften an veränderte Zuständigkeiten oder Behördenbe- zeichnungen innerhalb der Bundesre- gierung (Zuständigkeitsanpassungs- gesetz) (Drucksachen 14/8977, 14/9353) . . . . 24242 C o) Beschussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Nutzung sa- tellitengestützter Erdbeobachtungs- informationen (Drucksachen 14/8034, 14/8514) . . . . 24242 D p) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu- nität und Geschäftsordnung zu dem An- trag der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS: Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Aus- schuss nach Art. 77 des Grundgeset- zes (Vermittlungsausschuss) (Drucksachen 14/119, 14/9123) . . . . . 24243 A q) – u) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 397, 398, 399, 400, 401 zu Petitionen (Drucksachen 14/9229, 14/9230, 14/9231, 14/9232, 14/9233) . . . . . . . . 24243 B v) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu der Verordnung der Bundesregierung: Einhundertste Ver- ordnung zur Änderung derAusfuhr- liste – Anlage AL zur Außenwirt- schaftsverordnung (Drucksachen 14/8740, 14/8829 Nr. 2.2, 14/9303) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24243 D w) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- logie zu der Verordnung der Bundesre- gierung: Sechsundfünfzigste Verord- nung zur Änderung der Außen- wirtschaftsverordnung (Drucksachen 14/8712, 14/8829 Nr. 2.1, 14/9304) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24243 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 41) a) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen zum Übereinkom- men vom 7. November 1991 zum Schutz der Alpen (Alpenkonvention) (Drucksachen 14/8980, 14/9457) . . . . 24244 A b) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Stabilisierungs- und Assozi- ierungsabkommen vom 29. Oktober 2001 zwischen den Europäischen Ge- meinschaften und ihren Mitglied- staaten einerseits und der Republik Kroatien andererseits (Drucksachen 14/8981, 14/9271) . . . . 24244 B Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zu den Auswirkungen ak- tueller Vorschläge zum Umbau der So- zialversicherungssysteme auf die Höhe der Rentenbeiträge und die Gesund- heitsversorgung der Bürger . . . . . . . . . . 24244 C Gudrun Schaich-Walch, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24244 C Dr. Wolf Bauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24246 B Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24247 B Dr. Irmgard Schwaetzer FDP . . . . . . . . . . . . . 24248 C Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24249 D Regina Schmidt-Zadel SPD . . . . . . . . . . . . . . 24250 D Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24251 D Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24253 A Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24254 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 V Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24255 D Fritz Schösser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24256 D Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . . 24258 A Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24258 D Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24259 D Tagesordnungspunkt 5: Bericht der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerlichen Engagements“: Bürger- schaftliches Engagement: auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft (Drucksache 14/8900) . . . . . . . . . . . . . . . . 24260 D Dr. Michael Bürsch SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 24260 D Ilse Aigner CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24263 A Christian Simmert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24264 D Gerhard Schüßler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24266 A Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24267 C Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . . . . . . 24268 C Norbert Barthle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24269 D Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24271 B Marie-Luise Dött CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 24272 B Karin Kortmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24273 C Tagesordnungspunkt 6: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Ab- geordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Für eine vorausschauende Wohnungs- und Städtebaupolitik (Drucksachen 14/6048, 14/9344) . . . . . 24275 C b) Große Anfrage der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Die Talfahrt der Wohneigentumsbildung und politische Konzepte (Drucksachen 14/7124, 14/8297) . . . . . 24275 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Bes- sere steuerliche Rahmenbedingun- gen für den Wohnungsbau (Drucksachen 14/6637, 14/9141) . . . . . 24275 D d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung wohnungsrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 14/8993, 14/9347) . . . . . 24276 A e) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht der Bundesregierung – Initiative Architektur und Baukultur (Drucksache 14/8966) . . . . . . . . . . . . . 24276 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Spanier, Hans-Günter Bruckmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD so- wie der Abgeordneten Franziska Eichstädt- Bohlig, Albert Schmidt (Hitzhofen), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die nachhaltige Stadt- und Wohnungspolitik weiter vorantreiben (Drucksache 14/9355) . . . . . . . . . . . . . . . . 24276 A Wolfgang Spanier SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24276 B Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . . . . . . . 24279 C Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24282 C Hans-Michael Goldmann FDP . . . . . . . . . . . . 24285 C Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24288 B Kurt Bodewig, Bundesminister BMVBW . . . 24289 D Eduard Oswald CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24292 B Dieter Maaß (Herne) SPD . . . . . . . . . . . . . . . 24294 B Dr. Michael Meister CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24295 C Gabriele Iwersen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24297 B Tagesordnungspunkt 7: Schlussbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Me- dizin“ (Drucksache 14/9020) . . . . . . . . . . . . . . . . 24299 C Dr. Wolfgang Wodarg SPD . . . . . . . . . . . . . . 24299 C Hubert Hüppe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 24301 A Monika Knoche BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24302 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig FDP . . . . . . . . . . 24304 C Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24305 D Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD . . . . . . . . . . . 24306 D Werner Lensing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24308 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24310 A René Röspel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24310 D Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 24311 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002VI Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Wiedereinstieg in den Beruf für Frauen erleichtern – Frauenarbeits- losigkeit in Deutschland bekämpfen (Drucksache 14/8786) . . . . . . . . . . . . . . . . 24313 D Renate Diemers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24314 A Renate Jäger SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24315 D Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24317 B Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24318 C Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24320 A Doris Barnett SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24320 D Ina Albowitz FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24322 C Doris Barnett SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24322 D Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 24323 A Marlene Rupprecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 24324 C Tagesordnungspunkt 9: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Elfter Be- richt zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung (Drucksachen14/6496, 14/8493, 14/9324) 24325 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Adler, Adelheid Tröscher, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD so- wie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Reformprozess der Internationalen Agrarforschung vorantreiben (Drucksachen 14/8000, 14/8973) . . . . 24325 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Reinhold Hemker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans- Christian Ströbele, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Sonderprogramm zur breitenwirk- samen Nutzung angepasster, er- neuerbarer Energien in den Ent- wicklungsländern (Drucksachen 14/5486, 14/9307) . . . . 24326 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Brigitte Adler, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Förderung der Zivilgesellschaft im Norden und im Süden – eine Heraus- forderung für die Entwicklungszu- sammenarbeit (Drucksachen 14/5789, 14/9308) . . . . 24326 B e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Dagmar Schmidt (Meschede), Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge- ordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Wasser als öffentliches Gut und die Bedeutung von Wasser in der deut- schen Entwicklungszusammenarbeit (Drucksachen 14/7484, 14/9310) . . . . 24326 B f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker, Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Monika Knoche, Dr. Angelika Köster-Loßack, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Afrikas neues Denken unterstützen (Drucksachen 14/8859, 14/9311) . . . . 24326 C g) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der PDS eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Sicherung der öffentlichen Entwicklungshilfe des Bundes (Entwicklungshilfesicherungs- gesetz) (Drucksachen 14/8338, 14/9312) . . . . 24326 D in Verbindung mit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 VII Zusatztagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammen- arbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Informationstech- nologie in den Mittelpunkt der Entwick- lungszusammenarbeit stellen (Drucksachen 14/5578, 14/9314) . . . . . . . 24326 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammen- arbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Umsetzung der von Deutschland beim Millenniumgipfel übernommenen Verpflichtungen (Drucksachen 14/9055, 14/9419) . . . . . . . 24327 A Adelheid Tröscher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24327 B Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . . . . . . . 24329 D Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin BMZ . . . 24332 A Ina Albowitz FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24333 C Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24335 A Dagmar Schmidt (Meschede) SPD . . . . . . . . 24336 A Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . . 24337 A Reinhold Hemker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24338 C Tagesordnungspunkt 10: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Klaus Kinkel, Dr. Helmut Haussmann, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Hans- Dirk Bierling, Dr. Wolfgang Bötsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Landminen ohne inte- grierte Selbstneutralisierungs- oder Selbstzerstörungsmechanismen äch- ten – Minenräum- und Minenopfer- hilfe deutlich erhöhen (Drucksachen 14/8654, 14/9439) . . . . . 24341 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Ernstberger, Uta Zapf, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Angelika Beer, Rita Grießhaber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Für eine Weiterentwick- lung der humanitären Rüstungs- kontrolle bei Landminen (Drucksachen 14/8858, 14/9438) . . . . . 24341 A Tagesordnungspunkt 11: a) Antrag der Abgeordneten Jörg Tauss, Monika Griefahn, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Dr. Antje Vollmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Reform der Medien- und Kommunikationsordnung für die Wissens- und Informationsgesell- schaft verwirklichen (Drucksache 14/8649) . . . . . . . . . . . . . 24341 C b) Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung gemäß § 56 a der Geschäftsord- nung: Technikfolgenabschätzung; hier: Neue Medien und Kultur – Bisherige und zukünftige Auswirkungen der Entwicklung Neuer Medien auf den Kulturbegriff, die Kulturpolitik, die Kulturwirtschaft und den Kultur- betrieb (Drucksache 14/8434) . . . . . . . . . . . . . 24341 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Griefahn, Jörg Tauss, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Digitale Spaltung der Gesellschaft überwinden – Eine In- formationsgesellschaft für alle schaf- fen (Drucksachen 14/6374, 14/8151) . . . . . 24341 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Angela Marquardt, Maritta Böttcher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Zensur im Internet ver- hindern – Kein Einsatz von Filtern an öffentlichen Terminals – Für eine Kennzeichnungspflicht beim Einsatz von Filtertechnologien (Drucksachen 14/6128, 14/9406) . . . . . 24342 A Tagesordnungspunkt 12: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Erwin Marschewski (Recklinghau- sen), weiteren Abgeordneten und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002VIII der Fraktion der CDU/CSU einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor angedrohten und vorgetäuschten Straftaten (Drucksachen 14/7616, 14/9328) 24342 B – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Öffentlichkeit vor ange- drohten und vorgetäuschten Strafta- ten („Trittbrettfahrergesetz“) (Drucksache 14/8201, 14/9328) . . . 24342 C b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung der Straf- prozessordnung (§ 418 Abs. 1 StPO) (Drucksachen 14/2444, 14/4089) . . . . 24342 C Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche, Helmut Heiderich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Weiter- entwicklung einer Biotechnologiestrate- gie für den Forschungs- und Wirt- schaftsstandort Deutschland (Drucksache 14/9102) . . . . . . . . . . . . . . . . 24343 A Zusatztagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämpfung der Finanzierung des Terro- rismus (Geldwäschebekämpfungsgesetz) (Drucksachen 14/8739, 14/9043, 14/9263) 24343 B Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Keine Vor- zugsbehandlung der Deutschen Post AG bei der Umsatzsteuer (Drucksache 14/9101) . . . . . . . . . . . . . . . . 24343 D Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Günter Nooke, Dr. Norbert Lammert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Gesamtkonzeption für Berli- ner Gedenkstätten für die Opfer der SED-Diktatur notwendig (Drucksachen 14/4641, 14/7014) . . . . . . . 24344 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Kultur und Medien zu dem An- trag der Abgeordneten Ina Albowitz, Dr. Günter Rexrodt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Stasi-Untersu- chungshaftanstalt Hohenschönhausen als Gedenkstätte erhalten und ausbauen (Drucksachen 14/7110, 14/9318) . . . . . . . 24344 A Tagesordnungspunkt 17: Große Anfrage der Abgeordneten Dr.-Ing. Rainer Jork, Dr. Gerhard Friedrich (Erlan- gen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Situation und Perspektiven der Ingenieurinnen und Ingenieure in Deutschland (Drucksachen 14/6506, 14/7999) . . . . . . . 24344 C Tagesordnungspunkt 18: – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Heidemarie Lüth, Heidemarie Ehlert, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der PDS einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes über die Behandlung von Petitionen und über die Aufgaben und Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages – Petitionsgesetz (Drucksachen 14/5762, 14/8576) . . . . 24344 C – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Heidemarie Lüth, Heidemarie Ehlert, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der PDS einge- brachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 45 c) (Drucksachen 14/5763, 14/8576) . . . . 24344 D Heidemarie Lüth PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24345 A Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung über die Entsorgung von gewerblichen Sied- lungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen (Drucksachen 14/9107, 14/9133 Nr. 2.1, 14/9351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24346 B Tagesordnungspunkt 20: – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 IX zu dem Zusatzprotokoll vom 18. De- zember 1997 zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (Drucksache 14/8995, 14/9354) . . . . . . 24346 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Zusatzprotokolls vom 18. Dezem- ber 1997 zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (Drucksachen 14/8996, 14/9354) . . . . . 24346 C Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes (Drucksachen 14/9195, 14/9236, 14/9427) 24347 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24347 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 24349 A Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Antwor- ten: Pressemeldungen über jugoslawische Quelle der Nitrofen-Verseuchung; Maßnah- men der EU-Kommission wegen des Nitrofen- Skandals (241. Sitzung am 12. Juni 2002) DringlAnfr 5, 6 Hans-Michael Goldmann FDP Antw PStSekr Matthias Berninger, BMVEL 24349 C Anlage 3 Nachträglich zu Protokoll gegebene Antwor- ten: Pressemeldungen über eine einzige Quelle der Nitrofen-Verunreinigung; Ablehnung der Lagerhalle in Malchin als einziger Quelle der Nitrofen-Verseuchung DringlAnfr 7, 8 Gudrun Kopp FDP Antw PStSekr Matthias Berninger, BMVEL 24349 D Anlage 4 Nachträglich zu Protokoll gegebene Antwor- ten: Mögliche illegale Verwendung von Nitro- fen kurz vor der Ernte; Maßnahmen Belgiens gegen Importe deutscher Bioprodukte DringlAnfr 9, 10 Albert Deß CDU/CSU Antw PStSekr Matthias Berninger, BMVEL 24350 A Anlage 5 Nachträglich zu Protokoll gegebene Antwor- ten: Verwendung von Futter- und Lebens- mitteln mit Nitrofen-Werten unterhalb des ge- setzlichen Höchstwertes; Überprüfung von Futter- und Lebensmitteln aus Importen hin- sichtlich ihres Nitrofen-Gehalts DringlAnfr 11, 12 Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU Antw PStSekr Matthias Berninger, BMVEL 24350 B Anlage 6 Nachträglich zu Protokoll gegebene Antwor- ten: Pressekonferenz der Bundesministerin Künast am 2. Juni 2002; mögliche weitere Quellen der Nitrofen-Verseuchung DringlAnfr 13, 14 Norbert Schindler CDU/CSU Antw PStSekr Matthias Berninger, BMVEL 24350 D Anlage 7 Nachträglich zu Protokoll gegebene Antwor- ten: Erkenntnisse über mit Nitrofen verseuchte Hallen; mögliches Importverbot seitens der EU-Kommission gegenüber deutschen Bio- produkten DringlAnfr 15, 16 Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU Antw PStSekr Matthias Berninger, BMVEL 24351 A Anlage 8 Nachträglich zu Protokoll gegebene Antwor- ten: Quelle des in Malchin eingelagerten Wei- zens; Weiterverwendung des in Malchin einge- lagerten Weizens DringlAnfr 17, 18 Meinolf Michels CDU/CSU Antw PStSekr Matthias Berninger, BMVEL 24351 B Anlage 9 Nachträglich zu Protokoll gegebene Antwor- ten: Hinweise auf mögliche Verbraucher- gefährdung durch Importe aus Thailand; früh- zeitiger Hinweis der Wirtschaft auf eine mögliche Verbrauchergefährdung DringlAnfr 19, 20 Dr. Edzard Schmidt-Jortzig FDP Antw PStSekr Matthias Berninger, BMVEL 24351 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002X Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler (PDS) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundes- tages und des Bundesrates für den Ausschuss nach Art. 66 des Grundgesetzes – Vermitt- lungsausschuss (Tagesordnungspunkt 41 p) 24352 A Anlage 11 Erklärung des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Geld- wäsche und der Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (Geldwäschebekämpfungs- gesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 10) . . . . . 24352 C Anlage 12 Erklärung des Abgeordneten Eckart von Klaeden (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Änderungsantrag des Abgeordneten Hans- Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zum Entwurf eines Gesetzes zur Ver- besserung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (Geldwäschebekämpfungsgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . 24353 A Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Eckart von Klaeden (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkommen über die Überstellung verur- teilter Personen (Tagesordnungspunkt 20) . . . 24353 B Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht: Land- minen ohne integrierte Selbstneutralisie- rungs- oder Selbstzerstörungsmechanismen ächten – Minenräum- und Minenopferhilfe deutlich erhöhen – Für eine Weiterentwicklung der huma- nitären Rüstungskontrolle bei Landminen (Tagesordnungspunkt 10 a und b) . . . . . . . . . . 24353 B Petra Ernstberger SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24353 B Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24355 A Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24356 B Dr. Klaus Kinkel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24357 A Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24358 A Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Reform der Medien- und Kommu- nikationsordnung für die Wissens- und In- formationsgesellschft verwirklichen – Bericht: Technikfolgenabschätzung; hier: Neue Medien und Kultur, bisherige und zukünftige Auswirkungen der Entwicklung Neuer Medien auf den Kulturbegriff, die Kulturpolitik, die Kulturwirtschaft und den Kulturbetrieb (Tagesordnungspunkt 11 a und b) . . . . . . . . . . 24358 C Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24358 D Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24361 C Dr. Martina Krogmann CDU/CSU . . . . . . . . 24363 A Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) CDU/CSU 24364 C Grietje Bettin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24365 C Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . 24366 D Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24367 C Dr. Julian Nida-Rümelin, Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24368 B Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Gesetzentwürfe: – Verbesserung des Schutzes der Bevölke- rung vor angedrohten und vorgetäuschten Straftaten – Verbesserung des Schutzes der Bevölke- rung vor angedrohten und vorgetäuschten Straftaten („Trittbrettfahrergesetz“) (Tagesordnungspunkt 12 a und b) . . . . . . . . . . 24370 B Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24370 B Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24371 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24372 D Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24373 B Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24373 D Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Weiterentwicklung einer Biotech- nologiestrategie für den Forschungs- und Wirt- schaftsstandort Deutschland (Tagesordnungs- punkt 13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24374 B René Röspel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24374 B Katherina Reiche CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 24375 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 XI Helmut Heiderich CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 24377 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24377 D Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24379 A Wolfgang Bierstedt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24379 D Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekre- tär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24380 C Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Keine Vorzugsbehandlung der Deut- schen Post AG bei der Umsatzsteuer (Tages- ordnungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24381 D Dieter Grasedieck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24381 D Klaus-Peter Willsch CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24382 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24383 C Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24384 C Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24384 D Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: – Gesamtkonzeption für Berliner Gedenk- stätten für die Opfer der SED-Diktatur not- wendig – Stasi-Untersuchungshaftanstalt Hohen- schönhausen als Gedenkstätte erhalten und restaurieren (Tagesordnungspunkt 16 und Zusatztagesord- nungspunkt 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24385 A Angelika Krüger-Leißner SPD . . . . . . . . . . . . 24385 B Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 24387 B Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . 24388 A Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24388 D Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24389 B Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Situation und Perspektiven der Ingenieurinnen und Ingenieure in Deutsch- land (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . 24389 D Bodo Seidenthal SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24389 D Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24392 B Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24395 B Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24396 A Wolfgang Bierstedt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24396 C Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe: – Gesetz über die Behandlung von Petitionen und über die Aufgaben und Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bun- destages – Petitionsgesetz (PetG) – ... Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 45 c) (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 24397 D Anni Brandt-Elsweier SPD . . . . . . . . . . . . . . 24397 D Hubert Deittert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24399 B Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24401 A Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24402 A Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Ver- ordnung über die Entsorgung von gewerbli- chen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen (Tagesordnungs- punkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24402 C Franz Obermeier CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 24402 C Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24403 C Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 24404 C Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 24405 A Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zu dem Zusatzpro- tokoll vom 18. Dezember 1997 zum Über- einkommen über die Überstellung verur- teilter Personen – Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung des Zusatzprotokolls vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkommen über die Überstel- lung verurteilter Personen (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 24405 C Erika Simm SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24405 C Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24406 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24408 A Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24409 D Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24409 B Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 24409 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002XII Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes (Tagesordnungspunkt 21) . . . 24410 C Klaus Barthel (Starnberg) SPD . . . . . . . . . . . 24410 C Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . . . . . 24412 C Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24415 A Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24415 D Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 24415 A Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatsskretär BMWi 24415 D Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämpfung der Finanzierung des Terroris- mus (Geldwäschebekämpfungsgesetz) (Zu- satztagesordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . 24416 C Hans-Peter Kemper SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 24416 C Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24417 C Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24418 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24419 B Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24420 A Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 24420 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 XIII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 24347 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 13 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24349 (C) (D) (A) (B) Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 13.06.2002 Marieluise DIE GRÜNEN Becker-Inglau, Ingrid SPD 13.06.2002 Behrendt, Wolfgang SPD 13.06.2002* Bindig, Rudolf SPD 13.06.2002* Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 13.06.2002 Erler, Gernot SPD 13.06.2002 Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 13.06.2002 Joseph DIE GRÜNEN Friedrich (Altenburg), SPD 13.06.2002 Peter Dr. Grygier, Bärbel PDS 13.06.2002 Hampel, Manfred SPD 13.06.2002 Hartnagel, Anke SPD 13.06.2002 Hoffmann (Wismar), SPD 13.06.2002 Iris Irmer, Ulrich FDP 13.06.2002 Jünger, Sabine PDS 13.06.2002 Dr. Kues, Hermann CDU/CSU 13.06.2002 Laumann, Karl-Josef CDU/CSU 13.06.2002 Lintner, Eduard CDU/CSU 13.06.2002* Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 13.06.2002* DIE GRÜNEN Müller (Berlin), PDS 13.06.2002 Manfred Neumann (Gotha), SPD 13.06.2002 Gerhard Ostrowski, Christine PDS 13.06.2002 Roos, Gudrun SPD 13.06.2002 Schily, Otto SPD 13.06.2002 Schlee, Dietmar CDU/CSU 13.06.2002 Seehofer, Horst CDU/CSU 13.06.2002 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Matthias Berninger auf die dringlichen Fragen des Abgeordneten Hans-Michael Goldmann (FDP) (Drucksache 14/9350, Fragen 5 und 6): Wie bewertet die Bundesregierung einen Bericht aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 10. Juni 2002, wonach die Nitrofen-Verseuchung möglicherweise über Importe aus dem ehemaligen Jugoslawien zustande gekommen ist, da dort dieses Pflanzenschutzmittel zum Teil noch für die Anwendung zulässig ist? Wie bewertet die Bundesregierung die in verschiedenen Me- dien erhobenen Vorwürfe, dass sie in den letzten Tagen selbst, durch widersprüchliche Meldungen über den Ursprung und das Ausmaß des Nitrofen-Skandals, weitere Schritte der EU-Kom- mission gegen Deutschland provozieren würde? Zu Frage 5: Die Überprüfung der Wareneingangs- und -lieferlisten haben keinen Hinweis auf Importe aus Drittländern erge- ben. Nach den statistischen Angaben ist für den Zeitraum von 1999 bis März 2002 keine Einfuhr von Weizen aus Jugoslawien nach Deutschland erfolgt. Zu Frage 6: Die Informationspolitik der Bundesregierung wurde durch die Kommission und die Mitgliedstaaten in der Sit- zung des Ständigen Ausschusses der „Lebensmittelkette und Tiergesundheit“ am 11. Juni 2002 anerkannt und war ausschlaggebend dafür, dass die Kommission keine Maß- nahmen gegen Deutschland eingeleitet hat. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Matthias Berninger auf die dring- lichen Fragen der Abgeordneten Gudrun Kopp (FDP) (Drucksache 14/9350, Fragen 7 und 8): Trifft die „ddp“-Agenturmeldung vom 10. Juni 2002 zu, wo- nach das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft davon ausgeht, dass es zumindest in Deutsch- land nur eine Verunreinigungsquelle als Ausgangspunkt für den Nitrofen-Skandal gibt? Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang einen Bericht aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 10. Juni 2002, der unterstellt, dass die Nitrofen-Verseuchung nicht vom Staub in der Lagerhalle in Malchin stammen kann? Zu Frage 7: Die Überprüfungen haben bisher ergeben, dass die Lagerhalle in Malchin die einzige Kontaminationsquelle ist. In dieser Lagerhalle waren im vorhandenen Staub Nitrofen-Gehalte von 2g pro kg nachgewiesen worden. Nachdem Hinweise auf in frühreren Jahren dort gelager- tes und zum Teil ausgelaufenes Trizilin (Wirkstoff Nitro- fen) bestehen, werden die verschiedenen Stellen in der Halle und im Außenbereich durch Bohrproben im Beton usw. untersucht. Als erstes Ergebnis ist von der zuständi- gen Behörde in Mecklenburg-Vorpommern telefonisch mit- geteilt worden, dass an einer Stelle 77,9 g Nitrofen pro kg Betonprobe nachgewiesen wurden. Es gibt zum gegenwär- tigen Zeitpunkt keine belastbaren Hinweise auf eine weitere Kontaminationsquelle. Vielmehr könnten durch Sekundär- kontaminationen zum Beispiel im Futtermittelwerk GS agri durch Ware aus Malchin bzw. durch diese Ware kontami- nierte Anlagen, Gerätschaften (einschließlich Probenah- megeräte) oder durch Transportmittel Getreidepartien an- derer Erzeuger kontaminiert worden sein. Zu Frage 8: Es gibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Hinweise auf eine weitere Kontaminationsquelle. Anlage 4 Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Matthias Berninger auf die dringlichen Fragen des Abgeordneten Albert Deß (CDU/CSU) (Drucksache 14/9350, Fragen 9 und 10): Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über mögliche illegale Einsätze des verbotenen Pflanzenschutzmittels Nitrofen kurz vor der Ernte von Ackerbaufrüchten, und wenn ja, welche – im Nach- gang zu der Staatssekretärskonferenz am 9. Juni 2002 und den dort erworbenen Erkenntnissen? Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung, ob Belgien deutsche Bioprodukte, wie angekündigt, nicht mehr ins Land lässt? Zu Frage 9: Die Bundesregierung hat keine Erkenntnisse über ille- gale Einsätze des verbotenen Pflanzenschutzmittels Nitro- fen kurz vor der Ernte. Die gemessenen Nitrofenwerte in den Proben, die in der gesperrten Halle in Malchin ermit- telt wurden, lassen einen Einsatz vor der Ernte ohnehin als höchst unwahrscheinlich erscheinen. Die Ermittlungen haben als einzige Quelle der Nitrofen-Kontamination die Halle in Malchin ergeben. Zu Frage 10: Die belgische Regierung hat mit Wirkung vom heutigen Tag ihre Bekanntmachung vom 6. Juni 2002 aufgehoben. Anlage 5 Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Matthias Berninger auf die dringlichen Fragen des Abgeordneten Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU) (Drucksache 14/9350, Fragen 11 und 12): Was geschieht mit Futter- und Lebensmitteln, bei denen fest- gestellte Nitrofenwerte unterhalb des gesetzlichen Wertes von 0,01 mg pro kg liegen, vor dem Hintergrund, dass Nitrofen bereits ab 0,004 mg pro kg festgestellt werden kann – im Nachgang zu der Staatssekretärskonferenz am 9. Juni 2002 und den dort erwor- benen Erkenntnissen? Werden Futter- und Lebensmittel aus Drittstaaten bei der Ein- fuhr nach Deutschland auf Nitrofenhaltigkeit überprüft, insbeson- dere vor dem Hintergrund, dass Nitrofen nicht weltweit verboten ist – im Nachgang zu der Staatssekretärskonferenz am 9. Juni 2002 und den dort erworbenen Erkenntnissen? Zu Frage 11: Nach geltendem Lebensmittelrecht dürfen Lebensmit- tel, deren Gehalt an Nitrofen 0,01 mg/kg überschreitet, nicht in den Verkehr gebracht werden. Lebensmittel, die diesen Grenzwert einhalten, sind frei verkehrsfähig. Bei Futtermitteln haben sich die Länder auf einen Eingriffs- wert bei Nitrofen von 0,005 mg/kg verständigt. Die Euro- päische Kommission hat nunmehr einen Richtlinienvor- schlag vorgelegt, der einen EU-weiten Höchstwert für die EG-homonisierten Lebensmittel und stoffgleiche Futter- mittel für Nitrofen von 0,01 mg/kg vorsieht, ausgenommen Ölsaaten, Tee und Hopfen (Vorschlag hier: 0,02 mg/kg). Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft erarbeitet gegenwärtig eine Dring- lichkeitsverordnung, wonach der Höchstwert für Nitrofen bei Säuglings- und Kleinkindernahrung in Einklang mit einer Bewertung des BgVV auf 0,005 mg/kg abgesenkt werden soll. Zu Frage 12: Die für die Eingangsgrenzkontrollstellen zuständigen Länder haben sich geeinigt, dass im üblichen Rahmen an den Grenzeingangsstellen auch auf Nitrofen untersucht wird. Auch Importe über andere Eingangsstellen werden beprobt und untersucht. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Matthias Berninger auf die dring- lichen Fragen des Abgeordneten Norbert Schindler (CDU/CSU) (Drucksache 14/9350, Fragen 13 und 14): Wie kam es dazu, dass der Nitrofen-Skandal auf einer Presse- konferenz am 2. Juni 2002 von der Bundesministerin für Verbrau- cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast, be- reits als aufgeklärt verkündet wurde, obwohl es nach ihrer eigenen Einschätzung noch weiterer Sachverhaltsaufklärungen bedarf – im Nachgang zu der Staatssekretärskonferenz am 9. Juni 2002 und den dort erworbenen Erkenntnissen? Wie ist die Position der Bundesregierung zur Einschätzung von Wissenschaftlern, dass die Nitrofen-Verseuchung im Hinblick auf die hohe Konzentration nicht aufgrund der Einlagerung von Weizen in der Lagerhalle in Malchin erfolgen konnte – im Nach- gang zu der Staatssekretärskonferenz am 9. Juni 2002 und den dort erworbenen Erkenntnissen? Zu Frage 13: Zu diesem Zeitpunkt war die Halle in Malchin als Kon- taminationsquelle bereits ermittelt und es musste nur noch der Verbleib der Waren aufgeklärt werden. Zu Frage 14: Die Gehalte an Nitrofen der untersuchten Proben, die aus der gesperrten Halle in Malchin genommen wurden, weisen auf eine Kontamination des Getreides in der Halle hin. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224350 (C) (D) (A) (B) Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Matthias Berninger auf die dringlichen Fragen des Abgeordneten Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU/CSU) (Drucksache 14/9350, Fragen 15 und 16): Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über mögliche weitere mit Nitrofen verseuchte Hallen, die zur Einlagerung von Futter- mitteln bzw. Getreide benutzt werden, und wenn ja, welche – im Nachgang zu der Staatssekretärskonferenz am 9. Juni 2002 und den dort erworbenen Erkenntnissen? Erwartet die Bundesregierung, dass die EU-Kommission ein Importverbot gegen Deutschland wegen nitrofenverseuchter Bio- produkte verhängen wird, und welcher aktuelle Sachstand liegt der Bundesregierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt dazu vor? Zu Frage 15: Die Ermittlungen der Länder haben nach jetzigem Kenntnisstand keine weiteren kontaminierten Hallen festgestellt, die nitrofenkontaminiert sind und die zur Einlagerung von Futtermitteln und Getreide genutzt wer- den. Zu Frage 16: Die EU-Kommission hat in der Ausschusssitzung am 11. Juni 2002 in Brüssel keinen Entscheidungsentwurf vorbereitet und die EU-Kommission und die Mitglied- staaten waren mit der Informationspolitik und der Ermitt- lungsarbeit Deutschlands zufrieden. Weiterhin hat die bel- gische Regierung ihre Maßnahmen aufgehoben (siehe Frage 10). Anlage 8 Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Matthias Berninger auf die dringlichen Fragen des Abgeordneten Meinolf Michels (CDU/CSU) (Drucksache 14/9350, Fragen 17 und 18): Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, woher der in Malchin eingelagerte Weizen stammt – im Nachgang zu der Staatssekretärskonferenz am 9. Juni 2002 und den dort erworbe- nen Erkenntnissen (vergleiche „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 10. Juni 2002)? Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie der in Malchin eingelagerte Weizen weiter verwendet wurde, insbe- sondere in welchen Mengen und Produkten – im Nachgang zu der Staatssekretärskonferenz am 9. Juni 2002 und den dort erworbe- nen Erkenntnissen? Zu Frage 17: Die circa 500 t Weizen aus der Halle (Abteilung 4) in Malchin, die wegen Nitrofen-Kontamination gesperrt ist, wurde aus 7 Erzeugerbetrieben aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern geliefert. Die Untersuchung einer Staubprobe aus der Halle in Malchin führte zu einem Nachweis von 2 g pro kg Nitrofen. Die Untersuchung des Bodens der Halle ergab einen Gehalt von 77,9 g pro kg Beton. Zu Frage 18: Der eingelagerte Weizen wurde an diverse Empfänger versandt. Eine Liste dieser Empfänger ist von den zustän- digen Behörden in Mecklenburg-Vorpommern an die Behörden der betroffenen Länder übersandt worden. Die ermittelnden Behörden der Länder haben den Verbleib festgestellt und soweit möglich, den verbliebenen Weizen sichergestellt, beprobt und ein weiteres Verbringen verbo- ten. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Matthias Berninger auf die dringlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) (Drucksache 14/9350, Fragen 19 und 20): Wie bewertet die Bundesregierung Hinweise auf eine mög- liche Verbrauchergefährdung durch Geflügelfleischimporte aus Thailand, die über Brasilien nach Europa eingeführt werden sol- len und Nitrofurane enthalten? Trifft es zu, dass die Wirtschaft die Bundesregierung bereits frühzeitig schriftlich auf eine mögliche Verbrauchergefährdung aufmerksam gemacht und entsprechende Schritte der Bundes- regierung und der EU-Kommission angemahnt hat? Zu Frage 19: Die Bundesregierung setzt sich auf europäischer Ebene dafür ein, dass für Brasilien ähnlich wie für Thailand Schutzmaßnahmen ergriffen werden, durch die sichergestellt wird, dass beim Import von Geflügelfleisch aus Brasilien die gesundheitlichen Anforderungen der Europäischen Gemein- schaft eingehalten werden. Um den gesundheitlichen Ver- braucherschutz bei der Einfuhr von Geflügelfleisch aus Brasilien bis zum In-Kraft-Treten entsprechender Schutz- maßnahmen der Europäischen Kommission zu gewährlei- sten, hat die Bundesregierung die zuständigen obersten Landesbehörden gebeten, Importe von Geflügelfleisch und von Geflügelfleischerzeugnissen aus Brasilien im Rahmen der Einfuhrkontrollen verstärkt auf Rückstände von verbotenen Tierarzneimitteln, insbesodere auf Nitro- furane, zu untersuchen und die Untersuchungsergebnisse mitzuteilen. Zu Frage 20: Auf der Grundlage mehrerer Meldungen über den Nachweis von Nitrofuranen in Geflügelfleisch aus Brasi- lien hat die Bundesregierung die Europäische Kommis- sion bereits am 23. April 2002 und erneut am 30. April 2002 gebeten, geeignete Maßnahmen zur Sicherstellung der Einhaltung der gesundheitlichen Anforderungen der Europäischen Gemeinschaft bei der Einfuhr von Geflü- gelfleisch und Geflügelfleischerzeugnissen aus Brasilien zu prüfen. Im Rahmen der Sitzung des Ständigen Ausschusses für die Lebensmittelkette und die Tiergesundheit am 7. Mai 2002 hat die Europäische Kommission mitgeteilt, dass sie die Überprüfung der brasilianischen Lieferbetriebe veran- lasst und den brasilianischen Behörden hierfür eine Frist Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24351 (C) (D) (A) (B) von zwei Wochen gesetzt hat. Nachdem diese Frist nun abgelaufen ist, hat die Bundesregierung die Europäische Kommission mit Schreiben vom 4. Juni 2002 gebeten, die Mitgliedstaaten im Rahmen der nächsten Sitzung des Ständigen Ausschusses für die Lebensmittelkette und die Tiergesundheit über das Ergebnis der Überprüfung der brasilianischen Lieferbetriebe sowie über die zur Ge- währleistung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes geplanten Maßnahmen zu informieren. Um den gesundheitlichen Verbraucherschutz bei der Einfuhr von Geflügelfleisch aus Brasilien bis zum In- krafttreten entsprechender Schutzmaßnahmen der Euro- päischen Kommission zu gewährleisten, hat die Bundesre- gierung – wie bereits im Rahmen der Beantwortung der vorausgegangenen Frage erwähnt – die zuständigen obers- ten Landesbehörden gebeten, Importe von Geflügefleisch und von Geflügelfleischerzeugnissen aus Brasilien im Rahmen der Einfuhrkontrollen verstärkt auf Rückstände von verbotenen Tierarzneimitteln, insbesondere auf Nitro- furane, zu untersuchen und die Untersuchungsergebnisse mitzuteilen. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler (PDS) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Än- derung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Aus- schuss nach Art. 66 des Grundgesetzes-Vermitt- lungsausschuss (Tagesordnungspunkt 41 p) Der Mehrheit des Hauses gelang es auch 1998, der PDS-Fraktion mittels Wechsels des üblichen Berech- nungsverfahrens nach Ste. Lague/Schepers zum Verfah- ren nach d’Hondt einen Sitz im Vermittlungsausschuss zu verwehren. Aus eigener, inzwischen 12-jähriger Erfahrung wissen wir um die Bedeutung, von wichtigen Informationen, Ab- stimmungen und Entscheidungen ausgeschlossen zu sein, auch dann, wenn bei erneuter Befassung mit einer Geset- zesvorlage über diese im Bundestag abzustimmen ist. Warum stimme ich und die PDS-Fraktion insgesamt gegen die Beschlussempfehlung, also für den Antrag der PDS? Eine aus dem Vermittlungsausschuss ausgeschlossene Fraktion ist im Gesetzgebungsverfahren nur mit minderen Rechten vertreten, und zwar auch im Deutschen Bundes- tag, obwohl sie dort mit vollen Rechten am gesamten Wil- lensbildungsprozess zu beteiligen ist. Bundestag und Bundesrat würden in ihrem parlamen- tarischen Willensbildungsprozess nicht wesentlich beein- trächtigt werden. Vielmehr würde durch die Teilnahme aller Fraktionen des Bundestages an der Tätigkeit des Ver- mittlungsausschusses bei Gesetzesvorlagen die parlamen- tarische Tätigkeit nur gefördert werden. Unser Vorschlag, jeder Fraktion des Bundestages ein Grundmandat in diesem wichtigen, verfassungsrechtlich eingerichteten Organ des Gesetzgebungsverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland zuzubilligen, würde auch bei Annahme des PDS-Antrages für diese Wahlperiode nicht mehr wirksam werden, könnte aber in der kommen- den Wahlperiode – dann gegebenenfalls für eine andere Fraktion – von Bedeutung sein. Anlage 11 Erklärung des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Verbes- serung der Bekämpfung derGeldwäsche und der Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (Geldwäschebekämpfungsgesetz) (Zusatztages- ordnungspunkt 10) Keine Frage ist: Geldwäsche muss bekämpft werden und zwar wirksam. Dafür bin ich auch und sind sicher auch alle Abgeordneten, die für meinen Antrag stimmen wollen. Die wirksame Bekämpfung der Geldwäsche ist ein wichtiges, vielleicht das wichtigste Mittel zur Bekämpfung wirklich gefährlicher organisierter und Wirtschaftskriminalität. Aber der Kampf gegen Geldwäsche darf nicht auf Kos- ten wichtiger Institutionen des Rechtsstaates geführt wer- den. Zum Rechtsstaat gehört das uneingeschränkte Ver- trauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Dieses Vertrauensverhältnis wird ohne Not ausgehöhlt, wenn dieses Gesetz unverändert beschlossen wird. Die Vorschriften, die Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen verpflichten, ihre Mandanten anzuzeigen, wenn sie den Verdacht haben, dass diese sie zur Geldwäsche missbrau- chen wollen, und die dann auch noch den Rechtsanwälten verbieten, die Mandanten davon zu unterrichten, dass sie diese angezeigt haben, beruhen auf einer völligen Ver- kennung der Stellung der Rechtsanwälte in der Gesell- schaft und in unserem Rechtssystem. Rechtsanwälte sind unabhängige Organe der Rechtspflege und zwar aus- nahmslos. Darauf beruht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weitgehend ihre Wir- kungsmöglichkeit für die Mandanten. Rechtsanwälte sind nicht Organe der Strafverfolgung. Das wird deutlich: Rechtsanwälte dürfen einen Man- danten davon unterrichten, wenn sie aus den Akten oder sonst wie erfahren, dass gegen ihn ein Haftbefehl besteht, auch wenn dieser damit die Möglichkeit bekommt, sich zu entziehen. Rechtsanwälte dürfen nicht anzeigen, wenn ein Mandant an sie im Gefängnis die unsittliche Bitte richtet, ihm eine Feile mitzubringen, auch wenn sich aus diesem Wunsch der Schluss ziehen lässt, der Gefangene schmie- det Fluchtpläne. Rechtsanwälte dürfen Mandanten nicht anzeigen, auch wenn sie von diesen hören, dass sie weiter betrügerische Haustürgeschäfte betreiben, mit Haschisch oder mit unsauberen Warenterminkontrakten handeln oder gegen Embargobestimmungen in strafbarer Weise verstoßen. Selbstverständlich ist, dass Rechtsanwälte solche un- sittlichen Angebote zur Mitwirkung bei strafbarem Han- deln oder bei der Sicherung der Beute ablehnen. Sie kön- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224352 (C) (D) (A) (B) nen und sollten auch auf die Mandanten dahin gehend ein- wirken, die Begehung von Straftaten zu unterlassen. Aber sie müssen und dürfen nicht gegen den Willen ohne Wis- sen der Mandanten an der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs mitwirken. Das aber ist es, was die inkriminierten Bestimmungen des Geldwäschegesetzes von ihnen verlangt. Das für eine wirksame Interessenvertretung durch Rechtsanwälte not- wendige Vertrauensverhältnis verträgt solches Tun von Anwälten nicht. Es steht zu befürchten – ist die Tür erst mal aufgestoßen – werden weitere Schritte und weitere Eingriffe in das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant folgen. Deshalb stimme ich dem Gesetz ohne die notwendigen Änderungen nicht zu. Anlage 12 Erklärung des Abgeordneten Eckart von Klaeden (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Ände- rungsantrag des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämp- fung der Finanzierung des Terrorismus (Geld- wäschebekämpfungsgesetz) (Zusatztagesord- nungspunkt 10) Für die CDU/CSU-Fraktion erkläre ich: Das Votum ist Nein. Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Eckart von Klaeden (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (Tages- ordnungspunkt 20) Für die CDU/CSU-Fraktion erkläre ich: Das Votum lautet Ja. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht: Landminen ohne integrierte Selbstneutralisierungs- oder Selbstzer- störungsmechanismen ächten – Minenräum- und Minenopferhilfe deutlich erhöhen – Für eine Weiterentwicklung der humanitären Rüs- tungskontrolle bei Landminen (Tagesordnungs- punkt 10 a und b) Petra Ernstberger (SPD):Nach Unterlagen der deut- schen Initiative gegen Landminen gibt es circa 110 Mil- lionen Landminen in über 70 Ländern dieser Erde. Die gleiche Anzahl, schätzt man, befindet sich noch einmal in den Depots der Militärs. Noch immer werden pro Tag 22 Menschen durch Minen verletzt oder getötet. Das be- deutet, dass jede Stunde – auch jetzt – ein weiteres Opfer dazu kommt. Vor allem Frauen und Kinder sind die Op- fer. Eigentlich ist es auch egal, wie viel Minen auf einer Fläche verlegt sind. Eine einzige reicht aus, um, zum Bei- spiel in einem Feld verlegt, die Lebensgrundlage einer Familie zu zerstören. 125 Millionen Euro wurden im vergangenen Jahr in der EU für humanitäre Minenräumung ausgegeben. 17 Mil- lionen Euro stellt die Bundesregierung davon in diesem Jahr zur Verfügung. Aber wir müssen erkennen, dass es auf die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen und auf die Belastung mit Kampfmitteln mehr ankommt als auf die Anzahl der Minen. Auf diesem Gebiet muss die Leistung der NGOs vor Ort lobend hervorgehoben wer- den. Deshalb ist es richtig und gut, dieses Thema heute wieder im Deutschen Bundestag zu diskutieren, wenn ich mir auch eine bessere Zeit vorgestellt hätte. Der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen be- handelt zwei Typen von Landminen: Antipersonenminen und Antifahrzeugminen. Zu den Antipersonenminen hat es in den vergangenen Jahren vielfältige politische Bemühungen gegeben, so- wohl in Deutschland als auch international. Ein heraus- ragendes Ereignis dieser Bemühungen war das Ottawa- Übereinkommen vom Dezember 1997, das im März des Jahres 1999 in Kraft getreten ist. Es verpflichtet alle Staa- ten, die dem Übereinkommen beigetreten sind, nach vier Jahren, das heißt im Jahre 2003, ihre Bestände an Anti- personenminen vollständig zu beseitigen. Der Anlass, warum wir uns trotz des Ottawa-Überein- kommens weiterhin mit Antipersonenminen befassen müssen, liegt darin begründet, dass nach wie vor die größ- ten und wichtigsten Besitzer und Hersteller dieser Mi- nen dem Ottawa-Übereinkommen nicht beigeteten sind. Nichtvertragsstaaten sind zum Beispiel die VR China, Russland, die USA, Indien und Pakistan. Diese Staaten verfügen über die zehnfache Menge von Antipersonenmi- nen im Vergleich zu den Ländern, die dem Ottawa-Vertrag beigetreten sind. Die Erwartung, dass ein Minenverbot durch die Staaten, die das wollen, eine Sogwirkung ent- falten würde und solche Staaten, die das nicht wollen, um- stimmen würde, ist nicht erfüllt worden. Alle, die sich für diesen Ansatz stark engagiert haben, haben inzwischen dessen Grenzen zur Kenntnis nehmen müssen. Trotz des Ottawa-Vertrages sind in jedem neuen Kon- flikt seit 1997 Antipersonenminen eingesetzt worden. Im Kosovo, in Makedonien, in Afghanistan – bei allen mi- litärischen Auseinandersetzungen der jüngsten Zeit wur- den Minen verlegt, was die Schlussfolgerung erlaubt, dass der Ottawa-Vertrag bislang auf die realen Gefährdungen der Menschen in Krisenregionen nur einen geringen Ein- fluss hatte. Da sehr viel mehr Menschen Opfer von Anti- personenminen werden als von Antifahrzeugminen, ist es wichtig, auf den großen Handlungsbedarf hinzuweisen, der bei diesem Waffentyp weiterhin besteht. Unser Antrag fordert die Bundesregierung auf, die Universalisierung des Geltungsbereiches des Ottawa- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24353 (C) (D) (A) (B) Übereinkommens mit Nachdruck zu betreiben. Es spricht nichts dagegen, wenn nicht nur auf den interna- tionalen Verhandlungsforen, sondern auch bilateral, bei Kontakten der Bundesregierung auf hoher und höchster Ebene, dieses Thema auf die Tagesordnung der Ge- spräche gesetzt wird. Auch die großen Mächte, wie USA, Russland oder die VR China, müssen sehen, dass Antipersonenminen zwar eine Schutzfunktion für Sol- daten im unmittelbaren Gefecht haben können, dass sie ihre vernichtende Wirkung aber vor allem nach Beendi- gung von Kriegshandlungen entfalten. Und dann sind es nicht Soldaten, sondern die Zivilbevölkerung, die auf das Höchste gefährdet ist. Der zweite Schwerpunkt unseres Antrages ist neu. Er befasst sich mit der Problematik der Antifahrzeugminen, das heißt der Minen, die gegen Panzer und andere mi- litärische Fahrzeuge gerichtet sind. Aus rein militärischer Sicht handelt es sich dabei nicht um Angriffswaffen, son- dern um defensive Waffen, die zum Schutz von Gelände, militärischen Einrichtungen und Soldaten vorgesehen sind. Aber auch sie können insbesondere nach der Been- digung von militärischen Auseinandersetzungen, dann, wenn die Soldaten längst abgezogen sind, die Zivilbevöl- kerung gefährden. Die Militärs sagen, sie brauchen die Antifahrzeugmi- nen zum Schutz der Soldaten. Wir sagen, wir sind auch für den Schutz der Soldaten, aber wir wollen auch den Schutz der Zivilbevölkerung. Die Militärs sagen, dafür sei ge- sorgt, weil sie nach Beendigung der Kampfhandlungen die Minen wieder mitnehmen würden. Das ist eine völlig wirklichkeitsfremde Aussage. Wäre das so, dass die Ar- meen dieser Welt ihre Minen nach dem Krieg wieder mit- nehmen würden, hätten wir kein Landminenproblem und es gäbe nicht Tausende von Zivilopfern. Keine Armee, die auf der Flucht ist, denkt daran, als Erstes ihre Minen einzusammeln. Im Gegenteil: Sie hof- fen, dass die Minen den Gegner möglichst lange am Vor- marsch hindern. Das ist die Realität, die von den Minen- befürwortern nicht gesehen wird. Deswegen brauchen wir neue Regelungen für den Schutz der Zivilbevölkerung vor der Minengefahr. Verschiedene Antilandminen-Organisationen veran- stalten in dieser Woche Aktionen, um für ein Verbot aller Landminen, also auch der Antifahrzeugminen, zu wer- ben. Die SPD ist für ein weltweites Verbot derartiger Mi- nen und unterstützt das Engagement der NGOs. Sie weiß aber auch, dass ein Verbot von Antifahrzeugminen nur dann eine positive Wirkung für die Sicherheit der Zivil- bevölkerung hätte, wenn – wie bei den Antipersonenmi- nen – die wichtigsten Minenproduzenten mitmachen wür- den. Die Bereitschaft dazu ist jedoch gegenwärtig bei den Antifahrzeugminen noch weniger vorhanden als bei den Antipersonenminen. Es reicht nicht aus, wenn Deutsch- land, Neuseeland, Kanada oder andere gutwillige Staaten Antifahrzeugminen verbieten würden. Es geht wiederum um Russland, China, Pakistan, Indien, USA, die das tun müssten, um einem Verbot Wirkung zu verleihen. In Genf, bei der UNO-Waffenkonferenz sitzen alle diese Staaten an einem Tisch. Hier geht es nicht um Verbote ganzer Waf- fenkategorien, sondern darum, die humanitären Standards in Bezug auf Landminen zu erhöhen und die Risiken für die Zivilbevölkerung zu vermindern. Hier setzt unser Antrag an. Es behandelt nicht die ge- samte Problematik von Antifahrzeugminen, sondern be- fasst sich nur mit solchen Antifahrzeugminen, die sensible Zündmechanismen haben, und mit Minen, die nicht de- tektierbar sind oder über keine Möglichkeit der Wirkzeit- begrenzung verfügen. Antfahrzeugminen mit sensiblen Zündmechanismen können von einzelnen Personen unbe- absichtigt ausgelöst werden, beispielsweise wenn diese Minen mithilfe von Magnetfeldsensoren ausgelöst wer- den. Sie wirken dadurch wie Antipersonenminen, die be- reits heute verboten sind. Verboten werden müssen auch Antifahrzeugminen, die nicht detektierbar sind oder keine Wirkzeitbegrenzung ha- ben. Solche Minen können noch nach Jahren Unheil unter der Zivilbevölkerung anrichten. Es ist zu begrüßen, dass sich seit einiger Zeit auch internationale Gremien, wie das VN-Waffenübereinkommen, mit den Fragen der sensiblen Zündmechanismen und der nicht detektierbaren Antifahrzeugminen befassen. Auch die Cluster-Bomben sind inzwischen Gegenstand von Fachgremien dieser Ver- handlungsrunden geworden. Das ist mit Nachdruck zu be- grüßen und zu unterstützen. Meine Fraktion unterstützt die Bundesregierung in dem Vorhaben, die humanitären Standards auch bei den Antifahrzeugminen zu erhöhen. Dabei haben wir Ver- ständnis für die Auffassung der Bundesregierung, dass noch umfangreichere Forderungen in Bezug auf ein Land- minenverbot den internationalen Verhandlungsprozess möglicherweise auch behindern könnten. Wir wissen zum Beispiel, dass sich die französische Regierung schwer tut mit einem Verbot nicht detektierbarer Antifahrzeugmi- nen. Wir brauchen aber Frankreichs Zustimmung, wenn wir in diesem Bereich Fortschritte erzielen wollen. Und ebenso brauchen wir die Zustimmung der VR China, Russlands und der anderen großen Minenhersteller. Es geht darum, diese Staaten in einem harten Verhand- lungsprozess davon zu überzeugen, dass sie ihre Sicher- heit auch gewährleisten können, wenn sie Regelungen ak- zeptieren, die die Auslösung von Antifahrzeugminen durch Personen ausschließen. Das ist der Grund, warum wir die Forderungen unter Ziffer 4 und 5 des Antrages der FDP-Fraktion und der Fraktion der CDU/CSU zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für realistisch und insgesamt auch nicht für hilfreich halten, obwohl wir das Ziel des Verbots aller Landminen teilen. Der Antrag der FDP, dem sich die CDU/CSU ange- schlossen hat, ist keineswegs weitergehender als unser Antrag. Er klingt nur radikaler. In Wirklichkeit macht er es schwerer, einen internationalen Konsens für die An- hebung der humanitären Standards zu finden. Er würde in internationalen Verhandlungen noch nicht einmal Ein- gang in die Tagesordnung finden. Er konzentriert sich auf nah verlegte Antifahrzeugminen, obowohl die fern verlegten das sehr viel dringlichere Problem darstellen und man für sie sehr viel eher eine Lösung finden könnte. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224354 (C) (D) (A) (B) Deswegen lehnen wir den Antrag von FDP und CDU/CSU ab. Wir wollen keine verbal-radikalen Be- kenntnisse, die unser Gewissen beruhigen wollen. Wir wollen, dass die Gefährdung der Zivilbevölkerung wirk- lich vermindert wird. Was heute leistbar ist und was wir unbedingt brauchen, ist ein Einstieg in das Verbot von An- tifahrzeugminen. Und da scheint uns am dringlichsten eine Vereinbarung über solche Antifahrzeugminen, die wie Antipersonenminen wirken. Das ist der Kern unseres Antrags. Ich bitte um die Zustimmung zur Beschluss- fassung des federführenden Auswärtigen Ausschusses. Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Was haben Vera Bohle und Lady Diana gemeinsam? Beide sind bzw. wa- ren gegen den Einsatz von Landminen. Bei Lady Diana ist dieses Engagement allgemein bekannt. Vera Bohles Na- men werden Sie nicht kennen. Sie ist eine der wenigen Deutschen, die Minen räumt. Mit 29 hängte sie ihren Job als TV-Cutterin an den Nagel und ging zur Sprengschule nach Dresden. Für die GTZ arbeitet sie im Westen Mo- sambiks, der Region Gorongosa. Es ist auch das Verdienst von Frauen wie Vera Bohle, dass sich immer mehr Staaten für die Ächtung von Land- minen aussprechen und auch wir heute über einen solchen Antrag entscheiden wollen. 110 Millionen Stück sollen – so wird geschätzt – noch im Boden verborgen sein. 110 Millionen – eine unvorstellbare Zahl. Das ist fast so viel wie Japan, der derzeitige Ausrichter der Fußball- Weltmeisterschaft an Einwohnern hat, oder der Betrag, den das Entwicklunghilfeministerium im Haushalt 2001 für Nahrungsmittelhilfe vorgesehen hatte. Selbst wenn man das endgültige Aus der Landminen beschlösse, würde es noch Jahrzehnte dauern, bis alle Minen beseitigt wären. Am schlimmsten ist die Situation in Afghanistan, Angola, Bosnien, dem Irak, Somalia und dem Sudan. Tau- sende Menschen, darunter viele Kinder, wurden durch Minen bereits verstümmelt oder getötet. Die Verletzun- gen, die explodierende Minen verursachen, sind so schrecklich, dass man es nicht in Worte fassen kann. Getö- tet und verstümmelt wird damit auch ihre Zukunft, die Zu- kunft ihrer Familien und ihrer Länder. Doch sind in diesem Zusammenhang auch unsere ei- genen Interessen betroffen. Vergangenen Freitag haben wir den Einsatz unserer Soldaten auf dem Kosovo verlän- gert, morgen entscheiden wir über die Verlängerung des Mandats in Mazedonien und Afghanistan. In all diesen Ländern besteht die Gefahr von Minenunfällen und ich bin froh, sagen zu können, dass der Bundesverteidigungs- minister im vergangenen Jahr endlich auf unseren Druck reagiert und den Schutz deutscher Schützen- und Kampf- panzer vor Abwehrminen hat verbessern lassen. Ein erster Schritt auf dem Weg zur Abschaffung der Minen wurde mit der Unterzeichnung des Ottawa-Über- einkommens bereits gemacht. Für die über 140 Staaten, die das Abkommen von Ottawa unterzeichnet haben, ist jeglicher Umgang mit Antipersonenminen verboten. Vier Jahre nach In-Kraft-Treten des Übereinkommens muss ein Staat alle Vorräte an Antipersonenminen vernichtet haben. Froh bin ich darüber, dass fast alle EU-Staaten das Übereinkommen ratifiziert haben und Deutschland seine Bestände an Antipersonenminen bereits vor Fristablauf vernichtet hat. Ein großes Verdienst übrigens unserer früheren Bundesregierungen und des Außenministers Klaus Kinkel. Doch auch hier gilt, was ich in der vergan- genen Woche zum Thema Abrüstung gesagt habe: Wer rastet, rostet. Oder anders: Gut ist in diesem Fall noch nicht gut genug. Es ist bedauerlich, dass viele Nationen, vor allem in Krisengebieten, das Übereinkommen von Ot- tawa bislang nicht unterzeichnet haben. Ich denke hier vor allem an zwei Staaten, die ich ebenfalls in der vergange- nen Woche, damals im Zusammenhang mit dem Atom- teststoppvertrag, erwähnt habe: Indien und Pakistan. Aber auch der Beitritt Russlands, Chinas und der Vereinigten Staaten zum Abkommen wäre wünschenswert. Keine so großen Fortschritte haben wir in Bezug auf Antifahrzeugminen gemacht. Ihre Produktion und Verle- gung sind nicht verboten, obwohl sie in ihren Auswirkun- gen ebenso schrecklich sind wie die Antipersonenminen. Auch sie bedrohen Zivilisten, auch sie legen die Infra- struktur eines Landes lahm. Besonders Gebäude, Eisen- bahntrassen und Straßen werden mit Antifahrzeugminen blockiert, um die Versorgung der Bevölkerung mit Le- bensmitteln zu verhindern. So geschehen in Ruanda und im angolanischen Bürgerkrieg. Lediglich Art. 6 Abs. 3 des revidierten Protokolls II des Waffenübereinkommens der Vereinten Nationen bestimmt, dass fernverlegte Antifahr- zeugminen mit einer Wirkzeitbegrenzung ausgestattet sein müssen. Mit einer Einschränkung, denn es heißt: so- weit dies „praktisch“ möglich ist. Die Vertragsparteien werden grundsätzlich verpflichtet, Aufzeichnungen da- rüber zu führen, wo sie Minen verlegt haben und Minen- felder nach dem Ende der aktiven Feindseligkeiten wie- der zu räumen. Bei meiner Rede am vergangenen Freitag habe ich auf die Gefahren hingewiesen, die von terroristischen Orga- nisationen ausgehen können. Auch heute möchte ich auf die Gefahr hinweisen, die von diesen Gruppen, aber auch von Bürgerkriegsparteien ausgehen kann. Da das Waffenübereinkommen nur von wenigen Staaten unter- zeichnet wurde und es zudem an einem wirksamen Veri- fikationsinstrument fehlt, ist es im Prinzip wirkungslos. Aus diesem Grund begrüße ich ausdrücklich das Anliegen der beiden, heute zur Abstimmung stehenden Anträge, die ja beide das Ziel haben, den Einsatz von Landminen zu ächten. Auch ich halte es für dringend erforderlich, darauf hinzuwirken, dass alle Staaten dem Übereinkommen von Ottawa beitreten und es selbstverständlich auch befolgen. Gleiches gilt selbstverständlich auch für das Verbot von Antifahrzeugminen mit derart sensiblen Zündmechanis- men, dass sie auch von Menschen ausgelöst werden kön- nen, und das Verbot von nicht detektierbaren Minen bzw. von Minen, die nicht über Mechanismen der Selbstneu- tralisierung verfügen. Die Staaten übrigens, die nicht bereits aus humanitären Gründen von Landminen ablassen wollen, lassen sich viel- leicht durch ganz profane Gründe überzeugen: Geld. Eine Mine herzustellen ist billig. Zwischen drei und 30 US-Dollar kostet es: Sie zu beseitigen ist dagegen teuer. Pro Mine, so schätzt man, fallen circa 1 000 US-Dollar an. Selbst wenn man nur die Minenfelder räumte, die im Inte- resse der jeweiligen Länder unbedingt geräumt werden müssen, kostete dies mehrere Milliarden US-Dollar. Da Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24355 (C) (D) (A) (B) die Minen meistens in Ländern der zweiten und dritten Welt verborgen liegen, ist eine Beseitigung der Minen ohne finanzielle Unterstützung der westlichen Länder gar nicht möglich. Der Profit, den einige wenige aus der Herstellung von Minen ziehen, geht also zulasten vieler anderer. Zwischen 1993 und 1999 haben das Auswärtige Amt und das BMZ für humanitäre Minenaktionen 182 Millionen DM ausgegeben. Hätte man dieses Geld in andere Projekte stecken können, ginge es vielen Menschen auf dieser Welt besser. Nicht vergessen darf man auch die Folgekosten, die durch Minen verursacht werden. Alle Staaten, die finanzielle Unterstützung leisten, können hiervon ein Lied singen. Minen ziehen einen Ratten- schwanz von Maßnahmen und Kosten hinter sich her. Ich erwähnte es ja bereits: Minen behindern Landwirt- schaft und Handel und damit die Versorgung der Men- schen. Flüchtlinge und Vertreibene können nicht in ihre Heimatdörfer zurückkehren, Wiederaufbaumaßnahmen in Konflikten stocken oder sind wegen der Verminung von Feldern und Gebäuden unmöglich. Armut breitet sich aus. Unruhen und soziale Krisen sind die Folge. Präven- tive Maßnahmen sind erforderlich. Die Bevölkerung muss durch Plakate, Radio- und Fernsehspots über die von Minen ausgehende Gefahr informiert werden. Wie Mathematik oder Biologie muss den Kindern in der Schule beigebracht werden, Minen und Sprengkörper zu erkennen und sich von ihnen fernzuhalten. 280 Mark kos- tet eine Prothese für ein Kind, das ein Bein durch eine Mi- nenexplosion verloren hat. Doch dabei bleibt es nicht. Weil Kinder noch im Wachstum sind, brauchen sie immer wieder neue Prothesen. Auch die Versorgung im Kran- kenhaus, die Rehabilitation sowie die sozialen und wirt- schaftlichen Hilfsmaßnahmen kosten Geld. Betroffen sind nicht nur die Kinder, sondern auch ihre Familien. Auch sie bedürfen der Unterstützung – finanziell und psy- chisch. Und all diese Kosten können nicht einmal im An- satz das Leid beschreiben, das gerade bei Kindern ent- steht, denen Minenverletzungen die Zukunft, oft das Lachen und die Freude nehmen. So bedeutet jedes zer- fetzte Gliedmaß mindestens ein zerstörtes Leben. All dies ist die Folge eines Drei-Dollar-Produktes! Es ist schade, dass die Regierungskoalition nicht bereit war, beim Antrag von FDP und CDU/CSU mitzumachen, den sie ja zu 99 Prozent unterstützt. Der Antrag von FDP und CDU/CSU ist konsequenter und mutiger als der der Bundesregierung. Er fordert darüber hinaus, dass die Bun- desrepublik mit gutem Beispiel vorangeht und Minen, die nicht detektierbar sind und die keine Wirkzeitbegrenzung haben, aus ihren eigenen Beständen entfernt. Manch einer mag dies für utopisch halten, da es zu Verteidigungs- zwecken unerläßlich scheint, diese Minen im Bestand zu halten. Doch auch hier scheint mir ein Umdenken möglich. Ich bin zuverlässig, dass es Wissenschaftlern gelingen wird, Alternativen zu diesen Minen zu entwickeln, die ihren Schutzzweck ebenfalls erfüllen und finanziell trag- bar sind. Deshalb bitte ich darum, dem gemeinsamen An- trag von FDP und CDU/CSU zuzustimmen. Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich freue mich, dass wir heute noch einmal über das Thema Landminen diskutieren, da mir das Thema sehr am Her- zen liegt. Gerade die Kolleginnen und Kollegen unter uns, die sich, wie ich, in verminten Regionen aufgehalten ha- ben, wie zum Beispiel in der kurdischen im Norden Iraks, oder jene Hilfsorganisationen, die in verminten Regionen humanitäre Hilfe leisten, wie heute zum Beispiel in Af- ghanistan, und die das alltägliche Elend, das diese Waffen verursachen, kennen, kann dies sicher nachvollziehen. Daher will ich auch betonen, dass ich die problemori- entierte Zusammenarbeit im Unterausschuss Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung immer sehr ge- schätzt habe; dies insbesondere dann mit großem Ernst, wenn es um das aktuelle Thema geht, das extreme huma- nitäre und abrüstungspolitische Bedeutung hat. Dennoch möchte ich einige Worte sagen, um meine Po- sition deutlich zu machen. Ich bin für die Ächtung aller Landminen. Wir haben in der Koalitionsvereinbarung fi- xiert, dass die rot-grüne Bundesregierung sich für die Ächtung von Landminen einsetzen will. Der Antrag der Koalitionsfraktionen kommt spät, zum Ende der Legisla- turperiode. Er ist ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch einer, der im Grunde genommen zu kurz greift. Er ist ein Kompromiss und wir unterstützen den Antrag, weil er eine Position festschreibt, die in dieser Form noch von keiner Regierung und keiner Regierungskoalition formuliert wurde. So bildet er eine Ausgangsbasis für die weitere Arbeit der Bundesregierung. Kritisch möchte ich anmerken, dass in bisher nicht ge- kannter Form das Bundesministerium der Verteidigung aus der Befürchtung heraus, auf bestimmte Antipanzer- minen verzichten zu müssen, immer wieder versucht hat, bereits gefundene Kompromisse auf der politischen Ebene aufzubrechen. In diesen Tagen hat der Deutsche Initiativkreis für das Verbot von Landminen mit seinen Aktionstagen begonnen. Wir unterstützen diese Arbeit, da die weltweite Landmi- nenplage noch nicht beseitigt ist. Die Kritik der Kampagne ist Anregung für unsere Arbeit. Seit dem Ottawa-Abkom- men ist es kaum zu Forschritten gekommen. Wichtige Staaten wie die USA, Russland oder China haben den Ver- trag noch immer nicht unterzeichnet. Die Bedeutung von Ottawa kann jedoch nicht unterschätzt werden. Denn es ist gelungen, wenigstens eine Waffenkategorie völkerrecht- lich zu verbieten. Dennoch sind weitere Fortschritte not- wendig. Inwieweit auch Antifahrzeugminen von dem Vertrag betroffen sind, ist Interpretationssache. In unserem Antrag werden teilweise Antifahrzeugminen in den Geltungsbe- reich des Ottawa-Abkommens mit einbezogen. Unser An- trag dient damit dem Ziel einer immanenten Erweiterung des Geltungsbereichs. Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, auf allen Ver- handlungswegen weiterzugehen. Gerade Ottawa hat ge- zeigt, dass dies möglich ist. Daher darf die Politik nicht stehen bleiben, sondern muss sich weiterentwickeln. Ich muss zugeben, dass im Antrag der FDP Punkte stehen, die ich unterstützen kann und die ich in den Diskussionen innerhalb der Koalition wie auch in der Öffentlichkeit vertrete. Wir konnten diese berechtigten Anliegen aber nicht durchsetzen. Das macht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224356 (C) (D) (A) (B) die Punkte nicht falsch, sondern es ist uns Ansporn für weitere Aktivitäten. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmt für den Koalitionsantrag und gegen den Antrag der Opposition. Nun stehe ich persönlich vor dem Dilemma, einen Antrag, der mir in einigen Punkten sehr sympathisch ist, gegen ei- nen Antrag abzuwiegen, der die Position der Bundesrepu- blik Deutschland weiterentwickelt. Vor dem Hintergrund, dass letzterer deswegen mehr Wirkungskraft entfalten könnte, stimme ich dem Antrag trotz aller von mir schon erwähnten Kritikpunkte zu. Ich stimme aber auch dem Antrag der Opposition zu, da er in die richtige Richtung weist. Es ist bedauerlich, dass die jetzigen Oppositions- parteien diese Politik nicht schon vor 1998 umgesetzt ha- ben. Das Thema Landminen – das sage ich in alle Richtun- gen – bleibt auch nach der heutigen Abstimmung auf der Agenda. Dr. Klaus Kinkel (FDP): 20 000 Tote – über 100 Mil- lionen verlegte Landminen weltweit sind und bleiben eine der schlimmsten Menschheitsgeißeln. Ich habe mich in sechseinhalb Jahren als Außenminister und auch aus der Opposition heraus dem Kampf gegen diese Geißel ver- schrieben. Das vor fünf Jahren abgeschlossene und in- zwischen von mehr als 120 Staaten unterzeichnete Ottawa-Abkommen gegen Antipersonenminen war ein Erfolg. Aber zur Umsetzung dieses wichtigen Abkommens muss mehr getan werden. Wir brauchen auch stärkeres Engagement – und mehr Geld – für das humanitäre Mi- nenräumen. Wir müssen endlich vorankommen beim ma- schinellen Minenräumen. 60 Prozent der verlegten Minen sollen mit Großgerät geräumt werden. Die Industrie hat solches Gerät entwickelt und braucht und verdient Be- währungschancen in der Praxis. Vor allem aber müssen wichtige Staaten wie die USA, Russland und China dem Ottawa-Abkommen endlich beitreten. Schlimm ist allerdings, dass leider auch Deutschland das Ottawa-Abkommen nicht vollständig umgesetzt hat, obwohl die rot-grüne Bundesregierung das bereits im Sommer 1999 stolz verkündet hat. Im Bestand der Bun- deswehr sind bis heute Zigtausende von Munitionskörpern mit einer Submunition, die in ihrer Wirkung den verbote- nen Antipersonenminen ähnlich sind. Der Bundes- verteidigungsminister behauptet, es handele sich bei der Submunition „MUSPA“ nicht um Antipersonenminen. Großbritannien hat diese Submunition längst abge- schafft – ausdrücklich unter Verweis auf Ottawa. Ich habe mich an Herrn Scharping gewandt und ihn aufgefordert, im Zweifel für die Abrüstung und gegen diese Minen zu entscheiden, aber der Bundesverteidigungsminister eiert herum, Herr Scharping, ich werde nicht locker lassen. Der Dissens zwischen uns Liberalen und den selbster- nannten Abrüstungspäpsten der rot-grünen Koalition geht beim Thema Landminen leider noch weiter. Die FDP- Bundestagsfraktion versucht seit Sommer letzten Jahres, die Bundesregierung dazu zu bewegen, einen Schritt über Ottawa hinaus zu tun und sich auch für ein Verbot von sol- chen Antipanzerminen einzusetzen, die sich nicht selbst zerstören. Denn auch diese Minen stellen nach dem Ende von Kampfhandlungen eine Gefahr für die Zivilbevölke- rung dar. Sie wissen nicht zwischen einem Panzer und ei- nem Schulbus zu unterscheiden. Rot-Grün hat sich dieser Initiative lange verweigert mit der Begründung, sie gehe nicht weit genug, es sollten alle Antipanzerminen verboten werden und nicht nur die, die sich nicht selbst zerstören. Darüber lässt sich streiten. Aber Rot-Grün hat nach dieser Kritik, dieser Verweige- rung einer Zusammenarbeit mit uns weitere neun Monate lang selbst nichts zustande gebracht. Deshalb hat die FDP erneut einen Landminen-Antrag formuliert, der Ihnen heute zur Abstimmung vorliegt. Die Union hat sich unse- rem Antrag angeschlossen, was wir begrüßen. Die Regie- rungskoalition hingegen hat es nicht geschafft, ihren ei- genen Ansprüchen zu genügen, für die Belange der Abrüstung und für den Kampf gegen die Landminen über den eigenen Schatten zu springen und sich ausnahms- weise einmal einem Antrag der FDP anzuschließen. Das ist nicht nur enttäuschend, das ist schwach und unglaub- würdig. Rot-Grün legt einen eigenen Antrag vor, der auch auf die Antipanzerminen eingeht – immerhin. Um überhaupt nur das zu erreichen, mussten wir die Regierungskoalition wieder einmal zum Jagen tragen. Aber der rot-grüne An- trag ist schwach. Er bleibt trotz mehrfacher Nachbesse- rungen in zwei entscheidenden Punkten hinter unserem Antrag zurück: Die Koalition will Antipanzerminen „schrittweise“ ent- fernen. Wir lehnen eine solche zeitliche Einschränkung ab, denn wir wissen, wie solche „Schritte“ in der Praxis aus- sehen dürfen. Nein, es muss sofort gehandelt werden. Dasselbe gilt für unsere Forderung, die Bundesregie- rung solle einseitig, als Vorleistung und damit auch als Vor- bild, auf die Herstellung, Erprobung, Lagerung und den Ex- port solcher Minen verzichten. Im Koalitionsantrag findet sich diese Forderung nicht, obwohl das ganz entscheidend ist und zeigen würde, dass Deutschland nicht nur ein Lip- penbekenntnis gegen Antipanzerminen ablegt, sondern das Teufelszeug wirklich abschaffen will. Frau Beer hat als ver- teidigungspolitische Sprecherin der Grünen noch in der letzten Woche auf eine Frage meines Kollegen Braun ge- sagt, diese beiden Punkte würden „aus politischer und hu- manitärer Überzeugung“ ihre volle Unterstützung finden. Ja, Frau Beer, dann folgen Sie doch bitte Ihrer Überzeu- gung und stimmen Sie unserem Antrag zu! Nein, Rot-Grün kuscht vor dem Bundesverteidigungs- ministerium. Dem Bundeskanzler und dem Bundes- außenminister ist dieses wichtige Thema schnurzpiep- egal. Und die Abrüstungsbewegten im Regierungslager zeigen sich vielleicht von den schrecklichen Bildern von verstümmelten Minenopfern bewegt. Aber sie selbst be- wegen nichts, obwohl sie es könnten, ja müssten, denn sie stehen in der Regierungsverantwortung. Ich bin enttäuscht, aber nicht wirklich verwundert. Rot-Grün beweist heute nicht zum ersten Mal, sondern aufs Neue, dass diese Regierung in der Abrüstungspolitik, angeblich einem Hauptanliegen der Regierungskoalition, wirklich nichts auf die Reihe bringt. Die zahlreichen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24357 (C) (D) (A) (B) NGOs, die gegen die Landminengeißel kämpfen, aber auch die unzähligen Menschen, denen das Thema Land- minen wirklich am Herzen liegt, werden das merken. Heidi Lippmann (PDS): Alle 22 Minuten geht in ei- nem der weltweit 60 verminten Länder eine Landmine hoch. Zurück bleiben tote, verletzte, verstümmelte Men- schen, jährlich circa 24 000 Opfer. Allein in Kroatien wird die Zahl der noch im Boden liegenden Minen auf bis zu 1,2 Millionen geschätzt, in Kambodscha auf 5 Millionen. Weltweit sollen es 100 Millionen sein. Bis zu 70 Jahre können die verborgenen Todesfallen noch aktiv sein. Landminen sind unmenschliche und brutal wirkende Waffen. Sie zerstören Ackerland, blockieren lebenswich- tige Handelsstraßen und stellen eine zusätzliche Belas- tung für die ohnehin überforderten Gesundheitssysteme vieler Länder dar. Obwohl das Ottawa-Abkommen zum Verbot von Antipersonenminen mittlerweile von vielen Staaten unterzeichnet und ratifiziert wurde, stehen zwei aus: Russland und die USA. Es wäre wahrhaftig ein großer Abrüstungsschritt gewesen, hätten die Herren Bush und Putin sich bei ihrem Treffen vor drei Wochen auf die Unterzeichnung des Ottawa-Abkommens verstän- digt. Wir bedauern sehr, dass dieses ausblieb. Insbeson- dere auch angesichts der Tatsache, dass in Russland nach wie vor Antipersonenminen produziert und in Tsche- tschenien und Tadschikistan eingesetzt werden. Seit 1994 sind allein in Tschetschenien circa 7 000 bis 10 000 Men- schen Opfer von Landminen geworden, darunter schät- zungsweise 4 000 Kinder. Doch auch in Deutschland werden nach wie vor Minen produziert und exportiert: von der DASA die als Submu- nition bezeichnete MUSPA. Von Dynamit Nobel die Anti- panzermine AT2. Beide lagern in den auf circa 1,7 Milli- onen mit Aufhebeschutz versehenen Minenbeständen der Bundeswehr – und beide werden von Staaten wie Italien und den USA als Antipersonenminen eingestuft, da sie auch durch Personen ausgelöst werden können. Dynamit Nobel selbst hat eingeräumt, dass die Antipanzermine der Bundeswehr, die DM 31, gegen das Ottawa-Abkommen verstößt. Laut Medico International sind deutsche Hersteller mit rund 60 Prozent der Patentaktivitäten die Nr. 1 in Europa und auch weltweit führend. Angesichts der Tatsache, dass Rot-Grün in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hatte, sich für ein umfassendes Verbot von Landminen einzu- setzen, ist dieser Verstoß gegen das Ottawa-Abkommen ein absoluter Skandal. Doch nicht genug damit. Denn darüber hinaus fließen zig Millionen des Verteidigungsetats in die Neuanschaf- fung, in die Weiterentwicklung bestehender und in die Entwicklung neuer Minensysteme. Im Vergleich hierzu ist der Prozentsatz, der in die humanitäre Minenräumung fällt, äußerst bescheiden. Meine Damen und Herren, sie werden mir nachsehen, wenn ich an dieser Stelle etwas sarkastisch werde: Während vor dem Golfkrieg die Frauen in Kuwait drei Schritte hinter ihren Männern gingen, werden sie heute fünf Meter vorneweg geschickt. Böse Zungen bezeichnen dies als humanitäre Minenräumung. Vielleicht hatten die Kollegen von der FDP ja dieses Bild vor Augen, als sie ihren Antrag formulierten, der in ähnlicher Form schon mehrfach von der PDS eingebracht wurde. Gemeinsam fordern wir, einseitig auf die Erpro- bung, Herstellung, Lizenzvergabe, Lagerung und den Ex- port von nicht detektivierbaren Landminen zu verzichten, derartige Minen in den Beständen der Bundeswehr zu ver- nichten und den nationalen Beitrag für Minenräumpro- jekte und die Minenopferhilfe signifikant zu erhöhen. Dass diese wichtigen drei Punkte im Koalitionsantrag fehlen, ist und bleibt ein Armutszeugnis. Trotz dieser gravierenden Mängel hat meine Fraktion sich darauf verständigt, auch dem Koalitionsantrag zuzu- stimmen. Ich persönlich werde mich hierbei allerdings enthalten. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Reform der Medien- und Kommunikati- onsordnung für die Wissens- und Informationsge- sellschaft – Bericht: Technikfolgeabschätzung; hier: Neue Me- dien und Kultur, bisherige und zukünftige Auswir- kungen der Entwicklung Neuer Medien auf den Kulturbegriff, die Kulturpolitik, die Kulturwirt- schaft und den Kulturbetrieb (Tagesordnungspunkt 11 a und b) Jörg Tauss (SPD): In den letzten Monaten haben uns aktuelle Ereignisse wiederholt dazu gezwungen, immer wieder neu über die gesellschaftliche Bedeutung, über die Chancen, aber auch über die Risiken der dynamischen Entwicklung im Bereich der Medien insgesamt nachzu- denken. Sei es der gescheiterte Verkauf von Teilen des deutschen Breitbandkabelnetzes an den amerikanischen Investor Liberty Media, sei es die noch nicht bewältigte Pleite des Stoiberschen Amigos Leo Kirch, oder sei es zu- letzt die Debatte um Gewalt in den Medien nach der Tragödie Erfurt. Bei all diesen Anlässen wurde uns allen eines vor Augen geführt: Die europäische – und mit ihr auch die deutsche – Medien- und Kommunikationsland- schaft befindet sich in einem ebenso tiefgreifenden wie dynamischen Prozess des Wandels. Nicht nur die aufge- regten und hektischen Debatten der letzten Monate zeigen aber auch, dass elektronische Medien alles andere als nur ein Wirtschaftsgut unter vielen sind. Sie bilden vielmehr einen Ausdruck gesellschaftlicher Grundüberzeugungen und sind ein Teil der Antwort auf die Frage, in was für ei- ner Gesellschaft wir leben wollen; denn freie Medien und Meinungsvielfalt sowie die freie, selbstbestimmte Kom- munikation von Bürgerinnen und Bürgern sind kein Lu- xus, den wir uns leisten, und der uns jetzt zu teuer wird. Nein: Beides ist vielmehr die Voraussetzung für ein freies, offenes, pluralistisches und auch demokratisches Ge- meinwesen. Wir tun daher gut daran, auf den Wandel ge- rade im Bereich der elektronischen Medien und Informa- tions- und Kommunikationsmöglichkeiten, wie wir sie mit dem Begriff der Informationsgesellschaft bezeichnen, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224358 (C) (D) (A) (B) nicht nur einen flüchtigen Blick zu werfen, sondern zwei- mal hinzuschauen und kritisch nachzufragen. Gerade in Zeiten eines solchen Wandels ist eine sachorientierte und zukunftsweisende Medien- und Kommunikationspolitik notwendiger denn je, und gerade dieser Bereich fiel bis 1998 eher dürftig aus. Es war diese Bundesregierung, die mit ihrer Politik und mit der Initiative zu den Bund-Län- der-Gesprächen erst wieder Bewegung in die deutsche Medienlandschaft gebracht hat, während Stoibers Begriff von Medienpolitik sich bereits darin erschöpfte, Leo Kirch immer neue und mehr Milliarden zuzuschustern. Das Ergebnis kennen wir. Auch wir stehen sicherlich erst am Anfang der not- wendigen Reform der Medien- und Kommunikationsord- nung. Über die Ursachen des Medienwandels können wir sicherlich schnell Einigkeit erzielen; sie lassen sich in drei Schlagworten zusammenfassen: Technologische Konver- genz, neue Informations- und Kommunikationsmöglich- keiten und Internationalisierung. Auf alle drei Aspekte möchte ich kurz eingehen: Die technologische Entwicklung im Bereich elektroni- scher Medien und Informations- und Kommunikations- möglichkeiten lässt sich am treffendsten mit den Begriffen Digitalisierung als neuer „Ursprache“ oder „lingua franca“ und – auf deren Basis – die globale Vernetzung bisher getrennter Infrastrukturen umschreiben. Diese Re- volution in der Informationsübertragungstechnik macht es möglich, Inhalte unterschiedlichster Art, also Texte, Bilder, Töne und Filme, über dieselben Infrastrukturen zu übermitteln bzw. zu verbreiten; einzig die Bandbreite der Übertragungswege setzt hier technisch noch Grenzen. Die bisherige technisch begründete Unterscheidung von Tele- kommunikation und Rundfunk verliert zusehens an Trennschärfe. Gerade breitbandige IuK-Infrastrukturen – beispielsweise DSL, modernisierte Breitbandkabel- netze oder UMTS im Mobilfunkbereich – werden diese technische Konvergenz weiter beschleunigen und stellen neue Anforderungen an die nationalen Medienordnungen. Mit der zunehmenden Verbreitung neuer, auch inter- aktiver und multimedialer Informations- und Kommuni- kationsdienste und insbesondere ihre Kombination mit bestehenden Medienformen und Telekommunikations- dienstleistungen ist ein weiterer Medientrend beschrie- ben, der neue Anforderungen an die Medienordnung stellt. Innovative Push- und Abrufdienste gehören ebenso zunehmend zum medialen Alltag in der Informations- und Wissensgesellschaft wie Video-Chats oder Voice-over-IP im Sprachkommunikationsbereich. Auch virtuelle Semi- nare an Hochschulen oder zeit- und ortsunabhängige Nut- zung von Audio- und Videoangeboten werden parallel zu dem breitbandigen Ausbau der Infrastrukturen an Bedeu- tung zunehmen. Die bisherige Antwort in Deutschland, die Einfügung einer weiteren Unterscheidung zwischen Telekommunikation und Rundfunk, nämlich die zwischen sozusagen telekommunikationsähnlichen Telediensten und rundfunkähnlichen Mediendiensten, war aufgrund der fast vollständigen Wortgleichheit des Teledienste- gesetzes und des Mediendienstestaatsvertrags bereits ein historischer Durchbruch. Dieser historische Kompromiss, wie er damals euphorisch bezeichnet wurde, hat aber auch den Ordnungsrahmen in Deutschland weiter verkompli- ziert. Heute setzt sich zunehmend die Überzeugung durch, dass auch diese Unterscheidung nicht mehr ausrei- chend belastbar ist. Die EU unterscheidet beispielsweise lediglich noch Kommunikationsdienste der Informations- gesellschaft und Rundfunk. Und schließlich belegen bereits die zunehmende Be- deutung globaler IuK-Netzwerke in der Informationsge- sellschaft und die wachsende Bedeutung internationaler Medienmärkte wie weltweit agierender Unternehmen den Trend zur Internationalisierung der Medien- und Kom- munikationslandschaft nachdrücklich. Die technische Entwicklung und die ökonomische Liberalisierung der letzten Jahrzehnte auch in Europa haben auch bei elektro- nischen Medien einen Prozess der Internationalisierung und Globalisierung ausgelöst. Am deutlichsten wird das am Beispiel des weltumspannenden Internets, in dem In- formation schon heute quasi über alle Grenzen hinweg verbreitet werden kann. In Anbetracht der Entwicklung der Nutzungszahlen und der Übertragungskapazitäten wird dieser Prozess auch zu einer Globalisierung von An- geboten führen, die heute noch anderen Medien und Dienstleistungen zugerechnet werden. Inhalte gleich wel- cher Art können überall produziert werden und sie sind je- derzeit und überall zugänglich. Das führt zu einem Zu- sammenwachsen ehemals getrennter nationaler Medien- und Kommunikationsmärkte, und zwar mit erheblichen Folgen: Unternehmen sehen sich nicht nur der heimischen Konkurrenz, sondern einem globalen Wettbewerb ausge- setzt. Durch nationale oder supranationale Regulierung geschaffene unterschiedliche Bedingungen, unter denen die Unternehmen agieren, werden ebenso zu einem wich- tigen Faktor in diesem Wettbewerb. Dies verstärkt nicht nur die quotendiktierte Kommerzialisierung der nationalen Medienangebote sowie die internationalen Konzentrations- prozesse und die Bildung von transnationalen Medienkon- zernen. Vielmehr werden zugleich die Möglichkeiten der Unternehmen vergrößert, sich diesen Bedingungen durch eine räumliche Verlagerung ihres Standortes zu entziehen. Durch diese so genannten Exit-Optionen wird der auf den Unternehmen lastende Konkurrenzdruck mittelbar auch auf die politische Ebene getragen: Der globale Unterneh- menswettbewerb wird zu einem Wettbewerb der Stand- orte und Systeme. Die Internationalisierung und Globali- sierung reduziert die Möglichkeiten herkömmlicher staatlicher Regulierungsansätze, nationale politische Ge- staltungsoptionen auch durchzusetzen. Allen drei beschriebenen Herausforderungen steht in Deutschland eine zersplitterte Medien- und Kommunika- tionsordnung gegenüber, die zunehmend sogar zum Hin- dernis für die weitere Entwicklung der Informations- und Wissensgesellschaft wie auch der Medienwirtschaft und auch beispielsweise des elektronischen Geschäftsver- kehrs wird. Dieser Ordnungsrahmen ist nur noch ansatzweise dazu geeignet ist, hierauf angemessen zu reagieren. In unserem Antrag haben wir dies ausführlich dargelegt. Der Ord- nungsrahmen für elektronische Information, Kommunika- tion und Medien ist in Deutschland unterschiedlich, je nachdem, ob Informations- und Kommunikationsdienste oder Rundfunk betroffen sind. Während für Informations- und Kommunikationsdienste das Teledienstegesetz oder Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24359 (C) (D) (A) (B) Mediendienstestaatsvertrag der Länder einschlägig ist, gelten für den Rundfunk der Rundfunkstaatsvertrag und die entsprechenden Gesetze der Bundesländer. Die für die unterschiedlichen Bereiche geltenden Vorschriften sind zumindest teilweise materiell höchst unterschiedlich. In- tensiv ist die Veranstaltung von Rundfunk reguliert, für Tele- und Mediendienste sind weitaus weniger Regelun- gen relevant. Von den Definitionen für Tele- bzw. Medien- dienste abgesehen sind die zentralen Vorschriften in Tele- dienstegesetz und Mediendienstestaatsvertrag weit gehend wort- oder inhaltsgleich gestaltet. Das Teledienstegesetz wurde bereits zum 1. Januar 2002 durch das Elektronische Geschäftsverkehr-Gesetz im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie geändert; eine Anpassung der entsprechen- den Passagen im Mediendienstestaatsvertrag steht noch aus. Dabei hat sich die Rechtslage gerade hinsichtlich der wegweisenden abgestuften Provider-Verantwortlichkeit nicht geändert. Weiterhin wird in §§ 8 bis 11 des Telediens- tegesetzes sowie analog in § 5 des Mediendienstestaatsver- trages zwischen Diensteanbietern, die fremde Inhalte – so genannte Host-Provider –, und Diensteanbietern, die eigene Inhalte in das Netz stellen – so genannte Content- Provider –, sowie Diensteanbietern, die lediglich den Zu- gang zur Nutzung von fremden Inhalten vermitteln – so genannte Access-Provider –, haftungsrechtlich unterschie- den. Der Unterschiedlichkeit der Regulierung der ver- schiedenen Dienste entspricht in der gegenwärtigen Me- dienordnung die Heterogenität der Aufsichtsinstanzen. Diese rechtliche Unübersichtlichkeit und Heterogenität der Aufsichtsstrukturen hat erhebliche Zuordnungspro- bleme und somit erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge. Für Anbieter von Tele- und Mediendiensten sei kaum ab- sehbar, unter welchem Regelungswerk ihre Dienstleis- tung eingeordnet werden kann. Innovative Dienste im Bereich des Teleshopping, die sowohl die Rundfunküber- tragungswege als auch das Internet nutzen, könnten kaum einheitlich eingeordnet werden. Gleiches gelte für so ge- nannte Push-Dienste, bei denen Inhalte nicht einzeln ab- gerufen werden müssen, sondern dem Nutzer nach einer einmaligen Vorauswahl auf dessen Computer übermittelt werden. Die Bundesregierung hat die Defizite der bestehenden Medienordnung frühzeitig erkannt und Gespräche mit den Ländern aufgenommen, die zu einer Vereinheitli- chung der Aufsichtsstrukturen im Bereich der Informati- ons- und Medienlandschaft führen sollen. Hinsichtlich der Neuordnung des Jugendmedienschutzes konnte zwi- schen Bund und Ländern bereits eine Einigung erzielt werden. Wir werden morgen in zweiter und dritter Lesung das Jugendschutzgesetz verabschieden, in dem das Gesetz über jugendgefährdende Schriften und das Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit zusammengefasst werden. Wichtig wird es nun bei der Beratung des Ju- gendmedienschutzstaatsvertrages der Bundesländer sein, auf der Grundlage der bestehenden modernen Haftungs- regelungen und eines komplementären Regelungsansat- zes von tatsächlicher Selbstkontrolle und öffentlicher Aufsicht zu einem wirklich wirksamen und angemesse- nen Jugendschutz in allen Medien zu kommen. Vor allem aber muss dringend geklärt werden, wie die Zusammenarbeit der Landesmedienanstalten untereinander und mit den für den Bereich der Information und Kommu- nikation zuständigen Bundesbehörden verbessert werden kann. Zu diesem Zweck schlagen die Koalitionsfraktionen eine gemeinsame Einrichtung von Bund und Ländern vor, etwa die Schaffung eines Medien- und Kommunikationsra- tes. Um es ganz klar zu sagen: Dieser Kommunikationsrat soll die bestehenden Institutionen integrieren, nicht aber er- gänzen. Zu berücksichtigen sind bei der Neuordnung des Medienrechts auch europapolitische Vorgaben: Die Europä- ische Kommission hat im Juli 2000 ein Paket von Gesetz- gebungsvorschlägen verabschiedet, das den Wettbewerb auf den Märkten für elektronische Kommunikation in der EU zum Vorteil der Verbraucher und der europäischen Wirt- schaft verschärfen sollen. Das Vorschriftenpaket besteht aus einer Verordnung, einer Entscheidung sowie fünf Richtli- nien. Es soll den bestehenden Rechtsrahmen für die Kom- munikationsinfrastruktur mit Rücksicht auf die technische Konvergenz neu gestalten. Einen wichtigen Stellenwert wird bei der Modernisie- rung des Medienordnungsrechtes die Selbstkontrolle übernehmen müssen. Da die staatlichen Möglichkeiten zur Durchsetzung rechtlicher Normen zunehmend auf Grenzen stoßen, sind verstärkt Instrumente einzusetzen, die maßgeblich auf Freiwilligkeit der in der Medienwirt- schaft tätigen Unternehmen beruhen. Der Staat solle we- niger über Gesetze und Kontrolle regulieren, als vielmehr einen Rahmen setzen und Prozesse moderieren, in denen die Industrie sich selbst einen verbindlichen Verhaltens- kodex gibt. Staatliche Regulierung müsse gegenüber Selbstregulierung subsidiär sein. Ziel müsse eine Regulie- rung im Dialog sein. Hinzu kommt, dass einzelstaatliche Regeln wegen der territorialen Begrenztheit der staat- lichen Souveränität in grenzüberschreitenden, dezentralen Netzen wie dem Internet häufig nicht durchzusetzen sind. Zugleich ist natürlich zu berücksichtigen, dass Selbst- regulierung nicht immer und in allen Fällen eine geeig- nete Lösung sein kann. Ein Grundpfeiler unserer Medien- und Kommunikati- onsordnung wird auch in Zukunft die Grundversorgung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sein – auch wenn es seitens der Opposition immer wieder Bemühun- gen gibt, diesen infrage zu stellen. Der in der Rechtspre- chung geprägte Begriff der Grundversorgung bezeichnet dabei weder eine Mindestversorgung, auf die der öffent- lich-rechtliche Rundfunk beschränkt ist oder ohne Folgen für die Anforderungen an den privaten Rundfunk be- schränkt werden könnte, noch nimmt er Grenzziehung oder Aufgabenteilung zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Veranstaltern etwa in dem Sinne vor, dass die öffentlich-rechtlichen Veranstalter für den informieren- den und bildenden und die privaten Anbieter für den un- terhaltenden Teil des Programmangebots zuständig wä- ren. Es muss vielmehr sichergestellt sein, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten für die Gesamt- heit der Bevölkerung Programme anbieten, die umfassend und in der vollen Breite des klassischen Rundfunkauf- trags informieren, und dass im Rahmen dieses Programm- angebots Meinungsvielfalt in der verfassungsrechtlich ge- botenen Weise hergestellt wird. Und dennoch darf die Diskussion um den Grundversor- gungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hier Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224360 (C) (D) (A) (B) nicht stehen bleiben. Wir sind vielmehr der Auffassung, dass mit der Entwicklung der Wissens- und Informations- gesellschaft überlegt werden muss, wie auch und gerade ein qualitativ hochwertiges öffentlich-rechtliches Infor- mationsangebot in den Neuen Medien sichergestellt wer- den kann, um die Freiheit und Vielfalt der Meinungen zu gewährleisten. Dabei kann der Aufbau von Portalen, bei- spielsweise eines Informations- und Kinderportals, einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die „digitale Spaltung“ der Gesellschaft zu verhindern und die Teilhabe aller am ge- sellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Die wichtige de- mokratische Funktion des öffentlich-rechtlichen Angebo- tes ist daher nicht nur künftig sicherzustellen, vielmehr erscheint eine vorsichtige Anpassung der Grundversor- gung an die neuen Rahmenbedingungen unabdingbar. Aus diesem Grund kommt neben der Bestandsgarantie für öf- fentlich-rechtliche Angebote in den klassischen Medien auch der Entwicklungsmöglichkeit im Onlinebereich große Bedeutung zu, die als Teil der Grundversorgung im Sinne eines Universal- bzw. Public-Service eine wichtige gesellschaftspolitische Funktion erfüllt. Die Debatte um die Übertragungsrechte der Fußball- weltmeisterschaft 2002 und die Einigung zwischen den öf- fentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und der Münchner Kirch Media in wirklich allerletzter Minute hat uns nochmals vor Augen geführt, wie dringend der Hand- lungsbedarf ist. Aus diesem Grund müssen aus diesem „Rechte-Hick-Hack“ möglichst schnell Konsequenzen gezogen werden. Es muss künftig ausgeschlossen wer- den, dass die Informationsfreiheit und die Rechte von Ge- bührenzahlern im Zweifel durch Geschäftemacher oder Insolvenzverfahren erneut gefährdet werden können. Aus diesem Grund muss es jetzt darum gehen, die Rechte bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 abzusichern. Im Zwei- fel muss die Mediengesetzgebung in Deutschland dem britischen Vorbild folgen und über die Vorgaben der EU- Fernsehrichtlinie hinausgehen. Diskutiert werden sollte die Frage, ob die Liste der im Fernsehen und Rundfunk frei empfangbaren Sportveranstaltungen deutlich erweitert werden muss. Ein solche Liste hätte nicht nur sämtliche bedeutende Sportereignisse zu umfassen, sondern darüber hinaus auch deren Ausstrahlung im frei empfangbaren Fernsehen sicherzustellen. Hierzu sollten möglichst schnell Gespräche zwischen Bund und Ländern aufge- nommen und entsprechende Initiativen ergriffen werden. Zusammenfassend kann dabei festgestellt werden, dass der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen dabei natürlich kein dogmatisches Konzept einer modernen Medien- und Kommunikationsordnung entwirft. Er stellt vielmehr einen Beitrag für die Reformdiskussion dar und zeichnet sich besonders dadurch aus, dass er unterhalb der Schwelle der vielgeforderten Verfassungsänderung – auch mangels Aussichten auf eine Mehrheit für dieselbe – nach für Bund und Länder gangbaren Wegen zu einer gemein- samen Reform der Medien- und Kommunikationsord- nung sucht. Die Koalitionsfraktionen fordern die Bundesregierung mit ihrem Antrag auf, regelmäßig im Abstand von vier Jah- ren einen Medien- und Kommunikationsbericht vorzulegen, der über die Fortschritte bei der Verwirklichung einer trag- und zukunftsfähigen Medien- und Kommunikationsord- nung informiert. Ein Medien- und Kommunikationsrat wäre hier sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Dennoch stehen wir erst am Anfang einer langen Mediendebatte und auch in den kommenden Monaten werden immer wieder ak- tuelle Anlässe dazu führen, dass über Defizite und Perspek- tiven unserer Medien- und Kommunikationsordnung disku- tiert und über die besten Konzepte gestritten wird. Die Novelle des Telekommunikationsgesetzes steht ebenso vor der Tür, wie die Umsetzung des Richtlinienpakets der EU zu Kommunikationsdiensten in der Informationsgesellschaft oder die Erarbeitung einer erweiterten Fernseh- oder Con- tentrichtlinie. Ich bin davon überzeugt, dass technische Konvergenz, neue Informations- und Kommunikationsdienste und die Internationalisierung unsere Medienordnung nachhaltiger verändern werden, als die Einführung des privaten Rund- funks vor beinah zwei Jahrzehnten. Dabei sollte aller- dings klar sein, dass die besondere gesellschaftliche Be- deutung aller Medien hierbei keinesfalls abnehmen, sondern sogar noch zunehmen wird. Monika Griefahn (SPD): Vor kurzem hatte ich – wie der eine oder andere Kollege vielleicht auch – die Gele- genheit, mir eine Präsentation anzusehen, die eindrucks- voll darstellte, wie man sich, geht es nach der Deutschen Telekom bzw. der Kabel Deutschland GmbH, die Kabel- zukunft in Deutschland vorzustellen hat: Fernsehen, Vi- deo, Internet, Telefon, E-Mail, Fax, SMS und alle denk- baren Online-Dienste laufen über ein- und dasselbe Endgerät. Technische Voraussetzungen sind das Breit- bandkabel und ein Decoder. Ich will weder für „Fast Internet Access“, wie die Te- lekom das Angebot nennt, Werbung machen, noch darü- ber sinnieren, ob potenzielle Kunden darin einen zusätz- lichen Nutzen erkennen und entsprechend bereit sind, die geforderten Preise zu bezahlen. Wichtig ist: Wer noch ei- nes weiteren Beweises für die Richtigkeit der These be- darf, dass die einzelnen Medien im Zeitalter der Digitali- sierung weder technisch noch inhaltlich voneinander zu trennen sind, der sollte sich ebenfalls diese Präsentation ansehen. Die Technik tut das Eine, die Globalisierung das An- dere: Die Medienordnung in Deutschland leidet an Al- tersschwäche. Sie muss grundlegend reformiert und den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sind die medienpolitischen Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern eindeutig aufgeteilt: Alles, was als Rundfunk und Fernsehen gilt, regeln die Länder; die Telekommuni- kation fällt in den Bereich des Bundes. Inzwischen aber hat das Internet die technische und inhaltliche Unter- scheidbarkeit von Rundfunk und Telekommunikation aufgehoben. Es hat lange gedauert, bis sich diese Erkenntnis ganz allmählich in praktische Politik umzusetzen begann. Noch die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern um das Informations- und Kommunikationsdienstegesetz, besser bekannt als „Multimedia-Gesetz“, während der letzten Legislaturperiode waren beherrscht von dem Ver- such, zwanghaft zwischen Medien- und Telediensten zu Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24361 (C) (D) (A) (B) unterscheiden. Im Grunde waren diese Verhandlungen nicht viel mehr als ein sachlich nicht mehr zu begründen- des Schachern um Zuständigkeiten. Denn technisch zu unterscheiden gab es schon damals nicht mehr viel. Geradezu symptomatisch für die mangelnde Bereit- schaft, den unaufhaltsamen Prozess der technischen und inhaltlichen Konvergenz der Medien angemessen zur Kenntnis zu nehmen, war die Bemerkung aus einer Staats- kanzlei, den Konvergenzprozess gebe es nicht, weil er im Grundgesetz nicht vorgesehen sei. Ich verkneife mir zu erwähnen, welche Staatskanzlei das gewesen ist. Wie auch immer: Bockige Erkenntnisverweigerung war seinerzeit politisches Allgemeingut; vielleicht von der SPD-Bundestagsfraktion einmal abgesehen, die sich damals bei der Abstimmung im Deutschen Bundestag über das Verhandlungsergebnis zwischen Bund und Län- der der Stimme enthielt. Der technischen und inhaltlichen Konvergenz der Me- dien muss nunmehr die politisch-administrative folgen. Den Vätern und Müttern des Grundgesetzes kann man keinen Vorwurf machen. Die von ihnen geschaffene Grundlegung einer Medienordnung hat sich über die Jahrzehnte bewährt. Und von Computern, geschweige denn vom Internet, konnten sie schließlich nichts wissen. Die problemadäquate Lösung wäre eine Änderung des Grundgesetzes. Sie scheidet aber aus, weil wir die erfor- derliche Zeit für die Bewerkstelligung der erforderlichen Zweidrittelmehrheit im Bundestag nicht haben. Die Bundesregierung hat die Defizite der bestehenden Medienordnung frühzeitig erkannt. Sie hat in ihrem Ak- tionsprogramm „Innovation und Arbeitsplätze in der In- formationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ zutreffend darauf hingewiesen, „dass das ausdifferenzierte System der Aufsichtsstrukturen unübersichtlich und unpraktika- bel erscheint, da die Medien in technischer und ökonomi- scher Hinsicht konvergieren und sich im internationalen Wettbewerb behaupten müssen.“ Es gelte jedenfalls in den Bereichen der Infrastrukturen, horizontale, sektor- übergreifende Lösungsansätze zu finden. Die Bundesre- gierung hat angekündigt, gemeinsam mit den Ländern Vorschläge für eine zukunftsfähige Fortentwicklung des nationalen Ordnungsrahmens unter Einbeziehung der wirtschaftlichen, technologischen und internationalen Entwicklungen zu machen Die Koalitionsfraktionen begrüßen diese Initiative. Die rechtliche Differenzierung zwischen Rundfunk, Medien- und Telediensten macht umso weniger Sinn, je mehr die verschiedenen Formen und Inhalte wie im Internet in dem Angebot eines Diensteanbieters zusammenfließen kön- nen. Von einer so weit gehenden Konvergenz aller elek- tronischen Medienangebote kann allerdings bislang noch nicht die Rede sein. Daher wird eine unterschiedliche Regulierung von Rundfunk und Informations- und Kommunikationsdiens- ten insbesondere wegen der Breitenwirkung und der be- sonderen Suggestivkraft des Fernsehens und seiner damit verbundenen großen Bedeutung für die öffentliche Mei- nungsbildung auf absehbare Zeit noch erforderlich sein. Die Regulierung von Telediensten und Mediendiensten kann aber schon heute noch mehr aufeinander abgestimmt werden, um Abgrenzungsschwierigkeiten und damit ver- bundene Rechtsunsicherheiten soweit wie möglich zu vermeiden. Die Koalitionsfraktionen unterstützen das Bemühen der Bundesregierung, die Aufsichtsstrukturen im Bereich der Informations- und Medienlandschaft in einem umfas- senden Dialog mit den Ländern, den Verbänden und den Unternehmen zu erneuern und zu vereinheitlichen. Dabei sollten bei der Konzentrationskontrolle gegenseitige Aus- kunfts- und Informationspflichten zwischen Bundeskar- tellamt und KEK vereinbart und gesetzlich fixiert werden. Auch erscheint es insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung erforderlich, neben der Prü- fung vorherrschender Meinungsmacht durch Ermittlung des Zuschaueranteils tatbestandliche Voraussetzungen festzulegen, die in stärkerem Umfang die Erfassung der so genannten vertikalen Konzentration ermöglichen. Die Koalitionsfraktionen begrüßen die Einigung zwischen Bund und Ländern hinsichtlich einer Zusammenfassung der für den Jugendschutz zuständigen Stellen und eine Vereinheitlichung der materiellen Maßstäbe im Bereich des Jugendschutzes. Vor allem aber muss geklärt werden, wie die Zusam- menarbeit der Landesmedienanstalten untereinander und mit den für den Bereich der Information und Kommuni- kation zuständigen Bundesbehörden verbessert werden kann. Zu diesem Zweck sollten die Bemühungen um eine gemeinsame Einrichtung von Bund und Ländern, etwa die Schaffung eines Medien- und Kommunikationsrates, der die bestehenden Institutionen integrieren, nicht aber er- gänzen sollte, intensiviert werden. Erste Konzeptionen eines derartigen Medien- und Kommunikationsrates gehen von folgenden Funktionen aus: Koordinierung politischer Planungs- und Gesetzge- bungsprozesse; Koordinierung, Abstimmung und Harmo- nisierung von administrativen Verfahrenabläufen und Entscheidungen sowie Schaffung einer Plattform für ei- nen bereichsübergreifenden gesellschaftlichen Diskurs und die wissenschaftliche Politikberatung. Der eigentli- che Medien- und Kommunikationsrat sollte daher drei Ebenen umfassen: die politische Ebene, den Kommuni- kationsrat, die administrative Ebene, den Regulierungsrat und die Ebene der gesellschaftlichen und wissenschaftli- chen Beratung, den Beirat. Unabhängig davon sollte geprüft werden, ob und inwie- weit die inzwischen bestehende Judikatur zu Mediendiens- testaatsvertrag und Informations- und Kommunikations- dienstegesetz zu Änderungen des geltenden Rechts Anlass gibt. So hat der Bundesgerichtshof Ende 2000 eine im Er- gebnis zu begrüßende Entscheidung gefällt, in der die An- wendbarkeit des im deutschen Strafgesetzbuch beschriebe- nen Tatbestands der Volksverhetzung auch auf im Ausland von Ausländern ins Internet gestellte Inhalte bejaht wird. Die damit verbundene extensive Auslegung des § 9 Straf- gesetzbuch steht im Gegensatz zu einer in der 13. Legis- laturperiode von der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsge- sellschaft“ vertretenen Auffassung. Die Enquete-Kom- mission hatte mit Zustimmung aller Fraktionen für eine Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224362 (C) (D) (A) (B) restriktive Anwendung von § 9 StGB plädiert und dazu aufgefordert, die Praxis von Staatsanwaltschaften und Gerichten „aufmerksam zu verfolgen“, „um gegebenen- falls mit dem Ziel korrigierend eingreifen zu können, Konflikte mit den Rechtsordnungen ausländischer Staa- ten zu vermeiden“: Ich weiß von einigen Kollegen, die nicht meiner oder der bündnisgrünen Bundestagsfraktion angehören, dass sie unsere Einschätzung im Wesentlichen teilen. Auch wenn es Ihnen derzeit nicht möglich ist, unserem Antrag zuzustimmen: Leisten Sie Überzeugungsarbeit, wie wir es in den zurückliegenden Jahren in unseren Reihen getan haben. An der Reform der Medienordnung führt schluss- endlich kein Weg vorbei. Am Ende meiner Rede gestatte ich mir ein paar per- sönliche Anmerkungen. Die Einrichtung des Unteraus- schusses Neue Medien mit einer geradezu klassischen Querschnittsaufgabe hat sich in jeder Hinsicht bewährt. Ich hoffe, er kann seine Arbeit in der nächsten Legislatur- periode – ich füge hinzu: mit den gleichen Mehrheitsver- hältnissen fortsetzen. Bedanken möchte ich mich für die meistens sehr sachliche und lösungsorientierte Zusam- menarbeit im Ausschuss. Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem Wandlungsprozess von der industriell geprägten Volkswirtschaft zu einer Ökono- mie, die insbesondere auf Dienstleistungen, Wissen und Information basiert. Der Entwicklung der digitalen Wirt- schaft, den Unternehmen der Bereiche Informationstech- nologie, Multimedia, Internet und Telekommunikation, kommt in diesem Wandlungsprozess eine Schlüsselrolle zu. Schon heute trägt die digitale Wirtschaft erheblich zur wirtschaftlichen Wertschöpfung unseres Landes und da- mit zum gesamtgesellschaftlichen Wohlstand bei. Dabei stehen wir erst am Anfang einer Entwicklung. Die Breit- bandtechnologie wird die Konvergenz der Medien weiter beschleunigen. Deutschland hat im gesamten Bereich Multimedia ein enormes Potenzial und die Chance, ganz vorne mit dabei zu sein. Viele Möglichkeiten neuer Techniken, neuer Dienste und neuer Medien sind jedoch unzureichend ausge- schöpft. Dies betrifft zum einen die Schaffung der für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes erforderlichen Infra- strukturen. Mit der weiteren Verbreitung sowohl draht- loser – GPRS, UMTS, WLAN, satellitengestützte Daten- übertragung – als auch drahtgebundener breitbandiger Übertragungswege – DSL, digitalisiertes TV-Kabel – bie- ten sich große Chancen für neue, zukunftsfähige Arbeits- plätze. Die Entwicklung der Technik ermöglicht das Zu- sammenwachsen medialer Nutzungsfelder, die wir bis vor kurzem noch als völlig getrennte Sektoren angesehen ha- ben: Telefonie, Fernsehen, Internet und andere Formen der Datenübertragung wachsen im Zeichen der Digitali- sierung zusammen, im stationären wie im mobilen Be- reich. Die Konvergenz erfordert zunehmend einen kohärenten Ordnungsrahmen für Rundfunk, Multimedia und Telekommunikation. Vor dem Hintergrund einer rasanten technologischen Entwicklung auf den globalen Märkten und der grenz- überschreitenden Natur digitaler Informationsverarbei- tung steht die deutsche Internetwirtschaft vor tief greifen- den Herausforderungen. Vor allem die Medienordnung, das Steuerrecht, das Urheberrecht, aber auch die Arbeits- und Sozialpolitik sowie die Bildungs- und Forschungspo- litik müssen den Bedingungen des „entgrenzten“ Wirt- schaftens Rechnung tragen und einen ordnungspoliti- schen Rahmen setzen, der die wirtschaftliche Dynamik und die Entwicklung in der Internetwirtschaft befördert. Besondere Aufmerksamkeit ist dabei unter anderem fol- genden Punkten zu schenken: Wo sich Wettbewerb nicht von alleine einstellen kann, müssen im Wege der Regulierung knapper Ressourcen Märkte geschaffen und offen gehalten werden. Hier hat die CDU/CSU-geführte Bundesregierung mit der Libera- lisierung des Telekommunikationsmarktes die wesent- lichen Weichen gestellt. Wettbewerb im Bereich der Tele- kommunikation erstreckt sich nicht nur auf die Auswahl zwischen verschiedenen Anbietern von Leistungen im klassischen Telefonnetz. Der Konkurrenz verschiedener multimedialer Übertragungswege kommt eine wesent- liche Bedeutung für die Entwicklung des Telekommuni- kationsmarktes zu. Die Chance, die in der Eröffnung einer Vielzahl multi- medialer Übertragungswege liegt, darf nicht durch Fehl- entwicklungen innerhalb der Netze beeinträchtigt wer- den. Konkret bedeutet das: Multimedianetze müssen grundsätzlich für alle Multimediaanbieter zur Vermark- tung ihrer Dienste zur Verfügung stehen. Der freie Netz- zugang muss seine Fortsetzung finden in von der Anbie- tergemeinschaft gemeinsam zu entwickelnden offenen Netzstandards, wie sie etwa die Multimedia Home Platt- form, MHP, für das digitale Kabel darstellt. Im Interesse einer möglichst breiten Verwertbarkeit multimedialer In- halte sollten derartige Standards perspektivisch sogar die Verbreitung in verschiedenen Übertragungswegen er- möglichen, um den Wettbewerb zwischen den Übertra- gungswegen zu fördern. Die zunehmende Konvergenz der Medien drückt sich nicht nur in einer gesteigerten Multifunktionalität der Endgeräte aus. Vielmehr ist auch die Wahl des Übertra- gungswegs für Inhalte kein definiertes Abgrenzungskrite- rium für Medien mehr: Es kann zum Beispiel keinen Un- terschied mehr machen, ob ein Sender sein Programm über Fernsehkabel oder das Internet verbreitet. Filme, Videos, DVDs, Computerspiele und interaktive Home- pages werden bald zu einem einzigen Medium ver- schmolzen sein; unterschiedliche rechtliche Behandlung- en sind sinnlos und führen zu abstrusen Ergebnissen. Wir müssen intensiv und schnellstens überdenken, wie die bis- her aufgesplitteten Rahmenordnungen für die verschie- denen Medien den Herausforderungen der Zukunft ange- passt werden können. Dabei müssen vor dem Hintergrund der Globalisierung des Marktes einerseits die erforderlichen Restriktionen gewährleistet sein, andererseits aber sollten im Bewusstsein dieser Globalisierung die erforderlichen Freiräume gelassen werden. Nur so wird der Standort Deutschland für die Inhalte-Anbieter attraktiv bleiben. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie man der Glo- balisierung des Informationsaustauschs nicht begegnen sollte, hat der Düsseldorfer SPD-Regierungspräsident Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24363 (C) (D) (A) (B) Büssow geliefert. Im Regierungsbezirk Düsseldorf müs- sen Provider bestimmte Websites sperren. Ob dies tech- nisch machbar und sinnvoll ist, interessiert den Herrn nicht. Hier prallen Inkompetenz und eine zweifelhafte Gesetzesauslegung auf die Gegebenheiten des 21. Jahr- hunderts: Regierungsbezirk Düsseldorf contra Globalisie- rung. Dieses schlechte Beispiel zeigt aber eines ganz deut- lich: Wir müssen grundsätzlich die Rolle des Staates im Internet-Zeitalter hinterfragen. Auch in einem demokrati- schen System darf der Wert der persönlichen Freiheit nicht zu wenig geschätzt werden. Der Staat muss die per- sönliche Freiheit seiner Bürger schützen – auch vor Be- gehrlichkeiten von Interessengruppen, die zum Beispiel die technisch irrwitzige Vorratsspeicherung von Verbin- dungs- und Nutzungsdaten durchsetzen wollen. Dies ist nicht zu verwechseln mit einer Kapitulation des Staats vor Straftätern oder inhaltlichen Exzessen. Es ist dabei ent- scheidend zu ermitteln, welche Rahmenbedingungen er setzen, also auch durchsetzen kann und welche er nach seinem Grund- und Werteverständnis setzen muss. Der technische Fortschritt wirkt hier revolutionär. Eine besondere Bedeutung hat gerade in diesem Zu- sammenhang die demokratiepolitische Dimension des In- ternets, da auch ein immer größer werdender Teil des öf- fentlichen Diskurses in diesem Medium stattfinden wird. Wer keine Internet-Kompetenz hat, wird immer mehr von der Teilhabe an der Demokratie ausgeschlossen werden. Daher ist es eine der zentralen Aufgaben des Staates, eine Spaltung der Gesellschaft in „onnies“ und „offies“, in Par- tizipanten und Ausgeschlossene, zu verhindern. Gleiches Recht für alle bedeutet auch gleiche Partizipationsmög- lichkeiten für alle. Vor einigen Tagen stellte die Initiative D 21 in der Stu- die „(n)onliner“ Deutschland jedoch ein katastrophales Zeugnis auf dem Weg in die Informationsgesellschaft aus: Mehr als 50 Prozent der Deutschen nutzt das Internet nicht und will dies auch nicht ändern. Die Zahl derjeni- gen, die die Realisierung eines Internet-Zugangs planen, ist 2002 gegenüber 2001 um ca. 20 Prozent zurückgegan- gen. Das von der Initiative D 21 angestrebte Ziel, 70 Pro- zent Internetnutzer zu erreichen, rückt damit in noch wei- tere Ferne. Dieses Ergebnis lässt sich nicht monokausal erklären. Zu den wichtigsten Gründen, sich dem Internet zu ver- weigern, gehören sicher die Furcht vor hohen Kosten und ganz gewiss auch die fehlende Vorreiterrolle des Staates. Die Rolle der Bundesregierung bei der Einführung von E-Government in Deutschland ist wenig rühmlich. Sie be- treibt mit „Bund-Online 2005“ eine unsystematische Patchwork-Politik. Aktion statt Koordination ist Pro- gramm. Das Ergebnis verwundert dann auch nicht: Nach dem E-Europe-Benchmarking-Bericht der Europäischen Kommission belegt die Bundesrepublik hinsichtlich der kundenbezogenen Internet-gestützten Dienste den zehn- ten Platz – unter 15 Staaten. Hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit in blamabler Weise auseinander. Darüber hinaus sind durch „Bund-Online 2005“ nur 15 Prozent der Leistungen, die der Bürger benötigt, abgedeckt. Für 87 Prozent der Bürger sind aber virtuelle Rathäuser attraktiv bis sehr attraktiv. Gerade aber die Kommunen werden durch die Bundesregierung finanziell ausgeblutet und ihrer Investionskraft – auch in IuK-Technologien – beraubt. Völlig unberücksichtigt bleibt dabei die Neuor- ganisation der internen Behördenabläufe – ausgerechnet derjenige Bereich, in dem durch Online-Bereitstellung die meisten Kosten eingespart werden können. Das ist eine traurige Bilanz. Faktisch verliert Deutsch- land auf diesem Gebiet den Anschluss und fällt immer weiter zurück. Auch deshalb wird es Zeit für einen Re- gierungswechsel. Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Zunächst zur Voruntersuchung des TAB: Der Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung ist eine wertvolle Grundlage für die weiteren Beratungen zur Internetpolitik und den damit zusammenhängenden Fragen der Bildung und der kulturellen Auswirkung. Vor weiteren Schritten ist jedoch eine gründliche Analyse nötig. Die Hauptstu- die, die dem vorliegenden Bericht folgen und auf den ge- wonnenen Erkenntnissen aufbauen soll, muss stärker auf die Handlungsfehler und Spielräume des Bundes einge- hen. Ich bin daher der Meinung, dass der Auftrag für die Hauptstudien erst in der nächsten Wahlperiode erteilt wer- den sollte. Der PDS-Antrag wendet sich gegen die Förderung der Entwicklung von Filterprogrammen für das Internet und gegen die Anwendung von Filtern bei öffentlich zugängli- chen Internetzugängen wie Bibliotheken, Rathäusern und Schulen. Er unterläuft damit in eklatanter Weise Bemühungen zum Jugendschutz und ist bereits allein aus diesem Grund abzulehnen. Die in dem Antrag geäußerte Befürchtung, dass mit Filterprogrammen eine staatliche Zensur ausgeübt wird, ist in Demokratien ohnehin unbe- rechtigt. Zudem ist es selbst Staaten, die im Pressewesen tatsächlich zensieren, bisher nicht gelungen, im Internet ir- gendwelche Zensuren einzuführen. Filterprogramme sind immer unvollkommen. Dennoch können Sie ein wertvol- les Hilfsmittel für den Jugendschutz sein und im privaten und öffentlichen Bereich den Schutz der Jugend vor ge- walttätigen und anderen verbotenen Inhalten fördern. Der Antrag der PDS muss deshalb abgelehnt werden. Die beiden Koalitionsanträge verfolgen wichtige An- liegen, die vom Grundsatz her Unterstützung verdienen. Allerdings möchte ich gleich vorwegschicken, dass beide Anträge im Ergebnis doch abgelehnt werden müssen. In den Anträgen geht es einmal darum, eine Informati- onsgesellschaft zu schaffen, an der alle teilhaben, und zum anderen darum, die Medien- und Kommunikations- ordnung den Erfordernissen der neuen Informations- und Kommunikationsdienste anzupassen. Beides sind be- grüßenswerte Anliegen. Doch wird der positive Ansatz al- lein schon dadurch weitgehend zunichte gemacht, dass beide Anträge zum großen Teil aus der Abteilung Langat- migkeit und Lobhudelei stammen. Das kommt beispiels- weise darin zum Ausdruck, dass das Aktionsprogramm der Bundesregierung „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ und das 10-Punkte-Programm des Bundeskanzlers „Internet für alle“ ununterbrochen begrüßt werden und die Bundesre- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224364 (C) (D) (A) (B) gierung aufgefordert wird, diese „weiterhin rasch und ent- schlossen umzusetzen“. Man fragt sich, ob die Bundesre- gierung nur tätig wird, wenn sie ständig neu aufgefordert wird, ihre eigenen Programme ernst zu nehmen. An die- sem Propagandaunternehmen wird sich die Union nicht beteiligen. Der Antrag zur „Überwindung der digitalen Spaltung“ enthält neben vielen Selbstverständlichkeiten auch inhalt- liche Aussagen, die problematisch sind, so zum Beispiel zu den Online-Angeboten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und zur Vorlage des Informationsfrei- heitsgesetzes. Damit kann der Antrag insgesamt nur ab- gelehnt werden. Zudem ist der Antrag inhaltlich sowieso insoweit überholt, als er noch die Vorlage des Informati- onsfreiheitsgesetzes fordert. Dieses Gesetz, das den Bund verpflichten sollte, alle Verwaltungsvorgänge ins Netz zu stellen, soweit nicht eigene Interessen oder Rechte Dritter entgegenstehen, und mit dem in der Internetgemeinde große Hoffnungen geweckt wurden, wurde von der SPD mittlerweile ad acta gelegt. Der Antrag zur „Reform der Medien- und Kommuni- kationsordnung“ besteht fast ausschließlich aus einer un- endlich langen Problembeschreibung und ist dennoch un- vollständig. So erwähnt der Antrag beispielsweise den digitalen Hörfunk – DAB, digital audio broadcasting – überhaupt nicht. In Bezug auf die Anwendung von UMTS und WAP ist er dagegen viel zu euphorisch und optimistisch. Zudem befasst sich der Antrag in langen Passagen mit Fragen der Länderzuständigkeit. Bei den Lösungsvorschlägen bleibt er dafür äußerst verschwom- men. Was diesen Antrag letztlich aber ebenso unannehmbar macht wie den zuvor besprochenen, sind insbesondere zwei Forderungen der Koalition: Zum einen fordert Rot- Grün die Errichtung neuer Behörden und Einrichtungen des Bundes. Ich frage mich wirklich, ob diese Forderung ernst gemeint ist. Die Folge wäre doch ein erneutes Auf- blähen der Bürokratie in Deutschland, und davon haben wir nun wirklich mehr als genug. Zum anderen ist die im Antrag dargestellte Kritik an der Aufsplitterung der Re- gulierungs- und Aufsichtsstrukturen in Deutschland so nicht zutreffend. Ich weise darauf hin, dass die 15 Lan- desmedienanstalten durch den geltenden Staatsvertrag der Länder zur Zusammenarbeit verpflichtet sind, dass sie ihre Strukturen gestrafft haben und dass es zum Beispiel im Jugendschutz eine gemeinsame Stelle für alle Jugend- schutzfragen gibt. Auch für digitale Zugangsfragen ist ebenfalls eine einzige gemeinsame Stelle aller Landesme- dienanstalten eingerichtet. Besonders problematisch sind die Ausführungen zu den Nutzungsmöglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit Blick auf das Internet. Es ist indiskutabel, das Internet als einen weiteren massenkommunikativen Vertreibungsweg für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorzusehen. Insgesamt sollen die blumigen und wortreichen Ko- alitionsanträge wohl davon ablenken, dass die Bundes- regierung in der Medien- und Internetpolitik wenig Er- folge aufweisen kann: Im Bereich der Breitbandkabel ist vier Jahre so gut wie nichts vorangekommen. Die Fern- sehkabel werden nicht aufgerüstet. Interessierte Investo- ren wurden erfolgreich abgeschreckt. Wie wir jüngst veröffentlichten Untersuchungen entnehmen konnten, ist der Zuwachs an Online-Nutzern in Deutschland weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Die Misere mit dem Informationsfreiheitsgesetz habe ich bereits er- wähnt. Zum Abschluss möchte ich noch auf eine wirklich er- staunliche Kreation aus dem Bundesministerium für Bil- dung und Forschung hinweisen. Die von Bundesminis- terin Bulmahn im Oktober letzten Jahres eingesetzte Expertenkommission „Finanzierung Lebenslangen Ler- nens“ kann nun wirklich nur als Ausweis von Hilflosig- keit bezeichnet werden. Dass der dauerhaften Arbeit- nehmerfort- und Weiterbildung gerade auch mit Blick auf das Phänomen „Digitale Spaltung“ eine Schlüssel- funktion zukommt, dürfte sicher schon länger bekannt sein. Umso mehr ist es ein Armutszeugnis, wenn die Bundesregierung knapp ein Jahr vor Ende der Legis- laturperiode dieser lapidaren Erkenntnis statt konkreter Taten nur wieder eine neue Expertenkommission folgen ließ. Was bleibt also unterm Strich? Nichts als heiße Luft und jede Menge rot-grüner Scheinaktionismus. Doch da- mit, meine Damen und Herren von Rot-Grün, lassen sich die hier diskutierten Probleme nun wirklich nicht lösen. Deshalb muss diese Regierung abgelöst werden! Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Die In- formationsgesellschaft stellt für unsere Gesellschaft eine enorme Herausforderung dar. Der Politik wird dabei die Aufgabe zukommen, die notwendigen Voraussetzungen für eine freie und gerechte Entwicklung dieser Informati- onsgesellschaft zu schaffen. Wir Bündnisgrüne treten für eine beschleunigte, aber verantwortungsbewusste Ein- führung moderner Kommunikations- und Informations- technologien ein. Dieses Ziel haben wir auch in den vergangenen vier Jahren Regierungszeit verfolgt und dabei die entschei- denden Weichen in Richtung Informationsgesellschaft gestellt, um den Wirtschaftsstandort Deutschland in der globalen Ökonomie zu sichern und auszubauen. Gerade der Mittelstand, der ein entscheidendes Standbein in der Internetwirtschaft darstellt, wird von der Bundesregie- rung inzwischen massiv gefördert – und zwar durch die Bereitstellung von Risikokapital oder der Schaffung von Kompetenzzentren zur Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen. Daneben existieren vielfältige Programme zur Förderung der Medienkompetenz und zur Überwindung der drohenden Digitalen Spaltung. Doch wie bereits in unseren Anträgen erwähnt, darf sich die Bundesregierung nicht auf ihren Aktivitäten ausruhen: Initiativen wie „D 21“ müssen weiter gefördert und aus- gebaut werden. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich die Aktivitä- ten der Bundesregierung in Bezug auf den elektronischen Geschäftsverkehr begrüßen. Durch die gestern in den Ausschüssen beschlossene Änderung der Verwaltungs- verfahrensgesetze wird die Einführung der digitalen Sig- natur weiter forciert. Diese Signatur wird zukünftig ein Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24365 (C) (D) (A) (B) wesentlicher Baustein für die Modernisierung unseres Staates sein. Ebenso wichtig erscheint uns aber, dass die Bundesre- gierung weiter die Entwicklung kryptografischer Pro- gramme fördert und sich strikt gegen einschränkende Maßnahmen bei der Verschlüsselung ausspricht. Denn es war noch nie so einfach wie heute, persönliche Daten zu erhalten: Das Internet ist nämlich eine gigantische globale Datenbank, in der eine Vielzahl personenbezogener Daten für jeden, der sich auskennt, zur Verfügung stehen. Informationen, die im Internet übertragen werden, sind alles andere als vertraulich. Unverschlüsselte Datenpa- kete, die über das Netz geschickt werden, können theore- tisch an jeder Übertragungsstelle gelesen, gespeichert, manipuliert oder unterdrückt werden. Die Verbreitung von Verschlüsselungsprogrammen – auch und gerade im privaten Bereich – leistet somit ei- nen wichtigen und geradezu unumgänglichen Beitrag zum Schutz unserer Privatsphäre. Erfreulich ist aus unserer Sicht weiterhin, dass auf Ini- tiative von Bündnis 90/Die Grünen in den verschiedenen Anträgen das Thema Open Source ausführlich behandelt wird. Gerade für den Wettbewerb auf dem Softwaremarkt und bei der Etablierung verschiedener Betriebssysteme ha- ben Open Source-Produkte eine besondere Bedeutung. Der Quellcode – quasi die Sprache, in der ein Programm ge- schrieben worden ist – ist hier frei zugänglich. Somit kön- nen Betriebssystem und Software besser den jeweiligen Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer angepasst wer- den – auch und gerade in sicherheitsrelevanten Bereichen. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, verstärkt Open Source-Programme in der Bundesverwaltung ein- zusetzen. Mit der Umstellung, der Bundestagsserver von Microsoft-Programmen auf das Linux-System ist bereits ein erster, entscheidender Schritt getan. Und auch die Ankündigung des Innenministeriums, zukünftig Linux als Betriebssystem einzusetzen, ist ein Erfolg unserer Politik. Aus dem Bereich der Ökologie wissen wir: Monokul- turen können große Schäden anrichten. Das gilt leider auch für den Computersektor. Hier sind Konkurrenz und Vielfalt gefragt, um Wettbewerb und Sicherheit zu ge- währleisten. Diese Vielfalt benötigen wir auch im Bereich des Rundfunks. Die Pleite der Kirch-Gruppe hat uns gerade erst vor Augen geführt, wie abhängig unser Mediensys- tem von einzelnen großen Anbietern ist. Statt verschach- telter Großkonzerne, die über Tochtergesellschaften oder Familienmitglieder auch scheinbar unabhängige Medien kontrollieren; brauchen wir das Engagement verschiede- ner Anbieter – kleiner, mittlerer und auch größerer. Diese Anbieter – das sage ich hier ausdrücklich – wer- den und dürfen nicht nur aus deutschen Landen kommen. Der deutsche Medienmarkt darf sich nicht abschotten, sondern muss offen für europäische und internationale In- vestoren sein. Dabei denke ich natürlich ausdrücklich nicht an Herrn Berlusconi. Die Vereinigung von politischer, sportlicher und publizistischer Macht in einer Person ist schlichtweg ein Skandal. Stellen Sie sich vor, Helmut Kohl hätte neben der Bun- desregierung auch noch den Rundfunksektor und den Fußballsport kontrolliert: Es hätte täglich mehrere Stun- den Robert Lembke gegeben und Berti Vogts wäre wohl immer noch Bundestrainer. Vielfalt und Internationalisierung unserer Medienge- sellschaft müssen sich nicht widersprechen. Bündnis 90/ Die Grünen haben hierzu vielfältige Vorschläge vorge- legt. Damit Medienpolitik in Deutschland nicht zur reinen Standortpolitik verkommt, brauchen wir einen bundesweiten Medien- und Kommunikationsrat, der be- stehende Einrichtungen integriert und koordiniert. Die Digitalisierung muss in jedem Falle sozialverträglich er- folgen: Auch meine Oma auf dem Land muss zukünftig in der Lage sein, ein vielfältiges Fernsehprogramm sehen zu können, ohne Informatik studiert zu haben und kompli- zierte Receiver auswendig programmieren zu können. Der Streit um die Verschlüsselung von Sendesignalen während der Fußball-WM hat gezeigt, wie ernst dieses Problem sein kann. Damit nicht in der Endphase eines spannenden Spiels der Bildschirm plötzlich schwarz wird, gilt es bereits jetzt, die entsprechenden politischen Vorga- ben auf- und auch umzusetzen. Die rasante Entwicklung des Internet und die zuneh- mende Konvergenz der einzelnen Medien beeinflusst nachhaltig und tiefgründig die Ausrichtung unserer Ge- sellschaft. Doch eines dürfen wir dabei nie vergessen: Die Informationsgesellschaft muss für alle da sein – nicht nur für Computerfreaks, Besserverdienende und Akademiker. Lesen, Rechnen und Schreiben allein werden im globalen Dorf des 21. Jahrhunderts nicht mehr ausreichen, um sich in dieser neuen, vernetzten Welt zu orientieren. Wer die Sprache des Computers nicht versteht und beherrscht, wird künftig zu den digitalen Analphabeten gehören. Die Politik hat die Aufgabe, die Basis zu schaffen und einen Netzzugang für alle und damit verbunden auch die Ver- mittlung von Medienkompetenz zu ermöglichen. Wir nehmen die Herausforderung Informationsgesell- schaft an. Aber wir wissen auch: Auf dem Weg dorthin müssen wir alle, wirklich alle mitnehmen. Im Gegensatz zu unseren Fußballern sind wir bei dieser komplexen Thema- tik eben noch nicht die eine Runde weiter, aber auf einem guten Weg. Denn immer mehr Deutsche drängen ins Inter- net und Medienkompetenz ist zu einem wichtigen Schlüs- selbegriff der Informationsgesellschaft geworden. Denn nur wer die Medien wirklich versteht, wird sie jemals sinn- voll kontrollieren und positiv beeinflussen können. Hans-Joachim Otto (FDP):Wenn wir uns hier heute ernsthaft mit einer Reform der Medien- und Kommunika- tionsordnung beschäftigen wollen, so kann aus Sicht der FDP der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen dafür keine Grundlage sein. Überschrift und Inhalt haben wenig miteinander zu tun: „Reform der Medien- und Kommunikationsordnung für die Wissens- und Informa- tionsgesellschaft verwirklichen“ ist sein wohlklingender Titel. Doch was steht darunter im Antrag? Zunächst eine Analyse der jetzigen Situation, die weit gehend zutrifft. Der Kompetenzwirrwarr wird zutreffend beschrieben, ebenso das Phänomen der Konvergenz. Die Konsequen- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224366 (C) (D) (A) (B) zen und Reformvorschläge hieraus indes sind dürftig und für die FDP großteils nicht nachvollziehbar. Zu kritisieren ist vor allem die von Rot-Grün gefor- derte Entwicklungsgarantie der Öffentlich-Rechtlichen im Internet. ARD und ZDF sind doch keine öffentlich- rechtlichen Medienanstalten, sondern Rundfunkanstalten. Hierauf, auf Fernsehen und Radio, mögen sie sich be- schränken, hier gibt es noch viel zu verbessern. Es ist aber im höchsten Maße wettbewerbsverzerrend, wenn mit jährlich fast sieben Milliarden Euro Gebühren ausgestat- tete Anstalten kleinen Internetunternehmen, die insbeson- dere in diesen Zeiten froh sind, wenn sie mal so eben über die Runden kommen, das Wasser abgraben. Die gezielte Ausdehnung von ARD und ZDF ins Internet ist ein wei- terer Schlag gegen die ohnehin schon äußerst angeschla- gene Internetbranche. Rechtlich zugelassen sind für ARD und ZDF nur „vor- wiegend programmbegleitende Informationen“ im Inter- net. Doch welche programmbegleitenden Informationen vermitteln Partnervermittlungen, Sportwetten, Automärkte und Bratpfannenauktionen? Solche kommerziellen Auf- tritte haben auf den Webpages von ARD und ZDF nichts verloren! Eine derartige „dritte Säule“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder, wie es im rot-grünen Antrag heißt, „der Ausbau von ARD und ZDF als Universal- bzw. Public Service im Internet“ ist strikt abzulehnen! Dieser ord- nungspolitische Irrsinn muss gestoppt werden! Eher dürftig sind auch die weiteren Vorschläge zur Re- form der Medienordnung. Lapidar wird die Bundesregie- rung aufgefordert, den Reformbedarf der bestehenden Medien- und Kommunikationsordnung zu überprüfen und gegebenenfalls eine Bund- und Länderinitiative an- zustoßen und eine Expertenkommission einzurichten. So- weit ein Kommunikationsrat vorgeschlagen wird, geht dies in die falsche Richtung. Wir Liberalen würden zwar eine einheitliche Instanz befürworten, sofern sie nach dem Vorbild der amerikanischen FCC die bisherigen 15 Landesmedienanstalten ersetzt. Rot-Grün jedoch will eine zusätzliche Behörde. Da machen wir nicht mit! Nein, lassen Sie uns abrüsten und nicht noch weiter aufrüsten. Der Antrag enthält viele Allgemeinplätzchen, wenig Konkretes und nichts Präzises. Offen bleibt die zentrale Frage, mit welchen konkreten Maßnahmen der unstreitige Reformstau bei der Medienordnung aufgelöst werden soll. Wie könnte man den notwendigen Dialog zwischen Bund und Ländern institutionalisieren, um zu einer um- fassenden Reform zu kommen und den Kompetenzwirr- warr aufzulösen? Was ist bisher geschehen? Stückwerk! Eine kleine Kompetenzverschiebung im Jugendschutz und eine kleine Zuständigkeitsänderung im Datenschutz. Gerade das wollen die Autoren des Antrages ja eigentlich nicht. Dennoch ist es geschehen. Am Jugendschutz sieht man: Es wird geflickschustert und kleinlich um Kompe- tenzen geschachert. Um einen großen Wurf zu ermöglichen, brauchen wir in der nächsten Legislaturperiode endlich eine Bund-Län- der-Enquete für eine moderne Kommunikationsordnung in Deutschland. Damit diese effektiv und zielorientiert ar- beitet, sollten präzise, auch zeitliche, Vorgaben gemacht werden. Großer Vorteil einer solchen Bund-Länder-En- quete ist: Es gilt das Konsensprinzip. Das heißt, Bund und Länder wären hierin gezwungen, auf einen Nenner zu kommen. Nirgendwo sonst ist die Aufforderung von Altpräsident Roman Herzog nach einem „Ruck“ berechtigter als beim Erfordernis einer einheitlichen Medien- und Kommuni- kationsordnung. Lange genug wurden die Probleme unter den Teppich gekehrt. Jetzt ist die Zeit zum Handeln. Da Rot-Grün diese Legislaturperiode nicht genutzt hat, wer- den wir am 23. September hiermit beginnen. Darauf kön- nen Sie sich verlassen! Angela Marquardt (PDS): Es ist schön, dass sich alle hier im Hause einig sind, dass die digitale Spaltung der Gesellschaft in User und Loser verhindert werden muss. Uneinigkeit herrscht wie so oft nur über das Wie. Wir sind uns alle einig, dass es dabei auch um soziale Fragen geht. Denn es kann nicht sein, dass nur diejenigen an den In- formationen der Online-Gesellschaft teilhaben können, die sich die nicht unbeträchtlichen Kosten eines Compu- ters und eines Online-Zugangs leisten können. Deshalb sind wir uns ja ebenfalls alle einig, dass es öf- fentliche Internet-Zugänge in Rathäusern, Bibliotheken, und Internet-Cafés geben muss. Und dennoch droht eine digitale Spaltung. Denn schon heute ist es so, dass Bürge- rinnen und Bürger, die auf den Internet-Zugang der Bibliothek angewiesen sind, meist nur einen gefilterten, einen zensierten Ausschnitt aus dem Netz zu Gesicht be- kommen. Informationsfreiheit besteht nur für den, der ei- nen eigenen Online-Anschluss hat. Deshalb haben wir unseren Antrag eingebracht, der ein Verbot von Filtern an öffentlichen Internet-Zugängen vor- sieht. Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, was dagegen sprechen soll, und finde die ablehnende Haltung der anderen Fraktionen in den Ausschüssen äußerst be- dauerlich. Konkret fordern wir Folgendes: kein Einsatz von Fil- tern an öffentlichen Internet-Zugängen, kein Einsatz von Filtern innerhalb des Internets bzw. beim Provider, keine staatliche Förderung der Entwicklung von Filter-Techno- logie und eine Kennzeichnungspflicht für jede Filter-An- wendung, auch der nutzerautonomen Anwendung. All diese Forderungen müssten in diesem Hause ei- gentlich konsensfähig sein, zumal uns das Grundgesetz geradezu verpflichtet, jede Form von Zensur zu verhin- dern. Ich bin froh, dass zumindest SPD und Grüne inzwi- schen nur noch so genannte nutzerautonome Filter befür- worten. Dennoch will ich dazu ein paar kritische Worte sagen: Ich habe nichts gegen nutzerautonome Filter. Nur sehe ich keine. Alle Hoffnungen lasten auf dem ICRA- Projekt. Nur ist dies kein nutzerautonomes System. Erstens wird den meisten Eltern die Einstellung eines solchen Filters ohnehin zu kompliziert sein, und sie wer- den daher lieber gleich auf einen Provider mit bereits ge- säubertem Angebot zurückgreifen, solange eine Online- basierte Zensur nicht verboten wird. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24367 (C) (D) (A) (B) Zweitens ist das ICRA-System an sich nicht nutzerbe- stimmt. Es funktioniert eben nicht nur über das eigen- ständige Einstellen bestimmter Filter-Kriterien, sondern daneben auch über das Ausblenden bestimmter Seiten, die auf einer Negativ-Liste geführt werden. Die ersten, die den ICRA-Listen zugearbeitet und Seiten angezeigt ha- ben, die ihrer Meinung nach zu sperren sind, waren das BKA, der Verfassungsschutz und die CDU. Entschul- digen Sie bitte, wenn diese Institutionen nicht mein voll- ständiges Vertrauen genießen. Das Problem ist Folgendes: Eltern können mit dem ICRA-Filter zwar selbst bestimmen, welche Negativ- Liste sie sperren wollen, aber dabei müssen sie den An- bietern dieser Liste vertrauen. Sie haben keine Möglich- keit zu kontrollieren, welche Seiten genau gefiltert werden, wenn sie zum Beispiel die BKA-Liste „Rechts- extremismus“ wählen. Es könnten genauso gut Seiten von Antifa-Gruppen darunter sein. Die Listen sind nicht ein- sehbar. Niemand kann kontrollieren, welche Seiten ge- sperrt werden, und die Anbieter gesperrter Seiten haben keinerlei Möglichkeit der Beschwerde. Aus diesem Grund ist das ICRA-System ebenso wenig nutzerautonom wie ICRA eine Non-Profit-Organisation ist. Auch wenn das immer wieder behauptet wird. ICRA ist ein Zusammenschluss von Unternehmen wie Bertels- mann, AOL, Microsoft, IBM und T-Online. Das sind alles bestimmt keine Non-Profit-Organisationen. Und bei ICRAmitspielen darf auch nur, wer jährlich eine fünfstel- lige Summe überweist. Hier spielen ganz klar Interessen eine Rolle. Die beteiligten Unternehmen werden Filter-Kriterien wie „Gewalt“ und „Nacktheit“ sicherlich akzeptieren. Ein Kriterium, das „Verführung zum Konsumrausch“ heißt, werden uns diese Unternehmen aber bestimmt nicht an- bieten. Wie gesagt, grundsätzlich ist nichts gegen nutzer- autonome Filter einzuwenden, aber auch bei denen muss eine Kontrolle möglich sein. Deshalb plädiere ich für eine Kennzeichnungspflicht aller Filter-Anwendungen und ei- nen Zugriff auf eine Liste der jeweils gesperrten Seiten. Filtern findet auf der Seite des Betrachters statt und entspricht dem Augenschließen. Filtern ist Wegsehen. Das ist der falsche Weg. Damit werden wir strafbare In- halte im Internet nicht verhindern. Es ist auch das Gegen- teil einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit be- stimmten Inhalten. Lassen Sie uns Schritte unternehmen, damit der Zensur in Deutschland nicht der Weg geebnet wird. Dr. Julian Nida-Rümelin, Beauftragter der Bundes- regierung für Angelegenheiten der Kultur und der Me- dien: Gesellschaften bilden Kommunikations- und Ver- ständigungszusammenhänge. Wenn Informationskanäle und Kommunikationswege sich verändern, beeinflusst dies die Verfasstheit der Gesellschaft signifikant. Im Kern geht es also bei der Modernisierung der Medienordnung um die Modernisierung der Gesellschaft selbst. Nur eine Gesellschaft, die allen Bürgerinnen und Bürgern gleich- berechtigt einen Zugang zu den Medien ermöglicht, ist genuin demokratisch. Ein gemeinsamer Bildungshintergrund, gemeinsame politische Kenntnisse und auch Gemeinsamkeiten der Unterhaltung und der Kultur sind ein zentrales öffentli- ches Gut in der Demokratie. Eine verantwortliche Me- dienpolitik muss dafür den Ordnungsrahmen setzen. Hier setzt der Antrag der Koalionsfraktionen an. Er beschreibt ausführlich und präzise die Anforderungen an die Politik, die sich aus der als Digitalisierung beschriebenen Ent- wicklung ergeben. Die Digitalisierung wird in absehbarer Zeit zu einer weit reichenden Konvergenz der Übertra- gungswege und am Ende möglicherweise auch der Me- dieninhalte führen. Den im Antrag vor diesem Hinter- grund beschriebenen Herausforderungen hat sich die Bundesregierung gestellt. Sie teilt die Einschätzung, dass die geltenden medienrechtlichen Regulierungen nicht mehr passgenau sind: Vorhandene sektorspezifische Re- gulierungsansätze müssen überdacht werden, weil sie an- gesichts einer konvergierenden Medienlandschaft zuneh- mend fragwürdig werden. Die Bundesregierung hat sich seit Beginn der Legisla- turperiode mit besonderem Nachdruck daran gemacht, in enger Abstimmung mit den Ländern die Defizite der ge- genwärtigen Struktur zu beseitigen. Die Reform der Me- dienordnung ist auch eine Bewährungsprobe für den ko- operativen Föderalismus. Im August des vergangenen Jahres haben wir durch die Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten der Länder einen wichtigen Schritt getan. Sie sieht die gemeinsame Verwirklichung einer Reform der Medienordnung vor, insbesondere auf den Gebieten, die beiderseitige Interes- sen und Kompetenzen berühren. Dabei geht es vorrangig um den Jugendschutz, aber auch um die Bereiche Daten- schutz und Medienkonzentration sowie eine verbesserte Regelung der Nicht-Rundfunkdienste. Gerade hier haben die Parallelregelungen zu großen Abgrenzungsschwierig- keiten zwischen Telediensten und Mediendiensten ge- führt. Erfreulicherweise ist es im Jugendschutzgesetz bereits gelungen, mit dem Begriff der Telemedien und eindeuti- gen Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern zu ei- ner ganz erheblichen Verbesserung zu kommen. Die maß- geblich von meiner Behörde vorbereiteten Eckpunkte einer Neuregelung des Jugendschutzes lagen im Dezem- ber 2001 beschlussreif vor und sehen einen einheitlichen Schutzstandard in allen elektronischen Medien vor. Allein den Sonderwünschen der bayerischen Staatsregierung ist es zu verdanken, dass diese Eckpunkte erst im März die- ses Jahres von der Ministerpräsidentenkonferenz und der Bundesregierung beschlossen werden konnten. Mit diesem Ergebnis haben wir ein zentrales Ziel er- reicht: Die Länder regeln das materielle Jugendschutz- recht für alle elektronischen Online-Medien. Auf Länder- ebene wird eine einheitliche Aufsichtstelle geschaffen: die Kommission für den Jugendmedienschutz. Sie wird in einer institutionalisierten Zusammenarbeit mit der Bun- desprüfstelle für ein wertungsgleiches Schutzniveau bei jugendgefährdenden und jugendbeeinträchtigenden An- geboten führen. Dies ist ein ganz wesentlicher Fortschritt und ich bin froh, dass sich hier letztlich ein breiter Kon- sens gebildet hat. Mit den Beschlüssen vom März dieses Jahres wurde zugleich das Prinzip der regulierten Selbst- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224368 (C) (D) (A) (B) regulierung im Jugendmedienschutz eingeführt, ich werde auf diesen Ansatz noch zu sprechen kommen. Die Umsetzung der Eckpunkte ist auf Bundesebene rasch und umfassend in Angriff genommen worden: Die Koalitionsfraktionen haben unter Mithilfe der Bundesre- gierung und insbesondere meiner Behörde ein Bundesge- setz eingebracht, das neben dem Jugendschutz in der Öf- fentlichkeit auch die Bundesprüfstelle regelt und den verabredeten Regelungsspielraum für die Länder offen hält. Der entsprechende Staatsvertrag der Länder wird derzeit vorbereitet. Mit dieser Verbesserung des Jugend- schutzes im Medienbereich wird zum einen das materielle Recht vereinheitlicht, zum anderen wird aber auch eine gestraffte Aufsichtsstruktur geschaffen, die für eine schnellere und homogenere Durchsetzung des materiellen Rechts sorgt. Weitere Verbesserungen – insbesondere mit Blick auf die Wahrung publizistischer Vielfalt – sind zu erreichen, wenn wir uns, eventuell erst in der nächsten Le- gislaturperiode, darauf verständigen können, einen Kom- munikationsrat zu schaffen, wie ihn die sozialdemokrati- sche Medienpolitik seit langem vorschlägt. Das Konzept der regulierten Selbstregulierung wird auch im Antrag der Koalitionsfraktionen zu Recht her- vorgehoben. Die Bundesrepublik verfügt über eine lange Tradition der Selbstregulierung: von der Einrichtung des Presserates im Jahre 1949 bis zur Schaffung der Freiwil- ligen Selbstkontrolle Fernsehen und der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia in den 90er-Jahren. Dieser Ansatz ist nach meiner Überzeugung nach wie vor richtig. Jetzt geht es darum, ihn so weiter zu entwickeln, dass er den heutigen und den künftigen Rahmenbedingungen ge- recht wird. Im Kern besteht die Herausforderung darin, die Beibehaltung größtmöglicher Autonomie der Anbieter von Inhalten mit einer effektiven Durchsetzung des Rechts auszubalancieren. Dieses Spannungsverhältnis besteht und angesichts dessen sind weder radikale Libe- ralisierungsvorschläge noch weit reichende Forderungen nach möglichst vollständiger Kontrolle hilfreich. Vor diesem Hintergrund habe ich eine Modernisierung des Konzepts der Selbstregulierung vorgeschlagen. Es geht dabei um die Weiterentwicklung vorhandener Modelle mit folgenden Merkmalen: Bereits im Vorfeld der Verbreitung soll durch die vom Staat auf gesetzlicher Basis überprüf- bare – und insofern regulierte – Selbstregulierung auf Dauer ein hoher Standard normgerechter Angebote ex ante gewährleistet werden. Wenn das normverletzende Angebot verbreitet worden ist, liegt das Kind bereits im Brunnen. Ordnungspolitik aber ergibt nur Sinn, wenn sie die Verfas- sung und den normativen Grundkonsens einer Gesellschaft schützt. Dies tut sie nicht in erster Linie durch das Strafen begangener Verletzungen, sondern durch das Pflanzen von Hecken, die den zu beschreitenden Weg umsäumen. Genau darauf zielt die Einbindung der Selbstkontrolle in den staat- lich sanktionierten Regulierungsrahmen. Der Jugendschutz hat Verfassungsrang. Der Staat ist daher aufgefordert sicherzustellen, dass die Einrichtun- gen der Selbstkontrolle den rechtlichen Anforderungen genügen. Darum muss es eine hoheitliche Zertifizierung der Kontrolleinrichtungen mit Widerrufsmöglichkeit ge- ben, darum müssen die Organisation und Arbeit der Ein- richtungen, ihre finanzielle Ausstattung und ihre inhalt- liche Unabhängigkeit überprüft werden können. Dies sind die Hecken, die gepflanzt werden. Zwischen ihnen gibt es breite Korridore, innerhalb derer die Selbstkon- trolle Ihre Aufgaben eigenverantwortlich wahrnehmen kann. Dieser Ansatz findet erfreulicherweise breite Zustim- mung vonseiten der Wissenschaft, aber auch und vor al- lem vonseiten der Marktteilnehmer. Wir präsentieren so ein Modell, das zukunftsfähig ist, weil es die Angebotsflut im Zeitalter der Digitalisierung bewältigen kann und für eine zeitgemäße Verschränkung von Staat und Gesell- schaft sorgt. Das staatlich organisierte Verfahren stützt bestehende zivilgesellschaftliche Strukturen und verleiht ihnen die notwendige Durchsetzungskraft. Nicht nur die medienpolitische Diskussion steht noch immer unter dem Eindruck der schrecklichen Gewalttat von Erfurt. Mir kommt es vor allem darauf an, dass wir – bei allem Verständnis für die Besorgnis und die Erre- gung – nicht eine kurzatmige Debatte führen. Dabei müs- sen wir, mit Besonnenheit, auch die Zusammenhänge zwischen Gewaltdarstellungen in den Medien und die Entstehung realer Gewalt thematisieren. Man liest immer wieder, dass die Medienwirkungsfor- schung uneins sei, welche Folgen der Konsum exzessiver Gewaltdarstellungen habe. Dies entspricht nicht oder nicht mehr dem Stand der Forschung. Ego-Shooter-Ga- mes wurden von der US-Army entwickelt mit dem Ziel, die im Vietnamkrieg deutlich gewordene Hemmung, ei- nem Gegner aus der Nähe ins Gesicht zu schießen, abzu- bauen. Tatsächlich ist erwiesen, dass der Prozentsatz der in dieser Weise Enthemmten nach Konditionierung durch entsprechende „Spiele“ sich von einem Drittel auf etwa zwei Drittel verdoppelte! Ich kann nicht begreifen, warum die kommerziellen Anbieter solcher Spiele zulas- sen, dass die Seelen junger Menschen in dieser Weise Schaden nehmen. Der Eingriff des Strafrecht ist ultima ratio; und das sollte so bleiben. Dem Eingriff der Politik über Rechts- normen sind in jedem Falle im Rahmen einer freiheitli- chen Demokratie enge Grenzen gezogen. Daher ist die Eigenverantwortung derjenigen gefordert, die die Me- dieninhalte bestimmen – sei es im frei empfangbaren Fernsehen, öffentlich-rechtlich oder privat, sei es im Ki- nofilm oder Videofilm, sei es im Videospiel oder im In- ternet. Eine zivile, an humanen Werten orientierte Ge- sellschaft überlässt die Verantwortung nicht dem Staat allein. Diese gemeinsame, zivilgesellschaftliche Verant- wortung zu stärken und das Ausmaß der Gewaltdarstel- lungen, ja die Gewaltfokussierungen in manchen Me- dien, zurückzudrängen, ist das Ziel des heute vom Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten gemeinsam beschlossenen Runden Tisches, dem die Verantwortli- chen für das Fernsehen und für die Offline- und Online- Angebote in zwei Gesprächen beim Bundeskanzler schon zugestimmt haben. Hier zeichnet sich ein – bei al- len bestehenden inhaltlichen Differenzen – wichtiger Grundkonsens ab, den es für eine humane Entwicklung unserer Gesellschaft zu nutzen gilt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24369 (C) (D) (A) (B) Abschließend einige Bemerkungen zu den medienpo- litischen Perspektiven für Europa: Das, was als Interna- tionalisierung und Globalisierung beschrieben wird, hat zweifelsohne gravierende Auswirkungen auf den Me- dienbereich. Dennoch sind Medien immer auch auf die unmittelbare Lebenswelt bezogen. Dies erklärt, zumin- dest zum Teil, warum die Märkte für Medien, insbeson- dere die Fernsehmärkte, in Europa überwiegend nationale Märkte geblieben sind. Auch vor diesem Hintergrund er- geben sich neue Herausforderungen durch Digitalisierung und technische Konvergenz. Dem stellt sich die Bundes- regierung. Mit Unterstützung übrigens der meisten Bun- desländer arbeitet sie insbesondere auf die Realisierung der folgenden Ziele hin: Bestand und Entwicklungsmög- lichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen gewährleistet bleiben, nicht zuletzt unter den Gesichts- punkten der Meinungsfreiheit und -vielfalt. Die Grundregeln, innerhalb derer die privaten Medien agieren, bedürfen der weiteren Konkretisierung. Deutsch- land und Europa müssen für ausländische Investoren of- fen bleiben. Zugleich gilt es aber, die positiven Erfahrun- gen anderer Staaten mit der Begrenzung zulässiger Anteile ausländischen Kapitals zu berücksichtigen. Aus meiner Sicht spricht vieles dafür, die Anteile und Stimm- rechte von Investoren aus Nicht-EU-Ländern an Fernseh- unternehmen auf 25 Prozent zu begrenzen. Die Bundesregierung wird sich auch dafür einsetzen, den Grundsatz der Staatsferne des Rundfunks, wie er in Art. 5 des Grundgesetzes verankert ist, innerhalb der EU verbindlich zu machen. Darüber hinaus wird es darauf ankommen, ein europä- isches Medienkonzentrationsrecht zu schaffen, um Kon- zentrationsentwicklungen in der Zusammenschau der EU-Mitgliedstaaten beobachten und bewerten zu können. Schließlich brauchen wir eine Fortentwicklung des eu- ropäischen Kommunikationsgrundrechts: Neben dem klassischen Medienrecht müssen auch das Wirtschafts- und das Telekommunikationsrecht auf den Grundsatz der Sicherung von Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt verpflichtet werden. Das zusammenwachsende Europa bedarf einer intakten Öffentlichkeit als kulturelle Basis. Auch darin liegt die medienpolitische Herausforderung. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Gesetzentwürfe: – Verbesserung des Schutzes derBevölkerung vor an- gedrohten und vorgetäuschten Straftaten – Verbesserung des Schutzes derBevölkerung vor an- gedrohten und vorgetäuschten Straftaten („Tritt- brettfahrergesetz“) Joachim Stünker (SPD): Die heute in zweiter und dritter Lesung zu debattierenden Gesetzesentwürfe der CDU/CSU-Fraktion sowie des Bundesrates sind als Re- aktion auf die Ereignisse des 11. September des vergan- genen Jahres zu bewerten. Infolge dieser Ereignisse ver- setzten so genannte Trittbrettfahrer Betroffene, aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Betrieben und Ver- sorgungseinrichtungen, ja ganze Städte und die Öffent- lichkeit in Angst und Schrecken. Ein Trittbrettfahrer ist nach einer Definition des Dudens „jemand, der von einer Sache zu profitieren versucht, ohne selbst dafür etwas zu tun“. Eine Definition, die auf den Trittbrettfahrer der Ge- genwart so gar nicht zuzutreffen vermag. Denn der tut so einiges: Er führt Telefongespräche mit Polizeistationen oder den Sicherheitsleuten von Chemiefabriken oder kün- digt Bombenexplosionen an. Hauptsächlich durch das Versenden von mit weißen, pulverförmigen Substanzen gefüllten Briefen und Paketen entwickelte sich im ver- gangenen Herbst in der Tat ein starkes Unsicherheitsge- fühl in der Bevölkerung. Durch Trittbrettfahrerei entste- hen außerdem extreme Kosten für das Gemeinwesen. Es ist für uns alle unumstritten: Trittbrettfahrerei verdient eine harte und zügige Bestrafung, und das geschieht auch: Unsere Rechtsordnung zieht solche Straftäter einerseits durch Kriminalstrafen wie auch andererseits durch Scha- densersatzansprüche – einschließlich der Kosten für den Einsatz von Polizei und anderen Behörden – mit Nach- druck zur Rechenschaft. Das Strafgesetzbuch kennt zwei Vorschriften zur Verfolgung von angeblichen Straftaten. In § 145 d heißt es: „Wer wider besseren Wissens vor- täuscht, dass eine rechtswidrige Tat begangen wurde oder bevorsteht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren be- straft.“ Dieser Paragraph wird angewandt bei Vortäu- schung allgemeiner Straftaten ohne größere Auswirkung auf die Öffentlichkeit, etwa Trittbrettfahrerei bei einer Er- pressung. § 126 StGB zielt bei ansonsten gleichem Inhalt dagegen auf die Störung des „öffentlichen Friedens“. Das Strafmaß reicht auch hier bis zu drei Jahren Haft. In besonders gelagerten Fällen, zum Beispiel Vortäu- schung eines bevorstehenden Anschlags, den der Täter bereit ist, gegen Zahlung einer größeren Geldsumme ab- zuwenden oder zu unterlassen, ist daneben auch die Ver- urteilung nach gravierenden Straftatbeständen möglich. In diesem Beispiel wäre das etwa § 253 StGB, Erpres- sung, mit einer Strafdrohung von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Den Tätern droht aber nicht nur die strafrechtliche Ahndung. Ihnen drohen auch zivil- rechtliche Schadensersatzansprüche aus §§ 823ff. BGB und darüber hinaus die öffentlich-rechtliche Kostener- satzpflicht für den unbegründeten Einsatz von Polizei und anderen Behörden. Die meisten Polizeigesetze enthalten hierzu ausdrückliche Regelungen. Die Verfasser der Entwürfe behaupten nun, dass der § 126 StGB in seiner bestehenden Fassung nicht aus- reichend sei, um eine wirksame Abschreckung zu ge- währleisten. Daneben würde die Arbeit der Polizei und der Rettungsdienste sowie die der Fachinstitute und La- bore von derartigen Fällen belastet. Aus diesem Grunde fordern sie eine Verschärfung des Strafrahmens für derar- tige Delikte. Beide Entwürfe präsentieren hierzu eigene Vorschläge: Die CDU/CSU-Fraktion schlägt eine Er- höhung der Höchstgrenze der Freiheitsstrafe auf fünf Jahre vor. Die von Thüringen im Bundesrat eingebrachte Initiative fordert eine Anhebung der Strafandrohung auf fünf Jahre sowie die Einführung einer Mindeststrafe von einem Jahr. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224370 (C) (D) (A) (B) Besteht wirklich gesetzgeberischer Handlungsbedarf für eine Verschärfung des Strafrahmens? Kann dieser al- lein damit begründet werden – so wie dies die Verfasser der Entwürfe tun –, dass sich die sozialethische Bewer- tung derartiger Straftaften durch die jüngsten Ereignisse geändert habe? Oder versuchen die verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Union hier nicht gerade wieder, sich populistische Reflexe anzueignen, um den Menschen vor- zuspielen, dass den Gerichten in diesem Lande angeblich die angemessenen Mittel zur Ahndung derartiger Delikte fehlen? So verunsicherte beispielsweise in diesem thema- tischen Zusammenhang der innenpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Wolfgang Zeitlmann, im Oktober vergangenen Jahres die Bevölkerung, indem er gar den Bau von Zivilschutzbunkern anregte. Fällt den Kollegin- nen und Kollegen von der Union denn bei gesellschafts- schädlichem Verhalten immer nur die Straferhöhung ein? Eine geänderte sozialethische Bewertung, von der Sie im Entwurf sprechen – wenn dies überhaupt der Fall ist – muss doch nicht zwangsläufig zu schärferen Strafrechts- sanktionen führen. Meiner Auffassung nach stellt das Instrumentarium des § 126 StGB in seiner bestehenden Fassung ein ausrei- chendes Mittel dar. Es besteht kein Reformbedarf. Im Ge- genteil: Der § 126 StGB in seiner geltenden Fassung er- laubt eine flexible Antwort auf diese Art von Straftaten. Das hat die Behandlung der nach dem 11. September be- gangenen Straftaten durch Polizei und Justiz eindeutig ge- zeigt. Auch die vergangenen Jahre belegen, dass die Ge- richtsbarkeit, insbesondere im beschleunigten Verfahren, zu schnellen Urteilen kommt. Dabei ist der existierende Strafrahmen in keinem der Fälle nach oben hin ausge- schöpft worden. Außerdem erachte ich es als sehr wichtig in der Be- kämpfung des Trittbrettfahrerverhaltens, eine Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten so schnell wie möglich zu ahnden; eben das erlaubt erfah- rungsgemäß der § 126 StGB! Die vorliegenden Gesetzentwürfe sind deshalb alle- samt überflüssig und der Rechtsausschuss hat sie zu Recht abgelehnt. Wenn wir die beiden vorliegenden Gesetzent- würfe verabschieden würden, lägen die Strafrahmen des in § 126 StGB benannten Delikte dann teilweise unter oder gleich auf mit dem „Delikt der reinen Androhung“. Folgender Hinweis sei mir erlaubt: Das wäre schon allein rein handwerklich falsch! Des Weiteren hat die Erhöhung des Strafrahmens kei- nerlei Einfluss auf die letztendliche Entscheidung des Richters, und die Schwierigkeiten, den oder die Täter überhaupt zu ermitteln, bestehen weiterhin. Denn bei ei- nem absenderlosen Brief verlaufen die Ermittlungen meist im Sande. Wir alle sollten darauf hinarbeiten, dass dieses üble Verhalten nicht noch durch unangemessene Würdigung in den Medien belohnt wird. Ich empfehle Ih- nen, darüber einmal nachzudenken. Abschließend möchte ich noch kurz auf den vom Bun- desrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Strafprozessordnung eingehen: Wir begrüßen solche Ini- tiativen, die darauf abzielen, praktische Hemmnisse und Schwierigkeiten, die bislang möglicherweise eine breitere Anwendung des beschleunigten Verfahrens erschwert ha- ben, zu beseitigen. Bei der Einführung des beschleunigten Verfahrens wurde bewusst eine flexible Regelung ange- strebt: Die Hauptverhandlung ist danach gemäß § 418 Abs. 1 StPO „sofort oder in kurzer Frist“ durchzuführen. Die Einhaltung kürzerer Fristen sollte in erster Linie durch personelle, organisatorische und technische Maß- nahmen der Landesjustizverwaltung gewährleistet wer- den. Die Erforderlichkeit der im Entwurf vorgeschla- genen gesetzlichen Verankerung einer Frist für die Durchführung der Hauptverhandlung in § 418 Abs. 1 StPO von sechs Wochen zur Beseitigung von Hemmnissen und zu einer Vereinheitlichung der Anwendung des be- schleunigten Verfahrens wird im Rahmen der Arbeiten an einer umfassenden Reform des Strafverfahrens geprüft werden müssen. Zurzeit wird allerdings lediglich vom Oberlandesgericht Stuttgart eine enge Auslegung vorge- nommen, sodass von einem Novellierungsbedarf nicht gesprochen werden kann. Sowohl durch das Ergebnis der vom Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 7. Juni 2000 zu dem vor- liegenden Gesetzentwurf durchgeführten Sachverständi- genanhörung, als auch durch das abgegebene Votum des Rechtsausschusses sehe ich mich darin bestätigt, dass diese Prüfung unter sorgfältiger Abwägung des Für und Wider sowie unter Berücksichtigung der Gesamtkonzep- tion der Reform der Strafprozessordnung vorzunehmen ist. Teilregelungen bringen uns hier nicht weiter. Der Ent- wurf ist daher abzulehnen. Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Ich habe den Ein- druck, dass die Erinnerung an den 11. September bei den Koalitionsfraktionen von Tag zu Tag mehr verblasst. Be- dauerlicherweise gilt dies auch für den vorliegenden Ge- setzentwurf. Diese Haltung bedauere ich sehr, denn ich bin mir ganz sicher, dass die Bereitschaft unserer Mitbür- ger, anonyme Briefe gefüllt mit Puderzucker, Milzbrand- drohungen per Telefon oder falsche Notrufe lediglich als üblen Scherz abzutun und sie in irgendeiner Weise „lus- tig“ zu finden, auch ein dreiviertel Jahr nach dem 11. Sep- tember noch immer bei Null liegt. Wir als CDU/CSU-Fraktion und auch die unionsge- führten Bundesländer wollen gegen diejenigen, die man verharmlosend als „Trittbrettfahrer“ in der Öffentlichkeit bezeichnet, härter als bisher vorgehen. Wir wollen den Männern und Frauen, die einen Kick aus ihrer anonymen Macht gewinnen, indem sie ihre Mitbürger in Angst und Schrecken versetzen, ein klares Stopp-Signal setzen. Un- sere Botschaft ist ganz klar: Null Toleranz gegenüber Trittbrettfahrern! Ich hatte in der ersten Lesung, die zwei Monate nach dem 11. September in diesem Hause stattfand, die Hoff- nung, dass auch die Koalitionsfraktionen nicht nur ihre tiefe Betroffenheit zum Ausdruck bringen und markige Worte finden könnten, sondern auch die Kraft aufbringen würden, zu handeln, auch wenn die Initiative zu diesem Gesetzentwurf von der Union ausgegangen ist. Ich schloss im Dezember meine Ausführungen mit den Worten: „Un- sere Mitbürger erwarten es, dass wir bald den Trittbrett- fahrern dieses eindeutige Stopp-Signal setzen.“ Ich bin der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24371 (C) (D) (A) (B) festen Überzeugung, dass unsere Mitbürger dieses Stopp- Signal auch heute noch von uns erwarten. Die Union ist hierzu bereit. Leider steht die Union mit ihrer Bereitschaft zum Han- deln aber offenbar allein da. Dies gilt nicht nur im vorlie- genden Fall. Die Redebeiträge der anderen Fraktionen in der ersten Lesung ließen dies bereits vermuten. Dort fehlte es nicht an markigen Worten meiner Kollegen. Trittbrettfahrer müssten schnell gefasst und auch zügig vor Gericht gestellt werden. Die Härte des Gesetzes wurde damals beschworen, die sie spüren müssten. Auch dürften Trittbrettfahrer keine Nachsicht für sich in An- spruch nehmen und selbstverständlich müssten Polizei und Justiz unnachsichtig ihrer Aufgabe nachkommen. Ich will an dieser Stelle die Aufzählung nicht weiter fortset- zen. Entscheidend war schon damals, dass meine Kolle- gen nach diesen kraftstrotzenden Bekundungen trotzdem zur Quintessenz gelangten, dass überhaupt kein Grund zum Handeln bestehe. Der Strafrahmen reiche aus, mit den Urteilen der Gerichte sei man zufrieden und im Üb- rigen stände ein zivilrechtliches Instrumentarium zur Verfügung, um angemessenen Schadenersatz bis hin zu relativ hohen Schmerzensgeldern zu erlangen. Nach Auf- fassung der übrigen Fraktionen sei die Welt quasi in Ord- nung. Doch wäre die Welt in Ordnung, dann hätte es die vie- len Trittbrettfahrer nach dem 11. September nicht gege- ben, jedenfalls nicht als Massenphänomen. Zur ehrlichen und ungeschminkten Bestandsaufnahme zählt doch das Faktum, dass die bisherige Strafandrohung und die Praxis im Justizalltag offensichtlich nur unzureichend die er- hoffte Abschreckungswirkung entfaltet haben. Anders lässt es sich sonst kaum erklären, dass seit Einführung des Sondermeldedienstes für Milzbrandverdachtsfälle von Oktober 2001 bis Dezember 2001 über 4 000 Verdachts- fälle gemeldet wurden. Über Wochen lösten doch Tritt- brettfahrer Großeinsätze von Polizei und Feuerwehr aus, die ebenso unser aller Steuergeld kosteten wie die Unter- suchungen in den Speziallaboren. Die übrigen Fraktionen dieses Hauses mögen keinen Handlungsbedarf sehen und die Welt für in Ordnung hal- ten. Viele Bürger empfinden aber eindeutig den 11. Sep- tember auch in dieser Frage als Wendepunkt. Mag man früher vielleicht das ein oder andere Mal geneigt gewesen sein, ein wenig Nachsicht mit vermeintlich „üblen Scher- zen“ zu üben, so ist doch die Bereitschaft unserer Mitbür- ger seit dem Herbst letzten Jahres sicherlich bei Null angekommen und auch dort verblieben. Die Botschaft un- serer Mitbürger gegenüber Politik und Justiz ist klar und eindeutig: Null Toleranz gegenüber Trittbrettfahrern! Als Union haben wir im Bundestag wie im Bundesrat hieraus die Konsequenz gezogen und die beiden Gesetz- entwürfe eingebracht, die heute zur Abstimmung anste- hen. Wir wollen gegen diejenigen, die man verharmlo- send als Trittbrettfahrer bezeichnet, härter vorgehen. Wer in der gegenwärtigen Situation Straftaten androht oder vortäuscht, seine Mitbürger in Angst und Schrecken ver- setzt, Feuerwehrleute und Polizeibeamte bindet und diese damit von ihren eigenen Aufgaben abhält, der begeht kein Kavaliersdelikt mehr, sondern der entfaltet – ich sage dies ganz klar und eindeutig – eine kriminelle Energie, die hart bestraft werden muss. Unser Gesetzentwurf sieht daher vor, die Strafandro- hung des § 126 StGB zu erhöhen. Unser Entwurf bringt deutlich zum Ausdruck, dass Delikte von solch hoher Sozialschädlichkeit schwerer geahndet werden müssen, als dies der bisherigen Praxis entspricht. Bisher waren diese Taten im Höchstmaß mit geringerer Strafe bedroht als ein Ladendiebstahl nach § 242 StGB oder eine Sach- beschädigung nach § 303 StGB. Diese relativ geringen Höchststrafen hatten selbstver- ständlich zur Folge, dass die Gerichte, die selten die Höchststrafe verhängen, recht milde mit den Tätern um- gingen. Eine Abschreckungswirkung trat jedenfalls nicht ein. Selbst am 6. Dezember letzten Jahres verhängte das Amtsgericht Köln gegenüber zwei so genannten Milz- brand-Trittbrettfahrern – also wahrlich keine harmlose Sache – lediglich Geldstrafen in Höhe von 1 600 DM. Und es befremdet schon – um die allerhöflichste Formu- lierung zu wählen –, dass die Bundesregierung unserem Anliegen auf Erhöhung der Strafandrohung mit dem Hin- weis entgegentritt, die verhängten Verurteilungen zu Frei- heitsstrafen würden sich im unteren Bereich des Straf- rahmens bewegen, sodass bereits auf der Grundlage des geltenden Rechts noch viel Spielraum für die Verhängung weitaus höherer Strafen bestehe. Gerade diese unbefriedi- gende Praxis, die offensichtlich auch keine ausreichende Präventionswirkung entfaltete, ruft doch geradezu da- nach, den bisherigen § 126 StGB zu novellieren. Doch die Koalitionsfraktionen waren schon aus Prin- zip unwillig, sich mit unserem Gesetzesentwurf zu be- schäftigen. Herr Beck meinte in der ersten Lesung sich zu der Aussage versteigen zu müssen, dass die Befassung mit unserem Entwurf eine Zeitverschwendung für uns Parla- mentarier sei. Entlarvendere und sich selbst disqualifizie- rendere Äußerungen sind mir selten untergekommen. Die Unwilligkeit der Koalition hat den Bundeskanzler nicht gehindert, auf der Tagung der Staats- und Regie- rungschefs nach dem 11. September eine Erklärung zu un- terschreiben, dass „gegen die verantwortungslosen Perso- nen, die die derzeitige Situation ausnutzen, um falschen Alarm auszulösen, (...) die Mitgliedstaaten entschlossene Maßnahmen ergreifen werden, indem sie insbesondere Straftaten dieser Art streng ahnden“. Unsere europäischen Nachbarn, wie Großbritannien, haben daher reagiert und teilweise die Strafen für Trittbrettfahrer massiv angeho- ben. Doch in Deutschland wird dies durch die Koalition verhindert. Den populistischen Worten folgen keine Ta- ten. Eine harte Strafe und damit gleichzeitig das klare Stopp-Signal an tatgeneigte Trittbrettfahrer bleibt so- mit aus. Die Bürger haben jedoch die Chance, dies am 22. September zu ändern. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die so genannte Trittbrettfahrerei erlebte insbesondere in den Wochen nach den erschütternden Terrorakten vom 11. September 2001 eine gewisse Konjunktur. Es ist er- freulich, dass diese schlimme Begleiterscheinung, wie es mir scheint, in der letzten Zeit jedenfalls in Deutschland nicht mehr so häufig vorkommt. Aber unabhängig davon sind wir uns wohl alle einig: Vorgetäuschte Anthrax- Briefe oder unwahre Bombendrohungen sind kein Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224372 (C) (D) (A) (B) schlechter Witz Sie versetzen Menschen unnötig in Angst und Schrecken und sie verursachen extreme Kosten für das Gemeinwesen. Deshalb muss klar sein: Trittbrettfah- rerei verdient eine harte und zügige Bestrafung durch unsere Justiz. Genau das geschieht auch: Vereinzelte Ge- richtsentscheidungen in den vergangenen Wochen haben ja gezeigt, dass die geltende Rechtslage durchaus aus- reicht, um den Tätern angemessen und schmerzhaft ihr Unrecht vor Augen zu führen. Deshalb ist der Gesetzentwurf der Union schlichtweg überflüssig. Es ist ja bei der Union im Übrigen auch im- mer das selbe Ritual: Bei den Straftaten, die gerade in der Öffentlichkeit aus welchen Gründen auch immer – in aller Munde sind, fordert immer sogleich eine Erhöhung der Strafrahmen. Als ob das irgendetwas bringen würde! Sie sollten doch endlich mal ihre populistischen Reflexe ab- legen. Den Menschen nicht vorgauckeln, dass den Ge- richten in diesem Land angeblich der angemessene Straf- rahmen für die Ahndung dieser Delikte fehlt. Das stimmt einfach nicht. Ich kann nur sagen: Gesetzentwürfe dieser Natur sind schlichtweg unseriös und die Befassung damit ist eine Zeitverschwendung für uns Parlamentarier. Unser Strafgesetzbuch enthält – je nach den Umstän- den des Einzelfalles – für solche Trittbrettfahrer-Hand- lungen eine ganze Reihe von einschlägigen Straftatbe- ständen mit teilweise erheblichen Strafandrohungen: Der § 126 Abs. 1 beispielsweise bestraft eine Störung des öf- fentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten mit einer Höchststrafe von drei Jahren Gefängnis. Im Abs. 2 derselben Vorschrift wird die „friedensstörende Vortäu- schung der rechtswidrigen Tat eines anderen“ ebenso mit bis zu drei Jahren Haft bestraft. Diese Freiheitsstrafe kann auch demjenigen blühen, der nach §145 d Strafgesetzbuch eine Straftat vortäuscht. Der Straftatbestand der Bedro- hung im § 241 Strafgesetzbuch ermöglicht ebenfalls eine Haft bis zu einem Jahr. Oft sind gleich mehrere dieser Tat- bestände in Tateinheit verwirklicht. Außerdem blüht den Tätern ja nicht nur die strafrecht- liche Ahndung. Trittbrettfahrerei kann auch verdammt teuer werden. Denn neben den strafrechtlichen Konse- quenzen drohen den Trittbrettfahrern zivilrechtliche Schadensersatzansprüche und überdies die öffentlich- rechtliche Kostenersatzpflicht für den unbegründeten Einsatz von Polizei und anderen Behörden. Ich empfehle zum Beispiel da mal einen Blick in die diversen Polizei- gesetze der Länder, die insoweit sehr ausdrückliche Re- gelungen enthalten (zum Beispiel Art. 9 Abs. 1 BayPAG in Verbindung mit § 1 Nr. 1 ByPolKV). Das Problem bei der Trittbrettfahrerei ist also nicht die fehlende Sanktionsmöglichkeit, wie uns dies heute die Union erneut vorgaukeln will. Die Schwierigkeit besteht vielmehr für die Strafverfolgungsbehörden darin, der Tä- ter überhaupt habhaft zu werden. Denn bei einem absen- derlosen Brief, gefüllt mit Waschpulver, verlaufen die Er- mittlungen meist im Sande. Da hilft das Schrauben an der Strafrahmen-Schraube überhaupt nichts. Jörg van Essen (FDP): Das Unwesen der Trittbrett- fahrer ist leider nicht neu. Schon seit vielen Jahren erre- gen wir uns über Trittbrettfahrer, die in spektakulären Ent- führungsfällen versuchen, das Lösegeld zu erpressen. Im vergangenen Jahr hat das Problem im Zusammenhang mit den Milzbrandfällen eine neue, erschreckende Dimension erhalten. In unerträglicher Weise wird hier mit den Ängs- ten der Bürgerinnen und Bürger gespielt. Die Sicherheits- dienste werden dringend gebraucht, um der neuen Sicher- heitslage in Deutschland angemessen zu begegnen. Dieser Aufgabe können sie aber nur unzureichend gerecht werden, da viele Ressourcen für die immer neuen Ver- dachtsfälle gebraucht werden. Diese Einsätze sind nicht nur mit einem hohen Personalaufwand verbunden, son- dern darüber hinaus auch mit erheblichen Kosten. Der Staat muss gegenüber diesen Tätern angemessen reagieren. Trittbrettfahrer müssen die ganze Härte der Ge- setze zu spüren bekommen. Unsere Rechtsordnung sieht dafür mehrere Möglichkeiten vor. Zum einen können ge- genüber diesen Tätern Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden. Dies schließt auch die Kosten für den Einsatz von Polizei und anderen Behörden mit ein. Zum anderen gibt es im Strafrecht zahlreiche Tatbestände, die gegenüber Trittbrettfahrern zur Anwendung kommen können. Wir brauchen in diesen Fällen eine schnelle Ver- urteilung. Das beschleunigte Verfahren eignet sich hierfür besonders. Nur wenn die Strafe auf dem Fuße folgt, wird sie weitere Nachahmungstäter abschrecken. Verurteilun- gen zu mehrmonatigen Freiheitsstrafen ohne Bewährung sind der richtige Weg. Wichtig ist, dass hier die Bürgerin- nen und Bürger mit den Organen des Staates gemeinsam bekunden, dass das Vortäuschen einer widerwärtigen Straftat keinerlei Billigung durch die Gesellschaft erfährt. Die Medien können durch zurückhaltende Berichterstat- tung zusätzlich helfen. Aus Sicht der FDP sind die vorliegenden Gesetzent- würfe kein taugliches Mittel, um mögliche Täter abzu- schrecken. Allein die Erhöhung der Strafandrohung hat keinerlei Einfluss darauf, wie der Richter im Einzelfall tatsächlich entscheidet. Hier führt nur die schnelle Straf- verfolgung durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte zu dem beabsichtigten Erfolg. Die FDP wird die Gesetz- entwürfe daher ablehnen. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Die seit den Terroran- schlägen in den USA aufgetretenen Trittbrettfahrer haben zeitweise zu einer Verunsicherung der Bevölkerung ge- führt. Wir sind uns einig, dass solche Taten schnell und konsequent verfolgt werden müssen. Nur so kann der öf- fentliche Frieden gewährleistet und weitere Bedrohungen vermieden werden. Die Herausforderung, dass Trittbrettfahrer eine ange- spannte Sicherheitslage schamlos ausnutzen, um ihr uner- trägliches Spiel mit den berechtigten Sorgen der Bürge- rinnen und Bürger zu treiben, ist bestanden worden. Denn es hat sich gezeigt, dass Polizei und Justiz entschlossen sowie mit hoher Priorität gegen die Trittbrettfahrer vorge- gangen sind. Damit ist die von den Fraktionen aller Par- teien – außer der der CDU/CSU – vertretene Auffassung in der ersten Lesung bestätigt worden, dass das vorhan- dene Instrumentarium unseres Rechtsstaates ausreicht. Strafverschärfungen waren nicht notwendig, um gegen diese besonders perfide Art der Kriminalität vorzugehen. Trittbrettfahrer sind aufgrund des konsequenten Handelns Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24373 (C) (D) (A) (B) der Justiz zu keiner Massenerscheinung geworden. Sicher hat auch dazu beigetragen, dass neben und unabhängig von der strafrechtlichen Verfolgung die Trittbrettfahrer zudem für die Kosten der von ihnen ausgelösten Fehlalarme aufkommen mussten. Daneben waren einige von ihnen weiterhin mit zivilrechtlichen Klagen von ge- schädigten Bürgerinnen und Bürgern als auch von Firmen konfrontiert. Unmittelbar im Anschluss an die Terroranschläge am 11. September haben die Staatsanwaltschaften also dafür Sorge getragen, dass Verfahren gegen Trittbrettfahrer vor- dringlich behandelt werden. Dabei wurden – wenn dies möglich war – beschleunigte Verfahren durchgeführt. Da- mit sind wir auch bei dem zweiten zur Debatte stehenden Gesetzentwurf, der im Rechtsausschuss ebenfalls ohne Mehrheit blieb. Der Initiative zufolge sollten zukünftig zwischen dem Eingang des Antrags der Staatsanwalt- schaft bei Gericht und dem Beginn der Hauptverhandlung nicht mehr als sechs Wochen liegen. Obwohl dadurch schnell Rechtsklarheit in Sachen „beschleunigte Verfah- ren“ entstehen würde, stimmte die SPD diesem Vorschlag nicht zu, obwohl sie dem Antrag nicht grundsätzlich ab- lehnend gegenüber steht. Der Grund war folgender: Es sei nicht zielführend, das Strafprozessrecht durch „Insellösungen“ ändern zu wol- len. Besser sei es, das Problem im Rahmen der grundle- genden Strafrechtsreform mit anzupacken. Sicher sind komplexe und stimmige Lösungen besser als eine eilige Flickschusterei. Doch bei der vorliegen- den Initiative hätte ich es durchaus für angebracht ge- halten, das eine zu tun ohne das andere zu lassen. Denn nicht zuletzt die Trittbrettfahrerproblematik hat den Wert der beschleunigten Verfahren gezeigt. Jüngst haben sich die Regierungsfraktionen bei der Telefonüberwa- chung von Sexualstraftätern zu einer Vorablösung ent- schlossen. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Rede zurBeratung des Antrags: Weiterentwicklung ei- ner Biotechnologiestrategie für den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland (Tages- ordnungspunkt 13) René Röspel (SPD): Erst vor zwei Tagen wurde uns der in dieser Debatte zu behandelnde CDU-Antrag „Wei- terentwicklung einer Biotechnologiestrategie für den For- schungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland“ vorge- legt. Warum diese Eile? Weil der Antrag ehrlicherweise hätte heißen müssen: „Noch 101 Tage bis zur Bundes- tagswahl“. Es handelt sich um ein Sammelsurium illustr- er Forderungen, die wohl aus Wahlkampfgründen zusam- mengekratzt worden sind. Wir erleben hier in der Tat das, was der Opposition in vielen Politikbereichen passiert. Die CDU schafft es wieder einmal, aus einem Papieran- trag einen Bumerang zu machen, der sie hart treffen wird. Dieser Antrag gibt uns nämlich erneut die Gelegenheit, die Erfolge der rot-grünen Regierungspolitik zu themati- sieren und damit die Opposition ins Leere laufen zu las- sen; denn diese Regierung braucht sich in Fragen der För- derung von Bio- und Gentechnologie nun wirklich nicht zu verstecken. Dazu aber später mehr. Die Kürze der Zeit erlaubt es leider nicht, diesen neun- seitigen Antrag in allen Details zu behandeln – oder bes- ser gesagt: auseinander zu nehmen. Deshalb möchte ich zunächst auf eine der wenigen vernünftigen Aussagen des Antrages eingehen, aus denen man gemeinsame Positio- nen entwickeln könnte, wenn es der CDU nicht offenbar allein um Wahlkampf ginge. Wir sind uns sicher einig, dass wir klare Regelungen für die genetische Diagnostik brauchen, in der Medizin, aber auch im Bereich der Versicherungen und des Ar- beitsrechts. Dies entspricht auch den Empfehlungen der Enquete-Kommission, deren Abschlussbericht wir vor wenigen Stunden hier an diesem Ort diskutiert haben. Das Problem liegt aber – wie immer – im Detail. Deshalb ha- ben wir aus parlamentarischem Respekt vor der Enquete- Kommission zunächst deren Arbeit und Ergebnisse ab- warten wollen, bevor wir in die endgültige Erarbeitung eines Gesetzes gehen. Ich habe die Enquete-Mitglieder der CDU eigentlich auch immer so verstanden, dass diese Auffassung interfraktionell getragen wird. Warum dann aber – wenn nicht wegen des Wahlkampfes – Ihr heutiger Ruck-Zuck-Antrag? Beispielweise sind wir einig darin, dass jeder Mensch das Recht haben muss, seine genetische Disposition nicht zu kennen; Stichwort „Recht auf Nichtwissen“. Gleich- zeitig aber soll es jedem freigestellt werden, ob und wel- chen Tests er sich unterzieht. Was heißt das denn in der Konsequenz? Ungeregelter Zugang zu solchen Tests? Und wie kann dann das Recht auf Nichtwissen bei Tests geschützt werden, die auch Rückschluss auf die geneti- sche Konstitution von Familienangehörigen erlauben, wie zum Beispiel bei Morbus Huntington? In der Frage Stammzellforschung ist es bereits Han- deln der Bundesregierung, die Arbeit an adulten Stamm- zellen vorrangig zu behandeln und die nordrhein-westfä- lische rot-grüne Landesregierung ist es, die schon ein Projekt mit Affenzellen fördert. Auch hier hinkt die Op- position hinterher – oder handelt nicht glaubwürdig, denn viele der CDU-Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses Antrages wollten doch in den Abstimmungen der letzten Monate eigentlich viel mehr – bis hin zur Herstel- lung von Stammzellen aus Embryonen auch in Deutsch- land. Geradezu unverschämt ist der lange Absatz, in dem Sie fordern, „... das Verbot der Keimbahntherapie beizube- halten.“ Sie wollen offenbar den Eindruck erwecken, dass es an diesem Punkt Differenzen gibt. Bis auf Stimmen aus der FDP aber kenne ich niemanden, der so etwas fordert. Mit Rot-Grün jedenfalls wird es das nicht geben! Bei der „Grünen Gentechnik“ fordern Sie auf Seite 4 vernünftigerweise Transparenz und Kennzeichnung, auf Seite 8 dann die Straffung von Genehmigungsverfahren und die Vereinfachung des Gentechnikrechtes, natürlich „... ohne das bestehende Schutzniveau ... in Frage zu stel- len.“ So blind kann man doch auch in der Opposition nicht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224374 (C) (D) (A) (B) sein, dass diese Balance gerade auf europäischer Ebene schwierig ist. Und wenn wir den Anbau von gentechnisch verändertem Mais nicht zulassen, weil es ernst zu neh- mende wissenschaftliche Hinweise gibt, dass Schädlinge Resistenzen entwickeln und auch Nützlinge getroffen werden können, ziehen Sie Ihr im Kalten Krieg bewähr- tes – heutzutage aber völlig untaugliches – Ideologie-Ar- gument wieder aus der Tasche; es langweilt mittlerweile. Unterlegen Sie Ihre Aussagen doch mal mit wissenschaft- lichen Fakten. Dass Sie es sich sehr einfach machen, merkt man auch bei der Forderung, „... bei gentechnischen Veränderungen von Tieren ethische Aspekte ... und den Tierschutz zu ge- währleisten...“ Gentechnisch veränderte Tiere dürften nur dann in der Forschung und Landwirtschaft eingesetzt werden, fordern Sie, wenn feststehe, dass dies im Hin- blick auf Gesundheit und Wohlbefinden der Tiere vertret- bar ist – werden die Mäuse demnächst gefragt, wie sie sich fühlen? Unglaublich! Über Jahre hinweg verweigern Sie sich unserer Initiative, den Tierschutz ins Grundgesetz aufzunehmen. Angesichts der kommenden Wahlen stim- men sie dann vor einigen Wochen plötzlich doch zu, und jetzt kommen sie mit einem Vorschlag, der eine absolute Forschungsbremse darstellen würde. Da sich vermutlich nur die wenigsten gentechnisch veränderten Tiere „wohl- befinden“, wären Tierversuche nicht mehr möglich. Das ist völlig unrealistisch. Wäre das eine Formulierung von Rot-Grün, Ihre Forschungspolitiker würden heftigst pro- testieren. Unbelegt bleibt nach wie vor die Hoffnung, mit der sogenannten Ersten-Welt-Gentechnologie den Hunger bekämpfen zu können. Immerhin geben Sie auf Seite 8 ja endlich einmal zu, dass damit nicht „... die Vertei- lungsprobleme der Dritten Welt...“ gelöst werden kön- nen. Neu der Hinweis, über Gentechnologieprobleme des Alterns bekämpfen zu wollen. Es ist aber erst acht Tage her, dass der Forschungsausschuss in diesem Haus eine Anhörung zur Altersforschung gemacht und mit dieser Hoffnung aufgeräumt hat. Neu auch, dass Sie die Biotechnologie dadurch weiter- entwickeln wollen, dass das so genannte Scheinselbst- ständigengesetz abgeschafft werden soll. Ihnen ist für den Wahlkampf nichts zu schade. Sie sind für diesen Antrag mit dem groben Besen durch die Rumpelkammer Ihrer abgestandenen Vorschläge gegangen und haben alles zu- sammengefegt, was sich nur finden lässt. Aber Sie errei- chen Ihr Ziel nicht. Keine andere Bundesregierung kann auf dem Gebiet der Bio- und Gentechnologie so viele Erfolge nachwei- sen wie die rot-grüne. Während der Ex-Forschungsmini- ster Rüttgers das Amtszimmer von Kanzler Kohl jedes Mal mit gekürztem Etat verließ, gibt es unter der Leitung der Ministerin Bulmahn seit vier Jahren wieder Zu- wachs. In seiner Regierungserklärung hat der Bundeskanzler heute morgen deutlich gemacht, dass die Investitionen ge- genüber 1998 um 21 Prozent gestiegen sind. Ich brauche dies nicht mehr zu wiederholen. Deshalb hier nur stich- wortartig einige Beispiele dafür, dass viele Ihrer Forde- rungen schon längst erfüllt sind: Bereits im ersten Etat der Ministerin Bulmahn ist die Projektförderung um 10 Prozent gestiegen. Anfang 2001 verabschiedete das Bundeskabinett das Rahmenpro- gramm Biotechnologie mit Forschungsgeldern in Höhe von 800 Millionen Euro für fünf Jahre. Dazu kommen 180 Millionen Euro für das Genomforschungsnetz 90 Mil- lionen Euro wurden für ein Förderprogramm zur Bio- informatik zur Verfügung gestellt. Hätte Rüttgers solche Zahlen vorzuweisen gehabt, ihm wären vor Stolz geschwellter Brust die Jackenknöpfe weggeplatzt. In einem Punkt allerdings muss ich Sie bremsen. Da können wir wirklich nicht mitmachen. Der Gipfel der For- derungen im Abschnitt „Rote Gentechnik“ ist die Auffor- derung, die Bundesregierung möge ... den Rückstand der Therapien auf die Diagnostik so schnell wie möglich ver- ringern...“ Nun hat Bundeskanzler Gerhard Schröder wirklich viele Talente, und die Bundesregierung ist mit fähigen und kompetenten Ministerinnen und Ministern versehen, aber die Entwicklung von Therapien bleibt besser in den Händen der Forscherinnen und Forscher. Die finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen haben wir aller- dings dafür ausgebaut. Wir wollen die verantwortbaren Potenziale der Bio- und Gentechnologie entwickeln. Das geht nur, wenn ge- sellschaftliche Akzeptanz vorhanden ist. Anträge wie die- ser CDU-Antrag schaden mehr, als sie nutzen. Katherina Reiche (CDU/CSU): Mit dem Beschluss der EU-Regierungschefs auf dem diesjährigen Gipfel in Barcelona zur „European Life Science Strategy“ soll die Entwicklung der Bio- und Gentechnologie in Europa eine neue Perspektive erhalten. Ich frage mich nun: Wann und wie wird diese Strategie in Deutschland umgesetzt? Denn die Bio- und Gentechnologie ist eine Leittechnologie der nächsten Jahrzehnte mit zukunftsweisenden Entwick- lungschancen. Doch leider wurde die Debatte über Bio- politik in den letzten Monaten oft verkürzt. Mitunter scheint es, als ginge es ausschließlich um Stammzellen und Gentomaten. Es geht aber um so viel mehr, um Bioremediation, Pharmakogenetik, Antikörpertechnolo- gien, Bioelektronik, Tissue Engineering, nachwachsende Rohstoffe oder nährstoffreichere Lebensmittel. Mit den Erkenntnissen der Biowissenschaften verbin- den sich Hoffnungen und Chancen: Hoffnung auf die Ent- wicklung neuer Medikamente und Chancen für Fort- schritt und für positive Effekte am Arbeitsmarkt. Neue technologische Entwicklungen müssen früh erkannt wer- den und – wo diese Perspektiven eröffnen – gefördert werden. Dabei ist es die Aufgabe der Politik, den wissen- schaftlichen Fortschritt auf verantwortbare Weise zu er- möglichen. Gleichzeitig ist es notwendig – insbesondere im medizinischen Bereich –, die ethischen Grenzen auf- zuzeigen. Forschung ohne Fortschritt ist nicht möglich. Das muss auch die rot-grüne Bundesregierung erkennen. Deshalb hat die Politik die Aufgabe, diesen Fortschritt zu ermöglichen und ihn für die Zukunft nutzbar zu machen. Genau das ist der Kern unseres Antrages. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24375 (C) (D) (A) (B) CDU und CSU haben bereits in den 90er-Jahren mit der Novellierung des Gentechnikgesetzes und dem Bio-Regio-Wettbewerb die Voraussetzungen für eine po- sitive Entwicklung der Biotechnologie in Deutschland ge- schaffen. Diese veränderten Rahmenbedingungen haben in der Folge zu einer wahren „Gründerzeit“ geführt: Der Technologietransfer aus universitären Forschungseinrich- tungen in junge Start-up-Unternehmen hat zugenommen, in der Biotechnologiebranche ist ein selbstbewusstes Unternehmertum entstanden und die Akzeptanz der Bio- technologie in der Öffentlichkeit ist insgesamt deutlich gewachsen. Vor wenigen Monaten hat der Deutsche Bundestag die Regelung für den Import humaner embryonaler Stamm- zellen beraten. Dies war keine leichte Entscheidung. Sinn und Zweck des Gesetzes ist es, dem menschlichen Leben von Anfang an Ehrfurcht entgegenzubringen und den Schwerkranken die gebotene Hilfe nicht zu verweigern. Wissenschaftler haben nun die Möglichkeit, sich an der Setzung internationaler Standards zu beteiligen. Nach drei Jahren müssen wir das Gesetz dahin gehend prüfen, ob sich die neuen Rahmenbedingungen bewährt haben. Die Biotechnologiepolitik der rot-grünen Bundesre- gierung hat erkennbare Schwächen und ist in sich nicht konsistent. Anstatt zentrale Querschnitts- und Schlüssel- felder, wie die Bioinformatik, gezielt zu fördern, werden sie leider zu spät oder zu wenig unterstützt. Bereits jetzt werden jährlich etwa 800 bis 1 000 zusätzliche Bioinfor- matiker benötigt – und der Bedarf steigt weiter! Als führende Exportnation hat Deutschland eine be- sondere Verantwortung, sich in die europäische Diskus- sion aktiv einzubringen und vor allem auf nationaler Ebene entsprechende Umsetzungsstrategien zu ent- wickeln. Es macht jedoch keinen Sinn, auf der einen Seite Forschungsprojekte zu fördern und auf der anderen Seite den Marktzugang der daraus entstandenen Produkte zu verzögern oder zu blockieren. Ebenso wenig Sinn macht es, einerseits von der zunehmenden Bedeutung der Gen- und Biotechnologie als Innovationsmotor zu sprechen und andererseits alles zu tun, um diesen Motor abzu- bremsen. So hat die rot-grüne Bundesregierung die grüne Gentechnik sträflich vernachlässigt, ja, stiefmütterlich be- handelt. Wo Entwicklungsperspektiven gefragt sind, werden diese aus ideologischen Gründen nicht weiterverfolgt. Die Akzeptanz in der Bevölkerung für rote Gentechnik ist hoch; immerhin befürworten 87 Prozent der EU-Bür- ger die biotechnische Herstellung von Medikamenten. Das ist verständlich, denn die Menschen wollen am me- dizinischen Fortschritt teilhaben. Laut einer Allensbach- Umfrage vom Oktober 2001 befürworten 79 Prozent der Befragten den Einsatz der Gentechnologie zur Heilung schwerer Krankheiten. 46 Prozent begrüßen die Immuni- sierung von Pflanzen gegen Schädlinge und Krankheiten. Diese Zahlen spiegeln eine große Aufgeschlossenheit wi- der, die auch Rot-Grün zur Kenntnis nehmen muss. Da- neben besteht ein allgemeiner Konsens in der Ablehnung von Keimbahntherapien und denn Klonen von Menschen. Die CDU befürwortet ausdrücklich die Zeichnung der Bioethik-Konvention. Wir sehen darin einen wichtigen Schritt in die Richtung eines einheitlichen und hohen eu- ropäischen Schutzniveaus. Zudem sehen wir in der Kon- vention einen entscheidenden Beitrag dafür, dass Maß und Mitte, Menschlichkeit und Menschenwürde gewahrt bleiben. Sonst wird Zukunftsangst an die Stelle von Zu- versicht treten. Deshalb sage ich Ihnen: Denken Sie in ganzheitlichen Lösungen, denken Sie über den rot-grünen Tellerrand hinaus! Es wäre nicht zu verantworten, wenn das Land der Dichter und Denker und Naturwissenschaft- ler und Ingenieure zum Land der Zögerer und Zauderer wird. „Wer jedes Risiko ausschalten will, der zerstört auch alle Chancen“, so der ehemalige Präsident des BDI, Hans- Olaf Henkel. Wenn Deutschland seine führende Rolle in- nerhalb der europäischen Biotechnologieindustrie selbst- bewusst behaupten will, sind weitere Anstrengungen durch die Bundesregierung notwendig. Wichtig ist ein Klima, in dem neue Ideen und Innovationen entstehen können. Schule und Ausbildung können dazu einen großen Beitrag leisten. Junge Menschen sind bereit, Neues zu lernen, und technischen Neuerungen gegenüber aufgeschlossen. Diese Neugierde gilt es zu fördern – ins- besondere im naturwissenschaftlichen Bereich. So ist der naturwissenschaftlich interessierte Abiturient vielleicht schon der selbstständige Biotech-Unternehmer von mor- gen. Heute stellen wir jedoch fest, dass in der Biotechnolo- gie ein eklatanter Mangel an Nachwuchskräften besteht. Diesen Engpass beobachten wir nicht nur bei Wissen- schaftlern, sondern auch bei Laboranten und Technikern. Bislang gibt es nur punktuelle Maßnahmen, aber kein ab- gestimmtes nationales Konzept. Was Deutschland drin- gend braucht, ist die Förderung des naturwissenschaftli- chen Nachwuchses. Der Biotechniksektor ist ein dynamischer Arbeitsmarktbereich: Waren 1999 etwa 8 100 Menschen in der biotechnologischen Forschung und Entwicklung tätig, waren es im Jahr 2001 bereits über 14 000 Beschäftigte. Es bestehen keinerlei Zweifel, dass auf diesem Gebiet in den nächsten Jahren weitere Beschäftigungsmöglich- keiten entstehen werden. Um die Potenziale der Bio- und Gentechnologie in marktreife Produkte und innovative Forschungslösungen umzusetzen, kommt es auf positive Standortfaktoren an. Dazu zählen Wagniskapital, günstige steuerliche Rahmenbedingungen und unkomplizierte Ge- nehmigungsverfahren. Daneben müssen Wissenschaft und Wirtschaft in einen offenen Dialog treten, um offen- siv und möglichst breit miteinander kommunizieren zu können. Die Akzeptanz in der Öffentlichkeit ist eine ent- scheidende Voraussetzung für die Nutzung der Biotech- nologie. Die Akzeptanz steigt insbesondere dann, wenn dem Verbraucher die viel versprechenden und zukunfts- fähigen Entwicklungsmöglichkeiten vermittelt werden können. Was tut Rot-Grün? Im „Bericht der Arbeits- gruppe zur Reorganisation des gesundheitlichen Verbrau- cherschutzes“ heißt es, dass die Hauptaufgabe des neu zu gründenden Bundesinstituts für Risikobewertung „die Durchführung der Risikobewertung... im Bereich der Le- bensmittelsicherheit“ ist. Ich frage mich: Warum gründen Sie kein Institut für Chancenbewertung? Muss der Bürger denn immer nur vor potenziellen Gefahren geschützt wer- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224376 (C) (D) (A) (B) den? Hat er kein Recht darauf, sich über Potenziale und Chancen zu informieren? Hat Politik nicht die Aufgabe, auch für Chancen zu werben? In einer wissensbasierten Gesellschaft ist Stillstand Rückschritt. Es geht daher um die Frage, ob Zurückhal- tung und Skepsis die Möglichkeiten und Herausforde- rungen dominieren sollen. Hubert Markl, der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, gibt uns folgende Erkennt- nis mit auf den Weg: „Weder wird es uns jemals möglich sein, jene Art von Wissen zu erlangen, die auch die Zu- kunft vorhersehen lässt. Noch werden wir jemals alles wissen, was wir benötigen, um die Herausforderungen der Zukunft zu bestehen, denn die Zukunft entwickelt sich unerschöpflich neu und niemals gänzlich vorhersag- bar.“ Umso dringender braucht die moderne Bio- und Gentechnologie in Deutschland daher einen verlässli- chen Rahmen, der Fortschritt ermöglicht und Prosperität sichert. Helmut Heiderich (CDU/CSU): Die Biotechnologie in Deutschland wurde von der CDU/CSU-Fraktion ent- scheidend vorangebracht. Das Gentechnikgesetz 1990 legte die Grundlagen. Mit dem Bio-Regio-Wettbewerb wurde ab 1996 der entscheidende Durchbruch erzielt. Kein Wunder, dass der erste Deutsche Biotechnik-Report im Jahr 1998 eine breite Aufbruchstimmung in dieser neuen Schlüsseltechnologie der nächsten Jahrzehnte ver- melden konnte. An der weltweiten Spitzenforschung, zum Beispiel der Entschlüsselung des menschlichen Genoms oder der Sequenzierung des ersten Pflanzengenoms, wa- ren deutsche Universitäten und Forschungsinstitute führend beteiligt. Zahlreiche Start-ups gingen als Neu- gründungen daraus hervor. Unter Rot-Grün ist jedoch der politische Elan zur brei- ten Unterstützung der Biotechnik erloschen! Zwar hat das BMBF, insbesondere mit UMTS-Mitteln, versucht, einige erfolgreiche Ansätze fortzusetzen; das Gesamtkonzept ging jedoch verloren. Die Zersplitterung der Zuständig- keit auf weitere Ministerien brachte dazu ein Übriges. Insbesondere im Bereich der grünen Biotechnik ist die Bundesregierung in sich zerstritten. Bei der Modernisie- rung der gesetzlichen Rahmenbedingungen liegt Deutsch- land inzwischen um Jahre hinter der Europäischen Union zurück. Dazu nur einige Beispiele: Die Biopatent-Richtlinie wird seit 1998 ein ums andere Mal verschoben. Auch in die- ser Woche stand sie wieder auf der Tagesordnung des Plenums und wurde von Rot-Grün abgesetzt. Die Fort- schreibung der Systemrichtlinie, das ist die Regelung gen- technischer Laborarbeiten, wurde zwar jetzt endlich umge- setzt, aber die Regelungen sind wesentlich bürokratischer und die Genehmigungsvorschriften wesentlich ausufernder formuliert worden als im übrigen Europa. Damit entstehen für die deutschen Forscher und die anwendende Industrie neue Wettbewerbsnachteile gegenüber der EU und der übrigen Welt. Die Kennzeichnungsregelungen hat Ministe- rin Künast zwar beim Europäischen Rat begrüßt, tut aber nichts, sie praktikabel in deutsches Recht umzusetzen. Gleiches gilt für die Festlegung von Grenz- bzw. Schwel- lenwerten, ohne die eine praktische Nutzung von grüner Biotechnik in Deutschland nicht möglich ist. Der vom Kanzler auf der EXPO 2000 versprochene Durchbruch für ein breites Anbauprogramm in der deutschen Landwirt- schaft wurde über Nacht wieder einkassiert. Durch die nach wie vor einseitig orientierte, ideolo- gisch ausgerichtete Risiko-Diskussion wird von Rot-Grün die Forschung blockiert, die Wissenschaft frustriert, wer- den die Investoren düpiert und die Unternehmen strangu- liert. Hubert Markl hat es kürzlich in der „Zeit“ vom 29. Mai 2002 treffend formuliert. Die deutsche Gesell- schaft liebe die Wissenschaften, solange nichts dabei her- auskomme, was gewohnte Verhältnisse radikal verändern könne, „Aber wehe, wenn Gentechnik in Pflanzenzucht, Nahrungsproduktion, Diagnostik oder Therapie von Krankheiten die gottgegebenen Pfad urgroßelterlicher Verhältnisse verlässt“. Die Bundesregierung tut vieles, diese negative Tendenz zu verstärken. So hat Ministerin Künast über ein halbes Jahr hinweg die Öffentlichkeit über das wirkliche Meinungsklima in Deutschland ge- genüber der Gentechnologie getäuscht. Eine entspre- chende Studie des IFD Allensbach wurde von ihr unter Verschluss gehalten. Die Studie kommt zum Ergebnis, dass es eine „wachsende Akzeptanz der Gentechnologie“ in Deutschland gibt. Das passt Künast nicht ins Konzept. Verkündet sie doch allenthalben, die große Mehrheit der Bevölkerung sei gegen die Biotechnologie, insbesondere die grüne Gentechnik. Der druckfrische Biotechnik-Report 2002 deutet zu- mindest zwischen den Zeilen an, dass die Branche inzwi- schen in eine Phase der Stagnation geraten ist. Wenn die Politik nicht umgehend die notwendigen rechtlichen Rah- menbedingungen setzt, wird sich der Exodus in und aus Deutschland deutlich verstärken. Während die Europäische Union eine Strategie für die Zukunft der Biotechnologie gerade beschlossen hat, während Europäisches Parlament und Europäische Kom- mission die Fortschreibung der Rahmenbedingungen auf breiter Ebene forciert haben, während andere Länder aus dem sechsten Forschungsrahmenprogramm erhebliche Mittel für die Fortentwicklung – insbesondere auch der grünen Gentechnik – abrufen, dümpelt die Biotechnik un- ter Rot-Grün in Deutschland vor sich hin. CDU/CSU setzen deshalb mit der Gesamtstrategie für eine erfolgreiche Zukunft der Biotechnik in Deutschland einen neuen Meilenstein. Je schneller wir dieses Konzept in die parlamentarische, politische und wirtschaftliche Umsetzung bringen, desto größere Chancen hat unser Land, in der Biotechnik eine führende Position zu behal- ten, wirtschaftliche Leistungskraft und neue Arbeitsplätze zu gewinnen. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Entwicklung biotechnologischer Forschungen und gen- technischer Verfahren in vielen Bereichen der Medizin, Landwirtschaft und Nahrungsmittelherstellung stellt un- sere Gesellschaft vor neue Herausforderungen bei der Be- wertung und der Entscheidung über den Einsatz dieser Technologien. Bündnis 90/Die Grünen unterstützen mit Nachdruck den öffentlichen Diskussionsprozess zu den Antworten, die auf die ethischen, ökologischen, sozialen, ökonomischen und juristischen Fragen gefunden werden müssen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24377 (C) (D) (A) (B) Bei diesen Bewertungen und Entscheidungen lassen wir uns von folgenden Grundsätzen leiten: Wahrung von Menschenwürde, Menschenrechten und des Rechtes auf Selbstbestimmung, Sicherheit für Mensch und Umwelt, Verbesserung der Heilungschancen kranker Menschen und Anerkennung der Vielfalt des menschlichen Daseins, Schutz der Umwelt, der Biodiversität und Achtung des Tierschutzes, Transparenz und Demokratie in den Ent- scheidungsprozessen, Vielfalt der Ansätze in Forschung und Politikberatung und Wahrung des Selbstbestim- mungsrechts auf ein gentechnikfreies Leben, Schutz der gentechnikfreien Produktion und Lebensmittelerzeu- gung. Auf der Grundlage des rot-grünen Koalitionsvertrages werden Biowissenschaften und -technologien verantwor- tungsvoll weiterentwickelt: Die Bundesregierung hat mit ihrer Technologie- und lnnovationsförderung die Voraus- setzungen für mehr Wachstum und Beschäftigung in der Biotechnologiebranche geschaffen. Die Anzahl der deut- schen Biotechnologie-Unternehmen hat im Jahr 2001 im Vergleich zum Vorjahr weiter um 10 Prozent, die der Be- schäftigten um 35 Prozent zugenommen. Mit zusätzlichen Mitteln von 180 Millionen Euro für das nationale Ge- nomforschungsnetz bis Ende 2003 haben wir ein deutli- ches Signal für Innovationen gesetzt. Damit ist Deutsch- land im europäischen Vergleich führend bei der staatlich geförderten Genomforschung, weltweit liegt es an zwei- ter Stelle. Ein weiterer wichtiger Meilenstein, der maßgeblich die Arbeitsbedingungen in den Forschungslabors be- stimmt, ist mit der Novellierung des Gentechnikgeset- zes im Mai dieses Jahres erreicht worden. Einerseits werden Vorsorge und Sicherheit gestärkt und die Auf- sichts- und Kontrollmöglichkeiten der zuständigen Länderbehörden verbessert. Gleichzeitig nimmt das neue Gentechnikgesetz dort, wo es verantwortbar ist, Verfahrensvereinfachungen und -beschleunigungen vor. Das entlastet Anwender und Behörden gleicher- maßen und kommt den Interessen von Forschung und Wissenschaft entgegen. Mit dem Stammzellgesetz, das ab dem 1. Juli dieses Jahres in Kraft tritt und der Empfehlung der Enquete- Kommission, „Recht und Ethik der modernen Medizin“ folgt, wird das hohe Schutzniveau des Embryonenschutz- gesetzes sichergestellt. Nur solche menschlichen embryo- nalen Stammzellen dürfen importiert werden, die am 1. Januar dieses Jahres bereits existierten. Dadurch schließen wir aus, dass zukünftig durch den Import – di- rekt oder indirekt – weitere Embryonen getötet werden. Weiter wird verhindert, dass irgendwo auf der Welt Em- bryonen für deutsche Forschungszwecke getötet werden. Weiter wird verhindert, dass irgendwo auf der Welt Em- bryonen für deutsche Forschungszwecke getötet werden. Die Stammzellen, die nach dem neuen Gesetz importiert werden dürfen, existieren bereits und die Entscheidung über das Leben dieser Embryonen ist irreversibel gefal- len. Es bleibt weiterhin verboten, Embryonen zu For- schungszwecken herzustellen, zu töten und zu verwen- den. Der Import darf nur genehmigt werden, wenn das damit verfolgte Forschungsvorhaben hochrangig und al- ternativlos ist, das heißt nicht auf anderem Wege, zum Beispiel mit tierischen oder adulten Zellen, verfolgt wer- den kann. Damit wird sichergestellt, dass auch in Zukunft der Schwerpunkt der Forschungsförderung bei den adul- ten Stammzellen liegt. Nicht zuletzt wurde im Zuge der Entwicklung dieses Gesetzes eine breite gesellschaftliche Debatte auf sachlichem und hohem Niveau geführt. Aus- druck demokratischer und verantwortungsbewusster Selbstverständigungsprozesse. Im Bereich der grünen Gentechnik stehen bei uns die Verbraucherinnen und Verbraucher im Mittelpunkt. Eine neue Technologie kann nicht gegen den Willen der Ver- braucher eingeführt werden. Daher setzen wir uns für die Sicherung eines hohen Schutzniveaus für die Verbraucher ein. Konkret bedeutet dies: die Verbraucher sollen erken- nen können, in welchen Lebensmitteln und Produktions- prozessen genmanipulierte Stoffe enthalten sind. Dies wollen wir durch eine klare Kennzeichnung erreichen. Wir begrüßen daher die Vorschläge der Europäischen Kommission über Rückverfolgbarkeit, Kennzeichnung und Zulassung genetisch veränderter Lebens- und Futter- mittel. Sie sind ein wichtiger Schritt in die richtige Rich- tung, auch wenn derzeit noch Änderungsbedarf besteht, insbesondere für die Schwellenwerte. Der anhaltende Konflikt über die Nutzen und Risiken der grünen Gentechnik macht deutlich, dass wir einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über die Grüne Gen- technik brauchen. Daher hat das Verbraucherministerium den „Grünen Diskurs“ ins Leben gerufen, an dem sowohl Wissenschaftler als auch verschiedene Verbände beteiligt sind. Ziel dieses Diskurses ist eine breit angelegte Debatte über Nutzen und Risiken der grünen Gentechnik sowie die Entwicklung von Rahmenbedingungen. Im Zuge der Umsetzung der umstrittenen Biopatent- Richtlinie in nationales Recht sind wir in der inhaltlichen Diskussion bis heute sehr weit gekommen, selbst wenn diese erneut in der nächsten Legislaturperiode auf der Ta- gesordnung steht. Im Kernbereich – der Reichweite der Stoffpatente – konnten wir keine Einigung mit dem Jus- tizministerium erzielen. Die Position der Grünen, die sich auf Vorschläge des Vizepräsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Wolfrum und Prof. Stoll vom Max-Planck-Institut für Ausländisches Öffent- liches Recht und Völkerrecht stützt, sowie auf Argu- mente von Patentanwälten wie auch der Enquete-Kom- mission, der Kirchen und der Umweltverbände beruht, sieht vor, Patentansprüche auf Gene und Gensequenzen auf deren Funktion zu beschränken. Die materielle Reichweite dieser Lösung bezieht alle Patente ein. Der Gesetzesvorschlag der Koalitionsfraktionen um- fasst rückwirkend auch die Vielzahl von Altanträgen, die seit Mitte der 90er-Jahre gestellt und noch nicht von den Patentämtern entschieden worden sind. Denn mit diesen Altanträgen, die sozusagen „nur“ auf dem Auffinden und Isolieren eines Gens beruhen und damit Anspruch auf alle möglichen Funktionen eines Gens erheben, wäre bereits der größte Teil der „genetischen claims“ des Humange- noms abgesteckt. Eine solche umfassende Patentierung würde die weitere Forschung, die Innovation und wirt- schaftliche Entwicklung unangemessen einschränken und ist ethisch nicht zu akzeptieren. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224378 (C) (D) (A) (B) Die vom Bundesjustizministerium vorgeschlagene Be- grenzung des Stoffpatentes auf den Geltungsbereich Deutschlands würde dazu führen, dass beim Deutschen Patentamt keine Anträge mehr gestellt und damit die In- tention des Gesetzes unterlaufen würde. Wir bedauern, dass es trotz vieler guter konsensualer Einigungspunkte gerade im Bereich der Pflanzen und Tiere keine ausrei- chende Zeit mehr für eine Lesung des noch strittigen Punktes gegeben hat und werden die Diskussion in der nächsten Legislaturperiode weiterführen. Ingesamt gilt: Die rot-grüne Bundesregierung betreibt eine erfolgreiche Strategie zur Entwicklung der Biotechnologie – die ja zum größten Teil nicht gentechnische Arbeiten umfasst. Dies lässt sich am Wachstum dieses Bereichs ebenso ab- lesen wie an den – anders als während der Regierungszeit der CDU/CSU/FDP– erheblich angestiegenen Haushalts- mitteln. Ulrike Flach (FDP): Die EU-Kommission hat bereits vor einem halben Jahr ein sehr lesenswertes Papier vor- gelegt, in dem eine europäische Biotechnologiestrategie umrissen wird. Der vorliegende Antrag, den wir in weiten Teilen unterstützen können, fordert eine kohärente und abgestimmte nationale Biotechnologiestrategie für Deutschland. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen ha- ben in dieser Legislaturperiode immer wieder gegentei- lige, sich diametral widersprechende Signale an die Wis- senschaftler und Unternehmer der Biotechnologiebranche gegeben. Beispiel eins: Für die Förderung der Pflanzengenom- forschung gibt das BMBF circa 16 Millionen Euro aus. Aber wenn es an die Zulassung genetisch veränderter Pflanzen geht, blockiert Ministerin Künast. Sie hat das Bundessortenamt angewiesen, bei der Zulassung einer gentechnisch veränderten Maissorte keine Genehmigung auszusprechen. Eine ähnliche Situation hatten wir bereits im Jahr 2000 mit Ministerin Fischer. Sie fördern die Grundlagenforschung, aber verstopfen die Anwendung. Ja, es ist noch grotesker: Sie mauern auch auf europä- ischer Ebene, wo es nur geht, obwohl Sie gleichzeitig über die Mitfinanzierung des 6. Forschungsrahmenprogramms auch die grüne Gentechnik fördern. Beispiel zwei: Ich habe in dieser Woche an der Grün- dung des Gesprächskreises „Biologische Sicherheitsfor- schung“ teilgenommen, die das Institut für Organisations- kommunikation im Auftrag des BMBF durchgeführt hat. Interessanterweise haben sich SPD und Grüne bei diesem wichtigen Feld einer vorsorgenden und begleitenden For- schung nicht sehen lassen. Bei dieser Gelegenheit habe ich erfahren, dass das BMBF beispielsweise 125 000 Euro jährlich für Versuchsfelder zum Anbau von gentechnisch verändertem Mais, Kartoffeln und Raps in Dahnsdorf in Brandenburg ausgibt. Diese Felder werden von Chaoten zerstört und die Forschung so zurückgeworfen. Beispiel drei: Die Novellierung des Gentechnikgeset- zes, basierend auf neuen Richtlinien der EU, sollte eine spürbare Deregulierung für gentechnische Arbeiten in La- bors bringen. Die Bundesregierung hat daraus ein Verre- gelungsgesetz gemacht, das umfangreiche Dokumentati- ons- und Meldepflichten vorsieht – von Entlastung keine Spur. Beispiel vier: Die Biopatent-Richtlinie, die eigentlich heute beraten werden sollte, ist zwischen SPD und Grü- nen so umstritten, dass Sie das Vorhaben endgültig aufge- geben haben. Die Umsetzung ist zwei Jahre überfällig, für die Wissenschaft und die Industrie besteht Rechtsunsi- cherheit und Sie hinterlassen einen Scherbenhaufen. Beispiel fünf: Wir haben eine jahrelange Debatte über die Zulässigkeit des Imports von und der Forschung an embryonalen Stammzellen geführt, die letztlich mit ei- nem Minimalkonsens geendet hat. Die Deutsche For- schungsgemeinschaft und Spitzenforscher in Deutschland mussten auf die quälende Langsamkeit der politischen Entscheidungsträger warten. So geht der Forschung für die Entwicklung von Therapien für schwere Krankheiten wertvolle Zeit verloren. Die Biotechnologie ist nicht nur wirtschaftlich eine Boombranche. Als Forschungspolitikerin ist mir der Boom des Wissens über die Gene als Bausteine des Le- bens noch wichtiger. Die Biotechnologie erweitert unse- ren Wissenshorizont beachtlich. Die Bundesregierung verhält sich hier wie Dr. Jeckyll und Mr. Hyde, widersprüchlich und inkonsistent. Damit gefährden Sie die beeindruckenden Erfolge auf dem Ge- biet der deutschen Forschung und beim Aufbau einer na- tionalen Biotechnologieindustrie. Wir halten deshalb eine strategische Richtungsentscheidung für dringend geboten. Wolfgang Bierstedt (PDS): Obwohl der vorliegende Antrag sich folgerichtig an die biotechnologischen Akti- vitäten der Bundesregierung anzuschließen scheint, kön- nen wir ihn nicht unterstützen. Wir sind nicht der Mei- nung, dass die Gentechnologien eine Schlüsselrolle bei der Lösung der globalen Probleme wie Alter, Gesundheit, Ernährung und Umwelt spielen. Bestenfalls werden sie ei- nen Beitrag dazu leisten. Die Bio- und Gentechnologien wurden von 1999 bis 2002 vorrangig öffentlich gefördert. Ihre Förderung stieg bis 2001 um 6,4 Prozent, ab 2001 um weitere 27,6 Prozent an. Der Bund hat zwischen 1998 und 2001 rund 2,377 Mil- liarden Euro für biotechnologische Forschung ausgege- ben, die Länder seit 1995 etwa 962 Millionen Euro. Allein 2002 werden dafür circa 676,55 Millionen Euro vom Bund ausgegeben; siehe Drucksache 14/8949, Seite 79 bis 84. Die deutschen Biotech-Unternehmen haben bei För- derwettbewerben, Ausgründungen, Spin-offs usw. daran en masse partizipiert. Statt weiterer Deregulierungsmaß- nahmen sind eindeutige Reglungen zu einem Privat-Pu- blic-Partnership auch seitens großer Unternehmen erfor- derlich. Den größten Anteil an der Biotechnologieförderung haben inzwischen Fördermittel für Gentechnologie- forschung. Die Gesundheitsforschungsmittel kommen mehrheitlich Genomforschung, Biomedizin und klini- scher Forschung zugute. Der Wandel zu einer gen- fokussierten Gesundheitsforschung basiert auf dem Pos- tulat des Gendeterminismus und der Erhebung der Genetik zur Leitwissenschaft. Allein industrie- und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24379 (C) (D) (A) (B) machtpolitische Absichten zur Konkurrenzfähigkeit des Pharmabereiches gegenüber Großbritannien und den USA sowie Erwägungen zur Gestaltung eines ima- ginären „Volks“-Körpers zur Abhilfe einer möglichen „zivilisatorischen Degenration“ scheinen wesentlich. Zur Akzeptanzbeschaffung für die umfangreiche öffent- liche Förderung werden vielfältige Heilungschancen bei monogenetischen und multifaktoriellen Krankheiten vorgespielt. Dies stößt bei vielen Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftlern – auch aus der Genomforschung – auf Kritik. Zum Beispiel meint Professor André Rosenthal aus Jena, dass die Genomforschung vieler Jahrzehnte Förderung be- darf, um nach einer Funktionsanalyse des Genoms even- tuell zur Unterstützung der Diagnostik beizutragen. Ob sich aber überhaupt jemals Therapien durch das Wissen um das menschliche Genom ableiten lassen, sei ungewiss. Im Prinzip wäre meines Erachtens für einen ersten Schritt die forschungspolitische Konzentration auf die monogenetischen Krankheiten ausreichend. Forschung an multifaktoriellen Krankheiten, zum Beispiel Herz- Kreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen oder Alz- heimer, sollten ganzheitlich nach medizinischen, sozialen, sozialpsychologischen, umweltbedingten und anderen Aspekten angelegt sein. Ebenso vorsichtig muss der Umgang mit Forschungs- ergebnissen der „grünen“ Gentechnik erfolgen. Langfris- tig angelegte Laborversuche müssen gesetzlich Vorrang haben vor einer durch die Industrie profitmotivierten Frei- setzung,von genmanipuliertem Saatgut, Mikroorganis- men oder Ähnlichem sowie begleitenden Freisetzungs- monitorings, um mittel- und langfristig bisher nicht absehbare Folgewirkungen für Natur, Pflanzen, Tiere und Menschen explizit auszuschließen. Biopatente müssen auf die erfinderische Leistung beschränkt bleiben und dürfen nicht auf Teile des menschlichen Körpers, von Tie- ren oder Pflanzen ausgedehnt werden. Wir halten es für ausreichend, an Stammzellen tieri- schen Ursprungs sowie menschlichen adulten Stammzel- len zu forschen. Das neue Stammzellgesetz torpediert meines Erachtens das Embryonenschutzgesetz, weil es seinen nächsten Öffnungsschritt geradezu herausfordert. Die Biotechnologie ist ein wesentliches Gebiet der in- ternationalen Forschungszusammenarbeit mit Transfor- mations-, Schwellen- und Entwicklungsländern. Bei den konkreten Verschuldungsproblemen dieser Länder ist aber die Forschungskooperation in der Biotechnologie nachrangig, die bedingungslose Schuldenstreichung durch die lndustrieländer vorrangig. Sie ist die eigentliche Voraussetzung für die dortige Entwicklung. Dann muss mit einer massiven Anhebung des Förder- mittelumfangs seitens der Industrieländer ein umfassen- der Beitrag zur materiellen, finanziellen und personellen Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur in diesen Ländern geleistet werden. Denn die Industrieländer schulden diesen Ländern deren Entwicklung. Mit neoko- lonialer Ausbeutung und Ausnutzung von Finanzmacht haben sie jahrzehntelang den Grundstein für das Arten- sterben, die Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser sowie anhaltende Armut gelegt. Ein angemessener Bei- trag der Bundesrepublik wäre eine internationale Vorrei- terrolle bei der völligen Schuldentilgung und der Initiie- rung eines forschungspolitischen Entwicklungspro- gramms nach den Bedürfnissen dieser Länder statt einseitiger, interessengeleiteter Forschung in der Biotech- nologie. Wolf-Michael Catenhusen Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Natürlich freuen wir uns, wenn die Opposi- tion unsere Förderstrategie stützt und bestätigt. In der Bio- technologie läuft sie damit nun aber wirklich offene Türen ein. Wir haben die Forschungsförderung im Biotech- nologie-Titel von 119 Millionen Euro im Jahr 1998 auf 243 Millionen Euro im Jahr 2003 hochgefahren. Das ist eine Steigerung von über 100 Prozent. In diesem Bereich dürfen Sie die angekündigte Verdoppelung der Investitio- nen in Bildung, Forschung und Wissenschaft ganz wört- lich nehmen. Gleichzeitig haben wir mit dem neuen Rahmenpro- gramm ein umfassendes, strategisch abgestimmtes För- derkonzept vorgelegt und die Weichen für die Förderung der Bio- und Gentechnologie in den nächsten Jahren ge- stellt. Zu den wichtigsten Förderbereichen des Pro- gramms gehören der Aufbau des Nationalen Genomfor- schungsnetzes und strukturelle Maßnahmen zur Unterstützung junger, forschender Biotechnologieunter- nehmen. Ganz oben auf der Tagesordnung steht aber auch die Nachwuchsförderung und die Umsteuerung der Bio- technologie in Richtung Nachhaltigkeit. Im Biotechnologieprogramm werden in den nächsten Jahren über 800 Millionen Euro für die Projektförderung zur Verfügung stehen. Hinzu kommen 180 Millionen Euro für das Nationale Genomforschungsnetz aus dem Verkauf der Mobilfunklizenzen. Natürlich werden wir uns bemühen – und dies dann hoffentlich auch mit der Unter- stützung der Opposition – diesen großen innovativen Schub auch in den kommenden Jahren zu finanzieren. Mit der Etablierung des Nationalen Genomforschungs- netzes setzt die Bundesregierung eine Kernaktivität ihres Zukunftsinvestitionsprogramms um. Mit diesem Maßnah- menpaket wird die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf einem der wichtigsten Zukunftsfelder in Wissenschaft und Wirtschaft nachhaltig gestärkt. Gleichzeitig verfolgt die Bundesregierung damit ihr forschungspolitisches Kernziel: Forschung für den Menschen. Fünf Krankheits- bereiche, die viele Menschen betreffen, sollen erforscht werden: Herz-Kreislauf, Krebs, Erkrankungen des Ner- vensystems, umweltbedingte Erkrankungen, Infektionen und Entzündungen. Ethische, soziale und rechtliche Fra- gestellungen der Genomforschung integrieren wir dabei. Wir haben die besten Arbeitsgruppen und Forschungsein- richtungen, die fortgeschrittensten Technologien und die dafür notwendige interdisziplinäre Forschungsexpertise aus Biologie, Medizin, Physik, Mathematik, Chemie und den Ingenieurwissenschaften gebündelt. Mit einer Pro- jektförderung von über 400 Millionen Euro setzt sich Deutschland damit in den kommenden drei Jahren europa- weit an die Spitze der staatlichen Förderung in der Ge- nomforschung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224380 (C) (D) (A) (B) Mit den Programmen „Biochance“ und „Bioprofile“ – um zwei Beispiele zu nennen – fördern wir gezielt For- schungsarbeiten junger Unternehmen und deren Koopera- tion mit der Wissenschaft. Für beide Programme werden in den nächsten Jahren über 100 Millionen Euro zur Verfü- gung gestellt. Natürlich haben wir auch längst das Schlüs- selfeld Bioinformatik entdeckt. Im Rahmen der „Ausbil- dungs- und Technologieoffensive Bioinformatik“ werden sechs Bioinformatik-Kompetenzzentren gefördert, um den eklatanten Mangel an Bioinformatikern zu beheben. Auch die innovativen neuen Gebiete der Biotechnologie wie die Proteomforschung, das Tissue-Engineering oder die Sys- tembiologie worden von uns aufgegriffen und gezielt ge- fördert. Deutsche Forschergruppen liegen in der Proteom- forschung mit an der Weltspitze. Das BMBF fördert diesen zukunftsträchtigen Bereich umfassend. Allein im Jahr 2001 wurden über 40 Millionen Euro Fördergelder neu be- willigt. Gene, Proteine und kleine Moleküle werden künf- tig im Zusammenhang betrachtet. Und vom neuen Förder- programm „Systembiologie“ wird ein entscheidender Schritt von der beschreibenden Biologie hin zu einem ganzheitlichen Systemverständnis der Lebensprozesse er- wartet. Hier liegt ein Schlüssel für maßgeschneiderte Me- dikamente der Zukunft. Durch abgestimmte Existenzgründungs- und For- schungsprogramme ist es der Bundesregierung gelungen, die Gründung von Biotechnologiefirmen in Deutschland erfolgreich zu stimulieren. Die deutsche Biotechnologie- branche ist mittlerweile in einen dynamischen Wachs- tumsprozess übergegangen. Das enorme wissenschaftli- che Potenzial in Deutschland, das nur darauf wartete, von Unternehmern in vermarktungsfähige Produkte, Techno- logien und Konzepte umgesetzt zu werden, wird heute besser verwertet als je zuvor. In der von der Consulting- firma Ernst & Young eng definierten Kern-Biotech-Indus- trie wurden im vergangenen Jahr in Deutschland 3 735 neue Arbeitsplätze geschaffen, insgesamt wurden über 14 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt; das sind 35 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch beim Gesamt- umsatz erzielten die deutschen Kernunternehmen ein Wachstum von 33 Prozent und erreichten mit 1 045 Mil- lionen Euro erstmals die Größenordnung von einer Milli- arde. Unsere Unternehmen haben im Produktbereich inzwischen viel zu bieten. Nach Angaben der Geneh- migungsbehörden befinden sich über 90 mit biotechnolo- gischen Methoden hergestellte Wirkstoffkandidaten in der klinischen Prüfung. Nachdem die Hauptnachricht des letzten „Ernst & Yo- ung Biotechnologie-Reports“ war, dass Deutschland, ge- messen an der Zahl der Biotechunternehmen, die europä- ische Spitze erreicht hat, lässt sich heute sagen, dass deutsche Unternehmen auch qualitativ aufholen. Ein Be- leg für diese Einschätzung ist der Erwerb amerikanischer und britischer Biotechnologieunternehmen durch deut- sche Firmen. Ein Vorgang, der noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Die rasante Entwicklung der Biotechnologiefirmen in Deutschland wurde durch eine erhebliche Steigerung der strategischen staatlichen Förderung flankiert. Damit setzt die Bundesregierung ein deutliches Signal für die Ent- wicklung der Lebenswissenschaften in Deutschland, für mehr Ursachenforschung und eine bessere Vorbeugung gegen Krankheiten, aber auch für neue Therapie- und Be- handlungsmöglichkeiten. Nach Einschätzung des Fach- dialogs „Beschäftigungspotenzial im Bereich Bio- und Gentechnologie“ des BMBF zum Bündnis für Arbeit wird sich die Zahl der Arbeitsplätze bei den Kern-Biotechnolo- gieunternehmen in Deutschland innerhalb von sieben bis zehn Jahren verfünffachen. Im gleichen Zeitraum kann durch eine verstärkte Diffusion der Biotechnologie in be- troffenen Branchen die Zahl der Arbeitsplätzen von heute etwa 220 000 auf über eine halbe Million anwachsen. Bei allen möglichen Anwendungen der modernen Bio- und Gentechnologie steht aber immer der Mensch im Vor- dergrund. Deshalb hat die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in jedem Fall Vorrang. Dies gilt in besonderem Maße für die gentechnischen Anwendungen in der Land- wirtschaft sowie im Nahrungs- und Lebensmittelbereich. Wir werden hier eine hinreichende Risikovorsorge si- cherstellen. Gegen einen kommerziellen Anbau gentechnisch verän- derter Pflanzen existieren vielfältige Sicherheitsbedenken, die eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung in Frage stel- len. Darüber hinaus hat die BSE-Problematik zu einem Umdenken über die Bedingungen der Nahrungs- und Le- bensmittelproduktion geführt. Wir werden daher die Agrar- politik konsequent auf die Bedürfnisse der Verbraucher ausrichten und überzeugende Antworten auf die gestiege- nen Anforderungen an den Gesundheits- und Umwelt- schutz geben. Die Bundesregierung trägt dem Rechnung und verfolgt sowohl in der grünen Gentechnik als auch in der Ernährungsforschung verbraucher- und vorsorgeorien- tierte Ansätze. So werden die bei der grünen Gentechnik die Anstrengungen in der Sicherheitsforschung zur Freiset- zung gentechnisch veränderter Organismen verstärkt. Bei der Sicherheitsforschung stehen daher erstmals die Metho- denentwicklung für ein anbaubegleitendes Monitoring und ein Kommunikationsmanagement im Mittelpunkt. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und technischen Möglichkeiten der Biotechnologie führen zu neuen Op- tionen für Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Förderpalette der Bundesregierung trägt dieser Heraus- forderung voll Rechnung. Entsprechend des Titels des Biotechnologieprogramms nutzen und gestalten wir die Chancen der modernen Bio- und Gentechnologie. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Keine Vorzugsbe- handlung der Deutschen Post AG bei der Um- satzsteuer (Tagesordnungspunkt 15) Dieter Grasedieck (SPD): Seit der Novelle zum Postgesetz ist das Land NRW und das Finanzministerium einer Meinung. Für Ihren Wahlkampf wäre der Krach be- grüßenswert. Schön, dass Sie Pech haben. Nein, in Ihrem Antrag geht es um Ihr Postgesetz vom 1. Januar 1998. Es geht um Fragen: Braucht die Post Steu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24381 (C) (D) (A) (B) ervorteile? Braucht die Post Planungssicherheiten? Hier sagen wir: Auf Gesetze und Verordnungen müssen sich die Unternehmer und Bürgerinnen und Bürger verlassen können. Die Postdienste müssen 2007 aus folgenden Gründen steuerfrei bleiben: Erstens. Die Deutsche Post AG erfüllt soziale Dienste. Sie befördert unsere Briefe und Zeitschriften von München zur Hallig Hooge an die Nordsee. Sie befördert Zeitungen und Pakete von Bottrop zur Jausenstation in 1 600 Meter Höhe in den Alpen. Unsere Post ist verpflichtet, diese Lie- ferungen flächendeckend in ganz Deutschland vorzuneh- men. Hierzu zählen Standardbriefe bis 200 Gramm ebenso wie Päckchen bis 2 000 Gramm. Die Universaldienstleistung umfasst fast den ganzen Postsektor, Briefsendungen bis 2 000 Gramm, Pakete bis 20 Kilogramm, Zustellungen von Zeitungen und Zeit- schriften, Einschreiben, Eil-Nachnahmen und Wertsen- dungen, Briefkästen, Postfilialen sowie werktägliche Zu- stellungen. Die Deutsche Post AG ist verpflichtet, diese Leistungen zu erbringen. Hier fallen Kosten an, die sonst kein Wettbewerber hat. Diese Aufgaben wollen und können die privaten Anbieter nicht übernehmen. Es findet faktisch kein Wettbewerb statt. Die Vertreter vom Paketzusteller UPS winken ab und sagen, wie die Zeitungen berichten: „Diese Aufga- benbereiche zählen nicht zu unserem Geschäft.“ Die Deutsche Post AG hat natürlich auch einen gewerblichen Bereich. Dort kann sie Umsatzsteuer erheben. Diese Um- satzsteuer wird an die Finanzverwaltung abgeführt. Zweitens. Deutschland benötigt ein flächendeckendes Dienstleisternetzwerk. Nur die Post bietet in 12 000 Post- stellen ihre Arbeit an. In meinem Wahlkreis Bottrop, Gladbeck und Dorsten haben wir zum Beispiel 20 Postfi- lialen. Auch diese Kosten rechtfertigen ein Steuerprivileg. Welcher private Kurierdienst würde beispielsweise in Dörfern im Münsterland oder im Allgäu diese Dienste für den Bürger absichern? Die Umsatzsteuerfreiheit der Deutschen Post AG hat nicht nur Vorteile. Erforderliche Materialien sind beim Einkauf natürlich nicht vorsteuer- abzugsberechtigt. Dies benachteiligt die Post in Teil- märkten, in denen private Anbieter auftreten können. Drittens. Die Postgebühren werden von der Regie- rungsbehörde festgelegt. Für unsere Bürgerinnen und Bürger soll die Versendung von Briefen noch bezahlbar bleiben. Was würde geschehen, wenn die Deutsche Post AG auf Leistungen im Universaldienstleistungsbereich 16 Prozent Mehrwertsteuer zahlen müsste? Unsere Bür- gerinnen und Bürger müssten die Rechnung bezahlen. Da sagen wir Nein. Viertens. Die Liberalisierung verläuft im Übrigen exakt nach Plan. Warum wollen Sie diese Planungen stören? Ist es vielleicht reiner Wahlkampf um jeden Preis? Bis Ende des Jahres darf nur die Post in Deutschland Briefe bis 200 Gramm und Massensendungen bis 50 Gramm beför- dern. Ab 2003 können Briefe über 100 Gramm und ab 2006 Briefe über 50 Gramm auch bei der Konkurrenz auf- gegeben werden. Konkurrenten wie UPS schätzen: „Unser Marktanteil wird sich etwas erhöhen, der Anteil der Post wird aber im- mer über 90 Prozent liegen.“ Die Post entwickelt sich heute schon in Europa weiter. Die Post kann mit ihrem großen Netz auch in anderen europäischen Ländern auf Kundenfang gehen. Diesen Vorteil haben die Konkurren- ten nicht einkalkuliert. Die Post ist gut für den Wettbe- werb gerüstet. Warum wollen Sie diese Planung stören? Fünftens. Unsere Post braucht Planungssicherheit; vor allem, weil alle staatlichen Postunternehmen in der EU keine Umsatzsteuern zahlen. Das Briefmonopol ist ver- traglich in den EU-Richtlinien verankert. Das gilt EU-ein- heitlich bis 2007. Die EU-Kommission hat im Sommer 2001 den Antrag „Ungleichbehandlung im Wettbewerb“ mit der Post AG abgelehnt. Wir haben in Europa eine europaweite Richtlinie. Auch deshalb ist die Übergangs- zeit bis 2007 für unsere Post erforderlich. Sechstens. Unsere Post braucht auch Planungssicher- heit, weil 300 000 qualifizierte Postangestellte uns auch in Zukunft Tag für Tag mit Briefen beliefern wollen. Sie stel- len nicht die Frage: „Was geschieht, wenn die Umsatz- steuerfreiheit wegfällt?“ Ich sage Ihnen: Sie reduzieren die sozialen Aufgaben der Deutschen Post AG. Das Briefporto wird teurer. Sie gefährden weiterhin 300 000 Arbeits- plätze. Unser Fazit ist: Die Postdienste müssen bis 2007 umsatzsteuerfrei bleiben. Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Es geht heute um die Vorzugsbehandlung der Deutschen Post AG bei der Umsatzsteuer. Im Kern aber geht es darum, dass im Ge- gensatz zu der optimistischen und von Aufbruchstim- mung gekennzeichneten Privatisierungspolitik unserer Regierung in den 90er-Jahren die gegenwärtig noch re- gierende Mehrheit entgegen öffentlicher Beteuerungen tiefe Skepsis gegen die Leistungsfähigkeit einer wettbe- werblichen Marktordnung hegt. In Sonntagsreden loben sie zwar Marktwirtschaft und Wettbewerb, in Wirklichkeit aber verteidigen sie jeden Millimeter staatlicher Regulierung und versuchen mit al- lerlei Tricks, die früheren staatlichen Monopole, die nun- mehr in private Gesellschaften in staatlichem Besitz ge- wandelt sind, vor echtem Wettbewerb zu schützen. Der einzige Bereich, in dem nennenswerte Vorstöße zur Privatisierung gemacht worden sind, belegt zugleich, dass sie nicht aus innerer Überzeugung in die Überlegenheit ei- ner Wettbewerbsordnung bereit sind, Privatisierungs- schritte zu gehen, sondern nur angesichts der Finanznot ih- res Finanzministers: Ich meine den Verteidigungsbereich. Hier war man bereit, Privatisierungsvorhaben anzuschie- ben, um deren vermeintliche Dividenden zugleich im Haushalt zu vereinnahmen und damit die Haushaltsnöte des Defizitministers Eichel zu lindern. Damit der frühere vermeintliche Musterschüler keinen blauen Brief erhält, halten sie in diesem Bereich trotz besserer Erkenntnis an der Einplanung ihrer Mondgewinne fest. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass nach Bekanntwerden der ungewöhnlichen Einzel- weisung des Bundesfinanzministeriums an das Finanzmi- nisterium des Landes Nordrhein-Westfalen öffentlich so- fort gemutmaßt wurde, hier sei seitens des Anteilseigners mit Blick auf einen geplanten Börsengang der Versuch der Kurspflege mit hoheitlichen Mitteln gestartet worden. Ebenso wenig verwundert die Tatsache, dass die gleiche Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224382 (C) (D) (A) (B) Person als Aufsichtsrat einer privaten Aktiengesellschaft in Staatsbesitz zugleich durch hohheitliche Weisung auf das Unternehmen Einfluss nimmt, dem er nach den recht- lichen Regelungen des Aktiengesetzes verpflichtet ist. Sie dürfen sich auch nicht wundern, in Anbetracht ih- res ansonsten an den Tag gelegten Verhaltens, dass eine solche Mutmaßung in der Welt ist. Stichwort UMTS-Li- zenzen: Natürlich haben hier die Unternehmen der Tele- kommunikationsbranche auf dem Höhepunkt des Neuer- Markt-Hypes schließlich selbst für Lizenzzahlungen in astronomischer Höhe gesorgt. Erkennbar war aber auch, dass es Ihnen von vornherein nicht um eine schnelle Auf- schließung einer neuen Technologie für unser Land geht, sondern darum, Kasse zu machen. Das ist Ihnen auch ge- lungen, fast 100 Millarden DM haben sie damals verein- nahmt. Sie haben damit aber den Markt so viel an Kapital entzogen, dass die Einführung der neuen Technik ins Stocken geraten ist, weil schlicht das Kapital zum Aufbau der Infrastruktur fehlt. Dass Sie bei dieser Gelegenheit wegen der Verluste, die die Telekommunikationsfirmen nunmehr machen, und der damit verbundenen Steueraus- fällen einmal mehr aus anderer Leut’ Leder Riemen ge- schnitten haben, sei nur noch am Rande erwähnt. Sie haben darüber hinaus hier im konkreten Bereich der Postversorgung durch die Ablehnung der Preissen- kung für den Standardbrief sowie die Verlängerung der Exklusivlizenz bis zum 31. Dezember 2007 alle ent- täuscht, die auf weitere Liberalisierungsschritte hofften. Ihr Verhalten in dem unserem Antrag zugrunde liegenden Fall belegt dies einmal mehr. Die Bundesregierung hat wörtlich ausgeführt, dass es sich bei der Auslegung der Umsatzsteuerbefreiungsvorschrift um eine Rechtsfrage handele, die sicherlich kontrovers diskutiert werden könne. Die Tatsache, dass die Bundesregierung in einem solchen Fall zugunsten des Monopols entscheidet, belegt einmal mehr, was ich nun an verschiedenen Themen auf- gezeigt habe: Dem Wunsch, Kasse zu machen, und tief- sitzenden Bedenken gegen das Marktgeschehen werden die Grundsätze einer ordnungspolitisch sauberen Wettbe- werbspolitik geopfert. Nun ist es unstreitig so, dass der Übergang von den staatlichen Monopolen auf eine privatwirtschaftliche Ordnung nicht in jedem Punkt klar prognostizierbar war und insofern mit unbestimmtem Rechtsbegriffen befrach- tet ist, die der Auslegung bedürfen. Der Grundsatz, dass derjenige, der für die flächendeckende Postversorgung verpflichtet wird oder verpflichtet werden kann, hierfür eine Entschädigung zu erhalten hat, ist unstreitig. Hierfür bietet sich nach dem gegenwärtigem EU-Regelwerk die Befreiung von der Umsatzsteuerpflicht an, auch wenn es hier eher wohl nur zufällig so sein kann, dass die Kosten der Versorgungsverpflichtung unbeschadet der jeweiligen Höhe der jährlichen Umsätze immer bei etwa 16 Prozent dieser Umsätze liegen. Für die CDU/CSU-Bundestags- fraktion ist es aber völlig klar, dass der Exklusivbereich, also die Briefe bis 200 Gramm, umsatzsteuerfrei zu stel- len sind. Die streitbefangene Einzelweisung des Finanzminis- ters regelt den Bereich der Universaldienstleistungen, wo wir bereits einen Wettbewerb haben und es aus der Sicht der CDU/CSU nicht nachzuvollziehen ist, dass dem ehe- maligen staatlichen Monopolisten hier die steuerliche Pri- vilegierung gewährt wird. Unser Appell geht deshalb an das gesamte Hohe Haus, die Bundesregierung aufzufor- dern, diese Einzelweisung zurückzunehmen und auf die- sem Wege für einen fairen Wettbewerb im Universal- dienstleistungsbereich eine Bresche zu schlagen. Darüber hinaus erwarten wir, dass die Bundesregierung durch klare Regelungen dafür sorgt, dass der Anschein oder die tatsächlich vorhandene Interessenkollision zwischen der Bundesregierung als hoheitlichem Akteur auf der einen und Aktieninhaber auf der anderen Seite eindeutig been- det wird. Lassen Sie mich zum Abschluss einen Appell an Sie alle richten: Legen Sie ihre Skepsis gegenüber der Leis- tungsfähigkeit wettbewerblicher Strukturen ab. Wir alle haben doch in den zurückliegenden Jahren gerade erst er- lebt, dass die von unseren Ministern Dr. Christian Schwarz-Schilling und Wolfgang Bötsch durchgeführten Privatisierungsschritte eben nicht den Zusammenbruch der flächendeckenden Versorgung bewirkten. Im Gegen- teil: Wir alle haben eine Explosion der Leistungsspektren im Telekommunikationsbereich und sinkende Preise für den Kunden erlebt. Dies war ein Lehrstück, unmittelbar dem volkswirtschaftlichen Kompendium entnommen, das noch nicht so lange zurückliegt, als dass die Erinne- rung daran verblasst sein könnte. Haben Sie Mut zu einer freiheitlichen Wettbewerbsordnung in unserem Lande! Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Be- reits die Überschrift des CDU/CSU-Antrags signalisiert die Behauptung, dass die Deutsche Post AG eine Vor- zugsbehandlung bei der Umsatzsteuer erhält. Dabei geht der politisch vorgezeichnete Weg, das ehemalige Mono- polunternehmen Post in einen funktionsfähigen Wettbe- werbsmarkt zu überführen, auf die Regierungszeit der CDU/CSU/FDP-Koalition zurück. Das Postgesetz sieht eine befristete Übergangszeit bis 2007 vor. Im Jahr 2002 befinden wir uns also mitten im Übergangszeitraum, um funktionsfähigen Wettbewerb in allen Bereichen nach und nach zu verwirklichen. Im Rahmen des dritten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes wird derzeit seitens der Bundesregierung die Absicht verfolgt, die Exklusivlizenz der Deutschen Post AG weiter einzuschränken. Danach soll dem Unternehmen ab 2003 bis Ende 2005 das aus- schließliche Recht zustehen, Briefsendungen und adres- sierte Kataloge, deren Einzelgewicht bis 100 Gramm und deren Einzelpreis weniger als das Dreifache des Preises für entsprechende Postsendungen der untersten Ge- wichtsklasse beträgt, gewerbsmäßig zu befördern. In den Jahren 2006 und 2007 wird die Exklusivlizenz auf 50 Gramm weiter eingeschränkt. Damit ist der Weg zur Auflösung der letzten Monopolbereiche vorgezeichnet. Mit dieser Zeitachse korrespondiert die Behandlung der Frage: Welche Dienstleistungen der Post sind umsatz- steuerfrei bzw. umsatzsteuerpflichtig? Die Deutsche Post AG hat zurzeit das ausschließliche Recht, Briefsendungen und adressierte Kataloge, deren Einzelgewicht weniger als 200 Gramm beträgt, gewerbsmäßig zu befördern (Ex- klusivlizenz). Alle Postdienstleistungen, die nicht der Ex- klusivlizenz unterliegen, sind hingegen dem Wettbewerb geöffnet. Es gibt deshalb das Recht von privaten Anbie- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24383 (C) (D) (A) (B) tern auch im Bereich der so genannten Universaldienst- leistungen (Briefe von 200 Gramm bis 2 000 Gramm, Pakete bis 20 Kilogramm und bestimmte Zeitungen und Zeitschriftenversand) mit der Deutschen Post AG zu kon- kurrieren. Unabhängig von diesem Recht, den Wettbewerb sei- tens der privaten Unternehmen zu eröffnen bzw. zu ver- stärken, besteht seitens der Post weiterhin die Pflicht, in jedem Winkel der Republik die Universaldienstleistungen zu erbringen. Der konkrete Umfang des Universaldienstes ist nicht im Postgesetz selbst festgelegt; vielmehr über- lässt es § 11, Abs. 2 PostG der Bundesregierung Inhalt und Umfang des Universaldienstes festzulegen. Deshalb ist im Rahmen der Post-Universaldienstleistungsverordnung vom 21. Dezember 1999 festgehalten, welche einzelnen Dienstleistungen zum Universaldienst gehören. Mit dem 2. Postgesetz vom 30. Januar 2002 wurde klargestellt, dass die Deutsche Post AG den Universaldienst zu er- bringen hat. Die Umsatzsteuerbefreiung umfasst nicht nur alle Postdienstleistungen, die die Deutsche Post AG auf- grund der so genannten Exklusivlizenz erbringt, sondern auch alle Umsätze, die zu den so genannten Universal- dienstleistungen nach der Postuniversaldienstleistungs- verordnung (PUDLV) zählen. Alle Dienstleistungen außerhalb dieser Vorordnung sind umsatzsteuerpflichtig (zum Beispiel der Verkauf von Briefpapier, Briefum- schlägen etc, oder auch die Veräußerung von Anlagege- genständen der Deutschen Post AG). Die Frage der Umsatzsteuerbefreiung der Deutschen Post AG spitzt sich auf die Universaldienstleistungen zu, die sich bereits im Wettbewerb mit anderen privaten An- bietern befinden. Eine teilweise Ungleichbehandlung der Wettbewerber, insbesondere in den lizenzierten Bereichen, wird vom EG-Recht hingenommen, um im stufenweisen Übergangszeitraum vom Monopol zum funktionsfähigen Wettbewerb Universaldienstleistungen für alle Bürger in allen Winkeln oder Teilen der Republik zu gewährleisten. Diese Gewährleistungsaufgabe ergibt sich aus Art. 87f Abs.1 Grundgesetz, nach dem der Bund in Ausprägung des Sozialstaatsgebots im Bereich des Postwesens flächen- deckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen sicherstellen muss. Diese Aufgaben erfüllt die Deutsche Post AG mit erheblichen Kosten. Ihre privaten Wettbe- werber müssen sich dieser Aufgabe nicht stellen. Deshalb kann die Umsatzsteuerbefreiung der Post für alle Universaldienstleistungen im Verhältnis zu den Wett- bewerbern zeitlich befristet bis zum Ende des Monopol- zustandes vertreten werden. Hinzugefügt werden muss, dass die Deutsche Post AG durch die Umsatzsteuerbefrei- ung selbstverständlich auch keinen Vorsteuerabzug in den Geschäftsbereichen der Universaldienstleistungen gel- tend machen kann. Deshalb sind wettbewerbsrelevante Unterschiede, die in Verbindung mit dem Privileg der Umsatzsteuerbefreiung stehen, auf die Wertschöpfung des Unternehmens beschränkt. Politisch kann kräftig darüber gestritten werden, ob der Katalog der Universaldienstleistungen beschränkt werden soll oder ob kürzere Laufzeiten der Exklusivlizenz der Deutschen Post AG frühzeitiger funktionsfähigen Wettbe- werb bringen. Richtschnur muss hierbei auch die Entwick- lung eines funktionsfähigen Wettbewerbs im europäischen Binnenmarkt auf dem Gebiet der Postdienstleistungen sein. Wir wollen gleiche Wettbewerbsbedingungen in der EU, deshalb ist der stufenweise Aufbau von Wettbewerbsstruk- turen bis 2007 angemessen. Rainer Funke (FDP): Die FDP stimmt dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zu. Wir haben stets gefordert, dass die Deutsche Post AG bei der Umsatzsteuer keine Vorzugsbehandlung genießen soll und dies auch stets mit ordnungspolitischen Überlegungen begründet. Ziel jeder Postpolitik der FDP ist es, freien Wettbewerb am Postmarkt zu erreichen. Das setzt die Aufhebung des Postmonopols voraus und macht deutlich, dass Post- dienstleistungen keine Dienstleistungen besonderer Art sind, sondern am Markt im Wettbewerb erbracht werden sollen. Das setzt automatisch voraus, dass alle Wettbe- werber am Markt gleich zu behandeln sind. Diese Gleich- behandlung muss sich auch auf Steuern und insbesondere auf die Umsatzsteuer beziehen. Dies ergibt sich auch aus dem Gebot, gegenüber dem Staat für Wettbewerbsneutra- lität zu sorgen. Wir werden uns daher nach dem 22. September dieses Jahr dafür einsetzen, dass erstens das Postmonopol auf- gehoben wird, zweitens alle am Postmarkt tätigen Unter- nehmen gleich behandelt werden und drittens alle am Markt tätigen Postunternehmen denselben steuerlichen Bedingungen unterliegen. Dies ist im Interesse der Verbraucher, aber auch im In- teresse der Post AG. Denn schließlich ist nur ein solches Unternehmen auf Dauer leistungsfähig, das sich im Wett- bewerb behaupten muss. Heidemarie Ehlert (PDS): Es ist schon ein interes- santer Lebenssachverhalt, den die CDU/CSU-Fraktion zum Anlass genommen hat, um den Antrag auf der Druck- sache 14/9101 mit der Überschrift „Keine Vorzugsbe- handlung der Deutschen Post AG bei der Umsatzsteuer“ hier im Deutschen Bundestag einzubringen. Vermeintli- che Auslegungsschwierigkeiten bzw. -streitigkeiten be- züglich des Umsatzsteuergesetzes hinsichtlich der Besteuerung von Dienstleistungen, die durch die Deut- sche Post erbracht werden, wurden dadurch „beseitigt“, dass die Bundesregierung gegenüber dem Land Nord- rhein-Westfalen durch Einzelweisung angeordnet hat, dass die Deutsche Post AG neben dem Bereich der Ex- klusivlizenz auch für den Bereich der Universaldienstleis- tungen von der Umsatzsteuer zu befreien ist. Die Hintergründe für dieses Vorgehen liegen auf der Hand. Die Deutsche Post sollte börsenfähig gemacht wer- den und die Bundesregierung wollte hohe Erlöse erzielen. Wenn sich jetzt allerdings die CDU/CSU gegen Steu- erprivilegien ausspricht, sollten die Kolleginnen und Kol- legen dieser Fraktion an den Rüstungskonzern Diehl erin- nert werden. Damals hat das Land Bayern entschieden, wie das Steuerrecht auszulegen ist. Hinsichtlich des hier in Rede stehenden Falles bleiben entscheidende Fragen weiter offen: Wer ist für die Ertei- lung der gegebenen Weisung verantwortlich und durch wen wurde die Weisung letztlich erteilt? Warum hielt es Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224384 (C) (D) (A) (B) die Bundesregierung nicht für angebracht, durch eine klare gesetzliche Regelung, die hier wohl geboten ist, eine eindeutige Regelung zu schaffen? Scheute sie etwa den Gang vor das Parlament? Aber auch ganz praktische Fragen der Auswirkungen der erteilten Anweisung drängen sich dem geneigten Be- trachter auf: Welcher Schaden ist den Ländern und Kom- munen durch dieses Vorgehen der Bundesregierung ent- standen und ist die Bundesregierung bereit, diesen Schaden auszugleichen? Ausgangspunkt für die Haltung der PDS zur gesamten Problematik ist, dass die Universaldienstleistungen der Deutschen Post und damit die Versorgung in der Fläche mit den 12 000 Filialen erhalten bleibt. Welche wirt- schafts- und steuerpolitischen Maßnahmen auch immer ergriffen werden, so dürfen diese doch nicht dazu führen, dass den Bürgern, gerade auch im ländlichen Raum, die Wahrnehmung dieser Dienstleistungen erschwert oder gar unmöglich gemacht wird. Die steuerrechtliche Behandlung sollte in der EU gemäß der 6. EG-Richtlinie einheitlich geklärt werden und nicht auf dem Rücken der Beschäftigten zum Wahl- kampfthema gemacht werden. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: – Gesamtkonzeption für Berliner Gedenkstät- ten für die Opfer der SED-Diktatur notwendig – Stasi-Untersuchungshaftanstalt Hohenschön- hausen als Gedenkstätte erhalten und restau- rieren (Tagesordnungspunkt 16 und Zusatztagesord- nungspunkt 11) Angelika Krüger-Leißner (SPD): Wir debattieren heute bereits zum zweiten Mal den Antrag der CDU/CSU- Fraktion über eine Gesamtkonzeption für Berliner Gedenk- stätten für die Opfer der SED-Diktatur. Der Unterschied zur damaligen Debatte ist allenfalls, dass das „Ultimatum“, das uns die CDU/CSU in dem Antrag als Stichtag für die Er- stellung eines Konzeptes gesetzt hat, längst abgelaufen ist. Der 31. Mai 2001 liegt bereits seit über einem Jahr hinter uns. Schon aus diesem Grunde ist die Forderung der Oppo- sition, die wir heute debattieren, nicht mehr zeitgemäß. Dass das noch aus anderem Grunde gilt, werde ich an anderer Stelle noch erläutern. Die Auseinandersetzung mit dem An- trag heute ist jedenfalls überflüssig. Keineswegs überflüssig hingegen ist die Auseinander- setzung mit der Gedenkstättenproblematik in Berlin und Deutschland überhaupt. Gedenkstätten sind – und da sind wir uns einig – ein wichtiger Aspekt demokratischer Kul- tur. Sie erinnern uns an die Gräueltaten und den Terror un- serer Geschichte. Sie erinnern uns an die Versäumnisse um das demokratische Verständnis unseres Volkes in der Vergangenheit. Und sie erinnern uns vor allem an unsere Verantwortung als Demokraten, auch dieses Erbe der Deutschen im Bewusstsein zu erhalten. Jeder Anflug von Wiederholung, jeder unbedachte Umgang mit unserer ei- genen Geschichte, muss den Widerstand von uns allen zur Folge haben. Das ist ein zentrales Merkmal der demokra- tischen Kultur der neuen wie der alten Bundesrepublik. Die Gedenkstätten leisten hierzu einen ungeheuer wichti- gen Anteil. Ich möchte gleich von vornherein feststellen: Dies gilt für das Gedenken an die Opfer der SED-Diktatur im glei- chen Maße wie für die Opfer des Nationalsozialismus. Wir werden uns auf keine Debatte einlassen, die versucht, die Opfer der jeweiligen Herrschaft gegeneinander aus- zuspielen. Ich werfe dies dem Antrag der CDU/CSU auch gar nicht vor. Aber einige Sätze der Rede von Herrn Nooke in der letzten Diskussion um eben diesen Antrag lassen die- sen Versuch fast vermuten: Zwar formuliert er zu Beginn seiner Rede noch, er wolle keine Debatte über die Frage führen, ob das Erinnern an die eine Diktatur mit dem Er- innern an die zweite Diktatur gleichgesetzt werden sollte; aber genau das tut er dann, wenn er die Größe der Kränze, die vom Bundeskanzler und vom Bundestagspräsidenten anlässlich des 9. Novembers 2000 vor der Synagoge in der Oranienburger Straße niedergelegt worden sind in Be- ziehung setzt zu einem angeblichen Nicht-Gedenken an den Mauerbau. Die CDU/CSU suggeriert hiermit, die Bundesregie- rung gedenke an die Opfer des Nationalsozialismus und vergesse diejenigen von Stalinismus und SED-Diktatur. Es ist schon schlimm genug, dass man auf diese Weise versucht, Opfer gegeneinander auszuspielen. Besonders schlimm daran ist aber, dass die Christdemokraten genau wissen, dass dem nicht so ist. Ich will diese Debatte, mit der Teile der Opposition offenbar versuchen, irgendein seltsames politisches Süppchen zu kochen, auch gar nicht weiterführen. Es ist mir nur wichtig festzustellen, dass niemand aus der SPD-Fraktion und auch niemand aus der Bundesregierung die Opfer der SED als zweitrangig an- sieht. Das Engagement der Bundesregierung im Bereich der Gedenkstätten ist beispielhaft. Besonders und gerade in Berlin. Die drei in dem Antrag genannten – und zweifellos besonders wichtigen – Gedenkstätten an der Bernauer Straße, in der Normannenstraße und in Hohenschönhausen sind von dem Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung im gleichen Maße betroffen, wie die Gedenkstätten an die Opfer des Nationalsozialismus. Die Bundesregierung hat sich mit den Ländern auf eine zumindest hälftige Beteili- gung des jeweiligen Sitzlandes der Gedenkstätte geeinigt. Dieses ist im Einvernehmen mit den Ländern erfolgt. Und es macht auch Sinn, das so zu machen, da die Gedenkstät- ten in den Bereich der föderalen Kompetenz fallen. Wir achten dieses Prinzip, sind uns aber der gesamtstaatlichen Verantwortung die der Bund dabei trägt, bewusst. Das ha- ben wir in diesem Hause beschlossen. Eben deshalb ist ge- nau diese Vereinbarung zustande gekommen. Und – das möchte ich ausdrücklich betonen – dieses Prinzip gilt nicht nur für die drei Gedenkstätten an die Opfer der SED-Dik- tatur in Berlin. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24385 (C) (D) (A) (B) Ein weiterer wichtiger Aspekt neben der Zuständigkeit der Länder ist die Unabhängigkeit der Gedenkstätten, die ein wichtiger Grundsatz der Gedenkstättenkonzeption ist. Es kann nicht sein, dass wir nun darangehen, den Ge- denkstätten mit unseren Konzeptionen inhaltliche Vorga- ben zu machen. Sicherlich hat der Bund auch hier ein Recht und eine Pflicht zur Mitsprache. Aber wenn die For- derung der CDU/CSU-Fraktion nach einer Gesamtkon- zeption auch so verstanden werden soll, dass der Bund hier detaillierte inhaltliche Vorschriften macht, dann stößt das auf unsere Ablehnung. Was den finanziellen Aspekt betrifft, so wollen wir, dass die Gedenkstätten für die Opfer auf einer finanziell gesi- cherten Grundlage stehen. Ich glaube, dass das durchaus im Interesse aller ist. Um dieses zu erreichen, haben wir in die- ser Legislaturperiode schon einige Fortschritte gemacht. Fortschritte im Übrigen, die die Kohl-Regierung in den ers- ten acht Jahren nach der Wiedervereinigung nicht vorzu- weisen hatte. Allein dies zeigt, wie widersinnig das von Ih- nen gestellte Ultimatum im Antrag war und ist. Finanzielle Sicherheit kann an dieser Stelle nicht bedeuten, dass Alles und Jedes auf den Bund abgewälzt wird. Wir sind bezüglich der Gedenkstätten der Überzeugung, dass diese eines Bei- trages von allen relevanten Ebenen bedürfen. Die maximal hälftige Beteiligung des Bundes ist dabei ein gutes Konzept, das sowohl die gesamtstaatliche Verantwortung wie auch den Respekt vor den Verantwortlichkeiten der Länder und Stiftungen akzeptiert. Was die von den Christdemokraten in ihrem Antrag genannten Gedenkstätten anbetrifft, so erge- ben sich aus der finanziellen Situation Berlins sicherlich be- sondere Probleme. Dem Bund ist diese Tatsache bewusst. Aber auch das kann nicht bedeuten, dass wir Verantwort- lichkeiten missachten oder dass der Bund alle Kosten trägt. Denn täten wir das, so würden andere Mahn- und Gedenk- stätten auf uns zukommen und – zu Recht fragen, warum die einen komplett vom Bund finanziert werden und andere nicht. Das kann unserer Ansicht nach auch nicht im Sinne der Opposition sein. Wenn der Bund sich also umfangreich finanziell an den drei Gedenkstätten beteiligt, dann muss ein Konzept dafür vorliegen. Ein Konzept – das möchte ich betonen –, das sowohl inhaltlich als auch finanziell auf soli- den Füßen steht. Das mit einem Ultimatum zu verbinden, wie es der Antrag der CDU/CSU vorsieht, wird der Sache in keiner Weise gerecht. Durch die Arbeitsgemeinschaften, die sich mit der Zu- kunft der Gedenkstätten in Hohenschönhausen und in der Normannenstraße befassen, gehen wir den richtigen Weg. Und eben deswegen ist der Antrag der CDU/CSU wie der der FDP nicht zeitgemäß. Sie stellen eine Forderung nach einer Konzeption, der längst nachgegangen wird. Nur geschieht das nicht unter dem Druck von Ultimaten, unausgegoren und letztlich konzeptionslos, sondern an- gemessen, mit der Beteiligung der relevanten Kräfte und solide. Schon in der Sommerpause werden weitere Schritte erfolgen. Wir stampfen hier kein – wie auch immer geartetes – Gesamtkonzept aus dem Boden, um gleichsam im Schnellverfahren Versäumnisse der alten Bundesregie- rung aufzuholen. Wir wollen auch nicht ein Konzept ohne Beteiligung der betroffenen Gedenkstätten und des Lan- des Berlin aufbauen. Und wir wollen für den Bund kein finanziell nicht abschätzbares Fass ohne Boden aufma- chen, weil wir ein unausgereiftes Konzept vorlegen. Was wir wollen ist eine grundsolide, durchdachte und ange- messene Konzeption für die Gedenkstätten an die Opfer der SED-Diktatur; Thema und Verantwortlichkeiten ver- langen ein solches Vorgehen. Was die drei Gedenkstätten im Einzelnen angeht, so dürfte das Denkmal „Berliner Mauer“ eigentlich kein Problem für die Opposition darstellen. Die Finanzierung des Denkmals wurde aus Bundesmitteln gesichert. Die Beteiligung an der Gedenkstätte durch den Bund steht weiterhin. Und der Vorwurf, die Bundesregierung würde den Mauerbau nicht als historisch wichtiges Ereignis be- trachten, wie er von der Opposition bei der letzten Debatte vorgebracht wurde, dürfte spätestens seit dem 13. August 2001 hinfällig sein. Bei der Kranzniederlegung – ich will jetzt nicht die Größe der Kränze mit denen in der Orani- enburger Straße vergleichen, wie Herr Nooke das gerne tut – bezeichnete der Bundeskanzler den Bau der Mauer als „brutalen Versuch die Massenflucht in den Westen zu unterbinden, die eigene Bevölkerung einzusperren und ihr Freiheit, Menschenrechte, Demokratie und Selbstbe- stimmung zu verweigern.“ Wenn es von Ihrer Seite also noch Zweifel an der Einordnung der DDR-Geschichte durch den Bundeskanzler gab, sollten diese wohl wider- legt sein. Was die ehemalige Zentrale der Staatssicherheit der DDR in der Normannenstraße und die Gedenkstätte Hohenschönhausen angeht, so hat der Bund immer be- kräftigt, dass diese Orte von besonderer historischer Be- deutung sind. Bezüglich der Normannenstraße hatten wir schon bei der letzten Debatte darauf hingewiesen, dass die Grundlage für ein weiteres Vorgehen eine wissen- schaftliche Konzeption zur Nutzung sein muss. Aus die- sem Grund wurde die Fachkommission unter Leitung von Dr. Siegfried Vergin eingerichtet, die Leitlinien für die künftige Nutzung des Hauses und eine inhaltliche Per- spektive erarbeiten sollte. Diese Kommission hat schon hervorragende Arbeit geleistet, die Grundlage für die diesbezüglichen Entscheidungen der Bundesregierung sein wird. Gespräche der Bundesregierung mit der Ar- beitsgruppe werden in Kürze stattfinden, sodass wir im Herbst dieses Jahres wissen, wie der Bund sich an der Konzeption der Normannenstraße finanziell beteiligen wird. Es war richtig, auf diese Weise vorzugehen, um die nötige finanzielle wie konzeptionelle Planungssicherheit zu gewährleisten. Gerade was Hohenschönhausen angeht, scheint die Opposition zu bezweifeln, dass die Bundesregierung ihrer Pflicht nachkommt. Neben dem Antrag der CDU/CSU drückt das auch der FDP-Antrag „Stasi-Untersuchungs- haftanstalt Hohenschönhausen als Gedenkstätte erhalten und ausbauen“ aus. Es ist in der Tat auch in unserem In- teresse, die Anstalt in Hohenschönhausen zu erhalten. Ich rufe Ihnen dazu nochmals den aktuellen Sachstand in Er- innerung: Die Gedenkstätte wird mit bis zu 50 von Hun- dert institutionell vom Bund gefördert. Die Bundeszu- wendungen betrugen in 2001 521 000 Euro. Für das Jahr 2002 sind 504 000 Euro vorgesehen. Zudem sind in 2001 614 000 Euro für Baumaßnahmen an die Gedenkstätte ge- zahlt worden. In 2002 sind dafür sogar 1,1 Millionen Euro vorgesehen. Was die Baukosten in einer geschätzten Ge- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224386 (C) (D) (A) (B) samthöhe von 25 Millionen Euro betrifft, so sind durch eine Vereinbarung aus dem Jahre 1997 bereits über 5 Mil- lionen Euro in den Finanzplan eingestellt. Uns ist be- wusst, dass das nicht ausreichend ist. Daher muss über die Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln eine erneute Ver- einbarung zwischen dem Bund und dem Land Berlin er- folgen. Auch für Hohenschönhausen ist die Erarbeitung eines Konzeptes für die weitere Planung erforderlich. Dies gilt sowohl für die inhaltliche Konzeptionierung wie auch für die Bau- und Kostenplanung. Daher ist auch hier vom Stiftungsrat eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, die mit der entsprechenden Vorarbeit beauftragt ist. Sie setzt sich zusammen aus Mitgliedern von BKM, Senatsverwal- tung für Kultur, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, der Gedenkstätte und der Stiftung Haus der Geschichte. Für das BKM ist dabei die Einbindung des Hauses der Ge- schichte in die Ausstellungsgestaltung von besonderer Relevanz. Selbstverständlich unter Wahrung der Rechte der Berliner Stiftung und ihrer Gremien. Mit Ergebnissen hierzu ist auch im Herbst dieses Jahres zu rechnen. Wir unterstützen jedenfalls diesen Weg der Bundesregierung, Hohenschönhausen als wichtige Gedenkstätte der Deut- schen Geschichte zu erhalten und zu würdigen. Die fi- nanziellen Probleme des Landes Berlin müssen dabei natürlich berücksichtigt werden. Sie sehen also: Der Antrag der CDU/CSU ist – genauso wie der der FDP – völlig unbegründet. Planungssicherheit für die Gedenkstätten in Deutschland – für die an die Op- fer des Nationalsozialismus genauso wie an die der SED- Zeit – hat erst die heutige Regierungskoalition geschaf- fen. Wir sind an einigen Punkten in Hohenschönhausen und in der Normannenstraße noch nicht fertig, aber die Konzepte sind kurz vor dem Abschluss und werden dann eingehend mit der Bundesregierung erörtert. Das Konzept – da bin ich mir sicher – wird die finanzielle und inhaltli- che Planungssicherheit für alle drei Gedenkstätten ge- währleisten. Aber ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir werden die Bun- desregierung auch weiterhin dabei unterstützen, die Verant- wortlichkeiten und Rechte – genauso wie die Pflichten – von Ländern und Stiftungen zu beachten. Die Annahme, der Bund könne allein die Verantwortung für die Gedenk- stätten übernehmen, ist widersinnig. Auch die Kulturho- heit der Länder muss dabei berücksichtigt werden. Und wir werden auch nicht zulassen, dass Opfer mitei- nander verglichen werden, dass gleichsam die Frage, wer mehr Opfer war und ist, in der Diskussion auftaucht. Da- her bitten wir Sie, sich zu gedulden und die Ergebnisse der Gespräche der Bundesregierung mit den Arbeitsgruppen abzuwarten, und dann das Ergebnis zu bewerten. Die Ar- beit der Gedenkstätten und der sorgsame Umgang mit der Erinnerungskultur liegen bei uns in guten Händen. Das wissen die Länder genauso wie die Gedenkstätten selbst. Und das sollten auch Sie zur Kenntnis nehmen. Günter Nooke (CDU/CSU): Auch wenn es zu so ei- ner späten Stunde ist, so freue ich mich trotzdem, dass wir hier im Deutschen Bundestag unmittelbar vor dem 17. Juni noch einmal über unseren Antrag diskutieren können. Bei zahlreichen Gelegenheiten hat sich der Deutsche Bundestag zur Notwendigkeit der Aufarbeitung der SED-Diktatur bekannt. Nicht zuletzt ist dies in der Ein- richtung von zwei Enquete-Kommissionen zum Ausdruck gekommen. Die zweite Enquete-Kommission unter dem Namen „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ legte die Ergebnisse in acht Bänden im Jahre 1999 vor. Dem Haus und allen daran be- teiligten Abgeordneten aller Fraktionen sowie den exter- nen Sachverständigen ist dafür noch einmal zu danken. Es kommt nicht von ungefähr, dass wir beim Blick auf die Geschichte des SED-Staates fast schon selbstver- ständlich von der zweiten deutschen Diktatur sprechen. Dabei muss noch nicht einmal der große geschichtsphilo- sophische Streit über Gleichsetzung oder Vergleich der nationalsozialistischen und der kommunistischen Dikta- tur geführt werden. Das wurde und wird teilweise immer noch an anderer Stelle ausführlich getan. Fest steht, und deshalb findet sich diese Formulierung auch in dem vor- liegenden Antrag der CDU/CSU-Fraktion: „Das Erinnern an die zweite deutsche Diktatur muss weiterhin fester Be- standteil demokratischer Kultur unseres Landes bleiben.“ Wahrscheinlich können diesen Satz fast alle Mitglieder dieses Hauses unterschreiben. Gleichzeitig muss aber auch festgehalten werden, dass es in der sichtbaren Form des Erinnerns an die zweite deut- sche Diktatur erhebliche Defizite gibt. Und da die ehema- lige so genannte „Hauptstadt der DDR“ Berlin das Zen- trum der SED-Macht war, sind hier auch die wichtigsten Stätten des kommunistischen Terrors zu finden. Jedenfalls stehen sowohl die ehemalige Stasi-Untersuchungshaftan- stalt Hohenschönhausen sowie die Zentrale des Ministeri- ums für Staatssicherheit in der Normannenstraße und die Mauergedenkstätte nebst Dokumentationszentrum Ber- nauer Straße symbolisch für dieses Erinnern an die Opfer der zweiten deutschen Diktatur. Diese Gedenkstätten in Berlin sind eben keine lokalen Angelegenheiten. So wie die zweite deutsche Diktatur Bestandteil der gesamtdeut- schen Geschichte ist, so sollten auch diese Gedenkstätten von zentraler und nationaler Bedeutung sein. Diese zentrale und nationale Bedeutung muss in ent- sprechenden Konzeptionen sichtbar werden. Ansonsten wird das Bekenntnis zur Wichtigkeit der Aufarbeitung der SED-Diktatur schnell Makulatur. Ich will noch einmal für unseren Standpunkt werben. Es kann nicht sein; dass die wichtigsten Gedenkstätten und die zentralen Orte des Ter- rors während der zweiten deutschen Diktatur in einem Zu- stand sind, der eine mittel- oder gar langfristige Planung für deren Arbeit eigentlich unmöglich macht. Ich finde es auch ein Stück weit unehrlich, wenn unser Antrag, wie das in den Ausschüssen weitestgehend geschehen ist, mit Hin- weis auf Finanzierbarkeit, Länderkompetenzen oder ähn- lichem abgelehnt wurde. Jedenfalls sollte alles getan wer- den, damit solche Diskussionen nicht als Ausreden interpretiert werden können. Das wäre den Opfern der SED-Diktatur gegenüber einfach schäbig. Es kann keine Opfer erster und zweiter Klasse geben. Deshalb hielte ich es auch für unangemessen, wenn wir auf der einen Seite die Stätten des Gedenkens an die nationalsozialistische Diktatur finanziell und organisatorisch sehr gut ausstatten – was ich ausdrücklich begrüßen möchte –, wir aber für die Opfer des DDR-Regimes kaum etwas übrig haben. Und wir sollten auch nicht den Eindruck erwecken, dass Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24387 (C) (D) (A) (B) uns die Gedenkstätten der zweiten Diktatur nicht so wich- tig sind. Denn ich will es noch einmal deutlich sagen: Im Ver- gleich zu den Kosten für die Gedenkstätten an die Opfer der NS-Diktatur handelt es sich hier vergleichsweise um Peanuts. Die Bedeutung der Gedenkstätten gerade für die Jugend, für die vielen Schüler und Studenten, die in den letzten Jahren dort waren, um sich zu informieren, liegt doch wirklich auf der Hand. Ich möchte Sie hier noch einmal auffordern, mit uns über ein abgestimmtes Gesamtkonzept für die drei Berliner Gedenkstätten zu diskutieren. Es wäre ein Zeichen für die ansonsten immer eingeforderte Courage im Kampf gegen politisch motivierte Gewalt und ein klares Bekenntnis für die Wurzeln unserer Demokratie. Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Dass wir diesen Tagesordnungspunkt erst zu später – oder besser gesagt: zu früher Stunde – im Plenum behandeln, deutet aus Sicht der FDP auf zweierlei hin: Erstens. Für Rot-Grün ist der Erhalt der Berliner Ge- denkstätten, insbesondere der Stasi-Untersuchungshaft- anstalt Hohenschönhausen, kein wichtiges Thema. Jetzt, da die PDS nicht nur im Berliner Roten Rathaus, sondern auch auf Bundesebene als Koalitions- respektive Dul- dungspartner ernsthaft in Betracht gezogen wird, gibt es kaum noch Interesse an der Erhaltung der Terror-Bauten der SED. Zweitens. Der Drei-Uhr-Morgen-Termin ist geschickt gewählt, um nicht vor der Öffentlichkeit das Scheitern der Gedenkstättenkonzeption der rot-grünen Bundesregie- rung eingestehen zu müssen. Es ist schon merkwürdig, dass die Kollegen von der SPD-Fraktion noch in der Beschlussempfehlung des Kul- turausschusses zum CDU/CSU-Antrag zur Gesamtkon- zeption der Berliner Gedenkstätten am 14. Februar 2001 ausführten, „bei der Gedenkstätte Hohenschönhausen sei momentan Handlungsbedarf nicht ersichtlich“. Die Grü- nen sekundierten diese Aussage mit den Worten, „dass die Gedenkstätten in dieser Legislaturperiode zum ersten Mal dauerhaft auf eine solide Finanzierungsbasis gestellt wor- den sind und ein weiteres Drängen deshalb nichts bringt“. Jetzt, knapp ein Jahr später, stellt dieselbe SPD-Frak- tion im Kulturausschuss zu unserem Antrag zur Erhaltung und zum Ausbau der Stasi-Untersuchungshaftanstalt Ho- henschönhausen lapidar fest: „Bei den weiteren Baumaß- nahmen gibt es Handlungsbedarf“. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der SPD, was ist denn innerhalb dieser paar Monate so vollkommen Unerwartetes passiert? Es verwundert schon, dass Sie da- mals alles für wunderbar in Ordnung hielten, jetzt aber – scheinbar aus heiterem Himmel – Handlungsbedarf sehen. Nun weisen Sie darauf hin, es gebe eine Arbeitsgruppe, die den Auftrag habe, „eine Konzeption der Daueraus- stellung vorzulegen und die Bau- und Kostenplanung zu überarbeiten“. Was darunter konkret zu verstehen ist, sa- gen Sie allerdings nicht. Da muss man sich schon beim Berliner Senat erkundigen, der unverblümt offenbart, er beabsichtige, sich aus seiner Beteiligung an den Kosten für einen weiteren Ausbau und die Sanierung der be- stehenden Gebäude zulasten des Bundes vollkommen zurückzuziehen – im Widerspruch zum Gedenkstätten- konzept von Bund und Ländern. Der Bund hat jetzt also nicht nur die Kosten der Sanierung der Museumsinsel, sondern auch der Gedenkstätte Hohenschönhausen allein an der Backe. Ich frage Staatsminister Nida-Rümelin: Ha- ben Sie diese Problematik eigentlich schon dem Haus- haltsausschuss des Deutschen Bundestages vorgetragen? Entsprechende Signale sind jedenfalls bei uns nicht ange- kommen. Aber vielleicht werden diese auch niemals gesendet werden, denn das Ziel von Rot-Rot-Grün – von Bundes- regierung und Berliner Senat – scheint ein anderes zu sein: In der besagten Arbeitsgruppe will man sich – so hört man vonseiten des Senats – darauf einigen, lediglich mi- nimale Sanierungs- und Erhaltungsarbeiten vorzuneh- men. Auf die dringend notwendige Sanierung des „Neu- baus“, also des von der Stasi errichteten Hauses mit den berüchtigten „Vernehmerzellen“, in denen etwa Bärbel Bohley tagelang verhört worden ist, will man ganz ver- zichten. Dafür sei kein Geld vorhanden. Aus der PDS-geführten Kulturverwaltung – dass aus- gerechnet ein Kultursenator der PDS qua officio den Vor- sitz im Stiftungsrat der SED-Gedenkstätte führt, ist schon ein Treppenwitz der Geschichte – wird ungeschminkt ein- geräumt, im Grunde genommen habe man gar nichts da- gegen, wenn der Bau so langsam verfiele und sich all- mählich der Mantel des Schweigens über die ganze Angelegenheit lege. Es ist schon bemerkenswert: Das Land Berlin inves- tiert – wenn auch zögerlich – 80 Millionen DM in die „To- pographie des Terrors“ der ersten deutschen Diktatur, einen Neubau mit zumindest nicht unumstrittener Architektur. Aber für die Erhaltung eines authentischen baulichen Zeug- nisses der zweiten deutschen Diktatur, wie sie die Stasi- Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen darstellt, will man noch nicht einmal circa 10 Millionen DM für dessen überfällige Sanierung aufbringen. Die Wahrheit ist doch Folgende: Hier geht es letztlich nicht um Geld, sondern schlichtweg um das allmähliche Verdrängen der SED-Untaten. Dies, meine Damen und Herren von SPD, PDS und Grünen, werden die Liberalen hier im Bundestag und im Land Berlin nicht zulassen. Ich sage Ihnen hier und jetzt: Nach dem 22. September die- ses Jahres wird die FDP, nachdem uns die Wähler den Auftrag dazu gegeben haben werden, Ihre Politik der Schönfärberei, der Geschichtsklitterung und des Ver- schweigens der Verbrechen des SED-Staates beenden und mit einer finanziell tragfähigen Konzeption für die Sanierung und den Erhalt auch der SED-Gedenkstätten Sorge tragen. Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Kollegen von der Union. Sie fordern in dem vorlie- genden Antrag die Bundesregierung auf, eine verbin- dende Gesamtkonzeption inklusive der notwendigen Fi- nanzierung für die Erinnerungsstätten der SED-Diktatur Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224388 (C) (D) (A) (B) Bernauer Straße, Hohenschönhausen und Normannen- straße vorzulegen. Ich sehe dazu keine Notwendigkeit und ich will Ihnen auch sagen, warum. Vielleicht ist Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, dass die rot-grüne Bundesregierung bereits in der ersten Hälfte die- ser Legislaturperiode – nämlich 1999 – ein sehr umfassen- des Gedenkstättenkonzept zur Erinnerung an NS- und SED-Unrecht vorgelegt und umgesetzt hat. Ein Projekt, dass die CDU/CSU-FDP-Regierung in den Jahren nach der Wende nicht einmal in Erwägung zog und in dessen Ent- stehungsprozess die Union in der Opposition auch keine Anregungen im Sinne dieses Antrags für notwendig hielt. Auf der grundlegenden Feststellung basierend, dass die Gedenkstätten vorrangig Aufgabe gesellschaftlicher Gruppen, der Kommunen und der Länder sind, beteiligt sich nach unserer Entscheidung der Bund an Projekten von nationaler bzw. internationaler Bedeutung bis zu ei- ner Höhe von 50 Prozent. Im Jahre 2000 hat der Bund die Gedenkstätten mit 9,7 Millionen Euro im Jahre 2001 al- lein im Rahmen des Gedenkstättenkonzepts mit 7,7 Mil- lionen Euro gefördert. Für das Jahr 2002 sind für die Ein- richtungen, die von dem Gedenkstättenkonzept gedeckt sind, wieder 7,7 Millionen Euro bereitgestellt worden und für die Jahre 2003 und 2004 sind jeweils 10,2 Millionen Euro vorgesehen. Die Gedenkstätte Hohenschönhausen wird schon jetzt im Rahmen des Gedenkstättenkonzepts zu 50 Prozent vom Bund gefördert. Obwohl die Gedenkstättenförderung anerkannter- maßen Sache der Länder und Kommunen ist, hat die rot-grüne Regierung die Bedeutung der Erinnerungsstät- ten sehr ernst genommen und die bundesdeutsche Ge- denkstättenförderung nicht nur auf ein konzeptionell durchdachtes Fundament gestellt, sondern auch ihre Fi- nanzierung langfristig gesichert. Das ist ein Beispiel für nachhaltige Kulturpolitik. Im Nachhinein mit weiteren konzeptionellen Vorschlägen zu kommen, ist zwar typi- sches Vorgehen der Opposition, trägt aber nicht zur Lö- sung von Problemen bei. Die Förderung von Gedenkstät- ten vonseiten des Bundes ist generell mit dem Konzept abgedeckt. Für weiteren Förderbedarf – und der besteht nicht nur bei den von Ihnen genannten Institutionen sicherlich – müs- sen die Länder und Kommunen erst einmal einen Plan vor- legen, und zwar mit konkreten Zahlen, darüber was sie be- reit sind zu zahlen. Dann kann man prüfen, ob der Bund – der Bedeutung der Einrichtungen gemäß –, seinen Teil dazu tun sollte. Bevor die Landesebene – und hier ist Berlin gemeint – keine konkreten Vorstellungen zur eigenen Betei- ligung hat, kann der Bund nicht handeln. Ich empfehle da- her, dem Beschluss des Ausschusses für Kultur und Medien im September 2001 zu folgen: Wir lehnen den Antrag ab. Dr. Heinrich Fink (PDS): In Bezug auf den Titel des Antrages der Union sage ich namens der PDS-Fraktion: Ja, eine derartige Gesamtkonzeption wäre logisch und notwendig. Auf in der DDR geschehenes Unrecht sollte in angemessener, seriöser, alle geschichtlichen Umstände einschließender Weise hingewiesen werden. Das sind wir zuerst allen Menschen schuldig, die unschuldig gelitten haben: Das ist Anerkenntnis der gelebten Geschichte und gehört zur demokratischen Erinnerungskultur und das ist nicht zuletzt notwendiger Teil der Verpflichtung, die uns gegenüber künftigen Generationen auferlegt ist. In Anerkenntnis dessen kann es meines Erachtens kei- nen anderen Weg geben als den eines möglichst objektiven geschichtswissenschaftlich fundierten Herangehens. Das umfasst mehr als die Forderung nach finanziellen und bau- lichen Investitionen in das Bestehende und es kann dabei auch nicht allein um die drei hier genannten Einrichtungen gehen. Was beispielsweise ist mit dem Checkpoint Char- lie, was mit der Kennzeichnung des ehemaligen Mauer- verlaufs und anderen markanten Orten, die aus gutem Grund der Erinnerung bedürfen? Sie bedürfen nicht nur der Erinnerung, sondern – wenn wir uns nicht mit zwei- felhaftem Stückwerk zufrieden geben wollen –, unbedingt auch der wissenschaftlichen Begleitung und Erklärung. Diese Dimension vermisse ich etwas im vorliegenden An- trag. Ich vermisse auch eine Erklärung dafür, warum sich die CDU erst jetzt dieser Angelegenheit erinnert. Ich gebrauche dieses Argument nicht gern, weil es schon so oft und immer wieder eine Rolle spielte und spielt. Trotzdem muss ich fragen, warum die Union in der langen Zeit ihrer politischen Verantwortung sowohl im Bund als auch noch länger in Berlin hier offensichtlich Dinge unerledigt gelassen haben, die sie jetzt in ihrem An- trag fordert. Dieses Gesamtkonzept, das die Union nun- mehr von der rot-grünen Bundesregierung verlangt, hätte also längst vorgelegt werden können. Es versteht sich nicht allein als Frage guten politischen Stils, dass bei jedem Konzept dieser Zielsetzung das Ein- vernehmen des Bundes mit Berlin gesucht werden sollte. Damit meine ich ausdrücklich nicht, dass Berlin hier in die Pflicht zur Gegenfinanzierung genommen werden sollte. Das wäre überdies wenig zielführend. Es ist ja kein Ge- heimnis, dass Berlin aufgrund seiner finanziellen Misere, für die bekanntlich nicht der jetzige Senat die Schuld trägt, ganz nüchtern betrachtet schwerlich in der Lage ist, die in der Diskussion befindlichen Investitionen aufzubringen. Beispielsweise spricht der Direktor der Gedenkstätte Ho- henschönhausen von 20 Millionen Euro, die er allein für sein Objekt als Mindestsumme für gebäudetechnische Er- haltung und denkmalgerechte Sanierung erwartet. Ich will ungeachtet dessen aber keinen Zweifel an der Feststellung lassen. Die in Rede stehenden Stätten sind als zentrale und nicht lokale Gedenkorte anzusehen. Es wäre danach eine folgerichtige Überlegung, sie auch vollständig durch den Bund zu konzipieren und zu finanzieren. Inso- weit folgt die PDS ungeachtet einiger nach unserer Auf- fassung ahistorischer Formulierungen dem Grundgedan- ken des CDU-Antrages nach Verantwortung des Bundes. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zurBeratung derGroßen Anfrage: Situation und Perspektiven der Ingenieurinnen und Ingenieure in Deutschland (Tagesordnungspunkt 17) Bodo Seidenthal (SPD): Die Antwort der Bundesre- gierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Opposition Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24389 (C) (D) (A) (B) macht die große Bedeutung des Ingenieurwesens deutlich. Sie macht vor allem deutlich, dass die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Bundesministerin für Bildung und For- schung, Edelgard Bulmahn, der mathematisch-naturwis- sentschaftlichen Bildung ebenso wie der Bildung insge- samt eine hohe Bedeutung beimisst. Bildung und Qualifizierung sind entscheidende Grundlagen für die Be- rufs- und Lebenschancen der jungen Menschen und für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Die Bundesregierung hat seit ihrem Amtsantritt einen deutlichen Schwerpunkt auf die Zukunftsinvestitionen von Bildung und Wissenschaft – und damit auch auf die Ausbildung von Fachkräften gesetzt. Zum vierten Mal in Folge wurde der Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung deutlich erhöht. Im Hochschulbe- reich wurden zahlreiche Maßnahmen und Programme ge- startet, die darauf zielen, Eigenverantwortung und Leis- tungsorientierung zu stärken sowie Innovationskraft und internationale Wettbewerbsfähigkeit zu entwickeln. Diese grundlegenden Verbesserungen der Rahmenbedingungen kommen auch dem Ingenieurswesen zugute. Daran möchte ich zu Beginn meiner Ausführungen er- innern. Die Opposition wäre gut beraten, wenn sie dies endlich zur Kenntnis nehmen würde. Ihre Kritik geht ins Leere, denn die Politik unter ihrem Forschungsminister Jürgen Rüttgers war durch Haushaltskürzungen und Still- stand geprägt. Als ausgebildeter Ingenieur ist mir bewusst, dass zur Erhaltung des Technologiestandortes Deutschland die Themen Schul- und Hochschulausbildung sowie die stär- kere Integration von Frauen und arbeitslosen Ingenieuren in technische Berufe entscheidend sind. Allerdings ist dies nur durch längerfristige Maßnahmen möglich und nicht durch kurzfristige, wie es die Opposition mit ihren Fragen suggerieren möchte. Die Ingenieurausbildung in Deutschland genießt auf der ganzen Welt einen exzellenten Ruf. Ingenieure und In- genieurinnen haben mit ihrer Arbeitsleistung zu einem wesentlichen Teil zum wirtschaftlichen Wachstum und zum technischen Fortschritt beigetragen. Der Auseinan- dersetzung mit der Zukunft der Ingenieurberufe und der Ingenieurausbildung kommt deshalb in Deutschland ein hoher Stellenwert zu. Wegen der hohen Bedeutung des In- genieurwesens und der in jüngerer Zeit drängender ge- wordenen Nachwuchssorgen diskutieren Bundesministe- rin Edelgard Bulmahn und Staatssekretär Dr. Uwe Thomas mit Vertretern der Ingenieurverbände, der Wirtschaft, der Hochschulrektorenkonferenz, der Hochschulen, der Kul- tusministerkonferenz sowie der Bund-Länder-Konferenz für Bildungsplanung und Forschungsförderung regel- mäßig über die aktuelle Situation und Entwicklung des Ingenieurwesens in Deutschland. Diese Treffen sind als „Ingenieurdialog“ zu einem Begriff geworden. Die Op- position sollte sich vielleicht einmal das Memorandum dieses Ingenieurdialogs anschauen, denn die dort zwi- schen dem BMBF, den Ingenieurverbänden, der Industrie, der KMK, der HRK und BLK beschlossenen Handlungs- empfehlungen, die die Beteiligten für erforderlich halten, werden Zug um Zug umgesetzt. Insgesamt halten die Bundesregierung und alle Beteiligten nachstehende Maß- nahmen für erforderlich, die auch ihren Niederschlag in einer 19 Punkte umfassenden Erklärung des Verbandes Deutscher Ingenieure gefunden haben. Schule und Technik. Die Länder sollten ihre zahlreichen Aktivitäten zur Stärkung und Weiterentwicklung des natur- wissenschaftlich-technischen Unterrichts – einschließlich der Fächer Mathematik und Informatik – intensivieren. Dies gilt insbesondere auch für die Lehrerbildung – Aus- und Weiterbildung – in den betroffenen Unterrichtsfächern, wobei auch die ganzheitliche, fachübergreifende Sicht- weise berücksichtigt werden sollte. In den Schulen sollte ein attraktives Angebot von Pflicht- und Wahlfächern bis zum Abitur bereitgestellt werden, in dem ein enger Bezug zur Praxis hergestellt und so Interesse für die Welt der Technik geweckt wird. Der Frage eines ausreichenden Angebots an motivierten, auch jüngeren Lehrern für na- turwissenschaftliche und techniknahe Fächer sollte be- sonderes Augenmerk gewidmet werden. Im Rahmen der Aktivitäten zur Förderung des mathe- matisch-naturwissenschaftlich-technischen Unterrichts gibt es bereits zahlreiche Kooperationsprojekte zwischen Schu- len, Hochschulen und Wirtschaftsunternehmen. Die Län- der setzen sich für eine Intensivierung der Zusammenar- beit von Schule und außerschulischen Einrichtungen ein und begrüßen die Bereitschaft der Ingenieurverbände, sich daran zu beteiligen. Schulen, Hochschulen, Wirt- schaftsverbände und infrage kommende Berufsverbände müssen gemeinsam in der Öffentlichkeit verstärkt daran mitwirken, das Wahlverhalten der Schülerinnen und Schüler sowohl beim Eintritt in die gymnasiale Oberstufe als auch bei der Aufnahme eines Hochschulstudiums zu- gunsten mathematisch-naturwissenschaftlich-technischer Fächer zu verändern. Ingenieurstudium. Die schnelle und breite Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen mit einem be- rufsqualifizierenden Abschluss sowie berufsbegleitende Studienangebote können einen wesentlichen Beitrag leis- ten, dem Ingenieurmangel abzuhelfen. Da es mit der Aus- bildung an Universitäten und Fachhochschulen bereits fünf- und vierjährige Ingenieurausbildungen gibt, ist Vo- raussetzung für eine kurzfristige Entspannung auf dem Arbeitsmarkt, dass es gelingt, kürzere Bachelor-Studi- engänge zu konzipieren, die für eine Ingenieurtätigkeit qualifizieren und in der Praxis akzeptiert sind. Das Hoch- schulrahmengesetz sieht für Bachelor-Studiengänge eine Dauer von mindestens drei, höchstens vier Jahre vor. Ins- besondere die Hochschulen selbst und die Länder sind in der Pflicht, bei den konzipierten Studiengängen darauf zu achten, dass keine Diskrepanz zwischen Soll- und tatsäch- lichen Studienzeiten eintreten. Insbesondere die Hochschulen sind gefordert, mit Stu- diengängen, die den neuen Qualifikationsanforderungen, zum Beispiel Methoden- und Systemwissen, entsprechen, die junge Generation gezielt anzusprechen. Die Hoch- schulen haben in der Vergangenheit bereits in erhebli- chem Umfang Flexibilität und Reformwillen bzw. -fähig- keit unter Beweis gestellt. Unbeschadet dessen können die jungen Menschen erwarten, dass die Hochschulen sich im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen wei- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224390 (C) (D) (A) (B) terhin intensiv darum bemühen, die Mobilität der Studie- renden – auch im Hinblick auf vorhandene, internationale Studienalternativen –, zu fördern; kalkulierbare Studien- bedingungen zu schaffen; eine bessere Motivierung, Be- ratung und Betreuung der Studierenden zu gewährleisten; ein stärker diversifiziertes und fachübergreifendes Studi- enangebot bereitzustellen und die organisatorischen Vor- aussetzungen zu schaffen, um eine individuellere Gestal- tung des Studiums zu ermöglichen; eine größere Bereitschaft aufzubringen, sich verstärkt auf die Neigun- gen, Fähigkeiten und Interessen der Studierenden einzu- stellen, insbesondere auf die der Studentinnen. Zur schnellen und breiten Einführung der gestuften Studiengänge ist eine zeitnahe Akkreditierung erforder- lich. Hier sind nicht nur die Hochschulen gefordert, die die Akkreditierung ihrer neuen Studiengänge betreiben, sondern auch die Akkreditierungsagenturen, damit die notwendige Qualitätssicherung der neuen Studiengänge umfassend und rasch gewährleistet wird. Die Akkreditie- rungsagentur für Studiengänge der Ingenieurwissenschaf- ten und der Informatik Studiengänge e. V. – ASII – ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Für die Hochschulen müssen die Möglichkeiten geschaffen werden, Akkredi- tierungskosten in ihren regulären Hochschuletats veran- schlagen zu können. Die Wirtschaft ist gefordert, Anfor- derungen an Ingenieure als Berufsanfänger zu definieren und in das Akkreditierungsverfahren einzubringen. Fest- halten möchte ich, dass der Wettbewerb zwischen den Agenturen gewollt ist; es sollte jedoch Chancengleichheit bestehen. Im Prozess der Internationalisierung sollten sie ein eindeutiges Profil entwickeln. Außerdem sollte die Wirtschaft durch großzügige Be- reitstellung von Mitteln weitere Anreize für die Aufnahme eines Ingenieurstudiums geben: Zu denken ist hier insbe- sondere an die verstärkte Vergabe von Stipendien für In- genieurstudentinnen; ebenso an das Bereitstellen von Wohnraum oder an die gezielte Unterstützung für auslän- dische Studierende, um diesen möglichst attraktive Le- bensbedingungen in Deutschland zu bieten. Arbeitsmarktsituation. Ich hoffe, dass wir uns darin ei- nig sind, dass der Arbeitsmarkt für Ingenieure und Inge- nieurinnen sich besonders durch konjunkturelle Einflüsse auszeichnet. Wer heute den Ingenieurmangel kritisiert, dem rufe ich in Erinnerung, dass die Beschäftigungspoli- tik zu Beginn der Neunzigerjahre falsche Signale aus- gelöst hat und das Einstellungsverhalten der Unterneh- men sich intensiv auf die Studienwahl junger Menschen auswirkt. Die Quittung dafür war deutlich abzulesen an den Absolventen in den Ingenieurwissenschaften. Bezüg- lich der Klagen aus der Wirtschaft über Fachkräftemangel möchte ich sie vor der Umsetzung des so genannten „Schweinezyklus“ und vor einer Überbewertung von An- gebots- und Bedarfsprognosen warnen. Es muss gelingen, dass diese mit einer kontinuierlichen Personalpolitik po- sitive Signale setzen. Der Mangel an Ingenieuren kann zu einer ernst zu neh- menden Gefahr für den Forschungs- und Technologie- standort Deutschland werden. Diese hätte unter anderem dadurch abgewendet werden können, dass Sie dem vom Bundestag und Bundesrat verabschiedeten Zuwande- rungsgesetz zugestimmt hätten. Ihr zur Beschlussfassung vorgelegter Entschließungsantrag steht teilweise im Wi- derspruch zu früheren Anträgen Ihrer Fraktion. Wenn Sie es mir schon nicht glauben, dann wenigstens dem VDI, der eine schnelle Entscheidung in der Zuwanderungsfrage für hochqualifizierte Fachkräfte fordert und weiterhin da- rauf hinweist, dass kurzfristig die deutsche Wirtschaft ohne die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte nicht auskommt. Trotz hoher Arbeitslosenzahlen haben deutsche Unter- nehmen erhebliche Probleme, gerade freie Stellen für In- genieure zu besetzen. Deshalb sollten Unternehmen und Verbände ihre Aktivitäten zur Wiedereingliederung von Arbeitslosen in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit nachhaltig verstärken. Insbesondere älteren Ar- beitslosen sollten besondere Hilfestellungen gegeben werden. Dabei sollten Erfolge von Wiedereingliederun- gen in der Öffentlichkeit deutlicher gemacht und aus den dabei gewonnenen Erfahrungen gelernt werden. Um eine erfolgreiche Wiedereingliederung von ar- beitslosen Ingenieuren zu unterstützen, sind bei Weiter- bildungsmaßnahmen von Industrie und Weiterbildungs- einrichtungen sowie bei den von den Arbeitsämtern geförderten Maßnahmen die aktuellen Qualifikationsan- forderungen zu berücksichtigen. Durch die Weiterent- wicklung der Arbeitsmarktinstrumente des SGB III wer- den diese Bemühungen im Besonderen unterstützt. Auch die Hochschulen sollten vorhandene Ressourcen in die Nachqualifizierung arbeitsloser Ingenieure einbringen. Arbeitslosen Ingenieuren sollte geholfen werden, mögli- che Hemmschwellen zu überwinden und sowohl für neu entwickelte Weiterbildungsangebote als auch für berufli- che Flexibilität und regionale Mobilität offen zu sein. Gemeinsam mit Wirtschaft, Hochschule und Bundes- anstalt für Arbeit sind für den Ingenieurbereich Frühwarn- systeme zu entwickeln, um einem sich abzeichnenden Mangel an Ingenieuren sowie den immer wiederkehren- den Schwankungen von Angebotsüberhängen und Knappheit von Absolventen in den Ingenieurwissenschaf- ten rechtzeitig entgegenzuwirken. Alle Bildungsträger, insbesondere Schulen, Hochschulen, Weiterbildungsein- richtungen, sollten zusammen mit den Ingenieurverbän- den und der Wirtschaft Angebote zum lebenslangen Ler- nen entwickeln, damit sich Ingenieure auch außerhalb bzw. parallel zur Berufsarbeit das Wissen und die Fähig- keit zu neuen Technologien aneignen können. Die vom Bund, den Ländern und den Ingenieur- und Industrieverbänden initiierten Aktivitäten zielen in die richtige Richtung. So unterstützt das BMBF die Entwick- lung und Erprobung international kompatibler, gestufter sowie berufsorientierter Studiengänge mit berufsbefähi- gendem Abschluss. Dieses Programm wird mit über 40 Millionen Euro gefördert und findet bei Hochschulen und Studierenden eine sehr große Resonanz. Das BMBF hat unter der rot-grünen Regierung den Staub abgeschüttelt und hat sich neuen Ideen geöffnet; wir versprechen uns viel von den Bund-Länder-Modellpro- grammen bzw. versuchen „Modularisierung“ und „Neue Studiengänge“. Vor drei Jahren hat das BMBF die Studie „Neue An- sätze für Ausbildung und Qualifikation von Ingenieuren“ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24391 (C) (D) (A) (B) vorgelegt und bundesweit die Ingenieurinnen-Kampagne „be.lng – In Zukunft mit Frauen“ gestartet. Der 20-pro- zentige Anteil von Ingenieurinnen ist uns nicht genug: Die ingenieurwissenschaftlichen Fragen von morgen werden nur mittels interdisziplinärem Denken und sozialer und kommunikativer Kompetenz gelöst. Da können wir Män- ner oft von den Frauen lernen, was wir auch gern tun wol- len. Darum fördert das BMBF auch Konferenzen und Fach- tagungen, die die Möglichkeiten der stärkeren Einbindung von Frauen ins Ingenieurwesen aufzeigen sollen. Außer- dem unterstützt das BMBF eine Reihe von Initiativen zwi- schen Hochschulen sowie Forschungseinrichtungen und Schulen, um das Interesse von Schülerinnen und Schülern an naturwissenschaftlich-technischen Fragestellungen zu fördern. Ich möchte an dieser Stelle auch die Ingenieur- und Industrieverbände loben, die mit zahlreichen Aktionen und Initiativen für den Ingenieurberuf werben. Verantwortliche Gestaltung der Technik steht im Mit- telpunkt des Ingenieurhandelns. Wir verstehen unser be- rufliches Handeln als Aufgabe für die gesellschaftliche Entwicklung und gestalten dabei im intensiven Dialog mit dieser und der Politik sozial- und umweltverträgliche Lö- sungen. Ich danke dem VDI, dass er in seinen „Ethischen Grundsätzen des Ingenieurberufes“ niedergelegt hat, dass widerstreitende Wertvorstellungen in fach- und kultur- übergreifendenDiskussionen erörtert und abgewogenwer- den müssen. In den Grundsätzen heißt es unter anderem: Ingenieurinnen und Ingenieure bekennen sich zu ih- rer Bringpflicht für sinnvolle technische Erfindun- gen und nachhaltige Lösungen; sind sich bewusst über die Zusammenhänge technischer, gesellschaft- licher, ökonomischer und ökologischer Systeme und deren Wirkung in der Zukunft; orientieren sich an den Grundsätzen allgemein moralischer Verantwor- tung und achten das Arbeits-, Umwelt- und Technik- recht; diskutieren widerstreitende Wertvorstellungen fach- und kulturübergreifend. Ich bin ein Anhänger des Philosophen Karl Raimund Popper, der den ständigen Appell an die Vernunft zu sei- nem Lebenswerk gemacht hat, die versucht, die mensch- liche Irrationalität zu zügeln. Ein Wort zu dem Entschließungsantrag der CDU/CSU- Fraktion: Wir lehnen ihn ab, da er zum Teil überholt ist, teilweise im Widerspruch zu früheren Anträgen der CDU/CSU-Fraktion steht und Zuständigkeiten verwischt. Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Wie lange, meine Damen und Herren, braucht die Erde, um sich einmal um die Sonne zu drehen? Richtig, einen Monat. Als gebildete und naturwissenschaftlich interessierte Menschen wissen Sie das natürlich. 22 Prozent der Deutschen kennen die richtige Antwort jedoch nicht. Und fast jeder vierte Deut- sche glaubt, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Dies belegt eine neue Studie der EU-Kommission. Das Nachlassen des Interesses an Naturwissenschaften und Technik ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das sich seit Jahren verstärkt. Nicht erst PISA hat an den Tag gebracht, dass die naturwissenschaftlichen und ma- thematischen Grundkenntnisse der Schüler in Deutsch- land ein erschreckend niedriges Niveau erreicht haben. Aus eigenen Erfahrungen weiß ich, um wie viel interes- sierter und kompetenter beispielsweise osteuropäische Ju- gendliche auf diesem Gebiet sind. Nur 29,8 Prozent aller Deutschen sind generell an Wis- senschaft und Technik interessiert, deutlich weniger als im europäischen Durchschnitt mit 45,3 Prozent. In Frankreich und Großbritannien ist das Interesse mit 54,0 Prozent bzw. 47,3 Prozent wesentlich höher; Schweden führt mit 64,3 Prozent. Entsprechend ist es mit dem technischen und wissenschaftlichen Grundwissen in der deutschen Bevöl- kerung nicht weit her. Im Übrigen darf darauf ruhig einmal hingewiesen werden – denn das weisen die Recherchen aus –, dass die Ostdeutschen im Durchschnitt deutlich bes- ser informiert sind als ihre Mitbürger im Westen. Die Entscheidung für ein naturwissenschaftliches und technisches Studium und einen entsprechenden Beruf ist natürlich mit jahrelangem zielstrebigem Lernen und hohem persönlichen Einsatz verbunden. Bereits früh stellt man dann auch fest, wo man erwartungsgemäß mehr an Mühe und Arbeit investieren und sich eventuell auch wegen des direkten Praxiskontaktes die Finger schmutzig machen muss. Was gibt es aber Schöneres, als sich selbst zu opti- mieren, den eigenen Erfolg, die direkte Anerkennung durch eigenes Streben zu erreichen, an sichtbarer Wertschöpfung teilzuhaben. Ingenieure und Naturwissenschaftler tragen mit ihrer Arbeit direkt dazu bei, die Zukunft mit eigener In- telligenz und Kraft kreativ zu gestalten. Anfang des Jahres las ich auf einem Kalenderblatt ei- nen Satz von Paul Reynand: „Es ist immer verlockend, die Zukunft zu opfern um die Gegenwart ungestört genießen zu können.“ Es ist höchste Zeit, sich diesen Verlockungen zu widersetzen. Für eine verantwortungsbewusste Zu- kunftsgestaltung ist es absolut unzureichend, nur zu wis- sen, was oder wen man wo zu welchem Preis einkauft. Wir selbst müssen führend in Erfindungen, in der Tech- nologie und der Produktion sein. Attraktivität und Akzeptanz von Technik, Ingenieurleis- tungen und Naturwissenschaften insgesamt leiden in Deutschland an der oft übertriebenen Darstellung poten- zieller Gefahren. Ich erinnere da an die Stammzellende- batte in diesem Hause. Aus mitunter verständlichen Sin- gulären Ängsten wird ein antiwissenschaftliches Klima erzeugt, das unsere besten Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftler ins Ausland treibt und letztlich auch die Stu- dien- und Berufswahl junger Menschen in unserem Land beeinflusst. Archimedes soll übrigens 1 000 Ochsen ge- opfert haben, als er den Antrieb erfand. Seitdem haben die Ochsen Angst vor Erfindungen. Der Wunsch, möglichst alles im Ist-Zustand zu belas- sen, führt zu einem völlig ungerechtfertigten und schädli- chen Misstrauen gegenüber Innovationen. Über ein ange- brachtes Verantwortungsbewusstsein geht dies weit hinaus. Es ist absurd, wenn wir dann auch noch meinen, Verdientermaßen auf einer Insel des Dauerwohlstands zu leben und dass uns die Globalisierung nichts anginge. Die Zeit mag jedoch begrenzt sein, in der wir jedwedes Defi- zit einfach durch Einkauf mit einer stabilen Währung aus- gleichen können. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224392 (C) (D) (A) (B) Es passt ins Bild, dass Ingenieurinnen und Ingenieure in unserer Gesellschaft nicht die ideelle und materielle Anerkennung und Förderung erfahren, die sie verdienen, in anderen Ländern jedoch ganz selbstverständlich erhal- ten. Generell ist eine deutlich verbesserte Öffentlichkeits- arbeit und Werbung vonnöten, mit der die gesellschaftli- che Bedeutung von Technik, Naturwissenschaft sowie die Relevanz des Ingenieurberufs herausgestellt wird. Die Medien sind hier besonders gefragt. Warum sollten nicht naturwissenschaftliche und technische Spitzenleistungen, das Engagement für die Zukunft und ein Wettbewerb der Ideen spannende Themen sein, über die es lohnt zu be- richten? Im Bundestag wird derzeit ein Rechtsanwaltsvergü- tungs-Neuordnungsgesetz – RVNeuOG beraten. lm Volks- handbuch Deutscher Bundestag können wir nachlesen, dass sich 127 der 669 Abgeordneten beruflich den Rechts- und Staatswissenschaften zuordnen. Die Anzahl der jetzt 86 Abgeordneten, die Ingenieurwesen, Naturwissenschaf- ten, Wirtschaft und Sozialwissenschaften oder Betriebs- wirtschaft als ihre Berufsrichtung angeben wird, so weit zu übersehen, in der kommenden 15. Wahlperiode deut- lich geringer sein als zurzeit. Wer weiß von uns eigentlich, was die HOAI, die Ho- norarordnung für Architekten und Ingenieure festschreibt, wann und wo sie zuletzt aktualisiert wurde? Die HOAI stellt die Leistungs- und Qualitätssicherung durch ange- messene Honorierung des Leistungserbringers – Bera- tende Ingenieure, Ingenieure und Architekten gleicher- maßen – sicher. Sie darf nicht weiter hinter den Honorarentwicklungen anderer freiberuflicher Berufs- gruppen zurückbleiben, da sonst zwangsläufig der Be- rufsstand der Ingenieure schlechter gestellt und für den Innovationsnachwuchs unattraktiv wird. Über die derzeitige plakative Propagierung und Förde- rung der wissenschaftlich-technischen Entwicklungen „IT“ und „Biotechnologie“ ist die Stärkung aller Ingenieurdiszi- plinen mit einheimischen IngenieurabsoIventen das Gebot der Stunde. Jeder Bildungsweg muss kritisch unter die Lupe genommen und nötigenfalls unverzögert korrigiert – werden – PISA-Studie und Ing.-Absolventenzahlen. Das Wissenschafts- und Ingenieurpotenzial muss wieder den erforderlichen Perspektiven in Deutschland entsprechen. Sonst entwickelt sich Deutschland vom „Land der Ingeni- eure“ zum „Land der Rentner und Touristen“. Es muss jedem klar werden: Arbeitsplätze, Kaufkraft und Bruttosozialprodukt hängen in unserem Land we- sentlich von der Innovationsfreude und Kreativität unse- rer Ingenieure ab. Allein mit Dienstleistungen ist Deutschland nicht wettbewerbsfähig. Es interessiert den internationalen Markt nicht im Geringsten, wie oft und wie gut wir uns gegenseitig die Haare schneiden oder wie viel Geld wir für Rechtsstreitigkeiten ausgeben. Wenn also Technik eher als Problem oder Risiko denn als Chance begriffen wurde, ist es kein Wunder, dass seit Beginn der 90er-Jahre hierzulande eine deutliche Verrin- gerung der Studienanfängerzahlen in den natur- und inge- nieurwissenschaftlichen Fächern zu verzeichnen war. Von 1993 bis 2000 ist bei nahezu gleichbleibender Anzahl der Studierenden deren Anteil in den Ingenieurswissenschaf- ten um circa 25 Prozent zurückgegangen. Nun meldet die deutsche Wirtschaft einen stetig steigenden Bedarf an technischen Fach- und Führungskräften an, den der deut- sche Arbeitsmarkt nicht mehr decken kann. Der Mangel an Fachkräften wirkt sich bereits jetzt sehr negativ auf den Innovationsstandort Deutschland aus, bremst das Wirt- schaftswachstum und gefährdet unser Lebensniveau. Es ist gleichermaßen zynisch wie realitätsfern zu glauben, wir könnten unsere Defizite durch den Einkauf von Fach- leuten aus aller Welt beheben. Sie kommen nämlich gar nicht, die Mengen von Computer-Indern und IT-Söldnern, die der Kanzler durch die so genannte Greencard nach Deutschland locken wollte. Die Bedingungen sind den Umworbenen und ihren Familien woanders einfach at- traktiver. Auch wenn die deutsche Ingenieurausbildung nach wie vor Weltruf genießt, wird die Ankopplung der deutschen Ingenieurausbildung an den globalen Bildungsmarkt durch die mangelnde Vereinbarkeit der deutschen Di- plomabschlüsse mit angelsächsischen Bachelor- und Mas- terabschlüssen behindert. Mittlerweile bieten 80 Prozent aller Länder angelsächsische Studienabschlüsse an. Eine Überarbeitung der deutschen Hochschullehrpläne sowie die bundesweite Einführung von Bachelor- und Master- studiengängen sind neben dem Diplom bei Sicherung un- serer hohen Lebensqualität daher unumgänglich. In den dualen Einrichtungen werden, wie ich finde, Theorie und Praxis in höchst nützlicher Weise miteinan- der verbunden, werden wissenschaftliches Studium und praktische Ausbildung vorbildhaft miteinander kombi- niert. Die Übertragung des dualen Prinzips der Berufs- ausbildung auf das Studium ist in den Berufsakademien in Deutschland in hervorragender Weise geglückt. Ihre pra- xiserprobten Absolventen sind besonders gut für die An- forderungen der modernen Berufswelt gerüstet. Außer- dem gilt: Wer an einer Berufsakademie studiert, will wirklich im gewählten Beruf arbeiten und weiß, was er will. Er ist nicht auf Schnuppern, Wechseln und Abbre- chen aus. Die Anzahl ausländischer Ingenieurstudenten an deut- schen Hochschulen ist zurzeit noch viel zu gering. Rasch müssen neue Studiengänge eingeführt werden, die zu ei- ner Internationalisierung der deutschen Hochschulen führen, die globale Marktfähigkeit deutscher Absolventen verbessern und dazu beitragen, mehr ausländische Stu- dierende für deutsche Hochschulen zu gewinnen. Durch englischsprachige Studiengänge wird deren Attraktivität für ausländische Studierende erhöht. Dem Fachkräftemangel bei Ingenieuren und Naturwis- senschaftlern stehen rund 51 000 arbeitslose Ingenieurin- nen und Ingenieure, besonders viele davon in den neuen Bundesländern, gegenüber. Angesichts der immer älter werdenden Bevölkerung ist es doch eine sinnlose Ver- schwendung, wenn auf die Kompetenzen, Erfahrungen und Arbeitslust „älterer Ingenieure“ verzichtet wird. Wei- terbildung, Qualifizierung und Nachqualifizierung müs- sen daher absoluten Vorrang vor der Anwerbung auslän- discher Fachleute haben. Vorhandene und über Jahrzehnte erworbene Erfahrungen und Kenntnisse müssen ergänzt werden, um ältere beschäftigungslose Ingenieurinnen und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24393 (C) (D) (A) (B) Ingenieure – vor allem in den neuen Bundesländern – wie- der in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Nur rund 10 Prozent der erwerbstätigen Ingenieure in Deutschland sind Frauen. Der Anteil der Ingenieurinnen in den Kernbereichen Maschinenbau und Elektrotechnik liegt deutlich unter 10 Prozent. Der deutsche Absolven- tinnenanteil in den Ingenieurwissenschaften von 18 Pro- zent fällt im europäischen Durchschnitte mit 22 Prozent und gegenüber einzelnen europäischen Staaten – Italien und Spanien mit je 27 Prozent – sehr niedrig aus. Hier müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden, um Frauen stärker als bisher zu motivieren und zu fördern. Die Bundesregierung hat nach unserer Großen Anfrage die geschilderten Probleme zur Kenntnis genommen, bis- her aber nur unzureichend reagiert. Der Zeitpunkt der Be- handlung heute im Plenum spricht auch für sich. Die bis- her eingeleiteten Maßnahmen reichen nicht aus, um die wachsende Nachfrage nach Ingenieurinnen und Ingenieu- ren zu decken, die Ingenieurausbildung in Deutschland kurz-, mittel- und langfristig zu verbessern und die inter- nationale Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutsch- land zu sichern. Der überparteiliche, seit nunmehr drei Wahlperioden im Bundestag wirkende „Gesprächskreis Naturwissen- schaftler, Techniker und Ingenieure“ war und ist übrigens ein sehr sachlich und kompetent arbeitendes Gremium, das naturwissenschaftlich-technischen Sachverstand im Parlament befördert und manche Ideologie mit Blick auf physikalische Grundgesetze zu relativieren vermag. Ich möchte allen darin tätigen Kolleginnen und Kollegen für ihr Mitwirken herzlich danken und wünsche mir, dass die- ser Gesprächskreis – vielleicht mit noch größerem Effekt – in den nächsten Wahlperioden wieder zusammenfindet. Natürlich, dies ist bereits angeklungen, stehen wir mit den beschriebenen Fragen vor einem gesamtgesellschaft- lichen Problem, das die gemeinsame Anstrengung vieler Partner erfordert. Wirtschaft, Verbände und Medien ste- hen ebenso in der Pflicht wie die Bundesregierung; Marktforschungsinstitute sind gefragt, um durch Bedarfs- einschätzungen „Schweinezyklen“ zu vermeiden. Beson- ders wichtig ist die Rolle der Bundesländer. Die Kultus- hoheit der Länder darf nicht zum Hemmnis für gemeinsame Anstrengungen werden. KMK und BLK dür- fen sich nicht nur mit Moderieren, Feststellung von Mit- telmäßigkeit und Verwaltung beschäftigen. Was keines- wegs genügt, ist die Einberufung weiterer runder Tische, Arbeitsgruppen, Foren, Bündnisse und Debattierzirkel, wie es wieder einmal mit PISA zur großen Mode gewor- den ist. Handeln ist angesagt! Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag for- dert Sie, meine Damen und Herren in der Bundesregie- rung, und die einzelnen Bundesländer zu folgenden Schritten auf: Verbessern Sie mit den Medien die öffentliche Darstel- lung- und Würdigung der kreativen Leistungen von Inge- nieurinnen und Ingenieuren in Deutschland in Wirtschaft und Gesellschaft! Stärken Sie das Ansehen und die At- traktivität des Ingenieurberufs durch gezielte Öffentlich- keitsarbeit! Sorgen Sie dafür, dass die naturwissenschaftliche und technische Bildung in allen Schulformen und -stufen deutlich verbessert wird! Etwa ein Drittel der Unter- richtszeit sollte den mathematisch-naturwissenschaftlich- technischen Fächern vorbehalten bleiben. Der Unterricht muss durchgängig erteilt werden und früh einsetzen. Min- destens zwei Kurse aus Biologie, Chemie und Physik soll- ten für alle Schülerinnen und Schüler obligatorisch sein und zum Kernbereich von Prüfungen gehören. Setzen Sie sich für einen Unterricht mit mehr Lebens- und Praxisnähe ein, um Schülerinnen und Schüler schon frühzeitig zu begeistern! Häufige Kontakte mit der Ar- beitswelt und Praktika bereits in der Schule könnten hel- fen, den Schülerinnen und Schülern den Nutzen ihres Wissens und die Freude daran zu verdeutlichen und sie für ein technisches bzw. ingenieurwissenschaftliches Stu- dium zu motivieren. Ermöglichen Sie von Anfang an ein lebens- und pra- xisnahes Studium an deutschen Universitäten, Hochschu- len, Fachhochschulen und an Berufsakademien! Es ist dafür zu sorgen, dass die Bedingungen für die Einhaltung der Regelstudienzeit verbessert werden. Bereits vor An- tritt eines Studiums muss eine intensive Beratung zu den angebotenen Studienfächern, den Voraussetzungen für ein erfolgreiches Studium und den späteren Arbeitsperspekti- ven angeboten werden. Führen Sie in Ergänzung zu den bestehenden Studi- engängen an den deutschen Hochschulen international kompatible Master- und Bachelorstudiengänge in hoher Qualität schneller als bisher ein! Eine Modularisierung und damit Flexibilisierung des Studiums ist ebenso nötig wie die Modularisierung in der Berufsausbildung. Gleich- wohl müssen bewährte und anerkannte Abschlüsse wie der Diplom-Ingenieur beibehalten und modernisiert werden. Stellen Sie die internationale Vergleichbarkeit deut- scher Studienabschlüsse her und bauen Sie mit den Part- nern in der EU ein europaweites Ingenieurregister für die gegenseitige Anerkennung von Ingenieurabschlüssen auf! Überprüfen Sie die existierenden Ingenieurstudi- engänge auf aktuelle und bedarfsgerechte lnhalte. Dabei sollte insbesondere die Hochschuldidaktik um neue Ar- beits- und Lehrmethoden ergänzt werden. Folgende über- fachliche Studieninhalte sollten zum Beispiel in die ingeni- eurwissenschaftlichen Curricula übernommen werden: Erkenntnis- und Problemlösungsmethoden in Wissenschaft und Technik, Innovationspolitik und Technologietrans- fer, Technikfolgenabschätzung und Technikbewertung, Existenzgründungen und Methoden der Betriebsfüh- rung, Berufsethik des Ingenieurs sowie globale Markt- arbeit. Bauen Sie Zugangshürden für fähige und motivierte ausländische Studierende in Deutschland ab! Schnellere Genehmigungsverfahren, bessere Informationen über Stu- dienmöglichkeiten und eine Lockerung der auf 90 Tage im Jahr begrenzten Arbeitserlaubnis für ausländische Studie- rende sind nötig. Erleichtern Sie den Weg von der Ausbildung in Deutschland zum deutschen Arbeitsmarkt für ausländi- sche Studierende durch die Möglichkeit der Beschäfti- gung in Deutschland nach dem Abschluss des Studiums! Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224394 (C) (D) (A) (B) Die zurzeit praktizierte sofortige Ausreise nach dem Exa- men bietet keine Möglichkeiten für ausländische Absol- venten, sich in deutsche Projekte einzubinden und ihr in Deutschland erworbenes Wissen und ihre Fähigkeiten hier einzusetzen. Es ist allemal besser und konsequenter, ausländische Absolventen unmittelbar nach Studienab- schluss in unseren Arbeitsmarkt zu integrieren, als über die so genannte Greenncard Fachleute aus aller Welt ein- zukaufen. Stocken Sie die Zuwendungen für die Goethe-Institute und die deutschen Auslandsschulen auf, anstelle sie wei- ter zu kürzen! Gerade die genannten Einrichtungen brin- gen jungen Menschen im Ausland unsere Sprache, Ge- schichte und den Wissenschafts- und Technikstandort Deutschland näher und machen ein Studium in Deutsch- land attraktiv. Fördern Sie Kooperationsmodelle zwischen deutschen Schulen, Berufsakademien, Fach- und Hochschulen auf der einen und Auslandsschulen, Goethe-Instituten und ausländischen Hochschulen auf der anderen Seite! Entwickeln Sie neue Arbeitsmarktinstrumente sowie spezielle Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen, um das Erfahrungswissen älterer Ingenieurinnen und In- genieure so weit wie möglich zu nutzen und Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren! Insbesondere die brachliegenden Potenziale in den neuen Bundeslän- dern müssen genutzt, arbeitslosen Ingenieuren muss dort wieder eine Chance gegeben werden. Legen Sie Konzepte für das lebenslange Lernen so an, dass diese eine berufsbegleitende Weiterbildung der Inge- nieurinnen und Ingenieure sichern! Motivieren Sie insbesondere junge Frauen stärker dafür, sich für den Ingenieurberuf zu entscheiden! Maß- nahmen wie zum Beispiel ein speziell für Mädchen ge- stalteter Schulunterricht in Technik und Informatik, „Schnupper“-Exkursionen für Mädchen in der Berufsfin- dungsphase sowie Tutorinnen und Mentorinnen für Stu- dentinnen in den Ingenieurwissenschaften können hier hilfreich sein. Initiieren Sie einen europäischen Vergleich zur Studi- enmotivation zu den Studienbedingungen und zum Beruf- seinstieg von jungen Frauen in Ingenieurberufe, um für die deutsche Situation Veränderungsvorschläge abzuleiten und den Unternehmen Argumentationen für die verstärkte Einstellung von Ingenieurinnen anbieten zu können! Möglicherweise bleibt Ihnen, nicht mehr allzu viel Zeit, um die vorgeschlagenen Maßnahmen umzusetzen. Dennoch: Handeln Sie umgehend – wenn nicht mehr im eigenen Interesse, dann im Interesse unser aller Zukunft! Mit einer Zustimmung zu unserem Antrag, für den ich hier ausdrücklich werbe, können Sie ein positives Zeichen setzen. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der zukünftige Mangel an technischen Fachleuten in Deutschland ist unbestritten. Hier müssen wir gegensteu- ern, um die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre, die unter 16 Jahren schwarz-gelb gemacht wurden, zu korrigieren. Um die Probleme von heute richtig zu analysieren, muss man den Blick zurück werfen: Der Mangel an Inge- nieuren, der Mangel an IT-Fachkräften, für all diese Fehl- entwicklungen lässt sich als Ursache zunächst einmal die sträfliche Vernachlässigung der Bildung und Forschung unter der alten Regierung ausmachen. Während seit 1993 die Ausgaben in diesem Bereich schrittweise um insge- samt 360 Millionen Euro zusammengestrichen wurde, ha- ben wir seit Übernahme der Regierungsverantwortung den Etat für Bildung und Forschung um über 21 Prozent oder 1,5 Milliarden Euro erhöht! Es wäre allerdings ver- messen zu behaupten, allein mit mehr Geld wäre es getan. Nein, wir haben auch strukturelle Veränderungen auf den Weg gebracht, um den Nachwuchs wieder an die Na- turwissenschaften heranzuführen, sofern es die Kompe- tenzverteilung zwischen Bund und Ländern zulässt. Die rasche Entwicklung und Verbreitung der Informa- tions- und Kommunikationstechnologien stellt die Aus- und Weiterbildung vor neue inhaltliche und strukturelle Herausforderungen. Es ist notwendig, unsere Bildungs- einrichtungen mit multimediafähigen Computern und In- ternetanschlüssen auszustatten und didaktisch hochwer- tige Bildungssoftware bereitzustellen. Außerdem müssen die Rahmenbedingungen für die Bereitstellung eines aus- reichenden, hoch qualifizierten IT-Fachkräfteangebotes verbessert sowie neue multimediagestützte Formen des Lehrens und Lernens entwickelt und genutzt werden. Zur Beseitigung des Mangels an hoch qualifizierten Fachkräften im Bereich Informations- und Kommunikati- onstechnik wurde im Fach- und Themendialog „Beschäf- tigungspotenziale in der Informationswirtschaft“ im Rah- men des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit ein Maßnahmenpaket vereinbart zur Steigerung der IT-Ausbildungsstellen sowie zur Aus- weitung und Verbesserung des IT-Aus- und Weiterbil- dungsangebotes. Die Bundesregierung ergänzt dies durch die Greencard-Initiative, die von den Damen und Herren der CDU/CSU – anscheinend trotz besseren Wissens, wie wir dem hier zur Debatte stehenden Antrag entnehmen können – abgelehnt wurde. Ich möchte noch auf zwei Punkte Ihres Antrages ein- gehen, die ich für sehr bemerkenswert halte: Die Frage der Anzahl ausländischer Studierender an unseren Hochschu- len und die niedrige Anzahl von Frauen in diesem Be- reich. Die rot-grüne Bundesregierung hat sich seit jeher für das Anwerben von ausländischen Studierenden und Wissenschaftlern stark gemacht, um den Wissenschafts- und Hochschulstandort Deutschland zu verstärken. Im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes werden wir überflüs- sige Behördengänge aufheben und die Aufenthaltserlaub- nis vor und nach dem Studium verlängern. Auf die vielen weiteren Verbesserungen kann ich im Einzelnen nicht ein- gehen. Zukunftsorientierte Politik muss die Vorausset- zungen dafür schaffen, dass Frauen in allen Bereichen und auf allen Ebenen, vor allem in Führungspositionen, ver- treten sind. Die unterschiedlichen Sichtweisen und Denk- ansätze von Frauen und Männern müssen genutzt werden, im Interesse von Fortschritten in Bildung, Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt. Dies ist Schwer- punktaufgabe des BMBF. Für diese Aufgabe hat das BMBF das Referat „Frauen in Bildung und Forschung“ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24395 (C) (D) (A) (B) etabliert. Es hat die Aufgabe, Gender Mainstreaming im BMBF durchzusetzen mithilfe eines eigenen Haushaltsti- tels „Strategien zur Durchsetzung von Chancengleichheit für Frauen in Bildung und Forschung“. Sie sehen, die Bundesregierung hat längst im Sinne des Antrages der Union gehandelt, viel früher als die Union dieses Problem erkannt hat. Wir werden weiter daran arbeiten, sodass es zu dem befürchteten Ingenieurmangel in Deutschland nicht wirklich kommen muss. Ulrike Flach (FDP): „Oft ist es so, dass die ganze Ar- beit an mir hängen bleibt. Aber wer organisiert schon gern den nächsten Schulausflug? Und wenn’s sonst niemand macht, dann mach’s halt ich“. Das ist eine von sieben Ein- schätzungsfragen in der BMBF-Broschüre „Beruf: Inge- nieurin“, mit der junge Frauen herausfinden können, ob sie für den Ingenieurberuf geeignet sind. Die anderen Fra- gen sind von ähnlicher Güte und das Erstaunliche ist: egal, wie viele Punkte man bzw. Frau bei den Fragen er- zielt, immer wird das Berufsziel Ingenieurin empfohlen: Solche Tests gehören ins „Goldene Blatt“, aber nicht in eine ernsthafte Broschüre, mit der junge Frauen ihre Fra- gen zur Berufswahl klären wollen. So werden Sie über die 15 Prozent Anteil von Frauen in den Ingenieurberufen nicht hinauskommen. Die Zahl der Studienanfänger in den Ingenieurwissen- schaften ist in den letzten Jahren wieder angestiegen. Das ist erfreulich, aber im Vergleich zu Mitbewerbern wie Großbritannien mit Steigerungsraten von 34 Prozent oder Japan mit 17 Prozent hängen wir noch hinterher. Die Absolventenzahl ist nach wie vor gering bei gleich- mäßig hoher Nachfrage. Wir werden unseren Bedarf von circa 20 000 Ingenieuren auch in den nächsten Jahren nicht selbst decken können. Gleichzeitig steigt aber auch die Zahl der arbeitslosen Ingenieure; nach den Zahlen des VDI wa- ren im Dezember 2001 53 483 Ingenieure ohne Beschäfti- gung. Das sind 3,5 Prozent mehr als im Dezember 2000. Es sind über ein Drittel ältere Ingenieure über 55 Jahre, die am Arbeitsmarkt kaum Chancen haben. Hier müssen wir gezielt mit Integrationsprogramme ansetzen. Ich wehre mich auch dagegen, dass angesichts einer Lebenserwartung, die nach Erkenntnissen der Alterungsforschung drastisch zunehmen wird, einem Menschen mit 55 bereits gesagt wird, für dich finanzieren wir keine Qualifikationsmaßnahmen mehr. Hier müssen die Arbeitsämter umdenken. Die Ingenieurlücke gefährdet Wachstum und Innova- tionen. Dabei reicht es nicht aus, erst an der Hochschule zu beginnen. Interesse für Naturwissenschaften muss schon im Elternhaus geweckt werden. In den Schulen muss wieder ein stärkerer Schwerpunkt auf die Naturwis- senschaften gelegt werden. Die Kritik, die VDI-Direktor Dr. Fuchs an der heutigen Rede des Bundeskanzlers geübt hat, ist berechtigt: kein Wort zur Stärkung des Technikunterrichts. Junge Men- schen müssen in den Schulen ihr Techniktalent erproben können. So, wie es nicht sein kann, dass man ohne das Fach Deutsch sein Abi macht, so darf es auch nicht sein, dass das Abitur ohne eine Naturwissenschaft erworben wird. Die Ingenieurausbildung in Deutschland muss auf die Internationalisierung der Wirtschaft reagieren. Studi- enangebote und Abschlüsse müssen internationaler wer- den, das heißt zum Beispiel auch mehr englischsprachige Studiengänge müssen angeboten werden. Es ist gut, dass der Antrag der Union dieses Thema aufgreift. Entscheidend wird es sein, die Kooperation zwischen Unternehmen und Hochschulen zu verbessern. Ich be- grüße den Vorschlag des VDI, an den Hochschulen Prak- tikantenplätze einzurichten. Heute klagt jedes dritte Unternehmen in Deutschland über einen Mangel an qualifiziertem Personal. Bei den In- genieuren brauchen wir neben der Weiterqualifizierung und Werbung im Inland auch die Anwerbung aus dem Ausland. Auch dies ist nur mit einer konzertierten Aktion von Ministerien, Hochschulen, Wirtschaft und Politik zu bewältigen. Hier sehen wir bei der Bundesregierung zwar eine zutreffende Problembeschreibung, aber wenig kon- kretes Handeln. Wolfgang Bierstedt (PDS): In der Großen Anfrage der CDU/CSU werden wichtige Fragen für die Zukunfts- fähigkeit einer nachhaltigen Entwicklung in Deutschland aufgeworfen. Wer selbst als Ingenieur tätig ist, kennt aus eigener Erfahrung die gesellschaftliche Brisanz der auf- geworfenen Probleme. Bei folgenden Fragen gibt es akuten Handlungsbedarf in der Aus- und Weiterbildung sowie dem Einsatz von In- genieurinnen und Ingenieuren: Erstens. Für eine nach- haltige Entwicklung muss die Ingenieursausbildung auf einen sozial-ökologischen Umbau zugeschnitten werden; denn dieser setzt Innovationen auf technischem und ge- sellschaftlichem Gebiet voraus. Dies stellt Ingenieure und Ingenieurinnen vor bislang unbekannte Herausforde- rungen. Die Schaffung zukunftsfähiger Ingenieurarbeits- plätze zieht die Schaffung weiterer Arbeitsplätze in den Bereichen Wirtschaft, Forschung, Entwicklung und Ver- waltung nach sich und erfordert: eine Ökologisierung der Ingenieurausbildung an Berufsschulen, Fachhoch- schulen und Universitäten, die Verankerung ökolo- gisch-sozialer Erfordernisse in mathematisch-naturwis- senschaftliche Schulfächer, die Fortführung eingeleiteter Maßnahmen zur Stärkung der fachlichen sozial-ökologi- schen Inhalte und Fähigkeiten zur Technikfolgenabschät- zung in die unmittelbare Ingenieurausbildung, eine Stei- gerung des öffentlichen Ansehens des Ingenieurberufs. Denn ihr Engagement für die Entwicklung und Anwen- dung risikovermeidender und umweltschonender Tech- nologien als auch solcher zur Beseitigung von selbst- verursachten Umweltschäden ist unabdingbar. Dennoch wenden wir uns dagegen, dass die Ingenieure und Ingeni- eurinnen zum Sündenbock der Wirtschaft gemacht wer- den. Unzureichendes Ansehen dieser Berufsgruppe hat immensen Einfluss auf die Nachwuchsförderung. Zweitens. Obwohl sich trotz Konjunkturabkühlung ein wachsender Mangel an Ingenieuren und Ingenieurinnen abzeichnet, wächst die Anzahl der erwerbslosen älteren Ingenieure und Ingenieurinnen. Im Frühjahr 2002 zählte die Bundesanstalt für Arbeit 60 000 Erwerbslose in die- ser Berufsgruppe, ohne Informatiker. Angesichts dieses brachliegenden Potenzials ist einzuschätzen, dass die vie- len Fördermaßnahmen zur Wiedereingliederung erwerbs- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224396 (C) (D) (A) (B) loser Ingenieure und Ingenieurinnen und die Appelle des BMBF wenig Erfolg hatten. Hauptproblem scheint weder die Vermittlung noch das Fehlen von Fachvorträgen zu sein, sondern ganz eindeutig die zurückhaltende Ein- stellungspolitik der Unternehmen. Auch Lohnkostenzu- schüsse von bis zu 70 Prozent, nach dem Job-AQTIV-Ge- setz für ältere Ingenieure reizt die Unternehmen nicht zu deren Einstellung. Bei den von der Bundesanstalt für Ar- beit veranlassten Formen von Ingenieurarbeit fehlen An- gebote zur Sicherung der Kette Angestellter–Erwerbs- loser–Selbstständiger. Ohne Erreichtes infrage zu stellen, bedarf es in der Zusammenarbeit der Bundesministerien für Arbeit und für Bildung und Forschung einer Konzi- pierung und Erprobung neuer Modelle zur projektbezo- genen Förderung älterer erwerbsloser Ingenieure und In- genieurinnen, zum Beispiel Module Arbeit in Firma, Qualifizierung, Projekttätigkeit. Drittens. Qualifiziert werden muss die berufliche und studentische Ausbildung der Ingenieure und Ingenieurin- nen. Hier gehören Schlüsselqualifikationen, soziale und ökologische Kompetenzen, dazu. Keine schnelle, effizi- ente Ausbildung ist zu erwarten, wenn 62 Prozent dieser Studierenden während ihres Studiums erwerbstätig sein müssen, um sich über Wasser zu halten. Ein höheres BAföG mit erweiterten Zugangsmöglichkeiten ist uner- lässlich. Studiengebühren hemmen die Attraktivität die- ses sehr anspruchsvollen Berufsfeldes für junge Leute. Die Tatsache, dass 50 Prozent der Studierenden dieser Fachrichtungen das Studium abbrechen, weist auf defi- zitäre Rahmenbedingungen hin. So ist die Bundesregie- rung gefordert, der Abwerbung von Studierenden der In- genieurwissenschaften vor Beendigung ihres Studiums mit einem Zertifikat durch Wirtschaftsunternehmen einen Riegel vorzuschieben. Viertens. Dauerproblem ist das anhaltend geringe In- teresse von jungen Frauen für eine Ingenieursausbildung. In der Elektrotechnik sind nur 5,3 Prozent beschäftigt, im Maschinenbau und der Verfahrenstechnik 13,1 Prozent und 29,3 Prozent im Vermessungswesen. Aber für eine ökologisch-soziale Ausrichtung dieser Berufsfelder und für „Hybridstudiengänge“ wie Informationstechnik und Softwareingenieuring sind Frauen nötig. Die Anstrengun- gen der Regierung zur stärkeren Beteiligung von Frauen in Forschung und Lehre in Naturwissenschaften, Technik und Ingenieurwissenschaften im Rahmen des Programms „Chancengleichheit von Frauen in Lehre und Forschung“ reichen dazu nicht aus. Fünftens. Zweifelsohne ist eine selbsttragende Ent- wicklung Ostdeutschlands ohne Entwicklung seiner Inno- vationskraft und ohne Ingenieure mit hoher sozialer Kompetenz und moderner Ausbildung undenkbar. Selbst eine Studie der Deutschen Nationalstiftung und des BDI erkennt die Notwendigkeit einer flächendeckenden Stär- kung und regionalen Bündelung der Innovationskraft in den neuen Bundesländern. Im Vergleich zu Westdeutsch- land beträgt das FuE-Personal im Osten pro 1 000 Be- schäftigten nur 30 Prozent. Hier besteht Mangel an Fachkräften und Arbeitsplätzen. Denn ostdeutsche Absol- venten und Absolventinnen wandern in den „goldenen“ Westen ab und die Wiedereinstellung älterer Ingenieure und Ingenieurinnen ist gefährdet. Selbst erfolgreiche Existenzgründer und Existenzgründerinnen leiden zum Teil an fehlender Entwicklung ihrer Produkte und Dienst- leistungen sowie einer Qualifizierung ihrer Produktions- abläufe wegen fehlenden Fachpersonals. Dabei würde sich der Einsatz älterer ostdeutscher erwerbsloser Ingeni- eure nicht nur auf Maschinenbau und Elektrotechnik, son- dern auch auf regionale ökologische Modernisierung und Umstrukturierung wie Biomasse für die Energieerzeu- gung, Landschaftsraumgestaltung, Ausbau regionaler Stoffkreisläufe, Industriebranchensanierung, nachhaltige Infrastrukturgestaltung und Aufbau regionaler Akteurs- netzwerke für lokale Produktion konzentrieren. Über- haupt geht es um ihre Mitwirkung an der Kommunalver- waltung; denn dort ist die Anzahl der Juristen und Juristinnen viel zu hoch. Sechstens. Weiterer Überlegungen bedarf der Ausbau der Fachhochschulen; denn sie besitzen wegen ihrer Pra- xisorientierung weltweit einen guten Ruf. Wir unterstüt- zen den Standpunkt des Wissenschaftsrates zur Lenkung von Studentenströmen in die Fachhochschulen und zum Auf- und Ausbau selbiger zur Entlastung der Universi- täten. Ausbildung in kleinen Seminargruppen, großer Praxisanteil sowie Erhalt des akademischen Grades „Di- plom“ sollten Qualitätsmerkmale sein. Denn die Ameri- kanisierung der Abschlüsse durch die Einführung von Bachelor und Master lassen Fachhochschulen eine Ver- wässerung und Abwertung ihres Niveaus befürchten. Un- verantwortlich in diesem Kontext ist die Entscheidung der Innenpolitik, FHH-Absolventen Zugänge zum höheren Dienst zu verwehren. Den Entschließungsantrag der CDU/CSU zur Situation und Perspektiven der Ingenieurinnen und Ingenieure in Deutschland finden wir angemessen. Wir können ihn aber nicht mittragen, weil nach unserer Auffassung die Fragen eines ökologisch-sozialen Umbaus in der Ausbildung und Qualifizierung dieser Berufsgruppe zu wenig berücksich- tigt wurden. Ebenfalls enthält dieser Antrag nur indirekt Hinweise zur Unterstützung der besonderen Interessen der vielen arbeitslosen Ingenieurinnen und Ingenieure in Ostdeutschland. Aus diesen Gründen enthalten wir uns der Stimme. Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe: – Gesetz über die Behandlung von Petitionen und über die Aufgaben und Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundes- tages – Petitionsgesetz (PetG) – ... Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 45 c) (Tagesordnungspunkt 18) Anni Brandt-Elsweier (SPD): Das Petitionsrecht ist ein Grundrecht und als solches seit 1949 in Art. 17 Grund- gesetz verankert. Dieser Art. 17 gewährt jedermann das Recht, Bitten und Beschwerden einzureichen. Das Petiti- onsrecht gilt somit für Erwachsene und Minderjährige, für Ausländer und Staatenlose und auch für Inhaftierte. Die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24397 (C) (D) (A) (B) Bürgerinnen und Bürger können sich in eigener Sache, für andere oder im allgemeinen Interesse an den Petitions- ausschuss wenden. Seit 1949 sind circa 4,5 Millionen Eingaben an den Deutschen Bundestag und seinen Petitionsausschuss ge- richtet worden. Die hohe Zahl verdeutlicht, dass sich viele Menschen mit ihren Beschwerden, aber auch Sorgen und Nöten an das Parlament wenden. Die Zuschriften bieten einen Querschnitt dessen, was den Menschen von 1949 bis heute das Leben schwer macht und was sie verändert haben wollen. Das Petitionsrecht bietet aber auch die Chance; durch politische Anregungen und Forderungen Einfluss zu neh- men. Viele Menschen sehen im Petitionsrecht durchaus eine Möglichkeit, mit einer Bitte zur Gesetzgebung ihre Vorstellungen an den Deutschen Bundestag weiterzuge- ben. Zahlreiche Beispiele aus der Praxis zeigen, dass die Arbeit des Petitionsausschusses oft da anfängt, wo Justitia und Verwaltungsstellen an die Rechtslage gebunden sind und den Betroffenen gerade deshalb nicht geholfen wer- den konnte. Das Petitionsrecht ist also eine demokrati- sche, sinnvolle und vielgenutzte Einrichtung. Die SPD-Fraktion unterstützt und fordert schon lange eine Stärkung der Beteiligungsrechte unserer Bürgerin- nen und Bürger. Aus diesem Grund haben wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner in dieser Legislaturperiode den Gesetzentwurf für die Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in den Bundestag ein- gebracht. Denn Beteiligung bedeutet Verantwortung – mehr Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger. Und sie bedeutet: „Mehr Demokratie wagen!“ Auch die CDU/CSU hatte sich in den letzten Jahren im- mer wieder für mehr direkte Demokratie ausgesprochen. Leider hat Sie, Kolleginnen und Kollegen, in der entschei- denden Minute der Mut verlassen, und Sie haben unserem Gesetzentwurf die notwendige Zweidrittelmehrheit ver- weigert. Ich finde das höchst bedauerlich, und es drängt sich der Verdacht auf, dass weniger sachliche Argumente denn Wahlkampftaktik ausschlaggebend für Ihre Ent- scheidung war. Sie hat aber auch gezeigt, dass Sie an einer wirklichen Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger an den Entscheidungen in diesem Land nicht interessiert sind. Auch einer Erweiterung der Kompetenzen des Petiti- onsausschusses stehen wir grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. So haben wir uns bereits im Rahmen eines Be- schlusses des SPD-Parteivorstandes vom März 2001 dafür ausgesprochen, beispielsweise dem Petitionsaus- schuss das Recht zuzuerkennen, Petitionen anderen Aus- schüssen bzw. dem Plenum des Deutschen Bundestages zur Befassung und Entscheidung zuzuweisen. Als genauso wichtig erachten wir erweiterte Aktenein- sichts- und Beiziehungsrechte für den Petitionsausschuss. Insbesondere das Instrument der Massenpetitionen halten wir für eine gute Möglichkeit, den Bürgerinnen und Bür- gern vermehrte Beteiligungsrechte zu geben. Allerdings muss die Kompetenzerweiterung des Petiti- onsausschusses natürlich in einer rechtlich einwandfreien Form durchgeführt werden. Bei aller grundsätzlichen Übereinstimmung bezüglich des Anliegens kann man den vorliegenden Gesetzentwurf der PDS-Fraktion nicht als geeignet betrachten, da ich doch bei einigen Regelungen erhebliche Zweifel habe, ob diese rechtlich einwandfrei sind. So habe ich bereits bei Betrachtung von § 1 Abs. 1 Be- denken, wenn der Begriff „Jedermann“ des Art. 17 GG durch „jede Frau und jeder Mann“ ersetzt wird. So sehr ich mich stets für eine gleichberechtigte Berücksichti- gung von Frauen auch in der Sprache eingesetzt habe, ist diese Neuformulierung hier nicht angebracht. Denn unter Frau und Mann sind lediglich erwachsene Personen zu verstehen, wohingegen der Begriff „Jedermann“ in seiner Bedeutung jeden Menschen, also auch Kinder und Ju- gendliche, umfasst. Die PDS verfolgt mit diesem Entwurf weiterhin das Ziel, das heute in verschiedenen, einzelnen Vorschriften kodifizierte Petitionsrecht in einem einheitlichen Gesetz zusammenzufassen. Ich persönlich halte es schon grundsätzlich für äußerst bedenklich, Regelungen unter- schiedlichen Ranges, also Verfassungsrecht, einfaches förmliches Recht und Geschäftsordnungsrecht, in einem förmlichen Gesetz zusammenzufassen. Angesichts der in Art. 40 GG festgelegten Geschäfts- ordnungsautonomie ist die Frage zu stellen, ob und in- wieweit der Deutsche Bundestag überhaupt berechtigt ist, eine Angelegenheit der Geschäftsordnung in einem förm- lichen Gesetz zu regeln, sofern das Grundgesetz dafür kei- nen Gesetzesvorbehalt enthält, und der ist in Art. 17 GG nicht zu finden. Meiner Auffassung nach kann die Absicht, alle materi- ell- und verfahrensrechtlichen Regelungen des Petitions- rechts, die für Petitionen an den Deutschen Bundestag gelten, alleine zur Verbesserung der Übersichtlichkeit und Transparenz in einem Gesetz „zusammenzufassen“, nicht als gewichtiger sachlicher Grund und pauschale Recht- fertigung ausreichen, in die einschlägigen Verfahrensvor- schriften derart einzugreifen. Neben dieser grundsätzlichen Überlegung weist der Entwurf auch schwerwiegende inhaltliche Mängel auf. Ich möchte hier nur einige aufgreifen: So sieht beispiels- weise § 6 Abs. 2 vor, dass die Entscheidung über eine Pe- tition durch Beschluss erfolgen soll, der seinerseits mit ei- ner Begründung versehen ist. Eine aus der Verfassung abzuleitende Pflicht, die Entscheidung über die Petition zu begründen, besteht nach einhelliger Rechtsprechung nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat eine derartige Verpflichtung verneint. Die Rechtsprechung der Verwal- tungsgerichte und der Verfassungsgerichte der Länder ist dem gefolgt. Aus der jetzt geltenden Selbstbindung des Petitionsausschusses, den Bescheid zu begründen, ist kein Recht des Petenten auf Begründung herzuleiten. Würde man dem Gesetzentwurf folgen und eine Pflicht vorsehen, würde dies auch einen Anspruch des Petenten begründen, sodass er eine entsprechende Leistungsklage erheben könnte, die zur verwaltungsgerichtlichen Über- prüfung des Bescheids führt. Dies aber verstößt meines Erachtens gegen die Parlamentsautonomie. Laut vorlie- gendem Gesetzentwurf soll bei bevorstehendem Vollzug einer beanstandeten Maßnahme der Beschluss des Peti- tionsausschusses die Aussetzung der Vollziehung dieser Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224398 (C) (D) (A) (B) Maßnahme begründen können. In § 11 Abs. 3 Satz 2 soll dies sogar für einen entsprechenden Beschluss eines der Petitionsausschüsse der Länder gelten. Dies wiederum bedeutet einen erheblichen Eingriff in die Kompetenzen der Länder, dem wir so nicht zustimmen können. Das vorgesehene Minderheitenvotum in § 12 Abs. 2 würde unserer Auffassung nach die wichtige Befrie- dungsfunktion des Petitionsverfahrens empfindlich stören. Hinzu kommt, dass ein derartiges Minderheiten- votum den Interessen der Petentin und des Petenten nicht dient, sondern allenfalls der Selbstdarstellung kleinerer Fraktionen. § 13 Abs. 7 regelt, dass die Arbeit des Petitionsaus- schusses durch den Ausschussdienst der Bundestagsver- waltung unterstützt wird. Dies bedeutet einen Eingriff in die Organisationsgewalt des Bundestagspräsidenten, den wir auf diese Weise nicht vornehmen können. Auch die in § 15 des Gesetzentwurfs grundsätzlich ge- forderte Öffentlichkeit der Sitzung des Petitionsausschus- ses ist nicht angebracht. Die überwiegende Anzahl der Pe- titionen ist nicht geeignet, in der Öffentlichkeit behandelt zu werden. Häufig sind es Angelegenheiten, die persönli- che Probleme betreffen, sodass sich schon aus daten- schutzrechtlichen Gründen die öffentliche Behandlung verbietet. Die größten Bedenken habe ich jedoch bezüglich der §§ 16, 17 und 18 des Gesetzentwurfs, die zum Thema Sachaufklärung, Anhörung und Beweiserhebung Regelun- gen treffen, die einem Gerichtsverfahren gleichkommen. So sieht § 18 ein umfassendes Beweiserhebungsrecht ent- sprechend den Regelungen der Strafprozessordnung vor und gibt die Möglichkeit der Vereidigung von Zeugen. Dies sollte meiner Einschätzung nach nicht zugelassen werden, zumal dies im Untersuchungsausschussrecht ge- rade von uns abgeschafft worden ist. Ich möchte betonen, dass der Petitionsausschuss keine weitere Rechtsmittelinstanz sein kann. Wir haben eine strenge Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Gerichtsbarkeit. Diese Gewaltenteilung würde mei- ner Einschätzung nach hier durchbrochen, wenn der Peti- tionsausschuss diese weit gehenden Rechte der Sachauf- klärung und Beweiserhebung erhält, sodass damit eine weitere Rechtsmittelinstanz geschaffen würde. Schließlich kann ich mich auch nicht des Eindrucks er- wehren, dass einer der Hauptbeweggründe der PDS-Frak- tion, diesen Gesetzentwurf vorzulegen, der Versuch der Überbetonung von Minderheitenrechten ist. Die Entwürfe sind meines Erachtens stark von dem Gedanken geprägt, einer kleineren Fraktion mittels des Petitionsrechtes die Möglichkeit zu einer besseren Selbstdarstellung zu geben. Dies können wir im Interesse eines funktionierenden Par- lamentes nicht akzeptieren. Wir lehnen deshalb die vorliegenden Gesetzentwürfe ab. Hubert Deittert (CDU/CSU): Nach Art. 17 unseres Grundgesetzes hat jedermann das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volks- vertretung zu wenden. Dies ist ein Grundrecht, von dem auf Bundesebene durchschnittlich etwa 20 000 Bürgerin- nen und Bürger pro Jahr Gebrauch machen. Sie wenden sich mit konkreten Beschwerden, häufig aber auch mit Bitten zur Gesetzgebung, an den Deutschen Bundestag. In den zwölf Jahren seit der deutschen Einheit waren es ins- gesamt immerhin über 230 000 Menschen, die sich mit ihren Problemen, ihrer Kritik oder ihren Vorschlägen ver- trauensvoll an den Bundestag als Institution gewandt ha- ben. Darüber hinaus gibt es natürlich noch unzählige Ein- gaben, die die Abgeordneten des Deutschen Bundestages von Bürgern ihres Wahlkreises unmittelbar erhalten, so- wie die Petitionen, die an die Landesvolksvertretungen oder an andere Stellen gerichtet werden. Das Petitionsrecht ist ein hohes Gut, mit dem es sorg- fältig umzugehen gilt. Das wissen meine Kolleginnen und Kollegen, die sich im Petitionsausschuss mit einer großen Zahl einzelner Petitionen befassen, sehr gut. Kollege Martin Hohmann hat in dieser Wahlperiode sogar bereits 1 000 Akten als Berichterstatter bearbeitet. Das ist ein stolzes Ergebnis. Die zahlreichen Fälle, in denen eine Lö- sung für das vorgebrachte Problem gefunden werden kann oder deren Anregungen aufgegriffen werden, sind allen Beteiligten – den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wie den Abgeordneten – Ansporn und Ermutigung zugleich. Grundsätzlich – das möchte ich hier gerne feststellen – nehmen die Bundesministerien und auch andere Behör- den das Petitionsrecht der Bürger und die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages durch- aus ernst. Und das ist auch gut so. Gelegentlich zeigt sich jedoch in der mühevollen Arbeit des Petitionsausschusses auch, dass dieses Bürger- recht von der Exekutive nicht immer ernst genug genom- men wird. Der Deutsche Bundestag hat in der vergange- nen Woche eine Petition einstimmig der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen, weil der Petitionsaus- schuss im Laufe eines Jahres bei mehreren Beratungen und Anhörungen von Regierungsvertretern den Eindruck gewinnen musste, dass immer wieder um den heißen Brei herum geredet wurde, ohne dass man weiter gekommen wäre. Lassen sie es mich anders formulieren: Manchmal scheint es, als beiße sich die Katze in den Schwanz. Es ging um die Petition, mit der sich Anwohner aus dem oberbayerischen Ort Valley gegen Beeinträchtigungen durch den amerikanischen Kurzwellensender Holzkir- chen wenden. Ich möchte hier gar nicht näher auf die Ein- zelheiten eingehen, aber doch darauf hinweisen, dass sich dieses Haus durch die Bank hinweg einig sein kann, wenn es um nachvollziehbare Beschwerden geht und die Re- gierung diese – wie hier – offenbar bisher nicht ernst ge- nug genommen hat. Mit diesem Beispiel möchte ich belegen, dass das In- strumentarium, das dem Petitionsausschuss zur Verfü- gung steht, sehr nützlich ist und sich insgesamt bewährt hat. Der Petitionsausschuss macht nur in Maßen von den ihm eingeräumten Befugnissen Gebrauch, mit denen er Licht in das Dunkel mancher Petition bringen kann. Und auch das höchste Votum, die Überweisung „zur Berück- sichtigung“, wird nur in wenigen, besonders begründeten Einzelfällen ausgesprochen. Häufiger sind Beschlüsse, mit denen Petitionen der Bundesregierung „zur Erwä- gung“ überwiesen werden, damit die Regierung nach Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24399 (C) (D) (A) (B) Lösungsmöglichkeiten sucht. Als sehr hilfreich hat sich auch die Möglichkeit erwiesen, vor allem bei laufenden Gesetzesvorhaben, Petitionen der Bundesregierung „als Material“ zu überweisen. Und als Anregung für eigene Initiativen dient die recht häufige Überweisung an die Fraktionen des Deutschen Bundestages „zur Kenntnis“. Der Petitionsausschuss hat in den vergangenen Mona- ten über die Gesetzesinitiativen der PDS Fraktion beraten und sich mehrheitlich – ebenso wie die mitberatenden Ausschüsse Innen, Recht und der federführende 1. Aus- schuss – gegen die Annahme des Petitionsgesetzes und des Gesetzes zur Änderung von Art. 45 c des Grundge- setzes gewandt. Der Kollege Volker Kauder hatte bereits in der ersten Lesung für meine Fraktion deutlich gemacht, dass die geltende Regelung des Art. 45 c Grundgesetz sys- tem- und sachgerecht ist und keinesfalls ein Redaktions- versehen darstellt. Die Petitionsgruppe in der CDU/CSU-Fraktion hat sich auf einer Klausurtagung im Januar dieses Jahres ein- gehend mit dieser Initiative zur Änderung des Peti- tionsrechts auseinandergesetzt. Dabei haben wir auch un- seren ehemaligen Kollegen, den langjährigen Vorsit- zenden des Petitionsausschusses Dr. Gero Pfennig, zu Rate gezogen, dem ich von dieser Stelle noch einmal herz- lichen Dank sagen möchte. Lassen sie mich hier für die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages feststellen: Wir stehen einer Fort- entwicklung des Petitionsrechts aufgeschlossen gegen- über. Vor einer Erweiterung der Befugnisse des Petitions- ausschusses müsste jedoch die klare Analyse stehen, dass der Petitionsausschuss mit dem Grundgesetz sowie im Befugnisgesetz angelegten Instrumenten nicht auskommt. Ergebnis unserer Beratungen ist jedoch das genaue Ge- genteil. In manchen Fällen, vor allem bei schwierigen und komplexen Sachverhalten, nutzt der Petitionsausschuss die vorhandene Möglichkeit, Vertreter der Bundesregie- rung zu laden. Auch von dem Recht auf Akteneinsicht wird von Fall zu Fall einmal Gebrauch gemacht. Dies können jedoch bei rund 15 000 bis 20 000 Petitionen im Jahr nur die großen Ausnahmen sein. Einen Bedarf, die Befugnisse auszuweiten, kann ich hier nicht erkennen. Dabei möchte ich durchaus unterstreichen, dass das Miteinander im Petitionsausschuss über die Fraktions- grenzen hinweg im Allgemeinen recht gut ist und in der Regel auch Aufklärungswünschen, die von einer der Min- derheitsfraktionen geäußert werden, einvernehmlich stattgegeben wird. Leider gilt dies nicht ausnahmslos, wie wir in dieser Woche erfahren mussten. Dass hier entgegen einem bereits erzielten Kompromiss nunmehr von Koali- tionsseite geblockt wurde, halte ich für kurzsichtig und weder von der Sache noch vom Stil her für geboten. Ich bedauere, dass die wachsende Nervosität im rot-grünen Regierungslager nun offenbar auch die Arbeit im Petitionsausschuss erschwert. Vermutlich werden wir uns zu gegebener Zeit noch daran erinnern. Weit über das Ziel hinausgeschossen sind die Initia- toren der vorliegenden Anträge, wenn sie dem Petitions- ausschuss Befugnisse verleihen wollen, die denen eines Strafgerichts oder eines Untersuchungsausschusses gleich kommen. Hier liegt ein wesentlicher Punkt, weshalb wir den Initiativen nicht zustimmen können. Letztlich würde der Ausschuss dadurch zu einer Art Superrevisionsinstanz ausgestaltet, was weder den Vorgaben der Verfassung ent- spricht noch für die praktische Arbeit sinnvoll und zu be- wältigen wäre. Als Fraktion, die zurzeit noch in der Minderheit steht, sind wir natürlich auch an der Wahrung der Rechte der Minderheit interessiert. Jedoch muss dieses Recht auch im Petitionsausschuss vernünftig ausgestaltet bleiben. Auch hier gehen die Vorschläge der PDS viel zu weit, wenn dem Votum einzelner Mitglieder praktisch die glei- che Bedeutung wie dem Mehrheitsvotum beigemessen werden soll. Für gravierender halte ich jedoch die Bedenken gegen die Möglichkeit einer Aussetzung der Vollziehung, die dem Petitionsausschuss nach Vorschlag der Initiatoren ge- geben werden soll. Dabei droht der verfassungsrechtliche Grundsatz der Gewaltenteilung in Vergessenheit zu gera- ten. Auch die Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern könnte hier rasch auf der Strecke bleiben. Zur Frage der Behandlung von Massenpetitionen gibt es ja unterschiedliche Äußerungen aus den hier ver- tretenen Parteien. So verlockend es gerade aus Sicht einer Oppositionsfraktion sein kann, eine Vielzahl von Bürge- rinnen und Bürgern zu mobilisieren, um ein bestimmtes Problem im Wege einer Massenpetition anzusprechen, so sehr warne ich davor, dieses Instrument auf- und überzu- bewerten. Das Petitionsrecht des Art. 17 ist auch und ge- rade ein Grundrecht des so genannten kleinen Mannes bzw. der kleinen Frau. Daher sollten wir tunlichst den Ein- druck vermeiden, dass Herr oder Frau Jedermann, die eine Petition vorbringt, sich schlechter behandelt fühlt, als eine gut organisierte Schar, die gemeinsam mit vielen und mit großem „Tamtam“ zu Felde zieht. Denn aller Erfahrung nach haben Verbände, Vereinigungen, Interessengruppen und Bürgerinitiativen genug Möglichkeiten, die Auf- merksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen. Es be- darf nicht zusätzlich der Besserstellung im Petitionsrecht. Wir haben frühzeitig signalisiert, offen für Verän- derungen im Petitionsverfahren zu sein. Dabei bedarf es jedoch nach unserer Überzeugung nicht eines Petitions- gesetzes, in dem Äpfel und Birnen zusammengeworfen werden. Vielmehr ist von Vorteil, dass das Geschäftsord- nungsrecht und die Verfahrensgrundsätze des Petitions- ausschusses im Bedarfsfall rascher einer Anpassung zu- gänglich sind als ein Bundesgesetz. Und nach dem bisher Dargelegten ist es nicht nur systemwidrig, sondern schlicht unnötig, den Artikel 45 c Grundgesetz und das aufgrund dessen erlassene Gesetz zu ändern. Sicherlich werden wir aber in der nächsten Wahl- periode erneut darüber sprechen müssen, inwieweit die größere Verbreitung der elektronischen Medien, insbe- sondere der Heimcomputer mit Internet-Anschluss, auch ein elektronisches Einreichen von Petitionen sinnvoll er- scheinen lässt. Verbesserungen, die wir schon in dieser Wahlperiode über den Internetauftritt des Bundestages und das Merkblatt erreicht haben, scheinen mir ein richti- ger Schritt zu sein. Es bleibt aber sorgfältig abzuwägen, ob und unter welchen Voraussetzungen – zum Beispiel mit elektronischer Signatur – eine elektronisch einge- reichte Petition zuzulassen wäre. Bei den Vorschlägen ei- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224400 (C) (D) (A) (B) ner Petitionsdatenbank bzw. eines Petitionsregisters wäre schließlich noch manches zu bedenken und vor allem der Datenschutz zu berücksichtigen. Immer wieder taucht der Vorschlag einer generellen Öffentlichkeit der Sitzungen auf. Ich verstehe dieses An- sinnen, möchte jedoch folgendes erneut zu bedenken ge- ben: Fraktionsübergreifende Lösungen, die bisher im Pe- titionsausschuss an der Tagesordnung sind, würden dadurch gewiss nicht erleichtert, sondern geradezu er- schwert. Ich glaube nicht, dass das letztendlich der Sache dienlich wäre. Lassen sie mich an dieser Stelle eine Bilanz ziehen: Das Petitionsrecht des Grundgesetzes hat sich bewährt. Notwendige Anpassungen im Verfahren waren und sind weiterhin möglich. Aber es läge nicht im Interesse der Pe- tentinnen und Petenten, das Petitionsverfahrens stärker zu politisieren, wie es letztlich in den vorliegenden Gesetz- entwürfen der PDS angelegt ist. Meine Fraktion wird da- her die beiden Gesetzentwürfe ablehnen. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Wir begrüßen den vorliegenden Entwurf eines Pe- titionsgesetzes der PDS als willkommenen Beitrag zur Diskussion über die Reform des Petitionsrechts. Der Ge- setzentwurf der PDS versucht, eine umfassende rechtliche Grundlage für das Handeln des Petitionsausschusses zu legen. Vieles daran können wir unterstützen. Die positi- ven Ansätze des PDS-Entwurfs zur Stärkung von Min- derheitenrechten folgen den Vorlagen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen aus der 13. Wahlperiode. Da- rüber hinaus kann die Aufwertung von Massenpetitionen, wie auch die gesetzliche Verankerung von Informations- rechten gegenüber Privaten, soweit sie öffentliche Aufga- ben wahrnehmen, sowie das Bemühen um mehr Öffent- lichkeit des Petitionsausschusses befürwortet werden. Auch über das Recht des Ausschusses, in begründeten Fällen den Vollzug von Verwaltungsmaßnahmen aufzu- schieben, muss gesprochen werden. Mit dem Wunsch nach Stärkung des Petitionsrechts rennen sie bei unserer Fraktion also sperrangelweit offen stehende Türen ein. Dennoch konnten die stattgefundenen Beratungen unsere Bedenken zum Entwurf eines Petiti- onsgesetzes der PDS nicht ausräumen. Wir können dem Gesetzentwurf so nicht zustimmen. Denn dieser Antrag hat etwas von einem groben Rammbock. Ein Rammbock ist aber das falsche Instrument, wenn man durch eine of- fene Tür will. Bei einer offenen Tür sollte man Schritt für Schritt voran gehen, wenn man sicher hindurch gelangen will. Die Möglichkeit, notwendige Verbesserungen an der richtigen Stelle vorzunehmen, hat dieser Entwurf vertan. Der vorgelegte Entwurf ist deshalb grob und unpraktika- bel, weil alles, was an Vorschlägen seit Jahren in der Dis- kussion ist, zusammengerührt wurde. Regelungen, die in die Geschäftsordnung gehören, mit dem Grundgesetz, Geschäftsordnung und Verfahrensgrundsätze mit Befug- nisgesetzen und Strafprozessordnung mit Petitionsrecht. Der gut gemeinte Ansatz, das Verfahren zu vereinfachen, wird so in sein Gegenteil verkehrt. Schaut man sich den Entwurf genau an, wozu wir während der Beratungen viel Gelegenheit hatten, bietet der PDS-Entwurf neben den erwähnten positiven Ansät- zen nur wenig Neues, aber viel Überflüssiges. Zahlreiche von der PDS neu formulierte Regelungen finden sich be- reits in den bewährten Vorschriften des Befugnisgesetzes, den Verfahrensgrundsätzen des Petitionsausschusses und der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Es be- steht überhaupt keine Notwendigkeit, dies woanders neu zu regeln. Im Gegenteil ist diese Zusammenfassung von Regelungen in einem förmlichen Gesetz rechtlich frag- würdig, soweit es sich, wie hier, um Regelungen unter- schiedlichen Ranges handelt. Notwendige Verbesserun- gen können sinnvoll und auch viel einfacher im Rahmen der bereits bestehenden Regelungen vorgenommen wer- den. Lassen sie uns Schritt für Schritt und nicht mit dem Kopf durch die Wand gehen, um die notwendige Verbes- serung des Petitionsrechts zu erreichen. Vieles von dem, was beklagt wird, wäre schon jetzt schnell und einfach zu beheben. Dazu bedarf es gar kei- ner Änderung der Gesetze oder Verfahrensgrundlagen. Viele Rechte, die eingefordert werden, müssen gar nicht erst neu erfunden werden, sondern sie müssen lediglich einmal angewandt werden. Nutzen wir die vorhandenen Rechte doch einfach intensiver und selbstbewusster. Wo hier brachliegende Potenziale sind, sollte die Vorsitzende dieses Gremiums am besten wissen. Warum nutzen wir zum Beispiel nicht häufiger die Möglichkeit zur öffentli- chen Sitzung, die uns bereits nach der Geschäftsordnung des Bundestages gegeben ist? Machen wir doch einfach öfter von unserem Recht Gebrauch, Petenten oder Sach- verständige einzuladen und vor dem Ausschuss an- zuhören, machen wir doch einfach mal eine öffentliche Sitzung mit dem Ausschuss. Ich weiß, dass nicht nur die PDS, sondern auch andere sich damit schwer tun, aber ge- nau das ist das Problem: die Angst der Abgeordneten vor sich selbst und die Angst des Ausschusses vor den eige- nen Rechten. Denn diese Rechte haben wir, die brauchen wir nicht neu erfinden oder durch ein neues Gesetz fest- zuschreiben. Wir müssen sie nutzen! Abzulehnen im PDS-Entwurf sind insbesondere die Erweiterung der Untersuchungsbefugnisse um die straf- prozessuale Beweiserhebung. Die vorgeschlagenen Rege- lungen sind völlig überzogen. Der Petitionsausschuss ist kein Tribunal. Hier soll den Bürgerinnen und Bürgern ge- holfen werden, hier soll klug und in aller Sachlichkeit ver- handelt und entschieden werden. Dass dies in Untersu- chungsausschüssen nur selten der Fall ist, liegt offen zutage. Aus dem Petitionsausschuss ein Kampfinstrument mit Polizeigewalt und Zwang zu machen, ist genau das, was wir nicht wollen. Es gibt dazu auch keine Notwen- digkeit. In der bisherigen Praxis wird schon von den be- stehenden und durchaus weitgehenden Untersuchungsbe- fugnissen nur selten und behutsam Gebrauch gemacht. Die Praxis gibt keinen Beleg für die Notwendigkeit einer Verschärfung der Zwangsmittel. Die Einführung der Strafprozessordnung in das Petitionsrecht ist nicht sach- gerecht. Bei konsequenter und selbstbewusster Anwen- dung sind die bestehenden Befugnisse des Petitionsaus- schusses absolut ausreichend. Die Drohung mit der Strafprozessordnung ist ein Zeichen der Schwäche des Parlamentes. Ablehnen müssen wir auch den Vorschlag einer ab- schließenden Beschlussfassung durch den Petitionsaus- schuss. Der PDS-Entwurf sieht vor, dass der Petitionsaus- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24401 (C) (D) (A) (B) schuss in der Regel die Petitionen selbst entscheidet, das heißt, dass die Petitionen nicht mehr dem Plenum vorgelegt werden und nicht mehr der Zustimmung des Bundestages selbst bedürfen. Diese Regelung soll das Gewicht des Peti- tionsausschusses stärken und das Plenum entlasten. Letzte- res würde sicherlich erreicht, wenn das Plenum nicht mehr mit den Beschlüssen des Petitionsausschusses behelligt wird. Das Ziel, den Ausschuss zu stärken, wird aber ver- fehlt. Die Beschlüsse des Petitionsausschusses erhalten doch gerade dadurch Gewicht, dass sie von der Mehrheit des Bundestages bestätigt werden und somit Beschlüsse des Deutschen Bundestages sind. Bei einer Umkehrung würde der Petitionsausschuss rechtlich abgewertet. Im Zusammenhang mit der Diskussion um erweiterte, öffent- liche Ausschusssitzungen des Petitionsausschusses wurde bereits in der 13. Legislaturperiode vom Vorsitzenden des Geschäftsordnungsausschusses darauf hingewiesen, dass der Beschluss immer dem Plenum obliegt. So können zum Beispiel erweiterte öffentliche Ausschusssitzungen im Pe- titionsausschuss zwar die abschließende Aussprache erset- zen und so das Plenum entlasten, aber niemals den Be- schluss durch das Plenum. Das soll auch so bleiben. Selbstkritisch bleibt anzumerken, dass es uns nicht ge- lungen ist, einen breiten Konsens für mehr Beteiligungs- rechte von Bürgerinnen und Bürgern in diesem Parlament herzustellen. Wir hatten gehofft, dass mit den von der Ko- alition vorgelegten Initiativen zur Volksinitiative und zum Volksbegehren auch ein Schub für die Erweiterung und Stärkung des Petitionsrechts erfolgt. Leider haben Union und FDP mehr Mitsprache für die Bürgerinnen und Bür- ger verhindert. Dennoch wird dieses Thema auch in der nächsten Wahlperiode auf der Tagesordnung stehen. Und dann werden wir einen neuen Anlauf zur Reform des Pe- titionsrechts nehmen und hoffentlich endlich alle einen gemeinsamen Weg durch die offene Tür finden. Jörg van Essen (FDP): Die FDP räumt dem verfas- sungsrechtlich garantierten Petitionsrecht als Beteiligungs- und Bürgerrecht einen hohen Stellenwert ein. Reformen, die die Rechte der Petenten stärken, werden von der FDP daher grundsätzlich begrüßt. Insbesondere vor dem Hinter- grund der ständig steigenden Zahl von Eingaben der Bür- gerinnen und Bürger ist eine Reform des Petitionsrechts dringend geboten. Die FDP ist jedem Vorschlag gegenüber aufgeschlossen, der dazu dient, das Petitionsverfahren zu verbessern und mehr Transparenz herbeizuführen. Die FDP hat die vorliegenden Gesetzentwürfe nach diesen Kriterien sehr genau geprüft. Wir sind zu dem Er- gebnis gekommen, dass trotz einiger positiver Ansätze doch noch erhebliche Einwände bestehen. Dies zeigen auch ganz deutlich die verschiedenen Stellungnahmen, die uns zur Beratung vorgelegen haben. Wesentliche Kritikpunkte sind die Eröffnung der Mög- lichkeit von Minderheitenvoten sowie die umfassenden Beweiserhebungsrechte. Die Zulassung von Minderheitenvoten hat für den Pe- tenten keinerlei Wirkung. Vielmehr kann dies im Einzel- fall zu einer großen Verwirrung führen. Ein Minderhei- tenvotum führt aus der Sicht des Bürgers zu keinerlei rechtlicher Verbesserung. Der Bürger erwartet ein ein- heitliches Votum des Ausschusses. Die Praxis, dass der Petent einheitlich beschieden wird, hat sich bewährt und sollte daher nicht geändert werden. Die Regelung umfassender Beweiserhebungsrechte würde die Position des Petitionsverfahrens zwangsläufig erhöhen und ihm damit eine Stellung verschaffen, die vom Grundgesetz so nicht gewollt ist. Es könnten hier beim Petenten Erwartungen geweckt werden, die das Ver- fahren nicht erfüllen kann. Wir haben auf der Grundlage der Initiativen, über die wir heute abschließend beraten, in den Ausschüssen gute und konstruktive Beratungen gehabt. Die FDP schlägt da- her vor, auf dieser Grundlage in der kommenden Wahlpe- riode erneut in die Diskussion einzusteigen und gemein- sam zu wirklichen Verbesserungen des Petitionsrechts zu kommen. In der heutigen Abstimmung wird die FDP sich daher der Stimme enthalten. Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Verordnung über die Entsorgung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von bestimm- ten Bau- und Abbruchabfällen (Tagesordnungs- punkt 19) Franz Obermeier (CDU/CSU): Das Ziel der Verord- nung ist gut gemeint, nämlich die so genannte „Schein- verwertung“ von gewerblichen Siedlungsabfällen und be- stimmten Bau- und Abbruchabfällen wirksamer zu bekämpfen. Das soll durch höhere Anforderungen an die Verwertung erreicht werden. Dazu zählt die Verpflichtung zur getrennten Lagerung – so genannte Getrennthaltung – und Vorbehandlung. Auch dagegen ist nichts einzuwen- den. Dann kommt allerdings, dass die Verwertungsquote in Vorbehandlungsanlagen nunmehr 85 Prozent betragen muss und das halte ich für zu kurz gedacht. Man muss ehr- geizige Ziele haben, um etwas zu erreichen. Aber wenn man zu viel Gas gibt, drehen manchmal die Räder durch. Wichtig ist, dass wir auch bei der Verwertung von Abfällen zwischen dem ökologischen Nutzen und den Kosten abwägen müssen. Wir Abgeordnete sind dem Ge- meinwohl verpflichtet. Auch ein Mitglied im Umweltaus- schuss trägt nicht nur Verantwortung für die schöne Natur. Wir müssen immer auch bedanken, welche Auswirkungen die eine Entscheidung auf andere Bereiche hat. Deshalb kritisiere ich hier die starre Verwertungsquote, da sie teil- weise wirtschaftlich nicht vertretbar ist. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, was passieren wird. Weil die 85 Prozent für viele Betriebe jetzt nicht zu verkraften sind, flüchten sie erst recht in die Illegalität oder müssen aufgeben. Aber ich will auch zugeben, dass die heute vorliegende Fassung gegenüber der letzten vom Dezember 2001 – 14. Dezember 2001 – schon eine Verbesserung darstellt. Wichtige Vorschläge der Länder sind über den Bundesrat eingearbeitet worden. Damit wurden einige schwerwie- gende Mängel beseitigt, auf die wir Unionspolitiker hin- gewiesen hatten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224402 (C) (D) (A) (B) Erstens. Zum Export von Abfällen: Durch die Strei- chung des § 1 Absatz 5 wird klargestellt, dass die bloße Absicht, Abfälle über die Grenze zu verbringen, nicht genügt, um den Abfallerzeuger von der Pflicht zur Ge- trennthaltung zu befreien. Zweitens. Die Überwachung der Getrennthaltungs- pflicht durch die Behörden der Länder und Kommunen ist im Entwurf nunmehr genauer gefasst worden. Dies bezieht sich auch auf die Pflichten der Entsorgungsfachbetriebe. Drittens. Die Regelung zur „Sortenreinheit“ ist nach- gebessert worden. Viertens. Bei der Frage der 85-prozentigen Sortier- quote wird jetzt der Wasseraustrag berücksichtigt, Stich- wort Stabilat-Verfahren. Aber das ist es auch schon. Jetzt komme ich zu den Punkten, bei denen wir ange- sichts der noch bestehenden Mehrheitsverhältnisse immer noch nicht weitergekommen sind: Erstens. Das Kriterium der „wirtschaftlichen Unzu- mutbarkeit“ in § 3 Absatz 3, da bin ich mir absolut sicher, wird in der Praxis für große Unsicherheiten sorgen. Die- ser unbestimmte Rechtsbegriff wird wohl dann die Ge- richte beschäftigen. Zweitens. Die Verpflichtung für die Abfallerzeuger, im angemessenen Umfang Restabfallbehälter der Kommu- nen zu nutzen, ist in der Verordnung – § 7 Satz 4 – nicht ausreichend rechtssicher formuliert. Den betroffenen Ge- werbebetrieben wird die Möglichkeit genommen, die Ent- sorgungskonditionen nach ihren Bedürfnissen auszuhan- deln. Drittens. Insbesondere die deutschen mittelständischen Abfall- und Entsorgungsbetriebe erleiden durch die neuen Hürden Nachteile im europäischen Wettbewerb. Darüber hinaus sehen wir erhebliche Unsicherheiten bei der gewerblichen Wirtschaft. Auch deshalb ist mög- lichst rasch die Vorlage einer Novelle des Kreislaufwirt- schaftsgesetzes und der Verpackungsverordnung durch die Bundesregierung notwendig. Diese Einschätzung tei- len auch wichtige Fachverbände. Die Funktionsfähigkeit der kommunalen Abfallwirt- schaft ist durch diese Verordnung bedroht, wenn nicht un- verzüglich diese weiteren Novellierungen in Angriff ge- nommen werden. Der FDP-Antrag greift die Problematik auf. Die Priva- tisierung der Verwertung und Beseitigung gewerblicher Abfälle wird wohl kommen. Auch hier müssen sowohl die ökologischen als auch ökonomischen Wirkungen ein- fließen. Die kommunalen Anlagenbetreiber müssen eine angemessene Übergangsfrist für die Vorbereitung auf den Wettbewerb erhalten. Abschließend ist festzuhalten: Der Schwerpunkt in der Abfallpolitik muss die Abfallvermeidung sein. Dazu trägt diese Verordnung nicht nur wenig bei. Im Gegenteil, sie enthält sogar Anreize, die in der Praxis zu einer Hand- lungsstrategie nach dem Motto führen werden: „Lieber mehr verwerten und mehr verursachen als Abfall vermei- den!“. Weiter habe ich schwere Bedenken, wie die Ver- ordnung sich bei den kommunalen Entsorgungsverbän- den im ländlichen Raum auswirken wird. Dennoch – trotz der vorgetragenen Bedenken – sehen wir in der vorgelegten Verordnung auch Fortschritte. Des- halb lehnen wir Unionspolitiker sie nicht ab und werden zustimmen. Wir erwarten aber im Gegenzug, dass jetzt schnellstmöglich das Kreislaufwirtschaftsgesetz und das Abfallgesetz geändert werden müssen, um den Anlagen- betreibern Planungssicherheit zu geben. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nachdem die hier vorliegende Gewerbeabfallverordnung unter Maßgabe von Änderungen den Bundesrat passiert hat, können wir nun ein weiteres Kapitel der erfolgreichen Regierungsarbeit von Rot-Grün abschließen. Mit dieser Verordnung wird der Weg freigemacht für eine umwelt- verträgliche Entsorgung von gewerblichen Siedlungsab- fällen. Mit dieser Verordnung schieben wir der Schein- verwertung von Abfällen einen Riegel vor. Bisher können Gewerbe und Industrie, private und öffentliche Einrich- tungen allen Abfall zusammenwerfen – Papier aus Büros, Küchenabfälle und Abfälle aus der Werkstatt. Sie dekla- rieren ihn als Verwertungsabfall – obwohl nur ein mini- maler Anteil tatsächlich verwertet wird. Das meiste landet auf der kostengünstigsten Deponie. Das hat mit dem zu- grunde liegenden Stoffkreislaufgedanken wirklich nichts mehr zu tun, besonders da nicht nur Deponiealtlasten für nachfolgende Generationen geschaffen werden, sondern auch Wertstoffe verloren gehen. Alle Gewerbebetriebe sind nun verpflichtet, die öffent- lich-rechtlichen Versorgungsträger zu nutzen, wenn sie ihren Restmüll entsorgen wollen. Eine mangelnde Müll- trennung macht dann keinen Sinn mehr. Der Nutzen für die Umwelt liegt auf der Hand. Zurzeit werden auch die für eine ordnungsgemäße Ent- sorgung vorgehaltenen Anlagen nicht ausgelastet. Die freien Kapazitäten müssen dann zum Teil unter Selbstkos- tenpreis angeboten werden. Diese Anlagen haben dadurch massive Probleme, obwohl wir sie für eine umwelt- verträgliche Abfallwirtschaft dringend benötigen. Eine Planungssicherheit der öffentlich-rechtlichen Entsor- gungsträger ist dadurch nicht gegeben. Die neue Gewer- beabfallverordnung nutzt zusätzlich dem Wettbewerb. Die Opposition hat jahrelang ausgerechnet die vorbildli- chen Versorger benachteiligt, die in moderne Trenn- und Verwertungsanlagen investiert haben. Die rot-grüne Bun- desregierung hat da ein ganz anderes Konzept: Wir arbei- ten mit ökologisch fortschrittlichen Kräften zusammen und schaffen faire Wettbewerbsbedingungen für sie. Wir beenden mit dieser Verordnung auch die Schlech- terstellung der Bürger bei der Umlage der Verwertungskos- ten. Welcher Bürger kann denn den Weg der Billigentsor- gung gehen? Private Haushalte sind auf den örtlichen Entsorger angewiesen. Und bei den Haushalten bleiben auch die Kosten für die Dumpingpreise hängen, die die Entsorgungsunternehmen den Großkunden bieten. Das bedeutet, dass die privaten Haushalte in steigendem Maße die Kosten einer Entsorgungsstruktur tragen, die für alle Abfallentsorger geschaffen wurde. Diese Fehlentwick- lung wird nun beendet. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24403 (C) (D) (A) (B) Die wichtigsten Inhalte der neuen Gewerbeabfallver- ordnung bestimmen im Wesentlichen die Anforderungen an die Getrennthaltung von Abfällen, ihre Vorbehandlung sowie Anforderungen an die notwendige Kontrolle. Ge- werbliche Siedlungsabfälle müssen nun grundsätzlich ge- trennt gesammelt und einer Verwertung zugeführt wer- den. Darunter fallen zum Beispiel Papier, Glas, Kunststoffe und Metalle. Anstatt einer Getrennthaltung einzelner Fraktionen ist auch eine gemeinsame Erfassung dieser Stoffe möglich, wenn diese in einer Vorbehand- lungsanlage in weitgehend gleicher Menge und stofflicher Reinheit wieder aussortiert werden. Hierdurch erfolgt eine Flexibilisierung der Vorschriften, falls das Ziel der hochwertigen Verwertung auch mit anderen gleichwerti- gen Mitteln erreicht werden kann. Die Vorbehandlung von Abfällen muss nun besondere Anforderungen erfüllen. Vorbehandlungsanlagen müssen eine Verwertungsquote von mindestens 85 Prozent errei- chen. Bei Altanlagen gilt eine Übergangsregelung, bei der bis Ende 2003 mindestens 65 Prozent und bis Ende 2004 mindestens 75 Prozent erreicht werden müssen. Durch diese Vorgabe wird die Scheinverwertung besonders über die Sortieranlagen verhindert. Da in aller Regel in Gewerbebetrieben auch Restab- fälle anfallen, die nicht verwertet werden, werden die Ab- fallerzeuger nun zusätzlich verpflichtet, Restabfallbehäl- ter in angemessenem Umfang zu nutzen. Neben der Gewerbeabfallverordnung gibt es noch eine Reihe weiterer Rechtsvorschriften, die die rot-grüne Bundesregierung in dieser Legislaturperiode umsetzt: Wir stützen die nachhaltige Kreislaufwirtschaft unter anderem mit der Altholzverordnung. Sie trägt zum Umweltschutz in der Abfallwirtschaft bei, indem sie die ordnungs- gemäße und schadlose Verwertung von verschiedenen Althölzern bundesweit einheitlich regelt. Des Weiteren gibt es eine Novelle der Altölverordnung. Hier wurde der Vorrang der Aufarbeitung von Altöl zu Basisöl rechtlich festgeschrieben und eine Förderung der Aufarbeitung eta- bliert. Auch die Verordnung zur Änderung abfallrechtli- cher Nachweisbestimmungen ist ein wichtiger Baustein für die Kreislaufwirtschaft. Mit dieser Verordnung wird die Überwachung der Abfallentsorgung vereinfacht und effizienter gestaltet. Wir stärken das Verursacherprinzip und erreichen so, dass schon beim Design der Produkte an ihre Verwertung gedacht wird. Von der „Wiege bis zur Bahre“ ist der Pro- duzent verantwortlich. Um Kosten zu sparen, wird er leichter verwertbare Stoffe einsetzen. Das so genannte Altfahrzeuggesetz regelt die kostenlose Rücknahme von Altfahrzeugen durch die Hersteller. Dies gilt für Neufahr- zeuge schon in diesem Jahr und für Altfahrzeuge ab 2007. Die wilde Entsorgung von Altfahrzeugen hat damit ein Ende. Es ist dann für niemanden mehr von Vorteil, das Alt- auto im Wald verrotten zu lassen. Damit bleiben die Kos- ten der Entsorgung nicht mehr bei den Letztbesitzern hän- gen, die auch im Schnitt über weniger Geld verfügen als die Erstbesitzer. Mit der Verordnung über die Rücknahme und Entsor- gung gebrauchter Batterien und Akkumulatoren – Stich- wort Batterieverordnung – wird sichergestellt, dass es funk- tionierende Entsorgungswege für Altbatterien gibt. Wer seine Altbatterien zu einer Sammelstelle bringt, kann nun sicher sein, dass sich sein Einsatz für die Umwelt lohnt. Einen besonderen Stellenwert für unsere Abfall- vermeidungspolitik hat die Pfandpflicht auf Einwegge- tränkeflaschen. Ab dem 1. Januar 2003 wird die Pfand- pflicht in Deutschland umgesetzt. Damit unterstützen wir die Mehrwegverpackungen und sorgen zusätzlich dafür, dass die Vermüllung der Landschaft zurückgeht. Umfra- gen zeigen, dass die Mehrzahl der Verbraucher eine sol- che Regelung unterstützen. Der Ex-und-Hopp-Mentalität wird dadurch ein Riegel vorgeschoben. Mit diesen umfassenden Regelungen, die beim Verur- sacher und beim Verbraucher ansetzen, haben wir ein großes Stück Arbeit geleistet und den Reformstau der Vor- gängerregierung aufgelöst. Dies ist der richtige Weg hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Birgit Homburger (FDP): Auch im Bereich der Ab- fallpolitik hat Rot-Grün die Hausaufgaben nicht gemacht. Im Koalitionsvertrag wurde großspurig angekündigt, die Abgrenzung von Abfällen zur Verwertung von solchen zur Beseitigung zu regeln. Bekanntlich ist dies nicht ge- schehen. Stattdessen wird nun mit einzelnen Verordnun- gen versucht, zu übertünchen, dass sich Rot-Grün nicht über eine Novelle des Kreislaufwirtschafts- und Abfall- gesetzes einigen konnte und die Versprechungen aus dem Koalitionsvertrag nicht einhält. Nachdem der Bundesrat dem ersten Entwurf der Ge- werbeabfallverordnung nur nach Maßgabe zahlreicher kleiner Detailänderungen zugestimmt hat, musste Bundes- umweltminister Trittin seine Verordnung überarbeiten. Der grundsätzlichen Kritik am Verordnungsentwurf, wie sie von der FDP schon bei der Beratung des ersten Ver- ordnungsentwurfs vorgetragen wurde, trägt dies jedoch nicht Rechnung. Nach wie vor bleibt der Eindruck, dass tatsächlicher Zweck der Verordnung nicht die umweltverträgliche Ent- sorgung von gewerblichen Siedlungsabfällen ist, sondern denjenigen Deponiebetreibern Abfallströme garantiert werden sollen, die ihre Deponie nicht rechtzeitig an die Anforderungen der Abfallablagerungsverordnung ange- passt haben. Die Vorschriften zur Getrennthaltung bzw. zur Vorsor- tierung von Abfallfraktionen sind ökologisch unbegrün- det und lassen den Stand moderner Verwertungstechnik unberücksichtigt. Es existieren bereits Verfahren, die eine kostenträchtige Getrennthaltung von Abfällen erübrigen und dennoch ökologisch einwandfreie Resultate gewähr- leisten. Auch mögliche Innovationen blieben unberück- sichtigt. Die geforderte Getrennthaltung wird sich bei kleineren Betrieben sowie insbesondere im Bausektor wegen fehlender räumlicher Voraussetzungen häufig als unpraktikabel und kostspielig erweisen. Zudem ist die für eine Vorbehandlung von Abfallgemi- schen geforderte Verwertungsquote von 85 Prozent nach dem heutigen Stand der Technik unter wirtschaftlich ver- tretbaren Bedingungen kaum zu gewährleisten. Die ge- plante Verordnung mindert aus betrieblicher Perspektive Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224404 (C) (D) (A) (B) demnach die wirtschaftliche Attraktivität einer stofflichen Abfallverwertung. Darüber hinaus sind erhebliche Voll- zugsprobleme bei der Überwachung und Kontrolle ab- sehbar, wobei aufgrund fehlender klarer Begriffsdefini- tionen überdies mit einer Vielzahl von kostspieligen gerichtlichen Auseinandersetzungen zu rechnen ist. Auch der Umweltsachverständigenrat hat Zweifel an der Vollzugstauglichkeit der Regelungen geäußert und aufgrund des immensen bürokratischen Aufwands die Verhältnismäßigkeit der Regelungen infrage gestellt. Entgegen ihrem vorgeblichen Zweck wird die Gewer- beabfallverordnung für den Bereich der gewerblichen Siedlungsabfälle also absehbar keinen ökologischen Fort- schritt im Sinne der Kreislaufwirtschaft bewirken. Die vorgesehenen Regelungen sind bürokratisch und nur dazu geeignet, abfallwirtschaftliche bzw. abfalltechnische In- novationen zu behindern. Die betroffenen Unternehmen werden wirtschaftlich belastet und in ihrer Wettbewerbs- fähigkeit beeinträchtigt, ohne dass durch die Verordnung Vorteile für den Umweltschutz erreicht werden. Die FDP lehnt daher die Gewerbeabfallverordnung ab. Eva Bulling-Schröter (PDS): Mit dem nunmehr von der Bundesregierung vorgelegten und in Kernpunkten überarbeiteten Entwurf für eine Gewerbeabfall-Verord- nung soll die schadlose und möglichst hochwertige Ver- wertung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von be- stimmten Bau- und Abbruchabfällen sichergestellt werden. Insbesondere die sogenannte Scheinverwertung soll durch Anforderungen an die Umweltverträglichkeit der Verwertung verhindert werden. Der Ursprungsentwurf hätte einseitig die privaten Ent- sorger begünstigt – was nicht zum ersten Male die reale neoliberale Politik dieser Bundesregierung dokumentiert – und die kommunalen Entsorgungsträger mit ihren vorhan- denen Entsorgungseinrichtungen, die sie aus Gründen der Daseinsfürsorge vorhalten müssen, an den Rand des Ruins getrieben. Dem hat die einheitliche Intervention der Länder im Vorfeld des neuen Entwurfs einen Riegel vorgeschoben. Der neue Verordnungsentwurf der Bundesregierung si- chert jetzt tatsächlich eine qualitativ höhere Verwertung von gewerblichen Siedlungsabfällen. Gleichzeitig wird neu – in § 7 – eine Überlassungspflicht von nicht ver- wertbaren Siedlungsabfällen an die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger verankert. Die Ausdehnung des Be- griffes von Abfällen aus privaten Haushalten auch auf ver- gleichbare Einrichtungen wie zum Beispiel Wohnheime garantiert zukünftig den kommunalen Abfallentsorgungs- trägern zumindest einen definierten, wenn auch kleinen Teil des zur Verfügung stehenden „Müllkuchens“. Unbestritten ist es gesamtgesellschaftlich zu begrüßen, dass wir aus dem Abfall zukünftig immer weniger nicht- verwertbaren Müll und dafür immer mehr Wertstoff – der diesen Namen aber auch qualitativ verdienen muss – ge- winnen werden. Aber wir sollten uns andererseits nichts vormachen. Es existiert ein regelrechter Kampf um den Müll, der den noch vor rund zehn Jahren propagierten „Müllnotstand“ längst ersetzt hat. Auch diese neue Gewerbeabfallverord- nung wird nicht verhindern können, dass der so genannte hausmüllähnliche Gewerbeabfall nahezu vollständig den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern entzogen wird. Die Folge: Die meist langfristigen Verträge, zum Teil 25 bis 30 Jahre, zwischen den kommunalen Entsorgungs- trägern und zum Beispiel Betreibern von Müllverbren- nungsanlagen, werden in den nächsten Jahren, ja Jahr- zehnten dazu führen, dass die vertraglich vereinbarten Liefermengen für Müll nicht mehr eingehalten werden können und dann auch eine Müllbeseitigung von zigtau- send Tonnen nichtexistierenden Mülls in den jeweiligen Kommunen trotzdem bezahlt werden muss; in letzter Konsequenz wieder einmal von den Bürgerinnen und Bürger über die Abfallgebühren. Die Auswirkungen der Bioabfallverordnung und der Altholzverordnung auf den Sperrmüll, dessen Holzbe- standteile dann zukünftig auch nicht mehr in die kommu- nale Abfallbeseitigung gehen, werden diesen Trend noch verstärken. Fazit: Die neugefasste Gewerbeabfallverordnung geht in der Tendenzverschiebung von Müll zu verwertbaren, nachweisbaren qualitativ-hochwertigen neuen Wertstof- fen in die richtige Richtung. Die PDS wird daher dem neuen Entwurf der Bundes- regierung zustimmen. Gleichzeitig sollte aber die Verab- schiedung dieser Verordnung mit ihren zwangsläufigen Folgen für die kommunale Abfallwirtschaff dort auch als eindeutiges Signal ankommen, die bereits vorhandenen Überkapazitäten im Bereich der Müllverbrennung ange- sichts tendenziell abnehmender Müllmengen nicht noch weiter auszubauen. Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zu dem Zusatzproto- koll vom 18. Dezember 1997 zum Überein- kommen über die Überstellung verurteilter Personen – Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung des Zusatzprotokolls vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkomen über die Überstellung verur- teilter Personen (Tagesordnungspunkt 20) Erika Simm (SPD):Die vorliegenden Gesetzentwürfe haben durchaus historische Bedeutung. Immerhin wurde das zugrunde liegende Übereinkommen über die Über- stellung verurteilter Personen bereits am 21. März 1983 von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet. Dieses Übereinkommen schuf die Möglichkeit, dass Ausländer, die im Inland, und Inländer, die im Ausland ver- urteilt wurden, ihre Strafe in ihrem jeweiligen Heimatstaat verbüßen können; eine Regelung, der in Zeiten zunehmen- der Mobilität der Menschen wachsende Bedeutung zuge- kommen ist. Die Umsetzung des Übereinkommens nahm Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24405 (C) (D) (A) (B) dann geraume Zeit in Anspruch. Erst am 13. Juni 1991 wurde das dazugehörende Vertragsgesetz vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Es trat am 6. Oktober 1991 in Kraft. Im Laufe der Jahre erwies sich bei der praktischen An- wendung des Übereinkommens, dass dieses wesentliche Lücken enthielt. So setzte die Überstellung des Verurteilten zur Straf- vollstreckung an den Heimatstaat eine förmliche Über- gabe voraus. War der Verurteilte vorher in sein Heimat- land geflüchtet, so konnte die Vollstreckung dort entgegen dem Abkommen nicht durchgeführt werden, weil eine Übergabe nicht möglich war. Umgekehrt scheiterte eine Rückführung zur Vollstreckung in den Staat, wo die Ver- urteilung erfolgte, daran, dass kaum ein Staat seine Staats- angehörigen zu Vollstreckungszwecken an einen anderen ausliefert. Im Ergebnis führte dies also zu dem allseits un- erwünschten Ergebnis, dass die Strafvollstreckung unter- bleiben musste. Zum anderen war für die Überstellung des Verurteilten immer dessen Zustimmung erforderlich. Dies galt auch, wenn der Verurteilte aus dem Urteilsstaat rechtswirksam ausgewiesen und nach der Haftverbüßung abzuschieben war. Beide Lücken wurden durch das Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zu dem Übereinkommen behoben. Die Strafvollstreckung nach dem Übereinkommen ist nach dem Zusatzprotokoll nun auch bei Flucht in den Hei- matstaat ohne Weiteres möglich. Auf die Zustimmung des Verurteilten kommt es hier wegen der von ihm bereits ge- troffenen Entscheidung für einen anderen Aufenthalts- staat nicht an. Die Überstellung des Verurteilten ohne seine Zustim- mung ist künftig auch dann möglich, wenn er nach Haft- verbüßung aufgrund einer rechtskräftigen Verfügung verpflichtet ist, den Urteilsstaat zu verlassen. Der Gesetz- entwurf „zu dem Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkommen über die Überstellung verur- teilter Personen“ schafft die innerstaatlichen Vorausset- zungen für die Ratifikation des Zusatzprotokolls. Daneben haben wir heute über ein Ausführungsgesetz zu dem erwähnten Zusatzprotokoll zu beschließen. Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme zu dem diesbe- züglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung eine Reihe von Änderungswünschen, denen im Rahmen der Aus- schussberatung weitgehend Rechnung getragen wurde. Zu zwei Punkten, wo auch die Bundesregierung dem Bundes- rat in ihrer Gegenäußerung nicht gefolgt war, hat die CDU/CSU-Fraktion im Ausschuss Änderungsanträge ein- gebracht, die wir mit guten Gründen abelehnt haben. So sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung die Einführung der gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung nach § 71 Abs. 4 des Gesetzes über die internationale Rechts- hilfe in Strafsachen (IRG) für die nun neu geregelten Fälle vor, wo der Verurteilte auch gegen seinen Willen zur Strafvollstreckung in das Heimatland überstellt werden kann. Dies halte ich, angesichts dessen, dass es sich für den Verurteilten bei der Überstellung zur Vollstreckung im Ausland, wenn diese gegen seinen Willen erfolgt, um eine Entscheidung von erheblicher Tragweite handelt, un- ter rechtsstaatlichen Gesichtpunkten für zwingend gebo- ten. Die Beschränkung des Rechtsschutzes auf die §§ 23 bis 30 EGGVG, wie von der CDU/CSU mit ihrem Ände- rungsantrag gewollt, erscheint mir demgegenüber, schon weil es da, anders als im IRG vorgesehen, die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde nicht gibt. Nur am Rande: Als das IRG in der neunten Wahlperi- ode auf der Tagesordnung stand, hatte der Bundesrat sogar gefordert, die Möglichkeit der Anrufung des Bun- desgerichtshofes im Gesetz zu eröffnen, was allerdings seinerzeit dem Rechtsausschuss zu weit gehend erschien. Des Weiteren hat die Fraktion der CDU/CSU bean- tragt, § 3 des Auführungsgesetzes zu streichen, wonach bestimmte Personen von der Überstellung gegen ihren Willen selbst dann ausgenommen werden, wenn gegen sie wegen der Tat, derentwegen sie verurteilt wurden, eine rechtskräftige Ausweisungsverfügung ergangen ist. Es handelt sich dabei um Personen, die besonders starke Bin- dungen an Deutschland haben, weil sie hier aufgewach- sen sind, sich zumindest lange Zeit hier berechtigt aufge- halten oder hier enge familiäre Beziehungen haben. Die CDU/CSU hat die beantrage Streichung des § 3 da- mit begründet, dass die Resozialisierung des Verurteilten besser im Strafvollzug seines Heimatstaates erfolgen könne, in dem er aufgrund der Ausweisung nach seiner Haftentlassung sowieso leben werde. Sie verkennt dabei, dass zur Resozialisierung Strafgefangener, aber auch zur Wahrung ihrer Menschenrechte im Vollzug ganz wesent- lich die Aufrecherhaltung sozialer Kontakte, insbesonde- rere auch zur Familie gehört, die dem seit langem in Deutschland lebenden Verurteilten bei Strafverbüßung im Ausland kaum möglich ist. Abgesehen davon würden wir in Fällen, in denen der Verurteilte hier seine Familie hat, diese in einem Maße mitbestrafen, das durch den Zweck einer Kriminalstrafe nicht zu rechtferigen ist. Wir haben daher die Änderungsanträge der CDU/CSU – wie ich meine – zu Recht abgelehnt. In der Fassung der Ausschussempfehlung stellt das Ausführungsgesetz eine auch die Interessen Verurteilter angemessen berücksichti- gende Regelung dar, die den praktischen Bedürfnissen der internationalen Rechtshilfe in Strafvollstreckungssachen gerecht wird. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Es sind nicht nur die großen Ereignisse wie die Einführung des Euro, die uns vor Augen führen, wie wichtig internationale Zusam- menarbeit und grenzüberschreitende Unterstützung sind. Damit ein Staatenbund wirklich zusammenwächst und möglichst reibungslos funktioniert, sind viele Maßnah- men auf den unterschiedlichsten Feldern notwendig, die oftmals nicht zu den ganz großen Themen gezählt werden. Ein solches Thema behandelt das heute zur zweiten und dritten Lesung anstehende Gesetz zum Zusatzproto- koll vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen. Sein Ursprung reicht weit zurück bis an den Anfang der 80er-Jahre und macht fast schon einen kleinen Ausflug in die Rechtsge- schichte nötig. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224406 (C) (D) (A) (B) Die Bundesrepublik Deutschland ist – neben allen Mit- gliedstaaten der Europäischen Union und weiteren Staa- ten – Vertragspartner des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983, welches die gesetzliche Grundlage für die Strafverbüßung des Verurteilten in seinem Heimatland bildet. Die Pro- bleme solcher grenzüberschreitenden Maßnahmen zeigen sich jedoch oft erst, wenn sie den harten Bedingungen der Realität und der Anwendung im praktischen Bereich standhalten müssen und sollen. Auch das Übereinkom- men von 1983 hat in der Praxis Schwächen gezeigt und den Bedarf nach einer Korrektur hin zu mehr Lebens- wirklichkeit bewiesen. Der Sachverständigenausschuss, der die Anwendung europäischer Übereinkommen auf dem Gebiet des Strafrechts überprüft, hat aufgrund der von den Mitgliedstaaten geschilderten praktischen Schwierigkeiten bei der Anwendung des Übereinkom- mens nicht hinnehmbare Regelungslücken festgestellt und den Bedarf eines Zusatzprotokolls angemahnt. Ein wesentliches Problem des Übereinkommens ergibt sich insbesondere in dem folgenden Punkt: Eine Übertra- gung der Strafvollstreckung auf den Heimatstaat bzw. eine Überstellung des Verurteilten in das Heimatland war bisher nicht möglich, wenn der Verurteilte in sein Hei- matland geflohen ist oder wenn er die uneingeschränkte Zustimmung zu seiner Überstellung nicht erteilt hat. Im Unterschied zum Übereinkommen von 1983 kommt es nun beim Zusatzprotokoll hierzu nicht mehr darauf an, ob der Verurteilte der Überstellung zustimmt oder nicht. Der Zweck des Zusatzprotokolls liegt darin, sicherzustellen, dass der Verurteilte in dem Staat seine Strafe verbüßt, in den er sich freiwillig begeben hat oder in dem er nach Haftentlassung voraussichtlich wird leben müssen, weil infolge seiner Strafe eine bestandskräftige Ausweisungs- oder Abschiebungsverfügung vorliegt. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, auf folgendes hinzuweisen: In Anbetracht der Tatsache, dass die Straf- vollzugsbedingungen in den Mitgliedstaaten des Überein- kommens ein sehr unterschiedliches Maß an Mindeststan- dards besitzen, kann eine Überstellung selbstverständlich nur dann erfolgen – und zwar unabhängig ob mit oder ohne Einverständnis des Betroffenen –, wenn sicherge- stellt ist, dass der Strafvollzug im Ausland den Mindest- anforderungen der Konvention zum Schutze der Menschen- rechte und Grundfreiheiten entspricht. Diese aus unserer Sicht unerlässliche Voraussetzung gewährleistet in ausrei- chender Art und Weise den Schutz der Persönlichkeits- rechte des Verurteilten und verhindert eine zusätzliche Bestrafung aufgrund unwürdiger Haftbedingungen über das Maß des Urteils hinaus. Das Übereinkommen und das Zusatzprotokoll sind je- doch – darüber dürfen wir uns keine Illusionen machen – nicht die Lösung aller Probleme des Strafvollzugs; denn sie stellen keine Verpflichtung für die Vertragsstaaten dar, einem Ersuchen um Überstellung oder Übernahme der Strafvollstreckung nachzukommen. Sie bilden lediglich die Basis, aufgrund derer eine freiwillige Zusammenar- beit der betroffenen Staaten möglich ist. Mit dem von dem Sachverständigenausschuss vorge- schlagenen Zusatzprotokoll haben wir eine zumindest praxisnähere Grundlage für die Überstellung verurteilter Personen, als es das Übereinkommen von 1983 je hätte gewährleisten können, wäre da nicht das von der Bundes- regierung eingebrachte Gesetz zur Ausführung eben die- ses Zusatzprotokolls. § 1 des Entwurfs des Ausführungs- gesetzes der Bundesregierung sieht eine gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung gemäß § 71 Abs. 4 IRG vor. Diese wird das Überstellungsverfahren erheblich belasten und zu einer Verkomplizierung und Verlängerung des oh- nehin bereits schwierigen und langwierigen Überstel- lungsverfahrens führen. Die Zulässigkeitsprüfung wurde aus praktischen Erwägungen 1991 mit dem Gesetz zur Ausführung des Übereinkommens von 1983 abgeschafft. Warum soll jetzt diese gewissermaßen vorprogrammierte Verfahrensverzögerung wieder eingeführt werden? Die CDU/CSU-Mitglieder im Rechtsausschuss haben deshalb beantragt, § 1 des Ausführungsgesetzes dahinge- hend zu ändern, dass die gerichtliche Zulässigkeitsent- scheidung nach § 71 Abs. 4 IRG durch eine Überprüfung nach den §§ 23 ff EGGVG ersetzt wird. Wir halten diese Lösung für besser, weil im Gegensatz zu § 71 Abs. 4 IRG dann nicht in jedem Fall von Amts wegen umfassend über die Zulässigkeit der Überstellung befunden werden muss, sondern nur in den Fällen und in dem Umfang, in dem der Verurteilte die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde anficht. Dem Anspruch des Verurteilten auf gerichtlichen Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz würde da- mit hinreichend Genüge getan. Diese Lösung würde sich auch vorteilhaft auf die Dauer der gerichtlichen Verfahren auswirken, da die gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG gemäß § 29 EGGVG unanfechtbar ist. Leider hat die Regierungskoalition diesen unseren Änderungsantrag im Rechtsausschuss abgelehnt. Noch weniger akzeptabel ist, was die Bundesregierung in § 3 ihres geplanten Ausführungsgesetzes vorsieht: Hier hat die Regierungskoalition einmal mehr bewiesen, dass bei Rot-Grün Ideologie vor Sachverstand geht. Art. 3 des Zusatzprotokolls sieht vor, dass auf Ersuchen des Urteils- staates der Vollstreckungsstaat ohne Zustimmung des Verurteilten in dessen Überstellung einwilligen kann, wenn gegen die verurteilte Person infolge der Sanktion, eine Ausweisungs- oder Abschiebungsanordnung vor- liegt, aufgrund derer es dieser Person nach ihrer Verurtei- lung nicht gestattet sein wird, nach der Haft im Hoheits- gebiet des Urteilsstaates zu bleiben. Auf einen kurzen Nenner gebracht heißt das, dass ein in Deutschland verur- teilter Straftäter ohne seine Zustimmung in sein Heimat- land gebracht werden kann, um dort seine Strafe zu ver- büßen, wenn er in Deutschland kein Aufenthaltsrecht mehr hätte. Dieser Vorschrift liegt die Erwägung zugrunde, dass die Strafvollstreckung, die im modernen Strafvollzug auch wesentlich der Resozialisierung des Täters dient, nur in dem Staat sinnvoll durchgeführt werden kann, in dem der Verurteilte sich nach seiner Haftentlassung auch tatsächlich aufhalten wird. Die von der Bundesregierung in § 3 Satz 1 ihres Ent- wurfes eines Ausführungsgesetzes vorgesehene Regelung läuft jedoch dem Resozialisierungsanspruch Verurteilter zuwider und ist daher nicht sachgerecht. § 3 Satz 1 des Gesetzentwurfes schränkt den Anwendungsbereich von Art. 3 des Zusatzprotokolls ein, wenn der Verurteilte be- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24407 (C) (D) (A) (B) sondere soziale Bindungen zu Deutschland hat. Zweck des Zusatzprotokolls ist es aber, dass Verurteilte in dem Land ihre Strafe verbüßen sollen, in dem sie nach Ver- büßung der Strafe mutmaßlich leben werden. Völlig zu Recht stellt der Bundesrat in seiner Stellungnahme hierzu fest, dass § 3 des Gesetzentwurfes diesem Anliegen nicht gerecht wird, da der dort genannte Personenkreis ausrei- sepflichtig und unmittelbar nach Abschluss der Strafvoll- streckung abzuschieben ist. Auf die Bindungen zu Deutschland komme es, so der Bundesrat, im Hinblick auf die unanfechtbare und vollziehbare rechtliche Maßnahme ebenso wenig an wie bei in Freiheit befindlichen Perso- nen. Maßnahmen der Resozialisierung wurden daher auf Deutschland bezogen keinen Sinn mehr machen. Die CDU/CSU teilt die Position des Bundesrates und hat deshalb einen weiteren Änderungsantrag eingebracht, wonach § 3 des Ausführungsänderungsgesetzes der Bun- desregierung gestrichen werden soll. Auch dieser Ände- rungsantrag wurde – man muss nach den Erfahrungen in dieser Wahlperiode im Rechtsausschuss leider sagen: er- wartungsgemäß – von Rot-Grün abgelehnt. Die CDU/CSU-Fraktion wird daher heute zwar dem Gesetz zu dem Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen zustimmen, das Ausführungsgesetz aber aus den bereits genannten Gründen ablehnen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Koalition hat im Hinblick auf die Ratifikation des Zusatzprotokolls zum Übereinkommen über die Überstel- lung verurteilter Personen einen ausgewogenen, modera- ten und praxisnahen Gesetzentwurf vorgelegt. Worum geht es: Das Übereinkommen aus dem Jahre 1983 erlaubt die Vollstreckung einer in Deutschland verhängten Strafe im Ausland, wenn der Betroffene dem zustimmt. Sein Zweck sollte es vor allem sein, den Interessen des verur- teilten ausländischen Straftäters Rechnung zu tragen. Vor Augen hatte der Europarat 1983 Fälle, in denen der be- troffene ausländische Straftäter in einer inländischen Strafanstalt saß, ohne die Sprache zu können und er des- halb keine Chance hatte, an Resozialisierungsmaßnah- men teilzunehmen. Das Zusatzprotokoll von 1997 verfolgt nunmehr an- dere Ziele. Möglich sein soll die Vollstreckung im Aus- land, wenn der Straftäter aufgrund einer Ausweisung nicht damit rechnen darf, nach der Straftat im Inland zu bleiben, da dann die Resozialisierung durch den Straf- vollzug vielfach ebenso gut im anderen Staat erfolgen kann. Im Grundsatz ist gegen diesen Gedanken aus mei- ner Sicht nichts einzuwenden. Der Grundsatz muss jedoch so in das nationale Recht transportiert werden, dass er den tatsächlichen Gegebenheiten gerecht wird. Genau dies tut der Entwurf der Bundesregierung. Lassen Sie mich insoweit einiges zu der Diskussion dieses abgewogenen Entwurfes im Bundesrat sagen: Erstens. In der Debatte im Bundesrat hatten einige Redner offenbar die Vorstellung, mit dem Zusatzprotokoll könnten die deutschen Haftanstalten weitgehend von aus- ländischen Straftätern entlastet werden. Deshalb mache ich zunächst den Hinweis, dass die Wirkungen des Zu- satzprotokolls nicht überschätzt werden dürfen. Schon jetzt ist eine Strafvollstreckung im Ausland nach dem Ge- setz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen möglich. Dennoch gibt es keine massenhafte Strafvoll- streckung im Ausland. Die Gründe liegen sicher in eini- gen Fällen in menschenrechtswidrigen Haftbedingungen im Ausland. Noch häufiger aber ist, dass selbst Anträge der Straftäter, die Haft im Ausland zu vollstrecken, abge- lehnt werden, weil der andere Staat nicht garantieren kann, dass die Haft in einem Deutschland vergleichbaren Umfang vollstreckt wird; sprich, dass der Straftäter nicht kurz nach seiner Überstellung frei kommt. Im Interesse ei- ner geordneten Strafrechtspflege sind und bleiben hier also der Vollstreckung im Ausland enge faktische Gren- zen gesetzt. Zweitens. Im Bundesrat ist bedauert worden, dass der Entwurf eine Vollstreckung der Strafe im Ausland erst zulässt, wenn die Ausweisungsverfügung bestandskräftig ist. Diese Kritik ist mir gänzlich unverständlich. Wie soll es anders sein? Man stelle sich den Fall vor, dass eine Aus- weisung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren aufgeho- ben wird, der Betroffene sich aber bereits in einer auslän- dischen Strafanstalt befindet. In diesem Fall entstünde auch für die Resozialisierung des Täters ein nicht wieder gut zu machender Schaden. Aus diesem Grunde lässt auch das Zusatzprotokoll – anders als einige meinen – die Voll- streckung im Ausland erst zu, wenn die ausländerrecht- lichen Entscheidungen bestandskräftig sind. Ich zitiere aus dem erläuternden Bericht des Europarates: „Es ist vorgesehen, dass eine Überstellung nach diesem Artikel erst dann stattfindet, wenn alle Rechtsmittel gegen die Ausweisung oder Abschiebung ... erschöpft sind.“ Ich bin mir sicher, dass die Landesjustizminister deshalb letztlich die Richtigkeit des Entwurfes der Bundesregierung aner- kennen müssen. Drittens. Im Bundesrat ist auch über die Beschränkun- gen diskutiert worden, die der Entwurf der Bundesregie- rung für die Vollstreckung im Ausland ausdrücklich vor- gibt. Vorgesehen ist, dass eine Vollstreckung der Strafe im Ausland bei Personen mit besonders engen Bindungen nicht vorgenommen wird. Besonders wichtig ist mir dabei, dass dies für Auslän- der gilt, die in Deutschland aufgewachsen sind. Ich gebe allerdings zu, dass es insoweit die klarere Lösung wäre, wenn gegen diesen Personkreis schon keine Ausweisun- gen verfügt werden könnten. Wir konnten im Zuwande- rungsgesetz trotz des Willens beider Koalitionsfraktionen – und soweit mir bekannt ist auch der FDP-Fraktion – eine solche Regelung mit Blick auf die Konsensfähigkeit des Entwurfes im Bundesrat nicht verankern. Umso wichtiger aber ist, dass die Betroffenen nicht auch noch durch eine Strafvollstreckung im Ausland gegen ihren Willen sozial schwer geschädigt werden. In vielen Fällen sprechen sie die Sprache des Herkunftsstaates der Eltern nicht oder nur sehr schlecht. Wie soll dort, in einer fremden Umgebung, der Strafvollzug einen Beitrag zur Resozialisierung leis- ten? Deshalb ist es auf jeden Fall besser, dass die Strafe in dieser Konstellation nicht gegen den Willen der Betroffe- nen im Ausland vollstreckt wird, sondern sie in Deutsch- land die Chance erhalten, sich im Strafvollzug zu stabili- sieren und sie erst danach – wenn es denn nicht anders geht – ins Ausland geschickt werden. Wer anders will, ent- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224408 (C) (D) (A) (B) fernt sich letztlich von dem Gedanken, dass Strafvollzug nicht nur Vergeltung ist und sein darf, sondern auch dem Betroffenen eine Chance geben soll, sich aus seiner kri- minellen Vergangenheit zu lösen. Ich denke, wenn man dies in seine Erwägungen einbe- zieht, sollte man dem Entwurf der Bundesregierung zu- stimmen können. Jörg van Essen (FDP): Das von der Bundesrepublik Deutschland am 18. Dezember 1997 unterzeichnete Zu- satzprotokoll hat die Defizite ausgeräumt, die sich in der Praxis aus dem Übereinkommen vom 21. März 1983 er- gaben. Wir haben damit die Möglichkeiten einer Über- stellung des Verurteilten in sein Heimatland in zwei wich- tigen und praktisch bedeutsamen Fallkonstellationen eröffnet. Es ist nun die Übertragung der Strafvoll- streckung auf den Heimatstaat bzw. die Überstellung des Verurteilten in das Heimatland möglich, wenn der Verur- teilte in sein Heimatland geflohen ist oder wenn infolge der Sanktion eine bestandskräftige Ausweisungs- oder Abschiebungsverfügung vorliegt. Zwingende Vorausset- zung dieser Regelung ist, dass der Strafvollzug im Aus- land den Mindestanforderungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ent- spricht. Auf die Einhaltung dieser Grundsätze ist in jedem Einzelfall zu achten. Mit dem Zusatzprotokoll gehen wir einen wichtigen Schritt hin zu einer einheitlichen Innen- und Rechtspoli- tik in Europa. Die FDP hat dies immer gefordert und be- grüßt jede Anstrengung, die diesem Ziel gerecht wird. Die vorliegenden Gesetzentwürfe sind die logische Folge aus dem Zusatzprotokoll. Der bisherige Rechtszustand vor der Ratifikation war unbefriedigend und wurde dem Pro- blem nicht gerecht. Die Ratifikation wäre sicher auch schon früher möglich gewesen. Die FDP begrüßt die Umsetzung des Zusatzprotokolls und die Schaffung einer einheitlichen Rechtslage und stimmt den Gesetzentwürfen zu. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Meine Fraktion lehnt das Gesetz zur Ratifizierung des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen aus grundsätzlichen rechtsstaatlichen Gründen ab. Die Vollstreckung von Haft- strafen, die deutsche Gerichte verhängt haben, sollte in Deutschland geschehen, es sei denn, der Verurteilte flüch- tet in seinen Heimatstaat oder stimmt einer Überstellung zur Vollstreckung in seinem Heimatstaat ausdrücklich zu. Die erste der zwei Fallkonstellationen des Zusatzproto- kolls ist nach meiner Meinung sachgerecht geregelt. Wenn der Verurteilte in seinen Heimatstaat geflohen ist, dann soll auch dort die Strafe vollzogen werden können. Ein Verur- teilter soll sich nicht durch Flucht in seinen Heimatstaat der Strafe entziehen können. Deshalb ist es richtig, dass der Urteilsstaat ein Ersuchen an den Heimatstaat des Ver- urteilten zur dortigen Strafvollstreckung stellen kann und dass dieses Ersuchen auch ohne Zustimmung des Verur- teilten genehmigt werden kann. Problematisch ist der zweite Fall: Es besteht eine be- standskräftige Verwaltungsentscheidung zur Ausweisung eines verurteilten Ausländers in seinen Heimatstaat nach Verbüßung seiner Strafe im Urteilsstaat. Dann soll es nach dem Zusatzprotokoll ermöglicht werden, den Verurteilten entgegen den bisherigen Regelungen auf Ersuchen des Urteilsstaates auch ohne dessen Einwilligung in den Hei- matstaat zur Strafvollstreckung zu überführen. Dies muss aus humanitären Erwägungen und verfassungsrechtlichen Gründen abgelehnt werden. Ich verweise auf Art. 1 des Grundgesetzes, die Menschenwürde und Art. 3, Gleich- heit vor dem Gesetz. Ein in Deutschland verurteilter Ausländer darf nach mei- ner Meinung nicht ohne seine Einwilligung, also zwangs- weise, zum Strafvollzug in seinen Heimatstaat überführt werden. Er muss in seinem Heimatstaat eventuell mit Nachteilen im Hinblick auf Resozialisierung, Strafausset- zung und Strafunterbrechung rechnen. Es muss dem Verur- teilten überlassen bleiben, ob er seine Strafe in Deutschland oder in seinem Heimatstaat verbüßen will. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass er nach Verbüßung der Strafe mit seiner Abschiebung zu rechnen hat. Die einschränkenden Klauseln im Zusatzprokoll, wo- nach die Meinung der verurteilten Person berücksichtigt werden soll und die Überstellung nur erfolgen darf, wenn gewährleistet ist, dass der Strafvollzug im Ausland den Mindestanforderungen der Europäischen Menschenrechts- konvention entspricht, können die Gründe meiner Ab- lehnung nicht entkräften. Dem Ratifikationsgesetz kann meine Fraktion deshalb nicht zustimmen. Der Entwurf des Ausführungsgesetzes sieht zwei in- nerstaatliche Bestimmungen vor, die den in Deutschland verurteilten Ausländer vor negativen Folgen des Proto- kolls schützen sollen. Erstens soll eine Überstellung der verurteilten Person einer gerichtlichen Zulässigkeits- prüfung unterliegen. Zweitens soll eine Überstellung ohne Einwilligung dann nicht zulässig sein, wenn der Verurteilte eine feste Bindung an Deutschland hat, wenn er zum Beispiel im Inland aufgewachsen ist und bereits als Minderjähriger seinen rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt hatte oder wenn er mit einem deutschen Staats- angehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt. Von der zweiten Bestimmung soll abgewichen werden können, wenn schwerwiegende Sicherheitsgründe vorlie- gen. Diese zwei Bestimmungen ändern zwar nichts daran, dass das Zusatzprotokoll für uns nicht zustimmungsfähig ist. Aber sie mildern ein wenig die negativen Wirkungen des Protokolls, wenn dieses, wie zu erwarten, ratifiziert wird. Deshalb werden wir uns zum Ausführungsgesetz der Stimme enthalten. Den Änderungsantrag des CDU/CSU- Fraktion lehnen wird ab, weil durch ihn die mildernde Wirkung des Ausführungsgesetzes wieder ausgehebelt werden würde. Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz: Das Übereinkommen des Euro- parats zur Vollstreckungshilfe von 1983 setzt – ähnlich wie die Regelungen in der Europäischen Union und die im Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen – voraus, dass ein internationales Ersuchen um Voll- streckungshilfe nur gestellt bzw. bewilligt werden kann, wenn der Verurteilte zustimmt. Auf dieses Zustimmungs- erfordernis verzichtet das Zusatzprotokoll nun für den Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24409 (C) (D) (A) (B) Fall, dass der Verfolgte rechts- bzw. bestandskräftig aus- gewiesen wurde, oder dass er sich durch Flucht ins Aus- land der Vollstreckung entzogen hat. Die Bundesregie- rung begrüßt diese Regelung ausdrücklich. Sie hat sich an den Verhandlungen im Europarat, auch einer Forderung der Länder folgend, mit Nachdruck beteiligt. Die Forderung nach einem weitergehenden oder gar nach einem vollständigen Verzicht auf das Zustimmungserfor- dernis war und ist derzeit international nicht durchsetzbar. Nicht einmal innerhalb der Staaten der Europäischen Union werden solche Ansätze von einer nennenswerten Anzahl von Staaten unterstützt. Auch würde eine Umsetzung die- ser Forderung der materiellen Grundlage der Voll- streckungshilfe widersprechen. Die Vollstreckungshilfe dient national und international im Wesentlichen der Re- sozialisierung Verurteilter und nicht der Minderung der Überbelegung deutscher Haftanstalten. Auch wenn ein verurteilter Ausländer Deutschland nach der Vollstreckung verlassen muss, wird die Resozia- lisierung nicht immer und ausnahmslos besser in dem Staat durchgeführt, in welchem der Verurteilte später leben muss. Entscheidend sind immer die Umstände des Einzelfalles. Davon geht auch das Zusatzprotokoll aus. Resozialisierungsbemühungen dürften allerdings in den Fällen eher bei einer Vollstreckung in Deutschland als bei einer Vollstreckung im Ausland gelingen, in denen sich der Betroffene jahrelang in Deutschland aufgehalten hat oder hier über enge familiäre Bindungen verfügt. Der Ge- setzentwurf der Bundesregierung enthält in seinem § 3 eine ausgewogene Regelung für die unterschiedlichen denkbaren Fallkonstellationen und Interessen. Die Rege- lung trägt sowohl dem Sinn und Zweck des Zusatzproto- kolls als auch dem Umstand Rechnung, dass eine gelun- gene Resozialisierung für den Schutz der Bevölkerung vor Kriminalität besonders wichtig ist. Der Stellenwert der Entscheidung, ein deutsches Ersu- chen um Vollstreckungshilfe an einen ausländischen Staat zu stellen, und die Weite des dabei vorhandenen außenpo- litischen Ermessens erfordern die gerichtliche Zulässig- keitsentscheidung. Bei ausgehenden deutschen Ersuchen um Übernahme der Strafvollstreckung kommt den tatsäch- lichen Umständen des Strafvollzugs im ersuchten Staat be- sondere Bedeutung zu. Bekanntlich ist teilweise auch bei Mitgliedstaaten des Europarats die Durchführung des Strafvollzugs im Einzelnen unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte nicht unproblematisch. Mit seiner Zu- stimmung zur Stellung eines Vollstreckungshilfeersuchens erklärt ein Verurteilter regelmäßig auch, dass er der Auf- fassung ist, dass durch den Vollzug im Ausland seine Rechte nicht verletzt werden. Dies stellt international und national ein Indiz dafür dar, dass im konkreten Einzelfall bei einer Vollstreckung einer strafrechtlichen Sanktion im Ausland keine Verletzung der Menschenrechte vorliegt. Verzichtet man auf das Zustimmungserfordernis entfällt diese Indizwirkung. Dies hat die Bundesregierung neben formalen Gesichtspunkten bewogen, eine gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung für die Stellung eines deut- schen Vollstreckungshilfeersuchens vorzusehen. Diese Entscheidung entspricht den Grundsätzen des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen. Der Vorschlag, nur die Möglichkeit einer Anfechtung nach §§ 23 ff. EGGVG vorzusehen, widerspricht hinge- gen den Grundsätzen des Gerichtsverfassungsgesetzes. Die Entscheidung, ein Vollstreckungshilfeersuchen an ei- nen ausländischen Staat zu stellen, ist kein Justizverwal- tungsakt sondern eine Bewilligungsentscheidung im Sinne der internationalen Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten und damit eine Maßnahme der Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten nach Art. 32 Abs. 1 des Grundgesetzes. Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zurBeratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes (Tagesordnungs- punkt 21) Klaus Barthel (SPD): Zur weiteren Liberalisierung des deutschen Postmarktes haben wir an dieser Stelle schon des Öfteren diskutiert. Deshalb ist die heutige De- batte für uns willkommener Anlass, die Postpolitik unse- rer Koalition Revue passieren zu lassen und einen Aus- blick auf die Zukunft zu geben. Auch im Postsektor haben wir von der alten Regierung vor allem Probleme und of- fene Fragen übernommen. Mit Müh und Not und nur mit unserer Hilfe haben sie noch das Anfang 1998 in Kraft ge- tretene Postgesetz über die Runden gebracht. Unser Er- folg war es, gegen den Willen von Union und FDP fairere Wettbewerbsbedingungen als zunächst gedacht, soziale Standards und flächendeckende Dienste in diesem Gesetz wenigstens zu verankern und zu ermöglichen. Gleich nach dem Regierungswechsel, Ende 1998, ging es dann weiter: Die Zusammenführung von Postbank und Post AG beendete acht verlorene Jahre für den gemeinsamen Vertrieb von Postbankprodukten und Postdienstleistun- gen, acht Jahre, die vor allem für Kahlschlag im Filialnetz stehen, und die Postbank in ihrer Existenz bedrohten. Durch die Beendigung dieser Trennung haben wir beide Unternehmen nachhaltig gestärkt, Tausende von Arbeits- plätzen gesichert, und das Filialnetz wirtschaftlich renta- bler gemacht. 1999 haben wir die Universaldienstleistungs-Verord- nung durchgesetzt. Trotz anderslautender Ankündigun- gen hatten Union und FDP das nicht mehr geschafft. Da- mit waren Kundenrechte, Infrastrukturen und erneut Tausende von Arbeitsplätzen gesichert. Überstanden wa- ren damit mehr als ein Jahr rechtsfreier Raum und die Hal- bierung der Zahl der Filialen in der Amtszeit der Unions FDP-Koalition. 12 000 Filialen insgesamt sind seither Mindestzahl, 5 000 davon in unternehmenseigener Form. Schließlich haben wir die europapolitische Grundposi- tion geändert: Wir wollen eine europaweit abgestimmte, kontrollierte und schrittweise Liberalisierung der Post- märkte; also Schluss mit der Marktöffnung mit Brech- stange und Holzhammer, Schluss mit einer einseitigen Liberalisierung in Deutschland, die nur zu Wettbewerbs- verzerrungen geführt und andere Staaten dazu verleitet, sich zurückzulehnen und nationale Monopole zu schüt- zen. Deshalb haben wir im vergangenen Jahr die Exklu- sivlizenz der Deutschen Post bis 2007 verlängert, als ab- sehbar war, dass es auf europäischer Ebene nicht zu einer Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224410 (C) (D) (A) (B) totalen Marktöffnung zum 1. Januar 2003 kommt: Damit haben wir wesentlich dazu beigetragen, dass eine neue eu- ropäische Postdienstrichtlinie zustande kam, die unseren Vorstellungen einer kontrollierten und schrittweisen Öff- nung der Märkte entgegenkommt. Gleichzeitig haben wir mit der Verlängerung der Exklusivlizenz für die DPAG aber auch die Pflichten gegenüber den Kunden präzisiert und teilweise erweitert. Dadurch entstehen derzeit bun- desweit 328 neue Filialen in ländlichen Räumen, 200 da- von in den neuen Bundesländern. Gleichzeitig haben wir die Infrastrukturauflagen, die sonst ausgelaufen wären, bis 2007 verlängert. Dieses neue Paket von Rechten und Pflichten hat zwar nicht die Zustimmung von Union und FDP in diesem Ho- hen Hause gefunden, jedoch aus gutem Grund die Zu- stimmung auch unionsregierter Länder im Bundesrat, bei- spielsweise Bayerns und Thüringens. Eine ganze Reihe Unionsabgeordneter sahen sich auch nicht gehindert, das von ihnen hier bekämpfte Gesetz in ihren Wahlkreisen als großen Erfolg zu verkaufen, wo auch immer der Bestand und die Neueröffnung von Postfilialen zu feiern war. Heute wollen offensichtlich manche nichts mehr davon wissen: Infrastruktur hat ihren Preis. Die Zusatzkosten werden durch Erträge aus der Exklusivlizenz mit abge- deckt. Auch die Post AG ist kein Unternehmen, das im Himmel gefüttert und auf Erden gemolken wird. Deshalb steht die SPD zu ihrem Kurs und zu dem Paket von Rech- ten und Pflichten: Die Exklusivlizenz wird durch das heute hier zu verabschiedende Dritte Gesetz zur Ände- rung des Postgesetzes ab 1. Januar 2003 auf den Ge- wichtsbereich bis 100 g, ab 1. Januar 2006 bis Ende 2007 auf den Gewichtsbereich bis 50 g reduziert. Das heißt, schrittweise weitere Marktöffnung bei Aufrechterhaltung des Universaldienstes. Dass Union und FDP im Bundestag diesen Zusam- menhang stets bekämpft und geleugnet haben, sind wir gewohnt. Dass aber Landesregierungen wie Bayern und Thüringen heute nichts mehr von ihrer Zustimmung zu diesem Paket wissen wollen, riecht nach Wahlkampf. Will der Kandidat jetzt auf die zusätzlichen 58 Filialen in Bay- ern verzichten? Oder auf die 200 in den neuen Ländern? Ist das seine neue Liebe zum Osten? Er verhält sich wie ein Ladendieb: Die Ware mitnehmen, mit dem Geldbeu- tel winken und sich jetzt ohne zu bezahlen in die Büsche schlagen. Das nennt man dann Wirtschaftskompetenz! Wir halten die Balance und setzen genau das um, was wir in Europa vereinbart haben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. So gestalten wir wirtschaftliche Prozesse im Zuge der Internationalisierung von Märkten. Wir flan- kieren die Marktöffnung durch Schutz der Kunden und Schutz der schwächeren Regionen, wir ermöglichen den Aufbau sozialer Flankierung. Wir verhindern Wildwest sowie Lohn- und Sozialdumping. Das ist das, was die Menschen von uns in den unsicheren Zeiten zunehmen- den Wettbewerbsdruckes erwarten: Sicherheit im Wandel, Innovation und Gerechtigkeit. Was kommt von der anderen Seite? Seit Jahren erzählt uns die Union, Großbritannien werde demnächst den ganzen Postmarkt öffnen. Zuletzt hieß es, Anfang 2002. Jetzt sind wir schon – nach Verlautbarungen – bei Anfang 2003. In den Presseberichten ist jetzt nur noch von 30 Pro- zent des Marktes die Rede, für den Rest erst 2007. Den- noch lesen wir, es werde noch in diesem Jahr zu dras- tischen Sparprogrammen und Massenentlassungen kom- men. Mal sehen, ob das diesmal so stimmt. Das Schlimme ist: Die Union feiert dies als ihr Modell. Das leichtfertige Gerede von Totalliberalisierung begleitet von Massenent- lassungen. Wieder ein Stück Wirtschaftskompetenz? Der wirtschaftspolitische Sprecher der Union hat in dieser Frage die Katze aus dem Sack gelassen. Er begründet die Notwendigkeit der Liberalisierung mit den Streiks bei der Post. Er befindet sich damit ganz auf FDP-Linie. Ein Zi- tat dazu aus dem Tagesspiegel vom 7. Juni 2002 lautet: „Gäbe es mehr private Anbieter, wäre das Risiko für die Bürger nicht mehr so groß, und sie könnten im Falle eines Streiks auf Konkurrenten ausweichen.“ Genauso hätten Union und FDP es gerne: Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer rückhaltlos dem Wettbewerb ausgeliefert, belie- big erpressbar und mit den heute üblichen Stundenlöhnen von 7 Euro noch überbezahlt. Was ich hier kritisiere, ist nicht, dass sich Union und FDP täuschen, wenn sie glauben, Gewerkschaften bräuchten Monopole. Das Schlimme ist die Vision, die da- hintersteckt! Internationaler, von sozialen und tariflichen Bindungen befreiter Wettbewerb soll die Menschen diszi- plinieren. Gerhard Schröder hat recht, wenn er die Wahl am 22. September 2002 als Richtungsentscheidung be- zeichnet. Sollte der Bundesrat dem vorliegenden Gesetz seine Zustimmung verweigern, dann werden wir den Postkunden noch leichter klar machen können, was für sie auf dem Spiel steht: Union und FDP legen die Axt an den flächendeckenden und bezahlbaren Universaldienst. Wir sichern ihn. Union und FDP wollen 16 Prozent Umsatz- steuer auf Postdienste einführen und damit bei den Pri- vatkunden abkassieren. Wir stehen zu den EU-konformen Regelungen wie bisher. Union und FDP verunsichern mit parteipolitischem Geplänkel Aktionäre und potenzielle Anleger, in dem sie lügen und Halbwahrheiten über Un- ternehmen im Wettbewerb verbreiten. Gleichzeitig for- dern sie weitere Privatisierung von Bundesanteilen. Wer soll sie denn kaufen? Wir haben die Voraussetzungen für den Rückzug des Bundes als Hauptaktionär geschaffen und setzen ihn mit Augenmaß um. Union und FDP argu- mentieren mit Horrormeldungen über 30 000 angeblich gefährdete Arbeitsplätze. Betrachten wir die Realität: Obwohl die Regulierungs- behörde für Telekommunikation und Post – anders als im Postgesetz angelegt – nicht Arbeitsbedingungen prüft, sondern nur sehr oberflächlich Arbeitsverhältnisse, wird aus ihrem jüngsten Tätigkeitsbericht eines klar erkennbar: Es handelt sich bei den neu entstandenen Jobs zum großen Teil eben nicht um solche, die das entscheidende Krite- rium eines Arbeitsplatzes erfüllen, nämlich die men- schenwürdige und angemessene Existenz des arbeitenden Menschen zu sichern. Mehr als die Hälfte der rund 20 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei den Wettbe- werbern der DPAG im lizenzpflichtigen Bereich, nämlich gut 11 000, sind geringfügig Beschäftigte. Dass die Op- position von Union und FDP unter Bezugnahme auf den Tätigkeitsbericht der RegTP selbstzufrieden meint, mel- den zu können, 99 Prozent der Beschäftigten bei den Li- zenznehmern seien sozialversicherungspflichtig beschäf- tigt, ist gerade nicht einer beruhigenden Entwicklung im Postmarkt zu verdanken, sondern ausschließlich der viel- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24411 (C) (D) (A) (B) gescholtenen 630-Mark bzw. 325-Euro-Regelung der rot- grünen Bundesregierung. Wir sollten nicht vergessen, dass es dieselben Oppositionsparteien sind, die eben diese Regelung erbittert bekämpft haben. Sie haben es sich auf die Wahlkampffahnen geschrieben, sie umgehend wieder abzuschaffen, sollte der Wähler ihnen die Chance dazu geben. Ich will es uns allen ersparen, sich auszumalen, was dies gleichzeitig mit der sofortigen Totalliberalisie- rung auf dem Postmarkt bedeuten würde. Halten wir also fest: Nur ein gutes Fünftel, rund 4 500 der Arbeitsplätze bei den neuen Lizenznehmern, sind annähernd so etwas wie Normalarbeitsverhältnisse. Wir freuen uns über jeden zusätzlichen Arbeitsplatz. Keiner davon wird durch uns gefährdet, weil wir das Marktseg- ment für die Wettbewerber eben nicht verkleinern, son- dern berechenbar erweitern. Auch das Argument, wenn der Markt geöffnet werde, würden sich die Arbeitsbedin- gungen bei den Wettbewerbern automatisch verbessern, macht mit Blick auf die Zustände im KEP-Markt, der sich bekanntlich voll im Wettbewerb befindet, wenig Hoff- nung. Unsere Beobachtungen belegen vielmehr die Not- wendigkeit zusätzlicher Anstrengungen zur Gewährleis- tung sozialer Standards im internationalen Maßstab. Wie gesagt, wir wollen sie durchsetzen. Wir tun das auch im Interesse der Zukunft einer ganzen Branche. Ru- fen wir uns diesen lebendigen und vielschichtigen Post- markt noch einmal kurz ins Bewusstsein. Auch ohne die angrenzenden Bereiche werden hier derzeit jährlich circa 22 Milliarden Euro umgesetzt. Die- ser Gesamtpostmarkt darf nicht – wie gerade jetzt wieder in der aktuellen Diskussion über das Postmonopol – gleichgesetzt werden mit dem weniger als halb so großen lizenzpflichtigen Bereich mit seinen rund 11 Milliarden Euro Umsatz, über den die Regulierungsbehörde für Te- lekommunikation und Post zu wachen hat. Der Gesamt- markt steht zu zwei Dritteln seiner Umsätze im Wettbe- werb. Selbst der lizenzpflichtige Bereich besitzt mit einem Volumen von circa 3 Milliarden Euro ein großes Wettbewerbssegment und weist mit über 1 000 Lizenz- nehmern auf zunehmende Wettbewerbsintensität hin. Dafür spricht auch die Tatsache, dass sich der Marktanteil der neuen Wettbewerber ebenso wie deren Umsatz seit 1998 in etwa verdreifacht hat. Allein von 2000 auf 2001 hat sich deren Marktanteil und Umsatz um knapp 40 Pro- zent erhöht. Wir verschweigen nicht die 97 Prozent Markt- anteil der Post AG in diesem Segment, aber weisen auf die Tendenz hin. Trotz der marktbeherrschenden Stellung der DPAG, die auch durch die Exklusivlizenz in einem Umfang von rund 8 Milliarden Euro bedingt ist, kann also von einer poli- tisch induzierten Remonopolisierung nicht die Rede sein. Daher ist es ziemlich grotesk, wenn jetzt immer wieder behauptet wird, die Verlängerung der Exklusivlizenz ge- fährde oder vernichte gar die Existenz der zarten Wettbe- werbspflänzchen. Ich frage: Wer nicht einmal den Atem hat, unter unveränderten Bedingungen weiter arbeiten zu können – also in den gar nicht so unkomfortablen Nischen der Exklusivlizenz – gerade der sollte eine völlige Markt- öffnung mit ganz anderen, wesentlich brutaleren Wettbe- werbsbedingungen überstehen? Dennoch: Unter richtig gesetzten Bedingungen geben die Perspektiven des Postmarktes insgesamt zur Zuver- sicht Anlass. Angesichts von Telefon, Fax, E-Mail, Inter- net und was auch immer: schon mehrfach totgesagt, leben die Postdienste immer noch, und das nicht so schlecht. Auch der E-Commerce, von vielen als der nächste Sarg- nagel des Postsektors gesehen, ist eher eine Chance. Die Internet-Fans mit dem verengten Blick auf Kabel und PC haben übersehen: mit dem Home-Shopping am Bild- schirm, mit dem Datentransfer zwischen Betrieben und der Online-Bestellung von der Couch aus ist es nicht getan: Ir- gendwie muss das Produkt ja doch vom Verkäufer zum Käufer kommen. Also braucht man Pakete, Rechnungen, manchmal Mahnungen, weitere Werbesendungen usw. Die Mahner-Romberg-Unternehmensberatung rechnet für das Jahr 2005 analog zu den Wachstumserwartungen des Marktforschungsinstituts Forrester Research für den elektronischen Handel mit zusätzlichen 819 Millionen Sendungen durch E-Commerce. Daraus ergäbe sich für denselben Zeitraum für die KEP-Branche in Deutschland ein Umsatzwachstum von 36,8 Prozent auf 13,5 Milliar- den Euro. Im Zuge des Wandels der Postdienstleister zu Logistik- anbietern gewinnen Mehrwertdienste, deren Volumen derzeit auf EU-weit 70 Milliarden Euro geschätzt wird, weiter an Bedeutung. Dies gilt sowohl für den vorgela- gerten Bereich mit Adressieren, Kuvertieren, Kommissio- nieren als auch für den nachgelagerten mit Inhouse-Post, Inkasso und Finanzierung . Große Chancen bieten sich den Logistikanbietern, wenn sie den Kunden Qualität anbieten können: Zuver- lässigkeit, Schnelligkeit, Internationalität – und das nicht nur für ein paar Großkunden, sondern auch im Massenge- schäft und flächendeckend. Dies verweist übrigens noch einmal darauf, dass die Unternehmen schon allein aus Qualitätsgründen kein Interesse daran haben können, ihre Branche in die Nähe eines Niedriglohnsektors rutschen zu lassen. Wir sind uns darüber im klaren, dass dafür auch die politisch gesetzten Rahmenbedingungen stimmen müs- sen. Diese wiederum haben sich an den gesellschaftlich erwünschten Zielen zu orientieren: Qualität der Dienstleis- tungen, flächendeckendes und erschwingliches Angebot für alle, Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen, nachhaltiges Wachstum. Wir schaffen diese Rahmenbedingungen anstatt stän- dig alles schlecht zu reden. Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Mit Sorge be- trachten wir die Umkehrung des von der früheren Bun- desregierung eingeschlagenen Liberalisierungskurses bei den Postdiensten. Mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Postgesetztes wurde der Endtermin für die vollstän- dige Liberalisierung der Postdienste von 2002 auf 2007 mit der Begründung verschoben, dass der europäische Gleichklang eine frühere Liberalisierung nicht erlaube. Nachdem zwischenzeitlich durch die zweite europäische Postrichtlinie weitere Liberalisierungsschritte zwingend festgelegt wurden, hat die Bundesregierung den Entwurf des Dritten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes vor- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224412 (C) (D) (A) (B) gelegt. Dieser Entwurf setzt nur die Mindestforderungen der europäischen Richtlinie um, ohne von der darin vor- gesehenen Möglichkeit einer weiter gehenden Liberali- sierung Gebrauch zu machen. Das Gesetz verstößt gegen die elementaren wirtschaftlichen Interessen der Nutzer und Betreiber von Postdiensten. Nach unserer Auffassung ist es daher besser, das Gesetz insgesamt abzulehnen, als es in der vorgesehenen Form zu verabschieden. Dies er- gibt sich aus den folgenden Gründen: Erstens. Die Herabsetzung der Gewichtsgrenze für mo- nopolisierte Briefsendungen von 200 g auf 100 g stellt eine Scheinliberalisierung dar; durch sie erhalten die mit- telständischen Wettbewerber keinen ausreichenden Spiel- raum für eine wirtschaftliche Betätigung im Briefmarkt. Zweitens. Der Gesetzentwurf beinhaltet ein Monopol für die Katalogbeförderung. Nach der Europäischen Post- richtlinie 67/97 zählen Kataloge jedoch nicht zum reser- vierbaren Bereich. Drittens. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Preis- grenze führt in Verbindung mit dem vorgesehenen Price- Cap-Verfahren dazu, dass alle Briefe bis zum dreifachen Wert des – von der Post selbst festgesetzten – Portos im Monopolbereich verbleiben. Damit hat die Post die Be- stimmung ihres Monopols selbst in der Hand. Viertens. Bereits nach den geltenden Bestimmungen des § 28 Postgesetz ist vorgesehen, dass Wettbewerber Postsendungen an geeigneten Stellen in das Netz der Deut- schen Post AG gegen angemessene Vergütung einliefern können. Allerdings werden die geltenden Lizenzbestim- mungen derzeit so ausgelegt, dass diese die Einlieferung von Briefen durch Wettbewerber nicht ermöglichen. Im In- teresse einer Klarstellung ist es daher von großer Bedeu- tung, die entsprechende Lizenzbestimmung in § 51 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 5 des Postgesetzes dahin gehend klarzustellen, dass Wettbewerber eine Lizenz für die Abholung von Brie- fen und deren Einlieferung an geeigneten Punkten im Netz der Deutschen Post AG auch im eigenen Namen erhalten können. Nach Erfahrungen in anderen Ländern der EU und den Vereinigten Staaten ermöglicht der Netzzugang für Wettbewerber eine erhebliche Ausweitung des Dienst- leistungsspektrums der Postdienste. Der Netzzugang führt damit zu einem erhöhten Kundennutzen und zur Schaf- fung neuer Arbeitsplätze. Wir sehen daher in diesem Punkt ein großes Potenzial für Fortschritte auf dem Postmarkt und für eine mittelstandsfreundliche Postpolitik; vor allem aber für die Schaffung neuer Arbeitsplätze, insbesondere für Langzeitarbeitslose. Bereits der Gesetzgeber des Postgesetzes von 1997 hat vorausgesehen, dass die Inanspruchnahme von Teilleis- tungen eine Vielzahl neuer Jobs im Mittelstand schaffen kann – ohne dass die Post Schaden dadurch erleidet; denn die Post hat Anspruch auf kostendeckende Vergütung plus Gewinnzuschlag. Die derzeitige Praxis, die es lediglich Großversendern ermöglicht, Teilleistungen in Anspruch zu nehmen, dis- kriminiert nicht nur die Wettbewerber, sondern auch alle übrigen Kunden, die nicht über ausreichende Postvolu- men verfügen, um sich für Teilleistungen zu qualifizieren. Solche Kunden, die weniger als 20 000 Briefe am Tag versenden, müssen das volle Porto bezahlen und werden dadurch im Wettbewerb mit größeren Postkunden be- nachteiligt. Abhilfe ist nur dadurch möglich, dass den kleineren Kunden die Möglichkeit gegeben wird, sich der Hilfe eines Konsolidators zu bedienen, der die Sendungen bündelt, sortiert und zum Briefzentrum befördert. Nicht umsonst werden Sie für diesen Gesetzentwurf von allen Seiten kritisiert. Ich möchte Ihnen ein paar Sätze aus der Pressemeldung des DIHK vorlesen. Ich zitiere: Die Senkung der Gewichtsgrenze beim Briefdienst von 200 g auf 100 g wird den verkrusteten Markt nicht aufbrechen. Dies erklärt der Deutsche Indus- trie- und Handelskammertag, DIHK, vor der mor- gigen Kabinettsitzung, auf der dieser Schritt be- schlossen werden soll. Wenn der Bundesregierung tatsächlich, wie sie selbst dabei sagt, an den Ver- braucherinteressen und einer Preissenkung gelegen sei, müsse sie stattdessen die Exklusivlizenz für den Briefdienst umgehend kippen. Bei einem Marktanteil von derzeit 93,5 Prozent wür- den gerade einmal sechs Prozent für Wettbewerber geöff- net. Die privaten Postdienstleister, unter denen bereits eine Flurbereinigung eingesetzt habe, blieben somit wei- terhin chancenlos. Also: Sie tun gerade das, was Sie tun müssen. Auf diese Regierung passt das Zitat vom „Hund, der zum Jagen ge- tragen werden muss“. Mit dieser Haltung mögen Sie zwar weiterhin den Versuch der Börsenkurspflege für die Post AG fortsetzen, aber es liegt doch auf der Hand, dass Sie genau das Gegenteil erreichen. In dem von der Regulierungsbehörde für Telekommu- nikation und Post veröffentlichten aktuellen Bericht zur Markteinführung im postalischen Bereich wird hinläng- lich und erschöpfend die derzeitige Marktsituation be- schrieben. Besonders hinzuweisen ist auf folgende Ent- wicklungen: Derzeit sind immer noch circa 400 Anfechtungsklagen gegen Anbieter höherwertiger Dienstleistungen beim Ver- waltungsgericht Köln anhängig. Zwar ist die derzeitige Tätigkeit privater Briefdienste durch den Gang in die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Münster abge- sichert, jedoch birgt die grundsätzliche rechtliche Un- sicherheit aufgrund der Verfahren eine hohe Hemm- schwelle für Wettbewerber und Banken, finanzielle Risiken für den weiteren Geschäftsausbau einzugehen. Die Anzahl der Insolvenzen ist in den letzten Monaten bedrohlich angestiegen. Aufgrund der Verlängerung der Exklusivlizenz zugunsten der Deutschen Post und der un- sicheren Rechtslage ist die Zahl der Marktaustritte im Jahre 2001 so hoch, wie in den vorhergehenden zwei Jah- ren zusammen und in diesem Jahr setzt sich der Prozess beschleunigt fort. Die Situation ist insbesondere deshalb bedrohlich, da wertvolle Unternehmensgründungen im Kleingewerbe und mittelständischen Bereich und die da- mit verbundene Schaffung von Arbeitsplätzen abnehmen. Mit der Abnahme der Anbieter im Postmarkt ist der grundgesetzliche Auftrag einer Postversorgung im Wett- bewerb mehr als gefährdet. Es muss immer wieder gesagt werden, dass der Verbraucher den Schaden hat. Aber das wissen wir aus vier Jahren Postpolitik dieser Regierung bzw. der rotgrünen Regierungskoalition hinlänglich. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24413 (C) (D) (A) (B) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat am 31. Mai 2002 im Bundesrat ebenso wenig eine Mehrheit gefunden wie am 12. Juni 2002 im Unterausschuss für Te- lekommunikation und Post. Auf die fünf Punkte, die der Bundesrat zur Verbesserung des Gesetzes eingebracht und zur Voraussetzung seiner Zustimmung gemacht hat, hat die Bundesregierung in Ihrer Gegenäußerung fünfmal mit Ablehnung geantwortet. Die CDU/CSU-Fraktion hat diese Punkte, die ich hier nochmals aufzähle, im Unter- ausschuss ebenfalls zur Abstimmung eingebracht. Es wa- ren folgende Vorschläge von uns: Erstens. Auslaufen der Exklusivlizenz zum 31. De- zember 2004. Zweitens. Absenken der Gewichts- und Preisgrenze: 50 g bzw. das Zweieinhalbfache des Standardpreises. Drittens. Freigabe der Infopost. Viertens. Freigabe der Kataloge. Fünftens. Grundsätzliche Anwendung der Ex-ante- Preisregulierung auch bei größeren Einlieferungsmengen, das heißt, Wegfall von Satz 2 in § 19. Des Weiteren sollten erste Schritte zur Öffnung des Netzes möglich sein, zum Beispiel das Einsammeln der Post. Auch hier hat Rot-Grün blockiert. Wer sich so wie diese Regierung dem Wettbewerb ver- weigert, wer so gleichgültig mit dem Mittelstand und mit dem Verbraucher umgeht, ist nicht zukunftsfähig. Des- halb stimmen wir, wie die Mehrheit der Bundesländer, ge- gen das „Dritte Gesetz zur Änderung des Postgesetzes“ in der vorgelegten Form und erwarten in einem Vermitt- lungsverfahren, dass die Regierung endlich verantwor- tungsvoll in ein konstruktives Gespräch zur Verbesserung der Verbrauchersituation im Postbereich einlenkt. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bündnis 90/Die Grünen treten für eine klare, wettbe- werbsorientierte Politik ein. Wir halten die schrittweise und kontrollierte Öffnung der europäischen Postmärkte für dringend erforderlich. Auch im Postsektor bedarf es gleicher Wettbewerbschancen für alle Unternehmen in al- len Ländern des Binnenmarktes. Mit der Novelle des Postgesetzes setzt die Koalition die europäischen Vorgaben zu einer stufenweisen Libera- lisierung des Marktes für Postdienste um. Das Monopol der Deutschen Post AG zur Briefzustellung wird ab 1. Ja- nuar 2003 nur noch für Briefe bis zu einem Gewicht von 100 Gramm gelten. Bisher galt eine Grenze von 200 Gramm. Ab 1. Januar 2006 wird diese Grenze dann auf 50 Gramm gesenkt. Von 2003 an sind nur noch Briefe und adressierte Ka- taloge mit einem Einzelgewicht bis 100 Gramm der Deut- schen Post vorbehalten, deren Einzelpreis weniger als 1,68 Euro beträgt. Wir begrüßen, dass es klare Vereinbarungen gibt, die einen einheitlichen Liberalisierungsrahmen in der Euro- päischen Union vorgeben. Die Reform geht in die richtige Richtung. Allerdings geht sie uns nicht weit genug. Wir halten das Monopol der Deutschen Post AG bei der Brief- beförderung für überflüssig. Wettbewerb in Deutschland würde die Deutsche Post AG besser auf den globalen Wettbewerb vorbereiten als Monopolstrukturen. Der Bundesrat fordert die Beendigung der Exklusiv- lizenz bei der Briefbeförderung bis 2004 und macht dies zur Voraussetzung zur Zustimmung zu dem Gesetzent- wurf. Wir sind sehr daran interessiert, im Rahmen eines Vermittlungsverfahrens zu einer Einigung mit dem Bun- desrat zu kommen. Eine frühere Abschaffung des Post- monopols wäre für Innovation und Arbeitsplätze auf dem deutschen Postmarkt sinnvoll. Bis Ende 2002 muss die EU-Richtlinie umgesetzt wer- den. Wir sollten in Europa Vorreiter bei der Einführung von Wettbewerb sein und weitergehende Schritte machen als die von der EU vorgegebenen. Damit würden wir dafür sorgen, dass die Deutsche Post AG sich modernisiert und sich fit für den Wettbewerb macht. Sie würde einen Wett- bewerbsvorteil gegenüber jenen Untenehmen erringen, die in Europa zu spät in den Wettbewerb einsteigen. Gerade bei der Umgestaltung früher in staatlichen Mo- nopolen betriebener Infrastrukturen ist eine engagierte Wettbewerbspolitik gefragt. Bündnis 90/Die Grünen ha- ben die Umwandlung ehemaliger Monopolmärkte wie zum Beispiel Telekommunikation, Strom und Gas, Post und öffentlicher Personalverkehr immer aktiv unterstützt. Wettbewerb ist innovativer und effizienter als Monopole und nützt damit der Industrie und dem Verbraucher. Manche meinen allerdings, sie müssten den früheren staatlichen Monopolunternehmen weiterhin Vorteile auf dem Heimatmarkt sichern, damit deutsche Global Player geschaffen werden. Die von Deutschland aus agierenden Konzerne sollen weltweit Unternehmen kaufen. Wert- schöpfung in Deutschland soll durch die Nachfrage der Konzernzentralen nach hochwertigen Dienstleistungen wie Forschung, Werbung und Rechtsberatung gesichert werden. Für die globale Wirtschaft kann man sich so nicht fit machen. Gerade multinationale Konzerne vergleichen die Qualität der einzelnen Standorte sehr genau – und ver- lagern sie jeweils dorthin, wo sie am effizientesten pro- duzieren können. Die Aktionärsstruktur der Konzerne in- ternationalisiert sich ebenfalls. Nationale Rücksichten spielen da keine Rolle mehr. Zudem sind die Kosten dieser Strategie hoch, wenn Monopole durch politische Maßnahmen verfestigt und damit Hindernisse beim Marktzugang für kleine und mitt- lere Unternehmen errichtet werden. Das verringert die Chancen innovativer Unternehmen. Die Wettbewerbs- fähigkeit wird verringert, ineffiziente Strukturen verfesti- gen sich – auch in den Großunternehmen –, Arbeitsplätze gehen verloren. Natürlich spielen auch Großunternehmen für jede Volkswirtschaft eine wichtige Rolle. Es ist gut für die deutsche Wirtschaft, wenn möglichst viele Unternehmen hier ihren Sitz haben. Aber: es macht wirtschaftspolitisch eben keinen Sinn, wenn dadurch innovativen Wettbewer- bern der Marktzugang verweigert wird. Durch weniger Wettbewerb werden auch die Großunternehmen träge! Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224414 (C) (D) (A) (B) Rainer Funke (FDP): Die FDP-Fraktion stimmt ge- gen das Dritte Gesetz zur Änderung des Postgesetzes, ob- wohl zweifellos eine gewisse Liberalisierung des Post- marktes hiermit verbunden ist. Wir wollen nämlich mehr Liberalisierung. Wir wollen ein Ende des Postmonopols jetzt oder zumindest noch im Jahre 2003. Die Bundesre- gierung ist mit der Liberalisierung des Postmarktes nicht nur nicht vorangekommen, sondern hat sie sogar behin- dert. Das liegt einfach daran, dass weder der Bundes- kanzler noch der Bundeswirtschaftsminister von Markt- wirtschaft und Wettbewerb etwas verstehen. Von Leuten, die in den Kategorien von Versorgungsmonopolen und nationaler Versorgungssicherheit denken, ist auch nichts anderes zu erwarten. Sie werden unterstützt vom Bundes- finanzminister im Glauben, dass dadurch der Wert der Postaktie steigen werde. Tatsächlich ist die Postaktie nur noch zwei Drittel ihres Ausgabepreises wert. Tatsächlich zahlt der private Postkunde in Deutschland Spitzenpreise für durchschnittliche Leistungen. Nur Unternehmen, die sich im Wettbewerb behaupten, werden von den Anlegern für voll genommen. So braucht man kein Prophet zu sein, wenn man sagt, dass der Kurs der Post AG sich nicht nach oben entwickeln wird, so- lange nur scheibchenweise Liberalisierung am Postmarkt umgesetzt wird. Das Dritte Änderungsgesetz kommt im Übrigen nicht aus freien Stücken, sondern ist lediglich eine Minimal- umsetzung der EU-Richtlinie. Das hat nichts mit verbrau- cherfreundlicher Politik zu tun. Schon heute wäre eine 10- bis 15-prozentige Absenkung der Postgebühren mög- lich, wenn die Post uneingeschränkt im Wettbewerb ste- hen würde. Der Verbraucher wäre dann nicht mehr ab- hängig von den Leistungen der Post AG und deren Bediensteten und könnte im Wettbewerb den Anbieter wählen. Dann wäre auch das Erpressungspotenzial der Gewerkschaften geringer. Der Bundesrat hat mit seinen Änderungsanträgen der Bundesregierung im Ansatz den richtigen Weg gewiesen. Die Bundesregierung hat sich über diese Empfehlung des Bundesrates hinweg gesetzt, die im Übrigen der FDPauch nicht weit genug gehen. Wir werden nach dem 22. Sep- tember 2002 einen Radikalschnitt durchsetzen, nämlich die Aufhebung des Postmonopols noch im Jahre 2003. Man fragt sich im Übrigen: Wo bleibt der Protest der Verbraucherministerin gegen dieses Gesetz? Denn im In- teresse des Verbrauchers ist dieses Gesetz nicht, schreibt es doch die überhöhten Gebühren de facto fest. Aber viel- leicht will sich die Verbraucherministerin mit den mäch- tigen Gewerkschaften vor der Wahl nicht anlegen. Al- berne Teuro-Gipfel können konkrete Verbraucherpolitik aber nicht ersetzen. Mit dieser kleinlauten Politik der Ver- braucherministerin muss Schluss sein – spätestens am 22. September. Gerhard Jüttemann (PDS): Der Bundesverband Deutscher Postdienstleister hat uns und sicher auch den anderen Fraktionen vor einigen Tagen seine Wahlprüf- steine geschickt. Eine Frage lautet, ich zitiere: Der Universaldienstleister ist zu einer flächen- deckenden Postinfrastruktur verpflichtet. Wenn die Exklusivlizenz wegfallen sollte, wie kann nach Mei- nung Ihrer Partei dann der Universaldienstleister trotz dieser Verpflichtung in Europa wettbewerbs- fähig bleiben? Ich gebe zu, die PDS hätte die Frage ein wenig anders gestellt. Wir hätten gefragt, wie nach Ende der Exklusiv- lizenz eigentlich der Universaldienst wenigstens im bis- herigen Umfang aufrechterhalten werden soll. Die Ant- wort auf beide Fragen ist aber die gleiche. Es wird nach Ende der Exklusivlizenz zu einer weiteren spürbaren Aus- dünnung des Universaldienstes kommen. Weiter hat uns der BdVP gefragt, welche Maßnahmen unsere Partei vor- sieht, damit im Post- und Logistiksektor neue hochwer- tige und sozial abgesicherte Arbeitsplätze geschaffen wer- den. Die klare Antwort darauf lautet, dass endlich jener Teil des Postgesetzes durchgesetzt werden muss, in dem festgelegt ist, dass Lizenznehmer die im lizenzierten Be- reich üblichen wesentlichen Arbeitsbedingungen nicht er- heblich unterschreiten dürfen. Denn das tun sie zurzeit in zwei Drittel aller Fälle. 22 000 von 31 000 neu geschaffen Stellen bei den Wettbewerbern der Post sind geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Zusammengefasst heißt das: Was das Postgesetz uns bisher gebracht hat, ist eine dramatischer Abbau sozialer Standards bei den Beschäftigungsverhältnissen und eine gewaltige Einschränkung des Universaldienstes. Und die Tendenz weist in beiden Fällen weiter nach unten. Beides widerspricht zwar den Interessen der Gesellschaft, liegt aber durchaus in der Logik des Postgesetzes. Dessen hei- ligster Zweck ist ausdrücklich nicht die Bewahrung so- zialer Standards für Beschäftigte und Kunden, sondern die Förderung des Wettbewerbs. Dies ist der Grund- und Geburtsfehler dieses Gesetzes. Allerdings ist er von der Mehrheit dieses Hauses bewusst gemacht worden, um künftig auch im Postbereich die Gewinne zu privatisieren und die Verluste zu sozialisieren. Die deutsche Post AG ist unter den Bedingungen der Konkurrenz und der freien Kapitalverwertung führend an diesem Abbau beteiligt. Sie hat 150 000 Arbeitsplätze vernichtet. Ihren neu eingestellten Mitarbeitern mutet sie im Vergleich zu den Alteingesessenen Einkommens- verluste bis nahezu 30 Prozent zu. Bei vielen Posttöch- tern sind die Arbeitsbedingungen nicht besser als bei den Wettbewerbern. Die heute auf der Tagesordnung ste- hende dritte Postgesetzänderung steht nahtlos in dieser Negativentwicklung und wird diese gleichzeitig erheb- lich beschleunigen. Selbst die Europäische Kommission geht davon aus, dass der Rückgang der Gesamtbeschäf- tigung im Postsektor bis 2007 anhalten wird, was daraus resultiere, dass der Stellenabbau durch Effizienzsteige- rungen größer sei als das durch Marktwachstum be- wirkte Plus. In einer von der Kommission in Auftrag gegebenen Be- schäftigungsstudie werden auch dauerhaft schlechtere Be- schäftigungsbedingungen bei den entstehenden privaten Postunternehmen prognostiziert. Dort sei die Beschäfti- gung tendenziell weniger dauerhaft als bei öffentlichen Betreibern. Die Arbeitszeiten seien länger, die Grundlöhne geringer. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad sei er- heblich geringer. Parallel dazu und bedingt durch die Kon- kurrenz sei bei den öffentlichen Betreibern die Tendenz zu Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24415 (C) (D) (A) (B) verstärktem Einsatz von Teilzeitbeschäftigten und Aus- hilfskräften zu beobachten. Es fragt sich allerdings, wozu die Kommission solche Studien in Auftrag gibt, wenn sie nicht die geringsten Schlussfolgerungen aus den Ergebnis- sen zu ziehen bereit ist. Die PDS-Fraktion zieht diese Schlüsse. Wir lehnen die Postgesetzänderung ab. Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Wirtschaft und Technologien: Das Euro- päische Parlament und der Europäische Rat haben im Lauf der letzten Monate Änderungen zur Postdiensterichtlinie einvernehmlich beschlossen. Diese neuen Regelungen müssen die Mitgliedstaaten bis Ende dieses Jahres in na- tionales Recht umgesetzt haben. Die Bundesregierung be- absichtigt deshalb, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die neue Postdiensterichtlinie in deutsches Recht umzu- setzen. Grundsätze der Postpolitik der Bundesregierung. Die Bundesregierung verfolgt in der Postpolitik den Grund- ansatz, die deutschen Postmärkte in denselben Schritten und in derselben Geschwindigkeit wie die anderen euro- päischen Postmärkte zu öffnen. Dadurch erreichen wir zweierlei: Erstens. Es werden Märkte geöffnet, die nicht nur 80 Millionen Nachfrager umfassen, sondern 370 Millionen. Zweitens. Wir schaffen Chancengleichheit für die An- bieter von Postdienstleistungen innerhalb der EU. Die Bundesregierung lehnt einen deutschen Allein- gang in der Postpolitik ab. Wir wollen keine auseinander driftende Entwicklung innerhalb der Europäischen Union. Wir haben auch weiterhin die Absicht, unsere Partner innerhalb der Europäischen Union auf dem Weg der schrittweisen Öffnung der Postmärkte mitzuziehen. Konsequenterweise setzt sich die Bundesregierung auf der europäischen Ebene für nachhaltige Schritte in der Marktöffnung bei gleichzeitiger Wahrung der infrastruk- turellen und sozialen Belange ein. Deutschland hat in die- sem Prozess, unterstützt von anderen Mitgliedstaaten, eine Lokomotivfunktion inne. Es kann klar festgestellt werden: Ohne das deutliche Eintreten der Bundesregie- rung für Fortschritte in der europäischen Postpolitik hätte das deutsche Parlament kaum etwas in nationales Recht umzusetzen. Zur Postdiensterichtlinie. Zu Beginn der politischen Diskussion auf europäischer Ebene bestanden große Ge- gensätze einerseits zwischen den Mitgliedstaaten und an- dererseits mit dem Europäischen Parlament. Trotzdem konnte schließlich ein Kompromiss gefunden werden, dem nahezu alle politisch Verantwortlichen zugestimmt haben. Er sieht im Wesentlichen vor, dass zu Beginn des nächsten Jahres die Monopolgrenze für Briefe von der- zeit 350 Gramm in der alten europäischen Richtlinie auf 100 Gramm abgesenkt wird und in einem weiteren Schritt zu Beginn des Jahres 2006 auf 50 Gramm. Danach wird die Europäische Kommission dem Parlament und dem Rat einen Erfahrungsbericht vorlegen, auf dessen Grund- lage über eine vollständige Marktöffnung für 2009 ent- schieden wird. Dynamik in der EU. Das Erreichte hat dazu geführt, dass in jüngster Zeit Bewegung in ehemals verfestigte Po- sitionen geraten ist: Überall in Europa wird über Reformen im Postbereich nachgedacht. Im Stadium der konkreten Planungen zur Privatisierung der staatlichen Postverwal- tungen oder zur Öffnung der Märkte befinden sich insbe- sondere Norwegen, Dänemark, Italien und Griechenland. Die nationalen Regierungen und die staatlichen Postunter- nehmen sind sich des klaren und unmissverständlichen Willens des europäischen Gesetzgebers bewusst, die euro- päischen Postmärkte zu öffnen. Darin liegt der Kern des Erfolgs unserer Bemühungen in Brüssel! Gesetzentwurf der Bundesregierung. Die Bundesregie- rung beabsichtigt, den eingeschlagenen Weg weiter zu ver- folgen. Deshalb werden wir aus der europäischen Linie nicht ausscheren. Die Zeit rein nationaler Märkte gehört auch im Postsektor immer mehr der Vergangenheit an. Die wirtschaftliche Verflechtung innerhalb Europas nimmt auch hier zu. Wir sollten dem Rechnung tragen, in- dem wir nicht – isoliert von der Entwicklung um uns herum – nach ordnungspolitischen Ansätzen suchen, son- dern diese einbinden in die europäisch gefundenen Kon- zeptionen. Die Bundesregierung hat deshalb einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem sie die Regelungen der Postdienste- richtlinie unverändert in deutsches Recht umzusetzen be- absichtigt. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zum Ge- setzentwurf der Bundesregierung. Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämpfung der Finanzierung des Ter- rorismus (Geldwäschebekämpfungsgesetz) (Zu- satztagesordnungspunkt 10) Hans-Peter Kemper (SPD): Der heute zur Verab- schiedung anstehende Gesetzentwurf der Bundesregie- rung zur Verbesserung der Geldwäschebekämpfung ist ein weiterer richtiger Schritt zur Bekämpfung der organisier- ten Kriminalität und des internationalen Terrorismus. Er ist ein Schritt zur Erhöhung der inneren Sicherheit und zur Festigung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung. Inter- nationaler Terrorismus und organisierte Kriminalität sind – und das haben gerade die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA und der später folgende Anschlag auf Djerba deutlich gemacht –, geeignet, in hohem Maße Un- ruhe in der Bevölkerung auszulösen, einhergehend mit ei- ner empfindlichen, Störung des Sicherheitsgefühls. Gerade Sozialdemokraten haben immer wieder deut- lich gemacht, dass es ihnen ein ernsthaftes Anliegen ist, die innere Sicherheit zu verbessern und damit den Men- schen ein Leben in Sicherheit zu gewährleisten. Ein Leben in Sicherheit, ein Leben ohne Angst, ist ein Stück Lebensqualität. Verunsicherte, verängstigte Menschen trauen sich beispielsweise nicht, zu bestimmten Tageszei- ten die Wohnung zu verlassen, meiden bestimmte, ver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224416 (C) (D) (A) (B) meintlich gefährliche Stadtteile. Sie verzichten darauf, Freunde und Verwandte zu besuchen und reduzieren ihr soziales Umfeld. Sie geben ein Stück persönlicher Frei- heit und damit ein Stück Lebensqualität preis. Wir sorgen dafür, dass die Menschen sich unabhängig von ihrem Stand und unabhängig von ihren Vermögensverhältnissen in unserem Land sicher fühlen können und auch fühlen. Wir Sozialdemokraten teilen die Auffassung der Poli- zei und vieler Kriminologen, dass es zwischen organisier- ter Kriminalität, Terrorismus und illegalen Geldströmen einen engen Zusammenhang gibt. Um dem internationa- len Terrorismus weltweit die logistische und strukturelle Grundlage zu entziehen, müssen diese illegalen Finanz- ströme ausgetrocknet werden. Hierzu leistet ein verbes- sertes Geldwäschegesetz einen wichtigen Beitrag. In unserer heutigen zunehmend technisierten Welt verliert das Bargeldgeschäft zunehmend an Bedeutung. Deshalb war die Anpassung bestimmter Sicherheitsme- chanismen gerade für die unbaren Finanztransaktionen unerlässlich. Elektronische Medien, wie zum Beispiel das Internet, werden verstärkt genutzt, große Geldsummen in kürzester Zeit rund um den Erdball zu transferieren. Ge- rade diese neuen Medien eignen sich in besonderer Weise, Herkunfts- und Eigentumsverhältnisse von inkriminier- tem Vermögen zu verschleiern. Deshalb müssen Finanz- transaktionen mittels elektronischem Geld denselben Identifizierungs- und Anzeigepflichten unterliegen wie Bargeldtransaktionen. Das Geldwäschegesetz bezieht außerdem diejenigen Berufe und Tätigkeiten in den Pflichtkreis des Geldwä- schegesetzes ein, bei denen erfahrungsgemäß ein erhöh- tes Risiko besteht, dass ihre Dienste zu Geldwäsche- zwecken missbraucht werden. Deshalb werden künftig auch Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sowie die An- gehörigen der rechtsberatenden Berufe zur Identifizie- rung und Dokumentierung verpflichtet. Die Bekämpfung von Straftaten, auch die Bekämpfung von terroristischer Gewalt, ist eine polizeiliche Aufgabe und sie soll es auch bleiben. Ohne dass in Länderkompe- tenzen eingegriffen wird, soll die Analysekompetenz der BKA-Zentralstelle ausgebaut werden. Die Ausgestaltung der deutschen Zentralstelle für Verdachtsanzeigen im Bundeskriminalamt dient der Verbesserung der Zusam- menarbeit mit den entsprechenden Stellen im Ausland. Die parallel erfolgende Meldung einer Geldwäschean- zeige von Anzeigenpflichtigen an die zuständigen Straf- verfolgungsbehörden und an die bestehende Zentralstelle des BKA minimiert Zeitverluste, beschleunigt Erkennt- nisgewinnung und erleichtert die Ermittlungsarbeit. Ich denke, wir haben hier ein sehr gutes Gesetz auf den Weg gebracht und ich will mich in diesem Zusammen- hang auch bei den Berichterstattern der anderen Fraktio- nen ausdrücklich noch mal bedanken. Einen Punkt möchte ich allerdings doch noch erwähnen und mich hierbei besonders zum Kollegen Marschewski äußern. Ich habe mir seine Rede, die er in der ersten Le- sung zu Protokoll gegeben hat, natürlich sehr aufmerksam durchgelesen: Er bedauert hier ausdrücklich, dass die Umkehr der Beweislast, die ihm ja immer ein Herzensan- liegen gewesen sei, nicht mit in dieses Gesetz aufgenom- men wurde. Vielleicht ist es ihm nicht mehr so geläufig, aber diese Umkehr der Beweislast war immer ein Anlie- gen der Sozialdemokraten und sie war Bestandteil des so- zialdemokratischen Antrages zur besseren Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Ich bin ja nun in dieser Kommission zur Erarbeitung ei- nes Gesetzentwurfes zur besseren Bekämpfung der orga- nisierten Kriminalität über ein Jahr lang tätig gewesen und ich kann sagen, dass der Punkt der Umkehr der Be- weislast im Wesentlichen am damaligen Innenminister Kanther gescheitert ist, der sich massiv gegen die Ein- führung dieses Passuses gewehrt hat. Allerdings hatte Herr Kanther selbst, wie sich erst später herausstellte, ein ganz besonderes Verhältnis zur Geldwäsche mit ganz ei- genen Erfahrungen. Es war unser Kollege Prof. Meyer, der dann den Er- satzvorschlag ins Verfahren eingebracht hat, über das Steu- errecht eine Art Umkehr der Beweislast einzubringen. Es ist sein Verdienst, dass heute bei verdächtigem Vermögen sofort die Steuerbehörden eingeschaltet werden. Nach dem Steuerrecht hat der Betroffene sich dann den Steuer- behörden zu offenbaren. Es wird geprüft: Hat er für den aufgefundenen oder sichergestellten Betrag Steuern abge- führt und wenn nicht, woher kommt das Geld? Wenn er seiner Mitwirkungspflicht in dieser Frage nicht nach- kommt, erfolgt nach dem Steuerrecht die Schätzung. Auf diesem Wege ist es zumindest möglich, einen Großteil des Vermögens einzuziehen, auch wenn eine Beweislastum- kehr „reinsten Wassers“ damit nicht erreicht wurde, was allerdings von uns auch nicht zu verantworten war. Dennoch stellt der heute hier vorliegende Gesetzent- wurf in vielen Bereichen eine Verschärfung, eine Präzi- sierung und eine erhebliche Beschleunigung des Erkennt- nisaustausches und der Ermittlungen unter gleichzeitiger strenger Wahrung unserer rechtsstaatlichen Prinzipien dar. Die FDP hat zwar erkennen lassen, dass sie sich der Einsicht in notwendige Veränderungen in Sachen Geld- wäschebekämpfung nicht verschließt, dennoch stimmt sie diesem Gesetz nicht zu. Ich kann das nicht recht nach- vollziehen. Möglicherweise hängt es aber damit zusam- men, dass nun auch bestimmte Formen der Steuerhinter- ziehung von den Geldwäscheregelungen erfasst werden. Ich freue mich darüber, dass es möglich war, ein gutes und auch ein sehr wichtiges Gesetz, trotz des Wahl- kampfgetöses, der ja mittlerweile unüberhörbar geworden ist, bei uns sachlich zu beraten und es zu einem guten Ende zu bringen. Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU): Geldwäsche in Zusammenhang mit Kriminalität ist wahr- lich kein neues Phänomen. Jedoch: Der Terroranschlag auf die USA hat auch hier die Welt verändert. Wir stehen vor neuen Herausforderungen, die uns zu neuen Sicht- weisen und zu veränderten Schwerpunkten bei den Auf- gaben des Staates zwingen, weil wir die freiheitlichste Gesellschaftsordnung, die Deutschland je gekannt hat, er- halten und stärken wollen. Ein Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus notwendiger denn je, weil gerade die finanziellen Strukturen des internationa- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24417 (C) (D) (A) (B) len Terrorismus zerstört werden müssen. Nur dadurch kann dem internationalen Terrorismus die logistische und strukturelle Grundlage entzogen werden. Insofern ist das Gesetz richtig, Ihre Initiative dankenswert. Aber: Ob Sie dies mit dem vorgelegten Gesetzentwurf vollständig er- reichen werden, ist hier und da leider doch zweifelhaft. Deshalb ist es auch gut, dass es bei der Identifizierung bei der Abgabe von Bargeld, Wertpapieren oder Edelmetallen im Wert von 15 000 Euro oder mehr bleibt. Wir haben deshalb unseren ursprünglich im Innenaus- schuss gestellten Antrag jetzt gemeinsam mit der SPD- Fraktion und dem Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag gestellt, wonach der Verzicht auf die Identifi- zierungspflicht zurückgenommen wird. Wesentlich ist in- soweit, dass das Schalterpersonal der Institute an der Schnittstelle bei der Umwandlung von Bar- und Buchgeld auch die Vermögensabflüsse intensiv beobachtet. Dadurch konnten in der Vergangenheit eine Vielzahl von Ermitt- lungserfolgen im Bereich der Betrugsdelikte – Organi- sierte Kriminalität – erzielt werden. Darauf wollen wir nicht verzichten. Nicht gut ist zum Beispiel, dass ihr Ge- setzentwurf weitere bürokratische Hürden – im Wesentli- chen bei den Banken – schafft, denn auf die sind wir ja bei der Identifizierung von terroristischem Vermögen beson- ders angewiesen. Gerade ihre Motivation, die ihrer Mitar- beiter, führt zum Erfolg. Und diese Motivation müssen wir stärken und nicht mit überflüssigen Aufgaben belasten. Problematisch ist unter dem Gesichtspunkt des zusätzli- chen unnötigen Verwaltungsaufwandes die neue Identifi- zierungspflicht „... bei Abschluss eines Vertrages zur Be- gründung einer auf Dauer angelegten Geschäftsbeziehung“ in § 2 Abs. 1 des Gesetzes. Es ist nicht nachvollziehbar, warum für die Kreditinstitute zusätzlich zu § 154 Abga- benordnung eine Identifizierungspflicht für die Anknüp- fung einer Geschäftsbeziehung installiert werden soll, ob- wohl nach dem geltenden Recht – Anwendungserlass zur Abgabenordnung AEAO – insoweit praktikable Regelun- gen bestehen. Die Praxis der Kreditinstitute, die erforder- lichen personenbezogenen Daten nach diesen Vorschrif- ten festzustellen und festzuhalten, hat sich doch seit Jahrzehnten bewährt. Nicht mehr Verwaltungsaufwand, sondern die Überzeugung bei den Mitarbeitern der Ban- ken bestärken, dass die neuen Vorschriften sinnvoll sind, und dass sie zur gemeinsamen notwendigen Bekämpfung von organisierter Kriminialität und besonders der Terrori- sierung dienen. Sie hätten eben mehr vorschlagen müssen, um die we- sentlichen Probleme bei der Geldwäschebekämpfung an- zupacken: Das Regelwerk hätte erheblich effektiver ge- staltet werden müssen, denn seit 1993 hat es in Deutschland nur 100 Verurteilungen wegen Geldwäsche gegeben. Was fehlt, sind effektivere gesetzliche Regelun- gen. Was fehlt, ist eine erhebliche Verbesserung der Ko- ordinierung aller betreffenden Institutionen. So waren zum Beispiel im Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen zehn Mitarbeiter für die Geldwäschebekämpfung bei 3 000 Instituten zuständig. Um die knappen Personalres- sourcen sinnvoller einzusetzen, müssten Task Forces aus fachkundigen Mitarbeitern von Staatsanwaltschaft, Poli- zei, Finanzverwaltung gebildet werden, um den Beweis führen zu können, dass das Geld aus einer strafbaren Vor- tat stammt. Weil dies oft auf Schwierigkeiten stößt, ist eine Verurteilung wegen Geldwäsche oftmals leider nicht möglich. Und Sie wissen: Ich habe deshalb an dieser Stelle im- mer wieder die Einführung der Umkehr der Beweislast für diesen Bereich gefordert. Dies ist in der Schweiz möglich. Es wurde auf dem CDU/CSU-Bundesparteitag beschlos- sen; die Polizei fordert dies. Wagen auch wir die ernst- hafte Diskussion hierüber. Die CDU/CSU-Bundestags- fraktion hat aus denselben Gründen bereits vor dem 11. September 2001 immer wieder die Optimierung der Geldwäschevorschriften gefordert. So haben wir unter an- derem auch Verbesserungsvorschläge für die verfahrens- rechtliche Ausgestaltung, der Gewinnabschöpfung vorge- legt. Der Zugriff auf die sehr hohen Gewinne – damals beschränkt auf die organisierte Kriminalität – war eines unserer wichtigsten gesetzgeberischen Ziele bei der Ein- führung der Geldwäschegesetzgebung. Es muss nämlich die Gewinnabschöpfung auch solcher Vermögensgegen- stände möglich sein, die das Ergebnis einer oder mehrerer Geldwaschvorgänge sind. Darüber hinaus sind Beweiser- leichterungen im Verfallsrecht sowie eine deutliche Ver- längerung der Fristen für die vorläufige Sicherstellung er- forderlich. Das fehlt hier. Das ist ein Mangel. Ich erinnere in diesem Zusammenhang weiterhin an un- seren Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Straftaten der organisierten Kriminalität und des Terrorismus, der leider nicht die erforderliche Mehrheit in diesem Hause bekom- men hat. Es ist unverzichtbar, dass die erwirtschafteten Profite, die insbesondere für Terrorismus verwendet wer- den, entzogen werden können, wenn es auch angesichts der internationalen Strukturen der Täter schwierig ist. Aber es geht. – Wie wir gesehen haben, sind trotz der hohen Zahl ausländischer Beziehungsstrukturen der kriminellen Organisationen im vergangenen Jahr in einem von der Union regierten Land, nämlich in Baden-Würt- temberg, allein bei der Organisierten Kriminalität Vermö- genswerte in Höhe von rund 10,7 Millionen Euro aufge- spürt und beschlagnahmt worden. Dank gilt dem zuständigen Innenminister Thomas Schäuble und dem FDP Justizminister Ulrich Goll. Nur so – nämlich mit der Abschöpfung der kriminellen Vermögenswerte – kann die organisierte Kriminalität, mit der letztendlich auch der Terrorismus finanziert wird, an ihrer Lebensader getroffen werden. Nur so wird eine Reinvestition dieser Mittel in weitere kriminelle und ter- roristische Verbrechen verhindert. Und gerade deswegen unterstützen wir, dass alle im Finanzsektor tätigen Insti- tute verpflichtet werden, Verdachtsanzeigen im Einblick auf den Terrorismus zu erstatten. Wir halten diese Rege- lung im vorliegenden Gesetzentwurf für zielführend. Wir begrüßen auch den Ausbau und die Verbesserung der Funktionalität der im BKA bestehenden Zentralstelle für Geldwäscheverdacht entsprechend den internationa- len politischen Anforderungen. Sie wissen: Wir haben das Geldwäschegesetz seinerzeit gegen Ihren Widerstand im Bundestag durchgesetzt. Insofern begrüßen wir ausdrück- lich, dass Sie nunmehr, wenn auch etwas spät, jedenfalls zum Teil in der Realität angekommen sind. Dennoch: Noch mehr Mut – auch gegen Grün – wäre nötig gewesen. Der Terrorismus muss international bekämpft werden, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224418 (C) (D) (A) (B) weil kein Land sich alleine schützen kann; da sind wir uns doch einig. Warum arbeiten Sie aber nicht daran, die internationale Zusammenarbeit auszubauen? Es müssen internationale Standards und ein Verhaltenskodex bei der Geldwäsche- bekämpfung geschaffen werden. Das System weltweiter Schattenbanken muss aufgebrochen werden. Wir sind hier der Meinung, dass die 40 Empfehlungen zur Geldwäschebekämpfung, der Financial Action Task Force zwar als Grundlage dienen können. Sie müssen aber im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung weiterent- wickelt, erweitert werden. Vor allem darf die Umsetzung nicht auf die 29 Mitgliedstaaten begrenzt bleiben. Die nicht ordnungsgemäß beaufsichtigten und mangel- haft regulierten Finanzplätze liefern vor allem den terro- ristischen Netzwerken Grundlagen für ihre Finanztrans- fers. Sie müssen konsequent ins Visier genommen werden. Es müssen vor allem gemeinsame Sanktions- möglichkeiten auf internationaler Ebene geschaffen wer- den: Identische Gesetze; ein Strafgerichtshof; eine ange- gliederte einheitliche internationale Strafvollstreckung. Denn von der Politik, von uns, ist ein Jahr nach den notwendigen Worten der Bestürzung, Trauer und Solida- rität nunmehr tatkräftiges Handeln gefordert. Deshalb wird die Union der Bundesregierung – wie bei Terrorbekämpfungsgesetz – bei notwendigen Änderungs- anträgen zur Seite stehen und zustimmen. Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Wir sind uns über die Grenzen der Fraktionen hinweg darüber einig, dass die Finanzierung schwer krimineller und ter- roristischer Taten nur mit einem weltweiten Netz interna- tionaler Finanztransaktionen möglich ist. Die Bekämp- fung gerade des Terrorismus ist von daher eine internationale Aufgabe, der sich die Vereinten Nationen, die Europäische Union, die Financial Action Task Forc on Money Laudering (FATF) und viele andere nationale und übernationale Organisationen zu stellen haben. Das jetzt vorgelegte Gesetz leistet in der Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung dieser internationalen Machenschaften. Die verbesserte Kooperation der an der Geldwäschebekämp- fung beteiligten Ermittlungs- und Finanzaufsichtsbehör- den ist ein wichtiger Punkt. Das gilt auch für die Verbes- serung der Arbeit des BKA an dieser Stelle. Es kann auch kein Zweifel bestehen, dass die Pflichten der im Finanz- bereich tätigen Institute und Personen im Bereich der Bekämpfung der Geldwäsche verschärft werden müssen. An einer Stelle möchte ich aber auch Kritisches an- merken. Es ist gewiss unabwendbar, bei der Umsetzung der EG-Geldwäscherichtlinie aus dem vergangenen Jahr die Einbindung bestimmter Berufsgruppen in die Ver- pflichtungen des Geldwäschebekämpfungsgesetzes zu überprüfen. Nach Auffassung meiner Fraktion geht dieses in seiner Stoßrichtung richtige und wichtige Gesetz aber über die Grenze des Sinnvollen und Vertretbaren hinaus. Ich meine die neuen Regelungen zu den Vertreterinnen und Vertretern der rechtsberatenden Berufe. Ich verhehle an dieser Stelle nicht, dass wir uns hier eine bessere Rege- lung wünschen, die dem besonderen Vertrauensverhältnis von Anwalt und Mandanten gerecht wird. Die Kritik des Deutschen Anwaltvereins und der Rechtsanwaltskam- mern nehmen wir sehr ernst. Es wäre gut, wenn diese Po- sition hier im Hause Unterstützung finden würde. Die Einbindung der Anwaltschaft in die Strafverfol- gung ist aus grundsätzlichen rechtsstaatlichen Erwägun- gen immer sehr problematisch. Das Strafgesetzbuch behält sich Eingriffe hier nur für die schlimmsten Verbre- chen wie Mord und Völkermord vor. Sehr unbefriedigend ist vor allem, dass der Anwalt auch noch verpflichtet wird, seinen Klienten zu melden, ohne ihm dies mitteilen zu dürfen. Dem sehr geringen praktischen Nutzen dieser Regelung bei der Bekämpfung der Geldwäsche steht ein großer Vertrauensschaden zwischen der Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege und den ratsuchenden Bürgerin- nen und Bürgern gegenüber. Meine Sorge wird auch nicht durch ein Einwand ent- kräftet, die Hürden für die neue gesetzliche Verpflichtung der Anwälte seien hoch genug, um eine normale Beratung der Mandanten nicht zu gefährden. Ich befürchte, dass schon ein Ermittlungsverfahren gegen einen Anwalt, auch wenn keine Anklage erhoben wird, einen solchen Ver- trauensschaden anrichtet, dass sich Klienten nicht mehr trauen, offen mit ihrem Anwalt zu reden. Dieser Preis ist zu hoch. Rainer Funke (FDP):Der vorliegende Gesetzentwurf zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus klingt im Titel gut, inhaltlich kann die FDP-Bundestagsfraktion dem Gesetz aber nicht zustimmen. Jedermann möchte den Terrorismus bekämpfen, selbstverständlich auch die FDP. Die vorgesehenen Eingriffe in die Freiheiten der Bürger sind jedoch so gravierend, dass wir unserer Zustimmung zu diesem Gesetz versagen müssen. Der Gesetzentwurf dient auch zur Umsetzung der ent- sprechenden europäischen Richtlinie, geht aber weit üiber eine einfache Umsetzung hinaus. Dies gilt sowohl hin- sichtlich der Aufspürung illegaler Finanzströme als auch der Austrocknung aller illegaler Finanztransaktionen, die dem Terrorismus dienen können. So haben wir bereits mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz, das am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist, und dem Vierten Finanzmarkt- förderungsgesetz die Finanzkontrollen verschärft. In die- sem Zusammenhang sei nur an das Kontenscreening erin- nert, das weit reichende Einblickmöglichkeiten in die Konten der Bürger ermöglicht. Wir haben noch nicht einmal Erfahrungen mit diesen beiden Gesetzen sammeln können, schon werden für den Zahlungsverkehr weitere Erschwernisse vorgesehen. Diese Erschwernisse des Zahlungsverkehrs mit den damit verbundenen Prüfungspflichten werden zu einer erhebli- chen Verteuerung der Bankdienstleistungen führen, die auf den Kunden abgewälzt werden. Hier werden den Ban- ken organisatorische Pflichten auferlegt, die diese gar nicht erfüllen können, ohne, dass internationale Abspra- chen getroffen sind. Das gleiche gilt für § 25 II KWG bei der Prüfung der Plausibilität von Namens- und An- schriftsdaten von Auftraggebern aus dem Ausland. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24419 (C) (D) (A) (B) Der Hauptgrund unserer Ablehnung dieses Gesetzent- wurfes liegt aber im massiven Eingriff in das Vertrauens- verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant und trifft damit den Kern der anwaltlichen Berufsausübung und da- mit die Grundsätze unseres freiheitlichen Rechtsstaates. Die geplanten Eingriffe sind durch die europäische Richt- linie 2001/97 vom 4. Dezember 2001 nicht notwendiger- weise veranlasst. Die Bundesregierung hat den ihr zuste- henden Spielraum zur Wahrung der Freiheit der anwaltlichen Tätigkeit nicht genutzt. Das gilt in dreierlei Weise. Erstens gilt dies hinsichtlich der Identifizierungspflichten. Es ist nicht ersichtlich, wel- chem Zweck die dem Rechtsanwalt auferlegte Identifi- zierungspflicht dienen soll, denn Rechtsanwälte sind we- der berechtigt noch verpflichtet, irgend jemandem Auskunft über die Identifizierung zu erteilen. Zweitens. Mit § 11 wird Rechtsanwälten und Notaren eine Pflicht auferlegt, die sich ebenso wenig wie die An- zeigepflicht mit dem anwaltlichen Berufsbild vereinbaren lässt. Dass der Anwalt, der von einem Mandanten aufge- sucht wird, nach § 11 bei einem Verdacht gezwungen wird, den Mandanten nicht von der Anzeige unterrichten zu dürfen, greift tief in das Mandatsverhältnis ein. Natürlich wollen wir keine Terroristen schützen. Das will auch die europäische Richtlinie nicht. Mit der Über- nahme der Richtlinie wäre es durch § 8 II möglich gewe- sen, die Rechtsanwälte von der Pflicht auszunehmen, die Anzeige gegenüber dem Auftraggeber zu verschweigen. Hiervon hat die Bundesregierung leider keinen Gebrauch gemacht. Drittens. Die Bundesregierung hat auch davon abgese- hen, die Berufskammer als Filter zu nutzen mit der Folge, dass nicht jede Anzeige an die Ermittlungsbehörde wei- terzuleiten ist. Ein solche Filterfunktion sieht die Richtli- nie ausdrücklich vor. Nach allem ist dieser Gesetzentwurf weit über das ei- gentliche Ziel hinausgeschossen. Die anwaltliche Tätig- keit wird tief beeinträchtigt, ohne dass rechtsstaatliche Er- kenntnisse vorliegen, dass dies zur Bekämpfung der Geldwäsche erforderlich und geeignet ist. Der vorgese- hene Einsatz der Anwaltschaft als verlängerter Arm der Ermittlungsbehörde begegnet erheblichen rechtsstaatli- chen Bedenken. Ulla Jelpke (PDS): Das vorliegende Gesetz bean- sprucht, Geldwäsche und Terrorismus besser zu bekämp- fen. Das würde verlangen, eine Analyse der Schwachstel- len bei der Bekämpfung von Geldwäsche und eine Definition von Terrorismus und seiner Finanzierungs- strukturen. Beides findet nicht statt. Im Bereich Geldwäsche verweise ich nur auf die Ein- stellung der Ermittlungen gegen den früheren Bundesin- nenminister Kanther, obwohl dieser Millionenbeträge aus bis heute nicht geklärten Quellen in die Schweiz und von dort wieder in die CDU-Kassen transferiert hat. Auch das Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche gegen den früheren CSU-Staatssekretär im Verteidigungsministe- rium, den weltweit vom Bundeskriminalamt gesuchten Herrn Pfahls, wurde eingestellt; laut Presseberichten des- halb, weil in dem Land, in dem er Geld gewaschen haben soll, dies nicht strafbar war. Beide Ermittlungsverfahren würden auch nach dem heute vorliegenden Gesetz einge- stellt. Nichts würde sich da durch dieses Gesetz ändern. Ein nächster Punkt: Die OECD führt noch heute EU-Staaten wie Monaco, Liechtenstein, Andorra und die Kanalinseln auf ihrer schwarzen Liste für Steuerbetrug und Geldwäsche. Was ändert das vorliegende Gesetz an diesen Mängeln schon in der EU? Auch nichts! Stattdes- sen darf das Bundeskriminalamt in Zukunft bei Verdacht auf Geldwäsche und Terrorfinanzierung personenbezo- gene Daten erheben. Damit wird keine einzige Ermittlung verbessert. Sie wird nur auf Bundesebene gezogen. Die Länderhoheit über die Polizei wird so erneut geschwächt. An anderen Stellen im Gesetz werden Banken, Versi- cherungen und andere Finanzinstitute zu Hilfspolizisten gemacht. Sie sollen Anzeige erstatten, wenn sie Tatsachen feststellen, ich zitiere, „... die darauf schließen lassen, dass die vereinbarte Finanztransaktion ... der Finanzie- rung einer terroristischen Vereinigung dient.“ Zur Definition, was eine terroristische Vereinigung ist, wird auf § 129 a des Strafgesetzbuches und den noch nicht in Kraft getretenen § 129 b StGB verwiesen. Beide Ge- sinnungsparagraphen werden von der PDS, von Men- schenrechtsgruppen und Strafverteidigern schon lange abgelehnt, zum Beispiel vom 26. Strafverteidigertag im März des Jahres in Mainz. In Zukunft sollen Firmen wie die Deutsche Bank, die Allianz oder andere entscheiden, ob eine Person oder Organisation in irgendeinem Land der Welt terroristisch sein könnte und sie deshalb Finanzbe- wegungen melden müssen. Dabei gibt es bis heute noch nicht einmal eine allgemein akzeptierte Definition von Terrorismus. Außerdem verpflichtet das Gesetz Anwälte, Steuerbe- rater und Notare zu Anzeigen gegen ihre Mandaten, wenn sie, ich zitiere, „... wissen, dass der Mandant ihre Rechts- beratung bewusst für den Zweck der Geldwäsche in An- spruch nimmt.“ Auch das ist vom Strafverteidigertag in Mainz zu Recht als „Sicherheitshysterie“ kritisiert worden. Diese Anzeigepflicht soll nicht gelten, wenn nur ein Verdacht auf Straftaten besteht. Wo aber verläuft die Grenze zwischen Verdacht und Wissen? In Wirklichkeit gibt es doch eine breite Grauzone. Außerdem hat selbst ein ertappter Straftäter das Recht zu schweigen. Soll das künftig nicht mehr gelten? Wer zum An- walt oder Steuerberater geht, offenbart sich diesem. Anwälte und Steuerberater sind keine Hilfspolizisten und Zeugen der Anklage, ihr Beruf ist die Beratung und Verteidigung ihrer Klienten. Darauf hat auch die Bundesrechtsanwaltskammer hingewiesen. Ihre Forderung, die Bestimmung zu streichen, wonach Anwälte verpflichtet werden, solche Anzeigen auch noch gegenüber ihren Mandanten geheim zu halten, korri- giert aber nur die Spitze des Eisbergs. Außerdem wird diese Anzeigepflicht für Anwälte nach meiner Überzeugung in der Praxis verpuffen. Zu Anwälten oder Steuerberatern, die ihre eigenen Mandanten angezeigt haben, geht niemand mehr hin. Die Idee, kriminelle Banden mithilfe ihrer eige- nen Anwälte oder Steuerberater zu bekämpfen, ist naiv bis zur Lächerlichkeit. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 200224420 (C) (D) (A) (B) Richtig ist auch die Kritik des Bundesrats an § 14 des Gesetzes. Die Rasterung von Konten ist schon beim Vier- ten Finanzmarktförderungsgesetz als verfassungswidrig kritisiert worden. Sie verstößt gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. All das zeigt: Das vorliegende Gesetz ist unter Grund- rechtsgesichtspunkten in vielen Punkten bedenklich. Ge- gen kriminelle Geldwäscher wird es zudem vermutlich wenig bewirken. Ein solches Gesetz lehnen wir ab. Fritz Rudolf Körper (Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern): Mit dem Geldwäschebekämp- fungsgesetz will die Bundesregierung die weiteren not- wendigen Verbesserungen für eine entschlossene und wirksame Bekämpfung illegaler Finanzströme schaffen. Dies geschieht weitestgehend in Umsetzung interna- tionaler Verpflichtungen. Damit hat Deutschland als ers- tes EU-Land die neue Geldwäscherichtlinie der Europä- ischen Union umgesetzt und innerstaatlich die Einbeziehung neuer Berufsgruppen in den Pflichtenkreis des Geldwäschebekämpfungsgesetzes vollzogen. Die vorgesehene Neuregelung steht im engen funktio- nalen Zusammenhang mit dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Terrorismusbekämpfungsgesetz. Es geht ins- besondere darum, die Pflicht der im Finanzsektor aktiven Institute zur Erstattung von Verdachtsanzeigen auf die Fi- nanzierung des Terrorismus auszuweiten, den sich stetig wandelnden Methoden illegaler Finanztransaktionen durch verbesserte bankinterne Sicherungssysteme zielge- nau zu begegnen und die Aufdeckung von Strohmannge- schäften und das Aufspüren des „wahren wirtschaftlichen Berechtigten“ einer verdächtigen Finanztransaktion zu verbessern. Ein weiterer Schwerpunkt des Entwurfs besteht darin, die seit dem Jahre 2000 im Bundeskriminalamt beste- hende Zentralstelle für Verdachtsanzeigen, „Financial In- telligence Unit – FIU“, zur Verbesserung der Zusammen- arbeit mit den FIUs im Ausland auszubauen. Sie soll die Anzeigen schneller als bislang erhalten. Personell wird sie um Wirtschafts- und Finanzexperten erweitert. Damit soll eine verbesserte Analyse der Geldwäschemethoden sowie ein stärkeres Feed-back an die Kreditwirtschaft gewähr- leistet werden. Die Bundesregierung steht mit dem vorliegenden Ent- wurf an der Seite der internationalen Staatengemein- schaft, die einen multidisziplinären Ansatz im Kampf ge- gen die Finanzierung des Terrorismus fordert. Der Gesetzentwurf führt in diesem Sinne polizeiliche, straf- verfolgungs- und bankenaufsichtsrechtliche Maßnahmen zusammen. Selbstverständlich werden wir die neuen Maßnahmen fortdauernd einer kritischen Überprüfung auf Wirksamkeit und Übereinstimmung mit den interna- tionalen Standards unterziehen. Lassen Sie mich zu den Ausschussberatungen noch Folgendes anmerken: Die von den Ausschüssen des Bun- destages beschlossenen Änderungsanträge tragen in wei- ten Teilen auch den Vorschlägen des Bundesrates Rech- nung. Damit ist nach meiner Überzeugung ein guter Kompromiss erzielt worden. Die vorgesehenen Regelungen zu den Aufgaben und Befugnissen der Zentralstelle für Ver- dachtsanzeigen im Bundeskriminalamt, § 5 Abs. 11 des Ent- wurfs, greifen nicht – wie von einigen Ländern zunächst befürchtet – in die Strafverfolgungskompetenzen der Län- der ein. Insbesondere werden dem Bundeskriminalamt hiermit auch keine weiteren Ermittlungsbefugnisse eingeräumt. Dies wurde durch ein Schreiben von Minister Schily an die Innenminister der Länder und durch eine Erklärung des Innenausschusses ausdrücklich klar gestellt. Zudem wurde eine entsprechende Klarstellung in den Gesetzent- wurf übernommen. Ich gehe daher davon aus, dass der Gesetzentwurf in der vorgelegten Fassung auch im Bun- desrat Zustimmung erfahren wird. Deutschland wird im Sommer für ein Jahr die Präsi- dentschaft in der Financial Action Task Force on Money Laundering, FATF, übernehmen. Die Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs, der zentrale Forderungen der FATF insbesondere im Bereich der Terrorismus- bekämpfung aufgreift, noch bis Mitte diesen Jahres ist auch dafür eine wichtige Startvorlage. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 242. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002 24421 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424200000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU: zu
den Antworten der Bundesregierung auf die dringlichen
Fragen 1 bis 4 auf Drucksache 14/9350 (siehe 241. Sitzung)


2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Ernst
Burgbacher, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP: Für eine neue Bildung in Deutschland –
Konsequenzen aus der PISA-Studie – Drucksache 14/9257 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Birgit
Homburger, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP: Gegen ein Forschungsverbot in
der Gashydratforschung – Drucksache 14/9392 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

4. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 40)

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg-Otto Spiller,

Adelheid Tröscher, Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Ab-
geordneten Angelika Beer, Andrea Fischer (Berlin), Rita
Grießhaber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Reform der interna-
tionalen Finanzarchitektur – Drucksache 14/9359 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brunhilde Irber,
Annette Faße, Renate Gradistanac, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Sylvia
Voß, Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt-

Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Aktionsplan zum Kin-
der- und Jugendtourismus in Deutschland – Drucksache
14/9363 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen

(Bönstrup); Matthias Wissmann, Ulrich Adam, weiterer Ab-

geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Zukunft Meer –
Für eine verantwortungsbewusste Nutzung der Meeres-
technologie – Drucksache 14/9352 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

5. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 41)

a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bun-

desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den
Protokollen zum Übereinkommen vom 7. November 1991
zum Schutz der Alpen (Alpenkonvention) – Drucksache
14/8980 – (Erste Beratung 239. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für

(16. Ausschuss)

Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Dr. Paul Laufs
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva-Bulling-Schröter

b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen vom
29. Oktober 2001 zwischen den Europäischen Gemein-
schaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der
Republik Kroatien andererseits – Drucksache 14/8981 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Aus-
schusses (3. Ausschuss) – Drucksache 14/9271 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Heubaum
Karl Lamers
Christian Sterzing
Dr. Helmut Haussmann
Wolfgang Gehrcke

24177


(C)



(D)



(A)



(B)


242. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 13. Juni 2002

Beginn: 9.00 Uhr

6. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundes-
regierung zu den Auswirkungen aktueller Vorschläge zum
Umbau der Sozialversicherungssysteme auf die Höhe der
Rentenbeiträge und die Gesundheitsversorgung derBürger

7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Spanier,
Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter Danckert, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Franziska Eichstädt-Bohlig, Albert Schmidt (Hitzhofen),
Helmut Wilhelm (Amberg), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die nachhal-
tige Stadt- und Wohnungspolitik weiter vorantreiben
– Drucksache 14/9355 –

8. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

(20. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut

Haussmann, Ulrich Irmer, Joachim Günther (Plauen), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Informationstech-
nologie in den Mittelpunkt der Entwicklungszusammenar-
beit stellen – Drucksachen 14/5578, 14/9314 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Tobias Marhold
Marlies Pretzlaff
Dr. Angelika Köster-Loßack
Joachim Günther (Plauen)

Carsten Hübner

9. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

(20. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut

Haussmann, Ina Albowitz, Hildebrecht Braun (Augsburg), wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Umsetzung der
von Deutschland beim Milleniumgipfel übernommenen
Verpflichtungen – Drucksachen 14/9055, 14/9419 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Adelheid Tröscher
Klaus-Jürgen Hedrich
Dr. Angelika Köster-Loßack
Ina Albowitz
Carsten Hübner

10. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der
Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämpfung der Finan-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424200100


(Erste Beratung 230. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses

(4. Ausschuss) – Drucksache 14/9263 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Peter Kemper
Erwin Marschewski (Recklunghausen)

Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

11. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
schusses für Kultur und Medien (23. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Ina Albowitz, Dr. Günter Rexrodt,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP: Stasi-Untersuchungshaftanstalt Hohen-
schönhausen als Gedenkstätte erhalten und ausbauen
– Drucksachen 14/7110, 14/9318 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner
Margarete Späte
Dr. Antje Vollmer
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Dr. Heinrich Fink

12. Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Ge-
setz zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Ge-
meinschaft über die Etikettierung von Fischen und Fischerei-
erzeugnissen (Fischetikettierungsgesetz – FischEtikettG)

– Drucksachen 14/7726, 14/8196, 14/8810, 14/9330, 14/9429 –

13. Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem
Gesetz zur Änderung des Apothekengesetzes – Drucksachen
14/756, 14/8875, 14/8930, 14/9342, 14/9431 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hildegard Wester

14. Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Ge-
setz zur Neuregelung des Waffenrechts (WaffRNeuRegG)

– 14/7758, 14/8886, 14/9341, 14/9432 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler

15. Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem
Gesetz zur Änderung des Bewachungsgewerberechts
– Drucksachen 14/8386, 14/8903, 14/9334, 14/9433 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler

16. Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem
Übereinkommen vom 9. Mai 1980 über den internationalen
Eisenbahnverkehr (COTIF) – Drucksachen 14/8172, 14/8547,
14/9333, 14/9434 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Norbert Wieczorek

17. Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter,
Wolfgang Bierstedt, Maritta Böttcher, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS: Vorbereitung auf den Gipfel
der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung in
Johannesburg – Drucksache 14/9364 –

18. Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger,
Marita Sehn, Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP: Liberale Impulse für eine globale nach-
haltige Entwicklung – Drucksache 14/9393 –

19. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Brigitte Adler,
Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt, Hans-
Josef Fell, Angelika Köster-Loßack, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDISSES 90/DIE GRÜNEN: Deutsche
Exportinitiative – Erneuerbare Energien – Drucksachen
14/8278, 14/9120 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

20. Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Ge-

(Zollfahndungsneuregelungsgesetz – ZFnrG)


(neu), 14/8515m 14/9332, 14/9430 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Joachim Poß

21. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Haltung
der Bundesregierung zu dem am 6. Juni 2002 vorgestellten
Friedensgutachten der fünf führenden Friedensfor-
schungsinstitute

22. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zurVerbesserung des Zuschusses zu ambulanten
medizinischen Vorsorgeleistungen – Drucksache 14/9357 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

23. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf,
Dr. Ilja Seifert, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS: Erhalt der Bahnwerke – behindertenge-
rechte Umrüstung des Wagenparks der DB AG – Drucksa-
che 14/9365 –




Präsident Wolfgang Thierse
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(C)



(D)



(A)



(B)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)


Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit
erforderlich, abgewichen werden.

Abgesetzt werden sollen folgende Tagesordnungs-
punkte: Tagesordnungspunkt 14, Schutz biotechnologi-
scher Erfindungen, Tagesordnungspunkt 23, Transatlantik-
Debatte, Tagesordnungspunkt 30, Stasi-Unterlagen-Ge-
setz, Tagesordnungspunkt 31, Vermögensbildungsförde-
rung, Tagesordnungspunkt 33 a bis c, Rüstungsaltlasten,
und Tagesordnungspunkt 37, Hirschfeld-Stiftung.

Darüber hinaus soll Tagesordnungspunkt 27, Arbeit
statt Sozialhilfe, bereits nach Tagesordnungspunkt 22
beraten und Tagesordnungspunkt 41 f, Bundesverfas-
sungsgerichtsgesetz, erst am Freitag nach Vorliegen der
Ergebnisse des Vermittlungsausschusses aufgerufen
werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstan-
den? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 k sowie die
Zusatzpunkte 2 und 3 auf:
3. a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den

Bundeskanzler
Politik für Bildung und Innovation – Chancen
eröffnen, Werte vermitteln, Teilhabe sichern,
im Wettbewerb erfolgreich bestehen

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgordneten Ulla Burchardt,
Jörg Tauss, Ulrike Mehl, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord-
neten Hans-Josef Fell, Winfried Hermann,
Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN
Bildungs- und Forschungspolitik für eine
nachhaltige Entwicklung

– zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung

(19. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäfts-

ordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: „Forschungs- und Technologiepolitik
für eine nachhaltige Entwicklung“

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Bildung für
eine nachhaltige Entwicklung

– Drucksachen 14/8651, 14/571, 14/7971, 14/9421 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulla Burchardt
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)

Hans-Josef Fell
Ulrike Flach
Dr. Heinrich Fink

c) Beratung der Beschlussempehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst
Dieter Rossmann, Dr. Peter Eckardt, Klaus
Barthel (Starnberg), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Reinhard Loske, Grietje Bettin, Hans-Josef
Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die internationale Attraktivität und Leistungs-
fähigkeit des Wissenschafts- und Forschungs-
standortes Deutschland für ausländische Stu-
dierende und junge Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler stärken

– zu dem Antrag der Abgordneten Cornelia Pieper,
Birgit Homburger, Jürgen W. Möllemann, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verbesserung der internationalen Attrakti-
vität und Wettbewerbsfähigkeit des Hoch-
schulstandortes Deutschland

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Cornelia Pieper, Hildebrecht Braun

(Augsburg), weiterer Abgeordneten und der

Fraktion der FDP
Bessere Rahmenbedingungen für ausländi-
sche Studierende in Deutschland

– zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia

(Bayreuth)

der FDP
Sicherung des Wissenschafts-, Forschungs-
und Wirtschaftsstandorts Deutschland durch
Ausbildung hoch qualifizierter Fachkräfte
– Drucksachen 14/6209, 14/3339, 14/5250,
14/6445, 14/7337 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Eckardt
Thomas Rachel
Dr. Reinhard Loske
Cornelia Pieper
Maritta Böttcher

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper,
Birgit Homburger, Ulrike Flach, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP
Bildungsschecks für mehr Qualität und Wett-
bewerb an Hochschulen in Deutschland
– Drucksachen 14/3518, 14/7338 –
Berichterstattung
Abgeordnete Dr. Peter Eckhardt
Thomas Rachel
Dr. Reinhard Loske
Cornelia Pieper
Maritta Böttcher




Präsident Wolfgang Thierse

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(C)



(D)



(A)



(B)


e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper,
Ulrike Flach, Birgit Homburger, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP
Anforderungen an die Weiterbildung
– Drucksachen 14/7075, 14/7880 –
Berichterstattung
Abgeordnete Ernst Küchler
Werner Lensing
Hans-Josef Fell
Cornelia Pieper
Maritta Böttcher

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Maritta Böttcher,
Dr. Heinricht Fink, Ulla Jelpke, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der PDS
Weltoffenheit als Chance für die Hochschulen
– Drucksachen 14/7425, 14/9138 –
Berichterstattung
Abgeordnete Dr. Peter Eckardt
Thomas Rachel
Dr. Reinhard Loske
Ulrike Flach
Maritta Böttcher

g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung (20. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Tobias
Marhold, Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD so-
wie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-
Loßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wissenschafts- und Hochschulkooperationen
mit Entwicklungs- und Transformationslän-
dern

– zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Wissenschafts- und Hochschulzusammen-
arbeit mit den Entwicklungs- und Transfor-
mationsländern stärken
– Drucksachen 14/6442, 14/3376, 14/8962 –
Berichterstattung
Abgeordnete Karin Kortmann
Klaus-Jürgen Hedrich
Dr. Angelika Köster-Loßack
Joachim Günther (Plauen)

Carsten Hübner

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel,
Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU

NeuerAufbruch im Bildungswesen
– Drucksache 14/9215 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

i) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel,
Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Deutsche Hochschulen zukunftsfähig gestalten
– Drucksache 14/9217 –

j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg Tauss,

(Starnberg)

SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske,
Hans-Josef Fell, Christian Simmert, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
NationalerBildungsbericht und Einrichtung ei-
nes gemeinsamen Sachverständigenrates von
Bund und Ländern
– Drucksache 14/9269 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg
Tauss, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Klaus Barthel

(Starnberg), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Reinhard Loske, Christian Simmert, Hans-
Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Bildung ist Zukunft
– Drucksache 14/9272 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Ernst Burgbacher, Birgit Homburger, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine neue Bildung in Deutschland – Konse-
quenzen aus der PISA-Studie
– Drucksache 14/9257 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss




Präsident Wolfgang Thierse
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(C)



(D)



(A)



(B)


ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike

(Bayreuth)

FDP
Gegen ein Forschungsverbot in der Gashydrat-
forschung
– Drucksache 14/9392 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungsan-
trag der Fraktion der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung
zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
Bundeskanzler Gerhard Schröder.


(von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich denke, wir sind es unseren Kindern schuldig, dass sie
alle Bildungschancen erhalten, um in einer Welt bestehen
zu können, in der die Verwirklichung auch der persönli-
chen Lebensziele immer mehr von Wissen abhängt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb ist Bildung eines der zentralen Themen moderner
Gesellschaftspolitik und der Zukunftsgestaltung.

Entscheidend sind der Zugang aller zu den Bildungs-
chancen und die Qualität unserer Bildungsangebote; dies
gehört sicher zu den wichtigsten Fragen des beginnenden
21. Jahrhunderts. Bildungschancen sind Lebenschancen
und daher haben sie allen offen zu stehen, unabhängig
vom Einkommen der Eltern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieser Tatsache muss verantwortliche Politik, die Zukunft
gestalten, Gerechtigkeit sichern und den Menschen Chan-
cen eröffnen will, Rechnung tragen. Bildung betrifft uns
alle. Deshalb ist es richtig, dass das Thema Bildung erneut
in das Zentrum der politischen Debatte in unserem Land
gestellt wird.

Meine Damen und Herren, für den Einzelnen und für
die Gesellschaft insgesamt ist Bildung die beste Zukunfts-
investition und die wichtigste Form der Zukunftsvorsorge.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bildung ist der Schlüssel zum Zugang zum Arbeitsmarkt,
aber eben auch der Schlüssel zu gesellschaftlicher Aner-
kennung. Zudem ist sie noch immer der beste Schutz ge-
gen alle Formen von Arbeitslosigkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bildung öffnet die Türen zur Entfaltung individueller Be-
gabungen und Fähigkeiten, aber eben auch zu einem ver-
antwortungsbewussten Leben in der Gemeinschaft. Bil-
dung ermöglicht nicht nur die Teilhabe am Wohlstand,
sondern – richtig verstanden – auch an den Entscheidun-
gen in unserer Gesellschaft. Bildung vermittelt Werte und
Orientierung in einer Welt, die sich ökonomisch, sozial
und kulturell rasant verändert.

Eine gute Bildungspolitik setzt deshalb auf Leistung
und Solidarität


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und nicht auf Privilegien durch Herkunft oder Einkom-
men der Eltern. Gute Bildungspolitik ist die Vorausset-
zung für gesellschaftliche Gerechtigkeit, aber sie macht
auch den Unterschied aus zwischen Gerechtigkeit und
Gleichmacherei; denn eine Bildungspolitik, die nicht alle
Schüler, nicht alle Begabungen fördert und fordert,
schafft am Ende nur Mittelmäßigkeit.

Deswegen halten wir daran fest, alle Talente unabhän-
gig von der Herkunft zu fördern. Denn unser Land – das
wissen wir – braucht alle Schülerinnen und Schüler. Wir
können es uns auch ökonomisch nicht leisten, auch nur
eine einzige Begabung in unserem Volk ungenutzt zu las-
sen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


Hierin liegt der Grund, weswegen wir in einem bei-
spiellosen Kraftakt die Mittel für Bildung und Forschung
Jahr für Jahr erhöht haben. Die Bundesbildungsministerin
hat in diesem Jahr fast 9 Milliarden Euro für Bildung und
Forschung zur Verfügung. Das ist eine Steigerung um
mehr als 21 Prozent gegenüber 1998.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Das sind Ergebnisse!)


Das macht deutlich, dass wir die Konsolidierungspoli-
tik, die betrieben werden musste und weiter betrieben
werden muss, so betrieben haben, dass die notwendigen
Investitionen, nämlich die in die Köpfe unserer Men-
schen, nicht zurückgenommen, sondern massiv verstärkt
worden sind. Diese Politik wollen und werden wir wei-
terführen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben darüber hinaus mit dem Ausbildungskon-
sens, den wir im Bündnis für Arbeit verabredet haben, und
mit unseren Programmen zur Bekämpfung der Jugendar-
beitslosigkeit große Erfolge erzielt. Außerdem haben wir
im Bündnis für Arbeit wichtige Verbesserungen für die
duale Berufsausbildung verabredet. Dadurch konnten ins-
besondere in den Wachstumsbranchen die Ausbildungs-
profile erneuert und 15 neue Ausbildungsberufe geschaf-
fen werden.

Mit der Reform des Meister-BAföG haben wir die
Aufstiegschancen junger Facharbeiter verbessert und die




Präsident Wolfgang Thierse

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(C)



(D)



(A)



(B)


Anreize für Existenzgründungen verstärkt. Denn gute Bil-
dungspolitik muss vor allem auch eine Erziehung zum
Selbstbewusstsein und zur Selbstständigkeit sein. Wir ha-
ben ferner durch die BAföG-Reform sichergestellt, dass
mehr junge Menschen aus Familien mit geringerem oder
durchschnittlichem Einkommen die Chance bekommen,
sich ein Studium nicht nur zu wünschen, sondern auch
aufzunehmen, weil die materielle Basis dafür gegeben ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit dieser Politik haben wir dafür gesorgt, dass
80 000 Studentinnen und Studenten neu in den Kreis der
Geförderten gekommen sind. Denn uns war klar, dass wir
nicht weniger, sondern mehr gut ausgebildete Menschen,
zumal junge Menschen, brauchen. Gerade deshalb dürfen
wir es nicht zulassen, dass der Zugang zu den Universitä-
ten an fehlenden Finanzmitteln im Elternhaus scheitert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir können stolz sein auf die Spitzenleistungen in
Wissenschaft und Forschung, mit denen Menschen in
Deutschland und aus Deutschland immer wieder Aner-
kennung in der Welt erlangen. Wir müssen weiterhin die
Voraussetzungen dafür schaffen, dass unsere Universitä-
ten und Forschungseinrichtungen attraktiv und wettbe-
werbsfähig bleiben.

Mit der Reform des öffentlichen Dienstrechtes haben
wir die Probleme unseres Hochschulwesens an der Wur-
zel angepackt. Damit haben wir den wissenschaftlichen
Nachwuchs, aber auch Professorinnen und Professoren
aus dem starren bürokratischen Korsett des vorletzten
Jahrhunderts befreit und ihnen neue Chancen eröffnet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für die Attraktivität wissenschaftlicher Einrichtungen
ist die Ausstattung der Hochschulen und Forschungsinsti-
tute entscheidend. Die Bundesregierung hat seit 1998 die
Mittel für den Hochschulbau um fast 20 Prozent erhöht.
Unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind
für den internationalen Wettbewerb jetzt besser gerüstet
als je zuvor. Nach den USA und Großbritannien ist
Deutschland mittlerweile das attraktivste Gastland für
Studierende aus aller Welt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU und der FDP)


– Die Zahlen sind ganz einfach so, auch wenn Ihnen das
nicht gefällt. Wenn Sie sie sich anschauen, werden Sie
merken, dass das, was ich hier sage, Gott sei Dank der
Wirklichkeit entspricht. Daran ändert sich nichts, auch
wenn Sie daran herumnörgeln.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wissenschaft und Forschung – alle wissen das; aber
wir haben entsprechend gehandelt – sind für die wirt-
schaftliche und gesellschaftliche Entwicklung von über-

ragender Bedeutung. Wir haben deshalb die Ausgaben für
Wissenschaft und Forschung deutlich erhöht. Seitdem
steigen auch die Ausgaben der privaten Unternehmen für
Forschung und Entwicklung wieder.

Deutschland ist wieder zu einem der attraktivsten In-
novationsstandorte der Welt geworden.


(Beifall bei der SPD)

Bei der Biotechnologie wird das besonders deutlich. Ge-
rade in diesem Zukunftsbereich hat es einen massiven
Aufschwung gegeben. Die Zahl der Biotechnologie-Un-
ternehmen hat sich seit 1998 um sage und schreibe
65 Prozent erhöht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deutschland steht in der Biotechnologie in Europa heute
an der Spitze.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit ist ein solides Fundament gelegt. Gleichwohl
haben wir ehrgeizige Ziele: Wir wollen die Arbeitsplätze
in der Biotechnologie in den nächsten fünf Jahren mehr
als verdoppeln. Mit der Politik, die wir eingeleitet haben,
ist dies machbar und wir werden es machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was wir in der Biotechnologie geschafft haben, werden
wir bei anderen Schlüsseltechnologien wie der Nanotech-
nologie und den optischen Technologien ebenfalls errei-
chen. Wir sind auch auf diesem Gebiet auf einem guten
Wege.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschland
ist heute nicht zuletzt für ausländisches Wissen und Kapi-
tal wieder attraktiv. Damit sind die Voraussetzungen für
einen wirtschaftlichen Aufschwung und neue Arbeits-
plätze geschaffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben zahlreiche neue Stellen für Frauen in den
Forschungseinrichtungen geschaffen, um Wissenschaft-
lerinnen dort bessere Perspektiven zu eröffnen, und end-
lich dafür gesorgt, dass Forschungseinrichtungen auch
Kinderbetreuung anbieten können, damit Familie und Be-
ruf auch bei Spitzenforscherinnen und -forschern besser
miteinander vereinbart werden können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung hat vieles vom dem, was in der
Bildungspolitik nötig war, angepackt und zu verändern
begonnen, soweit es in ihre Verantwortung fiel. Aber es
gibt keinen Zweifel daran, dass der Weg längst nicht zu
Ende gegangen ist. Wir haben noch eine mächtige Weg-
strecke vor uns.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In keinem vergleichbaren Land entscheidet die soziale
Herkunft so sehr über die schulische Laufbahn und den




Bundeskanzler Gerhard Schröder
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(C)



(D)



(A)



(B)


Bildungserfolg wie bei uns. Darum haben wir dafür ge-
sorgt, dass soziale Benachteiligungen im Bildungssystem
abgebaut werden. Das müssen und wollen wir fortsetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dabei geht es nicht nur um den Zugang zu Bildungsein-
richtungen, sondern vor allem um Inhalt, Qualität und
Ausstattung unserer Bildungsangebote.

Die Ergebnisse der PISA-Studie können niemanden
gleichgültig lassen. Wir alle müssen uns kritisch und
selbstkritisch fragen, warum ein Land mit der wirtschaft-
lichen und politischen Bedeutung und der kulturellen Tra-
dition Deutschlands nicht in der internationalen Spitzen-
gruppe mithält. Die in Deutschland lebenden und
lernenden Kinder sind mit Sicherheit nicht dümmer oder
lernunwilliger als finnische, schwedische oder kanadi-
sche Schülerinnen und Schüler. Aber diese Länder haben
ihr Bildungswesen beizeiten reformiert, während das
deutsche Schulsystem offenkundig nicht in der Lage ist,
eine ausreichende Förderung und Integration aller
Schülerinnen und Schüler zu gewährleisten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Besonders in Niedersachsen!)


Auf den Alltag in Schulen mit multi-ethnischer Zusam-
mensetzung sind unsere Pädagogen nicht oder jedenfalls
nicht zureichend vorbereitet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In kaum einem anderen europäischen Land hält sich so
hartnäckig der wissenschaftlich längst widerlegte Irr-
glaube, dass junge Menschen nur dann eine glückliche
Kindheit haben, wenn sie möglichst spät mit dem Lernen
beginnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Niedersachsen!)


Viel zu lange schon sind die pädagogischen Möglichkei-
ten, aber auch die pädagogischen Notwendigkeiten in den
Kindergärten, Vorschulen und Grundschulen unterschätzt
und vernachlässigt worden.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Niedersachsen!)


– Wenn der Versuch gemacht wird, auf einzelne Bundes-
länder und deren Zuständigkeiten mit Fingern zu zeigen,
wird Ihnen das kaum helfen. Das ist ein allgemeines Pro-
blem in Deutschland und wenn wir uns dem nicht insge-
samt widmen, wird sich nichts verändern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die entscheidende Aussage ist, dass es unser Bil-
dungssystem im Ergebnis eben nicht schafft, die Leis-
tungsschwächeren in den späteren Schuljahren ausrei-
chend zu stärken, und damit behindern wir eben auch die
Leistungsstärkeren in ihrer Entfaltung. Wir lassen gele-
gentlich zu, dass Lehrerinnen und Lehrer mit den Aufga-
ben nachholender Erziehung und Integration überfordert
werden.

Meine sehr verehrten Damen, wir dürfen es uns nicht
zu leicht machen und die durch die PISA-Studie zutage
getretenen Probleme auf die Schwierigkeiten von Kin-
dern mit Sprachdefiziten, etwa in Migrantenhaushalten,
reduzieren. Diese Schwierigkeiten haben auch andere
Länder, deren Schülerinnen und Schüler weit besser ab-
geschnitten haben. Natürlich ist es ein Alarmsignal, wenn
die Hälfte der Kinder aus Zuwandererfamilien nur die
Hauptschule schafft oder die Schule gar ohne jeden Ab-
schluss verlässt. Hier darf die Bildungspolitik nicht weg-
sehen, sondern hier müssen wir gezielt fördern, aber die
Betroffenen auch fordern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist ja was ganz Neues!)


Es wird immer deutlicher, dass nicht nur in den hoch
qualifizierten Berufen das lebenslange Lernen immer
wichtiger geworden ist. Wir müssen also Abschied neh-
men von der Vorstellung, Bildung wäre nur eine Etappe
auf dem Weg zum Erwachsenwerden und nach dieser
Etappe hätte man gleichsam ausgelernt. Die zentrale He-
rausforderung durch die Wissensgesellschaft besteht eben
nicht darin, mehr Wissen zu lernen, sondern das Lernen
zu lernen, und das praxisnah.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was zählt, ist nicht die Quantität der Information, son-
dern die Qualität. Was zählt, ist die Fähigkeit, diese In-
formationen einordnen und anwenden zu können. Was
zählt, ist eine Bildung, die zum Ziel haben muss, die
Fähigkeiten, die Kreativität und die Selbstverantwortung
der Menschen zu fordern und zu fördern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir alle hof-
fen, dass die Schreckenstat, die im April am Gutenberg-
Gymnasium in Erfurt 17 Menschenleben gekostet hat,
ein Einzelfall bleiben wird. Dennoch müssen wir fragen,
welche Fehlentwicklungen in unserer Schulkultur, in un-
serer Gesellschaft und im Verhältnis von Schule, Familie
und auch Nachbarschaft hier womöglich grausam be-
leuchtet worden sind, und wir müssen uns fragen, welche
Konsequenzen wir daraus zu ziehen haben. Dabei geht es
nicht nur darum, dieses Gymnasium neu auszustatten und
auch ein Symbol des Beistandes daraus werden zu las-
sen – das auch und das ist auch zugesagt worden. Es geht
vor allem darum, die Missstände zu beseitigen, die uns
auch durch diese Gewalttat vor Augen geführt worden
sind.

In einer Zeit, da das Erwachsenwerden immer weniger
an feste Daten und Rituale geknüpft ist und es daher für
etliche Jugendliche auch komplizierter wird, diesen Pro-
zess zu bestimmen, reicht die Vermittlung fachlicher und
kognitiver Kompetenzen durch die Schule oft nicht mehr
aus. Bildung muss auch Werte, Normen und Haltungen
vermitteln, auf die sich unsere Gesellschaft mit guten
Gründen geeinigt hat und auf die unsere Gesellschaft ge-
baut ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Bundeskanzler Gerhard Schröder

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(C)



(D)



(A)



(B)


Aber das heißt auch, dass wir nicht zulassen dürfen,
dass Menschen nur noch daran gemessen werden, was sie
leisten, welche Noten sie nach Hause bringen oder auch
welches Einkommen sie haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir wollen eben nicht die totale Durchökonomisierung
unseres gesellschaftlichen Lebens.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir wollen keine Gesellschaft, in der nicht mehr Indivi-
dualität, sondern allein der ökonomische Nutzen eines
Menschen zählt. Eine solche Gesellschaft wäre kein le-
benswerter Ort, für niemanden!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bildung muss deshalb Kompetenzen vermitteln, die
Fähigkeit zur Selbst- und Fremdwahrnehmung im Zu-
sammenleben der Kulturen, technologische Kompetenz
gewiss, ökologische Kompetenz auch, aber nicht zuletzt
die Fähigkeit, Recht und Unrecht zu erkennen und von-
einander zu unterscheiden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht auch darum, soziale Kompetenzen für ein Mit-
einander in unserer flexiblen Gesellschaft zu vermitteln,
und es geht darum, den bewussten Umgang mit Medien
zu vermitteln, nicht nur den Umgang mit der Fernbedie-
nung.

Was die Frage der Gewaltdarstellung in den Medien
und Computerspielen angeht, habe ich darüber Ge-
spräche mit den für die Programme Verantwortlichen ge-
führt und ich bin durchaus auf Zustimmung gestoßen.
Aber mit der Überprüfung des Programmangebots ist es
nicht getan. Wir brauchen eine gesellschaftliche Erzie-
hung, die auch kulturelle und emotionale Fähigkeiten
ausbildet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen eine Bildung, die Sicherheit und Toleranz
vermittelt. Nur dadurch werden wir die Internationalität
entwickeln, auf die wir in einer globalisierten Weltwirt-
schaft angewiesen sind. Wir sollten deshalb auch dafür
sorgen, dass früher als bisher mit Fremdsprachenunter-
richt begonnen wird. Europa muss eben auch in unseren
Schulen stattfinden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die Schulen und Bildungseinrichtungen müssen wie-
der Neugier, Wissensdurst und eigenständiges Denken
fördern, statt in überfüllten Klassen mit überforderten
Lehrern emotionalen und psychischen Stress zu produ-
zieren.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung nimmt
die Verantwortung wahr, die ihr im Rahmen der Bil-

dungsplanung zukommt. Bildung ist eine nationale Auf-
gabe und sie bedarf einer gemeinsamen Kraftanstren-
gung, um Fehlentwicklungen, die es gegeben hat und mit
denen wir Anlass haben selbstkritisch umzugehen, zu er-
kennen und zu korrigieren. Es ist seit langem bekannt,
dass pädagogisch profilierte Ganztagseinrichtungen der
geeignete Rahmen für qualitativ hochwertigen Unterricht
sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In keinem der Länder, die beim PISA-Vergleich beson-
ders gut abgeschnitten haben, werden die Kinder um die
Mittagszeit oder, wie bei uns, manchmal früher aus der
Schule heimgeschickt. In Ganztagsschulen lassen sich
Bildung und Erziehung leichter miteinander verbinden.
Eine Ausweitung der Möglichkeiten der Ganztagsbetreu-
ung ist auch aus familienpolitischen Gründen ohnedies
eine Notwendigkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Vergleich zum europäischen Ausland ist die Zahl
der Ganztagsschulen in Deutschland beschämend niedrig.
Das ist der Grund, warum die Bundesregierung das Pro-
gramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ mit einem
Umfang von 4 Milliarden Euro auflegen wird. Dies ist
eine Investition in die Zukunft unserer Kinder und damit
in die Zukunft unseres Landes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden die Länder mit 1 Milliarde Euro pro Jahr
unterstützen, um das Angebot an Ganztagsbetreuung und
Ganztagsschulen auszubauen und zu verbessern. Das Ent-
scheidende ist, dass dieses Angebot bereits mit dem Haus-
halt 2003 und der darauf aufbauenden mittelfristigen Fi-
nanzplanung realisiert wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Durch dieses Programm können bis 2007 insgesamt
10 000 zusätzliche Ganztagsschulen entstehen. Geld und
eine Verbesserung der Infrastruktur sind wichtig, reichen
indessen aber nicht aus. Wir brauchen mehr als eine Auf-
bewahrung der Kinder am Nachmittag. Wir brauchen eine
neue Kultur des Lehrens und des Lernens


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Wir brauchen eine neue Regierung!)


und ein neues Engagement für Bildung und Erziehung.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Wir sollten wie die nach der PISA-Studie erfolgreichen

Länder den Mut haben, unseren Schulen mehr Freiheit
und damit mehr Verantwortung zu geben; denn wir brau-
chen nicht nur unter den Schülerinnen und Schülern, son-
dern auch unter den Schulen und Konzepten einen größe-
ren und besseren Wettbewerb.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Bundeskanzler Gerhard Schröder
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(D)



(A)



(B)


In unserem Bildungssystem gibt es zu viele Vorschriften
und Einschränkungen. Der Unterrichtsstoff muss über-
prüft, aktualisiert und womöglich auch reduziert werden.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Kultusminister Schröder!)


Die Schulen müssen wieder starke Partnerschaften mit ih-
rer Nachbarschaft und mit ihrem sozialen Umfeld auf-
bauen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


– Wenn Sie das Thema nicht interessiert, kümmert mich
das nicht; mich interessiert das Thema aber.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Ihr Verhalten macht doch deutlich, dass außer wirklich
mäßigen Zwischenrufen nichts überkommt und dass Sie
nur parteipolitische Auseinandersetzungen betreiben. Sie
interessieren sich nicht für dieses Thema, für die Kinder
bzw. – allgemein – die Menschen in Deutschland.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sie benoten schon wieder!)


Das, was Sie hier leisten, ist doch beschämend.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Ich bleibe dabei: Die Trennung von Schule und dem so
genannten wirklichen Leben und die Reglementierung
durch schematische Stundenpläne und Abläufe entspre-
chen immer weniger den Anforderungen der Gesellschaft.


(Beifall des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der CDU/ CSU: Das stimmt!)


In unserem zergliederten Bildungswesen fehlt es an kla-
ren und allgemein verbindlichen Standards für das Lernen
und für Leistungen. Das müssen wir ändern.


(Beifall bei der SPD – Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Ab wann wollen Sie das tun?)


Wir brauchen mehr Erfolgskontrollen im Bildungs-
system. Es fehlt bislang an fachlichen Überprüfungen,
welche pädagogischen Maßnahmen schulische Erfolge
steigern und welche nicht.

Meine Damen und Herren, bei den Reformen für eine
bessere Bildung und für mehr Chancengleichheit liegen
noch immer große Aufgaben vor uns. Unsere Gesellschaft
wird diese Aufgaben anpacken. Sie wird sie nur in einer
großen gemeinsamen Anstrengung ohne ideologische
Scheuklappen bewältigen können. Diese Aufgaben wer-
den nicht schon morgen erledigt sein; wir müssen sie aber
dennoch heute schon anpacken.

Zu bedenken ist dabei vor allem eines: Es geht nicht in
erster Linie um die Menge Geldes, das wir in Bildung in-
vestieren, oder um die Anzahl der Diplome, die wir ver-
geben, sondern es geht um die Schule für das 21. Jahr-
hundert und um Fortschritte auf dem Weg zu einer guten

Zukunft. Vor allem geht es um die Chancen unserer Kin-
der und um die Entfaltung der Freiheit und Kreativität der
Menschen in unserem Land.

Darum geht es. Dieser Aufgabe haben wir uns, wo im-
mer es geht, in einer großen gemeinsamen nationalen An-
strengung zu stellen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424200200
Ich erteile das Wort
der Kultusministerin des Landes Baden-Württemberg,
Annette Schavan.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Endlich jemand, der etwas davon versteht!)



(Baden-Württemberg)

sident! Meine Damen und Herren! In Deutschland wim-
melt es von pädagogisch wertvollen Sätzen und
bildungspolitisch richtigen Einsichten. Der Bundeskanz-
ler hat in seiner Regierungserklärung eine Menge dieser
Einsichten und richtigen Sätze in Erinnerung gerufen, die
in nahezu jedem bildungspolitischen Papier dieser Tage
enthalten sind, ganz egal, wer es schreibt.

Es ist ja wahr: Bildung begründet Wohlstand. Bildung
sichert Teilhabe. Bildung ist der Schlüssel für Lebens-
chancen und der Motor gesellschaftlicher Entwicklung.
Es ist ja wahr: Wer über Bildung redet, muss sich um Er-
ziehung kümmern. Wer über Erziehung redet, muss sich
um Werte kümmern. Das beginnt damit, dass Werte und
Normen nicht als Sekundärtugenden diffamiert werden
dürfen. Wer das macht, ist kein Vorbild für Kinder.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es stimmt ja auch: Erziehung gedeiht nicht in einem

Klima der Beliebigkeit. Bildung und Erziehung gedeihen
nicht in einem Klima der Respektlosigkeit und Autoritäts-
verweigerung jenen gegenüber, die pädagogisch wirken.
Das heißt, wer wirklich davon überzeugt ist, dass Bildung
und Erziehung so sehr Schlüssel sind, wie wir es eben
gehört haben, der muss etwas dafür tun. Wir brauchen in
Deutschland nicht mehr Papiere und Sachverständige. Wir
brauchen die Umsetzung der Einsichten in Taten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Fangen Sie damit mal in BadenWürttemberg an!)


Deshalb versuchen wir es doch lieber ganz konkret;
Stichwort: Qualitätssicherung in unseren Schulen. Der
Bundeskanzler hat die PISA-Studie erwähnt und die
große Sorge zum Ausdruck gebracht, die für ihn aus dem
Ergebnis der PISA-Studie erwächst. Ich kann Ihnen sa-
gen: Jahrelang haben wir mit der SPD in der Kultusminis-
terkonferenz gestritten, weil sie die Beteiligung deutscher
Schulen an diesen internationalen Vergleichsstudien nicht
wollte.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Bundeskanzler Gerhard Schröder

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(C)



(D)



(A)



(B)


Bis zur letzten Sitzung in Konstanz 1997 ist gesagt
worden: Das brauchen wir nicht. Der damalige hessische
Kultusminister Holzapfel ist vielen seiner Kollegen und
Kolleginnen mit dem Satz in Erinnerung geblieben: Das
Schwein wird vom Wiegen nicht fett.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Das war die Einstellung SPD-regierter Länder in der Kul-
tusministerkonferenz zu internationalen Vergleichsstu-
dien.

Die Bundesbildungsministerin sagte in diesen Tagen in
einem Interview: Wir brauchen in Deutschland vergleich-
bare Bildungsstandards. Wir brauchen nationale Bildungs-
vergleiche. Dazu kann ich nur sagen: Willkommen im Klub!


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Das ist frech! 16 Jahre!)


Unionsregierte Länder aber haben in der letzten Kultus-
ministerkonferenz Vorschläge für vergleichbare Bil-
dungsstandards vorgelegt.


(Jörg Tauss [SPD]: In der letzten Konferenz!)

Als wir, lieber Herr Tauss, in dieser Kultusministerkonfe-
renz darüber diskutiert haben, dass es auch nationale Bil-
dungsstandards und Bildungsvergleiche geben muss, hat
die SPD am 24. Mai 2002 dazu Nein gesagt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Michael Glos [CDU/CSU]: Wie heißt der SPD-Vorsitzende?)


Des Weiteren haben Sie – zu Recht – gesagt, Bildung
sei die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)

Auch das ist ein bekannter Satz. Vor zehn Jahren hat der
damalige Bundesforschungsminister ihn gesagt. Ich
glaube, es herrscht Konsens darüber, dass jedes Kind
wichtig ist. Die Leistungsfähigkeit eines Bildungswesens
erweist sich daran, dass niemand zum Modernisierungs-
verlierer werden darf und dass niemand seine Talente ver-
stecken muss. Das sind zwei Seiten ein und derselben Me-
daille.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulla Burchhardt [SPD]: Das ist eine neue Erkenntnis!)


Benachteiligtenförderung und Begabtenförderung
gehören zusammen. Es gilt aber in Deutschland die
Faustregel: Wer das eine nicht kann, kann auch das andere
nicht. Ich füge hinzu: Wer in das eine nicht investiert, in-
vestiert auch nicht in das andere. Das können Sie wun-
derbar bei einem Ländervergleich feststellen. Wenn Sie
die Investitionen für die Sonderpädagogik, für die Son-
derschulen sowie für die Programme zur Förderung von
Benachteiligten und Hochbegabten miteinander verglei-
chen, dann stellen Sie fest, dass die SPD über viele Jahre
hinweg – diese Zeit war viel zu lang – ein völlig gebroche-
nes Verhältnis zur Hochbegabtenförderung und Elitenför-
derung gehabt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Ein bisschen mehr Niveau wäre nicht schlecht!)


– Natürlich stimmt das.
Sie haben auch gesagt, zu lange habe in Deutschland

der Irrglaube vorgeherrscht, Schule zerstöre die Kindheit.
Ich habe mich gefragt: Wer hat denn diesen Irrglauben
über Jahre hinweg in Deutschland verbreitet? Wer hat
denn den Eindruck erweckt, dass Schule gleichsam ein
unsittlicher Anschlag auf die Kindheit ist?


(Jörg Tauss [SPD]: Ja, wer denn? – Gegenruf des Abg. Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ich weiß, das tut weh!)


– Zuhörenkönnen ist auch ein Hinweis auf Bildung.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulla Burchhardt [SPD]: Wir sind doch hier nicht im Kindergarten! – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Büttenreden können Sie in Neuss halten!)


Als ich vor fünf Jahren in Baden-Württemberg über
neue Wege beim Schulbeginn gesprochen und vorge-
schlagen habe, dass wir beim Beginn der Schulzeit be-
weglicher werden müssen, dass wir in Deutschland nicht
jedes zehnte Kind von der Einschulung zurückstellen dür-
fen, dass wir es nicht zulassen dürfen, dass das durch-
schnittliche Einschulungsalter bei 6,7 Jahren liegt, hat die
SPD-Opposition Kopf gestanden. Manche von Ihnen wis-
sen sicherlich noch, was alles in den Zeitungen gestanden
hat. Sie haben damals blockiert und Nein gesagt. Sie ha-
ben alle vorgeschlagenen Projekte nicht mitgetragen.

Das gilt übrigens auch für das Thema Fremdsprachen
in der Grundschule. Dazu kann ich nur sagen: Wohl wahr!
Wo gibt es denn Fremdsprachen ab der ersten Klasse der
Grundschule? – Doch nicht in Niedersachsen, in Schles-
wig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen. Das gibt es nur
in einem einzigen Bundesland, nämlich in Baden-Würt-
temberg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Und zwar Englisch und Französisch! – Jörg Tauss [SPD]: Darauf kommen wir gleich zu sprechen!)


Es ist wahr: Bildungspolitik hat nicht nur mit Geld zu
tun. Aber ohne Geld – darauf hat schon der Bundeskanz-
ler hingewiesen – ist es auch schwierig. Deshalb sage ich:
Wer in Deutschland über Bildungspolitik spricht, der
muss über Fakten sprechen


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Jörg Tauss [SPD]: Dann fangen Sie einmal an!)


und der muss sich die Entwicklung der letzten Jahre an-
schauen. Wenn Sie das tun, werden Sie feststellen: In dem
Zeitraum von 1990 bis 1998 – in den 90er-Jahren muss-
ten alle Bundesländer Einsparungen vornehmen – ist al-
lein der Anteil der Bildungsausgaben am Landeshaushalt
– alleine – für die Schulen in Bayern und Baden-Würt-
temberg um rund 20 Prozent gestiegen. Schließlich sind
auch die Schülerzahlen gestiegen.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das war unter Rüttgers?)


Im gleichen Zeitraum – das ist bekanntlich die Zeit, in der
Gerhard Schröder Ministerpräsident war – ist dieser An-




Ministerin Dr. Annette Schavan (Baden-Württemberg)

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(D)



(A)



(B)


teil in Niedersachsen um 10 Prozent gesunken. Das sind
die Unterschiede in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Entsprechend vernichtend ist das Urteil des ehemali-

gen niedersächsischen Ministerpräsidenten Glogowski,
des Nachfolgers von Gerhard Schröder, ausgefallen. Re-
sümee nach acht Jahren Bildungspolitik unter der Verant-
wortung von Gerhard Schröder – ich zitiere –:

Zieht ein bayerisches Kind hierher, muss es sich erst
einmal zwei Jahre hängen lassen, damit es das nied-
rige niedersächsische Niveau erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: So ein Blödsinn!)


– Blödsinn? Das hat Glogowski als Urteil nach acht Jah-
ren gesagt.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sagen Sie mal was zur Sache! Wir sind hier nicht im Neusser Stadtrat – Ulla Burchardt [SPD]: Haben Sie auch einen eigenen Gedanken zu bieten?)


Zu den bildungspolitischen Aufgaben, die Bund und
Länder gemeinsam zu bewerkstelligen haben, gehört die
Berufsbildungspolitik. Zwei Drittel aller Jugendlichen
durchlaufen eine Ausbildung in der beruflichen Bildung.
Weltweit gilt die duale Ausbildung, die Partnerschaft von
Schule und Betrieb, als die Stärke des deutschen Bil-
dungswesens.


(Ulla Burchardt [SPD]: Originelle Erkenntnis!)


Wir wissen: Wer sehen will, wo anwendungsorientiertes,
praxisorientiertes Lernen möglich ist, muss in die berufli-
che Bildung gehen.


(Ulla Burchardt [SPD]: Toll! Sehr originell!)

Das ist der Bereich unseres Bildungswesens, in dem in be-
sonderer Weise über Teilhabe, über Lebenschancen und
über berufliche Beschäftigungsperspektiven junger Men-
schen entschieden wird.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das sind die Floskeln, die Sie vorher kritisiert haben! Sprechblasen!)


Deshalb: Wer es mit Teilhabe an Lebenschancen ernst
meint, wer es damit ernst meint, dass Bildung ein Schlüs-
sel für Lebenschancen und für Selbstständigkeit ist, der
muss diesen Bereich „duale Ausbildung, berufliche Bil-
dung“ in besonderer Weise stärken.


(Ulla Burchardt [SPD]: Sagen Sie das mal Ihrer Fraktion!)


Vor wenigen Tagen hat das Institut der deutschen Wirt-
schaft den neuesten Vergleich der 16 Bundesländer im
Hinblick auf die Stärke der Berufsschulen und der dort er-
teilten Unterrichtsstunden veröffentlicht.


(Zuruf von der SPD: Sagen Sie mal was zur Bundespolitik!)


Niedersachsen ist auf Platz 16. Auf den Plätzen 15, 14 und
13 sind ausschließlich SPD-regierte Länder.


(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)


Das Institut der deutschen Wirtschaft stellt fest: In diesen
Ländern reicht die Leistungsfähigkeit der Berufsschulen
nicht mehr aus – wenn es so weitergeht –, um duale Aus-
bildung zu leisten. Diese Länder tragen wesentlich dazu
bei, dass die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe nicht
wächst, sondern stagniert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben in Ihrer Regierungserklärung davon gespro-

chen, dass die Bundesregierung im Bereich der Jugend-
arbeitslosigkeit und auch im Bereich der beruflichen Bil-
dung große Erfolge erreicht hat.


(Zurufe von der SPD: Das kann man wohl sagen! – Sehr richtig!)


Das ist schon erstaunlich, wenn man bedenkt, dass vor
zwei Tagen, am Dienstag, der neue Chef der Bundesanstalt
für Arbeit, Gerster, erstens darauf hingewiesen hat, dass
die Jugendarbeitslosigkeit zwischen Mai 2001 und Mai
2002 um 15,6 Prozent gestiegen ist. Im Vergleich dazu ist
die allgemeine Arbeitslosigkeit um 6,1 Prozent gestiegen.


(Jörg Tauss [SPD]: Und 1998?)

Das ist also ein weit höherer Anstieg.


(Jörg Tauss [SPD]: Anständiger Vergleich! 1998? Wie war das denn da? – Ulla Burchardt [SPD]: Unterstes Niveau, was hier geboten wird!)


Zweitens hat Herr Gerster festgestellt, dass im Mai
485 000 Lehrstellen zur Verfügung stehen. Ihnen stehen
600 000 Bewerber gegenüber. Er kündigt an, dass zum
Herbst ein Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage
wohl nicht erreicht werden kann.

Das sind Zahlen, die darüber entscheiden, ob junge
Menschen Lebens- und Berufschancen erhalten oder
nicht!


(Ulla Burchardt [SPD]: Das ist Ihre Erblast!)

Das sind Zahlen, die eine Bankrotterklärung für die Be-
rufsbildungspolitik in Deutschland bedeuten!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Bundeskanzler hat zu Recht gesagt: Es geht nicht

nur um Geld, es geht um eine neue Kultur des Lehrens und
Lernens.


(Zuruf von der SPD: Und der Wahrhaftigkeit!)

Die neue Kultur des Lehrens und Lernens setzt voraus, dass
man nicht öffentlich seine ganze Abneigung gegen Pädago-
gen, gegen Lehrerinnen und Lehrer, auf den Markt trägt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Von PISA-Siegern, zum Beispiel in Skandinavien, wissen
wir, dass die Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit
der Schulen die Akzeptanz pädagogischer Arbeit ist. Nie-
mand hat der Autorität der Lehrerinnen und Lehrer und
der Schule so sehr geschadet wie ein niedersächsicher Mi-
nisterpräsident, der der gesamten Republik erklärt hat,
was er von den Lehrern hält.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: Das ist ja aus der Klamottenkiste!)





Ministerin Dr. Annette Schavan (Baden-Württemberg)


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(C)



(D)



(A)



(B)


In der Regierungserklärung ist zu Recht gesagt wor-
den,


(Zuruf von der SPD: Kommen Sie mal zum Inhalt! Vorschläge!)


dass – darüber besteht auch Konsens; dem wird in
Deutschland niemand widersprechen – Schule, Studium,
Bildung und Ausbildung nicht vom Geldbeutel der Eltern
abhängig sein dürfen. Darüber besteht Konsens und das
ist auch gut so.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber eigentlich wissen wir nicht, was in der SPD wirklich
darüber gedacht wird. Die Bundesregierung legt eine
Hochschulnovelle vor,


(Konrad Gilges [SPD]: Stellen Sie doch einmal Ihr Konzept dar! – Weiterer Zuruf von der SPD: Werden Sie doch mal konkreter!)


derzufolge nicht mehr über Studiengebühren gesprochen
werden darf. Peter Glotz, der frühere Bundesgeschäfts-
führer der SPD, schrieb noch in diesen Tagen:

Die Behauptung, dass Studiengebühren „unsozial“
seien, ist übrigens so verbreitet wie falsch. Unsozial
ist es vielmehr, kleine Lohnsteuerzahler, die nie nur
auch in die Nähe von Hochschulen kommen, immer
stärker zu belasten, damit die Kinder der Mittel-
schichten gebührenfrei studieren können.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Völlig richtig! Der Mann hat Recht!)

... Die klassischen Argumente gegen Gebühren sind
schwach, aber zäh.

Die SPD muss sich jetzt entscheiden, wie es weitergehen
soll.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Was wollen Sie? Jetzt bleiben wir mal dabei!)


– Ich erläutere Ihnen, was ich will. Warten Sie ab! – Zum
gleichen Zeitpunkt, zu dem im Bundestag und im Bun-
desrat über das Thema Studiengebühren und soziale Ge-
rechtigkeit im Hinblick auf Studierende gesprochen wird,
ist erstens festzustellen, dass nur 8 Prozent der Studieren-
den in Deutschland aus einkommensschwachen Familien
kommen. Das ist nicht sozial verträglich und damit nicht
in Ordnung.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist Ihre Politik gewesen!)


Zweitens ist festzustellen, dass Nordrhein-Westfalen
eine Studentensteuer einführt.


(Jörg Tauss [SPD]: Die Sie schon haben!)

Das heißt, Gebühren ohne Gegenleistung. Das ist unsozial
und damit nicht in Ordnung. Dabei handelt es sich um
eine Instrumentalisierung der Hochschulen für den Lan-
deshaushalt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Ausgerechnet Baden-Württemberg!)


Ihrem Einwand, dass es in Baden-Württemberg seit
1997 eine Langzeitstudiengebühr gibt, ist entgegenzuhal-
ten, dass dabei ein Unterschied zu Nordrhein-Westfalen
besteht: In Baden-Württemberg fließen die Mittel in die
Hochschulen; in Nordrhein-Westfalen dagegen gehen sie
an den Finanzminister. Das ist der Unterschied zwischen
SPD und CDU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Woher wissen Sie das denn?)


Der Bundeskanzler hat davon gesprochen, dass in der
Hochschulpolitik das bürokratische Korsett aus dem vor-
letzten Jahrhundert gefallen sei und dass die Hochschulen
befreit seien. Ich höre zurzeit aber nur von jungen Nach-
wuchswissenschaftlern, die rausgeschmissen werden.
Das ist eine eigentümliche Form der Befreiung.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Im Übrigen sind wir uns in den Zielen der Dienst-

rechtsreform einig. Wir sind uns darin einig, dass wissen-
schaftlicher Nachwuchs früher selbstständig werden
muss. Wir sind uns auch darin einig, dass es möglich sein
muss, dass Nachwuchswissenschaftler eigene Projekte
anmelden können. Es ist richtig, die Juniorprofessur ein-
zuführen, aber es ist falsch, die Habilitation abzuschaffen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig! – Ulla Burchardt [SPD]: Das ist ja grober Unfug, was Sie erzählen!)


Wir wollen nicht immer mehr Verbote, sondern mehr
Spielraum für die Hochschulen. Nur selbstständige Hoch-
schulen sind international starke Hochschulen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Über Ganztagsschulen streite ich mit Ihnen nicht. Ich
habe erst gestern wieder drei neue Ganztagsschulen in
Baden-Württemberg eröffnet.


(Jörg Tauss [SPD]: Wie viele haben Sie denn?)

Im Bundesvergleich haben Baden-Württemberg 6,8 Pro-
zent Ganztagsschulen und Rheinland-Pfalz 3 Prozent.
Bremen, Schleswig-Holstein und viele andere SPD-
regierte Länder haben weniger.


(Zurufe von der SPD: Und Bayern?)

Deshalb fordere ich Sie auf: Kümmern Sie sich um Ihre
Länder! Sorgen Sie dafür, dass das Bildungswesen in
Ihren Ländern à jour wird, dass es modernisiert wird und
dass die Hochschulen selbstständig werden können!


(Ulla Burchardt [SPD]: Bleiben Sie zu Hause!)

Geben Sie nicht Ländern gute Ratschläge, die längst dort
sind, wo Sie noch hin wollen, sich aber immer noch nicht
auf den Weg gemacht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424200300
Frau Ministerin, Sie
müssen zum Ende kommen. Sie haben Ihre Redezeit
schon deutlich überschritten.




Ministerin Dr. Annette Schavan (Baden-Württemberg)

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(C)



(D)



(A)



(B)



(Baden-Württemberg)

land sind die Voraussetzungen für eine Modernisierung des
Bildungswesens und für nachhaltige Hochschulreformen
geschaffen.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind im Bundestag und nicht in einem Landtag!)


Wir als Union arbeiten an einem Bildungswesen, das den
Blick auf Kinder und Jugendliche richtet.


(Zuruf von der SPD: Davon haben wir noch nichts gehört!)


Die unionsregierten Länder haben ihre Hausaufgaben zu
einem Großteil gemacht und stecken mitten in der Moder-
nisierung, in der Regel bei Ablehnung oder gar Empörung
der jeweiligen Opposition. Der Bund hinkt hinterher, statt
nachhaltiger Strukturen schafft er nur Aktionsprogramme.


(Ulla Burchardt [SPD]: Sie können nach Hause gehen!)


Auch deshalb wird es Zeit für eine andere Bundesregie-
rung, die zu einem verlässlichen Partner in Sachen Bil-
dung, Ausbildung und Wissenschaft in Deutschland wird.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424200400
Ich erteile das Wort
dem Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen,
Sigmar Gabriel.

Sigmar Gabriel, Ministerpräsident (Niedersachsen)


(von Abgeordneten der SPD mit Beifall begrüßt): Herr

Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin
Dr. Schavan, auf die letzte Bemerkung, die Sie eben ge-
macht haben – die mit der anderen Regierung –, möchte
ich ein wenig eingehen, weil man dabei darauf hinweisen
kann, wer von bestimmten Dingen redet und wer diese
Dinge tut.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Es geht um Bildungspolitik!)


Eines steht doch fest – darauf hätte ich von Ihnen, Frau
Dr. Schavan, gerne eine Antwort gehört –: Es ist diese
Bundesregierung, die den Haushaltsansatz für Forschung
und Bildung um mehr als 20 Prozent angehoben hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Über 21 Prozent!)


Weil wir ja bei der von Ihnen erwünschten neuen Regie-
rung im Wesentlichen über das alte Personal reden, wie
wir ja gerade feststellen


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

– Sie gehören nicht dazu; Sie sind da die löbliche Aus-
nahme; der Rest von denen, die bisher da waren, wird ja
aufgetaut –,


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


wollen wir uns doch einmal anschauen, was die Täter von
gestern in der Bildungspolitik gemacht haben.


(Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


– Zu Ihnen komme ich gleich noch, wenn ich über Werte
rede, Herr Goldmann; da sind wir ja an der richtigen
Adresse.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Es geht um Bildungspolitik!)


– Ja, ja, genau darüber reden wir ja; zum Beispiel darüber,
dass die von Ihnen gestellte ehemalige Regierung zwi-
schen 1993 und 1998 700 Millionen DM im Bildungs-
haushalt des Bundes eingespart hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Wir reden über vier Jahre Versagen von Rot-Grün!)


Sie haben hier gerade angekündigt, Sie wollen eine
neue Regierung. Da muss man doch angesichts der Taten
derjenigen, die früher regiert haben, so etwas wie eine Ge-
winnwarnung an die Börse ausgeben: Vorsicht beim Kauf
der Aktie, hier wird hinterher an der Bildung gespart.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben also nicht nur 700Millionen DM eingespart, als
Sie damals an der Regierung waren, sondern kommen
jetzt auch noch mit einem Wahlprogramm, in dem Sie er-
klären, Sie wollen dreimal 40 Prozent erreichen, also auch
40 Prozent Staatsquote.


(Jörg Tauss [SPD]: Viermal 40 Prozent, auch beim Wahlergebnis!)


Das bedeutet – ich sage das nur, damit das die geschätzte
Öffentlichkeit weiß – eine Verringerung des Bundeshaus-
haltes um 170 Milliarden Euro. Raten Sie einmal, wo da
gespart werden wird: natürlich wieder bei Bildung und
Forschung. Darum geht es doch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Herr Gabriel, das ist doch sogar unter Ihrem Niveau!)


Was man davon zu halten hat, wenn die CDU kurz vor
Wahlen erklärt, sie wolle den Bildungshaushalt auf-
stocken, erleben die Hamburger Eltern gerade. Da ist das
versprochen worden, aber das Gegenteil passiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: FDP! Lange!)


Eigentlich wollte ich über die Vergangenheit nicht so
sehr reden; aber es macht solchen Spaß, Frau Dr. Schavan.
Ich bin immer der Meinung, dass man Ihnen eine Antwort
geben muss. Man muss Sie in einer solchen Debatte stellen.






(C)



(D)



(A)



(B)


Ich finde, Jugendarbeitslosigkeit ist ein schönes
Thema. Sie haben 16 Jahre lang, Jahr um Jahr, Schüler-
generation um Schülergeneration in die Jugendarbeitslo-
sigkeit entlassen. Das ist das, was Sie auf diesem Gebiet
gemacht haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Primitiv! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Glauben Sie nicht, dass ich Ihnen die Zahlen aus Nie-
dersachsen nicht gleich nennen werde! Machen Sie sich
da keine Sorge! Weil Sie darum so betteln, mache ich das
gleich. Sie müssen davon ausgehen, dass ich mich in mei-
nem Land ein bisschen auskenne.

Diese Regierung mit Frau Bulmahn als Bundesminis-
terin hat dafür gesorgt, dass diejenigen, die auf dem Aus-
bildungsmarkt keine Chance hatten, endlich eine qualifi-
zierte Ausbildung bekommen haben. Sie haben diese
Menschen der Arbeitslosigkeit überlassen. Das war die
Politik in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben in unserem Bundesland – falls das keiner
weiß, das ist Niedersachsen – seit 1990, seit Gerhard
Schröder zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, die Ju-
gendarbeitslosigkeit mehr als halbiert. Unter der Vorgän-
gerregierung und unter Beteiligung der damaligen Bundes-
regierung lag die Jugendarbeitslosigkeit in Niedersachsen
bei über 90000 Menschen unter 25 Jahre. Sie alle haben
keine Arbeit gefunden.

Es gibt heute immer noch zu viele arbeitslose Jugend-
liche. Frau Dr. Schavan, Sie haben eben über Steige-
rungsquoten gesprochen: Sie müssen wissen, dass die
Quote für die durchschnittliche Steigerung der Jugend-
arbeitslosigkeit in Westdeutschland zurzeit bei über 17 Pro-
zent liegt; im Land Niedersachsen liegt diese Quote bei
1,7 Prozent. Im letzten Monat bei 1,5 Prozent und im vor-
letzten Monat lag sie wiederum bei 1,7 Prozent. Das ist
die Realität. Kümmern Sie sich einmal um Ihre Jugendli-
chen und machen Sie sich keine Sorgen um unsere!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Land Niedersachsen gibt gegenüber dem Jahr 2000
für die niedersächsischen Schulen und für das nieder-
sächsische Bildungssystem zurzeit 160 Millionen Euro
mehr aus. Frau Dr. Schavan, wir würden diesen Betrag
gerne erhöhen. Wir können das unter anderem deshalb
nicht, weil wir bereits über die Maßen dafür sorgen, dass
junge Leute bei uns einen guten Schulabschluss bekom-
men.

Sie selbst haben in den letzten Tagen lesen können,
dass die Abiturquote in Bayern bei 18,5 Prozent liegt und
dass es deshalb notwendig ist, dass aus Nordrhein-West-
falen und aus Niedersachsen mehr als 4 350 Hochschul-
absolventen nach Bayern gehen, damit der Fachkräfte-
bedarf der bayerischen Industrie gedeckt werden kann.
Das kostet 200 Millionen jährlich. Das zahlen nicht die

Bayern. Das ist Wirtschaftsförderung aus den Ländern,
die Sie hier gerade beschimpft haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer mit Zahlen kommt, wird mit Zahlen erschlagen! Das ist eine alte Weisheit! – Zurufe von der CDU/CSU)


– Kommen Sie her, halten Sie eine Rede und machen Sie
nicht nur Zwischenrufe!


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Ich komme auf dieses Problem nachher zu sprechen.

Wir haben ein Problem der Qualität und ein Problem
der Quantität. Die deutsche Wirtschaft sagt, sie brauche,
um ihren Fachkräftebedarf in zehn Jahren abzudecken,
eine Hochschulabsolventenquote – mit Hochschule sind
Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien
gemeint – von 40 Prozent. Sie müssen mir einmal erklä-
ren, wie Sie angesichts einer Abiturquote in Bayern von
18,5 Prozent die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirt-
schaft erreichen wollen. Sie sind doch das größte Investi-
tionshindernis, das hier herumläuft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Dr. Schavan, Sie haben auf die Hochschulen hin-
gewiesen. Die deutsche Wirtschaft hat gerade erklärt, dass
das Hochschulgesetz, das das Land Niedersachsen verab-
schiedet, das modernste in Deutschland ist. Wir wissen
das alles. Ich sähe es gern, dass Sie Ihren CDU-Kollegen
in Niedersachsen einmal erklären, dass sie dem Hoch-
schulgesetz morgen zustimmen sollten. Bisher haben sie
immer dagegen gestimmt. Das nur zu dem Thema „Wie
verhält sich die CDU in Reden und Handeln?“.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Sie über Studiengebühren reden, dann müssen
Sie dem Haus sagen, dass Sie als Kultusministerin der
Verabredung der Kultusminister zugestimmt haben, dass
es in Deutschland keine Studiengebühren für das Erst-
studium geben soll und dass Sie sich aus formalen Grün-
den weigern, Rechtssicherheit für Studierende zu schaf-
fen. Wir wollen doch, dass Studenten wechseln, dass sie
auch andere Universitäten besuchen. Es kann doch nicht
sein, dass die Studenten nur deshalb nicht an eine andere
Hochschule wechseln, weil dort Studiengebühren erho-
ben werden. Sie haben früher anders geredet und gehan-
delt als heute. Machen Sie den Menschen an dieser Stelle
nichts vor! Sie haben den Verzicht auf Studiengebühren
für das Erststudium genauso gefordert wie die sozialde-
mokratischen Länder. Ich weiß also nicht, woher Ihr Sin-
neswandel kommt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben den internationalen Vergleich angesprochen.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einmal vergleichen
würden, wie viele Ganztagsschulen es in Nordrhein-
Westfalen und Niedersachsen


(Jörg Tauss [SPD]: Gute Frage!)





Ministerpräsident Sigmar Gabriel (Niedersachsen)

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und wie viele es in Bayern und Baden-Württemberg gibt.

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Drei neue, hat sie gesagt!)

Darüber müssen wir einmal reden.


(Zuruf des Abg. Siegfried Hornung [CDU/CSU])


– Das sind die bildungspolitischen Experten, die Ganz-
tagsschulen mit Gesamtschulen verwechseln. Alle Ach-
tung!


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Sie merken gar nicht, wie Sie sich selber entlarven.
Wissen Sie, warum Sie die Ganztagsschulen verhindert
haben? Sie haben zum einen zum Thema Kindererziehung
– dazu komme ich später noch – offensichtlich eine völlig
andere Auffassung als wir. Sie gehen zum anderen immer
davon aus, dass es eine ideologische Debatte um Ganz-
tagsschulen ist. Sie müssen aufhören, diese Debatten von
gestern zu führen.


(Zuruf von der SPD: Das können sie doch nicht!)


Wir brauchen nicht die Wiederholung der Debatten der
70er-Jahre. Wer Bildungspolitik betreibt, der erlebt jetzt,
dass einem ständig die bildungspolitischen Kyffhäuserka-
meradschaften von gestern entgegenkommen:


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


immer mit den gleichen Marschordnungen, immer mit
den gleichen Marschliedern. Das interessiert doch keinen
Menschen mehr.

Die PISA-Studie zeigt uns doch, dass es nicht um die
Frage Dreigliedrigkeit oder Gesamtschule geht. Die
PISA-Studie zeigt uns auch, dass es Länder gibt, die bes-
sere Ergebnisse als wir haben, obwohl es dort größere
Klassen gibt. Es geht nicht um das Herausgreifen von
Einzelpunkten. Wir müssen uns vielmehr mit dem ge-
samten Bildungssystem auseinander setzen, aber nicht in
der Art und Weise, Frau Dr. Schavan, wie Sie es getan ha-
ben.

Noch eine Bemerkung zu dem internationalen Ver-
gleich. Der damalige niedersächsische Kultusminister
Rolf Wernstedt hat den internationalen PISA-Vergleich
durchgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt waren Sie noch gar
nicht im Amt, Frau Dr. Schavan. Zuhören gehört zur Bil-
dung und intellektuelle Redlichkeit gehört zur akademi-
schen Ausbildung. Das sollte man beachten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Sie sind ja fast so arrogant wie der Kanzler!)


Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es gelegentlich
heraus. So ist das nun einmal im Leben.


(Heiterkeit bei der SPD – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist richtig!)


– Wenn ich gewusst hätte, dass es hier so fröhlich zugeht,
wäre ich schon früher gekommen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Wenn Sie es möchten, komme ich gerne wieder.


(Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


– Keine Sorge. Das machen wir schon, Herr Goldmann.
Sie sind ja nicht im niedersächsischen Landtag vertre-
ten.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das kann sich aber schnell ändern!)


Das bleibt vermutlich auch so.

(Heiterkeit bei der SPD)


Diese parteipolitische Auseinandersetzung, die uns zu-
gegebenermaßen Freude macht – bei der Rede von Frau
Dr. Schavan gab es Beifall von der einen Seite des Hau-
ses und bei meiner Rede gibt es Beifall von der anderen
Seite des Hauses –, interessiert draußen im Lande nie-
manden. Das müssen wir ehrlicherweise zugeben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


PISA ist für uns so etwas wie der Sputnik-Schock ge-
wesen. Wir mussten feststellen, dass wir alle unter Wasser
schwimmen. Wir debattieren derzeit nur über die Frage,
wer sozusagen 1 Meter, wer 2 Meter und wer 3 Meter un-
ter Wasser schwimmt. Wir müssen aber aufpassen, dass
wir dabei nicht alle ersaufen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es bringt überhaupt nichts, Frau Kollegin Schavan,

wenn wir nur zur Freude der Abgeordneten in den Parla-
menten Reden halten in der Art, wie Sie sie gehalten ha-
ben und – das wollte ich nur beweisen – wie ich sie hal-
ten kann.


(Heiterkeit bei der SPD)

Ich wollte nachweisen, dass wir in der parteipolitischen
Auseinandersetzung die gleiche Fähigkeit wie Sie ent-
wickeln können. Aber ich glaube, es geht um mehr.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Dann fangt mal an!)


Die Menschen in unserem Land brauchen nicht Funda-
mentalismus, sondern Pragmatismus. Wir müssen eine Po-
litik für die Wirklichkeit und nicht für die parteipolitischen
Wahlkampfauseinandersetzungen machen. Die Menschen
interessieren sich nicht für denkbare Kompetenzstreite-
reien zwischen Bund und Ländern. Wer wie einige CDU-
geführte Länder dagegen ist – ich habe das heute Morgen
wieder gehört –, dass sich der Bund mit 4 Milliarden Euro
an dem Ausbau von Ganztagsschulen beteiligt, der soll
schlicht und ergreifend auf seine Zuschüsse verzichten.
Den anderen Ländern würde dann mehr Geld zur Verfü-
gung stehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])





Ministerpräsident Sigmar Gabriel (Niedersachsen)


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Kindergärten, Horte und Ganztagsschulen sind jeden-
falls viel wichtiger als ein unbezahlbares Familiengeld für
die Frau, die zu Hause bleibt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Statt die klugen und jungen Frauen aus dem Beruf zu
zwingen, wenn sie Kinder haben wollen, brauchen wir in
Deutschland endlich familienfreundliche Strukturen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es müsste doch die konservativsten Wirtschaftspolitiker
Deutschlands und der Union nachdenklich machen, dass
wir wesentlich mehr Abiturientinnen als Abiturienten ha-
ben, sie aber in Forschung und Wissenschaft sowie in den
Spitzenstellungen dieser Gesellschaft nicht wiederfinden.
Das können wir uns in ökonomischer Hinsicht nicht leisten.
Das ist nicht nur unsozial, sondern auch unwirtschaftlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die PISA-Studie warnt uns vor schnellen Schlüssen. Ich
habe es vorhin schon gesagt: Es geht nicht um das dreiglie-
drige Schulsystem oder die Gesamtschulen. Es gibt Länder
mit deutlich größeren Schülerzahlen pro Klasse, die den-
noch bessere Ergebnisse erreichen. Es geht übrigens auch
nicht nur um die Frage, wie viel Unterricht ausfällt, denn
es hilft uns nichts, wenn 28 statt 30 schlechte Wochen-
stunden erteilt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Mein lieber Mann, das ist ein Lehrerbild, was Sie hier vermitteln! Das müssen Sie einmal den Lehrern erklären! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Keine Ahnung!)


– Haben Sie einmal versucht, die PISA-Studie zu lesen?

(Lachen bei der CDU/CSU)


Das hat nichts mit Lehrerbeschimpfung zu tun, sondern
mit der PISA-Studie. Darin steht, dass unsere Kinder im
deutschen Bildungssystem das Lernen nicht ausreichend
lernen. Das ist ein Problem unserer Lehreraus- und -wei-
terbildung.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Nicht nur!)

Das ist doch wohl ein Thema, über das wir reden sollten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie können doch hier nicht anders sprechen als unter vier
Augen, nur weil jetzt Kameras laufen und Zuschauer da
sind. Sie wollen immer die Vier-Augen-Gesellschaft,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Keine Sorge!)


in der wir uns sagen, wo die Probleme liegen, aber dann,
wenn einer zuhört, nicht mehr öffentlich und ehrlich da-
rüber sprechen. Das ist die Politik der Union. Ich kann das
nicht mitmachen; das tut mir Leid.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


PISA hat uns in der Tat gezeigt – darüber sind wir uns
wirklich einig –: Wir fördern in Deutschland weder die
Leistungsstarken noch die Leistungsschwachen gut ge-
nug. Wir geben viel Geld in das obere Segment des Bil-
dungssystems und zu wenig in das untere Segment. Wir
haben das alte deutsche Sprichwort „Was Hänschen nicht
lernt, lernt Hans nimmermehr“ missachtet; zumindest lernt
Hans es schwieriger.

Frau Dr. Schavan, im Hinblick auf das Thema berufli-
che Bildung und Politik der SPD bitte ich um intellektu-
elle Redlichkeit. Es war die Bildungspolitik der SPD in
den 70er-Jahren, die dazu führte, dass Menschen, die vor-
her, weil der Vater Arbeiter war, nur zur Hauptschule durf-
ten und hinterher über einen schweren zweiten Bildungs-
weg ihre Leistungen – –


(Zuruf von der CDU/CSU)

– Dass Sie das nicht wissen, kann ich mir wirklich vor-
stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei uns gibt es ein paar Leute, die damit ganz persönliche
Erfahrungen haben. Auch ich gehöre dazu.

Die Sozialdemokratie hat in den 70er-Jahren dafür ge-
sorgt, dass diese Menschen ihre Abschlüsse im ersten An-
lauf und nicht auf dem viel schwierigeren zweiten Bil-
dungsweg erwerben konnten. Das ist auf der einen Seite
sozialer, aber auf der anderen Seite auch ökonomisch ef-
fizienter.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich gehöre nicht zu denen, die der Überzeugung sind,

dass die SPD-Bildungspolitik im Jahr 2002 die gleiche
wie in den 70er-Jahren sein kann. Aber ich finde auch,
Frau Dr. Schavan, dass wir es uns nicht so einfach machen
können, die Bildungspolitik nach A- und B-Ländern, nach
SPD- und CDU-regierten Ländern, zu differenzieren. Ich
finde, das ist ein bisschen billig. Damit wiegt man zwar
die Schweine, aber man treibt sie auch durchs Dorf.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


PISAhat gezeigt: Wir haben in Deutschland seit 20 und
mehr Jahren hinsichtlich der Integration massiv versagt,
weil wir uns nicht zur Zuwanderung in unser Land be-
kannt haben,


(Beifall des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


weil wir uns bis heute nicht dazu bekennen, dass Men-
schen, die mit einem deutschen Pass aus Osteuropa kom-
men, überwiegend in einer anderen Kultur und anderen
Sprachen sozialisiert sind als wir. Weil wir das immer igno-
rieren, haben wir Probleme in den Kindergärten und
Grundschulen und inzwischen bis in die Berufsschulen hi-
nein Analphabetismus. Das ist die Realität in Deutschland.
Es ist schlimm, dass Sie das Thema Zuwanderung zum
Wahlkampfthema machen wollen. Es ist unglaublich, was
Sie da veranstalten!


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)





Ministerpräsident Sigmar Gabriel (Niedersachsen)

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Sie blenden die Wirklichkeit aus. Deswegen können Sie
in dieser Frage keine vernünftige Bildungspolitik auf den
Weg bringen.

Wir haben natürlich Schulen, die zu unselbstständig
sind, denen wir alles haarklein erklären, jeden Erlass vor-
geben und bei denen wir Rahmenrichtlinien und weiß
Gott was nicht alles vorschreiben. All das müssen wir
ändern. Wir brauchen daher nicht nur mehr Geld für Re-
formen, wir brauchen vor allen Dingen mehr Reformen
fürs Geld. Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder, die in
die deutsche Grundschule kommen, auch die deutsche
Sprache können. Mein Bundesland ist, wenn ich das
richtig weiß, das erste, das Sprachförderung im Kin-
dergarten und in der Grundschule systematisch für die
organisiert, die diese Förderung benötigen. Ich würde
mich freuen, Frau Dr. Schavan, wenn Sie neben der
– möglicherweise berechtigten – Kritik ab und zu auch
etwas zu dem sagten, was wir ganz gut auf die Beine brin-
gen.

Zweiter Punkt. Wir müssen aufhören – das richtet sich
an die bildungspolitischen Traditionalisten in allen Berei-
chen –, um Schulformen zu kämpfen. Stattdessen müssen
wir um Schüler kämpfen,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und zwar um die leistungsstarken wie um die leistungs-
schwachen. Fördern und fordern sind zwei Seiten dersel-
ben Medaille.

Wir brauchen verlässliche Unterrichts- und Betreu-
ungszeiten und in der Tat ein Netz von Ganztagsschulen.
Wir brauchen in der Schule der Zukunft nach meiner
festen Überzeugung den Achtstundentag für Schüler
und für Lehrer.

Wir brauchen mehr erzieherische Kompetenz und Un-
terstützung auch der Elternhäuser, Sozialpädagogen und
Erzieher, die sich nicht nur um Kinder kümmern, sondern
auch den Kontakt zu Elternhäusern suchen. Wir müssen
auch für eine Werte- und Normenerziehung sorgen, Frau
Dr. Schavan. Aber Vorsicht: Es ist nicht die SPD und es
sind nicht die Grünen, die 1982 die geistig-moralische
Wende gefordert haben, als deren Ergebnis wir die Ellbo-
gengesellschaft bekommen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich finde, wir alle haben Grund zur Selbstkritik in der Bil-
dungspolitik der letzten Jahre, nicht nur immer der jeweils
andere.

Eltern wollen mehr Wahlrechte für ihre Kinder.
Auch das finde ich vernünftig. Wir müssen ihre Mitbe-
stimmung ausbauen, wir brauchen eine andere Lehrer-
ausbildung und wir dürfen uns natürlich nicht vor dem
Wettbewerb der Schulen untereinander scheuen, auch
nicht, Frau Dr. Schavan, vor dem zwischen den Län-
dern, ganz im Gegenteil. Aber dazu brauchen die Schu-
len mehr Freiheiten und weniger KMK; da bin ich ganz
sicher.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben in Deutschland eine merkwürdige Debatte.
Wir tun immer so, als brauchten wir entweder bessere
Abiturienten oder mehr Abiturienten.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Mehr bessere!)


Das ist eine unsinnige Alternative. Wir brauchen beides.
Das Gleiche gilt auch für andere Schulformen.


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Ich kann ja verstehen, dass Sie den Unterschied zwi-
schen 40 Prozent Hochschulbedarf in der Wirtschaft
und 18,5 Prozent Abiturientenquote in Bayern nicht
verstehen wollen. Das hat vielleicht etwas mit Ihrem
Mathematikunterricht zu tun; daran kann ich nichts än-
dern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Peinlich ist das, Herr Gabriel!)


– Ich finde es auch peinlich, wenn jemand den Unter-
schied nicht erkennt.

Aus meiner Sicht werden wir am Ende vermutlich von-
einander lernen müssen. Ich höre, in weiten Bereichen
gibt es die Vermutung, dass die Leistungsniveaus in den
süddeutschen Ländern höher liegen als in anderen Län-
dern.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist so!)

Gleichzeitig stellen wir fest, dass eine Reihe dieser Län-
der, insbesondere Bayern, es nicht schaffen, auch genug
Kinder zu dieser Leistung zu bringen. Was nützen uns
höhere Leistungen, wenn wir nicht mehr Kinder dazu be-
fähigen, sie auch zu erreichen?


(Ulla Burchardt [SPD]: Ja! Auslese!)

Dann wird uns doch, trotz aller Wahlkämpfe, wohl nichts
anderes übrig bleiben, als voneinander zu lernen: die ei-
nen von den Leistungsniveaus der anderen, die anderen
von der Förderung der Kinder, damit möglichst viele
diese Leistungen erreichen. Voneinander lernen, das ist
das, was wir mit PISA erreichen sollten. Das ist etwas an-
deres als Bundestagswahlkampf. Es ist eigentlich genau
das, was wir von unseren Kindern erwarten: nichts ande-
res, als voneinander zu lernen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424200500
Ich erteile das Wort
Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1424200600
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Sie wissen, dass die FDP die Kultusminister-
konferenz für die unbeweglichste, ineffizienteste und am
parteipolitischsten agierende Institution unseres Gemein-
wesens hält. Ohne Ihnen, Frau Dr. Schavan und Herr
Gabriel, zu nahe treten zu wollen: Sie haben uns gerade
ein Beispiel dafür gegeben, wie sehr Sie sich in diesem




Ministerpräsident Sigmar Gabriel (Niedersachsen)


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Gremium gegenseitig blockieren und wie sehr es nötig ist,
dass wir die Kultusministerkonferenz neu ordnen.


(Beifall bei der FDP)

Individuelle Förderung für alle, Qualitätsverbesserung,

Leistungsorientierung, Erziehung zu Werten, Engagement in
unserer Gesellschaft sowie Freiheit für Forschung und Wis-
senschaft, das sind die liberalen Eckpunkte dieser Debatte.
An diesen messen wir Ihre Bilanz und Ihre Behauptung,
Herr Bundeskanzler, dieses Land modernisiert zu haben.

Was haben Sie wirklich erreicht? Was haben Sie ver-
sprochen und was ist daraus geworden? Sie haben zwei
große finanzielle Projekte angekündigt: die Verdoppelung
der Investitionen für Bildung und Forschung und die
Schaffung eines elternunabhängigen BAföG. Aus der
Verdoppelung wurden 21,6 Prozent – eine erstaunliche
Leistung; fast PISA-gerecht, muss ich sagen – und aus
der BAföG-Reform wurde die größte Niederlage Ihrer
Ministerin.


(Beifall bei der FDP)

Sie haben die Studenten eben nicht finanziell unabhängig
vom Elternhaus gemacht. Sie haben die soziale Ungleich-
heit der Familienverhältnisse eben nicht ausgeglichen.
Die große Strukturreform, die Sie angekündigt haben,
verkümmerte zu einer Anpassung der Bedarfssätze und zu
sehr bemerkenswerten Auftritten von Frau Bulmahn mit
Guildo Horn. Die Bildungslandschaft Deutschlands ha-
ben Sie damit nicht verändert. Gerade einmal 17 Prozent
eines Jahrgangs schaffen den Hochschulabschluss. Das
deutsche Bildungssystem bildet zu wenig Qualifizierte
aus, und diese auch noch schlecht.

Damit wären wir bei Ihrem Anspruch, Herr Schröder,
das Land modernisiert zu haben. Erziehung beginnt
bereits vor der Schule. Hier hat Deutschland erhebliche
Defizite. Wo waren eigentlich in den letzten vier Jahren
Ihre Vorschläge zur Vorschulerziehung? Wo war Frau
Bulmahn bei der Novellierung der Ausbildung der Erzie-
herinnen? Wo war Frau Bergmann bei der Debatte über
die vorschulische Förderung im Kindergarten?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Grundstein für die Bildung unserer Kinder wird in
den ersten Lebensjahren gelegt. Sie haben das soeben
vollmundig erklärt. Betreuung ist gut, aber zu wenig,
wenn wir Bildungsanstrengungen wirklich ernst nehmen.

Wie wahr das ist, sehen Sie, wenn Sie die Situation in
den Grundschulen betrachten. Wir wissen, dass der
Grundschulbereich in Deutschland deutlich unterfinan-
ziert ist. Wir geben ungefähr 3 000 Euro pro Grundschüler
und Jahr aus. Schauen Sie sich Frankreich und die
Schweiz an – ich brauche in diesem Zusammenhang nicht
in die unterschiedlichen Bundesländer zu schauen –: Dort
werden 5 000 Euro ausgegeben. Angesichts der Defizite,
mit denen die Kinder in unsere Schulen kommen und die
wir alle erkennen, sind die Aufgaben wirklich enorm.

Nur ein Beispiel: Die Berliner Schulbehörde testete fast
10 000 Schulanfänger. Ergebnis: Nur jeder dritte spricht
ausreichend deutsch. Ich frage mich, ob das die Folge der
von SPD und CDU/CSU eben so hoch gelobten Bildungs-

politik ist. Wir brauchen nämlich Sprachförderung in den
Kindertagesstätten, also vor der Einschulung, wenn die
Bildungskarriere nicht schon in der ersten Klasse enden
soll.


(Beifall bei der FDP)

Qualität ist das Zauberwort. Wie wenig das in

Deutschland gilt, hat die PISA-Studie gezeigt. Hochbe-
gabte – da stimme ich Ihnen, Frau Schavan, ausdrücklich
zu – werden nicht genug gefordert, Lernschwache nicht
genug gefördert. Beide werden in den Schulen oft gar
nicht erkannt. Selbst unsere guten Schüler sind im inter-
nationalen Vergleich nur Mittelmaß.

Schule muss eine verlässliche Qualität von Bildung lie-
fern. Deshalb haben wir Qualitätsagenturen vorgeschla-
gen. Wir wollen Vergleichstests durchführen, damit das
Gehakele der Länder untereinander aufhört und wir wirk-
lich nachprüfbare Ergebnisse bei einem Vergleich unserer
Schulen haben.


(Beifall bei der FDP)

Ich stelle mit Erstaunen fest, dass die Kultusminister zwar
vehement miteinander streiten können, sich auf richtige
Ergebnisse aber nur mit der Langsamkeit einer Schnecke
zubewegen.

Der Bundeskanzler hat eben noch einmal vollmundig
von seinem Programm „4 Milliarden Euro für die Ganz-
tagsschulen“ gesprochen. Ich hoffe sehr, Frau Bulmahn,
dass dieses Versprechen langfristiger und fundierter ist
als das Versprechen vom letzten Sommer bezüglich der
Laptops, das auch in der Versenkung verschwunden sind,
übrigens zur gleichen Jahreszeit.

Auch wir wollen mehr Ganztagsschulen als flächen-
deckendes Angebot. In Rheinland-Pfalz setzen wir dies
bereits um. Nur wäre es wesentlich seriöser, wenn Sie
gleichzeitig die Gemeinden entlasteten; denn diese tragen
die Folgekosten. 4Milliarden Euro, das hört sich nach viel
an. Geteilt durch 10 000 Schulen, an die dieses Geld
fließen soll, ergibt dies gerade einmal 400 000 Euro. Das
reicht vielleicht gerade einmal für die berühmten Suppen-
küchen in den Schulen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie können ja darauf verzichten!)


Mit den Folgen lassen Sie die Gemeinden allein;

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist eine Landesaufgabe! Sie können dankbar sein, dass der Bund dafür Geld gibt!)


denn auch die Gemeindefinanzreform ist von Ihnen in
dieser Legislaturperiode nicht in Angriff genommen wor-
den. Wir werden ein Strohfeuer bekommen – da können
Sie sich noch so sehr erregen –, das uns Investitionsruinen
beschert, nicht aber die anspruchsvollere Schule, die sich
die Menschen hier wünschen.

Lassen Sie mich noch kurz etwas zum Thema Berufs-
bildung sagen. Ich habe gelesen, dass Sie, Herr Bundes-
kanzler, ursprünglich sagen wollten, dass das JUMP-Pro-
gramm ein großer Erfolg war.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist es auch!)





Ulrike Flach
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(A)



(B)


Gott sei Dank ist dieses in Ihrer Rede gar nicht mehr vor-
gekommen; denn dieses Programm war kein Erfolg. Wir
alle wissen, dass es nicht gegriffen hat. Die im Vergleich
zum Vorjahr um 15,6 Prozent gestiegene Arbeitslosigkeit
– das hat Frau Schavan gerade angeführt – ist die traurige
Wirklichkeit.

Was Sie hier dargelegt haben, ist Schönfärberei; es gibt
keine Erfolgsstatistik.


(Jörg Tauss [SPD]: So geht man nicht mit den Menschen um, Frau Flach! Das ist unanständig!)


Sie haben nicht das getan, was notwendig gewesen wäre,
Frau Bulmahn. Sie hätten das Berufsbildungsgesetz re-
formieren müssen. Wo ist diese Reform geblieben? Wann
haben Sie sich in dieser Legislaturperiode mit der moder-
nen Ausbildung, dem dualen System befasst?


(Jörg Tauss [SPD]: Wo waren Ihre Anträge dazu?)


– Lieber Herr Tauss, ich empfehle Ihnen, einmal in die
Unterlagen des BMBF zu schauen. Dann hätten Sie Gele-
genheit, festzustellen, dass hierin einer der Misserfolge
dieser Bundesregierung liegt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Hochschulbereich haben Sie sich bewegt; das ist
richtig. Sie haben zwei HRG-Novellen auf den Weg
gebracht und haben zweimal gepatzt. Ich habe selten
zwei Novellen erlebt, von denen ich im Nachhinein sagen
musste: Was sollte das Ganze eigentlich? Wir haben einen
Aufstand des akademischen Mittelbaus an den Hochschu-
len. Es gibt keine Flexibilität. Wir haben keine autonomen
Hochschulen und es ist nach wie vor kein Wissen-
schaftstarif für die Menschen vorhanden, die an den Uni-
versitäten arbeiten. Genau das ist doch der Grund, wes-
halb wir keine ausländischen Akademiker in dieses Land
bekommen. Sprechen Sie doch einmal mit Vertretern von
Universitäten und Wissenschaftsorganisationen! Dann
wüssten Sie, was unter Ihrer Ägide aus diesem Standort
geworden ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: So ein Quatsch!)


Lassen sie mich zum Schluss kurz und knapp auf Fol-
gendes hinweisen: Wir Liberalen wollen eine wirkliche
Schwerpunktsetzung bei der Bildung.


(Jörg Tauss [SPD]: Wie in Hamburg!)

Wir wollen das Aufbrechen von Strukturen. Wir wollen
mehr Autonomie. Wir wollen vor allen Dingen Qualität
und das Bekenntnis zur Erziehung. Das ist mit vollmun-
digen Regierungserklärungen nicht zu erreichen.

Es ist schade, dass der Bundeskanzler schon weg ist. Es
wäre schön, wenn er einer Bildungsdebatte einmal bis
zum Schluss folgen würde.


(Jörg Tauss [SPD]: Wo ist Westerwelle?)

Reformen sind eben mehr als klingende Worte.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424200700
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424200800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
Professor Baumert, der die PISA-Studie für Deutschland
gemacht hat, in einem Interview vor wenigen Wochen ge-
fragt wurde: „Wird PISA sinnvolle Veränderungen in
Gang setzen?“, hat er folgende Antwort gegeben:

Anfangs war ich optimistisch, aber mittlerweile bin
ich skeptisch geworden. Zurzeit holen alle alte Re-
zepte heraus,

– also die Kyffhäuser-Kameradschaften –
die sie schon immer hatten, und zwar die Lehrerver-
bände gleichermaßen wie die Landesfürsten.
Die bevorstehenden Bundestagswahlen sind auch
nicht hilfreich, weil Bildung zunehmend für den
Wahlkampf instrumentalisiert wird.

An dieser Stelle hatte ich mir vorgenommen – ich will
es auch so halten –, zu sagen, wir sollten ihm beweisen,
dass er zumindest in dieser Frage nicht ganz so pessimis-
tisch sein muss, weil wir hier im Bundestag durchaus in
der Lage sind, dazu qualifiziert zu diskutieren.

Ich will jetzt auf einige Punkte eingehen, die so offen-
kundig wahlkampfmotiviert sind, dass man auf sie einge-
hen muss:

Erstens. Frau Schavan, das betrifft zunächst einmal
Sie. Wenn wir jetzt den Ländervergleich bekommen,
dann sollten wir nicht darüber diskutieren – dies ist ein ge-
flügeltes Wort –, wer in der zweiten Liga dritter oder ach-
ter wird, sondern wir sollten gemeinsam versuchen, in die
erste Liga aufzusteigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Als ich Ihnen lauschte, gewann ich den Eindruck, dass
bei Ihnen alles wunderbar ist und, wenn es alle so machen
wie in Baden-Württemberg, alles gut wird. Wer es glaubt,
wird selig, kann man da nur sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Baden-Württemberg ist es paradiesisch!)


Zur Lehrerbeschimpfung: Wer war denn der größte
Pöbler gegen die Lehrer? Das war Herr Meyer-Vorfelder.
Vergessen Sie das bitte nicht!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Zweitens. Wir brauchen keine alten Grabenkämpfe;
Herr Gabriel hat es bereits angesprochen. Die entschei-
dende Frage ist nicht, ob wir 12 oder 13 Jahre bis zum Abi-
tur brauchen, die entscheidende Frage ist auch nicht, ob
wir eingliedrig oder dreigliedrig vorgehen, die entschei-
dende Frage lautet: Wie können wir besser werden und
warum sind wir im Moment nicht gut genug? Dieser ent-
scheidenden Frage müssen wir uns gemeinsam über Par-
teigrenzen hinweg stellen. Das halte ich für sehr wichtig.




Ulrike Flach

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(C)



(D)



(A)



(B)


Drittens. Was wir ganz bestimmt nicht brauchen, sind
die fürchterlichen Vereinfacher, die allen das Blaue vom
Himmel versprechen. Frau Flach, hierbei muss ich leider die
FDP ansprechen. Dabei beziehe ich mich auf einen Artikel
aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von gestern:
„Admiral auf rauher See“. Die FDP hat im Bürgerschafts-
wahlkampf in Hamburg 750 neue Lehrerstellen verspro-
chen. Im Koalitionsvertrag haben Sie 400 neue Lehrerstel-
len versprochen. Zuletzt sagten Sie, es ginge um 150 neue
Lehrerstellen in dieser Legislaturperiode. Jetzt wurde
nachgerechnet. Was kam dabei heraus? Berücksichtigt
man die Pensionierungen, werden im Jahre 2005 in Ham-
burg weniger Lehrer beschäftigt sein als heute. Das ist die
Realität in Hamburg. Jetzt wird versucht, dafür quasi ei-
nen Beamten verantwortlich zu machen. Sie versprechen
viel und halten nichts. Das ist der gewaltige Unterschied
zu uns.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Frau Schavan, natürlich sind die intellektuelle Red-
lichkeit und die Fähigkeit zum Zuhören sehr wichtig. Man
sollte aber auch bei den Fakten und Zahlen bleiben. Da
wir im Deutschen Bundestag sprechen, rekurriere ich da-
rauf, dass wir auch über nationale Aufgaben sprechen:
Erstens. Die Ausgaben für Bildung und Forschung
wurden unter Ihrer Ägide zwischen 1993 und 1998 im
Bundeshaushalt um 360 Millionen Euro gekürzt. Zwi-
schen 1998 und 2002 wurden sie um 1,5 Milliarden Euro
aufgestockt. Das ist ein Plus von 21 Prozent. Das ist ein
gewaltiger Unterschied.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Zweitens. In den 80er-Jahren – das haben auch Sie zi-
tiert – lag der Anteil von Arbeiterkindern oder – was für
ein schreckliches Wort – der Kinder aus bildungsfernen
Schichten an den Universitäten bei 17 Prozent, danach
waren es 8 Prozent. Das heißt, während Ihrer Regie-
rungszeit ist die Anzahl der Kinder aus bildungsfernen
Schichten an unseren Universitäten halbiert worden. Sie
haben die Türen, die an unseren Universitäten in den 70er-
Jahren weit aufgestoßen worden sind, langsam wieder zu-
gemacht und das wollen wir jetzt umkehren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Drittens. Als wir an die Regierung kamen, gab es
28 Prozent Studienanfänger, jetzt sind es 33 Prozent. Das
will ich nicht alles der Regierung zuschreiben, aber der
Anstieg hat auch damit zu tun, dass wir das BAföG erhöht
haben und jetzt weitere 80 000 Studierende BAföG bezie-
hen können. Das ist nicht genug, aber auf jeden Fall ein
Schritt in die richtige Richtung.

Viertens. Die Mittel für den Austausch von Studieren-
den und Wissenschaftlern stagnierten bis 1998, also fast
während der gesamten 90er-Jahre. Seit 1998 gibt es eine
Steigerung um 52,3 Prozent. Wir reden eben nicht nur
über Internationalisierung, sondern wir meinen es ernst
und machen auch etwas zu diesem Thema.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt habe ich das, was ich einleitend sagen wollte, aus-
geführt. Wir brauchen keine Debatte darüber, wie wun-
derbar es bei uns ist, sondern wir brauchen eine Debatte
darüber, wie wir die Freude am Lernen – man kann ruhig
sagen: die Liebe zum Lernen – und die Bildungseinrich-
tungen in unserem Land wieder stärken können. Das ist
die entscheidende Frage.

Für uns Grüne gibt es in diesem Prozess drei wichtige
Leitorientierungen. Die erste ist die Zugangsgerechtig-
keit. Wir wollen, dass in unserem Bildungssystem weni-
ger selektiert und ausgegrenzt wird. Wir wollen weg von
der Selektion hin zu einer Kultur der Ermutigung und
der Zuwendung. Das macht unsere Bildungspolitik aus;
denn wir glauben: Hoffnungslose Fälle können wir uns
nicht leisten, jeder Mensch wird gebraucht. Das ist ganz
wichtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der zweite Punkt: Wir wollen, dass die Bildungsein-
richtungen im umfassenden Sinne autonom sind. Das be-
trifft die Finanz- und Personalautonomie ebenso wie die
Profilbildung. Wir wollen den Schulen ermöglichen, ei-
gene Profile zu entwickeln: die eine eher musisch, die an-
dere eher naturwissenschaftlich, die dritte eher fremd-
sprachlich. Ein wichtiges Vorbild für diese Schule der
Zukunft sind die freien Schulen, die in vielerlei Hinsicht
eine Schrittmacherfunktion übernommen und dem öffent-
lichen Schulwesen positive Impulse gegeben haben.

Der dritte und entscheidende Punkt: Wir denken die
Bildungspolitik vom einzelnen Menschen, vom Indivi-
duum her. Sie darf nicht mehr von der Institution, von der
Bürokratie her gedacht werden: So wichtig der Schulrat
sein mag, für uns sind die Kinder wichtiger; so wichtig die
Kultusministerkonferenz sein mag, für uns sind die Leh-
rer wichtiger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bildung soll junge Menschen vor allen Dingen dazu
befähigen, Orientierungen zu bekommen. Faktenwissen
ist das eine, aber mindestens genauso wichtig ist das Ori-
entierungswissen. Zukunftsfähige Bildung muss heute
junge Menschen dazu befähigen, sich in einer rapide ver-
ändernden Welt zurechtzufinden, Wandel zu nutzen und
zu gestalten und mit schwierigen Situationen umzugehen.
Gerade weil im Wissenschaftsbetrieb und im Berufsleben
Interdisziplinarität, also das Denken über Fachgrenzen hi-
naus, so wichtig ist, müssen wir diese Fähigkeiten för-
dern.

Vor allen Dingen müssen wir den jungen Leuten das
Gefühl geben, dass sie wichtig sind und selbst Wirksam-
keit entfalten können. Der entscheidende Unterschied
zwischen dem jetzt zu Ende gehenden Maschinenzeitalter
und der Wissensgesellschaft ist, dass der Stellenwert des
Individuums als Gestalter in der Gesellschaft enorm zu-
nimmt. Dies beinhaltet eine riesige Chance und das wol-
len wir fördern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Dr. Reinhard Loske
24196


(C)



(D)



(A)



(B)


Das betrifft vor allem die frühkindliche Bildung. In
der Tat haben wir lange geglaubt, man müsse die Bildung
möglichst aus dem Kindergarten heraushalten, da bis zum
sechsten Lebensjahr eine heile Welt aufrechterhalten wer-
den solle. Mittlerweile wissen wir sowohl aus der Hirn-
forschung als auch aus der Pädagogik, dass die drei, vier,
fünf Jahre alten Kinder nachgerade wie Schwämme sind,
die danach lechzen, etwas zu lernen. Wenn wir ihre kogni-
tiven Fähigkeiten ansprechen wollen, bedeutet dies keine
Verschulung des Kindergartens. Vielmehr soll er eine an-
regende, inspirierende Lernumgebung bieten. Deswegen
dürfen unsere Kindergärten keine Verwahranstalten mehr
sein, sondern wir müssen sie zunehmend zu pädagogi-
schen Einrichtungen machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aus Erfahrung mit meinen eigenen Kindern weiß ich,
dass sie es satt haben, endlos lange Mandalas auszumalen;
sie wollen im Kindergarten etwas erleben und etwas ler-
nen.

Deswegen brauchen wir Erzieherinnen und Erzieher,
die pädagogisch befähigt sind, und unterstützen Modell-
versuche wie den an der Alice-Salomon-Fachhochschule
in Berlin, wo der Abschluss eines Bachelor of Education
möglich ist. Auch bei der frühkindlichen Erziehung im
Kindergarten sind pädagogische Fähigkeiten unerlässlich.
In vielen Reden klang bereits an, dass uns unterlassene In-
vestitionen in die Bildung kleiner Kinder sehr teuer zu ste-
hen kommen und später zwei- bis dreimal so viel kosten.
Daher müssen wir mit der Erziehung früher beginnen.

In einem weiteren Punkt unterscheiden wir uns funda-
mental von der CDU: Statt Transferleistungen wie das
Kindergeld zu erhöhen oder ein unendlich teures Famili-
engeld, das utopisch ist, einzuführen, wollen wir die
Infrastruktur verbessern: Wir wollen Ganztagsschulen
und andere Angebote der Ganztagsbetreuung, damit die
Kinder optimal ausgebildet werden können. Es geht nicht
darum, die Kinder von zu Hause wegzubekommen, damit
wir unser Leben nach den Bedürfnissen der Arbeitswelt
ausrichten können, sondern darum, die Kindergärten und
Grundschulen zu pädagogischen Einrichtungen mit einem
Nachmittagsangebot weiterzuentwickeln. Wir denken
hier also nicht an eine verlängerte Aufbewahrung, son-
dern daran, wie die Schulen wieder in die Nachbarschaft
eingebunden und am Nachmittag die Sportvereine, die Ju-
gendzentren und die Kulturzentren in die Schule hinein-
geholt werden können. Joseph Beuys hat schon vor
20 Jahren davon gesprochen, wir müssten die Welt in die
Schule hineinholen. Es ist also ganz wichtig, die Schule
der Realität gegenüber nicht abzuschotten. Beispiels-
weise könnte ein pensionierter Schreinermeister den Kin-
dern beibringen, wie man schreinert, oder eine Mutter, die
ausgebildete Biologin ist, Exkursionen anbieten. Hier ist
noch unglaublich viel Kreativität möglich; die Ganztags-
schulen können mit einem sehr anspruchsvollen pädago-
gischen Konzept verknüpft werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In der Tat sind wir der Meinung, dass der Bund das mit
finanzieren muss. Normalerweise haben wir die saubere

Scheidelinie zwischen Bund und Ländern, aber wir glauben
in der Tat, dass sich der Bund bei der Ganztagsbetreuung,
bei den Ganztagsschulen und auch bei den Kindertages-
einrichtungen beteiligen muss. Wir wollen beim Ehegatten-
splitting einen Teil abschmelzen und 5Milliarden Euro pro
anno mobilisieren, die zur Förderung von Ganztagsschulen
und Kindertageseinrichtungen eingesetzt werden. Das ist
unser Konzept und wir werden sehen, ob wir das in der
nächsten Legislaturperiode realisieren können. Wir hoffen
darauf, weil es ein vernünftiger und ein guter Ansatz ist.

Zu den Hochschulen und zu den Universitäten ist eine
ganze Menge gesagt worden. Es ist klar, dass der Stellen-
wert der Fachhochschulen und der Universitäten in der
Wissensgesellschaft enorm zunimmt. Leider sind wir in-
ternational nicht attraktiv genug. Wir müssen besser wer-
den. Mit der Dienstrechtsreform, der BAföG-Reform und
der Internationalisierung der Hochschulen haben wir hier
erste Schritte gemacht. Da müssen wir noch weiter gehen.
Auch da gilt das Prinzip: Die Universitäten und Hoch-
schulen müssen autonomer werden.

Als letzten Punkt möchte ich einen Zustand ansprechen,
den ich wirklich für untragbar halte. Er hat auch mit feh-
lenden Betreuungseinrichtungen zu tun. – Herr Präsident,
ich komme gleich zum Schluss. – Im Wissenschaftsbetrieb
haben wir folgende Relationen: bei den Studienabsolven-
ten 50 Prozent Frauen, 50 Prozent Männer; bei den Pro-
motionen 70 Prozent Männer, 30 Prozent Frauen; bei den
Habilitationen 80 Prozent Männer, 20 Prozent Frauen und
bei der Berufung auf eine Professur 92 Prozent Männer,
8 Prozent Frauen. Diese Asymmetrie, dieses Ungleichge-
wicht ist nicht gerechtfertigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen ist für uns in der Bildungspolitik Frauenför-
derung immer sehr wichtig. Sie ist ein ganz zentraler
Punkt.

Ein letzter Satz: Für uns Grüne heißt es, dass wir Nach-
haltigkeit und Interdisziplinarität fördern, dass wir die
vermeintlichen Gräben zwischen Naturwissenschaften
und technischen Wissenschaften auf der einen Seite und
Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften auf der ande-
ren Seite überwinden; denn das ist ein Scheinwider-
spruch. Die Probleme, die wir lösen müssen, brauchen die
Geisteswissenschaften und die Natur- und Technikwis-
senschaften.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])

Wenn wir einen Bereich ausblenden, sind wir einäugig
und springen zu kurz.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424200900
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424201000
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Ich war gestern Nachmittag




Dr. Reinhard Loske

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(C)



(D)



(A)



(B)


und gestern Abend bei einer Gewerkschaftsdemonstra-
tion hier in Berlin,


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ach nee, das überrascht uns aber!)


an der Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler
teilgenommen haben. Die ganz klare und unmissver-
ständliche Botschaft an die Politik hieß: So kann es nicht
weitergehen im deutschen Bildungssystem.


(Beifall bei der PDS)

Ich habe mich schon gefragt, warum so wenige oder

fast keine Bundestagsabgeordneten bei dieser Veranstal-
tung waren. Man übernimmt durch die Teilnahme an ei-
ner Demonstration doch nicht alle Positionen. Auch ich
musste mir natürlich Kritik an die Adresse meiner Partei
anhören. Aber wir haben doch, verdammt noch mal, liebe
Kolleginnen und Kollegen, nicht das Recht auf so viel
Ignoranz, um einer solchen Demonstration fernbleiben zu
können.


(Beifall bei der PDS – Jörg Tauss [SPD]: Ich muss doch nicht auf Demos! Ich mache etwas, Sie fordern!)


Schließlich fiel PISA ja nicht aus heiterem Himmel. Wenn
ich in der Regierungserklärung den Satz finde, Zugang zu
Bildung sei d i e soziale Frage des 21. Jahrhunderts, kann
ich – wie andere auch – dazu nur sagen: Recht haben Sie,
Herr Bundeskanzler, aber wo nur findet sich diese Er-
kenntnis in Ihrer Politik wieder?


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist ignorant!)

Es muss Sie doch stutzig machen, dass, befragt nach der
Zufriedenheit mit der Regierungspolitik gerade auf dem
Sektor Bildungspolitik, nur 34 Prozent der Bevölkerung
angeben, sie seien damit zufrieden. Das Problem für mich
ist, seit die PISA-Studie auf dem politischen Markt ist, die
Reaktion darauf. Nehmen Sie es mir nicht übel: Ich erlebe
sie vorwiegend als eine versammelte, hoch kompetente
Ratlosigkeit. Finnland ist zum Hauptreiseland von Bil-
dungspolitikern geworden.

Wenn die Kultusministerkonferenz jetzt erklärt, als
ersten Schritt brauchten wir mehr Tests, kann ich nur sa-
gen: Ein kaputtes Auto wird nicht dadurch heil, dass man
es öfter zum TÜV schickt.


(Beifall bei der PDS)

Selbstverständlich, meine Damen und Herren, muss

der Staat nicht alles regeln. Aber Bildung, Zugang zu Bil-
dung und Chancengleichheit in der Bildung, das sind nun
einmal Kernbereiche staatlicher Verantwortung, die die
Eigenverantwortung der Schule auch nicht infrage stel-
len. Wer Bildung zur Ware macht, spaltet die Gesell-
schaft.


(Beifall bei der PDS)

Wenn die Freien Demokraten private Agenturen statt

Kultusministerkonferenz in ihrem Wahlprogramm for-
dern, dann ist das nicht nur eine schlechthin populistische
Forderung, sondern dann ist das schlicht und einfach ver-
antwortungslos. Auch die von den Christdemokraten vor-
gesehene Festschreibung von noch mehr Gliederung im

Schulwesen kann die Lösung nicht sein, denn diese Glie-
derung verfestigt soziale Ungerechtigkeit.


(Beifall bei der PDS)

Dann haben wir die vorprogrammierte Situation, dass an
den Gymnasien die künftigen Beamten, an den Realschu-
len die künftigen Facharbeiter und an den Hauptschulen die
künftigen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger ausgebil-
det werden. Eine solche Entwicklung wollen wir nicht. Wer
den Ellenbogen bei den Jüngsten zum Prinzip erhebt, zer-
stört die Solidargemeinschaft, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb lassen Sie mich auf eine Tatsache hinweisen,

die hier im Hause sicher nicht unwidersprochen bleibt.
Aber einer der gravierenden Fehler im deutschen Vereini-
gungsprozess war, dass bei der notwendigen Reform des
Bildungssystems in Deutschland in den 90er-Jahren eben
nicht DDR-Erfahrungen im Bildungssystem positiv an-
und aufgenommen wurden.


(Beifall bei der PDS)

Da gibt es eine ganze Reihe positiver Erfahrungen. Wenn
ich mit Schülervertreterinnen und Schülervertretern in Köln
oder im Westteil Berlins spreche und diese mir ihre Vorstel-
lungen von einer zukunftsfähigen, modernen Schule, von ei-
nem modernen Bildungssystem beschreiben, sage ich: Das
ist doch aber ein Großteil dessen, was wir in der DDR
praktiziert haben.


(Lachen bei der SPD – Ulrich Kasparick [SPD]: Herr Claus, was erzählen Sie denn?)


Es wäre angebracht, positive Erfahrungen auch positiv
anzunehmen, Erfahrungen mit Kindertagesstätten, mit ge-
meinsamem Lernen, mit polytechnischer Ausbildung.


(Jörg Tauss [SPD]: Mit Fahnenappell! Mit Margot Honecker!)


– Das mag Sie empören. Sie machen es sich zu leicht,
wenn Sie „mit Margot Honecker“ oder „mit Fahnenap-
pell“ rufen. Da gibt es auch vieles Positive zu übernehmen.


(Beifall bei der PDS)

Aber was in diesem Lande los ist, wie in diesem Lande

mit Osterfahrungen umgegangen wird, das hat man heute
Morgen im ZDF hören können, als ein Moderator fol-
gende Frage gestellt hat: Kann es nicht sein, dass in Meck-
lenburg oder bei uns in Deutschland die rechte Hand nicht
weiß, was die linke tut? – Das ist hier leider noch immer
der Zustand von Spaltung.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb meinen wir, dass ein wichtiger Beitrag zur Lö-

sung des Bildungsproblems tatsächlich darin bestehen
könnte, ein einheitliches Bildungssystem zu schaffen, und
zwar – auch das sei deutlich gesagt – einheitlich integriert
und nicht einheitlich gegliedert, also: in der Regel von der
ersten bis zur zehnten Klasse zusammen lernen plus indi-
viduelle Förderung. Denn integrative Schulsysteme sind
den gegliederten überlegen.

Natürlich bedarf das dann auch einer radikalen Reform
der Bildungsinhalte. Wir wollen, dass diese reformierten
Bildungsinhalte zusammen mit reformierten Bildungs-




Roland Claus
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(C)



(D)



(A)



(B)


strukturen auch rahmenrechtliche Regelungen erfahren,
die dann europatauglich sind. Es ist doch nicht hinzuneh-
men, dass Bildungsabschlüsse zwischen den Staaten in
Europa eher anerkannt werden als zwischen den Bundes-
ländern in Deutschland. Wir wissen auch: Rahmenrecht-
liche Regelungen zerstören nicht den Föderalismus.

Meine Damen und Herren, der PISA-Ländervergleich,
der jetzt in Aussicht steht, ist hier viel zitiert worden. Natür-
lich hat Ministerpräsident Gabriel Recht, wenn er sagt:

Wir wollen jetzt nicht den Wettbewerb unter den
Schwächsten aufnehmen.

Ich muss aber feststellen: Der Versuchung, diesen Wett-
bewerb zwischen den Ländern auszurufen, konnte er in
seiner Rede hier auch nicht widerstehen. Wer weit hinter
der Spitze herrennt, sollte jetzt nicht um Platzierungen
ganz hinten streiten. Das bringt nie nach vorn. Konkur-
renz unter den Schwachen hat den Schwachen noch nie
nach vorn geholfen, noch nie geholfen, stark zu werden.

Meine Damen und Herren, momentan tagt der Bun-
deskanzler mit den Ministerpräsidenten.


(Jörg Tauss [SPD]: Nein, da sitzt er!)

– Das stört doch aber meine Rede nicht. Dass er das heute
tun wird, wissen wir doch alle.

Wir rufen Sie auf: Bringen Sie gemeinsam die Courage
auf für eine Bildungsreform, die den Namen verdient! Da-
ran und nicht nur an der Ansammlung von weiteren All-
gemeinplätzen will die PDS gern mitwirken.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424201100
Ich erteile Bundesmi-
nisterin Edelgard Bulmahn das Wort.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Die Debatte und insbeson-
dere leider auch Ihre Rede, Frau Schavan, zeigen, dass Sie
nicht begriffen haben, wie ernst die Situation ist.


(Beifall bei der SPD – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Zuhören!)


Mit regionaler Kirchturmpolitik und mit dem ständigen
Zeigen auf andere kommen wir nicht weiter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Offensichtlich haben einige noch nicht begriffen, dass wir
im unteren Mittelfeld gelandet sind bzw. rangieren.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Warum regen Sie sich ein paar Tage vor der Wahl so auf?)


Die Messlatte ist für mich nicht, ob das eine Bundes-
land eventuell besser als das andere ist. Sowohl in Län-
dern mit SPD-Kultusministern als auch in Ländern mit
CDU/CSU- oder FDP-Kultusministern gibt es erhebliche
Mängel im Schulsystem.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das fällt Ihnen jetzt auf!)


Deshalb brauchen wir eine nationale Kraftanstrengung
und


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Mein Gott!)


es muss mit dem Zeigen auf den jeweils anderen Schluss
sein.

Wenn es der Bundesregierung – sie will es; das hat der
Bundeskanzler heute deutlich gesagt –, den Ländern, den
Städten und Gemeinden, den Schulen, den Eltern und den
Lehrern nicht gelingt, unser Bildungssystem in den nächs-
ten Jahren gemeinsam erheblich zu verbessern, dann ver-
sündigen wir uns an unseren Kindern und an unserer Ju-
gend.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir brauchen in unserem Land mehr gut ausgebildete
Menschen wie die Luft zum Atmen. Wir stehen heute am
Scheideweg: Entweder greifen wir auf die alten Rezepte
der vergangenen 16 Jahre zurück oder wir nutzen die
Chance, nicht nur innezuhalten, sondern auch zu handeln,


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das fällt Ihnen jetzt ein!)


weil wir eine wirklich erfolgreiche Reformpolitik wollen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Warum reden Sie von den 16 Jahren und nicht von den letzten vier?)


Ich sage Ihnen ganz klar: Diese Bundesregierung steht für
eine neue Reformpolitik.Wir wollen Reformen in unse-
rem Bildungswesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU]: Ab wann? – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ab wann wollen Sie sie denn?)


Es gehört zur intellektuellen Redlichkeit, dass man
– wenn man wirklich ernsthaft will, dass das Bildungssys-
tem besser wird – allerdings auch Fakten zur Kenntnis
nimmt. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass diese Bun-
desregierung, meine Herren und Damen von der Opposi-
tion, den Haushalt für Bildung und Forschung in den ver-
gangenen Jahren um über 21 Prozent erhöht hat.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Damit haben wir es geschafft, die Bildungspolitik wieder
in das Zentrum der politischen Debatte und des Regie-
rungshandelns zu stellen. Ich kann es Ihnen nicht ersparen,
Sie daran zu erinnern, dass dieser Haushalt von 1993 bis
1998 – während Ihrer Regierungsverantwortung – gekürzt
worden ist. Er wurde zum Steinbruch für den Finanzminis-
ter gemacht.


(Jörg Tauss [SPD]: Traurige Wahrheit! – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: In den letzten Jahren ist in Deutschland überhaupt nichts passiert!)





Roland Claus

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(C)



(D)



(A)



(B)


Der Haushalt für Bildung und Forschung ist in diesem
Haushaltsjahr so hoch wie niemals zuvor. Das ist gut so;
denn das war notwendig.


(Beifall bei der SPD – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Diese Arroganz!)


Liebe Frau Schavan, zur intellektuellen Redlichkeit
– man darf nicht nur über Werte reden, sondern man muss
sie auch leben –


(Beifall bei der SPD – Friedrich Merz [CDU/ CSU]: Oh! Warum so aufgeregt?)


gehört auch, dass zum Zeitpunkt unserer Regierungsüber-
nahme über eine halbe Million junger Menschen unter
25 Jahren ohne Ausbildung und ohne Job waren und dass
wir es mit einem wirklich ziemlich anstrengenden Kraft-
akt – mit dem Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosig-
keit, dem JUMP-Programm – geschafft haben, rund
400 000 jungen Menschen die zweite und dritte Chance zu
geben, die sie brauchten.


(Beifall bei der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Warum steigt die Jugendarbeitslosigkeit?)


Wer hierbei, wie der Kanzlerkandidat Stoiber, von Ak-
tionismus redet,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Damit hat er Recht!)


zeigt damit, wessen Geistes Kind er ist. Die jungen Leute,
die die zweite und dritte Chance ergriffen haben, sind
dankbar dafür und nutzen sie.


(Beifall bei der SPD)

Wem es egal ist, ob diese jungen Leute auch mit 30 noch
ohne Chance, Beruf und Beschäftigung sind, kann aller-
dings so weitermachen, wie Sie in den 90er-Jahren ver-
fahren sind.


(Beifall bei der SPD – Ulrike Flach [FDP]: Bei Ihnen ist aber doch nichts passiert!)


Da es nicht ausreicht, auf ein Sofortprogramm zu set-
zen, liebe Frau Flach – auch das muss man zur Kenntnis
nehmen –, haben wir in den letzten vier Jahren parallel
dazu 55 Berufe modernisiert und 18 Berufe neu geschaf-
fen. Ich sage Ihnen ganz offen: Ein Gesetz zu verändern
ist nicht der entscheidende Punkt, weil das alleine nichts
nützt, sondern es kommt darauf an, dass wir unsere beruf-
liche Ausbildung so verändern – das haben wir getan, das
werden wir auch weiterhin tun –, dass die Jugendlichen
eine hervorragende Ausbildung erhalten, mit der sie an-
schließend die besten Beschäftigungschancen haben. Wir
haben die berufliche Ausbildung verbessert, damit die Be-
triebe ein Interesse haben auszubilden.

Ich sage ganz klar: 70 000 Ausbildungsplätze in der
IT-Branche sind ein Erfolg. Das zeigt, dass diese Maß-
nahmen wirken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich darf daran erinnern, dass die Zahl bei 14 000 Plätzen
lag, als ich dieses Amt übernommen habe. Sie haben viel
zu lange zugelassen, dass Zigtausende von Jugendlichen

aus der Schule in die Arbeitslosigkeit gerieten. Wir ge-
währleisten, dass jeder Jugendliche ein Ausbildungsplatz-
angebot bekommt. Dazu stehen wir; dazu werden wir
auch in Zukunft stehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen in einem Land mit der wirtschaftlichen Be-
deutung Deutschlands für mehr exzellent ausgebildete Men-
schen sorgen. Deshalb haben wir das BAföG reformiert. Sie
haben es in den Jahren vorher in Grund und Boden gewirt-
schaftet; das wissen Sie. Wir haben mit der Einführung von
Bildungskrediten und dem Verbot von Studiengebühren für
das Erststudium dafür Sorge getragen, dass junge Men-
schen wieder studieren können, auch wenn ihnen keine
goldene Kreditkarte in die Wiege gelegt worden ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass jetzt nach vielen Jahren Stillstand und sogar
Rückschritt endlich wieder mehr Jugendliche studieren,
dass der Anteil der Studierenden um knapp 5 Prozent ge-
stiegen ist, ist ein Erfolg. Das reicht mir aber noch nicht
aus, um es klar zu sagen. Das ist allerdings ein gutes Zwi-
schenergebnis. Wir müssen hier 40 Prozent erzielen. Des-
halb müssen wir auf diesem Weg weitermachen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Mittel für den wissenschaftlichen Nachwuchs ha-
ben wir seit 1999 um mehr als ein Drittel erhöht. Ich sage
Ihnen ganz klar: Wir reden nicht nur über Begabtenförde-
rung und über die Förderung der Exzellenten. Wir sind die
Bundesregierung, die es tut, die handelt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vorher war davon nichts festzustellen. Über Jahre hinaus
sind auch unter Beteiligung der FDPan der Regierung, liebe
Frau Flach, die Mittel hierfür nicht aufgestockt worden.

Zur Bildung gehört, dass man sich einen Haushalt nicht
nur anschaut, sondern auch die Zahlen lesen kann. Wenn
Sie das tun, dann werden Sie feststellen: Wir haben den
Etat für die Begabtenförderung in unserem Land um
36 Prozent erhöht. Für mich ist das kein Widerspruch. Ich
will, dass alle Kinder und Jugendlichen die besten Bil-
dungschancen erhalten. Dazu gehört, dass ich mich ge-
nauso um die Benachteiligten wie um die besonders Be-
gabten kümmere. Das ist das Kennzeichen unserer Politik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben die Leistungsfähigkeit unserer Schulen und
Hochschulen gesteigert, die Hochschulbauförderung auf-
gestockt, aber zum Beispiel auch Forschungszentren auf-
gebaut, die Studienbedingungen verbessert und für mehr
Internationalität gesorgt, weil das eine der wichtigen Her-
ausforderungen ist. Endlich kommen wieder mehr Studie-
rende aus anderen Ländern zu uns. Auch in diesem Punkt
bitte ich Sie, die Fakten und Zahlen zur Kenntnis zu neh-
men. Bis zum Jahre 2001 ist der Anteil der echten auslän-
dischen Studierenden um 20 Prozent gestiegen. Nach den
neuesten Umfragen können dazu noch einmal 15 Prozent




Bundesministerin Edelgard Bulmahn
24200


(C)



(D)



(A)



(B)


addiert werden. Das heißt, wir sind auch hier endlich ei-
nen Schritt weitergekommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn ich dann höre, liebe Frau Flach, dass Sie einen

Wissenschaftstarif fordern, dann kann ich nur sagen:
Guten Morgen! Ich fordere diesen Wissenschaftstarif seit
drei Jahren.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Aber Sie setzen ihn nicht durch!)


Leider muss ich feststellen, dass auch das von der FDP-
regierte Bundesland Baden-Württemberg, in dem Frau
Schavan Bildungsministerin ist, genau dies bei der Län-
dertarifgemeinschaft blockiert. So ist das.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben eine ganze Menge erreicht. Aber es gibt
noch ungeheuer viel zu tun. Pisa steht für uns in Deutsch-
land nicht mehr nur für einen schiefen Turm, sondern für
ein Bildungssystem mit schwerer Schlagseite. Dem Turm
können wir seine Schieflage getrost überlassen. Aber in
der Bildung müssen wir vieles wieder geraderücken. Un-
ser Schulsystem produziert nicht nur schwache Leistun-
gen. Es ist auch ungerechter als alle anderen Schulsys-
teme. In keinem vergleichbaren Land entscheidet die
soziale Herkunft so sehr über den Schul- und den Bil-
dungserfolg eines Menschen wie in unserem. Das darf
nicht sein. Das müssen wir gemeinsam ändern. Ange-
sichts dieses alarmierenden Befundes können wir nicht
einfach zur Tagesordnung übergehen. Deutschland darf
sich nicht mit einer Position im OECD-Mittelfeld zufrie-
den geben. Wir müssen wieder Spitzenwerte erreichen.
Deutschland muss unter die ersten Fünf kommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung hat deshalb nicht lange nach Zu-
ständigkeiten gefragt, sondern gehandelt, und zwar schon
vor der PISA-Studie. Ich habe 1999 das Forum „Bildung“
geschaffen und die Vertreter der Länder, Wissenschaftler,
die Sozialpartner und Eltern eingeladen. Nun liegen zwölf
Empfehlungen auf dem Tisch, aus denen hervorgeht, was
wir tun müssen. Jetzt kommt es darauf an, die Konse-
quenzen zu ziehen und zu handeln. Sie wissen, dass wir
das nur gemeinsam tun können.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt? Sie sind doch jetzt am Ende! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Pfeifen im Walde!)


Der entscheidende Punkt ist dabei die Etablierung ei-
ner neuen Lehr- und Lernkultur.Wir sind dran und wer-
den auch dranbleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden das, was wir in den letzten vier Jahren erfolg-
reich auf den Weg gebracht haben, fortsetzen; denn ich
will nicht, dass alles, was wir an Zwischenerfolgen und
Erfolgen erreicht haben, wieder zerstört wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen Schulen, in denen unsere Kinder mit
Freude und Neugier lernen, in denen ihr Wissensdurst, vor
dem sie in einem bestimmten Alter nur so sprühen, am
Leben gehalten wird und in denen eine persönliche Atmo-
sphäre und keine Angst vor Selektion und Auslese
herrscht. Kindergärten und Grundschulen bilden die Grund-
lage für eine gute Bildung und Ausbildung unserer Kinder.
Ihnen müssen wir mehr Aufmerksamkeit widmen. Wir
müssen deshalb auch stärker in unsere Grundschulen in-
vestieren.

Wir brauchen Schulen, in die auch die Lehrer und Leh-
rerinnen gerne gehen und in denen sie mit Motivation bei
der Sache sind. Dafür brauchen sie auch die notwendige
gesellschaftliche Anerkennung, und zwar auch von denje-
nigen, die politische Verantwortung tragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir brauchen Schulen, in denen Lehrer, Eltern und
Schüler vertrauensvoll zusammenarbeiten, in denen die
Einhaltung von Werten und Normen nicht nur in Sonn-
tagsreden gefordert, sondern auch gelebt wird. Wir brau-
chen Schulen, in denen Leistung gefordert und gefördert
wird. Kinder wollen schließlich etwas leisten. Sie saugen
das Wissen auf wie ein Schwamm das Wasser. Das Was-
ser müssen sie auch bekommen. Wir brauchen Schulen, in
denen sie Orientierung erhalten, damit sie sich in unserer
Welt, die immer komplexer und komplizierter wird, zu-
rechtfinden.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Zum Beispiel Religionsunterricht in Berlin und Brandenburg!)


Wir brauchen Schulen, in denen Lern- und Kreativ-
phasen einander abwechseln, in denen sich Zeit für die
Kinder genommen wird, in denen ihr Entwicklungsstand
berücksichtigt wird und in denen sie nach ihren jeweili-
gen Begabungen und Fähigkeiten gefördert werden. Wir
brauchen Schulen, in denen Lehrer und Eltern besser zu-
sammenarbeiten, in denen Lehrer und Schüler aufeinan-
der zugehen und in denen die Vermittlung von Werten und
die richtige Einstellung zum Wissen ein ganz selbstver-
ständlicher Bestandteil dieses Miteinanders sind. Wir
brauchen Schulen, die mitten im Leben stehen und die mit
Partnern, zum Beispiel mit örtlichen Unternehmen, mit
Jugendverbänden und mit den Kirchen, zusammenarbei-
ten, also Schulen, in denen fachliches und soziales Wis-
sen miteinander verknüpft sind, und zwar nicht nur in der
Theorie, sondern auch in der Praxis.

Das alles lässt sich in einer Ganztagsschule besser
verwirklichen. Deshalb brauchen wir mehr Ganztags-
schulen. Von diesen gibt es bisher noch viel zu wenige in
unserem Land.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Frau Kollegin Schavan, gerade solche Aussagen
wie Ihre Aussage, dass der Anteil der Ganztagsschulen in
Baden-Württemberg bei 6 Prozent liege, verärgert viele
Menschen, weil darin zum Beispiel die Zahl der Sonder-
schulen eingerechnet ist. Diese wird in keinem anderen




Bundesministerin Edelgard Bulmahn

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(C)



(D)



(A)



(B)


Land eingerechnet. Wenn man die Zahl der Sonderschu-
len herausrechnet, dann stellt man fest, dass der Anteil der
Ganztagsschulen im Bereich der allgemein bildenden
Schulen in Baden-Württemberg nur bei 2 Prozent liegt.
Das ist – ich sage es Ihnen ganz klar – viel zu wenig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb hat die Bundesregierung gesagt: Wir machen
den Ländern ein Angebot. Wir bieten den Ländern an,
dass wir sie beim Aufbau von Ganztagsschulen unter-
stützen. Wir wissen, dass wir in Ganztagsschulen besser
individuell fördern können – das ist genau das, was not-
wendig ist –, fachliches und soziales Wissen besser mitei-
nander verknüpfen können, weil wir Kindern und Lehrern
die Zeit geben, Erlerntes auch anzuwenden, selbst zu pro-
bieren, Sprachkompetenzen besser fördern und Sprach-
barrieren abbauen können.

Lernen braucht Zeit. Lernen braucht auch einen ande-
ren Rhythmus als den 45-Minuten-Rhythmus, bei dem ein
Fach auf das andere folgt. Wir brauchen eine Schule, in der
auch musische Fächer unterrichtet werden, in der Kinder
selbst musizieren und Theater spielen können, in der sich
Phasen von Freizeitgestaltung und Lernen abwechseln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Länder, die bei der PISA-Studie wirklich gut abge-
schnitten haben – nicht nur Finnland, sondern auch zum
Beispiel Kanada –, zeigen uns, wie wir es besser machen
können.

Ich weiß, dass der flächendeckende Aufbau von Ganz-
tagsschulen eine enorme Herausforderung ist, die kein
Bundesland allein bestehen kann. Deshalb haben wir ge-
sagt: Wir unterstützen die Bundesländer dabei.

Es ist völlig klar – ich sage es noch einmal ausdrück-
lich –, dass diese Schule mehr als ein Ort ist, an dem man
sich aufhält und gemeinsam zu Mittag isst, dass sie mehr
bedeutet als die Verlängerung der üblichen Schulzeit von
fünf auf acht Stunden. Es ist die Chance, wirklich zu ei-
ner anderen Schule zu kommen, zu einer Schule, die Leh-
renden und Schülerinnen und Schülern ein optimales Um-
feld bietet.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Wir müssen dabei eines ganz bestimmt in stärkerem
Maße erreichen, als es bisher geschehen ist: Unsere Kin-
der müssen lernen, wie man sich Wissen selbstständig er-
arbeitet und in Eigenregie anwendet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Kinder mit Lernschwierigkeiten müssen die Möglichkeit
haben, etwas nachzuholen, Schwächen auch zu Stärken
werden zu lassen.

Eine Schlüsselrolle spielen dabei ganz bestimmt Leh-
rerinnen und Lehrer. Deshalb brauchen sie die Unterstüt-
zung von uns allen. Deshalb brauchen sie auch Partner.
Gute Leistung soll übrigens nicht nur in der Wirtschaft be-

lohnt werden. Auch die Leistung der Lehrerinnen und
Lehrer sollte honoriert werden. Das ist eine wichtige Ent-
scheidung, die wir treffen müssen.

Wir müssen unseren Schulen dazu auch erheblich mehr
Verantwortung geben und sie vom bürokratischen Ballast
befreien. Ich halte nichts davon, auf die 888. Vorschrift
auch noch eine 889. Vorschrift draufzupacken. Das wird
unsere Schulen nicht besser machen. Sie brauchen mehr
Verantwortung, auch mehr Eigenständigkeit, um das zu
leisten, was wir von ihnen erwarten.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Vorhin haben wir von Herrn Gabriel gehört, das müsse alles verstaatlicht werden, müsse alles zentralisiert werden!)


– Lassen Sie mich das doch sagen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: In Ihrer Rede kriegen Sie dreimal die Kurve!)


Notwendig ist eine nationale Kraftanstrengung. Dabei
geht es im Wesentlichen um vier Punkte:

Erstens brauchen wir die bestmögliche Förderung un-
serer Kinder durch die flächendeckende Einführung der
Ganztagsschule.


(Beifall bei der SPD)

Unser Angebot steht. Ich wünsche mir, dass die
CDU/CSU-regierten Länder ihre bisherige Blockadehal-
tung, die sie bei der Vorbereitung der Bund-Länder-Sit-
zung am Montag an den Tag gelegt haben, aufgeben und
sagen: Ja, wir wollen mitmachen, wir wollen gemeinsam
dafür sorgen, dass unsere Schulen und unser Bildungssys-
tem besser werden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Zweitens brauchen wir einen Kern an nationalen Bil-
dungsstandards und eine regelmäßige Bildungsbericht-
erstattung, also regelmäßige Bildungsvergleiche, und zwar
über alle Jahrgänge in allen Schulstufen hinweg. Die Frak-
tionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben zur
heutigen Sitzung einen Antrag vorgelegt, um genau dies zu
schaffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass
das, worüber wir heute diskutieren, nicht nur Schall und
Rauch ist, sondern dass wir alle gemeinsam – auch Sie in
der Opposition – diesem Antrag zustimmen, damit wir eben
nicht nur diskutieren, sondern eine wichtige Entscheidung
treffen, um zu gewährleisten, dass wir in Zukunft einen
Kern an nationalen Bildungsstandards und regelmäßige
nationale Bildungsvergleiche haben, damit wir nicht wei-
ter auf internationale Untersuchungen angewiesen sind,
um zu erfahren, wo unsere schwerwiegenden Mängel und
Defizite liegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich noch eines sagen – Frau Schavan,
auch das gehört zur intellektuellen Redlichkeit –: Den An-
trag auf einen länderinternen PISA-Vergleich hat der
Minister Zöllner gestellt, meiner Erinnerung nach SPD-
Mitglied, auch jetzt noch.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ein guter Mann!)





Bundesministerin Edelgard Bulmahn
24202


(C)



(D)



(A)



(B)


– Ein guter Mann.
Drittens müssen wir dringend die Bund-Länder-För-

derung gezielt auf die Behebung der zentralen Defizite
– das heißt, auf die Behebung der Leseschwäche und der
Defizite in der Mathematik – und die Förderung von Be-
nachteiligten fokussieren. Auch dabei üben sich CDU und
CSU zurzeit in Blockade. Ich fordere Sie auf: Geben Sie
diese Blockadehaltung auf!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schließlich wollen wir mit der „Stiftung Bildung und
Erziehung“, die der Bundeskanzler vorgeschlagen hat, ge-
meinsam mit allen Betroffenen die Neuorientierung unse-
res Bildungswesens vorantreiben. Entscheidend ist, dass
jetzt gehandelt wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dazu hatten Sie lange genug Zeit!)


Was geschehen muss, muss rasch und zügig geschehen,
wie es im „Forum Bildung“ bereits im vergangenen Jahr
gefordert wurde. Wir müssen in zehn Jahren in der Bil-
dung wieder innerhalb der ersten fünf Nationen rangieren.


(Beifall bei der SPD)

Liebe Frau Flach, die Vorschläge der Bundesregierung

liegen seit Februar vor. Wir müssen es schaffen, in zehn
Jahren wieder auf einem der ersten Plätze zu liegen, am
besten auf dem ersten Platz, aber mindestens auf dem
fünften. Das muss unser gemeinsames Ziel sein. Deutsch-
land gehört in die internationale Spitzengruppe und nicht
in das untere Mittelfeld. Dafür müssen alle Beteiligten an
einem Strang ziehen. Die Bundesregierung ist dazu bereit
und wir werden sicherlich auch die treibende Kraft blei-
ben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424201200
Ich erteile
das Wort dem Kollegen, der schon am Rednerpult steht,
Dr. Gerhard Friedrich von der CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Gerhard Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1424201300
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minis-
terpräsident Gabriel hat einen neuen Stil eingeführt. Er hat
erst zehn Minuten lang polemisiert


(Widerspruch bei der SPD)

und dann erklärt, das sei ja das Schlimme; die Leute woll-
ten diese Polemik nicht hören.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich erkläre für die CDU/CSU: Wir haben ihn nicht ge-
zwungen, hier politischen Klamauk zu veranstalten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir mögen es auch nicht, lieber Kollege Tauss, wenn Lan-
desfürsten hier auftauchen, uns belehren und dann wieder
verschwinden. Bestellen Sie ihm einen schönen Gruß.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Wo ist Herr Stoiber? Der ist noch nicht einmal gekommen!)


Des Weiteren wurde gesagt, wir hätten zusammen mit
der GEW demonstrieren sollen. Ich bin zwar kein grund-
sätzlicher Gegner von Demonstrationen, aber wir überle-
gen uns in der Regel, wofür wir demonstrieren. Ich habe ei-
nige Texte der GEW gelesen. Darin wird zum einen
gefordert, die PISA-Studie zu lesen; die Ergebnisse seien
schrecklich und peinlich. Zum anderen ist in den Texten
der GEW nach wie vor zu lesen, dass sie sich gegen einen
zu starken Leistungsdruck wehrt und gegen ständige Prü-
fungen sei.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Das heißt, da beruft sich jemand einerseits auf das Leis-
tungsprinzip, der sich aber andererseits gegen das Leis-
tungsprinzip ausspricht.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist doch Wahnsinn!)


Mit denen können wir wirklich nicht demonstrieren. Das
verwirrt doch die Menschen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss in der heu-

tigen Debatte gut zuhören, sonst überhört man, dass der
Konsens in der Bildungspolitik in den vergangenen Jahren
eigentlich zugenommen hat. Ich darf das am Beispiel des
Ministerpräsidenten Gabriel erläutern. Er hat uns zwar ei-
niges vorgeworfen, aber gleichzeitig wird seit Monaten in
der Presse darüber berichtet, dass er in Niedersachsen die
Orientierungsstufe abschaffen will.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Weil er orientierungslos ist!)


Er bewegt sich also in Richtung eines gegliederten Schul-
systems. Darüber freuen wir uns. Ich möchte nicht kom-
mentieren, wer sich auf wen zu bewegt, sondern stattdes-
sen betonen, dass der Konsens in der Bildungspolitik
zunimmt.

Es hat wenig Sinn, wenn wir uns sozusagen gegenseitig
Sonntagsreden vorhalten, während wir in der Praxis alle
unsere Sünder haben. Unsere größten Sünder, die sich viel-
leicht noch durchsetzen werden, sind die Finanzminister
der Länder. Diese haben alle festgestellt – auch die von der
PDS mit regierten Länder –, dass die Schülerzahlen ab
2005 zurückgehen werden und im Schulbereich Kürzun-
gen erfolgen sollen. Also lasst uns mit denen reden, jeder
mit denen von seiner Partei, und uns die Dinge nicht ge-
genseitig vorwerfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat in

seiner Rede gesagt, dass er stolz darauf sei, was seine
Bundesregierung und insbesondere die entsprechende
Ministerin in Sachen Biotechnologie geschafft hätten.


(Jörg Tauss [SPD]: Zu Recht!)

– Herr Kollege Tauss, ich habe nie behauptet, dass Sie al-
les falsch machen. Da ist einiges in die richtige Richtung




Bundesministerin Edelgard Bulmahn

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(D)



(A)



(B)


bewegt worden. Es ist aber unzulässig, immer nur auf das
Geld zu verweisen.


(Ulla Burchardt [SPD]: Das ist Ihnen peinlich!)


Ich empfehle Ihnen, einmal in der „Zeit“ vom 29. Mai
2002 nachzulesen. Da steht drin: „Wir verjagen unsere
Forscher“. Das hat kein Unionspolitiker, sondern der Prä-
sident der Max-Planck-Gesellschaft gesagt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

Er gibt zu, Frau Bulmahn, dass Sie ihm Geld geben, zu-
gleich beklagt er sich aber über die vielen Paragraphen.
Deshalb ist die Stimmung in der Forschungslandschaft
gar nicht gut.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Letzte Woche beim Kongress haben wir etwas anderes gehört!)


Dann wundern Sie sich, dass Sie wegen der Steigerung
der Ausgaben für Bildung und Forschung um 20 Pro-
zent in den letzten vier Jahren nicht Tag und Nacht gelobt
werden.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Freuen dürfen wir uns doch!)


Das hängt damit zusammen, dass Sie vor der Wahl eine
Verdoppelung der Ausgaben angekündigt haben. Nach
der Wahl haben Sie von 1 Milliarde DM jährlich gespro-
chen. Jetzt kommt heraus: In vier Jahren stieg der Ansatz
um 20 Prozent. Frau Bulmahn, in Bayern schafft keiner
den Hauptschulabschluss, der behauptet, Verdoppelung
sei plus 20 Prozent – wirklich nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Darauf dürfen Sie doch nicht stolz sein.


(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt will er aber Schläge!)

Noch einmal eine Anmerkung zu den Ausführungen von

Ministerpräsident Gabriel, der uns zu meiner Überraschung
vorgeworfen hat – da das ja im Wahlkampf eine Rolle spie-
len könnte, sage ich dazu noch einmal etwas an dieser
Stelle –, dass wir Studiengebühren einführen wollen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja, das wollt ihr!)


Wir diskutieren darüber, Herr Kollege. Bevor aber der Herr
Gabriel uns deswegen kritisiert, sollte er mit seinem Wis-
senschaftsminister reden. Wir wissen doch alle miteinan-
der, dass sein Wissenschaftsminister ein eindeutiger Befür-
worter von Studiengebühren auch für das Erststudium ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hat er hier aber nicht gesagt!)


Da sich Herr Gabriel intern nicht durchsetzen kann, be-
schimpft er lieber uns. Vielleicht wird er nach der Wahl
verkünden, dass er sie in Niedersachsen einführt.


(Detlev von Larcher [SPD]: Nein, wird er nicht!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage Ihnen noch
einmal: Erstens sind wir uns darüber überhaupt noch nicht
einig und zweitens werden wir, solange die Finanzminister

nicht zusagen, dass das Geld an die Hochschulen geht, keine
Studiengebühren beschließen. Frau Ministerin Schavan, da
sind wir uns einig.


(Jörg Tauss [SPD]: So einig seid ihr euch nicht!)


Auch habe ich der Hochschulrektorenkonferenz geschrie-
ben: Solange die Hochschulrektorenkonferenz keine Studi-
engebühren fordert, beschließen wir doch keine Zwangs-
bereicherung. Sonst demonstriert zum Schluss noch ein
Rektor einer Hochschule gegen uns, weil wir ihm Geld zu-
weisen. Erst müssen die das fordern, dann denken wir
ernsthaft darüber nach.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dabei brauchen wir – das wissen wir alle – auch eine so-

ziale Abfederung. Ich garantiere Ihnen – auch in Kenntnis
der internen Diskussion –, dass ich absolut der Meinung
von Frau Schavan und Ihres niedersächsischen Wissen-
schaftsministers bin, dass wir die Hochschulfinanzierung
umfassend prüfen müssen. Das wird zwar nicht in den
nächsten ein bis zwei Jahren zur Einführung von Studien-
gebühren führen, aber irgendwann werden wir uns ent-
scheiden müssen.


(Jörg Tauss [SPD]: Wofür?)

Meine Damen und Herren, ich möchte auf die PISA-

Studie zurückkommen und ein paar Dinge dazu sagen, die
hier noch nicht erwähnt wurden. Zunächst einmal sind wir
uns einig – das wurde hier schon betont –, dass wir Pro-
bleme haben, Kinder aus sozial schwachen Familien aus-
reichend zu fördern. Damit nicht immer nur die Lehrer als
Versager dastehen, möchte ich hier auch einmal festhal-
ten, dass sich die Kinder zunächst einmal in ihrer Familie
befinden. Das heißt, dass es als Erstes Probleme in den
Familien gibt und die Lehrer es nicht schaffen, die in den
Familien vorhandenen Defizite in der Grundschule wie-
der zu reparieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir alle sind doch Sünder. Ich bin berufstätig, meine
Frau ist berufstätig. Wir haben kaum eine Chance, die
Kinder zu kontrollieren, wenn sie stundenlang am Com-
puter spielen oder fernsehen. Wenn wir sie dann in die
Schule schicken, haben die Lehrer Probleme. Vor die-
sem Hintergrund dürfen wir doch nicht nur die Lehrer
beschimpfen. Da ist doch einiges in den Familien nicht
in Ordnung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Herr Ministerpräsident Gabriel hat uns vorgeworfen
– das passt gut zu dem, was ich noch sagen wollte –, dass
wir im Wahlkampf eventuell – das ist nicht meine Ent-
scheidung – über das Zuwanderungsrecht reden werden.
Das hat insofern etwas mit PISA zu tun, als viele Migran-
ten- und Flüchtlingsfamilien zu den einkommensschwa-
chen, bildungsfernen Haushalten gehören. Ich kann mich
noch daran erinnern, dass mein Freund Beckstein, der
künftige Bundesinnenminister,


(Zurufe von der SPD: Oh!)





Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)

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(C)



(D)



(A)



(B)


einmal wüst beschimpft worden ist, als er in einer Ein-
wanderungsdebatte gesagt hat: Wer eingebürgert werden
will, der muss erst einmal Deutsch können.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Der Gedanke, dass Integration Teil des Ausländerrechts
sein muss, ist inzwischen Allgemeingut; Sie haben diesen
Gedanken übernommen.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was spricht man eigentlich in Bayern?)


Zur Integration gehört zumindest die Beherrschung der
deutschen Sprache.

Neulich war ich beim BDI. Dort musste ich über das
Zuwanderungsrecht diskutieren. In § 45 Ihres Zuwande-
rungsgesetzes steht, dass sich, wer eine Verlängerung sei-
ner Aufenthaltsgenehmigung erhalten möchte, entweder
einfach in deutscher Sprache verständigen können oder an
einem Integrationskurs teilnehmen muss.


(Jörg Tauss [SPD]: Sind Sie jetzt auch dafür?)

Was ist, wenn eine Verwaltung feststellt, dass es einen
Ausländer gibt, der weder freiwillig die deutsche Sprache
lernt noch einen Integrationskurs besucht? Wissen Sie,
worin die „schreckliche“ Sanktion besteht, die Sie und
nicht wir beschlossen haben? Dieser Ausländer wird erst
über die Folgen der Nichtteilnahme an einem Integrati-
onskurs belehrt, dann wird er heimgeschickt und seine
Aufenthaltsgenehmigung wird verlängert. Er wird wei-
terhin dafür sorgen, dass seine Familie, seine Frau und
seine Kinder, von der westlichen Zivilisation abgeschirmt
werden.


(Susanne Kastner [SPD]: Lassen Sie doch einmal diese Ausnahmefälle!)


Es gibt Fundamentalisten, die über diesen Staat lachen,
wenn Sie solche Vorschriften beschließen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der CSU gibt es auch Fundamentalisten!)


Sie erzwingen Integration nicht, sondern Sie betteln da-
rum. Wenn Integration nicht stattfindet, wenn ein Auslän-
der also nicht an Sprachkursen teilnimmt, dann unterneh-
men Sie nichts außer einem Beratungsgespräch.

Uns ist vorgeworfen worden – ich spreche jetzt einmal
kurz als Bayer –, dass unsere Abiturientenquote zu nied-
rig ist. Dem stimme ich zu.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Bayerisch oder in Hochdeutsch?)


Bei mir in Erlangen ist die Abiturientenquote allerdings
zu hoch; da will jeder seine Kinder aufs Gymnasium
schicken. Aber es gibt einige Regionen – Niederbayern,
Oberpfalz –, wo man – das könnte ich mir vorstellen – mit
Bildungswerbung mehr junge Menschen zum Abitur
führen könnte.


(Ulla Burchardt [SPD]: Das sind die vernachlässigten Regionen in Bayern mit hoher Arbeitslosigkeit!)


– Moment einmal.
Wir stellen gemeinsam fest, dass die Anforderungen

der Wirtschaft an die Arbeitskräfte steigen; deshalb brau-
chen wir eher mehr Abiturienten als weniger. Gleichwohl
bin ich nicht bereit, dem Antrag der Fraktionen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen in diesem Punkt zuzustim-
men. Denn erstens hat Ministerpräsident Gabriel gesagt:
Wir brauchen zweierlei, mehr Menge und mehr Qualität.
In Ihrem Antrag ist aber nur von mehr Menge die Rede.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nein!)

– Wenn Sie „mehr Qualität“ vergessen haben, dann
schreiben Sie es einfach noch hinein!

Zweitens. Sie geben das Ziel einer Abiturientenquote
von mindestens 40 Prozent vor. Es gibt Länder, die auf
eine Abiturientenquote von 44 Prozent oder 45 Prozent
stolz sind. Ich möchte einmal wissen – eine Untersuchung
darüber würde mich interessieren –, wie viele dieser Stu-
denten ihr Studium abbrechen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

Die Abbrecherquote bei uns liegt bei bis zu 50 Prozent. Es
hat also keinen Sinn, Abiturientinnen und Abiturienten zu
produzieren, die das Studium nicht schaffen, Herr Kollege
Tauss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Noch einmal: Im Prinzip ist es besser, wenn es in Zu-
kunft mehr Studierende als bisher gibt. Es sollte aber
keine rein quantitativen Vorgaben geben. Wir sind nicht
bereit, die Menge zulasten der Qualität zu steigern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wie kommen die hohen Abiturientenquoten zustande?

Viele Länder, vor allem SPD-regierte Länder, haben noch
nicht einmal eine zentrale Abiturprüfung eingeführt.
Wissen Sie, was das im Bereich des Fußballs bedeuten
würde? Der Trainer stellt am Ende des Fußballspiels fest,
ob seine Mannschaft das Spiel gewonnen hat.


(Lothar Mark [SPD]: Das stimmt aber nicht!)

– Ja, sicher. – Die Lehrer sind die Trainer. Viele SPD-re-
gierte Länder lassen es zu, dass diese Trainer entscheiden,
ob der Schüler einen erfolgreichen Unterricht genossen
hat. Natürlich kommen sie dann zu dem Ergebnis, dass sie
einen guten Unterricht gemacht haben.

Wir brauchen nicht nur internationale Tests. Als Erstes
brauchen wir – Beispiel Nordrhein-Westfalen – ein zen-
trales Abitur.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann wollen wir einmal sehen, wie sich die Abiturienten-
quote und die Quote der Studienabbrecher entwickeln.
Man darf es sich nicht zu einfach machen.

Wir sind uns darin einig – ich finde die entsprechende
Formulierung im Antrag der Koalitionsfraktionen gut –,
dass wir im Hinblick auf die Defizite vor allem bei Kin-
dern aus sozial schwachen Familien Nachmittagsunter-
richt – ich würde sagen: Ganztagsschulen – brauchen.
Davon gibt es zu wenige. Auch in diesem Punkt sind wir




Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)


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(D)



(A)



(B)


uns einig. Wenn Sie allerdings meine Söhne fragen wür-
den, ob sie Ganztagsunterricht wollen, bekämen Sie wirk-
lich Ärger, weil sie diesen Ganztagsunterricht nicht brau-
chen.

Es gibt aber Familien, in denen die Frau und der Mann
arbeiten und in denen die Kinder noch jünger sind. Für
diese Kinder muss es eine Betreuung am Nachmittag ge-
ben. Deshalb brauchen wir neben Ganztagsschulen – wie
es in Ihrem Antrag steht – auch Ganztagsbetreuung, die
sich an der Nachfrage orientiert. Ich bin dafür, dass man
sehr klar unterscheidet: Zum einen geht es um Bildungs-
politik und zum anderen geht es um Familienpolitik.

Wir sind uns aber nicht in dem Vorschlag des Bundes-
kanzlers einig, Frau Bulmahn, auf die Schnelle 4 Milliar-
den Euro lockerzumachen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber das ist doch ein gutes Zeichen!)


– Abwarten! – Ministerpräsident Gabriel hat hier gesagt,
er verstehe nicht, dass einige unionsregierte Länder die-
ses Geld nicht annehmen wollen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Andere wollen es jetzt schon haben!)


Es war aber gerade Ministerpräsident Gabriel, der in der
Ministerpräsidentenkonferenz mit beschlossen hat, die
Mischfinanzierung in Deutschland zu reduzieren und
abzuschaffen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist doch keine dauerhafte Mischfinanzierung!)


Jetzt will er das Gegenteil.

(Jörg Tauss [SPD]: Nein!)


Er will nämlich eine Mischfinanzierung, die außerhalb
des Grundgesetzes angesiedelt ist. Das ist ja noch toller.

Ich weiß, dass dieses Problem die Menschen nicht in-
teressiert. Aber verfassungsrechtlich handelt es sich um
eine höchst problematische Angelegenheit. Ich bin dage-
gen, ständig neue Tatbestände der Mischfinanzierung ein-
zuführen. Zum Schluss wissen wir in Bayern nicht mehr,
wessen Schuld es ist, wenn die Tests negativ ausfallen:


(Jörg Tauss [SPD]: Hauptsache Ihr kassiert überall! Im Kassieren seid Ihr nicht schlecht!)


Frau Bulmahns oder Frau Hohlmeiers. Ich möchte, dass
es, wie es in einer Demokratie üblich ist, eine klare Zuwei-
sung von Verantwortung gibt. Dann haben die Wählerinnen
und Wähler die Möglichkeit, denjenigen zu bestrafen, der
Mist baut. Aber Sie verwischen mit Ihrem Vorschlag die
Verantwortung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Natürlich hat Frau Bulmahn einen Hintergedanken

nach dem Motto „Wer zahlt, bestimmt auch, was ange-
schafft wird“. Frau Bulmahn, Sie sind nicht die Oberbil-
dungsministerin und haben keine Aufsicht über die Län-
der. Jetzt wollen Sie sich Mitsprache durch Geld erkaufen.
Die Länder müssen selber entscheiden – das ist nicht
meine Sache –, ob Sie sich mit diesem Trick einkaufen
können. Ich wüsste mehrere Möglichkeiten, wie der Bund
anderweitig Geld sinnvoll ausgeben kann.

Bei dem Thema Schule fällt mir ein, dass der Bund für
Schulen im Ausland zuständig ist. Was machen aber der
Bundesfinanzminister und der Bundesaußenminister? Sie
kürzen die Mittel für die Auslandsschulen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Trotzdem hält die Frau Ministerin eine Rede über die In-
ternationalisierung des Bildungswesens und der Hoch-
schulen. Machen Sie doch erst einmal Ihre Hausaufgaben!


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber die Internationalität ist doch sehr gut vorangekommen!)


Mir tut der Bundesfinanzminister Leid, weil er ange-
sichts der Haushaltslöcher nicht mehr weiß, wo er zuerst
kürzen soll.


(Susanne Kastner [SPD]: Wer ist denn daran schuld? Wer hat das hinterlassen? Das waren Sie!)


Anschließend muss er für eine Wahlkampfaktion jährlich
1 Milliarde Euro bereitstellen. Das ist nicht solide. Die
Länder müssen entscheiden, ob sie dieses Geld anneh-
men.

In der Sache sind wir uns einig – das muss festgehalten
werden –: Wir brauchen mehr Ganztagsschulen für die
Leistungsschwachen,


(Jörg Tauss [SPD]: Ja, das nehmt ihr an! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Dann machen wir ein Projekt daraus!)


deren Anteil bei uns leider 25 Prozent beträgt. Wir brau-
chen die Ganztagsbetreuung aus familienpolitischen
Gründen.


(Susanne Kastner [SPD]: Sagen Sie das mal Frau Hohlmeier!)


Wir sind dafür, dass jeder seine Hausaufgaben macht. Für
das, was ich gerade erwähnt habe, sind die Länder zu-
ständig. Frau Bulmahn soll endlich mehr Geld für die
Genomforschung, für Exzellenzzentren an den Hoch-
schulen und für den Hochschulbau bereitstellen.


(Susanne Kastner [SPD]: Noch mehr?)

Auch auf diese Art und Weise würden die Länder entlastet.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eine letzte

Anmerkung zu einem Thema, von dem ich meine, dass
darüber ernsthaft verhandelt werden muss, obwohl es in
dieser Hinsicht auch wieder einige Hintergedanken gibt.
Wenn ich versuche, mich über die Verhältnisse in den
Ländern im Hinblick auf die Schulen zu unterrichten,
dann habe ich erhebliche Probleme, an wirklich vernünf-
tige vergleichende Statistiken heranzukommen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber hier groß reden!)


Das müssen wir ändern.
Wenn wir am 27. Juni die Ergebnisse der nationalen

Ergänzungsstudie zu PISA erhalten, dann werden wir da-
rüber diskutieren, welche Länder besser sind. In Nord-




Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)

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(A)



(B)


rhein-Westfalen gibt es sowohl Gymnasien als auch Ge-
samtschulen; wir werden feststellen, wer dort besser ist.


(Ulrike Flach [FDP]: Das haben wir schon festgestellt!)


Um das zu untersuchen, benötigen wir Vergleichsdaten.
Sie sind nicht ausreichend vorhanden. Ich meine nicht
– gemeinsam mit Frau Ministerin Schavan –, dass wir
dafür unbedingt einen Bundessachverständigenrat und
einen Bundesbildungsbericht brauchen, in dem Frau
Bulmahn die Länder wie ein Oberlehrer zensiert und
darüber belehrt, was sie alles richtig und falsch machen.


(Jörg Tauss [SPD]: Oh, oh!)

Ich unterstütze den Koalitionsantrag, wenn auch mit

einer großen Einschränkung: Die Kultusminister der Län-
der werden dringend gebeten, vergleichbare Daten zu be-
sorgen und sie zusammenzuführen, auch mit den Daten
des Bundes. Wir bitten die Kultusminister der Länder
dringend – die unionsgeführten Länder machen das oh-
nehin –: Beteiligen Sie sich weiter an solchen Vergleichs-
tests. Wir sind für den Wettbewerb der Schulsysteme der
Länder. Wettbewerb hat aber nur einen Sinn, wenn im
Ergebnis eine Qualitätskontrolle stattfindet. Eine solche
Kontrolle haben wir seit wenigen Jahren. Es ist kein Wun-
der: Die Daten und die Unterlagen sind so eindeutig, dass
der Konsens zunimmt. Wir bitten nicht nur um die Bei-
behaltung des Wettbewerbs, sondern auch um die Bei-
behaltung von Qualitätskontrolle, für die Sie sich einsetzen,
Frau Schavan. Kultusminister, die dabei schlecht abschnei-
den, werden entweder zurücktreten oder ihre Schulpolitik
ändern müssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424201400
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin
Katrin Göring-Eckardt.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

gen! Ich bin froh darüber, dass zum ersten Mal im Deut-
schen Bundestag eine Regierungserklärung zum Thema
Bildung abgegeben wurde;


(Zuruf von der CDU/CSU: Eine schwache!)

denn ich glaube, dabei geht es nicht, wie ein Ministerprä-
sident heute morgen gesagt hat, um eine Schauveranstal-
tung oder um Wahlgeschenke, sondern um eine Notwen-
digkeit.

Herr Friedrich hat gerade davon gesprochen, der Kon-
sens in der Bildungspolitik nehme zu. Angesichts der
Auseinandersetzungen, die heute stattgefunden haben und
stattfinden, glaube ich, dass der Streit im Sinne eines Wett-
bewerbs um die besten Vorschläge nicht das Schlechteste
ist und wir nicht die Konsenssoße darüber kippen sollten.

Ich will am Anfang meines Beitrages etwas anspre-
chen, worüber in dieser Debatte noch nicht geredet wor-
den ist und was nicht nachkleckern bedeuten soll. Wenn
wir über Bildung und lebenslanges Lernen sprechen, dann
müssen wir zuallererst über die Familien und über Eltern

sprechen – nicht deshalb, weil die Politik Eltern irgend-
etwas vorschreiben sollte, sondern weil Erziehung und Bil-
dung zuerst in der Verantwortung der Eltern liegen. Die
meisten Eltern wollen diese Verantwortung auch wahrneh-
men. Ich sage das auch, weil ich finde, dass wir viel von
dem, was in den Familien und in der Gesellschaft nicht
funktioniert, auf Schule und Kindergarten abschieben. Ja,
wir brauchen verantwortungsbewusste Eltern, denn die
Vermittlung von Werten und vielleicht auch von Tugen-
den kann in Kindergarten und Schule zwar verstärkt wer-
den, zuerst aber ist sie zu Hause gefragt. Ich halte es je-
denfalls für dramatisch, wenn Kinder erst bei einer
Klassenfahrt lernen, dass es vielleicht Sinn macht, ge-
meinsam mit dem Essen zu beginnen, und dass man sich
nicht drei Stück Kuchen auflädt, wenn der Kuchen dann
nicht für alle reicht.

Ja, wir brauchen Eltern, die Kindern Märchen vorle-
sen, im Kreis der Familie reden, erklären und lachen, statt
im Halbkreis vor dem Fernseher zu schweigen.

Dafür, dass Eltern Zeit und Nerven dafür haben, ist
dann aber auch die Politik verantwortlich;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

denn den Familien wird Zeit geklaut, wo sie mühsam Kin-
derbetreuung, Nachhilfeunterricht oder die Fahrt zur Mu-
sikschule organisieren.

Da sind wir dann, Frau Schavan, auch schon bei der
wirklichen Situation im Ländle, die Sie hier ein bisschen
zu bemänteln versucht haben.


(Jörg Tauss [SPD]: Schönzureden!)

Denn alles das, was Sie hier gesagt haben, klingt zwar
ganz gut; was Sie in Baden-Württemberg tun, ist aber
leider etwas anderes. Wenn man die Eltern dort fragt, dann
erfährt man vor allem eines: dass Eltern das Gefühl haben,
dass Sie die Situation der Familien im Land nicht ver-
standen haben, dass Sie nicht verstanden haben, wie es
den Familien geht, wie es vor allem den Müttern geht. Ihre
Statistik mit drei mehr von mehreren Tausend Schulen
– Frau Bulmahn hat darauf hingewiesen – bezieht die
Sonderschulen mit ein. Das ist eine Bilanz, die ich für eine
Bildungsministerin, die mehr als eine Wahlperiode im
Amt ist, wirklich nicht für besonders vorzeigbar halte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Reden ja, kann man dazu sagen, Handlungskompetenz
leider Fehlanzeige.

Wenn Sie über die so genannte verlässliche Halbtags-
grundschule reden, dann meinen Sie Betreuung vor und
nach der Schule, jedenfalls dort, wo die Kommunen zah-
len oder zahlen können; nach Bedarf, sagen Sie. Sie kön-
nen sich wohl nicht vorstellen, was es für Mütter heißt,
wenn der Spross um 11 Uhr vor der Tür steht und nicht
einmal ein Teilzeitjob drin ist. Das ist weder fortschritt-
liche Bildungspolitik noch ist es zeitgemäße Familienpo-
litik. Am Ende leiden vor allem die Kinder darunter, de-
ren Eltern darauf angewiesen sind, dass beide arbeiten,
und die sich dann selbst überlassen bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)





Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Was die Kinderbetreuung vor der Schulzeit angeht,
da müssen wir in der Tabelle schon ganz unten nachsehen,
wenn wir Baden-Württemberg finden wollen. Bei der
WM wären Sie mit dieser Bilanz wahrscheinlich schon in
der Vorrunde ausgeschieden.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Was soll der Quatsch? – Gegenruf des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat den Quatsch denn angefangen?)


Im Gegensatz dazu sagen wir, die rot-grüne Bundesre-
gierung, klar: Wir brauchen eine Initiative für mehr Kin-
derbetreuung, was nicht Zwangsbeglückung ist, sondern
mit einem ganz zentralen Defizit unseres Bildungssys-
tems zu tun hat. Die Tatsache, dass Kinder, Migranten-
kinder, aber auch Kinder deutscher Herkunft, die deutsche
Sprache nicht beherrschen, wenn sie in die Schule kom-
men, muss doch Folgen haben. Das kann nun wirklich
nicht mit Kompetenzgerangel und Zuständigkeiten erklärt
werden. Natürlich sind Bildung und Erziehung nationale
Aufgaben. Das Defizit kann auch nicht mit einem Fami-
liengeld behoben werden, das an dieser Situation über-
haupt nichts ändert. Es gibt keine Chancengleichheit in
diesem Land. Das müssen wir ändern und Rot-Grün wird
das ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen, dass in Deutschland auch die Kinder eine
Chance haben, die nicht in den heimischen Bücher-
schrank greifen können. Wir wollen, dass die Zukunft von
Kindern nicht am Geldbeutel oder am Bildungsstand der
Eltern hängt.

Dazu gehört es, dass Schulen frei und kreativ sein kön-
nen, Schulen, in denen man Lernen, Rechnen und Schrei-
ben lernt und vielleicht auch, mit 24 anderen Kindern den
gleichen Ton auf der Flöte zu finden.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Flöte muss es nicht unbedingt sein!)


Unsere Schulen müssen ihr Personal selbst aussuchen
können und über ihre Mittel verfügen können.

Schulautonomie in Baden-Württemberg – leider auch
Fehlanzeige. Im Gegenteil, die Schulen, die wirklich au-
tonom sind, die freien Schulen, haben trotz vieler Ver-
sprechen so wenig Unterstützung bekommen wie in kei-
nem anderen westlichen Flächenland. Ich finde, auch das
ist eine richtig schlechte Bilanz. In Berlin hat die PDS so-
gar dafür gesorgt, dass hier Kürzungen vorgenommen
worden sind.


(Lachen bei der PDS)

Das ist aus meiner Sicht sozialer Kahlschlag à la PDS,
weil hier nämlich Eltern der Geldbeutel aufgemacht wird,
die wirklich nichts zuzusetzen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gestern gab es in Berlin Demonstrationen von Lehre-
rinnen und Lehrern. Ich halte mich mit der Kritik an
Lehrerinnen und Lehrern und dem Wunsch nach mehr En-
gagement, mehr Bereitschaft zur Fortbildung und zu

neuen Ideen wirklich nicht zurück, gerade angesichts der
Schulsituation in Ostdeutschland. Was aber nicht geht, ist,
dass wir die Defizite der Politik auf dem Rücken der Leh-
rerinnen und Lehrer austragen, dass wir sie – das ist zum
Teil im wortwörtlichen Sinn gemeint – im Regen stehen
lassen, weil die Turnhalle undicht ist, die Landkarten ver-
altet sind, immer mehr Ausfallstunden zusammenkom-
men und Lehrermangel die Arbeit maßlos erschwert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wann sollen denn die Lehrerinnen und Lehrer ein Ohr für
die Probleme und Nöte der Kinder und Zeit für die Zu-
sammenarbeit mit den Eltern haben? In Thüringen haben
Grundschüler häufig drei Klassenlehrerinnen, weil alle
Teilzeit arbeiten. Ich weiß nicht, wie da ein Vertrauens-
verhältnis aufgebaut werden kann. Auch das ist Bildungs-
politik der Union.

Noch ein Wort zur FDP: Im Koalitionsvertrag von
Sachsen-Anhalt ist zu lesen, dass man dafür sorgen sollte,
dass in den Schulen sehr früh zensiert wird. Leistung heißt
das dann. Prima! Das wird den Kindern richtig weiterhel-
fen. Dann wissen sie gleich, wer von Anfang an aussor-
tiert wird, weil er nach Meinung der FDP nicht zu den
Leistungsträgern gehört.


(Jörg Tauss [SPD]: Das wollen die doch!)

Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist. Das, was
Sie hier vorschlagen und was Ihre Frontfrau, Cornelia
Pieper, die ja nun leider nicht Bildungsministerin werden
wollte, auf den Weg gebracht hat,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Frontfrau? Die ist fahnenflüchtig!)


ist nicht Steinzeit-, sondern sogar Eiszeitpolitik.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS SES 90/DIE GRÜNEN)

Machen wir uns doch einfach einmal die Mühe, keine

Erwachsenenmaßstäbe anzulegen, sondern das zu tun,
was Kindern wirklich gut tut und wichtig für sie ist. Jah-
relang war die Bildungspolitik ein Stiefkind der Bundes-
regierung. Der Rotstift war nicht zum Korrigieren der
Fehler, sondern zum Streichen der Mittel da.

Wie keine andere Regierung vorher haben wir die Fa-
milien unterstützt.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Mit welchem Erfolg?)


Wir haben den Bildungsetat erhöht. Aber das ist nicht ge-
nug. Wir werden den größten Notstand, die fehlende Kin-
derbetreuung und die fehlenden Ganztagsschulen, besei-
tigen. Die Haushaltslage ist schwer. Trotzdem werden wir
in den nächsten Jahren die dafür notwendigen 4 Milliar-
den Euro aufbringen.

Es ist eben so, dass Kinder soziale Kompetenz nicht
mehr allein in den Familien lernen. Denn es gibt keine
Großfamilien und oft auch keine Geschwisterkinder mehr.
Deswegen sind der Kindergarten und die Ganztagsschule
kein Notnagel, sondern von ganz zentraler Bedeutung für
die Entwicklung des Kindes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)





Katrin Göring-Eckardt
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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich komme zum Schluss. Natürlich wünsche ich mir,
dass Eltern sehr viel mehr Zeit für ihre Kinder haben. Ich
möchte, dass die Kinder türkischer Migranten und ihre
deutschen Banknachbarn beides kennen: die Märchen der
Gebrüder Grimm und die von Nasreddin Hodscha, Rot-
käppchen und Ali Baba. Ich bestehe darauf, dass Fünf-
jährige Reime kennen und nicht „Teletubbisprech“. Ge-
nau dafür – denn wir wissen, wie schön es ist, auf dem
Sofa zu sitzen und „Nils Holgersson“ oder „Die Rote
Zora“ vorzulesen – müssen wir als Politiker sorgen, in-
dem wir Rahmenbedingungen schaffen, aufgrund deren
das wirklich möglich ist, und indem wir Rahmenbedin-
gungen für die Kinder schaffen, die diese Aufmerksam-
keit zu Hause nicht bekommen. Dies sollten wir ihnen in
qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungseinrichtungen
und Schulen ermöglichen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ein Sammelsurium von Geschwätz!)


Sie können zwar so tun, als ob Sie das nichts angehe.
Aber die Bürgerinnen und Bürger werden am 22. Sep-
tember auch darüber entscheiden, ob sie in der Bildungs-
politik einen Steinbruch bzw. einen Abbau


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ein Käse!)


oder ob sie eine Politik der Zukunft wollen, womit diese
Bundesregierung begonnen hat.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424201500
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Dr.Wolfgang Gerhardt.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1424201600
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! In der letzten Runde dieser
Debatte möchte ich drei Themen ansprechen. Nach der
PISA-Studie haben wir uns gefragt: Was sollten wir ei-
gentlich an unseren Schulen tun? Was leisten sie und was
leisten sie nicht? Um es so zu beantworten: Es gibt keine
Allmachtspädagogik.

Die Kollegin von den Grünen hat mir freundlicher-
weise die Gelegenheit gegeben, meine Rede gut einzulei-
ten, indem sie auf Märchen verwiesen hat. Ich möchte
meine Kolleginnen und Kollegen an eines erinnern: an
das Märchen „Der Wolf und die sieben Geißlein“. Als
man den sieben Geißlein beigebracht hatte, auf eine tiefe
Stimme und eine schwarze Pfote zu achten, hat der Wolf
Kreide gefressen und Mehl über die Pfote gestreut. Wir
werden also an den Schulen mit „Stoffhuberei“, mit im-
mer neuen Fächern, nichts zustande bekommen, wenn wir
nicht zum Kern des Themas durchstoßen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Journalist Konrad Adam hat das einmal sehr schön
beschrieben: gegen die Verkehrsprobleme Verkehrs-
kunde, gegen die übrigen Verkehrsprobleme Sexual-
kunde, gegen die Drogenmafia Drogenkunde, gegen die

Versuche, die Verbraucher hinter die Fichte zu führen,
Verbraucherkunde! – Eine solche „Stoffhuberei“ führt uns
nicht weiter. Wir müssen im Deutschen Bundestag über
den Kern der Erziehung sprechen und darauf will ich hi-
naus.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ministerpräsident Gabriel hat einen Teil seiner Rede
auf etwas verwendet, von dem er hinterher gesagt hat, das
interessiere gar keinen.


(Zuruf von der FDP: Das ist wohl wahr!)

Wo er Recht hat, hat er Recht. Im Übrigen sind es die Men-
schen leid, als Konsequenz aus der PISA-Studie in einer
öffentlichen Debatte nur Vergleiche von Zahlen zwischen
Ländern zu hören. Das hilft uns überhaupt nicht weiter,
auch wenn es im legitimen politischen Interesse liegt,
seine Leistungen darzustellen.


(Beifall bei der FDP)

Mit diesen Zahlenvergleichen ist aber zugleich auf ein

Problem im deutschen Bildungswesen hingewiesen wor-
den: Es gibt keine Bildungslaufbahn, die so organisiert
werden könnte, dass sie automatisch, mit Sicherheitsgaran-
tie, in eine vorgezeichnete Berufslaufbahn mündet. Eine
der Perversionen des deutschen Bildungswesens ist das
Denken in Semesterwochenstunden, Lerneinheiten und
Curricularrichtwerten. Die Verdienstrechtlichung des deut-
schen Schul- und Hochschulbetriebes, die fehlende Auto-
nomie, ist das Übel in der Bundesrepublik Deutschland.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Bundeskanzler hat gesagt, Bildung umfasse Werte,

Normen und Haltungen. Das ist völlig richtig; große
Pädagogen haben schon immer gesagt, dass es an der
Schule nicht nur um Wissen geht, sondern ebenso um
Charakter und Haltung. Aber in der Geschichte der bil-
dungspolitischen Diskussionen in Deutschland hat der
Herr Bundeskanzler einen vergessen, nämlich den, der der
ganzen Nation gesagt hat, das seien kleine Sekundärtu-
genden, so als ob man sie nicht bräuchte. Heute lernen wir
aufgrund dramatischer Ereignisse, dass genau diese zivi-
len Tugenden den Kern von Bildung und Erziehung aus-
machen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Möllemann! Sekundärtugenden! – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Westerwelle und Möllemann!)


Es geht hier im Übrigen nicht nur um die Schule. Mei-
nes Erachtens ist in dieser Debatte zu kurz gekommen, dass
das Kind nicht erst in dem Moment beginnt, die Schlüssel-
qualifikationen im Bereich Bildung und Erziehung zu er-
werben, nämlich Haltung, Bereitschaft zusammenzuarbei-
ten, der Versuch, etwas Großes zu erreichen und sich eine
Lernkultur anzueignen, in dem es die Schultüte in der
Hand hält und die Schule betritt. Die Haltung eines Men-
schen beginnt sich schon sehr früh in der Biographie ab-
zuzeichnen, meist schon, bevor er einen Klassenraum be-
tritt. Deshalb ist als Konsequenz aus der PISA-Studie nicht
nur ein Qualitätsvergleich deutscher Schulen herzustellen.
Es geht auch nicht nur um Veränderungen in der Lehrer-




Katrin Göring-Eckardt

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(C)



(D)



(A)



(B)


bildung. Der Kern muss vielmehr die erzieherische Qua-
lität deutscher Familien gegenüber ihren eigenen Kindern
sein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn hier versagt wird, sind alle pädagogischen Bemü-
hungen, auch alle späteren Management-Seminare und
Hochschulstudiengänge zur Erfolglosigkeit verdammt.
Wenn es eine nationale Anstrengung geben muss, Frau
Bundesbildungsministerin, dann nicht nur in Bezug auf
die Qualität der Schulen und nicht nur über eine bil-
dungspolitische Debatte über Schlüsselqualifikationen.
Wir brauchen vielmehr eine stärkere Haltung zum klaren
erzieherischen Auftrag der Familie.

Ich erinnere mich an bildungspolitische Diskussionen,
bei denen erzieherische Aufträge nahezu als repressive
Maßnahmen gegenüber Kindern verstanden worden sind.
Das muss in einer solchen Debatte auch gesagt werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich komme zu dem dritten Kernpunkt: Alle haben ge-

sagt, die Fülle der Begabungen müsse gefördert werden,
schwächere wie stärkere. Wenn man die Fülle der Bega-
bungen individuell fördern will, dann kommt man nicht
umhin, nach Begabungen zu trennen,


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Quatsch!)


neben anderen auch gegliederte Schulsysteme anzubie-
ten und in allen Bundesländern den Eltern die Entschei-
dung zu überbelassen, welche Schulform sie für ihr Kind
bevorzugen. Es muss Wahlmöglichkeiten geben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Ach Gott, das ist die Lehre aus PISA! Sie sind ja von vorgestern!)


Wenn man fördern will, dann muss eine Auswahl beste-
hen.


(Zuruf von der SPD: Sie sind ja im Gestern stehengeblieben!)


Der Charakter einer freiheitlichen Gesellschaft zeigt sich
auch in der Fähigkeit, mit besonders Begabten umzuge-
hen und es nicht zum sozialen Konfliktpunkt zu erklären,
wenn man sich neben der Förderung von Lernschwäche-
ren auch ihnen zuwendet.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Auch sie haben einen Anspruch darauf.

Es ist gesagt worden, wir bräuchten eine nationale
Kraftanstrengung. Ja, die Freie Demokratische Partei und
die Fraktion sind dazu gern bereit. Aber wohin soll der
Weg einer nationalen Kraftanstrengung gehen?


(Jörg Tauss [SPD]: Vor allem Ihrer!)

Er wird nicht weiter in eine Verdienstrechtlichung des
Schul- und Hochschulbetriebes führen können, dieser
Weg muss beendet werden.


(Jörg Tauss [SPD]: Wo wollen Sie denn hin? Wo kommen Sie her?)


Er wird zur Qualitätsverbesserung von Schulen führen müs-
sen. Dabei darf die Fragestellung aber nicht nur auf die Leh-

rer ausgerichtet sein. Eine Schule kann nur so erfolgreich
sein, wie es die familiären Erziehungskomponenten sind.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb ist auch das Ganztagsschulangebot nicht die
Lösung aller Probleme. Aus meiner Sicht muss es eine An-
gebotsschule sein. Wenn sich Familien dafür entscheiden,
ihr Kind in eine andere Schule zu schicken, weil sie sich
im übrigen Tagesverlauf ihren Kindern selbst zuwenden
wollen, muss auch dieses Lebensmodell möglich sein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Gehen Sie mal nach RheinlandPfalz!)


Deshalb ist die Ganztagsschule für uns ein Angebot.
Sie kann einen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten,
die wir der PISA-Studie entnehmen. Ich habe aber schon
wieder das Gefühl, dass die Bundesregierung den Län-
dern 4 Milliarden Euro zur Verfügung stellen will und da-
mit meint, die gröbsten Konsequenzen aus der PISA-Stu-
die gezogen zu haben. Das stimmt überhaupt nicht. Es
kommt nicht auf die schulische Hülle an, sondern auf die
Qualität derer, die Schulen besuchen und an Schulen un-
terrichten.

Das wollte ich zu diesem Stand der Debatte sagen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424201700
Ich gebe das
Wort der Kollegin Maritta Böttcher. Sie spricht für die
Fraktion der PDS.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1424201800
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich möchte drei Probleme aufgreifen.
Erstens. Föderalismus wird in Deutschland wie ein Zau-
berwort gehandelt. Ich will aber deutlich sagen: Natürlich
gibt es die Kulturhoheit der Länder, aber sie muss auch
entsprechend wahrgenommen werden. Es muss endlich
mit der provinziellen Bildungspolitik Schluss sein. Wer
integrieren will, muss Benachteiligte und die Besten för-
dern. Beides ist ein Gebot von sozialer Gerechtigkeit.


(Beifall bei der PDS – Jörg Tauss [SPD]: Das ist richtig!)


Zweitens. Innovation im Bildungswesen ist ohne die
Partizipation der am Bildungssystem Beteiligten nicht
zu machen. Deshalb fordert die PDS eine wirksame Mit-
bestimmung von Lehrenden, Lernenden und Eltern über
die Bildungsinhalte, die Organisation von Bildungspro-
zessen und über die Ziele und Instrumente von Bildungs-
reformen. Die Entwicklung eines Kindergartens, einer
Schule, einer Universität oder meinetwegen auch einer
Volkshochschule von unten ist ein Beitrag sowohl zur Op-
timierung des Bildungsprozesses als auch zur Demokrati-
sierung der Gesellschaft.


(Beifall bei der PDS)

Drittens. Die Gebührenfreiheit des Studiums ist eine

wichtige sozialstaatliche Errungenschaft dieses Landes,
die wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen sollten und dür-
fen. In Nordrhein-Westfalen und anderswo wehren sich




Dr. Wolfgang Gerhardt
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(C)



(D)



(A)



(B)


Studierende gegen die Pläne, Studiengebühren einzu-
führen. Das ist eine klare Antwort nicht nur auf die Ge-
bührenpläne der Landesregierungen, sondern auch auf die
Politik der Bundesregierung.

Warum sollen ausgerechnet die Studierenden die Haus-
haltslöcher füllen, die durch die falsche Steuerpolitik der
Bundesregierung in den Landeskassen entstanden sind?


(Jörg Tauss [SPD]: Wir sind hier aber nicht im Landtag!)


Wir wollen Chancengleichheit statt Haushaltsausgleich.
Wer ein Haushaltsloch gräbt, soll selbst hineinfallen,
stand auf den Plakaten. Dem kann ich nur zustimmen.


(Beifall bei der PDS)

Wer im Bund die Gewinne großer Unternehmen und

hohe private Vermögen von der Finanzierung gesell-
schaftlicher Zukunftsaufgaben befreit und dafür die Stu-
dierenden zur Kasse bittet, muss sich über die Reaktionen
nicht wundern. Im Übrigen gibt es in diesem Haus eine
ganze Reihe von Langzeitstudierenden, die keinen Pfen-
nig Strafgebühr bezahlt haben, aber das nur am Rande.

Soziale Gerechtigkeit gebietet die Wiedereinführung
der Vermögensteuer und die Rücknahme der Unterneh-
mensteuerreform. Der Hochschulzugang darf nicht wieder
zum Privileg der Reichen werden. Die PDS bleibt dabei:
Wir werden uns weiterhin für ein wasserdichtes Ge-
bührenverbot stark machen, das keine Ausnahmen zulässt.


(Beifall bei der PDS)

Wir sagen ja zur Innovation in Bildung und Wissen-

schaft und durch Bildung und Wissenschaft. Wir meinen
aber ausdrücklich Innovation durch Chancengleichheit
und Demokratie.

Abschließend gestatten Sie mir eine kleine Anmer-
kung. In der heutigen „Berliner Morgenpost“ gab es einen
kleinen Beweis dafür, wie gut polytechnische Bildung
und Erziehung sein können: Die PDS sägt schneller als
die CDU. Anders ausgedrückt: Pau war beim Sägen bes-
ser als Merz.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS – Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Das versteht keiner, aber das macht nichts!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424201900
Zum Ab-
schluss dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Jörg
Tauss von der SPD das Wort.


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1424202000
Recht herzlichen Dank, Herr Prä-
sident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau
Kollegin Böttcher, das mit dem Sägen wundert mich bei
Herrn Merz nicht.

Herr Gerhardt, ich muss Ihnen ehrlich sagen, Ihre Rede
war die peinlichste bildungspolitische Rede, die ich in den
letzten Jahren gehört habe.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn wir aus den schlechten Ergebnissen der PISA-Stu-
die nichts lernen wollen, dann müssen wir genau den
Konzepten folgen, die Sie hier vorgetragen haben. Alle
Länder, die vor uns liegen, haben erkannt, dass es nicht
darauf ankommt, im frühen Kindesalter zu selektieren
und nach sozialer Herkunft zu unterscheiden,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das habe ich nicht gesagt!)


sondern darauf, alle Kinder gemeinsam zu fördern. Das,
was Sie hier erzählt haben, ist wirklich von vorgestern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Aus diesem Grund lohnt es sich auch nicht, weiter darauf
einzugehen.

Liebe Frau Schavan, ich habe Ihnen außerordentlich
aufmerksam zugehört.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/ CSU]: Verstehen muss man es auch!)


Gehört habe ich zur Bildungspolitik allerdings nichts
Neues. Eigentlich habe ich gedacht, dass ein Mitglied des
Kompetenzteams eine gewisse Aufbruchstimmung ver-
breitet, aber da hat sich nichts getan.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nicht nur zuhören, auch verstehen, Herr Tauss!)


– Ich habe gut zugehört.
Heute haben ein Bundeskanzler und eine Bundesbil-

dungsministerin klar zum Ausdruck gebracht, dass Bil-
dung eine nationale Aufgabe ist, wie wir dabei voran-
kommen wollen und was dabei konkret zu tun ist. Sie,
Frau Schavan, haben nur ein bisschen herumgeeiert. Das
war der Verlauf der heutigen Debatte, meine sehr verehr-
ten Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Moment diskutieren alle über Fußball. Das ist auch
gut so; ich bin auch Fußballfan. Es wäre aber ganz gut,
wenn wir in diesem Lande über Bildung ebenso intensiv
wie über Mannschaftsaufstellungen diskutierten. Viel-
leicht könnten wir nach PISA als Ziel formulieren – die
Bundesbildungsministerin hat es getan –, Bildungswelt-
meister zu werden. Darüber sollten wir in diesem Lande
debattieren!


(Beifall bei der SPD)

Herr Friedrich, Sie erzählten hier etwas über Biomedi-

zin und Biotechnologie. Die Ausgaben für die Genom-
forschung sind gegenüber 1998 um über 200 Prozent er-
höht worden. Bayern profitiert davon in hohem Maße,
womit Sie in Bayern gelegentlich angeben. Das ist aber
vom Bund finanziert.

Frau Flach hat kürzlich beim DIHK – das fand ich
wirklich anständig; Respekt vor Ihnen, Frau Flach – ein-
geräumt,


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sind Sie hier der Oberlehrer oder was?)





Maritta Böttcher

24211


(C)



(D)



(A)



(B)


dass es ein großer Fehler der alten Bundesregierung war,
in ihrer Zeit bei Bildung und Forschung so zu kürzen, wie
sie es getan hat. Das war einmal eine klare Aussage. Wer
eine solche Aussage trifft und sich für seine Vergangen-
heit entschuldigen muss, sollte aber nicht so reden, wie
Sie es heute hier getan haben. Das ist völlig unglaubwür-
dig. Offensichtlich fehlt es Ihnen an jeglicher Selbstkritik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nach der Rede auch von Frau Schavan ist deutlich ge-
worden, dass man Demagogen und Ideologen nicht nur
von Schulen fernhalten sollte, sondern auch in der Bil-
dungspolitik nicht akzeptieren sollte. Dafür ist die Bil-
dungspolitik zu schade.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Dann zurück an den Platz!)


Es ist übrigens auch schade, dass Herr Stoiber heute
keine Zeit findet, an dieser Debatte teilzunehmen. Auch
Herr Westerwelle hat die Zeit dafür nicht gefunden. Wo ist
er eigentlich? Herrn Westerwelle habe ich in diesem
Hause noch nie bei einer bildungspolitischen Debatte ge-
sehen. In Talkshows aber redet er, als verstünde er etwas
davon. Das halte ich nicht für korrekt, meine sehr verehr-
ten Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist ein sachkundiger Beitrag!)


So kommt es dann auch zu Uninformiertheiten. In
Ihrem Wahlprogramm fordern Sie 1 Milliarde Euro für
den Hochschulbau. Wer dieses Programm liest, könnte
erschauern. Wenn Sie in den Haushaltsplan blicken, wer-
den Sie feststellen, dass wir diese Milliarde schon hinein-
geschrieben haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist ja gut, wenn Sie in Ihrem Wahlprogramm das for-
dern, was wir schon machen; dann fordern Sie wenigstens
keinen Unfug. Das ist in diesen Zeiten immerhin etwas.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Lieb-
lingssatz von Frau Schavan lautet: „Alles hat seine Zeit.“


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Ihre Zeit ist jetzt zu Ende, Herr Tauss!)


Das bedeutet eben auch, dass Ihre bildungs- und for-
schungspolitischen Konzepte der Vergangenheit angehö-
ren. Das stoibersche Kompetenzteam kann vor diesem Hin-
tergrund allenfalls als Küchenkabinett bezeichnet werden.
Es geht Ihnen um uralte Konzepte mit einem altbackenen
Familien- und Frauenbild. Ich denke hier nur an das so ge-
nannte Familiengeld, dessen Ziel eben nicht die Verein-
barkeit von Familie und Beruf ist.

Liebe Frau Schavan, man wirft Ihnen in Baden-Würt-
temberg völlig zu Recht vor, Politik von oben herunter zu
machen, ohne die Beteiligten in Reformprozesse einzu-
binden. Sie haben manche Absicht, aber gute Absichten
bedeuten noch lange nicht gute Politik. Sie haben Fremd-
sprachenunterricht an den Grundschulen angesprochen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Die Rede hat ihm die Kampa aufgeschrieben! Die muss er hier halten! Dafür gibt es Fleißkärtchen!)


Ich glaube, dass Sie damit ein wirklich gutes politisches Ziel
formuliert haben, wie in anderen Ländern auch. Nur haben
Sie bei der Umsetzung dieser Reform weder die Eltern noch
die Lehrer oder die Schüler gefragt. Ich schildere für die
Kolleginnen und Kollegen aus anderen Landstrichen einmal
die Situation: In Württemberg wird jetzt Englisch gelehrt, in
Baden Französisch, aber dieses nicht durchgehend, sondern
an der einen Schule so und an der anderen Schule so. Sie
missachten den Elternwillen in Baden-Württemberg, Frau
Schavan. Das ist das Problem Ihrer Politik.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Jetzt bitte kräftig Beifall; das hat er verdient!)


– Eigentlich müsste jetzt Herr Fischer Beifall klatschen.
Ich lese Ihnen einmal aus einem Leserbrief Ihres Kolle-
gen Fischer an die Lokalpresse vor: „Frau Schavan miss-
achtet den Elternwillen.“ Wenn schon die CDU-Kollegin-
nen und -Kollegen solche Dinge in der Lokalpresse
schreiben,


(Beifall bei der SPD)

kann ich Ihnen, Frau Schavan, nur sagen: Redet mitei-
nander, aber machen Sie mir bitte nicht den Vorwurf, ich
würde hier etwas erzählen, was nicht der Realität ent-
spricht. Ich glaube, wenn der Stoiber-Edi zu uns auf die ba-
dischen Dörfer gekommen wäre und von dem Englisch-
und Französisch-Unterricht gewusst hätte, Sie wären nie
und nimmer ins Kompetenzteam gekommen, da bin ich
mir absolut sicher.

Bevor wir uns Ihr Chaos jetzt auch noch auf die Bun-
desebene holen – das werden die Wählerinnen und Wähler
am 22. September verhindern –, möchte ich noch ein paar
Punkte ansprechen, zunächst die Zuwanderung. Herr
Kollege Friedrich, der uns leider verlassen musste,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nein, der wollte sich Ihre Rede nicht antun!)


hat wirklich tränenreich zu diesem Thema gesprochen.
Sie haben nicht verstanden, um was es geht.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Hauptsache, Sie haben es verstanden!)


Bei Zuwanderungspolitik und Integrationspolitik geht es
darum, auch die Begabungsreserven der Kinder ausländi-
scher Herkunft für unser Land zu erschließen.


(Beifall bei der SPD)

Es geht darum, die Attraktivität und Leistungsfähigkeit
des Wissenschaftsstandorts Deutschland für ausländische
Studierende und junge Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler weiter zu verbessern. Hierzu werden wir heute
auch Anträge beschließen. Von Ihnen gibt es dazu zwar Lip-
penbekenntnisse, aber Sie tun das Gegenteil. Sie polemi-
sieren gegen die Internationalisierung in diesem Bereich.
Das ist von großem Schaden für den Standort Deutschland
und auch für den Wissenschaftsstandort Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit dieser Zündelei kommen wir nicht vorwärts.




Jörg Tauss
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(C)



(D)



(A)



(B)


Jetzt kritisieren Sie die Tatsache, dass der Bundes-
kanzler die Verantwortung dafür übernimmt und gesagt
hat: Wenn es schon nicht so klappt, wie wir es uns natio-
nal vorgestellt haben, investieren wir Geld, beispielsweise
1Milliarde pro Jahr in die Ganztagsschulen.Das ist doch
ein Wort. Ich denke nicht, dass Hans Eichel, der dort sitzt,
diese Milliarde mit frohem Herzen aus dem Etat ge-
schnitten hat. Aber unsere Finanzpolitiker und Bildungs-
politiker haben gemeinsam gesagt: Wir müssen etwas tun.
Und wir tun es.

Was haben Sie denn getan? Sie haben ein Kindergar-
tengesetz verabschiedet, in dem Sie festgelegt haben, wie
die Kindergärten im ganzen Land auszusehen haben, aber
bei der Umsetzung dieses Konzeptes haben Sie die Län-
der und die Kommunen allein gelassen. So war doch die
Situation in diesem Lande.


(Beifall bei der SPD)

Wir reden nicht nur von der Ganztagsschule, so wie Sie

von Kindergärten geredet und dann nichts getan haben;
wir nehmen 1 Milliarde für die Ganztagsschule in die
Hand. Apropos Schröder: Kennen Sie eigentlich


(Zuruf von der CDU/CSU: Kennen Sie Herrn Schröder?)


eine einzige Bildungsinitiative von Herrn Kohl in seiner
16-jährigen Amtszeit?


(Zuruf von der SPD: Wer ist Kohl?)

– Wer ist Kohl? Das war mal einer.

Frau Schavan, Sie haben sich im März 2000 für einen
Sachverständigenrat Bildung ausgesprochen. Das ist
nachlesbar.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist der Kampa-Redner!)


Das finde ich okay, das fordern auch wir mit unserem heu-
tigen Antrag, dem Sie also zustimmen können. Stimmen
Sie unserem Antrag für eine Bildungsberichterstattung
und für einen Bildungssachverständigenrat zu. Folgen Sie
der Dame aus Ihrem Kompetenzteam. Wenn Sie es nicht
glauben, lesen Sie es nochmals nach.

Kommen wir zurück zu dem, was Frau Schavan ange-
sprochen hat, kommen wir noch einmal zu den Zahlen. In
Bayern gibt es 0,4 Prozent Ganztagsschulen. Bayern bil-
det das Schlusslicht bundesweit. An 29 Schulen in Bayern
– nicht an 29 Prozent der Schulen, sondern an 29 Schulen,
davon 24 in privater Trägerschaft – wird Ganztagsunter-
richt angeboten. Zu dem Thema sollten Sie, lieber Kollege
Friedrich, besser überhaupt nichts sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu den Berufsschulen: Ich komme aus der Technolo-
gieregion Karlsruhe. Wir hatten an den dortigen Berufs-
schulen keine einzige Fachklasse für die modernen IT-Be-
rufe. Der Bund musste 250Millionen in die Hand nehmen,
um in Ihrem Land Fachklassen für moderne IT-Ausbil-
dungsberufe einzurichten. Sie sollten sich lieber für all
das, was wir hier tun, bedanken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die ZVS wollen Sie abschaffen. Darüber kann man
lange diskutieren. Meinetwegen machen Sie es. Die Län-
der sind dafür zuständig. Sie ganz allein können über ei-
nen Staatsvertrag die Sache mit der ZVS regeln. Sie brau-
chen nicht hierher zu kommen und eine Rede über die
ZVS zu halten. Dafür sind wir wirklich nicht zuständig.
Also auch hier nur Effekthascherei!


(Beifall bei der SPD)

Zu Ihren Modellprojekten in Sachen Lehrerstunden:

Ich empfehle den Journalistinnen und Journalisten in
Baden-Württemberg, sich Ihre Modellprojekte nicht nur
dann anzuschauen, wenn Sie dort sind und irgendetwas
verkünden, sondern auch ein halbes Jahr später noch
nachzusehen, was von diesen Modellprojekten übrig ge-
blieben ist. Ihr Lack, Frau Schavan, wäre ab, noch bevor
Sie überhaupt mit irgendjemandem ein weiteres Gespräch
geführt haben.


(Beifall bei der SPD)

Den Mathematikunterricht in Baden-Württemberg

wollen Sie gerade vor die Hunde gehen lassen. Sie schaf-
fen die Leistungskurse ab und reden hier über Leistung.
Einheitsunterricht in Mathematik, egal ob einer gut oder
schlecht ist – das ist die Leistungsbezogenheit des scha-
vanschen Mathematikunterrichts, liebe Kolleginnen und
Kollegen!


(Beifall bei der SPD)

Bei der Forschungspolitik lernen Sie gerade; das ma-

che ich Ihnen nicht zum Vorwurf. Dennoch zitiere ich den
baden-württembergischen Technologierat, der gesagt hat,
man müsse im Bereich der Forschung in Baden-Würt-
temberg mehr tun, die Landesregierung solle nicht weiter
bei der Forschung kürzen. Dafür ist nun wirklich nicht
Rot-Grün verantwortlich. Sie machen in Baden-Württem-
berg das, was Sie bis 1998 auch auf Bundesebene getan
haben: Sie kürzen bei Bildung und Forschung – hier ganz
konkret bei Forschung – und stellen sich hinterher hin und
sagen, Sie hätten die Lösung für die Zeit nach dem
22. September. Nein, Sie haben sie nicht.


(Beifall bei der SPD – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Karneval ist vorbei!)


– Etwas anderes fällt Ihnen immer nicht ein, Herr Kollege
Rachel. Sie werden nur nicht fertig damit, wenn Ihnen je-
mand den Spiegel vorhält und Ihnen zeigt, was Sie ei-
gentlich tun. Das ist der Widerspruch, den Sie hier haben.


(Beifall bei der SPD)

Sie fordern Leistungsvergleiche über die Bundeslän-

der. Herr Kollege Friedrich und Frau Volquartz, Sie haben
gesagt, Daten für bundesweite Bildungsvergleiche – darum
geht es – sollten nur im Konsens aller Beteiligten erhoben
werden. Das ist ja großartig! Was dabei herauskommt,
wenn Sie Leistungsdaten nur im Konsens aller Beteiligten
erheben wollen, können Sie sich heute schon vorstellen.
Nein, auch das ist es nicht.

Frau Schavan, wenn Sie es geschafft haben, zwischen
Graben und Neudorf den Französischunterricht zu orga-
nisieren, und ein paar von Ihren Modellprojektchen zum
Erfolg geführt haben, können Sie wiederkommen und uns




Jörg Tauss

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(C)



(D)



(A)



(B)


einen interessanten bildungspolitischen Vortrag halten.
Im Moment mussten Sie vielleicht als Rettungsengel ei-
ner Bundesbildungspolitik einfliegen, die keinerlei Ant-
worten hat, weil man nur auf Sie geschaut hat. Ich kann
Ihnen nur sagen: Das war ein grober Missgriff, nicht nur
wenn man in Ihr Land schaut, sondern auch nach dem,
was Sie uns heute hier vorgetragen haben. Es war nicht
ganz so peinlich wie die Rede von Herrn Kollegen
Gerhardt, aber es ging an Peinlichkeit schon weit genug.


(Beifall bei der SPD)

Aus diesem Grunde sehen wir der bildungspolitischen

Debatte und der Auseinandersetzung im Wahlkampf fro-
hen Herzens entgegen.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424202100
Ich schließe
die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen.

Tagesordnungspunkt 3 a: Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/9398. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ent-
schließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen
die Stimmen der PDS abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 3 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung auf Drucksache 14/9421. Der Ausschuss
empfiehlt in Kenntnis des Berichts gemäß § 56 a der Ge-
schäftsordnung mit dem Titel „Technikfolgenabschät-
zung, hier: ‚Forschungs- und Technologiepolitik für eine
nachhaltige Entwicklung‘“ sowie des Berichts der Bun-
desregierung zur Bildung für eine nachhaltige Entwick-
lung die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Bildungs-
und Forschungspolitik für eine nachhaltige Entwicklung“
auf Drucksachen 14/571, 14/7971 und 14/8651. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 3 c: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung auf Drucksache 14/7337. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die An-
nahme des Antrages der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/6209 mit
dem Titel: „Die internationale Attraktivität und Leis-
tungsfähigkeit des Wissenschafts- und Forschungsstand-
ortes Deutschland für ausländische Studierende und junge
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stärken“.

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP
bei Stimmenthaltung der PDS angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der

FDPauf Drucksache 14/3339 mit dem Titel „Verbesserung
der internationalen Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit
des Hochschulstandortes Deutschland“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS gegen
die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.

Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 14/5250 mit dem Titel „Bessere Rah-
menbedingungen für ausländische Studierende in Deutsch-
land“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei
Stimmenthaltung der PDS angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung unter Nr. 4 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/7337 die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der FDPauf Drucksache
14/6445 mit dem Titel „Sicherung des Wissenschafts-,
Forschungs- und Wirtschaftsstandorts Deutschland durch
Ausbildung hoch qualifizierter Fachkräfte“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS bei
Stimmenthaltung der CDU/CSU gegen die Stimmen der
FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 3 d: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung auf Drucksache 14/7338 zu dem Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Bildungsschecks für
mehr Qualität und Wettbewerb an Hochschulen in
Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/3518 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD,
des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS bei Stimm-
enthaltung der CDU/CSU gegen die Stimmen der FDPan-
genommen.

Tagesordnungspunkt 3 e: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung auf Drucksache 14/7880 zu dem Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Anforderungen an die
Weiterbildung“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/7075 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen?
Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls mit den Stimmen
der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS bei
Stimmenthaltung der CDU/CSU gegen die Stimmen der
FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 3 f: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung auf Drucksache 14/9138 zu dem Antrag der
Fraktion der PDS mit dem Titel „Weltoffenheit als Chance
für die Hochschulen“. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 14/7425 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des
Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen.




Jörg Tauss
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(C)



(D)



(A)



(B)


Tagesordnungspunkt 3 g: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung auf Drucksache 14/8962. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die An-
nahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/6442 mit
dem Titel „Wissenschafts- und Hochschulkooperationen
mit Entwicklungs- und Transformationsländern“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der
PDS bei Enthaltung der CDU/CSU und der FDP ange-
nommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/3376 mit dem Titel „Wis-
senschafts- und Hochschulzusammenarbeit mit den Ent-
wicklungs- und Transformationsländern stärken“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Stimmenthaltung
der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 3 h: Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/9215 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 3 i: Abstimmung über den Antrag
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/9217 mit
dem Titel „Deutsche Hochschulen zukunftsfähig gestal-
ten“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stim-
men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.

Tagesordnungspunkte 3 j und 3 k sowie Zusatzpunkte 2
und 3: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 14/9269, 14/9272, 14/9257 und
14/9392 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. – Das ist mit Zustimmung des
Hauses so geschehen. Die Überweisungen sind so be-
schlossen.

Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Dr. Hansjürgen
Doss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Behinderung und Erschwerung unternehmeri-
scher Entfaltung durch hohe Bürokratiedichte
– Drucksache 14/8945 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Das Haus
ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.


(Unruhe)

Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich den Kol-

leginnen und Kollegen, die an der Beratung nicht teilneh-
men möchten, Gelegenheit geben, den Saal zu verlassen.

Alle übrigen Kolleginnen und Kollegen möchte ich bitten,
die Gespräche einzustellen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort zunächst
dem Kollegen Hansgeorg Hauser, CDU/CSU.


Hansgeorg Hauser (CSU):
Rede ID: ID1424202200

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Un-
ternehmerisches Handeln orientiert sich in einer freien
Marktwirtschaft an den Spielregeln und Bedürfnissen des
Marktes. Recht und Gesetz sind dabei die wichtigsten
Leitplanken. Der Staat sollte ein fördernder Katalysator
sein, zumal er die Unternehmer immer an die Sozialori-
entierung und Verpflichtung des Eigentums erinnert.

Ludwig Erhard, der Begründer der sozialen Markt-
wirtschaft, hat das Zusammenspiel von Unternehmern und
Staat dementsprechend definiert. Ich, Unternehmer, will
mich aus eigener Kraft bewähren, ich will das Risiko des
Lebens selbst tragen und für mein Schicksal selbst ver-
antwortlich sein; sorge du, Staat, dafür, dass ich dazu in
der Lage bin!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch der derzeitige Bundeskanzler scheint Ähnliches

im Sinn gehabt zu haben, als er in seiner Regierungs-
erklärung am 10. November 1998 versprach:

Wir eröffnen den Menschen die Perspektive der
Selbstständigkeit.

Vier Jahre später schaut die unternehmerische Welt ganz
anders aus. Die Zusage der rot-grünen Regierung, mo-
derne Mittelstandspolitik sei für sie weniger Bürokratie,
gehört zu den vielen gebrochenen Versprechen. Unterneh-
merisches Engagement wurde in vielen Bereichen durch
zahlreiche neue Vorschriften und Kontrollen erschwert.
Die Bürokratie und die staatliche Überwachungsdichte
drohen insbesondere den Mittelstand, der von allen als
Jobmaschine gepriesen wird, zu ersticken.

Ich zitiere nochmals aus der Regierungserklärung:
Wir werden die Verwaltung schlanker und effizienter
machen und wir werden hemmende Bürokratie rasch
beseitigen. ... Dabei werden wir überflüssige Vor-
schriften streichen und auf diese Weise die Rege-
lungsdichte vermindern.

Am Ende dieser 14. Legislaturperiode und am Ende
dieser rot-grünen Regierung zeichnet sich für Unterneh-
mer wie Bürger ein völlig anderes Bild ab.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zentralismus und Dirigismus prägen das Land. Der Staat
hat sich vom Bürger weit entfernt.


(Ludwig Eich [SPD]: So ein Quatsch!)

Im Vorschriftendschungel finden sich weder die Unter-
nehmer noch die Verwaltung zurecht.

Ich möchte Ihnen eine Resolution der Leiter der süd-
bayerischen Finanzämter zur Kenntnis bringen. Danach ha-
ben die Mitarbeiter in einer offiziellen landesweiten Um-
frage dem Zustand des Steuerrechts miserable Noten
gegeben. Sie sagen, sie sähen sich immer weniger in der




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

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(C)



(D)



(A)



(B)


Lage, die Masse der komplizierten Vorschriften, die durch
häufige Änderungen ständig unübersichtlicher würden, so
anzuwenden, dass eine gleichmäßige Besteuerung ge-
währleistet sei. Das sagen die Fachleute.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Kein Wunder, dass der Mut, sich selbstständig zu machen,
nachgelassen hat. Die Zahl der Gewerbeanmeldungen
ging seit dem Regierungswechsel 1998 von 811 000 auf
728 000 im Jahr 2001 zurück.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Erschütternd! – Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Keiner blickt mehr durch!)


Andererseits wurde in den letzten Jahren die Entschei-
dung im erhardschen Sinn, nämlich für das eigene Schick-
sal selbst verantwortlich zu sein, für immer mehr Unter-
nehmer zum Verhängnis. Mit circa 40 000 Insolvenzen
wird 2002 eine neue traurige Rekordmarke erreicht. Das
ist im Vergleich zu den Vorjahren – 1999 lag diese Zahl
noch bei rund 26 000, 2000 bei ungefähr 28 000 und 2001
bei circa 32 000 – eine deutliche Steigerung.

Zahlreiche Anmeldungs-, Anzeige-, Aufzeichnungs-,
Berechnungs-, Erklärungs-, Nachweis- und Abführungs-
vorschriften stellen heute reine Hand- und Spanndienste
für den Staat dar. Viele Unternehmer sehen sich zum Teil
außerstande, diese Pflichten zu erfüllen und diese Belas-
tungen zu tragen, die aus der staatlichen Regulierungswut
resultieren. Von dieser Regulierungswut bleibt kein Be-
reich verschont. Egal ob es sich um das Arbeitsrecht, das
Sozialversicherungsrecht, um Vorschriften im Behinder-
tenrecht, aus dem Bereich des Umweltrechts, des Ge-
werbe- und Wohnungsbaus oder um Reglementierungen
für das Kredit- und Finanzdienstleistungsgewerbe han-
delt, die Regulierungsdichte nimmt immer mehr zu. Die
damit verbundenen Kostenbelastungen müssen die Be-
troffenen in der Regel selbst tragen. Für die Feststellung
„Kosten: keine“, die man auf dem Deckblatt vieler Geset-
zesvorlagen findet, wird deshalb selten Verständnis auf-
gebracht.

Aufgrund unserer Großen Anfrage muss sich die Bun-
desregierung mit über 160 konkreten Fragen auseinander
setzen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Mein lieber Schwan! Die werden nicht mehr fertig bis zum Wahltag!)


Wir wollen wissen, inwieweit die Einführung bzw. die
Änderung gesetzlicher Vorschriften in der 14. Legislatur-
periode gerechtfertigt war. Es wird sich letztlich zeigen,
dass die Regulierungswut von Rot-Grün die schon vor-
handene kritische Situation – das möchte ich nicht ver-
schweigen – drastisch verschärft hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dabei könnte mit dem Bürokratieabbau sofort begon-

nen werden; denn der Abbau von Bürokratie kostet kein
Geld und unterliegt keinem Haushaltszwang. Ein solcher
Abbau kostet nur ein wenig guten Willen. Dieser gute
Wille war offenbar nicht vorhanden, als es im Steuerrecht
eine Inflation an neuen Kontrollrechten gab. So wurden

der Finanzverwaltung neue Rechte beim Zugriff auf digi-
tale Daten eingeräumt, die die Unternehmen zwingen,
ihre Datenverarbeitung kostenträchtig neu zu organisie-
ren. Durch das Instrument der Umsatzsteuernachschau
wurden weitere Möglichkeiten geschaffen, vor Ort, also
in den Betrieben, unangemeldete Kontrollprüfungen vor-
zunehmen, die relativ einfach zu einer vollen Prüfung aus-
gedehnt werden können.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Betrugsbekämpfung“ nennt man das!)


Durch die Ausweitung von Geldbuße- und Steuerhinter-
ziehungsvorschriften bei gleichzeitiger Einengung der
Möglichkeit zur Selbstanzeige werden Steuerbürger kri-
minalisiert. Die Einführung der Bauabzugsteuer war zwar
gut gemeint, endete aber im Chaos der Vorschriften.
Durch die Ausweitung der Bescheinigungs- und Steuer-
abführungspflichten war selbst die Verwaltung völlig
überfordert, sodass bereits in kürzester Zeit die Finanz-
gerichte bemüht werden mussten.

Eine Flut von Klagen gab es auch bei den völlig miss-
glückten Vorschriften zur Verlustverrechnung. Der er-
neute Vorschlag von Herrn Poß zur Einführung einer Min-
destbesteuerung – dieser wird ausgerechnet von den Grünen
massiv unterstützt, die sonst immer für die Abschaffung
solcher Vorschriften eingetreten sind – wird genauso im
Fiasko enden wie die ersten Versuche.

Die Verpflichtung, ab 1. Juli 2002 die Steuernummer auf
den Rechnungen anzugeben, bedeutet für die Unternehmer
erhebliche Umstellungskosten und ist zudem überflüssig,
da ab dem 1. Januar 2004 die Angabe der Umsatzsteuer-
Identifikationsnummer EU-weit zwingend vorgeschrie-
ben ist.

Eine chaotische Veranstaltung und ein Musterbeispiel
für Bürokratieauswüchse sind die Änderungen des frühe-
ren 630-DM- und jetzigen 325-Euro-Gesetzes. Unter-
nehmer und Beschäftigte müssen allein 19 Fallkonstel-
lationen für die steuer- und beitragsrechtliche Behandlung
des Lohns unterscheiden.


(Ludwig Eich [SPD]: Quatsch! Eine DIN-A4-Seite!)


– Lieber Herr Kollege Eich, ich empfehle Ihnen die Bro-
schüre des Bundesarbeitsministers,


(Ludwig Eich [SPD]: Eine DIN-A4-Seite!)

der darin 19 Fallkonstellationen aufführt und die Unter-
nehmer und Steuerzahler aufklärt.

Für private Haushalte ist es aufgrund der komplizier-
ten rechtlichen Regelungen und des unzumutbar hohen
administrativen Aufwands nahezu unmöglich geworden,
überhaupt Arbeitnehmer auf 325-Euro-Basis zu beschäf-
tigen. Nicht zuletzt deshalb sind viele Betroffene in die
Schattenwirtschaft abgetaucht. Die Zahl der geringfü-
gigen Beschäftigungsverhältnisse ist durch die Neurege-
lung jedenfalls deutlich zurückgegangen.

Eine weitere Bürokratieorgie findet im Bereich der
privaten Altersvorsorge statt. Die Förderung im Rah-
men des Altersvermögensgesetzes ist kompliziert und
selbst von Experten kaum zu durchschauen. Schon die




Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)

24216


(C)



(D)



(A)



(B)


Frage, ob jemand überhaupt förderungsberechtigt ist, ist
in vielen Fällen nur schwer zu beantworten. Die meisten
Menschen sind hoffnungslos überfordert und nicht aus-
reichend informiert. Banken und Versicherungen klagen
über hohen Beratungsbedarf und hohen administrativen
Aufwand. Dass zur Einführung der privaten und betrieb-
lichen Altersvorsorge sogar eine zentrale Behörde mit
rund 1 000 Beschäftigten notwendig ist, spricht Bände.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Das ist der Hammer!)


Eine weitere Superbehörde ist durch das neue Auf-
sichtsamt für Kreditwesen, Versicherungen und Wertpa-
pierhandel entstanden, das ebenfalls Hunderte von neuen
Beamten benötigt – getreu dem Motto von Parkinson:
Bürokratie ist die Vervielfältigung von Problemen durch
die Einstellung weiterer Beamter.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Gerade im Bereich der Kreditwirtschaft ist durch

neue Kontrollvorschriften ein immenser administrativer
Aufwand entstanden, der Milliarden kostet. Das zahlen
nicht die Banken, sondern – das wissen Sie alle doch – die
Bankkunden.

Schon droht neues Unheil. Der Entwurf betreffend
die Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft, MaK,
wurde in einer Anhörung ziemlich verrissen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Aber wie! – Michael Glos [CDU/CSU]: Aber zu Recht!)


Da wurde kritisiert, dass die Regelungsdichte enorm ist
und dass einige Maßnahmen selbst bei hohem bürokrati-
schem Aufwand und hohen Kosten nicht umsetzbar sind.
Verbesserungen sind angekündigt. Wir hoffen, dass es
auch wirklich zu einer Verbesserung kommt.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Am SanktNimmerleins-Tag!)


Gerade an diesem Beispiel zeigt sich, dass wir bei Ge-
setzen und Erlassen einen Bürokratiecheck brauchen,
bei dem geprüft werden muss, welche Auswirkungen auf
Wachstum und Beschäftigung entstehen und in welchem
Maße Unternehmen und Bürger mit Kosten und Arbeits-
aufwand belastet werden.


(Ludwig Eich [SPD]: Neue Behörde!)

– Das muss keine neue Behörde sein. Das müssen die Be-
amten leisten, die das ausarbeiten. Sie müssen sich über-
legen, was sie anrichten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es wäre natürlich erfreulich, wenn auch Sie in den Bera-
tungen ein bisschen darüber nachdenken und nicht nur
alle Regierungsvorlagen abnicken würden, die uns so auf
die Hoppla-Hopp-Tour auf den Tisch gelegt werden.


(Joachim Poß [SPD]: Gott sei Dank war das bei Ihnen in Ihrer Zeit als Parlamentarischer Staatssekretär ganz anders! – Gegenruf des Abg. Michael Glos [CDU/CSU]: Sie wissen, dass das nicht stimmt!)


Das Vertrauen des Steuerbürgers in den Rechtsstaat
wird durch immer schärfere Gesetze, ausufernde Kon-

trollrechte der Verwaltung und noch striktere Verwal-
tungs- und Überwachungsmaßnahmen nicht gerade ge-
stärkt. Wenn dann noch eine unverhältnismäßig hohe
Steuer- und Abgabenbelastung hinzukommt, besteht die
große Gefahr, dass unternehmerisches Handeln immer
mehr eingeschränkt wird. Der Staat, der seine Bürger mit
Vorschriften überhäuft, sie an freier Gestaltung und krea-
tivem Handeln hindert, wird auf Dauer selbst den größten
Schaden davontragen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Deshalb muss zu der erhardschen These zurückgekehrt

werden, dass jeder Einzelne für sich selbst verantwortlich
ist und der Staat die positiven Rahmenbedingungen für
das Handeln zu schaffen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dazu gehört auch ein größeres Vertrauen in die Steuer-
ehrlichkeit, die bei den Bürgerinnen und Bürgern sicher-
lich umso mehr zunehmen wird, je weniger sie belastet
werden.


(Ludwig Eich [SPD]: Oh ja! In Bayern gibt es sie ja!)


Niedrigere Steuern und Abgaben werden manchen wieder
auf den Weg in die Legalität zurückbringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Das ist ja abenteuerlich!)


Mit diesem Appell schließe ich meine höchstwahr-
scheinlich letzte Rede im Bundestag. Ich bin froh und
stolz, dass ich „Dem deutschen Volke“, wie es auf der
Westseite des Reichstagsgebäudes heißt, zwölf Jahre als
Abgeordneter dienen durfte.


(Ludwig Eich [SPD]: Der Bevölkerung!)

– Ich beziehe mich darauf, dass ich „Dem deutschen
Volke“ als Abgeordneter dienen durfte.


(Ludwig Eich [SPD]: Ich weiß! Das sagt alles!)


Meine Zeit als Abgeordneter war durch die Wiederver-
einigung unseres Vaterlandes und das Zusammenwachsen
in Europa geprägt. Meine Gefühle – wenn ich das so per-
sönlich ausdrücken darf – sind immer noch dieselben wie
bei meiner ersten Rede, die ich ebenfalls in diesem Saal
halten durfte. Allerdings befand sich damals das Podium
noch auf der anderen Seite und man konnte durch die
Fenster gen Osten schauen. Ich habe damals mein Glücks-
gefühl – das ich auch heute noch empfinde – darüber zum
Ausdruck gebracht, dass beim Blick nach draußen keine
Mauer mehr zu sehen ist. Dafür haben sich alle Mühen für
die Menschen und für unser Land gelohnt.

Ich bedanke mich bei Ihnen und vor allem bei den Mit-
gliedern der Arbeitsgruppe Finanzen, aber ich bedanke
mich auch bei allen politischen Mitstreitern für manche
gute Diskussion. Ich hoffe, ich bin trotz mancher Attacken
immer fair geblieben,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das stimmt! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das können wir bestätigen!)





Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)


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damit wir uns auch weiterhin in die Augen sehen können.

(Beifall im ganzen Hause)


Ich wünsche Ihnen allen eine gute Zukunft und ich
wünsche unserem Land eine neue Zeit für Taten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424202300
Liebe Kol-
leginnen und Kollegen, wir verabschieden uns zwar jetzt
noch nicht von den Mitstreitern, die am Ende der Legis-
laturperiode aus dem Parlament ausscheiden; trotzdem
darf ich nach Ihrer letzten Rede, Kollege Hauser, Ihnen si-
cherlich im Namen aller unseren herzlichen Dank für Ihre
engagierte Arbeit im Parlament, dem Sie seit 1990 an-
gehören, aussprechen. Ich wünsche Ihnen für Ihre weitere
private und berufliche Zukunft alles Gute.


(Beifall im ganzen Hause)

Nun erteile ich dem Bundesfinanzminister Hans Eichel

für die Bundesregierung das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424202400
Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch
ich möchte mich, unbeschadet manchen Streits, den wir
hatten, zunächst herzlich bei Herrn Hauser bedanken. Wir
haben schon seinerzeit an verschiedenen Fronten ge-
kämpft, Sie damals als Parlamentarischer Staatssekretär
im Bundesfinanzministerium und ich als hessischer Mi-
nisterpräsident.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ist alles verhindert worden!)


– Seien Sie vorsichtig; ich komme noch auf einige Bei-
spiele zu sprechen. Das Problem stellt sich immer, wenn
man schon hinter allen Büschen gesessen hat. Herr Hauser
kennt das sicherlich auch.

Es war also bei allem Streit eine angenehme Zusam-
menarbeit, Herr Hauser. Das möchte ich ausdrücklich
festhalten und Ihnen insofern auch meinerseits herzlichen
Dank aussprechen.

Nun passt bei diesem Thema alles wunderbar zusam-
men: Herr Stoiber hat einige Vorträge gehalten, Sie stel-
len eine Große Anfrage und heute ist in der „Financial
Times“ ein schöner Artikel mit der Überschrift „Die frag-
würdigen Rezepte des Dr. S.“ erschienen. Darin heißt es:

Dringend klären sollte Stoiber sein Konzept für mehr
Wachstum: Erst sollten massive Steuersenkungen
her. Als klar wurde, dass mit dieser Methode vor allem
das Staatsdefizit wächst, stellte Stoiber die Lockerung
des Kündigungsschutzes für ältere Arbeitnehmer und
Korrekturen am Gesetz zur Scheinselbstständigkeit
als Wachstumsmotor dar. Der neueste Trumpf des
Kanzlerkandidaten heißt Bürokratieabbau. Dafür will
er eine Idee von Hans-Olaf Henkel aufgreifen und ei-
nen Konvent für Deutschland einberufen. Nachdem
Generationen von Wissenschaftlern, Sonderkomis-
sionen und Regierungsbeauftragten penibel aufgelis-

tet haben, wie der Staat zu verschlanken und die
Bürokratie zu verringern ist, nun das. Bleibt nur noch
die Frage, ob der Konvent paritätisch von den be-
kannt reformfreudigen Tarifparteien und dem Beam-
tenbund besetzt oder gleich als Bundesbehörde ein-
gerichtet werden soll.

Dazu passt Ihr heutiger Debattenbeitrag, lieber Herr
Hauser.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bayerische Staatsregierung und damit Ihr Kandi-
dat haben sich auch nicht besonders dabei hervorgetan,
wenn es darum ging, energisch Bürokratieabbau zu be-
treiben. Andererseits hat aber das Tariftreuegesetz, das
Sie hier im Bundestag bekämpft haben, ein Vorbild in
Bayern. Dort ist es beschlossen worden und in Kraft ge-
treten. Es stellt zweifelsfrei eine Belastung für die Wirt-
schaft dar. Dennoch ist die Frage, ob sein Grundgedanke,
dafür zu sorgen, dass ordnungsgemäßer und fairer Wett-
bewerb stattfinden kann, nicht richtig ist.


(Beifall bei der SPD)

Mit dieser Auffassung hat Bayern nicht Unrecht; das Pro-
blem ist nur, dass das, was in Bayern richtig ist, plötzlich
auf Bundesebene falsch sein soll, weil die Wirtschafts-
verbände Ihnen jetzt in den Arm fallen.

Bei der Bauabzugsteuer waren Sie ja schon vorsichti-
ger und haben gesagt, das sei ganz gut gemeint. Sie geht
auf eine Initiative der CDU-geführten Landesregierungen
von Hessen, Baden-Württemberg und wiederum der
CSU-geführten Bayerischen Staatsregierung zurück. Der
Hintergrund dafür war, dass man darüber geklagt hat – ich
kenne das aus meiner Zeit als hessischer Ministerpräsi-
dent übrigens auch –, dass da, wo sehr viel investiert wird,
ungeheuer viele Unternehmen aus ganz Europa tätig sind
und manchmal schon längst wieder weg sind, wenn man
versucht, die Steuern zu bekommen. Sie, Herr Hauser,
wissen als alter Finanzpolitiker doch auch, dass man so et-
was nicht hinnehmen kann.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Was haben Sie gemacht?)


– Verbrechensbekämpfung ist nicht dadurch möglich,
dass man alle die Regeln, gegen die verstoßen werden
könnte, abschafft.


(Beifall bei der SPD – Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Habe ich nie gefordert!)


An dieser Stelle geht es in der Tat um die Schaffung ei-
nes „level playing field“, wie das neudeutsch heißt, also
um gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle, und damit
um den Schutz des ehrlichen Unternehmers. Das gelingt
nur dann, wenn der Besteuerungsanspruch des Staates
auch wirklich gleichmäßig durchgesetzt wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe darüber lange nachgedacht, Herr Kollege
Hauser. In vielen Fällen macht es Sinn, zu sagen, das soll
in die jeweilige betriebswirtschaftliche Kalkulation ge-




Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)

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packt werden; dann braucht man es nicht zu kontrollieren.
Dieser Gedanke steckt zum Beispiel hinter der Ökosteuer.
Wenn man also den Umweltgedanken per Steuerrecht in die
Kostenrechnung einbaut, braucht man keine Ordnungs-
polizei, die das kontrolliert. Das kann man aber im Steu-
errecht nicht unbegrenzt machen: Dort Steuersparmög-
lichkeiten einzubauen, um sich damit jeden Vollzug zu
ersparen, weil die Leute das dann schon von selbst ma-
chen würden, ist ein Widerspruch in sich.

Die Wahrheit ist – das wissen Sie so gut wie ich und je-
der Finanzminister –, dass wir zwar einfachere Gesetze,
soweit das geht – darauf komme ich gleich –, brauchen,
aber um den Vollzug und die Kontrolle des Vollzugs nicht
herumkommen, weil sonst der Ehrliche der Dumme ist.
Das wissen Sie so gut wie ich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Übrigen ist auch die frühere Bundesregierung, der
auch Sie ja angehört haben, nicht besonders eifrig dabei
gewesen, die Gesetze zu verschlanken. Sie können uns
vieles vorwerfen; aber den absoluten Rekord bei der Än-
derung des Einkommensteuergesetzes haben Sie während
Ihrer Regierungszeit aufgestellt.


(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Richtig!)

1994 haben Sie es in fünf Monaten fertig gebracht, das
Einkommensteuergesetz elfmal zu ändern. Ich habe nach-
geforscht; es gab keinen häufigeren Wechsel; damit gehen
Sie ins „Guinness-Buch der Rekorde“ ein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD], zu Abg. Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU] gewandt: Waren Sie damals schon Parlamentarischer Staatssekretär, Herr Hauser, oder nicht?)


Das heißt aber nicht, dass Sie, verehrter Herr Kollege
Hauser, damit nicht ein sehr ernstes Thema berührt haben.
Das möchte ich ausdrücklich sagen.

Jetzt komme ich auf die Probleme bei der Umsetzung
zu sprechen. Das fängt in Deutschland damit an, dass man
staatlicherseits auf Bundesebene – das wissen Sie ge-
nauso gut wie ich – nichts ohne die Länder machen kann,
weil das Grundgesetz eine Grundentscheidung getroffen
hat. Diese ist übrigens ganz anders als in Amerika; ich will
das hier gar nicht kritisieren, aber man müsste das einmal
in die Föderalismusdebatte einbeziehen. Diese lautet: Die
Gesetzgebung findet vorzugsweise auf der Bundesebene,
der Verwaltungsvollzug aber auf Länderebene statt. Das
bedeutet übrigens auch, dass wir die Anfrage, die Sie hier
gestellt haben, größtenteils gar nicht beantworten können,
weil die Finanzverwaltung Ländersache ist. Wir müssten
dazu also die Länder fragen; diese haben sich aber in vie-
len Fällen bisher geweigert, uns solche Fragen zu beant-
worten. Dafür habe ich sogar ein gewisses Verständnis;
denn die Anfragen, die sie jeden Tag auf den Tisch be-
kommen und beantworten sollen – das Statistikgesetz ist
ja auch eines der hier zu behandelnden Themen –, stellt
sie schon vor große Probleme.

Wir haben hier übrigens eine Reihe von Vereinfachungen
vorgenommen. Die Kehrseite der Medaille ist aber, dass

aufgrund der europäischen Integration neue Anforderun-
gen an die Länder gestellt werden. Wir achten schon sehr
darauf, dass nur das, was statistisch wirklich notwendig
ist, gefordert wird.

Ich will Ihnen ein Beispiel für eine neue Anforderung
nennen: Wer, wie die Europäische Zentralbank und die
EU-Kommission, europäische Konjunkturpolitik ma-
chen will, der braucht – wir bekommen fast jeden Monat
im Ecofin das entsprechende Monitum – verlässliche Da-
ten, und zwar schnell.

Wir streiten uns im Moment mit den Ländern über die
Frage – da können Sie helfen –, ob wir diesen Anforde-
rungen zu einem großen Teil durch das Aggregieren vor-
handener Daten – das ist meine Position – nachkommen
können. Herr Kollege Hauser, die Bundesländer sind an
diesem Punkte unisono anderer Meinung und, so sehe ich
das, sie bürden den Unternehmen neue Lasten auf. Aber
bitte, die von Ihnen regierten Bundesländer sollen das ma-
chen; schließlich haben sie zurzeit die Mehrheit im Bun-
desrat. Sie könnten auch, was das Gesetz angeht, das ich
auf den Weg gebracht habe, mit mir an einem Strang zie-
hen. Das ist aber nicht der Fall. Stattdessen verhindern die
Bundesländer zurzeit, dass der von mir vorgelegte sehr
schlanke Ansatz für die Statistik in die Tat umgesetzt
wird. Damit will ich deutlich machen: So einfach ist das
in Deutschland nicht. Dieses Thema ist in die Diskussion
über eine Reform des Föderalismus einzubeziehen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist das Verschieben der Petersberger Beschlüsse! Schieben Sie doch nicht alles auf die Länder!)


Ich sage ganz deutlich: Der Bund hat gehandelt. Das
wird im Hinblick auf verschiedene Bereiche noch deut-
lich werden, wenn Frau Kollegin Wolf und Herr Kollege
Andres dazu Stellung nehmen, an welchen Stellen etwas
geschehen ist. Ich will nur auf Folgendes hinweisen: Dank
der Arbeit der vom Bundesinnenminister eingesetzten
Kommission „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“
sind inzwischen 40 Projekte zur Reduzierung von Ver-
waltungsaufwand abgeschlossen.

Zu diesen Projekten gehörten Dinge, die Sie hier, im
Bundestag, bekämpft haben. Zu einer schlankeren Ver-
waltung gehört auch ein modernes öffentliches Dienst-
recht. Sowohl in der Opposition, aber auch, wie früher,
als Regierungspartei sind Sie plötzlich die Wahrer der Be-
sitzstände derer, die mit einer Verschlankung des öffentli-
chen Dienstes ein Stück weit in ihren Besitzständen ge-
troffen sind. Ihre Attacke ist wiederum nicht sonderlich
glaubwürdig.


(Beifall der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der Bundeswirtschaftsminister hat eine Initiative zum
Abbau von Bürokratie gestartet – Frau Kollegin Wolf
wird darüber noch berichten –, durch die eine ganze
Menge in Gang gesetzt worden ist.

Nun will ich einmal auf das hinweisen, was in meinem
Bereich geschieht. Übrigens, für meinen Geschmack ha-
ben Sie ein bisschen zu sehr auf den Finanzmarkt abge-
hoben. Als wir die Reform des Steuerrechts angegangen
sind, hatten wir durchaus einen gemeinsamen Ansatz.




Bundesminister Hans Eichel

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Nur, als wir ihn dann verfolgt haben, wollten Sie von die-
ser Gemeinsamkeit nichts mehr wissen. Herr Kollege
Hauser, eine Vereinfachung im Steuerrecht bedeutet zual-
lererst die Abschaffung von Steuerprivilegien, von Steu-
erfreistellungen, von steuerlichen Sondertatbeständen;
denn diese zerstöre, im Gegenteil, das Steuerrecht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Petersberg!)


Ihre PetersbergerBeschlüsse enthalten zu Recht die For-
derung nach einer solchen Abschaffung. Wir haben diese
Forderung mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999 umge-
setzt.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


– Jetzt wird es spannend; denn mit Ihrem Lachen beginnt
etwas ganz anderes. Jetzt geht es nämlich nicht mehr um
die Steuervereinfachung, sondern um Klientelpolitik. Es
war hochspannend, zu sehen, welche Steuervergünstigungen
Sie abschaffen und welche Sie beibehalten wollen.


(Zuruf des Abg. Walter Hirche [FDP])

– Oh, lieber Herr Hirche von der FDP, machen Sie bitte
nicht so einen Zwischenruf; denn die FDP ist Weltmeister,
wenn es darum geht, ein Maximum an Subventionen zu
ergattern! Die FDP ist nämlich nicht dafür, Subventionen
über Zulagen im Haushalt zu gewähren – dort sind sie
offen ausgewiesen –; vielmehr steht ihre Politik für steu-
erliche Privilegierungen. Da fallen Subventionszahlungen
nicht so auf. Vor diesem Hintergrund sind Sie ein Welt-
meister in der Zerstörung des Steuerrechts.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Als wir das Steuerentlastungsgesetz 1999 verabschie-
det haben, als wir 70 Steuerprivilegien abgeschafft haben,
hat niemand von Ihnen von Steuervereinfachungen gere-
det; stattdessen haben Sie nur davon geredet, was für ei-
nen Tort wir der Wirtschaft antun.

Als Beispiel nenne ich die Besteuerung bei der Rück-
stellung in Bezug auf Kernkraftwerke.


(Zuruf von der CDU/CSU: Unangenehm!)

–Was heißt „unangenehm“? – Aus Ihrer Haltung lässt sich
erkennen, welche Privilegien Sie verteidigen. Mit Blick
auf den 22. September frage ich Sie: Welche Privilegien
wollen Sie denn angreifen? Schauen wir uns doch einmal
die Petersberger Beschlüsse an! Was Sie dort fordern, ha-
ben wir mit Absicht verhindert. Das ist wahr. Sie wollten
doch die Steuerfreiheit bei Sonntags-, Feiertags- und
Nachtzuschlägen abschaffen. Dazu sage ich Ihnen: Das
wollen wir nicht!


(Beifall bei der SPD – Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Jetzt kommen die Krankenschwestern und die ganze Leier!)


Sie wollten doch den Arbeitnehmerpauschbetrag reduzie-
ren. Das wäre übrigens nicht einmal eine Steuervereinfa-
chung, sondern eine Steuerkomplizierung, sehr verehrter
Herr Hauser, weil man dadurch nämlich mehr Steuerfälle
schafft.

Übrigens haben Sie sich das Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts eingehandelt, dass das steuerfreie Exis-
tenzminimum zu niedrig angesetzt sei. Es ist eine Frage
der Gerechtigkeit und der Steuervereinfachung, das
steuerfreie Existenzminimum höher anzusetzen; dadurch
gibt es weniger Steuerfälle und mehr Steuergerechtigkeit.
Wer so wie Sie diskutiert, der muss auch einmal diesen
Zusammenhang herstellen. Ihre Behauptung, es gehe um
Vereinfachung, ist ein ganzes Stück weit vorgeschoben.
Schaut man konkreter hin, erkennt man, dass über das
Steuerrecht sehr konkrete Sozialpolitik gemacht wird.

Maggie Thatcher hat ganz zu Beginn ihrer Amtszeit
versucht, eine kommunale Kopfsteuer einzuführen. Diese
Steuer gab es keine sechs Wochen, dann wurde sie wieder
abgeschafft. Warum? – Das ist zwar im höchsten Maße
einfach, aber zugleich extrem ungerecht.

Diesen Zusammenhang müssen wir sehen, Herr Hauser.
Deswegen spreche ich ihn an. Wenn wir einmal konkret
hinschauen, dann können wir feststellen, dass Sie bei allen
Punkten, bei denen wir gesagt haben, da müsse das Steuer-
privileg weg, dagegengehalten haben. Wir haben ebenfalls
erlebt – auch das wollen wir festhalten –, dass Sie fast in je-
der Debatte ein neues Steuerprivileg fordern.


(Joachim Poß [SPD]: Ja, eben! Anträge stellen und alle Schlupflöcher wieder aufmachen!)


Deswegen ist diese Debatte leider nicht sehr redlich.
Nächster Punkt. Es war eine gewaltige Steuervereinfa-

chung, vom Vollanrechnungsverfahren zum Halbeinkünf-
teverfahren überzugehen. Diese Vereinfachung hat übri-
gens auch etwas mit Europarecht zu tun. Auch ich bin am
Anfang in diese Thematik mit der Meinung eingestiegen,
wir könnten mit wesentlich weniger Steuergesetzen aus-
kommen. Aber in einer Welt, die sich schnell verändert
und in der sich jedes Unternehmen auf neue Konkurrenz-
situationen sehr schnell einstellen muss, kommt auch der
Staat nicht umhin, im internationalen Wettbewerb der
Standorte zu prüfen, ob seine Rahmenbedingungen noch
zeitgemäß sind. In den 16 Jahren Ihrer Regierung – das
war eines der Probleme, die Sie hinterlassen haben – ha-
ben Sie das Außensteuerrecht überhaupt nicht ange-
packt. Es ist ein schwerer Wettbewerbsnachteil für die
deutschen Unternehmen, dass Sie es nicht getan haben.

Für meinen Bereich sage ich weiterhin – ich stimme zu,
dass es da noch viel zu tun gibt –, dass nicht nur gesetzli-
che Vereinfachungen notwendig sind. Sie haben Gott sei
Dank nicht mehr die Legende belebt, das deutsche Steu-
errecht sei mit Abstand das komplizierteste und 90 Pro-
zent der Steuerrechtsliteratur in Deutschland seien unver-
ständlich. Das alles ist nämlich falsch. Beispielsweise
sind das amerikanische und das britische Steuerrecht
weitaus komplizierter als das deutsche.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie behaupten Sachen, die einfach nicht stimmen!)


Das entlastet uns zwar nicht. Aber dennoch sollte man ent-
sprechende Legenden gar nicht erst in die Welt setzen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!)


Ich will zu einem weiteren Punkt kommen. Verehrter
Herr Hauser, im Bereich des Gesetzesvollzugs könnten




Bundesminister Hans Eichel
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Sie ein gutes Stück mithelfen. Wir versuchen im Bereich
der Steuerverwaltung, die in der Zuständigkeit der Länder
liegt, eine einheitliche Software zu installieren, damit die
Prozesse beschleunigt werden. Wissen Sie, wer sich in
diesem Punkt quer stellt? Alle Länder würden mitmachen;
nur Bayern klinkt sich aus der fiskus GmbH aus. Man hat
schon den Eindruck, dass es bei Ihnen beim Steuervollzug
nicht Föderalismus, sondern Separatismus gibt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Sie müssen schon die Probleme ansprechen!)


Verehrter Herr Kollege Hauser, Sie könnten an dieser
Stelle mithelfen, die Bayerische Staatsregierung auf einen
anderen Weg zu führen.

Die bayerische Finanzverwaltung musste erst durch
das Bundesverfassungsgericht oder durch das Bundesver-
waltungsgericht – ich habe es im Moment nicht genau im
Kopf – gezwungen werden, den Bundesrechnungshof zur
Prüfung in die Finanzverwaltung hineinzulassen. Das
sind Probleme, die man nicht von der Hand weisen sollte.
In diesem Punkt sind Sie näher dran als ich und könnten
vielleicht helfen.

Was Sie zum Finanzmarkt gesagt haben, kann ich lei-
der nicht unterschreiben.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was?)

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
ist, wie Sie wissen, von der überwiegenden Zahl der Fi-
nanzinstitute sehr begrüßt worden. Sie wird und muss auch
von ihnen finanziert werden. Nur strenge Regeln und eine
straffe Aufsicht garantieren einen guten Finanzstandort.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Absolut einverstanden!)


An dieser Stelle werden wir mehr tun müssen. Darüber
gibt es keinen Streit. Im Gegenteil: Der Bundesverband
deutscher Banken verlangt von mir beispielsweise, in
Brüssel eine neue eigene Einheit aufzubauen, um dort un-
sere Interessen wahrzunehmen. Recht hat er. Wir werden
das auch tun.


(Beifall bei der SPD)

Bei der Geldwäsche, verehrter Herr Kollege Hauser,

wäre ich vorsichtig. Wir sind in der Gefahr, internationale
Standards nicht zu erfüllen. Ich bitte Sie alle dringend,
nicht zuzulassen, dass die „Financial Intelligence Unit“,
also die deutsche Zentralstelle für Verdachtsanzeigen
bei Geldwäsche, im Gestrüpp des Bundesrates – Sie ha-
ben dort die Mehrheit – hängen bleibt. Wir wären dann
nämlich das einzige Land unter den G-7-Staaten, das
keine Meldeeinheit hat. Weil wir die OECD-Standards
nicht erfüllen würden, würde die Gefahr bestehen, dass
wir von der OECD auf die Liste der nicht kooperierenden
Jurisdiktionen wie Liechtenstein gesetzt werden. Da
gehören wir nicht hin und wir dürfen auch in Zukunft dort
nicht hingehören. Herr Hauser, in diesem Punkt haben Sie
etwas zu tun.


(Beifall bei der SPD – Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Wir haben es nicht abgelehnt! Wir wollen es nur anders!)


Gelegentlich müssen Gesetze sein, damit wir eine ord-
nungsgemäße Handhabung durchsetzen können.

Ein Problem liegt auch darin – damit will ich zum
Schluss kommen –, dass viele Menschen und inzwischen
auch viele Unternehmen – ich will das nicht kritisieren,
aber festhalten – der Meinung sind: Was nicht verboten
ist, ist erlaubt. Das ist der eigentliche Grund für die vielen
Gesetze, die wir haben.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus der Biografie meiner
Eltern. Mein Vater, der 1972 gestorben ist, war Architekt.
Er hat in seinem ganzen Leben nicht einen einzigen Ar-
chitektenvertrag abgeschlossen. Ein einziges Mal hat je-
mand versucht, einen solchen Vertrag mit ihm abzuschlie-
ßen. Mein Vater hat ihm geantwortet, dass es eine
Standesordnung und eine Gebührenordnung gebe. Entwe-
der wolle er mit ihm bauen, dann bekomme er aber keinen
Architektenvertrag, oder er wolle einen solchen Vertrag,
dann müsse er sich aber einen anderen Architekten su-
chen. Heute können Sie in einem solchen Fall nichts mehr
ohne Vertrag regeln.

Ich sage ganz ernsthaft: Wir sind es gar nicht, die dau-
ernd in einem Pingpongspiel Regeln erfinden, um die
Leute zu kujonieren. Sehr vieles müssen wir vollziehen,
weil uns die Richter ins Stammbuch schreiben, dass wir
an dieser Stelle Gesetzeslücken haben oder weil Europa
aufgebaut wird. Im Gegenzug müssen wir anstreben, dass
wir Regelungen bei uns abbauen und nicht noch draufset-
zen.

Aber ich sage auch: Deswegen trifft der Satz von
Ludwig Erhard nicht mehr die Wahrheit. Er ist auch im
Unternehmerlager nicht mehr gültig. Dazu kann ich Ihnen
gleich noch ein Beispiel erzählen.

Aber was ist das für eine Gesellschaft, in der Leute in
den Urlaub fahren und in ihrer Pension Behinderte an-
treffen und daraufhin vor Gericht klagen, ihr Urlaubs-
vergnügen sei gestört, weil dort behinderte Menschen ge-
wesen seien? Darauf bezog sich ein berühmtes Urteil. Was
ist es für eine Situation, wenn Leute aus dem Urlaub
zurückkommen und ihre erste Überlegung ist, wie sie
Geld zurückbekommen können und was im Urlaub nicht
genauso, wie im Prospekt vorgesehen, war?


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Das hat doch mit Bürokratie nichts zu tun!)


Bei dem Punkt Vollkaskomentalität habe ich dem Kol-
legen Gerhardt zugestimmt; sie bezieht sich inzwischen
auf die gesamte Gesellschaft.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das Thema heißt Bürokratie!)


– Ja, richtig, genau so heißt es, Herr Hinsken. Ich könnte
auch über Ihre Handwerksordnung reden. Die Bürokratie
machen Sie doch selber.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin dafür, Bürokratie abzubauen. Ich will doch nur
festhalten, dass gar nicht alle Bürokratie vom Staat
stammt.




Bundesminister Hans Eichel

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Ich will Ihnen zum Abschluss zwei Beispiele geben.
Als wir in Hessen die dortige Bauordnung geändert ha-
ben, um möglichst schnell zu Genehmigungen zu kom-
men, haben wir die Unternehmen gefragt: Hättet ihr es
nicht lieber wie in Amerika, wo man ohne Baugenehmi-
gung bauen kann? Dann könntet ihr schon einmal anfan-
gen. Ihr könnt euch ja versichern. Wir reichen dann die
Genehmigung nach; dabei habt ihr aber ein eigenes Risiko.
– Wissen Sie, was die Antwort der Wirtschaft war? – Wir
wollen lieber das deutsche System, wir wollen kein eige-
nes Risiko, wir wollen vom Staat vorher wissen, dass wir
das dürfen; dann ist das in Ordnung und wir marschieren.

Josef Paul Kleihues, einer der bekannten Berliner Ar-
chitekten, hat einmal darüber geklagt, was er alles wegen
der deutschen Bauvorschriften nicht gestalten könne. Er
hätte so gern eine Treppe ohne Geländer gebaut. Er hat es
dann in Amerika versucht. Die amerikanischen Bau-
behörden haben gesagt: Das darfst du. – Aber die Versi-
cherungen sagten: Das darfst du zwar; aber das musst du
versichern und bezahlen. Wenn du in einem solchem Ge-
bäude eine Treppe ohne Geländer baust und einer hinun-
terfällt, dann bist du dran. – Was ist das Ergebnis? Die
Treppe hat ein Geländer bekommen. Die Vorschrift kam
nur nicht vom Staat, sondern von den Versicherungen.

Die Wahrheit ist also etwas komplizierter. Wir haben es
hier mit einem sehr komplexen Thema in einer ebenfalls
immer komplexer werdenden Gesellschaft zu tun. Es ist
eine mühselige Arbeit, die Gesetze zu vereinfachen.

Es ist ein absurder Gedanke, Gesetze mit Verfallsda-
tum zu versehen. Das bedeutete einen Rechtsstaat mit
Verfallsdatum. Was hieße das für diejenigen, die sich auf
Gesetze verlassen sollen? Der einzig vernünftige Ge-
danke ist, eine Gruppe einzusetzen, die die bestehenden
Gesetze – meinetwegen die älteren zuerst – permanent
überprüft und feststellt, ob wir sie noch brauchen oder ob
wir sie schlanker machen können. So habe ich das in der
hessischen Staatskanzlei gehalten. Bei jedem neuen Ge-
setz – da haben Sie Recht – müssen wir beurteilen, ob wir
die Regelungen wirklich brauchen. Dazu werden wir noch
ein paar Beiträge leisten; das ist ganz sicher.

Verehrter Herr Kollege Hauser, das Thema eignet sich
zwar, um gelegentlich in öffentlichen Versammlungen
Beifallsstürme auszulösen. Wenn wir aber ehrlich mit den
Menschen reden und uns selber gegenüber redlich sind,
dann wissen wir: Wir alle brauchen eine etwas andere Ein-
stellung, die Bereitschaft, selber etwas mehr Risiko zu tra-
gen. Anderenfalls bekommen wir eine durchbürokrati-
sierte Gesellschaft, weil wir sie uns in Wirklichkeit selber
erst erziehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424202500
Für die
Fraktion der FDP spricht der Kollege Rainer Brüderle.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1424202600
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich habe noch die Regierungserklärung
des Bundeskanzlers in Erinnerung. Am 10. November
1998 hat er im Bundestag gesagt – ich zitiere:

Wir werden die Verwaltung schlanker und effizienter
machen. Wir werden hemmende Bürokratie rasch be-
seitigen.

Wir werden
überflüssige Vorschriften streichen und auf diese
Weise die Regelungsdichte vermindern.


(Zuruf von der CDU/CSU: Beifall bei der SPD!)


Das erinnert mich an einen anderen Satz des Kanzlers –
ich zitiere:

Wenn wir die Arbeitslosigkeit nicht deutlich reduzie-
ren, haben wir es nicht verdient, wiedergewählt zu
werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/ CSU)

geht weiter: „Wir werden auch nicht wiederge-
wählt werden!“)

Grün-Rot ist beim Abbau der Arbeitslosigkeit und
ebenso kläglich beim Abbau der Bürokratie gescheitert.
Beides hat leider miteinander zu tun. Gerade der Mittel-
stand, der Jobmotor Nummer eins, ächzt unter dem büro-
kratischen Joch. Die Bürokratiebelastungen sind beileibe
nicht alle in den vergangenen drei Jahren entstanden;


(Ludwig Eich [SPD]: Sie tun aber so!)

aber sie sind durch die staatsgläubige und interventionis-
tische Politik weiter verschärft worden. Dies trägt zum
miesen Klima in der mittelständischen Wirtschaft bei.
Sie fühlt sich von Grün-Rot zu Recht im Stich gelassen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Ludwig Eich [SPD])


– Sie werden ja nachher noch reden, Herr Kollege; dann
können Sie hier sagen, was Sie für richtig halten.

Allein die modernen Hand- und Spanndienste belasten
die Unternehmen in Deutschland jährlich mit über 30Mil-
liarden Euro. Kleine Unternehmen mit bis zu zehn Be-
schäftigten – das sind 80 Prozent des deutschen Mittel-
stands – tragen rund 3 500 Euro Bürokratiekosten pro
Arbeitsplatz. Ein Großunternehmen hingegen muss im
Durchschnitt nur 150 Euro pro Arbeitsplatz für Statistik,
Steuererhebung, Berichts-, Auskunfts-, Berechnungs- und
Aufbewahrungspflichten aufwenden. Hier besteht eine
Schieflage zulasten des deutschen Mittelstands.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Besonders ärgerlich ist, dass viele dieser Bürokratie-

dienste überflüssig sind. Wir könnten zum Beispiel jedes
Jahr 12 Millionen Umsatzsteuerveranlagungen sparen,
wenn wir den Veranlagungsmeldezeitraum von einem auf
drei Monate verlängern würden.


(Beifall bei der FDP)

Das ist international üblich und verschafft sowohl den
Unternehmen wie der Finanzverwaltung deutliche Er-
leichterung.

Wir haben in diesen Bundestag einen Gesetzentwurf
eingebracht. Aber wie argumentiert die Regierung zu die-




Bundesminister Hans Eichel
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(C)



(D)



(A)



(B)


sem konkreten Vorschlag? – Sie lehnt den Abbau von
12 Millionen Formularen und Steuererklärungen, die er-
arbeitet und bearbeitet werden müssen, ab, weil damit die
Umsatzsteuer angeblich leichter hinterzogen werden
kann. Genau das ist die Denke von Grün-Rot: Statt die
Chance zur Entlastung zu nutzen, werden Unternehmer
lieber kriminalisiert.

Natürlich überziehen die Maßnahmen zur Bekämp-
fung des Umsatzsteuerbetrugs die Unternehmen mit wei-
terer Bürokratie. Sie reiht sich in andere Bürokratielasten
ein: die Ökosteuer mit ihren Ausnahmen, die 630-Mark-
Regelung, die Bauabzugsteuer, das Scheinselbstständigen-
gesetz, die Ausdehnung der Mitbestimmung, das Tariftreue-
gesetz. Das ist so, als wenn beim 100-Meter-Lauf einer
Spikes anzieht, um schneller laufen zu können; aber weil
einer mit Skischuhen laufen will, müssen alle Skischuhe
anziehen, damit sie gleich langsam sind. Das ist die Ideo-
logie, die hinter dem Tariftreuegesetz steckt. Absurd!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Durch den bürokratischen Wust, mit dem die Regie-

rung unser Land und unsere Wirtschaft überzieht, wird
klar: Man misstraut den Unternehmen und auch dem
Markt. Der Arbeitsmarkt ist überreguliert. Alle Sachver-
ständigen sagen das, der Bundesbankbericht, die OECD.
Damit ist auch der Grund für eine zu hohe Arbeitslosig-
keit gelegt. Was macht die Regierung? – Sie reguliert und
bürokratisiert weiter, sie verregelt, sie verriestert, Tarif-
zwang, Teilzeitzwang, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz,
Verschärfung der Mitbestimmung. Auch das trifft wieder
vornehmlich den Mittelstand.

Selbst der niedersächsische Ministerpräsident Gabriel
– kein Erzengel, eher ein Sünder – hat inzwischen ge-
merkt, dass der Kündigungsschutz bei Kleinunterneh-
men dazu führt, dass weniger eingestellt wird. – So der
niedersächsische Ministerpräsident, meines Wissens im-
mer noch SPD-Mitglied.


(Walter Hirche [FDP]: Hat zwar etwas gedauert, aber immerhin!)


Deshalb will Herr Gabriel den Kündigungsschutz re-
formieren. Erstaunlich ist, dass ihm aus den eigenen Rei-
hen von Grün-Rot nicht soziale Kälte vorgeworfen wird
wie der FDP, wenn sie das Gleiche sagt. Das sind zweier-
lei Maß: Wenn es der Rote sagt, sagt man nichts, im an-
deren Fall schimpft man.


(Walter Hirche [FDP]: Bei Gabriel gilt das als pfiffig!)


Aber davon abgesehen hat Herr Gabriel völlig Recht.
Natürlich entlasten wir Kleinunternehmen gewaltig und
schaffen Barrieren für die Neueinstellung ab, wenn wir
die Kündigungsschutzrechte erst ab 20 Mitarbeiter zur
Geltung kommen lassen. Das ist ein konkreter Beitrag.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich entstehen dadurch neue Jobs. Deshalb lassen
Sie uns diesen Vorstoß des niedersächsischen Minister-
präsidenten bitte ohne Scheuklappen, ohne Ideologie auf-
nehmen und etwas Konkretes für mehr Arbeitsplätze, für

den deutschen Mittelstand tun, wie es Herr Gabriel for-
dert.

Wenn ich dann aber den Bundeswirtschaftsminister
höre, geht mir der Hut hoch. Er denkt eben nur in seinen
Monopolkategorien. Wahrscheinlich werden wir in Kürze
wieder neue Beispiele erleben. Er kennt die Sorgen und
Nöte kleiner und mittlerer Unternehmen nicht. Müller
sagt doch tatsächlich, er wolle den Arbeitsmarkt nicht de-
regulieren, sondern höchstens entbürokratisieren. Das
sind rhetorische Nebelkerzen; das ist typisch für grün-ro-
tes Nichtstun. Solche Aussagen sind ärgerlich und haben
mit verantwortungsvoller Wirtschaftspolitik, insbeson-
dere für den Mittelstand, nichts zu tun.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Jeder weiß: Durch neue Regulierungen schaffe ich

neue Bürokratie. Die Regierung hat den Arbeitsmarkt mit
lähmender Bürokratie geradezu überzogen. Es bleibt da-
bei: Sie reden so, handeln aber anders.

Die Bundesanstalt fürArbeit ist einer der größten Ar-
beitgeber in Deutschland. Deren Beschäftigtenzahlen
sind höher als die der BASF weltweit. Wenn der neue Vor-
standsvorsitzende, Florian Gerster, etwas gegen die über-
bordende Bürokratie seiner Behörde tun will, bekommt er
sofort von der eigenen Regierung Knüppel zwischen die
Beine geworfen. Typisch ist: Reformrhetorik ja, Refor-
men nein. Lasst doch Gerster tun, was er vorschlägt! Aber
sofort wird er von Grün-Rot und den Gewerkschaften ge-
stoppt. Es ist keine Bewegung möglich.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist doch signifikant, dass Herr Eichel im Zusam-
menhang mit Reformen davon sprach, dass die Tarifpar-
teien bekanntermaßen nicht reformfreudig seien. Selbst
der Bundesfinanzminister räumt dies also ein. Lasst doch
den Gerster etwas tun! Ihr habt ihn an diese Stelle nur ge-
setzt, um ein bisschen Kosmetik zu betreiben. Nach der
Wahl wird er dann wieder mit Korsettstangen einge-
schnürt. Lasst ihn doch das tun, was er vorschlägt! Nichts
tut sich. Es genügt doch nicht, den Chef der Filiale aus-
zuwechseln, wenn oben im Vorstand die Sache nicht
stimmt. Das ist die Realität.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Grün-Rot muss endlich lernen: Der Arbeitsmarkt ist
– auch wenn es die Gewerkschaften anders sehen – keine
staatliche Veranstaltung. Er ist schon lange nicht mehr
vom Klassenkampf geprägt. Man sollte sich endlich auch
bei Grün-Rot von diesen antiquierten Vorstellungen ver-
abschieden. Der Arbeitsmarkt ist ein Markt. Nur wenn die
Marktmechanismen Geltung haben, wenn die Bürokratie
konsequent abgebaut und die Regulierung auf das not-
wendige Maß beschränkt wird, werden neue Arbeitsplätze
entstehen. Wir verhindern ja geradezu, dass sie entstehen,
und beklagen dann, dass die Arbeitslosigkeit zu hoch ist.


(Walter Hirche [FDP]: So ist es!)

Wenn wir die Einstellungshemmnisse nicht reduzieren,

dann wird hier nichts Neues entstehen. Da kann man auch




Rainer Brüderle

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(D)



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(B)


nicht mit dem Tabuargument, das alles sei soziale Kälte,
kommen. Sozial kalt ist derjenige, der die Arbeitslosigkeit
nicht abbaut. Die größte soziale Ungerechtigkeit ist die
Massenarbeitslosigkeit. Dagegen tun Sie nichts.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Gerd Andres, Parl. Staatssekretär: 16 Jahre soziale Kälte!)


– Herr Andres, reden Sie sich doch nicht immer mit der
Vergangenheit heraus! Schön, dass Sie hier sind und un-
sere Debatte verfolgen! Sie wurden ja rechtzeitig von der
Rednerliste gestrichen, damit Sie der Debatte nicht beizu-
wohnen brauchen. Willkommen in der Diskussion!

Zu einem weiteren Punkt: zur Entbürokratisierung des
Steuerrechts. Allein das Lohnsteuerabzugsverfahren er-
fordert jährlich Ausgaben von 5 Milliarden Euro. Ich
möchte nicht wissen, zu welchen zusätzlichen Belastungen
die Bauabzugsteuer führt. Herr Eichel, es ist einfach nicht
redlich, dass Sie sagen, wir würden im Rahmen von Steu-
ervereinfachungen Privilegien fordern. Keine Partei hat ein
radikaleres Konzept für eine Steuerreform vorgeschlagen
als die FDP: drei Steuersätze, 15, 25 und 35 Prozent,


(Dr. Barbara Höll [PDS]: So ein Blödsinn!)

sowie eine radikale Vereinfachung.

Bei Ihnen ist die Vereinfachung völlig untergegangen.
All das, was Sie geändert haben, ist komplizierter gewor-
den. Das bezieht sich zum Beispiel auf die Gesetzgebung
für die 630-Mark-Verträge. Frau Scheel und Herr
Metzger – da durfte er noch etwas sagen; jetzt ist er ja ab-
geschossen worden – sind durch die Gegend gerannt und
haben gesagt: Das ist ein schreckliches Monster. – Aber
Sie haben die Hand gehoben und den Quatsch mit be-
schlossen. Die Wirtschaft bzw. der Mittelstand leiden un-
ter diesen falschen Regelungen. Das ist die Realität.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade für den Mittelstand ist es wichtig, dass das Steu-
errecht konsequent und radikal vereinfacht wird. Der Mit-
telstand kann sich keine Spezialisten bzw. Steuerabteilun-
gen erlauben, die jeden Winkel einer Grauzone ausloten,
um über die Hürden zu kommen. Ein kompliziertes Steu-
errecht ist immer ungerecht, weil es den Kleinen bzw. dem
Mittelstand nicht die gleichen Chancen bietet wie den
Großkonzernen. Die haben weltweit die besten Spezialis-
ten. Die kennen sämtliche Strategien, wie man möglichst
wenig Steuern zahlt. Das zeigt sich bei den Ergebnissen.

Dass die Zahl der Selbstständigen bei Grün-Rot sinkt,
hat natürlich damit zu tun, dass wir es ihnen unendlich
schwer machen.


(Ludwig Eich [SPD]: Stimmt doch nicht! Das ist eine falsche Behauptung!)


– Herr Eich, Sie sind nachher an der Reihe. Dann können
Sie das alles erzählen. Das, was ich gesagt habe, ist abso-
lut richtig. Sie sehen doch die Bilanz: Die Zahl der Selbst-
ständigen geht runter und die Arbeitslosigkeit wird nicht
abgebaut.


(Susanne Kastner [SPD]: Beweisen Sie das doch einmal!)


Sie haben die Arbeitsmarktstatistik geschönt, indem Sie
die 630-Mark-Verträge einbezogen haben. Damit haben
Sie sie optisch verbessert.


(Susanne Kastner [SPD]: Wo steht das geschrieben, Herr Brüderle?)


Sie haben es aber nicht geschafft, Ihr bescheidenes Ziel
von 3,5 Millionen Arbeitslosen zu erreichen. Jetzt üben
Sie sich in Rhetorik und Herumschreien, um Ihr elemen-
tares Versagen in der Arbeitsmarktpolitik zu vernebeln.
Sie sollten sich schämen. Sie sollten nicht am 1. Mai de-
monstrieren und in der Woche danach das Gegenteil von
dem tun, wofür Sie demonstriert haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Menschen verzweifeln daran, dass Sie ihnen keine
Chance geben. Was hat Ihnen denn der deutsche Mittel-
stand getan, dass Sie ihn so mies behandeln und ihm nicht
die Möglichkeit geben, etwas zu tun?


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Stichwort Scheinselbstständigkeit. Die Menschen

wollen keine Kriminalität begehen, sondern arbeiten bzw.
andere einstellen. Lasst sie doch endlich! Behindert doch
den deutschen Mittelstand nicht, damit er endlich etwas
tun kann!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie machen das Gegenteil, verwenden eine unaufrich-
tige Rhetorik und vernebeln. Wir wollen und müssen die
Weichen anders stellen, damit wir bei uns wieder Chan-
cen entwickeln können.


(Jörg Tauss [SPD]: Glauben Sie den Quatsch eigentlich, den Sie da erzählen, Herr Brüderle?)


– Herr Tauss, dass Sie schreien müssen, verstehe ich. Als
IG-Metall-Funktionär sind Sie quasi verpflichtet zu
schreien. Tun Sie es! Zwickel wird sich darüber freuen.
Aber damit helfen Sie den Menschen nicht. Sie zementie-
ren alles und deshalb laufen Ihnen die Mitglieder weg.


(Jörg Tauss [SPD]: Unfug!)

Jedes Jahr verliert der DGB Hunderttausende von Mit-
gliedern. Deshalb wurde ja auch aus ÖTV, HBV und wei-
teren Gewerkschaften Verdi. Vielleicht wird Verdi dem-
nächst durch Fusion mit der IG Metall zu Puccini. Die
Leute stimmen mit den Füßen ab. Sie machen Ihren ar-
beitsmarktpolitischen Unsinn nicht mit. Wir rufen den
Menschen zu: Haltet durch! Am 22. September ist Frei-
heitstag, dann wird dieser Quatsch abgewählt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kommt Aida!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424202700
Ich erteile das Wort
der Parlamentarischen Staatssekretärin Margareta Wolf.

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424202800
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mir




Rainer Brüderle
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(B)


eigentlich vorgenommen, auf Herrn Brüderle überhaupt
nicht mehr zu reagieren. Eines möchte ich Ihnen aber
doch noch mit auf den Weg geben: Ihnen steht es aus
Gründen der intellektuellen Redlichkeit nicht zu, sich auf
Ludwig Erhard zu beziehen; denn Sie kündigen die so-
ziale Marktwirtschaft in unserem Lande auf, und das in je-
der Rede, die Sie halten, mehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


Wir wissen ja, dass die Verdrängung der eigenen Ge-
schichte vonseiten der FDP eine spezielle Note hat. Viel-
leicht haben Sie vergessen, Herr Kollege, dass Ihre Fraktion
bis zu unserem Amtsantritt seit 1974 jeden Wirtschaftsmi-
nister gestellt hat. Trotzdem stellen Sie sich hier hin und
werfen Nebelkerzen. Sie waren erfolgreich, aber nur im
Aufbau von Bürokratie. Ansonsten haben Sie sich nicht
durchgesetzt. Wir haben einen unvergleichlichen Büro-
kratiewust vorgefunden. Das haben Sie mit zu verantwor-
ten und dazu sollten Sie auch stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Die Anfrage richtet sich doch an Sie!)


Herr Hauser, ich habe gerne mit Ihnen zusammengear-
beitet. Aber die Beamtenschelte, die Sie hier losgelassen
haben, finde ich unverhältnismäßig.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Das habe ich nicht gemacht!)


Sie hätten nur eine Woche zu warten brauchen. Dann wäre
Ihre umfangreiche Große Anfrage beantwortet gewesen
und wir hätten eine sachliche Grundlage für diese Dis-
kussion gehabt, eine Diskussion über ein Thema, das uns
allen, natürlich auch mir als Mittelstandsbeauftragter,
sehr am Herzen liegt und bei dem wir etwas getan haben.
Sie hätten sich Ihre Polemik sparen können; das hätten Sie
dann auch gemerkt. Dieser Bundesregierung geht es da-
rum, die Belastungen für den Mittelstand zurückzufahren.
Das haben wir uns auf die Fahnen geschrieben. Wenn Sie
in den letzten vier Jahren nicht nur körperlich anwesend
gewesen wären, hätten Sie gewusst, dass wir hier schon
sehr viel erreicht haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


– Herr Hinsken, glauben Sie denn wirklich, dass Ihre
Große Anfrage mit 172 Fragen – Herr Eichel hat schon
gesagt, dass viele dieser Fragen die Zuständigkeit der
Kommunen betreffen und nur dort zu klären sind – eine
Hilfe ist beim Abbau von Bürokratie für den Mittelstand?
Das ist doch wohl eher nicht der Fall.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das zeigt doch, woran es bei uns fehlt!)


Sie hätten Ihre Landesminister fragen oder in den Kom-
munen tätig werden sollen. Dann hätten wir gemeinsam
an der Initiative für den Abbau von Bürokratie in Deutsch-
land arbeiten können.


(Walter Hirche [FDP]: Ich erinnere an Ihr 630Mark-Gesetz und die Regelungen zur Schein selbstständigkeit! So viel an Bürokratie ist grauenhaft!)


Verehrter Herr Hauser und Herr Brüderle, mich würde
wirklich einmal interessieren, wo Sie in den letzten Jah-
ren etwas getan haben, um Bürokratie abzubauen. In allen
Regierungen seit Gründung der Bundesrepublik Deutsch-
land waren Ihre Parteien, in welcher Form auch immer,
beteiligt. Nirgendwo haben Sie etwas getan. Nehmen Sie
nur die zahlreichen Initiativen des Bundesrates als Bei-
spiel! Herr Eichel hat schon auf einige hingewiesen.

Ich möchte hier nur einmal auf die Bauabzugsteuer zu
sprechen kommen. Woher stammt denn diese Idee? – Sie
stammt aus Bayern.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Die Idee ist doch gut! Aber was Sie daraus gemacht haben, ist das Problem!)


Man kann mir nicht erzählen, dass Gesetze in Bayern und
Baden-Württemberg, aber auch in Hessen und im Saar-
land keine Bürokratie nach sich ziehen.

Ich finde den Vorgang unmöglich: Die Bundesregie-
rung hat gemeinsam mit dem ZDH einen Vorschlag erar-
beitet und wir haben uns mit der Bauabzugsteuer einver-
standen erklärt. Aber jetzt laufen Sie mit Herrn Philipp
übers Land und erzählen jedem, der es nicht hören will,
die Bauabzugsteuer bringe vor allen Dingen Bürokratie.
Das haben wir, das hat das Wirtschaftsministerium Ihnen
vorher gesagt, aber wir wollten gemeinsam die Schwarz-
arbeit bekämpfen. – Ihre Argumentation ist unredlich und
das können wir nicht hinnehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte auch noch das Tariftreuegesetz anführen;
denn man kann es nicht oft genug sagen: Auch dieses Vor-
haben stammt aus Bayern. Wir haben es unterstützt. Ich
bin einmal gespannt, was am 21. Juni im Bundesrat ge-
schieht. Vielleicht ist Bayern ja in der Lage, zusammen
mit den anderen Ländern ein Tariftreuegesetz zu schaffen,
das gar keine Bürokratie nach sich zieht. Bleiben Sie ehr-
lich, betrachten Sie, was Sie tatsächlich gemacht haben.


(Susanne Kastner [SPD]: Wieso bleiben? Werden sie ehrlich!)


Sie fokussieren Ihre Fragen vielfach auf das Abgaben-
und Steuerrecht. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Sprechen
Sie einmal mit Ihren Länderfinanzministern über den Sinn
und Zweck so mancher Regelung! Wenn Sie das täten, dann
müssten Sie so manche Frage nicht mehr stellen. Vielleicht
wäre es auch hilfreich, wenn Sie die Vereinfachungen, die
Herr Eichel in der Unternehmensteuerreform durchge-
setzt hat, tatsächlich honorierten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ein Weiteres kann ich Ihnen nicht ersparen: Sie sagen
in Ihrer Großen Anfrage, Bürokratie führt dazu, dass un-
ternehmerische Entfaltung erschwert wird. Jeden Morgen
werden wir, wenn wir die Zeitung aufschlagen, von neuen
Dingen überrascht, von denen ich meine, dass sie die un-
ternehmerische Entfaltung erheblich erschweren.




Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf

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(C)



(D)



(A)



(B)


An einem Tag spricht Herr Stoiber von einer Staats-
quote unter 40 Prozent.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das machen wir auch!)


– Ja, das machen Sie auch.
Die Lichtgestalt – das ist ein bekannter Fernsehmode-

rator und von mir sehr geschätzter ehemaliger Minister-
präsident – sagt: Das ist alles Quatsch, das ist überhaupt
nicht zu erreichen, maximal in zwölf Jahren. – Die FDP
– die Wissenschaftler sagen, sie kann überhaupt nicht rech-
nen, sie macht nur unseriöse Programme – toppt das Ganze
mit 35 Prozent oder 30 Prozent. Wunderbar. Was lernen
wir daraus? – Wir sind verwirrt.

Herr Seehofer sagt: Die Rentenversicherungsbeiträge
werden nach der Wahl um 0,5 Prozent steigen. – Am
nächsten Tag lesen wir in der Zeitung, dass Stoiber sagt,
die Rentenversicherungsbeiträge werden nicht steigen.
Am übernächsten Tag sagt das dann auch wieder Herr
Seehofer.

Zur Freistellung der Veräußerungsgewinne sagt
Herr Stoiber: Das müssen wir überprüfen. – Früher hat er
einmal gesagt, sie muss weg. Herr Späth sagt, das ist eine
Gefährdung für den Standort Deutschland. Was sollen die
Leute überhaupt noch glauben?


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Alles, was unser Kanzlerkandidat sagt, sollen die Leute glauben, weil es richtig ist!)


Die letzte schöne Geschichte handelt von den Kran-
kenversicherungsbeiträgen. Sollen sie steigen oder sol-
len sie sinken? Das ist eine Kakophonie, die dazu führt,
dass es in Bezug auf Investitionen in diesem Land, gerade
die von Ausländern, einen gewissen Attentismus gibt. Das
haben Sie zu verantworten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Sie
haben in Ihrer Großen Anfrage viel von Steuern gespro-
chen. Ich möchte gern wissen, ob Herr Merz wieder zum
Vollanrechnungsverfahren zurück will.


(Jörg Tauss [SPD]: Das weiß der selber nicht!)

Gestern habe ich gelesen, dass Herr Glos nicht wieder
zum Vollanrechnungsverfahren zurück will. Vorgestern
habe ich von Herrn Merz gehört, dass er zurück will. Wir
alle wissen: Das Vollanrechnungsverfahren hat zu erheb-
licher Bürokratie geführt, die von den Unternehmen und
den Finanzämtern kaum zu bewältigen war.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Das stimmt doch nicht!)


Werden Sie endlich einmal deutlich. Vielleicht gewinnen
wir dann wieder den Eindruck, dass Sie wissen, wovon
Sie sprechen.

Wir haben ein Gutachten über den Abbau von büro-
kratischen Hemmnissen bei Existenzgründungen er-
stellen lassen. Dieses lässt sich uneingeschränkt auf be-
stehende Unternehmen übertragen. Wenn Sie schon nicht
abwarten können, bis wir Große Anfragen beantworten,

dann sollten Sie zumindest in der Lage sein, Studien zu le-
sen, die allen zugänglich sind und jedem Abgeordneten
zugesandt werden.

Eine solche Studie ist zum Beispiel vom IfM in Bonn.
Darin kann man zum verwaltungsbedingten Zeitaufwand
für die Umsetzung von Gründungsvorhaben lesen – ich
zitiere aus der Zusammenfassung –, dass Deutschland,
wenn man den tatsächlichen Zeitbedarf bei Existenzgrün-
dungen zugrunde legt, knapp hinter den Niederlanden den
zweiten Rang belegt.

Ein weiteres Zitat:
Trotz der größeren Anzahl der zu absolvierenden
Verfahren in Deutschland ist der Zeitaufwand im
Vergleich zu anderen Ländern mit Ausnahme der
Niederlande in Deutschland geringer.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das zu der Studie. Damit möchte ich aber nicht sagen,
dass wir am Ende des Weges angekommen sind. Wir sind
jedoch auf einem sehr guten Weg.

Ich möchte Ihnen jetzt sagen, welche Hemmnisse im
verarbeitenden Gewerbe die Studie, die wir in Auftrag ge-
geben haben, am häufigsten genannt hat. Ganz oben stand
die Pflichtmitgliedschaft in den Industrie- und Handels-
kammern. Hier würde mich vor allem interessieren, was
Herr Hinsken dazu sagt. Unter unserer Regierung haben
wir zumindest einen Prüfauftrag erfüllt und die Beiträge
zu den Industrie- und Handelskammern sind heute so
niedrig wie seit 1957 nicht mehr.

Wenn Sie Bürokratie konsequent abbauen wollen,
dann schleichen Sie nicht immer daran vorbei.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie wollen doch nicht sagen, dass Sie das gemacht haben, Frau Wolf!)


Wir wollen die Industrie- und Handelskammern nicht auf-
lösen, aber wir wollen sie überprüfen


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das war scheinbar der liebe Gott!)


– seien Sie einmal ruhig, gleich sind Sie noch einmal dran,
Herr Hinsken – und alles dafür tun, dass sie wirklich
dienstleistungsorientiert arbeiten. Da sind wir im ständi-
gen Gespräch.

Das Zweite, was im Hinblick auf Bürokratieabbau
ganz oben auf der Skala rangiert, ist die Handwerksord-
nung.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Sagen Sie einmal etwas dazu, sehr geehrter Herr Hinsken,
woran alle Modernisierungsschritte in Sachen Hand-
werksordnung scheitern. Ich erinnere nur an die Leipziger
Beschlüsse. Wie lange haben wir über Ausnahmeregelun-
gen in Zusammenhang mit § 8 des betreffenden Gesetzes
verhandelt! Sie mussten immer erst mit Herrn Schleyer
Rücksprache halten, ehe wir weiterverhandeln konnten.
Das alles hat ziemlich lange gedauert.




Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf
24226


(C)



(D)



(A)



(B)



(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was hat denn Ihr Wirtschaftsminister dazu gesagt? Ihr Wirtschaftsminister hat gesagt: Das hat sich bewährt, daran halten wir fest!)


– Der Wirtschaftsminister hat zusammen mit den Fraktio-
nen die Handwerksordnung modernisiert. Wir werden sie
auch nach dem 22. September weiter modernisieren.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie sagen es so und der Wirtschaftsminister sagt es anders! Das geht doch nicht!)


– Vielleicht sollten Sie in der nächsten Legislaturperiode
Herrn Scherhag als Berater nehmen; dann brauchen Sie
auch nicht mehr mit einer roten Laterne herumzulaufen,
sehr geehrter Herr Kollege Hinsken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Das Handwerk hat die sichersten Arbeitsplätze!)


Die Bürokratie im Steuer-, Arbeits-, Sozial- und Um-
weltrecht spielt demgegenüber tatsächlich eine unterge-
ordnete Rolle. Sie sollten hierüber nicht nur mit den
ideologisch festgefahrenen Berufsfunktionären, sondern
auch einmal mit dem Mittelstand in unserem Land re-
den.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wir stehen ja selbst drin! Wir haben ja selber Betriebe!)


Die Studie zeigt ganz klar auf – ich erwarte von der Op-
position, dass sie auch in Wahlkampfzeiten Studien liest –,
dass wir dort ansetzen sollten, wo wir auf Bundesebene et-
was bewirken können, zum Beispiel bei der Mittelstands-
finanzierung. Hier könnten auch Sie als Repräsentant der
Commerzbank tätig werden, Herr Kollege Hauser.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Da sind wir auch tätig!)


Nur 8 Prozent der Befragten klagten über das Steuerrecht,
weitere 8 Prozent über Bauvorschriften, aber 31 Prozent
über die Schwierigkeiten bei der Finanzierung ihrer be-
trieblichen Existenz. Mit diesem Thema beschäftigt sich
die Bundesregierung, das Wirtschaftsministerium, in der
Tat seit 1998. Wir haben viel erreicht. Das gilt insbeson-
dere für die Verbreiterung der Basis für eine neue Finan-
zierungskultur. Wir haben Haftungsfreistellungen ermög-
licht, Beteiligungskapital evoziert und Bürgschaften als
Instrument eingesetzt. Auch sitzen wir mit den Verbänden
der öffentlichen und privaten Wirtschaft an runden Ti-
schen zusammen. Anstatt hier herumzukrakeelen, täten
Sie gut daran, in Ihren Wahlkreisen darüber zu informie-
ren, was Basel II bedeutet, und die Sparkassen dazu zu be-
wegen, die Menschen aufzuklären. Wir haben dazu eine
Hotline eingerichtet; bei uns berät ein Stab von Leuten
täglich etwa 20 kleine und mittlere Unternehmen, die von
ihren Sparkassen, Raiffeisenbanken und privaten Banken
kein Geld mehr bekommen. Anstatt hier herumzulamen-
tieren, sollten Sie vor Ort tätig werden. Anstatt 172 merk-
würdige Fragen zu stellen, wäre es besser, wenn Sie mit
uns endlich einmal an einem Strang zögen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Um Gottes willen!)


Das wäre sicherlich eher im Interesse des deutschen Mit-
telstandes und der dort Beschäftigten, meine sehr geehr-
ten Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Bundeswirtschaftsministerium verfolgt mit der
Arbeitsgruppe „Bürokratieabbau“ den Ansatz, durch
konkrete Maßnahmen Verwaltungsabläufe für Unterneh-
men zu optimieren. Sie haben in Ihrer Großen Anfrage da-
nach gefragt, wie viele Referenten damit beschäftigt
seien. Die Antwort: Einer koordiniert die Arbeit und 1 800
sind mit dem Problem befasst. Damit ist eine Ihrer Fragen
hier beantwortet.


(Rainer Brüderle [FDP]: Fragen dürfen wir doch!)


Ganz zu Anfang haben wir alle Verbände angeschrie-
ben und sie nach konkreten Vorschlägen gefragt. Darauf
haben wir kaum einen Rücklauf erhalten. Dann sind wir
zu den Verbänden gegangen, haben aber immer noch
kaum Rücklauf bekommen. Inzwischen haben wir durch
die Einrichtung einer Mailbox einen durchaus repräsenta-
tiven Rücklauf von Unternehmen, die sich mit ihren An-
liegen unmittelbar an die Projektgruppe wenden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir führen
keine akademischen Diskussionen, wir setzen auch keine
Schlichterkommission und keine Deregulierungskom-
mission ein, um hinterher Ergebnisse zu dokumentieren.
Vielmehr ist uns an einer ganz pragmatischen Lösung ge-
legen. So haben wir schon 80 konkrete Maßnahmen zum
Abbau bürokratischer Hemmnisse vorgestellt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aber vorstellen allein genügt doch nicht!)


– Im Wirtschaftsausschuss haben wir darüber diskutiert.
Sie haben alle Unterlagen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aber es hilft doch nichts, wenn Sie was vorstellen! Beschließen müssen Sie es!)


– Herr Hinsken, Sie müssen sich nicht jetzt schon warm
reden. Sie haben noch ein bisschen Zeit.

Durch das Gesetz zur Erprobung einer bundeseinheitli-
chen Wirtschaftsnummerhaben wir die Voraussetzungen
geschaffen, die bestehende Normenvielfalt in Deutschland
zu reduzieren und die Verwaltungsabläufe zu vereinfa-
chen und effizienter zu gestalten. Das Gesetzgebungsver-
fahren ist abgeschlossen; mit der Erprobung wird am
1. Juli begonnen werden. Darauf sind wir stolz. Dies kann
die Voraussetzung für die bundesweite Einführung einer
einheitlichen Wirtschaftsnummer sein.

Des Weiteren haben wir die Kommunikation zwischen
Unternehmen und Krankenkassen bei den Meldungen
vereinfacht und beschleunigt. Das diesbezügliche Projekt
ist abgeschlossen und entlastet die Unternehmen ganz er-
heblich, da alle für die Meldung zur Sozialversicherung
relevanten Daten per E-Mail


(Walter Hirche [FDP]: Das wäre nicht nötig gewesen, wenn Sie nicht die unsinnige 630-MarkRegelung gemacht hätten mit einer übermäßigen Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf 24227 Bürokratisierung! – Gegenruf des Abg. Ludwig Eich [SPD]: Das war nicht unsinnig!)





(C)


(D)


(A)


(B)


– nix Bürokratisierung – an eine einzige Sammelstelle ge-
sendet werden.

Wichtig ist ferner – das wissen wir inzwischen ja,
durch diese Debatte auch Sie –, dass die bestehenden ge-
setzlichen Möglichkeiten durch die Entscheider vor Ort in
den Kommunen auch tatsächlich genutzt werden müssen.
Deshalb haben wir durch das Forschungsvorhaben
„Good Practice“


(Rainer Brüderle [FDP]: Schlagworte machen es nicht!)


genau an der Schnittstelle zwischen Kommune und Un-
ternehmen gute Beispiele unternehmerfreundlichen Han-
delns in Kommunen herausgestellt. Das stärkt die Wett-
bewerbsfähigkeit der Kommunen. Wir arbeiten hier mit
dem Städtetag und mit dem Landkreistag ganz eng zu-
sammen. Es wird auch schon deutlich, dass zum Beispiel
im Baurecht intelligentere Regelungen angewendet wer-
den und der von Ihnen reklamierte „one stop shop“ in vie-
len Kommunen tatsächlich schon existiert.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
komme zum Schluss. Jeder kennt jemanden, der auf eine
Baugenehmigung mehr als ein Jahr gewartet hat und für
die Gründung seines Unternehmens 20 Genehmigungen
brauchte. Aber das ist nicht repräsentativ. Ich werfe Ihnen
vor, dass Sie in den Debatten ein großes Buhei machen
– es ist Wahlkampf –


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Vor der Wahl ist nach der Wahl!)


und den Investitionsstandort Deutschland aus Wahl-
kampfgründen schlecht reden.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Das ist die billigste Polemik! – Walter Hirche [FDP]: Unglaublich!)


Das hat unser Land nicht verdient, das hat der deutsche
Mittelstand nicht verdient. Ich bitte Sie wirklich, auch in
diesen schwierigen Monaten vor der Wahl eine sachlich
orientierte Debatte zu führen, weil wir alle wissen, dass
die Situation nicht einfach ist. Wir möchten einen Kon-
junkturaufschwung und wir werden ihn schon in diesem
Jahr bekommen, im nächsten Jahr einen noch größeren.
Dafür tragen wir alle gemeinsam eine Verantwortung. Es
darf nicht sein, dass man aufgrund billiger Wahlkampf-
rhetorik, oder weil man sich auf kein Konzept einigen
kann, hier den Mittelstand schlecht redet.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wenn Sie das Letzte nicht gesagt hätten, hätte ich mit geklatscht!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424202900
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Dr. Barbara Höll für die PDS-Fraktion.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424203000
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Man muss leider konstatieren:

Den Kleinst-, Kleinunternehmen und dem Mittelstand
geht es heute nicht besser als vor vier Jahren. Die Zahlen
belegen das Gegenteil. Gerade in Bezug auf Betriebsauf-
gaben wurden neue Höchstmarken erreicht.

Herr Hauser, ich hätte Ihnen gewünscht, dass Sie Ihre
letzte Rede aus einem besseren Anlass gehalten hätten

(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Das ist ein sehr guter Anlass gewesen!)

als zu diesem doch plumpen Wahlkampfthema. Gerade
Sie mit Ihrer zwölfjährigen Erfahrung im Bundestag wis-
sen, dass eine am 24. April gestellte Anfrage mit 172 Fra-
gen in dieser Wahlperiode nicht mehr beantwortet werden
kann.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Weil so vieles im Argen liegt!)


Wenn Sie über das Thema diskutieren wollen, hätten Sie
besser gleich einen Antrag mit Ihren Vorschlägen vorge-
legt.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Die Regierung macht jetzt Bilanzen! Das ist auch eine Frage nach Bilanzen!)


Auch mich hätten einige Antworten interessiert, da bin ich
ehrlich. Ich habe jetzt erfahren, dass es ein Referat für
Bürokratieabbau im Bundeswirtschaftsministerium gibt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Lesen bildet!)

Das finde ich toll. Das wusste ich vorher nicht.


(Joachim Poß [SPD]: Sie müssen nur auf die Homepage im Internet gucken! Da kann man das deutlich nachlesen!)


Mich würde schon interessieren, wie dieses Referat ar-
beitet, wie die Bürokratie zum Bürokratieabbau tatsäch-
lich funktioniert.

Diese Anfrage ist natürlich plumper Wahlkampf und
ordnet sich ein in Ihre Versuche, Ihren Kanzlerkandidaten
Stoiber als denjenigen zu präsentieren, der Wirtschafts-
kompetenz für sich gepachtet hat. Nun hat die Praxis ge-
rade in Bayern das wirklich widerlegt. Diese Legende
wird nicht funktionieren. Ich nenne nur einige Stichworte:
Neue Maxhütte, Insolvenz der Kirch-Gruppe. In diesen
Fällen wurden unter dem Kanzlerkandidaten Stoiber
Steuergelder in Milliardenhöhe verschleudert.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Sie sollten sich mit dem Thema Neue Maxhütte mal beschäftigen! Warum die Maxhütte nicht auf die Beine kommt, das müssen Sie die Gewerkschaften fragen!)


Letztlich war es auch hier wieder eine Umverteilung von
unten nach oben. Das ist einfach die Realität.

Ihre Große Anfrage ist zudem populistisch und äußerst
tendenziös.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Aber Sie haben dadurch doch viel gelernt, oder?)





Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf
24228


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie ist deshalb populistisch, weil Sie versuchen, eine be-
triebswirtschaftliche Aufrechnung der Kosten der Büro-
kratie vorzunehmen. Mir fehlt in Ihrer Anfrage zumin-
dest vom Ansatz her das Anerkenntnis, dass man in einer
hochspezialisierten Wirtschaft natürlich ein Regelwerk
braucht. Das ist einfach notwendig.

Sie haben mit konkreten Beispiele begründet, warum
Sie das ablehnen. Ich nenne Ihnen jetzt die Frage 31. Da
sagen Sie, dass die Sicherheitsbeauftragten deutscher
Unternehmen jährlich 2,75 Milliarden Euro kosten. Die
Zahl kann ich jetzt nicht überprüfen; sie mag so hoch sein.
Was wäre aber, wenn die Unternehmen keine Sicherheits-
beauftragten hätten? Wie sähe es dann aus mit den Kosten
durch Unfälle am Arbeitsplatz, die die Gesamtgesell-
schaft zu tragen hätte? Wie sähe es aus mit den Kosten für
Krankenversicherung?


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Alles schwarz-weiß!)


Und wie sähe es aus mit Abläufen innerhalb der Unter-
nehmen, wenn Pannen passieren würden und dann der
normale Betriebsablauf gestört wäre?


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist doch einfach kurzsichtig und populistisch, eine sol-
che Frage zu stellen.

In der Frage 156 fragen Sie nach der Regulierungs-
dichte im Behindertenrecht. Sie fragen nach den Kosten
der Rehabilitation und der Teilhabe behinderter Men-
schen in den Unternehmen. Im Grundgesetz gibt es die
Aussage: Die Würde des Menschen ist unantastbar. – Wir
haben gesellschaftlichen Konsens dahingehend, dass die
Gleichstellung behinderter Menschen in allen Lebensbe-
reichen Ziel sein sollte. Das kostet natürlich Geld und ich
finde es normal, dass sich die Unternehmen an diesen
Kosten beteiligen. Darum geht es doch.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Das ist doch nicht das Thema!)


Was wäre denn, wenn es nicht so wäre, wenn behinderte
Menschen, die heute schon schlechtere Möglichkeiten auf
dem Arbeitsmarkt haben, völlig ausgegrenzt wären? Dann
müsste doch wieder die Gesellschaft, die Solidargemein-
schaft insgesamt, eintreten müssen. Wir wissen, dass die
Beiträge zu den Sozialversicherungen wesentlich stärker
von der arbeitenden Bevölkerung erbracht werden als von
denen, die wirklich viel Geld haben, und von den Konzer-
nen. Die gesellschaftlichen Kosten der Ausgrenzung wären
dann ungleich höher, wenn man den Menschen die Mög-
lichkeit nähme, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.


(Beifall bei der PDS)

Es ist also äußerst unsozial, was Sie in Ihren Fragen im-

plizieren. Es ist auch tendenziös. Sie fragen nur nach den
bürokratischen Belastungen und Pflichten der Unterneh-
men und beklagen, dass die Unternehmen Mitwirkungs-
pflichten zu tragen haben, die natürlich auch Kosten ver-
ursachen. Ich frage mich: Was ist daran so schlimm?
Haben Sie bei der Erstellung Ihrer Großen Anfrage viel-
leicht einmal auch mit nur einem Auge in das Sozialrecht

geguckt? Jeder Bürger in Deutschland, der sich in einer
Notsituation befindet, hat Anspruch auf Sozialhilfe. Aber
er muss den Antrag erst einmal stellen. Dass das oftmals
in einer Art so geschieht, dass sich die Menschen zu Recht
gedemütigt fühlen, ist noch eine ganz andere Frage. Aber
natürlich muss man auch dann den Antrag stellen.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Fragt sich nur wie!)


Dazu Unterlagen beizubringen bedeutet für eine Sozial-
hilfeempfängerin oder einen Sozialhilfeempfänger we-
sentlich mehr Aufwand im Vergleich mit dem, was Unter-
nehmen leisten müssen. Ein Rentenantrag hat heute sechs
Seiten, die Erläuterung dazu zwölf Seiten. Das ist schon
katastrophal. Dann kann man aber nicht so tun, als ob
bürokratische Belastungen nur den Unternehmen entstün-
den.

Ich muss allerdings sagen: Das, was Sie vonseiten der
Regierungskoalition in den letzten vier Jahren in Rich-
tung eines Abbaus von Bürokratie geleistet haben, ten-
diert meines Erachtens stark gegen null. Etwas anderes zu
behaupten entspräche nicht der Wahrheit. Ich nehme nur
einmal meinen Spezialbereich, die Steuer- und Finanz-
politik. Der Finanzausschuss hat gestern seine 136. Sit-
zung absolviert. Damit dürften wir etwa im Spitzenbe-
reich der Arbeit der Ausschüsse des Bundestages liegen.
Ich arbeite sehr gern dort, es macht Spaß; allerdings
würde ich mir wünschen, dass wir uns nicht laufend da-
mit beschäftigen würden oder hätten beschäftigen müs-
sen, bestehende Gesetze nachzubessern. Wir hatten ein
Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002. Kurz danach
gab es ein Korrekturgesetz, das Gesetz zur Bereinigung
steuerlicher Vorschriften. Kurz vor diesem Entlastungs-
gesetz hatten wir noch zwei Vorschaltgesetze zu beraten.
Dann kam das Steuersenkungsgesetz von Herrn Eichel,
danach kamen das Unternehmensteuerfortentwicklungs-
gesetz, das Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschrif-
ten, das Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbil-
dungsgesetzes, also eine Vielzahl von Gesetzen.

Es ist wahrlich so, dass selbst die Steuerberater heute
keinen Überblick mehr haben und eigentlich unter die
Steuererklärungen ihrer Mandantinnen und Mandanten
ihre Unterschrift nicht guten Gewissens setzen können.
Das ist leider einfach Fakt.

Ich würde mir wünschen, dass wir gemeinsam den Mut
aufbrächten, eine tatsächliche Änderung vorzunehmen,
den Paragraphendschungel zu lichten und überschaubar
zu machen, und dass die Steuerpolitik, die chaotisch ist
und unter anderem auch zu historischen Steuerausfällen
geführt hat, wieder vom Kopf auf die Füße gestellt wird.

Letztendlich hat die Steuerpolitik von Rot-Grün zu im-
mensen Steuerausfällen geführt, sodass Bund, Länder und
Kommunen kaum mehr Geld für Investitionen haben.
Auch das ist eine Ursache dafür, dass es den Kleinst-,
Kleinunternehmen und dem Mittelstand sehr schlecht
geht. Da öffentliche Aufträge nicht erteilt werden, können
sich kleine Unternehmen auch nicht mehr an der Aus-
schreibung und Durchführung solcher Aufträge beteilig-
ten.


(Beifall bei der PDS)





Dr. Barbara Höll

24229


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir als PDS haben eine Reihe von Vorschlägen auf den
Tisch gelegt, wie man gerade im Steuerrecht einiges be-
wirken könnte. Dazu nenne ich ein einfaches und sehr ver-
ständliches Beispiel, nämlich die Individualbesteuerung;
es gäbe nur noch eine Steuerklasse. Wir hätten dann auch
die Möglichkeit, Geld einzunehmen, das zielgerichtet für
die Zahlung des Kindergeldes und für das Leben mit Kin-
dern ausgegeben werden könnte.

Ich habe mich gefreut, als ich heute in der „Süddeut-
schen Zeitung“ gelesen habe, dass auch Herr Poß als stell-
vertretender Fraktionsvorsitzender erkannt hat, dass die
Konzerne unter der Regierungskoalition über Gebühr – das
ist noch milde ausgedrückt – entlastet wurden,


(Joachim Poß [SPD]: Was? Es tut mir Leid, Frau Kollegin, Sie haben das offenkundig nicht verstanden!)


dass er unseren Vorschlag der Mindestbesteuerung auf-
greift und dass er es für notwendig hält, dass gerade die-
jenigen, die viel Geld haben, sich endlich an der Finan-
zierung des Gemeinwesens beteiligen.


(Beifall bei der PDS – Joachim Poß [SPD]: Es geht nicht um eine stärkere Belastung, sondern um eine Streckung! Es geht um Verlustvorträge!)


Wir haben die Steuerbefreiung für Existenzgründungen,
die Einführung einer Ist-Besteuerung bei der Umsatzsteuer,
den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Handwerksdienst-
leistungen und die Förderung von Unternehmen nicht nur
in der Gründungs-, sondern auch in der Konsolidierungs-
phase vorgeschlagen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424203100
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424203200
Ich denke, diese Dinge wür-
den in der konkreten Umsetzung wirklich zu einer Ver-
einfachung führen. Menschen würden ermutigt werden,
eigene Betriebe zu gründen, und sie hätten die Chance,
diese auch am Leben zu halten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS – Zuruf von der SPD: 70 Prozent waren falsch!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424203300
Ich erteile jetzt dem
Kollegen Wolfgang Schulhoff für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.


Wolfgang Schulhoff (CDU):
Rede ID: ID1424203400
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Eines
der größten Übel für unternehmerische Gestaltungs- und
Entfaltungsmöglichkeiten ist eine überbordende Bürokra-
tie. Wir haben das eben bereits von vielen Rednern gehört;
darin sind wir uns einig. Kein Wirtschaftszweig begrüßt
den staatlichen Bürokratieabbau deshalb mehr als das so
stark betroffene Handwerk und der Mittelstand insgesamt.

Von einer modischen Richtung in der Ökonomie, der
Publizistik und der Politik werden aber leider ausgerech-

net die Bedingungen, die den Wettbewerb schaffen, als
Regulierung betrachtet und unter der Flagge der Deregu-
lierung bekämpft. Die Gründerväter der sozialen Markt-
wirtschaft wussten zum Beispiel, dass die Ordnung des
Wettbewerbs eine rechtsschöpferische Leistung erfordert.
Wettbewerb ist ohne Spielregeln unmöglich.

So ist es, um ein aktuelles Beispiel anzuführen, auch im
Fußball. Wer die Spielregeln im Fußball abschaffen
wollte, weil sie beide Mannschaften an der Entfaltung ih-
rer freien Kräfte hindern, wäre kein erfolgreicher Dere-
gulierer, sondern würde das Fußballspiel vermutlich rui-
nieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Man denke nur an die Häufung der gelben Karten!)


Auch zu viel Regulierung ist natürlich nicht gut, wie das
Fußballspiel Kamerun gegen Deutschland – man denke
an die gelben Karten – offensichtlich gezeigt hat.

Es geht also um zu viel Bürokratie und – ich will es ganz
deutlich sagen – um Bürokratie, die die unternehmerische
Freiheit systemwidrig einengt. Diese staatlichen Eingriffe
wirken nämlich wettbewerbsverzerrend und innovations-
hemmend und sind letztlich demokratiefeindlich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Frau Wolf, ich darf Sie in dem Kontext einmal

ansprechen und Sie bitten, mir ihr Gehör zu leihen. – Sie
hört einfach nicht zu, ich mache trotzdem weiter: Was Sie
hier eben gesagt haben, war handwerksfeindlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es war eine Kampfansage an einen der wichtigsten Wirt-
schaftszweige der Bundesrepublik Deutschland.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Sie haben es ohne jegliche Sachkenntnis vorgetragen.


(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])

Es war dürftig, aber zum Glück wird dieser Spuk am
22. September beendet sein.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: 100 Tage noch! Dann ist das Ende da!)


Wenn Gesetze und Anordnungen nicht einsichtig und
intellektuell nicht nachvollziehbar sind, wirken sie wie
ein Geßler-Hut auf die Menschen und lassen ihre Verfas-
ser als Popanz erscheinen. Sie führen zur Staatsverdros-
senheit mit dem Ergebnis, dass sich der Einzelne nicht
mehr mit seinem Staat identifizieren kann. Diese Tenden-
zen spürt man in Deutschland und in vielen westlichen De-
mokratien leider schon überdeutlich. Nicht ohne Grund hat
deshalb Bundeskanzler Schröder in seiner Regierungser-
klärung angekündigt – wir wiederholen das –:

Wir werden die Verwaltung schlanker und effizienter
machen, und wir werden hemmende Bürokratie
rasch beseitigen.

Dies hat besonders der Mittelstand gerne gehört. Es
gab viele, die ihm das damals zutrauten. Er hatte eine aus-




Dr. Barbara Höll
24230


(C)



(D)



(A)



(B)


reichende Mehrheit, parlamentarisch vieles durchzuset-
zen.


(Ludwig Eich [SPD]: Wir haben auch etwas gemacht!)


Hier wäre ihm in weiten Teilen – das darf ich für meine
Kollegen sagen – die Opposition gerne gefolgt.


(Joachim Poß [SPD]: Das haben wir gemerkt!)

Auch wollte der Bundeskanzler nicht alles anders, aber

vieles besser machen.

(Susanne Kastner [SPD]: Das haben wir doch auch getan!)

Das hört sich gut an: eine gewisse Bescheidenheit, gepaart
mit Tatendrang. Das ist ein sehr schönes Kanzlerbild; das
muss ich zugeben. Aber was ist danach geschehen? –
Nichts ist besser, aber vieles schlechter geworden, und
zwar nachweisbar.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Darüber, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir

noch reden.

(Joachim Poß [SPD]: Darauf können Sie sich verlassen, dass wir darüber reden werden!)


Wir werden es immer wiederholen. Daran werden wir
auch Herrn Eichel messen, der ebenfalls nicht mehr da
ist. Deutschland befindet sich in einer tiefen wirtschaft-
lichen Krise, die in vielen Bereichen selbst verschuldet
ist.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

– Ich weiß nicht, warum Sie darüber lächeln. – Statt Büro-
kratie abzubauen, ist die Belastung der Wirtschaft durch
zusätzliche Aufgaben unerträglich angestiegen.

Ich möchte diese Aussage wachsender Bürokratiebelas-
tung an dem konkreten Beispiel eines mittelständischen
Unternehmers erläutern. Es handelt sich um einen Me-
tallbaubetrieb aus Düsseldorf. Der Betrieb beschäftigt
28 Mitarbeiter. Die Frau des Betriebsinhabers ist für Büro
und Personal zuständig. So, wie es im Handwerk üblich
ist, müssen die Ehefrauen im Betrieb mitarbeiten, damit
er über die Runden kommt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!)

– Das ist eine Wahrheit. – Der Betriebsinhaber hat seit 1998
alle zusätzlichen staatlichen Aufgaben aufgelistet und be-
wertet. Diese administrativen Mehraufwendungen schlagen
in diesem Unternehmen mit zusätzlich 10 000 Euro zu Bu-
che. Er hat diese Zahlen detailliert aufgeführt. Ich kann
Ihnen die Beispiele geben. So weit also zum Bürokra-
tieabbau.

Dieser enorme Kostenanstieg und natürlich weitere ad-
ministrative Hemmnisse sind für die Strukturschwäche
der deutschen Wirtschaft mitverantwortlich. Nicht ohne
Grund haben wir die schwächsten Wachstumsraten in
der EU. Das haben wir eben schon von Vorrednern gehört.


(Joachim Poß [SPD]: Das hat aber andere Gründe! Lesen Sie dazu einmal die EU-Studie!)


– Dafür gibt es viele Gründe. – Dagegen hilft kein Ge-
sundbeten, keine abenteuerliche Dateninterpretation und
auch keine Reformrhetorik, wie wir sie eben von Herrn
Eichel wieder gehört haben, sondern nur schnelles und
entschlossenes Handeln; denn der Abwärtstrend setzt sich
leider fort.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will hier nichts schlecht reden, wie uns auch eben

wieder von Frau Wolf vorgeworfen wurde. Im Gegenteil:
Ich will, dass es der deutschen Wirtschaft besser geht;
denn ich selber bin mittelständischer Unternehmer und
weiß, wovon ich rede. Deshalb spreche ich ohne jegliche
Gehässigkeit und ohne jegliche Häme. Inzwischen leiden
Millionen meiner Kolleginnen und Kollegen unter der jet-
zigen Situation. Dies gilt selbstverständlich auch für un-
sere Mitarbeiter, für die wir uns verantwortlich fühlen.
Für uns gibt es das „hire and fire“, das in den Großbetrie-
ben und Banken üblich ist, nicht. Wir halten unsere Mit-
arbeiter so lange, wie es eben möglich ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Frau Wolf, Sie sollten sich mit dem Handwerk und dem
Mittelstand beschäftigen, bevor Sie eine solche Rede wie
vorhin halten.


(Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin: Das tue ich jeden Tag!)


Als die Schröder-Regierung von Mittelstandspolitik und
Bürokratieabbau sprach, waren das leider nur Worthülsen,
wie sie eben auch wieder von Herrn Eichel benutzt wur-
den. Bedauerlicherweise gilt das auch für den an sich
sympathischen Wirtschaftsminister. Vielleicht liegt es bei
ihm, der an sich aus der Praxis kommt, daran, dass er nur
Großbetriebserfahrung hat.


(Rainer Brüderle [FDP]: Großkonzern!)

– Herr Brüderle, wir denken kongruent. – Diese Erfah-
rungen konnte er nur bei einem Monopolisten sammeln.

Lenken wir unseren Blick einmal auf die Finanzpolitik.
Niemals wurde Steuerpolitik – das hat Herr Hauser eben
deutlich gemacht; er weiß, wovon er redet – so dilettantisch
und einseitig wie unter Hans Eichel angegangen. Niemals
wurde sie so bürokratiebeladen, so wettbewerbsfeindlich
und so ungerecht betrieben. Viele unserer aufgelisteten
Fragen machen das überdeutlich. Deswegen sind diese
Fragen auch so unangenehm. Das haben wir gehört. Man
hat uns eben vorgeworfen, weshalb wir überhaupt fragen.
Was ist das für ein Verständnis gegenüber einer Opposi-
tion?


(Rainer Brüderle [FDP]: Schlechtes Gewissen!)


Eines kann aber – das ist noch viel wichtiger – zusam-
menfassend festgestellt werden: Die Großen wurden ent-
lastet und die Kleinen belastet. So sieht also sozialdemo-
kratische Politik in Wahrheit aus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Auch das ist falsch!)





Wolfgang Schulhoff

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(C)



(D)



(A)



(B)


An dieser Feststellung ändert aus mittelständischer Sicht
auch die Gewerbesteuerentlastung nichts. Sie war ohne-
hin nur ein Tropfen auf den heißen Stein.


(Lachen bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Aber 30 Jahre vom Handwerk gefordert!)


Ich wiederhole: Die Koalition favorisiert eindeutig
Großbetriebe, die im Übrigen durch ihre Strukturen mit
bürokratischen Belastungen besser umzugehen verstehen
als die Kleinbetriebe. Darauf hat Herr Brüderle eben hin-
gewiesen. Ich möchte hier keinen Gegensatz zwischen
Groß- und Kleinbetrieben herbeireden. Ich plädiere nur
für mehr Gerechtigkeit und Waffengleichheit im Wettbe-
werb; denn nach vier Jahren rot-grüner Politik steht der
Mittelstand mit dem Rücken zur Wand. Bei fast jeder Re-
form der Bundesregierung stand er auf der Verliererseite.
Trotz aller gegenteiligen Versprechungen hat er mit höhe-
ren Belastungen und höheren bürokratischen Hürden als
jemals zuvor zu kämpfen. Das sind Tatsachen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Gerade jetzt muss der Mittelstand wirksam unterstützt

werden; denn zu all den Mehrbelastungen, die er schon
jetzt zu tragen hat, kommt mit Basel II eine fast apoka-
lyptische Gefahr auf ihn zu. Das, was hier von den mit-
telständischen Firmen verlangt wird – wir haben schon
Erfahrungen in den entsprechenden Kammern sammeln
können –, ist kaum zu leisten.


(Ludwig Eich [SPD]: Nicht schon wieder Krokodilstränen!)


Die Banken handeln leider schon im vorauseilenden Ge-
horsam. Wo bleiben die vollmundigen Ankündigungen
des Kanzlers? – Er schweigt bzw. er will eine Mittel-
standsbank gründen.


(Joachim Poß [SPD]: Er hat sich doch für den Mittelstand in Sachen Basel II eingesetzt!)


Das bedeutet noch mehr Bürokratie. So können wir die
Probleme nicht lösen. Gerät ein Großbetrieb in Schwie-
rigkeiten, dann kümmert sich der Kanzler selbst um ihn,
und das natürlich im vollen Licht der Scheinwerfer. Wirt-
schaftliche Vernunft spielt dann keine Rolle mehr, son-
dern nur noch die Schlagzeilen. Holzmann war dafür ein
abschreckendes Beispiel.

Wenn die Regierung offensichtlich Großbetriebe favo-
risiert, dann ist das wahrscheinlich auch im Selbstver-
ständnis der Sozialdemokraten begründet. Sie vertrauen
offensichtlich mehr dem Staat als der unternehmerischen
Freiheit des Einzelnen. Die Großen sind nämlich der
staatlichen Bürokratie ähnlich. Man unterhält sich sozu-
sagen von Gleich zu Gleich. Dabei wird man natürlich
von den Gewerkschaften kräftig unterstützt, weil diese
auf beiden Seiten sitzen. Strukturveränderungen sind bei
dieser Rollenverteilung nur hinderlich. Allen notwen-
digen Veränderungen gegenüber verhält man sich reak-
tionär. Das ist auch systemimmanent.

Zurück zum Thema. Ehrlicherweise muss man zuge-
ben: Keiner Regierung ist es bisher gelungen, der metas-
tasierenden Krebsgeschwulst Bürokratie Herr zu werden.
Um es einmal selbstkritisch zu sagen: Die eine Regierung
hat es nur besser verstanden als die andere, den Anstieg zu

verlangsamen und die Lasten gerechter zu verteilen. Wir
kennen den Mechanismus. Jeder gute Beamte – wir haben
ja nur gute – will einen Nachweis seiner Produktivität er-
bringen. Einen solchen Nachweis erbringt der Ministe-
rialrat zum Beispiel dadurch, dass er ein neues Gesetz ent-
wirft oder ein altes verändert. Der Unterabteilungsleiter
muss natürlich seine Produktivität und Qualifikation ge-
genüber dem Abteilungsleiter auch nachweisen. Deshalb
ist er für jeden Vorschlag des Referenten, ein neues Ge-
setz auf den Tisch zu legen oder ein altes zu ändern, zu-
tiefst dankbar. Der Abteilungsleiter befindet sich im
Verhältnis zum Staatssekretär natürlich in derselben In-
teressenlage. Ebenso verhält es sich im Verhältnis von
Staatssekretär zum Minister. Auch der Minister ist in ei-
ner schwierigen Situation. Er muss sich in der Öffentlich-
keit darstellen. Wie glänzt man am besten? – Natürlich mit
einem neuen Gesetz und mit der Verbesserung der alten
Gesetze. Jetzt wäre an sich die Stunde der Volksvertreter
gekommen, dem Gesetzeswust Einhalt zu gebieten. Lei-
der ist dem nicht so; denn die jeweiligen Sprecher müssen
ja der Fraktion gegenüber auch ihre Wichtigkeit bewei-
sen. Insbesondere brauchen sie in ihren Wahlkreisen Be-
achtung und Anerkennung. Und wie schafft man das? Den
Rest kennen Sie schon.

Ich weiß, dass ich vereinfache. In einer Beurteilung
dürften wir uns jedoch einig sein: Wir befinden uns in ei-
nem Teufelskreis. Aber wir dürfen uns damit nicht abfin-
den. Die Bürokratiedichte zu verringern ist eine der wich-
tigsten Zukunftsaufgaben. Ich hoffe – lassen Sie mich das
in meiner wohl letzten Rede vor dem Deutschen Bundes-
tag als Wunsch äußern –, dass es den politisch Handelnden
zukünftig gelingen wird, auf diesem Feld mehr Erfolge zu
erzielen als bisher. Dies gilt für alle. Dass es grundsätzlich
möglich ist, belegen ermutigende Beispiele aus einigen
Ländern, zum Beispiel Hessen. Zu der dadurch zu gewin-
nenden Freiheit gibt es keine Alternative. Ich wünsche Ih-
nen in diesem Bemühen viel Glück und alles Gute und
danke Ihnen herzlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Glück auf!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424203500
Herr Schulhoff, Sie
haben zum Ausdruck gebracht, dass dies Ihre letzte Rede
vor dem Deutschen Bundestag war. Wir alle danken Ihnen
für Ihr Engagement und für die Begleitung in unserem de-
mokratischen Geschäft. Wir wünschen Ihnen alles Gute!


(Beifall im ganzen Hause – Wolfgang Schulhoff [CDU/CSU]: Danke schön!)


Nun erteile ich dem Kollegen Dr. Uwe Jens für die
SPD-Fraktion das Wort.


Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1424203600
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Das Streben des Kollegen
Schulhoff nach immer mehr Gerechtigkeit ist sehr ehren-
wert. Ich plädiere in erster Linie für etwas mehr Redlich-
keit, für das Bemühen um etwas mehr Wahrheit und Wahr-
haftigkeit. Es täte dem Haus insgesamt gut, wenn wir den
platten Wahlkampf ein bisschen an die Seite stellten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Wolfgang Schulhoff
24232


(C)



(D)



(A)



(B)


Für die wuchernde Bürokratie gibt es aus meiner Sicht
eine Fülle von Ursachen – ich gebe gern zu: wir können
sie gar nicht alle diskutieren –: Erstens muss man fest-
stellen, dass unsere Gesellschaft so kompliziert geworden
ist, dass der technische und soziale Wandel so rapide vo-
ranschreitet, dass man das mit einfachen Lösungen häufig
gar nicht mehr in den Griff bekommen kann.

Zweitens gibt es die EU-Kommission.Von dort kommt
eine Fülle von neuen Vorschriften auf dieses Haus zu, die
bearbeitet werden müssen und die zur Ausweitung der
Bürokratie beitragen.

Die meisten Wünsche nach neuen Gesetzen kommen
jedoch nicht von einzelnen Abgeordneten, sondern aus
der Wirtschaft oder ihren Verbänden direkt, die gern
dieses oder jenes geregelt haben möchten.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!)

Sehr häufig kommen wir solchen Wünschen nach und
widersetzen uns ihnen leider viel zu wenig.


(Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Er hat Recht! Es gibt auch einige vernünftige Sozialdemokraten!)


Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Franz
Werfel, der einmal gesagt hat: Die absolute Freiheit schafft
einen undurchdringlichen Urwald. Die absolute Gerech-
tigkeit und Gleichheit schafft eine leblose Wüste. – Wir
müssen versuchen, unser Staatsschiff zwischen diesen
beiden Polen hindurchzusteuern. Das Streben nach immer
mehr Gerechtigkeit führt sicherlich auch dazu, dass es im-
mer mehr Bürokratie und immer mehr Vorschriften gibt,
vor allem, Herr Hauser, im Steuerrecht. Es gibt da also
Grenzen, die wir erkennen müssen.

Wir haben in den letzten vier Jahren das eine oder an-
dere – ich sage sogar: relativ viel – getan, um das zu ver-
wirklichen, was der Bundeskanzler in der Regierungs-
erklärung, die von der Opposition jetzt schon zweimal
zitiert worden ist, gesagt hat. Ganz wichtig war für mich
zum Beispiel die Abschaffung des Rabattgesetzes und
der Zugabeverordnung.


(Ludwig Eich [SPD]: Richtig!)

Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung gewe-
sen. Jetzt steht noch eine Novellierung des UWG an,
durch die wir zum Beispiel erreichen müssen, dass solche
Aktionen, wie sie C & A Brenninkmeyer praktiziert hat,
auch ohne Gerichtsverfahren möglich sind. Auch dies
scheint mir ein Schritt in die wirklich richtige Richtung zu
sein.

Wir haben die Gewerbeordnung, insbesondere für
Schausteller, vereinfacht.


(Beifall bei der SPD)

Auch das war wirklich notwendig und das kann man nicht
einfach unter den Tisch kehren. Auch das muss die Öf-
fentlichkeit erfahren.

Wir haben sogar etwas getan, um die recht restriktive
Handwerksordnung, Herr Kollege Schulhoff, ein biss-
chen aufzulockern. Mit den so genannten Leipziger Be-
schlüssen haben wir es ermöglicht, dass Altgesellen ins-

besondere im Übernahmefall die Möglichkeit geboten
wird, einen Betrieb zu übernehmen, ohne den großen Be-
fähigungsnachweis zu erbringen. Ich meine, auch das ist
ein Schritt in die richtige Richtung. Manchen Altgesellen
ist diese Möglichkeit noch nicht bekannt. Ich meine aber,
dass sie sie auch nutzen sollen.


(Beifall bei der SPD)

Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland mittler-

weile 52 Existenzgründungslehrstühle.

(Ludwig Eich [SPD]: Hört! Hört!)


An den Universitäten wird versucht, jungen Menschen
beizubringen, wie und vor allem warum es sinnvoll ist,
diesen Sprung in die Selbstständigkeit zu versuchen. Über
Jahre – wir waren nicht immer an der Regierung – hat sich
eine Mentalität entwickelt, nach der junge Leute lieber
Beamte geworden sind, als den Sprung in die Selbststän-
digkeit zu wagen. Wir sind dabei, diese Mentalität umzu-
kehren. Das ist ein vernünftiger Schritt, der endlich erfol-
gen musste.


(Beifall bei der SPD)

Wir fangen damit sogar schon in den Schulen an. Mit unse-
rem Projekt „Junior“ versuchen wir, Schüler zu animieren,
sich damit auseinander zu setzen, ob es nicht sinnvoller ist,
die Selbstständigkeit – möglicherweise nach Abschluss ei-
nes Studiums – anzustreben. Aus meiner Sicht muss schon
in den Schulen angesetzt werden. Das muss vielleicht wei-
ter verstärkt werden – dabei könnten die Länder mithel-
fen –, aber wir bewegen uns auf alle Fälle in die richtige
Richtung.

Im Übrigen bedeutet nicht jedes Gesetz auch mehr
Bürokratie. Wir haben dennoch – das gebe ich gerne zu,
Herr Poß – in den nächsten vier Jahren sehr viel zu tun.
Unsere Steuerreform geht in die richtige Richtung. Auch
sie hat dazu beigetragen, die Situation etwas zu erleich-
tern.

Im vergangenen Jahr sind übrigens 69 000 Neugrün-
dungen erfolgt.


(Joachim Poß [SPD]: Hören Sie zu, Herr Brüderle!)


Dabei handelt es sich um die Differenz zwischen denjeni-
gen, die Liquidation angemeldet haben, und denjenigen,
die neu hinzugekommen sind. 69 000 Neugründungen rei-
chen mir noch nicht aus, aber es ist sehr lobenswert und
muss hervorgehoben werden.


(Beifall bei der SPD)

Ich plädiere dafür und gebe das meinen Kollegen mit

auf den Weg – ich habe auch bereits mit den Vertretern der
IHK darüber gesprochen –, dass zum Beispiel Existenz-
gründern in den ersten fünf Jahren die Kammerbeiträge
erlassen werden könnten. Das wäre ein kleiner Schritt.

Ich plädiere auch dafür, dass wir die Buchführungs-
pflicht, die im Steuerrecht festgelegt wird, etwas später
einführen, als es zurzeit kodifiziert ist. Ich plädiere dafür,
die Statistiken, die von kleinen und mittleren Unterneh-
men erstellt werden müssen, zu überprüfen, um festzu-
stellen, ob alle auf diese Weise anfallenden Statistiken




Dr. Uwe Jens

24233


(C)



(D)



(A)



(B)


wirklich gebraucht werden. Im Allgemeinen sind es die
Verbände, die sie brauchen; es ist nicht der Gesetzgeber.
Mir ist bekannt, dass im Wirtschaftsministerium daran ge-
arbeitet wird und ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg.

Besondere Sorge bereitet mir die Finanzierung der klei-
nen und mittleren Unternehmen; das ist bereits dargestellt
worden. Die Risikoscheu der Banken ist größer geworden.
Die Auflockerung des öffentlich-rechtlichen Systems hat
dazu geführt, dass es im Kreditwesen nicht mehr so viel
Wettbewerb gibt, wie es früher der Fall war. Das Streben
nach Shareholder Value führt zweifellos dazu, möglichst
viel hereinzuholen und wenig an die Zukunft zu denken.
Der Bundeskanzler hat das Problem erkannt. Basel II ist
noch nicht aktuell, sondern kommt erst in fünf Jahren,
aber darüber muss bereits jetzt nachgedacht werden.

Es gibt eine Fülle von Ursachen, die uns darüber nach-
denken lassen, ob für die Finanzierung der kleinen und
mittleren Unternehmen nicht etwas getan werden muss.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang Schulhoff [CDU/CSU])


Ich bin sehr dafür, die Deutsche Ausgleichsbank in eine
deutsche Mittelstandsbank zu überführen


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aber nur von der Namensänderung können sie nicht leben!)


und ihr auch mehr Kompetenzen einzuräumen, damit die
kleinen und mittleren Unternehmen eine Anlaufstelle be-
kommen.

Auch ich werde wahrscheinlich zum letzten Mal in die-
sem Hohen Hause gesprochen haben. Erlauben Sie mir
noch einmal einige Anmerkungen über den Tag hinaus.
Meine große Sorge ist, dass unsere Marktwirtschaft und
der mit ihr verbundene starke Wettbewerb, wofür ich ei-
gentlich immer gekämpft habe, langsam aber sicher in
eine Art Machtwirtschaft entarten. Die großen Konzerne
sind zweifellos auf dem Vormarsch. Deshalb ist das, was
wir heute hier tun, auch so wichtig. Wir müssen uns um
kleine und mittlere Unternehmen kümmern


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

und dafür sorgen, dass nicht nur der Wettbewerb erhalten
bleibt, sondern auch junge Leute, die hellen Köpfe, die
nachwachsen, eine Chance bekommen, in dem offenen
System, in dem wir leben, voranzukommen.

Ich mache mir auch Sorgen, dass unser demokratisches
System und unsere politische Ordnung so, wie sie gestaltet
ist – um einen modernen Begriff zu gebrauchen –, nicht
nachhaltig ist. Wir taktieren aus meiner Sicht zu viel. Wir
agieren zu kurzfristig, immer nur auf den nächsten Wahlter-
min ausgerichtet. Wir hören zu viel auf die Interessenver-
tretungen. Wir müssten mehr grundsätzliche und langfris-
tige Überlegungen anstellen, sodass von diesem Haus eine
eigenständige Entwicklung ausgeht. Sie kommt mir manch-
mal im hektischen Kampf des Wahlgeschehens viel zu kurz.

Meine Damen und Herren, ich gehe ohne Trauer und
auch ohne Wehmut. Ich halte es mit Hermann Hesse:

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Ich bedanke mich bei Ihnen allen und wünsche Ihnen
alles Gute.


(Beifall im ganzen Hause)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424203700
Lieber Kollege Jens,
auch Ihnen gelten Dank und Anerkennung des gesamten
Hauses und alle guten Wünsche für den neuen, freieren
Lebensweg. Ich weiß, wovon ich rede.


(Beifall)

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Ernst Hinsken.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1424203800
Werte Frau Präsidentin!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich
den Vorrednern herzlich danken, die gerade in ihren Ab-
schlussreden Richtungsweisendes gesagt haben. Herr
Kollege Hauser, das betrifft Sie genauso wie den Kolle-
gen Schulhoff; auch das, was Professor Jens zuletzt gesagt
hat, kann in größten Teilen von mir mitgetragen werden.
Sie haben den Deutschen Bundestag mitgeprägt und ha-
ben sich insbesondere auch auf steuerpolitischem und
wirtschaftspolitischem Gebiet hier eingebracht.

Ich möchte zum Thema Folgendes ausführen:

(Joachim Poß [SPD]: Sie machen jetzt wieder Wahlkampf!)

Bürokratie ist die Geißel des Mittelstandes. Sie liegt wie
ein Mehltau über unserem Land und erstickt jede Initia-
tive. Die Wirtschaft zählt die Bürokratie zu den Top Five
der Investitionshemmnisse.


(Joachim Poß [SPD]: Wo ist Herr Michelbach?)


Für kleine und mittlere Betriebe ist gerade die Bürokratie
eine besondere Belastung. Betriebe mit bis zu neun Be-
schäftigten geben pro Mitarbeiter jährlich rund 3 500 Euro
dafür aus und müssen zudem 62 Stunden dafür arbeiten.
Ein etwas größerer, mittelständischer Betrieb wendet zur
Bewältigung der bürokratischen Auflagen 92 Arbeitstage
auf, das entspricht 731 Stunden. Großunternehmen – das
ist von einigen Vorrednern schon gesagt worden – mit
über 500 Mitarbeitern haben dagegen nur eine Belastung
durch die Bürokratie von 150 Euro bzw. 5,5 Stunden pro
Mitarbeiter zu tragen.

Mir ist auch wichtig zu sagen, weil gerade von den Vor-
rednern zum Teil Unrichtiges gesagt wurde, dass ein Ver-
gleich mit anderen Ländern zeigt: Länder mit hoher Rege-
lungsdichte haben einen geringeren Beschäftigungsstand
als Staaten, die nicht alles zu regeln versuchen. Eine
OECD-Untersuchung in 21 führenden Industriestaaten be-
weist: Deutschland liegt, was die Bürokratiebelastung an-
geht, leider auf Platz 16. Ich bedauere, dass Herr Minister
Eichel nicht mehr da ist. Es wäre nämlich wichtig gewe-
sen, dass er das hört; denn er hat hier eine andere Meinung
vertreten. Diese Ergebnisse zeigen eines ganz klar: Es wird
nur dann ein höheres Wachstum geben, wenn der Büro-
kratie zu Leibe gerückt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Das habt Ihr ja immer gemacht in den 16 Jahren!)





Dr. Uwe Jens
24234


(C)



(D)



(A)



(B)


Anders als versprochen, haben Sie von Rot-Grün in die-
ser Legislaturperiode zusätzliche bürokratische Monster
auf Unternehmer losgelassen. Geringfügige Beschäfti-
gungsverhältnisse, Scheinselbstständigkeit, Novellierung
des Betriebsverfassungsgesetzes, Ökosteuer usw. spre-
chen hier Bände.

Eine vor kurzem durchgeführte Umfrage des Deut-
schen Industrie- und Handelskammertags hat ergeben,
dass allein der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit die
Schaffung von 250 000 neuen Arbeitsplätzen in der Bun-
desrepublik Deutschland verhindert hat. Das sollte Ihnen
zu denken geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Darum ist es höchste Zeit, dass sich etwas ändert. Ab mor-
gen sind es nur noch 100 Tage, bis der Spuk von links zu
Ende geht.

Herr Staatssekretär Staffelt, ich bedauere, dass Ihre
Kollegin Wolf nicht mehr da ist. Sie ist als Mittelstands-
beauftragte der Bundesregierung angetreten. Sie sagte, es
werde ihre Hauptaufgabe sein, Bürokratie abzubauen.
Außer heißer Luft hat sie aber nichts produziert.

Sie sollte sich ein Beispiel an dem nehmen, was wir in
unserer Regierungszeit gemacht haben. Ich selbst durfte
einmal in einer Deregulierungskommission des Wirt-
schaftsministeriums mitarbeiten. Wir haben damals 96Vor-
schläge gemacht und innerhalb eines Dreivierteljahres
wurden 62 dieser Vorschläge umgesetzt. Wir haben nicht
nur geprüft, wie uns von Ihrer Seite immer wieder gesagt
wird, sondern wir haben gehandelt; denn das war zum
Wohle der Wirtschaft dringend erforderlich. Ich möchte al-
lerdings hinzufügen: Das war noch viel zu wenig.

Wir müssen uns natürlich an die eigene Brust schlagen:
In nur drei Jahren sind 30 Steuergesetze und 20 Arbeits-
marktgesetze in Kraft getreten. Es ist unglaublich: Bei der
Gründung einer Firma in der Bundesrepublik Deutsch-
land muss man 58 Paragraphen der Arbeitsstättenverord-
nung und darüber hinaus, falls es sich um einen kleineren
Betrieb handelt, 8 490 Einzelvorschriften beachten. Da-
vor kapitulieren immer mehr potenzielle Unternehmer.
Während es 1998 noch über 810 000 Gewerbeanmeldun-
gen gab, so waren es im Jahr 2001 nur noch etwas mehr
als 728 000. Das ist ein Minus von 10 Prozent. Ich meine,
dass deshalb das Gebot der Stunde lauten muss: Rotstift
ansetzen, um Vorschriften, Regelungen, Ausführungsbe-
stimmungen, Verordnungen, Gesetze und was es sonst
noch gibt rigoros zusammenzustreichen.

Das Saarland zeigt hierbei den richtigen Weg.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424203900
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1424204000
Ich bin gleich fertig, Frau
Präsidentin. – Ministerpräsident Müller hat seit seinem
Amtsantritt 1 365 Verwaltungsvorschriften gekürzt oder
gestrichen und niemand hat es gemerkt. Wir brauchen ein
Gesetz, das überflüssige Gesetze abschafft. Wir brauchen
einen Bürokratie-TÜV. Das ist erforderlich, damit unsere
Wirtschaft wieder so richtig in Gang kommt. Dafür zu

sorgen, waren Sie in den letzten vier Jahren nicht in der
Lage. Wir werden das in der nächsten Zeit nachholen, da-
mit die Wirtschaft und der Mittelstand Luft zum Atmen
haben und Arbeitsplätze geschaffen und gesichert werden
können.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424204100
Nun erteile ich dem
Kollegen Ludwig Eich für die SPD-Fraktion das Wort.


Ludwig Eich (SPD):
Rede ID: ID1424204200
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Natürlich ist der Abbau von Bürokratie ein
wichtiges Ziel. Dennoch gibt es keinen Grund, in blinden
Aktionismus zu verfallen. Es gibt auch keinen Grund für
Krokodilstränen. Herr Kollege Hinsken, ich muss schon
sagen: Gesetze, deren Abschaffung man nicht merkt, sind
nicht diejenigen Gesetze, die uns Probleme machen.


(Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Dann tun wir das doch auch!)


Ich möchte auf folgenden Punkt hinweisen: Hinter dem
negativ belegten Wort „Bürokratie“ steht doch das Wort
„Ordnungspolitik“.


(Beifall der Abg. Erika Lotz [SPD])

Politik, die Ordnung in Abläufe bringen will, die gewähr-
leisten soll, dass es gerecht zugeht, die die Umwelt schüt-
zen oder wichtige politischen Ziele durchsetzen soll, kann
doch nicht ohne bürokratischen Aufwand, also ohne das
Mittel von Bürokratie, in Gang gesetzt werden. Natürlich
besteht die Neigung – das ist klar –, des Guten zu viel zu
tun. Deswegen ist es eine ständige Aufgabe von Politik,
das bürokratische Mittel so klein wie möglich zu halten.

Die hier diskutierte Große Anfrage der CDU/CSU er-
füllt diesen Anspruch noch nicht einmal im Ansatz. Die
Union stellt 172 Fragen. Bei einigen Fragen kann man
wirklich nur den Kopf schütteln. Da wird beispielsweise
gefragt, wie hoch die Zahl der derzeit gültigen Gesetze,
Rechtsverordnungen und Einzelvorschriften auf Bundes-
ebene sei. Warum fragen Sie nicht, wie viele Kilogramm
Akten jeden Tag über den Schreibtisch gehen? Was soll
die Antwort auf eine solche Frage bewirken, außer dass
sie Heerscharen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in
Bewegung setzt?


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Eine neue Bürokratie aufbauen!)


Was soll die Frage, wie viele neue Gesetze und Rechts-
verordnungen in der laufenden Legislaturperiode verab-
schiedet und in Kraft gesetzt worden sind? Warum fragen
Sie eigentlich nicht, wie viele neue Gesetze und Verord-
nungen zurzeit der Unionsregierung in Kraft getreten
sind?


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Das brauchen wir nicht zu fragen! Das wissen wir !)


Das waren doch sicherlich Gesetze, die Sie für wichtig
hielten. Wer eine solche Anfrage in einem Wahlkampfjahr




Ernst Hinsken

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(C)



(D)



(A)



(B)


stellt, verfolgt eben nicht die Absicht, Bürokratie abzu-
bauen. Ganz im Gegenteil: Sie beschäftigen den Regie-
rungsapparat über jedes vernünftige Maß hinaus und ver-
ursachen einen gewaltigen bürokratischen Aufwand.


(Beifall bei der SPD – Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Das ist wohl Majestätsbeleidigung!)


Sie wollen darüber hinaus den Mittelstand Glauben
machen, die gesamte staatliche Bürokratie sei in den letz-
ten dreieinhalb Jahren entstanden.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Entstanden nicht, aber vermehrt! Wir haben gesagt, dass wir mitschuldig sind!)


Natürlich will ich nicht bestreiten, dass auch durch rot-
grüne Politik, Herr Kollege Hinsken, Bürokratie entstanden
ist. Leider sind davon auch mittelständische Unternehmen
betroffen. Das ist doch völlig klar. Aber die Regierung
Schröder hat vor allem den Mittelstand unterstützt.


(Beifall bei der SPD)

Sie hat auch Erfolge beim Abbau von Bürokratie.

Wenn ich Ihre Fragen lese, verehrte Damen und Her-
ren von der CDU/CSU, komme ich aus dem Staunen nicht
mehr heraus. Sie fragen beispielsweise nach den Kosten
der Bauabzugsteuer. Davon war schon mehrfach die
Rede. Irre ich mich oder ist die Bauabzugsteuer auch eine
Initiative von Bayern und Baden-Württemberg im Bun-
desrat gewesen?


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Wir reden über die Folgen! Es geht um die Verwaltungsanweisungen!)


Hat diese Steuer nicht auch das Bauhauptgewerbe gefor-
dert? Ist sie nicht ein Schutz vor illegalen Praktiken?


(Beifall bei der SPD)

Ich frage mich weiter: Wie sollen anständige Unter-

nehmer ohne jeglichen bürokratischen Aufwand ge-
schützt werden?


(Beifall bei der SPD)

Wie soll beispielsweise der Schutz vor Schwarzarbeit
ohne ordnungspolitische Maßnahmen funktionieren? Wie
sollen wir illegale Beschäftigung eindämmen sowie Kor-
ruption und Steuerhinterziehung zurückdrängen? Wie sol-
len wir die Geldwäsche bekämpfen, ohne dass wir nicht
auch das Mittel der Bürokratie dafür einsetzen?


(Beifall bei der SPD)

Aber es geht Ihnen nicht darum, eine differenzierte Be-

trachtung anzustellen. Sie wollen Wahlkampf machen und
machen dabei von diesen Mitteln Gebrauch.

Ihre Anfrage soll aber auch von den Leistungen der Re-
gierung Schröder für den Mittelstand ablenken. Ich nenne
zum Beispiel die Steuerpolitik.Wann hat es jemals eine
solche Steuersenkung für den Mittelstand gegeben, Herr
Kollege Hinsken?


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Natürlich! Die steuerfreien Veräußerungsgewinne!)


Die Gewerbesteuer ist für Personengesellschaften prak-
tisch abgeschafft.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Entlastung der großen Unternehmen von 25 Milliarden Euro!)


Ich weiß nicht, wie lange bereits die Gewerbesteuer erho-
ben wird. Aber ist es wirklich übertrieben, zu sagen, dass
die praktische Abschaffung der Gewerbesteuer für die
Personengesellschaften ein historisches Verdienst der Re-
gierung Schröder ist?


(Beifall bei der SPD)

Durch die Erhöhung des Grundfreibetrages und die

Senkung des Spitzensteuersatzes wurden auch die Perso-
nengesellschaften von der Einkommensteuer stark entlas-
tet. Im Übrigen: Tun Sie nicht so, als gäbe es im Bereich
des Mittelstandes keine GmbHs. Lieber Kollege
Schulhoff, es ist natürlich ein breiter Spagat, als Gesell-
schafter einer GmbH hier die Krokodilstränen des Hand-
werks zu weinen. Aber ist es nicht richtig, zu sagen, dass
wir durch die Senkung des Körperschaftsteuersatzes von
45 bzw. 40 auf 25 Prozent auch den Mittelstand in erheb-
lichem Umfang von Steuern entlastet haben?


(Beifall bei der SPD – Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Das ist doch okay!)


Die Regierung Schröder hat den Mittelstand nach
Kräften gefördert. Ich frage mich, warum Sie nicht die
Souveränität haben, dies einfach anzuerkennen.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Sie wollten doch keine Wahlkampfrede halten!)


– Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen.

(Beifall bei der SPD)


Warum erkennen Sie nicht an, dass Rot-Grün mit vie-
len Maßnahmen Existenzgründungen gefördert hat,
Herr Kollege Brüderle? Durch Finanzhilfen mit den
verschiedenen Programmen der Förderbanken werden
Neugründungen von Unternehmen beträchtlich geför-
dert.

Warum erkennen Sie nicht an, dass das Meister-
BAföG eine wichtige Maßnahme ist, die es verdient, hier
erwähnt zu werden?


(Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Frau Wolf ist dagegen!)


Warum verschweigen Sie eigentlich, dass kleinere und
mittlere Betriebe bei Investitionen und bei der Schaffung
von Arbeitsplätzen mit den verschiedenen Programmen
nach Kräften unterstützt werden?

Ein Teil Ihrer Fragen, verehrte Damen und Herren der
Union, befasst sich mit dem bürokratischen Aufwand für
Betriebsräte. Insbesondere hinterfragen Sie die letzte
Reform des Betriebsverfassungsgesetzes.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ja!)

Im Prinzip wollen Sie damit die Botschaft verbinden: Be-
triebsräte behindern und erschweren die unternehmeri-
sche Entfaltung.




Ludwig Eich
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(C)



(D)



(A)



(B)



(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Das ist doch Schwachsinn!)


Sie suggerieren der Öffentlichkeit, dass die Arbeitneh-
mervertreter in den Betrieben überflüssig sind und nicht
im Interesse der Unternehmen arbeiten.

Mich ärgert weniger, dass Ihnen diese Teilhabe an der
Demokratie offenbar keinen bürokratischen Aufwand
wert ist, sondern mehr die Verkennung der Tatsache, dass
es in der Praxis gerade die Betriebsräte sind, die in
schwierigen Zeiten absolut solidarisch hinter ihren Unter-
nehmen stehen.


(Beifall bei der SPD)

Sind es nicht die Betriebsräte, die bereit sind, auch Lohn-
verzicht zu leisten, wenn eine Notlage entstanden ist?


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/ CSU]: Die Gewerkschaften sind dagegen!)


Mobilisieren nicht gerade die Betriebsräte – und die Ge-
werkschaften, Herr Kollege Brüderle – die Politik und die
Öffentlichkeit? Warum erkennen Sie nicht an, dass gerade
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihre Gewerk-
schaften und ihre Vertreter die solidarischsten und treues-
ten Verbündeten ihrer Unternehmen sind? Das verstehe
ich nicht, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424204300
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken? – Bitte
sehr.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1424204400
Herr Kollege Eich, Sie
haben vorhin dem Mittelstand das Wort geredet. Das kann
ich im Großen und Ganzen teilen. Sie haben eben insbe-
sondere das Betriebsverfassungsgesetz angesprochen und
unsere Forderung nach einer Entbürokratisierung speziell
beim Betriebsverfassungsgesetz zurückgewiesen. Des-
halb frage ich Sie, ob Ihnen bekannt und bewusst ist, dass
in Unternehmen ab 200 Beschäftigten ein zusätzlicher
Betriebsrat, der freigestellt werden muss, 170 000 bis
200 000 DM oder etwa 100 000 Euro kostet und dass der
kleine Betrieb mit etwa zehn Beschäftigten, dem Sie das
Wort geredet haben, zusätzlich mit Kosten von etwa 9 000
bis 10 000 DM bzw. 5 000 Euro belastet wird, falls er ei-
nen Betriebsrat bekommt, dieses Geld aber nicht ohne
weiteres als Manna vom Himmel fällt?


(Zuruf von der SPD: Der braucht aber gar kein Geld!)



Ludwig Eich (SPD):
Rede ID: ID1424204500
Herr Kollege Hinsken, ich frage
mich, welchen Anteil diese 10 000 DM im Verhältnis zur
Lohnkostensumme bei einem Betrieb mit 200 Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern darstellen mögen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Das sind 100 000 Euro!)


Sie diskutieren darüber, was zwei Betriebsräte mehr in
diesem berühmten Betrieb mit 200 Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern bedeuten.

Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich empfinde das als
lächerlich. Warum können Sie einfach nicht akzeptieren,
dass es hier um eine Erweiterung von Mitbestimmung
geht? Warum können Sie nicht akzeptieren, dass Be-
triebsräte den Betrieben auch viel Arbeit abnehmen?


(Beifall bei der SPD)

Ich halte es für einen verhängnisvollen Fehler, wenn

Sie diese Diskussion führen. Ich bitte Sie, damit auf-
zuhören, in der Öffentlichkeit die Arbeit der Betriebsräte
als lästig oder als irgendwie überflüssig darzustellen.


(Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das tun wir nicht!)


Eine besondere Zielscheibe Ihrer Fragen ist die Öko-
steuer. Hatte nicht Ihr Kanzlerkandidat verlautbart, er
wolle diese Steuer abschaffen? Jetzt ist zu hören, es gehe
nur noch um die Stufe, die am 1. Januar 2003 in Kraft tre-
ten soll.


(Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Als erstes!)


Mich interessiert nun, warum Sie dieses nach Ihrer Auf-
fassung so bürokratische Regelwerk beibehalten wollen.

Mich wundert im Übrigen auch, dass Sie in Ihrer An-
frage keine Auskunft über die Auswirkung des Dosen-
pfands haben wollen. Könnte es sein, dass Sie lieber nicht
darüber reden wollen, dass das Dosenpfand ein Ergebnis
der von Ihnen kreierten Verpackungsverordnung ist?


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Nein! Aber Ihre Meinung gehört in die Dose!)


Ist es nicht so, dass diese Bürokratie, die ja auch den Mit-
telstand belastet, aus Ihrer christlich-sozialen Feder
stammt?

Im Übrigen wäre es ein spannendes Thema, zu disku-
tieren, warum die freiwillige Selbstverpflichtung des Mit-
telstandes und der Industrie in diesem wie auch in ande-
ren Fällen nicht funktioniert hat.

Wir erleben ja derzeit noch ein anderes Beispiel, näm-
lich die Diskussion über den so genannten Teuro. Fest
steht, dass die Regierung Schröder bei der Einführung des
Eurobargeldes auf gesetzliche Vorschriften weitgehend
verzichtet hat. Rot-Grün wollte dem Mittelstand und dem
Handel diesen bürokratischen Aufwand nicht zumuten.
Das Ergebnis kennen wir. Ich muss sagen: Es ist nicht in
allen Fällen zufrieden stellend. Es ist keine Ermunterung
der Politik, auf ordnungspolitische Maßnahmen ganz zu
verzichten. Das sind schlicht die Erfahrungen.


(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch für mich war

dies höchstwahrscheinlich die letzte Rede.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Schade!)


Ich bedanke mich für so manches schöne Gespräch. Ich
habe mich hier sehr wohl gefühlt, verspüre jetzt aber keine
Wehmut. Ich muss offen sagen: Ich bin froh, in meinem
nächsten Lebensabschnitt zu Hause mehr Zeit für körper-
liche Arbeit zu haben.




Ludwig Eich

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(C)



(D)



(A)



(B)


Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424204600
Auch Ihnen, Herr
Kollege Eich, gilt der Dank des ganzen Hauses. Alle guten
Wünsche begleiten Sie.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 d sowie

die Zusatzpunkte 4 a bis 4 c auf:
40. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten

Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Irmgard Schwaetzer,
Dirk Niebel, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Reform derArbeitnehmerüberlassung
– Drucksache 14/8545 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Müller (Zittau), Dr. Rainer Wend, Dr. Axel Berg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Werner Schulz (Leipzig),
Ulrike Höfken, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur“ als regelge-
bundenes Fördersystem erhalten
– Drucksache 14/9242 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula
Lötzer, Pia Maier, Christa Luft, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der PDS
Sozialbindung des Eigentums in beschäfti-
gungspolitische Verantwortung umsetzen
– Drucksache 14/8552 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christina
Schenk, Pia Maier, Monika Balt, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der PDS

Eigenständige Existenzsicherung durch Rück-
kehr in den Beruf statt nachehelicher Unter-
haltsabhängigkeit
– Drucksache 14/9185 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg-

Otto Spiller, Adelheid Tröscher, Dr. Ernst
Ulrich von Weizsäcker, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord-
neten Angelika Beer, Andrea Fischer (Berlin),
Rita Grießhaber, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Reform der internationalen Finanzarchi-
tektur
– Drucksache 14/9359 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Brunhilde Irber, Annette Faße, Renate
Gradistanac, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Sylvia Voß, Albert Schmidt (Hitzhofen),
Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/ DIE GRÜNEN
Aktionsplan zum Kinder- und Jugendtou-
rismus in Deutschland
– Drucksache 14/9363 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Matthias
Wissmann, Ulrich Adam, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU
Zukunft Meer – Für eine verantwortungs-
bewusste Nutzung der Meerestechnologie
– Drucksache 14/9352 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolge-
nabschätzung




Ludwig Eich
24238


(C)



(D)



(A)



(B)


Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 a bis 41 e und 41 g
bis 41 w sowie die Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf. Es han-
delt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen
keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 41 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu den Änderungen vom 15. Juni
1999 des Übereinkommens zum Schutz des
Menschen bei der automatischen Verarbeitung
personenbezogener Daten und zu dem Zusatz-
protokoll vom 8. November 2001 zu diesem
Übereinkommen
– Drucksache 14/9193 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses

(4. Ausschuss)

– Drucksache 14/9407 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Schröter
Beatrix Philipp
Grietje Bettin
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau

Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt
auf Drucksache 14/9407, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Es haben sich alle erhoben. Da-
mit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 41 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das
Branntweinmonopol
– Drucksachen 14/9005, 14/9042 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des

Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/9409 –
Berichterstattung:

(Everswinkel)



(8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 14/9450 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke
Hans-Eberhard Urbaniak

Oswald Metzger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Uwe-Jens Rössel

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/9409, den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Die Gegenpro-
be! – Enthaltungen? – Auch dieser Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das
sind alle, also ist der Gesetzentwurf einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 41 c:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu den Änderungen vom 17. No-
vember 2000 des Übereinkommens vom 20. Au-
gust 1971 über die Internationale Fernmelde-
satellitenorganisation INTELSAT
– Drucksache 14/8983 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/9412 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Elmar Müller (Kirchheim)


Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie empfiehlt auf Drucksache 14/9412, den
Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Die
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der PDS-
Fraktion ist der Gesetzentwurf angenommen.

Tagesordnungspunkt 41 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfah-
rensrechtlicher Vorschriften
– Drucksachen 14/9000, 14/9259 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/9418 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Schröter
Sylvia Bonitz
Grietje Bettin
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/9418, den Gesetzentwurf in




Vizepräsidentin Anke Fuchs

24239


(C)



(D)



(A)



(B)


der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Ent-
haltungen? – Gegen die Stimmen der PDS ist der Gesetz-
entwurf in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Die
Gegenprobe! – Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen
der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 41 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten
Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgeset-
zes
– Drucksachen 14/9197, 14/9235 –

(Erste Beratung 239. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9423 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Simm
Dr. Wolfgang Götzer
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/9423, den Gesetzentwurf in sei-
ner Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Die Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Bei Enthaltung der FDP ist der Gesetzent-
wurf in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Da-
gegen? – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der FDP-Frak-
tion ist der Gesetzentwurf angenommen.

Tagesordnungspunkt 41 g:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Internationalen Überein-
kommen vom 15. Dezember 1997 zur Bekämp-
fung terroristischer Bombenanschläge
– Drucksache 14/9198 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9424 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Norbert Geis
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt
auf Drucksache 14/9424, den Gesetzentwurf anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, sich zu erheben. – Es haben sich alle erho-
ben. Insofern ist der Gesetzentwurf einstimmig
angenommen.

Tagesordnungspunkt 41 h:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Ausführung des Zweiten Protokolls vom
19. Juni 1997 zum Übereinkommen über den
Schutz der finanziellen Interessen der Europä-
ischen Gemeinschaften, der gemeinsamen
Maßnahme betreffend die Bestechung im pri-
vaten Sektor vom 22. Dezember 1998 und des
Rahmenbeschlusses vom 29. Mai 2000 über die
Verstärkung des mit strafrechtlichen und ande-
ren Sanktionen bewehrten Schutzes gegen
Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung
des Euro
– Drucksachen 14/8998, 14/9258 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Übereinkommen vom 26. Mai 1997
über die Bekämpfung der Bestechung, an der
Beamte der Europäischen Gemeinschaften
oder der Mitgliedstaaten der Europäischen
Union beteiligt sind
– Drucksachen 14/8999, 14/9208 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Zweiten Protokoll vom 19. Juni 1997
zum Übereinkommen über den Schutz der fi-
nanziellen Interessen der Europäischen Ge-
meinschaften
– Drucksachen 14/9002, 14/9207 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9413 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Christine Lambrecht
Dr. Wolfgang Götzer
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung des
Zweiten Protokolls zum Übereinkommen über den
Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Ge-
meinschaften, der gemeinsamen Maßnahme betreffend




Vizepräsidentin Anke Fuchs
24240


(C)



(D)



(A)



(B)


die Bestechung im privaten Sektor und des Rahmenbe-
schlusses über die Verstärkung des Schutzes gegen Geld-
fälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro auf
den Drucksachen 14/8998 und 14/9258. Der Rechtsaus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/9413, den Gesetzentwurf an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Eine Gegen-
probe ist nicht nötig. – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Es
haben sich alle erhoben. Der Gesetzentwurf ist einstim-
mig angenommen.

Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkom-
men über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte
der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union beteiligt sind, auf den Druck-
sachen 14/8999 und 14/9208. Der Rechtsausschussemp-
fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/9413, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Eine Gegenprobe ist nicht
nötig. Es haben alle zugestimmt. Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Es
haben sich alle erhoben. Der Gesetzentwurf ist einstim-
mig angenommen.

Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Zweiten Pro-
tokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanzi-
ellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften auf
den Drucksachen 14/9002 und 14/9207. Der Rechtsaus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/9413, den Gesetzentwurf an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Alle
haben sich erhoben. Der Gesetzentwurf ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 41 i:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Ordnungswidrigkeitenver-
fahrensrechts
– Drucksachen 14/9001, 14/9238 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9426 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Ronald Pofalla
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/9426, den Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Die Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Gegen die Stimmen der PDS ist der Ge-
setzentwurf in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Gegen die Stimmen der PDS ist der Gesetz-
entwurf angenommen.

Tagesordnungspunkt 41 j:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 13. Dezember 2000
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
Australien über soziale Sicherheit
– Drucksache 14/8984 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksache 14/9234 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Pia Maier

Der Ausschuss für Arbeit- und Sozialordnung emp-
fiehlt auf Drucksache 14/9234, den Gesetzentwurf anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.

Nun komme ich zu Tagesordnungspunkt 41 k:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Europäischen Charta der Regio-
nal- oder Minderheitensprachen des Europa-
rates vom 5. November 1992
– Drucksache 14/7545 –

(Erste Beratung 212. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/9408 –




Vizepräsidentin Anke Fuchs

24241


(C)



(D)



(A)



(B)


Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Barthel (Berlin)

Dr. Hans-Peter Uhl
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/9408,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der
PDS-Fraktion ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der PDS
ist der Gesetzentwurf angenommen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 41 l auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Revisionsprotokoll vom
12. März 2002 zu dem Abkommen vom 11. Au-
gust 1971 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Schweizerischen Eidge-
nossenschaft zur Vermeidung der Doppelbe-
steuerung auf dem Gebiete der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen
– Drucksache 14/9201 –

(Erste Beratung 239. Sitzung)

a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-

ausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/9381 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Nicolette Kressl
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)



(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/9441 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel

Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt
auf Drucksache 14/9381, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Es haben sich alle erhoben. Der
Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen.

Nun komme ich zu Tagesordnungspunkt 41 m:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Internationalen Kaffee-Übereinkom-
men von 2001

– Drucksache 14/9202 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/9411 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt auf Drucksache 14/9411, den Gesetzentwurf anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Bei Enthaltung der PDS ist der Gesetz-
entwurf in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der PDS ist
der Gesetzentwurf angenommen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 41 n auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung von Rechtsvorschriften an verän-
derte Zuständigkeiten oder Behördenbezeichnun-

(Zuständigkeitsanpassungsgesetz – ZustAnpG)

– Drucksache 14/8977 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9353 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Lambrecht
Bernd Wilz
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/9353, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung an-
genommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Der
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 41 o auf:
Beratung der Beschussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) zu
dem Antrag der Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der FDP
Nutzung satellitengestützter Erdbeobachtungs-
informationen




Vizepräsidentin Anke Fuchs
24242


(C)



(D)



(A)



(B)


– Drucksachen 14/8034, 14/8514 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Flach
Lothar Fischer (Homburg)

Ilse Aigner
Hans-Josef Fell
Angela Marquardt

Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/8034 anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Gegen die Stimmen der PDS ist die Beschlussempfehlung
angenommen.

Tagesordnungspunkt 41 p:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Roland Claus,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Änderung der Gemeinsamen Geschäftsord-
nung des Bundestages und des Bundesrates für
den Ausschuss nach Art. 77 des Grundgesetzes

(Vermittlungsausschuss)

– Drucksachen 14/119, 14/9123 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten

Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/119 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gegen die
Stimmen der PDS ist die Beschlussempfehlung angenom-
men.

Dazu gibt es eine Erklärung der Kollegin Dr. Evelyn
Kenzler. Diese nehmen wir zu Protokoll.1)

Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsauschusses.

Tagesordnungspunkt 41 q:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 397 zu Petitionen
– Drucksache 14/9229 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Bei Enthaltung der PDS ist die Sammelüber-
sicht 397 angenommen.

Tagesordnungspunkt 41 r:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 398 zu Petitionen
– Drucksache 14/9230 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Diese Sammelübersicht ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 41 s:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 399 zu Petitionen
– Drucksache 14/9231 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Gegen die Stimmen von CDU/CSU und PDS
bei Enthaltung der FDP ist die Sammelübersicht ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 41 t:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 400 zu Petitionen
– Drucksache 14/9232 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Ent-
haltung der FDP ist die Sammelübersicht 400 angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 41 u:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 401 zu Petitionen
– Drucksache 14/9233 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Gegen die Stimmen der PDS ist diese Sam-
melübersicht angenommen.

Tagesordnungspunkt 41 v:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bun-
desregierung
Einhundertste Verordnung zur Änderung der
Ausfuhrliste – Anlage AL zur Außenwirt-
schaftsverordnung –
– Drucksachen 14/8740, 14/8829 Nr. 2.2, 14/9303 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz

Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verord-
nung auf Drucksache 14/8740 nicht zu verlangen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Bei Enthaltung der PDS ist die Be-
schlussempfehlung angenommen.

Tagesordnungspunkt 41 w:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bun-
desregierung
Sechsundfünfzigste Verordnung zur Änderung
derAußenwirtschaftsverordnung
– Drucksachen 14/8712, 14/8829 Nr. 2.1, 14/9304 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann




Vizepräsidentin Anke Fuchs

24243


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 10

Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verord-
nung auf Drucksache 14/8712 nicht zu verlangen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig
angenommen.

Wir kommen zu Zusatzpunkt 5 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu den Protokollen zum Überein-
kommen vom 7. November 1991 zum Schutz der
Alpen (Alpenkonvention)

– Drucksache 14/8980 –

(Erste Beratung 239. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)

– Drucksache 14/9457 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Dr. Paul Laufs
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Na-
turschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/9457, den Gesetz-
entwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
angenommen.

Wir kommen zu Zusatzpunkt 5 b:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zum Stabilisierungs- und Assoziie-
rungsabkommen vom 29. Oktober 2001 zwi-
schen den Europäischen Gemeinschaften und
ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Repu-
blik Kroatien andererseits
– Drucksache 14/8981 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3. Ausschuss)

– Drucksache 14/9271 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Heubaum
Karl Lamers
Christian Sterzing
Dr. Helmut Haussmann
Wolfgang Gehrcke

Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Der Auswärtige Ausschuss
empfiehlt auf der Drucksache 14/9271, den Gesetzent-
wurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Es haben

sich alle erhoben, damit ist der Gesetzentwurf einstimmig
angenommen.

Nun rufe ich Zusatzpunkt 6 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zu den Auswir-
kungen aktueller Vorschläge zum Umbau der
Sozialversicherungssysteme auf die Höhe der
Rentenbeiträge und die Gesundheitsversor-
gung der Bürger

Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin

Gudrun Schaich-Walch.

G
Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1424204700
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer Zeitung von
heute sagt Herr Seehofer: Wir wollen die Abgabenlast
verringern. Gleichzeitig will er – durch Selbstbehalte –
den Krankenkassen Mittel entziehen. Daneben wird in
dem Artikel gesagt, dass es keine Belastungen für Kranke
geben soll.

Da frage ich mich ernsthaft: Glauben Sie wirklich, dass
die Menschen schon alles vergessen haben? Glauben Sie
ernsthaft, dass die Leute vergessen haben, dass Sie in Ih-
rer Regierungszeit vor der Wahl von 1998 das Zuzah-
lungsvolumen von 1,2 Milliarden DM auf 5,4 Milliarden
DM allein im Arzneimittelbereich erhöht haben? Glauben
Sie, die Leute haben vergessen, dass Sie die Zuzahlungen
insgesamt auf ein Volumen von 10 Milliarden Euro he-
raufgesetzt haben, die nur die Kranken erbringen müssen,
niemand sonst?

Das Zweite, was die Menschen sicherlich nicht ver-
gessen haben, auch wenn Sie ihnen versprechen, alles
werde prima werden, sind die Leistungsausgrenzungen.
Im Augenblick beschäftigen wir uns im Bundestag damit,
was mit den Mütterkuren und in den Kurorten passiert ist.
Wir sind doch gerade dabei, all dies zu reparieren. Dies
schließt auch die Streichungen beim Krankengeld ein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns einmal an, was Sie jetzt anbieten.

(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Was bieten Sie denn?)

Sie bieten Wahltarife und Selbstbehalte an und legen da-
mit letztendlich die Axt an das Solidarsystem.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie wissen sehr genau – das werfe ich vielen, die hier sit-
zen, vor –, dass dies ein Angebot für Junge, Gesunde und
Singles ist. Nur wenn jemand gesund und jung ist und keine
Familie mit Kindern hat, wird er Leistungen abwählen oder
sich für einen Selbstbehalt entscheiden können.




Vizepräsidentin Anke Fuchs
24244


(C)



(D)



(A)



(B)


Was wird dabei herauskommen? Untersuchungen be-
legen, dass circa ein Drittel der Versicherten so gut wie
keine Leistungen in Anspruch nimmt. An diese Gruppe
richtet sich Ihr Angebot. Man kann davon ausgehen, dass
die Menschen nur dann einen Selbstbehalt wählen, wenn
es sich im Hinblick auf die zu zahlenden Gesamtbeiträge
lohnt. Man geht davon aus, dass ein Monatsbeitrag von
schätzungsweise 1 100 Euro erstattet oder gleich einbe-
halten wird. Wissen Sie, was das bei einer Gruppe dieser
Größe bedeutet? Den Krankenversicherungen werden
circa 6 Milliarden Euro fehlen, mit denen sie bisher chro-
nisch Kranke, Alte und Familien versorgen konnten.


(Sabine Kaspereit [SPD]: So ist es! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Glauben Sie selber, was Sie jetzt sagen?)


Mit dieser Abwahl steigen sie aus. Wenn wir Sie dann
fragen – in diesem Fall hat das ein Journalist für uns ge-
macht –, ob sie dann, wenn sie älter oder krank werden,
wieder einsteigen dürfen – möglicherweise sind sie eines
Tages Diabetiker –, dann sagt Herr Seehofer:

Die Optionen müssten begrenzt werden, sonst gibt es
Verwerfungen.

Wie sollen sie denn begrenzt werden? Am Ende bleibt die
Botschaft: Einmal abgewählt, Pech gehabt. Oder zahlt
dann doch die Gemeinschaft, der man vorher die Solida-
rität vorenthalten hat?

Wie sieht es mit Ihren weiteren Vorschlägen aus? Sie
schlagen vor, die versicherungspflichtigen 630-Mark-
Jobs wieder aufzugeben. Dies bedeutet, dass zu den 6Mil-
liarden Euro, die ich eben aufgezeigt habe, nochmals
1,5 Milliarden Euro fehlen werden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! – Gegenruf der Abg. Regina SchmidtZadel [SPD]: Sie müssen mal lesen, was Herr Seehofer alles sagt! – Ulf Fink [CDU/CSU]: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden!)


Der nächste Vorschlag lautet, 1 Milliarde Euro mehr
für neue Ärzte im Krankenhaus. Das ist alles ganz wun-
derbar und löblich. Wir sind hier bereits mit 100Millionen
jährlich gestartet. Das ist verkraftbar. Aber Sie sprechen
von 1 Milliarde. Wenn dann gefragt wird, wie diese Mil-
liarde finanziert werden soll, heißt es: Das kann man
durch Einsparungen bei unwirtschaftlichen Ausgaben ma-
chen. Ich frage Sie ernsthaft, wo solche Einsparungen
vorgenommen werden sollen, da Sie in den letzten Wo-
chen und Monaten ständig behauptet haben, dieses Ge-
sundheitssystem sei ausgepresst wie eine Zitrone. Haben
wir nun Unwirtschaftlichkeit und Einsparpotenziale oder
nicht?


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Sie sagen doch das Gegenteil!)


Bevor Sie mit einem Wahlprogramm auftreten, sollten Sie
erst einmal für sich selbst abklären, was Sache ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulf Fink [CDU/CSU]: Was ist denn los, was meinen Sie nun?)


– Das sage ich Ihnen jetzt.

Niemand in diesem Land will den Ausstieg aus der so-
lidarischen Krankenversicherung.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Doch, die wollen es!)


Niemand in diesem Land braucht den Ausstieg aus der so-
zialen Krankenversicherung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulf Fink [CDU/CSU]: Na also! Sie sagen doch das Gegenteil! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Darüber muss sie jetzt selber lachen!)


Wir brauchen aber mehr Prävention.

(Ulf Fink [CDU/CSU]: Aha!)


Sie haben sie 1997 abgeschafft.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Das wiederholen Sie immer!)

Wir haben sie 1998 wieder installiert.


(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen weiterhin mehr Qualität. Wir werden am

1. Juli mit strukturierten, qualitätsgesicherten Behand-
lungsprogrammen für Diabetiker starten und im Jahr 2003
auch mit Vorsorgeuntersuchungen von hoher Qualität und
mit einem Brustkrebsscreening für Frauen. Gleichzeitig
werden wir auch bei der Behandlung von Brustkrebs für
eine Qualität nach internationalem Standard sorgen.

Wir brauchen mehr Transparenz.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ihr habt das Gesetz, nach dem die Leute eine Rechnung kriegen sollten, nicht gewollt!)


In Rheinhessen läuft zurzeit ein Modellversuch. Patienten
bekommen eine Quittung und können sehen, was passiert
ist. Wir werden am Ende sehen können, wie wir das zu be-
werten haben.


(Beifall der Abg. Sabine Kaspereit [SPD])

Wir werden die Patientenkarte bekommen; die Vorbe-

reitungen dazu sind nahezu abgeschlossen. Dann können
alle Patienten, wenn sie es möchten, ihre Daten sehen. Sie
können sehen, was passiert ist, was geleistet und was ab-
gerechnet wurde. Man kann auch sehen, welche Behand-
lungsschritte durchgeführt und welche Arzneimittel ver-
ordnet wurden. Das verstehe ich unter Qualitätssicherheit
und Transparenz.

Was brauchen wir sonst? Brauchen wir das, was Sie un-
ter Wettbewerb verstehen? Brauchen wir Wettbewerb um
den niedrigsten Beitragssatz? Brauchen wir Wettbewerb,
damit sich einer, der es sich leisten kann, weil er jung und
gesund ist, aus dem System verabschiedet? Diese Form
des Wettbewerbs hatten wir in den letzten zwei Jahren
massiv. Dadurch haben uns jährlich Milliardenbeträge ge-
fehlt, die wir zur Versorgung von chronisch Kranken
benötigt hätten.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Durch unüberlegte Ankündigungen sind viele zu den Privaten gegangen! Wären Sie ruhig gewesen, wäre es besser gewesen!)





Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch

24245


(C)



(D)



(A)



(B)


Was haben Sie jetzt anzubieten? Sie bieten im Prinzip
in einer etwas veränderten Form das Gleiche an, was wir
mühsam repariert haben. Was wir brauchen, ist Wettbe-
werb um Qualität; das sichern wir mit den strukturierten
Behandlungsprogrammen für Chroniker. Wir brauchen
weiterhin Wettbewerb bei der Leistungserbringung. Das
werden wir dort, wo es möglich und verantwortbar ist,
einheitlich und gemeinsam den Krankenkassen aufgeben.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Eingreifmodell!)


Wir brauchen weiterhin Wettbewerb mit mehr Qualität
durch eine bessere Abstimmung zwischen ambulanter und
stationärer Behandlung. Das heißt, es wird neben den Kol-
lektivverträgen auch Einzel- und Gruppenverträge geben.

Wenn wir diese Punkte – Prävention, Qualität, Trans-
parenz, Wettbewerb um Qualität – aufgreifen, werden wir
auch mehr Effizienz erzielen. Im Krankenhausbereich ha-
ben wir damit bereits begonnen. Wir haben dort ein Preis-
und Leistungssystem gesetzlich vorbereitet, in dem auch
kleine Krankenhäuser berücksichtigt werden. Sie ver-
sprechen die Besitzstandwahrung für alle kleinen Kran-
kenhäuser. Das ist das nächste unredliche Versprechen.
Dazu muss ich fragen: Was ist mit manchem kleinen
Krankenhaus, bei dem einfach die Qualität gar nicht mehr
gegeben ist, weil die Leistung so selten vorkommt?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich frage aber auch: Was ist mit kleinen Krankenhäu-
sern, die wir für eine Notfallversorgung in der ländlichen
Fläche brauchen?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wollen Sie sie jetzt oder wollen Sie sie nicht?)


Für diesen Bereich haben wir Sonderzahlungen vorgese-
hen, damit sie bleiben. Ich kann aber nicht einfach die
Garantie geben: Es bleibt alles immerzu und ewig. Ich
muss mich an verschiedenen Punkten orientieren. Wenn
man Stabilität erreichen will, geht das letztendlich nur
über mehr Qualität.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424204800
Bevor ich dem Kolle-
gen Dr. Wolf Bauer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort
erteile, möchte ich der Gesundheitsministerin zu ihrem
heutigen Geburtstag gratulieren.


(Beifall im ganzen Hause)

Wir wünschen Ihnen Glück und Erfolg, aber natürlich
auch Gesundheit.

Herr Dr. Bauer, Sie haben das Wort.


Dr. Wolf Bauer (CDU):
Rede ID: ID1424204900
Frau Präsidentin! Meine
Damen! Meine Herren! Ich möchte natürlich auch Ge-
burtstagsgrüße überbringen und Ihnen vor allem gute
Besserung wünschen. Ich glaube, Sie haben im Moment
ein paar Probleme. Alles Gute, damit Sie bald wieder mit
voller Schaffenskraft unter uns sein können.

Für mich als Gesundheitspolitiker ist schon äußerst in-
teressant, dass die Koalitionsfraktionen das Thema ihrer
Aktuellen Stunde kurzfristig geändert haben. Ganz of-
fensichtlich haben sie in letzter Minute eingesehen, dass
eine Diskussion über „aktuelle Vorschläge, die im Ergeb-
nis zur Einführung einer Zweiklassenmedizin führen“,
ein Eigentor geworden wäre. Denn nicht aktuelle Vor-
schläge, sondern eine verfehlte Gesundheitspolitik der
rot-grünen Bundesregierung hat es bereits geschafft, dass
nicht mehr viel bis zum Erreichen einer Zweiklassenme-
dizin fehlt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit Recht empört sich der Vizepräsident des Sozial-

verbandes Deutschlands, Sven Picker, darüber, dass – ich
zitiere –

diese Zweiklassenmedizin nicht mehr länger hin-
nehmbar ist. Es ist ein Unding, dass die Billigmedi-
kamentpflicht nur für Kassenpatienten gelten solle.

Leider muss man Sven Picker Recht geben; denn Ihre Ge-
sundheitspolitik muss nahezu zwangsläufig zu einer
Zweiklassenmedizin führen. Dank Ihrer Gesetzgebung ist
die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung – sprich:
speziell der GKV-Versicherten – heute geprägt durch Vor-
enthalten von Leistungen, Verschieben von Operationen,
Verschreiben nur noch des Billigsten, und das alles bei
steigenden Beitragssätzen.


(Peter Dreßen [SPD]: Ach, hören Sie doch auf! Das ist doch nicht wahr!)


– Sie können so viel dazwischenreden, wie Sie wollen, es
ist nun einmal so. Sie können auch gern einmal nach
draußen gehen und die Menschen fragen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Durch Wiederholung wird es auch nicht wahrer!)


– Ich sage Ihnen gleich, was durch Wiederholen nicht
wahrer wird.

Das ist das Ergebnis von nur vier Jahren rot-grüner
Gesundheitsreformpolitik. Sie ist gescheitert. Und was
weitere Jahre einer solchen konzeptlosen Politik bringen
würden – um noch einmal auf das Thema der Aktuellen
Stunde einzugehen –, hat die Bundesgesundheitsminis-
terin selbst gesagt. Sie will die Leistungen der GKV an
ihre Mitglieder weiter zusammenstreichen. Auf dem
Weltgesundheitstag in Leipzig erklärte sie – ich zitiere –,
dass

besondere Leistungen wie Mutterschaftsgeld, Steri-
lisation, künstliche Befruchtung, Krankengeld bei
Erkrankung des Kindes und Sterbegeld künftig nicht
mehr von der Kasse gezahlt werden

sollten. Das ist der Weg in die Zweiklassenmedizin.
Mittlerweile pfeifen die Spatzen von den Dächern,

dass bisher alle Reformvorhaben der Bundesgesundheits-
ministerin erfolglos geblieben sind. So wundert es nicht,
dass sich Nervosität im Regierungslager breit macht. Dass
allerdings allein schon das Ende der krankheitsbedingten
Abwesenheit von Horst Seehofer ausreicht, die Bundes-




Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch
24246


(C)



(D)



(A)



(B)


gesundheitsministerin kopflos werden zu lassen, ist be-
merkenswert.


(Peter Dreßen [SPD]: Der ist auch gescheitert!)


Man muss sich überlegen, was in der Pressemitteilung
vom 10. Juni alles verkündet wurde. Auf nur drei Seiten
Ministerinpapier standen sechs Unwahrheiten. Diese Un-
wahrheiten sind heute wiederholt worden. Sie werden
aber durch permanentes Wiederholen nicht wahrer.


(Klaus Kirschner [SPD]: Drei Finger haben auf Sie gezeigt! – Fritz Schösser [SPD]: Bleib bei der Wahrheit!)


So weiß ich zum Beispiel nicht, woher die Gesundheits-
ministerin die Erkenntnis hat, dass bei der Union – ich
zitiere – „fast alles zur Disposition stehen“ solle. Für Leis-
tungsbereiche wie Krankenhausbehandlung, ambulante
ärztliche Versorgung und Arzneimitteltherapie wird es mit
uns keine Abwahlmöglichkeit geben. Was wir wollen
– und das ist richtig; das wollen auch die Versicherten –,
ist, mehr Eigenverantwortung in das System zu bringen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wie machen Sie das denn?)


Wir wollen, dass die Versicherten über den Umfang ihres
Versicherungsschutzes mitbestimmen können.

Es war eine Bestätigung unserer Politik – das fand ich
prima –, dass die Staatssekretärin vorhin gesagt hat, nie-
mand im Land wolle den Ausstieg aus der Solidarge-
meinschaft. Also kann man uns das letztlich nicht vor-
werfen; noch sind wir auch Bürger dieses Landes.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das steht im Gegensatz zu dem, was sie vorher gesagt hat!)


Ich wäre jetzt gern noch auf die Arzneimittelversor-
gung und ähnliche Probleme eingegangen. Es ließe sich
viel sagen. Da die Redezeit aber zu Ende geht, möchte ich
nur feststellen, dass wir, die CDU/CSU, im Gegensatz zur
rot-grünen Bundesregierung und zu den sie tragenden
Koalitionsfraktionen ein in sich schlüssiges Gesamtkon-
zept für die Gesundheitspolitik haben. So wie es in unse-
rem Regierungsprogramm 2002/2006 steht, wollen wir
– ich zitiere –

ein Gesundheitswesen, das dem medizinischen Fort-
schritt verpflichtet bleibt und das allen Versicherten
unabhängig von deren Einkommen, Alter, Art der
Krankheit oder Familienstand zugute kommt.

Das ist unser Ziel. Und, meine Damen, meine Herren, wir
werden es erreichen, auch wenn noch öfter alle Roten und
alle Grünen zusammen mit Falschdarstellungen und Ver-
leumdungen versuchen, uns daran zu hindern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Haltet den Dieb, kann man da nur sagen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424205000
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Katrin
Göring-Eckardt.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


gen! Nachdem ich der Ministerin – sie ist noch da – herz-
lich gratuliert habe – alles Gute, liebe Ulla Schmidt –, will
ich am Anfang meiner Rede sehr deutlich sagen, dass
nicht die Rückkehr von Horst Seehofer Ausschlag zu ir-
gendetwas gegeben hat. Ich freue mich von ganzem Her-
zen über seine Rückkehr und bin froh, dass er wieder ge-
sund ist. Das will ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen.

Die Äußerungen, die Horst Seehofer nicht allein in die
Welt gesetzt hat, sondern auch Friedrich Merz und andere,
sind Anlass dieser Debatte. Es geht dabei nicht um Kopf-
losigkeit unsererseits.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die Äußerungen Seehofers sind wesentlich besser als eure Äußerungen zu vielen Themen!)


Ich bin froh darüber, dass ich jetzt verstanden habe,
was es mit dem Kompetenzteam auf sich hat. Im Kompe-
tenzteam sind Leute, die das, was im Wahlprogramm der
Union steht, in irgendeiner Weise revidieren müssen. Erst
war es Lothar Späth, jetzt ist es Horst Seehofer. Wolfgang
Schäuble ist, wenn man an seine Vorschläge zur Bundes-
wehr denkt, auch in dem Team. Wenn man sich das ein-
mal genau anschaut, erkennt man, dass es eine Art Wie-
derkehr der Kohl-Köpfe auf niedrigem Niveau ist.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das war daneben!)


Es ist so, weil sich nichts geändert hat. In der „Süd-
deutschen Zeitung“ lese ich: „Seehofer im Zick-Zack-
Kurs“. Wahrscheinlich haben Sie alle das nicht gelesen,
weil es nicht in der Zeitung von heute, sondern in der vom
24. Februar 1997 steht.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat sich gut gehalten: Zickzack bleibt Zickzack! – Peter Dreßen [SPD]: Unglaublich!)


Ich zitiere:
Seehofer ist unter Druck geraten, er steuert einen un-
begreiflichen Zick-Zack-Kurs. Eine Flut von neuen
Gesetzen hat in den letzten Monaten Verwirrung ge-
stiftet, einiges im System aus dem Lot gebracht und
die Patienten über Gebühr belastet. Die zunächst

(eine strengere Auswahl von verschreibungspflichtigen Medikamenten)

strichen, die Verzahnung zwischen ambulanter und
stationärer Behandlung fehlt nach wie vor. Den Ärz-
ten drohte Seehofer mit der Peitsche, jetzt lockt er sie
mit Zuckerbrot: Er lockert die Zulassungsbeschrän-
kung und hebt die Ausgabenbegrenzung für Arznei-
mittel auf, obwohl die Defizite der Kassen genauso
hoch sind wie 1992.

Meine Damen und Herren, das ist 1997 unter der Über-
schrift „Seehofer im Zick-Zack-Kurs“ sozusagen zu Pro-
tokoll gegeben worden. Ich habe den Eindruck, dass sich
daran wirklich nicht viel geändert hat.

Das, was Sie wirklich vorhaben, haben Sie uns ja prä-
sentiert. Das müssen Sie den Wählerinnen und Wählern
dann aber auch klar sagen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn Sie bei der Wahrheit bleiben, haben wir keine Probleme damit!)





Dr. Wolf Bauer

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(C)



(D)



(A)



(B)


Jemand, der die Erhöhung der Rentenbeiträge erst fordert
und diese Forderung dann wieder dementiert, muss schon
erklären, wie er das Defizit, das dann, wenn die letzte
Stufe der Ökosteuer nicht in Kraft gesetzt wird, entsteht,
ausgleichen will. Die Verbesserung der Konjunktur soll
wie Manna vom Himmel fallen. In Ihrem Programm wird
alles damit begründet, dass sich die wirtschaftliche Ent-
wicklung schon verbessern werde und dass man damit al-
les finanzieren könne.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das habt ihr noch nicht begriffen!)


Sie wollen die Einstellung von Klinikärzten, den Wegfall
der Ökosteuereinnahmen und offensichtlich auch noch
das Wohl der ganzen Welt damit finanzieren. Ich bin da-
von überzeugt, dass die Wählerinnen und Wähler auf sol-
che Dinge nicht mehr hereinfallen. Dazu kennen Sie euch
noch zu genau.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sind bei euch schon oft hereingefallen!)


Was haben Sie noch vor? Sie wollen den Einstieg in das
Optionsmodell. Ich habe versucht, mir das vorzustellen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Haben Sie es geschafft?)


Sie sagen selbst, dass das so ähnlich wie bei der Kraft-
fahrzeugversicherung laufen soll. Ich finde – das habe ich
hier schon einmal gesagt –, dass Patienten bzw. – allge-
mein – Menschen keine Autos sind. Bleiben wir aber in
diesem Bild: Jemand, der nicht viel Geld hat, wird den bil-
ligeren Beitrag auswählen. Er versichert also nur einen
Teil. Viele Studenten fahren mit einer alten Kutsche durch
die Gegend. Wenn sie irgendwann einen Unfall bauen,
fahren sie eben eine Weile mit Beulen durch die Gegend.
Ich möchte nicht, dass Patientinnen und Patienten, also
Kranke, in diesem Land mit Beulen durch die Gegend lau-
fen, weil sie sich die Gesundheit nicht leisten können.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Oh Gott!)

Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Das wer-
den die Wählerinnen und Wähler merken und dann auch
entsprechend entscheiden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Horst Seehofer hat gesagt, er brauche einen Beirat aus
Ärzten. Ich sagen Ihnen: Jemand, der den runden Tisch
von Ulla Schmidt auf eine Art und Weise, die aus meiner
Sicht schon nicht mehr redlich war, kritisiert hat und jetzt
sagt, man brauche einen Beirat aus Ärzten, betreibt Lob-
bypolitik.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist etwas ganz anderes! Der eine kann Beschlüsse fassen, der andere ist ein Quasseltisch!)


Es geht im Gesundheitswesen nämlich darum, dass nicht
eine Gruppe irgendetwas bestimmt. Das hatten wir in den
letzten Jahren der Kohl-Regierung. Mit starker Unterstüt-
zung der FDP haben Sie damals genau diese Lobbypolitik

betrieben. Die Apotheker dürften dann wahrscheinlich
auch noch mitberaten.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Warum haben Sie unser Partnerschaftsmodell dann abgeschafft?)


Wir wollen – das haben wir auch erreicht –, dass alle,
nämlich die Ärzteschaft, die Apothekerschaft, die Kran-
kenkassen und vor allem die Versicherten und die Patien-
tinnen und Patienten, von deren Blickwinkel aus wir die
Gesundheitspolitik betrachten, an einem Tisch sitzen. Das
ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Das werden
die Wählerinnen und Wähler am 22. September merken.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Diese Rede macht kein Pläsier!)


Ich bin froh, dass hinsichtlich der Beitragserhöhungen
und der Verschlechterung der Versorgung die Katze aus
dem Sack ist. Jetzt wissen wenigstens alle, zwischen wel-
chen Optionen sie sich zu entscheiden haben.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424205100
Für die FDP-Fraktion
erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1424205200
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag auf Durch-
führung dieser Aktuellen Stunde vonseiten der rot-grünen
Koalition zeugt von ihrer wachsenden Nervosität.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jawohl!)

Dazu hat sie angesichts der miserablen sozialpolitischen
Bilanz, die sie nach den letzten vier Jahren vorzulegen
hat, allen Grund.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Eines kann ich Ihnen sagen: Sie argumentieren immer

nur rückwärts gewandt. Die Wähler werden am 22. Sep-
tember über die vier Jahre Ihrer Politik entscheiden.


(Klaus Kirschner [SPD]: Passen Sie auf, dass der Fallschirm aufgeht!)


Nicht die Zeit vor 1998, sondern 2002 steht die rot-grüne
Koalition zur Wahl.

Ich will Ihnen einfach nur ein paar Zahlen aus dieser
Bilanz nennen. Die gesetzlichen Krankenkassen hatten
1998 einen Überschuss von ungefähr 1,2 Milliarden Euro.


(Klaus Kirschner [SPD]: Dank höherer Zuzahlungen!)


Sie haben 2001 ein Defizit von 2,8 Milliarden Euro. Das
heißt, Sie haben innerhalb der letzten vier Jahre durch Ihre
Beschlüsse schlicht und ergreifend 4 Milliarden Euro ver-
spielt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Das haben wir den Patienten zurückgegeben! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie können wohl nicht rechnen!)





Katrin Göring-Eckardt
24248


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie müssen mit einer Zahl von 4 Millionen Arbeits-
losen in diesen Wahlkampf gehen, obwohl Ihr Kanzler
3,5 Millionen Arbeitslose angekündigt hatte. Was noch
schlimmer ist: Im Gegensatz zu 1998, als ab Mai die Zahl
der Arbeitslosen unter die Zahl des Vorjahres sank, steigt
bei Ihnen im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der Arbeits-
losen. Das heißt, Ihre Wirtschaftspolitik hat außer Kos-
tensteigerungen und Arbeitslosen nichts bewirkt.


(Peter Dreßen [SPD]: Wir werden Ihnen beweisen, dass das nicht wahr ist, Frau Kollegin!)


Das werden Ihnen die Wählerinnen und Wähler nicht
durchgehen lassen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Keiner redet mehr darüber, dass Sie im Jahr 2002 die

Rentenversicherungsbeiträge eigentlich auf 18,9 Prozent
senken wollten. Das konnten Sie nicht, weil Ihre Rentenre-
form einfach nicht vernünftig und tief greifend genug war.
Statt den Rentenbeitragssatz zu senken, mussten Sie ihn bei
19,1 Prozent halten, was im Endeffekt eine Erhöhung des
Beitragssatzes gegenüber der Prognose darstellt.

Ihre Wirtschaftspolitik bewirkt darüber hinaus, dass
nach dem 22. September niemand auch nur im Ansatz so
schnell daran denken kann, das wieder gutzumachen, was
Sie alles in den Sand gesetzt haben, sodass eine Anhebung
der Rentenbeiträge vorübergehend nicht ausgeschlossen
werden kann. Aber was wichtig ist: Die Strukturreformen,
die Sie vier Jahre lang nicht durchgeführt haben, müssen
jetzt nicht nur in der Rente, sondern selbstverständlich
auch in der Gesundheitspolitik angepackt werden.

Die Frau Parlamentarische Staatssekretärin hat sich
hier über zehn Minuten lang nur mit dem beschäftigt, was
die Union vorschlägt.


(Peter Dreßen [SPD]: Nein, das waren genau neun Minuten!)


– Meinetwegen waren es neun Minuten. Dann hat sie sich
acht Minuten mit dem beschäftigt, was die Union vor-
schlägt, und eine Minute mit dem, was Sie selber machen
wollen.


(Widerspruch bei der SPD)

Dabei sind gerade in den letzten Monaten Ihrer Regie-
rungszeit die durchschnittlichen Beitragssätze in der ge-
setzlichen Krankenversicherung von 13,5 auf 14 Prozent
gestiegen. Sie versuchen, die Wählerinnen und Wähler
über Ihre Absichten zu täuschen, indem Sie einfach Schlag-
worte in die Welt setzen und dies als ein Konzept verkau-
fen. Sie sagen aber nicht konkret, was Sie tun wollen.

Zu dem einzigen Punkt, den Sie konkret genannt ha-
ben, nämlich die strukturierten Behandlungsprogramme
für chronisch Kranke


(Klaus Kirschner [SPD]: Das kommt von der FDP!)


– das muss man machen; das sehen wir genauso –, sagen
die Ärzte, die das machen sollen, dass das so viel Büro-
kratie verursachen wird, dass dies vom Ansatz her verfehlt
ist.


(Peter Dreßen [SPD]: Jetzt kommt das wieder!)


Das ist ein Kennzeichen Ihrer Gesundheitspolitik: Sie
denken nicht wirklich daran, wie Sie die Selbstverant-
wortung der Menschen stärken können, sondern Sie wol-
len neue Institutionen mit mehr Bürokratie. Das ist das
Einzige, worüber Sie nachdenken.

Die FDP will in der Tat einen völlig anderen Weg ge-
hen,


(Klaus Kirschner [SPD]: Das glaube ich!)

der übrigens Zustimmung bei den Patienten findet.


(Widerspruch bei der SPD – Peter Dreßen [SPD]: Die chronisch Kranken, die Behinderten berücksichtigen Sie dabei nicht! Ungehörig!)


Wettbewerb muss im gesamten Gesundheitssystem kon-
sequent durchdekliniert werden. Wenn man das nicht
macht, dann wird es besonders teuer. Deswegen ist der
wettbewerbsorientierte Weg auf jeden Fall richtig. Warum
sollen denn die Menschen den Umfang ihrer Versorgung
nicht selber bestimmen?


(Peter Dreßen [SPD]: Jetzt überziehen Sie aber langsam!)


Sie wollen sie bevormunden.
Wir wollen dagegen die Selbstverantwortung stärken.

Sie werden sehen: Die Menschen wollen Selbstverant-
wortung haben.


(Peter Dreßen [SPD]: Jetzt überziehen Sie aber!)


– Ich komme sofort zum Schluss. – Das ist der Weg aus
der Zweiklassenmedizin, den Sie – und nicht irgend-
jemand anders – mit der Budgetierung gegangen sind. Sie
müssen aus Kostengründen letztlich den Patienten Leis-
tungen vorenthalten, weil die Budgets ausgeschöpft sind.
Das ist ein Irrweg. Wir werden das ändern.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424205300
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Dr. Ruth Fuchs.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1424205400
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich denke, wer uns heute zu-
hört, hat sehr schnell erkannt und begriffen, welches der
tatsächliche Anlass der heutigen Aktuellen Stunde ist. Es
ist Wahlkampf und Horst Seehofer hat zum falschen Zeit-
punkt unvorsichtiger- und unbedachterweise die Wahrheit
über die zukünftige Entwicklung der Rentenbeiträge und
über einige sensible Bereiche der Gesundheitspolitik ge-
sagt. Mit der Wahrheit ist es aber so eine Sache: Jeder hat
seine und vor allem in Wahlkampfzeiten scheint sie für
diejenigen, die an die Macht wollen, das bestgehütete Ge-
heimnis zu sein.

So gesehen bin ich Herrn Seehofer für seine Mei-
nungsäußerung sehr dankbar. Auch wenn er auf höheren
Befehl hin seine Aussagen korrigieren musste, ist trotz-
dem eines erreicht worden – das finde ich sehr gut –: Die
Öffentlichkeit ist durch die Medien lange nicht mehr so




Dr. Irmgard Schwaetzer

24249


(C)



(D)



(A)



(B)


gut und ausführlich über die Wahlversprechen der Par-
teien und das, was hinter ihnen steckt, informiert worden
wie durch die so genannten unvorsichtigen Worte des So-
zial- und Gesundheitsexperten Seehofer.

Seine Einschätzung, dass die Sozialversicherungs-
systeme zunehmend in Finanznot gerieten, wenn die Mas-
senarbeitslosigkeit nicht konsequent zurückgedrängt wer-
den könne, ist richtig. Er hat nur vergessen, Folgendes zu
sagen: Mit den Vorschlägen der Union, auf die letzte Stufe
der Ökosteuer ersatzlos zu verzichten und den Nied-
riglohnsektor massiv auszubauen, kommt kein Geld in die
Rentenkassen. Im Gegenteil: Dem Rentensystem werden
Einnahmen entzogen. Wenn Stoiber dann noch verkündet,
die Ruhestandsgehälter ungeschmälert zu lassen, dann
würde das automatisch zu höheren Rentenbeiträgen führen.

Der Kollege Blüm hat in der Debatte am letzten Don-
nerstag, in der es um die Zukunft der Sozialversiche-
rungssysteme ging, eigentlich klare und deutliche Worte
dazu gesagt. Schade ist nur, dass in der Union anschei-
nend niemand mehr auf ihn hört. Ich weiß, dass die PDS
damals dem demographischen Faktor in Blüms Renten-
konzept sehr kritisch gegenüberstand. Aber im Vergleich
zu dem, was die Union für die Zukunft der Rentenver-
sicherung anzubieten hat und was Rot-Grün als Riester-
Rente verkauft, war Blüms Rentenkonzept das kleinere
Übel.

Nun ein paar Worte zu dem Problem in der gesetz-
lichen Krankenversicherung. Diesbezüglich hat Kollege
Seehofer, als er gesund in die Politik zurückgekehrt ist,
durchaus einige Wahrheiten ausgesprochen. Wenn er sagt
– ich zitiere aus der Ausgabe der „Welt“ vom 10. Juni –:
„Viel zu sehr haben wir uns als Politiker um die finanzi-
ellen Probleme des Systems gekümmert und zu wenig um
das medizinisch Notwendige“, dann kann ich daran nichts
Falsches finden.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Natürlich ist es wahr, dass in den zurückliegenden Jahren,
schon weit vor Rot-Grün, die Bürokratie im Gesundheits-
wesen unerträgliche Ausmaße angenommen hat. Sie ist
für Ärzte und andere Beschäftigte im Gesundheitswesen
zu einer regelrechten Qual geworden. Hier etwas zu ver-
ändern sollte unser aller Anliegen sein.

Nur, das Problem ist Folgendes: Die Einsichten von
Herrn Seehofer bewirkten nicht, auch andere grundle-
gende Fehlvorstellungen der Union in der Gesundheits-
politik kritisch zu bewerten. Im Gegenteil: Auch er will
den Patienten „mehr Gestaltungsspielraum geben“. Das
hört sich gut an, um nicht zu sagen: Es ist sogar verführe-
risch. – Zur Wahrheit gehört dann aber auch, zu erklären,
was sich tatsächlich dahinter verbirgt. In der Realität heißt
das für die Versicherten: Die Union will erneut steigende
Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen einführen. Aller-
dings werden sie jetzt unter dem schönen Begriff einer
größeren Wahlfreiheit der Versicherten angeboten: Versi-
cherte sollen über den Umfang ihres Versicherungs-
schutzes eigenverantwortlich entscheiden können.

Was das bedeutet, ist von der Parlamentarischen
Staatssekretärin gesagt worden; ich brauche das nicht zu

wiederholen. Ich bekräftige nur noch eine Feststellung
von ihr: Junge und gesunde Versicherte werden dies viel-
leicht gut finden, aber das Solidarsystem setzen Sie damit
aufs Spiel. – Da können Sie, lieber Kollege Bauer, das Ge-
genteil behaupten. In der Praxis ist es so.

Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel dafür, dass Sie das So-
lidarsystem infrage stellen. Mit dem Ansinnen, Versicher-
ten ein Wahlrecht zwischen Sachleistungs- und Kos-
tenerstattungsprinzip einzuräumen, zerstören Sie – da beißt
die Maus keinen Faden ab; das ist so – die Solidarge-
meinschaft.


(Beifall bei der PDS)

Wie sagte Ihr Kollege Norbert Blüm in der Debatte am
letzten Donnerstag von diesem Platz aus? Ich zitiere:

Der Sozialstaat muss verteidigt werden. Er ist ein
kultureller und wirtschaftlicher Stabilisator...


(Klaus Kirschner [SPD]: Das hat er zur CDU/CSU gesagt!)


Marktwirtschaft ist ohne Sozialstaat überhaupt nicht
möglich.

(Ulf Fink [CDU/CSU]: So ist es! Jawohl!)


Meine Damen und Herren von der Union, wo er Recht hat,
hat er Recht.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424205500
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Regina Schmidt-Zadel.


Regina Schmidt-Zadel (SPD):
Rede ID: ID1424205600
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die Botschaften der letzten
Tage – einige sind heute aus allen möglichen Presseorga-
nen zitiert worden – haben uns gezeigt, dass alte gesund-
heitspolitische Zöpfe wieder aus der Versenkung geholt
werden. Wir, aber auch die Wählerinnen und Wähler wür-
den mittlerweile allzu gern wissen, wohin in Ihrer Partei
gesundheitspolitisch der Hase wirklich läuft.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das steht im Regierungsprogramm!)


Sie überbieten sich mittlerweile in Bekenntnissen zum
Solidarprinzip. Die Botschaft hör ich wohl, allein mir
– nicht nur mir allein – fehlt der Glaube.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


In Wahrheit reden Sie nämlich der Entsolidarisierung das
Wort. Wer Wahltarife propagiert, weiß ganz genau, dass er
kranken Menschen mehr Geld aus der Tasche holt.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie enthalten ihnen Leistungen vor!)


Das wollen Sie tun. Das entspricht nicht dem Solidarprin-
zip.

Oberflächlich betrachtet mag die Begründung für das
Wahltarifmodell ohne weiteres einleuchten. Der mündige




Dr. Ruth Fuchs
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und souveräne Krankenversicherte soll selbst entschei-
den – so sagen Sie ja –, ob er den standardisierten Versi-
cherungsschutz von der Stange haben will oder eine maß-
geschneiderte individuelle Vorsorge betreiben will. Wer
von uns tritt nicht für möglichst viel Freiheit ein? Aber die
Zeche für die Freiheiten, die Sie in Ihrem Wahlprogramm
propagieren, meine Damen und Herren, zahlen die Kran-
ken, zumal die chronisch Kranken, die bitter dafür büßen
müssen.


(Beifall bei der SPD)

Anders als das Alter ist Krankheit eben nicht planbar.

Das ist der große Unterschied, den Sie nach all den vielen
Jahren immer noch nicht begriffen haben. Nur Junge und
Gesunde können es riskieren, Wahloptionen auszuüben.
Sie dürfen dafür, wie Sie sagen, mit Beitragsnachlässen
belohnt werden.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jetzt haben die von der Regierung den Saal verlassen! Sie können es nicht mehr hören!)


Dann käme weniger Geld ins System, die Gesundheitskos-
ten sänken jedoch nicht, sie stiegen und das Ende vom
Lied wäre: Die Kranken müssen zwangsläufig eine
größere Last schultern, wiederum vor allem die chronisch
kranken Menschen. Wahltarife – darauf will ich besonders
hinweisen – sind auch frauen- und familienfeindlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weiter sagen Sie, dass Sie den jungen, gesunden und
gut verdienenden Versicherten mehr geben wollen. Sie
sollten ihnen aber reinen Wein darüber einschenken, dass
eine Abwahl von Leistungen sie teuer zu stehen kommen
kann. Wer im vorgerückten Lebensalter die abgewählten
Leistungen in der privaten Versicherung haben will, wird
dafür viel Geld lockermachen müssen. Das Äquivalenz-
prinzip enthält nun mal keine sozialen Komponenten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit Ihrem Wahlprogramm leiten Sie den Einstieg in

den Ausstieg aus dem Solidarprinzip ein. Sie legen mit der
Beschwörung des Solidarprinzips ständig nur Lippenbe-
kenntnisse ab. Das ist Ihr Programm.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Wo ist denn bitte schön diese Regierung?)


Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Merz, ist in diesem Punkt
weitaus offener. Er will den GKV-Versicherten zwei Mo-
natsbeiträge erstatten lassen, wenn sie ein Jahr lang keine
Leistungen in Anspruch nehmen.


(Peter Dreßen [SPD]: Ist das dann Solidarität?)

Davon, was das bedeutet, können viele sicherlich aus ei-
gener Erfahrung ein Lied singen.


(Peter Dressen [SPD]: Die Kranken bezahlen es dann!)


Allzu oft kehren Krankheiten, die nicht rechtzeitig be-
handelt werden, mit voller Härte zurück;


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ich bin ja gespannt, was ihr macht!)


das wirkt sich auch auf das Solidarprinzip aus.

(Dr. Irmgard Schwaetzer [FPD]: Das müssen Sie mir erzählen! Das stimmte schon nicht, als ich noch in der Apotheke war!)


– Ich würde nicht darüber lachen, Frau Schwaetzer. Über
das, was Sie den Versicherten heute geboten haben, soll-
ten viele einmal nachdenken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Geld wird aber gebraucht, um die Gesundheits-
ausgaben zu bezahlen. Wer wird wohl sein Scherflein bei-
steuern müssen, damit die Krankenkassen ihre Aufgaben
erfüllen können? Die Antwort kennen wir alle: die Kran-
ken. 20 Prozent der Versicherten verursachen 80 Prozent
der Gesundheitskosten. Sagen Sie doch den mehr als
14 Millionen Betroffenen – vor allem den chronisch kran-
ken Menschen, darunter viele Rentnerinnen und Rent-
ner –, dass die CDU/CSU ihnen nicht nur für ihre Kran-
kenversicherung, sondern auch für ihre Gesundheit mehr
Geld aus der Tasche ziehen will. Das ist nämlich das, was
Sie wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie diskreditieren das Solidarprinzip, das aber – darauf
weise ich ausdrücklich hin – kranken Menschen noch im-
mer ohne Rücksicht auf ihren Geldbeutel den Zugang zu
den medizinisch notwendigen Leistungen öffnet. Wir wer-
den weder eine Zweiklassenmedizin noch eine Zuzah-
lungs- und Wartelistenmedizin dulden. Dabei soll es blei-
ben und dabei wird es auch nach dem 22. September
bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424205700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ulf Fink.


Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1424205800
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren!


(Zuruf von der SPD: Jetzt bei der Wahrheit bleiben!)


Die SPD unternimmt den untauglichen Versuch, etwas
für ihren Wahlkampf zu erreichen, indem sie ein Bild von
Vorschlägen der Union malt, wie sie von der Union in kei-
ner Weise gemacht worden sind, bei dem es sich also um
ein reines Zerrbild handelt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieser Versuch wird jedoch scheitern.


(Zuruf von der SPD: Reden Sie doch mal über den Risikostrukturausgleich!)


Es ist deutlich erkennbar, dass es die Union war, die das
System der solidaren Sicherung in der Bundesrepublik
Deutschland geschaffen hat. Nicht Sie, sondern wir waren
das.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Regina Schmidt-Zadel

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Ich muss Ihnen nun vorwerfen,

(Zuruf von der SPD: Was ist denn nun mit dem Risikostrukturausgleich?)

dass Sie in den vier Jahren, in denen Sie Regierungsver-
antwortung getragen haben, mit dem Sozialsystem, das
wir Ihnen überlassen haben, Schindluder getrieben haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Das kann ich Ihnen auch beweisen. Dass zum ersten Mal in
der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die Men-
schen die Erfahrung gemacht haben, wie eine Zweiklas-
senmedizin aussieht, ist ein Menetekel für Ihre Politik. Las-
sen Sie mich die Zahlen nennen: Mehr als ein Drittel der
gesetzlich krankenversicherten Patienten haben die not-
wendigen Medikamente nicht erhalten, weil Sie das System
der Budgetierung der Arzneimittel eingeführt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nehmen wir einmal das Gebiet der Alzheimer-Erkran-

kungen als Beispiel. Entsprechende Studien liegen vor. In
diesem Bereich gibt es die modernen AChE-Hemmer, die
ermöglichen, dass an Alzheimer Erkrankte länger selbst-
ständig bleiben. Damit kann die Einweisung in Pflege-
heime um mindestens ein Jahr hinausgezögert werden.
18 Prozent der gesetzlich Krankenversicherten mit einer
entsprechenden Erkrankung bekamen im Jahr 1999 diese
Medikamente. Bei den privat Krankenversicherten hinge-
gen hat mehr als ein Drittel diese modernen Medikamente
bekommen.

Nehmen wir weiter das Gebiet der an Schizophrenie
Erkrankten. Bekanntlich sind die modernen atypischen
Neuroleptika für die Behandlung von Schizophrenen sehr
viel besser geeignet als die der alten Generation.


(Fritz Schösser [SPD]: Wo steht denn, dass die nichts mehr kriegen? Sind das die Ärzte oder ist das das Arzneimittelgesetz?)


Wie sieht es mit der Anwendung aus? Der Einsatz mo-
derner Neuroleptika macht in Spanien 20 Prozent aus, in
Italien 40 Prozent, in den USA60 Prozent und in der Bun-
desrepublik Deutschland bei den gesetzlich Krankenver-
sicherten 10 Prozent. Das nenne ich eine Zweiklassenme-
dizin.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Friedrich Merz hat völlig Recht: Unter Ihrer Regie-

rungsverantwortung ist es dazu gekommen, dass nur noch
Sozialhilfeempfänger und privat Krankenversicherte eine
erstklassige medizinische Versorgung erhalten, während
für die anderen eine Zweiklassenmedizin gilt. Das ist Ihre
Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU – Regina SchmidtZadel [SPD]: Das ist eine glatte Lüge!)


Ich hätte nie geglaubt, dass so etwas unter der Regie-
rungsverantwortung von Sozialdemokraten in Deutsch-
land passiert. Aber es ist wahr; es ist geschehen: Sie ha-
ben eine Zweiklassenmedizin bei uns eingeführt.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Stammtischparolen! Niedere Instinkte sprechen Sie an!)


Ich nenne ein Gebiet, auf dem es keine Lobby gibt: die
Pflegebedürftigen. Sie haben sich an der Kasse der Pfle-
geversicherung vergriffen – ich hätte es nicht für möglich
gehalten, dass so etwas geschieht – und 400Millionen DM
der Pflegeversicherung entzogen,


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist eine Unverschämtheit!)


damit der Herr Eichel seinen Etat sanieren kann. Sie ha-
ben das Geld den Pflegeversicherten geklaut.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ihre Schulden müssen wir abbauen!)


Außerdem sind seit 1995 die Leistungen der Pflege-
versicherung um keinen Pfennig angehoben worden. Sie
haben nicht einmal Anstalten gemacht, diese Leistungen
anzuheben. Stellen Sie sich einmal vor, es wäre bei
Tarifverhandlungen oder bei den Renten passiert, dass
den Menschen über Jahre hinweg kein Pfennig mehr ge-
geben wird. Sie aber haben das hier so laufen lassen, ob-
wohl die Menschen wirklich dieser Leistungen bedür-
fen.

Dann haben Sie in der Regierungserklärung groß an-
gekündigt, Sie wollten etwas für die Demenzkranken tun.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Da haben wir was getan! Zum ersten Mal!)


Was haben Sie gemacht? Sie haben tatsächlich gewagt, es
als Verbesserung darzustellen, dass Sie den Menschen pro
Tag 1,31 Euro für die Betreuung von Alzheimerpatienten
geben. Das nennen Sie Verbesserung? Was Sie da ma-
chen, ist ein Witz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nehmen wir einen dritten Punkt, die Versorgung in
Krankenhäusern und die Urteile zur Arbeitszeit. Jeder
weiß, es fehlen 10 000 bis 15 000 Stellen. Weil Sie es bis-
her nicht ermöglicht haben, diese Stellen zu besetzen,
müssen Ärzte in der Konsequenz Überstunden bis zum
Geht-nicht-Mehr leisten. Ärzte operieren noch, nachdem
sie 30 Stunden im Dienst gewesen sind. Ursache dafür ist
Ihre Politik.


(Zurufe von der SPD)

Nehmen wir ein Weiteres, die Versorgung mit nieder-

gelassenen Ärzten. Wir haben dafür gesorgt, dass die
Menschen in Ostdeutschland nach dem Fall der Mauer
endlich Zugang zu einer besseren medizinischen Versor-
gung bekommen haben. Sie haben es zugelassen, dass
mittlerweile die Versorgung mit Hausärzten in Branden-
burg, in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-An-
halt nicht mehr sichergestellt werden kann.


(Klaus Kirschner [SPD]: Dummes Zeug!)

Treten Sie am 22. September ab! Es wird höchste Zeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der SPD: Ohne dich! – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Auf die Gefahr hin, dass Sie regieren, würde ich den Mund nicht zu voll nehmen!)





Ulf Fink
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Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424205900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Thea Dückert.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424206000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Las-
sen Sie mich zu dieser Aktuellen Stunde zwei Vorbemer-
kungen machen, eine an Herrn Fink, eine an Frau
Schwaetzer.

Herr Fink, Kinder brauchen Märchen. Darüber haben
wir heute Morgen in der Bildungsdebatte diskutiert. Die-
sem Parlament müssen aber keine Märchen, erst recht
nicht Ihre, über den Zustand des Gesundheitssystems er-
zählt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Frau Schwaetzer, Sie haben gesagt, Sie wollten hier
keine Debatte, in der zum Beispiel über die Resultate Ih-
rer 24-jährigen Regierungstätigkeit diskutiert wird, denn
diese Resultate würden hier gar nicht mehr zur Diskussion
stehen.


(Erika Lotz [SPD]: Die Folgen haben wir aber noch abzutragen!)


Das ist ganz sicher richtig. Gucken wir uns dann doch ein-
mal an, was Sie hier und heute vorgetragen haben, Frau
Schwaetzer.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Weil Sie selbst nichts zu bieten haben!)


Sie haben zum Beispiel gesagt, dass der heutige Bei-
trag von 19,1 Prozent zur gesetzlichen Rentenversiche-
rung eine Steigerung der Beiträge bedeuten würde. Dann
haben Sie ganz leise hinzugefügt: gegenüber den Progno-
sen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das ist geschönt! 0,3 Prozent in diesem Jahr!)


Wenn Sie hier redlich über die Situation unseres Sozial-
versicherungssystems sprechen würden, hätten Sie, Frau
Schwaetzer, darauf hingewiesen,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben doch die Schwankungsreserve angegriffen! Seien Sie doch einmal ehrlich)


dass wir im Jahre 1998 einen Rentenbeitrag von 20,3 Pro-
zent übernommen haben und dieser heute bei 19,1 Prozent
liegt.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Dazu kommt die Ökosteuer! Ist doch egal, ob Steuer oder Beitrag!)


Das ist keine Steigerung, es sei denn, man macht eine
Milchmädchenrechnung auf, sondern eine Senkung der
Rentenversicherungsbeiträge.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist eine Umfinanzierung!)


Gerade was die Zukunft der Sozialversicherungssysteme
anbelangt, führen Sie hier also eine unredliche Debatte;

deswegen werde ich zu den weiteren Punkten, die Sie hier
vorgetragen haben, nicht mehr viel sagen.

Am Anfang dieser Woche wurde das Kompetenzteam
von Herrn Stoiber, das so genannte S-Team, um Herrn
Seehofer – zuständig für den Bereich der Sozialversiche-
rung – erweitert. Dies ist eine neue Variante des Wahl-
kampfspiels. Das Spiel heißt: Heute verspreche ich das
eine, morgen nehme ich es wieder zurück. Wir kennen die
Beispiele: Im Hinblick auf die Steuerreform wurde erst
gesagt, man werde sie vorziehen. Dann sagte Herr Merz,
das gehe so nicht. In der Debatte über die Sozialversiche-
rungsbeiträge wurden wie bei der Staatsquote und beim
Spitzensteuersatz 40 Prozent versprochen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal, was Sie wollen!)


Dann ruderte Herr Späth zurück und sagte: Schauen wir
erst einmal, wie es so läuft; Wahlprogramme sind sowieso
nicht so wichtig.

Heute gibt es eine Neuauflage durch Herrn Seehofer,
der allerdings nichts versprochen, sondern sich verspro-
chen hat.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Er hat beschrieben, was passiert, wenn niemand etwas macht!)


Er hat nämlich versehentlich die Wahrheit gesagt. Er hat
deutlich gemacht, dass die sozial- und rentenpolitischen
Konzepte der CDU zu nichts anderem als zu Beitrags-
erhöhungen führen können. Das sind Ihre Konzepte. Ich
will Ihnen zeigen, an welcher Stelle die Beiträge steigen
werden.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Unter Ihrer Regierung werden die Beiträge steigen! Darum geht es! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Irgendetwas haben Sie falsch verstanden!)


– Ich habe nichts falsch verstanden, sondern ich zitiere
nur, Frau Schwaetzer. Schauen Sie einfach in die Zeitun-
gen! Am Montag konnten wir lesen, dass Herr Seehofer
der Meinung ist, eine Erhöhung der Rentenbeiträge sei
unvermeidlich.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das sagt Herr Ruland auch!)


Am Dienstag konnten wir lesen: Die Union wird die Ren-
tenbeiträge nicht erhöhen; das könne er eindeutig aus-
schließen. Heute erklärte Herr Seehofer, wie man das Ziel
erreichen will, nämlich indem man die richtige Wirt-
schafts- und Finanzpolitik machen werde. Mehr sagte er
dazu nicht.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Was ist daran falsch?)


– Sie fragen: „Was ist daran falsch?“ Redlicherweise soll-
ten Sie sagen, was Sie wirklich versprechen: Die Stabilität
der Beiträge? Sagen Sie, was Sie dem Beitragssystem an-
tun wollen! Aus Ihren Programmen ist ersichtlich, dass
Sie die Ökosteuer aussetzen wollen. Das bedeutet einen
jährlichen Einnahmeverlust von 3 Milliarden Euro. Da
fragt man sich, wie Sie das gegenfinanzieren wollen. Sie
verraten das nicht. Wie wollen Sie den Druck auf die






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Beiträge, der durch das Aussetzen der Ökosteuer aus-
gelöst wird, ausgleichen?

Zweiter Vorschlag: Herr Seehofer hat am Anfang die-
ser Woche darauf hingewiesen, dass die Schwankungsre-
serve wieder erhöht werden müsse. Zurzeit ist sie höher
als zum Zeitpunkt unserer Regierungsübernahme. Eine
solche Erhöhung führt – das gibt er selbst zu – zu einer
Beitragssteigerung in der Rentenversicherung um noch
einmal 0,4 Prozent.

Dritter Vorschlag: Sie wollen durch eine Heraufsetzung
der Grenze bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnis-
sen die Wirtschaftsdynamik entfalten. Die FDP möchte
diese Grenze im Übrigen noch höher ansetzen. Außerdem
wollen Sie eine Pauschalbesteuerung einführen. Im Klar-
text bedeutet das, dass Sie die soziale Sicherung der ge-
ringfügig Beschäftigten aushöhlen wollen. Diese Men-
schen hätten dann keinen Anspruch mehr auf diese
Versicherungsleistungen. Den Sozialversicherungskassen
werden außerdem die Beitragszahlungen fehlen. Wie wol-
len Sie das ausgleichen? – Sie geben keine Antwort.

Was bleibt dem ratlosen Leser und der ratlosen Leserin
der Presse in dieser Woche? Sie erinnern sich an alte Kon-
zepte, die im Laufe der 90er-Jahre zu einer eklatanten
Steigerung der Sozialversicherungsbeiträge geführt ha-
ben. Diese Konzepte führten in ganz erheblichem Maße
zu der hohen Arbeitslosigkeit, die zum Zeitpunkt unserer
Regierungsübernahme herrschte.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424206100
Denken Sie bitte
an die Zeit.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424206200

Ich komme zum Schluss. – Wir müssen die Sozialabgaben
senken, und zwar mit redlichen Konzepten, die den so-
zialen Schutz der Versicherten nicht aushöhlen, sondern
die sozialen Sicherungssysteme stabilisieren. Davon ha-
ben Sie in dieser Woche nichts gesagt. Sie haben ver-
schleiert.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424206300
Frau Kollegin,
bitte.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424206400

Sie haben „verstoibert“. Sie nehmen alles zurück. So kann
man das Ziel, die Sozialversicherungsbeiträge zu senken,
nicht erreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Ihr seid „verriestert“ und „verschrödert“! Eine „verriesterte“ Rede!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424206500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Kirschner.


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1424206600
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hat es gezeigt:
Bei der Bundestagswahl geht es auch in der Gesundheits-

politik um eine Richtungsentscheidung. Es geht nämlich
darum, ob der umfassende Leistungskatalog von der
Prävention über die Akutbehandlung bis zur Reha auch in
Zukunft noch gilt. Frau Schwaetzer hat gesagt, sie wolle
diesen Katalog abschaffen.

Die Volkspartei CDU/CSU schreibt zwar in ihrem
Wahlprogramm, dass den Versicherten auch weiterhin alle
medizinisch notwendigen Leistungen in der GKV ge-
währt werden.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das stimmt auch!)


Aber gleichzeitig sollen Leistungen abgewählt werden
können. Das ist doch ein Widerspruch in sich. Es geht Ih-
nen im Kern darum, die medizinisch umfassende Be-
handlungskette auszuhebeln. Das haben Sie bereits
während Ihrer Regierungszeit mit dem Vorschlag der Ein-
führung von Gestaltungsleistungen versucht, beispiels-
weise bei Heilmitteln oder häuslicher Krankenpflege und
mit der Ausgliederung von Zahnersatz aus der vertrags-
zahnärztlichen Versorgung. Die Folge Ihres Abwahlkon-
zeptes wäre, dass die Versicherten im Krankheitsfall die
abgewählten Leistungen privat zuzahlen müssen.

Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Merz, hat es in der
„Bild am Sonntag“ vom 21. April mit den Worten ver-
deutlicht:

Auch in der gesetzlichen Krankenversicherung soll
es, wie bei den privaten, mehr Wahlfreiheit geben.
Deshalb schlagen wir vor, den Arbeitgeberanteil zur
Krankenversicherung festzuschreiben.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Hört! Hört!)


Der Arbeitnehmer kann dann über die Höhe seines
Beitrages selbst entscheiden – je nachdem, ob er wei-
ter eine Vollversicherung wünscht oder bereit ist, ei-
nen Teil seiner Krankheitskosten – etwa bis zu
500 Euro im Jahr – selber zu tragen.

(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist doch sehr vernünftig!)

– Frau Schwaetzer, das mag aus Ihrer Sicht vernünftig
sein. Ich halte es nicht nur für unvernünftig, sondern für
unverschämt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Meine Damen und Herren, mit solchen Vorschlägen
verschieben Sie das Koordinatensystem der solidarischen
Krankenversicherung.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: So ist es!)

Sie verschweigen die Folgen, da Ihnen die Wähler bereits
bei der letzten Bundestagswahl dafür die rote Karte ge-
zeigt haben. Deshalb werden wir den Menschen sagen:
Für diejenigen, die auf die solidarische Krankenversiche-
rung im Krankheitsfall angewiesen sind, nämlich für die
Schwerkranken


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Für die retten wir das!)





Dr. Thea Dückert
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– das trifft vor allen Dingen die Älteren und die Rentner,
die in der Regel kränker sind als die Jungen –, steigen
dann die Finanzierungsanteile in dem Umfang, wie Sie sie
auf der anderen Seite durch Boni an Gesunde verteilen
wollen.

Sie stellen damit – das müssen Sie sich vorhalten las-
sen – den Gesellschaftsvertrag zwischen Jung und Alt,
Gesunden und Kranken, gut Verdienenden und weniger
gut Verdienenden, Alleinversicherten und Familienver-
sicherten infrage.


(Beifall bei der SPD)

Sie legen die Axt an die Wurzeln der solidarischen Kran-
kenversicherung.

Deshalb werden Sie beispielsweise auf die folgenden
Fragen eine Antwort geben müssen: Was geschieht mit
den Versicherten, die als junge Menschen nicht an chro-
nische oder lebensbedrohliche Krankheiten denken und
die Leistungen wie Heil- und Hilfsmittel, häusliche Kran-
kenpflege und Reha in jungen Jahren abwählen, aber im
späteren Leben einen Schlaganfall erleiden und dringend
auf Krankengymnastik, Logopädie und häusliche Kran-
kenpflege angewiesen sind? Was wird dann aus deren Be-
handlung? Welchen Stellenwert hat die Reha in der Ge-
sundheitsversorgung à la CDU/CSU, wenn sie abwählbar
ist, wenn Krankengymnastik und Sprachheilkunde nicht
mehr zum Pflichtleistungskatalog der GKV gehören sol-
len? Was ist mit demjenigen, der einen Rollstuhl benötigt,
aber die Hilfsmittel abgewählt hat? Was passiert mit einer
Patientin, wenn nach einer Brustkrebsoperation die Lymph-
drainage nicht mehr von der GKV gewährt wird, weil sie
in jungen Jahren abgewählt wurde?

Lieber Kollege Fink, Sie haben sich vorhin wegen der
Sozialhilfeempfänger sehr echauffiert. Bekommt dann
der Pflichtversicherte nicht die gleiche Behandlung wie
der Sozialhilfeempfänger, für den das zuständige Sozial-
amt weiterhin die medizinisch notwendige Vollversor-
gung zu übernehmen hat? Glauben Sie, dass dies rechtlich
haltbar ist? Erklären Sie dies einmal den Bürgerinnen und
Bürgern.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Diesen Quatsch können Sie niemandem mehr erklären! Das ist ein solcher Blödsinn!)


– Liebe Frau Schwaetzer, weil Sie dies als Blödsinn be-
zeichnen, möchte ich Ihnen raten, ein bisschen genauer
hinzuschauen. 1989 hat die Bundesregierung die St.-
Vinzenz-Deklaration unterschrieben


(Zuruf der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP])


– hören Sie einmal genau zu! –, die vorsah, dass wir in der
Bundesrepublik Deutschland die Zahl der durch Diabetes
bedingten Neuerblindungen um mindestens ein Drittel re-
duzieren, die Zahl der durch Diabetes bedingten Nieren-
insuffizienzen um mindestens ein Drittel senken und die
Zahl der Gliederamputationen mindestens halbieren.

Was haben Sie denn erreicht? Jetzt, da wir Disease-Ma-
nagement-Programme machen, diffamieren Sie dies und
sagen, man könne eine solches Wort nicht aussprechen.

Haben Sie eigentlich nicht begriffen, was in der Gesund-
heitspolitik dieser Republik notwendig ist?


(Beifall bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Sie haben mir nicht zugehört, Herr Kirschner!)


Meine Damen und Herren, ich will Ihnen zum Schluss
nur noch eines vorhalten.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Sie haben entweder nicht zugehört oder nicht begriffen!)


Weil Sie immer sagen, wenn nichts in Richtung Ihrer Po-
litik der Abwahl von Leistungen geschehe, breche das
System zusammen, möchte ich etwas zitieren:

Grundsätzlich stehen mit insgesamt jährlich
250 Milliarden DM Ausgaben für Medizin so viele
Mittel zur Verfügung, dass damit auch heute ein qua-
litativ hoch stehendes Versorgungssystem für alle
medizinischen Bereiche finanziert werden könnte.
Aber: Die Geldströme stimmen nicht, die ökonomi-
schen Anreize sind falsch und führen zu oft unsinni-
gem wirtschaftlichem, aber auch medizinischem
Verhalten. Die Vergütungssysteme sind nicht an der
Qualität medizinisch notwendiger Leistungen orien-
tiert, überbewerten die Technik und schützen Erb-
höfe, die in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität er-
worben wurden.

Wissen Sie, von wem das stammt? – Dieses Zitat stammt
vom ehemaligen Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bun-
desvereinigung, von Herrn Dr. Schorre, einem Intimken-
ner dieses Bereiches. Das können Sie alles nachlesen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424206700
Herr Kollege,
Sie wollten schon vor dem Zitat zum Schluss kommen.


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1424206800
Meine Damen und Herren,
ich ziehe das Fazit: Weichen Sie von diesem Weg ab.
Wahltarife und Selbstbehalte sind Sargnägel für die soli-
darische Krankenversicherung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424206900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Zöller.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1424207000
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Kirschner, Sie haben Recht: Am 22. September wird es
eine Richtungswahl geben. Die Leute werden entscheiden
müssen, ob sie Staatsmedizin oder ein freiheitliches Ge-
sundheitssystem wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD)


Die Leute werden zu entscheiden haben, ob sie Listenme-
dizin oder Therapiefreiheit wollen, und sie werden da-
rüber entscheiden.


(Peter Dreßen [SPD]: Welche Freiheit? Ob sie selber bezahlen wollen? Komische Freiheit!)





Klaus Kirschner

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Von Ihnen kommt immer der Zwischenruf, wie so et-
was finanziert werden soll. Auch die Sozis sollten endlich
begreifen: Der Schlüssel zur Finanzierung unserer Sozi-
alsysteme ist eine vernünftige Wirtschaftspolitik. Auf die-
sem Gebiet haben Sie voll und ganz versagt. Sozial ist,
was Arbeitsplätze schafft.


(Franz Thönnes [SPD]: 1,1 Millionen mehr als zu Ihrer Zeit!)


Wenn wir alle uns dies zu eigen machen, haben wir Chan-
cen, auch unsere Sozialsysteme auf Dauer finanzieren zu
können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch wenn die Ministerin heute Geburtstag hat, kann

ich ihr das, was sie die letzten zwei, drei Tage an falschen
Aussagen und an Halbwahrheiten losgelassen hat, nicht
durchgehen lassen. Das kann einfach nicht im Raum ste-
hen bleiben. Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen.

Da stellt sich die Ministerin hin und behauptet, die
Union wolle „keine bessere Versorgung für Chroniker“.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Will sie auch nicht!)


– Hier kommt auch ein Zwischenruf, der diese Behaup-
tung bestätigt. Sie ist aber unwahr. Die Union und die FDP
waren die ersten, die im Neuordnungsgesetz die Härte-
fallregelungen für chronisch Kranke verbessert und die
Zuzahlungen halbiert haben.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: So ist es! Jawohl!)


Das war die erste Maßnahme. Für chronisch Kranke ist
aber noch viel wichtiger, dass man mit der Abschaffung
der Budgets endlich dafür Sorge trägt, dass die zentrale
Voraussetzung für eine verbesserte medizinische Versor-
gung dieser kranken Menschen gegeben ist, denn Budgets
führen unweigerlich zu Rationierung. Dies trifft beson-
ders chronisch Kranke.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich komme jetzt zu den von Ihnen eingeführten Be-

handlungsprogrammen für chronisch Kranke.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Hervorra gend!)

Wir sind gegen die Art und Weise, wie Sie es einführen,
weil es zu bürokratisch, zu teuer und zu wenig effizient
ist. Sie wollen eine Standardisierung der medizinischen
Versorgung;


(Peter Dreßen [SPD]: Totschlagsargumente!)

nicht mehr die individuellen Bedürfnisse stehen bei Ihnen
im Vordergrund, sondern die Erfüllung von vorgegebenen
Leitlinien.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie haben
vier chronische Krankheiten herausgegriffen, für deren
Behandlung Sie mehr Geld ausgeben wollen. Das be-
grüßen wir alle. Aber Sie müssen den Leuten gleichzeitig
sagen: Bei den von Ihnen vorgegebenen Budgets werden
die übrigen chronisch Kranken weniger Mittel bekom-
men. Wie wollen Sie den Rheumakranken oder den

Krebskranken klar machen, dass Sie ein Programm nur
für bestimmte chronisch Kranke machen, während Sie für
andere chronisch Kranke weniger ausgeben? Das müssen
Sie ihnen erklären.


(Beifall bei der CDU/CSU – Franz Thönnes [SPD]: So ein Quatsch! Wer sagt denn das?)


Wissen Sie, was der Unterschied zwischen Rot-Grün
und der Union ist? Sie werfen uns zu Unrecht vor, wir
wollten eine Zweiklassenmedizin einführen. Tatsächlich
hat Rot-Grün die Zweiklassenmedizin durch die Hintertür
schon längst eingeführt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Chronisch Kranke erhalten kaum noch innovative Arz-

neimittel, es sei denn, sie zahlen sie privat. Für bestimmte
Operationen gibt es in Deutschland schon Wartelisten, es
sei denn, sie werden privat gezahlt. Das nennen Sie nicht
Zweiklassenmedizin?

Und wozu hat Ihre Zahnersatzregelung geführt? Sie
haben einen prozentualen Zuschuss eingeführt. Das be-
deutet, einen besonders aufwendigen Zahnersatz können
sich nur noch zwei Personengruppen leisten: diejenigen,
die ein hohes Einkommen haben, und die Sozialhilfe-
empfänger. Zahlen müssen das dann all diejenigen, die im
mittleren Einkommensbereich sind. Auch das ist eine
Zweiklassenmedizin.

Sie haben die Zweiklassenmedizin in Deutschland
nicht nur hoffähig gemacht, sondern durch Ihre verfehlte
Politik noch mehr Unmenschlichkeit in dieses System ge-
bracht. Aufgrund Ihrer Politik kommt es nämlich zum
Beispiel dazu, dass sich Dekubituskranke erst großflächig
wund liegen müssen, bevor ihre Behandlung bezahlt wird.
Durch Ihre verfehlte Politik ist es zum Beispiel auch dazu
gekommen, dass Osteoporosekranke sich erst die Kno-
chen brechen müssen, bevor die Behandlung bezahlt
wird. Das können Sie doch nicht menschlich nennen! Was
Rot-Grün hier praktiziert, ist weder sozial noch gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Franz Thönnes [SPD]: Machen Sie hier mal nicht so eine Panik!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424207100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Fritz Schösser.


Fritz Schösser (SPD):
Rede ID: ID1424207200
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal freue ich mich,
dass Herr Seehofer seine Krankheit wohl weitgehend
überwunden hat und wieder in der Lage ist, sich als
sozialpolitischer Solotänzer der Union wenigstens in den
Redaktionsstuben aufzuhalten. Schöner wäre es noch,
wenn er an der heutigen Debatte teilnehmen würde. Aber
ich habe den Eindruck, er fühlt sich in den Redaktions-
stuben in seiner Funktion wohler als in Ihrer Fraktion.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Diese Heuchelei ist eine Unverschämtheit! – Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Schämen Sie sich!)


Auf der politischen Bühne ist Seehofer allerdings eher
als Quax der Bruchpilot wieder aufgetreten. Die ersten




Wolfgang Zöller
24256


(C)



(D)



(A)



(B)


Botschaften von Seehofer sind zwar wenig originell,
dafür aber ausreichend widersprüchlich. Ich glaube, das
kann man ganz klar und deutlich sagen. Ich frage mich
wirklich, wie man noch vor wenigen Tagen sagen konnte,
dass man die Rentenversicherungsbeiträge erhöhen muss,
wie man davon sprechen kann, dass man Wahlleistungen
einführen will, wenn man dann nach einer gemeinsamen
Pressekonferenz seine eigene Landesarbeitsministerin
zurückpfeift, die sagt, dass die Skifahrer, Jumpingsprin-
ger usw. höhere Beiträge bezahlen sollen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist alles erfunden! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sagen wieder die Unwahrheit!)


Herr Seehofer musste vom Krankenbett aus agieren, um
das alles wieder ins Lot zu bringen. Das ist schon sehr ku-
rios.

Besonders traurig an der Angelegenheit ist das, was er
heute in der „Süddeutschen Zeitung“ sagt. Das ist nun
wirklich spannend. Ich greife einmal wenigstens zwei
Passagen heraus.

Die eine ist folgende. Er sagt:
Zunächst, wie ich jetzt selbst erfahren habe, brau-
chen wir eine bessere Vorsorge, besonders gegen
die Volkskrankheiten Herz-Kreislauf-Beschwerden,
Krebs und Diabetes.

Ich frage mich: Erinnert sich Herr Seehofer nicht mehr
daran, dass er 1997 das Beitragsentlastungsgesetz ge-
macht hat und im Grunde die Gesundheitsförderung, die
Prävention und vieles andere total abgeschafft hat?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Erinnert er sich nicht mehr daran, dass das allein im
AOK-System bei Gymnasiasten, Sportlehrern und vielen
anderen bundesweit 1 400 Arbeitsplätze gekostet hat? Er-
innert er sich nicht mehr daran, dass die ganzen Infra-
strukturen verschwunden sind und erst durch uns mühsam
wieder aufgebaut werden mussten?

Es ist ja hervorragend, wenn man zur späten Erkennt-
nis kommt. Aber in diesem Fall kann ich nur sagen: Sie
kommt sehr spät und ist, wie ich glaube, wahltaktisch mo-
tiviert.

Zum Zweiten. Seehofer sagt:
Wir wollen Beiträge und Kosten senken durch mehr
Wahlmöglichkeiten.

Ein Stück weiter heißt es:
Und um es gleich ganz klar zu sagen: Es geht dabei
nicht um Regel- und Wahlleistungen.

Ich frage mich: Um was geht es denn dann?
Dazu hat – es ist noch gar nicht lange her – am 31. Au-

gust 2001 eine Pressekonferenz mit Frau Stewens und den
Herren Seehofer und Zöller stattgefunden. Ich habe mir
die entsprechenden Texte mitgenommen. Sie alle müssten
das eigentlich gut bezeugen können. Herr Zöller, da steht
Folgendes:

Der Versicherte sollte ... künftig wählen können,
welche Leistungen er in der gesetzlichen Kranken-
versicherung beanspruchen will.


(Peter Dreßen [SPD]: Hört! Hört!)

Da eine diagnosebezogene Trennung von so genann-
ten Kernleistungen gegenüber anderen Leistungen
nicht möglich ist, wird vorgeschlagen, die Leis-
tungsblöcke Krankenhausbehandlung, Arzneimittel
und ärztliche Behandlung sowie Krankengeld für die
Wahlmöglichkeit des Versicherten unangetastet zu
lassen.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Eben! Sie be haupten die ganze Zeit das Gegenteil!)

– Jetzt kommt es aber. –
Jedoch kann der übrige Block, der circa 16 Prozent
der Leistungsausgaben ausmacht, insgesamt oder
teilweise vom Versicherten abgewählt werden.

(Beifall der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD] – Klaus Kirschner [SPD]: 40 Milliarden sind das!)


Herr Zöller, Sie waren gestern in unserem Ausschuss
bei der Anhörung zu Mutter-Kind-Kuren und der an-
schließenden Debatte anwesend. Was heißt das denn nun?
Zählt die Mutter-Kind-Kur zu dem Bereich von 16 Pro-
zent oder nicht? Sagen Sie den Müttern, dass das eine
Wahlleistung ist und dass diejenigen, die sich für diese
Wahlleistung entscheiden, eine solche Kur machen kön-
nen, während die anderen, die sich nicht für diese Wahl-
leistung entscheiden, eine solche Kur nicht machen kön-
nen?


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)


Wer sind denn die anderen? Diejenige, die keine Mutter
ist, die kein Kind hat, entscheidet sich natürlich nicht für
diese Wahlleistung – und Männer tun dies natürlich auch
nicht.

Wissen Sie, was Sie tun? Sie empfehlen den Menschen
eine Krankenversicherung für Kranke. Dies wird schlicht
und einfach nicht funktionieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Krankenversicherung braucht den Starken, der dem
Schwachen hilft. Jede Wahlleistung, die Sie einführen,
schröpft das Solidarsystem und bringt demjenigen, der
sich der Solidarität entzieht, Vorteile. Das ist die Situa-
tion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Am Ende meiner Rede komme ich noch einmal ganz
kurz auf Herrn Seehofer zu sprechen.


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Sie entschuldigen sich jetzt!)


Ich empfehle Herrn Seehofer, den Rat des ehemaligen
Präsidenten der Bundesärztekammer, des Herrn Vilmar,
zu befolgen, der sagte:




Fritz Schösser

24257


(C)



(D)



(A)



(B)


Vor allem muss er die Mahnungen seiner Ärzte be-
folgen und muss sich schonen.

Bei dem sozialpolitischen Flohzirkus, den Sie und er in
den letzten acht Tagen betrieben haben,


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Das ist ungeheuerlich! Schämen Sie sich nicht?)


wäre er wirklich gut beraten, sich zu schonen und sich
nicht zu früh wieder auf die politische Bühne vorzuwa-
gen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424207300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Johannes Singhammer.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1424207400
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist
grundsätzlich richtig, dass jeder Bemerkung von Horst
Seehofer mehr Gewicht beigemessen wird als den lang-
atmigen Erklärungen der Regierungsmitglieder. Denn
hinter den Aussagen von Horst Seehofer steckt Substanz.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch von der SPD)


Herr Kollege Schösser, nicht richtig ist dagegen, sich hier
derart über seinen Gesundheitszustand auszulassen. Ich
bin froh, dass es Horst Seehofer wieder besser geht und
dass er bald wieder bei uns sein wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Tatsache ist: Nach vier Jahren ist Rot-Grün auch im
Hinblick auf die Rentenversicherung am Ende. Die Pro-
bleme sind Ihnen über den Kopf gewachsen. Sie sind aus-
gebrannt; Sie sind ideen- und konzeptionslos. Deshalb
sollten Sie zuhören, wenn die Opposition spricht und Vor-
schläge macht. Sie sollten sie aber auch richtig verstehen.

Niemand, weder der Kollege Seehofer noch andere, ar-
beiten darauf hin, die Rentenversicherungsbeiträge zu er-
höhen. Diese Aussage war bösartig.


(Franz Thönnes [SPD]: Hat er doch gerade gesagt und stand doch auch in der Zeitung!)


Aber richtig ist, dass wir in großer Sorge darüber sind,
dass Ihnen die Rentenversicherung und die Beiträge zu-
nehmend entgleiten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie haben in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von
Ankündigungen und Versprechen gemacht, die Sie nicht
eingehalten bzw. gebrochen haben. Sie hatten angekün-
digt, die Rentenversicherungsbeiträge in diesem Jahr un-
ter 19 Prozent zu drücken. Tatsache ist, dass Sie das nicht
erreicht haben, dass wir einen Beitrag von 19,1 haben. Sie
hatten angekündigt, ab 2003 weitere Schritte zur Senkung
einzuleiten. Tatsache ist: Prognosen der Rentenversiche-

rungsträger besagen, sie würden auf mindestens 19,3 Pro-
zent steigen. Sie hatten angekündigt, die Rentenversiche-
rung transparenter und sicherer zu machen. Tatsache ist,
dass Sie die Schwankungsreserve der Rentenversicherung
auf 0,8 Prozent der Monatsausgaben verringert haben.

Durch diese Vielzahl von Korrekturen, die Sie vorneh-
men mussten, haben Sie das Vertrauen der Rentner und
Beitragszahler massiv beschädigt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb bedarf es einer anderen Politik.

Was Sie als Ausgleich für die Niveausenkung angebo-
ten haben – nichts anderes stellt die so genannte Riester-
Rente dar –, die neue private Säule der Rentenversiche-
rung, kommt nicht richtig in Schwung. Die Zahlen, die
uns vorliegen, sind ernüchternd: Von den 30 Millionen
Versicherten, die diese Rente in Anspruch nehmen könn-
ten, haben bis zur Stunde nur wenige, nämlich 2 Milli-
onen, entsprechende Verträge unterschrieben. Uns errei-
chen Meldungen aus den Medien, dass mehrere
Hunderttausend diese Verträge storniert haben bzw. beab-
sichtigen, sie zu stornieren. Damit zerbröselt dieser Eck-
pfeiler der Rentenversicherung.

Es ist richtig, dass Sie sich nun mehr mit unseren Vor-
schlägen beschäftigen. Aber machen Sie es richtig! Das
private Standbein der Rentenversicherung ist so, wie Sie
es konzipiert haben, viel zu kompliziert. Deshalb wird
dies nicht angenommen. Zudem nimmt die Bürokratie
überhand. Das sagen im Übrigen nicht nur wir, sondern
nahezu alle Sozialverbände, die Banken, die Sparkassen
und andere, die auf diesem Gebiet Fachleute sind.

Worum geht es eigentlich? Wir haben vor vier Jahren
eine Rentenreform nicht nur entworfen, sondern auch be-
schlossen, die die große Herausforderung, vor der das
Rentensystem steht, nämlich die Herstellung einer Ba-
lance zwischen den Generationen, berücksichtigt hat, und
zwar durch den demographischen Faktor. Dieser Faktor
sollte das Ungleichgewicht wieder in ein Gleichgewicht
bringen. – Dies haben Sie verhindert und deshalb wach-
sen Ihnen jetzt die Probleme über den Kopf. Ich sage Ih-
nen: Die vier Jahre rot-grüner Regierung waren verlorene
Jahre für die Rentenversicherung. Es waren verlorene
Jahre, hier wieder auf einen guten Weg zu kommen. Wir
werden diesen falschen Weg nicht mitmachen. Wir wer-
den reparieren und eine Rentenreform vorlegen, die die-
sen Namen verdient und die den Menschen das Vertrauen
gibt, dass die Alterssicherung in Zukunft wieder sicher ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424207500
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Erika Lotz.


Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1424207600
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! Ich möchte von dieser Stelle aus,
auch wenn es der eine oder andere vielleicht nicht glauben
mag, Herrn Seehofer weiterhin gute Besserung wünschen.
Es wäre schön, wenn er bald wieder unter uns wäre.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)





Fritz Schösser
24258


(C)



(D)



(A)



(B)


Er hat aber, wie ich finde, durch seine jüngste Presse-
mitteilung die Katze aus dem Sack gelassen. Wenn er sagt,
eine Beitragserhöhung zwischen 0,4 und 0,5 Prozent sei
unvermeidlich, dann steht das in eklatantem Widerspruch
zu dem Wahlprogramm der Union; darüber muss man hier
schon einmal diskutieren.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Leider habt ihr ja noch bis zum 22. September das Sagen!)


Seine Ankündigung ist ernst zu nehmen, da die Kranken-
versicherungsbeiträge in der letzten Legislaturperiode un-
ter seiner Führung von 12,3 auf 13,6 Prozent angestiegen
sind.

Ich kann ja verstehen, dass nun versucht wird, zurück-
zurudern; denn diese Aussage passt nun einmal nicht zum
Wahlprogramm. Darin wird die Senkung des Spitzensteu-
ersatzes, der Sozialversicherungsbeiträge und der Staats-
quote, jeweils unter 40 Prozent – „dreimal vierzig“ –, an-
gekündigt. Deshalb wird die Äußerung von Herrn
Seehofer jetzt dementiert. Das glaubt Ihnen aber niemand
mehr. Nun wissen die Wähler auch, was mit Ihrem Wahl-
slogan „Zeit für Taten“ gemeint ist: Den Arbeitnehmern in
die Tasche zu greifen ist wirklich eine Tat, jedoch keine
große, und Mitglied bei den Pfadfindern kann man damit
nicht werden.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was bisher vom südlastigen so genannten Kompetenz-
team des Kanzlerkandidaten zu hören war, ist an Wider-
sprüchlichkeit nicht zu überbieten. So fordert die Union
– auch hier in einem Antrag –, zu gewährleisten, dass der
Gesamtsozialversicherungsbeitrag langfristig auf unter
40 Prozent gesenkt werden kann. Da besteht doch ein Wi-
derspruch, schließlich spricht Seehofer davon, den Ren-
tenversicherungsbeitrag um 0,5 Prozent zu erhöhen.

Es ist ein Widerspruch, wenn man die Sozialversiche-
rungsbeiträge senken will, gleichzeitig aber verspricht,
den Rentenversicherungsbeitrag stabil halten und die
Ökosteuer abschaffen zu wollen. Schließlich handelt es
sich bei Letzterem um die Einnahme bei der Rentenver-
sicherung, die von allen, nicht nur von Arbeitern und An-
gestellten, getragen wird, also eine gesamtgesellschaft-
liche Aufgabe ist.

Sie streuen den Wählern doch Sand in die Augen. Man
kann den Eindruck gewinnen, die Union wisse in der So-
zialpolitik überhaupt nicht mehr, was sie machen soll. Sie
verfahren nach dem Hühnerhofprinzip, Sie picken mal
hier und mal dort, aber immer nehmen Sie es den Arbeit-
nehmern fort.

Sie zeigen: Sie haben keine Alternative zu unserer Po-
litik und wollen dort weitermachen, wo Sie 1998 aufge-
hört haben, bevor die Wählerinnen und Wähler Sie auf die
Oppositionsbank schickten. Dort werden Sie auch blei-
ben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Rot-Grün hat den Rentenversicherungsbeitrag in drei
Stufen von 20,3 Prozent auf 19,1 Prozent gesenkt. Wir
helfen den Menschen beim Aufbau einer zusätzlichen

Säule der Altersversorgung. Sie hatten dazu keine Kraft.
Wir haben die soziale Grundsicherung beschlossen, die ab
dem nächsten Jahr besonders den älteren Frauen helfen
wird. Wir wollen keine verschämte Altersarmut – im Ge-
gensatz zur Union. Oder wie ist es sonst zu werten, dass
Sie die Grundsicherung wieder abschaffen wollen?

Der Aufbau der neuen Säule ist auf einem guten Weg,
Herr Singhammer: Mehr als 16 Millionen von den
30 Millionen förderberechtigten Arbeitnehmern werden
von Tarifverträgen über die betriebliche Altersversorgung
erfasst. Ich halte es für verantwortungslos, wenn CDU-
Politiker wie Herr Laumann die Arbeitnehmer auffordern,
mit dem Abschluss von Verträgen bis nach der Bundes-
tagswahl zu warten.

Sie werden zwar nicht dazu kommen, aber es ist doch
auch vermessen, den Eindruck zu erwecken, als könne
man innerhalb von drei Monaten etwas anderes auf den
Weg bringen. Herr Singhammer, Sie haben hier beklagt,
dass 100 000 Verträge wieder geändert worden sind. Den-
ken Sie doch einmal darüber nach, ob diese Verträge nicht
unter vollkommen falschen Voraussetzungen zustande ge-
kommen sind, weil die Verträge noch nicht zertifiziert wa-
ren und die Menschen durch die betriebliche Altersversor-
gung ganz andere rentierliche Möglichkeiten haben.

Die Wählerinnen und Wähler wissen, was sie an unserer
Politik haben und auch weiter haben werden. Sie werden
dafür sorgen, dass Sie auf der Oppositionsbank bleiben.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424207700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Dreßen.


Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1424207800
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Selbst der Opposition Wohlgesinnte müssen
erkennen, dass sich die Opposition auf der rechten Seite
dieses Hauses wie ein Hühnerhaufen benimmt. Jeder
scharrt in eine andere Richtung und macht seinen eigenen
Mist. Da ich der Opposition jedoch nicht wohlgesonnen
bin – Sie werden das verstehen –, behaupte ich, dass die
Opposition im bevorstehenden Wahlkampf den größten
Wählerbetrug aller Zeiten begehen möchte.

Ich will Ihnen das an ein paar Beispielen deutlich ma-
chen. Sie wollen die Staatsquote auf 40 Prozent senken,
so steht es im Entwurf Ihres Wahlprogramms, das Sie mit
Zustimmung Ihres bayerischen Hofhahnes aus Wolfrats-
hausen vorgelegt haben. Bei der Verwirklichung droht
eine Einschränkung der Ausgaben von Bund, Ländern
und Gemeinden von 170 Milliarden Euro, mit allen ne-
gativen Folgen für öffentliche Investitionen, Arbeit und
Infrastruktur. Wir werden dafür sorgen, dass Deutschland
davor bewahrt wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gleichzeitig fordern CDU/CSU-Familienpolitiker, dass
für Familiengeld 24 Milliarden Euro mehr ausgegeben




Erika Lotz

24259


(C)



(D)



(A)



(B)


werden sollen. Der verteidigungspolitische Sprecher der
Opposition will natürlich auch, dass jedes Jahr 2 bis 3Mil-
liarden Euro mehr für die Bundeswehr ausgegeben wer-
den. Obwohl die Regierung Schröder für notwendige
Straßeninfrastrukturverbesserungen mehr investiert, als
Sie in Ihrer Regierungszeit je in der Lage waren, wollen
Sie auch hier locker vom Hocker einige Milliarden für den
Straßenbau mehr ausgeben. Das verkünden jedenfalls Ihre
Abgeordneten vor Ort.

Auf Grundlage Ihrer widersprüchlichen Haushalts-
reden der vergangenen Jahre könnte man diese Beispiele
für jedes Ministerium problemlos fortsetzen. Damit wird
jedem, der zwei und zwei zusammenzählen kann, deut-
lich, dass hier der größte Wählerbetrug der Nachkriegs-
geschichte vorbereitet wird.

Einigen Herren wie Herrn Späth und jetzt auch Herrn
Seehofer wurde angesichts dieser Strategie offenbar klar,
dass Sie den Bürgerinnen und Bürger hier etwas weisma-
chen wollen, was wohl nicht aufgehen kann. Die Wähle-
rinnen und Wähler sind nämlich nicht so dumm, wie Sie
glauben. Sie durchschauen Ihre wirren Versprechungen.
Das haben sie 1998 gemacht und das wird auch am
22. September wieder der Fall sein.

Ihre Politik ist ein Rückschritt in die letzten Jahrzehnte.
Erinnern wir uns: 1995 bis 1998 waren Sie nicht fähig,
auch nur eine Reform durchzusetzen. Das, was Sie als Re-
form verkauften, hat beim Bürger dazu geführt, dass er am
liebsten seinen Geldbeutel zugenäht hätte, so ungeniert
haben Sie immer hineingelangt. Wirkliche Reformen, die
den Menschen etwas gebracht hätten, blieben bei Ihnen
auf der Strecke. Das Wort des letzten Jahres Ihrer Regie-
rung war Reformstau, Frau Schwaetzer. Nun sind Sie
auch noch so dreist und werfen der Bundesregierung, die
es immerhin geschafft hat, Arbeit auf mehr Schultern zu
verteilen, vor, keine Erfolge vorweisen zu können.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Sie können doch nicht immer nur umverteilen! Wir wollen mehr Arbeit!)


Ich erinnere daran, dass es 1998 37,6 Millionen Arbeits-
plätze gab. 2002 sind es 38,7 Millionen Arbeitsplätze.
Das ist ein Plus von 1,1 Millionen Beschäftigten, Frau
Schwaetzer, falls Sie nicht rechnen können.


(Beifall bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Sie haben doch gesagt: auf mehr Schultern verteilen!)


– Es ist auch ein Erfolg, Frau Schwaetzer, wenn man Ar-
beit auf mehr Schultern verteilt. Oder wollen Sie noch
mehr Überstunden und solches Zeug zulassen?

Die Arbeitslosigkeit ist gesunken: im Jahresdurch-
schnitt 2001 im Vergleich zu 1998 um gut 400 000. Im
Vergleich des Monats Mai 2002 zum Mai 1998 sind es
225 000 Arbeitslose weniger. Das reicht uns nicht; das
macht uns auch nicht zufrieden. Aber die Richtung des
von uns eingeschlagenen Weges stimmt. Das zeigt auch
der Rückgang bei den Langzeitarbeitslosen um fast
240 000.

Wir haben im Wahlkampf 1998 versprochen, die sozi-
alpolitischen Notwendigkeiten, also die so genannten

Fremdleistungen, mit allgemeinen Steuermitteln zu finan-
zieren. Dieses Versprechen haben wir mit der Ökosteuer
eingelöst; denn die Ökosteuer bezahlen auch Abgeord-
nete, Unternehmer und Beamte. Das ist ökologisch ver-
nünftig und sozialpolitisch gerecht.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie wollen die Ökosteuer einfrieren und dafür den Ren-
tenversicherungsbeitrag um, wie man hört, 0,5 Prozent in
die Höhe schnellen lassen. Folgte man Ihren Vorstellungen,
was Sie noch alles in die Pflegeversicherung hineinpacken
wollen – Herr Zöller hat dafür wieder ein glänzendes Bei-
spiel gegeben –, würden den Bürgerinnen und Bürgern
auch hier noch Beitragserhöhungen zugemutet werden.

Wie Sie so auf eine Lohnnebenkostenquote von
40 Prozent kommen wollen, wie Sie es im Entwurf Ihres
Wahlprogramms festgeschrieben haben, ist mir schleier-
haft. In Ihrer Regierungszeit sind doch die Lohnneben-
kosten von 34 Prozent auf über 42 Prozent gestiegen. Die
Menschen haben nicht vergessen: Hier sitzt die Lohn-
nebenkostenerhöhungskoalition von CDU/CSU und FDP.
Erst die SPD-geführte Bundesregierung hat hier eine
Trendwende erreicht. Sie haben nichts, aber auch gar
nichts zu dieser Trendwende beigetragen.


(Erika Lotz [SPD]: Im Gegenteil!)

Die Bürgerinnen und Bürger wollen jedoch nicht von ei-
nem Hühnerhaufen regiert werden, der in alle Richtungen
scharrt und der goldene Eier verspricht, die sich für den
Bürger nach der Wahl als faule Eier entpuppen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424207900
Die Aktuelle
Stunde ist damit beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung des Berichts der Enquete-Kommission
„Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“
Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg
in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft
– Drucksache 14/8900 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Dr. Michael Bürsch.


Dr. Michael Bürsch (SPD):
Rede ID: ID1424208000
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Es ist vollbracht! Vermutlich enden
fast alle Enquete-Kommissionen mit diesem Stoßseufzer,
wenn man über Jahre zusammengesessen und manche Si-
syphusarbeit hinter sich gebracht hat. Wir haben einen Be-
richt vorgelegt, in dem die Arbeit von zweieinhalb Jahren
steckt, und unseren Auftrag erfüllt, eine Bestandsaufnah-
me und Handlungsempfehlung zum bürgerschaftlichen
Engagement vorzulegen. Der umfängliche Bericht hat,
wie sich jetzt schon zeigt, eine gute Resonanz gefunden.




Peter Dreßen
24260


(C)



(D)



(A)



(B)


Um nur ein Beispiel vorzutragen, zitiere ich aus einer
Stellungnahme:

Die Enquete-Kommission hat in ihrer zweijährigen
Arbeit die gesellschaftliche Diskussion um bürger-
schaftliches Engagement und ehrenamtliche Arbeit
weit vorangebracht und wichtige Handlungsempfeh-
lungen vorgelegt. Wir unterstützen die Forderungen
und Anregungen der Enquete-Kommission, die die
Förderung und Ermöglichung des bürgerschaftlichen
Engagements als Querschnittsaufgabe der Politik be-
greift und damit eine Stärkung der Beteiligungs-
rechte von Bürgern auf allen Ebenen der Politik be-
fürwortet.

Das ist nicht das einzige Lob, das die Enquete-Kommis-
sion erreicht hat.

Was sind, auf einen kurzen Nenner gebracht, die Mar-
kierungen unseres Berichts? Ich möchte drei Eckpunkte
benennen: erstens die Vielfalt des Engagements; zweitens
das Leitbild, an dem sich die Kommission orientiert hat,
nämlich die Bürgergesellschaft; drittens die Anerken-
nungskultur als wesentliches Ziel der Förderung des En-
gagements.

Vielfalt des Engagements. Was verstehen wir unter
bürgerschaftlichem Engagement? Neben Tätigkeiten in
Vereinen und Verbänden, in Kirchen und karitativen Or-
ganisationen, in Freiwilligenorganisationen, in Hospiz-
bewegungen oder Tafeln umfasst es die Mitarbeit unter
anderem in Selbsthilfegruppen, in Nachbarschaftsinitia-
tiven, in Tauschringen. Auch politisches Engagement ist
damit gemeint; es umfasst die Mitarbeit in Bürgerinitia-
tiven, bei Volksbegehren oder in anderen Formen von di-
rekt-demokratischer Bürgerbeteiligung, in Parteien und
Gewerkschaften sowie den Einsatz in Freiwilligendiens-
ten. Schließlich zählen auch gemeinwohlorientierte Akti-
vitäten von Unternehmen und Stiftungen dazu.

Bürgerschaftliches Engagement bedeutet Vielfalt. Es
schließt das Ehrenamt mit ein, aber seine Bedeutung reicht
deutlich darüber hinaus. Anders ausgedrückt bedeutet bür-
gerschaftliches Engagement „Ehrenamt in der Demokra-
tie“, wie es Rita Süssmuth richtig ausgedrückt hat. Ich bin
überzeugt: Den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stär-
ken ist eine Überlebensfrage der Demokratie.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Förderung bürgerschaftlichen Engagements ist eine
eminent wichtige politische Aufgabe für die nächsten
Jahre.

Die Debatte in Deutschland war lange Zeit bestimmt
von einer Perspektive, die die individuelle Motivation der
22 Millionen engagierten Bürgerinnen und Bürger in den
Mittelpunkt rückt und Engagement als einen bunten
Markt der Möglichkeiten versteht. Auch die Enquete-
Kommission hat nach Rahmenbedingungen gesucht, die
geeignet sind, die persönliche Bereitschaft zum Engage-
ment zu fördern. Zu unseren Empfehlungen für die Pra-
xis gehören der Abbau von Bürokratie ebenso wie der ver-
besserte Schutz von Engagierten und eine allgemeine
Aufwandspauschale von 300 Euro pro Jahr.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben uns sehr ausführlich und sehr intensiv mit
den rechtlichen Rahmenbedingungen bürgerschaftlichen
Engagements befasst. Wir machen eine Reihe von Vor-
schlägen dazu, wie wir auf Bundes-, Landes- und Kom-
munalebene, aber auch bei Organisationen und Verbänden
bürgerschaftliches Engagement fördern können.

Von besonderer Bedeutung ist aus unserer Sicht der
Strukturwandel in den Motiven der engagierten Bürgerin-
nen und Bürger. Die klassischen Ehrenamtlichen kennen
wir alle: Vom Jugendalter an ehrenamtlich tätig bei der
Feuerwehr, beim Rettungsdienst, im Sport oder in einer
karitativen Einrichtung bekleidet er oder sie womöglich
heute ein Vorstandsamt, verpflichtet sich auf jeden Fall
langfristig einer bestimmten Organisation und bleibt dem
eigenen Verein viele Jahrzehnte treu. Zum Glück gibt es
diese Ehrenamtlichen immer noch. Auf ihre dauerhafte
und verlässliche Motivation können die Vereine gar nicht
verzichten. Aber gerade die Jüngeren engagieren sich
heute immer häufiger auf kürzere Zeit und eher in Pro-
jekten. Engagement muss dann zur jeweiligen Lebens-
situation passen.

Noch bedeutsamer ist vielleicht die Beobachtung, dass
bürgerschaftliches Engagement mit den damit verbundenen
Aktivitäten auch das Bedürfnis nach Eigenverantwortung
und Selbstbestimmung einbezieht. Daraus resultieren er-
höhte Anforderungen an Mitbestimmung, Gestaltung und
Eigenverantwortung im Engagement.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein Beispiel: „Schüler Helfen Leben“ ist eine Graswur-

zelinitiative, eine Jugendbewegung, mittlerweile übrigens
die erste Schülerstiftung Deutschlands. Bei „Schüler Hel-
fen Leben“ engagieren sich junge Leute projektorientiert,
selbst organisiert, eigenverantwortlich. An Interessierten
herrscht kein Mangel. In diesem Jahr wollen sich 170 000
Schülerinnen und Schüler aus Schleswig-Holstein, Ham-
burg und Niedersachsen am „Sozialen Tag“ beteiligen.
Von dem Erlös werden Schulen und Jugendeinrichtungen
auf dem Balkan gebaut. „Schüler Helfen Leben“ ist eine
Erfolgsgeschichte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


„Schüler Helfen Leben“ zeigt auch beispielhaft, dass Ju-
gendliche nach wie vor bereit sind, sich zu engagieren,
wenn, ja wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Noch ein nachdenkliches Wort zu dem individuellen
Engagement. Für die zukünftige Entwicklung des bürger-
schaftlichen Engagements scheint mir auch die demogra-
phische Entwicklung in Deutschland eine wichtige Rolle
zu spielen. Ich glaube, wir müssen auf diesen Faktor, die
Entwicklung der Bevölkerung, auch die Zahl an Migran-
ten, an Ausländern, die bei uns sind, stärker als bisher
Rücksicht nehmen.

Der zweite Eckpunkt, das Leitbild Bürgergesell-
schaft: Die Förderung des bürgerschaftlichen Engage-
ments betrifft aus meiner Sicht eines der wichtigsten ge-
sellschaftspolitischen Reformprojekte unserer Zeit. Die
Bürgergesellschaft bildet sozusagen ein Tätigkeitsfeld ei-
gener Art zwischen Staat, Wirtschaft und Familie, ein Netz-
werk von selbst organisierten, freiwilligen Assoziationen,




Dr. Michael Bürsch

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von Vereinen und Verbänden, von NGOs, Bürger-
initiativen und Selbsthilfegruppen, von Stiftungen, Frei-
willigendiensten, aber auch von politischen Parteien und
Gewerkschaften. Bürgergesellschaft als Leitbild richtet
sich insofern an alle Bürgerinnen und Bürger, Verantwor-
tung in der Gesellschaft zu übernehmen, sich an der Res
publica, an den öffentlichen Dingen, stärker als bisher zu
beteiligen, mit ihren Fähigkeiten, mit ihren Ideen, mit
ihren Erfahrungen. Bürgergesellschaft als Reformper-
spektive erfordert vonseiten der Wirtschaft Unternehmen,
die sich dem Gemeinwesen gegenüber verantwortlich
verhalten und in diesem Sinne auch Teile der Bürgerge-
sellschaft sind.


(Beifall bei der SPD)

Vonseiten des Staates erfordert Bürgergesellschaft ein

verändertes Bewusstsein und eine veränderte Politik. Wir
gebrauchen den Begriff des ermöglichenden Staates, der
bürgerschaftliches Engagement erleichtert, schützt und
unterstützt. Das bedeutet nicht, dass sich der Staat aus der
Bürgergesellschaft zurückzieht und nur zuschaut, wie sich
der frei werdende Raum notgedrungen mit bürgerschaft-
licher Eigeninitiative füllt.

Bürgerschaftliches Engagement als Feigenblatt für den
Abbau des Sozialstaates – das ist ein großes Missver-
ständnis, das uns in der Zeit der Enquete-Kommission
häufiger begegnet ist. In aller Deutlichkeit gesagt: Bür-
gerschaftliches Engagement kann niemals ein Lücken-
büßer für die sozialen Verpflichtungen des Staates sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unser Verständnis ist ein anderes. Der ermöglichende
Staat wird bei der Förderung und Unterstützung bürger-
schaftlicher Initiative selbst aktiv. Er wird, wenn nötig,
auch aktivierender Staat in einer sozialen Bürgergesell-
schaft, zum Beispiel wenn es darum geht, Menschen mit
geringer Bildung und Ausbildung erst zu befähigen, sich
auch engagieren zu können.

Drittes Stichwort: Anerkennungskultur.Von entschei-
dender Bedeutung für die weitere Entwicklung unserer
Gesellschaft wird sein, dass bürgerschaftliches Engage-
ment anerkannt und gewürdigt wird. Die Engagierten
sind, wie wir aus vielen Befragungen wissen, vor allem
daran interessiert, dass ihre Tätigkeiten auch sichtbar wer-
den und dass sie Wertschätzung erfahren. Zu einer um-
fassenden Anerkennungskultur für bürgerschaftliches
Engagement gehören nicht nur Auszeichnungen und
Ehrennadeln, obwohl man diese Formen der Anerken-
nung nicht unterschätzen darf und sie durchaus auch zeit-
gemäß gestalten kann. Aber Anerkennungskultur zeigt
sich vor allem im Alltag von Organisationen, in Arbeits-
abläufen, in der Wertschätzung seitens der Hauptamt-
lichen sowie in der Schule, im Beruf, in der Familie. Zur
Anerkennungskultur gehören zum Beispiel auch Qualifi-
zierungsangebote.

Wenn wir von der Wissensgesellschaft, vom lebens-
langen Lernen reden, so gehören Kompetenzen aus dem
bürgerschaftlichen Engagement aus meiner Sicht unbe-
dingt dazu. Wer sich engagiert, wird dabei eine ganze

Menge lernen. Aber es gilt auch: Bürgerschaftliches En-
gagement muss gelernt werden. Bürgergesellschaft ist
kein Selbstläufer. Die Bereitschaft, aktiv mitzuwirken,
können wir nicht als selbstverständlich gegeben hinneh-
men. Diese Bereitschaft wird vermittelt. Sie wird vorge-
lebt in der Familie, im Freundeskreis, in der Schule. So-
ziales Lernen, das Lernen von Gemeinschaftsfähigkeit
und sozialer Kompetenz, gehört zum Fundament bürger-
schaftlichen Engagements und muss entsprechend geför-
dert werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Anerkennungskultur umfasst selbstverständlich auch
die Politik, die politische Ebene und das schließt den
Kreis unserer heutigen Debatte. Was wäre die Vorlage des
Berichts einer Enquete-Kommission ohne eine entspre-
chende Würdigung gegenüber den beteiligten Akteuren?

Eine Enquete-Kommission ist aus meiner Sicht ein
sehr wertvolles Instrument der Politikberatung, das in
mancherlei Hinsicht Maßstäbe setzt. Die Zusammenset-
zung aus Abgeordneten und Sachverständigen von außer-
halb des Parlaments und die längerfristige Kontinuität ei-
nes Diskussions- und Arbeitszusammenhangs leisten
einen Brückenschlag zwischen ganz unterschiedlichen
Denkwelten und Handlungsweisen.

Ich möchte mich bei den Mitgliedern der Enquete-
Kommission für zwei Jahre engagierter und ausgespro-
chen intensiver Zusammenarbeit bedanken. In dieser Zeit
haben wir durchaus auch Meinungsverschiedenheiten und
Konflikte austragen müssen. Interessanterweise verliefen
die Fronten nicht nur zwischen den Fraktionen, sondern
häufig auch quer durch die Reihen der Kommissionsmit-
glieder. Die Arbeit in der Kommission und die dabei ent-
wickelte Streitkultur waren im Großen und Ganzen aber
an der Sache orientiert und von gegenseitigem Respekt
getragen. Ich denke, wir Abgeordneten haben von den
sachverständigen Mitgliedern und auch von den Kolle-
ginnen und Kollegen aus den jeweils anderen Fraktionen
viel lernen können.

Mein zusätzlicher Dank gilt Wilhelm Schmidt, der un-
sere Arbeit in der Kommission von Anfang an mit Rat und
Tat – vor und hinter den Kulissen – sehr intensiv und per-
sönlich begleitet hat. Ohne ihn wäre die Kommission
überhaupt nicht eingesetzt worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der herzliche Dank schließt die Mitarbeiter im Sekre-
tariat ein und nicht zuletzt alle Engagierten, Organisatio-
nen, Vereine und Verbände, die der Enquete-Kommission
ihre Erfahrungen und Anliegen vorgetragen haben. Wir
konnten nicht alles berücksichtigen. Das was uns vorge-
tragen worden ist, hat den Bericht aber entscheidend ge-
prägt. Sie haben uns davon überzeugt, dass die Vernet-
zung und Verstetigung der Förderung bürgerschaftlichen
Engagements eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben in
Deutschland ist.

Ich meine, wir haben Grund zu der Annahme, dass die
Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements positiv aus-
sieht. Wenn wir einen langen Atem, Nachhaltigkeit, Aus-




Dr. Michael Bürsch
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dauer und Beharrlichkeit bei unseren Bemühungen haben,
ist mir um die Zukunft des Engagements nicht bange.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424208100
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ilse Aigner.


Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1424208200
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin und stellvertretendes Mitglied der Enquete-Kommis-
sion! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!
Zweieinhalb Jahre harter Arbeit sind vollbracht. Ich kann
mich mit diesen Worten dem Herrn Vorsitzenden nur an-
schließen.

Elf Sachverständige und 22 ordentliche und stellver-
tretende Mitglieder der Kommission haben sich über
zweieinhalb Jahre intensiv mit dem Thema „bürger-
schaftliches Engagement“ auseinander gesetzt. 37 Sitzun-
gen und acht Anhörungen mit Verbänden, Vereinen, Grup-
pen, Initiativen, Unternehmen, Gewerkschaften und
Kirchen sowie fünf Klausurtagungen, vier Workshops
und zahllose Gespräche auf Veranstaltungen oder bei Po-
diumsdiskussionen mit Ehrenamtlichen bzw. bürger-
schaftlich Engagierten haben uns eine Fülle von Erkennt-
nissen gebracht, die zu einem guten Teil in den Bericht
eingeflossen ist.

Dass wir heute hier stehen und den Bericht einer En-
quete-Kommission des Deutschen Bundestages mit einer
Reihe guter Handlungsvorschläge debattieren können,
ist aber nicht zuletzt auch ein Mitverdienst von wackeren
Streitern der CDU/CSU aus der letzten Legislaturperiode.
Unter der Federführung von Klaus Riegert stellten sie
eine Große Anfrage an die damalige Bundesregierung zur
Bedeutung ehrenamtlicher Tätigkeit für unsere Gesell-
schaft.


(Zuruf von der SPD: Wo ist Riegert? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer ist Riegert? – Weiterer Zuruf von der SPD: Was ist Riegert?)


Zusammen mit den nachfolgenden sieben Anhörungen
sorgte die Beantwortung der Anfrage für eine breite
Außenwirkung.

Einer unserer Sachverständigen in der Kommission,
der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zim-
mermann, sieht in den Initiativen und der Großen Anfrage
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu Recht die Initial-
zündung für eine weitere intensive Befassung des Parla-
ments mit dieser Frage. Dass es dann so schnell zur Ein-
richtung einer Enquete-Kommission gekommen ist, ist
sehr erfreulich und zeigt, dass das bürgerschaftliche
Engagement in allen Fraktionen dieses Hauses starke Be-
fürworterinnen und Befürworter hat.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Arbeit in
dieser Enquete-Kommission war trotz einiger erfreulicher
Erfolge nicht immer einfach.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das stimmt!)


Oft war es ein zähes Ringen um einzelne Punkte und For-
mulierungen, aber auch um Formalien und Fragen der Ge-
schäftsordnung. Es gab auch Streitigkeiten um die Ein-
haltung der Minderheitenrechte.Manch ein Mitglied hat
sich vielleicht gefragt: Warum tue ich mir das eigentlich
die ganze Zeit an?


(Zuruf von der SPD: Damit man etwas lernt, Frau Kollegin Aigner!)


Dennoch bin ich froh, dass wir immerhin einiges an
Gemeinsamkeiten festhalten und eine Reihe von Hand-
lungsempfehlungen an den Bundestag richten konnten,
von denen wir überzeugt sind, dass sie die Rahmenbedin-
gungen der Engagierten spürbar verbessern können.

Bei allen Gemeinsamkeiten wurden jedoch schon
nach kurzer Zeit Unterschiede in mehreren Bereichen
klar. Bereits auf unserer ersten Klausurtagung habe ich
den Vorschlag gemacht, dass wir uns über die verschie-
denen gesellschaftspolitischen Vorstellungen, über un-
terschiedliche Schwerpunktsetzungen und mögliche
Streitpunkte schon frühzeitig unterhalten, damit wir aus-
reichend Gelegenheit haben, darüber zu sprechen.
Gleichzeitig hätte eine frühzeitige Diskussion für mehr
Verständnis gegenüber der anderen Position und so zu ei-
ner größeren Akzeptanz geführt. Dies ist im kleinen Kreis
der Berichterstattergruppen gelungen, in vielen Fällen
aber nicht in den Kommissionssitzungen, die letztendlich
über die Vorschläge der Berichterstattergruppen zu befin-
den hatten.

Leider wurde mein Vorschlag nicht aufgegriffen, da die
Auffassung vorherrschte, man solle zunächst einmal nach
Gemeinsamkeiten suchen und die Streitpunkte am Ende
erörtern. Am Schluss fehlte aber schlichtweg die Zeit, sich
über Themen von zentraler Bedeutung zu unterhalten.
Über hoch komplexe Themen wurde nach Aufruf ohne
Diskussion abgestimmt. Auf diese Weise war es in einigen
wichtigen Bereichen unmöglich, Gegensätze zu über-
brücken und von der Abstimmungsmehrheit abweichende
Meinungen dementsprechend einfließen zu lassen.

Ein Bericht, der die Verschiedenheit von Meinungen zu
zentralen Punkten nicht ausreichend wiedergibt, ist etwas,
was keiner der Beteiligten will. Zu viel Arbeit, Kompe-
tenz und Idealismus sind dafür in diesen Bericht einge-
flossen. Die Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion sowie die Sachverständigen Professor Dr. André
Habisch und Professor Dr. Peter Maser haben sich daher
bei der Abstimmung über den Bericht enthalten, ihm also
nicht zugestimmt, und sich dafür entschieden, den Bericht
mit einem Sondervotum zu ergänzen. Wir haben die Un-
terschiede in der Schwerpunktsetzung deutlich gemacht,
einiges etwas kritischer hinterfragt und wichtigen Punk-
ten den Stellenwert eingeräumt, der ihnen gebührt. Hierzu
gehört zum Beispiel die Rolle der Familie bei der Er-
ziehung zum gemeinnützigen Engagement, die im Bericht
nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt hat. Meine
Kollegin Marie-Luise Dött wird nachher sicherlich noch
ein paar Worte zu diesem Thema sagen.

Einer der grundlegenden Unterschiede zwischen
CDU/CSU und SPD war und bleibt auch weiterhin das
Verständnis in Bezug auf das Verhältnis vom engagierten




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Bürger zum Staat. Während ich manchmal Gemeinsam-
keiten mit dem Kollegen von den Grünen, Herrn Simmert,
in Bezug auf das Menschenbild feststellen konnte,


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


können sich manche Teile der Sozialdemokraten bis heute
nicht von der gefährlichen Illusion lösen, dass der Staat
möglichst viel regeln muss.

Richtig ist, dass wir uns im Laufe der Jahrzehnte daran
gewöhnt haben, unsere Erwartungen mehr auf den Staat
und weniger aufeinander auszurichten. Statt Aufgaben in
Selbstorganisation zu lösen, wurde der Staat in Anspruch
genommen. Richtig ist aber auch, dass immer mehr Men-
schen allzu große staatliche Einflussnahme eher als Be-
lastung denn als Segen empfinden. Die Tendenz muss
weg von staatlicher Bevormundung und ganz eindeutig
hin zu mehr Gestaltungsmöglichkeiten von Bürgerinnen
und Bürgern sowie zu gemeinnützigen Organisationen. Es
kann einfach nicht sein, dass sich der Staat anmaßt, über-
all mitmischen zu wollen, und zwar auch dort, wo er un-
sinnig und unerwünscht ist.

Ich will Ihnen hierzu ein aktuelles Beispiel nennen. Die
großen gemeinnützigen Verbände haben sich dazu ent-
schieden, ein bundesweites Netzwerk zur Förderung des
bürgerschaftlichen Engagements zu gründen. Die großen
Verbände wollten damit eine bessere Zusammenarbeit un-
tereinander ermöglichen, Erfahrungen austauschen, ge-
stärkt gegenüber staatlichen Ansprechpartnern auftreten
sowie Ideen und Anstöße aus dem Internationalen Jahr der
Freiwilligen aufgreifen und weiterführen.

Während die Verbände ursprünglich davon ausgegan-
gen sind, als unabhängige Gesprächspartner mit der Po-
litik in einen Diskurs zum Wohle des bürgerschaftlichen
Engagements treten zu können, zeigt sich nun, dass das
Familienministerium hierzu ganz andere Vorstellungen
hat. Ein Drittel der Sitze im Interimsvorstand des Netz-
werkes sind durch politisch verlässliche Staatsvertreter
besetzt worden. Der Staat soll und muss bei einem sol-
chen Netzwerk Gesprächspartner sein. Er darf aber die
Geschicke eines Netzwerkes für bürgerschaftliches En-
gagement auf keinen Fall durch eigene Vertreter mitge-
stalten.

Auf der anderen Seite fehlen wichtige gesellschaftliche
Gruppen wie die Kirchen oder der Deutsche Kulturrat.
Dies scheint mir ziemlich unverständlich zu sein. Man
könnte vermuten, dass der Vertreter des Deutschen Kul-
turrates, Herr Zimmermann, den ich vorher schon zitiert
habe, vielleicht deshalb herausgefallen ist, weil er ab und
zu den Mut gehabt hat, manche Vorschläge der Opposi-
tion gutzuheißen.

Die nachhaltigste und effektivste Möglichkeit für
staatliche Institutionen, bürgerschaftliches Engagement
zu fördern, ohne die Bürgerinnen und Bürger ständig zu
bevormunden, ist, bei gesetzgeberischen Maßnahmen die
Auswirkungen auf das bürgerschaftliche Engagement zu
beachten. Deshalb schlagen wir eine so genannte Ehren-
amtsfreundlichkeitsprüfung vor, die Gesetzgebungsvor-
haben von Anfang an auf ihre Freundlichkeit hinsichtlich
des Ehrenamtes überprüft.

Wir hatten einen erstmals so formulierten Passus im
Einsetzungsbeschluss der Enquete-Kommission vorgese-
hen. Danach sollten alle laufenden Gesetzgebungsvorha-
ben auf ihre „Ehrenamtsfreundlichkeit“ hin von der En-
quete-Kommission überprüft werden. Das hat aber leider
nur bei den Themen funktioniert, die nach Meinung der
Mehrheitsfraktionen sinnvoll waren.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Nur wenn Sie einen Antrag gestellt haben! Immer auf Antrag Frau Aigner!)


– Herr Vorsitzender, Sie wissen ganz genau, dass wir ei-
nen Antrag zu dem Thema „Sozialversicherungspflicht
von geringfügig Beschäftigten“ gestellt haben. Da dieser
abgebügelt wurde, konnten wir leider nie darüber disku-
tieren. Es wurde bei öffentlichen Veranstaltungen zwar
immer wieder darauf verwiesen, dass sich die Enquete-
Kommission mit diesem Thema beschäftigen werde. Dies
ist uns aber leider nicht gelungen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Eine Kultur der
Freiwilligkeit, des Helfens und des Engagements der
Bürgerinnen und Bürger wird nicht mit finanziellen An-
reizen geschaffen. Eine solche Kultur wird nur dann ent-
stehen, wenn den engagierten Bürgerinnen und Bürgern
Dank, Anerkennung und Wertschätzung aus der unmittel-
baren Umgebung zuteil werden. Sie sind die wichtigsten
Motive für bürgerschaftliches Engagement. Sie bestärken
engagierte Bürgerinnen und Bürger, sich für ein gemein-
wohlorientiertes Ziel einzusetzen, und ermutigen
auch Außenstehende, sich für gemeinwohlorientierte
Aufgaben zu interessieren. Dank, Anerkennung und Wert-
schätzung aus dem unmittelbaren Umfeld können nicht
angeordnet und nicht durch formalisierte Dankesbekun-
dungen, Anreize und Gratifikationen ersetzt werden. Sie
können nur in einem Klima gegenseitiger Achtung und
Anerkennung sowie bei entsprechendem Verantwor-
tungsbewusstsein entstehen.

In diesem Sinne möchte auch ich mich ganz herzlich
bei allen Mitgliedern der Enquete-Kommission und ins-
besondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Se-
kretariats bedanken. Insgesamt haben wir trotz aller un-
terschiedlichen Auffassungen über das bürgerschaftliche
Engagement einen deutlichen Schritt vorwärts gemacht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424208300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Simmert.


Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424208400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Durch die
Arbeit der Enquete-Kommission „Zukunft des bürger-
schaftlichen Engagements“ ist es in dieser Legislaturperi-
ode gelungen, dem freiwilligen Engagement einen um-
fassenden Raum im Parlament zu geben. Auch ich möchte
mich zu Beginn meiner Rede bei den Mitarbeiterinnen




Ilse Aigner
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und Mitarbeitern der Enquete-Kommission, aber auch bei
allen Sachverständigen, insbesondere bei dem Sachver-
ständigen der Grünen, Adalbert Evers, für die hervorra-
gende Zusammenarbeit bedanken, auch wenn sie an man-
chen Punkten nicht sehr einfach war.

In unserer Arbeit und im Bericht der Kommission wird
deutlich, dass es das Engagement vieler Bürgerinnen und
Bürger in den unterschiedlichsten Bereichen ist, das die
Gesellschaft zusammenhält und neue Impulse für Verän-
derungen gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das zivile, das bürgerschaftliche Engagement macht den
sozialen Kitt in unserer Gesellschaft aus. Gerade die vie-
len kleinen, kreativen, neuen Initiativen und Netzwerke,
die meistens selbst organisiert sind, aber auch die uns
wohlbekannten größeren Verbände und NGOs machen
unsere zivile Gesellschaft erst zur Zivilgesellschaft. Die
kleinen innovativen Netzwerke sind es aber, die bislang
kaum direkten Zugang zur Politik gefunden haben oder
– besser gesagt – deren politische Anliegen kaum berück-
sichtigt wurden. Dieser Zugang war und wird von den
Großen bestimmt. Dies gilt leider zu oft auch für die Ent-
scheidungen des Bundestages. In Zukunft müssen kleine
und große Netzwerke sowie die NGOs auch bei parla-
mentarischen Debatten und Entscheidungen ein stärkeres
Gewicht bekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb gilt es, die Zivilgesellschaft zu stärken und
auch – das richte ich an die Adresse aller Abgeordneten –
einen selbstkritischen Blick auf das Parlament zu werfen.

Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission macht
deutlich, dass es vielfältiges Engagement gibt und dass
wir keineswegs in einer Gesellschaft leben, in der der eine
dem anderen egal ist. Dennoch muss man feststellen: Es
gibt Hindernisse für das zivilgesellschaftliche Engage-
ment und Herausforderungen. Der Bericht benennt sie.
Der Vorsitzende Bürsch hat über sie gerade referiert.

Ich denke, eine der wichtigsten Feststellungen in dem
vorliegenden Bericht ist, dass freiwilliges Engagement
und Erwerbsarbeit – hier meine ich auch potenzielle Er-
werbsarbeitsfelder – voneinander abgegrenzt werden
müssen. Nehmen wir einmal als hypothetischen Fall – den
mögen meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD im-
mer besonders; er könnte in den nächsten Jahren tatsäch-
lich eintreten – die Abschaffung des Zivildienstes. Hier
nur darauf zu setzen, die durch den Zivildienstleistenden
abgedeckte Arbeit könne schon irgendwie durch freiwilli-
ges Engagement ersetzt werden, ist falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Das haben wir nie behauptet! Das war deine Argumentation! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Protest bei der SPD!)


Es geht hierbei um mehr Arbeitsplätze im Gesundheits-
wesen, um mehr Geld für das Gesundheitswesen und
nicht einfach nur um mehr Engagement.

Um nicht missverstanden zu werden: Engagement ist
auch hier wichtig. Aber bürgerschaftliches Engagement

darf nicht zur Spardose werden. Leider haben wir es beim
Beispiel Zivildienst nur bis zu einem Sondervotum im Be-
richt geschafft.

Freiwilliges bürgerschaftliches Engagement ist kein
Ausfallbürge für sozialstaatliche Reformen oder in toto
Ausfallbürge für den Rückzug des Staates oder den Abbau
von Sozialleistungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Es gibt noch einen anderen Aspekt, den ich ansprechen
möchte; meine Kollegin Antje Vollmer wird nachher auf
weitere, den Grünen wichtige Punkte eingehen. Mir ist
wichtig, in dieser Diskussion festzustellen, dass wir uns
für eine Zivilgesellschaft einsetzen – das habe ich in der
Diskussion in der Enquete-Kommission von allen Seiten
des Hauses auch immer so verstanden –, die Rassismus,
Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus nicht hin-
nimmt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


Dies gilt vor allem dann, wenn es darum geht, diese unzi-
vilen Ressentiments salonfähig zu machen. Gerade viele
kleine Initiativen, vor allem von jungen Menschen, von
Jugendlichen, sind es, die zum Beispiel in den neuen Bun-
desländern mit ihrem Engagement dem Unzivilen, dem
Rechsradikalismus etwas Ziviles entgegensetzen. Das ist
wichtig und das bedarf unserer Unterstützung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was nützt diese Un-

terstützung, wenn es Politiker gibt, die mit ihren Äußerun-
gen den Glauben an einen zivilgesellschaftlichen Grund-
konsens mutwillig zerstören? Die gelbe „Mölle-Welle“
hat uns in den vergangenen Wochen gezeigt, wie es funk-
tioniert, das Unzivile salonfähig zu machen, und hat da-
mit die übergroße Mehrheit in diesem Land, die sich ge-
gen Antisemitismus einsetzt, vor den Kopf gestoßen. Das,
meine Damen und Herren, dürfen wir nicht hinnehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich bin sehr froh – das möchte ich zum Schluss erwäh-
nen –, wenn wir heute den Abschlussbericht der Enquete-
Kommission zur Kenntnis nehmen. Ich möchte an dieser
Stelle jedoch noch einen Teil der Bundestagsrede von
Herrn Werner Bornheim zitieren:

Meine Damen und Herren, Politik bedeutet, und da-
von sollte man ausgehen, das ist doch – ohne darum
herumzureden – in Anbetracht der Situation, in der
wir uns befinden. Ich kann meinen politischen Stand-
punkt in wenige Worte zusammenfassen: Erstens das
Selbstverständnis unter der Voraussetzung, zweitens
und das ist es, was wir unseren Wählern schuldig sind,
drittens, die konzentrierte Beinhaltung als Kernstück
eines zukunftsweisenden Parteiprogramms.

Mit diesen Worten von Werner Bornheim alias Victor
von Bülow – besser bekannt als Loriot – möchte ich




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schließen – mit der Erkenntnis, dass Engagement von
Bürgerinnen und Bürgern gehaltvoll ist und nicht durch
politische Floskeln, sondern durch konkretes politisches
Handeln und politische Transparenz unterstützt wird. Der
Bericht wurde zwar in dieser Legislaturperiode geschrie-
ben, doch in der nächsten muss er umgesetzt werden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424208500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Gerhard Schüßler.


Gerhard Schüßler (FDP):
Rede ID: ID1424208600
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Der Beschluss des
Bundestags zur Einsetzung der Enquete-Kommission hat
bestimmt allen Mitgliedern, Abgeordneten wie Sachver-
ständigen, so viele Reaktionen in Form von Papier ins
Haus gebracht, wie das in ihrem Leben noch nie der Fall
gewesen ist.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das waren wir Ihnen schuldig, Herr Schüßler! – Weiterer Zuruf von der SPD: Papier muss sein!)


– Sie waren ja nicht der Verursacher, Herr Kollege
Bürsch. – Damit kommt zum Ausdruck, dass sich in
Deutschland 22 Millionen Bürgerinnen und Bürger enga-
gieren. Das ist ein großes Geschenk. Das hat die Politik
mit großem Dank zur Kenntnis zu nehmen. Denn diese
Menschen formen eine große Zivilgesellschaft.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Diese ist aber noch in starkem Maße staatlich reguliert
und wird von ständigem Misstrauen begleitet, wie uns in
vielen Gesprächen nahe gebracht wurde. Es ist hohe Zeit,
sich ernsthaft dieser dritten Säule eines modernen libera-
len Gemeinwesens zuzuwenden. Der Selbstermächti-
gung, Selbstorganisation und Selbstverantwortung
der Bürgerinnen und Bürger muss sehr viel mehr Raum
zugestanden werden.

In der Enquete-Kommission sind meines Erachtens
viel zu viele Anhörungen, vor allem Verbandsanhörun-
gen, durchgeführt worden, in denen vielfach ein be-
stimmter roter Faden hin zu mehr Staatsnähe und staat-
licher Verankerung gesucht wurde. Diejenigen, die
tatsächlich ehrenamtliche Arbeit leisten, sind kaum und
viel zu selten zu Wort gekommen.


(Karin Kortmann [SPD]: Haben Sie diese Vorschläge gemacht?)


– Wir haben diese Vorschläge gemacht, verehrte Frau
Kollegin Kortmann, haben uns aber nicht damit durchge-
setzt. Bekanntlich hat die FDP-Fraktion daraufhin eine ei-
gene Anhörung mit vielen Jugendlichen aus dem gesam-
ten Bundesgebiet, die selber ehrenamtliche Arbeit leisten,
durchgeführt. Auch einige Mitglieder der Enquete-Kom-
mission haben daran teilgenommen. In dieser Anhörung
hat sich ein völlig anderes Bild ergeben als das, das uns
von den Vertretern der Verbänden als roter Faden präsen-
tiert worden ist. Ich beklage das nicht; aber es war eine
sehr interessante Feststellung.

Die Enquete-Kommission hat in der Analyse und mit
guten Ansätzen für eine zukunftsorientierte Politik gute
Arbeit geleistet. Ich meine, wir haben allen Grund, aus-
nahmslos allen Sachverständigen, aber auch den vielen
Mitarbeitern aus der Wissenschaft, die uns hilfreich bera-
ten haben, herzlich zu danken.


(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Ich bin gespannt, ob es der Bundesregierung, der bis-

her die Kraft gefehlt hat, zukunftsweisende Ideen poli-
tisch umzusetzen, gelingen wird, dieses Anliegen auf-
rechtzuerhalten. Bürgerschaftliches Engagement findet
nicht im luftleeren Raum statt. Durch die Änderung des
325-Euro-Gesetzes sind zum Beispiel viele Vereine, die
Aufwandsentschädigungen an Mitglieder gezahlt haben,
in die Lage gekommen, plötzlich wie ein Lohnbüro Sozi-
alversicherungsbeiträge ausrechnen und abführen zu
müssen. Das können die meisten Vereine gar nicht. Wir
sollten uns klar machen, dass nur durch diese Belastung
der Vereine Druck auf die Politik entstanden ist, die Nach-
teile wenigstens durch steuerliche Freibeträge zu kom-
pensieren.

Die Organisation des Engagements vor Ort ist eine
kommunale Aufgabe. Auch dabei kann vieles nicht ge-
leistet werden, weil den Gemeinden ständig neue Aufga-
ben aufgebürdet werden. So ist es fast skurril, dass die En-
quete-Kommission Musterbeispiele für kommunales
Handeln hervorhebt, wie zum Beispiel im Fall Nürtingen.
Für Städte und Gemeinden, die nicht einmal ihren staat-
lichen Pflichtaufgaben nachkommen können, ist das ver-
ständlicherweise schwierig.

Dem Staat, der alle Bereiche menschlichen Lebens ge-
stalten, regeln und organisieren möchte, setzt die En-
quete-Kommission das liberale Ideal eines ermöglichen-
den Staates entgegen. Der Staat soll nur noch ein Akteur
unter mehreren sein und die zivilgesellschaftliche Eigen-
verantwortung seiner Bürger respektieren. Die Kommis-
sion hat damit die Vorstellung eines aktivierenden Staates
abgelehnt, der Engagement stimulieren und in bestimmte
Felder dirigieren will. Diese Übereinstimmungen sind in
vielen Diskussionen einvernehmlich erarbeitet worden.
Leider, Herr Kollege Bürsch, entnehme ich Ihrer Presse-
mitteilung von heute Mittag, Sperrfrist 12 Uhr, dass genau
an diesen beiden Punkten Hintertürchen geöffnet werden
und Sie in gewisser Weise davon abrücken.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist eine Vordertür, keine Hintertür!)


Das halte ich nicht für in Ordnung; das gebe ich zur
Kenntnis.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Ermöglichen heißt auch, andere Impulse zu geben! Das ist aktivierend!)


– Das hat mit „anderen Impulsen“ nichts zu tun, sondern
das sind grundsätzliche Entscheidungen.

Es ist außerordentlich traurig, dass es so ist. Ich
bedaure das sehr. Traurig stimmen mich auch die statis-
tischen Rückfälle, zu denen es gegenwärtig bei der Grün-
dung des Netzwerks zur Förderung des bürgerschaftlichen
Engagements kommt. Unter der Regie des Familienminis-
teriums werden – das hat die Kollegin Aigner schon er-




Christian Simmert
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wähnt – etwa zu einem Drittel Staatsvertreter in den Vor-
stand des Netzwerks entsandt. Man muss sich klar ma-
chen, welches mangelnde Verständnis hier besteht. Das
sind wirkliche Defizite.

Für die Engagierten hat materielles Entgelt kaum Be-
deutung. Das ist vor allen Dingen in unserer öffentlichen
Anhörung mit den Jugendlichen klar geworden.


(Zuruf von der SPD: Haben wir nur eine gemacht? Wir haben mehrere gemacht!)


Die Kommission hat daher vielen Vorschlägen für mate-
rielle Anreize, wie sie von Funktionären vorgetragen wur-
den, eine klare Absage erteilt. Neben der Suche nach
Sinnerfüllung und der persönlichen Entwicklung stehen
Dabeisein und Mitmachendürfen ganz oben. Zu wenige
dieser immateriellen Anreize stehen Jugendlichen zur
Verfügung. Der Raum, um sich in eigener Verantwortung
engagieren zu können, fehlt. Hier müssen sich insbeson-
dere die Schulen öffnen. Auch das ist bei Anhörungen mit
jungen Menschen, sogar noch bei der, die wir gestern
durchgeführt haben, deutlich geworden.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nur wenn Kinder und Jugendliche sich im Engagement
erfahren können und Verantwortung zu übernehmen ler-
nen, können sie diese Erfahrungen in eine künftige Ge-
sellschaft hineintragen.

Der zukunftsorientierte Ansatz der Kommission
schlägt sich leider nur teilweise in den Handlungsemp-
fehlungen nieder. Zu viel Raum nimmt Geschiebe im Re-
gelungsdschungel des Steuer- und Verwaltungsrechts ein.
Darüber haben wir uns ja auch viel zu lange unterhalten.
Die FDP fordert stattdessen eine Umsetzung der Gleich-
wertigkeit der Engagementformen. Es darf in Zukunft
keinen Unterschied machen, wie und in welcher Form
sich die Bürgerinnen und Bürger engagieren. Dazu muss
insbesondere das Gemeinnützigkeitsrecht grundlegend
reformiert werden. Weitere Einzelstatuierungen – wie im
Bericht vorgeschlagen – greifen zu kurz.

Wir haben mehrere Punkte als Sondervoten in dem Be-
richt platzieren können. Es besteht die große Gefahr, dass
nicht allzu viel Notiz von dieser Debatte genommen wird,
sowohl aufgrund des Wahlkampfes als auch dadurch, dass
diese wieder nur von einer Minderheit des Hauses wahr-
genommen wird. Es gibt darum nur dann eine Chance –
das müssen wir, die Mitglieder der Kommission, die Mit-
arbeiter und die Sachverständigen vermitteln –, dass
Bürgerinnen und Bürgern Engagement ermöglicht wird,
wenn diese das Thema genauso ernst nehmen, dranblei-
ben und ihren Willen einfordern.

Lassen Sie mich abschließend allen Mitarbeitern des
Sekretariats, den Kolleginnen und Kollegen der Kommis-
sion und den Sachverständigen herzlich danken. Es hat
Spaß gemacht, auch wenn es eine ziemlich mühevolle Ar-
beit war.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424208700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Grehn.


Dr. Klaus Grehn (PDS):
Rede ID: ID1424208800
Sehr verehrte Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht der En-
quete-Kommission, der vorgelegt wurde, ist das Ergebnis
umfangreicher Arbeit. Je mehr Menschen in die Arbeit der
Enquete-Kommission einbezogen wurden, desto deutli-
cher wurde die Dringlichkeit von Veränderungen der
Grundlagen und der Regelungen in diesem Bereich. Aber
wie das eben so ist: Je mehr Leute einbezogen wurden,
desto mehr Papier wurde produziert. Ich gebe zu, dass ich
jedes Mal ängstlich ins Büro schaute, wie viel Meter Pa-
pier von der der Enquete-Kommission wieder eingetrof-
fen sind.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Nur wer schreibt, der bleibt! Das ist die alte Regel!)


– Ja, wer viel schreibt, der schreibt manchen etwas. So
enthalten die Papiere sicherlich auch etwas. Die Frage ist
nur, wie wir das Notwendige herausfiltern.

Aber das war eigentlich nicht mein Anliegen, sondern
mir ging es vielmehr um die sinnvollen Vorschläge, die
nicht in die Papiere aufgenommen wurden, und auch da-
rum, dass für die Umsetzung der sinnvollen Vorschläge
und Anregungen, die darin enthalten sind – dem möchte
ich Ausdruck verleihen –, nicht allzu viel Zeit verbleibt.
Bei der Bewertung darf nicht allzu vieles unter den Tisch
gekehrt werden, sondern in erster Linie muss die Arbeit
der Engagierten erleichtert werden. Vor diesem Hinter-
grund begrüße ich ganz besonders die Engagierten auf
den Tribünen von Bayern bis nach Thüringen. Herzlich
willkommen und herzlichen Dank insbesondere für Ihre
Arbeit!


(Beifall bei der PDS, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte diesen Dank natürlich insbesondere an die
Vertreter der Verbände, der Vereine, der Graswurzelbe-
wegung und der Selbsthilfegruppen richten, durch deren
Arbeit wir viel Boden unter die Füße bekommen haben.

Die PDS hat dem Bericht zugestimmt. Sie macht davon
auch jetzt keinerlei Abstriche. Wir danken auch dem von
uns in die Enquete-Kommission entsandten Sachverstän-
digen, Herrn Professor Roth. Ich glaube, er hat nicht nur
für uns, sondern für die Enquete-Kommission insgesamt
sehr Nützliches geleistet. Er hat in seinem Sondervotum
auf die Bereiche hingewiesen, wo wir ein bisschen mehr
Handlungsbedarf sehen. Dazu möchte ich später ein paar
Dinge sagen.

Zunächst möchte ich allerdings, Kollege Bürsch, etwas
zum aktivierenden Staat sagen. In dem Sondervotum des
Kollegen Roth kommt sehr deutlich zum Ausdruck, dass
unter „aktivierender Staat“ in dem Bereich, in dem ich frei-
willig besonders engagiert bin, in der Arbeitslosenbewe-
gung, etwas ganz anderes verstanden wird, nämlich dass
der aktivierende Staat die angeblich nicht Arbeitswilligen
„fördern und fordern“ soll, auf dass sie wieder arbeiten.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: So verstehen wir es nicht! Das wissen Sie!)





Gerhard Schüßler

24267


(C)



(D)



(A)



(B)


– Okay. Aber insgesamt gibt es diesen Blickwinkel.
Ich will auch Folgendes deutlich sagen: Angesichts der

Tatsache, dass es 22 Millionen Engagierte gibt, kann das
Wort von der natürlichen Faulheit der Menschen nicht
ganz stimmen. Das sage ich in eine ganz bestimmte Rich-
tung.


(Beifall bei der PDS)

Uns geht es vor allen Dingen darum, dass das bürger-

schaftliche Engagement gestärkt wird und dass es mehr
als eine gelegentliche Ergänzung der repräsentativen Po-
litik, sozusagen ein schmückendes, aber eigentlich
unnötiges Beiwerk, ist. Wer sich die verschiedenen Ebe-
nen der öffentlichen Hand genau anschaut, der weiß, dass
das bisher der Fall ist. Die Stärkung des bürgerschaftli-
chen Engagements erfordert mehr politischen Gestal-
tungsspielraum. Bisher war es Lückenbüßer, wenn öf-
fentliche Leistungen gestrichen wurden. Es war quasi ein
Ausfallbürge, der dann zum Einsatz kam, wenn es darum
ging, Personen für nicht mehr bezahlbare Tätigkeiten zu
finden. Wir wissen, dass die Kassen allerorten leer sind.

Die Stärkung des bürgerlichen Engagements erfordert
zugleich die Abgabe von Macht der öffentlichen Hand, der
Parlamente und der Parteien. Außerdem erfordert es eine
weitaus stärkere politische, ökonomische und soziale Un-
terstützung des Engagements der Bürger. Ich glaube, es ist
in den Anhörungen immer wieder deutlich geworden, dass
es auf diesem Gebiet wirklich Nachholbedarf gibt.

Dabei hängt die Stärkung des bürgerschaftlichen Enga-
gements wesentlich von der Stärkung der kommunalen
Ebene ab – auch das ist deutlich geworden –, weil auf die-
ser Ebene am meisten bürgerschaftliches Engagement
stattfindet. Dort sind die Handlungskompetenzen am größ-
ten, während die Finanzausstattung am geringsten ist.

Die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements hat
zur Bedingung, dass seine sozial-ökonomischen Voraus-
setzungen für alle Bürgerinnen und Bürger geschaffen
werden. Damit bürgerschaftliches Engagement keine Sa-
che derer bleibt, die es sich leisten können, bzw. derer, die
ihrem Anliegen anders kein Gehör verschaffen können,
bedarf es einer sozialen Grundsicherung. In einem ers-
ten Schritt sollten angemessene soziale Garantien insbe-
sondere für benachteiligte Gruppen geschaffen bzw. ge-
stärkt werden.

Wenn zum Beispiel ein Sozialhilfeempfänger in Berlin
heute zu einem Ort fahren will, wo er sich engagieren
möchte, dann muss er 1,5 Prozent bis 2 Prozent des Eckre-
gelsatzes der Sozialhilfe auf den Tisch legen, um an die-
sen Ort zu gelangen. Das kann so nicht funktionieren. Da
ist etwas zu verändern. Die besondere Lebenslage von Ar-
beitslosen, Sozialhilfeempfängern, Alleinerziehenden,
Behinderten und Senioren muss eine angemessene
Berücksichtigung finden, damit sie in dieses Engagement
einbezogen werden können.


(Beifall bei der PDS)

Dies ist auch im Bereich des Niedriglohnsektors vonnö-
ten.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Anke Fuchs)


Sie wissen, was auf diesem Gebiet passiert.
Lassen Sie mich zum Schluss auf das hinweisen, wo-

rauf wir keine Antwort gefunden haben – daran müssen
wir sicherlich noch arbeiten –: Es ist das Problem der Fle-
xibilität und der Mobilität der Menschen, die nicht mehr
so gebunden sind. Dieses Problem hat auf das bürger-
schaftliche Engagement Auswirkungen. Die Auswirkun-
gen auf die Arbeitnehmerschaft sind größer als die auf die
Arbeitgeberschaft. Das sage ich auch in Richtung der
CDU, die so sehr darauf gedrungen hat, auf das Engage-
ment der Arbeitgeber zu setzen. Ich meine, dass der große
Teil der Engagierten der Arbeitnehmerschaft angehört.
Diese Menschen sind durch die von mir hier genannten
Fakten am meisten belastet. Es gibt also noch Handlungs-
bedarf. Ich hoffe, dass wir durch die Gesetze und Rege-
lungen, die wir schaffen werden, Veränderungen her-
beiführen können.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424208900
Für die SPD-Fraktion
erteile ich jetzt dem Kollegen Wilhelm Schmidt das Wort.


Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1424209000
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sage
ganz offen, dass ich heute voller Freude das Ergebnis der
Enquete-Kommission präsentiere. Ich danke für das Lob,
das mir Herr Bürsch hat zuteil werden lassen. Ich will es
gern weitergeben. Ich kann mich sehr gut daran erinnern,
dass am Anfang dieser Legislaturperiode, also zu Beginn
der Arbeit der Koalition, Antje Vollmer und ich über die-
ses Thema gesprochen haben. Wir sind dann aufgrund der
Arbeit, die in der SPD-Fraktion schon in der vorherigen
Wahlperiode geleistet worden ist, gemeinsam zu der
Überzeugung gekommen, diese Enquete-Kommission
einzurichten.

Ich glaube, Antje Vollmer, wir können heute sagen,
dass es sich gelohnt hat. Wir, die wir nicht immer an der
intensiven und harten Arbeit in der Enquete-Kommission
mitwirken konnten, wollen ganz besonders denjenigen
Dankeschön sagen, die die Arbeit und die praktische Um-
setzung geleistet haben. Ich nenne Michael Bürsch und
Karin Kortmann auf unserer Seite, aber auch die anderen
hier anwesenden Mitglieder wie auch die Sachverständi-
gen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Ich glaube, die Öffentlichkeit kann gar nicht richtig
einschätzen, welcher Berg an Arbeit bei Enquete-Kom-
missionen im Allgemeinen, aber bei dieser im ganz be-
sonderen Maße anfällt, bevor man zu einem solchen Er-
gebnis kommt. Deswegen will ich an dieser Stelle meinen
Dank aussprechen.

Wir stehen vor einem unglaublich großen Kompen-
dium von Wissen, das hier über das ehrenamtliche und
freiwillige Engagement und über das, was wir mit „bür-
gerschaftlichem Engagement“ neu beschreiben, zusam-
mengetragen worden ist. Mit diesem Begriff wird ein
neuer Beitrag für die Zivilgesellschaft beschrieben, der in
gewisser Hinsicht auch Tradition hat. Wir alle wissen,
dass ohne den Einsatz der Gesellschaft der Aufruf, sich zu
engagieren, nicht diese Resonanz finden würde. Die Men-




Dr. Klaus Grehn
24268


(C)



(D)



(A)



(B)


schen in dieser Gesellschaft würden nicht diesen Reich-
tum an bürgerschaftlichem Engagement vorfinden,
wenn es nicht die gewachsenen Strukturen geben würde,
die wir schon seit Jahrzehnten kennen.

Wir unterschätzen immer wieder, welche Arbeit hinter
den Kulissen in den Vereinen und Verbänden sowie in den
Organisationen geleistet wird. Darum hat sich meine
Fraktion insbesondere der Praktiker aus den Organisatio-
nen und Verbänden als Sachverständiger versichert, damit
das Engagement, das Herr Schüßler und andere mit Recht
angemahnt haben, gefördert werden kann. Das ist dan-
kenswerterweise gelungen.

Wir haben darüber hinaus nicht nur Funktionärswissen
abgerufen, sondern wir haben durch sehr viele Kontakte
und durch die vielen Möglichkeiten der direkten Ausei-
nandersetzung und der Ansprache der Beteiligten die ge-
samte Erfahrung abgerufen. Daher liegt diese Fülle von
Wissen und Erfahrungen und von Erkenntnissen vor, die
hier eine Rolle gespielt haben.

Wir haben dadurch Handlungsempfehlungen für die
Politik bekommen. Wir haben auf der anderen Seite aber
auch Handlungsempfehlungen für die gesellschaftlichen
Gruppen aufgestellt, auf die ich nun eingehen möchte,
weil sie in unseren Überlegungen eine besondere Rolle
gespielt haben. Diese Gruppen werden sich umstellen
müssen. Das haben ihre Vertreter in der Enquete-Kom-
mission, aber auch alle darüber hinaus Beteiligten immer
wieder erfahren müssen. Das herkömmliche Engagement
allein – Herr Bürsch hat es schon mit Recht angespro-
chen – reicht nicht mehr aus; denn damit können die An-
forderungen nicht mehr erfüllt werden. Man muss sich mit
neuen und modernen Formen, die jungen, aber auch älte-
ren Menschen angemessen sind, beschäftigen. Man muss
daneben eine Aufgeschlossenheit an den Tag legen, die
wir in dem Bericht der Enquete-Kommission als notwen-
dig darstellen.

Ich will aber auch ein Wort an die Unternehmen rich-
ten. Es war zum Beispiel völlig richtig, dass die SPD-
Fraktion im November 2000 mit dem großen Kongress
„Unternehmen und Bürgerschaftliches Engagement“ im
Vorfeld des Internationalen Jahres der Freiwilligen einge-
fordert hat, dass sich die Unternehmen mehr, als es bis da-
hin der Fall war und als es bisher diskutiert worden war,
bürgerschaftlich engagieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir lassen nicht nach, dieses Engagement einzufordern.
Wir haben eine gute Steuerreform gemacht. Dadurch

sind viele Unternehmen erheblich entlastet worden, die
mittelständischen wie auch die großen Unternehmen.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Die Kapitalgesellschaften vor allem!)


Darum fordern wir im Gegenzug: Engagieren Sie
sich mehr als bisher! Sorgen Sie dafür, dass Ihren Mitar-
beiterinnen und Ihren Mitarbeitern die richtigen Signale
gegeben werden, um beispielsweise das Zusammen-
gehörigkeitsgefühl im Unternehmen, aber auch das Zu-
sammengehörigkeitsgefühl in der Standortgemeinde des

Unternehmens zu stärken! Engagieren Sie sich in Bürger-
stiftungen, in den Vereinen und Verbänden sowie bei Pro-
jekten, die Ihnen möglicherweise zusätzlichen Image-
gewinn für das Unternehmen bringen können! Ich glaube,
damit haben wir eine ganze Reihe Möglichkeiten eröffnet,
über die auch berichtet worden ist.

Ich will noch einen Satz zur Opposition sagen, nicht
nur wegen des Sondervotums und wegen der Enthaltung
bei der Abstimmung über den Bericht. Es war Ihre Ent-
scheidung, dass Sie während der Zeit, in der die Enquete-
Kommission getagt hat, mit manchen unbezahlbaren For-
derungen an die Öffentlichkeit getreten sind. Darüber
wollen wir nicht weiter richten; das gehört manchmal zum
Spiel zwischen Opposition und Regierung. Dass Sie aber in
der vorigen Woche die Spitze der Möglichkeiten bürger-
schaftlichen Engagements niedergestimmt haben, nämlich
Volksbegehren und Volksentscheid in unser Grundgesetz
auzunehmen, nehme ich Ihnen übel.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Von daher ist Ihre Glaubwürdigkeit ziemlich belastet. Sie
sollten noch einmal in sich gehen, wenn auch nicht mehr
jetzt, weil die Legislaturperiode zu Ende geht.

Ich danke allen Beteiligten für ihren Einsatz. Das war
die Spitze bürgerschaftlichen Engagements. Viele Milli-
onen Menschen danken es ihnen allen mit Recht, so auch
ich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Klaus Grehn [PDS])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424209100
Für die CDU/CSU-
Fraktion erteile ich jetzt dem Kollegen Norbert Barthle
das Wort.


Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1424209200
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Alles Große in unserer Welt geschieht, weil jemand
mehr tut, als er muss.

Die Enquete-Kommission hat sich genau mit den
Menschen beschäftigt, die mehr tun, die sich ehrenamt-
lich und freiwillig für unsere Gesellschaft engagieren.
Diesen Menschen gilt mein erster, mein herzlichster
Dank. Da der Dank die stärkste Form der Bitte ist, möchte
ich ihn unterstreichen. Ich bin überzeugt, auch auf der Zu-
schauertribüne sitzen viele, die sich draußen tagtäglich
ehrenamtlich engagieren. Ich kann sie nur ermuntern, da-
bei zu bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie des Abg. Dr. Klaus Grehn [PDS])


Bedanken möchte ich mich ebenso bei meinen Kollegin-
nen und Kollegen für die gute Zusammenarbeit, aber auch
bei den sachverständigen Mitgliedern für ihre zumindest
meistens erhellenden Beiträge.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Wilhelm Schmidt (Salzgitter)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Mein Dank gilt ebenfalls dem Sekretariat der Enquete-
Kommission. Hierbei sage ich vor allem Herrn Josef
Kestler herzlichen Dank, der mich bei der Leitung der Ar-
beitsgruppe „Rechtsbezogene Vorschläge“ sehr tatkräftig
unterstützt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir wissen: Das bürger-

schaftliche Engagement braucht eine Zukunft und hat
eine Zukunft. Wir müssen alles tun, um die Bedingungen
für bürgerschaftliches Engagement zu verbessern. Unsere
Bürgerinnen und Bürger wollen sich engagieren; wir müs-
sen sie dabei unterstützen. Das ist zumindest die Auffas-
sung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die meint, dass
sich der Staat auf das Beseitigen von Hindernissen kon-
zentrieren sollte, denn die Menschen wissen selbst am be-
sten, wo und wie ihr Engagement gefordert ist.

Daher haben wir einige Probleme mit dem Bild des
aktivierenden Staates, das in der Diskussion immer wie-
der eine zentrale Rolle spielte. In diesem Begriff zeigt sich
ein zentralistisch orientiertes Staatsverständnis, bei dem
der Staat Inhalt und Organisation bürgerschaftlichen En-
gagements beeinflusst oder beeinflussen will.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Genau das, was Baden-Württemberg macht! Sie unterstützen und geben Impulse!)


– Nein. Darauf komme ich gleich zurück.
An dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen von

Rot-Grün, kann ich Ihnen eine leise Kritik nicht ersparen.
In dieser schönen Nachmittagsdebatte, in der so viel Lob
und Dank ausgesprochen wird und so viel Konsens auf-
scheint, muss man doch festhalten, dass Sie es leider nicht
immer geschafft haben, dieses für uns alle so bedeutende
Thema von einer parteipolitisch orientierten Ideologisie-
rung frei zu halten. Das wollen die 22 Millionen Enga-
gierten draußen nicht, im Gegenteil. Wer sich in Vereinen,
in Hilfsorganisationen, bei den Kirchengemeinden, in der
Kommune, in Schule und Kindergarten, bei den Selbst-
hilfegruppen oder wo auch immer ehrenamtlich enga-
giert, will primär der Sache dienen. Diese Menschen wol-
len weder Teil eines gesellschaftlichen Veränderungs-
modells nach dem Leitbild des aktivierenden Staates sein,
noch wollen sie sich in irgendeiner Weise einer staatlichen
Zielsetzung – bei der SPD heißt das meist „Demokratisie-
rung der Gesellschaft“ – unterordnen oder sich gar für sie
instrumentalisieren lassen. Im Gegenteil, diese Menschen
erwarten von uns, dass wir ihren Einsatz erleichtern, wür-
digen und respektieren und dass wir Hindernisse aus dem
Weg räumen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb meinen wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion,
dass der Staat sich zurücknehmen sollte, wenn es um bür-
gerschaftliches Engagement geht. Er soll den Rahmen
vorgeben, in dem sich Engagement frei entfalten kann.
Wir haben Vertrauen in die Kreativität und die Problem-
lösungsfähigkeit der Bürger.

Gerade die Tatsache – um auf Baden-Württemberg
zurückzukommen; denn das ist ein Beispiel für das, was
wir unter einem „ermöglichenden Staat“ verstehen –, dass

sich in Baden-Württemberg 40 Prozent aller Menschen
bürgerschaftlich engagieren – das sind 6 Prozent mehr als
der Bundesdurchschnitt –, zeigt doch, dass diese These
richtig ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Da steht auch Aktivierung dahinter! – Ute Kumpf [SPD]: Das ist die badische Revolution!)


Bezeichnend hierfür war auch die Tatsache, dass das
eigentlich nicht von uns berufene sachverständige Mit-
glied der Kommission in dieser Woche in einer Presse-
mitteilung hat verlauten lassen, dass immer dann, wenn
der Unterschied zwischen Staat und ehrenamtlich Akti-
ven verwischt wird, der Idee der Bürgergesellschaft eher
geschadet als genützt wird. Ich meine, dem ist nichts hin-
zuzufügen.

Ein Großteil meiner Arbeit in der Enquete-Kommis-
sion war den rechtlichen Rahmenbedingungen gewidmet.
Ich bin überzeugt, dass insbesondere die Ergebnisse in
diesem Bereich uns nachhaltig in Erinnerung bleiben wer-
den. Mit dem Gutachten der Professoren Igl, Jachmann und
Eichenhofer ist es gelungen, den Ist-Zustand im Stiftungs-,
Steuer-, Vereins- und Gemeinnützigkeitsrecht umfassend
zu beschreiben. Auf dieser Basis konnten Handlungsem-
pfehlungen für staatliche Maßnahmen erarbeitet werden.
Ich bedauere allerdings, dass die Kommission gerade bei
diesen Handlungsempfehlungen keine einheitlichen Stand-
punkte finden konnte und dass dadurch auch das Sonder-
votum der Union notwendig wurde. Ich hätte mir an dieser
Stelle manchmal etwas mehr Mut seitens der Regierungs-
koalition gewünscht.

Lassen Sie mich, um an diesem Nachmittag noch etwas
konkreter zu werden, einige Punkte benennen, die uns be-
sonders wichtig waren und die nicht in den Bericht auf-
genommen wurden.

Die nachhaltigste, effektivste Möglichkeit des Gesetz-
gebers, Bürgerengagement zu fördern – das hat meine
Kollegin Ilse Aigner schon angesprochen –, ist, eine
Ehrenamtsfreundlichkeitsprüfung bei der Gesetzgebung
einzuführen.

Das zweite wichtige Stichwort lautet Entbürokrati-
sierung. Denn die bürgerschaftlich Engagierten klagen
immer wieder darüber, dass sie mehr Zeit für Formulare
und Anträge brauchen als für die eigentliche Arbeit. Da
muss sich der Staat noch mehr zurücknehmen.

Wir müssen alle staatlichen Vorgaben streng daraufhin
überprüfen, ob sie dem Geist der Subsidiarität dienen. In
den Bereichen Haftung und Versicherung sowie Stärkung
der wirtschaftlichen Kraft dagegen ist keine Zurück-
nahme, sondern gesetzgeberisches Handeln gefordert. Wir
müssen vor Haftungsrisiken schützen und die Wirtschafts-
kraft unserer Vereine stärken. Deshalb plädieren wir zum
Beispiel dafür, die Neuregelung der 325-Euro-Jobs und
der Scheinselbstständigkeit so vorzunehmen, dass unsere
Vereine und Verbände von den wirtschaftlichen und büro-
kratischen Benachteiligungen wieder befreit werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)





Norbert Barthle
24270


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir empfehlen zum Beispiel auch, die Besteuerungsfrei-
grenze nicht nur auf 40 000, sondern auf 50 000 Euro her-
aufzusetzen. Damit ginge Entbürokratisierung einher.

(Christian Simmert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihr Mut! Bezahlen Sie das mal!)

Ich will nicht auf die weiteren Details dieser Maßnah-

men eingehen. Nur ein uns wichtiger Punkt soll noch er-
wähnt werden: die so genannte Übungsleiterpauschale.
Wir meinen, der Bezugskreis sollte unbedingt auf ehren-
amtlich tätige Mitglieder im geschäftsführenden Vor-
stand, zum Beispiel auch auf die Organisationsleiter und
die Kampfrichter, ausgeweitet werden.


(Christian Simmert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher nehmen, wenn nicht stehlen? – Ilse Janz [SPD]: Das haben Sie auch 16 Jahre lang konsequent getan!)


Das ist notwendig, um Hilfestellung leisten zu können.
Es würde, wie gesagt, zu weit gehen, jetzt die einzel-

nen Punkte aufzuführen. Diese Handlungsempfehlungen
sind der Konsens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ich
versichere Ihnen, dass wir uns engagiert dafür einsetzen
werden, dieses in der kommenden Legislaturperiode um-
zusetzen. Am besten geht das natürlich mit Regierungs-
verantwortung. Aber darüber wird erst später entschieden.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424209300
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Dr. Antje Vollmer für Bündnis 90/Die
Grünen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424209400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
dieser Debatte ist schon viel Dank ausgesprochen worden,
aber noch nicht von allen. Deshalb will ich mich diesem
wirklich berechtigten Dank an alle anschließen.

Nun komme ich in der Kürze der Zeit zu drei Punkten,
die ich noch anmerken möchte.

Erst einmal vorweg: Die Kommission hat etwas sehr
Erfreuliches herausgefunden, nämlich dass die Bürgerge-
sellschaft tatsächlich lebt und dass ausgerechnet in einer
Singlegesellschaft, der man die Fähigkeit zum sozialen
Miteinander so oft abspricht, viel neues und interessantes
Engagement entsteht. Das begrüßen wir alle.

Bei diesem positiven Ergebnis liegt es ein bisschen an
uns und manchmal auch an den Ländern, dass wir etwas
stärker in die Debatte über die Veränderungen der Bedin-
gungen unseres Gemeinwesens einsteigen. Es liegt an uns
allen, Hindernisse zu beseitigen, um ein engagement-
freundliches gesellschaftliches Klima zu schaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/ CSU)


Lassen Sie mich kurz auf drei Themen zu sprechen
kommen. Wir haben in dieser Legislaturperiode eigentlich
den zweiten Schritt, die Reform des Stiftungsrechts, zuerst

getan. Damit wollten wir auch an die vermögenderen Bür-
ger appellieren: Tut erst einmal ihr etwas – je nach eurem
Vermögen – für das Gemeinwesen! – Das Freiwilligenen-
gagement ist der Appell an den kleinen Mann oder die
kleine Frau, der oder die sagt: Ich habe zwar kein großes
Vermögen; aber ich habe meine Zeit, meine Kenntnisse
und meine Lebensfreude anzubieten und die will ich für
das Gemeinwesen einsetzen.

Dabei fehlt mir etwas – es freut mich, dass es in der En-
quete-Kommission auch diese Forderung gegeben hat –:
Wenn man für Stiftungen und für das kleine Engagement
werben will, dann braucht man Transparenz bzw. sehr viel
Öffentlichkeit. Ich freue mich, dass wir in unserem Be-
richt in Bezug auf das Stiftungsrecht geschrieben haben,
dass wir ein Stiftungsregisterwollen. Das heißt, wir wol-
len Transparenz in Bezug auf das, was in diesem Bereich
passiert, damit noch mehr für das Gute, das da geleistet
werden soll, geworben werden kann. Neben der großen
Vorgabe, die der Staat macht, nämlich dass er in diesem
Zusammenhang steuerliche Vorteile schafft, kann jeder
Bürger dadurch entlohnt werden, dass er sieht, für wel-
chen guten Zweck das Geld eingesetzt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Darum wünschte ich mir, dass bei diesen Debatten
auch die Bundesratsbank besetzt wäre.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Zwei sind da!)

Die Reform des Stiftungsregisters ist nämlich bis jetzt

im Bundesrat gescheitert. Vielleicht wird das ja in Zu-
kunft anders.

Transparenz ist aber auch dann nötig, wenn man es den
Bürgern, die sich für ein Freiwilligenengagement neuen
Typs entscheiden, erleichtern will, dahin zu kommen, wo
sie hinwollen, und ihnen die Möglichkeit gibt, zu wählen
und zu entscheiden. Wir haben immer wieder festgestellt,
dass es hier folgendes Problem gibt: Wenn sich jemand
engagieren will, dann hat er bei den großen Organisatio-
nen häufig das Gefühl, man packe ihn lebenslänglich. Er
möchte sich aber vielleicht nur eine Zeit lang engagieren
und nach einer gewissen Zeit wieder ein bisschen Abstand
haben bzw. die Freiheit haben, ein anderes Engagement
einzugehen oder andere Dinge zu tun.

Gerade hier sind die Freiwilligenagenturen eine ganz
wichtige Innovation, die diesem Bedürfnis entgegen-
kommt. Das heißt, dass demjenigen, der sich engagieren
möchte, erst einmal ein Angebot gemacht wird und ihm
eine Garantie gegeben wird, dass vorher geprüft wurde,
zu welchen Bedingungen er arbeiten wird. Ihm wird so die
Möglichkeit eingeräumt, zu sagen: Ich mache das eine
Zeit lang. Ich habe euch als Berater und kann mir später
etwas anderes suchen.

Diese Freiwilligenagenturen, die mit großem Engage-
ment arbeiten, sind bisher noch nicht genug gefördert
worden. In der nächsten Legislaturperiode möchte ich
weiter darum werben, dass wir uns dieser innovativen In-
stitution annehmen und eine entsprechende Grundversor-
gung schaffen, damit diese Institution arbeiten kann. Wir
sollten in diesem Zusammenhang über die Idee, pro Bür-
ger 1 Euro für das Freiwilligenengagement zu zahlen,




Norbert Barthle

24271


(C)



(D)



(A)



(B)


nachdenken und diese nach Möglichkeit auch unterstüt-
zen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Noch dringlicher und nach Ansicht der Kommission
auch kurzfristig umsetzbar ist die Erleichterung des Zu-
gangs zum Gemeinnützigkeitsstatus für Freiwilligen-
agenturen und Selbsthilfegruppen. Es besteht das große
Problem, dass wir aus steuerrechtlichen und finanztechni-
schen Gründen keine Möglichkeit haben, ihnen diesen
Zugang zum Gemeinnützigkeitsstatus zu erleichtern. Eine
solche Erleichterung brauchen sie und darüber sollten wir
nachdenken.

Meine erste Anmerkung betraf das Stiftungsrecht und
der zweite Punkt die Themen aus der Enquete-Kommis-
sion, die wir noch umsetzen müssen. Vor uns allen liegt
aber eine gewaltige dritte Aufgabe, nämlich das Gemein-
nützigkeitsrecht insgesamt neu zu definieren. Viel zu häu-
fig haben wir Gemeinnützigkeit so formuliert, wie es im
19. Jahrhundert verstanden worden ist. Vieles von dem
würden wir heute als Freizeittätigkeit bezeichnen, die nicht
unbedingt diesen starken gemeinnützigen Charakter hat.
Um darüber umfassend diskutieren zu können, müsste
eine neue Enquete-Kommission eingerichtet werden.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Geht es auch eine Nummer kleiner?)


Ich möchte hiermit alle Kolleginnen und Kollegen, die
mit für diese dritte große Stufe streiten wollen, auffordern,
dafür zu kämpfen, dass in der nächsten Legislaturperiode
eine neue Enquete-Kommission gebildet wird, die sich
die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts – das ist übri-
gens das Allerschwerste – vornimmt. Wie die Dinge nun
einmal sind, muss man dies zu Beginn der nächsten Le-
gislaturperiode machen; denn so dicht vor den Wahlen
wäre das für jede Konstellation zu schwierig. Das wissen
alle, die sich in dieser Sache auskennen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424209500
Nun hat das Wort die
Kollegin Marie-Luise Dött für die CDU/CSU-Fraktion.


Marie-Luise Dött (CDU):
Rede ID: ID1424209600
Frau Präsidentin! Mei-
ne Damen und Herren! Vorweg möchte ich mich ganz
herzlich bei allen bedanken, die in der Enquete-Kommis-
sion mitgearbeitet haben, und auch bei den vielen betei-
ligten Initiativen.

Worum geht es heute? Es geht um die Bürgergesell-
schaft und deren Zukunft. Es geht um die Chancen der
Menschen, ihre Fähigkeiten und Talente in unsere Gesell-
schaft einzubringen. Kurz: Es geht darum, sich einzumi-
schen.

Die Sondervoten spiegeln die unterschiedlichen Auf-
fassungen der Fraktionen über die Bedeutung des bürger-

schaftlichen Engagements und über das Verhältnis zwi-
schen Bürger und Staat wider. Offensichtlich wurde das
in der immer wiederkehrenden Diskussion um den Begriff
„aktivierender Staat“.

Wir von der CDU/CSU wollen keinen Staat, der von
oben nach unten denkt.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das wollen wir auch nicht! Das ist doch Popanz! Da wird ein Pappkamerad aufgebaut! Das interessiert keinen Menschen!)


Wir wollen eine aktive Bürgergesellschaft, die sich von
unten nach oben engagiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen unser Gemeinwesen weiterentwickeln, das
vom Grundsatz her auf die Kräfte der freiwilligen Zu-
sammenschlüsse, der Vereine und Verbände setzt. Ver-
trauen in die Kräfte der Bürger zu haben bedeutet, diesen
mehr Entfaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zu
überlassen und deren kreative Herangehensweise zu stär-
ken. Diese Sichtweise von Staat und Bürgergesellschaft
entspricht unserem Werteverständnis.

Ich nenne als Beispiel die Familie. Die Familie ist
Lernraum für bürgerschaftliches Engagement. Wie Kin-
der und junge Menschen ihre soziale Umwelt wahrneh-
men, ob sie sich mit politischen und gesellschaftlichen
Entwicklungen auseinander setzen, ob sie sich mit ihrer
Region und ihrem Land identifizieren und sich von Pro-
blemen auch persönlich herausgefordert fühlen, wird in
der Familie gelernt. Übt ein Familienmitglied ein Ehren-
amt aus, so wachsen Kinder bereits durch das gelebte Vor-
bild in bürgerschaftliches Engagement hinein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Schauspielerin Ida Ehre hat einmal gesagt, Kinder
könne man nicht erziehen, die machten sowieso alles
nach. – Es stellt einen wesentlichen Mangel des Abschlus-
sberichtes dar, dies nicht ausreichend zum Ausdruck zu
bringen.

Auch die Bedeutung, die Unternehmen und Unter-
nehmer für das Engagement spielen, kommt im Abschluss-
bericht der Enquete-Kommission zu kurz. Bürgerschaftlich
Engagierte verfolgen ihre Ziele nämlich nicht nur in Verei-
nen, Verbänden, Umwelt- und Nachbarschaftsinitiativen
oder anderen Netzwerken. Sie erreichen ihre Ziele auch
durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit Wirtschaftsun-
ternehmen, zum Beispiel durch Sponsoring.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Steht auch drin!)

Unternehmer engagieren sich aber auch in Kammern

und Bildungseinrichtungen, in der Arbeitsverwaltung und
im Gesundheitswesen ehrenamtlich. Gerade weil die Mehr-
zahl der Betriebe in Deutschland klein und mittelständisch
strukturiert ist, müssen die gesetzlichen Rahmenbedingun-
gen Handwerker und Kleinunternehmer entlasten, anstatt
sie mit zusätzlichen bürokratischen Arbeiten zu belasten.
Diese Unternehmer sind es nämlich, die sich engagieren,
indem sie ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in Sportverei-
nen und Schulen, in Kirchengemeinden und Umwelt-
gruppen oder in sozialen Initiativen einbringen. Lassen




Dr. Antje Vollmer
24272


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie mich als Mittelständler sagen: Ich kenne keinen Mit-
telständler, der sich nicht engagiert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Damit stellt das bürgerschaftliche Engagement gerade
von Unternehmen und Unternehmern einen wichtigen und
oft unterschätzten Standortfaktor in einer Region dar – die
Bürgermeister wissen davon zu berichten –, den es zu er-
halten, zu fördern und zu würdigen gilt. Unternehmeri-
sches Engagement oder Corporate Citizenship sind Ko-
operationsformen, die im Sozial- und Bildungswesen, im
Kulturbetrieb und im Gesundheitssektor des 21. Jahrhun-
derts unverzichtbar sind. Dies sind einige der Gründe, die
uns von der CDU/CSU-Fraktion bewogen haben, einen ei-
genen Bericht vorzulegen, der unserer unterschiedlichen
Auffassung und Schwerpunktsetzung Rechnung trägt.

Meine Damen und Herren, wir befinden uns heute an
der Grenze staatlicher Leistungs- und Steuerungsfähig-
keit. Bürokratische Überregulierungen lähmen immer
mehr die Aktivitäten des Bürgers. Die wachsende An-
spruchshaltung der Bürger einerseits und der immer stär-
ker zentralisierende und bürokratische Betreuungsstaat
andererseits haben Werte wie Eigeninitiative, Mitverant-
wortung und Gemeinsinn verdrängt. Diese Werte müssen
wieder belebt werden.

Die Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements wird
entscheidend von der Lösung der folgenden Fragen ab-
hängen: Wie viel Verantwortung ist der Bürger bereit und
in der Lage zu übernehmen? Welche Gestaltungsräume
kann der Staat den Bürgern öffnen oder neu eröffnen? Was
können die Bürger auf Dauer in Eigenverantwortung
übernehmen? Wie können sich kooperative und unterstüt-
zende Netzwerke der Gesellschaft bilden und welcher
Ordnungsrahmen kann dies gewährleisten? Welche Auf-
gaben soll der Staat wahrnehmen?

Die Antworten auf diese Fragen sind unterschiedlich
ausgefallen, je nachdem, von welchem Menschenbild
wir ausgegangen sind. Gehen wir vom unmündigen Bür-
ger aus, so muss ihm von oben gesagt werden, was gut für
ihn ist, da er das nicht selbst entscheiden kann. Gehen wir
aber vom mündigen Bürger aus, so weiß dieser Bürger
selbst, was gut für ihn ist. Der mündige Bürger ist Teil un-
serer christlich geprägten Kultur.

Wir gehen von einem Menschenbild aus, dessen Prin-
zipien Subsidiarität und Solidarität sind. Subsidarität
geht davon aus, dass jeder Bürger oder jede Einheit der
Gesellschaft die Chance und die Pflicht hat, seinen bzw.
ihren Beitrag zur Selbsthilfe zu leisten. Erst wenn die
Eigeninitiative nicht möglich ist oder deren Mittel er-
schöpft sind, kommt die Solidarität zum Tragen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein solches Gesellschaftsverständnis trägt dazu bei,

dass jeder Einzelne für die Gesellschaft wichtig ist und
aktiv an deren Gestaltung mitwirkt. Das meinte unser ers-
ter Bundespräsident Theodor Heuss, als er sagte: „Die
Demokratie lebt vom Ehrenamt.“ Da die Kollegen der
SPD aber von einem bevormundenden Staat ausgehen,


(Widerspruch bei der SPD)


die Rolle von Familie und Unternehmen vernachlässigen,
dafür aber die Rolle von Gewerkschaften besonders her-
vorheben,


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Besser lesen! PISA lässt grüßen!)


besteht folglich Uneinigkeit darüber, wie die Ergebnisse
der Enquete-Kommission umgesetzt werden sollen.

Während die Damen und Herren der SPD es vorziehen,
eine Kommission zu beauftragen, die sich darum kümmern
soll, die erarbeiteten Vorschläge des Abschlussberichtes
umzusetzen, schlagen wir von der CDU/CSU-Fraktion vor,
jedes einzelne Gesetz, bevor es in Kraft tritt, daraufhin zu
überprüfen, ob es das Engagement fördert oder behindert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist unser Vorschlag zu weniger Bürokratie, schlankem
Staat und Kosteneffizienz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424209700
Nun hat die Kollegin
Karin Kortmann für die SPD-Fraktion das Wort.


Karin Kortmann (SPD):
Rede ID: ID1424209800
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe anwesenden
Engagementswilligen und -unterstützenden! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen aus der Enquete-Kommission!
Nachdem ich hier so manche Trauerrede, auch Ihre, Frau
Dött, gehört habe, frage ich mich: Haben zwei Jahre Fort-
bildung für Sie nicht gereicht, um endlich zu verstehen,
auf was es uns beim bürgerschaftlichen Engagement an-
kommt? Es geht nicht darum, an einzelnen Stellschrauben
zu drehen oder Ehrenamtstauglichkeitsprüfungen durch-
zuführen, sondern es geht um ein gesamtgesellschaftli-
ches Konzept, das Sie scheinbar immer noch nicht ver-
standen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu Beginn unserer Arbeit in der Enquete-Kommission
haben wir gefragt, von welcher Grundlage wir auszuge-
hen haben und was von uns vorangebracht werden soll.
Die Mitglieder der SPD-Fraktion haben zwei Fragen ge-
stellt, die für uns von grundsätzlicher Bedeutung waren.
Die erste Frage lautete: Was hält diese Gesellschaft zu-
sammen, wie können Staat, Markt und Zivilgesellschaft
zu einer neuen verlässlichen Verantwortungsteilung
kommen und mit ihren spezifischen Aufträgen und aus
ihrem jeweiligen Selbstverständnis heraus zu mehr Ge-
meinwohlorientierung beitragen? Seinerzeit hat uns der
Typus des bzw. der Freiwilligen etwas überrascht: Nach
allen Untersuchungen ist er bzw. sie erwerbstätig und hat
damit ein materielles Einkommen, ist kein Pendler und
keine Pendlerin, hat einen festen Wohnort und ist sozial
integriert. Aus dieser Definition fallen viele Menschen he-
raus, die wir gerne an diesem bürgerschaftlichen Engage-
ment beteiligt sähen und denen wir mit den Rahmenbe-
dingungen Möglichkeiten für eine Beteiligung schaffen.




Marie-Luise Dött

24273


(C)



(D)



(A)



(B)


Die zweite zentrale Frage wurde in den Zeiten, als Sie
an der Regierung waren, überhaupt nicht zur Kenntnis ge-
nommen: Seit 1989/90 hat sich die Bundesrepublik
Deutschland verändert. Der Beitritt der DDR zur Bun-
desrepublik hat uns im Hinblick auf die Frage des Enga-
gements in den alten und in den neuen Bundesländern vor
neue Herausforderungen gestellt. Was ist denn aus der
staatlich verordneten Solidarität der DDR geworden? Was
ist aus der privaten, unabdingbar notwendigen Nachbar-
schaftshilfe in der DDR geworden? Was hat sich aus den
demokratischen Bürgerinnen- und Bürgerbewegungen
der 80er-Jahre entwickelt und wo sind sie in der heutigen
Gesellschaft zu Hause? Für uns ist bürgerschaftliches En-
gagement, also die Strukturierung und Unterstützung der
Zivilgesellschaft, ein Prozess gesellschaftlicher Verant-
wortung, der Integrationslotsen und -lotsinnen braucht,
damit wir zu mehr Gemeinwohlorientierung kommen.

Von der Union ist bis heute kein wesentlicher Beitrag
geleistet worden, wie wir bei der Gestaltung von Zuwan-
derung und Einwanderung dazu kommen wollen, dass
sich Menschen, die in unsere Republik ziehen, integriert
fühlen. Für uns ist das bürgerschaftliche Engagement hier
eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen. Uns geht es
darum, was sich in den Vereinigungen von Menschen aus-
ländischer Herkunft tut und welchen Beitrag sie leisten
können, damit sich die Menschen hier zu Hause fühlen
und ihre Kultur und Sprache pflegen können, sodass es zu
einem gedeihlichen Miteinander kommt.


(Beifall bei der SPD)

Ich kann es bald nicht mehr hören, wenn Sie bei uns

von einem Staatsverständnis ausgehen, das Sie nur im
Horoskop nachgelesen haben können, aber nicht bewei-
sen können.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Na, na, na!)


Sie glauben doch, dass wir einen regulierenden Staat
wollten. Ich zeige Ihnen anhand einiger Beispiele, was Sie
gemacht haben. Sie haben 1989/90 in den neuen Bundes-
ländern sämtliche Jugendklubs geschlossen, weil Sie
glaubten, dass sie SED-gefärbt gewesen seien, und damit
den jungen Menschen wichtige Anlaufstellen genommen
und Integrationsmöglichkeiten verwehrt. Ihre Ministerin
Nolte hat dafür gesorgt, dass ohne bürgerschaftliche Be-
teiligung – noch nicht einmal das Bundesjugendkurato-
rium wurde dazu gehört – eine Stiftung „Bürger für Bür-
ger“ gegründet wurde, deren Erfolgsaussichten bereits
nach einem Jahr so jämmerlich waren, dass wir froh wa-
ren, dem ein Ende bereiten zu können. In der letzten Wo-
che haben Sie dafür gesorgt, dass mehr Bürgerbeteiligung
in Form von Volksentscheiden und Volksbefragungen auf
Bundesebene nicht möglich wird. Hier ist die Frage, wer
regulieren und wer etwas zulassen will.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Jetzt reden Sie doch einmal zum Thema!)


Ich komme nun zu einigen Eckpunkten unseres
Reformkonzepts, das in der Enquete-Kommission mehr-
heitlich verabschiedet worden ist. Dazu haben wir – die
Sachverständigen Roland Roth, Thomas Olk sowie
Adalbert Evers und ich – heute in einer gemeinsamen

Pressekonferenz deutlich gemacht, wohin es gehen soll.
Dies zeigt, wie viele Gemeinsamkeiten es jenseits der par-
teipolitischen Mitgliedschaften von Bundestagsabgeord-
neten gibt. Wir haben erklärt, die Aufwertung bürger-
schaftlichen Engagements in der öffentlichen Debatte sei
Ausdruck neuer Erwartungen an die Bürgerinnen und
Bürger als Mitgestalter eines lebendigen demokratischen
Gemeinwesens. Für die Zukunftsfähigkeit einer demo-
kratischen Gesellschaft ist das bürgerschaftliche Engage-
ment eine wesentliche Voraussetzung. Deshalb wollen wir
auch die Rahmenbedingungen für eine lebendige Zivilge-
sellschaft verfolgen. Zu dem, was wir als SPD wollen, ein
paar wichtige Punkte:

Erstens. Wir wollen allen Freiwilligen, egal in welcher
Vereinigung sie sich engagieren, Unfall- und Haft-
pflichtversicherungsschutz gewähren.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Können Sie das konkretisieren? – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Wiederholen Sie das noch einmal! – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Wie soll das denn gehen?)


Versicherungsschutz darf nicht davon abhängen, ob die
Organisation, in der jemand mitarbeitet, materiell in der
Lage ist, diesen Schutz für ihre Freiwilligen zu gewähren.
Deswegen ist das für uns das Wichtigste, was der Staat al-
len garantieren muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens: Nachteilsausgleich. Es ist wunderbar, Sie,
Herr Barthle, über die Übungsleiterpauschale reden zu
hören.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Danke für das Kompliment!)


Ich glaube, auch hier noch sagen zu müssen: Die Übungs-
leiterpauschale wurde unter dem ersten sozialdemokrati-
schen Bundeskanzler Willy Brandt eingeführt.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Darum hat er sich bestimmt gekümmert, da bin ich ganz sicher!)


Er hat gesagt: Das, was der Sport in den Bereichen Ge-
sundheitsprävention und Integration leistet, ist uns so
wichtig, dass für die freiwillig geleistete Mehrarbeit
100 DM pro Monat in der Übungsleiterkasse steuerfrei
bleiben. Der zweite sozialdemokratische Bundeskanzler
Helmut Schmidt hat gesagt: Dieser Gedanke ist weiter zu
verfolgen; das gefällt uns. Er hat die Übungsleiterpau-
schale auf 200 DM erhöht. Der dritte sozialdemokratische
Bundeskanzler, der auch nach dem 22. September weiter-
hin hier stehen wird,


(Beifall bei der SPD)

hat gesagt: Dieser Gedanke ist uns weiterhin wichtig.
Deswegen haben wir die Übungsleiterpauschale auf
300 DM erhöht. Sie haben zu diesem gesamten Bereich
nicht eine müde Mark dazu gegeben und sollten sich
schämen, hier Forderungen zu stellen, die Sie gar nicht er-
füllen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Karin Kortmann 24274 Lesen Sie mal die Stellungnahme des Deutschen Sportbundes zu den Handlungsempfehlungen; dann geht Ihnen ein Licht auf! Die kennen Sie wahrscheinlich gar nicht!)





(C)


(D)


(A)


(B)


Drittens. Damit hier einmal klar wird, worüber wir
überhaupt reden: Auf der Zuschauertribüne sitzen hoch
verdiente Feuerwehrleute. Wie wir alle wissen, sind die
kommunalen Haushalte dermaßen eng, dass eine flächen-
deckende Einführung einer Berufsfeuerwehr gar nicht
möglich ist und wir auf Menschen angewiesen sind, die in
ihrer Freizeit helfen, schützen, bergen und löschen. Des-
wegen war es so wichtig, dass der Bundeskanzler beim
Feuerwehrtag in Augsburg das Versprechen gegeben hat:
Wir werden Regelungen schaffen.


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Sie müssen es hören, egal wie lange. – Seit dem 1. Ja-
nuar dieses Jahres sind für diese Menschen, die Auf-
wandsentschädigungen aus öffentlichen Kassen bekom-
men, 300 DM sozialversicherungs- und steuerfrei.


(Beifall bei der SPD)

Ein vierter Punkt. Die Frage ist: Was kann und was

muss der Staat tun? Es ist doch eine Schizophrenie son-
dergleichen, dass Sie es in Ihrer 16-jährigen Regierungs-
zeit


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sie gehören in die Propagandaabteilung!)


nicht geschafft haben, den sozialintegrativen Aspekt des
bürgerschaftlichen Engagements auch für Arbeit suchende
Menschen zu eröffnen.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das ist eine Neuerung in der SPD!)


Sie haben die Deckelungsregelung in der Sozialgesetzge-
bung beibehalten, nach der Arbeit suchende Menschen,
die Hilfe aus öffentlichen Kassen bekommen, sich nur
15 Stunden wöchentlich engagieren dürfen, weil sie sonst
dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen würden.
Welch eine Idiotie! Gerade dadurch würde dafür gesorgt,
dass sie weiterhin sozial integriert bleiben.

Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen, da-
mit klar ist, dass es sich nicht um Stellschrauben handelt:
Wir wollen zu einer Verstetigung des Engagements bei-
tragen und haben dazu vier wichtige Punkte.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424209900
Vier Punkte sind zu
viel, Frau Kollegin. So viel Zeit haben Sie nicht mehr.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Bis 4.45 Uhr geht es heute Nacht!)



Karin Kortmann (SPD):
Rede ID: ID1424210000
Nur zwei Sätze zur Versteti-
gung: Wir haben dazu beigetragen, dass die Mittel zum In-
ternationalen Freiwilligenjahr im vergangenen Jahr beim
BMFSFJ ressortiert waren. Sie sind folgerichtig auch für
dieses Jahr und für die kommenden Jahre gesichert, damit
bürgerschaftliches Engagement eine finanzielle Grund-
lage hat.

Zweitens danke ich dem BMFSFJ, dass es als Ergebnis
des Internationalen Jahres der Freiwilligen das Bundes-
netzwerk von Vereinen und Verbänden unterstützt und ih-
nen Möglichkeiten gibt, sich auch in der gemeinsamen In-
teressenvertretung zu vernetzen.

Drittens fordern wir in jeder Legislaturperiode einen
Engagementbericht und viertens – das können Sie uns
überhaupt nicht streitig und madig machen – wollen wir
ab der 15. Legislaturperiode hier im Bundestag eine
Kommission für bürgerschaftliches Engagement einrich-
ten, weil wir nichts dem Zufall überlassen wollen. Wir
brauchen eine Struktur, die weiterhin das umsetzt, was wir
dem Bericht der Enquete-Kommission zugrunde gelegt
haben. Sie können sicher sein: Wir machen das gern ab
dem 23. September.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424210100
Ich schließe die Aus-
sprache und gehe davon aus, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, dass Sie den Bericht auf Drucksache 14/8900 zur
Kenntnis genommen haben.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis e sowie Zu-
satzpunkt 7 auf:
6. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk
Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Für eine vorausschauende Wohnungs- und
Städtebaupolitik
– Drucksachen 14/6048, 14/9344 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Spanier

b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fischer (Hamburg),
Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Die Talfahrt derWohneigentumsbildung und
politische Konzepte
– Drucksachen 14/7124, 14/8297 –

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt,
Eduard Oswald, Heinz Seiffert, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU
Bessere steuerliche Rahmenbedingungen für
den Wohnungsbau
– Drucksachen 14/6637, 14/9141 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Grasedieck
Elke Wülfing
Dr. Barbara Höll




Karin Kortmann

24275


(C)



(D)



(A)



(B)


d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung wohnungsrechtlicher Vorschrif-
ten
– Drucksache 14/8993 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/9347 –
Berichterstattung:
Abgeordner Hans-Michael Goldmann

e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung – Initiative Ar-
chitektur und Baukultur
– Drucksache 14/8966 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Spanier, Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter
Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Franziska
Eichstädt-Bohlig, Albert Schmidt (Hitzhofen),
Helmut Wilhelm (Amberg), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Die nachhaltige Stadt- und Wohnungspolitik
weiter vorantreiben
– Drucksache 14/9355 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Die Fraktion der CDU/CSU hat zu ihrer Großen An-
frage einen Entschließungsantrag vorgelegt, über den wir
am Ende abstimmen werden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Kollege
Wolfgang Spanier für die SPD-Fraktion das Wort.


Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1424210200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit einem knap-
pen, aber zutreffenden Satz: Die Bilanz unserer Städte-
bau- und Wohnungspolitik ist rundum positiv.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eduard Oswald Da finden Sie nicht sehr viele, die Ihnen Beifall spenden!)


Die Opposition in diesen vier Jahren war schwach, zu-
mindest konzeptionell. Ich meine damit niemanden per-
sönlich und schon gar nicht Herrn Dr. Kansy, weil ich
weiß, dass er heute in diesem Haus zu unserem gemein-
samen politischen Feld seine „Abschiedsrede“ halten
wird.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Warten wir erst einmal ab; Minister kann ich auch ohne Mandat werden! – Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Bevor Sie sprechen, möchte ich Ihnen doch noch einmal
in allem Ernst bescheinigen: Wir haben Sie in all den Jah-
ren als einen erfahrenen, sachkundigen und fairen Kolle-
gen kennen gelernt. Ich glaube, Ihr Ausscheiden aus dem
Parlament ist ein Verlust für unseren Ausschuss und für
unser politisches Feld.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der CDU/CSU und der FDP)


Zunächst war unser wichtigstes politisches Ziel, den
Reformstau, der sich nach 16 Jahren Regierung Kohl er-
geben hatte, aufzulösen. Wir haben die wichtigsten Auf-
gaben gelöst. Wir haben nach 26 Jahren endlich das Miet-
recht reformiert.


(Zuruf von der FDP: Leider!)

Wir haben das Wohngeld nach 10 Jahren endlich ange-
hoben, und wir haben nach langjährigen Diskussionen
endlich die Reform des sozialen Wohnungsbaus hin zur
sozialen Wohnraumförderung geschafft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber das Wesentliche ist: Wir haben insgesamt Städtebau-
und Wohnungspolitik enger verzahnt und eine Neuorien-
tierung der Städtebau- und Wohnungspolitik mit dem
Leitbild der Nachhaltigkeit eingeleitet, am deutlichsten
zu erkennen bei der Städtebauförderung – die Mittel dafür
haben wir übrigens in diesen vier Jahren verdoppelt – und
bei den beiden innovativen Programmen „Soziale Stadt“
und „Stadtumbau Ost“. Beide sind richtungweisend für
die Städtebau- und Wohnungspolitik auch der 15. Legis-
laturperiode.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte auch auf eine Besonderheit des heutigen
Tages hinweisen. Zum ersten Mal diskutieren wir heute
über Baukultur. Der Präsident der Bundesarchitekten-
kammer hat wohl nicht nur mir geschrieben. Es ist in der
Tat ein historischer Schritt, dass wir hier heute den ersten
Bericht der Initiative Architektur und Baukultur diskutie-
ren.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Ich glaube, dass wir auch dies zu den positiven Ergebnis-
sen dieser Legislaturperiode zählen können. Meine Kol-
legin Gabriele Iwersen wird sicher gleich näher darauf
eingehen.




Vizepräsidentin Anke Fuchs
24276


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich weiß – Sie, Herr Dr. Kansy, werden es sicher gleich
wiederholen –, dass Sie die Zusammenlegung der beiden
Ministerien immer kritisch begleitet haben.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist die vornehmste Formulierung, die denkbar ist!)


Dennoch meine ich, dass sich diese Zusammenlegung
durchaus bewährt hat. Die Bilanz dessen, was wir in die-
sen vier Jahren tatsächlich geschafft haben, ist entschei-
dend. Ich glaube, dass sich diese Bilanz im Vergleich zu
den Bilanzen der vorherigen Legislaturperioden mehr als
sehen lassen kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Na ja, das war eine Pflichtübung!)


Ich sage aus meiner ganz persönlichen Sicht, dass man
durchaus darüber nachdenken könnte und sollte, ob es
richtig war, die beiden Ausschüsse zusammenzulegen.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist sehr wahr!)


Darüber wird man sicherlich noch einmal reden können,

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist die Mindestforderung!)

weil es selbstverständlich auch bei einem zusammenge-
legten Ministerium zwei neben- und miteinander arbei-
tende selbstständige Ausschüsse geben kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Aber, Herr Dr. Kansy, ich muss Ihnen heute doch ein-
mal in aller Deutlichkeit sagen:


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Dann los!)


Auf der einen Seite müssen wir uns seit vier Jahren das
große Klagelied und die massive Kritik gegen die Zu-
sammenlegung der beiden Ministerien anhören, während
auf der anderen Seite ein, wie ich finde, sehr aufschluss-
reicher Artikel in der „Deutschen Verkehrs-Zeitung“ vom
7. Juni 2002 veröffentlicht wurde. Dort heißt es:

Wenn die CDU die Bundestagswahl gewinnt,
– „gewönne“, also Konjunktiv II, Irrealis, müsste es ei-
gentlich sein,

dann kommt es zu weit reichenden Veränderungen
im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen. Überlegungen der gegenwärtigen
Opposition gehen nämlich dahin, die erfolgte Zu-
sammenlegung wieder aufzuheben.

Jetzt kommt es:
Die allgemeinen Bau- und Wohnungsbereiche sollen
in das Bundeswirtschaftsministerium verlagert, die
Wohnungsbauförderung einschließlich aller steuer-
lichen Regelungen beim Bundesfinanzministerium
angesiedelt werden.

(Renate Blank [CDU/CSU]: Ja, richtig! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sie machen sich schon Sorgen, dass Sie die Wahl verlieren! Ist schon klar!)


Was bleibt dann von einem Bauministerium überhaupt
noch übrig?


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wer hat den Artikel denn geschrieben?)


Es ist so platzsparend, dass Sie es bald in einer Imbiss-
bude unterbringen können. Ich bitte Sie, hierzu gleich
doch noch ein paar deutliche Worte zu sagen. Es steht un-
widersprochen auf der ersten Seite der „Deutschen Ver-
kehrs-Zeitung“ und ist so der Öffentlichkeit mitgeteilt
worden.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wer hat das gesagt?)


– Es kam, wie es heißt, aus Fraktionskreisen.

(Lachen bei der CDU/CSU – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen!)


Sie können es klarstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,

es gehört auch zum Ritual, dass Sie den Rückgang der
Fertigstellungszahlen beklagen. Sie übersehen dabei
schlicht und einfach, dass die Baugenehmigungen und
Fertigstellungen von der Nachfrage abhängen. Die Nach-
frage ist nach Anfang der 90er-Jahre deutlich zurückge-
gangen. In weiten Teilen gibt es einen gesättigten Woh-
nungsmarkt und nur in einigen Ballungszentren gibt es
noch Wohnungsnachfrage. Dort ist die Zahl der Bauge-
nehmigungen und Fertigstellungen dementsprechend
deutlich höher.

Wenn ich das letzte Jahr betrachte, stelle ich fest, dass
die Mieten, inklusive der Mietnebenkosten, um 1,4 Pro-
zent gestiegen sind. Ich glaube, das ist ein sehr günstiger
Wert.

Ich möchte auf eine weitere Zahl eingehen, die in der
öffentlichen Debatte selten eine Rolle spielt. 1998 betrug
die Zahl der Wohnungslosen in unserem Land 680 000.
Sie ist auf deutlich unter 500 000 zurückgegangen. Ich
glaube, wir stimmen alle miteinander überein, dass das
eine sehr erfreuliche Entwicklung ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Die Durchführungsverordnung zu § 72 BSHG, für die
Sie, Herr Dr. Kansy – ich spreche Sie noch einmal ganz
persönlich an; Sie werden heute verabschiedet – und
natürlich auch andere, sich immer sehr stark eingesetzt
haben, mag dabei eine große Rolle gespielt haben.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Nein, Frau Iwersen hat sich auch dafür eingesetzt und wird auch eine Abschiedsrede halten!)


Die Union schlägt natürlich wieder neue steuerliche
Subventionen vor. Das heißt, so neu sind sie gar nicht. Sie
kommen in Ihrem Antrag wieder mit dem Vorkostenabzug,
obwohl Sie damals in Ihrem Petersberger Programm – ich




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hätte beinahe „Petersburger Schlittenfahrt“ gesagt – selbst
die Abschaffung dieses Vorkostenabzugs festgelegt ha-
ben. Sie kommen


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja, wenn man eine vernünftige Steuerreform macht, geht das auch!)


mit der Abschaffung der Verlängerung der Spekulations-
frist und der Abschaffung der Absenkung der AfA, ob-
wohl Sie 1996 selbst die Weichen dafür gestellt haben.
Auch bei der Eigenheimzulage wollen Sie natürlich Ver-
besserungen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Genau!)

Insgesamt – ich habe es durchgerechnet – fordern Sie

schlicht und einfach 2 Milliarden DM jährlich zusätzlich,
ohne irgendeinen Hinweis zu geben, wie das finanziert
werden könnte.


(Dieter Maaß [Herne] [SPD]: Durch eine Steuerreform natürlich!)


Bestenfalls taucht irgendwann das schöne Wort „um-
schichten“ auf. Sie sagen immer nur, wohin Sie schichten,
Sie sagen aber nie, wo Sie es wegnehmen wollen. Hier
werden wir in den kommenden Monaten sicherlich kräf-
tig nachhaken bzw. nachfragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Ihr Entschließungsantrag zeigt, dass Sie auf eines ge-
radezu manisch fixiert sind, nämlich auf die Eigenheim-
zulage. Auch hierzu will ich Ihnen schlicht und einfach
die Zahlen nennen. 1998 haben wir in diesem Bereich ins-
gesamt 7 Milliarden DM und im Jahre 2001 15,7 Milliar-
den DM ausgegeben.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das war doch unser gemeinsames Gesetz! Das musste doch aufwachsen!)


Es ist richtig, zu sagen, dass die Eigenheimzulage allein
durch diese Verdopplung des finanziellen Volumens bei
uns einen sehr hohen Stellenwert hat. Eines noch als An-
merkung: 50 Prozent fließen in den Bestandserwerb und
50 Prozent in den Neubau.


(Beifall des Abg. Dieter Maaß [Herne] [SPD])

Sie werfen uns in Ihrem Entschließungsantrag vor, wir

seien diejenigen, die die Bauwilligen verunsichern. Sie
setzen noch einen obendrauf. Sie werfen der Bauminis-
terkonferenz vor, dass sie eine Wirkungsanalyse in Auftrag
gegeben hat, obwohl Ihre eigenen Länder, die B-Länder
– Bayern allen voran –, maßgeblich daran beteiligt waren,
diese Wirkungsanalyse auf den Weg zu bringen, die gegen
Ende dieses Jahres vorliegen wird. Herr Beckstein ist also
offensichtlich mitschuldig und muss dafür mithaften, dass
die Zahl der Eigenheime rückläufig ist.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das sollten Sie sich noch einmal überlegen!)


Wollen Sie eigentlich nicht wissen, ob das Geld effek-
tiv und bedarfsgerecht ausgegeben wird? Sie wollen hier

eine Denkblockade verhängen. Von daher ist dieser Vor-
wurf geradezu lächerlich. Einer Ihrer eigenen Leute, Herr
de Maizière, Minister der CDU, nicht der SPD, in Sach-
sen, hat auf einem Kongress des GdW an der Förderung
der Eigenheimzulage genau das Verhältnis von Bestand
und Neubau kritisiert.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Er hat auch das Wohngeld kritisiert!)


Der geheime Eichkater der Wohnungs- und Städtebau-
politik, Herr Nooke, hat dazu ebenfalls seinen Senf abge-
geben. Bleiben Sie also ganz ruhig. Ich glaube, Sie bauen
einen Popanz auf. Denkverbote wird es für uns nicht ge-
ben. Selbstverständlich sagen wir Ja zur Eigenheimzu-
lage. Wir haben das Gesetz damals gemeinsam auf den
Weg gebracht. Aber es kann nicht sein, die Effektivität
dieses Instruments zu überprüfen, ohne dann möglicher-
weise Konsequenzen zu ziehen.

Ebenfalls einen Popanz wollen Sie beim Thema einer
höheren Erbschaft- und Grundsteuer aufbauen. Sie
wissen ganz genau, dass die Bewertungsregeln für Immo-
bilien bis 2006 verlängert worden sind.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Durch uns!)

Sie selbst und Ihre Länder haben Vorschläge zur Reform
der Grundsteuer gemacht. Das finden wir richtig so, weil
die Reform der Grundsteuer in dem Programm der nächs-
ten vier Jahre steht.

Eines muss man Ihnen offensichtlich immer wieder sa-
gen: Die Initiative zur Veränderung – es muss etwas ver-
ändert werden – muss von den Ländern ausgehen. Auch
hier, Herr Dr. Kansy und liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition, bitte keine Denkverbote! Ich glaube,
darüber werden wir in der kommenden Legislaturperiode
sehr sachlich und sehr vernünftig reden können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Drei Ziele haben wir uns für die kommende Legisla-
turperiode gesteckt:

Erstens. Wir müssen die Neuorientierung in der Städte-
bau- und Wohnungspolitik konsequent weiterführen, Ant-
worten auf die Stadtflucht suchen, die unsere Städte nach
wie vor bedroht, Lösungen für das Problem der Zersied-
lung und für die ganz unterschiedlichen regionalen Ent-
wicklungen finden. Vergleichen Sie nur Frankfurt an der
Oder mit Frankfurt am Main. Das können wir so nicht
weiter hinnehmen. Auch deswegen gehören alle Förder-
instrumente auf den Prüfstand, um sie treffsicherer zu ge-
stalten. Wir brauchen eine Antwort auf das Ausbluten der
Innenstädte. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die City-
21-Initiative unseres Ministeriums. Das ist der richtige
Ansatz; das ist der richtige Weg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Wir brauchen eine Reform des Baupla-
nungsrechts.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!)





Wolfgang Spanier
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Dabei sind sicherlich neue wichtige Aspekte hinzugekom-
men, die die Novellierung notwendig machen. In diesem
Zusammenhang sehe ich auch – das habe ich schon ange-
sprochen – die dringend notwendige Reform der Grund-
steuer.

Drittens. Wohnen zur Miete, Wohnen im Eigentum und
das genossenschaftliche Wohnen sind für uns gleichwertig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Gemacht haben Sie in dieser Legislaturperiode nichts! – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Die Worte höre ich wohl!)


Deshalb haben wir das Mietrecht novelliert und das
Wohngeld erhöht. Ich sage frank und frei: Es kann nicht
noch einmal zehn Jahre dauern, bis wir die nächste Wohn-
geldanhebung in diesem Hause beschließen. Dass wir mit
der letzten so lange gewartet haben, war, glaube ich, ein
schwerer Fehler und hat viele kleine Leute ganz entschei-
dend benachteiligt.

Die Eigentumsförderung bleibt selbstverständlich er-
halten. Aber auch sie gehört – hier gibt es kein Denkver-
bot – auf den Prüfstand. Wenn die Wirkungsanalyse vor-
liegt, werden wir die Gestaltung dieses Instruments
gemeinsam mit den Bundesländern anpacken, gleich wie
die Mehrheitshältnisse im Bundesrat sind.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann wollen Sie sie erhöhen!)


Ein Letztes, was mir persönlich ganz besonders am
Herzen liegt: Ich glaube, dass das genossenschaftliche
Wohnen keine Traditionsform ist. Nach meiner Einschät-
zung ist das genossenschaftliche Wohnen in ganz beson-
derer Weise zukunftsweisend.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ehrlich?)

Unter Berücksichtigung all dessen, was in der Diskussion
über die Zivilgesellschaft über das Wohnen gesagt wor-
den ist, hat das genossenschaftliche Wohnen einen hohen
Stellenwert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb werden wir – das ist das dritte Ziel – in der kom-
menden Legislaturperiode unter Einbeziehung dessen,
was in der entsprechenden Fachkommission vorbereitet
wird und was wir bereits auf Kongressen vorbereitet haben
– wir haben ja gemerkt, dass daran nicht nur bei den Woh-
nungsgenossenschaften ein großes Interesse besteht –, die
Grundlagen für eine Renaissance des genossenschaftli-
chen Wohnungswesens in unserem Land legen.

Ich bedanke mich ausdrücklich für die Zusammenar-
beit. Natürlich gab es Differenzen und sind scharfe Worte
gefallen. Das gehört selbstverständlich dazu. Schließlich
müssen nicht nur die Gemeinsamkeiten, sondern auch die
Unterschiede klar werden. Ich glaube, dafür werden auch
die nachfolgenden Redner sorgen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424210300
Nun hat das Wort der
Kollege Dr. Dietmar Kansy für die CDU/CSU-Fraktion.


Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU):
Rede ID: ID1424210400
Frau Präsiden-
tin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Zuerst vielen Dank, Herr Spanier. Die per-
sönliche Zusammenarbeit im Ausschuss war über viele
Jahre hinweg hervorragend. Ich teile Ihre Bewertung die-
ser Zusammenarbeit. Es wird Sie aber sicherlich nicht
wundern, dass ich der Bilanz, die Sie hinsichtlich der
Wohnungspolitik, die Sie in dieser Legislaturperiode ge-
macht haben, gezogen haben, nicht zustimmen kann. Ich
sehe das völlig anders.

Ich gehe in das Jahr 1998 zurück und frage: Wie stellte
sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt damals, als Sie
die Regierung übernommen haben, eigentlich dar? Damit
wir nicht in Wahlkampfatmosphäre Verdächtigungen aus-
sprechen, möchte ich einfach die Zahlen und die Sachver-
ständigen sprechen lassen, die am 24. April in der großen
Anhörung unseres Ausschusses ihre fachliche Bewertung
– wohlgemerkt nicht die Bewertung Ihrer Politik, verehr-
ter Herr Kollege Maaß – vorgetragen haben.

Zuerst die Zahlen: 1998 wurden in Deutschland
432 000 Wohnungen gebaut und 408 000 Baugenehmi-
gungen erteilt. Heute erwarten alle Fachleute, dass im
Jahr 2002 insgesamt 250 000 Wohnungen gebaut werden
und dass die Zahl der Baugenehmigungen bei 230 000 lie-
gen wird. Frau Kollegin, das ist weit unter der unbestrit-
tenen Ersatzbaurate. Ich bin nicht auf die Superzahlen aus
den 90er-Jahren fixiert, als – zu Recht – über 600 000
Wohnungen gebaut wurden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wer mehr modernisiert, muss weniger ersetzen!)


Die gleiche Entwicklung zeichnet sich auch im Bereich
des Eigenheimbaus ab. 1998 wurden 221 000 Eigen-
heime gebaut, während es dieses Jahr höchstens 170 000
sein werden. Bei dieser Gelegenheit darf man wohl auch
sagen – der Kollege Wiesehügel ist ja schließlich nicht nur
ein wortgewaltiger Gewerkschafter, sondern auch Abge-
ordneter –, dass in den letzten vier Jahren 200 000 Jobs auf
dem Bau durch Ihre Politik verloren gegangen sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP– Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das hat der Herr Spanier verschwiegen! Das hätte er sagen müssen!)


– Nein, es ist völlig richtig: Ich teile die Auffassung von
Herrn Spanier insoweit, dass Arbeitsplätze allein kein
Grund dafür sein können, um Geld zu investieren und
Wohnungen zu bauen.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aha!)


– Frau Eichstädt-Bohlig, Sie brauchen gar nicht „Aha“ zu
sagen. Ihre Argumente kennen wir ja: Über 1 Million
Wohnungen stehen in Deutschland leer;


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: In Ostdeutschland!)





Wolfgang Spanier

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die Bevölkerung geht zurück.

(Dieter Maaß [Herne] [SPD]: Ihr wollt doch keine Zuwanderung zulassen!)

Es ist wahr: In diesem Land stehen mehr als 1 Million

Wohnungen leer. In diesem Zusammenhang stellt sich für
diesen hoch verschuldeten Staat eine Frage. Das reicht
jetzt weit über unsere heutige Debatte hinaus, Herr Minis-
ter, wobei ich hoffe, dass Sie nicht mehr so lange Minis-
ter sind. Für die nächste Legislaturperiode müssen wir uns
fragen: Müssen wir 57 Jahre nach Kriegsende und Ver-
treibung und zwölf Jahre nach der deutschen Einheit noch
diese Milliardensummen in den Wohnungsbau stecken
und, wenn ja, muss der Bund das tun?

Es ist schon angesprochen worden, dass dies wahr-
scheinlich meine letzte Rede im Deutschen Bundestag ist,
zumindest als Abgeordneter. Ich habe fast 22 Jahre dem
Ausschuss für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
bzw. dem heutigen Ausschuss für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen angehört. Das erste Resümee, das ich heute,
insbesondere auch in Anbetracht der Sachverständigenan-
hörung, ziehen möchte, ist: Es ist dringender denn je, für
die Wohnungs- und zwischenzeitlich auch für die Städte-
baupolitik eine längerfristige Marktbeobachtung und Ge-
sellschaftsbeobachtung durchzuführen und vor allem eine
Verstetigung hineinzubringen, statt eine Politik des
Schweinezyklus zu betreiben, wie das in den letzten vier
Jahren passiert ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie beschwören die Tatsache, dass mehr als 1 Million

Wohnungen leer stehen.

(Wolfgang Spanier [SPD]: Das ist aber so!)


Wenn in Frankfurt/Oder Wohnungen leer stehen, dann
nutzt das denen, die in Frankfurt am Main eine Wohnung
suchen, nichts. Das ist das Problem.


(Dieter Maaß [Herne] [SPD]: Dann muss man eine andere Siedlungspolitik machen! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Wenn die Einwohnerzahl zurückgeht, dann – dieser
Zwischenruf ist richtig – geht noch längst nicht die Zahl
der Haushalte in diesem Land zurück. Wir werden in
ganzen Regionen Deutschlands noch dekadenlang einen
Anstieg der Zahl der Haushalte zu verzeichnen haben.
Deswegen ist das Motto „Ruhige Hand im Wohnungsbau“
falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In den neuen Bundesländern – auch das ist angesprochen

worden – gibt es einen dramatischen Wohnungsleerstand,
aus unterschiedlichen Gründen; die interpretiert jeder natür-
lich nach seiner Façon.Viele Wohnungsunternehmen sind
zwischenzeitlich am Rande der Existenzgefährdung. Es
wird auch städtebauliche Auswirkungen haben, wenn wir
so weitermachen; da teile ich Ihre Bewertung, Herr Kol-
lege Spanier. Wir sind hier – wir gemeinsam, Bund, Län-
der, Union, SPD und die anderen Parteien – auf dem rich-
tigen Weg. Aber gehen Sie einmal in die neuen Länder!
Wir tun das ja: Wir ziehen von Kongress zu Kongress. Da
sind noch viele Probleme zu lösen. Wenn sie nicht gelöst
werden, wird einiges schiefgehen.

Ich nenne zum Beispiel die Grunderwerbsteuer. Ich
weiß: Das ist Länderzuständigkeit, aber es bedarf der Zu-
stimmung des Bundes. Die Grunderwerbsteuer behindert
oft die dringend notwendige Fusion von Unternehmen.
Ungelöst!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Der Altschuldenerlass müsste eigentlich für alle Woh-
nungen gelten, die leer stehen; denn sonst kriegen viele
Unternehmen die Kurve nicht.

Das KfW-Programm, Herr Minister, läuft nicht so, wie
wir alle uns das vorgestellt haben.

In den einzelnen Ländern gibt es sagenhafte Miet- und
Belegungsbindungen, die eine vernünftige Reformpolitik
in diesen Städten unmöglich machen.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Die Möglichkeit der Verwertungskündigung bei Bestän-
den mit nur noch wenigen Mietern, die verhindern, dass
da eine städtebauliche Bereinigung stattfindet, hätten wir
im Mietrecht verankern müssen. Da haben Sie sich ver-
weigert.

Kurzum: Die Probleme – das muss einfach einmal fest-
gestellt werden – entwickeln sich trotz dieses Programms
zurzeit schneller, als die Lösungen greifen.

Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von bei-
den Regierungsparteien: Welche Bilanz müssen wir nach
Ihren vier Jahren denn nun tatsächlich ziehen? – Nicht die
geschönte Bilanz vom liebenswerten Kollegen Spanier!


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die war nicht geschönt! Keine falschen Behauptungen! – Zurufe von der SPD)


– Moment! – Jetzt kommt die Bilanz des auch liebens-
werten Kollegen Dietmar Kansy:

Wohngeldnovelle – okay. Warum okay? – Weil wir
den von Ihnen im Bundestag gefassten Beschluss, durch
den die Länder und Gemeinden mit 2,5 Milliarden zur
Kasse gebeten worden wären, im Bundesrat zunichte ge-
macht haben.


(Zuruf des Parl. Staatssekretärs Karl Diller [SPD])


– Natürlich! Das war der Gesetzentwurf! Das war ein wei-
terer Anschlag auf die Kommunen, die wegen der Belas-
tungen durch den Bund ohnehin nicht vor und zurück wis-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Erneuter Zuruf des Parl. Staatssekretärs Karl Diller [SPD])


– Eigentlich, Herr Staatssekretär, ist die Häufung der Zwi-
schenrufe von der Regierungsbank ungewöhnlich.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Die sind verboten!)


– Nein, sie ist eigentlich ungewöhnlich. Aber es sei Ihnen
konzediert. Wir haben schließlich viele Jahre zusammen-
gearbeitet.




Dr.-Ing. Dietmar Kansy
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Das Programm „Die soziale Stadt“ – dort sitzt der
letzte Bauminister; er sollte mir zuhören, wenn ich ihn an-
spreche, aber er hört nicht zu – ist nämlich schon unter der
alten Bundesregierung in der ARGEBAU angestoßen und
umgesetzt worden. Wir unterstützen das Programm voll.
Es ist auch jahrelang vorbereitet worden. Das ist völlig
richtig; ich sage auch nichts dagegen. Wir von der
CDU/CSU-Fraktion haben auch immer die Reform des
sozialen Wohnungsbaus begrüßt. Wir hatten aber in Teil-
bereichen eine andere Meinung und haben Ihnen schon
damals gesagt: Wer so viele Hoffnungen in diese Gesetz-
gebung setzt, muss wenigstens andeutungsweise eine ent-
sprechende Dotierung vorsehen. Die von Ihnen vorge-
nommene Dotierung aber ist eine Luftnummer.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen komme ich nun tatsächlich – wie Sie es schon
vorhergesehen haben – auf das Thema eines selbstständi-
gen Bauministeriums sowie auf die Folgen zu sprechen,
die sich daraus ergeben, dass es ein solches Ministerium
nicht mehr gibt.

Erst kam es zur Abschaffung des Ministeriums, dann
zur Verschlechterung der steuerlichen Rahmenbedingun-
gen im Wohnungsbau. Dann folgten die Reform des Miet-
rechts zulasten der Investitionen im Wohnungsbau, die
mehrmalige Verschlechterung der Eigenheimzulage,


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die mehrmalige Verschlechterung der Eigenheimzulage?)


eine radikale Kürzung der Mittel im sozialen Wohnungs-
bau auf ein Drittel des Ansatzes und die verunsichernde
Diskussion über die Vermögen- und Erbschaftsteuer, die
die Bürgerinnen und Bürger davon abgehalten hat, noch
in den Wohnungsbau zu investieren, und die De-facto-
Ausklammerung der Wohnung in der Riester-Rente, die
der Minister als sehr gute Lösung bezeichnet hat. Und Sie
wundern sich, warum nur noch halb so viele Wohnungen
gebaut werden wie in unserer Regierungszeit! – Wir wun-
dern uns nicht, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das brauchen Sie nicht! – Gabriele Iwersen [SPD]: Sie haben doch schon eine Zweitwohnung, Herr Dr. Kansy!)


Übrigens ist der Wohnungsmarkt 1987 das letzte Mal
so stark eingebrochen, Herr Bauminister. Bedauerlicher-
weise musste der damalige Bauminister kurzfristig gehen
und es wurde eine neue Ministerin ernannt. Mehr möchte
ich dazu nicht sagen.


(Zuruf von der SPD: Das reicht auch!)

Wenn bei den öffentlichen Finanzen – ich gehe dabei

nicht von Eichels Zusagen gegenüber Brüssel aus, sonst
könnten wir unsere Arbeit im Bundestag gleich einstel-
len – in Zukunft der Gürtel noch enger geschnallt werden
muss, ist es zulässig – ich unterstreiche alle Zwischenrufe
in dieser Richtung –, über die staatliche Dotierung des
Wohnungs- und Städtebaus zu diskutieren. Wenn wir aber
nicht über zusätzliche Mittel verfügen, brauchen wir drin-
gender denn je eine steuernde Hand. Dann brauchen wir
eine Wohnungspolitik des Bundes, die alles mit einbezieht,

was ohne zusätzliche staatliche Mittel getan werden kann,
damit in diesem Land wieder Wohnungen gebaut werden.


(Zuruf von der SPD: So wie in den vergangenen vier Jahren!)


Das zweite Ergebnis der Anhörung war: Die unmiss-
verständliche vorherrschende Meinung der Experten war,
dass es ein großer Fehler war, die beim Bund liegenden
Kompetenzen – solange es diese Kompetenzen gibt; er hat
sie schließlich nicht abgegeben – nicht in einem selbst-
ständigen Ministerium zu bündeln.

Hinter dem Begriff „gut informierte Kreise“ kann sich
alles verbergen, Herr Kollege Spanier. Die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion und insbesondere Dietmar Kansy ver-
treten die Meinung: Solange es hinsichtlich der Aufga-
benteilung in Deutschland keine Bereinigung gibt,
brauchen wir auf Bundesebene ein Bauministerium.


(Zuruf von der SPD: Sie sind ja nicht mehr da!)


Aber die steuernde Hand, von der ich sprach, gibt es nicht
mehr.

Herr Spanier, Sie haben zu Recht gesagt – ich habe Ih-
nen auch Beifall geklatscht; hoffentlich ist das im Proto-
koll vermerkt –, dass wir uns als Parlament fragen müs-
sen, ob wir nicht einen Fehler gemacht haben, dass wir,
wenn wir schon nicht die Abschaffung des Ministeriums
verhindern konnten – das sage ich aus der Sicht der Op-
position –, nicht zumindest den Wohnungs- und Städte-
bauausschuss behalten haben. Wir sollten uns, wer auch
immer die nächste Regierung bildet, vornehmen, zu ver-
suchen, wenigstens diesen Ausschuss wieder einzurich-
ten. Ich meine, wenn wir das gemeinsam machen, kom-
men wir schon ein Stück weiter.

Steuergesetze werden nun einmal im Finanzministe-
rium und im Finanzausschuss entworfen. Sie betreffen
den Wohnungsbau elementar. Das Mietrecht entsteht im
Justizministerium und im Rechtsausschuss. Das betrifft
uns unmittelbar. Die Riester-Rente und die Frage der Ein-
beziehung des Wohnens wird im Arbeitsministerium und
im Arbeitsausschuss behandelt. Auch das betrifft uns un-
mittelbar. An der Eigenheimzulage wird im Finanzminis-
terium und im Finanzausschuss gearbeitet. Die Kette
könnte fortgesetzt werden: Wohngeld wieder bei uns,
HOAI im Wirtschaftsministerium.

Wenn es, Frau Eichstädt-Bohlig, keine ordnende Hand
gibt


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ist immer so gewesen!)


und wenn es keinen Bauminister gibt – wir hatten ja schon
drei in dieser Legislaturperiode, die sich zwar so nannten,
aber selbst in der Öffentlichkeit nur noch als Verkehrsmi-
nister bezeichnet wurden; das wundert keinen, der Ihre
Baupolitik kennt –,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


der diese Sachen zusammenführt und notfalls einmal mit
der Faust auf den Kabinettstisch haut, damit selbst dann,




Dr.-Ing. Dietmar Kansy

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wenn kein Geld da ist, eine vernünftige Wohnungs- und
Städtebaupolitik gemacht wird, können wir uns als Bund
von dieser Aufgabe verabschieden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zur Bildung von Wohneigentumwill ich nichts sagen,

weil dazu der Kollege Dr. Meister einiges für unsere Frak-
tion sagen wird. Unsere Aussagen für die Zukunft wird
gleich der Kollege Oswald tätigen. Eines sage ich Ihnen
aber noch, Frau Eichstädt-Bohlig – der Frosch, den ich
jetzt im Hals habe, ist kein grüner Frosch –: Ihnen wird es
nicht gelingen – ich freue mich, dass fast alle Wohnungs-
und Bauverbände, die kirchlichen Siedlungswerke und
der Familienbund Seite an Seite mit der CDU/CSU ste-
hen –, mit allen möglichen Tricks und Vorbehalten die
Taktik durchzuhalten, die Frage der Eigentumsbildung
insbesondere durch Neubau vor der Wahl aus der Diskus-
sion zu lassen. Den Zahn der Hoffnung, da nach dem
Wahltag abkassieren zu können, will ich Ihnen auf zwei-
fache Weise ziehen: Erstens werden Sie die Öffentlichkeit
in dieser Frage nicht vereinnahmen können und zweitens
werden Sie nach der Wahl keine Gestaltungsmöglichkeit
mehr haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Spanier [SPD]: De Maizière und Nooke!)


Meine Damen und Herren, die CDU/CSU unterstützt
die „Initiative Architektur und Baukultur“ in Deutsch-
land. Das erste Jahr, Herr Minister, war ermutigend. Es
kann aber bestenfalls der Anfang sein. Wenn man unter
Baukultur mehr versteht als die Herstellung von bebauter
Umwelt, also beispielsweise auch den Umgang mit dieser
Umwelt, dann darf es hier nicht nur um Planen und Bauen
gehen, sondern beispielsweise auch um Qualitätssiche-
rung und Instandhaltung. Das beschränkt sich dann nicht
nur auf Architektur, sondern muss alle Ingenieurbereiche
umfassen: also auch die Stadt- und Regionalplanung. Sie
haben hier keineswegs schon den Durchbruch geschafft.

Zum Abschluss möchte ich als Vorsitzender der Bau-
kommission, der ich im Parlament auch viele Jahre gewe-
sen bin, an folgende Sache erinnern: Man muss sich ein-
mal vorstellen, dass der Bundesrechnungshof kritisiert
hat, Frau Kollegin Iwersen, dass wir für den Umbau des
Reichstagsgebäudes einen Wettbewerb ausgeschrieben
haben. Das ist eine Anmaßung der dortigen Damen und
Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der frühere Kollege Peter Conradi hat zu Recht von
Rechnungshofarchitektur gesprochen; das ist auf jeden
Fall alles andere als Baukultur, wenn wir in diesem Lande
nach diesen Maßstäben verfahren. Ebenso wenig ist es ein
Weg zu mehr Baukultur, wenn ein junger Stadtbaurat, der
den Mut hat, ein Angebot eines Unternehmers, der unter
drittem Namen nach zwei Pleiten wieder mit einem neuen
Angebot auftaucht, das auf dem Papier in Ordnung ist, ab-
zulehnen, weil so nichts Nachhaltiges geschaffen werden
kann, dafür vom Bund der Steuerzahler in die Pfanne ge-
hauen wird. So praktisch stellt sich die Frage Baukultur in
dieser Gesellschaft dar.

Diese Punkte werden Sie im Ausschuss mit Ausnahme
von uns wenigen, die ausscheiden, in der nächsten Legis-
laturperiode gestalten können. Ich wünsche Ihnen viel
Glück dabei.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424210500
Herr Kollege Kansy,
ich spreche Ihnen im Namen des ganzen Hauses unseren
Dank für Ihr Engagement aus und wünsche Ihnen alles
Gute für den neuen Lebensabschnitt. Herzlichen Dank!


(Beifall im ganzen Hause)

Nun hat das Wort die Kollegin Franziska Eichstädt-

Bohlig für Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Ganz besonders spreche ich Sie, liebe Kollegin
Gabriele Iwersen und lieber Kollege Kansy, an. Ich finde
es schon ein wenig schade, dass Sie ausscheiden. Wenn
man einmal von den Hahnenkämpfen hier im Plenum ab-
sieht, sind die Gemeinsamkeiten in der Baupolitik eigent-
lich sehr groß.

Allerdings hatte ich eben das Gefühl, dass Sie mehr
eine Bewerbungsrede gehalten haben, um in Stoibers
Schattenriege aufgenommen zu werden, als ernst zu neh-
mende Kritik an der Baupolitik von Rot-Grün geübt ha-
ben.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das hat er bisher noch nicht gemerkt! Vielen Dank, Frau Kollegin!)


Die Fachleute müssen prüfen, ob das wirklich sinnvoll ist
oder ob die Baupolitik nicht doch lieber in rot-grünen
Händen bleiben sollte. Ich glaube, Sie haben mit Ihrer
Rede fast dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit von Letz-
terem eigentlich sehr viel eher überzeugt wird.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie ehrlich sind, dann müssen Sie zugeben: Sie
sind neidisch, dass wir es geschafft haben, die Reform von
Wohngeld, sozialem Wohnungsbau sowie Mietrecht
durchzuführen und dass wir das zukunftsweisende Pro-
gramm „Die soziale Stadt“ ins Leben gerufen haben. Da
Sie darauf verwiesen haben, dass sich die ARGEBAU um
dieses Programm schon lange bemüht hat, sage ich Ihnen:
Auch Sie hätten dafür sorgen können, dass diese Angele-
genheit endlich unter Dach und Fach ist.

Darüber hinaus verweise ich auf den Stadtumbau Ost
– auch das haben wir auf den Weg gebracht –, auf die Ener-
giesparverordnung und auf ein umfassendes Altbausanie-
rungsprogramm. Es ist wirklich eine riesige Leistung, ein
so umfangreiches bau- und wohnungspolitisches Pro-
gramm aufzulegen, das soziale Gerechtigkeit und ökolo-
gische Innovation voranbringt. Diese Leistung lassen wir
uns von niemandem mies machen. Wenn Sie ehrlich sind,




Dr.-Ing. Dietmar Kansy
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(C)



(D)



(A)



(B)


dann müssen Sie mir zustimmen: Eigentlich können Sie
uns dieses Programm gar nicht mies machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich bedanke mich bei dem Ministerium, bei Minister
Bodewig, bei Staatssekretär Großmann. Ich bedanke mich
bei den Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion,
bei Iris Gleicke – sie ist heute nicht da –, bei Wolfgang
Spanier, beim Kollegen Weis, bei Gabriele Iwersen, dafür,
dass wir wirklich so gut und so konstruktiv zusammenge-
arbeitet haben. Ich finde, wir waren ein tolles Team und,
wie gesagt, manchmal für die Opposition unausstehlich.
Aus meiner Sicht drückt sich darin ein Stück Qualität aus.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich bedanke mich aber auch bei der Opposition, bei Ih-
nen, Kollege Kansy, bei der heute fehlenden Kollegin
Ostrowski und beim Kollegen Goldmann, für die Opposi-
tionsarbeit. Manchmal haben Sie durch Ihr Drängen be-
wirkt, dass wir vorankamen. Das hat unserer Politik gut
getan.

Ihre inhaltlichen Konzepte sind aber bis zur Stunde
nicht die besseren; deswegen möchte ich ein deutliches
Wort zur Sache sagen: Kollege Kansy und Kollege
Goldmann, es tut mir Leid, sagen zu müssen, dass Sie ei-
gentlich noch immer das Bild der Baupolitik der
80er-Jahre im Kopf haben. Erstens nehmen Sie den Be-
völkerungsrückgang nicht ernst, zweitens ignorieren Sie,
dass die Wohnungsmärkte in weiten Teilen Deutschlands
inzwischen ausgeglichen sind.

Aus Gründen der Marktentwicklung können wir nicht
einfach wieder Wohnungsüberschüsse produzieren – da-
rauf hat der Kollege Spanier eben schon hingewiesen –,
sondern wir müssen uns die verschiedenen regionalen
Märkte sehr ernsthaft, sehr differenziert anschauen. Ich
bitte Sie, den Unterschied zwischen Frankfurt/Oder und
Frankfurt/Main oder zwischen München und Berlin end-
lich ernst zu nehmen. Das ist mir so wichtig, weil wir die
Immobilien derjenigen Bürger entwerten, die bis heute in
Immobilien investiert haben – egal ob in Eigenheime oder
in Mietwohnungen –, wenn wir die Bauwirtschaft so sti-
mulieren, dass es zu einem Überangebot an Wohnungen
kommt. Eine Politik, die dazu beiträgt, dass durch Woh-
nungsüberschüsse die Objekte, die bereits bestehen, ge-
nutzt werden, finanziert sind und sich refinanzieren müs-
sen, entwertet werden, wäre unverantwortlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich fordere Sie deshalb auf, keine Wohnungsüber-

schusspolitik zu machen. Sie forcieren eine Politik – die-
ses Problem kommt hinzu –, deren Maxime lautet: Eigen-
heimbau, Eigenheimbau, Eigenheimbau. Mit einer
steigenden Anzahl an Eigenheimen ist nicht nur das öko-
logische Problem der Zersiedelung verbunden – darauf
will ich heute gar nicht eingehen, obwohl mir als Grüne
das besonders am Herzen liegt –, sondern auch das Pro-
blem einer immer größeren sozialen und ökonomischen
Schwächung der Städte.

Ich bitte Sie, endlich zur Kenntnis zu nehmen, dass
man nicht einfach immer nur „Mehr Markt, mehr

Markt, mehr Wohnungen, mehr Wohnungen“ rufen kann
– Sie haben das eben wieder in einer perfekten Form ge-
macht –; vielmehr müssen wir sehen, dass die von Ihnen
angestrebte Politik zum sozialen Auseinanderdriften der
Städte führt, weil die Schicht der Besserverdienenden und
insbesondere die Familien mit Kindern ins Umland ab-
wandern, während in den Städten, vor allem in den alten
Arbeitervierteln, die sozialen Probleme zurückbleiben.

Sosehr wir uns für das Programm „Die soziale Stadt“
auch engagiert haben: Durch das Programm „Die soziale
Stadt“ kann nicht all das aufgefangen werden, was pas-
sieren wird, wenn immer nur die Zersiedelung gefördert
wird, so wie Sie es gerne wollen. Auch heute haben Sie
entsprechende Pläne wieder dargestellt. Ihr Antrag propa-
giert diesen Ansatz ebenfalls.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich auch ein Wort zur Bauwirtschaft sa-
gen. Sie haben darauf hingewiesen, dass die Bauwirt-
schaft von der Zahl der Baugenehmigungen und von der
Ersatzbaurate abhängt. Das stimmt nicht. Wenn man mehr
in den Wohnungsbestand investiert – wir alle haben un-
sere verschiedenen Instrumente dahin gehend orientiert –,
dann braucht man nicht so viele Ersatzwohnungsneubau-
ten; vielmehr qualifiziert und fördert man dadurch die Ge-
bäude und die Wohnungen derjenigen, die bereits eine Im-
mobilie besitzen, also Immobilieneigentümer sind.
Gegenüber diesen Menschen handelt man dann verant-
wortlich.

Es ist eine solide und richtige Politik, dass wir die Ei-
gentümer nicht unnötig einer Konkurrenzsituation ausset-
zen, sondern dass wir nur an den Orten den Neubau för-
dern, an denen er gebraucht wird. An den anderen Orten
müssen wir sehr viel vorsichtiger agieren und unser Vor-
gehen am Bestand ausrichten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das hilft der Umwelt, den Städten sowie der Bauwirt-
schaft und trägt außerdem dazu bei, den sozialen Zusam-
menhalt zu fördern. Ich möchte nach wie vor bei Ihnen
dafür werben – ich habe es vier Jahre lang vergeblich ge-
tan –, endlich die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen.

Lassen Sie mich jetzt ein paar ernste Worte zu den Auf-
gaben sagen, die als Nächstes auf uns zukommen. Wir ha-
ben zwar sehr viel geschafft, aber wir haben noch sehr viel
vor. Rot-Grün wird diese Ziele in der nächsten Legis-
laturperiode angehen – selbstbewusst und in Zusammen-
arbeit mit den Kommunen, Ländern und der Wohnungs-
wirtschaft.

Wir müssen die demographischen und sozialen Verän-
derungen, aber auch die neuen Lebensweisen und Formen
des Zusammenlebens, die sich in unserer Gesellschaft ab-
zeichnen, endlich ernst nehmen. Zum einen gibt es einen
Bevölkerungsrückgang. Die Einwohnerzahl wird von
82 Millionen auf 70 Millionen im Jahr 2050 sinken, ge-
gebenenfalls sogar noch darunter. Einige Prognosen sa-
gen sogar eine Einwohnerzahl von 60 Millionen voraus.
Das ist eine dramatische Entwicklung.




Franziska Eichstädt-Bohlig

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Zum anderen gibt es noch den traditionellen Kleinfa-
milienhaushalt, auf den der Wohnungsbau, die städtische
Infrastruktur und die von den Konservativen gewünschte
Bauförderung noch immer ausgerichtet ist, der sich aber
verändert hat und der sich noch weiterhin verändern wird.
Wir haben längst eine individualisierte und sehr differen-
zierte Gesellschaft, die ganz unterschiedliche Wohn-
und Lebensformen hervorbringt. Darauf müssen wir die
Politik ausrichten.

Wir müssen vor allem Tatsachen wie die Überalterung
der Gesellschaft, die Kinderlosigkeit, das räumliche Aus-
einanderdriften wie das Wegziehen der Familien mit Kin-
dern in das Umland und auch den Aspekt der alters-
homogenen Siedlung berücksichtigen. All diesen Themen
müssen wir uns stellen. Wir werden uns ihnen insbeson-
dere mit dem Ziel stellen, die Bedeutung der Städte und
des vorhandenen Siedlungsbestandes zu stärken. Das
heißt aber nicht, dass wir gegen den Neubau sind. Wir sind
jedoch der Meinung, dass der Neubau überwiegend in
Verbindung mit der Erhaltung des Siedlungsbestandes,
mit der Sanierung von vorhandenen Wohnungsbeständen
und mit dem Ausbau der vorhandenen Infrastruktur erfol-
gen sollte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist unser wesentliches Ziel. Wir werben daher
dafür, dass sich die Städte, aber auch die Wohnungs- und
Immobilienwirtschaft sowie die Bausparkassen bis hin zu
den Architekten daran aktiv beteiligen. Alle sind aufge-
fordert, an der Umsetzung des Leitbildes „Wohnen in den
Städten“ konstruktiv mitzuwirken, damit wir den sozialen
Zusammenhalt in unseren Städten und in unserer Gesell-
schaft nicht gefährden.

Wir werben mit großem Nachdruck für eine kinder-
und familienfreundliche Stadt, aber gleichzeitig auch für
eine altersgerechte Stadt. Wir müssen nämlich damit rech-
nen, dass im Jahre 2015 35 Prozent der Menschen in un-
serer Gesellschaft – in Ost wie in West – zu den Senioren
zählen, sprich: über 60 Jahre alt sind. Auch diese Tatsache
spricht ein wenig gegen das Bild, das Sie mit Ihrer Politik
propagieren.

Es besteht folgende Gefahr: Wenn wir die Weichen
jetzt nicht richtig stellen – in der Wohnungspolitik kann
man nicht in Vierjahresabschnitten denken; sie muss lang-
fristige Zyklen in den Blick nehmen –,


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Genau das ist Ihr Problem!)


dann kann die Gesellschaft für die Jahre 2015 bis 2050
nicht vernünftig planen, fördern und bauen. Wir wollen
nicht, dass im Jahre 2050 die Wohnungen, die wir jetzt
fördern, leer stehen.

Aufgrund Ihrer Politik besteht aber die Gefahr, dass die
Wohnungen schon im Jahre 2015 leer stehen. Wir haben im
Osten gesehen, wie schnell der Wechsel von Wohnungsbe-
darf und Wohnungsnot zu Wohnungsüberhängen erfol-
gen kann. Wir möchten nicht, dass heute der Bau und mor-
gen der Abriss gefördert wird. Es ist schon schlimm genug,
dass wir die Abrisse in Ostdeutschland fördern müssen. Wir

tun dies nicht zum Vergnügen, sondern weil wir wissen,
dass ohne diese Wohnungsmarktbereinigung die Grund-
lage für lebenswerte Städte nicht geschaffen werden kann.
Darum handeln wir auf diese Weise.

Wir wünschen dem Westen nicht – dafür werden wir
mit unserer Politik sorgen –, dass in einzelnen Städten
Verhältnisse eintreten, wie sie jetzt im Osten zu finden
sind. Das darf nicht sein. Deswegen bekämpfen wir die
politische Strategie,


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das hat doch überhaupt nichts miteinander zu tun!)


die Sie und auch die FDP so vehement propagieren.
Abschließend möchte ich noch auf das eingehen, was

bundespolitisch zu tun ist, aber zunächst noch Folgendes
anmerken: Es geht eben nicht nur darum, die eigentums-
orientierte Politik gegen die mieterorientierte Politik aus-
zuspielen. Das halten wir für völlig falsch, denn wir
wollen sowohl Mieter als auch Eigentümer im Sied-
lungsbestand und in gestärkten Städten und Sied-
lungsregionen haben. Wir sollten also nicht so tun, als
ginge es um die Rechtsform. Vielmehr geht es um die sich
verändernden Wohnansprüche, um differenzierte Le-
bensformen, aber vor allem auch um das Wohnumfeld,
um das soziale Milieu, um die Qualität von Schulen und
Kitas, um Sport, Spiel und Grün.

Wegen dieser Aufgaben sind die künftige Wohnungs-
politik und die Bauförderung nicht nur auf das Ziel aus-
zurichten, die Städte zu stärken. Vielmehr stellt sich die
Frage, wie es mit der Steuerpolitik und der Stärkung der
Gemeindefinanzen weitergeht. Von daher ist es für uns ein
ganz zentrales, entscheidendes Ziel, die Gemeindefinan-
zen wieder zu stabilisieren, damit die Gemeinden in In-
frastruktur, in Grün, in Sport- und Erholungsmöglichkei-
ten investieren können – für die Kinder, für die Familien,
für die Zukunft unserer Gesellschaft. Das ist unser politi-
sches Leitbild.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich noch etwas zur Förderung der
Wohneigentumsbildung sagen. Wir sind nicht gegen das
Wohneigentum. Ich habe eben bewusst gesagt: Wir wol-
len keine der beiden Formen gegeneinander ausspielen.
Wir sind aber dafür, dass auch die Eigentumsförderung
konstruktiv mit städtebaulichen, sozialen und ökologi-
schen Zielen verknüpft wird.

Wir sind dafür – an dieser Stelle gab es auch einige Dis-
sense in der Koalition –,


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: „Einige“ ist echt untertrieben!)


dass das Wohneigentum als wichtige Säule der Altersvor-
sorge gestärkt wird. Wir werden uns in der nächsten Le-
gislaturperiode aktiv dafür einsetzen, dass der Erwerb von
Wohneigentum weiter erleichtert wird. Ich sage es an die-
ser Stelle ganz deutlich: Wir meinen, die Eigenheimzu-
lage muss mit dem Ziel reformiert werden, die Wohnei-
gentumsförderung dort zu stärken, wo sie städtebaulich
wirklich sinnvoll und nötig ist. Mit ihr muss der Erwerb




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von Wohneigentum im Bestand und in den Städten mehr
als bisher unterstützt werden. Deshalb sind wir für zwei
Bausteine der Wohneigentumsförderung. Der erste be-
steht in der Stärkung der Bestandsförderung und der
zweite in einer regionalen Differenzierung, die wir für
nötig halten, um den regionalen Marktunterschieden bes-
ser gerecht zu werden.

Sie haben Recht: Wir haben es in dieser Legislaturpe-
riode nicht geschafft, die Förderung von Wohnungsge-
nossenschaften neu zu regeln. Aber wenn Sie unsere Bi-
lanz sehen und ernst nehmen, dann müssen Sie zugeben:
Wir haben wirklich viel auf den Weg gebracht. Aber wir
wollen in der nächsten Legislaturperiode natürlich auch
noch ein paar Aufgaben haben.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: 2018 können Sie weitermachen!)


– Nein, nach dem 22. September 2002 machen wir mit
Vergnügen weiter.

Wir werden die Wohnungsbaugenossenschaften weiter
fördern. Wir wollen sie auch im Rahmen der Eigenheim-
zulage weiter stärken, weil sie erstens eine sehr wichtige
Alternative zum individuellen Eigentum sind; denn ge-
nossenschaftliche Wohnungen stehen zwischen Mietwoh-
nung und Eigentumswohnung und sind insofern auch für
Haushalte mit kleinem Portemonnaie die geeignete
Wohnform. Zweitens sind sie sehr wichtige Akteure, um
Nachbarschaft und sozialen Zusammenhalt in den Stadt-
teilen und Siedlungen zu stärken. Daher haben wir ein be-
sonderes Interesse an genau dieser Wohn- und Rechts-
form.

Wir werden uns in der nächsten Legislaturperiode ver-
stärkt aber auch dem Thema Grundsteuer zuwenden. Die
Gemeindefinanzreform habe ich schon genannt. Wir glau-
ben, dass es im Steuerrecht nicht darum geht, mehr
Erleichterung und mehr Steuervorteile für den Wohnungs-
bau in der Annahme zu gewähren, dann werde wieder
mehr gebaut und die Welt sei wieder in Ordnung. So unge-
fähr lauten Ihre Anträge. Wir wollen vielmehr mit den In-
strumenten des Steuerrechts und der Gemeindefinanzre-
form die Städte und die bestehenden Siedlungsregionen
stärken und auch die Grundsteuer in diesem Sinne refor-
mieren, um der Entsolidarisierung und dem räumlichen
Auseinanderdriften nicht weiter Raum zu geben.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das heißt erhöhen!)


– Das heißt nicht, die Grundsteuer zu erhöhen; vielmehr
soll sie genau ausdifferenziert werden. Dafür gibt es das
Modell der Bodenwertsteuer. Die Diskussionen reichen
bis zu einer reinen Flächensteuer. Lassen Sie uns in der
nächsten Legislaturperiode differenziert über die sinn-
vollste Vorgehensweise diskutieren.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was heißt denn erhöhen?)


Aber wir werden das auch als Instrument nutzen, um die
Flächenpotenziale im Bestand, die Brachen, die wir seit
dem Freiwerden der großen Industriestätten, Militärstät-
ten, Infrastrukturstätten, zum Beispiel der Bahn und der
Post, haben, aktiv nutzbar zu machen. Ich hoffe, dass das
ebenfalls ein gemeinsames Ziel ist.

Ich komme zum Schluss. Ich möchte mich, weil die
Differenzen zwischen Opposition und Koalition außer-
halb des Plenums, wenn man ehrlich ist, so groß gar nicht
waren, bei allen ganz herzlich bedanken und insbesondere
Kollegin Gabriele Iwersen und dem Kollegen Kansy alles
Gute für die nächsten Jahre wünschen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424210600
Das Wort hat jetzt der
Kollege Hans-Michael Goldmann für die FDP-Fraktion.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1424210700
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich auf die
heutige Debatte gefreut, auch deshalb, weil sie Gelegen-
heit gibt, Dank für überwiegend gute Zusammenarbeit zu
sagen. Das gilt vor allem für den Kollegen Maaß, den ich
herausheben möchte; der „kleine Trompeter“ wird mir in
besonders guter Erinnerung bleiben.

Diese Debatte ist notwendig – auch deshalb habe ich
mich gefreut –, weil es Sinn macht, die Unterschiede he-
rauszuarbeiten, die zwischen Ihren wohnungspolitischen
Konzepten und denen einer liberalen Partei bestehen.

Ich will gleich als Erstes betonen, dass es für uns keine
Diskussion darüber gibt, welchen Stellenwert Eigentum
– ob als Eigenheim oder als Eigentumswohnung – hat.
Wir halten ganz entschieden daran fest, alle Wege zu ge-
hen, damit möglichst viele Menschen in Deutschland Ei-
gentum haben,


(Beifall bei der FDP)

damit sie sich in ihrem Eigentum wohl fühlen, damit sie
soziale Sicherheit haben


(Dieter Maaß [Herne] [SPD]: Genossenschaften!)


– auch mit der Genossenschaftsform bin ich einverstan-
den, Dieter Maaß – und damit dieses Eigentum von dem
Einzelnen genutzt werden kann, um dem Rechnung zu
tragen, was notwendig ist.

Frau Eichstädt-Bohlig, ich glaube, Sie haben vorhin ei-
nen falschen Schluss gezogen, als Sie sagten, mehr Markt
bedeute mehr Wohnungen. Es geht nicht um mehr Woh-
nungen, sondern um sachgerechte Wohnungen. Es geht
genau um das, was auch Sie ansprechen, aber was Sie so-
zusagen von oben überstülpen wollen: Es geht um die
Ausgestaltung unserer Innenstädte, damit sie den indivi-
duellen Bedürfnissen der Menschen genügen, deren So-
zialisation in unserer Gesellschaft sich deutlich verändert
hat. Wir haben wesentlich mehr Singles und wesentlich
mehr kleine Familien als früher. Es geht darum, den Markt
in die Freiheit zu entlassen, denn dann gestaltet sich die-
ser Markt aus.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Genau diese Freiheit haben Sie dem Markt ein Stück

genommen. Deswegen stehen Sie auch vor einigen Trüm-
mern im Bereich der Wohnungsbaupolitik.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vor Trümmern?)





Franziska Eichstädt-Bohlig

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Sie haben einen riesigen Verlust an Arbeitsplätzen, einen
Verlust an Gestaltungsmöglichkeiten und einen Einbruch
im Bereich der Eigentumsbildung. Das halten wir für
schlecht. Sie haben die Reformchancen verpasst, die In-
vestoren verschreckt und das Wohneigentum geschwächt.
Das ist ein Fazit Ihrer Arbeit und steht in krassem Wider-
spruch zu dem, was heute aus der Pressemitteilung des
Ministeriums hervorgeht, nämlich hier sei es zu mehr
Ordnung und Gerechtigkeit gekommen.

Nein, das ist nicht der Fall. Es gab erhebliche Ein-
griffe, die nachteilig waren. Ich will sie aufzählen: Die
Energieeinsparverordnung ist ein bürokratisches Mons-
trum. Die Reform des Mietrechts ist ein Gesetzeswerk der
Unausgewogenheit. Die Schritte der Liberalisierung im
sozialen Wohnungsbau sind viel zu schwach ausgeprägt.
Im Grunde genommen halten Sie an Regelungen fest, die
aus der Nachkriegszeit stammen. Ihre Wohngeldreform
ist in der Summe in Ordnung, aber sie hat einen ganz
großen Makel: Sie ist aus der Kürzung der Eigenheimför-
derung finanziert worden. Das ist keine gute Politik für
Menschen.

Die Riester-Rente ist in die Altersvorsorge der Men-
schen nicht so einbezogen, dass sie dadurch wirklich Vor-
teile hätten. Wir werden diesen Bereich aufgreifen und ihn
verändern müssen. Ich glaube, da sind wir uns einig.

Es wird relativ viel Geld für den Stadtumbau Ost in
Aussicht gestellt, aber das Ganze ist nicht koordiniert. Wir
stehen in den neuen Ländern bis jetzt vor riesigen Proble-
men. Sie haben beim Altschuldenhilfe-Gesetz dramati-
sche Fehler gemacht


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was? Wir haben Fehler gemacht? Die Fehler haben Sie gemacht!)


und wenn wir Anträge gestellt haben, die darauf abzielten,
der Wohnungswirtschaft aufzuhelfen, haben Sie diese ab-
gelehnt.


(Gabriele Iwersen [SPD]: Die waren auch dramatisch schlecht!)


– Nein, die waren nicht dramatisch schlecht. Die waren
besser als Ihre Vorschläge, Frau Iwersen, und kamen früh-
zeitiger. Wir haben zum Beispiel Anträge dazu gestellt,
wie man den Wohnungsbaugesellschaften oder Woh-
nungsbaugenossenschaften in den neuen Ländern bei Zu-
sammenkünften helfen kann.

Wir haben ein Programm mit Mitteln in Höhe von
1 Milliarde DM schon zu einem Zeitpunkt aufgelegt, an
dem Sie noch gar nicht an solche Programme gedacht
haben.


(Beifall bei der FDP)

Wir haben zum Altschuldenhilfe-Gesetz einen Vorschlag
gemacht, dem die Wohnungsbaugenossenschaften in den
neuen Ländern hinterhertrauern, weil er nicht umgesetzt
worden ist.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424210800
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Eichstädt-
Bohlig?


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1424210900
Nein, das tue ich
nicht.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weil Sie nicht hören wollen, was war!)


– Frau Eichstädt-Bohlig, wir haben uns vier Jahre lang da-
rüber ausgetauscht. Wir können das auch weiterhin tun.
Nun lassen Sie mich aber in Ruhe meine Sicht der Dinge
darlegen. Regen Sie sich nicht auf! Das ist doch sonst gar
nicht Ihre Art.

Ich möchte noch etwas zur Eigenheimförderung sa-
gen. Ich will es nicht dramatisieren, aber Sie auffordern,
Klarheit zu schaffen. Lieber Herr Spanier, wenn Sie in
Ihrem Antrag sagen, Sie messen der Eigenheimzulage ei-
nen hohen Stellenwert bei, dann müssen Sie auch sagen,
wie hoch er für Sie ist.


(Wolfgang Spanier [SPD]: 15,7 Milliarden DM!)


Oder folgen Sie der Position der Grünen? Jeder weiß, dass
sie diesem Bereich nicht mehr den Stellenwert zubilligen,
wie wir das meiner Meinung nach bis jetzt in einem
großen Konsens getan haben.

An dieser Stelle will ich deutlich sagen: Fummeln Sie
nicht an der Eigenheimzulage herum!


(Wolfgang Spanier [SPD]: Wir fummeln nicht!)


Dies würde den Menschen, den Arbeitsplätzen und Ihrer
politischen Arbeit sehr schlecht bekommen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Eichstädt-Bohlig, Sie können zwar sagen, dass
unsere Vorstellungen nicht die Ihren waren; das will ich
auch hoffen. Aber Sie können nicht sagen, dass wir Ihnen
nicht die Chance gegeben hätten, bessere Gesetze auf den
Weg zu bringen. Wir haben ein eigenständiges Mietrecht
eingebracht. Sie wissen ganz genau, dass die asymmetri-
schen Kündigungsrechte in Ihrem Mietrecht ein riesiges
Problem sind. Sie wissen ganz genau, dass das dazu führt,
dass Menschen, die Geld haben, nichts mehr investieren.
Sie bedauern es vielleicht, dass manche Menschen Geld
haben. Wir freuen uns darüber. Wir wollen, dass diese ihr
Geld in die Umgestaltung der Stadt bzw. in Eigentum in-
vestieren. Wenn Sie aber die investiven Bedingungen zum
Nachteil des Vermieters verändern, dann brauchen Sie
sich nicht darüber zu wundern, dass kein Vermieter mehr
bereit ist, in diesen Markt zu investieren.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Damit provozieren Sie im Grunde genommen den Frust
der Vermieter und schaffen erhebliche Nachteile für den
Mieter.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihr Mietrecht ist wirklich ein Skandal!)


Wir haben Ihnen klare Konzepte für den sozialen Woh-
nungsbau vorgelegt. Ich bin nach wie vor davon über-




Hans-Michael Goldmann
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zeugt, dass der Verwaltungsaufwand, der auf Bundes-
ebene betrieben wird, in einem krassen Missverhältnis zu
dem steht, was bei den Ländern ankommt, um vor Ort ei-
nen sozialen Wohnungsbau zu gestalten. Das ist eine
rückwärts gerichtete Politik.


(Beifall bei der FDP)

Wir haben Vorschläge zur privaten Altersvorsorge ge-

macht. Schade war das damals: Herr Eichel wollte das
nicht und Herr Bodewig hat sich zum Schluss bemüht.
Aber wir mussten ihn zum Jagen tragen. Insgesamt ist
eine Lösung zustande gekommen, die absolut unbefriedi-
gend ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ihre Hilfe für Ostdeutschland ist bis jetzt keine Hilfe.

Die ständige Diskussion über die Erhöhung der Erb-
schaftsteuer schadet einem Markt natürlich gewaltig, der
weitgehend davon bestimmt ist, dass man Freude am Ei-
gentum hat.

Wir wollen eine markt- und angebotsorientierte Poli-
tik. Wir wollen mehr Markt. Ich glaube, dass ich in die-
sem Fall sehr genau weiß, wovon ich spreche.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, ja!)

Ich bin ständig in den Niederlanden unterwegs.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sollten als Abgeordneter arbeiten und nicht in den Niederlanden herumreisen!)


Es gibt Fachliteratur, Herr Schmidt, die sagt: Wenn wir die
Rahmenbedingungen der Engländer und der Niederländer
bei der Förderung von Eigenheimen, also mehr Orientie-
rung am Markt und an Angeboten hätten, hätten wir in
Deutschland 5 Millionen mehr Eigenheime. Ich denke,
Sie sollten sich schon die Frage stellen, ob es richtig ist,
was Sie auf den Weg gebracht haben. Sie sollten hier nicht
zu selbstherrlich sein.

Ich bin davon überzeugt, dass wir am 22. September im
Gegensatz zu Ihnen, liebe Kollegen von den Regierungs-
parteien, in die Lage versetzt werden, eine gute liberale
Wohnungsbaupolitik zu gestalten. Wir werden nicht so
viel von oben regeln, sondern dem Einzelnen die Mög-
lichkeit geben, das auszugestalten, was er für notwendig
erachtet.

Wir wollen das Wohneigentum stärken. Wir wollen In-
vestoren auf diesen Markt locken und die Reformchan-
cen nutzen. Wir wollen an der Eigenheimförderung fest-
halten.


(Wolfgang Spanier [SPD]: Wir auch!)

Wir lehnen eine Erhöhung der Erbschaftsteuer entschie-
den ab. Wir wollen mehr für junge Familien tun. Wir wol-
len das Mietrecht wieder vernünftig ausgestalten, es ent-
bürokratisieren


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Kahlschlagpolitik!)


– Herr Schmidt, das ist keine Kahlschlagpolitik; Sie ken-
nen sich anscheinend in der Sache nicht aus und sollten
ein bisschen nachlesen – und dafür sorgen, dass zwischen

dem Vermieter und dem Mieter wieder eine Begegnung
auf Augenhöhe möglich ist.


(Lachen bei der SPD)

Wir wollen dafür sorgen, dass das Subjekt wieder mehr

im Zentrum steht. Wir wollen auch dafür sorgen, dass wir
die Innenstädte ausgestalten können. Ich war gestern
Abend am Alexanderplatz und habe mir erklären lassen,
was man für Umbauvorstellungen für den Alexanderplatz
hat. Ich habe dabei hochinteressante Gesichtspunkte ken-
nen gelernt. Deswegen möchte ich auch, dass sich Archi-
tekten, Raumordner und Stadtplaner mehr in die Politik
einbringen.

Was Sie auf den Weg gebracht haben, ist sicherlich ein
gutes Moment im Bereich von Architektur und Baukultur.
Ich bin aber entschieden dagegen, wieder eine Trennung
zwischen Bauministerium und Verkehrsministerium vor-
zunehmen. Wer die Städte entwickeln will, wer den länd-
lichen Raum ordnen will, muss die Einheit zwischen
Wohnen, Arbeiten und sonstigen Umfeldbedingungen
herstellen. Ich denke, das geht mit einem engagierten Mi-
nisterium. Da liegen die Mängel.

Herr Minister Bodewig hat sich um den Wohnungs-
baubereich viel zu wenig gekümmert. Das konnte auch
durch einen engagierten Staatssekretär nicht kompensiert
werden.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ein Unsinn! Sie treiben eine Blüte nach der nächsten!)


– Ich finde es sehr schön, dass ich Ihnen einen Blumen-
strauß überreiche.


(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist aber bedauerlich, dass Sie anscheinend auch in die-
sem Bereich über keine Kenntnis verfügen. Als Biologe
muss ich Ihnen das sagen.

Wir wollen die liberale Bürgerstadt auf den Weg
bringen – „City 21“ ist nicht schlecht, aber „soziale Stadt“
ist zu eng –, auch unter den Gesichtspunkten, die Sie, Herr
Spanier, ansprachen, damit es zu einer Durchmischung
der Nutzungsmöglichkeiten kommt. Wir müssen ans Bau-
gesetzbuch heran, überhaupt keine Frage. Wir müssen
dafür sorgen, dass Arbeit, Wohnen, Leben, Freizeit, Kul-
tur und Sport mehr miteinander in Einklang sind. Ich
glaube, dass wir in diesem Bereich mit unserem Konzept
der liberalen Bürgerstadt, bei dem wir betonen, dass die
Investitionsbereitschaft, die Beteiligungsbereitschaft des
Bürgers mehr im Zentrum stehen muss, die richtige Ant-
wort geben. Ich denke, dass wir in diesem Bereich arbei-
ten müssen.

Wir werden die Riester-Rente vereinfachen.

(Dieter Maaß [Herne] [SPD]: Aber beibehal ten!)

Die Menschen sind nicht in der Lage, dieses Modell zu
nutzen. Das liegt nicht nur daran, dass es selbst mir
schwer fällt, es zu erklären


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das wundert uns gar nicht!)





Hans-Michael Goldmann

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– das kann auch Herr Maaß nicht besser; da bin ich mir
ziemlich sicher –, sondern das liegt schlicht und ergrei-
fend daran, dass eine hochkomplizierte, nicht greifende
Regelung auf den Markt gebracht worden ist.


(Beifall bei der FDP)

Das müssen wir einfach einmal zur Kenntnis nehmen. Wir
können nicht so tun, als ob hier Interessenvertretungen so-
zusagen gegen die Regierung schießen. Wenn von allen
Seiten Meldungen kommen, dass dieses Modell ungeeignet
ist – obwohl wir alle davon überzeugt sind, dass man neben
die Säule der Solidarität aus Arbeitgeber- und Arbeitneh-
merbeiträgen eine private Säule stellen muss –, dann müs-
sen wir hier einen Weg gehen, der dazu führt, dass sich ein
Modell entwickelt, das wirklich zukunftsfähig ist.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424211000
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist weit überschritten.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1424211100
Frau Präsidentin,
herzlichen Dank für Ihre Geduld.

Wir werden ab dem 22. September eine gute Woh-
nungsbaupolitik machen.

Ich bedanke mich nochmals dafür, dass wir in vielen
Dingen gut miteinander klargekommen sind. Die Unter-
schiede musste ich aber deutlich machen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die sind deutlich geworden!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424211200
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Heidemarie Ehlert.


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1424211300
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Alles, was wir bis jetzt gehört
haben, ist das übliche Ritual vor der Wahl. Die Opposition
von CDU/CSU rügt die Regierung wegen mangelhafter
Wohnungspolitik.


(Dieter Maaß [Herne] [SPD]: Jetzt bin ich gespannt, was Sie machen!)


Die Regierungsparteien loben sich über den grünen Klee.
Das ist alles nichts Neues. Was aber sind die Konzepte, die
Sie anbieten?

Die CDU/CSU fordert in einem der hier vorliegenden
Anträge eine „vorausschauende Wohnungs- und Städte-
baupolitik“, die Nachfrage und Bedarf in Zukunft ange-
messen berücksichtigen soll. Da haben Sie Recht. Das
fordern wir auch. Mit Ihrem zweiten Antrag allerdings
widersprechen Sie dem ersten Anliegen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nein!)

Die Lösungen, die Sie anbieten, sind nicht für die Zu-
kunft, sondern von vorgestern.


(Beifall bei der PDS)

Sie haben lediglich die Konzepte aus Ihrer Regierungszeit
bis 1998 wieder aufgelegt. Die Zeiten und die Verhält-
nisse haben sich seither aber gravierend geändert.

Wenn man anerkennt, dass Wohnungswirtschaft und
Kommunen in Regionen und Ländern angesichts 15- bis
50-prozentiger Leerstände vor völlig neuen Herausforde-
rungen stehen, dann muss einem klar werden, dass steu-
erliche Rahmenbedingungen nicht auf flächendeckendes
Wachstum oder gar weitere „stadtnahe Baulandmobilisie-
rung“, wie Sie sie fordern, sondern am aktuellen Bedarf
und an der Prognose künftiger Entwicklungen auszurich-
ten sind.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Richtig!)

Ich komme aus Sachsen-Anhalt und weiß, wovon ich

spreche.

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wir auch!)

Wir haben in unserem Land im Durchschnitt 19 Prozent
Wohnungsleerstand. Wir brauchen keine weitere undiffe-
renzierte Neubauförderung, sondern eher die Verlagerung
der Eigenheimzulage von Neubau auf Bestand


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

oder die Einführung regionaler Komponenten.

Der Rückgang des Eigenheimbaus liegt doch nicht an
der Senkung der Einkommensgrenzen, sondern daran,
dass der Nachholbedarf gedeckt ist und es zumindest im
Osten viele Familien gibt, deren Einkommen weit weni-
ger als 80 000 Euro im Jahr beträgt, deren Mitglieder ar-
beitslos sind oder in unsicheren Beschäftigungsverhält-
nissen stehen.

Wenn Sie reformieren wollen, dann werfen Sie bitte
nicht mit der Wurst nach der Speckseite,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wie geht das denn? Das habe ich nicht verstanden!)


sondern greifen einkommensabhängig gerade denjenigen
stärker unter die Arme, die geringere Einkommen bezie-
hen.


(Beifall bei der PDS)

Was die CDU/CSU hier fordert, ist kein Reagieren auf
neue Herausforderungen, sondern neuer Wein in alten
Schläuchen. Deshalb werden wir Ihre Vorschläge ableh-
nen.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sie gucken in die falsche Fraktion! Hier ist die CDU/CSU!)


– Ich weiß schon, wo Sie sitzen, Herr Kansy. Ich habe Ih-
nen zugehört.

Was uns die Koalitionsfraktionen dagegen in ihrem
Antrag präsentieren, bleibt im Allgemeinen und merk-
würdig verschwommen. Das muss ich schon sagen. Die
Bemühungen zur Bündelung und Vernetzung der Akti-
vitäten von Bund, Ländern und Gemeinden sollen ver-
stärkt werden. Warum werden Sie nicht konkret? Die PDS
hat dazu schon im Jahr 2000 während der Haushaltsbera-
tungen im Bundestag konkrete Vorschläge unterbreitet:
Alle Förderprogramme für Stadtentwicklung, Städtebau-
förderung und die soziale Stadt sollten gebündelt und den
Ländern und Gemeinden mehr Eigenverantwortung und




Hans-Michael Goldmann
24288


(C)



(D)



(A)



(B)


Flexibilität bei deren Umsetzung eingeräumt werden.
Seien Sie doch einmal mutig und schlagen Sie eine
Schneise aus dem lang gewohnten, aber bürokratischen
Förderdschungel!

Der Vorsitzende des Verbandes der Wohnungswirt-
schaft Sachsen-Anhalts, Jost Riecke, hat gerade vorges-
tern geäußert, es sei wünschenswert, die Förderungen zu
bündeln, damit ein großer Topf entstehe, über den die
Kommunen mit Pauschbeträgen frei verfügen könnten.

Sie wollen den „Stadtumbau Ost im Dialog mit Län-
dern und Kommunen problemgerecht fortsetzen“, heißt es
in Ihrem Antrag. Aber um die Zukunft der ostdeutschen
Städte und der in ihnen lebenden Menschen zu sichern, ist
schnelles und entschlossenes Handeln erforderlich.


(Beifall bei der PDS – Franziska EichstädtBohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun wir ja! – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Denken Sie daran, wie es 1989 ausgesehen hat!)


Ich zitiere wieder Verbandsvorsitzenden Riecke:
Wir haben 250 große Wohnungsunternehmen in un-
serem Land. 60 von ihnen sind nicht zu retten und ge-
hen in die Insolvenz, wenn jetzt keine wirksamen
Maßnahmen greifen.

Damit der Stadtumbau wirklich gelingt, müssen die
Probleme, die ihn weiter behindern, sofort beseitigt wer-
den. Dazu gehört erstens: Die Wohnungsunternehmen
müssen endlich und endgültig von den Altschulden be-
freit werden.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der SPD: Wer bezahlt das?)


Die nach der Teilentlastung verbliebenen Altschulden be-
laufen sich selbst unter Berücksichtigung bereits erfolgter
Tilgungen noch immer auf durchschnittlich 70 Euro pro
Quadratmeter. Das bedeutet allein für den Leerstand bei
kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungen ei-
nen jährlichen Kapitaldienst von fast 150 Millionen Euro.
Das ist genauso viel, wie der Bund an Verpflichtungs-
ermächtigung für den Stadtumbau Ost pro Jahr eingegan-
gen ist. Daran zeigt sich, dass die Mittel nicht einmal aus-
reichen, um den Schuldendienst an die Banken zu decken,
von Umbaumaßnahmen ganz zu schweigen.

Wenn die Wohnungsunternehmen nicht von den Alt-
schulden entlastet werden, haben sie trotz der Zuschüsse
für den Rückbau keine Chance, einen sozial verträglichen
Stadtumbau zu erreichen. Im Gegenteil: Es bleibt die Ge-
fahr, dass immer mehr von ihnen zwangsläufig in die In-
solvenz getrieben werden.

Das GEWOS-Institut, das das Konzept für den Stadt-
umbau in Stendal erarbeitet, hat errechnet, dass die Ge-
samtschuld des städtischen Wohnungsunternehmens von
heute 112 Millionen Euro bis zum Jahr 2025 auf über
256 Millionen Euro ansteigen wird. Die Experten haben
festgestellt, dass die bisher im Rahmen des Programms
„Stadtumbau Ost“ vorgesehene staatliche Unterstützung
nicht ausreicht. Das Fazit von GEWOS:

Um den Wohnungsmarkt in Stendal langfristig und
nachhaltig zu stabilisieren, müssen kurzfristig kon-

krete Schritte eingeleitet werden, sonst werden alle
Beteiligten, sowohl die öffentliche Hand als auch die
privaten Vermieter, dauerhafte Verluste erleiden.

Zweitens. Sie haben jetzt selbst feststellen müssen,
dass von den eingeplanten rund 350 Millionen Euro zur
Altschuldenentlastung bereits 218 Millionen Euro, also
mehr als die Hälfte, für 25 bewilligte Anträge von Woh-
nungsunternehmen verbraucht werden. Aber bereits wei-
tere 65 Unternehmen haben Antrag auf Entlastung ge-
stellt. Der Mittelansatz muss deshalb erhöht werden.
Doch davon steht nichts in Ihrem Antrag. Jahre sind ins
Land gegangen und Sie wollen noch immer den Krebs-
schaden des Altschuldenhilfe-Gesetzes mit einer
Schmerztablette lindern.

Die PDS hatte bereits im Oktober 2000 den Einsatz von
UMTS-Milliarden für Altschuldenentlastung und Stadt-
umbau angeregt. Wären Sie für die Realitäten nicht blind
und taub gewesen, hätten wir längst die Weichen gestellt;
denn es geht um mehr als um die Rettung von Woh-
nungsunternehmen: Es geht um die Zukunftsfähigkeit
von ganzen Städten und ganzen Regionen. Ich erinnere
Sie nur daran, wie oft und wie konsequent wir Ihnen das
in diesem Hause bereits vorgeschlagen haben. Zwölf An-
träge und Gesetzentwürfe zum Thema Altschulden und
Stadtumbau hat meine Fraktion allein in den letzten bei-
den Jahren vorgelegt.

Die Gebietskulisse für die erhöhte Investitionszulage
muss auf den Anwendungsbereich des Stadtumbaupro-
gramms und über das Jahr 2004 hinaus bis 2009 ausge-
dehnt werden. Auch hatten wir bereits in den Jahren 2000
und 2001 einen Grundsteuererlass und die Grunderwerb-
steuerbefreiung bei Fusionen von Wohnungsgesellschaf-
ten vorgeschlagen, wovon auch Herr Kansy vorhin ge-
sprochen hat.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424211400
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1424211500
Ich komme zum Schluss.
Sie hätten sich und den Wohnungsunternehmen wie

den Kommunen viel Zeit und Arbeit ersparen können,
wenn Sie unsere Entwürfe und Vorschläge ernst genom-
men hätten. Ihre Kollegen von der CDU in Sachsen-An-
halt haben schon begriffen, wie gut unsere Anträge sind,
und sie übernommen. Übernehmen also auch Sie unsere
Anträge und berücksichtigen Sie sie bei Ihrer Regie-
rungsarbeit.


(Beifall bei der PDS – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sie werden mit Ihrem Wunsch kein Glück haben!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424211600
Ich erteile dem Bun-
desbauminister Kurt Bodewig das Wort.

Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich beginne mit einem Dank für die
gute Zusammenarbeit an die Kolleginnen und Kollegen,




Heidemarie Ehlert

24289


(C)



(D)



(A)



(B)


die aus dem wohnungspolitischen Bereich des Ausschus-
ses ausscheiden: Herrn Dr. Kansy, Herrn Otto, Frau
Iwersen und Herrn Maaß.

Auch am Ton dieser Debatte können wir schon fest-
stellen, dass Wohnungspolitik etwas ist, was alle Men-
schen berührt und bei dem wir zusammenarbeiten wollen.
Hier ist nur der eine oder andere Missgriff erfolgt. Herr
Goldmann, Sie sprachen von Trümmern. Ich stelle noch
einmal klar: Der Leerstand im Osten, eine Gerechtig-
keitslücke im Wohnungsbau und Fehlentwicklungen
durch eine bestimmte Steuerpolitik kennzeichneten das
Desaster, das Sie 1998 hinterlassen haben. Deswegen sind
es Ihre Trümmer, die wir wegräumen mussten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, da ich gerade dabei bin, et-
was richtig zu stellen, komme ich gleich auf die Eigen-
heimzulage zu sprechen. Für diese Zulage waren wir alle;
sie war nicht Ihr Produkt. Die SPD-Bundestagsfraktion
und Herr Staatssekretär Großmann haben sie vorangetrie-
ben. Ich bin froh, dass wir sie gemeinsam beschlossen ha-
ben. Das ist das Entscheidende daran.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben in der Wohnungspolitik wie in der Städtebau-
politik ganz schnell die richtigen und guten Entscheidungen
getroffen. Es ist wichtig, dass wir Reformen vorangetrieben
haben. Gerechtigkeit und Ordnung auf dem Wohnungs-
markt sind etwas für die Menschen besonders Wichtiges.

Ich glaube, das Ministerium, das Verkehrspolitik und
Mobilität mit städtebaulichen Funktionen und mit erfolg-
reicher Wohnungspolitik verbindet, ist eine gut funktio-
nierende Konstruktion. Das zeigt sich beim Bundesver-
kehrswegeplan auf der einen Seite, in der Raumordnung
auf der anderen Seite und nicht zuletzt an funktionsfähi-
gen Städten. Auch diesen Punkt sollten wir uns noch ein-
mal zu Gemüte führen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will ein paar Elemente dieser integrierten Politik be-
schreiben:

Erstens: Leerstand.Der Leerstand ist doch keine neue
Entwicklung, sondern hat sich in den Jahren seit 1991 auf-
gebaut. Das wissen wir doch.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Nein, den gab es mit 500 000 schon vorher!)


Sie wissen auch, dass der Leerstand in den neuen Bun-
desländern spezifisch ist. Übrigens haben Sie die Fehl-
entwicklungen ja steuerlich gefördert. Was Sie gemacht
haben, war eine steuerliche Abschreibungspolitik bei Lu-
xusobjekten,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Luxusobjekte, das ist Quatsch!)


für die es keinen Bedarf gab.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, so ist es!)


Dafür wurden jede Menge Gelder von Steuerzahlern ver-
wandt und heute müssen diejenigen, die dort investiert ha-
ben, ordentlich draufzahlen. Sie haben Geld verbrannt;
das muss man wissen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Welche Luxusobjekte waren das denn? – Manfred Grund [CDU/CSU]: Nennen Sie ein Luxusobjekt!)


– Hören Sie ruhig zu. Schauen Sie sich doch die leer ste-
henden Wohnungen in Leipzig an.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wohnungen sind doch kein Luxusobjekt!)


Wir wollen einmal über die Scherben reden, die wir
weggeräumt haben, und zwar mit einer klugen Politik, ge-
rade für die neuen Bundesländer.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das Stadtumbauprogramm Ost ist immerhin 2,7 Milli-
arden Euro schwer und läuft bis 2009. Das ist langfristig,
wie Sie, Herr Kansy, es gefordert haben. Vor allem ist es
wirksam. Wer den städtebaulichen Entwicklungsprozess
und den Wettbewerb sieht, erkennt, dass hier etwas rich-
tig in Schwung gekommen ist, dass die Städte und
Gemeinden ihre eigene Zukunft planen und entwickeln
wollen. Das ist wegweisende Politik, nicht Abschrei-
bungsmodelle à la Waigel.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will noch weiter gehen: Wir werden sogar die Über-
tragung dieses Programms von den neuen Bundesländern
auf bestimmte Regionen in den alten Bundesländern tes-
ten.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist richtig!)


Ich glaube, dass das richtig ist, da Stadtumbau etwas mit
Struktur zu tun hat. Da unterscheidet sich Chemnitz nicht
so sehr von Völklingen. Deswegen können wir aus diesem
Prozess lernen und Erfahrungen übertragen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass der Stadtumbaupro-
zess für die Städte etwas bringen wird. Sie werden Erfah-
rungen daraus ziehen. Stadtentwicklung – wir haben sie
nicht in allen Städten; ich glaube sogar, wir haben sie nur
in den wenigsten – wird ein Strukturmerkmal dieser Poli-
tik sein. Deswegen werden Sie uns nach dem 22. Septem-
ber bei dieser Politik begleiten dürfen, aber wir werden sie
machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sollten nichts schlecht reden. Das ist eine Gefahr. Ich
glaube, die Menschen werden es Ihnen am 22. September
nicht gut anrechnen, wenn Sie immer alles herunterreden
und Deutschland als Wirtschaftsstandort madig machen.

Wir sprachen gerade über das Programm „Soziale
Stadt“. Die FDP hat dagegen gestimmt, das muss man




Bundesminister Kurt Bodewig
24290


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(B)


wissen. Das ist ein Programm – der letzte Kongress hier
in Berlin mit über 1 000 Vertretern aus den Kommunen
hat es deutlich gemacht –, bei dem die Menschen einstei-
gen, mit dem sie ihre eigene Stadt entwickeln wollen, wo
sie etwas voranbringen wollen. Auch dieses Programm
haben wir nicht nur konzeptionell, sondern auch materiell
unterlegt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist zu eng, Herr Bodewig! Das wissen Sie auch!)


Wir haben die Städtebauförderung seit 1998 verdoppelt.
Machen Sie das erst einmal nach. Sie werden allerdings
keine Gelegenheit dazu haben; denn wir werden es tun.


(Beifall bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da haben Sie aber gerade noch die Kurve gekriegt!)


– Seien Sie nicht so übermütig. Die angebliche schwarz-
gelbe Mehrheit ist bei Forsa weg. Das wird sich in den
nächsten Tagen noch fortsetzen. Übermut tut selten gut.
Wir warten auf die Wähler und die Wähler werden richtig
entscheiden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wir lernen Allensbach auswendig!)


– Stören Sie nicht. Qualifizierte Zwischenrufe ja, aber den
Rest ersparen wir uns.

Sie haben unsere Initiative „Architektur und Bau-
kultur“ angesprochen. Dazu hätten Sie 16 Jahre Zeit ge-
habt. Wir haben doch die Architektur und die Baukultur
wieder in den Vordergrund gerückt. Wir machen doch die
Kongresse. Wir sorgen doch dafür, dass deutsche Ingeni-
eure und Architekten auch im Ausland wieder Chancen
haben. Diesen Prozess sollten wir gemeinsam tragen. Ler-
nen Sie dazu!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wenn wir die richtigen Lehrer haben!)


Deswegen werden wir diesen Bericht dem Parlament vor-
legen und ihn dann gemeinsam – ich hoffe, auch kon-
struktiv – hier diskutieren.

Mein zweiter Punkt: Wir haben die Rahmenbedingun-
gen für Investitionen neu geregelt. Es war richtig, dass wir
ein Programm zur Verringerung von CO2-Emmissio-nen aufgelegt haben. 5 Milliarden Euro KfW-Darlehen
werden über fünf Jahre mit 1 Milliarde Euro von uns ge-
fördert. Sie haben Rio und Kioto unterzeichnet, nicht wir,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber Sie hätten es doch auch getan!)


aber wir müssen das, was Sie überhaupt nicht angepackt
haben, jetzt lösen. Das tun wir, unter anderem mit solchen
Programmen, aber auch mit der Energieeinsparverord-
nung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Denn das heißt Investitionen in Umweltschutz, in Nach-
haltigkeit, und wir schonen dabei gleichzeitig das Porte-

monnaie der Menschen. Ich glaube, besser kann man es
nicht machen. Deswegen ist dies ein gutes Projekt, und
ich glaube, Ihre kleinkarierte Kritik ist nicht angebracht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Kommen wir zum nächsten Punkt: Gerechtigkeit auf
dem Wohnungsmarkt. Zunächst zur Eigenheimzulage.
Sie unterstellen uns immer, wir wollten sie kürzen. Ich
lese da etwas anderes; der CDU-Wirtschaftsrat sprach in
der vergangenen Woche vom Abschaffen. Weiß denn bei
Ihnen die eine Hand nicht, was die andere macht? Das ist
ja wie Späth und Stoiber; der eine sagt hü, der andere sagt
hott.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Hü-hott-Partei!)


Wir haben die Eigenheimzulage gemacht, und wir wis-
sen mit dieser Eigenheimzulage auch in Zukunft Politik
zu machen. Nicht umsonst haben wir einen Anstieg der
Eigentumsquote im Wohnungsbau seit 1998 zu verzeich-
nen. Wir beseitigen also die Fehler, die Sie uns hinterlas-
sen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch von der CDU/CSU)


Schauen Sie in die BBR-Prognose, darin steht das alles
schwarz auf weiß.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Darin steht: Wir brauchen 350 000 Wohnungen im Jahr!)


Ich komme zum sozialen Wohnungsbau. Wir haben
eine Reform des sozialen Wohnungsbaus vorangetrieben.
Sie enthält ein ganz wichtiges Element: Sie gibt den Län-
dern und Kommunen mehr Spielräume, sie ist flexibel.
Wir haben über 200 Paragraphen abgeschafft. Das ist Ent-
bürokratisierung im Sinne von mehr Bezug auf regionale
Wohnungsmärkte. Das haben Sie nie geschafft. Sie haben
lange darüber lamentiert. Wir haben es gemacht. Ich finde
es wichtig, dass das so ist.

Das haben wir auch beim Wohngeld gemacht. 10 Jahre
lang haben Sie darüber geredet. Wir haben das Wohngeld
erhöht. Jetzt haben 3,2 Millionen Haushalte Anspruch da-
rauf, 400 000 mehr als davor. Für eine durchschnittliche
Familie ist das Wohngeld von 110 auf 160 Euro im Monat
gestiegen. Das ist etwas, was sich sehen lassen kann. Da-
rauf sind wir auch stolz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Machen Sie eine Steuerreform, dann brauchen Sie das Wohngeld nicht!)


Jetzt kommen wir zu Ihrer Politik. Sie tun immer so, als
ob das, was Sie in einem Wahlprogramm verkünden,
keine Rolle spielt. Wir müssen das vom Kopf auf die Füße
stellen. Die Absenkung der Staatsquote auf 40 Prozent
bedeutet ein Drittel weniger investive Mittel. Wissen Sie,
was das für den Wohnungsbau, für den sozialen Woh-
nungsbau heißt? Wissen Sie, was das für den konsumtiven
Bereich heißt? Sie beseitigen die Strukturen, die wir in




Bundesminister Kurt Bodewig

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(D)



(A)



(B)


Deutschland haben, und zwar die, die soziales Funktio-
nieren ermöglichen. Nur der wirklich Reiche kann sich ei-
nen armen Staat erlauben – das ist Ihr Konzept, das ist ein
falsches Konzept. Ich muss Ihnen sagen, die von der FDP
vorgesehene Staatsquote von 35 Prozent ist ein Witz, lei-
der ein schlechter.


(Zuruf von der FDP: Nein, weniger Staat!)

Ich glaube aber, Sie haben mit Herrn Möllemann gelernt,
dass die Zeit der Spaßpartei vorbei ist. Politik ist eine erns-
te Angelegenheit.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich hoffe, Sie werden sich langsam daran gewöhnen.
Ihre Ankündigungen sind immer interessant: Erhöhung

der Einkommensgrenze bei der Eigentumsförderung, also
höhere Einkommen fördern, Erhöhung der Mittel für den
sozialen Wohnungsbau, also mehr Geld zur Verfügung
stellen, neue Abschreibungsmöglichkeiten, so ein libera-
les Spezialitätenwerk – das alles kostet Geld. Sie wollen
das Gegenteil, Sie wollen Steuern senken, Sie wollen die
Staatsquote senken. Sie wollen das, was Sie hier be-
schreiben, gar nicht.

Aber ich meine, Politik muss ehrlich sein. Ehrliche Po-
litik heißt, dass man das, was man den Menschen erklärt,
was man ihnen im Wahlprogramm vorschlägt, einhalten
muss. Wir tun das. Deswegen, glaube ich, wird sich am
22. September der Wähler richtig entscheiden. Er wird es
tun für eine langfristige Wohnungspolitik im Sinne der
Menschen, und zwar für die Bedürfnisse der Menschen im
Verkehrs-, Bau- und Wohnungswesen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424211700
Jetzt hat das Wort
Kollege Eduard Oswald für die CDU/CSU-Fraktion.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1424211800
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier eine
Präsidentin, die sich heute diesem Thema auch verbunden
fühlt.


(Zuruf von der SPD: Nicht nur heute!)

– Insgesamt natürlich. Insofern ist es vielleicht ganz in-
teressant, auch von dieser Warte aus die Debatte zu ver-
folgen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, Wohnungsbaupolitik ist eine gemeinsame Aufgabe
von Bund, Ländern und Kommunen. Das kommt mir in
dieser Debatte etwas zu kurz. Die Ziele sind klar. Benötigt
werden ausreichend viele Wohnungen in den Städten und
Kommunen mit Lebensqualität für alle. Es geht um Qua-
lität und um Quantität; denn Wohnungspolitik bestimmt
ganz entscheidend die Zukunft unseres Landes mit.

Die bisherige Debatte hat gezeigt, dass es viel Ge-
meinsames gibt: gemeinsame Wege und Ziele, aber auch
Unterschiede. Ich würde sagen, eine solche Debatte soll

vieles darlegen, aber die Entscheidung des Wählers sollen
und können wir in diesem Hause schon gar nicht vorweg-
nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die amtierende Bundesregierung hat – den Vorwurf,

Herr Bundesminister und alle Redner der Koalition, müs-
sen Sie sich anhören – die rechtlichen und wirtschaftli-
chen Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau fortlau-
fend verschlechtert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist leider wahr!)


Die „Süddeutsche Zeitung“ beschrieb kürzlich das, was
nach einer Untersuchung des Instituts für Städtebau, Woh-
nungswirtschaft und Bausparwesen veröffentlicht wurde,
als „PISA-Studie für den Wohnungsbau“.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und die sind ja nun wirklich regierungsfreundlich!)


Im europäischen Vergleich sind wir zurückgefallen.
Ich verstehe sehr wohl, dass Sie Ihre Bilanz schönre-

den wollen; Sie haben aber die Chancen, die Sie in dieser
Legislaturperiode hatten,


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gut genutzt!)


verpasst.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Zahlen sind eindeutig und Sie sollten sich auch diese
anhören: Von den in Westeuropa im letzten Jahr insgesamt
knapp 2 Millionen gebauten Wohnungen entfielen mit
340 000 Einheiten nur noch 18 Prozent auf Deutschland.
1997 waren es noch rund 30 Prozent. Die so genannte
Wohneigentumsquote in Deutschland ist nun die nied-
rigste aller EU-Staaten. Diese Zahlen sind Fakten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Für dieses Jahr wird mit einem weiteren Rückgang ge-
rechnet, obwohl übereinstimmende Prognosen für die
nächsten zehn Jahre – jetzt kommt der Bedarf – von einem
Neubaubedarf in einer Größenordnung von 400 000 Ein-
heiten pro Jahr ausgehen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aha!)

In der öffentlichen Anhörung unseres Ausschusses wurde
deutlich, dass die Wohnungsbaupolitik in unserem Land
neue Impulse benötigt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundesminister, es gilt immer das, was in unse-

rem Regierungsprogramm steht. Unser Regierungspro-
gramm 2002 bis 2006 ist darauf ausgerichtet, zu einem
geordneten Wohnungsmarkt in Deutschland zurück-
zufinden. Vor allem werden wir die Schaffung von Wohn-
eigentum wieder stärker fördern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Wohneigentum ist
ein wichtiger Bestandteil der Vermögensbildung,




Bundesminister Kurt Bodewig
24292


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Wohneigentum trägt entscheidend zur wirtschaftlichen
Unabhängigkeit bei, Wohneigentum entlastet den Markt
für Mietwohnungen und Wohneigentum ist ein wichtiger
Beitrag zur privaten Vorsorge für das Alter.

Wenn drei Viertel unserer Bürgerinnen und Bürger in
den eigenen vier Wänden wohnen wollen, aber noch nicht
einmal die Hälfte der Bevölkerung, nämlich gerade ein-
mal 42 Prozent, es geschafft haben, besteht ein erhebli-
cher Nachholbedarf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir dürfen dies nicht nur zur Kenntnis nehmen, wir müs-
sen darauf auch reagieren. Wir haben sehr genaue Vor-
stellungen von den Notwendigkeiten:

Erstens. Wir wollen die Förderung des selbst genutzten
Wohneigentums in Neubau und Bestand stärken. Vor al-
lem wollen wir im steuerlichen Bereich neue Akzente set-
zen.

Zweitens. Wir wollen die Eigenheimförderung famili-
enfreundlicher gestalten.

Drittens. Wir wollen das Wohneigentum wirksam in
die Förderung der privaten Altersvorsorge einbinden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für mich – ich glaube,
darin sind wir uns einig – beschränkt sich Wohnen nicht al-
lein auf den Wohnraum. Zur Wohnung gehört das Wohn-
umfeld. Wohnen ist nicht allein das Ausfüllen eines
Raumes von einigen Quadratmetern; es hat vielmehr etwas
mit Wohlfühlen und Zufriedenheit und mit etwas ganz
Emotionalem, nämlich mit nachbarschaftlichen Kontakten
und dem Zusammenleben der Menschen, zu tun.


(Zuruf von der SPD: Das stimmt!)

Ich sage das, weil der Wohnungs- und Städtebau gesamt-
gesellschaftlich mehr Beachtung finden muss. Ich kriti-
siere, dass diese Themen durch die Zusammenlegung im
Ministerium zu kurz gekommen sind. Das genau ist das
Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Folgendes ist unsere Zielsetzung:
Erstens. Wir wollen die Schaffung eines sozialen Woh-

nungsbaus, der auch in Zukunft Bestand hat.
Zweitens. Wir wollen die Förderung eines individuel-

len Wohneigentums insbesondere für Familien mit Kin-
dern und die Vorsorge für das Alter.

Drittens. Wir wollen Hilfe für junge Ehepaare in der
Familiengründungsphase bei der Suche nach Wohnraum.
Es geht um eine familienfreundliche Wohnungsbaupoli-
tik.

Viertens. Wir wollen eine stärkere Förderung des Er-
werbs von vorhandenem Wohnraum und von Belegungs-
rechten im Wohnungsbestand.

Fünftens. Wir wollen die Gewährleistung ausgewoge-
ner Bewohnerstrukturen im Interesse der Bewahrung des
sozialen Friedens.

Sechstens. Wir wollen eine ausreichende Flexibi-
lisierung wohnungspolitischer Regelungen für eine effizi-

ente Wohnungspolitik in den Ländern, den Regionen und
dem örtlichen Bereich, weil dies eine gemeinsame Auf-
gabe des Bundes, der Länder und der Kommunen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Siebtens. Wir wollen eine Unterstützung und Förde-

rung ökologischer Belange und Bauweisen, auch im
Sinne einer Vorreiterfunktion für Innovation und Ent-
wicklung inner- und außerhalb der Wohnraumförderung.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sehr gut! Energie sparen!)


Wohnungsbaupolitik hat also nicht nur eine hohe
soziale, sondern vor allem auch eine gesamtgesellschaftli-
che Bedeutung. Der Wohnungsbau ist übrigens die tradi-
tionell bedeutendste Auftragssparte für die Bauwirtschaft.
Die Bauwirtschaft darf in einer solchen Debatte natürlich
nicht zu kurz kommen. 90 Prozent der Wohnungsbauleis-
tungen werden durch Handwerksbetriebe erbracht. Herr
Bundesminister, wer den Wohnungsbauinvestoren Steuer-
vorteile nimmt, spart immer am falschen Ende.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben in unserem Regierungsprogramm klare
Aussagen gemacht, dass wir die Talfahrt in der Woh-
nungsbaupolitik beenden und die Rahmenbedingungen
für den Wohnungsbau verbessern werden. Wir wollen als
eine wichtige gesamtwirtschaftliche Maßnahme die Inves-
titionsbereitschaft im Wohnungsbau wieder herstellen.
Dazu nennen wir vier Punkte:

Erstens. Wir werden die Beschränkungen der Verlust-
rechnung für den Mietwohnungsbau wieder aufheben.

Zweitens. Wir werden die Abschreibungsbedingungen
verbessern.

Drittens. Wir werden die so genannte Spekulationsfrist
spürbar verkürzen.

Viertens. Wir werden dafür sorgen, dass ein größerer
Erhaltungsaufwand bei vermieteten Objekten steuerlich
wieder auf mehrere Jahre verteilt werden kann.

Nur wenn wir in dieser Weise Investitionsanreize
schaffen und der Wohnungsbau damit für Vermieter wirt-
schaftlich wieder interessant wird, werden wir zu einem
vernünftigen Wohnungsmarkt zurückkommen können.
Wir alle sollten immer daran denken: Wenn Vermieten un-
interessant wird, dann unterbleiben Investitionen und die
Mieten steigen. Nur ein investitionsfreundliches Steuer-
recht und ein ausgewogenes Mietrecht garantieren die
notwendigen Investitionen im Wohnungsbau.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es ist heute schon viel davon gesprochen worden, dass
dies die letzte wohnungsbaupolitische Debatte dieser Le-
gislaturperiode ist. Als Ausschussvorsitzender möchte ich
mich auch im Plenum bei allen Mitgliedern im Ausschuss
für die Zusammenarbeit herzlich bedanken.


(Zuruf von der CDU/CSU: Bravo!)

Wir sind ein Fachausschuss. Wir haben bei aller politi-
schen Kontroverse in vielen Bereichen einen hohen Grad




Eduard Oswald

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(A)



(B)


an Gemeinsamkeiten. Wenn man diese Debatte genau ver-
folgt, kann man dies durchaus feststellen.

Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen aus unse-
rem Ausschuss, die ausscheiden und nicht mehr für den
Deutschen Bundestag kandidieren, ein herzliches Wort
des Dankes und der Anerkennung sagen. Dies gilt für die
Redner des heutigen Tages Dr. Dietmar Kansy, Dieter
Maaß, Gabriele Iwersen ebenso wie für meinen Stellver-
treter und Freund Klaus Hasenfratz, den ich stellvertre-
tend für alle nenne, die nicht wieder kandidieren.


(Beifall im ganzen Hause)

Sie werden verstehen, dass ich für meine Fraktion,

die Fraktion der CDU/CSU, in besonderer Weise
Dr. Dietmar Kansy nenne. Der Name und die Persön-
lichkeit von Dr. Dietmar Kansy sind mit der deutschen
Wohnungs- und Baupolitik aufs Engste verbunden.
Dr. Dietmar Kansy hat nie einfachen und populistischen
Patentrezepten das Wort geredet. Er ist einer Handlungs-
richtschnur immer treu geblieben. Ich kann dies beurtei-
len, weil wir uns sehr früh kennen gelernt haben. Ich sage
sehr herzlich und freundschaftlich: Auch ich habe viel von
ihm gelernt. Er hat immer wieder als Leitschnur formuliert:
Eine angemessene Wohnungsversorgung lässt sich nur im
Bündnis mit den privaten Investoren sicherstellen. Ein
größeres Wohnraumangebot wird den Erwartungen an eine
soziale Wohnungspolitik eher gerecht als Zwangsbewirt-
schaftung und staatlicher Dirigismus.

Dietmar Kansy hat in der Regierungsfraktion wie auch
als Oppositionsabgeordneter für unsere Parlamentsbauten
insgesamt viel erreicht. Die Eigenheimzulage und das
Bundesbaugesetz wären ohne seine Initiative und seine
parlamentarische Mitwirkung so nicht zustande gekom-
men. Herzlichen Dank, Dietmar Kansy, für deinen Einsatz
für die Wohnungs- und Baupolitik in Deutschland!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


Wohnungspolitische Verantwortung zu übernehmen
heißt, sich den jeweils aktuellen Problemen zu stellen,
auch im Parlament ausführlich und detailliert über sie zu
reden und Lösungen – auch dies möchte ich anmahnen
und einfordern – nicht nur für heute, sondern auch für
kommende Generationen zu entwickeln und umzusetzen.
Das muss unser gemeinsames Ziel sein. Für das Erreichen
dieses Ziels sollten wir arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424211900
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Dieter Maaß für die SPD-Fraktion.


Dieter Maaß (SPD):
Rede ID: ID1424212000
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die heutige Debatte über den Woh-
nungsbau und dessen Auswirkungen auf die Bauwirt-
schaft gibt mir Gelegenheit, einige Schwerpunkte unserer
erfolgreichen Regierungszeit darzulegen. Vorgefunden
haben wir Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen
einen Bundeshaushalt, der einen Schuldenstand von
1 500 Milliarden DM auswies.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was habt ihr daraus gemacht?)


Deshalb musste die Haushaltssanierung oberste Priorität
haben. Trotzdem ist es uns gelungen, das Wohngeld – das
war eine der ersten Maßnahmen – kräftig zu erhöhen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das bedeutet gerade für Familien eine soziale Verbesse-
rung. Das Wohngeld haben wir dabei in Ost und West an-
geglichen.

Außerdem musste ein neues Wohnungsbaurecht ge-
schaffen werden. Mit unserer Mehrheit wurde es im Sep-
tember 2001 Gesetz. Die Verabschiedung des sozialen
Mietrechts im Jahre 2001, das Mietern und Vermietern
mehr Rechtssicherheit gibt, gehört ebenfalls zu unserer
erfolgreichen Politik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Seit einigen Jahren bin ich Berichterstatter für Bau- und
Wohnungswesen im Einzelplan 12 des Bundeshaushaltes.
Deshalb kann ich einiges zu den Investitionen des Bundes
für diesen Bereich sagen. Allein für das laufende Haus-
haltsjahr 2002 stehen für Investitionen des Bundes fast
2 Milliarden Euro bereit. Um die wichtigsten zu nennen:
Für den sozialen Wohnungsbau stehen 230Millionen Euro,
für das CO2-Programm circa 205 Millionen Euro, für dieStädtebauförderung 476 Millionen Euro und für unser Er-
folgsmodell „Soziale Stadt“ 75 Millionen Euro zur Verfü-
gung. Im Mai 2002 veranstaltete das Ministerium für Ver-
kehr, Bau- und Wohnungswesen einen zweitägigen
Kongress zu diesem Thema, auf dem Praktiker zu Worte
kamen. Alle Fachleute begrüßten die finanziellen Hilfen,
aber auch das Konzept für Stadtteile mit besonderem Er-
neuerungsbedarf. Wohnungsleerstände und Stadtflucht im
Osten unserer Republik bekämpfen die Bundesregierung
und die Koalitionsfraktionen mit dem Programm „Stadt-
umbau Ost“, für das bis 2005 1,5 Millionen Euro an
Bundesmitteln pro Jahr zur Verfügung stehen. – So weit zu
den Investitionen und den Programmen, die wir in der
nächsten Legislaturperiode fortsetzen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In der ausgehenden Legislaturperiode war ich Bericht-
erstatter unserer Arbeitsgruppe Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen für Gesetzentwürfe, die die soziale Sicher-
heit der am Bau tätigen Menschen betreffen. Begonnen
haben wir mit dem Winterbaugeld. Damit schützen wir
die Bauarbeiter vor Einkommensverlusten, die ihnen al-
lein wegen Witterungsverhältnissen entstanden wären.
Das haben wir im Wahlprogramm den Bauarbeitern ver-
sprochen und das haben wir auch gehalten,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


während Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU
und FDP, das ehemalige Schlechtwettergeld gestrichen
haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch nicht wahr, Herr Maaß!)





Eduard Oswald
24294


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Arbeitnehmer am Bau werden durch uns auch stär-
ker vor illegaler Beschäftigung geschützt. Das Gesetz zur
Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäfti-
gung und Schwarzarbeit regelt diesen Schutz. Diese Auf-
zählung ließe sich fortführen – vom Arbeitnehmer-Ent-
sendegesetz bis hin zum Tariftreuegesetz.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Union und FDP haben das Tariftreuegesetz im Bundes-
rat blockiert. Diese Ablehnung durch eine christlich ori-
entierte Partei,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist im Vermittlungsausschuss! Das ist nicht abgelehnt! Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis! – Gegenruf von der SPD: Ihr wollt das kaputtmachen!)


mit der Lohnausbeutung der ostdeutschen Bauarbeiter ge-
rechtfertigt wird, finde ich als Gewerkschafter, ehrlich ge-
sagt, schlimm; von der FDP war ohnehin nichts anderes
zu erwarten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, dies ist meine letzte Rede
hier im Plenum. Meine zwölfjährige Mitgliedschaft im
Deutschen Bundestag endet nach der Wahl im September.
Schwerpunkt meiner Arbeit in dieser Zeit war der Bereich
Städtebau und Wohnungswesen. Heute stelle ich zufrie-
den fest: Die Wohnungsnot, die wir 1990 in unserem Land
noch hatten, ist beseitigt.


(Zuruf von der FDP: Wo denn?)

Allerdings ist es mir und anderen nicht gelungen, zu er-
reichen, dass das Eigentum der Mitglieder von Woh-
nungsgenossenschaften die gleiche steuerliche Förderung
erhält wie das private Wohneigentum. In § 17 Eigenheim-
zulagengesetz und in § 12 des Gesetzes zur Reform des
Wohnungsbaurechts gibt es bescheidene Ansätze. Eines
Tages, so hoffe ich, wird der Genossenschaftsgedanke in
unserer Gesellschaft wieder eine wichtige Rolle spielen
und in gesetzlichen Maßnahmen zum Ausdruck kommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Kolleginnen und Kollegen, ich danke allen für die gute
Zusammenarbeit während meiner Tätigkeit hier. Denen,
die bleiben, wünsche ich persönlich alles Gute; Gleiches
auch für die, die wieder in den Beruf zurückgehen. Mei-
nen sozialdemokratischen Genossinnen und Genossen
wünsche ich darüber hinaus einen politischen Erfolg am
22. September.


(Beifall bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Locker!)


Denen, die wie ich in den Ruhestand gehen, wünsche ich,
dass Wilhelm Busch mit seiner Erkenntnis Recht hat: Der
Ruhestand ist ein Genuss, wenn man noch kann und nicht
mehr muss.


(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424212100
Herr Kollege Maaß,
Sie hören den Applaus. Im Namen aller Kolleginnen und

Kollegen wünsche ich Ihnen für diesen neuen Lebensab-
schnitt alles Gute.

Nächster Debattenredner ist der Kollege Dr. Michael
Meister für die Fraktion der CDU/CSU.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Der muss noch lange! – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Der kann auch!)



Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1424212200
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister
Bodewig, Sie haben davon gesprochen, Sie hätten für den
sozialen Wohnungsbau mehr Spielraum geschaffen. Ich
will Ihnen jetzt einfach einmal die Haushaltszahlen von
vier Jahren rot-grüner Politik im Bereich des sozialen
Wohnungsbaus vortragen: Sie haben im Jahr 1999 mit
1,1 Milliarden DM angefangen. Es ging weiter im Jahr
2000 mit 600 Millionen DM, im Jahr 2001 mit 450 Milli-
onen DM und im Jahr 2002 mit 230 Millionen Euro. Sie
haben uns im Jahr 1998 – da gab es 1,347 Milliarden DM
für den sozialen Wohnungsbau – vorgeworfen, das sei
die Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus.


(Zuruf von der SPD: Unwahrheit!)

Sie haben die Mittel um den Faktor vier reduziert. Ich
frage Sie schlicht und ergreifend: Was haben Sie getan?
Haben Sie mehr Spielraum für den sozialen Wohnungs-
bau geschaffen? Nein, Sie haben ihn beerdigt. Sie haben
ihn abgeschafft. Sie haben ihn beseitigt. Das ist Ihre Poli-
tik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Euren verlotterten Haushalt mussten wir sanieren!)


Frau Eichstädt-Bohlig, Sie haben zu Recht erwähnt
– auch der Kollege Oswald hat es treffend gesagt –: Woh-
nungsbaupolitik ist nicht nur eine Bundesaufgabe, son-
dern auch eine Aufgabe von Ländern und Kommunen. Nur
muss man den Ländern und Kommunen dann natürlich
auch die Freiheit und die Kraft geben, sich dieser Aufgabe
zu stellen. Schauen Sie sich die Mai-Steuerschätzung an!
Denken Sie an das Thema UMTS-Gelder! Denken Sie an
das Thema „Mindestsicherung in der Riester-Rente“! Übe-
rall haben Sie dafür gesorgt, dass die Kommunen über-
haupt nicht mehr den finanziellen Spielraum haben, um
diesen Aufgaben gerecht werden zu können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie kündigen seit vier Jahren eine Kommission an, die

sich der Gemeindefinanzreform annehmen soll.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch völliger Unsinn! Die Steuerreform wollten Sie doch auch machen!)


Ankündigung, Ankündigung, Ankündigung! Sie entzie-
hen das Geld und fordern die Kommunen auf, in diesem
Bereich tätig zu werden.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Bei dem Thema sollten Sie ganz still sein!)





Dieter Maaß

24295


(C)



(D)



(A)



(B)


Was Sie an dieser Stelle tun, Frau Eichstädt-Bohlig, ist un-
solide und unseriös.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Jetzt zum Thema Eigenheimzulage. Die Eigenheim-

zulage ist von 1996 bis 1999 in der deutschen Wohnungs-
baupolitik eine Erfolgsgeschichte gewesen. In diesem
Zeitraum gab es eine Steigerung der Zahl von selbst ge-
nutzten Eigenheimen und Wohnungen um 25 Prozent pro
Jahr. Eine Steigerung um 25 Prozent durch die Einführung
der Eigenheimzulage!


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/ CSU]: So war es!)


Damit – der Kollege Oswald hat es erwähnt – sind wir
dem Wunsch der Menschen nachgekommen: Drei Viertel
der Bevölkerung wollen in selbst genutztem Wohneigen-
tum leben. Wir haben die Rahmenbedingungen dafür ge-
schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das hatte auch einen Nebeneffekt: Wir sind damit nicht
nur dem Wunsch der Menschen nachkommen, sondern
haben auch etwas für den Arbeitsmarkt getan. Denn jede
Wohnung, die gebaut wurde, hat auch Arbeitsplätze gesi-
chert.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir haben das Realeinkommen erheblich verbessert!)


Was haben Sie an dieser Stelle getan? Schauen Sie sich
einmal die Entwicklung beim Wohneigentum nach 1999
an! Sie haben gesagt, Herr Bodewig, die Kurve sei auf-
wärts verlaufen. Nach 1999 sind zwar die Ausgaben ge-
stiegen, aber nicht die Zahl der Fertigstellungen beim pri-
vaten Wohneigentum. Seit 1999 ist die Zahl der
Fertigstellungen in diesem Bereich Jahr für Jahr rückläu-
fig. Das liegt an den Maßnahmen, die Sie durchgeführt
haben.

In Ihrem Antrag, Frau Eichstädt-Bohlig, heißt es so
schön, es müsse etwas für den Bestand getan werden. Das
ist auch durchaus richtig. Das haben Sie bereits vor vier
Jahren in Ihre Koalitionsvereinbarung aufgenommen.
Was aber tun Sie? Sie beseitigen den Vorkostenabzug. Das
war ein Schlag gegen den Bestand.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das, was Sie schriftlich ankündigen oder in Sonntags-
reden an die Öffentlichkeit bringen, ist das Gegenteil von
dem, was Sie hier beschließen. Das müssen die Menschen
begreifen. Ihr Reden und Ihr Handeln klafft auseinander.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Was kommt noch hinzu? Sie haben in den vergangenen
vier Jahren den zentralen Fehler gemacht, dafür zu sorgen,
dass die gesamte Bauwirtschaft verunsichert wurde.
Statt zur Sicherheit beizutragen, schürten Sie Verunsiche-
rung an allen Enden. Zum Beispiel haben Sie neben der
Abschaffung des Vorkostenabzuges die Spekulationsfrist

verlängert. Wer will denn angesichts dessen noch inves-
tieren?

Sie haben die steuerwirksame Verteilung des Erhal-
tungsaufwands auf mehrere Jahre zurückgenommen und
so ins Steuerrecht eingegriffen. Der Kollege Goldmann
hat das Mietrecht erwähnt. Überall haben Sie dafür ge-
sorgt, dass die Rahmenbedingungen für Investitionen ver-
schlechtert werden. Deshalb ist die Philosophie, dass sich
die Nachfrageentwicklung verändert habe, nicht richtig.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!)

Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Der andere Teil der
Wahrheit ist, dass Ihre Politik zu einer Verschlechterung
der Rahmenbedingungen für Investoren geführt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– HansMichael Goldmann [FDP]: Dass die Angebotsentwicklung gesteigert worden ist!)


Das muss zur Kenntnis genommen und korrigiert werden.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen.

Leider mussten wir – der Kollege Kansy hat das zu Recht
festgestellt –, fast über die gesamten vier Jahre die Bau-
politik vermissen.


(Widerspruch bei der SPD – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reform des sozialen Wohnungsbaus! Das ist auch Politik! Da haben Sie einiges nicht mitbekommen!)


– Die Politik in diesem Bereich hat der Bundesfinanzmi-
nister gemacht, Frau Eichstädt-Bohlig. Er hat diktiert, wie
die Gesetze aussehen sollen. Wenn eine Gesetzesände-
rung vorgenommen wurde, dann hat nicht das Bundes-
bauministerium entschieden, wie diese aussehen soll,
sondern das Bundesfinanzministerium – aus fiskalpoliti-
schen Gründen. Wir müssen in der Wirtschafts- und in der
Baupolitik endlich dazu zurückkommen, dass Sachpolitik
und nicht Fiskalpolitik betrieben wird.

Ein Blick auf die Eigenheimzulage zeigt, dass Sie nur
eines im Sinn haben: Ihren Finanzminister, Ihre Finanz-
politik, Ihre Budgetpolitik. Sie nutzen diesen Bereich als
Sparschwein, um andere Aufgaben zu retten. Das versu-
chen Sie aber zu verschleiern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir als Union dagegen sind Garant für das selbstge-
nutzte Wohneigentum. Wir werden das, was der Kollege
Oswald vorgetragen hat, Punkt für Punkt erfüllen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer es glaubt, wird selig!)


Lieber Herr Spanier, Sie haben eingangs in dieser De-
batte vorgetragen, die Bilanz der Politik dieser Bundesre-
gierung sei rundum positiv.


(Zuruf von der SPD: Da hat er Recht gehabt!)

Damit haben Sie aus Ihrem Antrag zitiert.




Dr. Michael Meister
24296


(C)



(D)



(A)



(B)


Lassen Sie mich einige Zahlen nennen. Die Entwick-
lung im Eigenheimbau ist – das habe ich bereits erwähnt –
seit zweieinhalb Jahren rückläufig. Auch die Zahl der
Baugenehmigungen – der Kollege Kansy hat das ange-
sprochen – ist rückläufig. Für dieses Jahr ist ein Rückgang
um 8,5 Prozent prognostiziert. Auch der Personalabbau
im Baugewerbe ist bereits angesprochen worden: Mehr
als 200 000 Arbeitsplätze sind verloren gegangen. Für die-
ses Jahr ist der Verlust von weiteren 50 000 Arbeitsplät-
zen im Baugewerbe angekündigt worden. Das ist die
„rundum positive Bilanz“ dieser Bundesregierung.

Im vergangenen Jahr gab es mehr als 30 000 Insolven-
zen, ein großer Teil davon in der Bauwirtschaft. Für die-
ses Jahr wird eine weitere Steigerung, auf rund 40 000 In-
solvenzen, prognostiziert. Das ist die „rundum positive
Bilanz“ dieser Bundesregierung. Das sind Spitzenzahlen,
nur mit dem falschen Vorzeichen. Deshalb ist eine Ände-
rung nötig. Das Vorzeichen muss geändert und Ihre Poli-
tik dringend beendet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich möchte noch kurz auf das Thema Zersiedlung ein-

gehen, das Sie, Frau Eichstädt-Bohlig, immer so gerne an-
sprechen. Wir sind zwar der Meinung, dass vorrangig eine
bundesweit einheitliche Eigenheimzulage notwendig ist.
Aber natürlich muss darauf geachtet werden, dass dies mit
anderen Bereichen, zum Beispiel mit einer sinnvollen
Stadt- und Raumordnungspolitik, vernetzt wird. Wer
glaubt, dass dies allein mit dem Instrument der Eigen-
heimzulage möglich ist, ist auf dem falschen Weg. Wir
müssen die Eigenheimzulage als bundesweites Instru-
ment belassen und sie durch andere Instrumente flankie-
ren. Dann sind wir auf dem richtigen Weg.

Wenn wir das zur Abstimmung stellen, sind wir auf ei-
nem guten Weg. Dann werden auch die Kollegen, die uns
verlassen, Herr Maaß, Herr Kollege Kansy und andere,
die uns leider nicht mehr auf diesem Weg begleiten kön-
nen, von außen sagen: Ab dem 22. September 2002 wird
im Bauausschuss des Deutschen Bundestages doch wie-
der eine gute Sach- und Fachpolitik betrieben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424212300
Die letzte Rednerin in

dieser Debatte ist die Kollegin Gabriele Iwersen für die
SPD-Fraktion.


Gabriele Iwersen (SPD):
Rede ID: ID1424212400
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! 1998 ist die alte Regierung
wegen absoluter Reformunfähigkeit abgewählt worden.
Was Sie heute geliefert haben, zeigt, dass Sie wieder in die
Zeit vor 1998 zurück wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben von der gesamten Entwicklung nichts verstan-
den. Sie verstehen nicht, dass sich aufgrund von Überka-
pazitäten Insolvenzen entwickelt haben. Sie verstehen
auch nicht, dass die Zahl der Eigenheimbauten zurückge-
gangen ist, weil der Bedarf gedeckt war. In diesem Punkt

sind ja die Beiträge der PDS noch besser. Das will schon
etwas heißen. Sie sollten sich das einmal zu Herzen neh-
men.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Na, na!)


Ich will mich deshalb lieber einem friedlichen Thema
zuwenden und es noch einmal mit der Baukultur versu-
chen. Baukultur – für diejenigen, die es noch nicht wis-
sen – beschreibt den Umgang der Gesellschaft mit der ge-
bauten Umwelt, mit Städten und Dörfern, mit dem
öffentlichen Raum und dem privaten Raum. Der Begriff
Kultur allein ist natürlich noch kein Qualitätsnachweis. Er
weist aber darauf hin, dass es sich um eine gesellschaftli-
che Gesamtleistung handelt, die Auskunft gibt über die
Art des Zusammenlebens unterschiedlicher sozialer
Gruppen und Generationen, über staatliche Ordnungen,
Stellenwert von Geschichte und Tradition und Umgang
mit dem kulturellen Erbe eines Volkes. Das sind allge-
meine Beschreibungen, die noch lange nachwirken. Die-
ses alles zusammen verdient die Bezeichnung Baukultur.

Eine wachsende Gesellschaft kann zu einem explosi-
onsartigen Wachstum der Städte und Siedlungen führen.
Als Beispiele nenne ich die Gründerzeit, aber auch die
Zeit nach der Öffnung der Mauer und des Eisernen Vor-
hangs. Es gibt aber auch Phasen der Stagnation oder sogar
des Verfalls durch Kriege, Katastrophen, Seuchen, Wan-
derungsverluste oder drastischen Geburtenrückgang. Auf
all diese Ereignisse gibt es Antworten, die ihren Ausdruck
in der Baukultur einer Gesellschaft finden, welche immer
eine Mischung aus persönlicher Entscheidung und Gestal-
tungskraft des Einzelnen und einem Ordnungswillen der
Gemeinschaft oder früher der Obrigkeit verkörpert.

In unserer Gesellschaft haben wir als Deutscher Bun-
destag zusammen mit den Parlamenten der Länder über-
geordnete Entwicklungsleitlinien zu entwerfen. Dabei
gibt es verschiedene Instrumente: Das Baugesetzbuch ist
unsere Bibel und der Bundeshaushalt das Steuerungsin-
strument, mit dem Entwicklungen durch Programme ini-
tiiert oder bewusst oder mangels Masse auch verzögert
werden können.

Leider sind nicht alle persönlichen Wünsche der Bür-
ger mit den Interessen der Gemeinschaft in Einklang zu
bringen. Da aber jeder Mensch in dem Spannungsfeld
zwischen seiner individuellen privaten Lebenswelt, also
seiner Wohnküche, und dem identitätsstiftenden öffentli-
chen Raum seiner Stadt oder seines Dorfes lebt, muss es
unsere wichtigste Aufgabe sein, diesen übergeordneten
Stadt- oder Siedlungsraum zu entwickeln, um ihn der sich
ständig verändernden Gesellschaft anzupassen. Vor
30 Jahren – das wissen Sie alle – prägte das Ideal der au-
togerechten Stadt die Planungen, heute steht zum Beispiel
der Gedanke der Barrierefreiheit oder des sozialen Zu-
sammenhalts im Vordergrund, insbesondere bei der rot-
grünen Wohnungs- und Städtebaupolitik. Im Grunde ge-
nommen würden Sie das aber auch nicht ablehnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da werden Sie auf einmal nett zu uns!)


Unsere Gesellschaft altert rapide – das weiß nun schon
jeder –, die Zahl der Einwohner wird innerhalb der nächsten




Dr. Michael Meister

24297


(C)



(D)



(A)



(B)


Jahrzehnte vielleicht tatsächlich um bis zu 20 Millionen
sinken. Das heißt, je mehr jetzt gebaut wird, umso mehr
wird auch von dem jetzt Vorhandenen abgebrochen wer-
den müssen, wenn unsere Kinder und Enkel nicht gerade
in Geisterstädten leben sollen. Dieser Prozess der Er-
neuerung muss mit Weitsicht geplant werden, damit es
nicht zu einer Auflösung der Städte und der städtischen
Gesellschaft kommt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Statusbericht „Baukultur in Deutschland“ – ein
sehr lesenswertes Papier – weist darauf hin, dass der Be-
stand an verdichteter Innenstadtbebauung wesentlich zur
Identität jeder Stadt beiträgt und sich diese nicht über die
größte Vorstadt oder das größte Einkaufszentrum defi-
niert. Behutsame Stadterneuerung bedeutet deshalb in
erster Linie Pflege und weitere Nutzung des Bestandes,
Schutz der historisch wertvollen Bausubstanz, Reaktivie-
rung von brachliegenden Flächen – die wird es zuneh-
mend geben – und Verhinderung der Gettobildung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die sozialen Aspekte der Stadtentwicklung gewinnen
immer mehr an Bedeutung; denn die soziale Polarisierung
in unserer Gesellschaft schlägt sich auch in der räumli-
chen Struktur der Stadt nieder. Die rot-grüne Regierung
hat diesen Strukturproblemen deshalb einen Schwerpunkt
ihrer Städtebaupolitik gewidmet. Die Programme „Die
soziale Stadt“, „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“
sind so unheimlich wichtig, weil sie dazu beitragen, den
Organismus Stadt als eine Einheit der gebauten Umwelt
und ihrer Bewohner zu betrachten. Erst wenn das ge-
schieht, kann man Problembereiche verändern.

Auch hierbei erfahren wir, dass der öffentliche Raum
zur Lebensqualität eines Quartiers wesentlich beiträgt. Er
dient eben nicht nur zur Erschließung, sondern er ist auch
Lebensraum, der eine eigene Gestalt hat. Der Vorgang des
Gestaltens ist der kulturelle Beitrag aller an der Planung
und Ausführung Beteiligten. Alle, das heißt Fachleute so-
wie Bürger; denn Baukultur ist Ausdruck eines Gemein-
schaftsergebnisses. Sie bleibt der Nachwelt als Zeugnis
der Lebensform unserer Gesellschaft, die auf Bürger-
beteiligung setzt, erhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Baukultur findet ihren Ausdruck andererseits in Mas-
senware, die unter dem Stichwort „Wohneigentum“ nach
staatlicher Förderung verlangt. Nicht die Zahl der Bau-
genehmigungen ist für die Beurteilung der Eigenheim-
zulage und ihrer Wirkung wichtig, wie Dr. Kansy oder
Dr. Meister glauben, sondern die Frage, wo diese Häuser
gebaut werden. Leider entstehen sie oftmals dort, wo der
Bauplatz billig ist und die Städte eher durch Leerstand als
durch einen engen Wohnungsmarkt, der unbedingt des zu-
sätzlichen Bauens bedarf, gekennzeichnet sind.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Die Anhörung hat etwas anderes ergeben!)


– Nein, Sie haben bei der Anhörung nicht zugehört; sonst
wüssten Sie, was wir da zu hören bekommen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – HansMichael Goldmann [FDP]: Sie haben es nicht hören wollen!)


Zwischen der Befriedigung eines Anspruchs – den ha-
ben diejenigen, die nach einer Wohnungsbauförderung
fragen – und einem Bedarf besteht nämlich ein Unter-
schied: Der Bedarf steht bei der Städtebauförderung im
Vordergrund. Deshalb halte ich die Städtebauförderung
für den besseren Weg, um gesamtgesellschaftliche Pro-
bleme zu lösen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auf jeden Fall war der Bundesbauminister wirklich gut
beraten, als er die „Initiative Architektur und Baukultur“
ergriff. In der Tat muss in der Öffentlichkeit wesentlich
stärker darauf hingewiesen werden, bei wem die Verant-
wortung liegt, nämlich bei Bauherren, Planern und Poli-
tikern. Das gilt besonders dann, wenn sie sich daranma-
chen, zusätzliche Baurechte auszuweisen und Eingriffe in
unsere Siedlungsgeschichte in die Wege zu leiten.

Zum Schluss möchte ich ein Wort zu dem öffentlichen
Bauherrn sagen. Natürlich hat die öffentliche Hand als
Bauherr die Pflicht, Vorbildliches zu leisten. Das gilt so-
wohl für Neubauten wie auch für den Umgang mit Ererb-
tem. Wettbewerbe sind deshalb der beste Weg, sich einer
Gestaltung zu versichern, die aus einer Vielzahl von Lö-
sungen herausgefiltert worden ist. Das sollte auch für die
historische Mitte Berlins gelten; denn jede Zeit hinterlässt
durch ihre wichtigsten öffentlichen Bauten Zeugnisse ih-
rer gestalterischen Kraft. Es gab allerdings auch Epochen,
die auf Nachahmung der Vergangenheit setzten, um neue
Inhalte hinter alten Fassaden zu verstecken. Wollen wir
tatsächlich Neobarock in Berlin einführen? – Ich jeden-
falls nicht!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Ich ja!)


Baukultur ist ein weites Feld, über das wir noch lange
reden könnten. Ich kann Ihnen nur noch sagen: Meine Zeit
in diesem Hohen Hause ist um. Ich bedanke mich bei al-
len, die einigermaßen seriös diskutiert haben, um die Pro-
bleme unserer Städte und unserer Bevölkerung zu lösen.
Bei denen, die nur aus Prinzip Gegenargumente suchen,
bedanke ich mich vorsichtshalber nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424212500
Frau Kollegin
Iwersen, auch für Sie war es die letzte Rede hier im Ho-
hen Hause. Vielen Dank für Ihr Engagement und alles
Gute auf Ihrem weiteren Lebensweg!


(Beifall im ganzen Hause)

Ich schließe die Aussprache.




Gabriele Iwersen
24298


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir kommen zu den Abstimmungen. Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen auf Drucksache 14/9344 zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Für eine voraus-
schauende Wohnungs- und Städtebaupolitik“: Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6048 ab-
zulehnen.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Entsetzlich!)


Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenom-
men. Kann ich noch einmal fragen, wie das Abstim-
mungsverhalten der FDP-Fraktion war?


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die ist mit sich beschäftigt! – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wir lehnen die Beschlussempfehlung ab!)


– Dann machen wir das Ganze noch einmal. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Damit ist diese Beschlussempfehlung gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der CDU/CSU zu ihrer Großen Anfrage auf Drucksa-
che 14/7124: Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf
Drucksache 14/9397? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Jetzt klappt es im ersten Anlauf. Der Entschließungsan-
trag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ab-
gelehnt.

Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf
Drucksache 14/9141 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Bessere steuerliche Rahmen-
bedingungen für den Wohnungsbau“: Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6637 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion bei Ent-
haltung der FDP-Fraktion angenommen.

Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Änderung wohnungsrecht-
licher Vorschriften, Drucksache 14/8993: Der Ausschuss
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9347, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der FDP-
Fraktion angenommen.

Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen gibt es keine. Der Ge-
setzentwurf ist damit gegen die Stimmen der FDP-Frak-
tion angenommen.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/8966 und 14/9355 an die in der

Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Schlussberichts der Enquete-Kom-
mission „Recht und Ethik der modernen Medi-
zin“
– Drucksache 14/9020 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPD-
Fraktion ist der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1424212600
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich freue mich, dass wir
heute einen kleinen Rückblick und eine kleine Zusam-
menfassung der Arbeit der Enquete-Kommission haben.

Ich möchte einige Worte zur Entwicklung sagen. Wie
ist es dazu gekommen, dass sich der Deutsche Bundestag
so intensiv mit bioethischen Themen befasst hat? Wir hat-
ten in der Vergangenheit in diesem Hause bereits mehr-
fach Themen diskutiert, die eine starke ethische Relevanz
hatten und die zeigten, dass Medizin immer wieder an
Grenzen stößt, die mit unserem Grundgesetz zu tun ha-
ben, nämlich mit der Menschenwürde. Wir haben vor über
zehn Jahren das Embryonenschutzgesetz diskutiert. Wir
haben die Debatte um die Abtreibung gehabt. Wir haben
in der letzten Legislaturperiode das Transplantations-
gesetz verabschiedet. Wir haben dann in der letzten Legis-
laturperiode – wenn auch nicht hier im Plenum, so doch
in verschiedenen Gremien im Deutschen Bundestag – de-
battiert, ob Deutschland die Bioethikkonvention des Eu-
roparates unterzeichnen soll oder nicht.

Aus dieser Debatte, die überfraktionell unter Abge-
ordneten stattgefunden hat, wurde die Idee geboren,
diese Diskussion zu strukturieren, die Lücken in der
Bioethikkonvention herauszufinden und sie für Deutsch-
land zu schließen, bevor Deutschland diese Konvention
zeichnet. Das war der Anlass und wurde dann so auch in
den Koalitionsverhandlungen besprochen. Es gab dazu
zwar keine schriftliche Vereinbarung, aber eine Abspra-
che.

Es war nicht einfach, diese Absprache anschließend in
den einzelnen Fraktionen umzusetzen. Es gab Wider-
stände gegen die Einrichtung einer Enquete-Kommission.
Diese Widerstände sind überwunden worden – wenn auch
leider etwas spät, sodass wir erst im Frühjahr des Jah-
res 2000 mit der Arbeit beginnen konnten. Weil wir also
nur noch wenig Zeit hatten, mussten wir uns auf wenige
Themen konzentrieren.

Eine Voraussetzung unserer Arbeit war, die in Gesetz-
gebungsprozessen anstehenden Entscheidungen nicht
durch lange theoretische Überlegungen zu behindern. Das
nämlich befürchteten die Praktiker in der Regierung wie
in den Fraktionen. Wir haben versprochen, entschei-
dungsbegleitend arbeiten zu wollen. Das konnten wir in
drei Fällen tun.




Vizepräsidentin Petra Bläss

24299


(C)



(D)



(A)



(B)


Erstens begleiteten wir den Diskussionsprozess um die
Europäische Grundrechte-Charta. Ich bin sehr froh da-
rüber, dass wir dabei erreichen konnten, einen Diskrimi-
nierungsschutz im Hinblick auf die genetische Prädispo-
sition der Menschen in die Grundrechte-Charta einfließen
zu lassen. Früher konnte man Menschen zum Beispiel
wegen ihrer Hautfarbe, wegen ihres Geschlechts und we-
gen ihrer Herkunft diskriminieren. Das sind genetische
Merkmale, aber die Möglichkeiten der Diskriminierung
steigen mit dem Wissen um die genetische Prädisposition
der Menschen. Dem haben wir Rechnung getragen. Das
ist direkt in unsere Vorschläge eingeflossen.

Zweitens behandelten wir die Frage des Stammzell-
importes. Die mehrfach geführten Debatten darüber nah-
men in diesem Haus großen Raum ein.

Drittens debattierten wir – ebenfalls entscheidungs-
begleitend – über die Umsetzung der Biopatentrichtlinie
der Europäischen Union. Wir haben hierzu Empfehlungen
ausgesprochen, die das Parlament auffordern, diese Pro-
blematik noch einmal umfassend zu betrachten und die
möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung der Medi-
zin und der Forschung gründlicher zu bedenken. Ich bin
froh, dass diese Bedenkzeit angenommen wurde und die
Fraktionen bisher davon Abstand genommen haben, eine
Entscheidung darüber durch das Parlament zu peitschen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Zum Zwecke der systematischen Bearbeitung haben
wir uns für einige Themenfelder in Arbeitsgruppen auf-
geteilt: Fortpflanzungsmedizin, Organersatztechnologien
und Schutz der genetischen Daten. Die Arbeitsgruppen
haben Berichte erstellt, die wir anschließend zusammen-
geführt haben. Das war möglich, weil wir engen Kontakt
gesucht haben, einerseits mit der Bevölkerung und ande-
rerseits mit Fachleuten, mit Sachverständigen und Wis-
senschaftlern, wie das bei einer Enquete-Kommission
üblich ist. So konnten wir eine Menge Material aufarbei-
ten, das zum Beispiel auf dem Gebiet der Fortpflanzungs-
medizin eine Entscheidungsgrundlage hinsichtlich der
Präimplantationsdiagnostik bildet: Soll es erlaubt sein,
Embryonen auszusortieren, weil sie bestimmte Merkmale
haben? Darf der Mensch das tun? Zu diesen Fragen haben
wir ein deutliches Votum erarbeitet, in dem wir uns
gegen die Einführung der Präimplantationsdiagnostik in
Deutschland aussprechen.

Wir haben parallel dazu über die Pränataldiagnostik
debattiert, weil wir meinten, dass dieses Thema dazu-
gehört. Auch auf diesem Gebiet hat eine Entwicklung
stattgefunden, die das Parlament nicht einfach tolerieren
kann. Auch hierzu haben wir Empfehlungen entwickelt.

Wir haben darüber hinaus sehr intensiv über den Be-
reich der Stammzellforschung debattiert. Neben der
Diskussion über die embryonale Stammzellenforschung
haben wir akribisch die Chancen der alternativen For-
schung, der Forschung an adulten Stammzellen und der
Forschung zu Nabelschnurblutstammzellen herausgear-
beitet. Wir haben die Möglichkeiten der einzelnen Alter-
nativen nebeneinander gestellt, um sie dem Parlament

nahe zu bringen und Entscheidungen darüber zu ermög-
lichen.

Ich hebe hervor, dass wir uns im Hinblick sowohl auf
die Stammzellforschung als auch auf die Biopatentricht-
linie gestritten haben. Dazu gab es keine einheitlichen
Voten, sondern es kam zur Gabelung von Voten. Es gab
Voten, die nebeneinander standen, sowie Minderheiten-
voten. Das alles kann man dem Bericht entnehmen.

Aber es gibt auch Bereiche, in denen wir einer Mei-
nung waren und zu einem einheitlichen Beschluss ge-
kommen sind, so zum Beispiel im Bereich der geneti-
schen Daten. Wir sind hier alle der Meinung, dass eine
Regelung erforderlich ist, und haben die Bedingungen für
eine Regelung aufgelistet. Die CDU/CSU hat dann gleich,
weil sie das aus der Opposition heraus so bequem kann,
einen Antrag daraus geschmiedet. Es ist aber zum Ende
der Legislaturperiode hin schwierig, einen solchen Antrag
umzusetzen; das wissen Sie selbst. Wir haben uns be-
scheidener gebärdet. Wir haben Eckpunkte formuliert, die
wir aus diesen Empfehlungen abgeleitet haben, und wer-
den diese in der nächsten Legislaturperiode umsetzen.
Das ist unsere Herangehensweise.

Ich erwähne diesen Bereich deshalb noch einmal, weil
er auch in der Öffentlichkeit nicht genügend wahrgenom-
men wird. Wer den Film „Gattaca“ gesehen hat, dem ist
eine Vision vermittelt worden, die von der Wirklichkeit
gar nicht so weit entfernt ist. Darin geht es um einen jun-
gen Mann, dessen Bildungschancen nach seiner geneti-
schen Prädisposition abgeschätzt werden. Ihm wird ge-
sagt: Du hast bestimmte Risiken und bestimmte Anlagen.
Für dich kommt nur dieser Bildungsweg infrage, sonst ha-
ben wir eine Fehlinvestition getätigt. Hier wird uns ge-
zeigt, was daraus werden kann, wenn aufgrund von gene-
tischen Anlagen diskriminiert wird. Ich denke, dass wir
die Medien, die uns das anschaulich machen, brauchen
und dass solche Filme in Schulen und in der Öffentlich-
keit gezeigt und diskutiert werden sollten, damit wir eine
Ahnung von dem bekommen, was auf uns zukommen
kann und was wir regeln müssen, damit kein Missbrauch
geschieht.

Die Medizin war immer ein Grenzgebiet. Die Arzt-
Patienten-Beziehung war etwas Heiliges, bei dem keiner
dazwischenfunken durfte. Die Dyade Arzt/Patient war et-
was, bei dem das Interesse Dritter nichts zu suchen hatte.
Das hat sich geändert, zum Beispiel als die Transplantati-
onsmedizin hinzukam, als die Organe von Patienten für
andere genutzt werden sollten. Das hat sich jetzt auch in
Bezug auf den Lebensanfang geändert, nämlich wenn es
darum geht, Embryonen, die, wie man sagt, überzählig
seien, zu verwerten, um daraus Medikamente zu machen.
Hier ist ein besonderer Schutz nötig und hier brauchen wir
gesetzliche Regelungen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424212700
Herr Kollege Wodarg,
ich muss Sie jetzt doch ein bisschen bremsen, weil Ihre
Redezeit weit überschritten ist.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1424212800
In Ordnung. Wir haben
leider nur sehr kurze Redezeiten. Meine Kollegen werden
auf die einzelnen Punkte wahrscheinlich noch eingehen.




Dr. Wolfgang Wodarg
24300


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte zum Schluss all denen Dank sagen, die
mitgearbeitet haben: den Sachverständigen, den Mitar-
beitern im Büro der Enquete-Kommission, aber auch den
Mitarbeitern in den Abgeordnetenbüros und in den Frak-
tionsbüros. Ich glaube, wir haben auch durch die Zusam-
menarbeit mit der Öffentlichkeit gezeigt, wie gut es ist,
dass man sich über diese Themen streitet. Der Nationale
Ethikrat, der von der Bundesregierung als Antwort auf die
Enquete-Kommission eingerichtet wurde, hat die Auf-
merksamkeit in der Bevölkerung gesteigert. Ich bin dem
Kanzler also ausdrücklich dankbar, dass er sich hier ge-
wappnet und einen Ethikrat eingesetzt hat, was die Medien
dazu gebracht hat, diesem Thema die nötige Aufmerksam-
keit zu widmen. Diese Aufmerksamkeit brauchen wir für
eine breite Debatte.

Ich denke, wir haben gemeinsam viel geleistet. Ich be-
danke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen für die
Zusammenarbeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424212900
Das Wort hat der Kol-
lege Hubert Hüppe für die Fraktion der CDU/CSU.


Hubert Hüppe (CDU):
Rede ID: ID1424213000
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir, die Mitglieder der Enquete-Kommission „Recht und
Ethik der modernen Medizin“, sind natürlich einerseits
sehr zufrieden, dass wir heute unseren Schlussbericht vor-
stellen können. Auf der anderen Seite – ich glaube, hier
kann ich für alle Mitglieder der Enquete-Kommission
sprechen – sind wir auch ein wenig unzufrieden, vor al-
lem deswegen, weil wir noch viele andere Themen hätten
behandeln wollen, für die die Zeit einfach nicht aus-
reichte.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Das stimmt!)

Ein Grund dafür war, dass wir unsere Arbeit als Enquete-

Kommission erst vor zwei Jahren aufnehmen konnten.
Dass unsere Enquete-Kommission zuletzt eingesetzt wor-
den ist, lag auch daran, dass es maßgebliche Leute gab,
die eine öffentliche und demokratische Diskussion über
die Biotechnologie beim Menschen verhindern wollten.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Wohl wahr!)

Es ist letztendlich aber gerade diese öffentliche Diskus-
sion, die es dazu kommen ließ, dass über alle Parteigren-
zen hinweg die Einsicht wuchs, dass das Thema Bioethik
in der Gesellschaft und im Parlament diskutiert werden
muss.

Ein weiterer Grund, warum wir unser Pensum nicht so
leisten konnten, wie wir es wollten, war, dass wir mit im-
mer neuen Themen konfrontiert wurden: mit der Biopa-
tent-Richtlinie, den embryonalen und adulten Stammzel-
len, dem so genannten therapeutischen Klonen, dem
reproduktiven Klonen, mit Gentests, Keimbahninterven-
tionen, mit der Präimplantationsdiagnostik und der Euro-
päischen Grundrechte-Charta; um nur einige Themen zu
nennen.

Im Verlauf der zweijährigen Beratungen stießen wir
immer wieder auf ganz grundsätzliche Fragen: Wann
beginnt der Mensch? Wann ist er Träger der Menschen-
würde? Und vielleicht noch viel schwieriger zu beant-
worten: Wann ist der Mensch tot? Dabei haben wir uns
nicht nur mit neuen Themen in Forschung und Medizin
beschäftigt, sondern auch neue Fragen zu alten Themen
gestellt. Wir haben nicht nur gefragt, ob man viele Schritte
nach vorne machen soll oder nicht, ob wir Grenzen und,
wenn ja, welche wir setzen sollen und was wir fördern
oder was wir nicht fördern sollten. Wir haben auch ge-
fragt, ob wir nicht in manchen Bereichen, ohne darüber zu
diskutieren und ohne dass es uns aufgefallen wäre, schon
viel zu weit gegangen sind.

Ein Beispiel dafür ist die Pränataldiagnostik, zum
Beispiel der vorgeburtliche Gentest. Nirgendwo zeigt sich
deutlicher als bei der jetzigen Praxis der Pränataldiagnos-
tik, wie diese Technik unser Leben verändert hat. Die
Schwangerschaft ist in den letzten 30 Jahren Schritt für
Schritt von einem natürlichen Ereignis zu einem total
kontrollierten, überwachten und technisierten Vorgang
geworden. Um zwei Zahlen zu nennen: 1970 gab es in
Deutschland sechs Fruchtwasseranalysen. 1995 – das
steht in dem Bericht des Technikfolgenabschätzungs-
büros des Deutschen Bundestages – gab es allein in den
alten Ländern 61 794 Amniozentesen, also Fruchtwasser-
analysen. Hatte man am Anfang behauptet, diese Tests
sollten nur in extremen und seltenen Fällen durchgeführt
werden, gelten heute 70 bis 80Prozent der Schwanger-
schaften als Risikoschwangerschaft. Immer neue Tests
kommen auf den Markt. Das Fahndungsnetz nach kran-
kem und behindertem Leben wird immer dichter.

Sogar Schadensersatzklagen kommen vor, weil ein be-
hindertes Kind geboren worden ist.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Skandalös kann man das nur nennen!)


Nicht, weil man einen Pränataltest verpasst hätte, mit dem
man dem Kind hätte helfen können! Nein, es gibt Scha-
densersatzklagen, weil dieses Kind nicht im Mutterleib
getötet worden ist. Ich denke, dass dies – auch wenn es alt
ist und wir uns damit vielleicht sogar schon abgefunden
hatten – ein ganz wichtiger Punkt ist, über den im neu ge-
wählten Deutschen Bundestag unbedingt noch einmal
diskutiert werden muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg [SPD])


Meine Damen und Herren, ich als Abgeordneter habe
noch kein parlamentarisches Gremium erlebt – das muss
ich wirklich sagen –, in dem die Parteizugehörigkeit der
Mitglieder so unwichtig war.


(René Röspel [SPD]: Das hat er richtig genossen!)


– Ja, es stimmt: Ich habe es genossen. Das gebe ich zu.

(Werner Lensing [CDU/CSU]: Die Genossen genossen?)

– Auch die Genossen; auch das gebe ich zu. Es war mal so
und mal so, wie das eben so ist.




Dr. Wolfgang Wodarg

24301


(C)



(D)



(A)



(B)


Entscheidend waren stattdessen ethische Überzeugun-
gen, die Einsicht in das Notwendige und Sachkenntnisse,
die wir als Abgeordnete den Sachverständigen in unseren
Anhörungen zu verdanken haben. Selten hat eine
Enquete-Kommission so viel Beachtung in den Medien
und in der Bevölkerung gefunden. Ich gebe zu: Das war
nicht nur so, weil sich Abgeordnete gerne im Fernsehen
oder in der Zeitung wiedererkennen. Das war so gewollt.


(René Röspel [SPD]: Nicht so viel Selbstkritik!)


Wir haben von Anfang an Wert auf die Beteiligung der Öf-
fentlichkeit und auf Transparenz gelegt. Neben öffentli-
chen Anhörungen und Dialogveranstaltungen haben wir
uns auch Diskussionen im Internet gestellt.

Mein Dank – da darf ich mich Wolfgang Wodarg an-
schließen – gilt nicht nur den Sachverständigen, von de-
nen ich einige auf der Zuschauertribüne begrüßen darf.
Herzlich willkommen!


(Beifall im ganzen Hause)

Sie haben mit enormem Engagement einen Großteil der
Arbeit geleistet. Mein Dank gilt auch den Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern des Enquete-Büros – ich gebe zu,
dass sie es nicht immer ganz leicht mit uns hatten –


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Das ist alles relativ!)


und natürlich der Fraktion und allen beteiligten Bundes-
tagsabgeordneten.

Auch wenn wir heute über unseren Schlussbericht
diskutieren, wissen wir alle: Wir stehen nicht am Ende der
Debatte, sondern an deren Anfang. Wir sind uns einig
– ich hoffe, auch das kann ich für alle sagen –, dass die
Bio- und die Gentechnik für unsere Zukunft eine Schlüs-
selrolle spielen werden. Sie bieten enorme Chancen und
kein vernünftiger Mensch will Forschung und Fortschritt
verhindern.

Wir sehen aber auch Gefahren und Risiken: Kommt
der Mensch nach Maß? Ist die Präimplantationsdiagnos-
tik, also die genetische Selektion im Reagenzglas, nicht
der nächste Schritt zu einer eugenischen Selektion? Schon
gibt es einen Gentest, der die Embryos auf Lernbehin-
derung testet. Einige träumen inzwischen von der völlig
kontrollierten Zeugung. Der Nobelpreisträger James
Watson will die Gesellschaft zu einer, wie er sagt, gene-
tischen Weltsicht bringen und die Geburt erblich be-
lasteter Kinder durch PID und Abtreibung verhindern.

Was heute wie Science-Fiction klingen mag, kann mor-
gen Realität sein; schließlich ist heute schon Realität, was
vor zehn Jahren noch als Science-Fiction abgetan wurde.
Wer hätte vor zehn Jahren geglaubt, dass wir heute
darüber reden, durch das Klonen den eigenen genetischen
Zwilling zu produzieren, um ihn als Ersatzteillager zu
nutzen? Hätten wir uns damals vorstellen können, dass ein
Privatunternehmen die genetischen Daten und Kranken-
akten eines ganzen Volkes kauft, um sich Patente zu sich-
ern? In Island ist das passiert. Hätten wir geglaubt, dass
sich eine über 60-jährige Frau von ihrer Tochter Eizellen
spenden lässt, um dann ihren eigenen genetischen Enkel

auszutragen? Oder hätten wir geglaubt, dass es Wissen-
schaftler gibt wie ein Forscherteam der University of
Bath, dem es gelungen ist, Frösche ohne Kopf zu pro-
duzieren, unter anderem mit der Begründung, wenn dies
auch beim Menschen gelänge, hätte man die idealen Er-
satzteillager.

Sicher sind dies alles Extrembeispiele. Sie zeigen aber,
dass es, wenn man keine gesetzlichen Grenzen setzt,
keine Grenzen geben wird. Wir als Parlament müssen
diese Diskussion führen und gegebenenfalls auch die
Grenzen setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der PDS sowie des Abg. René Röspel [SPD])


Wir dürfen diese Fragen nicht allein den Fachzirkeln der
Wissenschaft überlassen und sie auch nicht an irgendwel-
che Ethikräte delegieren.

Ab und zu wurde der Mehrheit der Enquete-Kommis-
sion vorgeworfen – das konnte man in der Presse lesen –,
sie sei zu restriktiv und – auch das sind Worte, die gefal-
len sind – es gebe eine Inflation des Menschenwürdebe-
griffes. Außerdem – auch das nehmen wir zur Kenntnis –
würde im Ausland, vor allem in der EU, sowieso alles ge-
macht, was man machen könne.

Angesichts einiger Entwicklungen, die ich gerade dar-
gestellt habe, glaube ich nicht, dass es gefährlich wird,
wenn wir den Begriff der Menschenwürde zu breit fas-
sen. Ich glaube eher, es wird gefährlich, wenn wir ihn zu
eng fassen. In unserem Grundgesetz steht nicht ohne
Grund an erster Stelle, auch aufgrund der Erfahrungen,
die wir vor 1945 bei der Nazimedizin und der Nazieu-
genik gemacht haben: „Die Würde des Menschen ist un-
antastbar.“ Es gibt hinter diesem Art. 1 im Grundgesetz
keine Klammerbemerkung, in der es heißt, „es sei denn,
im Ausland wird die Menschenwürde auch angetastet“
oder „es sei denn, unser Wirtschaftsstandort ist gefähr-
det“. Nein, meine Damen und Herren, es ist unsere
Pflicht, diesen Artikel zu schützen. Es ist unsere Pflicht,
die Menschenwürde für jeden Menschen durchzusetzen,
egal ob behindert oder nicht behindert, ob krank oder ge-
sund, ob alt oder jung, ob geboren oder ungeboren.

Dass wir die Chancen des Fortschritts nutzen, die Risi-
ken und Gefahren abwehren, dass wir das eine von dem
anderen unterscheiden und als Gesetzgeber unsere Pflicht
tun, gehört auch zukünftig zu unserer eigenen, ursprüng-
lichen Verantwortung als Parlament.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424213100
Das Wort hat die Kol-
legin Monika Knoche für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.


Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424213200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Her-
ren und Damen! Als eine Initiatorin der Enquete-Kom-
mission kann ich sagen: Die Einsetzung war ein parla-
mentarischer Selbstbehauptungsakt, aber auch ein Erfolg.




Hubert Hüppe
24302


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Bildung des Nationalen Ethikrates als Konkurrenz-
gremium konnte ihrem Ansehen nichts anhaben. Die En-
quete-Kommission hat die vorausschauende Erfassung
der zentralen Menschenrechtsfragen der Moderne, die im-
mer nur der Souverän als erster Verfassungsinterpret be-
antworten kann, thematisiert und zukunftsweisende Ant-
worten zur Wahrung der Werte gegeben.

Das Niveau, den Maßstab für die inhaltliche Befassung
mit der Menschenwürde im Zeitalter unübersehbarer Ge-
fährdungen haben alle Mitglieder gemeinsam gesetzt.
Menschheitsgeschichtlich neu ist die Erzeugung – nicht
die Zeugung – eines Menschen. Darum ranken die Über-
legungen zum Leiblichkeitskonzept der Menschenwürde.

Wenn es der Frau als Schwangeren und Gebärenden
nicht mehr bedarf, um einen Menschen in die Welt zu
bringen, dann sind die wirklich großen Unfreiheiten, ja
Fremdbestimmungen künftiger Generationen und Indivi-
duen in der gentechnischen Manipulation am Embryo in
vitro zu sehen. Wenn er von der Zugehörigkeit der Gat-
tung Mensch ausgeschlossen wird, weil er als Zellgebilde
vorführbar, handhabbar geworden ist und sich bei man-
chen deshalb keine moralischen Skrupel regen, dann ist
das kein Argument für die Vernutzung. Wenn er kein Ei-
genrecht haben soll, dann wäre der weiteren Verzweckung
des Menschen nicht mehr prinzipiell, sondern höchstens
noch graduell etwas entgegenzusetzen. Um nichts weni-
ger geht es.


(Beifall bei der PDS)

Ich meine, die Etablierung des utilitaristischen

Menschenrechtskonzeptes findet bereits statt; denn der
Forschungszweig „Stammzellforschung“ basiert auf der
In-Dienst-Setzung des Embryos für fremdnützige Interes-
sen. Aus ihm ist schon ein Produkt geworden. Damit ist
meiner Auffassung nach das Embryonenschutzgesetz in
diesem Feld praktisch und faktisch umgangen worden.

Die nächsten Aufweichungen und Gesetzesänderun-
gen werden schon für die Zeit nach der nächsten Bundes-
tagswahl angekündigt. Ich sage es noch einmal: Egal wie
die Akzeptanzrhetorik auch lauten wird, die PID ist Eu-
genik ohne Schwangerschaft und hat mit der Selbstbe-
stimmung der Frau und reproduktiver Autonomie nichts
zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


Sie ist Selektion und bietet den Einstieg in die Erzeugung
überzähliger Embryonen. Deshalb hat die deutsche Ärz-
teschaft letzte Woche ein eindeutiges Nein dazu gesagt.
Dafür möchte ich mich bedanken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Als ein wohlfeiles Instrument für eine schleichende
Kommerzialisierung des frühmenschlichen Lebens und
die eigentumsrechtliche Aneignung des Phänomens des
Lebendigen, der Gene, hat sich die EU-Harmonisierung
erwiesen. Die Enquete-Kommission hat aufgezeigt, dass
das Stoffpatent prinzipiell untauglich ist, um auf dem Feld
biotechnologischer Erfindungen Patentschutz zu ge-
währen. Es kann nur Verfahrenspatente geben. Gene und

Gensequenzen sind Erfindungen der Natur, nicht des
Menschen; er hat sie lediglich entdeckt.

Das reduktionistische Verständnis von der Funktion
der Gene als der Bibel des Lebens ist widerlegt. Die Phä-
nomene des Lebendigen sind eben nicht in Funktionspa-
tente zu pressen.

Ja, ich konnte und wollte mit den mir zur Verfügung
stehenden politischen Mitteln das Patent auf Leben ver-
hindern. Dank einer außerordentlich präsenten Öffent-
lichkeit ist es auch gelungen. Die EU-Biopatentierungs-
richtlinie wird nicht umgesetzt.


(Beifall des Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU] sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Jetzt muss erreicht werden, dass die EU-Richtlinie zur
Arzneimittelzulassung verändert wird, da sich sonst ein
konzertiertes Verwertungsmonopol für einzelne weltweit
agierende Pharmakonzerne manifestieren könnte.

Auf der gesamten EU-Ebene zeigt sich: Mit der
Bioethikkonvention, der Biopatentierungsrichtlinie und
der Europäischen Grundrechte-Charta wird auf das an-
gelsächsische Menschenrechtsverständnis Bezug genom-
men. Aufgrund der Grundrechtsrelevanz aller biopo-
litischen Entscheidungen und wegen des Supranationali-
sierungsprozesses, der sich im Verfassungskonvent wi-
derspiegelt, ist es unverzichtbar, auf der universellen Gül-
tigkeit des Art. 1 unseres Grundgesetzes zu bestehen,
keine biologistische Menschenrechtsdogmatik und kein
gestuftes Lebensschutzkonzept für den Embryo in vitro
zu akzeptieren und keine Spaltung in Mensch und Person
hinzunehmen. Dies dürfen wir weder am Anfang noch am
Ende des Lebens tun.


(Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])


Mit diesen neuen Menschenrechtsfragen, die wir in der
Enquete-Kommission mehrheitlich so beantwortet haben,
wie Sie es kennen, sind wir in Deutschland nicht allein.
Unser fundamentales Werteverständnis steht im Gegen-
satz zu dem nützlichkeitsethischen Ansatz manch anderer
Staaten. Deshalb tauchen im Prozess der Europäisierung
immer wieder Differenzen von großer Brisanz auf.

Mitunter wird vorgegeben, dass wir bei den Entschei-
dungen, die wir in dieser Legislaturperiode getroffen ha-
ben, die Grundsatzfragen entschieden hätten. Ich bin der
Meinung, dass die Wertedebatte in der nächsten Legisla-
turperiode an Schärfe zunehmen wird, gerade weil die
Ethik der Interessen immer populärer wird. Mitunter wird
auch vorgegeben, dass der Embryonenschutz Bestand ha-
ben könnte, wenn Präimplantationsdiagnosik und Klonen
für therapeutische Zwecke erlaubt würden. Als Parlamen-
tarier dürfen wir nicht so tun, als wäre mit dem Import em-
bryonaler Stammzellen nicht bereits eine Werteentschei-
dung gegen das universelle Menschenwürdekonzept
gefällt worden. Ich betone nochmals: In Grundrechts-
fragen gibt es keinen Kompromiss. Es gibt kein Sowohl-
als-auch, sondern nur ein Entweder-oder.

Ich bedaure, dass es nicht mehr zur Verabschiedung des
notwendigen Gentestgesetzes gekommen ist. Die Vorar-
beiten liegen vor. Auch dies wird in der nächsten Legisla-
turperiode anstehen.




Monika Knoche

24303


(C)



(D)



(A)



(B)


Wie alle Vorredner und alle Mitglieder der Enquete-
Kommission unterstreiche auch ich, dass Deutschland
spezifische Vorteile hat und unsere Debatten ein spezifi-
sches Nachdenken auszeichnet, das auf den Erkenntnis-
sen gegründet ist, die wir aus den Menschenrechtsverbre-
chen im Nationalsozialismus gezogen haben. Wir sind es
der historischen Verantwortung und der Verantwortung
gegenüber künftigen Generationen schuldig, die Men-
schenrechtsfragen der Moderne in der Intensität zu disku-
tieren, wie wir es getan haben.

Dem nächsten Bundestag bleibt vorbehalten, die parla-
mentarische Initiative für ein generelles völkerrechtliches
Verbot des Klonens menschlicher Embryonen zu ergrei-
fen und ein Verbot des „Patents auf Leben“ als Erbe der
Menschheit zu erreichen. Das sind in der Tat Globalisie-
rungsthemen von herausragender Qualität.

In meinem Sondervotum habe ich noch einmal ein-
dringlich darauf abgehoben, dass durch die Herausnahme
der Fruchtbarkeit der Frau aus ihrer Leiblichkeit die Men-
schenrechtsfrage überhaupt erst aufgekommen ist. Den
philosophisch-feministischen Diskurs müssen die Öffent-
lichkeit und das Parlament fortführen, sollen Gewissens-
entscheidungen nicht unterhalb des Standes besten Wis-
sens herbeigeführt werden. Frau Präsidentin, hier leuchtet
schon das rote Licht. Erlauben Sie mir zum Schluss mei-
ner Rede dennoch eine persönliche Anmerkung: Auch
ich habe heute voraussichtlich meine letzte Rede im Deut-
schen Bundestag gehalten. Ich danke all den unabhängig
denkenden und handelnden Abgeordneten anderer Par-
teien, die mit großer Emphase und Aufgeschlossenheit die
emanzipatorischen Werte in diesen Zukunftsfragen der
Menschheit gemeinsam mit mir verteidigt haben. Mit die-
sem Engagement konnte das Parlament als der Ort erfah-
ren werden, an dem in angemessener Tiefe entschieden
wird. Ethik geht alle an; sie kann nirgendwohin delegiert
werden. Sie wurde hier als Gewissensfrage betrachtet und
das war richtig so. Ich hoffe, dass sich auch in der nächs-
ten Legislaturperiode das Parlament in all dem als Sou-
verän versteht.

Ich habe die Unverfügbarkeit des Menschen am Be-
ginn und am Ende des Lebens als kulturelle Leitidee und
Basis meiner politischen Identität und meiner Arbeit un-
ter Ausübung meines freien Mandates verstanden. Da ich
meine menschenrechtsphilosphischen Überlegungen wie
auch meine antimilitaristischen im konkreten Entschei-
dungsfall immer einer gewissenhaften Prüfung unter-
stellte, habe ich die Kraft gefunden, mich im Konflikt für
die Verteidigung dieser zivilisatorischen Werte zu ent-
scheiden. Wenn Parteien auf die Repräsentanz dieser Po-
sitionen im Parlament verzichten und die Personen, die
diese Positionen entwickeln und vertreten, für verzichtbar
oder austauschbar halten, wird der Parlamentarismus mit
Sicherheit nicht gewinnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Ich bedanke mich für die Wertschätzung und das Ver-
trauen, das mir viele geschätzte Abgeordnete im Haus ent-
gegengebracht haben. Wir konnten vieles, was wir mit un-
seren eigenen Fraktionen nicht hätten durchsetzen

können, durch Gruppenanträge leisten. Ich weiß, dass ge-
nau das in der Bevölkerung an uns Abgeordneten so sehr
geschätzt wurde. Wir konnten dies nur leisten, weil wir
den Mut hatten, unsichere Wege zu gehen. Wir stützten
uns nicht auf Funktionsmacht, sondern wir setzten auf die
Kraft unserer Argumente. In vielen Entscheidungen ha-
ben wir verloren.

Ich bin dankbar, wenn ich mit meiner Arbeit der Be-
völkerung und dem Parlamentarismus etwas geben
konnte.

Danke.

(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424213300
Frau Kollegin
Knoche, Sie haben darauf verwiesen, dass das Ihre letzte
Rede im Hohen Hause war. Sie haben als Abgeordnete in
den letzten Jahren den bioethischen Diskurs in diesem
Hause entscheidend mit geprägt und frakionsübergreifend
dafür Respekt bekommen. Für Ihren neuen Lebens- und
Arbeitsabschnitt wünsche ich Ihnen im Namen des ge-
samten Hauses und aller Kolleginnen und Kollegen alles,
alles Gute.


(Beifall im ganzen Hause)

Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP der Kol-

lege Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.


Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1424213400
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich werde den
Versuchen einer Wertung nicht viel Neues hinzufügen
können, möchte es aber mit meinen Worten ausdrücken.
Ich habe die Formel gefunden, die beides, was hier zur
Sprache kam, zusammenfasst: Die Arbeit hat sich vollauf
gelohnt, aber es bleibt noch viel zu tun. Dies jedenfalls er-
gibt sich für mich eindrucksvoll aus dem vorliegenden
Schlussbericht, über den wir heute debattieren.

Aufgabe einer Enquete-Kommission ist es, ein schwie-
riges und komplexes Themenfeld umfassend aufzuarbei-
ten, Lösungsvorschläge zu erarbeiten und so dem Parla-
ment eine Grundlage für seine allfälligen Entscheidungen
zu geben. Wenn ich es richtig sehe, hat die Enquete-Kom-
mission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ diese
Aufgabe vollauf erfüllt. Dass man dieses Resümee ziehen
kann, liegt zum einen daran, dass die Arbeit der Kommis-
sion mit der Einsetzung autonom beratender Themen-
gruppen und einer übergreifenden Obleuterunde bestens
organisiert war. Auch verfügte die Kommission – der Kol-
lege Wodarg hat schon darauf hingewiesen – über einen
höchst fachkundigen, engagierten und immer auch über-
obligatorisch einsatzbereiten Helferstab. Ich will aus-
drücklich hervorheben – ich glaube, es ist noch nicht her-
vorgehoben worden –: Die zielführende, feste, aber bei
allem Brennen für die einzelnen Sachfragen immer um
Objektivität bemühte Lenkung des Geschehens tat ein
Übriges. Deshalb möchte ich an dieser Stelle der Vorsit-
zenden, der Frau Kollegin von Renesse, herzlich danken.


(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)





Monika Knoche
24304


(C)



(D)



(A)



(B)


Ohne Ihre Arbeit, Ihr Wirken, Ihr Herzblut in der Sache und
ohne im Übrigen die Hilfe der Mitarbeiter wäre diese Kom-
mission nicht so erfolgreich und fruchtbar gewesen, wie
wir es heute feststellen können. Dafür herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum anderen hat sich als überaus hilfreich erwiesen
– auch das im Übrigen eine Frucht Ihrer Tätigkeit, liebe
Frau von Renesse –, dass die Kommission nach einem
gewissen Lernprozess weitgehend darauf verzichtet hat,
mit Mehrheit eine offizielle Meinung zu beschließen und
die Dissentierenden damit in ein Minderheitenvotum zu
treiben. Stattdessen wurden die verschiedenen Auffas-
sungsvarianten jeweils sorgsam und ausführlich darge-
stellt und die betreffende Stimmenverteilung in der Kom-
mission fand nur als Information Erwähnung. Diese
Vorgehensweise ermöglichte eine umfassende, offene
Sachinformation über alle Argumentationslinien, die man
dazu haben konnte, und sie setzte den Leser in die Lage,
sich auf diesem Raster eine eigene Meinung zu bilden. Es
sei deshalb durchaus auch angemerkt, dass in den weni-
gen Fragen, bei denen es zum parlamentarischen Schwur
gekommen ist, die Mehrheiten in Plenum und Kommis-
sion durchaus nicht parallel liefen.

Weite Teile des Abschlussberichts und auch der eine
Zwischenbericht harren aber noch ihrer parlamentari-
schen Umsetzung bzw. Entscheidung. Das gilt etwa für
die Aktualisierung des Biopatentrechts ebenso wie für die
Fragen der Präimplantationsdiagnostik oder des geneti-
schen Datenschutzes. Hier hat die Enquete-Kommission
gewissermaßen vorgearbeitet und Parlament oder Bun-
desregierung liefen bisher den Entscheidungserwartun-
gen hinterher. Zu den Biopatenten hatte schon die Debatte
des einschlägigen Zwischenberichts Nachbesserungsbe-
darf beim Entwurf erbracht, dem indessen bisher noch
nicht nachgekommen wurde oder nachgekommen werden
konnte. Für PID bzw. genetischen Datenschutz ist die ge-
setzgeberische Handlungsnotwendigkeit zwar hinrei-
chend artikuliert worden – egal, ob eröffnend oder ver-
hindernd –, die Mehrheit des Hauses fürchtete aber
offenbar im Vorfeld des Wahlkampfes eine emotionale
und kontroverse Debatte.

Alsdann: Dass noch viel zu tun übrig bleibt an enquete-
mäßiger Aufarbeitung in diesem Feld, ist schon vielfach
gesagt worden. Das bringt der Schlussbericht der En-
quete-Kommission in seinem Teil E auch deutlich zum
Ausdruck. Hier werden verschiedene Themen aufgelistet,
zu denen das Parlament eine verbindliche Stellungnahme
abgeben sollte. Zuvor aber müsste der Problemkreis so
gründlich wie auch die bisherigen Fragen von einer En-
quete-Kommission aufgearbeitet werden.

Das gilt etwa – der Bericht hat dem einen eigenen Un-
terabschnitt gewidmet – für die Bedingungen einer akzep-
tierbaren Forschung an einwilligungsunfähigen Perso-
nen. Hier drückt sich die Bundesrepublik immer noch um
eine verbindliche Positionierung zu den Regelungen der
Biomedizin-Konvention des Europarates von 1997.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das ist doch eine verbindliche Regelung!)


Die Konvention ist mittlerweile ohne Deutschland in
Kraft getreten.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Traurig genug!)

Verschiedene ihrer Normierungen, auch in den Zusatz-
protokollen übrigens, wären für uns im Grunde
außerordentlich hilfreich und die vielleicht kritisch er-
scheinenden Festlegungen zur Forschung an einwilli-
gungsunfähigen Personen könnte man durch Interpretati-
ons- oder Vorbehaltserklärungen bei der Unterzeichnung
begradigen. Das müsste dann im Ratifikationsprozess
entsprechend umgesetzt werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Die sind auch so hilfreich!)


Versuche in dieser Richtung sind in der auslaufenden Le-
gislaturperiode von den Mehrheitsfraktionen leider nicht
aufgegriffen worden. Der betreffende Handlungsauftrag
wartet nun auf Erfüllung durch das neu gewählte Parla-
ment.

Auch zu Sterbehilfe und Sterbebegleitung – auch
hierzu ein eigener Unterabschnitt bei den Desideraten –
müsste, nachdem die europäischen Nachbarstaaten eigen-
willige neue Regelungen geschaffen haben und die deut-
sche Rechtsprechung unsicher zu werden beginnt, der
Bundestag die Kraft finden, verbindlich Stellung zu neh-
men.


(Beifall bei der FDP)

Wenn es nach mir ginge, sollte diese Positionierung

deutlich abschlägig erfolgen. Zuvor müsste der Problem-
bereich sozialpolitisch, medizinisch, ethisch und rechtlich
aber erst einmal umfassend aufgefächert und diskutiert
werden. Auch dafür scheint die Neueinsetzung einer En-
quete-Kommission in der 15. Wahlperiode höchst er-
wünscht.

Jedenfalls nach Auffassung der FDP kann die im jetzi-
gen Schlussbericht bilanzierte Arbeit der Kommission
insgesamt nur als gelungen und hilfreich bezeichnet wer-
den. Ich meine, sie hat uns vor allem viele Anregungen für
eine angemessene Beantwortung der noch ausstehenden
Entscheidungsfragen gegeben. Wir werden in der nächs-
ten Legislaturperiode daran weiterzuarbeiten haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424213500
Nächster Redner ist
der Kollege Dr. Ilja Seifert für die Fraktion der PDS.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424213600
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Am Ende einer solchen ge-
meinsamen Arbeit in einer Enquete-Kommission ist es
allgemein üblich, Dank zu sagen. Ich möchte das auch
tun. Mein allergrößter Dank gilt den Damen und Herren
Sachverständigen, die in unserer Enquete-Kommission
eine ganz gewaltige Arbeit geleistet haben. Inhaltlich ging




Dr. Edzard Schmidt-Jortzig

24305


(C)



(D)



(A)



(B)


es häufig bis oberhalb der Grenze, die man jemandem zu-
muten darf.


(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Diese Sachverständigen, von denen viele oben auf der

Tribüne sitzen, und eine kritisch engagierte Öffentlichkeit
haben es uns, dem Parlament, überhaupt erst ermöglicht,
die Meinungsführerschaft in der sehr dringenden und am
Ende auch sehr tiefen Debatte über die Biopolitik zu
übernehmen. Frau Knoche wies bereits darauf hin, dass es
ein vornehmes Recht und eine Pflicht des Parlaments
– des Souveräns, wie sie sich ausdrückte – ist, diese Auf-
gabe wahrzunehmen.

Dennoch: Wer sich den Bericht ansieht, wird feststel-
len, dass die wichtigsten Punkte, die wir benannt haben,
diejenigen sind, die wir nicht bearbeiten konnten, nämlich
die so genannten Desiderate.Das liegt nicht nur, aber un-
ter anderem daran, dass die Enquete-Kommission nur ge-
gen den sehr harten Widerstand innerhalb der Regierung
und vieler Fraktionen durchzusetzen war. Ich denke, dass
auch die PDS mit ihrem Antrag zur Einsetzung einer sol-
chen Enquete-Kommission dazu einen gewichtigen Bei-
trag geleistet hat, der, gepaart mit der Aufforderung der
Öffentlichkeit an das Parlament, diese Enquete-Kommis-
sion einzurichten, am Ende zum Erfolg führte.

Ich gebe zu, dass es mich schmerzt, dass wir es zum
Beispiel nicht geschafft haben – es ist eine der offenen
Fragen –, zu sagen, was in diesem Zusammenhang ei-
gentlich Gesundheit, Krankheit und Behinderung sind.
Wir konnten uns als Mitglieder der Enquete-Kommission
in diesem Punkt nicht verständigen. Diese Aufgabe bleibt
zukünftigen ähnlichen Gremien vorbehalten; sie muss
gelöst werden. Es konnten aber auch Fragen nach dem Er-
halt des solidarischen Gesundheitssystems, nach dem
Umgang mit erblichen und chronischen Krankheiten und
nach dem Beginn und dem Ende des Lebens – es geht in
einer Gesellschaft, deren Leitbild scheinbar immer mehr
der perfekte Mensch zu werden droht, um ein selbstbe-
stimmtes Leben mit Behinderungen – nicht beantwortet
werden. Das sind hoch ethische Fragen, die klarer politi-
scher Aussagen und klarer rechtlicher Regelungen bedür-
fen. Daran muss weiter gearbeitet werden. Dennoch ha-
ben wir neben den Punkten, die offen geblieben sind,
natürlich etliches erreicht. Ich denke, wir alle haben An-
lass, darauf stolz zu sein.

Eines der wichtigsten Ergebnisse ist: Inzwischen ist al-
len in der Gesellschaft klar, dass es um eine Weichenstel-
lung geht und dass man die Weichen zurzeit in manchen
Bereichen noch stellen kann. Die Frage ist, ob die geneti-
sche Vermarktung oder das solidarische Miteinander
von Menschen in informationeller Selbstbestimmung die
Zukunft sein wird. Noch ist beides möglich. Ich hoffe,
dass Letzteres erreicht wird und dass wir dazu die ent-
sprechenden gesetzlichen und anderen Regelungen fin-
den.

Da wir in verschiedenen Themengruppen gearbeitet
haben, erlaube ich mir, zum Schluss auf drei Schlussfol-
gerungen der Themengruppe zu verweisen, die sich mit
den genetischen Daten befasst. Die erste Schlussfolge-
rung kann man wie folgt zusammenfassen: Wer immer

sich mit den genetischen Dispositionen von Menschen be-
fasst, muss dies in großer Sachkenntnis tun. Dilettantis-
mus und die Einstellung, jeder könne ein Labor aufma-
chen, dürfen nicht gelten.

Die zweite Schlussfolgerung lautet: Genetische Dispo-
sitionen von Menschen sind weder patentierbar noch soll-
ten sie vermarktbar werden. Auch das ist noch nicht ent-
schieden, im Gegenteil: Es gibt starke Tendenzen, diese
genetischen Dispositionen zu vermarkten. Aber wir haben
es noch in der Hand. Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen, die Sie jetzt Abgeordnete sind, und die zukünf-
tigen Abgeordneten, dies in einer Richtung zu entschei-
den, die dem Grundsatz der Würde, wie er im Grundge-
setz niedergelegt ist, Rechnung trägt.

Schließlich gibt es die klare Aufforderung an den Bun-
destag, den Schutz vor Diskriminierungen wegen geneti-
scher Dispositionen in Art. 3 des Grundgesetzes aufzu-
nehmen. Diese Möglichkeit haben wir und können dann
entsprechende einfachgesetzliche Regelungen schaffen.
Insofern lautet der Appell, der von der Enquete-Kommis-
sion ausgeht: Das Parlament muss die Debatte und die
Entscheidung in der Hand behalten und darf sie nicht an
andere Gremien delegieren.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe auf
weitere gute Zusammenarbeit.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424213700
Die nächste Rednerin
ist die Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin für die SPD-
Fraktion.


Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID1424213800
Frau Präsidentin!
Liebe Mitglieder der Enquete-Kommission! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Ich glaube, ich bin heute in dieser
Debatte die einzige Rednerin, die nicht Mitglied der En-
quete-Kommission ist. Gerade das nehme ich jetzt zum
Anlass, um Ihnen für all diejenigen, die nicht Mitglied der
Enquete-Kommission sind, aber den Bericht mit großem
Interesse zur Kenntnis genommen haben, Dank zu sagen
und Sie – lassen Sie mich das hinzufügen – ausdrücklich
zu loben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


Dieses Lob haben Sie nicht nur für den Bericht ver-
dient, der gut, gründlich und lesbar ist. Ich darf darüber hi-
naus noch anmerken: Er ist nach zwei Jahren intensiver
Arbeit sogar rechtzeitig erschienen. Dieser Dank und die-
ses Lob beziehen sich auch auf die Arbeit und die Ar-
beitsweise dieser Enquete-Kommission. Ich fand es
außerordentlich klug, dass Sie in den vergangenen zwei
Jahren nicht alle Probleme, die besprochen werden muss-
ten, sofort und gleichzeitig aufgenommen haben, sondern
sie gesichtet und dann die Punkte herausgegriffen haben,
die Sie gründlich und verantwortungsvoll bearbeiten
konnten.




Dr. Ilja Seifert
24306


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich fand die Diskussion und den Umgang zwischen
Sachverständigen und Mitgliedern, die Abgeordnete wa-
ren, in der Enquete-Kommission sehr erfreulich. Ich kann
das ein wenig beurteilen, weil Sie mich einmal eingeladen
haben. Ich habe die Diskussion mit Ihnen als außeror-
dentlich reichhaltig in Erinnerung. Es war auch so, dass
jemand, der glaubte, sich mit diesen Fragen intensiv be-
schäftigt zu haben, bei Ihnen immer noch etwas lernen
konnte. Das fand ich sehr gut.

Insgesamt gesehen kann man sagen, dass Sie Fakten
aus allen Bereichen auf den Tisch gelegt haben. Diese fin-
den wir in dem vorliegenden Bericht wieder.

Ich fand es besonders bemerkenswert, dass Sie auch
über die Art und Weise, wie man denn eigentlich mit
Neuem umgehen sollte, und über die Frage, welche Auf-
gabe das Parlament bei der Beantwortung der zur Diskus-
sion stehenden Fragen hat, diskutiert haben. Ich meine,
dass es keinen Sinn machen kann, sich neuen Fragen nur
mit der Projektion der eigenen Ängste oder Unsicherhei-
ten in die Zukunft zu stellen. Wir alle wissen zwar, dass
Ängste und Sorgen wichtige Indikatoren und Signale
sind. Aber sie sind eben nicht alles.

Sie haben durch Ihre Methodendiskussion auch deut-
lich gemacht, dass es unverantwortlich wäre, mit der
manchmal von Technokraten verinnerlichten Hybris zu
sagen: Warum eigentlich nicht? Lass es uns doch jetzt ma-
chen! – Sie haben sich stattdessen gefragt: Was wollen wir
eigentlich? Was können wir wollen? Was dürfen wir wol-
len? Wie sieht unsere Werteskala aus? Was wissen wir?
Was können wir beurteilen? Mir hat es auch sehr impo-
niert, dass Sie Mahnungen zur Bescheidenheit, zur Sorg-
falt und zur Behutsamkeit, wie sie Hans Jonas allen, die
sich mit solchen Fragen verantwortlich befassen, auf den
Weg gegeben hat, sehr wohl beherzigt haben.

Sie haben auch die Prinzipien, von denen Sie ausgehen,
sehr deutlich gemacht. Auf die Menschenwürde ist schon
mehrfach hingewiesen worden. Jeder hat Sorge, dass die-
ser Begriff so inflationär gebraucht wird, dass man nicht
mehr weiß, worum es bei ihm eigentlich geht. Aber ich
finde es bemerkenswert, dass Sie in Ihrem Bericht he-
rausgestellt haben, was Menschenwürde ist und was sie
sein soll. Deswegen möchte ich die entsprechende Stelle,
die ich für so wichtig halte, zitieren:

Die Menschenwürde und die aus ihr folgenden
Grund- und Menschenrechte bilden den grundlegen-
den Maßstab zur ethischen und rechtlichen Bewer-
tung der modernen Medizin.

Genauso ist es.
Lassen Sie mich noch eines hinzufügen: Ich fand es

ebenfalls bemerkenswert, dass Sie bei der Bewertung der
gemeinsam ermittelten Fakten nichts verkleistert haben.
Natürlich gibt es Unterschiede in der Bewertung be-
stimmter Tatsachen. Das ist so. Nach meiner Auffassung
wäre es falsch gewesen, wenn man so lange formuliert
hätte, bis die Formulierungen eigentlich alles getragen
und nicht mehr deutlich gemacht hätten, was die einen
und was die anderen meinen. Man hätte aus einem solchen
Bericht nicht mehr herauslesen können, „was eigentlich
Sache ist“.

Mit all dem, was Sie geleistet haben, haben Sie, glaube
ich, dem Parlament nicht nur eine gute Vorlage, sondern
auch ein Vorbild dafür gegeben, wie eine demokratische
Institution wie der Bundestag mit neuen Fragen umgehen
sollte. Für mich ist es wichtig, dass Sie genau hingeschaut
haben, was eigentlich los ist. Auf der einen Seite steht die
Unsicherheit in der Bevölkerung. Auf der anderen Seite
steht das enorme Forschungsinteresse, das wir jeden Tag
und in vielen Fällen immer wieder aufs Neue feststellen.
Alles, die Hoffnungen und die Chancen auf der einen
Seite und die Sorgen und die Ängste vor den Risiken auf
der anderen Seite, lässt sich in dem vorliegenden Bericht
wiederfinden.

Weil Sie die zur Diskussion stehenden Fragen ernst ge-
nommen haben und weil Sie über sie mit Fairness und
Transparenz diskutiert haben, haben Sie, glaube ich, Ver-
trauen geschaffen und – das ist für mich in einer Zeit des
Umbruchs, in der man sich mit neuen Fragen auseinander
setzen muss, besonders entscheidend – einen wichtigen
Beitrag zur Findung eines Konsenses über wichtige
Grundfragen in unserer Gesellschaft geleistet. Aus Ihrem
Bericht geht hervor, dass die neuen Formen der Medizin
zum Heilen und Helfen und nicht zum Klonen und zur Se-
lektion eingesetzt werden sollen und dass die Kommer-
zialisierung auf keinen Fall Eingang in diesen Bereich fin-
den darf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Mehr konnte man in diesen zwei Jahren nicht tun. Dass
Sie die Arbeit in der einen oder anderen Form fortsetzen
müssen, ist klar. Der Bericht und Ihre Arbeit müssen Fol-
gen haben. Die Öffentlichkeit kann den Bericht und die
Fakten darin zur Kenntnis nehmen, um sich darauf zu be-
rufen, um auch auf die Überlegungen und die Feststellun-
gen über die Prinzipien immer wieder zurückzugreifen.
Der Bundestag wird das tun müssen. Das gilt für den Teil,
in dem Sie über die Erfahrungen berichten, die es mit der
Reproduktionsmedizin und mit der pränatalen Diagnostik
gegeben hat, und auch für den Teil, in dem Sie Folgerun-
gen zur Präimplantationsdiagnostik ziehen. Die sind
wirklich wichtig und es wert, gewürdigt und auch akzep-
tiert zu werden.

Ich halte es für völlig richtig, dass Sie gesagt haben,
liebe Kolleginnen und Kollegen: In zwei Bereichen müs-
sen wir gesetzlich tätig werden, einmal im Bereich der
Fortpflanzungsmedizin – ich teile die präzisen Forde-
rungen, die Sie aufgestellt haben – und zum anderen im
Bereich der Gentests;


(Zuruf von der CDU/CSU: Das wird Zeit!)

da können wir mit den Eckpunkten, die wir aufgestellt ha-
ben, aber auch mit den sehr viel präziseren und weiter-
führenden Überlegungen im Bericht der Enquete-Kom-
mission eine Menge tun.

Ich teile auch die Auffassung, dass die Enquete-Kom-
mission ein wichtiger Diskussionspartner nicht nur für
den Nationalen Ethikrat, sondern auch für Enquete-Kom-
missionen und vergleichbare Gremien der anderen euro-
päischen Staaten war und ist. Da ist das Parlament vor-
bildlich. Auch dafür möchte ich danken. Sie haben eine




Dr. Herta Däubler-Gmelin

24307


(C)



(D)



(A)



(B)


gute Arbeit geleistet und eine Grundlage gelegt, auf der
wir in der nächsten Legislaturperiode sehr gut weiterar-
beiten können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424213900
Nächster Redner in
der Debatte ist der Kollege Werner Lensing für die Frak-
tion der CDU/CSU.


Werner Lensing (CDU):
Rede ID: ID1424214000
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir alle – ein
jeder in seiner unverwechselbaren Verantwortung, sei es
als Mediziner oder Philosoph, als Molekularbiologe, Ju-
rist, Wirtschaftsmanager oder Politiker – tragen höchst in-
dividuell Verantwortung dafür, dass heute nach der weit-
gehenden Entzifferung des menschlichen Genoms ein
Taumel wachsender Übertreibungen, unerfüllbarer Hoff-
nungen und atemberaubender Visionen die Menschen er-
fasst hat.


(Jörg Tauss [SPD]: So arg ist es auch nicht!)

Die Gemengelage drohte uns alle in den Strudel zu ziehen.
Wir haben darauf zu achten, dass sie uns auch zukünftig
nicht aus der Kontrolle gerät.

In dieser schwierigen Situation, in diesem Spannungs-
feld von Politik, Naturwissenschaft und Ethik, hat unsere
Kommission europaweit – so darf ich sagen – Maßstäbe
gesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Das gilt für die Form der Berichte ebenso wie für die vor-
bildliche Streitkultur und die gründliche Abwägung der
Empfehlungen zu den heute schon angesprochenen The-
men. Insofern hätte gerade dieses Thema heute noch mehr
Aufmerksamkeit verdient, als derzeit wahrnehmbar ist.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Umso mehr erfreut uns alle das Lob der Bundesjustiz-
minsterin. Frau Dr. Däubler-Gmelin, ich darf Ihnen sagen,
und zwar ganz objektiv: Was Sie vorgetragen haben, war
objektiv.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Wir alle haben es begriffen, meine Damen und Herren:
Die moderne Medizin stellt die Gesellschaft und damit
gerade auch uns Parlamentarier als Gesetzgeber vor völ-
lig neue Herausforderungen und damit vor schier unlös-
bare Probleme. Hierbei hatten wir eine Vielfalt von medi-
zinischen, ethischen, verfassungsrechtlichen, sozialen
und politischen Aspekten zu betrachten, völlig neue Di-
mensionen zu eröffnen, die aktuelle Forschungspraxis zu
berücksichtigen und gleichzeitig bei der gebotenen Gü-

terabwägung eigene Kriterien für klare Grenzen vor dem
Hintergrund der Wahrung von Menschenwürde und Men-
schenrechten zu kreieren.

Wir haben auch dies begriffen: Die Gentechnik erfor-
dert von uns eine Ethik, die nicht nur auf die Werte der
Aufklärung baut, das heißt auf die Autonomie der Men-
schen und die kühle Beherrschung der Natur, sondern die
zugleich eine Erkenntnis benötigt, nach der wir uns nicht
zuletzt in unserer leider völlig säkularisierten Welt auf ein
verbindliches Menschenbild zu verständigen haben, das
wiederum von einer verlässlichen Hierarchie der Werte
geprägt ist und fürderhin bestimmt sein muss.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Was heißt das jetzt?)


Ich frage Sie gerade auch in diesem Kontext: Ist man
eigentlich schon dann ein Fundamentalist, wenn man
Fundamente der Moral verteidigt? Dabei ist die Moral
keine Frage von Experten oder Fachgremien, vielmehr ist
die Unterscheidung zwischen Gut und Böse einem jeden
individuell zuzumuten. Ansonsten würden wir Gefahr
laufen, die Moral kurzerhand den Erfolgen der Forschung
anzupassen.

Im Übrigen haben wir schließlich auch noch dieses be-
griffen: Viele der Politiker, die auf der Hut sein müssen,
schlimmstenfalls nur wenig verhindern und kaum noch
etwas verändern zu können, finden bei ihrem schwierigen
Entscheidungsprozess Orientierung in der Präambel un-
seres Grundgesetzes, nach der wir in „Verantwortung vor
Gott und den Menschen“ zu handeln haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Schließlich hat Gott den Himmel für die Erde geöffnet
und wir wiederum haben den Auftrag, die Erde für diesen
Himmel offen zu halten.

Freilich muss man nicht unbedingt Christ sein, um in
dieser Welt verantwortlich handeln zu können, doch als
Christ erkennt man vermutlich besser den Zusammen-
hang von vernünftigem Handeln und christlichem Gebot.

Unbestritten war in unserer Enquete-Kommission von
Anfang an, dass die Menschenwürde im Bereich der
Bioethik, vor allem in Fragen von Leben und Tod des
Menschen, eine ausschlaggebende Rolle spielt. Auch
wenn ich persönlich fest zu den christlichen Wurzeln des
Menschenwürdeprinzips stehe, habe ich die Einsicht ge-
wonnen, dass das Institut der Menschenwürde zu seiner
Begründung nicht zwingend ausschließlich einer christli-
chen Grundüberzeugung bedarf. Auch so genannte huma-
nistische Ethiken halten an einer entsprechenden Be-
gründbarkeit ihrer Moral fest.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zuweilen gewinnt man allerdings den Eindruck, es

könnte zu einer Überstrapazierung der Menschenwürde
kommen, wenn alle menschlichen Aspekte und Bedürf-
nisse – von der karitativen Hilfe bis zur Euthanasie, von
der Verkürzung der Arbeitszeit bis hin zur Abtreibung als
Verfügungsrecht über den eigenen Leib – in einen unmit-
telbaren Zusammenhang mit der Menschenwürde ge-
bracht werden. Daher warne ich vor dem Hintergrund die-
ser Erfahrung ausdrücklich davor, sich allein schon




Dr. Herta Däubler-Gmelin
24308


(C)



(D)



(A)



(B)


aufgrund des täglich zu vernehmenden Hinweises, die
Forschung würde selbstverständlich durch Wahrung der
Menschenwürde ihre natürliche Begrenzung erfahren, in
irgendeiner Weise vordergründig beruhigen zu lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Gestatten Sie mir, meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen, noch drei aus meiner Sicht eminent wichtige Pro-
blemfelder in der gebotenen Kürze aufzuzeigen: Hierbei
geht es mir als Christdemokraten zum einen um die Ein-
flussmöglichkeiten der Kirchen auf politische Entschei-
dungen und zum anderen um eine grundsätzliche, wenn
auch kurze Bewertung der Präimplantationsdiagnostik
– auf die Sie auch sehr deutlich abgehoben haben, Frau
Kollegin Knoche – und um einen knappen Hinweis auf
das verabschiedete Stammzellengesetz.

Zunächst zu den Kirchen: Im Gegensatz zur Politik
hat die Kirche bekanntlich den berechtigten Anspruch,
ihren Gläubigen eine geistig-moralische Grundlage für
die Gestaltung ihres Lebens und die Entscheidung in Pro-
blemlagen anzubieten. Da sie aber nicht der Gesetzgeber
für alle Menschen in Deutschland ist, kann sie von ihren
Mitgliedern durchaus die Berücksichtigung der von ihr
vorgegebenen Regeln verlangen.

Ganz anders ist die Ausgangslage beim Staat und damit
auch für uns, den Gesetzgeber: Wenngleich sich christliche
Politiker natürlich den Kirchen in besonderem Maße ver-
bunden fühlen, sind sie jedoch all ihren Wählerinnen und
Wählern – dazu gehören eben auch die von den Kirchen
nicht mehr erreichbaren Bürgerinnen und Bürger – insge-
samt verpflichtet. Darüber hinaus ist es auch schwierig,
wenn die Kirchen mitunter bei Politikern die Einhaltung
einer Linie einfordern, die von einer nicht unerheblichen
Zahl der Kirchenmitglieder gar nicht mehr unterstützt
wird. Ich denke in diesem Zusammenhang unter anderem
auch an deren Positionen zur Fortpflanzungsmedizin oder
zur Verhütung.

Nun ein Gedanke zur Präimplantationsdiagnostik:
Ausgehend von der Beurteilung, dass die PID nach der ak-
tuellen deutschen Rechtslage verboten ist, bedarf es in der
Tat gewichtiger Gründe, um eine Zulassung der PID
selbst in sehr engen Grenzen rechtfertigen zu können,
wobei es freilich gleichzeitig gilt, die denkbaren Folgen
einer möglichen Zulassung zu berücksichtigen. Doch
stellt sich mir die Frage, warum man es einem Embryo zu-
muten darf, sich über seine frühesten Stadien fortzuent-
wickeln, um gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt
im Rahmen der Pränataldiagnostik abgetrieben zu wer-
den. Gerade hier scheint mir der Hinweis auf die Men-
schenwürde besonders wichtig zu sein. So habe ich trotz
aller ernsten Diskussionen immer noch nicht begriffen,
weshalb insbesondere ein künstlich erzeugter Embryo
der Pränataldiagnostik unterzogen werden und unter
bestimmten Umständen sogar abgetrieben werden darf,
ohne dass dies angeblich seiner Menschenwürde wider-
spricht, wohingegen es allein durch ein anderes diagnos-
tisches Verfahren, also die PID, zu einem Verstoß gegen
die Menschenwürde kommen soll.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist auch nicht erklärbar!)


Meine tiefen Zweifel richten sich allerdings gegen die An-
sicht derer, die meinen, diesen Widerspruch verantwor-
tungsvoll auf der Basis eines so genannten Kriterienkata-
logs durch eine bedingte Zulassung der PID auflösen zu
dürfen und somit verbindlich regeln zu können.

Meine Damen und Herren, wir haben sehr um die Frage
eines Imports embryonaler pluripotenter Stammzellen
welcher Art auch immer gerungen. Es wäre zumindest aus
meiner subjektiven Sicht zu einem großen Wertungswi-
derspruch gekommen, wenn wir den Embryonenschutz
auch auf diejenigen ausgedehnt hätten, die wir ohnehin
nicht mehr retten können. Zudem hätten wir dann, nur um
einen verlockend einfachen Weg zu wählen, sämtliche ent-
sprechenden Forschungsansätze in Deutschland vereitelt,
die letztlich auf die Förderung von Gesundheit und Leben
von Menschen gerichtet sind. Gerade dieser Wertungs-
widerspruch konnte durch das kürzlich verabschiedete
Stammzellgesetz verantwortlich vermieden werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, ich fasse das bisher Gesagte
in sechs Punkten zusammen:

Erstens. Die gesamte bioethische und genpolitische
Diskussion und alle in diesem Zusammenhang gebotenen
Entscheidungen wurden von unserer Enquete-Kommis-
sion und nicht etwa vom Nationalen Ethikrat bestimmt.
Das ist zugleich ein überzeugendes Bekenntnis zur leben-
digen Demokratie und damit zu einer parlamentarischen
Legitimation.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens. Wie unter anderem von meinen Kollegen
Schmidt-Jortzig und Hüppe bereits erwähnt, werden in
der 15. Legislaturperiode Themen wie Stammzellfor-
schung, Klontechnik, Keimbahnintervention, Präimplan-
tationsdiagnostik ebenso wie die Problemfelder der For-
schung an nicht einwilligungsfähigen Menschen und
Fragen der Sterbebegleitung und Sterbehilfe im Fokus
unserer Auseinandersetzungen stehen. Deswegen bedür-
fen wir baldmöglichst nach der Bundestagswahl einer
parlamentarischen Institution – ich schließe mich meinen
Kolleginnen und Kollegen, die Ähnliches formuliert ha-
ben, ausdrücklich an –, in der Abgeordnete und Wissen-
schaftler vertreten sind.

Drittens. Mit der heutigen Lesung übergibt die En-
quete-Kommission nunmehr nicht nur die schriftlichen
Ergebnisse ihrer Tätigkeit, sondern sie vermittelt zugleich
Methoden, wie vor dem Hintergrund ethischer Kontro-
versen Konsenssuche stattfinden kann.

Viertens. Ich wiederhole das, was wir bereits zu Recht
gehört haben: Wir haben der lieben und verehrten Vorsit-
zenden, Frau von Renesse, allen Sachverständigen sowie
allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für einen immen-
sen Arbeitseinsatz und, was für mich noch viel wichtiger
ist, für eine überzeugende Redlichkeit in allem Bemühen
zu danken.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])





Werner Lensing

24309


(C)



(D)



(A)



(B)


Fünftens. Uns bleibt über den heutigen Tag hinaus der
Spagat zwischen Ethik und Wirtschaftsinteresse, zwi-
schen Forschungsfreiheit und Gewissen, zwischen dem
Wunsch nach Heilung und dem Recht auf Leben.

Sechstens. Dabei sollten wir uns – hierbei folge ich un-
serem Sachverständigen Professor Dr. Johannes Reiter
ganz bewusst – von der trügerischen Vision frei machen,
allein mit Wissenschaft und Gentechnik könne man ein
Paradies auf Erden schaffen und jede Lebensnot bewäl-
tigen. Eine von Krankheit und jeglichem Leid befreite
Menschheit bleibt – bei aller Offenheit und Aufgeschlos-
senheit gegenüber hoffnungsvoll erwarteten Ergebnissen
der Medizin – leider oder vielleicht auch Gott sei Dank
eine Utopie.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424214100
Das Wort hat die Kol-
legin Ulrike Höfken für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424214200
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich freue mich sehr darüber, dass der ausführliche
Bericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der
modernen Medizin“ jetzt vorliegt. Viele Arbeitsstunden
sind in diesen Bericht investiert worden. Wie meine Vor-
redner möchte ich mich bei Ihnen, Frau von Renesse, ganz
herzlich bedanken. Sie werden uns und mir im nächsten
Bundestag fehlen. Ich möchte mich bei all den Sachver-
ständigen und bei dem Sekretariat, ohne deren maßgebli-
che Arbeit dieser Bericht gar nicht zustande gekommen
wäre, ebenfalls bedanken. Ich bedanke mich darüber hi-
naus bei meiner Kollegin Monika Knoche. Auch von die-
ser Stelle aus wünsche ich ihr auf ihren weiteren Tätig-
keitsfeldern alles Gute.


(Beifall im ganzen Hause)

Wichtig ist, dass diese Enquete-Kommission es ge-

schafft hat, Strukturen und Leitfäden für die ethische Be-
wertung hochsensibler Fragen in ganz unterschiedlicher
Form herauszuarbeiten. Ich möchte mehrere Bereiche
herausheben und dabei die Gelegenheit nutzen, mich dem
Mehrheitsurteil der Enquete-Kommission, an dem Ver-
bot der Präimplantationsdiagnostik festzuhalten, anzu-
schließen.

Eines hat mir die Diskussion in der Enquete-Kommis-
sion ganz deutlich gezeigt: Bei der Präimplantations-
diagnostik sind Grenzen zu setzen; es muss verboten
bleiben, dass menschliche Embryonen in vitro unter dem
Vorbehalt gezeugt werden, vernichtet zu werden, wenn
eine Behinderung bzw. ungewollte genetische Disposi-
tion vorliegt. Da sind – auf jeden Fall für mich – die Gren-
zen gesetzt. Ich sehe, dass damit gegen das Grundgesetz,
gegen die Menschenwürde, gegen das Recht auf Leben
sowie gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen wür-
de. Anders als am Anfang, als ich noch glaubte, es könne

eine Indikationslösung geben, glaube ich das nun nicht
mehr.

Ich glaube, dass die Enquete-Kommission große Ver-
dienste im Bereich der Stammzellforschung und des Im-
ports embryonaler Stammzellen hat. Ohne die Enquete-
Kommission wäre die besonnene Entscheidung des
Bundestages nicht zustande gekommen. Die wichtigste
Grundlage zur Entscheidungsfindung der Abgeordneten
war die Diskussion in der Enquete-Kommission und da-
mit in der Öffentlichkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In der Frage der Biopatentierung waren wir uns trotz
Differenzen in einem wesentlichen Punkt einig. Wir alle
haben die Auffassung vertreten, dass das heutige Stoffpa-
tent zum Schutz des geistigen Eigentums belebter Mate-
rie nicht geeignet ist. Ich bin inzwischen überzeugt, dass
es eines guten Umsetzungsgesetzes bedarf. Ich bedauere
es ausdrücklich, dass es uns nicht gelungen ist, eine opti-
male Lösung zu entwickeln.

Eine Aussage von Professor Dr. Wolfrum hat in der
Debatte zwar keine besondere Rolle gespielt, war aber für
die Bewertung von großer Bedeutung. Professor
Dr. Wolfrum sagt:

Aber auch die verfassungsrechtliche Dimension ist
mir wichtig, weil nach meinem Eindruck bisher zu we-
nig deutlich wird, dass man nicht übersehen darf, dass
dem wichtigen Recht am geistigen Eigentum und
seinem grundrechtlichen Schutz durchaus Grund-
rechtspositionen Dritter auf Forschungsfreiheit und
freie wirtschaftliche Betätigung gegenüberstehen.

Hier und im Bereich der Gendiagnostik haben die En-
quete-Kommission und übrigens auch die Fraktionen er-
heblich vorgearbeitet. Ich bin zuversichtlich, dass wir im
Verlaufe der nächsten Legislaturperiode diese Arbeit nut-
zen können, um hier zu Lösungen zu kommen.

Gleichermaßen wie meine Kolleginnen und Kollegen
bin ich der Auffassung, dass wir die weitere Arbeit der En-
quete-Kommission in diesem wichtigen Bereich brauchen
und diese Arbeit fortführen sollten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424214300
Das war eine minu-
tiöse Punktlandung, Frau Kollegin.

Nächster Redner ist der Kollege René Röspel für die
SPD-Fraktion.


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1424214400
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Keine Angst, ich werde
jetzt nicht die Berichte der Enquete-Kommission vorle-
sen. Aber wir haben uns in den letzten beiden Jahren mit
viel Zeit und auf vielen Seiten Papier mit einem Gegen-
stand befasst, der auf einem der winzigen i-Punkte in die-




Werner Lensing
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(C)



(D)



(A)



(B)


sem Bericht viel Platz fände, nämlich mit dem mensch-
lichen Embryo in seinen frühesten Phasen.

Wir haben uns mit folgenden Fragen befasst: Woher
kommt dieser Embryo? Was ist er? Wohin geht er? Was
kann man mit ihm machen? Was darf man mit ihm ma-
chen? Was darf man nicht mit ihm machen?

Die erste Frage – „Woher kommt der Embryo?“ – ha-
ben wir relativ schnell und einfach beantworten können:
Er ist entstanden aus der Verschmelzung von Ei und Sa-
menzelle. Es bestand überwiegende Einigkeit in der En-
quete-Kommission, dass das der einzige Weg ist, auf dem
ein Embryo hergestellt werden darf. Das reproduktive
oder das therapeutische Klonen ist – so meint es zumin-
dest die überwiegende Mehrheit in der Enquete-Kommis-
sion – ein Tabu, das nicht gebrochen werden darf, weder
in Deutschland noch in der Welt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Frage „Was ist der Embryo?“ war schon etwas
schwieriger. Aber wir haben gesehen: Er ist von Anfang
an menschliches Leben; er ist von Anfang an Mensch.

Schwierig und kontrovers wurde es bei der dritten
Frage: Wohin geht der Embryo? Was kann man mit ihm
machen? Was darf man mit ihm machen? Wir haben zwei
Beispiele gehabt, nämlich auf der einen Seite den Embryo
als Lieferanten für Stammzellen und auf der anderen Seite
den Embryo als Objekt einer Präimplantationsdiagnostik,
also einer Untersuchung auf mögliche Schäden.

Zu der Frage „Wohin geht der Embryo als Stammzel-
lenlieferant?“ haben wir unter großem Zeitdruck unseren
Bericht verfasst, der dem Bundestag zum 30. Januar vor-
lag, als dieser eine grundsätzliche Entscheidung traf und
sich für den Import embryonaler Stammzellen aussprach,
obwohl sich die Enquete-Kommission mit einer Mehrheit
dagegen ausgesprochen hatte.

Zu dem zweiten Thema – der Embryo als Objekt einer
Präimplantationsdiagnostik – gibt es ebenfalls einen
fundierten Bericht. Anders als bei den Stammzellen wird
dieser Bericht Grundlage für eine sehr umfassende Dis-
kussion in der nächsten Legislaturperiode sein können.
Viele Kollegen haben schon gesagt: Es wird zu diskutie-
ren sein, ob die Präimplantationsdiagnostik zugelassen
werden kann oder nicht. Ich hoffe, dass der Bundestag
dann der überwiegenden Mehrheit der Enquete-Kommis-
sion folgt und die Präimplantationsdiagnostik nicht zulas-
sen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Es sind viele Fragen offen geblieben. Sie sind schon
genannt worden: Welches Bild von Behinderung gibt es in
dieser Gesellschaft? Wie geht man mit Behinderung um?
Was ist überhaupt Behinderung, Krankheit, Gesundheit?
Wie sieht das Gesundheitssystem der Zukunft aus? Diese
Fragen müssen in der nächsten Legislaturperiode disku-
tiert werden.

Wir werden in der nächsten Legislaturperiode auch dis-
kutieren müssen, in welcher Form dies geschieht: in Form

einer Enquete-Kommission oder in Form eines Ethikfo-
rums. Diese Vorschläge gibt es. Wichtig aber ist mir: Die
Zusammensetzung der Enquete-Kommission hat sich
bewährt. Die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-
Volhard hat am 29.April in der „Mitteldeutschen Zeitung“
die Enquete-Kommission kritisiert, weil sie nicht unab-
hängig sei, weil sie nur aus Politikern bestehe. Ich sage
dazu: Das ist grundlegend falsch. Die Enquete hat sich
gleichermaßen aus Politikern und Sachverständigen zu-
sammengesetzt. Genau das war und ist ihre Stärke.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie ist nicht neutral, aber sie ist eben unabhängig. Keiner
der Beteiligten hatte Interesse daran, bestimmte Entschei-
dungen zu treffen oder einen Vorteil aus ihnen zu ziehen.

Wir haben den menschlichen Embryo aus unterschied-
lichsten Perspektiven betrachtet: aus naturwissenschaftli-
cher, aus medizinischer, aus politikwissenschaftlicher
Sicht. Wir hatten Psychologinnen, Volkswirtinnen, Theo-
logen und Philosophen dabei; viele der Politiker hatten
einen dieser Berufe. Das war eine faszinierende Arbeit.
Erlauben Sie mir abschließend eine persönliche Bemer-
kung: Ich habe in dieser Enquete eben durch diese unter-
schiedlichen Sichtweisen sehr viel gelernt.

Mein herzlicher Dank dafür, dass ich habe lernen kön-
nen, und für die verrichtete Arbeit gilt nicht nur den Kol-
leginnen und Kollegen aus allen Fraktionen, sondern vor
allem den Sachverständigen – sie sitzen auf der Tribüne –,
die ich herzlich begrüße,


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


und den Mitarbeitern des Sekretariats, die häufig genug
unter uns gelitten haben. Das darf man an dieser Stelle sa-
gen.

Trotzdem herrschte eine sehr gute Atmosphäre. Auch
dafür gilt mein besonderer Dank der Vorsitzenden Margot
von Renesse. Es ist gut, wenn Politik in einer solchen At-
mosphäre gemacht werden kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424214500
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Vorsitzende der Enquete-Kommis-
sion „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Margot
von Renesse.

Margot von Renesse (SPD) (von der SPD mit Bei-
fall begrüßt): Die gewesene Vorsitzende der gewesenen
Enquete-Kommission.

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Als letzte Rednerin in meiner letzten Rede will auch ich
betrachten, was die Enquete meiner Meinung nach für
mich, für das Parlament und für sich selbst gewesen ist.




Ulrike Höfken

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(C)



(D)



(A)



(B)


Als wir anfingen, war klar, dass wir den riesigen Sack
von Aufgaben, der in dem Einsetzungsbeschluss stand,
nicht würden erledigen können. Ich glaube auch, dass ne-
ben den – inzwischen auch von Fachleuten sehr gelob-
ten – Fachberichten die Arbeitsmethode, die Art und
Weise, wie wir Probleme bewältigt haben, ein ganz we-
sentlicher Teil dessen ist, was wir getan haben und womit
wir, wie ich glaube, dem Parlament gedient haben.

Als wir anfingen, war die Atmosphäre vergiftet und
sie drohte zusätzlich vergiftet zu werden. Zwischen den
verschiedenen Fronten gab es keine Brücken. Die Kon-
trahenten beschimpften oder bezichtigten sich wechsel-
seitig entweder des Fundamentalismus und der For-
schungsblockade oder der Verachtung und Missachtung
der Menschenwürde und der heiligsten Güter der Nation.
Wenn die Scheiterhaufen nicht loderten, so wurden sie zu-
mindest aufgestapelt, um bald lodern zu können, Ketzer-
verbrennung überall. Ich hatte Sorge, ob wir damit fertig
werden würden, denn, so fürchtete ich, die Konstellation
in der Enquete war gerade ihrer Geschichte wegen nicht
dazu angetan, einen Weg aus dieser Situation zu finden.

Es gab am Anfang – Herr Schmidt-Jortzig hat es ange-
deutet – entsprechende Schwierigkeiten. Ich will es nicht
verhehlen: Nicht nur die quergestrickte Vorsitzende, die
immer die Minderheit war, hatte ihre liebe Mühe und Not
mit der Enquete; die Enquete hatte auch ihre liebe Mühe
und Not mit ihr.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS] – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das kann man nicht bestreiten!)


Aber genau das waren der Trick und das Geheimnis, denn
ich glaube, das Wesentliche, was wir getan haben, bestand
darin, zumindest in Etlichem nicht nur einen Weg zu fin-
den, einander zu tolerieren und zu respektieren, sondern
auch, einander mit Neugier wirklich zu begegnen.

Ich habe neulich den Vortrag eines Professors der Juris-
prudenz, jung an Jahren und gescheit von grauen Gehirn-
zellen, gehört, der wunderbar logisch stringent ableitete
– schön, das zu hören –, dass der Embryo eben keine
Rechtspersönlichkeit sei und dass die gesetzgeberischen
Spielräume groß seien. Darauf habe ich gesagt – das habe
ich gar nicht kränkend gemeint, aber es drängte sich mir
auf –, dieser Vortrag erreiche meine Seele nicht; damit
könne man nur Studenten überzeugen. Das meinte ich
nicht abwertend. Vielmehr gibt es eine Art, über Letztes,
über wirklich Tiefgreifendes zu reden – dabei geht es
nicht um die Straßenverkehrsordnung –, die sich in
Scheinrationalität erschöpft,


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der PDS sowie bei Abgeordneten der FDP)


bei der in Wirklichkeit keine Begegnung stattfindet, son-
dern wo genau derselbe Gegenstand von dem jeweiligen
Gegner genauso logisch mit anderem Ergebnis dargestellt
werden kann, bei der man sich aber nicht überzeugt und
einander nicht näher kommt.

Wenn man versucht, die wirklichen Motive aufzu-
decken, aufgrund deren man selber zu bestimmten Wün-

schen kommt – denen der Verstand selbstverständlich
folgt –, dann wird es spannend – und auch schmerzhaft.
Wir scheuen in einer Gesellschaft, in der der Religions-
unterricht uns nicht mehr die Sprache der Kommunika-
tion mit dem jeweils anderen beibringt, offensichtlich das
Gespräch über letzte Fragen, obgleich letzte Fragen – das
haben die Enquete und die Debatte im Bundestag ge-
zeigt – von gemeinschaftsstiftender, aber auch gemein-
schaftsspaltender Qualität sein können.

Wir müssen es wieder lernen, einander so zu begegnen,
dass wir wissen: Die Wahrheit, die wir sehen, ist Wahr-
heit; leidenschaftlicher Kampf dafür, leidenschaftlicher
Streit darum ist angesagt. Aber auch die Wahrheit, die der
andere sieht, ist Wahrheit.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Wir sind keine Eulen, die ihren Kopf um 360 Grad drehen
können, sondern wir sehen immer nur Sektoren. Das sage
ich auch im Hinblick auf den Wahlkampf, an dem ich
mich nur noch begrenzt beteiligen werde.

Die Wahrheit des anderen wirklich wissen zu wollen
bedeutet – deswegen ist es so schmerzhaft –, dass man
seine eigene Wahrheit auch der Korrektur, der Ergänzung
und der Veränderung wirklich aussetzt. Man streitet nicht
nur dafür, dass man gewinnt oder siegt, sondern auch,
weil man auf diese Weise – insoweit ist der Streit der Va-
ter aller Dinge – tatsächlich einander näher kommt.

Ich denke, für diese Dinge ist das Parlament der rich-
tige Ort, nicht nur wegen der verfassungsrechtlichen Stel-
lung, die es hat, sondern weil es die Agora ist, der öffent-
liche Ort, wo jedes Argument gewogen und geprüft wird,
sodass die Bevölkerung sieht, dass man das, was sie
denkt, in allen Einzelheiten ernst nimmt, wie wir das, wie
ich finde, am 30. Januar entsprechend Art. 38 des Grund-
gesetzes getan haben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mögen wir das weiter so tun!
Wir bleiben in Widersprüchen. Wir werden Wider-

sprüche nicht endgültig auflösen können, auch nicht zu
anderen Ländern, die ebenfalls nicht alle immer nur die
Menschenwürde verletzen, Herr Hüppe. Wir sind nicht
der Maßstab aller Dinge. Auch darin ist unsere Wahrheit
nicht endgültig und vollständig. Entscheidend ist, dass
wir versuchen, einander auf die Pelle zu rücken, im Streit,
im Versuch, zu überzeugen, aber in dem gleichzeitigen
Bewusstsein, dass auch wir überzeugt werden könnten.
Wenn wir das schaffen, sind wir ein Stück weiter; denn
dann kann Gesetzgebung erfolgen, ohne dass es Sieger
und Verlierer gibt. Das Parlament entscheidet nie letzte
Fragen. Man muss einfach wissen, dass hier im Reichstag
mit 51-prozentiger Mehrheit nicht entschieden werden
kann, wann – was die Menschheit seit Aristoteles be-
schäftigt – das Leben anfängt. Wir können nur als Ge-
setzgeber sagen, was wir ab wann wie schützen. Die Frage
des Vorkerns, lieber Herr Hüppe, lösen Sie auch nicht.




Margot von Renesse
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(C)



(D)



(A)



(B)


Es gibt Widersprüche, in denen wir bleiben. Einer da-
von ist zum Beispiel der Beschluss der Ärzteschaft, den
ich genau wie Sie mit Verwunderung gelesen habe. Die
Ärzteschaft lehnt PID aus zwei Gründen ab: erstens weil
frühes menschliches Leben dabei draufgehen könne und
zweitens weil es Selektion sei. Im letzten Absatz verweist
die Ärzteschaft die Frauen auf die Möglichkeit der PND;
denn dann könne sich die Frau nach der Feststellung einer
Behinderung gegen das kranke zukünftige Leben ent-
scheiden. Wir bleiben in Widersprüchen.


(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Aber nicht, wenn man gegen beides ist!)


Aber diese Widersprüche in einem Beschluss so neben-
einander zu stellen, das ist schon gekonnt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Auch das, was wir, Frau Schuchardt, gemeinsam über-
legt haben, nämlich die Biomedizinkonventionmit einer
Interpretationserklärung erträglicher, verträglicher zu ma-
chen, bleibt in Widersprüchen. Der Versuch ist sehr eh-
renhaft; man muss ihm weiter nachgehen. Aber wir soll-
ten uns nicht vormachen, wir könnten die Probleme dieser
Welt lösen. Weil wir dafür bezahlt werden, es für die Men-
schen leichter zu machen, dürfen wir es uns nicht leicht
machen und sagen: Wir waschen unsere Hände in Un-
schuld, wir sind es nicht gewesen, wir haben damit nichts
zu tun, während wir rings um uns herum, und zwar in
Deutschland, die Probleme den Leuten überlassen. Wir
werden dafür bezahlt, Probleme zu lösen und sie auf uns
zu nehmen, und nicht dafür, andere mit dem fertig werden
zu lassen, mit dem wir nicht fertig werden.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Richtig!)


Ich denke, dass wir ein Stück weitergekommen sind,
wenn wir – wie wir das beim Stammzellgesetz versuchs-
weise getan haben, wie schlecht und recht auch immer –
Wege finden, Gegenwart und Zukunft zu ermöglichen,
ohne letzte Fragen zu entscheiden. Vieles von dem, was
wir entscheiden, ist nur scheinbar prinzipiell. Viel von un-
seren Erfahrungen, Einschätzungen, Sorgen und Ängsten
kommt hinzu. Ich denke, das alles gehört mit zur Realität.

Wir sind aber seit Anbeginn der Menschheit dazu ver-
urteilt, dass wir, die wir Mangelwesen sind, versuchen,
Herr und Herrinnen der Natur zu werden, indem wir sie
analysieren und sie für uns einsetzen. Wir können nicht
schnell laufen. Unsere Körperkraft ist begrenzt. Unsere
Augen sind nicht besonders gut im Verhältnis zu dem, was
wir brauchen würden. Unsere Krallen sind auch nicht das,
was man braucht, um Beute zu schlagen. Das Einzige, was
wir haben, ist unser Spieltrieb – hier agieren wir mit un-
seren grauen Gehirnzellen –, Wiederholbares bzw. Ge-
setzmäßiges zu finden und daraus für uns eine neue Welt
zu bauen.

Dagegen hilft nicht, dass wir uns selbst beschränken,
jedenfalls nicht im Wege eines Gesetzes. Dagegen hilft,
dass wir immer mehr über die Natur wissen, sodass wir
wissen, was uns dient und was uns nicht dient. Denn in al-

lem, was wir tun, ist eine tragische Dialektik angelegt. Es
gibt nichts, was man nur zum Guten nutzen kann.


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD] sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Man kann das Wissen immer auch für gigantische Irrtü-
mer und Massenverbrechen benutzen. Unsere Geschichte
lehrt uns das.

Wir sind wie Kolumbus auf hoher See. Zurück nach
Spanien geht es nicht. Viele Leute warnen, dass er, wenn
er weiterfährt, von der Erde in einen Strudel hinunter-
kippt, den keiner kennt. Er hofft auf den Seeweg nach In-
dien und findet die Amerika vorgelagerten Inseln. Das
Einzige, was wir tun können – das muss das Parlament
auch in Zukunft tun –, ist: Die Seekarten prüfen, sie mit
den Sternen vergleichen und den richtigen Steuermann
einsetzen.

Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424214600
Liebe Kollegin Frau
von Renesse, nicht nur, aber vor allem als Vorsitzende der
Enquete-Kommission haben Sie in der letzten Dekade
den rechts- und biopolitischen Debatten eine ganz beson-
dere Qualität verliehen. Ich füge hinzu: Allen Kolleginnen
und Kollegen in diesem Hause, aber ganz besonders uns
jungen Abgeordneten haben Sie wichtige Impulse gege-
ben. Ihnen ist es zu verdanken, dass die Arbeit der En-
quete-Kommission ein großes Ansehen genießt. Dafür
herzlichen Dank, Frau Kollegin!


(Beifall im ganzen Hause)

Einige Rednerinnen und Redner in dieser Debatte haben

es schon deutlich gemacht: Wir werden Ihre Stimme ver-
missen. Aber ich bin mir ganz sicher, dass wir Ihre Stimme
weiter hören werden, und zwar als unsere Beraterin bei den
Debatten nach der Bundestagswahl. Ich wünsche Ihnen,
Frau von Renesse, alles Gute und viel Gesundheit.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich schließe damit die Aussprache und möchte die Ge-

legenheit nutzen, mich bei allen Mitgliedern und vor allem
bei allen Sachverständigen der Enquete-Kommission
„Recht und Ethik der modernen Medizin“ für ihre Arbeit
zu bedanken. Ich denke, sie hat tatsächlich Maßstäbe ge-
setzt, was zum einen die Qualität der Debatte betrifft und
zum anderen den fraktionsübergreifenden Dialog angeht.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben damit ein
gutes, wichtiges Stück Parlamentsgeschichte geschrieben.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette
Widmann-Mauz, Karl-Josef Laumann, Dr. Maria
Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Wiedereinstieg in den Beruf für Frauen er-
leichtern – Frauenarbeitslosigkeit in Deutsch-
land bekämpfen




Margot von Renesse

24313


(C)



(D)



(A)



(B)


– Drucksache 14/8786 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Debatte eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die
Fraktion der CDU/CSU ist die Kollegin Renate Diemers.


Renate Diemers (CDU):
Rede ID: ID1424214700
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frauen sind anschei-
nend seltsame Wesen. Sie stellen die Mehrheit der Bevöl-
kerung. Sie haben Unvergleichliches geleistet. Sie haben
die Bundesrepublik Deutschland mit aufgebaut – ohne sie
gäbe es das deutsche Wirtschaftswunder nicht – und sie
haben fast immer die Mehrfachbelastung von Familie und
Beruf allein zu tragen. Außerdem sind Frauen in der Re-
gel belastbarer als Männer. Trotzdem sind Frauen stärker
von Arbeitslosigkeit betroffen als Männer. Darüber hi-
naus werden Frauen, ihre Leistungen und ihre Probleme
auch heute noch immer nicht richtig ernst genommen.
Selbst der jetzige Bundeskanzler spricht im Rahmen der
Familien- und Frauenpolitik nur von „Gedöns“.


(Erika Lotz [SPD]: Das hat schon einen Bart!)

Diese Aussage war für uns Frauen wenig hilfreich, ja so-
gar schädlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Oft finden frauenpolitische Debatten im Bundestag

erst statt – fast so wie heute –, wenn es draußen bereits
ziemlich dunkel ist.


(Peter Dreßen [SPD]: Noch ist es hell draußen!)


– Ich habe gesagt: ziemlich dunkel. – Dunkel im wahrsten
Sinne des Wortes sieht es auch aus, wenn es um Erfolgs-
berichte bei der Bekämpfung von Frauenarbeitslosig-
keit geht. Es geht nämlich bei Weitem nicht um marginale
Verbesserungen in der Statistik. Es geht nicht darum, ein
kleines Pflänzchen „Sonderprogramme für Frauen“ liebe-
voll in die Sonne zu stellen und mit den Resten aus der Fi-
nanzgießkanne zu beträufeln. Es geht auch nicht darum,
immer wieder zu Weltfrauenkonferenzen zu pilgern, um
dann die dort verabschiedeten Ziele nur für andere Länder
gelten zu lassen. Es geht darum, dass alle Frauen die ih-
nen zustehenden Rechte einsetzen, sie nutzen können.


(Vizepräsident : Dr. Hermann Otto Solms)

Die Probleme der erwerbstätigen Frauen und der

Frauen, die erwerbstätig sein möchten, sind vielschichtig.
Hier liegt der Knackpunkt. Frauen haben unterschiedliche
Lebensentwürfe und somit unterschiedliche Ziele, und
sie haben unterschiedliche Ansprüche.

Es gibt Arbeitnehmerinnen und Unternehmerinnen, die
ohne jegliche Unterstützung Karriere gemacht haben.
Leider aber sprechen viele dieser Frauen den anderen
Frauen die Notwendigkeit einer Unterstützung, zum Bei-

spiel mittels einer Quote, ab. Dies ist genauso falsch, wie
allen Frauen prinzipiell zu unterstellen, sie wollten und
müssten unbedingt Karriere machen. Denn es gibt auch
erwerbstätige Frauen, die nicht darunter leiden, dass sie
keine Karriere machen. Sie identifizieren sich auch ohne
Karrierewunsch vollauf mit ihrem Unternehmen. Diese
Frauen sind glücklich in ihrem Beruf. Er sichert ihr Ein-
kommen und dient ihrer sozialen Sicherheit.

Viele Frauen wollen die Familien- und Erwerbstätig-
keit kombinieren, zum Beispiel mit Elternzeit – oder
ohne. Allerdings muss uns allen auch klar sein, dass eine
große Zahl von Frauen, die auf Elternzeit verzichten, dies
tun müssen, weil sie zum Beispiel allein erziehend sind
und bzw. oder das Familieneinkommen nicht ausreicht.
Von Karriere können diese Frauen nur träumen.

Dann gibt es auch Frauen, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von Rot-Grün, insbesondere junge Frauen, die be-
absichtigen, nach der Geburt ihres Kindes erst einmal
ganz auf den Beruf zu verzichten. Ich habe diesen Wunsch
schon oft in Gesprächen in Schulen und in Betrieben
gehört. Diese jungen Frauen beabsichtigen eben nicht, un-
mittelbar nach der Geburt ihr Kind in die außerhäusliche
Betreuung zu geben. Diese Frauen wollen sich ganz in-
tensiv ihren Kindern widmen und fühlen sich als Familien-
frauen sehr wohl.

Dies wird von Ihnen aber nicht akzeptiert. Sie und Ihr
Kanzler zementieren gerade ein neues Frauenleitbild,
nämlich ausschließlich das der erwerbstätigen Frau.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)


Unser Ziel, das Ziel der CDU/CSU, ist die Wahlfreiheit.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein Hauptschwerpunkt unseres Programmes ist die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie, und zwar für
Mütter und Väter.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die Rahmenbedingun-
gen für die notwendigen Wahlmöglichkeiten zu schaffen.
Ich denke da an eine aktive Umsetzung und natürlich auch
Fortschreibung der bereits beschlossenen Maßnahmen im
Hinblick auf die Chancengleichheit von Frauen und Män-
nern, an die Übereinstimmung von Arbeitszeiterfordernis
und Kinderbetreuungszeit, an unterschiedliche Teilzeit-
modelle oder an die Schaffung von alternierenden Tele-
arbeitsplätzen.

Eine große Hilfe ist auch unser geplantes Familien-
geld.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh! – Peter Dreßen [SPD]: Wie wollt ihr das denn bezahlen?)


Im Sinne einer echten Wahlfreiheit ist allerdings, liebe
Kolleginnen und Kollegen, von uns allen die freie Ent-
scheidung der Eltern, zugunsten der Kindererziehung
ganz, teilweise oder zeitweise auf Erwerbsarbeit zu ver-
zichten, zu respektieren. Ich betone noch einmal: Die
Wahlfreiheit gilt für Mütter und Väter. Daher fordern wir




Vizepräsidentin Petra Bläss
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die Männer auf, ihrer Verantwortung für die Familie ge-
recht zu werden.


(Hanna Wolf [München] [SPD]: Das machen die sofort!)


Wenn auch die Väter von den Möglichkeiten, Famili-
enzeit zu nehmen, mehr Gebrauch machen würden, hätten
es die Frauen im Arbeitsleben und beim Wiedereinstieg
entsprechend leichter.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn allerdings die Rahmenbedingungen weiterhin so
schlecht sind – ich nenne beispielhaft die unterschiedliche
Einkommenssituation von Frauen und Männern


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


oder die gesellschaftliche Akzeptanz von Elternzeit –,
wird sich weder in der Mentalität der Unternehmer noch
der Väter Gravierendes ändern.

Manche Arbeitgeber lassen unterschwellig, andere
leider sogar ganz offen durchblicken, wie sie Frauen in
Betrieben und Unternehmen einschätzen. Sie fürchten die
jederzeit mögliche Schwangerschaft, die offenbar ein
ganz schreckliches Übel in unserer Gesellschaft ist, und
die prinzipiell unterqualifizierte Mitarbeiterin, die irgend-
wie durchgeschleppt werden muss; daneben sind Gleich-
stellungsbeauftragte für viele Arbeitgeber ein rotes Tuch.

Die vielen familienfreundlichen Betriebe, die es Gott
sei Dank bereits gibt, beweisen, dass andere Wege mög-
lich sind, und zwar nicht zum Nachteil der Betriebe. Es
reicht allerdings nicht aus, ein Gesetz über Teilzeit auf den
Weg zu bringen, wenn dies zu einer Blockade der Unter-
nehmer führt, Frauen einzustellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es reicht auf der anderen Seite nicht aus, den Frauen

den Anspruch auf Teilzeit mitzuteilen, ohne klarzustellen,
dass das für Frauen zum Beispiel auch heißt, unbeliebte
Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen. Frauen haben das Recht
auf Teilzeit, aber selbstverständlich nicht das Recht auf
die Filetzeiten von 9 bis 13 Uhr.

Der Wiedereinstieg nach einer Pause muss Frauen
und – ich sage das bewusst – auch Männern erleichtert
werden. Dabei ist es außerordentlich wichtig, während
der Pause, sei es Elternzeit oder Arbeitslosigkeit, in ir-
gendeiner Form den Anschluss an den Betrieb zu halten.
Dies kann über soziale Kontakte laufen, die übrigens
während der Elternzeit auch für die Psyche der Eltern
wichtig sein können.

Besondere Bedeutung müssen zum Beispiel Weiterbil-
dungsmaßnahmen während der Elternzeit haben. Wir
sollten ebenfalls darüber nachdenken, ob nicht auch ar-
beitslose Frauen in ihrem alten Betrieb Weiterbildungs-
maßnahmen in Anspruch nehmen können. Dies zu koor-
dinieren und zu finanzieren sollte eigentlich nicht das
Problem sein.

Im vergangenen Jahrhundert und erst recht in der Zeit
davor, lautete die Devise: Die Familien müssen sich an
der Arbeitswelt orientieren. Die Union kämpft für die

neue Devise: Die Arbeitswelt muss sich auch an den Fa-
milien orientieren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ilse Janz [SPD]: Da sind wir jetzt aber wirklich überrascht! Habt ihr die Familie entdeckt?)


Wenn wir gemeinsam für neue Ideen und die Anliegen
der Frauen offen sind, bin ich sicher, dass wir den Lösun-
gen etwas näher kommen. Aber eines, liebe Kolleginnen
und Kollegen, müssen wir auf jeden Fall verhindern: die
soziale Ausgrenzung der Frauen, die kein oder nur ein ge-
ringes eigenes Einkommen haben und somit im Alter
nicht abgesichert sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Schlimmes Thema!)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es ist heute das
letzte Mal, dass ich hier am Rednerpult stehen darf. Da-
rum möchte ich zum Schluss ganz herzlich und besonders
eindringlich an alle Kolleginnen und Kollegen in den ver-
schiedenen Ausschüssen, an die Finanzminister im Bund
und in den Ländern und an alle politisch Verantwortlichen
appellieren: Vernachlässigen Sie die Frauen- und Familien-
politik nicht!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Räumen Sie der Kinder-, der Jugend- und auch der Poli-
tik für ältere Mitmenschen nicht nur auf dem Papier oder
in Wahlprogrammen, sondern auch in der Umsetzung ei-
nen höheren Stellenwert ein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Fehler und Versäumnisse, die in der Familienpolitik ge-
macht werden, haben dramatische Auswirkungen auf unser
gesellschaftliches Miteinander, auf die Arbeitswelt, aber
auch auf die Wirtschaft bzw. auf wirtschaftliche Erfolge.

Ich wünsche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
viel Kraft bei Ihrer Arbeit, aber auch: Vergessen Sie die
Freude nicht!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424214800
Liebe
Kollegin Renate Diemers, im Namen des Hauses danke
ich Ihnen für Ihre letze Rede und Ihre langjährige Mitar-
beit in diesem Hause. Wir wünschen Ihnen für die Zukunft
alles Gute, Gesundheit und Spaß. Sie werden feststellen,
dass es auch ein Leben nach der Politik gibt.


(Beifall im ganzen Hause)

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Renate Jäger

von der SPD-Fraktion das Wort.


Renate Jäger (SPD):
Rede ID: ID1424214900
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Liebe Kollegin Renate Diemers, ich
kann Ihrem Antrag leider nicht so viel Positives abge-
winnen wie Sie und sage Ihnen auch gleich, warum. In der
Einleitung des Antrages wird deutlich gemacht, dass
Frauen deutlich weniger als Männer verdienten, was da-
rauf zurückzuführen sei, „dass Frauen häufiger ... mit




Renate Diemers

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weniger anspruchsvollen und deswegen geringer entlohn-
ten Arbeiten beschäftigt werden, die oft unter ihrem Qua-
lifikationsniveau liegen“. Nun würde man ja erwarten,
dass die CDU/CSU diese Misere mit ihrem Antrag zu än-
dern versucht, zumal sie in einem anderen Punkt von der
Bundesregierung fordert, „gemeinsam mit den Unterneh-
men ... auf eine Angleichung der Frauen- an die Männer-
verdienste hinzuarbeiten“. Das scheint für meine Begriffe
aber nicht ganz ehrlich gemeint zu sein, da die CDU/CSU
den Niedriglohnbereich insbesondere für Frauen aus-
bauen will. Damit Sie mir das auch glauben, zitiere ich
aus dem Antrag weiter. Es heißt dort, „im Niedriglohnbe-
reich ... Anreize zur Aufnahme von niedrig entlohnter Ar-
beit zu geben und Arbeitgeber durch Deregulierung zu
motivieren, Arbeitsplätze in diesem Bereich zu schaffen“.
An anderer Stelle ist davon die Rede, „der Aktivierung der
Beschäftigungspotenziale im Niedriglohnbereich umfas-
send nachzukommen“.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Ihnen scheint Arbeitslosigkeit lieber zu sein!)


Dieser Widerspruch entlarvt das wahre frauenpolitische
Zielfeld der CDU/CSU.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Renate Diemers [CDU/CSU]: Das ist kein Widerspruch! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist ein gigantisches Missverständnis, Frau Kollegin!)


Den Wiedereinstieg für Frauen in den Beruf zu er-
leichtern, war in den letzten vier Jahren unser Ziel und
wird es auch in Zukunft bleiben. Allerdings diskriminie-
ren unsere Maßnahmen nicht, sondern sie machen die
wahren Potenziale der Frauen für sie selbst und für die
Gesellschaft nutzbar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich räume gern ein, dass auch Sie Forderungen stellen,
die man vom Grunde her gutheißen kann, wenn sie nicht
schon durch die von uns geschaffene Realität obsolet ge-
worden wären.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Wir haben die Beauftragten für Chancengleichheit am

Arbeitsmarkt in den Arbeitsämtern installiert. Sie sagen
natürlich, diese Unterstützung sei noch nicht ausreichend.
Doch zu Ihrer Zeit hat es diese Unterstützung überhaupt
nicht gegeben. Wir haben damit begonnen – jeder Anfän-
ger ist nun einmal noch kein Meister – und werden die Ar-
beit unter Mitwirkung der Beauftragten weiter effektivie-
ren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Annette Widmann-Mauz [CDU/ CSU]: Sie sind Anfänger? Das ist ja interessant!)


Mit dem Profiling im Job-AQTIV-Gesetz ist längst in
Kraft, was Sie mit den Vermittlungsagenturen wollen: auf
die individuelle Situation von Frauen, insbesondere von
Frauen mit Kindern und Alleinerziehenden, einzugehen.
Auch die von Ihnen geforderten Eingliederungsvereinba-
rungen sind längst beschlossene Sache.

Nur eines habe ich in diesem Zusammenhang in Ihrem
Antrag nicht verstanden: Sie fordern Sanktionen für den
Fall der Arbeitsverweigerung, wenn für Kinder unter drei
Jahren – ich betone: für Kinder unter drei Jahren – die
Betreuung gesichert ist. Heißt das, dass Sie auch Müttern
mit Kindern unter drei Jahren, also auch zwischen null
und einem Jahr, keine Wahlfreiheit mehr erlauben wol-
len? Frau Diemers sprach aber von Wahlfreiheit.


(Renate Diemers [CDU/CSU]: Sind Ihnen die Kinder wurscht?)


Wir haben im Job-AQTIV-Gesetz die Erziehungszei-
ten des Kindes sowie Zeiten des Mutterschutzes in die Ar-
beitslosenversicherung einbezogen


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und die Kindererziehungszeiten bei den Rentenanwart-
schaften aufgewertet.


(Renate Diemers [CDU/CSU]: Da kann ich aber nur lachen!)


Wir haben es ermöglicht, dass Frauen und Männer
Elternzeit nehmen können, während Sie allein bei den
Frauen geblieben sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie fordern des Weiteren eine bessere Qualifizierung
für den Wiedereinstieg in das Berufsleben. Das ist auch
okay. Aber wir haben bereits einen Anspruch auf Unter-
haltsgeld geschaffen, wenn ein Elternteil die Berufstätig-
keit für die Betreuung eines Kindes unterbricht und sich
in dieser Zeit weiterbildet. Wir haben für beide Elternteile
zum Zweck der Erziehung von Kindern einen Rechtsan-
spruch auf Teilzeit geschaffen und selbst Qualifizierung
in Teilzeit möglich und förderfähig gemacht. Wir haben
ermöglicht, dass die Kosten für Trainings- und Qualifi-
zierungsmaßnahmen auch dann übernommen werden,
wenn weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe be-
zogen wurde und bezogen wird.


(Erika Lotz [SPD]: Hört! hört!)

Für Frauen in Qualifizierungsmaßnahmen haben wir die
zu erstattenden Kinderbetreuungskosten auf 130 Euro er-
höht. So viel zur Qualifizierung.

Wir haben für die nach dem Mainzer Modell mög-
lichen Kombilöhne,


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das Stichwort hätten Sie besser nicht erwähnt!)


die gering verdienende Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer entlasten, einen Zuschlag zum Kindergeld zwi-
schen 25 und 75 Euro pro Kind geschaffen.

Auch wenn Ihnen die Vergleiche langsam peinlich
werden: Die von Ihnen geforderte Förderung von Exis-
tenzgründungen für Frauen wird zum Beispiel mit dem
Kreditprogramm „Startgeld“ längst erfolgreich prakti-
ziert. Die Zahl der Gründungsvorhaben ist allein von 1999
bis 2000 von 4390 auf über 7 000 gestiegen. Mit der Ge-
meinschaftsinitiative „Change/Chance“ haben wir ein
Programm aufgelegt, mit dem Frauen besser als zu Ihrer




Renate Jäger
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(B)


Zeit für die Unternehmensnachfolge in Klein- und Mittel-
betrieben gefördert werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Zusammenhang mit der von Ihnen geforderten bes-
seren Kooperation mit Unternehmen nehmen Sie zwar die
Vereinbarung zwischen der Regierung und den Spitzen-
verbänden der deutschen Wirtschaft zur Kenntnis, aber
nicht den vollen Inhalt.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Was ist denn dabei herausgekommen? Nichts ist herausgekommen!)


Da geht es nämlich bereits um die Punkte, die Sie fordern.
Da geht es um Chancengleichheit und Familienfreund-
lichkeit, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als
Aufgabe für Leitungsverantwortliche. Da geht es um die
Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen.
Da geht es auch bereits um die Verbindlichkeit dieser
Zielsetzungen innerhalb der Unternehmen, um das, was
Sie ja eigentlich wollen.

Ich kann abschließend nur sagen: Wir brauchen uns
nicht zu verstecken. Wir haben eine erfolgreiche Politik
auf diesem Feld aufzuweisen


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das merkt man an den Arbeitslosenzahlen!)


und wir werden diese Politik auch weiterführen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424215000
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Ina Lenke von der FDP-Fraktion.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1424215100
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Der Situationsanalyse der CDU/CSU zu ihrem
Antrag „Wiedereinstieg in den Beruf für Frauen erleich-
tern – Frauenarbeitslosigkeit in Deutschland bekämpfen“
stimme ich voll zu.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im internationalen Vergleich ist die Erwerbsquote von
Frauen in Deutschland gering. Wir Frauen wissen das,
aber wir können es hier im Bundestag auch noch einmal
ganz deutlich sagen: Nur 62 Prozent der Frauen im
erwerbsfähigen Alter sind in Deutschland berufstätig, bei
Müttern, die in Paarhaushalten leben, nur 51 Prozent und
bei Alleinerziehenden knapp 50 Prozent.

Wir wissen, das hat seine Ursachen. Nach aktuellen
Studien wollen Mütter sogar kleiner Kinder erwerbstätig
sein. Wir sollten gar nicht fragen, warum, sondern müssen
das als Fakt sehen.


(Beifall der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie wollen verstärkt Vollzeit und nicht nur Teilzeit arbei-
ten. Sie wollen an Qualifizierungs- und Wiedereingliede-

rungsmaßnahmen auch nach der Elternzeit teilnehmen.
Der Haupthinderungsgrund – liebe Kollegen, das wissen
wir – ist das mangelhafte Angebot an Kinderbetreu-
ungsmöglichkeiten.


(Beifall bei der FDP)

Da haben wir – das muss man hier ganz deutlich ausspre-
chen – auch nach 1998 noch einen enormen Handlungs-
bedarf. Ich meine, gerade wir Frauen müssen diese be-
rechtigten Forderungen der Bürgerinnen und Bürger
parteiübergreifend aufnehmen und uns in den Kommu-
nen, in den Ländern und hier auf Bundesebene für mehr
Kinderbetreuung einsetzen.


(Erika Lotz [SPD]: 1 Milliarde Euro pro Jahr!)

Dabei geht es nicht nur um die Subventionierung kom-
munaler, sondern auch um die Finanzierung privater Kin-
dergärten sowie um ordentliche Rahmenbedingungen für
Tagesmütter. Da haben wir noch eine Menge zu tun.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die Integration von Frauen

in den Arbeitsmarkt – das wissen wir alle – ist auch auf-
grund der demographischen Entwicklung wirtschaftlich
zunehmend erforderlich. Sowohl aus Familiensicht als
auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es wünschens-
wert, dass die vielen qualifiziert ausgebildeten Frauen
Rahmenbedingungen vorfinden, die ihnen die Entschei-
dung für Kinder erleichtern.

Ich will auf Frankreich zu sprechen kommen. Ich
finde es erstaunlich und ganz toll, was unser Nachbarland
macht. Warum sind in Frankreich 80 Prozent der Frauen
berufstätig und haben mehr Kinder? Eine Frau in Frank-
reich, die Kinder hat, überlegt erst ab dem dritten Kind, ob
sie ihre Berufstätigkeit für einige Zeit einstellt. Wir wis-
sen, auch in Frankreich sind nicht alle Frauen Rabenmüt-
ter. Sie bekommen das alles einfach besser unter einen
Hut, natürlich auch, weil in Frankreich mehr Möglichkei-
ten der Kinderbetreuung bestehen. Die höhere Ausschöp-
fung des Beschäftigungspotenzials von Frauen erfordert
also eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Handlungsbedarf bei der Kinderbetreuung hat natür-
lich auch unser Kanzler festgestellt. Am 18. April – ich
kann es mir so genau merken, weil ich da Geburtstag
hatte –,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

also vor zwei Monaten, versprach er in einer Regierungs-
erklärung wieder einmal mehr Ganztagsbetreuung.
1998 hat er das auch versprochen, O-Ton:

Ein ausreichendes Angebot an Kitaplätzen und
Ganztagsbetreuung ist zu gewährleisten.

Meine Damen und Herren, seien wir doch einmal ganz
ehrlich: Was hat sich denn an der Betreuungslandschaft in
der Bundesrepublik geändert? Es hat sich nichts geändert.
Und wenn der Bundeskanzler das 1998 versprochen hat,
dann muss er jetzt, im Jahr 2002, verdammt noch mal sa-
gen, was er geleistet hat. Diese Leistungsbilanz im Betreu-
ungsbereich kann er nicht vorlegen; das sagen alle Zahlen.


(Beifall bei der FDP)





Renate Jäger

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(C)



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(A)



(B)


Wenn man etwas auf Bundesebene verspricht, kann man
nicht wie Frau Bergmann sagen, die Länder und die Kom-
munen müssten das umsetzen. Das geht mir langsam
– ganz allgemein, nichts gegen eine Person – gegen den
Strich. Sie haben in der Betreuungslandschaft nichts ge-
tan, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in dieser
Legislaturperiode zu verbessern. Frauen wollen einfach
nicht mehr mit Versprechen abgespeist werden. Sie wol-
len, dass Politik endlich handelt.

Die geringe Erwerbsbeteiligung von Frauen hat natür-
lich nicht nur mit der Vereinbarkeitsproblematik zu tun,
sondern auch mit der schlechten Arbeitsmarktlage. Da-
mit kommen wir zu den Rahmenbedingungen, die es
Frauen schwer machen, berufstätig zu sein. Frauen wer-
den aus dem Erwerbsleben angesichts des Überangebots
an Arbeitskräften nicht nur zurückgedrängt, sie geben
zum Teil schon vorher auf und bemühen sich gar nicht da-
rum, einen Arbeitsplatz zu bekommen, weil sie keine
Hoffnung mehr haben, und verbleiben in ihrer Familien-
rolle.

Ich erkenne vollständig an, dass, wie die CDU sagt, die
Hausarbeit eine anstrengende, sehr qualifizierte Arbeit
ist. Frauen- und Männerarbeit im Haushalt sollten wir we-
sentlich mehr anerkennen. Das könnten einmal einige
Männer mehr versuchen.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat im
Bereich der Arbeitsmarktpolitik versagt. Es sind ganz be-
sonders Frauen, die davon betroffen sind. Die Bundesre-
gierung wird in diesem Antrag von der CDU/CSU zum
Handeln aufgefordert. Meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, es ist ja fast zu spät; wir müssen jetzt den
22. September abwarten.

Diese Ihre Forderungen sind CDU/CSU-Forderungen;
wir haben andere Forderungen. Sie wissen, dass wir sehr
viele Initiativen in Bezug auf Arbeitsmarktpolitik, auf die
Rahmenbedingungen, die wir dazu setzen können, ergrif-
fen haben. Das sind ganz andere Konzepte als die von der
SPD, das sind andere Konzepte als die von der CDU. Des-
halb zeigt sich auch ganz deutlich, dass die FDP eine sehr
eigenständige Rolle in diesem Parlament spielt


(Beifall bei der FDP)

und dass wir zugegebenermaßen – das hören wir auch von
anderen – gute Konzepte haben. Die Vorstellungen der
FDP sind liberale Forderungen für Reformen des Arbeits-
marktes, für Reformen bei der Tarifordnung sowie für
eine durchgreifende Steuerreform. Das alles ist bei uns
konsequenter und weitreichender.

Meine Damen und Herren, ohne substanzielle Refor-
men gibt es keinen wirklichen Fortschritt auf dem Ar-
beitsmarkt. Gerade für Frauen wollen wir etwas tun. Dazu
müssen wir die Rahmenbedingungen ändern.

Ich meine, wir sollten am 23. September damit begin-
nen, anders als es in den letzten vier Jahren geschehen ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424215200
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Thea Dückert von Bündnis 90/
Die Grünen .


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424215300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ver-
ehrte Frau Kollegin Diemers, ich finde es ehrenwert, die
Männer hier aufzufordern, sich für die Gleichberech-
tigung einzusetzen. Ich denke, das ist sicherlich hilfreich.
Wir haben allerdings ein noch schärferes Schwert, näm-
lich das Grundgesetz, in dem die Gleichberechtigung
zwischen Frauen und Männern verbrieft ist.

Obwohl es dieses gibt, ist die Gleichberechtigung in
der Realität des Alltags in diesem Lande noch immer nicht
erreicht. Auf vielen Gebieten, gerade im Bereich der Er-
werbsarbeit, feiert die Diskriminierung noch fröhliche
Urstände.


(Zuruf von der CDU/CSU: Steter Tropfen höhlt den Stein, deshalb muss man es immer wieder sagen!)


Ich glaube, dass es deswegen nicht ausreicht, diese Auf-
forderung hier zu unterstreichen. Wir müssen das tun, wo-
mit wir als rot-grüne Koalition sehr ernsthaft und kon-
zentriert angefangen haben, nämlich Gesetze erlassen, die
den Frauen helfen, in den Arbeitsmarkt zu kommen.


(Beifall der Abg. Erika Lotz [SPD])

Beispielsweise haben wir die Elternteilzeit und den
Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, den Sie bekämpfen,
längst eingeführt und


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Sie ist zum Bumerang geworden! – Renate Diemers [CDU/CSU]: Wir bekämpfen Teilzeitarbeit grundsätzlich nicht!)


wir haben die Frauenrechte in den Betrieben durch ein
verbessertes Betriebsverfassungsgesetz gestärkt. Auch
dieses haben Sie bekämpft.

Ich finde es sehr wichtig – es lohnt sich in der Tat –,
sich hier immer wieder ernsthaft über verbesserte Wie-
dereingliederungs- und Ersteinstiegsmöglichkeiten von
Frauen in den Arbeitsmarkt zu unterhalten, weil – das
sprach ich schon an – die Diskriminierungen wirklich
augenscheinlich sind. Mädchen sind besser in den Schu-
len; sie haben die besseren Notendurchschnitte. Frau Kol-
legin Diemers, Sie haben hier schon angeführt, dass
Frauen auf dem Arbeitsmarkt trotzdem vergleichsweise
schlechter entlohnt werden. Sie haben aber auch darauf
hingewiesen, dass das hauptsächlich eigen- bzw. selbst-
verschuldet ist, weil Frauen gerne Tätigkeiten überneh-
men, für die nur ein niedriger Lohn bezahlt wird.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das hat sie doch gar nicht gesagt!)


Das ist solch ein absoluter Quatsch. Schauen Sie sich ein-
mal an, wie Tarifverträge zustande kommen


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und wie die Arbeitsplatzbewertungen aussehen, die vielen
Tarifverträgen und tariflichen Einordnungen zugrunde
liegen. Dort ist es systematisch so.


(Renate Diemers [CDU/CSU]: Das habe ich doch gar nicht gesagt!)





Ina Lenke
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(D)



(A)



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Es ist übrigens auch wissenschaftlich nachgewiesen,
dass spezifische Frauenqualifikationen in der Regel nied-
riger bewertet werden und dass deswegen in den Berei-
chen, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten, tendenziell
niedrigere Durchschnittslöhne gezahlt werden. Hieran
müssen wir arbeiten. Allerdings sind dazu insbesondere
auch die Tarifvertragsparteien aufgefordert.

Ich komme zu einem anderen Punkt: Frauen arbeiten
seltener in Führungsjobs. Auch hierfür gibt es ein Bei-
spiel aus der Realität, über das ich berichten kann; denn
ich habe als wissenschaftliche Assistentin an der Univer-
sität gearbeitet. Wenn man sich die Hierarchieleiter bei
den Hochschullehrern anschaut und sieht, wie die Präsenz
von Frauen ausgedünnt wird – es sind nur 9 Prozent Hoch-
schullehrerinnen vertreten –, dann muss man bedenken,
dass das auch viel mit der Struktur der Berufungs- und Be-
setzungskommissionen zu tun hat. Männerseilschaften
funktionieren eben gut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Ulrich Heinrich [FDP] und der Abg. Petra Bläss [PDS])


Frau Lenke, Sie hatten Recht, als Sie eben gesagt ha-
ben, dass Frauen nicht nur Teilzeit, sondern auch Vollzeit
arbeiten wollen. 87 Prozent der Teilzeitarbeit werden
heute allerdings von Frauen ausgeführt. Nur 5 Prozent der
Männer arbeiten Teilzeit, während es 38 Prozent der
Frauen sind. Häufig ergibt sich für Frauen auch heute
noch immer nur dann die Möglichkeit, eine Vollzeitbe-
schäftigung aufzunehmen, wenn der Partner Teilzeit ar-
beiten kann. Das ist beispielsweise einer der Gründe, wes-
halb der Rechtsanspruch auf Teilzeit für Männer und
Frauen gleichermaßen durchgesetzt werden musste; wir
haben ihn durchgesetzt. Ich sage Ihnen auch: Wir werden
ihn gegen das verteidigen, was Sie vorhaben, nämlich ge-
nau diesen Fortschritt für eine bessere Arbeitsteilung von
Frauen und Männern wieder abzuschaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ingrid Fischbach [CDU/ CSU]: Das wirkt sich negativ für die Bundesregierung aus! – Renate Diemers [CDU/CSU]: Teilzeit heißt nicht nur von 8 bis 13 Uhr, sondern auch tageweise!)


Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie ha-
ben hier davon gesprochen, dass Sie die Wahlfreiheit für
Frauen herstellen wollen. Gleichzeitig plädieren Sie für
die stoibersche Herdprämie.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Frau Dückert, Sie waren schon besser!)


Welche Frau, die Kinder erziehen und gleichzeitig arbei-
ten will, hat die Möglichkeit, in den Beruf zu gehen, wenn
die Kinderbetreuung nicht sichergestellt ist? Gehen Sie
nach Bayern. Dort gibt es gerade für kleine Kinder die we-
nigsten Betreuungsmöglichkeiten. Hier haben wir noch
viel zu tun, von der Krippenbetreuung für Kleinkinder
über die Ganztagsschule, die Sie heute Morgen wieder
abgelehnt haben, bis hin zur Hortbetreuung. Solche An-
gebote brauchen wir, wenn wir den Frauen die Wahlfrei-
heit geben wollen, Familie und Beruf miteinander zu ver-
einbaren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir brauchen noch etwas anderes – das fordern Sie in
Ihrem Antrag zu Recht –: Wir brauchen für Frauen
Brücken in den Arbeitsmarkt. Sie aber haben in den letz-
ten Jahren offenbar ein wenig geschlafen; denn wir ha-
ben – das hat meine Kollegin schon vorgetragen – im Job-
AQTIV-Gesetz vieles von dem verankert, was Sie in
Ihrem Antrag fordern.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Um Gottes willen!)


– Sie rufen „Um Gottes willen“. Wir haben im Job-
AQTIV-Gesetz beispielsweise im Zusammenhang mit der
Arbeitsförderung festgelegt, dass die Frauenförderung
eine Querschnittsaufgabe ist. Wir haben die gesetzlichen
Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Frauen so lange
überproportional gefördert werden können, bis Gleichbe-
rechtigung erreicht ist. Wenn Frauen Qualifizierungsmaß-
nahmen wahrnehmen, werden die Kosten für die Betreuung
übernommen, deren Höhe wir mehr als verdoppelt haben.

Wir haben das Teilzeitunterhaltsgeld eingeführt. Wir
haben Eingliederungsvereinbarungen für Frauen möglich
gemacht, die keinen Leistungsanspruch haben. Ich
nenne als Beispiel die Frauen, die keine Arbeitslosenhilfe
bekommen, weil ihre Männer zu viel verdienen. Sie ha-
ben uns die absurde gesetzliche Regelung hinterlassen,
dass Frauen keinen Anspruch auf Qualifizierungsmaß-
nahmen oder ABM haben, wenn ihre Männer ein zu ho-
hes Einkommen haben. Das haben wir im Job-AQTIV-
Gesetz geändert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Quote derjenigen, die bisher keinen Leistungsan-
spruch auf Qualifizierungsmaßnahmen und ABM hatten,
liegt nun doppelt so hoch wie vorher. Das wird diesen
Frauen helfen.

Wir haben eine weitere grobe Ungerechtigkeit abge-
schafft. Sie haben das eben ein bisschen lächerlich ge-
macht. Wir haben endlich dafür gesorgt, dass Frauen, die
durch Berufstätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosen-
geld erworben haben, diesen Anspruch während der Kin-
dererziehungszeiten nicht verlieren. Es war in hohem
Maße ungerecht, dass Frauen, die während ihrer Er-
werbstätigkeit in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt
haben, diesen Anspruch während der Erziehung ihrer
Kinder verloren. Diesem Anspruch haben wir im Job-
AQTIV-Gesetz Rechnung getragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich komme zum Schluss. Was Sie vorschlagen, ist nicht
sehr zukunftsweisend. Manche Forderungen in Ihrem An-
trag stellen für die Frauen sogar eine Verschlechterung dar,
zum Beispiel die zu den geringfügigen Beschäftigungs-
verhältnissen. Ich kann das hier nicht alles vortragen.


(Renate Diemers [CDU/CSU]: Wir wollen, dass Frauen die gleichen Gehälter wie Männer bekommen!)





Dr. Thea Dückert

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(C)



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(B)


Wir haben noch viel zu tun. Wir müssen noch sehr viel
mehr erreichen, weil die Gleichberechtigung noch lange
nicht erreicht ist. Aber wir sind auf dem richtigen Weg.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424215400
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Petra Bläss von der PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424215500
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Dass Frauen wesentlich mehr von Er-
werbslosigkeit und Diskriminierung auf dem Arbeits-
markt betroffen sind, dürfte in diesem Hohen Hause wohl
Konsens sein. Die Fakten sprechen für sich. Frau Kolle-
gin Lenke hat schon über die erschreckend niedrige Er-
werbstätigenquote bei Frauen in der Bundesrepublik ge-
sprochen. Sie hat auch zum Ausdruck gebracht, dass die
Ursache dieser Quote nicht die freiwillige Entscheidung
der Frauen war.


(Ina Albowitz [FDP]: Wohl wahr!)

Frauen sind deutlich häufiger als Männer in unsicheren

Beschäftigungsverhältnissen. Frauen stellen nach wie vor
über 85 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Teil-
zeitbeschäftigten in diesem Lande. Nicht zuletzt ist der
Frauenanteil bei den IT-Ausbildungsberufen trotz aller
PR- und Fördermaßnahmen erschreckend gering. Der An-
teil stagniert bei 14 Prozent. Gleiches gilt für den Frau-
enanteil bei Führungskräften in der Wirtschaft. Er liegt
nach wie vor bei nur 11 Prozent.

Nicht vergessen sollten wir bei einer solchen Debatte
den Unterschied zwischen Ost und West, der nach wie
vor besteht. Mit einem Anteil von 19 Prozent sind im
Osten doppelt so viele Frauen arbeitslos gemeldet wie im
Westen des Landes. In Ostdeutschland sind Frauen er-
schreckenderweise in wesentlich stärkerem Maße mit
Langzeitarbeitslosigkeit konfrontiert als in Westdeutsch-
land. Begrüßenswert ist, dass sich die CDU/CSU-Frak-
tion mit ihrem Antrag dieses Missstandes annimmt. Er
enthält auch Forderungen, die gewiss die Unterstützung
des ganzen Hauses finden können. Ich nenne nur die
Stichworte flächendeckende Kinderbetreuung, finanzielle
Gerechtigkeit für Erziehende, die Angleichung der Löhne
von Frauen und Männern und flexible Arbeitszeitmodelle.
So weit, so gut.

Nur leider sind in Ihrem Antrag vor allem unsoziale
Forderungen zu finden, die an den wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Realitäten vorbeigehen. Diese können
wir nur strikt ablehnen. Es gibt zwei zentrale Kri-
tikpunkte. Der erste Kritikpunkt ist Ihre Forderung nach
Zusammenlegung der Sozial- und der Arbeitslosen-
hilfe. De facto läuft das auf eine Streichung der Arbeits-
losenhilfe hinaus. Das ist unumstritten eine Armutsfalle.
Die Fragen nach Möglichkeiten zur Integration in den Ar-
beitsmarkt und nach der Inanspruchnahme arbeitsmarkt-
politischer Instrumente bleiben auf der Strecke.

Unser zweiter Kritikpunkt ist Ihre Forderung nach
Ausbau des Niedriglohnsektors. Das ist eine falsche

Strategie. Statt Armut zu vermeiden, setzen Sie auf „wor-
king poor“, das heißt arbeitende Arme. Das, was Frauen
in diesem Land brauchen, ist ein eigenständiges existenz-
sicherndes Einkommen mit ausreichender Absicherung
durch die Sozialversicherungen. Nicht der Ausbau der
Billigjobs, sondern die Einführung eines existenzsichern-
den Mindestlohnes ist vonnöten. Um die Armut arbeiten-
der Frauen zu verhindern, sollte das Motto heißen: Min-
destlohn statt Niedriglohn.


(Beifall bei der PDS)

Gestatten Sie mir noch vier kurze Anmerkungen. Ers-

tens. Gute Absichtserklärungen haben uns nicht weiterge-
bracht. Der letzte Beweis ist die Vereinbarung der Spit-
zenverbände der Wirtschaft mit der Bundesregierung zur
Förderung der Frauenbeschäftigung vom Juli letzten Jah-
res. Seither ist so gut wie nichts geschehen. Ohne ver-
bindliche gesetzliche Regelungen wird sich nichts tun.
Deshalb brauchen wir Quotierungen, Sanktionen, ein Ver-
bandsklagerecht und auch ein Gleichstellungsgesetz für
die Privatwirtschaft.

Zweitens. Erziehungs- und Pflegezeiten dürfen nicht
zum Ausschluss von Frauen aus dem Arbeitsmarkt führen
und nicht zur Armutsfalle werden. Stattdessen müssen Er-
ziehung und Pflege einer versicherungspflichtigen Be-
schäftigung gleichgestellt werden und Ansprüche auf
Lohnersatzleistungen begründen.

Drittens. Hausfrauen muss die Rückkehr in den Beruf,
der Erwerb eines eigenen Einkommens erleichtert wer-
den. Das ist nur durch die Öffnung der Arbeitslosenversi-
cherung und durch den Zugang zu Leistungen nach
SGB III möglich. Dadurch könnte langfristig die nach-
eheliche Unterhaltsverpflichtung wegfallen. Das wäre ein
wichtiger Beitrag zum Aufbau einer eigenständigen Exis-
tenzsicherung.

Viertens. Die alte Forderung „Gleicher Lohn für glei-
che Arbeit“ hat an Aktualität nichts, aber auch gar nichts
eingebüßt; denn hier beginnt die geschlechtsspezifische
Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Um
diese abzubauen sowie Frauen und Männer im Erwerbs-
leben tatsächlich gleichzustellen, bedarf es des Eingrei-
fens der Politik durch gesetzliche Regelungen. Sonst
bleibt alles bei den berühmt-berüchtigten Good-will-Ak-
tionen.

Ich danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424215600
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Doris Barnett von der SPD-Fraktion.


Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1424215700
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich: Nach
16 Jahren in der Regierung


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Oh, schon wieder!)


und vier Jahren in der Opposition entdeckt die CDU/CSU
immerhin, dass Frauen, auch wenn sie Familie haben, ar-
beiten, Geld verdienen, ein eigenes Auskommen haben




Dr. Thea Dückert
24320


(C)



(D)



(A)



(B)


und im Alter finanziell abgesichert sein wollen. Während
Ihrer Regierungszeit haben Sie dafür nicht allzu viel ge-
tan. Oder fällt Ihnen irgendeine Großtat ein? Mir fällt je-
denfalls keine ein.


(Beifall bei der SPD)

Die CDU/CSU hat die Entwicklung verschlafen oder

vorsätzlich missachtet. Beides ist politisch gesehen gleich
schlimm. Vieles von dem, was Sie jetzt fordern – Ihr An-
trag enthält 19 Forderungen –, haben Sie doch auf dem
Gewissen. Sie haben zum Beispiel die ganzen Betreu-
ungsstrukturen im Osten zuerst als sozialistischen Klim-
bim abgetan und dann abgeschafft. Jetzt beginnen wir
mühsam, diese dort wieder einzuführen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt tatsächlich ein Problem mit der Vereinbarkeit

von Familie und Beruf. 1998 – es wurde schon darauf
hingewiesen – war bei Familien mit Kindern unter sechs
Jahren in 42,3 Prozent der Fälle nur der Mann erwerbstä-
tig; da konnte die Frau gar nicht arbeiten. Viele Frauen
hätten aber gern gearbeitet und wären gern in den Beruf
zurückgegangen. An die Lösung dieses Problems sind wir
nach Regierungsübernahme sofort herangegangen. Das
verschweigen Sie. Sie haben sogar Verbesserungen abge-
lehnt, die wir eingeführt haben. Jetzt fordern Sie plötzlich
Verbesserungen, als hätten Sie etwas Neues entdeckt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich darf einmal Folgendes aufzählen: 1999 hat unsere
Ministerin das Programm „Frau und Familie“ aufgelegt.
Wir arbeiten es systematisch ab. Wir haben die Neufas-
sung des Bundeserziehungsgeldgesetzes durchgesetzt.


(Renate Diemers [CDU/CSU]: Das Erziehungsgeld haben wir damals gegen Ihren Willen auf den Weg gebracht! Sie haben sich vehement dagegen gewehrt! Man kann immer schnell was verbessern, wenn eine Grundlage da ist!)


Wir haben das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete
Arbeitsverhältnisse, das den Frauen ebenfalls nützt, ge-
gen Sie durchgesetzt. Wir haben familienpolitisch rele-
vante Maßnahmen im Job-AQTIV-Gesetz verankert; das
hat die Kollegin Dückert gerade vorgetragen. Die Bun-
desregierung hat mit den Spitzenverbänden der deutschen
Wirtschaft Vereinbarungen getroffen, die Sie jetzt plötz-
lich auch einfordern.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Da ist nichts herausgekommen!)


– Was heißt „Da ist nichts herausgekommen!“? Machen
Sie doch einmal etwas vor! Sie kriegen nichts auf die
Reihe!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Sie regieren doch!)


Wir haben einen Beschluss des Bündnisses von Arbeit
zur Chancengleichheit von Frauen und Männern auf dem
Arbeitsmarkt erreicht. Wir setzen 4 Milliarden für Be-
treuung ein usw. Ich könnte die Liste fortsetzen. All das

hat den Frauen geholfen. Viele konnten wieder aus der
stillen Reserve in den Arbeitsmarkt kommen. Deswegen
haben wir ja auch den Aufwuchs in unserer Beschäfti-
gungsbilanz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben das Problem erkannt und zu großen Teilen
schon gelöst.

Die CDU/CSU hat nach 16 Jahren Regierung und vier
Jahren Opposition nicht viel herzuzeigen. Aber doch, ein
neues Plakat haben Sie! Darauf steht: „Zeit für Taten“.
Dann fangen wir einmal mit den Taten an. Gehen wir ein-
mal nach Bayern! Sie fordern zum Beispiel ein qualitativ
hochwertiges Angebot für die Betreuung von Kindern von
12 bis 14 Jahren. Wie sieht es da in Bayern aus? Für
115 000 Gymnasiasten stehen immerhin ganze 100 Plätze
in Ganztagsschulen zur Verfügung. Das sind etwa 0,1 Pro-
zent. Da wollen Sie uns was erzählen! Gehen Sie mal nach
Rheinland-Pfalz, woher ich komme!


(Zuruf von der CDU: Da ist noch der Sozialismus!)


Da wird das jetzt sukzessive flächendeckend eingeführt.

(Ina Albowitz [FDP]: Weil die FDP das durch gesetzt hat!)

Das ist eine Sache der Länder. Die von uns regierten Län-
der haben verstanden, was sie zu tun haben, die von Ihnen
regierten Länder noch lange nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Lenke hat vorhin gesagt, dass der Bund Geld zur
Verfügung stellen muss, damit die Länder und die Kom-
munen die Aufgaben, die sie eigentlich leisten müssen,
auch erfüllen können.


(Ina Albowitz [FDP]: Das ist wohl wahr!)

Wer hat denn seinerzeit im Bundestag den Rechtsan-
spruch auf einen Kindergartenplatz für jedes Kind ab
dem dritten Lebensjahr beschlossen? Das war doch Ihre
Bank.


(Ina Albowitz [FDP]: Bitte?)

Haben Sie einen Pfennig an die Kommunen gegeben? Ich
wüßte nicht, dass das geschehen ist. Die Kommunen in
meiner Region leiden noch heute darunter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424215800
Frau Kol-
legin Barnett, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kolle-
gin Albowitz?


(Zurufe von der SPD: Nein!)



Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1424215900
Nein, ich möchte gern im Zu-
sammenhang vortragen.


(Ina Albowitz [FDP]: Ich wollte Sie aufklären, der Wahrheit wegen!)





Doris Barnett

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(C)



(D)



(A)



(B)


– Nicht der Wahrheit wegen.

(Ina Albowitz [FDP]: Ich habe das damals verhandelt! Ich weiß, wovon ich rede, Sie offensichtlich nicht!)


Es gibt einen Rechtsanspruch für Kinder bis zum drit-
ten Lebensjahr, ohne dass ein Pfennig vom Bund an die
Länder geflossen ist.


(Renate Diemers [CDU/CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht! – Ina Albowitz [FDP]: Das war ein gemeinsam verabschiedetes Gesetz!)


Außerdem fordern Sie jetzt auch ganz groß, den Nied-
riglohnbereich für Frauen attraktiv zu machen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Sie fordern, den Niedriglohnbereich für Frauen attrak-
tiv zu machen. Da frage ich mich: Was für ein Frauenbild
hat diese Partei?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Offensichtlich wollen Sie schon, dass Frauen etwas ler-
nen, aber sie sollen den Männern bitte schön nicht die Ar-
beit wegnehmen. Sie sollen im Niedriglohnbereich, am
besten im Bereich zwischen 325 Euro und 800 Euro, blei-
ben, weil sie dann nichts in die Sozialversicherung ein-
zahlen müssen. Hinten in Ihrem Antrag fordern Sie aber
plötzlich wieder eine eigenständige Alterssicherung der
Frauen. Da bin ich wirklich auf Ihre Erklärung dazu ge-
spannt, wie das zusammenpasst.


(Ina Albowitz [FDP]: Ich mache eine Kurzintervention! – Zuruf von der CDU: Man sollte die Protokolle nachlesen, wenn man die Gesetze nicht kennt!)


Wenn Sie immer mehr Frauen in den Niedriglohnbe-
reich drängen, weil Sie sagen, sie sollten keine Sozialver-
sicherung zahlen müssen oder beitragsfrei sein, dann
müssen Sie sich überlegen, welche Auswirkungen das auf
die Sozialversicherungen hat. Die Männer, die dann die
Vollzeitarbeitsplätze haben, müssen von daher natürlich
höhere Beiträge zahlen.


(Zuruf von der CDU: Glauben Sie das, was Sie da erzählen?)


Wie Sie vor diesem Hintergrund dann die Lohnnebenkos-
ten senken wollen, ist für mich – das muss ich Ihnen ehr-
lich sagen – bisher ein Geheimnis geblieben. Darüber
werden Sie uns gleich, nehme ich an, aufklären.

Sie fordern Qualifizierung für Tätigkeiten durch Trai-
ning on the job. Das ist ja ganz was Neues. Heißt das, dass
Frauen zukünftig keine dreijährige Ausbildung mehr be-
kommen sollen? Sie blockieren ja auch das Gesetz über
die Ausbildung in der Altenpflege. Am besten sollen sie
Arbeitskräfte werden, die in zwei Jahren angelernt wer-
den, weil das dann wieder mit dem Niedriglohnbereich
zusammenpasst. Denn wenn sie nicht ordentlich ausge-
bildet sind, müssen ihnen wohl die entsprechenden Löhne
nicht gezahlt werden.

Tatsächlich ist Ihr Frauenbild völlig antiquiert. Sie
wollen die Frauen lieber zu Hause halten und sie mit dem

Familiengeld alimentieren. Damit meinen Sie, eine große
Tat vollbracht zu haben.

Leider bin ich schon am Ende meiner Redezeit ange-
langt. Deswegen kann ich Ihnen nur versichern: Ihr An-
trag ist nicht frauenfreundlich und deshalb noch nicht ein-
mal wahlkampftauglich. Denn so blöd sind die Frauen
nicht, dass sie das nicht merken. Er ist nicht umsetzbar und
sollte deswegen – den guten Rat darf ich Ihnen geben – so
schnell wie möglich zurückgezogen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424216000
Zu einer
Kurzintervention erteile ich der Kollegin Ina Albowitz
das Wort.


Ina Albowitz (FDP):
Rede ID: ID1424216100
Frau Kollegin Barnett, ich
möchte Sie nur gerne schnell über einen Vorgang auf-
klären, der Ihnen offensichtlich nicht bekannt ist. Als wir
Anfang der 90er-Jahre das Gesetz zum § 218 beraten ha-
ben, ist es vom Bundesverfassungsgericht zur Nachbesse-
rung zu uns zurückgekommen. Einer der wesentlichen
Punkte war, dass wir einen Rechtsanspruch auf Kinder-
gartenplätze und eine entsprechende Finanzausstattung
einplanen und dass wir uns auch an der finanziellen Aus-
stattung der Länder beteiligen mussten. Das war ein Be-
standteil des Urteils. Das sollten Sie vielleicht einmal
nachlesen, damit Ihnen diese Informationen künftig nicht
mehr fehlen. Ich formuliere das bewusst so vorsichtig.

Ich war damals an den Verhandlungen zum Finanzteil
des Gesetzes mit beteiligt. Bei Ihnen war Frau Wettig-
Danielmeier Verhandlungspartnerin. Es gab eine große
Koalition dieses Hauses zu § 218, zu § 219, zu allen Be-
gleitgesetzen und zum Finanzteil. Das Gesetzesvorhaben
ist damals nicht nur von dieser Seite, sondern vom ganzen
Haus verhandelt und mitgetragen worden.


(Ilse Janz [SPD]: Das waren sehr wenige!)

Wir haben den Ländern über drei Jahre aus dem Länder-
finanzausgleich Finanzmittel eingeräumt mit dem aus-
drücklichen Auftrag, einen Teil der Mittel an die Kom-
munen weiterzugeben.

Das nur zur Wahrheitsfindung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Renate Jäger [SPD]: Es ist aber nichts passiert!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424216200
Frau Kol-
legin Barnett zur Erwiderung, bitte schön.


Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1424216300
Ich kann Ihnen allerdings ver-
sichern, dass mich mein Sozialdezernent immer wieder
darauf hinweist, dass dies eben nicht der Fall ist, dass
nämlich bei den Kommunen nichts ankommt.


(Ina Albowitz [FDP]: Ja, bei den Kommunen nicht, aber beim Land!)


Sie können deshalb hundertmal wiederholen, dass es
so gewesen sein soll. Auf jeden Fall haben die Kommu-




Doris Barnett
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(C)



(D)



(A)



(B)


nen nach wie vor sehr darunter zu leiden. Das läuft noch
längst nicht nach dem Motto „Wer bestellt, zahlt“.

Nehmen Sie sich bitte ein Beispiel an unserer sozialen
Grundsicherung. Wir haben sie sogar in das Gesetz auf-
genommen.


(Ina Albowitz [FDP]: Das steht im Gesetz drin! Sie sollten nachgucken! – Ilse Janz [SPD]: Sie wussten genau, dass das ein allgemeiner Topf war und nicht speziell dafür gedacht!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424216400
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Annette Widmann-
Mauz das Wort.

Ich nutze die Gelegenheit, um der Kollegin zu ihrem
heutigen Geburtstag zu gratulieren. Herzlichen Glück-
wunsch!


(Beifall im ganzen Hause)



Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1424216500
Herr Präsi-
dent, herzlichen Dank für die Glückwünsche.

Meine Damen! Meine Herren! Wir Frauen in der
Unionsfraktion haben gemeinsam mit den arbeits- und
sozialpolitischen Experten unserer Fraktion den Antrag
„Wiedereinstieg in den Beruf für Frauen erleichtern –
Frauenarbeitslosigkeit in Deutschland bekämpfen“ ein-
gebracht. Wir machen damit deutlich, dass die verfehlte
Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung gravie-
rende Auswirkungen hat, und zwar nicht zuletzt für die
Frauen.

Im Sinne des Gender Mainstreaming bildet eine sinn-
volle Arbeitsmarktpolitik die Grundlage seriöser Frauen-
politik und umgekehrt. Hierbei hapert es aber bei Ihnen,
meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, ge-
waltig. Die Arbeitsmarktzahlen sprechen eine deutliche
Sprache. Der Maitrend ist besorgniserregend: Saisonbe-
reinigt stieg die Arbeitslosenzahl um 60 000 weiter auf
mehr als 4 Millionen. Das ist der höchste Wert seit No-
vember 1999. Knapp 2 Millionen der Arbeitslosen sind
Frauen. Das nennen Sie „Aufwuchs der Beschäftigungs-
entwicklung“, Frau Barnett. Das klingt für die arbeitslo-
sen Frauen wie Hohn.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Frauenarbeitslosigkeit zu beseitigen ist unser gemein-

sames Ziel. Das will ich Ihnen nicht absprechen. Doch un-
sere Wege dorthin sind grundverschieden und die er-
schreckend hohen Arbeitslosenzahlen attestieren Ihnen:
Sie sind auf dem Weg zum Ziel in eine Sackgasse einge-
bogen.

Während Sie glauben, mit Ihrem Programm „Frau und
Beruf“ den großen Coup gelandet zu haben, liefern Sie
nichts als Phrasen und Ankündigungen. Wir sind Ihnen
mit unserem heute vorliegenden Antrag und unseren ar-
beitsmarktpolitischen Konzepten ein großes Stück vo-
raus. Das wissen Sie auch.

Es wiegt sehr schwer, dass Sie in Ihren Regierungsjah-
ren am laufenden Band Gesetze produziert haben, die die
Zukunftschancen von Frauen aufs Gröbste beschnitten

haben. Bei Frauen, die tatsächlich Arbeit haben oder an-
deren Frauen Arbeit bieten, wirken Ihre Gesetze nämlich
kontraproduktiv. Schauen wir uns doch nur die gravieren-
den Versäumnisse bei der Verbesserung der Vereinbar-
keit von Erwerbstätigkeit und Familie an. Wer ein
bedarfsgerechtes, flexibles, qualitativ hochwertiges An-
gebot an Kinderbetreuungseinrichtungen gewährleisten
will, der muss die Länder und Gemeinden dazu auch fi-
nanziell in die Lage versetzen. Mit Ihrer Steuerreform,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen der Regierungs-
fraktionen, haben Sie die Kommunen an den Rand einer
finanziellen Katastrophe gebracht. Das ist Ihr Verschul-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Wir können gleich fortfahren: Mit Ihrem Teilzeitgesetz
haben Sie das Gegenteil des Gewünschten erreicht. Es
wirkt gerade für Frauen beschäftigungshemmend. Unter-
halten Sie sich doch einmal mit den Unternehmerinnen
und Unternehmern vor Ort!


(Widerspruch der Abg. Erika Lotz [SPD])

Das neue Betriebsverfassungsgesetz belastet die Un-

ternehmen, ohne für die Beschäftigten greifbare Vorteile
zu bringen.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch lachhaft, Frau Kollegin! Sie haben keine Ahnung vom Betriebsverfassungsgesetz! Sie reden doch wie der Blinde von der Farbe!)


– Da ist nichts lachhaft. Sie können Wahrheiten nicht er-
tragen, lieber Kollege Dreßen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Machen wir einmal weiter: Die Maßnahmen Ihres so

genannten Job-AQTIV-Gesetzes bleiben doch wirkungs-
los. Sie verpuffen und sind insgesamt sogar kontrapro-
duktiv. Das JUMP-Programm floppt. Sage und schreibe
nur 16,8 Prozent der Frauen, die an entsprechenden Maß-
nahmen teilgenommen haben, finden nach deren Ab-
schluss überhaupt eine Arbeit. Das nennen Sie erfolgrei-
che Beschäftigungspolitik für Frauen!


(Ilse Janz [SPD]: Sie haben überhaupt nicht dafür gesorgt, dass ausgebildet wird!)


Im Job-AQTIV-Gesetz tritt die verfehlte Politik ja
ganz besonders deutlich zutage. Dieses Gesetz greift näm-
lich nicht. Die als Wunderwaffen gepriesenen neuen In-
strumente werden, wenn überhaupt, nur vereinzelt einge-
setzt. Die neu festgelegten Förderquoten – Sie haben es
schon erwähnt – können sich bei strikter Anwendung Ih-
res Gesetzes sogar nachteilig für Frauen auswirken.
53 Arbeitsämter müssten nach Ihrem Gesetz weniger
Frauenförderung als bisher betreiben. Das betrifft zum
Beispiel Arbeitsmarktregionen wie Hamburg, die struktu-
rell eine niedrige Frauenarbeitslosigkeit vorweisen. Ich
kann Ihnen nur sagen: Es bleibt zu hoffen – da bin ich
ganz zuversichtlich –, dass diejenigen, die vor Ort Sach-
verstand in den Arbeitsämtern besitzen, solche unsinnigen
Regelungen erst gar nicht umsetzen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Doris Barnett

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(C)



(D)



(A)



(B)


Die Liste Ihrer Versäumnisse ließe sich beliebig wei-
terführen. Besonders das Thema Wiedereinstieg in den
Beruf zeigt beispielhaft Ihre ideologischen Scheuklap-
pen.


(Ilse Janz [SPD]: Das sind Ihre Versäumnisse! – Peter Dreßen [SPD]: Gucken Sie mal in das Job-AQTIV-Gesetz rein! Dann werden Sie sehen, was da alles drinsteht!)


Die Diskussion heute hat es ja wieder einmal bestätigt.
Uns ist es wichtig, dass Frauen und Männer, die sich für
eine gewisse Zeit – durchaus auch ausschließlich – der Fa-
milienarbeit gewidmet haben, einen erfolgreichen Wie-
dereinstieg in den Beruf schaffen können. Aber dieser Le-
benslauf kommt ja in Ihrem Leitbild, das ausschließlich
auf die durchgängige Erwerbstätigkeit beider Elternteile
baut, überhaupt nicht vor.


(Peter Dreßen [SPD]: Was für ein Frauenbild Sie haben, sieht man daran, wie stark die Frauen in der CDU/CSU-Fraktion vertreten sind!)


Wir werden eine umfassende Reform der Arbeits-
marktpolitik in Angriff nehmen. Diese soll die Anreize zur
Aufnahme von Arbeit durchgehend verbessern und die
Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen entscheidend er-
höhen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, unser Offensiv-Gesetz bie-

tet Perspektiven, vor allen Dingen für Frauen. Wir müssen
auch Neues wagen, um überhaupt mehr erreichen zu kön-
nen. Für uns steht im Vordergrund, die Erwerbstätigkeit
des Einzelnen gezielt zu fördern und nicht seine Arbeitslo-
sigkeit zu finanzieren, wie Sie das anscheinend lieber tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dabei wird der Zusammenführung von Betreuung, Quali-
fizierung, Vermittlung und Leistungsgewährung in der
Hand von Vermittlungsagenturen eine zentrale Bedeutung
zukommen. Mit solchen Job-Centern wird nämlich stär-
ker als bislang gewährleistet werden, dass bei der Ar-
beitsvermittlung auch auf die individuelle Situation von
Frauen mit Kindern eingegangen wird, insbesondere auf
die von Alleinerziehenden.

Machen wir uns doch nichts vor: Arbeit muss sich wie-
der lohnen, auch für Frauen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber eine Überraschung!)


Es müssen Anreize geschaffen werden, damit der so ge-
nannte Niedriglohnbereich für Frauen und Männer wieder
attraktiver wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sonst entwickelt sich die Sozialhilfe zu einem Lebensstil.
Dies darf und kann nicht sein, vor allem nicht bei Frauen.

Viele Frauen erhoffen sich trotz dieser schwierigen Si-
tuation auf dem Arbeitsmarkt einen Neuanfang. Diesen
Neuanfang erhoffen sich Frauen in Deutschland mit der
Union. Es ist Zeit für Taten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424216600
Als letzte
Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt die
Kollegin Marlene Rupprecht von der SPD-Fraktion das
Wort.


Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1424216700
Herr Präsident! Kolle-
ginnen und Kollegen! Der Antrag, den wir heute Abend
beraten, fügt sich in das, was die Union in letzter Zeit vor-
gelegt hat, nämlich lauter Bausteine für eine Zweiklas-
sengesellschaft, nahtlos ein.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nichts anderes als ein solcher Baustein ist es.
Ich nehme an, dass Sie im Hinblick auf die PISA-Stu-

die repräsentativ sind: Sie haben weder rechnen noch le-
sen gelernt;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben einen Antrag verfasst, aus dem offensichtlich
hervorgeht, was Sie wollen. Eigentlich müsste Ihr Antrag
nicht heißen „Wiedereinstieg in den Beruf für Frauen er-
leichtern ...“, sondern: Wiedereinstieg in den Beruf für
eine bestimmte Gruppe – Nichtqualifizierte, Sozialhilfe-
empfängerinnen – von Frauen erleichtern. Nichtqualifi-
zierte und Sozialhilfeempfängerinnen wollen Sie mit al-
len Mitteln in Arbeit bringen, unabhängig davon, ob das
möglich ist oder nicht.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das ist doch dummes Zeug! Sie können nicht einmal lesen!)


Ich nehme nicht an, dass Sie sich mit dem Großteil der
Frauen in der Bundesrepublik anlegen wollen. Wenn Sie
ihnen das, was Sie in diesem Antrag geschrieben haben,
dass sie nämlich nicht qualifiziert sind, erzählen, dann
werden Ihnen diese Frauen den Antrag um die Ohren
hauen. Wenn Sie die Statistiken über die Anzahl der Abi-
turientinnen und Abiturienten sowie über die Anzahl der
männlichen und weiblichen Hochschulabsolventen lesen
könnten, dann kämen Sie nicht auf die Idee, zu behaupten,
dass Frauen nicht qualifiziert sind. Unsere jungen Frauen
und unsere jungen Mütter sind qualifiziert. Für deren
Qualifikation müssen Sie nicht sorgen. Oder zielt Ihr An-
trag etwa gar nicht auf diese Frauen ab? Das vermute ich
stark.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ihr zweites Vorhaben ist die Subventionierung mit

600 Euro pro Monat und Kind. Das kann nur auf eine
Subventionierung der gut Verdienenden hinauslaufen;
denn eine Frau mit einem normalen, durchschnittlichen
Einkommen kann mit diesem Geld keine Kinderbetreu-
ung bezahlen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Annette Widmann-Mauz
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(C)



(D)



(A)



(B)


Verraten Sie mir bitte, wie das funktionieren soll! Ich halte
nichts von Ihrem Angebot von 600 Euro pro Kind und
Monat. Vorher haben Sie davon gesprochen, dass Frauen
unabhängig von der Anzahl ihrer Kinder drei Jahre lang
denselben Betrag bekommen sollen. Jetzt ist nur noch von
einem Kind und von einer einjährigen Bezugsdauer die
Rede.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Oh Gott, wie peinlich!)


Diese Geschichte haben Sie sich doch nur für die gut Ver-
dienenden ausgedacht, die Sie auch in der Steuerpolitik
durch die Absenkung des Spitzensteuersatzes bevorzugen
wollen.

Sie zielen mit diesem Antrag auf nichts anderes als auf
die Schaffung einer Zweiklassengesellschaft, wie Sie sie
auch im Gesundheitswesen wollen.


(Beifall des Abg. Dieter Grasedieck [SPD])

Auch dort propagieren Sie, dass die Bezieher unterer und
mittlerer Einkommen mehr Eigenverantwortung überneh-
men sollen, schließlich können sich die Bezieher der
höheren Einkommen dank Ihrer Alimentierung mehr
Eigenverantwortung problemlos leisten. Ich muss Ihnen
sagen: 90 Prozent der Beiträge zur Sozialversicherung
werden von den Beziehern unterer und mittlerer Einkom-
men erbracht.

Die Leute sind nicht so blöd, dass sie nicht merken,
was Sie mit Ihrem Wahlprogramm eigentlich vorhaben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nicht alle haben in der Schule nicht aufgepasst und das
Rechnen nicht gelernt; denn sonst würden sie diese Ver-
öffentlichung des Statistischen Bundesamts nicht anders
als Sie interpretieren. Sie beherrschen noch nicht einmal
die vier Grundrechenarten.


(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

Ich muss Ihnen sagen: Wenn Sie einen Wiedereinstieg

der Frauen tatsächlich wollten, dann würden Sie alle
Frauen berücksichtigen und nicht nur diejenigen, die Sie
dadurch beglücken wollen, dass sie ihnen einen Zugang
zum unteren Lohnsektor verschaffen. Im Hinblick auf
diese Frauen gehen Sie von einem Familienbild aus, das
im 19. Jahrhundert angesiedelt ist. Wahlfreiheit gewähren
Sie ihnen nämlich nicht, wenn Sie sie in Arbeit zwingen
wollen, obwohl keine Kinderbetreuung vorhanden ist.
Mit diesem Antrag haben Sie wirklich eine Bruchlandung
hingelegt. Mit unserer Steuerreform und unserer
Kindergelderhöhung haben wir Familien besser gestellt,
was Sie jahrelang nicht getan haben.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Lassen Sie sich einmal von Frau Schwarzer erzählen, was Sie in der Rente mit den Frauen gemacht haben!)


Ich komme aus Bayern. Die CSU hat den Familien dort
nicht die Chance gegeben, dass ihre Kinder betreut wer-
den.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nachdem Sie nichts getan haben, hat der Kanzler gesagt
– das sagen auch wir –: Wir nehmen in den nächsten
vier Jahren 4 Milliarden Euro in die Hand, damit etwas
initiiert werden kann, wenn die Länder schon selber nicht
in die Gänge kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir tun das nicht, weil wir etwas staatlich verordnen woll-
ten, sondern weil in unserem Familienbild alle Platz ha-
ben und nicht nur eine ganz bestimmte Klientel.

Mit Ihrer Klientel gewinnen Sie übrigens keine Wahl.
Sie macht einen viel zu kleinen Teil der Bevölkerung aus.
Die Mehrheit der Bevölkerung ist nicht Ihrer Ansicht. Das
werden Sie am 22. September erleben. Wir werden unsere
Reformpolitik für Familien und Frauen fortsetzen. Ich
werde Ihnen erhalten bleiben. Ich habe nicht meine Ab-
schiedsrede gehalten.

Gute Nacht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424216800
Ich schlie-
ße die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8786 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 sowie die Zusatz-
punkte 8 und 9 auf:
9. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung (20. Ausschuss) zu
dem Entschließungsantrag der Fraktionen der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Elfter Bericht zur Entwicklungspolitik der
Bundesregierung
– Drucksachen 14/6496, 14/8493, 14/9324 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Adelheid Tröscher
Klaus-Jürgen Hedrich
Dr. Angelika Köster-Loßack
Joachim Günther (Plauen)

Carsten Hübner

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung (20. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Adler,
Adelheid Tröscher, Ingrid Becker-Inglau, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-
Christian Ströbele, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN




Marlene Rupprecht

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(C)



(D)



(A)



(B)


Reformprozess der internationalen Agrarfor-
schung vorantreiben
– Drucksachen 14/8000, 14/8973 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Adler
Marlies Pretzlaff
Dr. Angelika Köster-Loßack
Joachim Günther (Plauen)

Carsten Hübner

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung (20. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner
Schuster, Reinhold Hemker, Horst Kubatschka,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-
Loßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Sonderprogramm zur breitenwirksamen Nut-
zung angepasster, erneuerbarer Energien in
den Entwicklungsländern
– Drucksachen 14/5486, 14/9307 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhold Hemker
Dr. Christian Ruck
Dr. Angelika Köster-Loßack
Ina Albowitz
Carsten Hübner

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung (20. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner
Schuster, Brigitte Adler, Ingrid Becker-Inglau,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-
Loßack, Hans-Christian Ströbele, Antje Hermenau,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Förderung der Zivilgesellschaft im Norden und
im Süden – eine Herausforderung für die Ent-
wicklungszusammenarbeit
– Drucksachen 14/5789, 14/9308 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dagmar Schmidt (Meschede)

Peter Weiß (Emmendingen)

Dr. Angelika Köster-Loßack
Joachim Günther (Plauen)

Carsten Hübner

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung (20. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dagmar Schmidt

(Meschede), Adelheid Tröscher, Brigitte Adler,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-
Loßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller


(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wasser als öffentliches Gut und die Bedeutung
von Wasser in der deutschen Entwicklungszu-
sammenarbeit
– Drucksachen 14/7484, 14/9310 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dagmar Schmidt (Meschede)

Dr. Christian Ruck
Dr. Angelika Köster-Loßack
Ina Albowitz
Carsten Hübner

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung (20. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker,
Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Monika Knoche, Dr. Angelika
Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Afrikas neues Denken unterstützen
– Drucksachen 14/8859, 14/9311 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhold Hemker
Klaus-Jürgen Hedrich
Dr. Angelika Köster-Loßack
Joachim Günther (Plauen)

Carsten Hübner

g) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Sicherung der öffentlichen Entwicklungshilfe
des Bundes

(Entwicklungshilfesicherungsgesetz – EHSG)

– Drucksache 14/8338 –

(Erste Beratung 225. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (20. Ausschuss)

– Drucksache 14/9312 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Detlef Dzembritzki
Klaus-Jürgen Hedrich
Dr. Angelika Köster-Loßack
Ina Albowitz
Carsten Hübner

ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (20. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Ulrich Irmer, Joachim Günther

(Plauen), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der FDP




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
24326


(C)



(D)



(A)



(B)


Informationstechnologie in den Mittelpunkt
der Entwicklungszusammenarbeit stellen
– Drucksachen 14/5578, 14/9314 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Tobias Marhold
Marlies Pretzlaff
Dr. Angelika Köster-Loßack
Joachim Günther (Plauen)

Carsten Hübner

ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (20. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Ina Albowitz, Hildebrecht Braun

(Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der FDP
Umsetzung der von Deutschland beim Mil-
lenniumsgipfel übernommenen Verpflichtun-
gen
– Drucksachen 14/9055, 14/9419 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Adelheid Tröscher
Klaus-Jürgen Hedrich
Dr. Angelika Köster-Loßack
Ina Albowitz
Carsten Hübner

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegin Adelheid Tröscher von der SPD-Fraktion das
Wort.


Adelheid Tröscher (SPD):
Rede ID: ID1424216900
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist doch schön, zu so spä-
ter Stunde über Entwicklungspolitik zu sprechen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wie immer!)

Dass so viele da sind, finde ich ganz besonders gut.


(Beifall bei der SPD)

Wir können uns sehr darüber freuen, dass dieses Thema
uns alle so begeistert. Die heutige Debatte bietet eine gute
Gelegenheit, über Bilanz und Perspektive der deutschen
Entwicklungspolitik zu reden.


(Ina Albowitz [FDP]: Das ist wohl wahr!)

Das Ende des Ost-West-Konfliktes, der in den letzten

Jahren beschleunigt voranschreitende Globalisierungspro-
zess und nicht zuletzt der 11. September haben die Rah-
menbedingungen für Entwicklungspolitik entschei-
dend verändert. Daher muss Entwicklungspolitik für das
21. Jahrhundert als Teil globaler Struktur- und Friedens-
politik verstanden und in enger Zusammenarbeit mit Ge-
sellschaft und Wirtschaft gestaltet werden. Wir haben dies
seit 1998 konsequent umgesetzt und können nun zu Recht
behaupten, dass sich unsere Politik an den Zielsetzungen
von sozialer Gerechtigkeit, wirtschaftlicher Leistungs-

fähigkeit, politischer Stabilität und ökologischem Gleich-
gewicht orientiert.


(Ina Albowitz [FDP]: Hört sich toll an!)

– Es ist doch auch so.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ina Albowitz [FDP]: Leider nicht!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir bei unserer
Regierungsübernahme 1998 vorgefunden haben, sah je-
doch anders aus. Die Entwicklungspolitik war zu einem
Nischenbereich der Politik in Deutschland geraten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Na, na!)

Der Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe war von
0,48 Prozent im Jahre 1982 – hören Sie gut zu! – auf
0,26 Prozent im Jahre 1998 gefallen, also fast um die
Hälfte.

Reformen der nationalen wie internationalen Entwick-
lungszusammenarbeit wurden jahrelang blockiert. Vor-
handene Kräfte wurden nicht zielgerichtet eingesetzt und
konzentriert. Konfliktprävention und die aktive Gestal-
tung globaler Strukturen waren Randthemen. Verbesserte
Entschuldungsmöglichkeiten der ärmsten Entwicklungs-
länder waren nicht vorgesehen.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Das hat sogar Ihre Ministerin jetzt anders gesagt!)


Die Politik unserer Vorgängerregierung verzettelte sich in
zahllosen Einzelprojekten und unzusammenhängenden
Sektoren und war geprägt von Perspektivlosigkeit und lei-
der Gottes – ich muss es sagen – auch von Ideenarmut.


(Beifall bei der SPD – Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Sagen Sie mal, wer hat Ihnen das aufgeschrieben, was Sie da vorlesen?)


Dies darf sich natürlich nicht wiederholen. Deshalb ist
es gut so, dass wir über den 22. September hinaus globale
Struktur- und Friedenspolitik gestalten werden – mit
klaren inhaltlichen und organisatorischen Reformen und
mit mehr Mitteln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da wir heute auch
über den Elften Bericht zur Entwicklungspolitik reden, ist
es wichtig, das noch einmal darzustellen, was wir in den
letzten Jahren erreicht haben, und zwar – dies füge ich
ausdrücklich und lobend hinzu – in Zusammenarbeit mit
den Nichtregierungsorganisationen, mit den Stiftungen,
mit den Kirchen und auch mit der Zivilgesellschaft und
der Wirtschaft. Als ich das alles noch einmal durchlas, war
ich richtig stolz darauf, was wir in diesen letzten Jahren
alles gemacht haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ina Albowitz [FDP]: Oh Gott! Das hätten Sie besser nicht erwähnt!)


– Ich bitte Sie, jetzt gut zuzuhören.
Wie von Bundeskanzler Gerhard Schröder auf dem

Millenniumsgipfel angekündigt, haben wir ein nationales
Aktionsprogramm zur Halbierung der weltweiten Armut




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

24327


(C)



(D)



(A)



(B)


erarbeitet und beschlossen, in dem festgelegt wird, dass
die Politik der Bundesregierung der Armutsbekämpfung
verpflichtet ist.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: In der DDR gab es auch immer solche Programme!)


Wir haben auf dem Kölner G-8-Gipfel eine Entschul-
dungsinitiative angestoßen, mit der es gelungen ist, er-
weiterte und an das Ziel der Armutsbekämpfung gekop-
pelte Entschuldungsmöglichkeiten für die ärmsten, hoch
verschuldeten Entwicklungsländer zu finden und eine auf
die Armutsbekämpfung orientierte Kooperationspolitik
von IWF und Weltbank durchzusetzen.

Wir haben unser Engagement und die Mobilisierung
von Mitteln bei der internationalen Bekämpfung von
HIV/Aids verstärkt – und dies nicht nur unter dem Dach
der Vereinten Nationen, sondern in Zusammenarbeit mit
anderen Partner- und Geberländern wie auch im Rahmen
der Kooperation mit der privaten Wirtschaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/ CSU]: Wo steht denn das nun wieder?)


Wir haben ein Gesamtkonzept erarbeitet, in dem Kri-
senprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidie-
rung im Kontext eines erweiterten Sicherheitsbegriffs
verstanden werden. Dabei kommt der Entwicklungspoli-
tik und ihrem Beitrag zu politischer, ökonomischer, öko-
logischer und sozialer Stabilität eine tragende Rolle zu.
Wir haben uns für eine gerechte, sozial und ökologisch
orientierte Welthandelsordnung eingesetzt, die auch die
Interessen der Entwicklungsländer berücksichtigt, etwa
bei der „Everything But Arms“-Initiative der Europä-
ischen Union.

Wir haben den zivilen Friedensdienst als friedenspoli-
tisches Instrument gestärkt, das den gewaltfreien Umgang
mit Konflikten unterstützt. Wir haben uns besonders für ei-
nen erfolgreichen Abschluss des Cotonou-Abkommens
eingesetzt. Wir haben neue Initiativen für Klimaschutz, für
die Bekämpfung der Wüstenbildung, für biologische Si-
cherheit sowie für die Entschärfung von Konflikten um
Wasserressourcen auf den Weg gebracht. Über all diese
Punkte hinaus haben wir zahlreiche Maßnahmen ergriffen,
die das Ziel haben, Frauenrechte zu stärken, die Men-
schenrechte zu achten und die zunehmende Spaltung der
Welt in Arm und Reich zu verhindern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich meine, das ist eine exzellente Bilanz für die ersten vier
Jahre unserer Entwicklungspolitik.

An dieser Stelle danke ich dem Ministerium und der
Ministerin, die das Thema Entwicklungspolitik unermüd-
lich in den Kontext der Politik der Bundesregierung ge-
stellt hat. Sie hat Überzeugungsarbeit geleistet und ist
auch Konflikten nicht aus dem Weg gegangen, sondern
hat sich aktiv um deren Lösung bemüht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bilanz bedeutet zu-
gleich Perspektive. Deshalb sagen wir den Menschen

auch klar, was wir wollen, was machbar ist und wie wir
Zukunft gestalten werden. Denn eines ist klar: Die Glo-
balisierung wird sich weiter beschleunigen; sie wird im-
mer weitere Bereiche erfassen. Ihre Auswirkungen wer-
den für immer mehr Menschen spürbar. Aber wenn sich
schon in den Industrieländern, die immerhin auf der Ge-
winnerseite der Globalisierung stehen, Angst und Unmut
breit machen: Wie muss es dann erst den Menschen in den
Entwicklungsländern gehen, die Globalisierung eher als
Bedrohung empfinden?

Johannes Rau sagte in seiner Berliner Rede am
13. Mai 2002:

Die Globalisierung fordert uns heraus. Wir müssen
und wir können sie politisch gestalten. Das erfordert
viel, aber nicht mehr, als wir leisten können.

Das müssen wir dann eben auch tun.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir müssen und wollen Armut und Hunger weltweit
mindern und durch eine gerechte und solidarische Ent-
wicklung Frieden sichern. Nur so können Krieg, Armuts-
wanderungen und internationaler Terrorismus langfristig
und effektiv bekämpft werden.


(Beifall bei der SPD)

Wir setzen uns für die Schaffung einer sozial gerechten

Weltwirtschaftsordnung und ihre Umsetzung in den Part-
nerländern ein, damit die soziale und ökologische Gestal-
tung der Globalisierung gelingen kann. Die Länder des
Südens und des Ostens brauchen eine faire Integration
in den Welthandel. Durch eine bessere Beteiligung an
den WTO-Strukturen müssen ihre Interessen im Welthan-
delssystem stärker berücksichtigt werden. Darin werden
wir sie unterstützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Europäische Union ist für viele dieser Länder der
wichtigste Handelspartner. Deshalb muss sie für die ärms-
ten Entwicklungsländer den freien Zugang zu ihren Märk-
ten sicherstellen. Die von der EU beschlossene Marktöff-
nung für die 48 ärmsten Entwicklungsländer ist ein
wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Im Rahmen der
WTO müssen Zölle und Handelsbarrieren für weiter zu
verarbeitende Produkte zurückgeführt und gleichzeitig
soziale und ökologische Mindeststandards im Welthandel
stärker verankert werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das internationale Ziel, 0,7 Prozent des Bruttosozial-
produktes jedes Landes für die Entwicklungszusammen-
arbeit einzusetzen, gilt nach wie vor. Dieses Ziel werden
wir stufenweise umsetzen. Wir werden, wie auf dem EU-
Gipfel in Barcelona verabredet, in Deutschland unseren
Beitrag dazu leisten und unseren Anteil bis zum Jahr 2006
auf 0,33 Prozent des Bruttosozialproduktes steigern.


(Ina Albowitz [FDP]: Das sieht die Presse von heute aber doch differenzierter!)





Adelheid Tröscher
24328


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir brauchen Fortschritte bei den globalen Umwelt-
zielen wie der Verminderung des CO2-Ausstoßes undder Sicherung der globalen natürlichen Lebensgrund-
lagen.

Die Reform der internationalen Finanzarchitektur
liegt mir sehr am Herzen. Sie ist eine aktuelle Aufgabe der
Politik. Auch wegen der ungelösten Verschuldungskrisen
vieler Länder muss das internationale Finanzsystem wei-
terentwickelt werden. Hierzu gehört auch, dass in einem
breiten Ansatz alle Instrumente zur Erreichung stabiler
und nachhaltig funktionierender internationaler Finanz-
märkte geprüft werden. Auch neue Finanzierungsinstru-
mente müssen wir in die Prüfung einbeziehen. Hierzu
gehört für mich die Tobin-Tax. Sie ist sinnvoll für die Fi-
nanzmärkte, machbar auf unterschiedlichen Ebenen und
erstrebenswert für die Finanzierung von Umwelt und
Entwicklung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Ministerium ist da schon einen sehr guten Weg ge-
gangen, indem es ein Gutachten erarbeitet hat, das so ge-
nannte Spahn-Gutachten, das die Einführung einer sol-
chen Steuer als machbar ansieht.


(Ina Albowitz [FDP]: Das sie als machbar ansieht, aber nicht empfiehlt!)


Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und Stiftun-
gen leisten eine wichtige Arbeit. Mit ihren Fähigkeiten
und Kenntnissen sind sie unsere wichtigsten Partner bei
der Gestaltung der Globalisierung, bei der Bekämpfung
von Armut und bei der Friedenssicherung. In enger Ko-
operation mit diesen Organisationen werden wir das Ziel
der einen Welt weiter verfolgen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dabei ist unser entwicklungspolitischer Ansatz von
dem Bewusstsein und der Notwendigkeit der sozialen und
ökologischen Gestaltung geprägt. Ziel unserer Politik ist
es, zur Schaffung menschenwürdiger Lebensverhältnisse
aller Menschen beizutragen. Das bedeutet für uns Sozial-
demokratinnen und Sozialdemokraten: Wir treten ein für
soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit,
Frieden und Menschenrechte sowie für den Erhalt natür-
licher Ressourcen. Die Armutsbekämpfung selbst bleibt
überwölbendes Ziel unserer Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Am 22. September wird auch die Entscheidung getrof-
fen, wie es mit unserer Entwicklungspolitik weitergeht.
Die CDU/CSU hat die Mittel für die Entwicklungs-
zusammenarbeit, wie gesagt, in der Zeit von 1982 bis
1998 fast halbiert – ich will nicht sagen: heruntergewirt-
schaftet; das wäre ein sehr starkes Wort. Dies darf sich
nicht wiederholen. Statt mit der Gießkanne zu arbeiten,
brauchen wir eine effiziente und zielgenaue Verwendung
der uns zur Verfügung stehenden Mittel.

Und die FDP? Sie will das BMZ abschaffen.

(Ina Albowitz [FDP]: Genau!)


So wird man den globalen Herausforderungen in der ei-
nen Welt nicht gerecht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carsten Hübner [PDS] – Ina Albowitz [FDP]: Gerade!)


Deshalb sagen wir mit aller Deutlichkeit: Mit einer Po-
litik von gestern und einem Personal aus der Vergangen-
heit kann man Zukunft nicht gestalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir halten an der Neuausrichtung der deutschen Ent-
wicklungspolitik fest, die in den letzten vier Jahren so er-
folgreich war. Sie ist Baustein der globalen Struktur- und
Friedenspolitik.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Glauben Sie das alles, was Sie sagen?)


– Ich glaube alles, was ich sage, und darüber hinaus noch
viel mehr, auch das, was ich nicht aufgeschrieben habe.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ina Albowitz [FDP]: Wir sind hier nicht in der Kirche! Hier wird nicht geglaubt, hier wird gewusst!)


Wir werden mit unserer Politik der globalen Verant-
wortung auch in den nächsten Jahren fortfahren. Dies be-
deutet: Wir werden Armut bekämpfen, Frieden sichern
und die Globalisierung sozial gerecht und ökologisch ge-
stalten – mit einem starken BMZ und einer zukunftsori-
entierten, ideenreichen Politik, Frau Albowitz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ina Albowitz [FDP]: Sehr gut! Ich bin sehr dafür, Frau Tröscher!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424217000
Das Wort
hat jetzt der Kollege Klaus-Jürgen Hedrich von der
CDU/CSU-Fraktion.


Klaus-Jürgen Hedrich (CDU):
Rede ID: ID1424217100
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heute von
der Regierungskoalition initiierte entwicklungspolitische
Debatte will einen neuen Weltrekord in Oberflächlichkeit
und Beliebigkeit aufstellen. Acht wichtige politische The-
menstellungen von der Armutsbekämpfung über Agrar-
forschung, Energie und Wasser bis hin zu Afrika möchte
Rot-Grün innerhalb einer Debattenstunde herunterspulen.
Aber Ihnen ist das wohl selbst aufgefallen, da Sie einen
Debattenpunkt zurückgezogen haben.

Diese Vorgehensweise ermöglicht keine seriöse Behand-
lung dieser so wichtigen Themenstellungen und würdigt
diese für Millionen Menschen in den Entwicklungslän-
dern lebensentscheidenden Fragen zu einer minutenweise
abzuhakenden Strichliste herab.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können ja heute ein bisschen länger machen!)





Adelheid Tröscher

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(C)



(D)



(A)



(B)


Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich aus diesem
Grunde geweigert, der ohnehin völlig überladenen Tages-
ordnung eigene Initiativen hinzuzufügen. Wir werden bei
anderer Gelegenheit darüber diskutieren.

Die Strukturierung der Debatte durch die Regierungs-
koalition ist geradezu typisch für die vergangenen vier
Jahre rot-grüner Entwicklungspolitik. Themen werden
völlig willkürlich bzw. je nach dem, worauf sich gerade
tagesaktuell das Medien- und Öffentlichkeitsinteresse
richtet, ausgewählt und zusammengewürfelt. Die Admini-
stration des Ministeriums verkommt zu einem Bürokrati-
sierungsdschungel immer neuer Sonderprgramme, Son-
derstäbe und Sonderbeauftragter. Aber Hauptsache, die
Ministerin kann sich damit das Interesse einiger Journali-
sten erhaschen!


(Ina Albowitz [FDP]: Das ist so!)

Fernsehkameras und Talkshows ziehen die Leitungsmit-
glieder des BMZ an wie das Licht die Motten.

Wen wundert es, dass immer mehr Beobachter auch
aus dem Lager der Nichtregierungsorganisationen und der
Kirchen der Ministerin vorwerfen, eine zielgerichtete
Entwicklungspolitik sei PR-strategischer Beliebigkeit ge-
wichen und medienwirksames Geklappere genieße Prio-
rität vor konstruktiver Sacharbeit?


(Widerspruch bei der SPD)

Wen wundert es dann, dass nun sogar in der aktuellen
Ausgabe des BMZ-Hofblättchen „E+Z“ ein renommierter
Autor für die Abschaffung eines unabhängigen Entwick-
lungsministeriums und für dessen Integrierung in das
Auswärtige Amt plädiert?


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Dagmar Schmidt [Meschede] [SPD]: Falsch gelesen!)


Die Lektüre schmerzt einen umso mehr, wenn man in
Rechnung stellt, dass der Autor der ehemalige Parlamen-
tarische Staatssekretär im BMZ, Volkmar Köhler, ist, und
wenn man weiß, wie schwer es ihm gefallen sein dürfte,
sich angesichts der frustrierenden rot-grünen Entwick-
lungsrealität zu dieser Konsequenz durchzuringen.


(Adelheid Tröscher [SPD]: Alte Männer!)

Die Realität ist wahrlich bedrückend. Zentrales Thema

ist sicherlich die mangelnde Mittelausstattung des
BMZ. Während im Regierungsprogramm von Rot-
Grün – Frau Tröscher, darauf sind Sie überhaupt nicht ein-
gegangen – noch von einem Stopp und dem Umkehr des
Abwärtstrends die Rede war, heißt es nun kleinlaut, der
Abwärtstrend solle gestoppt werden.


(Erika Lotz [SPD]: Wie war das eigentlich zu Ihrer Zeit?)


Faktisch wurde er aber beschleunigt. Noch nie ist der Etat
des BMZ so stark prozentual beschnitten worden wie von
dieser rot-grünen Bundesregierung. Im aktuellen Wahl-
jahr wird dies zwar teilweise durch Antiterror- und Ar-
mutbekämpfungsmittel kaschiert. Diese werden aller-
dings nur ausnahmsweise, nämlich nur 2002, zur
Verfügung stehen.


(Detlef Dzembrizki [SPD]: Abwarten!)


Der Kernetat ist jedoch weiter deutlich reduziert wor-
den und droht auch im nächsten Jahr unter die Räder zu
geraten. Es verdichten sich die Anzeichen dafür, dass
Finanzminister Eichel beim Entwicklungsetat 2003wie-
der kräftig den Rotstift tanzen lassen wird. Wenn dies so
sein sollte, wäre dies in der langen Kette von Rot-Grün
gebrochenen Versprechen ein neuer negativer Höhepunkt.
Die Glaubwürdigkeit Deutschlands wäre kurz nach den
finanziellen Zusagen auf der Konferenz in Monterrey und
kurz vor dem wegweisenden Weltgipfel für nachhaltige
Entwicklung in Johannesburg, Rio + 10, völlig beschä-
digt. Angesichts der sich andeutenden Kürzungsentschei-
dung warne ich die rot-grüne Bundesregierung davor, aus
dem internationalen Konsens hinsichtlich unserer Verant-
wortung für eine globale, nachhaltige Entwicklung aus-
zuscheren und hiermit das Ansehen unseres Landes gra-
vierend zu beschädigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Frau Staatssekretärin, da Sie die nächste Rednerin sind,

möchte ich Sie hiermit ganz offiziell auffordern, dem
Hause heute Abend zu erklären, dass es im Entwicklungs-
etat keine Kürzungen geben wird. Heute sollten Sie es ei-
gentlich wissen.


(Erika Lotz [SPD]: Wir haben doch heute keine Haushaltsberatungen!)


Wenn Sie sich heute weigern, zu erklären, dass der Ent-
wicklungsetat nicht gekürzt wird, dann werden wir selbst-
verständlich von einer solchen Kürzung ausgehen. Sie kön-
nen es jetzt und nicht irgendwann später korrigieren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ilse Janz [SPD]: Wir werden das nicht auf Ihren Befehl hin machen!)


Hinzu kommt, dass die reduzierten Mittel immer
schlechter verwaltet werden. Trotz sinkender Mitarbeiter-
zahlen werden die Gelder ständig auf neue, zusätzliche
Töpfe und auf Sonderprogramme verteilt, was einen ho-
hen koordinatorischen Aufwand und eine Abnahme der
Flexibilität bei der Programmdurchführung nach sich
zieht.

Betrachten wir beispielsweise die Antiterrormittel, die
Afghanistansondermittel oder die Sondermittel für Ar-
mutsbekämpfung: Diese Zersplitterung ist teilweise haus-
gemacht. Teilweise beruht sie auch auf mangelndem Wi-
derstand gegen den auf internationaler Ebene zu
verzeichnenden Sondertopfaktionismus. Wie oft war
uns doch nun von der Ministeriumsleitung angekündigt
worden, man würde sich auf internationaler Ebene konse-
quent für mehr Koordinierung, Straffung und Reform der
multilateralen EZ einsetzen! Was ist davon übrig geblie-
ben? – Nichts dergleichen. Hinzu kommt nämlich ein völ-
lig zerrüttetes Verhältnis zwischen AA- und BMZ-Lei-
tung, mit der Konsequenz mangelnder gegenseitiger
Unterstützung bei Intervention auf supra- und multilate-
raler Ebene.


(Adelheid Tröscher [SPD]: So ein Quatsch!)

Übrigens muss ich hier die Leitung des BMZ sogar et-

was in Schutz nehmen. Anscheinend ist es so, dass die Lei-
tung des Auswärtigen Amtes Angst vor einer gewissen In-




Klaus-Jürgen Hedrich
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(C)



(D)



(A)



(B)


ternationalisierung mehrerer Politikbereiche als der klassi-
schen Diplomatie hat. Man hat Angst um seine eigenen
Pfründe. Aber das kann nicht im Interesse der Außenver-
tretung Deutschlands liegen. Hier geht es darum, eine
kohärente Politik zu machen. Die findet nicht statt.

Ich möchte Ihnen aber auch noch ein paar Punkte vor-
tragen, bei denen man feststellen kann, dass Ankündigung
und Umsetzung ziemlich auseinander klaffen. Ich nenne
am Anfang das harmloseste Beispiel. Das Paradeprojekt
am Anfang dieser Legislaturperiode war der zivile Frie-
densdienst. Es ist geradezu auffällig – ich bedanke mich
bei Frau Kollegin Tröscher, dass das überhaupt noch er-
wähnt wurde –, dass das völlig aus dem Blickpunkt der
eigenen Regierung verschwunden ist. Aber wie sieht die-
ser Dienst zum Beispiel für ein Land wie Indonesien mit
über 200 Millionen Einwohnern aus? Da schickt man ei-
nen so genannten Friedensdienstler hin. Man kann sich
durchaus über das Instrument unterhalten. Sie haben doch
immer von Konzentration geredet. Hier wäre es wirklich
angebracht, konzentriert Kräfte einzusetzen, um zur Kri-
senprävention und Krisenvorsorge beizutragen. Sie
streuen aber sozusagen die 60 Mitarbeiter, die es heute
gibt, nur über die ganze Welt.

Ein zweites Beispiel. Ich nenne nur das Stichwort
Kuba: Mit großer Show wurde ein Beitrag zur Öffnung
des Systems angekündigt. Meine sehr verehrten Damen
und Herren, haben Sie von der Bundesregierung und von
der Leitung des BMZ in den letzten Wochen und Mona-
ten überhaupt einmal wieder etwas über Kuba gehört? Bis
heute ist nicht eine einzige Programmvereinbarung zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und Kuba unter-
zeichnet worden,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie dafür? und zwar schlicht und ergreifend deshalb, weil das System nicht willig ist, zu einer solchen Vereinbarung zu kommen. Ich nenne auch noch ein drittes Beispiel; das ist ein besonders eklatanter Fall. Die Ministerin hat – ebenfalls mit großem Aufwand – ein so genanntes Konzentrationspapier vorgelegt. Die Entwicklungszusammenarbeit sollte auf 70 Entwicklungsländer begrenzt werden. Heute ist von diesem Vorhaben nichts übrig geblieben: Es sind 102 Länder; die Zahl ist immer weiter erhöht worden. Damit das aber nicht so auffällt, hat man zum Beispiel ein Entwicklungsland namens Zentralasien erfunden. Dabei wird nicht erwähnt, dass es sich um 5 Länder handelt; das würde die Zahl möglicherweise noch problematischer erscheinen lassen. Manche Partnerländer tauchen in der Liste gar nicht auf; dafür stehen sie aber in der Fußnote. Das wird schlicht und ergreifend übersehen. Ich kann nur sagen: Herr Minister Spranger hatte 86 Prozent seiner Mittel für die Entwicklungshilfe auf 40 Länder konzentriert. Das wurde diplomatisch geschickt und sensibel gehandhabt und nicht nach Klassifizierung von Ländern, die außenpolitisch gesehen nur Schaden angerichtet hat. Wir können heute nur feststellen: Dieses Konzept ist gescheitert. Wir fordern die Bundesregierung auf, es zurückzuziehen. Es ist aber eigentlich nicht mehr notwendig, dass das geschieht, da wir das nach dem 22. September schon entsprechend erledigen werden. Dann das letzte Beispiel. Es gehört schon ein bisschen Mut von der Kollegin Tröscher dazu, hier ausgerechnet noch das Aktionsprogramm 2015 zu erwähnen, das mit großer Show angekündigt wurde. Dazu wurden alle möglichen Punkte aufgelistet, über die man sich unterhalten kann, die aber nichts Neues enthalten. Am Textende steht lapidar der Satz, dass das Ganze durch einen Umsetzungsplan verwirklicht wird. Das war vor eineinhalb Jahren. Der Umsetzungsplan sollte nach drei Monaten vorliegen; aber bis heute hat das Ministerium ihn nicht vorgelegt. Auch hier zeigt sich wieder: Es gab Ankündigungen und Shows, aber keine Umsetzungen. Ich möchte deshalb zum Schluss noch bemerken: Ich bin durchaus der Auffassung, dass wir auch andere Politikbereiche in die Aufgabenstellung des BMZ integrieren müssen. Aber die Bundesregierung muss sich darauf verständigen, wie und wo sie ankündigt, was sie will. So fährt Frau Künast zur FAO nach Rom und sagt: Wir konditionieren; nur wer den Hunger bekämpft, erhält Unterstützung. In der EU setzten die Deutschen durch – das ist wenig genug –, dass diejenigen, die korrupt sind, kein Geld erhalten. Im Konzept des BMZ heißt es: Nur wer die Armut bekämpft, bekommt Geld. Dass diese grundsätzlichen Aspekte alle einen inneren Zusammenhang haben, (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Wer bekommt denn überhaupt noch Geld?)


(Beifall bei der CDU/CSU)


wird zumindest in der Politik der Bundesregierung nicht
deutlich. Das ist ein entscheidendes Problem.

Die Frage, wer eigentlich noch Geld bekommt, ist in
der Tat berechtigt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nachlesen!)


Deshalb möchte ich noch einen Punkt aufgreifen. Sehr
verehrte, geliebte Kollegin Frau Tröscher,


(Beifall bei der SPD –Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Donnerwetter, jetzt hat er ein bisschen übertrieben!)


selbst die Ministerin war in der letzten Ausschusssitzung
bereit, einzuräumen, dass es seit 1979 Entschuldungen
gibt. Schuldenerlasse gab es schon unter der Regierung
Schmidt


(Detlef Dzembritzki [SPD]: Schmidt war ein ganz Guter!)


und zogen sich bis zur heutigen Regierung durch. Das ist
völlig unstrittig.

Was wir Ihnen vorwerfen, ist die Tatsache, dass Sie mit
Showeffekten durch die Welt ziehen, ein Land wie
Uganda als Beispiel nehmen und sagen, es habe eine po-
sitive Bilanz, weil es 35Millionen in den offiziellen Haus-
halt zur Armutsbekämpfung eingesetzt hat. Nur wenige
machen sich wirklich darüber Gedanken, dass Herr
Museveni, der Präsident dieses Landes, gleichzeitig durch




Klaus-Jürgen Hedrich

24331


(C)



(D)



(A)



(B)


die Ausplünderung von Rohstoffreserven im Ostkongo
sein Militär finanziert, das in keinem Haushalt auftaucht.
Solange wir solche Länder unterstützen oder zumindest
die Dinge nicht beim Namen nennen, sollten wir uns da-
vor hüten, ein Land wie Uganda als ein besonders positi-
ves Beispiel für die Entschuldungspolitik zu nennen. Da-
rüber sollten wir uns wenigstens einig sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424217200
Frau Kol-
legin Tröscher, mir ist soeben erst signalisiert worden,
dass Ihre vorhin gehaltene Rede Ihre letzte Rede in die-
sem Hause war. Ich möchte mich daher auch bei Ihnen im
Namen der Mitglieder des Hauses für die gute Zusam-
menarbeit herzlich bedanken und Ihnen alles Gute für die
Zukunft wünschen.


(Beifall im ganzen Hause)

Für die Bundesregierung spricht jetzt die Parlamenta-

rische Staatssekretärin Dr. Uschi Eid.

Dr
Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424217300
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Vorweg, Herr Kollege Hedrich: Sie brauchen nicht
aufgeregt zu sein; denn diese Bundesregierung setzt den
Trend, den Sie begonnen haben, nicht fort. Wir werden
den Trend vielmehr umkehren und den Einzelplan 23
nicht kürzen, sondern aufstocken.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues wird langsam Zeit!)


Weil wir vor dem G-8-Gipfel stehen, möchte ich zu ei-
nem anderen Thema sprechen und darauf hinweisen, dass
ich heute auf einer ARD-Videotexttafel über das G-8-
Außenministertreffen zur Vorbereitung des Gipfels in
Kanada folgende Meldung gelesen habe: „Im Mittelpunkt
der zweitägigen Konferenz steht unter anderem eine neue
Hilfsinitiative für Afrika.“ Ich dachte, ich traue meinen
Augen nicht! Denn wir haben im letzten Dreivierteljahr
versucht, die Öffentlichkeit systematisch über Charakter
und Ziel des Afrika-Aktionsplans zu informieren, den wir
am 27. Juni in Kanada beschließen werden. Gleich zu Be-
ginn dieser Debatte stelle ich klar, dass wir keine neue
Hilfsinitiative für Afrika vorbereiten, sondern einen
Afrika-Aktionsplan, der eine neue Partnerschaft mit
dem afrikanischen Kontinent begründen will. Das ist et-
was völlig anderes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mit dieser neuen Partnerschaft wollen wir Anstrengun-
gen afrikanischer Politiker unterstützen, dass Afrika
gleichberechtigter Akteur auf der weltpolitischen Bühne
wird, dass Afrika von internationaler Hilfe unabhängig
wird und sich eigenständig ökonomisch entwickeln kann
und dass Afrika mit seinen traditionellen Wurzeln An-
schluss an die Moderne findet und die Globalisierung zum
Vorteil der Menschen auf unserem Nachbarkontinent mit-

gestaltet. Es muss mit einer Politik Schluss sein, die im
Wesentlichen postkoloniale Interessenssphären absteckt.
Es muss Schluss sein mit einer Politik, deren gemeinsame
Anstrengungen sich hauptsächlich in Hilfsprogrammen
erschöpfen und die Afrika immer nur als Opfer und damit
schwaches Objekt betrachtet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es muss auch Schluss mit einer Politik sein, die immer
erst dann eingreift, wenn die Fernsehbilder die Schreckens-
nachrichten in die Wohnzimmer tragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Unsere Afrikapolitik muss mehr sein und ist mehr als
eine Kombination aus humanitärer Hilfe, Konfliktlösungs-
bemühungen und Forderungen nach dem Ende der Armut
und des Hungers. Deswegen ist es richtig und wichtig,
dass die wichtigsten Industriestaaten mit dem Weltwirt-
schaftsgipfel in Genua im letzten Jahr damit begonnen ha-
ben, unsere Afrikapolitik zu koordinieren, unsere An-
strengungen zu bündeln und unsere Ziele gemeinsam zu
formulieren. Ebenso wichtig ist, dass die Europäisierung
der Afrikapolitik fortschreitet, wie wir es bei der letzten
Ratstagung im Hinblick auf den Rio-plus-Zehn-Gipfel in
Johannesburg beschlossen haben. Afrika wird auch bei
diesem Gipfel in Johannesburg eine wichtige Rolle spie-
len.

Die großen afrikanischen Wälder sind öffentliche
Güter, an deren Erhalt wir ein großes Interesse haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Sie werden zum Beispiel durch den Raubbau an Holz oder
an Rohstoffen wie Gold, Diamanten und Coltan bedroht.
Diese schrankenlose Ausbeutung, die die letzten afrikani-
schen Urwälder bedroht, muss in unserem eigenen Inte-
resse beendet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir stehen bislang nicht untätig daneben; aber unsere
Anstrengungen müssen sich vervielfältigen. Meine Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen stimmt mit Greenpeace über-
ein, dass wir eine internationale Initiative für den afrika-
nischen Wald brauchen.


(Beifall der Abg. Dr. Angelika Köster-Loßack [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum ersten Mal ist
Afrika offizielles Thema eines G-8-Wirtschaftsgipfels.
Die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Indus-
triestaaten unterstützen damit eine Initiative reformorien-
tierter afrikanischer Politiker, die Afrikas Entwicklung
vorantreiben wollen, die Eigenverantwortung überneh-
men, die eine klare Fehleranalyse afrikanischer Politik auf
den Tisch legen, die aber auch bereit sind, sich einem ge-
genseitigen Beurteilungsverfahren zu unterwerfen, um
die eigenen Fehler und Schwächen zu identifizieren und
selber zu korrigieren. Wenn es die Regierungen Afrikas
mit dieser neuen Partnerschaft ernst meinen – abgekürzt




Klaus-Jürgen Hedrich
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(D)



(A)



(B)


NEPAD, New Partnership for Africa’s Development –,
dann werden wir dies auch unterstützen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Die Voraussetzungen dafür sind klar: verantwortungs-
volle Regierungspolitik, Rechtsstaatlichkeit, Respektie-
rung der Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten.
Denn nur die Beteiligung der Menschen an den politi-
schen Entscheidungen, die Verteilung politischer und
wirtschaftlicher Macht auf vielen Schultern sowie freie
Meinungsäußerung und Organisationsfreiheit beseitigen
Korruption und Klientelwirtschaft und bringen Eigen-
initiative hervor, die für die gesellschaftliche und wirt-
schaftliche Entwicklung eines Landes notwendig ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich begrüße deshalb sehr, dass gute Regierungsführung
an oberster Stelle der afrikanischen Entwicklungsinitia-
tive steht. Die Initiative von Nichtregierungsorganisatio-
nen und des bekannten Unternehmers George Soros zur
Bekämpfung der Korruption in Afrika passt haargenau
in dieses neue afrikanische Denken. Unternehmen wie
Bergbau- und Erdölgesellschaften, die am Abbau von
Bodenschätzen beteiligt sind, sollen die Höhe ihrer Zah-
lungen an nationale Regierungen offen legen, damit die
Bürgerinnen und Bürger sowie die Parlamente ihre Re-
gierungen kontrollieren können. Nur so kann garantiert
werden, dass der Reichtum eines Landes auch gerecht
verteilt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen und brauchen ein starkes Afrika. Ich bin
überzeugt: Afrika kann stark werden. Voraussetzungen
sind, dass Frieden und Stabilität hergestellt werden, dass
Afrika sein riesiges wirtschaftliches und kulturelles
Potenzial ausschöpft, dass die Menschen ihre Kreativität
freiheitlich entfalten können und dass Rahmenbedingun-
gen für eine ökologische und soziale Marktwirtschaft
geschaffen werden.

In der Juni-Ausgabe der „Kunstzeitung“ las ich heute,
dass der afrikanische Kontinent mit der Documenta 11 un-
ter der Leitung des Nigerianers Okwui Enwezor in eine
neue Phase kultureller Bewusstwerdung eintritt. Mit der
neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung hat der Kon-
tinent eine weitere Chance, nämlich die, in eine neue
Phase politischer Selbstbestimmung und Eigenverant-
wortung sowie in unabhängige ökonomische Entwick-
lung einzutreten. Wir, die G-8-Staaten, unterstützen mit
unserem Afrika-Aktionsplan die Reformkräfte Afrikas bei
diesem Unterfangen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424217400
Als nächste
Rednerin hat das Wort die Kollegin Ina Albowitz von der
FDP-Fraktion.


Ina Albowitz (FDP):
Rede ID: ID1424217500
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! In diesem Hause sind in den
letzten vier Jahren viele Reden gehalten und viele Ver-
sprechungen zur Entwicklungspolitik abgegeben worden.


(Adelheid Tröscher [SPD]: Und gehalten worden!)


Es wurde damit der Eindruck erweckt, als sei die ent-
wicklungspolitische Zusammenarbeit das zentrale Anlie-
gen dieser Regierung. Doch wie sieht die Bilanz nach vier
Jahren rot-grüner Entwicklungspolitik tatsächlich aus?


(Ilse Janz [SPD]: Großartig!)

Erinnern wir uns an die erste Ausschusssitzung, in der

die Ministerin ausführlich ihre Vorhaben der entwick-
lungspolitischen Zusammenarbeit und der deutschen Ent-
wicklungspolitik insgesamt vortrug. Es ging um eine Bün-
delung der Aufgaben, also von der Federführung für
Lomé beim BMZ bis hin zum gesamten Bereich der
Transformationsprogramme für Osteuropa. Auch Teilbe-
reiche, die verstreut in anderen Ministerien angesiedelt
waren, sollten in ihr Haus zurückkehren. Entwicklungs-
politik sollte dadurch, so der Koalitionsvertrag, eine Auf-
wertung und Erweiterung zu einer globalen Strukturpoli-
tik erfahren.

Gemessen an diesen Ankündigungen ist das Ergebnis
mager und die Entwicklungspolitik hat nicht nur an Sub-
stanz, sondern auch an Glaubwürdigkeit verloren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Nach wie vor müssen 1,2 Milliarden Menschen in den
Entwicklungsländern, ein Viertel der Weltbevölkerung,
mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen. Das
reicht häufig nicht einmal zur persönlichen Ernährung,
geschweige denn zur Ernährung einer ganzen Familie aus.
Hunger und Armut sind die traurigen Folgen. Weltweit
hungern täglich 800 Millionen Menschen. Dieses Schick-
sal, meine Kollegen, darf uns nicht egal sein.


(Beifall des Abg. Dr. Klaus Kinkel [FDP])

Um diese Zahl deutlich zu reduzieren, müssen bis zum
Jahr 2015 jährlich 20 Millionen Menschen mehr ausrei-
chend ernährt werden. Deshalb will die UN-Organisation
für Ernährung und Landwirtschaft ihre Mitgliedsländer in
Rom noch einmal auf dieses Ziel verpflichten. Nach An-
sicht der FAO kann dies jedoch nicht erreicht werden,
sollte die Entwicklung in der Landwirtschaft und in der
Welternährung so weiterlaufen wie bisher.

Hunger und Unterernährung erzeugen weitere Pro-
bleme, die zusammen einen scheinbar nicht zu durch-
brechenden Teufelskreis ergeben. Absolute Armut und
steigende Bevölkerungszahlen auf voraussichtlich 7 Mil-
liarden Menschen bis zum Jahr 2015 bedrohen den Frie-
den und die Sicherheit, verursachen weltweite Flücht-
lingsströme, belasten die Umwelt und beeinträchtigen den
Aufbau rechtsstaatlicher und marktwirtschaftlicher Struk-
turen in den Entwicklungsländern. Der weltweite Kampf
gegen den Terror hat den hohen politischen Stellenwert
der wirtschaftlichen Zusammenarbeit besonders deutlich
gemacht.

In diesem Zusammenhang muss sich auch Entwick-
lungspolitik strategisch erneuern und einen maßgeblichen




Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid

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(C)



(D)



(A)



(B)


Beitrag zur Beseitigung von sozialen, wirtschaftlichen
und politischen Missständen leisten. Dies bedeutet im
Übrigen neben zusätzlichen finanziellen Leistungen eine
Zusammenführung der politischen Verantwortung für die
Außen- und die Entwicklungspolitik, Frau Ministerin,
eine strukturelle Neuausrichtung auf effiziente multilate-
rale Zusammenarbeit, aber auch eine an der Armuts-
bekämpfung orientierte Schwerpunktsetzung. Diese
Kombination führt auf der einen Seite zu einer Strategie
der Krisenprävention, auf der anderen Seite hilft sie dort,
wo Hilfe wirklich benötigt wird.

Lassen Sie mich anhand einiger Beispiele kurz schil-
dern, wie die Bundesregierung ihre entwicklungspoliti-
schen Vorhaben umgesetzt hat; der Kollege Hedrich ist
eben auch schon darauf eingegangen. Auf dem Millen-
niumsgipfel der Vereinten Nationen im September 2000
in New York haben sich 146 Staats- und Regierungschefs
darauf geeinigt, die extreme Armut dieser Welt bis 2015
zu halbieren. Gerhard Schröder, der noch amtierende
deutsche Bundeskanzler


(Widerspruch bei der SPD)

– ich kann auch sagen: der noch kurz amtierende Bundes-
kanzler –,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wird immer besser!)


hat sich dieser Initiative mit großen Worten angeschlos-
sen. Im April 2001 folgte das „Aktionsprogramm 2015“,
der Beitrag der Bundesregierung zur weltweiten Halbie-
rung extremer Armut. In diesem Programm verpflichtete
sich die Bundesregierung unter anderem dazu, mehr Mit-
tel für die Armutsbekämpfung zu mobilisieren, die Fi-
nanzsysteme in den Entwicklungsländern verstärkt zu un-
terstützen und die wirtschaftliche Dynamik in den
betroffenen Ländern zu erhöhen. Die Liste dieser guten
Vorsätze, bei denen wir mit vielen von Ihnen einig sind,
ließe sich um weitere 72Aufzählungen fortsetzen. Das er-
spare ich Ihnen allerdings hier.

Wichtig ist, dass alle diese Maßnahmen anhand eines
„Umsetzungsplanes“ realisiert werden sollten. Doch da-
mit nicht genug: Neben den konkreten Schritten sollten
sogar die jeweiligen Verantwortlichen benannt werden.
Klingt, meine Damen und Herren, sehr nach „Chefsache“.
Und tatsächlich zeigen sich hier einige Parallelen zu ande-
ren Vorgängen der Bundesregierung. Denn bis heute liegt
ein derartiger Umsetzungsplan mit konkreten Angaben
unter anderem über die Finanzierung nicht vor; die OECD
mahnt das in dem heute vorgelegten Bericht auch deutlich
an. Große Worte, denen leider keine Taten folgten!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Deshalb fordere ich Sie jetzt nachdrücklich von hier aus
noch einmal auf, umgehend einen Finanzierungs- und
Umsetzungsplan vorzulegen.

Ein weiteres Beispiel ist der Global Aids and Health
Fund, eine große Initiative von Kofi Annan aus dem Jahre
2000. Der Bundeskanzler hat wieder einmal versprochen,
eine erhebliche Summe, rund 150 Millionen Euro, in die-
sen Fonds einzuzahlen. Doch bis heute ist diese Summe

nicht in den Haushaltsplan 23 eingestellt. Wie war das mit
den Versprechen, meine Damen und Herren, vor vier Jah-
ren?

In diese traurige Tradition von nicht gehaltenen Zusa-
gen reiht sich die Entwicklung der zur Verfügung stehen-
den Mittel für Entwicklungshilfe nahtlos ein: Entgegen
den während des Millenniumsgipfels übernommenen
Verpflichtungen, die Mittel für die entwicklungspoliti-
sche Zusammenarbeit zu erhöhen, ist das Haushaltsvolu-
men gesunken. Ungeachtet der Sonderzuweisungen für
die Aufbauhilfe in Afghanistan und für die Terrorismus-
bekämpfung belaufen sich die Kürzungen in diesem Jahr
auf 5,3 Prozent. Deutschland liegt mit einer ODA-Quote
von 0,27 Prozent erheblich unter dem von der Europä-
ischen Union mittelfristig angestrebten Durchschnitts-
wert von 0,33 Prozent. Auch hier wäre wohl ein blauer
Brief angebracht. Zum Glück für die amtierende Regie-
rung ist diese Vereinbarung auf EU-Ebene nicht vertrag-
lich bindend.

Frau Ministerin, wenn es stimmt, was heute in der
„Berliner Zeitung“ verkündet wurde, nämlich dass aus Ih-
rer Fraktion gegenüber Herrn Eichel geäußert wird, nir-
gendwo sei festgeschrieben, dass der Entwicklungsetat
schon 2003 steigen müsse, kann ich nur sagen: Wahr-
scheinlich haben Sie in der Opposition mehr Freunde als
in Ihrer eigenen Partei.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, Steuererhöhungen oder gar

das Einführen neuer Steuern, wodurch sich die Bundesre-
gierung zur Abwechslung einmal auszeichnet, können
hier auch keine Abhilfe schaffen. Frau Wieczorek-Zeul,
die von Ihnen wieder angestoßene Debatte über die
Tobin-Tax ist ein solches Beispiel. Aber mit solchen
Entlastungsmodellen wird den leidgeprüften Menschen in
den Entwicklungsländern in keiner Weise geholfen.


(Beifall bei der FDP)

Vielmehr dienen sie nur zur Ablenkung von den eigent-
lichen Problemen: der Unfähigkeit der Bundesregierung,
sinnvolle Programme und Initiativen umzusetzen.


(Lachen bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich würde gern einen Punkt

ansprechen, an dem wir alle gemeinsam beteiligt sind,
nämlich die Aneinanderreihung von Debatten und Gip-
feln: WTO-Konferenz in Doha, VN-Konferenz in Mon-
terrey, jetzt die Konferenz in Rom und im September die
in Johannesburg – um nur die großen Gipfel zu nennen.
Der Nutzen dieses Konferenztourismus steht leider in
keinem Verhältnis zum Aufwand.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Immer wieder werden den Entwicklungsländern Hoff-
nungen gemacht, gute Absichten bekundet und Initiativen
versprochen, allerdings nur in der Theorie; denn praktisch
sind so gut wie keine Fortschritte zu verzeichnen. Manch-
mal wäre weniger mehr. Die Ärmsten auf dieser Welt
brauchen weder Endloskonferenzen mit gut gemeinten
Deklarationen noch die Ankündigung von neuen Steuern.
Sie brauchen Chancengleichheit und unsere Unterstüt-
zung.




Ina Albowitz
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(C)



(D)



(A)



(B)


Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ilse Janz [SPD]: Warum sind Sie denn mit nach Monterrey gefahren, wenn es doch eine Tourismusfahrt war?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424217600
Das Wort
hat jetzt der Kollege Carsten Hübner von der PDS-Frak-
tion.


Carsten Hübner (PDS):
Rede ID: ID1424217700
Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Dass der Haushalt die in Zahlen gegossene Politik
ist, war eines der ersten Dinge, die ich gelernt habe, als ich
im Bundestag anfing. Sie werden es mir deswegen nach-
sehen, dass ich mich heute im Wesentlichen auf die Fi-
nanzierung der öffentlichen Entwicklungszusammenar-
beit beziehen werde, zumal dies einer der wenigen Punkte
in der Koalitionsvereinbarung war, zu denen eine deutli-
che Aussage seitens der Bundesregierung und der sie tra-
genden Fraktionen getroffen wurde: Nicht zuletzt weil die
Entwicklungszusammenarbeit ein wesentliches Element
der globalen Strukturpolitik sei, werde es zu einer deutli-
chen Trendwende kommen, die finanziell untersetzt wer-
den müsse.

Es ist schwer zu beschreiben, mit welcher Stimmung
man ans Rednerpult geht, wenn man zu diesem Thema
spricht. Denn auch mit Blick auf die internationalen Kon-
ferenzen weiß man eigentlich nur von Rückschlägen zu be-
richten: Die Finanzierungskonferenz in Monterrey ist im
Wesentlichen in die Hose gegangen und der Welt-
ernährungsgipfel, der heute in Rom zu Ende gegangen ist,
wird allseits als Niederlage eines zukunftsfähigen Ent-
wicklungsmodells für alle Menschen charakterisiert und
entsprechend kommentiert. Wir ziehen heute Bilanz und
können insbesondere dann, wenn man es an den blanken
Zahlen misst, eben nicht feststellen, dass die versprochenen
Ankündigungen auch nur im Ansatz wahr gemacht wurden.

International gesehen – die Bundesrepublik macht da-
bei keine Ausnahme – ist die Finazierung der Entwick-
lungszusammenarbeit auf einem historischen Tiefst-
stand. Am besten lässt sich das durch die Angabe
charakterisieren, dass in den entwickelten Staaten zehn-
mal mehr für Rüstung als für Entwicklung ausgegeben
wird. Geredet wird natürlich viel: über die Wichtigkeit der
Entwicklung, die Notwendigkeit einer friedlichen Gestal-
tung der Welt und Ähnliches. Sobald es aber daran geht,
diese Worte in Zahlen zu gießen, mangelt es an Taten und
konkreten Umsetzungen.

Es ist wahr: 1998 betrug der Anteil des Entwicklungs-
etats am Bruttosozialprodukt 0,26 Prozent. Die Trendum-
kehr, die hier beschrieben worden ist, hat dazu geführt,
dass er nach vier Jahren auf genau 0,27 Prozent – das sind
0,01 Prozent mehr – angewachsen ist. Bereinigt um das,
was in den Haushalt transferiert worden ist, inklusive der
zu erfüllenden Aufgaben, nämlich zum Beispiel im Zu-
sammenhang mit dem Transformprogramm für die GUS-
Staaten und der Hilfe für Südosteuropa, liegt der Etat
deutlich unter dem des letzten Haushalts der Kohl-Regie-
rung.


(Ina Albowitz [FDP]: Eben!)


Das muss man, weil es wahr ist, hier einfach sagen.

(Beifall bei der PDS und der CDU/CSU)


Das Trauerspiel setzt sich fort: Die Ankündigung, die
Entwicklungsleistungen der öffentlichen Hand bis 2006
auf 0,33 Prozent zu erhöhen, bedeutet zunächst einmal
nichts anderes, als immer noch 0,06 Prozent unter dem zu
bleiben, was die EU insgesamt vereinbart hat. Das heißt,
diese Erhöhung, die minimale Schritte beinhaltet, bleibt
noch um 0,06 Prozent hinter der Ankündigung und den
Verpflichtungen der anderen EU-Staaten zurück.

Ich habe es des Öfteren vorgerechnet und bereits in der
letzten Sitzung gesagt, muss es Ihnen aber auch dieses
Mal wieder vorhalten: Eine gleichbleibende Steigerungs-
rate vorausgesetzt, bedeutete dies, dass wir die vor 30 Jah-
ren international vereinbarte Verpflichtung von 0,7 Pro-
zent genau in weiteren 30 Jahren umgesetzt haben
werden. Das heißt, als eines der reichsten Länder hätten
wir trotz Massenarmut und Elend überall in der Welt – das
bestreitet ja niemand – 60 Jahre gebraucht, um dieser Ver-
pflichtung nachzukommen.

Ich habe noch ein zweites Bedenken bezüglich dieser
0,33 Prozent. Ich gehe nämlich davon aus, dass es tatsäch-
lich keine zusätzlichen Mittel sind,


(Ina Albowitz [FDP]: Nein!)

sondern dass umgerechnet wird: Mittel und Leistungen,
die von der Bundeswehr in Auslandseinsätzen aufge-
wendet und erbracht werden, werden auf Entwicklungs-
hilfeleistungen angerechnet.


(Widerspruch bei der SPD)

Das tun andere Länder ungerechtfertigterweise auch. Auf
eine Nachfrage im Ausschuss ist mir geantwortet worden,
dass das international durchaus nichts Neues ist. Ich be-
fürchte, dass auch die Bundesregierung diesem Modell
nacheifern wird. Ich habe nicht gehört, dass bei Finanz-
minister Eichel in den letzten Monaten ein entwicklungs-
politisches Umdenken oder generell eine besondere
Milde eingekehrt wäre. Ich gehe davon aus, dass solche
Rechentricks stattfinden werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist meine letzte
Rede zur Entwicklungspolitik in diesem Hohen Haus. Ei-
nige mag dies freuen. Ich jedenfalls möchte deutlich ma-
chen, dass mir die Zusammenarbeit mit den allermeisten
Kollegen ziemlich gut gefallen hat und ich viel habe ler-
nen können. Ich sage es einmal so: Ich möchte euch allen
für die letzten vier Jahre danken. Ich bin sicher, dass wir
uns wiedersehen.

Danke schön.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424217800
Herr Kol-
lege Hübner, ich danke auch Ihnen im Namen des Hauses
für Ihre Mitarbeit in diesem Hohen Hause und wünsche
Ihnen für die Zukunft alles Gute.


(Beifall im ganzen Hause)





Ina Albowitz

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(C)



(D)



(A)



(B)


Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Schmidt von
der SPD-Fraktion.


Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1424217900
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Her-
ren! Herr Hedrich, ich will auf Ihre Tiraden nicht groß ein-
gehen, sondern dazu nur so viel sagen: Ich habe das Heft,
aus dem Sie zitiert haben, anders gelesen. Ich denke, ich
liege mit meiner Beurteilung, dass Sie eine selektive
Wahrnehmung haben, richtig. Hoffentlich heißt dies
nicht, dass Sie das Buch, das ich Ihnen gleich empfehle,
gleichfalls selektiv lesen.

Ich will zitieren: „Die deutsche Entwicklungspolitik
muss weg von der kurzatmigen Beschreibung einer Fülle
von Projekten.“ – Das waren die Worte Winfried Pingers
am Ende der Ära Kohl. Damit fand der damalige ent-
wicklungspolitische Sprecher der CDU/CSU ebenso we-
nig Gehör wie die zahlreichen Klagen von Fachleuten
über Inkohärenzen in der Entwicklungspolitik. Deshalb
empfehle ich Ihnen, die Ausgabe der „E+Z“ noch einmal
zu lesen.

Sie werden dann mit mir übereinstimmen, dass die Bi-
lanz nach vier Jahren rot-grüner Entwicklungspolitik
mehr Effizienz, mehr Kompetenz und vor allem mehr
Kohärenz – im Sinne von globaler Struktur- und Frie-
denspolitik – aufweist. Das ist für uns kein hohler Begriff,
sondern ein holistischer Ansatz, der sich durch unsere vor-
liegenden Anträge zieht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die systematische Förderung der Zivilgesellschaften
hat neue Potenziale für die wirtschaftliche Zusammenar-
beit erschlossen: Aufbau des zivilen Friedensdienstes,
Einrichtung der Servicestelle für kommunale Entwick-
lungszusammenarbeit, bessere Zusammenarbeit zwi-
schen staatlicher und nichtstaatlicher Ebene durch die Ar-
beitskreise Krisenprävention und Armutsbekämpfung.
Wir beachten den frauenspezifischen Aspekt; denn
Frauen halten den Schlüssel für die nachhaltige Entwick-
lung in ihren Händen.


(Beifall der Abg. Dr. Angelika Köster-Loßack [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Rund 700 Millionen Euro zusätzlich haben wir in Ko-
operation mit der Wirtschaft mobilisiert. Durch das Enga-
gement unserer Ministerin bei den letzten WTO-Verhand-
lungen dürfen wir endlich eine Sensibilisierung für die
Belange der Entwicklungsländer konstatieren: gerechte-
rer Marktzugang sowie differenzierte Liberalisierung, die
sich am Nachhaltigkeitsprinzip und am Entwicklungs-
stand der jeweiligen Länder orientiert. Globale Verant-
wortung heißt für uns nachhaltige Ressourcennutzung
und Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Ohne Zu-
gang zu sauberem Trinkwasser und fruchtbarem Boden
gibt es weder Entwicklung noch politische Stabilität.

Durch die vernetzte Zusammenarbeit der unterschied-
lichen Ressorts sind wir für den Rio-plus-Zehn-Gipfel gut
vorbereitet. In Monterrey haben die Länder des Südens
ihre eigene Verantwortung anerkannt, die, auf eine kurze
Formel gebracht, heißt: Ohne Demokratie und Rechts-

staatlichkeit gibt es keine Entwicklung. Wir haben die In-
strumente der Konfliktbewältigung ausgebaut, mehrere
institutionelle Schritte für eine bessere Vernetzung und
mehr Einflussnahme unternommen und durch Präsenz in
den Enquete-Kommissionen und dem Ausschuss für
Menschenrechte unser Politikfeld endlich als Quer-
schnittsaufgabe manifestiert – und das in vier Jahren!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vier Jahre sind ein überschaubarer Zeitraum. Aber Ent-
wicklungspolitik muss in größeren Zusammenhängen
denken. Bis 2015 wollen wir die Zahl der Menschen hal-
bieren, die weltweit in extremer Armut leben und keinen
Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Wir werden die
Entwicklungspolitik weiterhin konsequent als Krisen-
prävention nutzen. Was die Finanzen angeht: Wir haben
uns auf eine ODA-Quote von 0,33 Prozent bis 2006 ver-
pflichtet. Wir halten an dem Weg fest, zusätzliche öffent-
liche und private Mittel für eine nachhaltige Entwicklung
und die Sicherung globaler Güter zu mobilisieren.

Das alles ist insgesamt ein verantwortungsvolles, stra-
tegisches Programm. Sie dagegen, meine Damen und
Herren von der Opposition, reiten lediglich auf den haus-
haltspolitische Ansätzen herum.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hätten Sie das doch ab 1982 getan und schon damals, in
wirtschaftlich weit besseren Zeiten, die ODA-Quote von
seinerzeit 0,48 Prozent konsequent verteidigt und ausge-
baut! Wir haben trotz knapper Kassen das Instrumenta-
rium der Entwicklungspolitik als unverzichtbar in das öf-
fentliche Bewusstsein gerückt. Hat jemals ein Kanzler
von Ihrer Seite eine Regierungserklärung zur Entwick-
lungspolitik abgegeben?


(Zurufe von der SPD: Nein!)

Wir haben bereits in Nürnberg unsere Vorstellung für

eine gerechte Gestaltung der Globalisierung konkretisiert:
Globalisierung ist kein Naturereignis. Sie ist von
Menschen gewollt und gemacht. Darum können
Menschen sie auch verändern, gestalten und in gute
Bahnen lenken.

Ich kann diese Worte des Bundespräsidenten nur unter-
streichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carsten Hübner [PDS])


Eine Globalisierung, die den Zusammenhalt und die Soli-
darität in der Gesellschaft zerstört, wird es mit Sozialde-
mokraten nicht geben. Ihre blinde Markteuphorie, meine
Damen und Herren von der Opposition, ist kein wirksa-
mes Rezept.


(Ina Albowitz [FDP]: Aber man muss den Leuten das Geld irgendwo vorher abnehmen!)


Im Gegenteil: Das heißt Abdankung der Politik und
Zurückweichen vor den Aufgaben der Globalisierung.
Die digitale Kluft beispielsweise – darauf zielen zwei
Ihrer Anträge ab, meine Damen und Herren von der FDP –




Carsten Hübner
24336


(C)



(D)



(A)



(B)


muss sicherlich überwunden werden. Aber einmal ernst-
haft: Bedienen Sie mit Ihrer Setzung von Schwerpunkten
im IT-Bereich wirklich die vordringlichen Bedürfnisse
der Partnerländer, in denen Wasser fehlt und die Nahrung
knapp ist?

Ein Punkt ist mir noch wichtig. Sie, meine Damen und
Herren von der Opposition, haben deutlich gemacht, dass
Sie die Entwicklungspolitik zu einem Appendix der
Außenpolitik degradieren wollen. Nicht mit uns!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine Entwicklungspolitik, wie wir sie verstehen, nämlich
als präventive Friedenspolitik, als Mittel zur Armuts-
bekämpfung und als Hilfe zur Selbsthilfe, ist nur mit ei-
nem eigenständigen, selbstbewussten Ministerium zu ver-
wirklichen. Das haben wir und daran halten wir fest, auch
nach dem 22. September.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424218000
Das Wort
hat jetzt der Kollege Peter Weiß von der CDU/CSU-Frak-
tion.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1424218100
Herr Präsi-
dent! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau
Kollegin Schmidt, meines Wissens waren in dieser Legis-
laturperiode neben der FDP ausgerechnet der Staatssekre-
tär des Auswärtigen Amtes, Herr Pleuger, und der Staats-
minister im Auswärtigen Amt, Herr Volmer, diejenigen,
die die Existenz des BMZ infrage gestellt haben. Es war
nicht die CDU/CSU.

Das, was Sie hier vorgetragen haben, zeigt erneut: Die
laufende Legislaturperiode ist für die Entwicklungszu-
sammenarbeit eine in jeder Hinsicht verhunzte Legisla-
turperiode gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Sie können Zahlenspiele vorwärts und rückwärts machen.
Der entscheidende Punkt ist: Sie haben es geschafft, den
Anteil des Entwicklungsetats am Bundeshaushalt auf die
historische Tiefstmarke von nur noch 1,49 Prozent herun-
terzuwirtschaften. Das können Sie auch mit den kurzfris-
tig angelegten Sonderprogrammen für Südosteuropa oder
für die Terrorismusbekämpfung nur schlecht kaschieren.
Deswegen wird es, wenn uns die Wählerinnen und
Wähler am 22. September das Mandat zur Regierungsbil-
dung geben, unsere Aufgabe sein, die deutsche Entwick-
lungszusammenarbeit wieder auf verlässliche und kalku-
lierbare Finanzgrundlagen zu stellen.

Das dramatischere Problem, das Sie uns hinterlassen,
ist allerdings die entwicklungspolitische Konzeptionslo-
sigkeit der rot-grünen Bundesregierung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Darauf kann man wirklich nichts mehr sagen!)


Ich muss wiederholen, was schon gesagt worden ist: Ihr
Konzept zur Schwerpunktsetzung wurde von Ihnen selbst
zur Makulatur gemacht. Wir werden die diskriminieren-
den Eingruppierungsraster für Entwicklungsländer wie-
der abschaffen.


(Dagmar Schmidt [Meschede] [SPD]: Und die Gießkanne wieder einführen!)


Ihr Aktionsprogramm, das nur leeres Stroh drischt,
weil es kein Umsetzungsprogramm gibt, und Ihre Er-
klärung, dass Sie sich nun stärker in multilateralen Orga-
nisationen engagieren wollen und dass Sie sich in der eu-
ropäischen Entwicklungspolitik stärker positionieren
wollen, stehen in krassem Widerspruch zu dem, was
tatsächlich erreicht wurde. Wir reden über Armutsorien-
tierung. Realität der EU-Entwicklungszusammenarbeit
ist, dass sie immer weniger für die armen und ärmsten
Länder tut. Für uns ist die Frage, ob wir das Geld der deut-
schen Steuerzahler mehr den internationalen Organisatio-
nen und der EU zur Verfügung stellen oder ob wir es stär-
ker für die eigene deutsche Entwicklungszusammenarbeit
nutzen, nicht eine quasi ideologische Frage wie für Rot-
Grün, sondern ausschließlich eine Frage des effizienten
Mitteleinsatzes in den Empfängerländern.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: So ist es!)


Entwicklungszusammenarbeit ist vor allem auf lang-
fristige Wirkungen und auf verlässliche Rahmenbedin-
gungen angewiesen. Dagegen hat Rot-Grün Kurzatmig-
keit und Schnelllebigkeit zum negativen Markenzeichen
deutscher Entwicklungszusammenarbeit gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das kommt insbesondere bei der Kurzatmigkeit des

entwicklungspolitischen Engagements in Krisenregio-
nen zum Ausdruck. Seit dem 11. September ist Zentral-
asien in. Dafür gehen die Ansätze für Südosteuropa oder
für problematische Gebiete in Afrika zurück. Hier wird
Politik ohne jede Weitsicht gemacht, allein nach tagesak-
tuellen Schlagzeilen ausgerichtet.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch nicht! Wider besseres Wissen! – Dr. Angelika Köster-Loßack [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Purer Blödsinn!)


Deswegen werden wir dafür sorgen müssen, dass die
deutsche Entwicklungszusammenarbeit wieder eine rea-
listische und auf langfristige Wirkungen abzielende Per-
spektive erhält.


(Erika Lotz [SPD]: Wie euer ganzes Wahlprogramm!)


Nachhaltige Entwicklung bedarf des Engagements
aktiver Zivilgesellschaften sowohl bei uns im Norden als
auch im Süden.


(Dr. Angelika Köster-Loßack [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Deswegen unterstützen wir das auch!)





Dagmar Schmidt (Meschede)


24337


(C)



(D)



(A)



(B)


Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen sind für
uns selbstständige und autonome Partner in der Entwick-
lungszusammenarbeit, deren Bedeutung in den kommen-
den Jahren noch zunehmen wird; denn nur über deren
Partnerstrukturen können der Aufbau und die Förderung
aktiver Zivilgesellschaften in den Ländern des Südens ge-
lingen.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: So ist es!)


Dazu bedürfen sie aber auch einer stetig steigenden Un-
terstützung. Doch Rot-Grün macht genau das Gegenteil.
Sie von Rot-Grün kürzen den Kirchen und Nichtregie-
rungsorganisationen die Mittel für ihre Arbeit in Osteu-
ropa und in Südosteuropa und schreiben ihnen: Falls Sie
sich auf unserem Kontinent noch engagieren wollen, soll-
ten Sie sich die Mittel dadurch besorgen, dass Sie Ihre Ar-
beit in den ärmsten Ländern des Südens kürzen. – Das
finde ich mehr als schäbig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, man kann eine entwick-

lungspolitische Debatte am heutigen Abend kurz nach
23 Uhr nicht führen, ohne den stummen Aufschrei der
13 Millionen Menschen im südlichen Afrika zur Kenntnis
zu nehmen, deren Leben aktuell durch eine neue Hunger-
katastrophe bedroht ist.


(Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: Wo ist denn Ihre Fraktion?)


Diese neue Hungersnot macht überdeutlich, dass nicht die
Natureinflüsse die eigentliche Ursache sind. Die Ursache
ist vielmehr die politische Misswirtschaft. FAO-Vizedi-
rektor de Haen hat Recht, wenn er erklärt, die Hauptver-
antwortung liege bei den Regierenden der Hungerländer.
Es ist für mich schockierend, dass einer der Hauptverant-
wortlichen für diese Hungerkatastrophe, nämlich der
simbabwische Präsident Robert Mugabe, in dieser Woche
ausgerechnet bei der Tagung der Welternährungsorgani-
sation in Rom ein Podium für seine absurden Thesen be-
kommen hat. Mugabe hat sein Volk und ebenso die Nach-
barländer in den Hunger getrieben, indem er mit seiner
Landreform dafür gesorgt hat, dass binnen eines Jahres
die Maisproduktion um 77 Prozent abgesackt ist.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist nicht Rot-Grün schuld, oder?)


Das zeigt, dass der Schlüssel für eine nachhaltige Ent-
wicklung und den Erfolg entwicklungspolitischer Bemü-
hungen in den Ländern des Süden selbst liegt. Unsere Po-
litik muss deshalb dazu beitragen, dass die oftmals unter
despotischen Regimen leidende Bevölkerung diesen
Schlüssel zur eigenen Entwicklung in die Hand bekommt.

Vor Heidemarie Wieczorek-Zeul gab es einen Ent-
wicklungsminister, der weniger auf PR setzte oder ir-
gendwelchen Modethemen hinterherrannte, aber nicht
weniger als eine Neuausrichtung der deutschen Ent-
wicklungspolitik durchgesetzt hat.


(Erika Lotz [SPD]: Das ist der nächste Kandidat für das Kompetenzteam!)


Fünf Kriterien sind seit Carl-Dietrich Spranger Bedin-
gungen für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit:
Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und
Rechtssicherheit, Beteiligung der Bevölkerung am politi-
schen Prozess, Schaffung einer marktfreundlichen und
sozialorientierten Wirtschaftsordnung und Entwicklungs-
orientierung des staatlichen Handelns.


(Zuruf von der SPD: Es wird zwar immer wiederholt, aber präzisiert wird es nie!)


Wir werden nach dem 22. September dafür sorgen,
dass diese fünf Kriterien wieder mit aller Stringenz Leit-
linien einer verlässlichen deutschen Entwicklungszusam-
menarbeit werden.


(Zuruf von der SPD: Das fehlt uns noch!)

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424218200
Als letz-
ter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der
Kollege Reinhold Hemker von der SPD-Fraktion das
Wort.

Reinhold Hemker (SPD) (von der SPD sowie dem
Abg. Carsten Hübner (PDS) mit Beifall begrüßt): Keine
Angst, ich werde am 22. September wahrscheinlich wie-
dergewählt und deswegen sowohl Peter Weiß als auch
Klaus-Jürgen Hedrich erhalten bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Angelika Köster-Loßack [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
wundere mich schon, lieber Peter Weiß und lieber Klaus-
Jürgen Hedrich, wie man uns in einer solchen Debatte
auch angesichts der Situation wie wir sie zurzeit in Af-
ghanistan erleben – ich könnte noch andere Länder nen-
nen –, den Vorwurf der Oberflächlichkeit bzw. Tagesak-
tualität machen kann,


(Beifall der Abg. Dr. Angelika Köster-Loßack [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


obwohl die Bundesregierung und die Bündnispartner und
Konzepte im internationalen Antiterrorismus-Kampf ent-
wickeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich finde das ein bisschen bedauerlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hinzu kommt, dass für diese Debatte eine Reihe von
Ideen, in Anträgen formuliert, vorgelegt worden sind, die
im Grunde bereits in vielfältiger Art und Weise in dem Ak-
tionsprogramm 2015 zur Armutsbekämpfung veran-
kert sind. Es ist doch gut – wir können froh darüber sein –,
dass wir über ein solches Konzept und dessen Umsetzung
in den nächsten Jahren sprechen können, auch im Dialog
mit jenen, die in der Fachdebatte kritische Gedanken für
ein Buch der Stiftung Entwicklung und Frieden und in ei-




PeterWeiß (Emmendingen)

24338


(C)



(D)



(A)



(B)


ner Fachzeitschrift formulieren, wie es Volkmar Köhler
getan hat. Einen einzigen Satz herauszugreifen, Klaus-
Jürgen Hedrich, der aus einem bestimmten Gedankenge-
bäude abgeleitet ist, stellt eine starke Verkürzung dar und
zeigt eine Oberflächlichkeit, die wir bei entwicklungspoli-
tischen Debatten nicht brauchen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Rufen wir uns doch einmal in Erinnerung, worüber wir
bereits diskutiert haben und was die Kollegin Uschi Eid,
unsere Afrika-Beauftragte, heute noch einmal vorgetra-
gen hat. Mit dem Antrag und der Debatte, die wir zum
Thema Afrika führen, ist bei unseren Partnern – nicht nur
in den fünf Ländern, von denen die Initiative ausgegangen
ist, sondern insgesamt – so etwas wie eine Veränderung
eingetreten. Man sucht die Gründe nämlich nicht mehr
nur im Kolonialismus und in der Zeit danach oder in der
falschen Politik des Westens, sondern richtet einen ge-
nauen Blick nach innen und fragt sich, welche Grundla-
gen für „good governance“ bestehen und wie man sich an
solchen Prozessen beteiligen kann, um Systeme des „glo-
bal governance“ weiterentwickeln zu können. Das ist das
eigentlich Neue.

Dass die G-7- bzw. G-8-Staaten darauf so reagieren,
wie sie es getan haben, und hochkarätige Mitglieder – bis
auf Italien – zugesagt haben, diesen Prozess zu begleiten
und auch mit finanziellen Konzepten zu unterstützen, ist
doch zu begrüßen. Wir haben daraufhin unserer Regie-
rung einen Ideen-Katalog vorgetragen, über den bereits
mit der Mehrheit der Koalition beschlossen wurde.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieses Vorgehen ist doch nicht oberflächlich oder kon-
zeptionslos, sondern zeigt, dass sich die Parlamentarier in
Partnerschaft mit der Regierung Gedanken machen.

Ein zweites Beispiel: Ich weiß noch, wie ich mit dem
leider zu früh verstorbenen Kollegen Werner Schuster zu-
sammengesessen habe und wir nachgedacht und aufge-
schrieben haben, was im Nachfolgeprozess zur Konfe-
renz für Umwelt und Entwicklung vor zehn Jahren zum
Themenbereich „erneuerbare Energien“ gemacht werden
müsste. Das hat dann auch im letzten Bericht der Bun-
desregierung zur Entwicklungspolitik Niederschlag ge-
funden. Vor diesem Hintergrund passt der Vorwurf der
Oberflächlichkeit oder Tagesaktualität nun überhaupt
nicht mehr.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Wirtschaftsaus-
schuss sind diesen Gedanken gefolgt und haben einen
neuen Antrag, für den sie selber verantwortlich zeichnen,
formuliert.

Der eine Antrag sagt, dass ein Sektorschwerpunkt im
Bereich erneuerbarer Energien gesetzt werden soll. Zur
Umsetzung dessen wurden Programme vonseiten des
BMZ auf den Weg gebracht. Wer ein wenig die Interna der
Arbeit der GTZ kennt, weiß, dass da natürlich auch, lie-
ber Kollege Hedrich, teilweise das weiter verfolgt wird,

was schon die frühere Regierung angestoßen hat, aber
nunmehr mit einer anderen Schwerpunktsetzung. Der An-
trag zur Markterschließung für deutsche Produkte im Be-
reich der Wind- und Solarenergie und zur Nutzung von
Biomasse zeigt, dass wir auch da auf dem richtigen Weg
sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dadurch werden nun – ich sage das ganz bewusst auch in
Richtung derjenigen, die für die Union gesprochen haben –
gewisse Schwerpunkte gesetzt, die wir in Zukunft weiter-
entwickeln können. Ich kann Ihnen nach meinen Fachge-
sprächen mit den Vertretern draußen nur sagen, dass sie
mehr erneuerbare Energie einsetzen, mehr im Bereich
Landreform tun und eine Agrarforschung stärken wollen,
die als Anwendungsforschung die heutigen wissenschaftli-
chen Ergebnisse schon umsetzt.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch der Kolle-
gin Brigitte Adler noch einmal dafür danken, dass sie sich
für unseren Antrag stark gemacht und in vielfältiger Art
und Weise mit den Fachinstituten zusammengearbeitet
hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


All diese Punkte zeigen, dass wir in dieser Legislaturpe-
riode im manchmal auch schwierigen kritischen Dialog
und Diskurs mit denjenigen, die draußen in Nichtregie-
rungsorganisationen arbeiten, einiges nach vorne ge-
bracht haben.

Ich möchte, dass das Duo, das auf der Regierungsbank
sitzt, weitermacht, nicht nur im Sinne Afrikas,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


sondern auch im Hinblick auf die wichtigen Bereiche, die
morgen früh hier im Parlament diskutiert werden. Ich
weiß, dass die Ministerin morgen in der Debatte, die vor-
wiegend von den Umweltpolitikern bestritten wird, spre-
chen wird. Ich wünsche Ihnen, Frau Ministerin, nicht nur
für den Rio-Nachfolgeprozess, ein Prozess, der leider
häufig nur unter dem Aspekt des Klimas diskutiert wird,
sondern auch für die weiteren Punkte viel Erfolg. Es geht
darum, dass wir begreifen, dass nachhaltige Entwicklung
nur im Dreiklang zwischen ökonomischer, ökologischer
und sozialer Orientierung möglich ist. Ich hoffe, dass die
Debatte morgen Signale setzt. Nach langen und schwieri-
gen Abstimmungen haben wir ja einen entsprechenden
Antrag vorgelegt. Ich hoffe, dass das, was wir heute
Abend hier besprochen haben, und das, was morgen früh
noch kommt, wirklich neue Akzente für die deutsche Ent-
wicklungspolitik setzt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424218300
Ich
schließe die Aussprache.




Reinhold Hemker

24339


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich freue mich über die rege Beteiligung der SPD-
Fraktion


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und hoffe, dass die Beteiligung morgen genauso rege sein
wird.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache
14/9324 zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Elften Bericht zur
Entwicklungspolitik der Bundesregierung. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksa-
che 14/8493 anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von
CDU/CSU und FDP und Enthaltung der PDS angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 9 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung auf Drucksache 14/8973 zu dem Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „Reformprozess der Internationalen Agrar-
forschung vorantreiben“. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 14/8000 anzunehmen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS
bei Enthaltung von CDU/CSU und FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 9 c: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung auf Drucksache 14/9307 zu dem Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „Sonderprogramm zur breitenwirksamen
Nutzung angepasster, erneuerbarer Energien in den Ent-
wicklungsländern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/5486 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von
CDU/CSU und FDP und Enthaltung der PDS angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 9 d: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung auf Drucksache 14/9308 zu dem Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „Förderung der Zivilgesellschaft im Norden
und im Süden – eine Herausforderung für die Entwick-
lungszusammenarbeit“. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 14/5789 anzunehmen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS
bei Enthaltung von CDU/CSU und FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 9 e: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung auf Drucksache 14/9310 zu dem Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „Wasser als öffentliches Gut und die Be-

deutung von Wasser in der deutschen Entwicklungszu-
sammenarbeit“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/7484 anzunehmen. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der PDS bei Enthaltung von CDU/CSU
und FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 9 f: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung auf Drucksache 14/9311 zu dem Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „Afrikas neues Denken unterstützen“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8859
anzunehmen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen-
stimmen von CDU/CSU und FDP und Enthaltung der
PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 9 g: Abstimmung über den Ge-
setzentwurf der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/8338
zur Sicherung der öffentlichen Entwicklungshilfe des Bun-
des. Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/9312, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP bei Zustimmung
der PDS-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer
Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Zusatzpunkt 8: Beschlussempfehlung des Ausschusses
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf
Drucksache 14/9314 zu dem Antrag der Fraktion der FDP
mit dem Titel „Informationstechnologie in den Mittel-
punkt der Entwicklungszusammenarbeit stellen“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5578
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen und der PDS bei Gegenstimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.

Zusatzpunkt 9: Beschlussempfehlung des Ausschusses
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf
Drucksache 14/9419 zu dem Antrag der Fraktion der FDP
mit dem Titel „Umsetzung der von Deutschland beim
Millenniumgipfel übernommenen Verpflichtungen“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/9055
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und
bei Enthaltung von CDU/CSU und PDS angenommen.

Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkte auf, zu denen die
Reden – mit Ausnahme des Punktes 18, zu dem eine Red-
nerin der PDS sprechen wird – zu Protokoll gegeben wor-
den sind1). Ich darf zunächst fragen, ob Sie mit diesem
Verfahren einverstanden sind. – Das ist der Fall.




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
24340


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlagen 14 bis 25

Ich bitte aber trotzdem noch um Aufmerksamkeit, weil
wir die entsprechenden Entscheidungen treffen bzw.
Überweisungen feststellen müssen. Es handelt sich
eine ganze Reihe von Tagesordnungspunkten.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-


(3. Ausschuss)

Dr. Klaus Kinkel, Dr. Helmut Haussmann,
Günther Friedrich Nolting, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten
Hans-Dirk Bierling, Dr. Wolfgang Bötsch, Monika
Brudlewsky, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Landminen ohne integrierte Selbstneutralisie-
rungs- oder Selbstzerstörungsmechanismen
ächten – Minenräum- und Minenopferhilfe
deutlich erhöhen
– Drucksachen 14/8654, 14/9439 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Ernstberger
Ruprecht Polenz
Christian Sterzing
Dr. Helmut Haussmann
Wolfgang Gehrcke

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Ernstberger, Uta Zapf, Rainer Arnold, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Angelika Beer, Rita Grießhaber,
Dr. Helmut Lippelt, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN
Für eine Weiterentwicklung der humanitären
Rüstungskontrolle bei Landminen
– Drucksachen 14/8858, 14/9438 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Zapf
Ruprecht Polenz
Christian Sterzing
Dr. Helmut Haussmann
Wolfgang Gehrcke

Tagesordnungspunkt 10 a. Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 14/9439 zu dem Antrag der Fraktionen der
FDP und der CDU/CSU mit dem Titel „Landminen ohne
integrierte Selbstneutralisierungs- oder Selbstzer-
störungsmechanismen ächten – Minenräum- und Minen-
opferhilfe deutlich erhöhen“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/8654 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 10 b: Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/9438 zu dem
Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/ Die

Grünen mit dem Titel „Für eine Weiterentwicklung der
humanitären Rüstungskontrolle bei Landminen“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8858
in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Ent-
haltung von CDU/CSU und FDP angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 d auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg


(Berlin)

SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin,
Dr. Antje Vollmer, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Reform derMedien- und Kommunikationsord-
nung für die Wissens- und Informationsgesell-
schaft verwirklichen
– Drucksache 14/8649 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Forschung und Technikfolgenabschätzung

b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil-
dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

(19. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsord-

nung
Technikfolgenabschätzung
hier: Neue Medien und Kultur

Bisherige und zukünftige Auswirkungen
der Entwicklung neuer Medien auf den
Kulturbegriff, die Kulturpolitik, die Kul-
turwirtschaft und den Kulturbetrieb

– Drucksache 14/8434 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(23. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Monika Griefahn, Jörg Tauss, Doris Barnett, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD so-
wie der Abgeordneten Grietje Bettin, Kerstin
Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Digitale Spaltung der Gesellschaft überwinden –
Eine Informationsgesellschaft für alle schaffen
– Drucksachen 14/6374, 14/8151 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg Tauss




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

24341


(C)



(D)



(A)



(B)


Bernd Neumann (Bremen)

Grietje Bettin
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Angela Marquardt

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(23. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Angela Marquardt, Maritta Böttcher, Dr. Heinrich
Fink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Zensur im Internet verhindern – Kein Einsatz
von Filtern an öffentlichen Terminals – Für eine
Kennzeichnungspflicht beim Einsatz von Fil-
tertechnologien
– Drucksachen 14/6128, 14/9406 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg Tauss
Bernd Neumann
Grietje Bettin
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Angela Marquardt

Zunächst zu den Tagesordnungspunkten 11 a und b. In-
terfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 14/8649 und 14/8434 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 11 c. Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Me-
dien auf Drucksache 14/8151 zu dem Antrag der Fraktio-
nen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem
Titel „Digitale Spaltung der Gesellschaft überwinden –
Eine Informationsgesellschaft für alle schaffen“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6374
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen bei Gegenstimmen von CDU/CSU und
FDP Enthaltung der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 11 d: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksa-
che 14/9406 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem
Titel „Zensur im Internet verhindern – Kein Einsatz von
Filtern an öffentlichen Terminals – Für eine Kennzeich-
nungspflicht beim Einsatz von Filtertechnologien“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6128
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstim-
men der PDS angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 a und 12 b auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abge-

ordneten Norbert Geis, Erwin Marschewski

(Recklinghausen), Wolfgang Bosbach, weiteren

Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-

besserung des Schutzes der Bevölkerung vor
angedrohten und vorgetäuschten Straftaten
– Drucksache 14/7616 –

(Erste Beratung 208. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum ver-
besserten Schutz der Öffentlichkeit vor ange-

(„Trittbrettfahrergesetz“)

– Drucksache 14/8201 –

(Erste Beratung 221. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9328 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Dr. Jürgen Gehb
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnde-

(§ 418 Abs. 1 StPO)

– Drucksache 14/2444 –

(Erste Beratung 90. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/4089 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hermann Bachmaier
Joachim Stünker
Norbert Geis
Ronald Pofalla
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak-
tion der CDU/CSU eingebrachten Gesetzentwurf zur Ver-
besserung des Schutzes der Bevölkerung vor angedrohten
und vorgetäuschten Straftaten, Drucksache 14/7616. Der
Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9328, den Ge-
setzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD, des
Bündnisses 90/Die Grünen, der FDP und der PDS bei Zu-
stimmung der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. Damit ent-
fällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes-
rat eingebrachten Gesetzentwurf zum verbesserten Schutz
der Öffentlichkeit vor angedrohten und vorgetäuschten
Straftaten, Drucksache 14/8201. Der Rechtsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
24342


(C)



(D)



(A)



(B)


auf Drucksache 14/9328, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grü-
nen, der FDP und der PDS bei Zustimmung der
CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt die weitere
Beratung.

Tagesordnungspunkt 12 b: Abstimmung über den vom
Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der
Strafgesetzordnung, Drucksache 14/2444. Der Rechtsaus-
schuss empfiehlt auf Drucksache 14/4089, den Gesetz-
entwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen bei Gegenstimmen der übrigen Fraktionen abge-
lehnt. Damit entfällt die weitere Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Katherina
Reiche, Helmut Heiderich, Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der CDU/CSU
Weiterentwicklung einer Biotechnologiestrate-
gie für den Forschungs- und Wirtschaftsstan-
dort Deutschland
– Drucksache 14/9102 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/9102 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwä-
sche und der Bekämpfung der Finanzierung des
Terrorismus (Geldwäschebekämpfungsgesetz)

– Drucksachen 14/8739, 14/9043 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/9263 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Peter Kemper
Erwin Marschewski (Recklinghausen)


Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

Es liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten
Ströbele vor, der darüber hinaus eine persönliche Er-
klärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll
gegeben hat.1)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesse-
rung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämp-
fung der Finanzierung des Terrorismus, Drucksachen
14/8739 und 14/9043. Der Innenausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9263,
den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.

Es liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten
Ströbele vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt
für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/9326? Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Wir haben ein in-
teressantes Abstimmungsverhalten: Der Änderungsantrag
ist mit den Stimmen der SPD-Fraktion, eines Teils der
Grünen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen eines
Teils der Grünen, der FDP-Fraktion und der PDS-Frak-
tion abgelehnt.2)


(Zuruf: Hammelsprung!)

– Es würde viele Kolleginnen und Kollegen von Ihnen ei-
niges an Zeit kosten, wenn ich das jetzt machte.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU bei Gegen-
stimmen von FDP und PDS sowie bei Enthaltung von
Herrn Kollegen Ströbele und einer weiteren Enthaltung
aus den Reihen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü-
nen angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda
Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Dietrich Austermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Keine Vorzugsbehandlung der Deutschen Post
AG bei der Umsatzsteuer
– Drucksache 14/9101 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

24343


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 11
2) Anlage 12

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/9101 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie Zusatz-
punkt 11 auf:
16. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(23. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Günter Nooke, Dr. Norbert Lammert, Ulrich
Adam, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Gesamtkonzeption für Berliner Gedenkstätten
für die Opfer der SED-Diktatur notwendig
– Drucksachen 14/4641, 14/7014 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner
Margarete Späte
Dr. Antje Vollmer
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Dr. Heinrich Fink

ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(23. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Ina Albowitz, Dr. Günter Rexrodt, Hans-Joachim
Otto (Frankfurt), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Stasi-Untersuchungshaftanstalt Hohenschön-
hausen als Gedenkstätte erhalten und aus-
bauen
– Drucksachen 14/7110, 14/9318 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner
Margarete Späte
Dr. Antje Vollmer
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Dr. Heinrich Fink

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf
Drucksache 14/7014 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Gesamtkonzeption für Berliner
Gedenkstätten für die Opfer der SED-Diktatur notwen-
dig“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/4641 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen bei Gegenstimmen von CDU/CSU und
FDP und bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.

Zusatzpunkt 11: Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Kultur und Medien auf Drucksache 14/9318 zu
dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Stasi-
Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen als Ge-
denkstätte erhalten und ausbauen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7110 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer

stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Gegenstimmen von CDU/CSU, FDP und PDS und zwei
Enthaltungen aus der SPD-Fraktion angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten

(Erlangen)

ordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Situation und Perspektiven der Ingenieurinnen
und Ingenieure in Deutschland
– Drucksachen 14/6506, 14/7999 –

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/9396. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP
abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-

neten Heidemarie Lüth, Heidemarie Ehlert,
Monika Balt, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über die Behandlung von Petitionen
und über die Aufgaben und Befugnisse
des Petitionsausschusses des Deutschen Bundesta-
ges – Petitionsgesetz – (PetG)

– Drucksache 14/5762 –

(Erste Beratung 173. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Heidemarie Lüth, Heidemarie Ehlert,
Monika Balt, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines ...

(Artikel 45 c)

– Drucksache 14/5763 –

(Erste Beratung 173. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung (1. Ausschuss)

– Drucksache 14/8576 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Anni Brandt-Elsweier
Meinrad Belle
Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Es sollen alle Reden zu Protokoll genommen werden,
mit Ausnahme der Rede des Antragstellers, der PDS-
Fraktion. Die Rede soll die Kollegin Heidemarie Lüth hal-
ten. Bitte schön.




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
24344


(C)



(D)



(A)



(B)



Heidemarie Lüth (PDS):
Rede ID: ID1424218400
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Niemand sollte sich so ernst neh-
men, wie man das manchmal für sich persönlich in An-
spruch nimmt, auch wir Parlamentarier nicht. Aber ich
denke, die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger sollten
wir schon ernst nehmen. Darum kann ich Ihnen meinen
Debattenbeitrag zu unserem Gesetzentwurf heute nicht
ersparen.

In dieser Zeit, in der angeblich alle die große Poli-
tikverdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger beklagen,
können wir im Parlament eigentlich ein positives Zei-
chen konstatieren; denn wir haben gegenwärtig jährlich
etwa 20 000 Petitionen von Bürgerinnen und Bürgern,
die sich in ihrem eigenen Interesse, dem Interesse ande-
rer, aber auch dem Interesse der Gemeinschaft an uns,
die Parlamentarier, wenden. Diese Petitionen sind häu-
fig noch einmal durch mehr als 100 000 Zuschriften
bestätigt worden. Das muss ich als Vorsitzende des Peti-
tionsausschusses an dieser Stelle ganz besonders kon-
statieren. Ich frage mich, ob wir mit dem Gesetz von
1975 noch in der Lage sind, all diese Anfragen der Bür-
gerinnen und Bürger intensiv und kompetent zu beant-
worten.

Meine Fraktion hat sich die Mühe gemacht – denn wir
sind der Meinung, dass dies nicht mehr der Fall ist –, ein
Petitionsgesetz zu formulieren, das den Anforderungen
einer demokratischen Informationsgesellschaft ent-
spricht. Wir sind insbesondere von vier Punkten ausge-
gangen:

Erstens. Es geht uns um mehr Transparenz und um ein
Mehr an demokratischer Öffentlichkeit.

Zweitens. Wir wollen die Informationsrechte und den
politischen Einfluss des Parlaments gegenüber der Exe-
kutive stärken.


(Beifall bei der PDS)

Drittens. Wir wollen der Aushöhlung der parlamentari-

schen Kontrolle durch die Privatisierung der Daseinsvor-
sorge Einhalt gebieten.

Viertens. Wir wollen die demokratisierenden Chancen
neuer Informations- und Kommunikationstechniken nicht
ungenutzt lassen und wollen sie für unser Petitionsrecht,
das wir Ihnen vorgestellt haben, nutzen.

Zu diesen und anderen Fragen bei der Bearbeitung
der Petitionen haben wir Vorschläge gemacht. Ich darf
Ihnen sagen: Wir sind zwar, wie in der ersten Lesung
deutlich wurde, nicht kritiklos geblieben, aber konkur-
renzlos. Nicht einmal zu einer Einzelfrage wurde von
den anderen Fraktionen dieses Parlaments ein Vor-
schlag gemacht, obwohl der Kollege Scholz von der
CDU/CSU in der vergangenen Woche konstatiert hat,
dass es zwar nicht unbedingt Volksbegehren oder
Volksentscheide geben müsse, dass aber die Behand-
lung von Massenpetitionen vernünftig geregelt werden
müsse. Bisher hat die Fraktion der CDU/CSU aber kei-
nen Antrag vorgelegt.

Bei der SPD kann man das Gleiche konstatieren. Ihr
Generalsekretär hat im Januar 2002 unter der Überschrift
„Die Politik der Mitte in Deutschland“ angekündigt:

Die Bürgerbeteiligung soll ausgeweitet und das Peti-
tionsrecht effektiver gestaltet werden.

Man muss sich natürlich fragen, wo, wenn solch voll-
mundige Versprechen gemacht werden, die Umsetzung in
eine parlamentarische Vorlage geblieben ist.

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, und auch ich kön-
nen beobachten, mit welcher Hast und Hektik die großen
Fraktionen noch in den letzten Sitzungswochen Gesetz-
gebungsprojekte einbringen und mit welch heißer Nadel
sie gestrickt sind.

Dabei wissen wir genau, dass uns diese gesetzestech-
nischen, aber auch inhaltlichen Fragen demnächst wieder
auf die Füße fallen und sie dem Petitionsausschuss in Be-
zug auf die Gesetzesfolgenabschätzung und die Legisla-
tivpetitionen wieder Arbeit machen werden.

Deshalb ist es nicht zu verstehen, dass die anderen
Fraktionen trotz der herausragenden Vorarbeiten der
PDS-Fraktion nicht gefolgt sind und hier keinen entspre-
chenden Entwurf vorgelegt haben.


(Beifall bei der PDS)

Im Beschluss des 1. Ausschusses hierzu heißt es:
Die Fraktion der SPD hat grundsätzlich Initiativen
zur Reform des Petitionsrechts begrüßt und in die-
sem Zusammenhang beispielhaft auch den Vorschlag
zur Einführung einer Massenpetition als bedenkens-
wert bezeichnet.

Die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Frak-
tion gaben in diesem Ausschuss zur Kenntnis:

Unabhängig von der Beratung und Beschlussfassung
zu den vorliegenden Entwürfen sollte in der nächsten
Wahlperiode interfraktionell über mögliche Ände-
rungen zum Petitionsrecht ... beraten werden.

Diese Zustimmung ist auch vonseiten der Kollegen der
FDP-Fraktion erfolgt. Die Bündnisgrünen hatten leider
keine Zeit, sich zu diesem Thema zu äußern. Sie haben
wohl mehr mit dem Regieren als mit Regelungen hin-
sichtlich der Bürgerrechte zu tun.

Wenn es so ist, dass zumindest in der nächsten Wahl-
periode die Bemühungen der PDS, die Reform des Petiti-
onsrechtes auf den Weg zu bringen, Erfolg haben, dann
haben wir einen Teil unserer Arbeit erfüllt. Aber das Hi-
nausschieben in die neue Wahlperiode – das wissen Sie
selber – ist immer fragwürdig. Wenn es darum geht, Wahl-
versprechen einzulösen, liegt man manchmal weit zurück.

Die PDS-Fraktion jedenfalls wird in der nächsten
Wahlperiode – da wir davon ausgehen, dass Sie heute un-
serem Entwurf leider noch nicht zustimmen können –
wieder einen Entwurf einbringen. Wir werden hierbei ins-
besondere die Kriterien und Mechanismen einer Geset-
zesfolgenabschätzung, die die Wissenschaft und auch die
Politik gegenwärtig entwickeln, in das Petitionsrecht mit
einbeziehen, damit auch unser Petitionsausschuss die Ge-
setzesfolgenabschätzung bei der Behandlung von Legis-
lativpetitionen leisten kann.


(Beifall bei der PDS)







(C)



(D)



(A)



(B)


Wir, die PDS-Fraktion, werden unserem Antrag zu-
stimmen. Wir werden auch in der kommenden Wahlperi-
ode unser Wort halten; denn auf uns ist in diesen Fragen
Verlass.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424218500
Ich
schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak-
tion der PDS eingebrachten Entwurf eines Petitionsgeset-
zes, Drucksache 14/5762. Der Ausschuss für Wahlprü-
fung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/8576, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die den Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU
bei Gegenstimmen der PDS und Enthaltung der FDP. Da-
mit entfällt die weitere Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der PDS zur Änderung des Grundgesetzes,
Art. 45 c, auf Drucksache 14/5763. Der Ausschuss für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung emp-
fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/8576, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abge-
lehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
CDU/CSU bei Gegenstimmen der PDS und Enthaltung
der FDP. Damit entfällt die weitere Beratung.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Ver-
ordnung der Bundesregierung
Verordnung über die Entsorgung von gewerbli-
chen Siedlungsabfällen und von bestimmten
Bau- und Abbruchabfällen
– Drucksachen 14/9107, 14/9133 Nr. 2.1, 14/9351 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Brinkmann (Detmold)

Georg Girisch
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP
vor.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der
Verordnung der Bundesregierung über die Entsorgung
von gewerblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten
Bau- und Abbruchabfällen, Drucksache 14/9351. Der
Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Drucksa-
che 14/9107 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Be-

schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen
mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der
FDP-Fraktion.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der FDP
auf Drucksache 14/9394. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der PDS bei Gegenstimmen von
CDU/CSU und FDP.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von

der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 18. De-
zember 1997 zum Übereinkommen über die
Überstellung verurteilter Personen
– Drucksache 14/8995 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Ausführung des Zusatzprotokolls vom 18. De-
zember 1997 zum Übereinkommen über die
Überstellung verurteilter Personen
– Drucksache 14/8996 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9354 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Simm
Dr. Wolfgang Götzer
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Zum Gesetzentwurf zur Ausführung des Zusatzproto-
kolls liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU vor.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Zu-
satzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkom-
men über die Überstellung verurteilter Personen,
Drucksache 14/8995. Der Rechtsausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/9354, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die den Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist angenommen mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der FDP bei Gegen-
stimmen der CDU/CSU und der PDS.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Aus-
führung des Zusatzprotokolls vom 18. Dezember 1997
zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter
Personen; das ist die Drucksache 14/8996. Der Rechts-
ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss-




Heidemarie Lüth
24346


(C)



(D)



(A)



(B)


empfehlung auf Drucksache 14/9354, den Gesetzentwurf
anzunehmen.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf der Drucksache 14/9367 vor, über den wir
zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsan-
trag der CDU/CSU-Fraktion? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stim-
men aller Fraktionen bei Zustimmung der CDU/CSU-
Fraktion abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der CDU/CSU-Frak-
tion und Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.1)

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen

wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenver-
hältnis angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Ge-
setzes zur Änderung des Postgesetzes
– Drucksachen 14/9195, 14/9236 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/9427 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Kutzmutz

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Geset-
zes zur Änderung des Postgesetzes; das sind die Drucksa-
chen 14/9195 und 14/9236. Der Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf der Drucksache 14/9427, den Gesetzentwurf an-
zunehmen.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Ge-
genstimmen aller anderen Fraktionen angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen

wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen angenommen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Schade!)


Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 14. Juni 2002, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.